Emil Dreifuss Juden in Ein Gang durch die Jahrhunderte Im Anhang: Judentum - was ist das eigentlich?

Verlag Verbandsdruckerei • Betadruck Bern Zu den beiden Titelbildern: Links: Gruppenbild aus dem Jahre 1898 mit den Religionsschülerinnen und -Schülern in der alten Synagoge an der Anatomiegasse, der heutigen Genfergasse. Seit mindestens zweitausend Jahren ist es Sitte, dass die Männer in der Synagoge, beim Beten und beim Schriftstudium eine Kopfbedeckung tragen. Rechts: Zur Zeit der Aufnahme links erstellten die Gebrüder David und Julius Loeb an der 47 und 49 einen vierstöckigen Neubau mit Mansardendach und grossen Schaufenstern auch im ersten und zweiten Stock. Er wurde 1899 eröffnet. Die verglaste Fassade passte so schlecht zwischen die benachbarten Sandsteinfassaden, dass der Volksmund den Bau als die «Zahnlücke» bezeichnete.

© Copyright 1983 by Verbandsdruckerei • Betadruck Bern Druck: Verbandsdruckerei • Betadruck Bern ISBN 3-7280-5359-7 Inhalt

Fern von der ursprünglichen Heimat ...... 5 Die Welt will Sündenböcke ...... 8 Verachtet, aber unentbehrlich ...... 10 Judenmandate - Judenverordnungen - Judenerlasse ...... 15 Morgendämmerung der Freiheit ...... 19 Das Ringen um Gleichberechtigung ...... 22 Eine Gemeinschaft blüht auf...... 29 «Die Protokolle der Weisen von Zion»...... 40 Helfer in schlimmen Jahren ...... 44 Die jüdische Gemeinschaft in der Gegenwart...... 47 Die Juden Berns und Israel ...... 51

Anhang Judentum - was ist das eigentlich?...... 55 Zeittafel...... 60 Präsidenten und religiöse Betreuer der jüdischen Gemeinden Bern und Biel ...... 62 Literatur ...... 63 Register ...... 64 Im Gebiet des Kantons Bern lebten Juden schon im Mittelalter, nämlich in den neuge- gründeten Städten. Dort warteten ihrer, wie den Juden im gesamten Abendland, Lei- den und Verfolgung, Feindbild und Verbannung bis in die Zeit der Aufklärung. In der Helvetik begann - nicht ohne äusseren Druck - die Emanzipation des Individuums. Um Toleranz und Menschenrechte, aber auch um die politischen und demokratischen Rechte als Schweizer Bürger, ging das Ringen bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhun- derts. Heute wird die Gesamtheit der Juden in der Schweiz verstanden als eine der in diesem vielfältigen Land bestehenden Minderheiten. Um den nichtjüdischen Mitbürgern Kultur und Religion der Juden vorzustellen und näherzubringen, wurde die Ausstellung «Juden in der Schweiz» geschaffen und für Bern neu gestaltet. Sie gab Anlass zur vorliegenden Schrift über die Juden im Kanton Bern, vor allem in den Städten Bern und Biel, wo jüdische Gemeinden bestehen. Es galt, Geschichte und Eigenart der zu erhaltenden Minderheit in knapper Form anschaulich darzustellen und durch Dokumente zu belegen. Fern von der ursprünglichen Heimat

Im Jahre 1888 begann in Bern der Bau alten Heimat und vor allem nach Jerusa- des Bundeshauses Ost. Beim Aushub für lem erhalten. All die Jahrhunderte hin- die Fundamente trat das Bruchstück eines durch beteten die Juden, wo immer sie Grabsteins mit hebräischer Inschrift auch lebten, für die Sammlung der Zer- zutage, nachweisbar aus dem Jahre 1293. streuten, für den Wiederaufbau von Je- Und als man 1901 die Häuser am obern rusalem und für die Rückkehr nach dem Ende der abbrach, um den heissgeliebten Zion. Die Vertriebenen Platz vor dem neuen Parlamentsgebäude blieben dem Judentum treu; sie gaben die zu erweitern, fand sich wiederum der Teil überlieferten Werte und Lehren von eines jüdischen Grabmals, ebenfalls aus Geschlecht zu Geschlecht weiter. Selbst dem Mittelalter. Spätgotisches Masswerk, wo sie neue Wurzeln schlagen konnten, ein Drei-pass, umrahmt die hebräische lebten sie als Juden. So blieb und bleibt Inschrift. Beide Bruchstücke, jetzt im das Judentum durch die Jahrtausende Historischen Museum, bilden sichtbare erhalten. Den Anspruch auf die alte Zeugen des längst zerstörten Heimat hat es niemals aufgegeben. Judenfriedhofs im Gebiet der heutigen Juden fanden sich im ganzen Römerreich. . Eine Urkunde erwähnt Mit den römischen Legionen gelangten Juden in Bern erstmals 1259, also noch sie als Handwerker, Ärzte, Händler, aber vor Gründung der Eidgenossenschaft. auch als Sklaven und als Wie gelangten Juden in so grosser Zahl hieher, dass sie -wie in ändern Städten Westeuropas - einen eigenen Friedhof anlegen konnten? Schon vor mehr als zwei Jahrtausenden lebte ein grosser Teil des jüdischen Volkes fern von seiner ursprünglichen Heimat. Judäa bot längst nicht mehr genügend Nahrung für alle. Später zwang der Sieg der römischen Eroberer die Juden, in vermehrtem Masse wegzuziehen; doch blieb immer ein namhafter Teil des Volkes im Lande der Väter. Nach der Zerstörung des Tempels und der heiligen Stadt ersetzten die Römer den Namen Judäa durch Palästina, und Bruchstück eines Grabsteins vom Jerusalem - den Juden nun verschlossen - mittelalterlichen Judenfriedhof in Bern. Ein nannten sie Aelia Capitolina. spätgotischer Masswerkdreipass umschliesst Beim jüdischen Volk in der Diaspora die hebräische Inschrift. Das älteste der aufgefundenen Fragmente stammt blieb indessen die Sehnsucht nach der nachweisbar aus dem Jahre 1293. (Bernisches Historisches Museum)

5 Kriegsgefangene, nach Westeuropa. Ob- behielt, kam es zu Doppelbesteuerungen. wohl urkundlich nicht erwiesen, darf Das Laterankonzil und die Wiener Syn- doch angenommen werden, dass zur Zeit ode von 1267 schrieben den Juden vor, der römischen Provinz Helvetien Juden sich durch besondere Kleidung kenntlich als Handwerksleute und als Händler hier zu machen. Die gehörnten Hüte finden anzutreffen waren. Es ist vor allem an sich auch in den alten Berner Bil- Aventicum zu denken, die Hauptstadt, derchroniken. die zu ihrer Blütezeit wohl Nach dem Tode Friedrichs II. im Jahre vierzigtausend Menschen in ihren Mau- 1250 begab sich Bern unter savoyische ern zählte. Rechtlich waren Juden den Schutzherrschaft. In der kaiserlosen Zeit römischen Bürgern gleichgestellt. Seit zogen so viele Schutzsuchende, mit ihnen dem Jahre 212 genossen sie völlige Nie- auch Juden, nach Bern, dass sie in der derlassungsfreiheit. Erst als Kaiser Kon- Stadt keinen Platz fanden und sich zum stantin das Christentum zur Staatsreli- Teil vor dem Westtor, dem späteren gion erklärte, begann Rom die jüdische Zeitglockenturm, niederlassen mussten. Minderheit zu entrechten, zu verfolgen Diese Siedlung, «Neustadt» oder «Sa- und zu unterdrücken. voyerstadt» genannt, sicherte Graf Peter Nach den Wirren der Völkerwande- II. von Savoyen 1256 durch einen rungszeit besiedelten Alemannen das Mauergürtel mit drei Toren: dem Käfig- heutige Berner Mittelland rechts der turm als Haupttor; nördlich davon erhob , während die Gebiete links der Aare sich das Frauentor, und im südlichen zu Burgund gehörten. Das burgun-dische Abschnitt bildete das Judentor den Gesetz, ums Jahr fünfhundert entstanden, Abschluss der Judengasse. Der Torturm erwähnt die Juden; urkundlich befand sich an der Stelle des Hauptein- nachweisen lässt sich ihre Anwesenheit gangs zum heutigen Parlamentsgebäude. jedoch erst ein halbes Jahrtausend später, Die Judengasse - heute Kochergasse -war zur Zeit der Städtegründungen. kein Getto. In Bern durften sich Juden Im Mittelalter wirkte der Glaube an die überall in der Stadt niederlassen. angebliche Schuld der Juden am Tode Urkundlich sind sie erstmals 68 Jahre Christi bestimmend auf die Lage dieser nach der Stadtgründung und Jahrzehnte fremden Minderheit. Im Gefolge der vor der Gründung der Eidgenossenschaft Kreuzzüge fielen die Juden dem Fana- erwähnt: Aymo, Herr zu Monte-nach, tismus entfesselter Massen zum Opfer. verkaufte 1259 ein Gut, um die einem Jetzt nahmen Kaiser und Könige die Ju- Juden geschuldete Summe zurückzahlen den als sogenannte Kammerknechte in zu können. ihren Schutz, nicht ohne ihnen hohe Ab- Juden galten als rechtlose Fremde; man gaben aufzuerlegen. Später verpfändeten unterwarf sie strengen wirtschaftlichen die Herrscher, sofern sie Geld benö- Einschränkungen. Sie durften keinen tigten, den Judenschutz an Fürsten und Boden erwerben, nicht Handel treiben einzelne Städte. Diese zogen nun ihrer- und kein Handwerk ausüben; die Zünfte seits die Sondersteuer ein. Da der Kaiser blieben ihnen verschlossen. Da- jedoch das Besteuerungsrecht

6 Die Urkunde aus dem Jahre 1259 bezeugt erstmals die Anwesenheit von Juden in der Stadt Bern. (Staatsarchiv Bern) gegen verpflichtete man die Juden zum Darlehensgeschäft. Den Christen verbot die Kirche, gegen Zinsen Geld auszulei- hen. Doch mit der Entwicklung der Städte wuchs der Geldbedarf. Was lag näher, als die Juden zum anrüchigen Zinsgeschäft zu zwingen! Die Stadt nahm Juden gegen hohe Abgaben für eine beschränkte Zeit als Burger minderen Rechts in ihren Schutz. Burger- und Freiheitsbriefe sicherten ihnen das Recht zum Geldverleih gegen Pfänder oder Bürgschaften. So übten die Juden in den Zeiten des Übergangs vom Tauschhandel zur Geldwirtschaft eine wichtige wirtschaftliche Funktion aus.

7 Die Welt will Sündenböcke

Sicher hätten Christen selber gerne Zin- tungen durch die Juden ... Habsucht hat sen genommen, wäre ihnen dies nicht manche Christen veranlasst, aus der durch das kanonische Recht verboten Verfolgung der Juden, denen sie viel Geld gewesen. Die Juden durften es. Für sie schulden, Nutzen zu ziehen.» - Zu spät! galt anderes Recht. Und zudem übten sie Die Geistlichkeit konnte die fana-tisierten befremdende Bräuche. Darum wirkten sie Massen nicht mehr zügeln. auf die im Gemeinwesen fest verwurzelte Nach 1285 verschlechterte sich die wirt- Bevölkerung irgendwie unheimlich. Wer schaftliche Lage Berns infolge von andersartig ist in seinem Wesen, sich Bränden und Kriegen rapid. Steuern und ungewohnt verhält, befremdet. Der Abgaben bedrängten die Bevölkerung Fremde wird abgelehnt, verurteilt, oft schwer. Nun richtete sich die Wut des bekämpft. Dem Andersartigen begegnet erbitterten Volkes gegen die Juden. 1294 man misstrauisch, vielfach feindselig. bezichtigte man sie des Ritualmordes an Dies alles Hess Hass entstehen. So erging einem Knäblein, dessen Leiche es früher den Juden in ihrer christlichen aufgefunden worden war. Hatten einst die Umwelt, so ergeht es heute manchmal Römer den ersten Christen vorgeworfen, Gastarbeitern aus fernen Ländern, aus sie töteten heimlich Kinder, um ihr Blut fremden Völkern. zu rituellen Zwecken zu verwenden, so Die Juden - inmitten einer ihnen feind- beschuldigte man nun im ganzen selig gesinnten Bevölkerung - gingen mit Abendland die Juden solcher Untaten, an ihren Schuldnern sicher nicht immer die das Volk während Jahrhunderten zimperlich um. Die Verachteten fanden glaubte. Hier spielte auch mit, dass viele keinen Grund, ihre hasserfüllten Peiniger Schuldner ihren Verpflichtungen zu schonen. So kam es während des gegenüber den jüdischen Geldverleihern Mittelalters in ganz Europa immer wieder nicht mehr nachkommen konnten. Die zu Judenmetzeleien und -austrei-bungen. grauenhaften Verfolgungen gingen um so Brauchten die Städte wieder Geld, so rief hemmungsloser vor sich, als beim Tod man die Juden zurück, und das üble Spiel des jüdischen Gläubigers alle begann von neuem. Vorwände zur Schuldforderungen und Pfandrechte Verfolgung der Juden liessen sich leicht erloschen . . . finden: man bezichtigte die Die Behörde glaubte nicht an eine Schuld «Gottesmörder» - sie sollten ja am Tode der Juden am Tode des Christenknaben, Christi schuld sein - der Hostien- doch kam ihr der Hass der Bevölkerung schändung und des Ritualmords. Papst auf die Verleumdeten nicht ungelegen. Innozenz IV. gebot dem wüsten Treiben Man wies die überfal-lenen, Einhalt: «Gewisse Christen, vom Teufel ausgeplünderten Juden aus der Stadt und getrieben, suchen die Ursache der von war damit die Schulden los. Die Gott den christlichen Völkern wegen ihrer Verfolgten klagten nun bei König Adolf. Sünden auferlegten Pest in Vergif- Der durch ihn bestellte Aus-

8 schuss fällte einen Schiedsspruch zu- Aus den Akten ist ersichtlich, dass weder gunsten der Stadt Bern. Die Juden ver- Herrscher noch Gericht an den Ri- loren ihre gesamten Guthaben; sie tualmord glaubten. Offenbar lag aber dem mussten alle bernischen Pfänder und König mehr an der Anhänglichkeit Berns Schuldbriefe herausgeben und überdies als an den Juden, seinen Kam- dem Schultheissen und der Stadt eine merknechten. Auch der Schultheiss in hohe Busse entrichten. seiner Bussenquittung von 1294 und König Adolfs Nachfolger Albrecht in Im Jahre 1294 bezichtigte man die Juden seiner Urteilsbestätigung von 1300 spra- Berns des Ritualmordes an einem Christen- knablein. Zu solchen Beschuldigungen kam es chen nur vom angeblichen Knabenmord; damals überall im Abendland, sie losten aus materiellen Gründen setzten sie sich grauenhafte Verfolgungen aus Darstellung m jedoch über das schreiende Unrecht der amtlichen Berner Chronik des Diebold hinweg. Schilling aus den Jahren 1468-1484. (Burger- Der Rat von Bern behändigte nun das bibhothek Bern, Mss h h I, 1) Gut der aus der Stadt Vertriebenen. Ei-

9 nige der weggewiesenen Juden nahm die ganzen Abendland ein verheerender Stadt Biel auf. Dort verpflichtete man sie Pestzug. Von 1348 bis 1350 rafft die von wie üblich zum Darlehensgeschäft. Dafür Asien hereinbrechende furchtbare Epi- erhielten sie zwei Häuser, durften demie, «der schwarze Tod», einen Viertel schächten und hatten bloss eine geringe der Bevölkerung Europas hinweg. Im jährliche Steuer zu zahlen. Spätherbst 1349 sterben allein in der Stadt Drei Jahrzehnte später wird der Berner Bern täglich 60 bis 120 Menschen. Juden Judenfriedhof Bauland. Ende 1323 ver- fallen dank ihren religiösen Speise- und kauft Johann von Lindenach, Burger zu Hygienevorschriften der Pest in Bern, der Kongregation der Schwestern geringerem Masse zum Opfer als die von Brunnadern, nach ihrem Klösterlein christliche Bevölkerung. Das fällt auf. auf einer Aareinsel in der Gegend des Bald einmal heisst es, die Juden hätten die Altenbergs auch Inselschwestern ge- Brunnen vergiftet und so das nannt, einen Teil der Hofstatt des ehe- Massensterben verursacht. Das Gerücht maligen Judenfriedhofs. Einen weitern verbreitet sich mit Windeseile durch das Teil desselben erwerben die Inselschwe- ganze Abendland. Unter den grässli-chen stern im folgenden Jahr von Niklaus Qualen der Folter gestehen die Juden ein, Vrieso. Von Papst Johann XXII. erlan- was man ihnen vorwirft. Jetzt fällt man gen sie die Bewilligung, auf dem gekauf- über die Wehrlosen her; ein grauenhaftes ten Areal ein Kloster zu bauen. Daraus Morden hebt an, das mit der Vertreibung entsteht nach der Reformation das In- der verschont gebliebenen Juden endet. Es selspital, welches in den 80er Jahren des sind jedoch vor allem wirtschaftliche 19. Jahrhunderts an den heutigen Stand- Gründe, die zur Verfolgung und ort verlegt wird, aber den alten Namen Vertreibung der Juden führen: die behält. Schuldner entledigen sich auf diese Weise Offenbar mussten nicht alle Juden die ihrer Verpflichtungen gegenüber den Stadt verlassen, denn es finden sich nach Geldausleihern. Bern bildet keine 1294 mehrere Urkunden über Darlehen, Ausnahme; den willkommenen die bei Juden aufgenommen wurden. Sündenböcken wartet der Scheiterhaufen Jedenfalls durften sich die Unent- oder die Vertreibung. Die Obrigkeit zu behrlichen bald wieder in der Stadt nie- Bern empfiehlt den Baslern, ihre Juden derlassen. Doch schon nach wenigen auch zu verbrennen. Zur selben Zeit Jahrzehnten kommt es neuerdings zu verjagt Graf Eberhard von Kiburg die weitverbreiteten Judenmetzeleien: Um Juden aus Burgdorf. die Mitte des 14. Jahrhunderts wütet im

Verachtet, aber unentbehrlich Erst wieder um 1370 finden sich Juden in her sind sie aber nicht mehr, denn sie Bern. Sie unterliegen einer besonderen werden durch fremde Geldverleiher, die Kopfsteuer. Unentbehrlich wie frü- sogenannten Kawertschen (von Cavar-

10 Revers von Juden für das Schirmversprechen der Stadt Bern. Mitte April 1391 (Auszug) Wir, Benyamin der Judo, Meria sin ewirtin und Bennfelt, sines sünis sun, tuen kunt mit disem brief: als unser gnedigen lieben herren, der schultheiss, räte und burger ze Berne, uns ze iren ingesessnen burgern und in ir stat schirm genomen hant, und uns friheit geben, als die briefe wol bewisent -; in denselben friheiten und briefen aber ein artikel stat, nemlich daz uns ze glouben sie, es sy an houptguot, an geltschuld, an ge-win etc -, der selb artikel aber die vorgen. unser herren etzwas ze swere und unkumb-lich dunket, harumb gesprechen wir, die obgen. Juden: wenne der Lamparten zile und friheit us gat, - daz denne di obgen. unser herren von Berne den vorgeschribnen artikel - wol wandlen, miltern oder mindren mögen, alz denne - den schultheiss, räte und die zweihundert von Berne oder der merteil under inen dunket und erkennent, ane ge-verde (unanfechtbar); doch also daz die ändern artikel alle - in gantzer und steter kraft beliben söllent die jarzal us, als unser friheit stat. Were aber, daz dien Lamparten nach dem usgange ir ziles der vorgn. artikel geben und den nutzen wurden, ob si furer hie beliben, so sollen ouch wir mit gedinge den selben artikel haben und nutzen und da mit versorget werden unser jarzale us, und sol denne dirre brief - ab und kraftloz sin, ane alle geverde und Widerrede. (Zeugen: Symon Mennlis der Jude und Jehein der Jude.)

cere, Caorsa bei Piacenza oder von Ca- Geldwert 110000 Franken, wahrlich hors in Südfrankreich) und Lamperten eine namhafte Summe! Möglicherweise (Lombarden) konkurrenziert, um so enthielt sie auch eine Art Erwerbssteuer. mehr als diese der christlichen Konfes- In den Jahren 1381/82 nehmen die stark sion angehören und nicht heimatlos verschuldeten Grafen von Kiburg wie- sind. derholt bei Juden in Bern Darlehen auf. Wenn in Urkunden der Jude Mathys Ein Jahr später verpflichtet die Obrigkeit Eberlin und dessen Ehefrau, Esther Geldverleiher, ob Jude oder Christ, die Merlin, als Burger zu Bern bezeichnet Schuldner und deren Bürgen jährlich zu sind, heisst das nicht, man habe sie wie mahnen. Unterlassen sie es, verlieren sie die christlichen Einwohner gehalten, ihren Anspruch. sondern sie während beschränkter Zeit, Im nächsten Jahr hebt der Rat von Bern meistens für die Dauer von sechs Jah- das kirchliche Zinsverbot von sich aus ren, unter den Schutz der Stadt gestellt. auf; damit verliern die Juden ihr Mono- Dafür mussten sie aber schwer bezah- pol als Geldverleiher vollends. len. In der Stadtrechnung von 1377 sind Am 12. April 1391 nehmen Schultheiss, als Einnahme «von Menlis wip von des Rät und Burger den Juden Benjamin, kilchhofs» (also eine Begräbnissteuer) dessen Frau Merine und ihren Grosssohn 14 Pfund 5 Schilling verbucht, das wä- samt Kindern und Gesinde für sechs ren heute mehr als 5000 Franken. Jahre ins Burgerrecht auf. Benjamin «Isach der Jude» hatte im Jahre 1383 als besitzt seit Jahren ein Haus an der Schutzgeld insgesamt 313 Pfund 14 , wo schon ein anderes ei- Schilling zu entrichten, nach heutigem nem Juden gehört. Die jüdischen Geld-

11 Verleiher geniessen das Vorrecht des Ju- reich, der Tochter Herzog Leopolds. Da deneids; bei widersprüchlichen Aussagen sich dieser weigerte, fiel Ingelram mit über streitige Darlehen oder Zinsen oder seinem Heer plündernd und mordend, über die Herausgabe eines Pfandes hat der sengend und brennend ins österreichische Eid des Juden gegenüber der Aussage des Aaregebiet ein. Da war man über den christlichen Schuldners den Vorrang. jüdischen Wundarzt froh. Im nächsten Verlangt zum Beispiel ein Schuldner vom Jahr erscheint auch «Menlin die jüdi» in Juden die Herausgabe eines Pfandes, das den Stadtrechnungen. Vielleicht war sie dieser bereits zurückgegeben hat, so die Schwester des erwähnten glaubt das Gericht dem Eid des Juden, Wundarztes. In den Jahren 1377 bis 1384 «da sol die Unschuld an dem Juden stan». erhält sie regelmässig Arzthonorare, Durch die Konkurrenz der Lamparten anfänglich gleich viel wie Menlin zuletzt, sehen die Juden ihr Recht gefährdet. Die später die doppelte Summe. Doch beträgt Obrigkeit verlangt von den Juden, auf ihr das Jahresgehalt von 21/2 Pfund nach Vorrecht zu verzichten. In einem heutigem Wert nur rund tausend Franken. Schreiben willigen die Juden zur Das ist wesentlich weniger als die damals Verminderung ihres Vorrechtes ein, üblichen Arztlöhne, möglicherweise als sofern die christlichen Geldverleiher die Folge der jüdischen Herkunft und der Stadt verlassen. Werde aber deren nichtakademischen Ausbildung. Aufenthaltsbewilligung verlängert, solle Yvonne Thurnheer schreibt dazu in ihrer das Vorrecht der Juden in Kraft bleiben Abhandlung über die Stadtärzte und ihr (siehe Kasten auf S. 11). Amt im alten Bern: «Teils kann es wohl Wie überall im Mittelalter wirkten Juden als Zeichen des Ärztemangels gedeutet auch in Bern als Ärzte. Der Arztberuf war werden, wenn die Mennlina während der einzige, den Juden ausser dem mindestens acht Jahren in Bern tätig sein Geldgeschäft ausüben durften. Sie durfte, sicher ist es aber auch ein Zeichen bewiesen darin - trotz mangelnder aka- beruflicher Tüchtigkeit, wurde sie doch demischer Studien - wahre Meisterschaft. für Extraleistungen mehrfach noch Zur Zeit des Guglerkrieges amtierte besonders honoriert. Offenbar hat sie es «Menlin der jude» als Stadtwundarzt. zu einigem Wohlstand gebracht, denn aus Ausser seinem regelmässigen festen dem Jahre 1382 sind mehrere Gehalt bezog er noch besondere Schuldbriefe zugunsten des Juden Vergütungen für ausserordentliche Mathys Eberlin und seiner Ehefrau Dienstleistungen während der Kämpfe Esther Mennlinen in Bern erhalten ge- Berns von 1375 gegen die aus Frankreich blieben (Staatsarchiv Bern).» In jenen über die Jurapässe eingedrungenen Jahren wirkte auch «Meister Isaak von Söldner Ingelrams von Coucy, Tanne, der Jude», Burger zu Bern, als Grossvasall des Königs von Frankreich Arzt. und Schwiegersohn des Königs von Nach wie vor steht dem Herrscher des England. Ingelram forderte vom Herzog Reiches das Recht zu, die Juden zu be- von Österreich die Herausgabe des Erbes steuern. Bern widersetzt sich, weil es seiner Mutter Katharina von Öster-

12 Privileg König Wenzels betr. die Steuern der Juden in Bern. Prag, 2. Mai 1392 (Auszug) Wir, Wenczlaw von gotes gnaden Romischer kunig, - tun kunt offenlichen mit diesem brive - dem burgermeister, rate und burgern gemeinlichen der stat zu Berne in Ucht-land, unsern und des reichs üben getrewen, von wegen der Juden, die bey in in verlaufner czeite sein gewesen und noch sind, unser camerknechte - dass unsere vorderunge und rechte genczlichen tode und abe sein sollen - und dass die vorgenanten von Berne alle Juden, die bey in wonhaftig sein oder furbas zu in komen, ynnehaben, halten, der genyessen, stewren, schuczen und schirmen mögen, dass dieselben Juden die nehsten sechs jare vor allen schaczungen und stewren ledig und lose sein sollen; und wenn dieselben sechs jare vergangen sind, - was denn rechter stewre oder schaczunge von den egenannten Juden doselbist zu Berne gefallen werden und mögen, die sollen genczlichen in unsere und des reichs camer gefallen und wir solln doran des rates von Berne Worten gelawben, - dass dieselben Juden nyemanden anders furbas mer gebunden sind, noch sein sollen zu dienende oder stewer zu gebende wider iren willen, dann dass yeder jude und judynne, die - in das dreiczehende jare komen sind, alle jare uf die nehsten weinachten und dor noch alle jare, einen gülden in unsere kunicliche camer -bezalen sollen. Mit urkunt dicz brives, versigelt mit unser kuniclichen maiestat insigel geben zu Präge,...

nicht nur die Zolleinnahmen des Reiches, den grössten Teil der Stadt in Schutt und sondern auch die Judensteuer für sich Asche. Mehr als hundert Menschen behalten will. König Wenzel beharrt auf bleiben in den Flammen; sechshundert seinem Recht, ist jedoch bereit, der Stadt Häuser sind zerstört. Wohl senden alle die erhobene Judensteuer zu überlassen umliegenden Städte unverzüglich Hilfe; und während sechs Jahren darauf zu was aber fehlt, ist Geld, um das Wirt- verzichten. Dann soll sie wieder an die schaftsleben wieder in Gang zu bringen. königliche Schatzkammer fallen. Gleiche Jetzt kommen die Juden der Stadt wieder Privilege gewährt der König auch gelegen. Die Obrigkeit ruft die Ver- anderen Reichsstädten. triebenen zurück, stellt ihnen sogar das Von da an bis 1408 sind in den berni- Zeugnis aus, sie hätten sich mit ihren schen Urkunden Juden nicht mehr er- Darlehen der Stadt gegenüber stets wähnt. Ob sie nur so lange geduldet freundlich erwiesen. In seinem «Juden- wurden, als die Stadt laut königlicher brief» von 1408 sichert der Rat von Bern Ermächtigung berechtigt war, die Ju- den Juden eine beträchtliche Anzahl densteuer für sich zu behalten, oder ob Vorrechte zu: die Juden Bern erst nach der grossen Die Stadt nimmt jüdische Familien zu Brandkatastrophe verlassen mussten, ist eingesessenen Burgern auf. Allerdings ungewiss. Im Frühjahr 1405 kommt haben sie jährlich die enorme Steuer von furchtbares Unheil über die Stadt: Ende 60 Gulden - nach heutigem Wert April brennen an der Kirchgasse 52 ungefähr 36 000 Franken - zu bezahlen, Häuser nieder. Zwei Wochen später sind jedoch von allen weitern Lasten und bricht von neuem Feuer aus und legt Abgaben befreit. Vor Gericht dür- 13

fen die Juden auf die Tora, d. h. auf die darauf die Eidgenossen auffordert, in die fünf Bücher Mose schwören, zudem sol- Gebiete des geächteten Herzogs von len sie an jüdischen Feiertagen nicht vor Österreich einzufallen, setzen sich die Gericht geladen werden. Sie geniessen Berner über den Friedensvertrag mit Religionsfreiheit, können also Gottes- Österreich hinweg und erobern den gan- dienste und Beerdigungen nach jüdi- zen westlichen Aargau. So gelangt Bern schem Brauch durchführen. Sie dürfen zu ansehnlichem Reichtum und ist nun fremde Juden bei sich beherbergen, die nicht mehr auf die Juden angewiesen. dann ebenfalls unter dem Schutz der Bald danach beauftragt die Stadt ihren Stadt stehen. Juden können Streitfälle ehemaligen Schreiber Konrad Justinger, unter sich entweder nach jüdischem die Geschichte Berns abzufassen. In die- Recht austragen oder aber vor die berni- ser Chronik kommen die Juden denkbar schen Gerichte bringen. Die Berner schlecht weg. Justinger versteht es, die Metzger sind verpflichtet, den Juden Obrigkeit gegen die Juden aufzuhetzen. Fleisch nach ritueller Vorschrift abzuge- Professor Gustav Tobler schreibt in seiner ben, dürfen jedoch keinen Mehrpreis Geschichte der Juden in Bern: «Der Hass verlangen. Justingers war vielleicht weniger Zwei Jahre später herrscht König Sigis- religiösen oder nationalökonomischen mund über das Reich. 1413 fordert er Motiven entsprungen, wie man aus der eine Anzahl Reichsstädte, darunter Bern, Schärfe und Rücksichtslosigkeit seiner dazu auf, die ihm von Juden und Worte entnehmen sollte, sondern es haben Jüdinnen geschuldeten Gulden Opfer- wahrscheinlich persönliche Gründe den pfennige der beiden letzten Jahre an seine Ausschlag gegeben. Wir dürfen nämlich Hofbeamten abzuliefern. Offenbar nicht vergessen, dass Justinger blieben die Inkassogelder in den Städten öffentlicher Notar war und dass er als liegen . . . solcher auch Geldgeschäfte betrieb. Er Im nächsten Jahr besucht der König mit war also ein Konkurrent der Juden, und grossem Gefolge Bern, wo man ihn jetzt wird seine Opposition gegen die- prunkvoll empfängt und reich bewirtet. selben erklärlich.» Er bestätigt alle durch Bern erworbenen Justingers Hetze trägt Früchte. Nachdem Hoheitsrechte. Später erklärt König Si- im Jahre 1425 Papst Martin V. das gismund, keine andere Reichsstadt habe kanonische Zinsverbot aufgehoben hat ihm so viel Ehre erwiesen. Als er bald und nun alle Christen Geld gegen Zin-

Konrad Justinger (1370-1438), seit 1400 Amtsschreiber zu Bern, in seiner Chronik über die letzten Jahre des 13. Jahrhunderts: «In demselben zite warent vil Juden ze berne, die doch in diser welt anders nüt tund denne wie si die Kristanheit geschedigen mit allen Sachen, offenlich mit dem wu- cher...» «... darumbe etlich wise lüte haltend, daz was ungefelles die stat bern sider angangen sye von grossen brünsten aller ander Sachen, daz man daz von dien Juden hab.»

14 sen ausleihen dürfen, sind die jüdischen braucht man die in Notzeiten von ihren Leihgeber überflüssig. Zwei Jahre später, Schuldnern gehassten jüdischen Geld- am 10. Mai 1427 - ein Jahrzehnt nach ausleiher nicht mehr. Man weist sie im Fertigstellung des neuen Rathauses und 15. Jahrhundert aus fast allen Städten der sechs Jahre nach Beginn des damaligen Eidgenossenschaft aus; nur an Münsterbaus - beschliessen Schultheiss wenigen Orten konnten sich einige Juden und Rat, die Juden «für ewig» von Stadt halten, vermutlich aufgrund besonderer und Land fernzuhalten. Der Be-schluss Freiheiten und Rechte dieser Orte. wird mit der Behauptung begründet, die Um den Schuldnern zu ermöglichen, ihre Juden schmähten den christlichen Pfänder einzulösen, verhindert man einen Glauben und schädigten, wie die kurzfristigen Wegzug der Juden. Obwohl ebenfalls ausgewiesenen Lombarden, mit Bern die Ausweisung 1427 beschlossen ihren Darlehen gegen hohe Zinsen Stadt hat, konnten 1428 die Freiburger und Land durch Entzug von Bargeld. - Behörden einen Juden aus Bern bei- Nun bleibt der Staat Bern bis in die Mitte ziehen, um die hebräisch geschriebenen des 17. Jahrhunderts auch den jüdischen Geschäftsbücher eines angeklagten Juden Hausierern und Marktfahrern ver- zu entziffern. Auf obrigkeitlichen Befehl schlossen. zahlte Freiburg an Bachie ein Honorar Mit dieser Massnahme steht Bern nicht von 6 Pfund, nach heutigem Geldwert allein da: Nach Aufhebung des kirchli- etwa tausend Franken. chen Zinsverbotes durch den Papst

Judenmandate - Judenverordnungen Judenerlasse...

Formell blieb der Berner Ausweisungs- bernischer Staatsrechnung von 1536 beschluss von 1427 mehr als vier Jahr- wurden einem fremden jüdischen Arzt 4 hunderte in Kraft. Doch lässt sich die Pfund ausbezahlt, nach heutigem Anwesenheit von Juden auch während Geldwert ungefähr 350 Franken; Man dieser Zeit urkundlich nachweisen. Vor beachte den Kaufkraftschwund innert allem ruft man immer wieder jüdische hundert Jahren auf die Hälfte. 1577 Ärzte in die Stadt. In den Jahren 1441 bis schliesslich ist ein Doktor Moses Deli- 1444 bezieht ein Jude, Meister Hans der mat erwähnt. Als die Bieler Obrigkeit im artzat, neben dem Stadtarzt regel-mässig Jahre 1440 den Juden Marti Simon als vierteljährliche Besoldungen von 5 Pfund, Bürger aufnahm, machte ihr der Bischof das wären heute etwa tausend Franken. das Recht streitig, Juden als Bürger an- Dazu kommen natürlich noch die zunehmen. Honorare der Patienten. Jüdische Ärzte Im Mittelalter wurden Kaufleute, die mit befassten sich sowohl mit Chirurgie als ihren Waren auf unsichern Wegen auch mit innerer Medizin. Laut reisten, gegen Zahlung von Bewaffneten

15 begleitet. Später bestand das «Geleit» in hörden, die strenge Vorschrift zu mildern. der Zusicherung, allfällig erlittenen Darauf erlaubt man ihnen bis auf Schaden zu ersetzen. Für Christen frei- weiteres, Jahrmärkte zu besuchen; sie willig, wurde das Geleit für Juden obli- erhalten Passierscheine. Doch da sich die gatorisch. Jeder Jude hatte beim Betreten Juden hauptsächlich dem einträglichen eines Hoheitsgebietes das «Judengeleit» Pferdehandel zuwenden, erlassen die zu zahlen. Diese Steuer wurde so zu bernischen Behörden neuerdings ein einem eigentlichen Leibzoll. Ferner Verbot: der «Rossgrem-pel» sei erhob man den sogenannten «Juden- «landschädlich», weil durch die würfel», eine zusätzliche Abgabe. 1527 Pferdeeinfuhr dem inländischen Handel legten Schultheiss und Rat von Bern fest: die nötigen Zahlungsmittel entzogen «Jeder jud git ein guldin oder darnach er würden. Wegen des herrschenden Man- ist und hat ouch darzu dry wür-fel.» gels an Bargeld sei dem Geldabfluss ein Dieser Beschuss ist im Zollbuch von Riegel zu stossen. 1540 festgehalten. Der Gulden entsprach 1677 weisen Schultheiss und kleiner Rat damals etwa dem Wert von 200 heutigen alle Amtleute an, die Abgabe bei Pferde- Franken. ausfuhr nur von Fremden zu erheben, Im 17. Jahrhundert stehen den Juden nur «darunter auch die Juden verstanden». Zu einige ländliche Orte in der Nord-und der Beginn des 18. Jahrhunderts fordern in Ostschweiz offen. Die Obrigkeit von Bern verschiedene Kreise, man möge die Bern lässt sich in ihrer Judenpolitik Juden zum Handel im Lande wieder ausschliesslich von wirtschaftlichen Er- zulassen. Da kommt es zu Meinungsver- wägungen leiten. Jüdische Händler dür- schiedenheiten zwischen der Venner- fen einreisen, sofern sie dem Lande kammer als Aufsichtsbehörde über die Nutzen bringen. Trifft dies nicht zu, so Staatsfinanzen und der Zollkommission. weist man sie weg und lehnt Gesuche Die eine Seite hält das Fernbleiben fremder Juden ab. jüdischer Händler nicht für nachteilig; die Der Dreissigjährige Krieg bringt der andere findet, durch das Verbot entgingen verschont gebliebenen Eidgenossen- dem Staate namhafte Tratten-und schaft einen Flüchtlingszustrom. Mit ihm Geleitgelder sowie beträchtliche kommen auch Juden ins Land. 1646 Zolleinnahmen. Zudem klagten die verlangen mehrere eidgenössische Orte, Bauern, abschätziges Vieh nicht mehr die Juden seien auszutreiben. Da erreicht ausreichend absetzen zu können. Jetzt Bern an der Tagsatzung zu Baden, dass lässt Bern dreihundert ausländischen man den Juden noch während zweier Juden Pässe ausstellen, jedoch nur für den Jahre das Judengeleit gewährt. Früher Ankauf im Lande, nicht aber zu war dies die Abgabe für die Bewilligung Verkäufen; solche würden die Viehmärkte der Durchreise, später für das Recht des schädigen und schliesslich die Viehzucht Aufenthaltes. 1648, kurz vor Kriegsende, ruinieren. verfügt die Obrigkeit von Bern, dass alle Nach zwei Jahrzehnten zeigt sich Bern Juden das Land zu verlassen haben. Die den Juden gegenüber günstiger gestimmt. Juden bitten die Be- Das Mandat vom 24. Dezember

16 Als in den Jahren 1603-1607 Sickinger seine Planvedute Berns von Süden zeichnete, wohnten seit rund zweihundert Jahren keine Juden mehr in der Stadt Unten die Judengasse, links abge- schlossen durch das Judentor, rechts davon die Bauten des ehemaligen Inselklosters. Oben rechts der Zeitglocken-, links der Käfigturm Federzeichnung Eduard v. Rodt nach der Aberli- Kopie von 1755. (Aufnahme Burgerbibliothek Bern)

1723 über die Viehmärkte legt am allen Christen, sondern allen Menschen Schlüsse fest, die Juden seien von den das Ihrige zueignen heisst». ihnen auferlegten Sonderabgaben zu be- Auch auf dem Gebiet des Kultus setzt freien und gleich zu halten wie die än- sich Bern für die Juden ein. 1729 bedroht dern Marktfahrer; dadurch soll die Ju- die christliche Bevölkerung von denschaft «angefrischet» werden, die Endingen die dortigen Juden. Diese sind Märkte zu besuchen. gemäss Bericht des Berner Landvogts Acht Jahre später widersetzt sich Bern Lentulus nicht nur an Leib und Gut, an der eidgenössischen Tagsatzung in «sondern auch gar an ihrer Schul, Baden den verschärfenden Bestimmun- Gebräuchen und Ceremonien, auf eine gen Zürichs, die den ohnehin be- höchst ärgerliche und strafbare weis an- schränkten Handel der Juden zu lahmen gegriffen, verletzt und beschädigt wor- drohen. Die Vertreter Berns berufen den». Lentulus schreitet zugunsten der sich auf ihre Justiz, «welche nicht nur Juden ein und veranlasst ein Mandat,

17 wonach diese nicht nur «an ihren Leiberen Hauptmessen in der Stadt zuzulassen. und Güteren, gutem Namen», sondern Hausieren jedoch sei zu untersagen. Das auch an «Gebräuchen, Sitten, Ce- Judenmandat vom 3. Mai 1781 verbietet remonien und ihrer zu ihrem Gottesdienst wiederum Hausieren, Warenoder gewidmeten Schul» bei Strafe des Viehverkauf auf ländlichen Märkten, Friedens- und Geleitsbruchs geschützt Geldleihe sowie Ankauf von sein sollen. Werde der Täter nicht aus- Schuldscheinen und Edelmetall. Am 17. findig gemacht, sei die ganze Gemeinde Dezember 1787 untersagen Schult-heiss Endingen haftbar. und Rat den Juden nicht nur jeglichen 1772 diskutiert der Berner Kommerzien- Handel, sondern auch den Aufenthalt im rat - so heisst die Ratskommission für gesamten Staatsgebiet. Bern begründet kaufmännische Angelegenheiten - ob die dieses Verbot mit einer Betrugsaffäre: Zulassung der Juden zum Handel Elsässische Juden hätten das angekaufte schädlich oder vorteilhaft sei. Die Mei- Vieh nicht ausser Landes geführt, nungen gehen auseinander. Die einen sondern es hier wieder verkauft; sie bringen vor, die Juden konkurrenzierten seien den Gesetzen immer wieder auf den Jahrmärkten die einheimischen ausgewichen. Krämer und schädigten durch die Importe Schon nach vier Jahren kommt es zu Be- die bernische Textilindustrie. Die denken. Der Kommerzienrat stellt am 7. Gegenseite hebt hervor, die Konkurrenz Mai 1791 fest, dem Lande fehlten die durch die Juden befruchte die Wirtschaft Pferdejuden, die dem Bauer seine ab- und trage zur Verbilligung der Waren bei. schätzige Ware abkauften und ausser Die Juden nützten dem Lande und sollten Landes führten. «Fast alle führten ihren «in heutigen aufgeklärten Zeiten, da der Handel mit Redlichkeit und ohne Be- Geist der Intoleranz nicht mehr so wie trug.» Die Obrigkeit bleibt jedoch hart. ehemals herrschet,» geduldet werden. Es empfehle sich, die Juden zuzulassen unter 1798 bringt die Invasion der französi- der Bedingung, nur gegen Bargeld zu ver- schen Armeen das alte eidgenössische kaufen. Staatsgebäude zum Einsturz. Auf dem Biel hielt sich die Juden fern: Laut Rats- Papier gelangen die Juden aufgrund der protokoll der Stadt von 1770 war auf- in Frankreich proklamierten Menschen- grund der von Magistrat und Zünften rechte erstmals in den Genuss der aufgestellten Weisungen sämtlichen Juden Rechtsgleichheit. Die Wirklichkeit sieht jeglicher Handel zu Stadt und Land jedoch anders aus: Während andere verboten. Ausländer durch Vereinbarungen zwi- 1779 empfiehlt der Kommerzienrat zu schen den Staaten etwelchen Schutz ge- Bern, fremden Juden den Warenverkauf messen, bleiben die Juden - die ja kein an ländlichen Viehmärkten zu verbieten Vaterland mehr besitzen - nur geduldete und nur «wohlangesessene» jüdische Fremdlinge. Die Gültigkeit der ihnen Kaufleute, das heisst nur solche mit von den Behörden ausgestellten Schutz- nachweisbar festem Wohnsitz, zu den briefe ist zeitlich beschränkt.

18 Morgendämmerung der Freiheit

Am 28. September 1791 beschliesst die «Aber hüten wir uns, ihn selbsten nach französische Nationalversammlung, den Vieler Sitten zu verachten.» Juden die Gleichberechtigung zu ge- Im Juni 1798 heben die Helvetischen Räte währen. Alle Bürger ohne Unterschied alle Sondersteuern und -abgaben der der Religion erlangen die Niederlas- Juden «als eine Verletzung der Men- sungs- und Gewerbefreiheit. Damit be- schenrechte» in der ganzen Schweiz auf. ginnt für die französischen Juden die Während der erregten Diskussion in der Emanzipationsepoche. Emanzipation helvetischen Versammlung vom August bedeutet Befreiung von einschränkenden 1798 bezüglich der Judenfrage vertritt der Sondergesetzen. Die Juden sind damit Berner Rechtsgelehrte Friedrich Kuhn die den anderen Bürgern gleichgestellt. Bald Ansicht, vorerst sei festzustellen, ob die verstehen sie sich nicht mehr als Nation, Juden gemäss der Verfassung als Bürger als Volk, sondern einzig noch als zu gelten hätten; er selber zweifle nicht «Religionsgemeinschaft», ein Irrtum, daran. Dann seien sie zum Bürgereid dessen Tragik schon nach hundert Jahren zuzulassen. Andere Redner fordern für klar zutage tritt. . . die Juden eine Prüfungszeit von 20 Jahren. Schliesslich siegt die Mehrheit, Nachdem die Truppen Napoleons 1798 welche behauptet, die Juden seien eine die Schweiz besetzt und die aristokrati- mehr politische als eine religiöse sche Regierung Berns hinweggefegt ha- Korporation und müssten daher laut ben, kommt es zu Verträgen zwischen Verfassung vom Bürgerrecht ausge- Frankreich und der Schweiz, fussend auf schlossen werden. Somit stehen in der dem neuen Staats- und Völkerrecht. Schweiz freier Verkehr, Niederlassungs- und Gewerbefreiheit nur französischen Zur Behandlung der Judenfrage bestellt Juden zu, nämlich aufgrund des Allianz- die Regierung eine «Commission der vertrages zwischen der Helvetischen und Reformation helvetischer Judengesetze». der Französischen Republik. Der Berner Samuel Fueter reicht ihr ein Zu Beginn des Jahres 1799 beschliesst der Memorandum ein zur Frage, ob den Helvetische Rat nach langem Debattieren, Juden die Rechte eines Bürgers zu die Juden seien, obwohl von allen gewähren seien. Fueter wirft den Juden Leibzöllen und Abgaben befreit, als vor, sie hätten sich «das Recht allgemei- fremde Einwohner zu behandeln. ner Duldung angemasst». Das jüdische Nachdem die Helvetik den Juden die Tore Volk sei vom Genuss der neuerworbenen auch zum bernischen Gebiet geöffnet hat, Volksrechte auszuschliessen, weil es beginnt die Verwaltungskammer sogleich, «bei allen unsern moralischen und poli- die hausierenden oder mit Pferden tischen Revolutionen nur müssiger Zu- handelnden «Hebräer» streng zu schauer war». Fueter warnt dann jedoch überwachen. Das Gesetz vom 11. Juli in bezug auf den jüdischen Menschen: 1800 gestattet fremden Händlern nur,

19 Jahrmärkte zu besuchen. Einzig das lehnt die Stadt deren Gesuch von 1805 Feiltragen von Dingen für die Hausund für eine eigene Begräbnisstätte ab, Feldarbeit ist in bestimmten Gegenden ebenso 1807 das Gesuch zum Erwerb ei- erlaubt. nes Bethauses. Da jüdische Gräber nie Im Jahre 1802 tritt die von Frankreich aufgehoben werden dürfen, sind die Ju- diktierte Helvetische Regierung zurück den in Bern somit gezwungen, ihre Toten und flüchtet ins Waadtland. Nun findet im elsässischen Hegenheim an der sich die alte Berner Regierung, also französisch-schweizerischen Grenze bei Schultheiss, Rat und Burger, wieder zu- Basel zu bestatten. sammen. Zur Überwachung der Staats- 1808 entzieht ein napoleonisches Dekret sicherheit setzt man eine Standeskom- den israelitischen Bürgern Frankreichs mission ein. Napoleon Bonaparte greift den staatlichen Schutz und stempelt sie zu persönlich ein, lässt General Ney in Bern Aussenseitern. Nun fürchtet man in der einmarschieren und erzwingt die Schweiz, die elsässischen Juden würden Wiedereinsetzung der Helvetischen Be- massenhaft ins Nachbarland einwandern, hörden. Abgeordnete aller Kantone haben das ihnen laut Allianzvertrag von 1803 eine neue, von ihm selbst ausgearbeitete offensteht. Bern regt beim schweizer- Verfassung, die Mediationsakte, ischen Landammann an, Vorkehrungen entgegenzunehmen. An die Stelle des zur Abwehr zu treffen. Auf dessen Einheitsstaates tritt ein Staatenbund von Bedenken hin schlägt Bern vor, an der 19 Kantonen. Aussenpolitik wird durch Tagsatzung die Frage zu erörtern, ob man die Tagsatzung betrieben. gegen die angesessenen Juden und gegen In der Grafschaft Baden hatte man im Neuzuzüger die gleichen Verfügungen Jahre 1776 den Juden als einzige Wohn- treffen könne wie Frankreich und die orte die beiden Surbtaldörfer Endingen Rheinbundstaaten. Die Tagsatzung setzt und Lengnau zugewiesen. Man könnte hierauf eine Kommission ein, die alsdann meinen, dass nach der napoleonischen einschränkende Massnah-men vorschlägt Verfügung vor allem Juden aus diesen und die Kantonsregierungen ermächtigt beiden aargauischen Dörfern nach Bern sehen will, gegen die Juden vorgehen zu gezogen wären. Das trifft nicht zu. Wie in können. Die Anträge werden von der der Helvetik bleibt auch in der Me- Tagsatzung genehmigt. Bern arbeitet diationszeit (1803-1813) den Juden die hierauf ein Dekret aus und schickt es Gleichberechtigung versagt. Wohl ga- 1809 als Vorlage an alle eidgenössischen rantiert die Verfassung den Bürgern im Stände. Juden haben bei ihrer Anmeldung ganzen Lande Niederlassungs- und Ge- ein Leumundszeugnis vorzulegen des werbefreiheit; doch lässt sie den Kanto- Inhalts, dass der Bewerber keinen nen weiten Spielraum, sie durch Polizei- Wucher betreibe. Die alljährlich zu vorschriften und Sonderverordnungen erneuernde Bewilligung enthält die einzuschränken. Aufgrund der Staats- Verpflichtung, ein öffentliches Wa- verträge zwischen Frankreich und der renlager oder Comptoir zu halten. Juden Schweiz gestattet Bern einigen Juden aus ohne Patent ist unter Androhung hoher dem Elsass, sich anzusiedeln. Doch Busse und Ausweisung aus dem

20 Im Adressbuch der Stadt Bern von 1822 sind die Juden in einer besonderen Rubrik unter dem Titel «Etablierte Hebräer» aufgeführt. (Burgerbibliothek Bern) Kanton verboten, Handel zu treiben. Die erst durch den Regierungsratsbeschluss Geschäftsbücher sind in deutscher oder von 1846 ausser Kraft gesetzt. Es wäre französischer Sprache zu führen. Es ist jedoch falsch, die damaligen Berner den Juden verboten, Dienstboten, durchwegs als judenfeindlich zu Taglöhner und Frauen Geld gegen Pfän- bezeichnen. Ein Beispiel: Der Vertrag, der zu leihen. Diese Verordnung wird den die Bernische Musikgesellschaft im

21 Jahre 1824 mit jüdischen Musikern ab- stets ungefähr gleich. Zwölf Familien schloss, enthält folgende Bestimmung: im Adressbuch und 124 Personen in der «Sollte eine Übung oder eine Probe auf Statistik: ein Missverhältnis? Im Ver- einen Freitag nach Sonnenuntergang zeichnis sind nur die Haushaltvorstände fallen, so sind zwar die Herren Strauss und Firmeninhaber aufgeführt, nicht und Levy dispensiert, an diesem Abend aber die im gleichen Haushalt lebenden mitzuspielen, jedoch gehalten, gegen- Eltern und allfällige weitere Verwandte wärtig zu sein und auf die Ausführung sowie die jüdischen Angestellten, der Stücke wohl zu achten.» Damit war Gehilfen und Dienstboten; dazu der Sabbatruhe Rechnung getragen. kommen noch die Kinder. Im Jahre 1812 konnten die Juden Berns in In Biel erhielten jüdische Familien erst- einem Miethaus an der mals 1839 die Niederlassungsbewilli- eine Synagoge einrichten; sie wurde gung. Als der Gemeinderat später zur später in ein eigenes Haus an der Förderung der Uhrenindustrie be- verlegt. schloss, alle bis zum 1. Januar 1849 ein- Das Adressbuch der Stadt Bern von 1822 ziehenden Uhrmacher frei aufzuneh- führt in einer besonderen Rubrik unter men, Hessen sich jüdische Uhrmacher dem Titel «Etablierte Hebräer» zwölf aus Lyon und aus Dresden in Biel nie- jüdische Familien auf. Gleichviele der. Namen finden sich im «Adressenbuch der Im Jahre 1831 gibt sich das Bernervolk Republik Bern» von 1836 in der Ab- eine liberale, repräsentativ-demokrati- teilung «Hauptstadt Bern». Im alphabe- sche Verfassung. Die alte Regierung tischen Verzeichnis steht hinter jedem tritt zurück. Nun gelten die Grundsätze jüdischen Einwohner vor dem Beruf die der Volkssouveränität, der Gleichheit Bezeichnung «Hebräer». Da man die vor dem Gesetz, der Niederlassungs-, Juden auch als Berufsgruppe einordnete, Handels- und Pressefreiheit. Im ergibt sich die merkwürdige Reihenfolge nächsten Jahr beantragt Advokat Sury Hebammen, Hebräer, Holzhändler, von Kirchberg dem Grossen Rat, die Holzschuhmacher. . . Israeli-ten seien in allen bürgerlichen In der Stadt Bern befanden sich 1836 Rechten der übrigen Bevölkerung unter den 22 500 Einwohnern insgesamt gleichzustellen. Man ist jedoch noch 124 Juden; ihr Anteil machte somit 0,6 nicht so weit; der Rat lehnt ab. Prozent aus. Dieses Verhältnis blieb

Das Ringen um Gleichberechtigung Die in Stadt und Land ansässigen Juden früheren einschränkenden Polizeiver- ersuchen 1845 die Berner Behörden, ge- ordnungen ausser Kraft zu erklären. Der mäss dem Staatsvertrag mit Frankreich Regierungsrat heisst das Begehren der von 1827 und dem eidgenössischen Nie- Juden gut. Er findet diese Verordnungen derlassungs-Konkordat von 1819 die «als zu den jetzigen Zeitverhält-

22 nissen nicht mehr passend» und hebt sie kenden Artikel. Davon wird noch die im September 1846 auf, befristet jedoch Rede sein. die Niederlassung von Hebräern auf drei Im Jahre der Entstehung des schweizeri- Jahre. Wenige Wochen vorher hat die schen Bundesstaates, 1848, gründeten in neue Berner Verfassung allen Bern elf israelitische, aus dem Elsass Schweizerbürgern und Fremden ohne stammende Männer die heute noch be- Ansehen des Glaubensbekenntnisses die stehende jüdische Gemeinde. Sie erhielt Nie-derlassungs- und Gewerbefreiheit damals den im Laufe der Zeit wieder- zuerkannt, jedoch mit dem Vorbehalt: «... wenn in ihren Staaten den bernischen Bürgern das gleiche Recht zusteht.» 8. Juli 1850: Schreiben des Gemeinde- Nichtchristliche Gottesdienste sind rates der Stadt Bern an das gemäss Artikel 80 der Verfassung im Regierungsstatthalteramt: Rahmen der Sittlichkeit und der öf- fentlichen Ordnung gestattet. Damit be- «Es hält der Gemeinderat die Vermeh- rung der jüdischen Bevölkerung über- steht eine feste Grundlage, auf der sich in haupt und die Erleichterung und Be- Bern eine jüdische Kultusgemeinde günstigung ihres gewerblichen Ver- bilden und entwickeln kann, allerdings kehrs insbesondere, keineswegs für ohne Juden aus dem Kanton Aargau, da wünschbar, weil, abgesehen von den dieser Kanton nicht Gegenrecht hält, und petitionierenden Individuen, die hiesige dies noch bis zum Jahre 1855. Daher jüdische Bevölkerung überhaupt durch finden sich in den Berner Gemeindelisten ihre bisherigen Erwerbsquellen und Namen von aargauischen Juden erst nach durch die Art und Weise, wie sie ihre Mitte der fünfziger Jahre. Dagegen sind Geschäfte treibt, sich bei der hiesigen die im Kanton Bern niedergelassenen Einwohnerschaft eben keinen Juden französischer Nationalität den vorteilhaften Ruf erworben hat, und wenn auch nicht eigentliche Tatsachen christlichen Franzosen gleichgestellt. prozedürlich erwiesen vorliegen, so ist doch die Meinung festgestellt, dass von Zwei Jahre nach der neuen Berner Ver- denselben Geldleihgeschäfte unter der fassung tritt die erste Bundesverfassung Hand betrieben werden, welche, wenn in Kraft. Sie enttäuscht die Juden schwer, auch nicht immer in der Form, doch der gewährt sie doch die Niederlas- Sache nach als wucherische zu sungsfreiheit, die Gleichstellung vor dem betrachten sind, und jedenfalls den Gesetz und im Gericht sowie die freie Geldbedürftigen zum gröss-ten Nachteil Ausübung des Gottesdienstes nur den gereichen, ja öfter geradezu den Ruin Schweizerbürgern christlicher Kon- derselben herbeiführen, wozu die meisten gerichtlichen Liquidationen, in fession. Und dies im Widerspruch zu denen sie als Gläubiger erscheinen, Artikel 4, der aussagt, alle Bürger seien hinreichende Belege liefern. - Die vor dem Gesetze gleich. Erst bei der Gründe finden sich im übrigen durch Teilrevision der Bundesverfassung im die neue Bundesverfassung von 1848 Jahre 1866 verschwinden die beschrän- hinreichend unterstützt ...»

23 holt abgeänderten Namen «Corporation des vom August 1851, den von Wasser- der Israeliten». Israelite ist die in schäden Heimgesuchten im Kanton Frankreich übliche Bezeichnung, zu- Bern einen grösseren Betrag zu spen- rückgehend auf die Verfügung nach der den. französischen Revolution. Im gleichen Der Kanton Bern unterwirft die Juden Jahr entschlossen sich die in Biel keinen besondern Beschränkungen, wohnenden Israeliten, an jedem Sabbat doch stützt er sich bei Ablehnungen von gemeinsam zu beten. So entstand die Niederlassungsgesuchen schweize- Israelitische Corporation Biel. Zehn rischer Juden auf Artikel 41 der Bundes- Jahre später wurde ihr gestattet, einen verfassung, wonach das Recht der freien eigenen Betsaal einzurichten. Erst nach Niederlassung nur den Schweizerbür- 25 Jahren kam es zum Bau einer gern christlicher Konfession gewährlei- Synagoge, deren Einweihung 1883 im stet ist. Beisein der Staats- und Gemeindebehör- Im Stadtarchiv befindet sich ein gros-ser den stattfand. Band, betitelt «Kontrolle über die Juden, Eine der wichtigsten Aufgaben jeder jü- Abtheilung Niedergelassene 1840- dischen Gemeinde bildet die Erfüllung 1854». In jenen 15 Jahren Hessen sich in sozialer Pflichten. Gottesdienst und Un- Bern, überwiegend aus dem Oberelsass terricht sollten in einem eigenen Hause kommend, 78 männliche und 17 abgehalten werden können. In Bern be- weibliche Berufstätige nieder; besonders fanden sich jedoch Synagoge und aufgeführt sind deren jüdische Schulzimmer für den Religionsunterricht Dienstboten unter den Bezeichnungen noch in einem Privathaus. Die junge, erst «Knecht, Magd, Dienstmagd, Commis, 30 Mitglieder zählende Gemeinde, Magazingehilfe bzw. -gehilfin». In jenen obwohl finanzschwach, be-schloss am Jahren betrug die jüdische Bevölkerung 14. Juli 1850, zu den genannten Zwecken rund 150 Erwachsene mit ebenso vielen das Haus «Hinter den Speichern», so Kindern. Nach Berufen ergibt sich hiess zu jener Zeit die Genfergasse, folgende Gliederung: 28 Handelsleute, anzukaufen. Negotianten, Krämer; 27 Pferdehändler Die damalige Einstellung der Behörden und 2 Viehhändler sowie 3 An- zu den Juden geht aus dem Schreiben des tiquitätenhändler. Vereinzelt finden sich Gemeinderates an das Regierungs- folgende Berufe: Handlungsgehilfen, statthalteramt vom 8. Juli 1850 betref- Schreiber, Speisewirte; Optikus, Uhren- fend drei Gesuche von Juden um Erwerb macher, Zahnarzt, Arzt und Wundarzt, von Wohnhäusern hervor (siehe Kasten Miniaturmaler, Rabbiner, Lehrer und S. 23). Schächter; l «privatisierend». Bei den Dass die Korporation der Israeliten, ob- Frauen finden sich die Berufe Modiste, wohl sie noch nicht einmal die Mittel (Stör-)Schneiderin, Näherin, Speisewir- zum beschlossenen Hauskauf für eine tin, Hausköchin, Handelsgehilfin. Einen Synagoge und Religionsschule besass, an Höhepunkt im Leben der damaligen der Not anderer nicht tatenlos vorbeiging, jüdischen Gemeinde bildete 1856 die zeigt der Beschluss des Vorstan- Einweihung der Synagoge im erwor-

24 benen Reihenhaus am Innern Bollwerk Antrag der Kirchendirektion an den Re- 13 (später Anatomiegasse, heute Genfer- gierungsrat betr. Geschenk an die israe- gasse). Auch der Bundesrat und die litische Gemeinde in Bern, aus Anlass Kantonsregierung sowie die Geistlichkeit der Einweihung ihrer neuen Synagoge. der verschiedenen Kirchen oder ihre Vertreter nahmen an der Feier teil. Die Herr Präsident, Direktion des Kirchenwesens hatte dem Herren Regierungsräte, Regierungsrat vorgeschlagen, den Juden das Wohlwollen durch die Überreichung Im Laufe des verflossenen Jahres führte eines silbernen Bechers sichtbar die in Bern angesessene israelitische auszudrücken (siehe Kasten). Der Rat Gemeinschaft den Bau einer Synagoge genehmigte den Antrag. aus, und zwar, ohne weder die Behörden noch das übrige Publikum irgendwie Religiös betreut wurde der «Israelitische dafür in Anspruch zu nehmen. Dieselbe Cultusverein Bern», wie die jüdische ward sodann feierlich eingeweiht, unter Gemeinde nun hiess, vom Rabbiner von zahlreicher Teilnahme vieler dazu Hegenheim im Elsass. Zur dortigen besonders eingeladener Nichtisraeliten. Gemeinde bestanden enge Beziehungen Dies rief den Gedanken hervor, dass es auch wegen ihres Friedhofs, be-sassen passend sein dürfte, diese Festlichkeit die Berner Juden doch noch keine eigene zur Veranlassung zu nehmen, um der Begräbnisstätte. Ein entsprechendes israelitischen Gemeinde durch irgendein Gesuch hatte die Stadt 1805 abgelehnt. Geschenk ein Zeichen wohlwollender Die Kehrseite der geschilderten Sympa- Gesinnung zu geben, wobei besonders thiekundgebung seitens der Behörden ausgehoben wurde, dass derselben in ihrer grossen Mehrheit die Anerkennung bildeten Schreiben wie jenes des Justiz- tadellosen Verhaltens gebühre. Die und Polizeidirektors des Kantons Bern Kirchendirektion nahm den Gedanken vom 4. August 1857 (siehe Kasten S. 26). auf, erkundigte sich, was als passendes Geschenk bestimmt werden könnte, und Auf eine im nächsten Jahr durch Nord- Hess (...) bei dem bekannten Künstler amerika veranlasste Umfrage des Bun- Rehfues einen silbernen Becher desrates erklärt Bern, dass dem Kanton verfertigen. Die Direktion des «die Vermehrung seiner jüdischen Be- Kirchenwesens beehrt sich nun, die völkerung schon aus volkswirtschaftli- daherige Rechnung dem Regierungsrate chen Rücksichten allein als ein nicht er- mit dem Antrag vorzulegen: Es möchte wünschtes Ziel erscheine». Es ist nicht beschlossen werden, dass der Betrag dieser Note aus dem Ratskredite zu ganz zutreffend, was Bern auf ein bezahlen sei. bundesrätliches Kreisschreiben am 9. Februar 1860 antwortet: der Kanton Bern Bern, den 19. Juli 1856. habe noch «keine ihm heimatrechtlich angehörende jüdische Bevölkerung». Der Direktor des Kirchenwesens: Fünf Jahre zuvor schrieb nämlich die E. v. Büren Berner Regierung: «Der Kanton

25 Bern hat eine ganz geringe Anzahl eige- Der bernische Justiz- und Polizeidirek- ner Bürger, die dem israelitischen Glau- tor lehnt das Niederlassungsgesuch ei- ben angehören und einzeln eingebürgert nes elsässischen Juden ab. Schreiben an worden sind.» Unter diesen befand sich den Regierungsstatthalter: der jüdische Professor für Physiologie und Anatomie Gustav Valentin, der von 1836 Leopold Dreyfuss, Israelite aus Sie- bis zu seinem Tode im Jahre 1881 an der rentz im Elsass, Kornhändler, im Gasthof zum Bären in Bern sich auf- Berner Universität lehrte und 1850 das haltend, hat sich unter Vorlegung von bernische Kantonsbürgerrecht erhielt. Die Legitimationsschriften um eine Nie- Berner Hochschule zeigte sich jüdischen derlassungsbewilligung für die Stadt Dozenten gegenüber sehr aufgeschlossen; Bern beworben. als eine der ersten Hess sie solche zu, Der dasige Gemeinderat hat sich jedoch ohne von ihnen die Taufe zu fordern. nachdrücklichst gegen Erteilung dieser Dadurch gelangte sie zu hervorragenden Bewilligung ausgesprochen, teils weil Wissenschaftern, die in Deutschland die Vermehrung der jüdischen keinen akademischen Lehrstuhl erlangen Bevölkerung in hiesiger Stadt, sowie im konnten, weil sie dem Judentum treu Kanton überhaupt, nicht wünschbar bleiben wollten. 1854 kam Moritz Schiff, erscheint, teils mit Rücksicht darauf, dass Dreyfuss sein Handelsgeschäft in Professor für vergleichende Anatomie hiesigem Lande, unter Mietung eines hinzu; später wirkte sein Bruder Hugo förmlichen Magasins in Bern, schon Schiff als Dozent für anorganische lange vorher begonnen hatte, ehe er sich Chemie, und ab 1860 finden wir Moritz um eine Niederlassungsbewilligung Lazarus, den Begründer der bewarb, wodurch er sich von Völkerpsychologie, als Professor der vornherein eine auffallende Philosophie. Missachtung der hier bestehenden ge- Der bekannteste aller jüdischen Lehrer, setzlichen Vorschriften hat zu Schulden die je an der Berner Universität dozierten, kommen lassen. ist zweifellos Albert Einstein, obwohl er Da nun der Art. 41 der Bundesverfas- hier nur kurze Zeit (1908/09) als sung (...) nur den Franzosen einer der christlichen Konfessionen das Nieder- Privatdozent für Mathematik und Physik lassungsrecht in der Schweiz zusichert, wirkte. Er kam 1902 nach Bern, um eine so habe ich im Hinblick auf die Ein- Stelle am Patentamt anzunehmen. In sprache des Gemeinderats von Bern den seiner Freizeit befasste er sich mit Israeliten Leopold Dreyfuss mit seinem physikalischen Problemen. 1905 veröf- Niederlassungsgesuche abgewiesen. fentlichte er seine umwälzende spezielle Relativitätstheorie, die Raum und Zeit eng Mit Hochschätzung! miteinander verknüpft. 1909 zog Albert Einstein mit seiner in Bern gegründeten Bern, den 4. August 1857 Familie nach Zürich, um als aus- serordentlicher Professor an der dortigen Der Direktor der Justiz u. Polizei: P. Migy Universität den Lehrstuhl für theoretische Physik einzunehmen.

26 Doch zurück ins Jahr 1858, als Bern nach schlagen und Enttäuschungen. Hierin Erstellung der Eisenbahnbrücke seinen mag der Grund liegen, warum die Berner Bahnhof erhielt. Eben konnten die Bären Regierung am 17. Oktober 1860 dem ihren neuen Graben jenseits der Bundesrat schrieb, dass «. . . gewisse Nydeggbrücke beziehen. Eine neue Zeit Zustände in dem benachbarten, be- brach an; Technik und Verkehr begannen kanntlich mit jüdischer Bevölkerung so sich zu entwickeln. Doch kam es - vor reichgesegneten Elsass es der französi- allem wegen des ungeordneten, schen Gesandtschaft leicht machen spekulativen Eisenbahnbaus - zu wirt- müssen, die Ursache aufzufinden, welche schaftlichen Schwierigkeiten, Rück- unsere Bevölkerung noch heut zu Tage hindern, eine Vermehrung der israelitischen Einsassen zu wünschen». Im Jahre 1856 konnten die Juden Berns ihre 1863 ersucht die jüdische Gemeinde den Synagoge in einem Reihenhaus am Inneren Grossen Rat, ihr den Charakter einer Bollwerk - später Anatomiegasse, heute Gen- fergasse - einweihen. Nach der Jahrhundert- Korporation zu verleihen, damit sie die wende genügte sie den Anforderungen nicht Synagoge, bisher Privateigentum, auf ei- mehr. Es kam zum Neubau an der Kapellen- genen Namen erwerben könne. Das Ge- strasse. (Sammlung «Das alte Bern», Willy such wird abgelehnt. Das Vorurteil gegen Schweizer, 1904/05. Burgerbibliothek Bern) die Juden ist noch nicht gewichen.

27 Vier Jahre später genehmigt der Regie- nicht mehr vom Glaubensbekenntnis rungsrat die Konstituierung als Aktien- derselben abhängig gemacht wird». gesellschaft unter der Bezeichnung Allenthalben mehren sich die Zeichen «Cultusverein der Israeliten in Bern». Die einer neuen Zeit; im gleichen Jahre bricht Statuten nennen folgende Aufgaben als ein «fortschrittliches» Bern den Zweck des nun rechtlich als Aktien- ab, das eindrückliche gesellschaft geltenden Vereins: Stadttor aus dem 14. Jahrhundert. - Ein Förderung und Hebung der durch die Jahr zuvor wurde die Genfer Konvention, mosaische Religion gebotenen Institu- das Rote Kreuz, ins Leben gerufen. Sein tionen: Gründer, Henry Dunant, war übrigens der a) Synagoge erste, der den Juden ihre alte Heimat b) Religionsschule wieder zugänglich machen wollte. Dunant c) die durch die Religion gebotenen strebte an, Palästina unter Garantie der Werke der Liebe: Grossmächte zu neutralisieren, damit die - Armenpflege Neubildung des jüdischen Staates - Krankenpflege möglich würde. In einem Brief schrieb er: - Bestattung der Toten «... pour arriver à un Etat israelite il - Vormundschaftspflege faudra largeur et tolérance». Am 14. - Waisenkommission Januar 1866 stimmte das Schweizervolk Der in Biel wohnhafte Gustav Michael dem Antrag zu, Artikel 41 der Dreifuss, ehemals Vorsteher der jüdischen Bundesverfassung dahin abzuändern, dass Gemeinde Oberendingen, ersuchte 1863 der Bund jedem Schweizer -also nicht den Bundesrat, gegen die Vollziehung des mehr nur jenem einer christlichen aargauischen Gesetzes einzuschreiten, Konfession - das Recht der freien welches den Juden das Stimmrecht Niederlassung im ganzen Umfange der verweigerte. Der Bundesrat gab dem Eidgenossenschaft gewährleistet. Der Begehren Folge durch eine Botschaft an gleichzeitig abgeänderte Artikel 48 ver- die Bundesversammlung. Im nächsten pflichtet zudem alle Kantone, jeden Jahre schliessen Frankreich und die Schweizerbürger gleich welcher Konfes- Schweiz einen Handelsund sion sowohl in Gesetzgebung als auch in Niederlassungsvertrag ab. Die Schweiz gerichtlichen Verfahren den Bürgern des räumt allen Franzosen ohne Unterschied eigenen Kantons gleich zu halten. Damit des Glaubens Niederlas-sungs- und sind die Juden endlich allen anderen Gewerbefreiheit ein. Damit fallen alle Schweizern nahezu gleichgestellt; das Schranken, die in Bern für ausländische Recht auf freie Ausübung ihres Got- Juden noch gegolten haben. Auf ein tesdienstes besitzen sie noch nicht, da der bundesrätliches Kreisschreiben in bezug Artikel über die Kultusfreiheit verworfen auf schweizerische Juden antwortet der wurde. Erst die Verfassungsrevision von bernische Regierungsrat am 7. April 1874 sicherte allen Schweizern die 1865, dass «hier-seits das Recht der freien vollständige Glaubens- und Gewis- Niederlassung von Schweizerbürgern sensfreiheit sowie die freie Ausübung des schon längst Gottesdienstes zu.

28 Eine Gemeinschaft blüht auf

Der bisher fast ausschliesslich durch Ju- den, falls der Kultusverein anderswo den aus dem Elsass gebildete «Cultus- Land erwerben wolle. Unter grossen fi- verein der Israeliten der Stadt Bern» er- nanziellen Opfern kaufte nun der erst 34 wartete kurz nach der Emanzipation Mitglieder zählende Verein das Areal an namhaften Zuzug schweizerischer Juden. der Papiermühlestrasse, um den heute Und damit ein rasches Wachsen der noch benützten Friedhof Schermen an- Gemeinschaft. Um alsdann die Toten zulegen, der alsdann am 5. September nicht mehr via Basel nach dem isra- 1871 eingeweiht werden konnte. - Den elitischen Friedhof Hegenheim überfüh- Bieler Juden stellen die Behörden einen ren zu müssen, reichte der Verein dem Teil des städtischen Friedhofs zur Ver- Gemeinderat von Bern eine Petition ein, fügung. um im Bremgartenfriedhof einen eigenen Ein für die Juden in der Diaspora ge- Begräbnisplatz zu erlangen zwecks wichtiges Problem bildet die Schächt- Beerdigungen nach jüdischem Brauch. vorschrift. Das jüdische Religionsgesetz Die Gemeinde wies das Gesuch ab, er- verbietet den Blutgenuss (1. Mose 9, 4; 3. klärte jedoch, sie hätte nichts einzuwen- Mose 7, 26 und 17, 10-14). Darum dür-

Die im Jahre 1883 erbaute Bieler Synagoge an der Rüschlistrasse 3.

29 fen Schlachttiere nicht anders als durch hervorragenden Autoritäten auf dem einen besonderen, raschen Schnitt am Gebiete der Tierphysiologie als keines- Hals betäubt und getötet werden. Nur so wegs tierquälerisch anerkannt. Die ist das völlige Ausbluten gewährleistet. Tierschutzvereine erlangen nun gegen den Während amerikanische und europäische, bundesrätlichen Entscheid einen Rekurs auch schweizerische wissenschaftliche der Kantone Aargau und Bern, den die Autoritäten bestätigen, dass das eidgenössischen Räte jedoch abweisen. sogenannte Schächten nicht grausamer ist Doch 1892 reicht der als die allgemein übliche Tötungsart, deutschschweizerische Tierschutzverein glaubt die breite Bevölkerung, das dem Bundesrat das Volksbegehren ein, Schächtverbot sei ein Gebot der das Schächtverbot sei in die Bundesver- Menschlichkeit, der Tierliebe, und nicht fassung aufzunehmen. Mehr als ein judenfeindlich. Dabei ist gegen Grau- Viertel der Unterschriften stammen aus samkeiten bei der Tierhaltung, der Jagd dem Kanton Bern. Obwohl die Bundes- und Fischerei kaum je in solcher Weise versammlung dem Volk empfiehlt, das Sturm gelaufen worden. Initiativbegehren zu verwerfen, wird der In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Verbotsartikel von 60% der Stimmenden tobt in mehreren Kantonen ein Kampf für gutgeheissen. So tritt das Schächtverbot und gegen das Schächten. Die als Artikel 25 bis der Bundesverfassung im Polizeiverordnung über das Schlachten Jahre 1893 in Kraft, wahrlich kein von Gross- und Kleinvieh im Ruhmesblatt in der Geschichte der Gemeindebezirke Bern von 1878, welche schweizerischen Demokratie. Unter vielen verlangt, beim Töten der Tiere unnötige ändern erkennt auch der hochangesehene Schmerzen zu verhüten und für Grossvieh Staatsrechtler Carl Hilty, Professor an der die Schlachtmaske zu verwenden, Universität Bern, das Abstim- bestimmt ausdrücklich: «Den Israeliten ist mungsergebnis in erster Linie als antise- das nach ihrem Ritus gebräuchliche mitische Demonstration, als Ausdruck des Schächten gestattet.» Doch im Jahre 1889 von Deutschland importierten Ju- verbietet der Regierungsrat des Kantons denhasses. Bern das Schlachten nach jüdischer 1973 wird das Schächtverbot in der Vorschrift. Hierauf rufen die israelitischen Bundesverfassung durch einen allgemei- Kultusvereine des Kantons Bern die nen Tierschutzartikel ersetzt, der aller- Bundesbehörden um Schutz an. Der dings keine Aufhebung des Schächtver- Bundesrat entscheidet zugunsten der botes bringt. rekurrierenden Kultusgemeinden; er Nachdem den Schweizer Juden die begründet seinen Beschluss mit dem Gleichberechtigung zuteil geworden war, Hinweis, das Schächten sei eine rituelle, bemühten sie sich, ihren Beitrag zum auf religiöser Satzung beruhende Allgemeinwohl zu leisten. Sie begannen, Handlung, die von keinem ändern sich um Probleme ihrer christlichen europäischen Staat behindert werde. Umwelt zu kümmern und in den Zudem sei die jüdische Methode der verschiedenen Vereinigungen mitzuwir- Tötung von Schlachtvieh von vielen ken. Einige gelangten in Behörden und

30 im Militär an wichtige Posten, in hohe desgasse zu verdanken; er gab den An- Stellungen. Die der Emanzipation fol- stoss zur Anbringung elektrischer Uhren gende Assimilation bedeutete aber kei- an öffentlichen Plätzen und zur Erneu- neswegs eine Preisgabe des Judentums, erung des Zifferblattes am Turm der obwohl dieses für manche nur noch eine Heiliggeistkirche, um nur einiges zu Angelegenheit der Religion, der Konfes- nennen. - Am 1. August 1891, dem 600. sion geworden war und nicht mehr eine Geburtstag der Schweizerischen Eidge- solche der Volkszugehörigkeit. Man sprach von Franzosen, Deutschen, «Der Bund» berichtet über die Schweizern israelitischer bzw. mosai- Bundesfeier vom 1. August 1891 - scher Konfession. Judesein ist jedoch dem 600. Geburtstag der nicht nur eine Angelegenheit des Glau- Eidgenossenschaft - in der Berner bens, nicht allein «Privatsache». Schon Synagoge: nach wenigen Jahrzehnten trat dies klar «Am 1. August, morgens 8.30 Uhr, ha- zutage - und schmerzlich genug . . . ben sich die Mitglieder des Kultusver- Freilich in der Schweiz in viel geringe- eins der Israeliten der Stadt Bern in der rem Masse als in ändern Ländern. Dank Berner Synagoge zum Festgottesdienst dem gesunden Empfinden, dem kriti- zu Ehren der Bundesfeier sehr zahlreich schen Sinn, der Menschlichkeit beim eingefunden. Herr Kantor Bloch- überwiegenden Teil der Bevölkerung Götschel hielt eine weihevolle Rede, in fand importierter Judenhass in der welcher er unter anderem sagte: Schweiz praktisch keinen Nährboden. Dieser Einleitung folgte der ge- vom Bärengraben nach dem schichtliche Teil über die Entwicklung Bremgartenfriedhof. Damals gelangte im der Eidgenossenschaft. Der Redner Kultusverein der Israeliten ein Mann an schloss: »

31 nossenschaft, wurde in der Synagoge eine Die Berner Juden bleiben von dieser Be- Feier durchgeführt. Dem Dank für das wegung kaum berührt; gleichberechtigt Wohlwollen der Behörden folgten Gebete und als Bürger anerkannt, geachtet, füh- für das Wohl der Stadt Bern und des len sie sich nun als Schweizer wie alle Landes, das für viele Juden zur Heimat ändern. Doch leben am Ende des 19. geworden war (siehe Kasten S. 31). Jahrhunderts in Bern viele jüdische Stu- denten aus Russland, wo es immer wieder Drei Jahre nach der denkwürdigen Feier Pogrome gab. Stets unterdrückt gewesen, in der Synagoge beginnt in Frankreich besitzen diese jungen Menschen noch ein eine erschütternde Tragödie. Man klagt jüdisches Nationalbe-wusstsein. Sie den Juden Alfred Dreyfus, Hauptmann im kamen wie zahlreiche revolutionäre Generalstab, des Hochverrates an und Studenten nach dem Westen, weil verurteilt ihn zu lebenslänglicher Haft auf russische Universitäten Juden nicht der Teufelsinsel. Zwölf Jahre dauert es, zuliessen. Die meisten widmen sich der bis die Behörden den «Justizirrtum» Medizin. Mit der russisch-jüdischen zugeben, den völlig Unschuldigen Studentenkolonie steht ein 24jäh-riger freisprechen und ihn zum Ritter der Jude aus Russland, Doktorand an der Ehrenlegion ernennen. Der Verurteilung Universität Freiburg, in engem Kontakt: von 1894 folgt die Degradation; ihr wohnt Chaim Weizmann, 50 Jahre später der ein Journalist aus Wien bei, der für die erste Präsident des Staates Israel (1948- «Neue Freie Presse» schreibt: Theodor 1952). Herzl. Das Wutgebrüll der aufgehetzten Am 28. Januar 1899 schreibt Chaim Menge «à mort les juifs!» -Tod den Weizmann von Bern aus an Theodor Juden! - gellt ihm noch jahrelang in den Herzl: «Wir sprechen von Herrn Jakob Ohren. Er fühlt, dass es ein Irrtum ist zu Dreifuss, Bureauchef des schweizeri- glauben, fortan würden in Kulturnationen schen politischen Departements (Bern, die Juden als gleichberechtigt, ja als Hirschengraben 4). Unsere Aufmerk- Mitmenschen betrachtet. Herzl denkt, samkeit lenkte er auf sich durch die Art verfolgte Juden müssten in einen eigenen und Weise, wie er dem Zionismus entge- Staat auswandern können. Er setzt sich genzutreten versuchte. Er sprach jedoch hin und schreibt das Buch «Der nur seine Zweifel bezüglich der Ver- Judenstaat». Sein Vorschlag zündet bei all wirklichungsfähigkeit des zionistischen jenen Juden, die man ständig unterdrückt, Ideals aus, erkannte aber die nationale brutal verfolgt, misshandelt: bei den Idee sowie die Notwendigkeit des Zio- Juden in Europas Osten, namentlich im nismus, seinen ethischen und kulturellen Zarenreich. 1897 tritt in Basel der erste Wert rückhaltlos an. In Privatunterredung Zionisten-kongress zusammen, nach erwies er sich als begeisterter dessen Ab-schluss Herzl schreibt: «In Nationaljude und gründlicher Kenner der Basel habe ich den Judenstaat gegründet. jüdischen Wissenschaft, speziell der Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in jüdischen Geschichte.» fünfzig wird es jeder sehen.» Der erwähnte Jakob Dreifuss, ein aus dem Aargauer Judendorf Oberendingen 32

stammender, sprachkundiger, damals Zur gleichen Zeit, da Chaim Weizmann 53jähriger Mann mit Hochschulbildung, oft in Bern und Biel weilte, studierte an war 1876, zehn Jahre nach der Emanzi- der Philosophischen Fakultät der Berner pation, als Kanzlist in die Bundesver- Hochschule die aus Galizien stammende waltung eingetreten und konnte schon jüdische Kaufmannstochter Au-gusta nach drei Jahren als Adjunkt und Sekre- Steinberg. Mit 21 Jahren erlangte sie die tär des Landwirtschaftsdepartementes die Doktorwürde mit ihrer hervorragenden Leitung des Auswanderungswesens Dissertation «Studien zur Geschichte der übernehmen. 1888 teilte man die Abtei- Juden in der Schweiz während des lung des Auswanderungswesens dem Mittelalters», ein auch heute noch Departement des Auswärtigen zu (seit wertvolles Werk. Zwei Jahrzehnte später 1896 Eidgenössisches Politisches Depar- betrauten jüdische Kreise die Historikerin tement) und ernannte Jakob Dreifuss zu mit der Ausarbeitung der Geschichte des dessen erstem Direktor. Als Abteilungs- Schweizer Judentums bis in die Neuzeit. chef war er direkt dem Bundesrat unter- Leider starb die nun mit Norbert Weldler stellt. In den Jahren des Dreyfus-Prozes- verheiratete Forscherin schon 1932, ohne ses in Frankreich erfuhr er viele Anfein- den Druck ihres Werkes erlebt zu haben. dungen, doch genoss er stets das volle Die Krisenjahre und der Zweite Weltkrieg Vertrauen des Bundesrates. Aus gesund- verzögerten die Publikation weiterhin. heitlichen Gründen reichte er 1910 seine Das zweibändige Werk konnte erst 1966 Demission ein, arbeitete jedoch weiterhin und 1970 erscheinen, nachdem eine im Bundesdienst als Übersetzer. Er starb andere jüdische Historikerin, Florence 1917 in Bern; sein Grab findet sich auf Guggenheim-Grünberg, das Manuskript dem alten Judenfriedhof seines Hei- überarbeitet und ergänzt hatte. Es umfasst matortes im Kanton Aargau. Jakob die Geschichte der Juden in der Schweiz Dreifuss war einer der ersten, die auf das vom 16. Jahrhundert bis nach der Bedürfnis nach einer umfassenden Emanzipation von 1866. Geschichte des schweizerischen Ju- Zurück zu Weizmann. Sieben jüdische dentums hinwiesen. 1909 schlug er vor, Studenten gründeten in Bern unter dem eine Gesellschaft zu gründen zur Erfor- Namen Ha-Schachar (Die Morgendäm- schung und Veröffentlichung von histo- merung) die erste zionistische Gesell- rischem Material betreffend die Schwei- schaft in der Schweiz, zum Ärger der zer Juden. ganzen russischen Kolonie junger Revo- lutionäre und der assimilatorischen Juden. Dr. Chaim Weizmann hielt sich mehr- Weizmann und seine Freunde luden zwei mals auch in Biel auf. Dort sprach er begabte zionistische Redner aus Berlin 1903 über «Chanukka im Lichte der Ge- ein: Berthold Feiwel und Martin Buber. genwart». Ein Jahr zuvor hatte er sich bei Aus der Versammlung in einem Bierlokal Dr. C. Levy in Biel nach den Bedin- im Mattenhof wurde ein dreitägiger gungen erkundigt, um der schweizeri- Kongress, der mit dem Erfolg endete, schen zionistischen Landesorganisation dass sich 180 Studenten beitreten zu können. 33

als Mitglieder der Zionistischen Gesell- meinsamen Interessen der Juden wahr- schaft eintrugen. Weizmann schrieb spä- nehmen zu können. ter in seinen Memoiren: «Die Erschütte- In jenen Jahren zeigt es sich, dass die rung, die der Berner Aufruhr hervorge- Berner Synagoge den Bedürfnissen der rufen hatte, war in allen Studenten-Ver- Zeit nicht mehr zu entsprechen vermag. einigungen des Westens zu spüren und Ein Neubau drängt sich um so mehr auf stärkte den Zionismus an vielen Orten.» als die Eidgenossenschaft am Bollwerk Um die Jahrhundertwende beruft die ein grosses Hauptpostgebäude errichten Genfer Universität den jungen Doktor will, was den Abbruch der alten Häuser- Weizmann als Dozenten für Chemie. zeile samt der Synagoge an der heutigen Wenige Jahre später tagen in der Berner Genfergasse voraussetzt. Die Kultusge- Synagoge an der Anatomiegasse (jetzt meinde erwirbt einen Bauplatz an der Genfergasse) die Delegierten der jüdi- Ecke Kapellen-/Sulgeneckstrasse, ver- schen Kultusvereine und Gemeinden, um kauft ihr Bethaus der Baugesellschaft die Gründung eines schweizerischen Bollwerk auf Abbruch und mietet an Zentralverbandes zu besprechen. 1904 Die in den Jahren 1905/06 errichtete Berner schliessen sich 13 jüdische Gemeinden, Synagoge an der Kapellenstrasse 2. 1971 darunter auch jene von Bern, zum konnte das angebaute neue Gemeindehaus Schweizerischen Israelitischen Gemein- seiner Bestimmung übergeben werden. (Auf- debund (SIG) zusammen, um die ge- nahme Georges Hill)

34 Faksimile des Briefes von Bundespräsident Forrer vom 11. September 1906 an den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Bern anlässlich der Einweihung der neuen Synagoge.

35 der Speichergasse ein Interimslokal. Am E. Ryser in den «Schweizerischen Re- 13. September 1905 findet die Grund- formblättern» (siehe Kasten auf S. 37). steinlegung statt, und am 10. September Werfen wir nun einen Blick auf die Ent- 1906 weiht der Zürcher Rabbiner Dr. wicklung der jüdischen Bevölkerung Littmann - in Bern wirkt bis 1940 ledig- Berns bis zum Ersten Weltkrieg: lich ein Kantor - die neue Synagoge ein. Wohnten 1846 in der Stadt Bern 165 und Anwesend sind auch Delegationen der im ganzen Kanton 315 Juden, so zählte grösseren Schwestergemeinden, der Be- der Kanton zehn Jahre später schon hörden, der Stadtgeistlichkeit sowie des doppelt so viele, während die Zahl in der Burgerrates und der Universität. An- Stadt Bern gleich blieb. Erst 1870, nach derntags erhält der Präsident des Kul- Erlangen der Gleichberechtigung, stieg tusvereins ein Schreiben des Bundesprä- die jüdische Bevölkerung der Stadt auf sidenten der Schweizerischen Eidgenos- 300. Im Kanton zählte sie damals 1400, senschaft. Er drückt sein Bedauern aus, in der ganzen Schweiz 7000 Seelen. Die dass er verhindert war, der Einweihung Zahlen entsprechen durch- beizuwohnen. Durch seine Anwesenheit Inneres der Berner Synagoge. Im Schrein an hätte er gerne gezeigt, dass es in der der Südostwand - alle Synagogen sind nach Schweiz keinen Antisemitismus gibt. Wie Jerusalem, dem geistigen Zentrum Israels, sich die christliche Umwelt zum neuen ausgerichtet - werden die Pergamentrollen jüdischen Bethaus stellte, zeigen die mit den heiligen Schriften verwahrt. Worte aus dem Bericht von Pfarrer (Aufnahme Georges Hill)

36 Aus dem Bericht von Pfarrer E. Ryser über die Synagogen-Einweihung von 1906, erschienen in den «Schweizerischen Reformblättern» vom 15. September 1906: «Am letzten Montag wurde in Bern ein neues Gotteshaus eingeweiht, ohne Glocken- klang, ohne Orgelbrausen und doch feierlich: die israelitische Synagoge. An der Gen- fergasse musste die jüdische Gemeinde ausziehen und sich eine neue Stelle suchen. Sie fand sie in der Kapellenstrasse, die nun füglich Synagogenstrasse heissen sollte; denn die Irvingianer-Kapelle, die ihr den Namen gegeben, ist ihrerseits auch schon ver- schwunden. Es ist viel Wechsel in der Welt, aber die jüdische Gemeinde bleibt, ob auch die Stiftshütte dahin und dorthin ziehe. Die Einweihung war eine erhebende Feier. (Dann über die Tora-Rollen:) Darin hast du recht, kleines Volk, dass du dein altes Gesetz in Ehren hältst; ihm verdankst du es, dass du noch jetzt da bist, während alle ändern Völker des Altertums, auch die glänzendsten, seit tausend und mehr Jahren im weiten Strom der Menschheit spurlos verschwunden sind. Die Ansprache berührte in freundlicher Weise auch uns Eingeladene, die wir nicht als unreine Heiden behandelt wurden. Weitherzig war die Erklärung des Rabbiners: , und ergreifend klang das Dank- gebet für das Vaterland, das so vielen Israeliten eine Heimat geboten. Als richtige Berner hatten sich unsere Juden den Festprediger aus der Heimat der Be- redsamkeit, der Ostschweiz, kommen lassen; denn wir Berner haben wie Moses eine schwere Zunge. Dr. Littmann riss die Zuhörer hin, als er ihnen von ihrem schönen Bet- haus sprach, das ein Bethaus sei für alle Völker; . So hinterliess die seltene Feier einen erhebenden Eindruck.»

wegs etwa einem halben Prozent der russischer Juden, die wegen der antijü- Gesamtbevölkerung. In der Stadt Bern dischen Gesetze und Sondervorschriften erfolgte der grösste Zuwachs zwischen des Zaren nach dem Westen zogen, wo 1890 und 1900, nämlich um 307 auf 655. sie sich vor Verfolgungen sicher wähn- Im Jahre 1910 zählte Bern mehr als tau- ten. Damals durften Juden Russland noch send Juden, auf Jahrzehnte hinaus ein verlassen. - Höchststand. Grund des raschen An- Die Anzahl der Juden in der Schweiz wachsens bildete einerseits der Zustrom bewegte sich in diesem Jahrhundert stets russischer Studenten, unter denen es um 20 000, was weniger als ein halbes viele Juden gab, auch solche, die dem Prozent der Bevölkerung ausmacht. Die dreijährigen Militärdienst entgehen aus Russland eingewanderten Juden wollten, weil sie als strenggläubige Ju- stammten meist aus den ärmsten Kreisen. den in der russischen Armee nicht nach Sie wollten hier das nötige Geld den religiösen Vorschriften hätten leben verdienen, um nach Amerika Wei- können; ferner die Einwanderung vieler terreisen zu können. Viele fühlten sich

37 in Bern bald so wohl, dass sie sich in der gen Gottesdienste in gemieteten Sälen Stadt endgültig niederliessen. Sie übten von Hotels und Restaurants. Bald kam es nicht ihre erlernten Berufe aus -Schuster, zur Gründung einer eigenen, ostjüdischen Schneider, Maler, Spengler, Mechaniker, Gemeinde sowie von Hilfsverei-nen zur Buchbinder, Schreiner -sondern Betreuung Kranker und Bedürftiger. Die verdienten ihr Brot als Fabrik-und Ostjuden unterhielten ihre eigene Hilfsarbeiter, Hausierer, Marktfahrer, Religionsschule. Auch in Biel gab es eine Kleinhändler und Provisionsreisende. Zu ostjüdische Gemeinde. Nachdem sich die ihnen gesellten sich zahlreiche Juden aus Gegensätze ausgeglichen hatten, wurde dem damals noch österreichischen sie in den dreissiger Jahren mit der Galizien. Sie hatten durch ihre Israelitischen Gemeinde vereinigt. Verbindungen mit Russland und Das zaristische Russland mit den ständi- Russisch-Polen vernommen, dass im gen Verfolgungen und Pogromen bildete Westen vergleichsweise «paradiesische einen guten Nährboden für den Zustände» herrschten. Der Zustrom nach Zionismus: die Juden sollten wieder auf Bern hielt bis zum Ausbruch des Ersten eigenem Boden als freie Menschen leben Weltkrieges an. Die meisten dieser Juden können. Wie schon erwähnt, gründeten waren streng orthodox erzogen worden auch die russisch-jüdischen Studenten in und hatten sich dem Tora-und Talmud- Bern eine zionistische Gesellschaft, um Studium gewidmet. Sie ergriffen die der Heimatidee zum Durchbruch zu gleichen Erwerbsmöglichkeiten wie ihre verhelfen. Kein Wunder, dass sich russischen Glaubensgenossen. Die zwischen den osteuropäischen und den meisten Ostjuden sprachen Jiddisch. Da Berner Juden, die seit der Gleichbe- die jiddische Sprache (Judendeutsch) rechtigung die Schweiz als ihre Heimat unserer Mundart ähnlich ist, kam es kaum betrachteten, eine tiefe Kluft auftat. Erst zu Verständigungsschwierigkeiten. die grauenhaften Verfolgungen in den Die «alteingesessenen» Berner Juden unter nationalsozialistische Herrschaft standen den zugezogenen «Ostjuden» geratenen Ländern während des Zweiten verständnislos gegenüber. Deren Sprech- Weltkrieges Hessen die Unterschiede und Lebensweise empfanden sie als verschwinden und schweissten die beiden fremd, hatten doch sie selber sich nach der Gruppen zusammen. Gemeinsam suchte Emanzipation rasch assimiliert und der man das grosse Leid zu lindern, den staatsbürgerlichen, politischen und Emigranten zu helfen. kulturellen Lebensform angepasst. Die Nachdem die meisten Ostjuden und dann Zugewanderten dagegen, fast durchwegs vor allem deren Kinder der Berner strenggläubige Juden, hielten an ihren Kultusgemeinde beigetreten waren, er- Überlieferungen fest. Ihr folgte seit 1959 eine Fusion der dem gottesdienstlicher Ritus wich von jenem gleichen Ziel dienenden Wohlfahrts- der Westjuden ab, und in der Berner Vereinigungen. In der heutigen Ein- Synagoge fühlten sie sich fremd. Daher heitsgemeinde wirken Ost- und Westju- organisierten sie an den hohen Feierta- den, Orthodoxe und Liberale, einträch-

38 Der seit 1931 bestehende Jüdische Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges Turnverein Bern weihte 1951 anlässlich im Jahre 1914 schafft die Israelitische seines zwanzigjährigen Bestehens eine neue Kultusgemeinde eine ausserordentliche Fahne ein. Die hebräische Inschrift lautet auf Hilfskasse, um den zu erwartenden Not- deutsch: «Der Jugend Zierde ist die Kraft.» leidenden beistehen zu können. Im tig zusammen und besuchen in der Syn- nächsten Jahr ersucht der Schweizerische agoge denselben Gottesdienst. Man sieht Israelitische Gemeindebund alle weniger die Unterschiede des Her- jüdischen Gemeinden, die bereits nach kommens als das Gemeinsame, das alle Kriegsausbruch veranlassten Geld- verbindende geistige Erbe. sammlungen fortzuführen, um das gren- Gründungen jüdischer Studierender aus zenlose Elend der durch die Kriegsfurie dem Osten waren die Studentenverbin- heimgesuchten Juden aus Osteuropa und dung «Kadimah» (vorwärts!) mit den in Palästina zu lindern. Farben Blau-Weiss sowie ein Wander- Seit vielen Jahrzehnten lässt in der bund, ähnlich den Pfadfindern; er trug christlichen Umwelt der Kirchenbesuch den Namen «Blau-Weiss» und bildete ständig nach. In bezug auf den Besuch den Vorläufer des heutigen Jüdischen der Gottesdienste in den Synagogen gilt Turnvereins, der seit 1931 besteht. dasselbe. Der Jahresbericht der Israeliti-

39 sehen Kultusgemeinde Bern von 1920 schliessen. Dazu kommt der Umstand, enthält folgenden Aufruf: «Es liegt uns dass der in hebräischer Sprache abge- die Pflicht ob, alle unsere Gemeindemit- haltene Gottesdienst den wenigsten Be- glieder zu bitten und zu veranlassen, suchern verständlich ist. Auch die im wenn einigermassen möglich, den Got- folgenden Jahr eingeführte deutschspra- tesdienst häufiger zu besuchen und den- chige Schrifterklärung brachte keine selben durch diesen vermehrten Besuch Wende. Es liegt nicht einzig an der würdiger zu gestalten. Ausser den hohen Sprache. Der Ungeist unseres Jahrhun- Feiertagen sieht unser Gotteshaus sozu- derts wird erst weichen, wenn das ein- sagen verwaist aus, und es ist bemühend seitige materialistische Denken ein Ge- für den Vorbeter und den Vorstand, die gengewicht erhält. Das spüren heute grosse Interesselosigkeit, die unter unse- manche jungen Menschen. Doch vermö- ren Gemeindemitgliedern herrscht, fest- gen Religionsunterricht und Synagoge stellen zu müssen. Wir geben unserer nicht zu ersetzen, was in vielen Eltern- Hoffnung Ausdruck, dass das kommende häusern fehlt. - Jahr speziell in dieser Hinsicht sich würdevoller gestalten möge.» - Solche 1929 konnte die neue Abdankungshalle Ermahnungen wirken freilich nicht sehr auf dem Friedhof Schermen ihrer Be- anspornend. Zudem gab es damals noch stimmung übergeben werden. Die he- keine arbeitsfreien Samstage, und bräische Inschrift über dem Eingang Selbständigerwerbende hielten es für lautet: «Stärker als der Tod ist die Liebe» untragbar, am Samstag den Laden zu (Hoheslied 8, 6).

«Die Protokolle der Weisen von Zion»

Der Antisemitismus ist ein Menschenfeind schlechthin. In ihm vereinigen sich Stumpf heit und Bosheit. Mit ihm gilt es aufzuräumen, ihn gilt es loszuwerden, anders das Menschengeschlecht verdummt und versklavt wird. C. A. Loosli

Kurz nach dem Ersten Weltkrieg kommt «Der internationale Jude» von Henry dem Berner Schriftsteller C. A. Loosli Ford, dem Autokönig, Anklagen gegen das Büchlein eines Alfred Rosenberg in die Juden, wobei sich der Autor auf die die Hände, «Die Protokolle der Weisen erwähnten «Protokolle» stützt. Loosli von Zion», Darin wird behauptet, es be- besorgt sich nun die 1924 in Hamburg stehe eine geheime jüdische Verschwö- erschienene Schrift, wobei er vernimmt, rung mit dem Ziel der Weltherrschaft. dass sie in Deutschland und auch in der Diese jüdischen Machenschaften seien Schweiz stark verbreitet wird. Zu seiner schuld an Wirtschaftskrisen, Bankzu- grossen Überraschung erkennt er einen sammenbrüchen, Arbeitslosigkeit und Grossteil des Textes als denjenigen einer Kriegen. Später findet Loosli im Buch 1864 vom Pariser nichtjüdischen

40 Advokaten Maurice Joly verfassten, in Macht gelangten Nationalsozialisten be- Brüssel erschienenen beissenden Streit- gannen, die Juden zu entrechten und zu schrift gegen die Regierungsweise Na- enteignen. Die Bewältigung des nun ein- poleons III., betitelt «Gespräche in der setzenden Emigrantenstromes überfor- Unterwelt zwischen Machiavelli und derte die personellen und finanziellen Montesquieu». Doch heisst es in den Kräfte auch der Berner Juden bei weitem. «Protokollen» überall, wo im Original Schwer war auch der Kampf gegen die Machiavelli genannt und Napoleon III. Anstrengungen der Frontisten und «va- gemeint war, «die Juden» oder «das Ju- terländischen» Kreise, das nationalso- dentum». zialistisch-antisemitistische Gedankengut Später stellt sich heraus, dass der übrige ins Schweizervolk zu tragen. Einer ihrer Teil der «Protokolle» nach der Jahrhun- Programmpunkte lautet: Ausmerzung der dertwende im Pariser Büro der Ochrana, Juden aus der schweizerischen der russischen Geheimpolizei, verfasst Gemeinschaft. wurde, um den Zaren gegen die Juden Eines Tages veranstaltet die sogenannte und Freimaurer aufzuhetzen. Der Zar Erneuerungsbewegung in Bern eine glaubte jedoch nicht an die Echtheit der Grosskundgebung. Die Durchführenden - Schrift. 1905 erschienen die «Protokolle» die «Nationale Front» und der «Bund als Anhang eines Buches des russischen nationalsozialistischer Eidgenossen» - Antisemiten Sergius Nilus. Dass 1921 verkaufen neben anderem Propa- die englische «Times» den einwandfreien gandamaterial auch «Die Protokolle der Beweis veröffentlichte, wonach es sich Weisen von Zion», die beweisen sollen, bei den «Protokollen» um eine plumpe dass die Juden mittels ihres Goldes und Fälschung und zum Teil um ein Plagiat durch geheime Helfer die Weltherrschaft handelt, hinderte die deutschen und die zu errichten trachten. schweizerischen Judenhasser nicht, die Nun reichen der Schweizerische Israeli- Hetzschrift nach Kräften tische Gemeindebund und die Israeliti- weiterzuverbreiten. Adolf Hitlers Buch sche Kultusgemeinde Bern beim Gericht «Mein Kampf» wie die ganze Klage ein wegen Verbreitung has- nationalsozialistische Judentheorie stützt serfüllter, verleumderischer und ge- sich auf die «Protokolle der Weisen von fälschter Schriften. Leider fehlen ent- Zion», jene absurde Fälschung, die in sprechende Rechtsgrundlagen: die Kläger Millionen von Exemplaren unter die können sich nur auf das bernische Gesetz Masse geworfen wurde, um sie zu über die Schundliteratur stützen. Es verwirren und für die Hakenkreuz-Be- kommt zu einem Prozess, der weit über wegung einzunehmen. die Landesgrenzen hinweg Aufsehen Gegen den infamen Feldzug trat die jü- erregt. Presseberichterstatter aus aller dische Gemeinde Bern zum Kampfe an. Welt treffen im Berner Amthaus ein. Das kam so: Zu Beginn der dreissiger Jahre warteten der jüdischen Gemein- Obwohl die Protokolle schon damals schaft in der Schweiz besonders schwere längst als Plagiat, als Fälschung entlarvt Aufgaben. Die in Deutschland an die

41 sind, ordnet das Gericht eine Expertise an. Palästina zögen, auch die Juden der Es ernennt den Berner Schriftsteller C. A. Schweiz . . . Loosli, einen bekannten Kämpfer für Die Angeklagten, in die Enge getrieben, Gerechtigkeit und Wahrheit, zum schlagen im letzten Augenblick doch Experten; je einen weiteren haben die noch einen Experten vor: Ulrich Parteien vorzuschlagen. Die Juden nennen Fleischhauer, deutscher Oberstleutnant a. Dr. Arthur Baumgarten, Professor für D. in Erfurt, Chef eines internationalen Strafrecht an der Universität Basel. Den antisemitischen Geheimbundes, dessen Angeklagten gelingt es selbst in an- Programm das Judentum als «eine auf derthalb Jahren nicht, jemand zu finden, Unmoral und verzehrendem Machthunger der die Echtheit der «Protokolle» hätte aufgebaute, jahrtausendealte, geheim beweisen können. Dagegen erklären die zusammengehaltene gigantische als Zeugen einvernommenen Russen, die Verbrecherorganisation» bezeichnet. Die «Protokolle» seien schon zur Zarenzeit als Schlussfolgerung des Programms lautet Fälschung erkannt worden. Trotzdem wörtlich: «Also keine halben Massregeln, habe man sie verwendet, um Judenhass zu der Jude muss aus unserem Kulturkreis schüren. Auch Professor Chaim restlos entfernt werden. Es gibt nur einen Weizmann tritt als Zeuge auf, weil Weg der Befreiung von der entsetzlichen behauptet wurde, die «Protokolle» Landplage: gänzliche, restlose stammten vom ersten Zio-nistenkongress, hundertprozentige Losscheidung vom der 1897 in Basel tagte. Weizmann hat Judentume. Dies kann durch physische damals am Kongress nicht teilgenommen, Vernichtung geschehen.» -Wer konnte weil er sich als junger Mann die weite 1933/34 ahnen, dass solch wahnwitzigen Reise nicht leisten konnte. Als Worten nach wenigen Jahren in den leidenschaftlicher Verfechter der Lagern von Auschwitz, Maidanek und zionistischen Idee verfolgte er jedoch die Treblinka die schauervollen Taten folgen Verhandlungen äusserst aufmerksam. Nun würden . . . bestätigt er in Bern, wo er früher sehr oft Während viereinhalb Tagen verliest weilte, dass es bestimmt keinen Plan zur Fleischhauer einen von seinen Helfern Erringung der Weltherrschaft durch die und Helfershelfern verfassten, 400 Juden gegeben habe. Weizmann, der eine Druckseiten umfassenden Bericht. Die starke zionistische Organisation judenfeindliche Organisation dieses Ex- gegründet hat, erklärt auf die Frage des perten ist es auch, die zur Finanzierung Berner Anwalts Dr. Georges Brunschvig, des Berner Prozesses den Schweizer das einzige Ziel dieser Organisation sei Frontisten Geld zukommen lässt. In seiner Zusammenarbeit mit der englischen Schlussrede fasst Fürsprecher Georges Regierung und dem arabischen Volk zum Brunschvig im Namen der Israelitischen Aufbau Palästinas. Theodor Fischer, der Kultusgemeinde Bern nochmals alle Führer der nationalsozialistischen Beweise für die Unechtheit der Eidgenossen, bezeichnet sich hierauf als «Protokolle» zusammen und schildert das «Vollzionist», er wolle durchaus, dass alle Leid und Elend, welches das Elaborat Juden nach russischer Polizeispitzel während

42 dreier Jahrzehnte über jüdische Men- aus, dass einst Gewalt und Hass der schen gebracht hat. Brunschvig lehnt das Liebe weichen werden. Am 14. Mai sogenannte «Gutachten» Fleischhauers 1935 fällt Gerichtspräsident Meyer das entschieden ab und weist auf die Früchte Urteil: Er bezeichnet die sogenannten des Hasses hin, die uns trotz allem «Protokolle der Weisen von Zion» als niemals hindern werden, das mosaische die grösste Fälschung des Jahrhunderts Gebot der Nächstenliebe (3. Mose 19, und erklärt das Plagiat als baren Unsinn; 18) hochzuhalten. Er vertraut dem es falle unter den Begriff der bernischen Gericht, dem Geist der Schundliteratur. Die Angeklagten Wahrheit, und spricht die Hoffnung blieben den Beweis der Echtheit der «Protokolle» und des Bestehens einer organisierten jüdischen Weltverschwö- Schlussworte des Plädoyers von Für- rung schuldig. Damit sind alle Behaup- sprecher Dr. Georges Brunschvig, tungen des antisemitischen Experten Bern, im Prozess von 1935 um die erfundenen «Weisen von Zion»: über organisierte Zusammenarbeit von Juden, Freimaurern, Marxisten, «Wer den Juden ohne Aufhören und auf Bolschewisten und Bibelforschern, allen zugänglichen Wegen als die ebenso die «Beweisführung» über Bestie in Menschengestalt ausgibt, ist angebliche innere Wahrheit der schuldig an dem Blut und an den Trä- nen, die eine Gewissenlosigkeit wie «Protokolle», als schamlose, niedrige diese unvermeidbar zur Folge hat. Färbt antisemitische Hasspropaganda entlarvt. jüdisches Blut das Pflaster, so werden Es kommt zur Appellation. Aufgrund wir wieder hören, das sei Schuld der der Gesetze kann das Berner Obergericht Juden und nicht ihrer Mörder. - Wir die Protokolle allerdings nur als Schund- werden gegen Schlechtigkeit und literatur in politischem Sinne be- Niedertracht kämpfen . . . Unsere zeichnen; es glaubt sich gezwungen, das Kinder aber werden wir lehren, was erstinstanzliche Urteil aufzuheben. Das täglich in den jüdischen Reli- Gesetz gegen die Schundliteratur be- gionsschulen der Schweiz gelehrt wird: (...) So lege von 1916. - Hat vielleicht bei diesem ich mit Ruhe und Zuversicht die Freispruch im Jahre 1937 Furcht vor den Entscheidung in die Hand unserer nazistischen Erneuerungsbewegungen bernischen demokratischen Gerichts- mitgespielt? barkeit. Möge von diesem Gerichtssaal ein Strahl der Wahrheit ausgehen als Der Berner Prozess bewies einmal mehr, Künder einer hoffentlich nicht mehr dass die Judenhasser vor keiner Lüge, fernen Zukunft, in der nicht Hass und keinem Betrug zurückscheuen, um die rohe Gewalt herrschen werden, sondern Juden anzuschwärzen und zu erniedri- Geist und Liebe.» gen. Nie hat in der Geschichte der Menschheit eine Fälschung soviel Un-

43 heil verursacht wie dieses niederträchtige als echt verbreitet wurden. Wie einst Plagiat, und es stimmt bedenklich, dass Hitler und der ganze Naziklüngel be- der im Jahre 1935 in Bern erbrachte dienten sich ihrer auch arabische Staaten gerichtliche Nachweis heimtük-kischen zu Hetzkampagnen gegen die Juden; sie Betrugs nicht verhindern konnte, dass die gehörten sozusagen zur Pflichtlektüre hetzerischen «Protokolle der Weisen von ägyptischer und syrischer Soldaten. Die Zion» zwecks Verleumdung der Juden in den Juden übelgesinnte Sowjetunion der UdSSR, in arabischen Ländern, in verbreitet das grauenhafte Truggebilde Argentinien, ja selbst in europäischen skrupellos noch heutzutage ... Staaten weiterhin

Helfer in schlimmen Jahren

Nachdem der Schweizerische Israelitische nahmten deren Vermögen und Wohnun- Gemeindebund im Jahre 1933 ein gen. Centralcomité für Flüchtlingshilfe ge- Am 9. November 1938 geht an alle deut- schaffen und alle Juden in der Schweiz schen Polizeistellen ein geheimes Tele- aufgerufen hatte, dem Hilfswerk die nö- gramm der Gestapo (Geheime Staatspo- tigen Mittel zur Verfügung zu stellen, lizei), des Inhalts, dass in kürzester Frist gründeten die grösseren jüdischen Ge- in ganz Deutschland Aktionen gegen die meinden, darunter auch jene von Bern, Juden, insbesondere gegen die Syn- Lokalkomitees für die Flüchtlingshilfe. agogen, stattfänden, die nicht gestört Gegen Ende 1935 nahm die Zahl der aus werden dürften. Es sei die Festnahme von Deutschland flüchtenden Juden be- 20- bis 30 000 Juden vorzubereiten. Das trächtlich zu. An der Generalversamm- Verbrechen des Staates, die sogenannte lung des Verbandes Schweizerischer Is- «Reichskristallnacht» mit ihrer raelitischer Armenpflegen im Februar «spontanen Volkswut», nimmt seinen 1936 in Bern rief der Präsident dazu auf, Lauf. Dem Blitztelegramm Nr. 234404 alles zu versuchen, um seitens der Be- wird strikte nachgelebt. An die dreihun- hörden eine humanitäre Behandlung der dert Synagogen sind in Brand gesteckt Flüchtlinge zu erreichen. Nach zwei und demoliert, siebeneinhalbtausend Jahren erfolgte der «Anschluss» Öster- Geschäfte jüdischer Inhaber geplündert, reichs an das Dritte Reich, und im Herbst zerstört. Der Judenmord beginnt . . . Zehn musste aufgrund des «Münchener Tage später findet in der Berner Abkommens» ein Teil der Tsche- Synagoge - wie in allen jüdischen Ge- choslowakei an Deutschland abgetreten meinden der Schweiz - ein Trauergot- werden. tesdienst statt, um der Opfer in unserem Die Nazis schlössen immer mehr Juden nördlichen Nachbarland zu gedenken. aus dem Berufsleben aus und beschlag- Doch trotz der Feuerzeichen können

44 oder wollen viele Juden nicht für mög- Jahre Eidgenossenschaft». Selbstver- lich halten, dass all dies nur der Auftakt ständlich fand auch in der Synagoge ein ist zu einem Massenmord, zum Holo- Gedenkgottesdienst statt. caust, wie ihn die Welt noch niemals Die aus dem nördlichen Nachbarland sah. importierte Judenhetze trug schlimme Als 1939 nach Ausbruch des Zweiten Früchte. Entsetzen erfasste die Juden Weltkriegs die neutrale Schweiz ihre Ar- Berns, als sie im April 1942 die bestür- mee mobilisierte, erschwerte dies - wie zende Nachricht vernehmen mussten vom überall - auch dem reduzierten Vorstand Mord an ihrem Gemeindemitglied Arthur der Berner Israelitischen Gemeinde die Bloch, verübt von einem durch die Erfüllung seiner vielfältigen Aufgaben. antisemitische Hetze irregeführten Doch klagte niemand; jeder jüdische Fanatiker. Ein Familienvater musste bei Schweizer wusste die ihm vom Vaterland Ausübung seines Berufes in Payerne das gewährte Sicherheit zu schätzen und Leben einzig aus dem Grunde lassen, brachte gerne Opfer. Der damalige weil er Jude war. Die Schandtat löste im Jahresbericht gibt davon Kunde: «Wir ganzen Lande ehrliche Entrüstung aus. wollen der Dankbarkeit unsere Herzen Kurz darauf setzte ein neuer Flücht- öffnen, für alle diejenigen, die die lingszustrom aus Holland, Belgien und Verteidigung der Neutralität der Schweiz Frankreich ein, wo den Juden Deportation sowie die Verteidigung des Rechtes auf und damit das schauerliche Ende drohte. sich genommen haben, und jede Die Behörden stellten viele dieser Verpflichtung, die diese Verteidigung in Menschen, welche nach unsäglichem sich schliesst, mit Freude und gutem Leiden und Strapazen endlich das Willen erfüllen.» rettende Ufer, den Schweizer Boden, er- Auch im zweiten Kriegsjahr erfordert die reicht hatten, kurzerhand wieder über die Betreuung der Emigranten die An- Grenze. spannung aller Kräfte, den Einsatz be- Im düsteren August 1942, da die Juden trächtlicher Mittel. Zudem gilt es für die vermehrt verfolgt, gequält und schliess- französischen und polnischen Kriegsin- lich vergast werden, gelingt es zwei jun- ternierten jüdischen Glaubens zu sorgen. gen Menschen, Bruder und Schwester, Erschüttert sucht man nach Mitteln und sich in unser Land zu retten. Dank frem- Wegen, um jenen Juden aus dem der Hilfe gelangen sie nach Bern. Wohin Badischen und aus der Pfalz zu helfen, sich wenden? Von Angst getrieben, die gewaltsam nach menschenunwür- suchen sie den jüdischen Friedhof auf; sie digen Lagern in Südfrankreich ver- denken, dort seien sie am sichersten. schleppt worden sind. Ein brutales Re- Doch greift die Polizei sie auf und liefert gime vertrieb alt und jung, Kranke und sie auf Weisung der Behörden ins Gebrechliche aus den Orten, wo ihre Bezirksgefängnis, um an die Grenze ge- Vorfahren sehr oft schon seit Jahrhun- stellt zu werden. Der Friedhofgärtner derten gelebt hatten. meldet den Vorfall dem Präsidenten der Das Kriegsjahr 1941 brachte die Dop- Israelitischen Gemeinde, Dr. Georges pelfeier «750 Jahre Bern» und «650 Brunschvig. Dieser eilt sofort ins Bun-

45 deshaus, um Bundesrat v. Steiger oder Parlament sowie in kirchlichen Organi- den Chef der Polizeiabteilung, Dr. sationen spontane Kundgebungen eines Rothmund, zu sprechen. Beide sind ab- grossen Teils des Schweizervolks für die wesend. Brunschvig kann einen Beamten Hochhaltung des Asylrechtes. Erst jetzt dazu bewegen, die beiden Flüchtlinge so erklärten sich die Landesbehörden, wenn lange in Bern zu belassen, bis er bei der auch zögernd, einverstanden, den Bundesbehörde habe intervenieren Geflüchteten und illegal Eingewanderten können. Hierauf begibt er sich ins Asyl zu gewähren und sie vor dem Gefängnis zu den beiden Geschwistern, sichern Tode zu bewahren. Beim grös- zwei verängstigte, blasse, um ihr Leben sten Teil der 16000 Emigranten handelte zitternde junge Menschen, und sucht sie es sich um Juden. Ein wesentlicher Anteil zu beruhigen. Dann kehrt er ins Bundes- an ihrer Rettung kommt der tapferen haus zurück, um den Beamten zu fragen, Flüchtlingsmutter, Gertrud Kurz, zu. Die ob er den Bundesrat oder Dr. Rothmund unerschrockene, vorbildliche Christin habe erreichen können, was er verneint, fuhr unverzüglich zu Bundesrat v. Steiger beiläufig erwähnend, dass die auf den Mont-Pélerin, wo er seine Ferien Nahrungsmittellage es nicht erlaube, verbrachte, und Hess nicht locker, bis Fremde auf Kosten der Schweizer zu er- sich der direkt Verantwortliche bereit nähren. Brunschvig erwidert, die Berner erklärte, menschliche Massstäbe Juden würden ihre Lebensmittelkarten anzulegen und die grausamen Be- gerne mit den beiden teilen. - Nach ein stimmungen zu lockern. Gertrud Kurz paar Stunden geht er wiederum ins Be- setzte sich aus tiefstem Herzen für die zirksgefängnis, um die jungen Juden zu Flüchtlinge ein und schenkte ihnen ihre orientieren und zu beruhigen. Der ganze Zeit und Kraft. Später lud Israels diensttuende Polizeifeldweibel erklärt ihm Regierung die beispielhafte Frau als mit Tränen in den Augen, man habe ihm Staatsgast ein. aus dem Bundeshaus befohlen, die beiden Selbstverständlich arbeiteten die Berner sofort an die Grenze zu bringen; den und die Bieler Juden im kantonalen Ak- Befehl habe er sofort ausführen müssen . . tionskomitee des Flüchtlingshilfswerkes . Brunschvig, entsetzt, empört und traurig, nach Kräften mit. Die vier Auffanglager dass in unserem Lande so etwas möglich Rothöhe, Eriswil, Moosbad und Sumis- ist, macht den Vorfall unverzüglich wald wurden mit Einwilligung des Eid- publik. genössischen Polizeidepartementes und Unnötig zu sagen, was mit den jungen der Heerespolizei von Bern aus betreut Geschwistern geschehen ist ... Dass und die dort untergebrachten Menschen Georges Brunschvig und ein treuer, mu- mit Wäsche, Kleidern und Schuhen ver- tiger Kampfgefährte, der Journalist Her- sorgt. Besonders anerkennend zu erwäh- mann Böschenstein, die Öffentlichkeit auf nen ist die erfreuliche Zusammenarbeit die unmenschliche Asylpolitik der der Flüchtlingshilfswerke aller Konfes- Behörden aufmerksam machten, rettete sionen. Auch nach den Lagern in Süd- dann in der Folge vielen anderen Men- frankreich gingen regelmässig Lebens- schen das Leben. Es erfolgten in Presse, mittelpakete ab, bis diese Hilfeleistun-

46 gen infolge Deportation der Empfänger jüdische Heimatlose aufzunehmen und und Leerung der Lager ein jähes Ende unterzubringen. fanden ... Immerhin konnte das «Ber- Nach fast sechs Kriegsjahren trat die nische Hilfswerk für Gurs» während langersehnte Waffenruhe endlich ein. mehr als drei Jahren Hunderte von Un- Angesichts des vom Krieg verschont ge- glücklichen nicht nur die so dringend bliebenen Landes und im Hinblick auf die nötige Zusatznahrung verschaffen, son- Tatsache, dass die Juden in der Schweiz dern auch das Gefühl geben, von den in vor Deportation und Vernichtung bewahrt Sicherheit lebenden Juden nicht verges- worden sind, fanden am 13. Mai 1945 in sen zu sein. allen schweizerischen Synagogen 1944 wuchsen die Fürsorgepflichten Friedens- und Dankgottesdienste statt. nochmals ganz beträchtlich, da die Be- Im nächsten Jahr wechselte Dr. Georges hörden weitere Flüchtlingslager der jü- Brunschvig, Präsident der Israelitischen dischen Fürsorge zur Betreuung unter- Kultusgemeinde Bern, auf den Präsi- stellten. Dabei bewiesen die eidgenössi- dentenstuhl des Schweizerischen Israeli- schen, kantonalen und städtischen In- tischen Gemeindebundes über, den er bis stanzen grosses Verständnis für die ver- zu seinem Tode im Jahre 1973 innehatte. schiedenen Anliegen. Dasselbe galt für die bernischen Spitäler und Anstalten, die sich immer liebevoll bereit zeigten,

Die jüdische Gemeinschaft in der Gegenwart

In der Öffentlichkeit wächst das Interesse Rahmen der Bildungskurse der jüdischen an jüdischen Belangen. Regelmäs-sige Gemeinde für ihre Mitglieder. Im Mai Synagogenführungen für Schulklassen, 1966 beging der Schweizerische Seminaristen, Studenten und Vereine Israelitische Gemeindebund in Zürich die gaben und geben dem Rabbiner Feier zum Gedenken an die Emanzipation Gelegenheit, Tausenden von nichtjüdi- von 1866, als das Schweizervolk der schen Mitbürgern das Wesen des jüdi- Verfassungsänderung zustimmte und schen Gottesdienstes und des Judentums damit die Rechtsungleichheit aufhob. zu erläutern und ein unverzerrtes Bild der Auch zwei Berner hielten Ansprachen: jüdischen Religion zu vermitteln. Das Bundesrat Rudolf Gnägi und der gegenseitige Verstehen unter Präsident des Gemeindebundes, Dr. Angehörigen verschiedener Konfessionen Georges Brunschvig. zu fördern ist auch das Anliegen der Bundesrat Gnägi wies auf die hohen Christlich-jüdischen Arbeitsgemein- ethischen Forderungen hin, die das gött- schaft. Das Verhältnis Judentum/Chri- liche Gesetz den Juden stellt; er schloss stentum bildete ferner ein Thema im mit dem Hinweis auf das messianische

47 Reich, welches für den Juden Ziel des bar. Die Synagoge allein genügt nicht. Es Lebens und der Welt bedeute. «Jeder braucht Räume für Zusammenkünfte, Mensch hat die Pflicht, an der Verwirk- Kurse, Vertrags- und Filmabende, lichung dieses Reiches mitzuarbeiten.» Diskussionen, Räume für die Jugend, Dr. Georges Brunschvig kam in seinem ferner Schul-, Bibliotheks- und Rückblick auch auf die schweizerische Sitzungszimmer, ein Gemeindesekreta- Flüchtlingspolitik zu sprechen, die nicht riat, nicht zu vergessen eine Hauswart- vereinbar war mit den Grundsätzen eines wohnung. Und das alles auf kleinstem, Rechtsstaates, dem die menschliche nicht erweiterbarem Raum. Probleme! Würde integrierender Bestandteil ist. Er Erst ab Februar 1971 konnte das Gebäude zitierte einen schweizerischen Ge- seinem Zwecke dienen. An der schichtsforscher: «Man studiert Zeitge- Einweihung fanden sich auch die Be- schichte, damit man klüger wird für das hörden ein. Das neue jüdische Zentrum nächste Mal und weiser für immer.» Es gab der kulturellen und gesellschaftlichen gelte, wachsam zu sein, da es immer Entwicklung der Juden Berns vermehrten wieder Gruppen gäbe, die erneut ver- Auftrieb. suchten, die Demokratien zu unterhöh- Auch die jüdische Gemeinde Biel will len. Brunschvig führte wörtlich aus: den Forderungen unserer Zeit gerecht «Wem es ernst ist mit der Demokratie, werden. Gemäss den Statuten von 1964 der muss für die Demokratie kämpfen. erstrebt sie die Vereinigung aller Juden Wer dagegen zulässt, dass demokratische von Biel und Umgebung, um namentlich Staatswesen durch subversive Agitation, folgende Zwecke zu erfüllen: Pflege des Verbreitung von Hass und krassen Lügen jüdischen Kultus, jüdischer Fürsorge und ungestraft unterhöhlt werden, ist ein Wohltätigkeit; Erhaltung der Institutionen Totengräber der Demokratie. wie Synagoge, Friedhof, Religionsschule; Demokratie bedeutet nicht nur eine Pflege und Förderung des religiösen, Staatsform. Demokratie beinhaltet jene kulturellen und wissenschaftlichen Rechtsgüter, die das Dasein lebenswert jüdischen Lebens, auch durch gestalten. Dazu gehören auch jene ethi- Erwachsenenbildung; Wahrung und schen Grundsätze, die vor mehr als 3000 Förderung allgemein jüdischer Interessen. Jahren im Alten Testament ihre Veran- Wenn sich die jüdischen Gemeinden in kerung gefunden haben: die zehn Ge- Bern und Biel weiterhin in einer Atmo- bote, der Grundsatz der Nächstenliebe.» sphäre der Freiheit und Toleranz religiös Im Jahre 1956 feierte die Israelitische und kulturell entfalten können, werden Kultusgemeinde Bern das 50jährige Be- sie wie bis anhin auch in Zukunft ihre stehen der Synagoge an der Kapellen- Pflichten gegenüber der Stadt, dem strasse. Damals plante sie den Bau eines Kanton und der Schweiz wie auch dem Gemeindehauses. Das Projekt beschäf- Volk und Staate Israel erfüllen, getreu der tigte die zuständigen Organe noch volle jahrtausendealten biblischen Lehre, als 15 Jahre! Ohne Gemeindehaus ist ein kleinen Beitrag zum Wohle der ganzen fruchtbares Gemeindeleben kaum denk- Menschheit.

48 In den letzten Jahren konnte man oft von Frauenvereine, Männerkrankenvereine einer «Identitätskrise» sprechen hören, und Turnvereine. Die Krankenvereine auch von einem Substanzverlust der sehen ihre Aufgabe darin, bei Krank- Judenheit durch Indifferenz und heits- und Sterbefällen sich gegenseitig Mischehen. Solche weltweit feststellba- zu helfen, und zwar in moralischer, reli- ren Veränderungen sowie die sich an- giöser, persönlicher und materieller Be- bahnende Überalterung in den Gemein- ziehung. Organisatorisch sind diese Ver- den mögen für das Judentum bedrohlich eine von den jüdischen Gemeinden un- erscheinen. Ein früherer Präsident der abhängig, arbeiten aber mit ihnen eng jüdischen Gemeinde Bern sagte richtig: zusammen. «Hauptaufgabe der zuständigen Instanzen Im Juli 1979 beantragte der Grosse Rat muss bleiben, die Leute dazu zu bringen, des Kantons Bern dem Volke, Artikel 84 dass sie nicht nur finanziell mitmachen, der Staatsverfassung von 1893, den so- sondern auch geistig.» - genannten Kirchenartikel, abzuändern. Das hat beim jungen Menschen zu be- Der betreffende Artikel erklärt die ginnen. Jugendarbeit soll in jeder Ge- Evangelisch-reformierte, die Römisch- meinde zentrale Aufgabe sein. katholische und die Christkatholische Im Jahre 1973 führte die jüdische Ge- Kirche als anerkannte Landeskirchen und meinde Bern nicht nur das Frauen- regelt deren Verhältnis zum Staat. Neu stimmrecht ein, sondern auch den Begriff befasst er sich zudem mit ändern des «Jugendmitglieds». Söhne und Religionsgemeinschaften. Zum erwähnten Töchter von Mitgliedern werden nach Antrag führte der von allen Landeskirchen zurückgelegtem 18. Altersjahr automa- einmütig geäusserte und unterstützte tisch in die Gemeinde aufgenommen und Wunsch, eine verfassungsmässige haben nur einen symbolischen Mit- Grundlage für die öffentlich-rechtliche gliedbeitrag zu entrichten. Anerkennung weiterer Religions- Die Jugendkommission der jüdischen gemeinschaften zu schaffen, um der Gemeinde sorgt für sinnvolle Betäti- Forderung nach Gleichberechtigung gungsmöglichkeiten in den verschiede- nachzukommen. Dabei sollen keine wei- nen Jugendgruppen, angefangen bei den teren Landeskirchen entstehen, sondern Kindern bis zu den Studenten und altern lediglich neben den drei Landeskirchen Jugendlichen. weitere Religionsgemeinschaften mit ei- Die Gruppen treffen sich regelmässig, nem öffentlich-rechtlichen Status ausge- wobei sie darauf achten, möglichst ab- stattet werden können. Die Vorausset- wechslungsreiche Programme zu gestal- zungen der Anerkennung sind durch ten, teils ähnlich jenen der Pfadfinder, Gesetz festzulegen (siehe Kasten S. 50). teils auf Kultur einschliesslich Informa- An der Abstimmung vom 2. Dezember tionen über Israel ausgerichtet. 1979 hat das Bernervolk der Verfas- Für Weiterbildung, Wohlfahrt und Ge- sungsänderung zugestimmt, zur Befrie- selligkeit sorgen im Rahmen der jüdi- digung der beiden jüdischen Gemein- schen Gemeinden von Bern und Biel zum schaften von Bern und Biel. Es ist zu Teil seit mehr als hundert Jahren hoffen, dass das heute im Entwurf vor- 49

liegende Gesetz über Voraussetzungen und Wirkungen der öffentlich-rechtlichen Aus der Botschaft des Grossen Anerkennung von Religionsge- Rates vom Juli 1979 an die meinschaften bald in Kraft treten kann, Mitbürger des Kantons Bern: gleichsam als Schlusspunkt der Emanzi- Mit der öffentlich-rechtlichen An- pation der Juden im Kanton Bern. erkennung tritt eine Religionsgemein- schaft in eine direkte und engere Be- Nachdem aus der 1848 vor allem zur ziehung oder Verbindung zum Staat, Durchführung und Aufrechterhaltung des als sie es bis anhin - als reines Gebilde Kultus gegründeten «Corporation der des Privatrechts - war. Die Anerken- Israeliten der Stadt Bern» im Jahre 1908 nung durch den Staat stellt sie - in die «Israelitische Kultusgemeinde» ganz bestimmten Belangen - in die geworden war, stellte sich die Gemeinde Reihe der öffentlich-rechtlichen Kör- Aufgaben, die weit über den eigentlichen perschaften. (...) Nicht jede Reli- gionsgemeinschaft dürfte anerken- Kultus hinausgehen. Deshalb Hess sie nenswert sein. Gewisse Voraussetzun- 1973 im Namen den Ausdruck «Kultus» gen, die der Gesetzgeber festlegen fallen. Eine weitere Änderung drängte wird, werden zweifellos erfüllt sein sich auf: Nichtjuden verwechselten häufig müssen, so beispielsweise gemeinnüt- «israelitisch» -die aus Frankreich zige Dienste an der Öffentlichkeit oder stammende Bezeichnung der jüdischen an einer bestimmten Gruppe der Konfession - mit «israelisch», welcher Bevölkerung, Bedeutung der Körper- Ausdruck sich auf den Staat bezieht. schaft, Dauer des Bestandes usw. Die Daher beschloss die Gemeinde- neue Verfassungsbestimmung: versammlung im Jahre 1982, den Namen gibt keiner Religionsgemeinschaft von vornherein keine Distanzierung vom Staate Israel, sie einen Rechtsanspruch auf öffentlich- soll nur Verwechslungen in der Umwelt - rechtliche Anerkennung. Zudem ist wie z. B. «israelitischer Botschafter», die Neigung der kleineren Religions- «israelische Gemeinde» - verhindern. gemeinschaften, in ein näheres Ver- hältnis zum Staat zu treten, erfah- * rungsgemäss klein. Wohl die meisten Freikirchen und Gemeinschaften beto- Vom alten, ewig jungen Israel künden in nen vielmehr ihre Unabhängigkeit Bern auch Steine. An der vom Staat. Mit einer Flut von An- stehen ehemalige Pfarrhäuser. Am Tür- erkennungsbegehren ist deshalb nicht sturz von Nr. 13 findet sich unter der rö- zu rechnen. Bis heute haben sich le- mischen Jahrzahl MDLX (1560) eine diglich die Israelitischen Kultusge- meinden Bern und Biel für eine hebräische Schriftzeile. öffentlich-rechtliche Anerkennung interessiert.»

50 Es ist der Beginn des 127. Psalms: «Wenn Die seit 1847 durch Karl Howald ver- nicht der Ewige das Haus baut, breitete irrige Meinung, der Kindlifres- mühen sich die Bauleute umsonst.» ser auf dem stelle einen Juden dar, ist längst widerlegt; siehe Paul Aus Stein sind auch die Brunnenfiguren Hofer. Die Kunstdenkmäler des Kantons biblischer Gestalten: Während David auf Bern, Bd. I (1952) S. 281 f. und Nachtrag dem Brunnen vor dem ehemaligen auf S. 446. Christoffelturm im Jahre 1846 einer Mit Juden nichts zu tun hat auch die so- neogotischen Brunnensäule weichen genannte Rätselfahne im Historischen musste, blieben Moses und Simson er- Museum Bern. Das alte Banner der Ge- halten. Die Figur von 1544 des Brunnens sellschaft zu Schuhmachern zeigt über in der stellt den Helden einem Bundschuh und der Jahrzahl 1540 Simson auf dem Weg nach Thimnath dar, hebräische Lettern. Bis heute vermochte den jungen Löwen zerreissend. Die noch niemand die Inschrift zu deuten. Metzgerzunft wählte das Motiv als Sinn- Eines aber ist klar: es lebten damals keine bild der Stärke und des Mutes. Den Juden in Bern, und schon im Mittelalter heutigen auf dem Mün- verbot man den Juden jedes Handwerk. sterplatz errichtete man 1791 als Ersatz Alolph L. Frankenthal, Konsul der Ver- für den aus dem 16. Jahrhundert stam- einigten Staaten in Bern, sah nach seinem menden Brunnen mit demselben Motiv. Amtsantritt die Fahne im Museum. 1903 Moses weist mit der Hand auf das seit der wandte er sich an Dutzende von Reformation bedeutsame zweite Gebot, Philologen in der ganzen Welt, doch ist welches verbietet, ein Bildnis herzu- von den rund zwanzig eingegangenen stellen, um es zu verehren. Deutungsversuchen keiner haltbar.

Die Juden Berns und Israel

Gross war die Freude auch in Bern, als Am 14. Mai 1948 erstand nach zweitau- am 29. November 1947 die UNO durch send Jahren im Lande der Vorfahren er- ihren Teilungsbeschluss den Juden er- neut ein Judenstaat. In bezug auf die möglichte, ihren Staat in der alten Heimat Proklamation des selbständigen Israels wieder zu errichten. Palästina, während und den unmittelbar darauf erfolgten der vierhundertjährigen Zugehörigkeit militärischen Überfall der umliegenden zum Osmanischen Reich herun- arabischen Staaten schrieb Dr. Georges tergekommen, nahm erst seit der zioni- Brunschvig, damals Präsident der Israe- stischen Aufbauarbeit im 19. Jahrhundert litischen Kultusgemeinde Bern, in seinem - Entsumpfung, Aufforstung, Be- Jahresbericht: «Statt Ruhe und Frieden wässerung - einen neuen Aufschwung. herrschen Krieg und Vernich-

51 tung in Palästina. Es ist zu hoffen, dass men Rechte des jüdischen Volkes auf diesen schweren Zeiten bald eine Periode Palästina kundgibt, sondern mit Feld- des Friedens und des Aufbaus folgen und Baumfrevel, Überfällen und Mord- wird. Es gehört auch zu unsern Aufgaben, taten.» am Aufbau von Palästina mitzuhelfen und Die Juden Berns erachten es als ihre unsern verfolgten Glaubensgenossen zu Pflicht, auch das Diaspora-Judentum le- ermöglichen, dort ein neues Leben zu bendig zu erhalten. Wie die überwie- beginnen. Möge Palästina einer gende Mehrheit der Juden in aller Welt glücklichen, erfolgreichen und friedlichen betrachten sie den Staat Israel als die Zukunft entgegengehen!» Der Präsident unerlässliche Grundlage zur Erhaltung mochte damals an folgenden Passus in des jüdischen Volkes und seiner jahrtau- der Unabhängigkeitserklärung des Staates sendealten religiösen und kulturellen Israel gedacht haben: «Wir bieten allen Überlieferungen. Dass sie für Israel ein- unseren Nachbarstaaten und ihren stehen, hindert sie in keiner Weise, ihre Völkern die Hand zum Frieden und zu Pflichten als Schweizer und als Einwoh- guter Nachbarschaft und rufen zur ner ihrer Wohngemeinden genau so treu Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe zu erfüllen wie ihre nichtjüdischen mit dem selbständigen jüdischen Volk in Mitbürger. seiner Heimat auf. Der Staat Israel ist Juden leben seit Jahrtausenden in der bereit, seinen Beitrag bei gemeinsamen Diaspora, über die ganze Erde zerstreut, Bemühungen um die Entwicklung des wo sie je und je namhafte Leistungen er- gesamten Ostens zu leisten.» brachten und weiterhin erbringen, Lei- Nebenbei bemerkt: Als der durch stungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Grossbritannien 1922 auf dem Ostteil Kunst, die für die ganze Menschheit von Palästinas geschaffene Staat Transjorda- Bedeutung sind. Der Staat Israel ist als nien 1948 die Westbank eroberte und eine Form des Judentums so eigen- annektierte, sprach noch kein Mensch, ständig wie die Diaspora, die in Israel in auch kein Araber, von einem «palästi- gleichem Masse anerkannt wird, wie die nensischen Volk»; selbst der grösste gesamte Diaspora zum Staate Israel hält. arabische Judenfeind, Amin el Husseini, Am 16. Oktober 1948 feierte die jüdi- Grossmufti von Jerusalem, schrieb am 13. sche Gemeinde Bern ihr l00jähriges Be- Mai 1943 in seinem Hilfsgesuch an den stehen. Am Festgottesdienst in der Syn- Reichsaussenminister von Ribben-trop in agoge, in der zum ersten Male neben der Berlin einzig von Arabern, vom Schweizer und Berner Fahne auch jene arabischen Volk, jedoch nie von Palästi- Israels gehisst war, fanden sich Vertreter nensern. Dagegen ist in Adolf Böhms der politischen und kirchlichen Werk über die zionistische Bewegung, Behörden, der Presse und der be- erschienen 1937, die Rede von der freundeten jüdischen Gemeinden ein. Es «feindlichen Haltung der ändern Nationen wurde eine Gedenktafel enthüllt, die uns im Lande (...), die sich nicht nur in einer immer an die sechs Millionen Juden zähen Befehdung der legiti- erinnern soll, welche durch das Dritte

52 Reich ermordet worden sind. - Der da- Indessen liess die Sorge des Schweizer malige Rabbiner, Dr. Eugen Messinger, Judentums für die ihm anvertrauten verfasste eine reichbebilderte Festschrift. Emigranten nicht nach. Im gleichen Jahre konnten auch die Ju- 1967: ein für die Juden besonders denk- den in Biel den 100. Geburtstag ihrer würdiges Jahr. Im Frühling marschierten Gemeinde begehen. An der Feier sprach feindliche Truppen an den Grenzen alt Stadtpräsident Dr. Guido Müller, der Israels auf. Von Tag zu Tag verschärfte in bedrohlichen Zeiten der Naziherrschaft sich der Ton der arabischen Führer, die besonders energisch für Freiheit, den Staat Israel zu vernichten drohten. Gerechtigkeit und Toleranz eingetreten Während die Staatsmänner der Gross- war. Seiner Interpellation im Nationalrat mächte tatenlos zusahen, wuchs in weiten vom Sommer 1940 gegen den Kreisen die Sympathie zum arg bedrohten berüchtigten J-Stempel in den Pässen der Kleinstaat. Nicht nur in den Synagogen, Juden und gegen die bundesrätlichen auch in den christlichen Landeskirchen Einreisevorschriften für «Nichtarier» der Schweiz wurden Fürbitte- gedenkt die jüdische Gemeinschaft in Gottesdienste abgehalten. Am 6. Juni hoher Anerkennung und Dankbarkeit. meldeten die Frühnachrichten, im Nahen Am 15. Januar 1950 empfing die jüdische Osten seien heftige Kämpfe Gemeinde Bern die beiden Vertreter des ausgebrochen. Sechs Tage später war der Staates Israel in der Schweiz, damals Krieg beendet; die Armeen von drei noch Generalkonsul und Konsul. Erst im arabischen Staaten mussten ihre Waffen nächsten Jahre kam es zwischen der strecken. Erstmals nach fast zweitausend Schweizerischen Eidgenossenschaft und Jahren ist ganz Jerusalem wieder in Israel zum Austausch diplomatischer jüdischen Händen und die alte Tem- Vertreter. Der israelische Gesandte in pelmauer, seit dem Einmarsch jordani- Bern erhielt in der Synagoge einen scher Truppen im Jahre 1948 den Juden reservierten Sitz. Wer hätte in den verwehrt, nun jedermann, auch Anders- finstern Tagen des «Tausendjährigen gläubigen, frei zugänglich. Die Begeiste- Reiches» Adolf Hitlers je geahnt, dass 18 rungswelle, die weite Kreise des Schwei- Jahre nach dem Machtantritt des zervolkes erfasste, lässt sich kaum be- «Führers» und sechs Jahre nach seinem schreiben. Erhebend war der ökumeni- Untergang an einem Platze in der Berner sche Gottesdienst von Sonntagabend, 28. Synagoge eine Tafel angebracht werden Mai, im vollbesetzten Berner Münster. Es könnte mit der Aufschrift sprachen je ein römisch-katholischer, ein evangelisch-reformierter und ein christkatholischer Geistlicher sowie der Rabbiner. Zum ersten Male seit Bestehen dieses Gotteshauses beteten vier Konfessionen gemeinsam unter einem Ce siège est réserveé Dach, vereint in gleichem Geiste. à S.E. l'Ambassadeur de l'Etat d'Israel Am 15. September 1968 fand im Studio en Suisse Radio Bern erstmals ein gemeinsamer 53

Bettags-Gottesdienst statt unter Beteili- Kein Menschenleben forderte zum Glück gung der drei Landeskirchen und der die ein halbes Jahr später nach erfolgter Juden. Das Gefühl der Zusammengehö- Geiselnahme ausgeführte Sprengung rigkeit musste auf die Anwesenden erhe- einer nach Jordanien entführten weiteren bend wirken. Ein weiterer ökumenischer Swissair-Maschine. Gottesdienst unter jüdischer Beteiligung Die Berner Juden, die im Frühjahr 1973 wurde am Eidgenössischen Dank-, Buss- eine Doppeljubiläumsfeier planten -125 und Bettag 1973 in Bern durchgeführt Jahre Israelitische Kultusgemeinde Bern und vom Radio ausgestrahlt. und 25 Jahre Israel - ahnten nicht, dass im Im Jahre 1969 war es einmal mehr der Herbst darauf, am Jom Kippur, dem Berner Fürsprech Dr. Georges höchsten Feiertag des Jahres, die Armeen Brunschvig, der für einen schuldlos An- Ägyptens und Syriens gleichzeitig einen geklagten den richterlichen Freispruch Angriff auslösen würden, der die Lage im erwirkte. Es handelte sich um den isra- Nahen Osten von Grund auf ändern sollte. elischen Sicherheitsbeamten Rachamim, - Selbstverständlich sah die jüdische der im Flughafen Kloten durch seinen Gemeinde Berns von einer Jubiläumsfeier raschen Einsatz das Leben der Menschen ab. in jener El-Al-Maschine rettete, die Am 14. Oktober, eine Woche nach dem überraschend von PLO-Terroristen erfolgten Angriff der beiden arabischen beschossen wurde. Rachamims tödliche Staaten auf Israel, sprach Dr. Georges Kugeln hinderten die Angreifer am Brunschvig aus Bern, Präsident des Weiterschiessen. Schweizerischen Israelitischen Gemein- Am 21. Februar des nächsten Jahres debundes, an einer Notstandssitzung in brachte eine der PLO unterstellte Ter- Zürich; es galt, Hilfe für Israel zu orga- rorgruppe ein Swissair-Flugzeug zum nisieren. Der mutige Kämpfer für Ge- Absturz; bei Würenlingen verloren 49 rechtigkeit und Wahrheit, der Idealist und unschuldige Menschen ihr Leben. Der Friedensfreund, brach mit dem Ruf «wir Anschlag wühlte nicht nur Juden auf; sitzen alle im gleichen Boot!» leblos Entsetzen und Abscheu erfassten damals zusammen; unvermutet hat sein Herz zu auch breite nichtjüdische Kreise. schlagen aufgehört.

54 Ergänzung für die Restauflage des Büchleins "Juden in Bern" von Emil Dreifuss Nach Seite 54 ist dieses Blatt einzulegen oder einzukleben. Im Winter 1983/84 kam es in Bern erstmals zu gemeinsamer Bibelarbeit eines Pfarrers und eines Rabbiners: An der Volkshochschule lasen Pfarrer Eduard Gerber - seit Herbst 1983 nach 40 Dienstjahren im Ruhestand, aber weiterhin Präsident der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft (CJA) - und Rabbiner Marcel Marcus gemeinsam einen Text aus dem Neuen Testament, dem christlichen Teil der Bibel, im Sinn einer ökumenischen Öffnung zur ändern Konfession. Der Kurs hiess: „Rabbiner und Pfarrer antworten". Im August 1985 fand im Emmental als Pilot-Versuch ein Ferien-Schabbat auf dem Appenberg statt. Dieses Familien-Gottesdienst-Wochenende, besucht von 17 Erwachsenen und vier Kindern, hat alle Teilnehmenden zutiefst beglückt. Am 2.April 1987 wurde der JGB eine besondere Ehre zuteil: der erstmalige Besuch eines israelischen Staatspräsidenten, nämlich Chaim Herzog mit Gattin. Herzog hielt eine beherzigenswerte Ansprache. Am 9. November 1988 - 50 Jahre nach der zerstörerischen Reichspogromnacht im nationalsozialistischen Deutschland (wegen der Unzahl eingeschlagener Fensterscheiben als „Reichskristallnacht" bezeichnet) wurde auf dem jüdischen Friedhof ein vom Künstler Oskar Weiss geschaffenes Mahnmal eingeweiht. Die Opfer und Märtyrer der Schoa dürfen nicht vergessen werden. Anlässlich der Gedenkstunde hielt Bundesrat Flavio Cotti eine ergreifende Ansprache und erklärte: „Ich betrachte es als eine moralische Pflicht, dass der Bundesrat heute hier, durch meine Person vertreten, mit Ihnen weilt. Ihre Einladung war für mich eine echte Ehre". Zu Beginn der 90er Jahre erhielt das Ressort „Kultur und Gesellschaft" ein neues Gesicht, in dem Kultur und Geschichte, religiöse Bildung, Freizeit und Gesellschaft, Vortragswesen, Filmdarbietungen und Ausstellungen mehr Bedeutung erlangten. Seit 1992 stehen an der Spitze des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) zwei Berner: Dr. Rolf Bloch als Präsident und Fürsprecher Martin Rosenfeld als Generalsekretär. In der Nacht auf den 19.Dezember 1992 wurden auf dem jüdischen Friedhof in Bern 13 Grabsteine mit Hakenkreuzen, „Hitler"-Schriftzügen und SS-Runden verschmiert. Man wollte die Untat totschweigen, doch der „Blick", dessen Redaktion aus Polizeikreisen davon erfuhr, berichtete in einem Bilderbericht über diese Gräberschändung. Die Täter konnten leider nicht ermittelt werden. Im März 1993 wurde erstmals ein Bundesratsmitglied jüdischer Herkunft gewählt: Ruth Dreifuss. Obwohl Judentum nicht praktizierend, erklärte sie sich zum jüdischen Volk gehörend; sie fühle sich absolut als Jüdin. Am 6. Juni 1993 wurde in der Volksabstimmung die neue Verfassung des Kantons Bern angenommen, welche die Möglichkeit enthält, die israelitischen Gemeinden öffentlich-rechtlich anzuerkennen. Sie ist am 1. Januar 1995 in Kraft getreten. Ende 1996 beschloss das Kantonsparlament das Gesetz zur öffentlich-rechtlichen Anerkennung der jüdischen Gemeinden im Kanton Bern. Die Landeskirchen zeigten sich den Juden gegenüber hilfsbereit, solidarisch, indem sie sich bereit erklärten, zugunsten der Rabbinerbesoldung eine Pfarrstelle aufzugeben. Im Januar 1997 entschied der Grosse Rat von Bern einstimmig, der Rabbiner sei durch den Kanton zu entlöhnen. Am 22. Januar wählte die Gemeinde Rabbiner Dick zum Nachfolger von Rabbiner Marcus. Nach Ablauf der Probezeit am 28. Februar 1998 ist Rabbiner Dick im gegenseitigen Einvernehmen nach Amerika zurückgekehrt. Das Jahr 1998 bietet der JGB Anlass, sowohl ihr 150-jähriges Bestehen als auch das 50-jährige Bestehen des Staates Israel zu feiern. Nachdem der Kanton Bern die jüdischen Gemeinden von Bern und Biel öffentlich- rechtlich anerkannt hat, mussten die Statuten und das Beitragsreglement den neuen Gegebenheiten angepasst werden. An der ausserordentlichen Gemeindeversammlung vom 24. Mai 1998 wurden sowohl die revidierten Statuten als auch ein neues Beitragsreglement einstimmig angenommen. An der Gemeindeversammlung vom 28.Mai wurde zum ersten Mal in der 150- jährigen Geschichte der JGB eine Frau, Brigitte Halpern, als Präsidentin gewählt. Der Vorstand gab sich eine neue Struktur mit einer Geschäftsleitung, die aus der Präsidentin, zwei Vizepräsidenten und dem Aktuar besteht. Anhang Judentum - was ist das eigentlich?

Über Sinn und Ziel des Judentums gibt Die wichtigste aller Weisungen hat sich es zahlreiche Bücher. Kann es da der Jude täglich vor Augen zu halten; sie gelingen, dessen Wesen auf so bildet - gleichsam als «Glaubensbeken- beschränktem Räume umfassend ntnis» -auch das Zentrum im synagogalen darzustellen? Nun, vor zwei Jahrtau- Gottesdienst und findet sich im 5. Mose senden hat einer es sogar in wenigen 6, 4-5. (Einheit und Einzigkeit Gottes; Sekunden gekonnt: Rabbi Hillel. Er lebte und du sollst Gott lieben.) zur Zeit von Herodes, also dreissig Jahre Gleich wichtig ist die Aufforderung in 3. vor Jesus. Ein Heide kam zu Hillel und Mose 19, 18: «Liebe deinen Nächsten erklärte sich bereit, Jude zu werden, wie dich selbst; ICH bin der Ewige.» wenn ihm der Rabbi die Lehre des Diese Gebote hat auch Jesus als die Judentums beibringen könne, solange er wichtigsten zitiert (Markus 12, 29-31). auf einem Bein stehe. Darauf Hillel: Allerdings ist die Übersetzung ungenau; «Was dir selber unlieb ist, das tu auch im hebräischen Urtext lautet das Gebot: deinem Nächsten nicht! Das ist die ganze «Erweise deinem Nächsten Liebe, denn Lehre, der Kern des Judentums; alles er ist wie du.» (Es ist also nicht die Rede übrige ist Kommentar, Erläuterung. Nun von Eigenliebe.) Der Zusatz «ICH, der geh hin und lerne!» Als guter Jude Ewige» will sagen, dass nicht Moses, kannte auch Jesus den Ausspruch Rabbi sondern Gott dies fordert, dem wir nur in Hillels (Luk. 6, 31 und Mat. 7, 12). unserem Nächsten und in unserem Innern Die Grundlage des Judentums findet sich begegnen können. in den fünf Büchern Moses, Tora genannt. Tora, im Neuen Testament Ein weiteres Hauptgebot vermittelt 3. meist fälschlich mit «Gesetz» Mose 19, 34: «Wie ein Einheimischer wiedergegeben, heisst «Weisung»; sie unter euch soll euch der Ausländer enthält die Gebrauchsanweisung für gelten, der bei euch wohnt; erweise ihm unser Leben. Gott hat sie gegeben, damit Liebe als deinesgleichen (meist ungenau wir leben können (3. Mose 18, 5; Ez. 20, übersetzt: Du sollst ihn lieben wie dich 11); wohlverstanden: leben, nicht bloss selbst).» Ein Rabbi lehrte: «Wenn du vegetieren ... behauptest, Gott zu lieben, jedoch Man kann oft hören, das Judentum sei deinem Nächsten lieblos begegnest, so eine Gesetzesreligion. Tatsächlich enthält lügst du.» die Tora 613 Vorschriften; aber welcher Das Judentum erkennt die Welt als Werk Staat kommt mit weniger aus? Allein das des Ewigen, des Vaters aller Menschen. Schweizerische Zivilgesetzbuch samt Das einzige, ewige, rein geistige, also Obligationenrecht enthält mehr als 2000 gestaltlose Wesen regiert gerecht und Artikel! Vielleicht wird eingewendet, die liebevoll. Es hat Israel zu seinem Volk Gesetze des Bundes, der Kantone hätten bestimmt - missverständlich nichts mit Religion zu tun. - Eben: das «auserwählt» - dass es ihm diene: durch Judentum kennt keine Trennung in Heiligung des Lebens, durch richtiges «religiös» und «profan»; das Leben bildet Verhalten soll Israel den Ewigen eine Einheit. Religion kann nur im bezeugen, soll Vorbild sein. Das Alltag, im Familienleben, in Beruf und «auserwählte» Volk ist keineswegs Politik verwirklicht werden. besser als die ändern Völker,

55 wohl aber zu einem schweren Dienst ver- Echte Freude, reines Glück ist etwas pflichtet, gleichsam als Gehilfe Gottes. Geistiges. Der Jude soll die Abhängigkeit Die Bibel zeigt den Weg aus der Knecht- von Materiellem überwinden und sich schaft in die Freiheit, aus der Enge der geistig entwickeln - Geist, nicht Intellekt! materiellen Welt in die Welt des Solches Streben, solche Hinwendung geistigen Lebens und damit zum innern, zum Unvergänglichen, zum Ewigen, unzerstörbaren Glück, das unabhängig ist bezeichnen wir als Heiligung des Lebens. von körperlichem Leiden und seelischem Diesem Ziele dienen auch die Schmerz. Das ist kein Widerspruch: Speisegesetze, nicht zuletzt weil sie Ver- unzählige Menschen empfanden trotz zicht erfordern. Erlaubt ist nur das entsetzlicher Qualen inneres Glück in Fleisch bestimmter Tiere, die ihrer Treue zu Gott. Viktor E. Frankl, der «geschächtet», das heisst nach besondern aus dem Konzentrationslager befreite Vorschriften geschlachtet sein müssen. jüdische Psychologe, schrieb in seinem Jeder Blutgenuss ist streng verboten. Buche «... trotzdem Ja zum Leben Auch gerechtes Handeln gibt dem Leben sagen», auch das Leiden gehöre zum Sinn. Gerecht sein heisst, sich um Bedürf- Leben und habe seinen Sinn. «Not und tige, um Leidende kümmern, sich ihrer Tod machen das menschliche Dasein erst annehmen. Das erfordert Arbeit. Arbeit zu einem Ganzen.» Hauptpunkt im geniesst im Judentum hohes Ansehen, ist Verhältnis Israels zu seinem Schöpfer ist aber nie Selbstzweck. Die Natur sollen der Bund. Gott schloss mit Noah und wir nicht ausbeuten, sondern verwalten. seinen Nachkommen - das sind alle Die Erde ist zu bebauen, zu pflegen und Menschen - einen Bund (1. Mose 9, 8- zu bewahren im Interesse aller Menschen. 17). Einen besondern Vertrag schloss er Der Prophet ruft fragend: «Haben wir zusätzlich mit Abraham, Isaak, Jakob und nicht alle einen Vater? Hat nicht ein Gott ihren Nachkommen: sie sollen ihm als uns erschaffen? Warum handeln wir denn seine «Mitarbeiter» dienen, zum Wohle treulos aneinander?» (Mal. 2, 10). der Menschheit, und dadurch gesegnet Wohl trägt der Mensch das Gute und das sein. Vom Juden fordert Religion ein Böse, die Fähigkeit zum Aufbau wie auch Tun, nicht bloss ein Denken oder Fühlen. zum Zerstören, in sich. Das Böse lässt Gott ist ernst zu nehmen (früher sagte sich jedoch überwinden: «Vor der Türe man «Gott fürchten»); wir sollen ihm lauert die Sünde, nach dir ist ihr Begehr; vertrauen und seinen Auftrag erfüllen. doch kannst du über sie herrschen» (1. Vertrauen ist eine Angelegenheit des Mose 4, 7). Also Willensfreiheit? Wohl Herzens. «Vor allem behüte wachsam wirken Erbanlagen und Umwelt auf uns dein Herz; von ihm geht aus das wahre ein, jedoch auch das Gewissen. Wir sind Leben» (Spr. 4, 23). Das Judentum frei, auf diese innere Stimme zu hören; verlangt sittlich-moralische Lebensführ- wir entscheiden, ob wir uns «von oben» ung, Heiligung der Ehe und des leiten lassen wollen oder nicht; frei, ob Familienlebens, Förderung des Gemein- wir uns von Trieben und Begierden wohls, auch jenes des Gastlandes; dessen bestimmen lassen wollen oder vom Gesetze sind strikte zu befolgen. Der Willen unseres Schöpfers, unseres Sinn des Lebens liegt gemäss der Bibel in «Vaters», unseres «obersten Chefs». der Freude, im glücklich sein. Wohlver- Weder Synagogenbesuch noch Beten und standen: Freude, nicht Lust! Dass du und Bibelstudium oder bestimmte Riten und alle deine Nächsten sich freuen, ist bibli- Bräuche machen das jüdische Leben aus, sches Gebot (5. Mose 16, 11-15; 26, 11). sondern das Verhalten zu den Menschen. Freude erlangt, wer zum Glück anderer Treffend fasst es ein Prophet zusammen: beiträgt und alles unterlässt, was Leiden «Es ist dir bringt.

56 gesagt, Mensch, was gut ist, was der - und geduldig leiden, die gleichen der Ewige von dir fordert: auf Recht halten, Sonne in ihrer Kraft. Liebe und Güte üben, und ein - Ein Heide, der sich mit der Tora bescheidenes Leben führen vor deinem beschäftigt, ist gleich zu achten wie Gott» (Micha 6, 8). der Hohepriester. Judentum ist nicht ein «Glauben», - Auf dreierlei beruht die Welt: auf sondern eine Lebensweise. Die Wahrheit, auf Gerechtigkeit und hebräische Sprache kennt keinen Frieden. Ausdruck für «glauben». Juden - Rabbi Elieser sagte: Halte die Ehre «glauben» nicht an Gott, sondern ver- deines Nächsten so hoch wie deine trauen Gott, weil sie seiner gewiss sind, eigene, bezähme Zorn und Wut, und Ge-wissheit aufgrund von Erfahrung. kehre um einen Tag vor deinem Gewiss-heit, hebräisch EMUNAH, Tode. bedeutet auch Treue, weil Treue aus - Hillel sagte: Schliesse dich nicht von innerer Gewissheit kommt, die mehr ist der Gemeinde aus; traue dir selber als blosses glauben im Sinne von «für nicht bis zu deinem Todestag, und wahr halten». (Verwandt mit EMUNAH urteile über deinen Nächsten nicht, ist AMEN, das eben diese Treue und bevor du selber in seine Lage Gewissheit meint.) gekommen bist. Im 2. Jahrhundert v. d. Z. drang der - Sage nie: «Ich werde lernen, sobald Hellenismus ins Judentum ein und damit ich Zeit habe»; vielleicht hast du nie das griechische Denken, die Philosophie, Zeit. die Logik, der Sachverstand. Nun Im Mittelalter entstehen mystische verdrängte der reine Intellekt die innere Bewegungen, aus denen die Kabbala Stimme, die Sprache des Herzens, und (Überlieferung) hervorgeht. Sie lehrt, damit vielfach das Wirken des göttlichen dass die physische Welt nicht die einzige Geistes im Menschen. Ist es nicht die ist. - Naturwissenschaft in Ehren; Tragik unserer Zeit, dass man nicht mehr solange wir jedoch nur das Mess- und unterscheidet zwischen Intellekt und Wägbare als Wirklichkeit anerkennen, Geist? Krankt an diesem Umstand nicht irren wir, sind wir einseitig. Wohin das ein grosser Teil der Menschheit? - Das führt, zeigen uns die heutigen Zustände. «Reden zu Gott» wurde verdrängt durch Im 18. Jahrhundert entsteht unter den das «Reden über Gott». Damit ging auch Juden Osteuropas der Chassidismus. Er das Hören auf Gott bei vielen verloren. lehrt, das Wissen allein nicht Nach der ersten und besonders nach der Frömmigkeit ist. Gott finden wir nicht zweiten Zerstörung des Tempels zu mit dem Verstand, sondern mit dem Jerusalem gründeten die Weisen überall, Herzen. Man soll Gott freudig dienen, auch im Exil, Lehrhäuser. Das Lehrgut selbst mit Lachen, Singen und Tanzen, bestand aus der Bibel (die jüdische Bibel zu Hause und in der Natur. entspricht dem sogenannten Alten Das Judentum umfasst dreierlei: Gott, Testament) und aus der umfangreichen Volk und Land. Diese drei sind so mündlichen Überlieferung, die man miteinander verbunden, dass ohne Gott Talmud nennt. Hier einige Kernsätze weder das jüdische Volk noch sein Land daraus: bestehen kann. Das kommt besonders in - Drei Gaben hat Gott für Israel den Worten von Dr. Matitjahu Adler bestimmt, aber alle nur durch Leiden: zum Ausdruck, der 1980 als Botschafter Die Tora, das Land Israel, und die des Staates Israel dem Bundesrat sein zukünftige Welt. Beglaubigungsschreiben überbrachte und - Ob einer mehr tut oder weniger - wenn sich auch zu den Mitgliedern der er nur sein Herz zum Himmel richtet. Jüdischen Gemeinde Bern zählte. Nach - Die verspottet werden und nicht seinem Kontakt zur Gemeinde gefragt, spotten, die beschimpft werden und meinte er, der als orthodoxer Jude am nicht erwidern, liebevoll sind

57 Sabbat kein Fahrzeug benützt: «Ich begangen. Das Pessachfest im Frühjahr nehme am Gemeindeleben teil, wenn ich erinnert an den Auszug aus der hier bin. Das einzige Problem liegt darin, ägyptischen Sklaverei. Während sieben dass ich am Sabbat eine Stunde gehen Tagen darf nichts Gesäuertes gegessen muss, um in die Synagoge zu gelangen, werden. Das Brot wird durch die flachen, weil ich ziemlich weit entfernt wohne. nur aus Mehl und Wasser gebackenen Aber wenn man Jude sein will, muss man Mazzot ersetzt. In der sogenannten halt auch bringen», das heisst Sedernacht erzählt der Hausvater die Er- etwas auf sich nehmen. Das Judentum ist rettung Israels durch Gott. An der so wenig einheitlich wie das Christentum. sinnbildreichen Feier singt man Lob- und Man unterscheidet heute zwischen der Dankpsalmen und schliesst von jeher mit Orthodoxie, dem Reformjudentum, den dem Ausruf: «Im kommenden Jahr in Konservativen und dem liberalen Jerusalem!». Früher der Wunsch Judentum, wobei die Bezeichnungen heimatloser Menschen, zeugt er heute von bzw. die Bedeutungen und Ansichten von der Verbindung der Juden zu ihrem Land zu Land schwanken. Als jüdisch geistigen Zentrum, eine Verbindung, die kann jede Gruppe gelten, die dreierlei nie unterbrochen worden ist. Sieben hegt: Liebe zu Gott, Liebe zu den Wochen nach Pessach erinnert Scha-wuot Mitmenschen und Liebe zur Lehre. an die Offenbarung am Sinai (Pessach Der Weg des Juden durch das Jahr und und Schawuot erhielten im Christentum durch das Leben bestimmt vor allem der als Ostern und Pfingsten andere Sabbat, das Herz des Judentums. Die Ar- Bedeutungen). Am ersten Tag des beitsruhe hebt alle Rang- und Herbstmonats beginnt die zehntägige Standesunterschiede auf. Im Hinblick auf Busszeit. Mit dem Schofar, dem den Schöpfer gelangt der Jude zu Widderhorn, bläst man - wie vor Jahr- richtigen Wertmassstäben, zu einem tausenden - Alarm, um die Menschen zur beglückenden Lebensgefühl. Der Sabbat Umkehr aufzurütteln. Der Tag heisst führt den jüdischen Menschen zu sich Rösch Haschana (Neujahr). Am zehnten selbst zurück, führt Familie und Ge- Tag, dem Jom Kippur (Versöhnungstag), meinde zusammen. Wer den Sabbat hält, enthält sich der jüdische Mensch 26 wird durch die Hinwendung zum Ewigen Stunden lang von Speis und Trank, um ein anderer Mensch. - Am Freitagabend, sich in der versammelten Gemeinschaft vor Sabbateingang, entzündet die jüdische dem Gebet, der Busse, wenn man so will Frau zwei Kerzen und spricht den Segen. der Meditation hinzugeben. Gott vergibt Kommt der Gatte vom Gottesdienst nach jedoch nur die gegen ihn begangenen Hause, segnet er die Kinder und spricht Sünden, nicht aber Verfehlungen gegen alsdann den Segen über Wein und Brot. Mitmenschen, wenn diese nicht vorher Auch Jesus tat dies; hier liegt der bei den Betreffenden wiedergutgemacht Ursprung der Eucharistie, des christlichen worden sind. Der Tag wirkt auf jeden, der Abendmahls. Am Sabbat-vormittag folgt ihn sinngemäss begeht, befreiend. Seit der in manchen Synagogen ausser den Zeit des Tempels hat die jüdische Ge- Gebeten die Schriftlesung, die zuvor auf meinschaft in der Gnade der Vergebung, deutsch erläutert worden ist. in der sittlichen Erneuerung, stets ein Seit Jahrtausenden begehen die Juden ihre beseligendes Gut gesehen und den Tag Feiertage gemäss Lev. (3. Mose) 23 und bei allem Ernst in freudiger Stimmung Deut. (5. Mose) 16, abgesehen vom gefeiert. damaligen Opferdienst. Ursprünglich Erntedankfeste, wurden sie schon in Fünf Tage später beginnt Sukkot, das biblischer Zeit zur Erinnerung an achttägige Laubhüttenfest. Reich an segensreiche Begebenheiten Symbolen, erinnert es an den Schutz, den der Ewige seinem Volke gewährt.

58 Zur Zeit des kürzesten Tages erinnert Eine Vorrangstellung nimmt der 145. Cha-nukka, das achttägige Lichtweihefest Psalm ein mit den Kernsätzen: an die Neuweihe des Tempels nach dem Wohlwollend, gnadenvoll und Sieg der Makkabäer über die griechisch- erbarmend ist der Ewige, geduldig und syrischen Eroberer im Jahre 165 v. Am von grosser Liebe. Gott ist gütig gegen Abend des 25. Kislev (im Dezember) alle. Der Ewige stützt die Fallenden und wird ein Licht entzündet, dann an jedem richtet auf alle Gebeugten. -Gerecht ist weitern Abend eines mehr, bis am letzten Gott in allen Wegen und liebevoll in all Abend acht Lichter brennen. Wie auf seinem Tun. Nahe ist Gott allen, die ihn dem Leuchter soll sich auch das Licht in rufen in Wahrhaftigkeit. Im täglichen unsern Herzen ständig mehren. (Dem Hauptgebet heisst es, ins Deutsche Weihefest des 25. gaben die Christen den übertragen: Sinn von Weihnachten.) Segne, unser Vater, uns allesamt im Noch ein Wort zum Beten. Der Lichte Deines Angesichts, denn in ihm hebräische Ausdruck bedeutet nicht gabst Du uns die Lehre des Lebens, die bitten, sondern «sich prüfen, sich Liebe zum Guten, zum Wohltun, zum richten». Der Betende richtet sich auf Segen und Erbarmen, zum Leben und Gott aus, daheim und in der Synagoge, Frieden. Der einzelne betet für sich: die kein Priestertum kennt. Einige Stellen Mein Gott, bewahre meine Zunge vor aus der Liturgie mögen zeigen, wie der Bösem und meine Lippen vor Jude betet (sofern er es noch tut . . .). trügerischen Reden. Gegenüber jenen, die mich beschimpfen, lass meine Seele schweigen. Öffne mein Herz durch Deine Lehre; und Deiner Weisung folge eilig Einige Sätze aus dem Gebet, mit meine Seele. dem in der Synagoge jeder Der jüdische Knabe wird am 8. Tage Gottesdienst geschlossen wird: nach der Geburt beschnitten; dies ist das «... unsere Hoffnung ist auf Dich alte Bundeszeichen (1. Mose 17, 9-12). gerichtet, Ewiger, unser Gott, bald Seit dem Mittelalter werden Mädchen die Herrlichkeit Deiner Macht zu mit 12 Jahren religiös volljährig, Knaben schauen, dass alle Übel von der mit 13 Jahren (Bar mizwa, Sohn der Erde schwinden und alles Pflicht). Von nun an sind sie für ihr Tun Abgöttische ausgemerzt werde; selber verantwortlich. dass die Welt durch das Reich des Die Ehe wird vor Gott geschlossen. In Allmächtigen vollkommen werde; einer Urkunde verspricht der Gatte, seine dass alle Übeltäter der Erde sich Frau zu ehren, für sie zu arbeiten und sie Dir zuwenden. Möchten doch alle mit allem zu versehen, was zu ihrem Wohlergehen nottut. - Ehescheidung ist Bewohner des Erdkreises erkennen zwar möglich, galt aber von jeher als und einsehen, dass sich jeder Dir zu Katastrophe; das jüdische Ehe- und unterwerfen hat und dass sie alle Familienleben soll vollkommen sein. Als die Verpflichtung Deines Reiches überaus wichtig gilt die Erziehung und übernehmen, damit Du sie regierst, Heranbildung der Kinder zu sittlich bald für alle Ewigkeit. Denn Dein handelnden Menschen. ist das Reich, und ewig wirst in Der Tod ist für den Juden kein Problem; Herrlichkeit Du herrschen, wie es Gott sagt uns nichts darüber, wohl aber, heisst in Deiner Lehre: . physische Tod ist schrecklich, sondern An jenem Tage wird der Ewige der geistige. - Alle Juden werden auf einzig sein und sein Name einzig.» gleich schlichte Weise beigesetzt, ihre Gräber niemals aufge- 59

hoben. In Israel und Cisjordanien finden zur Einheit, zur Ganzheit, zum sich jahrtausendealte jüdische Gräber. Im SCHALOM gelangen. - An uns ist es, jüdischen Volk, einer Gemeinschaft über mitzuhelfen, dass die messianische Zeit Raum und Zeit hinweg, ist jeder für den des allgemeinen Friedens näherrückt. ändern verantwortlich. Ganz Israel steht Unsere Betrachtung sei geschlossen mit vor Gott wie ein einziges, unsterbliches den letzten Worten des Gebetes, das an Wesen. Judentum kann nicht für sich jedem Sabbat in der Berner Synagoge allein gelebt werden; es fordert die vom Rabbiner vorgetragen wird: «... Gib, lebendige Gemeinschaft in Haus und o himmlischer Vater, dass Dein Reich, Synagoge, in Beruf und öffentlichem das Reich der Wahrheit und des Friedens, Leben. sich ausbreite, und lass die Tage nahen, Früher oder später wird sich das Prophe- da Du erkannt sein wirst als Herr über die tenwort erfüllen: Die Menschheit muss ganze Erde.»

Zeittafel

1191 Gründung der Stadt Bern. 1259 1405 Zwei grosse Stadtbrände. Um Erste urkundliche Erwähnung diese Zeit erneute Vertreibung der von Juden im Stadtgebiet Bern. Juden. 1293 Jahrzahl auf Grabstein vom 1408 Die Berner Behörden ermuntern Friedhof der ersten jüdischen die Juden, wieder nach Bern zu Gemeinde Berns (Fragment im kommen. Weitgehende Rechte, Historischen Museum). Religionsfreiheit gewährleistet. 1294 Judenverfolgung wegen 1425 Papst Martin gestattet allen angeblichen Ritualmords. Schwere Christen, Geld gegen Zinsen Bussen, dann Vertreibung. auszuleihen. 1305 Biel nimmt Juden auf, die Bern 1427 Die Aufhebung des kanonischen vertrieben hat. Zinsverbotes und die Hetze des 1323 Verkauf des Judenfriedhofs an die Chronisten Justinger führen zur Inselschwestern für den «ewigen» Verbannung der Juden Klosterneubau, aus dem später das aus dem gesamten Staatsgebiet. Inselspital hervorgeht. Einzig jüdische Ärzte ruft man (Judengasse, dann Inselgasse, immer wieder nach Bern. heute Kochergasse.). 1440 Biel nimmt einen Juden als Bürger 1349 Pestepidemie. Im ganzen an. Abendland, auch in Bern, 16./17. Jahrhundert: Auswärtige jüdische beschuldigt man die Juden der Händler dürfen gegen hohe Brunnenvergiftung. Folter, Abgaben das Land betreten, Flammentod oder Vertreibung. unterliegen jedoch strengen 1370 Bern nimmt Juden wieder auf, Sonderbestimmungen. darunter auch Ärzte. 1723 Judenfreundliches 1384 Bern hebt das Zinsverbot für Regierungsmandat. Christen von sich aus auf. 1770 Im Gebiet von Biel ist Juden 1391 Aufnahme von Juden ins jeglicher Handel verboten. Burgerrecht. 1787 Schultheiss und Rat untersagen 1392 König Wenzel privilegiert die Juden den Aufenthalt im Stadt Bern in bezug auf die bernischen Staatsgebiet. Judensteuern. 1798 Der Untergang der alten Eidgenossenschaft sollte unter dem Einfluss des re- 60

volutionären Frankreichs den 1883 Einweihung der Bieler Synagoge. Juden aufgrund der Menschen- 1899 Der junge Chaim Weizmann, rechte die Gleichberechtigung nachmaliger erster Staatspräsident bringen. In der Helvetik anerkennt von Israel, bespricht in Bern mit man sie jedoch nur als eine Jakob Dreifuss, Abteilungsleiter politische Korporation und im Eidgenössischen Politischen schliesst sie vom Bürgerrecht aus. Departement, Probleme des 1803-1813: Mediationszeit. Aufgrund Judentums und des Zionismus; der Staatsverträge zwischen später weilt er auch in Biel. Frankreich und der Schweiz 1906 Einweihung der neuen Berner können sich elsässi-sche Juden in Synagoge an der Kapellenstrasse. Bern ansiedeln, doch verwehrt 1900-1914: Juden aus Osteuropa, vor man ihnen vorerst ein Bethaus und allem aus dem sie verfolgenden einen Friedhof. Russland, emigrieren nach Bern, 1812 Synagoge in einem Miethaus an wo sie studieren bzw. eine der Zeughausgasse, später an der Existenz aufbauen. Sie gründen Aarbergergasse. eigene Vereinigungen und Wohl- 1836 Die zwei Jahre zuvor gegründete fahrtsinstitutionen. Universität Bern beruft einen 1929 Einweihung der neuen jüdischen Gelehrten, Prof. Abdankungshalle auf dem Valentin. jüdischen Friedhof Schermen. 1839 Biel gestattet Juden die 1935 Berner Prozess gegen die Niederlassung. Verbreitung der als Plagiat und 1846 Die neue bernische Fälschung entlarvten Staatsverfassung gewährt den judenhetzerischen Schrift «Die Juden die Niederlas-sungs- und Protokolle der Weisen von Zion». Gewerbefreiheit, jedoch nur sofern Weltweites Aufsehen. die Staaten ihrer Herkunft 1938-1945: Ständiges Anwachsen des bernischen Bürgern das gleiche Emigrantenstroms aus dem Recht einräumen. nationalsozialistischen 1848 Die erste Bundesverfassung Deutschland und den von ihm gewährt die Grundrechte nur unterworfenen Gebieten. Kampf Schweizer Bürgern christlicher gegen die Aus- und Rückweisung Konfession. der vom Tode bedrohten jüdischen 1848 Elsässische Juden in Bern gründen Flüchtlinge. die heutige jüdische Gemeinde 1941 Eindrucksvoller Gottesdienst unter dem Namen «Corporation anlässlich der Feiern «750 Jahre der Israeliten in Bern». Bern» und «650 Jahre 1856 Einweihung der Synagoge an der Eidgenossenschaft». Anatomiegasse (heute 1948 Die jüdischen Gemeinden von Genfergasse). Der Regierungsrat Bern und Biel feiern ihr überreicht der jüdischen Gemeinde hundertjähriges Bestehen. einen silbernen Pokal. 1971 Einweihung des Gemeindehauses 1866Die Revision der neben der Synagoge. Bundesverfassung stellt die Juden - 1979 Abänderung von Artikel 84 der abgesehen vom Recht auf Staatsverfassung des Kantons Kultusfreiheit - allen ändern Bern: Ausser den Landeskirchen Schweizern gleich. können durch Gesetz weitere 1867 Die jüdische Gemeinde konstituiert Religionsgemeinschaften sich neu als «Cultusverein der öffentlich-rechtlich anerkannt Israeliten in Bern». werden. 1871 Einweihung des jüdischen 1983 Ausstellung «Juden in der Friedhofs Schermen an der Schweiz» im Kornhaus Bern. Papiermühlestrasse. 1874 Revision der Bundesverfassung: Recht auf Kultus-Ausübung für alle. 61

Präsidenten und religiöse Betreuer der jüdischen Gemeinden Bern und Biel

Bern Präsidenten Religiöse Betreuer 1848-1854 Emanuel Bloch B. 1848-1874 Rabbinat Hegenheim 1854-1867 Bamberger Nathan 1874-1880 Rabbiner Dr. A. Goldstein 1867-1874 Bloch Emanuel 1880-1914 Kantor S. Bloch 1874-1879 Bernheim Anatole 1914-1940 Prediger Josef Messinger 1880-1884 Blum Joseph Weil 1940-1963 Rabbiner Dr. Eugen J. Messinger 1885-1890 Bernhard Bär Jules 1963-1965 Raw Zwi H. Engelmayer (interimistisch) 1891-1894 Schwob Achille 1965-1979 Rabbiner Dr. Roland Gradwohl 1894-1895 Boneff Bernhard Bär seit 1979 Rabbiner Marcel R. Marcus 1895-1897 Henri Boneff Isidor 1897-1907 Bloch Dr. Georges Bern: Anzahl der Juden 1907-1930 Brunschvig Emil Jahr Stadt Kanton (ohne heutigen Kanton Jura) 1930-1939 Raas Dr. Rene Weil 1941 814 1336 1940-1948 Dr. Rolf Bloch 1950 792 1321 1948-1968 1960 66.8 1192 1968-1975 1970 561 1134 seit 1975 1980 403 886

Biel Präsidenten 1858-1885 Marc Goschler Religiöse Betreuer 1885-1905 Samuel Levy 1854-1860 David Segal Levy 1905-1918 Israel Dreyfuss 18..-1881 Rabbiner H. Nordmann 1918-1929 Naphtali Schmoll 1881-1916 Benzion Taube 1929-1946 Charles Picard 1916-1945 Rabbiner Dr. Chaim Lauer 1946-1953 Jules Hecker 1949-1970 Rabbiner Dr. Aron Silberstein 1953-1969 Gabriel Picard 1971-1981 Rabbiner Dr. Benyamin Z. Barslai 1970-1976 David Epelbaum seit 1982 Rabbiner Aharon Daum seit 1976 Josef Gefter

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Literatur

Hermann Böschenstein: Vor unsern Augen. Aufzeichnungen über das Jahrzehnt 1935-1945. Bern 1978. Vital Epelbaum: 125 Jahre Israelitische Gemeinde Biel. Biel 1973. Richard Feller: Geschichte Berns. Bern 1946; 4. Aufl. 1974. C. A. Loosli: Die schlimmen Juden! Bern 1927. Eugen Messinger: Festschrift zur Jahrhundertfeier der Israelitischen Kultusgemeinde Bern. Bern 1948. Josef Messinger: Geschichte der Israeliten in der Stadt Bern. Im Historisch-biographischen Lexikon der Schweiz, Bd. 2, Neuenburg 1924. Emil Raas/Georges Vernichtung einer Fälschung. Brunschvig: Der Prozess um die erfundenen «Weisen von Zion». Zürich 1938. Augusta Steinberg: Studien zur Geschichte der Juden in der Schweiz während des Mittelalters. Zürich 1903. Yvonne Thurnheer: Die Stadtärzte und ihr Amt im alten Bern. Bern 1944. Gustav Tobler: Zur Geschichte der Juden im alten Bern bis 1427. Separatdruck aus AHVB, Bd. 12, Bern 1889. Bern und die Juden. Im Berner Taschenbuch 1893/94. Augusta Weidler-Steinberg: Geschichte der Juden in der Schweiz. 1. Bd., Zürich 1966; 2. Bd., Zürich 1970.

Quellenausgaben: Fontes Rerum Bernensium. Berns Geschichtsquellen. Bern 1883-1908. Die Rechtsquellen des Kantons Bern. Hrsg. F. E. Welti und Hermann Rennefahrt. Aarau 1902-1945. Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1375-1384; 1430-1452. Hrsg. F. E. Welti. Bern 1896-1904.

Archivalien und handschriftliche Quellen: - Bundesarchiv - Staatsarchiv des Kantons Bern - Stadtarchiv Bern - Burgerbibliothek Bern - Jüdische Gemeinde Bern

Allen Helfern in Archiven, Kanzleien und Bibliotheken sei für ihr Entgegenkommen der herzlichste Dank ausgesprochen.

63 Register

Allianzvertrag 19 f. Gnägi, Rudolf 47 Palästina 5, 28, 42, 51 f. Antisemitismus 30, 36, Gottesdienst 14, 23 f., Pogrome 38 40f., 43, 45 28,47, 52 f. Arabische Staaten 44, 51 ff. Grosser Rat 27, 49 f. Rechtsgleichheit 18 Ärzte, jüdische 12, 15 Regierungsrat 21 ff., 25 Assimilation 31, 33, 38 Hebräer 19, 21 f., 23 Religionsschule 24, 28, 38, Ausweisungen 8 ff., 15 f. Helvetik 19 f. 48 Herzl, Theodor 32 Ritualmord-Legende 8 f. Biel 10, 15, 18, 22, 24, 28f., Russland 32, 37 f., 41, 44 33, 38, 46, 48 ff, 53,62 Israel, Staat 46, 50 ff. Böschenstein, Hermann 46 Israeliten 22 ff, 26 ff, 29, Schächtfrage 29 f. Brunschvig, Georges 42, 31, 50, 53 Schutzbriefe 18 45ff., 51, 54 Schutzgeld 11 Buber, Martin 33 Jerusalem 5, 36, 53 Schweiz. Israelitischer Bundesrat 25, 27 f., 30, 33, Judengeleit 16, 18 Gemeindebund (SIG) 46 Judenstaat 28, 32 34,39,41,44,47 Bundesverfassung 23 f., 26, Jugend 49 Sondersteuer 6, 11, 13, 17 28, 30 Sonderverordnungen 20 Kammerknechte 6, 9 Staatsverfassung 22 f., 49 Christlich-jüdische Synagoge 22, 24 f., 27 f., Arbeitsgemeinschaft 47 Kirchenartikel 49 Kopfsteuer 10 31f., 34 ff., 39, 44 f., 47f., Kurz, Gertrud 52f. Deportation 45, 47 46 Diaspora 5, 29, 52 Tagsatzung, eidg. 16 f., 20 Dunant, Henry 28 Leibzoll 16, 19 Taufe 26 Liebesgebot 43, 48 Einstein, Albert 26 Loosli, C. A. 40, 42 Vennerkammer 16 Emanzipation 19, 31, 33, Verfolgung 8, 10 38, 47, 50 Mediation 20 Emigranten 41, 45 f., 53 Menschenrechte 18 f. Weizmann, Chaim 32 ff., 42 Mischehen 49 Flüchtlinge 16, 44 ff., 48 Müller, Guido 53 Zinsverbot 7f., 11, 14f. Forrer, Ludwig 35 Zionismus 32ff., 38, 42 Friedhof 5, 10,20,25,29, 40, Nächstenliebe 43, 48 Zionistenkongress 32, 42 45, 48 Nazi-Herrschaft 41 ff, 44 Zünfte 6, 18 Niederlassungsfreiheit 6, Geldausleiher 7ff., 21, 23 19 f., 22 f., 26, 28 Gewerbefreiheit 19f., 22 f., 28, 30 Glaubensfreiheit 28 Öffentlich-rechtliche Gleichberechtigung 19 f., Anerkennung 49 f. 22 f., 28, 36 Ostjuden 38 f.

64 Schon im Jahre 1259 lebten Juden in der Stadt Bern. Oft verleumdet, erlitten sie ein hartes Schicksal: Handwerksverbot, Rechtlosigkeit, Verfolgung bis zum Flammentod. Im 15. Jahrhundert trieb Bern die Juden «für ewig» aus dem Lande; doch brauchte man sie immer wieder, namentlich als Ärzte. Die Franzosenherrschaft während der Helvetik verhiess aufgrund der Menschenrechte den Juden Gleichberechtigung; doch erst nach sechs Jahrzehnten war sie verwirklicht.

Der Autor schildert die wechselvolle Geschichte der Juden in Bern bis zur Gegenwart und bereichert die Schrift durch kaum bekannte Dokumente. Der Anhang gibt Antwort auf die Frage: «Judentum - was ist das eigentlich?»

Silberner Pokal, den der Regierungsrat des Kantons Bern anlässlich der Synago- geneinweihung im Jahre 1856 dem «Israelitischen Cultusverein Bern» als Geschenk überreichte.