„Vor Das Schienbein Getreten“
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Sport DRESSURREITEN „Vor das Schienbein getreten“ Weltmeisterin und Olympiasiegerin Nadine Capellmann über die Abhängigkeit des Reiters vom Pferd, ihren Streit mit dem Bundestrainer und den Dopingfall des Wallachs ihrer deutschen Rivalin Ulla Salzgeber SPIEGEL: Frau Capellmann, vergangenen Mittwoch wurde die positive Dopingprobe von Rusty bekannt – dem derzeit vielleicht weltbesten Pferd Ihrer Mannschaftskollegin Ulla Salzgeber. Hat das Dressurreiten ein Dopingproblem? Capellmann: Nein, man kann anhand von Einzelfällen nicht von einem allgemeinen Dopingproblem sprechen. Wenn die Num- mer eins der Weltrangliste unter Verdacht steht, ist das natürlich imagemäßig beson- ders schädlich. SPIEGEL: Nötigt der enge Wettkampfkalen- der zu solchen Maßnahmen des schnellen Fitmachens? Capellmann: Ich kann da nur für mich spre- chen. Ich setze meine Pferde lediglich bei sechs bis acht Turnieren im Jahr ein, auf den Winter-Weltcup verzichte ich ganz. Vielleicht ist das auch der Grund, warum mein Gracioso mit seinen 18 Jahren noch so gut in Schuss ist. SPIEGEL: Weil Ihr Weltmeister Farbenfroh verletzt ist, gab es um Ihr Reservepferd Gracioso im Juni mächtig Wirbel. Die Ver- bandsfunktionäre meinten, es sei zu alt, um beim Aachener Turnier für Deutsch- land zu starten. Da Ulla Salzgeber und Rus- ty für die kommende Europameisterschaft in Hickstead wohl gesperrt sein werden, braucht man Sie und Gracioso nun wie- der. Empfinden Sie Genugtuung? Capellmann: Ein bisschen schon. Bei den Deutschen Meisterschaften am Wochen- ende in Gera wird Gracioso zeigen, dass er topfit ist. Denn alles, was ich will, ist eine Weltmeisterin faire Chance. Wenn man mir die nicht zu- Capellmann gesagt hätte, würde ich in Gera nicht star- (in Jerez) ten. Bei Pferden ist es wie bei Menschen: TOFFI JAQUES Man ist so alt, wie man sich fühlt. Deshalb Ein erfolgreiches Team sollten sportliche Kriterien entscheiden bilden Nadine Capellmann, 37, und und nicht das Geburtsjahr. Trainer Klaus Balkenhol, 63. Im spa- SPIEGEL: Ist es nicht sportlich, wie in Aachen nischen Jerez gewann die Diplom- dem Nachwuchs eine Chance zu geben? kauffrau 2002 die WM-Titel im Einzel Capellmann: Von der Leistung her hätte und mit der Mannschaft. Die Tochter Gracioso in die Mannschaft gehört – also eines erfolgreichen Turnierreiters und war es keine sportliche, sondern eine poli- Industriellen, die mit vier Jahren auf tische Entscheidung. einem Shetland-Pony zu reiten be- SPIEGEL: Sie drohten mit Konsequenzen gann, betreibt in Würselen bei und einer schöpferischen Pause – worauf Aachen als „Zwei-Mann-Betrieb“ Bundestrainer Holger Schmezer kühl rea- einen Stall mit sechs Pferden. Seit gierte: „Wenn sie nicht mehr will, dann soll zwölf Jahren wird sie von Balkenhol sie es uns sagen, damit wir rechtzeitig pla- JAQUES TOFFI JAQUES trainiert. nen können.“ Wird die amtierende Welt- meisterin gemobbt? der spiegel 28/2003 111 Capellmann: Es ist einfach schade, Grundgangarten gefallen, dann weil so viel dranhängt. Man gibt so schaue ich es mir persönlich an. viel für den Sport, und wenn einem SPIEGEL: Wie groß ist die Gefahr, so vor das Schienbein getreten dass Pferd und Reiter auch nach wird, dann tut das weh, keine Fra- Jahren keine Einheit bilden? ge. Der Bundestrainer hat so einige Capellmann: Das gibt es immer wie- Äußerungen gemacht, die nehme der. Das ist wie bei Beziehun- ich persönlich – und ich glaube, gen unter Menschen. Nach sechs dass die auch so gemeint sind. Monaten sollte man aber schon wis- SPIEGEL: Sie werden seit zwölf Jah- sen, ob es passt oder nichts mehr ren von Olympiasieger Klaus Bal- wird. Zu Hause in Würselen ar- kenhol trainiert. Welche Rolle spielt beite ich mit Elvis, einem Sieben- Schmezer überhaupt für Sie? jährigen. Da passt es, der wird Capellmann: Die Mannschaft stellt mal Farbenfrohs Nachfolger, so in der Dressurausschuss auf, das ist zwei Jahren. Der ist wirklich über- ein sechsköpfiges Gremium, dem ragend. der Bundestrainer angehört. An- SPIEGEL: Hilft Ihnen Ihr Trainer sonsten hat er mehr die Funktion Klaus Balkenhol auch bei der Aus- eines Managers als eines Trainers. bildung von Nachwuchspferden? Für Herrn Schmezer ist es vielleicht Capellmann: Ja, natürlich. Ich ken- schwierig, dass er nicht genügend ne niemanden, der fachlich besser Beachtung erfährt. ist. Er ist der Typ Pferdeflüsterer. SPIEGEL: Auffällig ist, dass Schmezer Wir werden nie grob oder hart, wir besser mit Ihren Kolleginnen Ulla setzen immer auf das Miteinander Salzgeber und Heike Kemmer aus- von Reiter und Pferd. Auch bei den kommt. schon ausgebildeten Gracioso und Capellmann: Da besteht eine enge TOFFI JAQUES Farbenfroh – die sind aber auch so Zusammenarbeit, so wie ich sie Capellmann auf Gracioso: „Mit 18 Jahren noch topfit“ sensibel, dass sie mich andernfalls eben mit Klaus Balkenhol pflege … sitzen lassen würden. SPIEGEL: … Schmezers Vorgänger als Bun- Capellmann: Ich kann mich an gutem Nach- SPIEGEL: Über Ihre Zusammenarbeit mit destrainer. Liegt da der Kern des Pro- wuchs genauso erfreuen wie an einem Balkenhol wird geraunt, dass er vor großen blems? Grand-Prix-Pferd – das gehört ja auch zu Wettbewerben sich selbst auf Farbenfroh Capellmann: Das ist in der Tat nicht un- unserem Beruf. Denn die Pferde aus den setzt und ihm den letzten Schliff gibt … problematisch. In der „Welt“ wurde ein- Top Ten der Welt sind unverkäuflich oder Capellmann: … das stand mal in der Zei- mal der Szene-Spruch verbreitet, dass unbezahlbar. Also muss man talentierte tung, ich weiß. Früher hat er ihn zu Hau- Herr Schmezer einen Balkenhol-Komplex Pferde früh erkennen und sie ausbilden. se ab und an mal geritten, und das finde ich habe. Das ist aber auch das Schöne an unserem auch in Ordnung. Aber seit eineinhalb Jah- SPIEGEL: Wieso ist es ausgerechnet im fei- Sport: Man fährt zum Bauern, sucht sich ren hat Klaus überhaupt nicht mehr auf nen Dressurreiten so schwierig, miteinan- Farbenfroh gesessen. der auszukommen? SPIEGEL: Isabell Werth, eine Ihrer Vorgän- Capellmann: Es ist einfach ein harter Kon- gerinnen als Weltmeisterin, hat einmal ge- kurrenzkampf. Wer in Deutschland Spitze klagt: Der Sieg wird immer dem Pferd gut- ist, ist zugleich Weltspitze. Und wenn sich geschrieben. Und wenn es schief läuft, da drei, vier mit dem gleichen Ehrgeiz tum- habe immer ich Mist gebaut. Ist die Welt meln, wird es eng. Aber schauen Sie sich der Dressur so ungerecht? andere Sportarten an, wo die Deutschen Capellmann: Ich finde, dass Pferd und Rei- richtig gut sind – wie Schwimmen oder Eis- ter gemeinsam siegen. Aber wenn es schief schnelllaufen: Da wird auch schon mal vom gelaufen ist, dann sind es wirklich meistens Zickenkrieg berichtet. Reiterfehler. SPIEGEL: Ihrem Paradepferd Farbenfroh SPIEGEL: Angenommen, Sie wären ohne gönnen Sie nach seiner Verletzung auch adäquates Pferd und könnten sich eines den Rest des Sommers Ruhe, Gracioso geht Ihrer deutschen Kollegen aussuchen. Re- demnächst in Pension. Haben Sie schon noir von Ann-Kathrin Linsenhoff, Piccoli- mal den Gedanken durchgespielt, mangels no von Klaus Husenbeth, Bonaparte von Spitzenpferd für längere Zeit nicht mehr in Heike Kemmer oder Rusty. Für welches der Weltelite zu reiten? entscheiden Sie sich? Capellmann: Ich weiß sehr genau, dass die / AUGENKLICK / SAMPICS MATZKE STEFAN Capellmann: Keines von all denen, sondern Zeit mit einem Weltklassepferd nur ein Le- Weltcup-Siegerin Salzgeber mit Rusty ein Nachwuchspferd von Isabell Werth: bensabschnitt ist. Danach kann es immer „Einfach ein harter Konkurrenzkampf“ Satchmo. Ein kleiner, gehfreudiger Han- eine Durststrecke geben. Mental hätte ich noveraner, ein heißer Kämpfer mit ganz damit kein Problem. Viel extremer, als es ein Pferd aus, übt fünf Jahre und kann es tollen Grundqualitäten: Schritt, Trab, Ga- bei mir zuletzt war, kann es kaum werden: schaffen. So wie seinerzeit Nicole Uphoff lopp, Piaffe und Passage, alles überragend. Vor zehn Monaten wurde ich Weltmeister, und Rembrandt. SPIEGEL: Rusty, die Nummer eins seit Jah- und vorige Woche wusste ich noch nicht SPIEGEL: Wenn Sie als Weltmeisterin und ren, wäre nicht Ihr Fall? einmal, ob ich zur Deutschen Meisterschaft Mannschafts-Olympiasiegerin von Sydney Capellmann: Nee, der ist mir zu viel Pferd. fahren soll. beim Bauern erscheinen, erhöht sich der Mein Farbenfroh ist 1,67 Meter, Rusty SPIEGEL: Sie würden mit Nachwuchs- Preis jedoch gleich um den Faktor zehn. ist 1,80 hoch, da sieht man mich ja gar pferden zwei, drei Jahre über die Dörfer Capellmann: Meistens werden mir die Pfer- nicht. Interview: Mathias Schreiber, tingeln? de angeboten, oft per Video. Wenn mir die Alfred Weinzierl 112 der spiegel 28/2003.