AZ · Donnerstag, 24. Dezember 2020 · Nummer 301 LOKALSPORT Seite 27 AB „Olympia – ich habe meinen Traum gelebt“ Vor 20 Jahren gewannen die Aachenerinnen Alexandra Simons-de Ridder und in Sydney Gold im Dressur-Team

VON HELGA RAUE ten-Hardenberg noch einmal antre- ten, beide Reiterinnen sollten sich AACHEN Eine Bratwurst hätte fast auch beim Dressurturnier auf Gut den Lauf der sportlichen Geschichte Kuckum in Würselen-Pley präsen- verändert. Genauer gesagt, der Ge- tieren. ruch der Bratwurst. Der war Far- Unter den strengen Augen von benfroh im Viereck in die Nase ge- Fischer und des damaligen Bun- stiegen. „Und er war nicht mehr zu destrainers ließ bewegen, in die Richtung, aus der Capellmann ihre beiden Füch- der Geruch kam, zu gehen“, er- se in der Kür tanzen, während innert sich Nadine Capellmann – Alexandra Simons-de Ridder eine heute lachend, denn die Geschich- Grand-Prix-Vorführung unter An- te, die sich 2000 bei den Deutschen leitung ihres Trainers und Ehe- Meisterschaften in Balve, der Qua- manns Ton de Ridder zeigte. Beide lifikation für die Olympischen Spie- überzeugten – und noch viel mehr le in Sydney ereignete, hat natürlich beim CHIO Aachen: Simons-de ein Happy-End. Gemeinsam mit ih- Ridder belegte im „Großen Dres- rer Aachener Teamkollegin Alexan- surpreis von Aachen“ Rang zwei, dra Simons-de Ridder sowie Isabell Capellmann Platz drei – auf Far- Werth (Rheinberg) und Ulla Salzge- benfroh, der sich mit dem Sieg im ber gewann Capellmann erstmals in Spécial das Olympiaticket sicherte. ihrer Karriere olympisches Gold. „Gracioso war ein tolles Pferd, aber Der Traum von Olympia – für die Farbenfroh hatte mehr Ausstrah- beiden Aachenerinnen sollte er sich lung und Gangvermögen“, unter- 2000 erfüllen. Doch bevor es nach streicht Capellmann. Sydney ging, hatte das Schicksal ih- Die letzten Hürden auf dem Weg nen Steine in den nach Sydney wa- Weg gelegt. Drei „Ein Einzeltitel – und ren die Quaran- Monate lang hat- den auch noch bei ei- täne, die die Dres- te Alexandra Si- ner WM zu gewinnen, ist surpferde auf den mons-de Rid- Schafhof in Kron- der aufgrund von was ganz Besonderes.“ berg absolvierten, Schmerzen, de- Nadine Capellmann über den Sieg in und der Flug – zu- ren Ursache die Jerez de la Frontera mindest für Cha- Ärzte nicht finden como. „Ich war konnten, kaum reiten können. „Ich der Außenseiter, niemand sein hatte Sydney fast abgehakt, konn- Pferd mit Chacomo zusammen te Chacomo nur bewegen, muss- in den Container verladen“, so Si- te aber bei der DM wenigstens im mons-de Ridder grinsend.Testweise Gold für die deutschen Dressurreiterinnen bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney: Ulla Salzgeber (von links), Nadine Capellmann, Alexandra Simons-de Grand Prix antreten – für drei Prü- hatte sie Chacomo für den Flug zum Ridder und präsentieren stolz ihre Medaillen, Equipechef Anton Fischer (vorne) freut sich mit ihnen. FOTO: IMAGO/WEREK fungen hätte ich keine Kraft gehabt“, Weltcup in Stockholm verladen, und erinnert sich die 57-Jährige. Sie biss noch auf dem Rollfeld hatte er den sagen beide unisono. „Da oben zu golo setzte, so viele Punkte“, spürt Ridder, die weiterhin reitet. „Ich forderte und sie ablenkte. „Das hat die Zähne zusammen und pilotierte Transportcontainer demontiert. stehen, ist ein unglaubliches Gefühl. man Simons-de Ridder auch heu- liebe es immer noch, mich mit den mich wieder aufgerichtet“, so die ihren Braunen auf Platz drei – hin- „Er mochte es nicht, angebunden Wie ein Film laufen die Stationen, te noch an, dass ihr die verpasste Pferden zu beschäftigen.“ Reiterin. Der junge Star war nicht ter Capellmann. zu sein. Als man den Strick löste, die einen dahin geführt haben, vor Chance nahegeht. Mehr noch – es Ganz anders der weitere Wer- einfach, darf sich rühmen, mit Die hatte gleich zwei Eisen im stand er wie ein Lämmchen“, er- einem ab.“ Doch es ist weder ein- fühlt sich wie eine„geklaute“ Aache- degang von Nadine Capellmann: Capellmann, Balkenhol und Mar- Feuer, den erfahrenen Gracioso, läutert die Aachenerin, der Spring- fach, Olympiasiegerin zu werden ner Medaille an, denn auch Capell- EM-Teamgold und -Einzelbronze tin Schaudt gleich drei Olympiasie- mit dem sie bereitsTeam-Welt- und reiter Lars Nieberg beisprang. Sein noch zu sein. Capellmann lacht:„In mann hatte in der Kür das Nachse- 2001 folgte ein Jahr später im spani- ger in den Sand gesetzt zu haben. zwei Mal -Europameisterin gewor- Esprit war im Flieger die Ruhe selbst, der Pressekonferenz saß ich neben hen: Kaum im Viereck fiel Rustys schen Jerez de la Frontera der totale Doch 2006, bei den Weltreiterspie- den war, sowie den noch jungen Far- und Chacomo – unangebunden und Isabell, die locker auf Englisch par- Musik aus – die Ersatz-CD war im Triumph: Nach Team-Gold gewann len in Aachen, war er gereift, holte benfroh, den sie selbst für Olympia unter Aufsicht von Ton de Ridder – lierte. Ich bin zwar cool beim Reiten, Stall und nicht in der vorgeschrie- Farbenfroh auch Einzel-Gold. „Ein Gold mit dem Team, ein Jahr spä- präferierte. Doch nach dem guten neben ihm auf dem Weg nach Syd- beim Reden war ich es – zumindest benen Zeit im Rekorder. Doch Ulla Einzeltitel – und den auch noch bei ter EM-Silber und 2008 in Hongkong Start wurde die DM für sie zum De- ney ebenfalls. damals – noch nicht.“ Salzgeber durfte einer WM zu ge- die zweite olymische Goldmedaille bakel: „Farbenfroh lud sich im Spé- Nach dem Team-Gold ging der nach den ande- „Die Diagnose hat winnen, ist schon für Nadine Capellmann. cial immer mehr auf“, erinnert sich Sieg steht schon fest Kampf um die Einzelmedaillen los – ren Startern noch viel zu lange gedau- was ganz Beson- Nach Elvis verletzungsbedingtem Capellmann, die eine „Explosion“ und der sollte für die Aachenerin- mal von vorne be- deres“, waren Abschied aus dem Sport 2013 war des Youngsters noch verhinderte. Down Under war das alles verges- nen dramatisch werden. Während ginnen – entgegen ert. Er hätte überleben 2002 neben dem Nadine Capellmann mit verschiede- Noch ärger erging es ihr mit Gracio- sen. Schon an Tag eins legten Si- Werth und Capellmann als beste des Reglements. können.“ Aachen-Sieg die nen Pferden, wie Girasol, For Post so. „Da stand eine Kamera am Vier- mons-de Ridder und Werth im Deutsche im Spécial zwei der drei „Das wäre Nadi- Alexanndra Simons-de Ridder über Weltreiterspiele oder Dark Dynamic, auf Grand-Prix- eck, dann kam ein Zuschauer durchs Grand Prix ein üppiges Polster für Kür-Plätze pro Nation belegten, hat- nes Bronzeme- den frühen Tod Chacomos das Highlight in Ebene vertreten, der ganz große in- Unterholz, und wenn Gracioao ein- das deutsche Team an. Selbst zwei ten Simons-de Ridder und Salzgeber daille gewesen“, ihrer Karriere. ternationale Erfolg blieb aber aus. mal Angst hatte, ging nichts mehr.“ dicke Patzer von Rusty und Salz- genau die gleiche Punktzahl nach sagt Simons-de Ridder. So wurde Auch bei ihr schlug das Schicksal „Ich hatte so viele Jahre tolle Erfolgs- Er widersetzte sich, seine Reiterin geber, die Siebte wurden, konnten Grand Prix und Spécial. Für beide Capellmann Vierte beim Sieg von ein Jahr später zu: Farbenfroh hatte pferde, aber in der jüngerenVergan- musste aufgeben. den Sieg vor den Niederlanden nicht gab es Argumente – und der Dres- van Grunsven vor Werth. sich verletzt und musste sich einer genheit hatte ich nicht das richtige Keine leichte Aufgabe für den mehr verhindern. Und so ritt Nadi- surausschuss um Anton Fischer ent- Doch Farbenfroh und Chacomo Routine-OP unterziehen. Beim Auf- Händchen für die richtigem Pferde“, Dressurausschuss um seinen Vor- ne Capellmann schon als Olympia- schied sich für Salzgeber. „Das war waren jung, hatten beide noch eine stehen in der Aufwachbox rutschte gibt die Aachenerin, Mutter einer in- sitzenden, den 2011 verstorbenen siegerin ins Viereck, baute auf dem eine schwere Entscheidung, aber die große Zukunft vor sich – so schien es er aus und brach sich den Ober- zwischen neunjährigenTochter, un- Würselener Anton Fischer. Und der fast übereifrigen Farbenfroh den einzig akzeptable“, war Fischer da- zumindest. Denn 2003, die EM vor schenkelhalsknochen. „Es hat un- umwunden zu. Nach 2020, in dem hatte eine ungewöhnliche Idee. „So Vorsprung aber noch weiter aus. mals selbst „am Boden zerstört“. Augen, merkte Alexandra Simons-de beschreiblich weh getan, als wir mit sie coronabedingt nur ein Turnier eine habe ich auch danach nie wie- Bei allen schönen Gedanken an Das bessere Ergebnis im Spécial Ridder beimTurnier in Nörten-Har- leerem Hänger die Klinik wieder ver- ritt, will sie 2021 durchzustarten. der gehört“, sagt Capellmann grin- Sydney – die ersehnte Goldmedail- hatte den Ausschlag gegeben. „Da- denberg, dass etwas mit Chacomo ließen“, sagt Capellmann. „Ich möchte schöne, internationa- send. Sie musste „zur Strafe“ nicht le steht immer noch im Fokus. „Die bei hatte Ulla nur dank einer Rich- nicht stimmte. Kurz darauf wurde er Doch im Stall stand mit Elvis eine le Turniere reiten. Und dann schau- nur vor dem CHIO Aachen in Nör- Emotionen waren überwältigend“, terin, die sie sogar vorWerth und Gi- am Magenband operiert, doch das neue Hoffnung, die viel Arbeit er- en wir mal, wie es läuft ...“ alleine war es nicht. 1999 hatte Si- mons-de Ridder bei der EM in Arn- heim zum Gold-Team gehört, aber für die Einzelwertung passen müs- sen, da Chacomo auf einmal flach atmete. Im September 2001 wurde die Ursache gefunden – ein Tumor zwischen Luftröhre und Lunge.

Trauriger Abgang

„Die Diagnose hat viel zu lange ge- dauert, er hätte überleben können“, sagt seine Reiterin traurig. Chacomo kehrte nicht mehr insViereck zurück und musste im November 2001 er- löst werden. Mit Calambo und Wel- lington ritt die heute 57-Jährige noch zehn Jahre lang auf interna- tionaler Bühne mit. Dann standen ihreTöchter Jill und Julia imVorder- grund, die beide EM-Gold bei den Junioren gewannen und heute auf Grand-Prix-Niveau reiten. „Meine internationale Karriere war kurz, ich bin ja erst mit 30 Jah- ren erstmals Rheinische Meister- schaften geritten, aber es war eine tolle Zeit“, blickt Simons-de Ridder zurück. 1999 EM-Gold, Platz drei im Weltcup mit der unvergessenen Kür zu„Music was my first love“ und Aachen-Siegerin, 2000 Olympiasie- Grenzenloser Jubel nach dem Ritt: Nadine Capellmann umarmt und lobt Farbenfroh nach dem Gewinn des Weltmeis- gerin: „Ich habe meinen Traum ge- Unvergessen: Chacomo unter Alexandra Simons-de Ridder in Sydney auf dem ter-Titels 2002 in Jerez de la Frontera. FOTO: IMAGO/CAMERA lebt“, sagt Alexandra Simons-de Weg zur Goldmedaille. FOTO: IMAGO/THOMAS ZIMMERMANN