Deutscher 79. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Inhalt:

Nachrufe auf den Abg. Dr. Klaus Dieter Dürr (SPD) 5067 A den Arndt und früheren Abg. Dr. Adolf Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 5071 B Arndt 5001 A Groß (FDP) 5076 C Eintritt der Abg. Frau Grützmann in den Osswald, Ministerpräsident des Lan- Deutschen Bundestag ...... 5001 D des Hessen 5081 A Dr. Maier, Minister des Landes Glückwünsche zu den Geburtstagen der Bayern 5089 C Abg. Mick und Dr. Erhard ...... 5002 A Frau Benedix (CDU/CSU) 5095 C Frau Schuchardt (FDP) 5099 D Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 5002 A Dr. von Dohnanyi, Bundesminister (BMBW) 5102 C Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Wahrung der verfassungsmäßigen Ord- Dr. von Oertzen, Minister des Landes nung der Bundesrepublik Deutschland Niedersachsen 5103 D (Drucksache 7/1481) in Verbindung mit Dr. Müller (München) (CDU/CSU) (Bemerkung nach § 35 GO) . . 5108 D Antrag der Fraktionen der SPD, FDP betr. Gansel (SPD) (Erklärung nach § 36 Grundgesetz für die Bundesrepublik GO) 5108 D Deutschland 1949 bis 1974 (Drucksache 7/1670) Fragestunde (Drucksache 7/1661) Dr. Dregger (CDU/CSU) . . . . . 5002 B Frau Renger, Präsident (zur GO) . . 5010 A, Fragen A 26 und 27 des Abg. Brück 5013 B, C (SPD) : Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) (zur Notwendigkeit der grenzüberschreiten- GO) 5012 D, 5013 C den Regionalpolitik für die Mitglied- Wienand (SPD) (zur GO) . . . 5013 A staaten der Europäischen Gemeinschaft; Äußerungen des französischen Premier- Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . . 5013 D ministers Messmer über die Idee einer Dr. Hirsch (FDP) 5026 B organischen Zusammenarbeit Genscher, Bundesminister (BMI) . 5052 A Grüner Parl. Staatssekretär (BMWi) 5030 D, Dr. Filbinger, Ministerpräsident des 5031 A, B Landes Baden-Württemberg . . . 5058 B Brück (SPD) . . . . . 5030 D, 5031 B II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Frage A 30 des Abg. Engelsberger (CDU/ Frage A 187 des Abg. Dr. Hupka (CDU/ CSU) : CSU) : Lockerung bzw. Aufhebung der Ge- Äußerungen des Bundesministers schwindigkeitsbegrenzungen Schmidt betr. Investitionen in Polen als Ausgleich für die Ausreise deutscher Grüner, Pari. Staatssekretär (BMWi) Arbeitskräfte 5031 C, D, 5032 A, B Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) . 5035 D, Engelsberger (CDU/CSU) . . . . 5031 D 5036 A, B, C Conradi (SPD) 5032 A Dr. Hupka (CDU/CSU) . . 5035 D, 5036 A Brück (SPD) 5032 A Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . . 5036 B Nordlohne (CDU/CSU) . . . . . 5032 B Jäger (Wangen) (CDU/CSU) . . . . 5036 C

Frage A 189 des Abg. Spranger (CDU/ Frage A 179 des Abg. Niegel (CDU/CSU) : CSU) : Witze über den Bundeskanzler und Kontrolle der Sendungen der Deutschen seine Regierung Welle; Verhinderung der Verlesung Freiherr von Wechmar, Staatssekre von Solschenizyns Buch „Der Archipel tär (BPA) . . . . 5032 C, D, 5033 A, B Gulag" Niegel (CDU/CSU) ...... 5032 D Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) . 5036 D, 5037 B, D, 5038 A Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 5033 A Spranger (CDU/CSU) . . . . . 5037 A, B Jäger (Wangen) (CDU/CSU) . . . . 5033 A von Hassel, Vizepräsident . . . . 5037 C Wohlrabe (CDU/CSU) ...... 5033 B Dr. Hupka (CDU/CSU) 5037 C Dr. Sperling (SPD) ...... 5033 B Dr. Sperling (SPD) ...... 5037 D Dr. Czaja (CDU/CSU) 5038 A Frage A 180 des Abg. Lattmann (SPD) : Fragen A 191 und 192 des Abg. Dr. Milt- Transfer der Ersparnisse der in der Re- ner (CDU/CSU) : publik Südafrika tätigen Arbeitnehmer Einreise chilenischer Flüchtlinge in die mit Staatsangehörigkeit der Bundesre- Bundesrepublik Deutschland publik Deutschland Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) . Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) . 5033 C 5038 B, C, D Dr. Miltner (CDU/CSU) . . 5038 B, C, D Fragen A 181 und 182 des Abg. Wohlrabe- (CDU/CSU) : Fragen A 47 und 48 der Abg. Frau Dr. Humanitäre Hilfe der Bundesrepublik Neumeister (CDU/CSU) : Deutschland an Chile Mittel- und langfristige Auswirkungen der Arbeitslosenzahlen auf die Lei- Moersch, Pari. Staatssekretär (AA) . 5033 D, 5034 A, B, C, D stungsfähigkeit der Rentenversiche- rungsträger; Ausgleichszahlungen der Wohlrabe (CDU/CSU) . . . 5034 A, B, C Bundesversicherungsanstalt für Ange- stellte an die Arbeiterrentenversiche- rungsträger Frage A 183 des Abg. Reiser (SPD) : Rohde, Parl. Staatssekretär (BMA) . Import und Export von Lebensmitteln 5039 C, D, 5040 A, B von bzw. nach Äthiopien Frau Dr. Neumeister (CDU/CSU) . . 5039 D, Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) . 5034 D 5040 A Frage A 49 des Abg. Dr. Jahn (Münster) Frage A 186 des Abg. Dr. Hupka (CDU/ (CDU/CSU) : CSU) : Prognose des bisherigen Vorsitzenden Erklärungen der sowjetischen Behörden der Jungsozialisten, Roth, bezüglich der bezüglich des Schicksals von aussied- Arbeitslosenzahlen lungswilligen Volksdeutschen nach Rohde, Parl. Staatssekretär (BMA) . Verlassen der deutschen Botschaft in 5040 B, D, 5041 A, B Moskau Dr. Jahn (Münster) (CDU/CSU) . . . 5040 D, Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) . 5041 A 5035 A, B Carstens (Emstek) (CDU/CSU) . . . 5041 A Dr. Hupka (CDU/CSU) 5035 B, C Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . . . 5041 B Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 III

Frage A 50 des Abg. Schröder (Wilhel- Frage A 68 des Abg. Dr. Köhler (Wolfs- minenhof) (CDU/CSU): burg) (CDU/CSU) : Auswirkungen des Anwerbungsstopps Verwendung der Verkehrsabgaben und für ausländische Arbeitnehmer auf Transitgebühren zur Instandsetzung der Fremdenverkehrsbetriebe an der Nord- Transitstraßen von und nach West- und Ostseeküste sowie auf den Nord- Berlin see-Inseln Herold, Parl. Staatssekretär (BMB) . Rohde, Parl. Staatssekretär (BMA) 5047 B, C, D 5041 C, D, 5042 A Dr. Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU) . 5047 C Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/ Jäger (Wangen) (CDU/CSU) . . . . 5047 C CSU) 5041 D Frage A 71 des Abg. Dr. Wittmann Fragen A 56 des Abg. Dr. Sperling (SPD) : (München) (CDU/CSU) : Tragen von Parteiabzeichen in Bundes- Anstrahlung der Demarkationslinie zur wehrverwaltungen „DDR" Berkhan, Parl. Staatssekretär (BMVg) Herold, Parl. Staatssekretär (BMB) . 5042 B, D 5047 D, 5048 A Dr. Sperling (SPD) 5042 C, D Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) 5047 D, 5048 A Fragen A 57 und 58 des Abg. Dr. Nölling Fragen A 76 und 77 des Abg. Dr. Mei- (SPD) : necke (Hamburg) (SPD) : Leistungen der Sozialhilfe für Empfän- Bedeutung der Parapsychologie ger von Wohngeld; Verminderung des Verwaltungsaufwands Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär (BMFT/BMP) . 5048 B, C, 5049 A, B, C Westphal, Parl. Staatssekretär (BMJFG) 5043 A, B, C, D, Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . . . 5048 C, 5044 A, B 5049 A, B Dr. Nölling (SPD) 5043 B, D Frage A 78 des Abg. Dr. Schweitzer (SPD) : Nordlohne (CDU/CSU) . . . . 5044 A Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Fragen A 60 und 61 des Abg. Freiherr Friedens- und Konfliktforschung Ostman von der Leye (SPD) : Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär Beihilfe des Bundes für die Deutsche (BMFT/BMP) . . . . 5049 C, 5050 A Lebens-Rettungs-Gesellschaft Dr. Schweitzer (SPD) . . 5049 D, 5050 A Westphal, Parl. Staatssekretär (BMJFG) . . . 5044 B, D, 5045 A, B, C Frage A 79 des Abg. Dr. Dübber (SPD) : Freiherr Ostman von der Leye (SPD) Einstellung des Vertriebs von Zeitun- 5044 C, D, 5045 B gen und Zeitschriften aus der DDR Rommerskirchen (CDU/CSU) . . . 5045 B durch die Deutsche Bundespost Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär Frage A 62 des Abg. Dr. Kunz (Weiden) (BMFT/BMP) ...... 5050 B, C (CDU/CSU) : Dr. Dübber (SPD) ...... 5050 B Personal- und Sachaufwand der Ge- meinden, Stadt- und Landkreise für den Frage A 82 des Abg. Dr. Dübber (SPD) : Heizölkostenzuschuß; Verzicht auf die Ablehnung des Kaufs von Briefmarken Einkommensüberprüfung bei Familien mit dem Porträt von Rosa Luxemburg mit drei und mehr Kindern sowie bei Rentnerhaushalten Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär (BMFT/BMP) ...... 5050 C Westphal, Parl. Staatssekretär (BMJFG) . . . . 5045 C, D, 5046 A, B Frage A 107 des Abg. Kahn-Ackermann Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) . . 5045 D, (SPD) : 5046 A Vorbereitung eines Übereinkommens Nordlohne (CDU/CSU) 5046 C über die Fragen der Freizügigkeit von Künstlern in Ausübung ihres Berufs in Frage A 64 des Abg. Wurche (SPD) : allen europäischen Staaten Isolierungen als Voraussetzung für Dr. Bayerl, Parl. Staatssekretär (BMJ) Baugenehmigungen im Wohnungsbau 5051 B, C Dr. Vogel, Bundesminister (BMBau) . 5046 C Kahn-Ackermann (SPD) 5051 C IV Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Frage A 108 des Abg. Dr. Penner (SPD) : 7/1661 — der Abg. Frau Benedix (CDU/ Erhebung einer „Bearbeitungsgebühr" CSU) : Benachteiligung der berufstätig ge- bei Ladendiebstählen wesenen Mütter im Rentenversicherungs- recht; Erreichung der sog. Halbdeckung 5113* C Dr. Bayerl, Parl. Staatssekretär (BMJ) 5051 C Anlage 8 Nächste Sitzung 5109 C Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde (BMA) auf die Fragen A 34 und 35 — Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Sta- Anlagen venhagen (CDU/CSU) : Ungleichbehand- lung von Rentnern und Pensionären be- Anlage 1 züglich der Beteiligung an den Arznei- Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 5111* A kosten; Stellungnahme der Sachverstän- digenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung . . . 5113* D Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner Anlage 9 (BMWi) auf die Frage A 5 — Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Riedl (München) Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde (BMA) auf die Fragen A 36 und 37 — (CDU/CSU) : Investitionstätigkeit der öl- Drucksache 7/1661 — des Abg. Bäuerle exportierenden arabischen Staaten und (SPD) : Anfälligkeit für Sehnenscheiden- ihrer Staatsangehörigen ...... 5111* C entzündungen nach jahrelanger Arbeit an der Schreibmaschine; Aufnahme in Anlage 3 das Berufskrankheitenverzeichnis; nerv Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner liche Belastung der in größeren Schreib (BMWi) auf die Fragen A 6 und 7 büros beschäftigten Angestellten und der Drucksache 7/1661 — des Abg. Picard Schreibkräfte, die während der gesamten (CDU/CSU) : Nachrichten betr. Verwen- Dienstzeit auf Tonband aufgenommene dung von Milliardenbeträgen aus arabi- Diktate übertragen ...... 5114* B schen Ölförderländern für Grundstücks- käufe in deutschen Großstädten; gesetz- Anlage 10 liche Regelung des Grunderwerbs durch Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde Ausländer in der Bundesrepublik Deutsch- (BMA) auf die Fragen A 38 und 39 — land 5112* A Drucksache 7/1661 — des Abg. Jaunich (SPD) : Konsequenzen der Bundesregie- Anlage 4 rung aus der Tatsache, daß mehr als die Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner- Hälfte der Arbeitslosen keine abgeschlos- (BMWi) auf die Frage A 28 — Druck- sene Berufsausbildung besitzt; Einbezie- sache 7/1661 des Abg. Krockert (SPD) : hung von Maßnahmen der Allgemeinbil- Gewährleistung staatlichen Einflusses auf dung in die Fortbildung und Umschu- die Entwicklung des Bedarfs an Energie 5112* C lung der arbeitslosen jugendlichen Hills- arbeiter 5114* D Anlage 5 Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner (BMWi) auf die Frage A 29 — Druck- Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde sache 7/1661 — des Abg. Gansel (SPD) : (BMA) auf die Frage A 40 — Druck- Konsequenzen der Bundesregierung aus sache 7/1661 — des Abg. Grobecker den Praktiken multinationaler Mineral- (SPD) : Pressemeldungen betr. Nichtan- ölkonzerne, mit Hilfe der Erdölkrise zu- wendung des Vermittlungsstopps für aus- sätzliche Gewinne ins Ausland zu ver- ländische Arbeitnehmer auf die deutsche lagern 5112*D Seeschiffahrt 5115* B

Anlage 6 Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde (BMA) auf die Frage A 31 — Drucksache (BMA) auf die Fragen A 41 und 42 — 7/1661 — des Abg. Hansen (SPD) : Einsatz Drucksache 7/1661 — des Abg. Lenzer von Zivildienstleistenden in dem erlern- (CDU/CSU) : Anerkennung als Berufs- ten Beruf 5113* B unfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeits- rentner auf Zeit nach 72 bzw. 78 Wochen dauernder Krankheit; Anerkennung von Anlage 7 Versicherten mit beschränkter Arbeits- Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde fähigkeit als Berufsunfähigkeits- oder Er- (BMA) auf die Frage A 33 — Drucksache werbsunfähigkeitsrentner 5115* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 V

Anlage 13 bzw. Sonderhubschraubern durch Bun- Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde desminister und Staatssekretäre an den (BMA) auf die Fragen A 43 und 44 — Fahrverbotssonntagen ...... 5118* A Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Köh- ler (Duisburg) (CDU/CSU) : Stellung des Anlage 20 Antrags auf Altersrente vor dem Aus- Antwort des Parl. Staatssekretärs West- scheiden aus dem Arbeitsleben; Zahl der phal (BMJFG) auf die Frage A 59 — Antragsteller im Jahre 1973 und Verbes- Drucksache 7/1661 — des Abg. Walkhoff serung der Information hierüber . . . . 5116* A (SPD) : Zurverfügungstellung von Unter- suchungsbefunden zwecks Verwendung Anlage 14 bei späterer ärztlicher Behandlung . . . 5118* A Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde (BMA) auf die Frage A 45 — Drucksache Anlage 21 7/1661 — des Abg. Horstmeister (CDU/ Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. CSU) : Anwendung der neuen Abgabe- Haack (BMBau) auf die Frage A 63 — bedingungen für die Landabgaberente Drucksache 7/1661 — des Abg. Schreiber nach dem einzelbetrieblichen Förderungs- (SPD) : Unabhängigkeit des Mietverhält- programm auf vor dem 1. Januar 1974 nisses bezüglich Werkwohnungen vom vollzogene Tatbestände ...... 5116* C Bestehen des Dienst- oder Arbeitsverhält- nisses ...... 5118* C Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde Anlage 22 (BMA) auf die Frage A 46 — Drucksache Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. 7/1661 — des Abg. Roser CDU/CSU): Ver- Haack (BMBau) auf die Fragen A 65 und hinderung der Einreise von Praktikanten 66 — Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. im Rahmen des Anwerbestopps für aus- Schneider (CDU/CSU) : Zahl der 1974 vor- ländische Arbeitskräfte ...... 5116* D aussichtlich gebauten Sozialwohnungen; Mietbelastung im sozialen Wohnungsbau 5119* A Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde Anlage 23 (BMA) auf die Frage A 51 — Drucksache Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold 7/1661 — des Abg. Walkhoff (SPD): Pres- (BMB) auf die Fragen A 69 und 70 - semeldung über die Einstellung der Zah- Drucksache 7/1661 — des Abg. Baron lung von Verpflegungsgeld an Zivil- von Wrangel (CDU/CSU) : Verletzung der dienstleistende ...... 5113* A Grundsätze der Konvention gegen die Diskriminierung im Bildungswesen durch Anlage 17 die DDR ...... 5119* C

Antwort des Parl. Staatssekretärs Berk- Anlage 24 han (BMVg) auf die Frage A 52 — Druck- sache 7/1661 — des Abg. Dr. Zimmer- Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. mann (CDU/CSU) : Pressemeldungen betr. Hauff (BMFT/BMP) auf die Frage A 75 die Verlängerung der Wehrdienstzeit in Drucksache 7/1661 — des Abg. Baier der Sowjetunion; Konsequenzen bezüg- (CDU/CSU) : Übernahme des Deutschen lich der Sicherheitspolitik der Bundes- Krebsforschungszentrums Heidelberg als regierung ...... 5117 * B Großforschungseinrichtung . . . . . 5120* A

Anlage 25 Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Antwort des Parl. Staatssekretärs Berk- Hauff (BMFT/BMP) auf die Fragen A 80 han (BMVg) auf die Fragen A 53 und und 81 — Drucksache 7/1661 — des Abg. 54 — Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Evers (CDU/CSU) : Zustellung von Würtz (SPD) : Behandlung der Beschwer- Telegrammen in kleineren Orten . . . 5120* B den über die Änderung der Prüfungsord- nung für den 7. Stabsoffizier- und Aus- Anlage 26 wahllehrgang ...... 5117* C Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff (BMFT/BMP) auf die Frage A 83 — Anlage 19 Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Riedl Antwort des Parl. Staatssekretärs Berk- (München) (CDU/CSU) : „Dienst nach han (BMVg) auf die Frage A 55 — Druck- Vorschrift" bei der Deutschen Bundes- sache 7/1661 — des Abg. Niegel (CDU/ post im Zusammenhang mit den Tarifaus- CSU) : Benutzung von Sonderflugzeugen einandersetzungen im öffentlichen Dienst 5120* D VI Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Anlage 27 Anlage 35 Antwort des Bundesministers Genscher Antwort des Bundesministers Genscher (BMI) auf die Frage A 92 — Druck- (BMI) auf die Fragen A 104 und 105 — sache 7/1661 — des Abg. Dr. Bardens Drucksache 7/1661 — der Abg. Frau Eilers (SPD) : Ausströmen von Rohöl bei einem (Bielefeld) (SPD) : Erwerb der deutschen Bruch der Öl-Pipeline bei Dinslaken . . 5120* D Staatsangehörigkeit durch Adoption . . 5123* D

Anlage 28 Anlage 36 Antwort des Bundesministers Genscher (BMI) auf die Frage A 93 — Drucksache Antwort des Staatssekretärs Wittrock 7/1661 — des Abg. Dr. Haenschke (SPD) : (BMV) auf die Frage A 122 — Druck- Pläne zum Bau eines Kernkraftwerks in sache 7/1661 — des Abg. Dr. Kunz (Wei- Luxemburg ...... 5121* B den) (CDU/CSU) : Vorziehung von Stra- ßenbaumaßnahmen mit Rücksicht auf die Anlage 29 überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit im Zonenrandgebiet ...... 5124* A Antwort des Bundesministers Genscher (BMI) auf die Frage A 95 Drucksache 7/1661 — des Abg. Wende (SPD): Berück- Anlage 37 sichtigung der Interessen des Wasser- Antwort des Parl. Staatssekretärs Loge- sports im Wasserhaushaltsrecht . . . . 5121* C mann (BML) auf die Frage A 138 — (Drucksache 7/1661 — des Abg. Kiechle Anlage 30 (CDU/CSU) : Auswirkungen der faktischen Antwort des Bundesministers Genscher Abwertung des französischen Franc auf (BMI) auf die Fragen A 96 und 97 — die deutsche Landwirtschaft 5124* B Drucksache 7/1661 — des Abg. Büchler (Hof) (SPD) : Maßnahmen nach dem Was- Anlage 38 sersicherstellungsgesetz im Zonenrand- gebiet 5121* D Antwort des Parl. Staatssekretärs Loge- mann (BML) auf die Frage A 139 — Anlage 31 Drucksache 7/1661 — des Abg. Kiechle Antwort des Bundesministers Genscher (CDU/CSU) : Auswirkungen des geplanten (BMI) auf die Fragen A 98 und 99 — Gesetzes über die Agrarberichterstattung 5124* C Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Jobst (CDU/CSU) : Zurückverweisung des Vor- Anlage 39 wurfs mangelnder demokratischer Zuver- lässigkeit des Bundesgrenzschutzes . . 5122* B Antwort des Parl. Staatssekretärs Loge- mann (BML) auf die Frage A 140 — Anlage 32 Drucksache 7/1661 — der Abg. Frau von Antwort des Bundesministers Genscher Bothmer (SPD) : Abschluß einer Konven- (BMI) auf die Frage A 100 — Druck- tion über die Anwendung einheitlicher sache 7/1661 — des Abg. Dr. Sperling Grundsätze für den Schutz der Tier- und (SPD) : Regelung der Entnahme von Fluß- Pflanzenwelt 5125* B wasser aus dem Rhein im Interesse des Umweltschutzes 5122* C Anlage 40

Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Loge- mann (BML) auf die Frage A 141 — Antwort des Bundesministers Genscher Drucksache 7/1661 — des Abg. Gansel (BMI) auf die Frage A 101 — Druck- (SPD) : Kosten-Nutzen-Analyse der Pro- sache 7/1661 — des Abg. Dr. Marx (CDU/ gnos AG über Molkereistrukturpolitik CSU) : Aufklärungstätigkeit der Grenzauf- der Bundesregierung ...... 5125* D sichtsorgane an der innerdeutschen Gren- ze über Vorkommnisse auf den Transit- strecken ...... 5123* B Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretärs Loge- Anlage 34 mann (BML) auf die Frage A 142 — Antwort des Bundesministers Genscher Drucksache 7/1661 — des Abg. Eigen (BMI) auf die Fragen A 102 und 103 — (CDU/CSU) : Höhe der den einzelnen Bun- Drucksache 7/1661 — des Abg. Jäger desländern für die Durchführung des (Wangen) (CDU/CSU) : Mißbrauch der Be- Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe wegungsfreiheit der sowjetischen Militär- „Verbesserung der Agrarstruktur und missionen in der Bundesrepublik Deutsch- des Küstenschutzes" 1973 zur Verfügung land durch nächtliche Erkundungsfahrten 5123* B stehenden Bundesmittel ...... 5126* B Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 VII

Anlage 42 Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Eyrich (CDU/CSU) : Überlegungen betr. Einfüh- Antwort des Parl. Staatssekretärs Loge rung eines „Führerscheins auf Zeit" ; dies- mann (BML) auf die Frage A 143 — bezügliche Ansicht der EG-Kommission 5130* A Drucksache 7/1661 — des Abg. Eigen (CDU/CSU) : Grenzausgleich nach der Ab- wertung des französischen Franc gegen- Anlage 50 über der D-Mark; Wettbewerbslage für Antwort des Staatssekretärs Wittrock deutsches Getreide gegenüber dem fran- (BMV) auf die Frage A 155 — Druck- zösischen Getreide 5126* D sache 7/1661 — des Abg. Horstmeier (CDU/CSU) : Pressemeldungen betr. Ab- Anlage 43 baumaßnahmen im Bereich der Straßen Antwort des Parl. Staatssekretärs Loge- neubauämter 5130* C mann (BML) auf die Fragen A 144 und 145 — Drucksache 7/1661 — des Abg. Anlage 51 Stahl (Kempen) (SPD) : Bundeszuschüsse Antwort des Staatssekretärs Wittrock für die Ausgestaltung der deutschen Na- (BMV) auf die Frage A 156 — Druck- turparks 5127* A sache 7/1661 — des Abg. Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) : Lärmprüfbestim- Anlage 44 mungen für Personenkraftwagen mit Antwort des Parl. Staatssekretärs Loge- 5-Gang-Getriebe ...... 5130* D mann (BML) auf die Fragen A 146 und 147 — Drucksache 7/1661 — des Abg. Anlage 52 Susset (CDU/CSU) : Von der EG-Kommis- sion für das Wirtschaftsjahr 1974/75 vor- Antwort des Staatssekretärs Wittrock geschlagene Erhöhung des Richtpreises (BMV) auf die Fragen A 157 und 158 — für Milch 5129* A Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Enders (SPD) : Lärmpegel an der Trasse der geplanten Nord-Süd-Schnellstrecke Anlage 45 der Deutschen Bundesbahn . . . . . 5131 * A Antwort des Staatssekretärs Wittrock (BMV) auf die Frage A 148 — Druck- Anlage 53 sache 7/1661 — des Abg. von Schoeler (FDP) : Bundesbahnfachschule in Bebra . 5129* B Antwort des Staatssekretärs Wittrock (BMV) auf die Fragen A 159 und 160 — Drucksache 7/1661 — des Abg. Sauter Anlage 46 (Epfendorf) (CDU/CSU) : Pressemeldun- Antwort des Staatssekretärs Wittrock - gen betr. Benutzung des Salonwagens der (BMV) auf die Frage A 149 — Drucksache Deutschen Bundesbahn durch den Parla- 7/1661 — des Abg. Dr. Jahn (Münster) mentarischen Staatssekretär Haar . . . 5131* C (CDU/CSU) : Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs auf der Schiene; Anlage 54 vermehrte Einrichtung von Haltestellen in städtischen Verflechtungsgebieten . . . 5129* C Antwort des Staatssekretärs Wittrock (BMV) auf die Frage A 163 — Druck- sache 7/1661 — des Abg. Dr. Waffen- Anlage 47 schmidt (CDU/CSU) : Pläne der Landes- Antwort des Staatssekretärs Wittrock regierung von Nordrhein-Westfalen betr. (BMV) auf die Fragen A 150 und 151 — Vergrößerung des Flughafens Köln-Bonn 5131* D Drucksache 7/1661 — des Abg. Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Förderung von Anlage 55 Lärmschutzanlagen beim Bau von Um- gehungsstraßen 5129* D Antwort des Staatssekretärs Wittrock (BMV) auf die Fragen A 164 und 165 — Drucksache 7/1661 — des Abg. Wagner Anlage 48 (Günzburg) (CDU/CSU) : Behinderungen Antwort des Staatssekretärs Wittrock im Transitverkehr von und nach Berlin, (BMV) auf die Frage A 152 — Druck- insbesondere auf der Straße nach Bayern 5132* B sache 7/1661 — des Abg. Grobecker (SPD) : Fahren von deutschen Schiffen Anlage 56 unter ausländischer Flagge ...... 5130* A Antwort des Staatssekretärs Wittrock (BMV) auf die Frage A 166 — Druck- Anlage 49 sache 7/1661 — des Abg. Höcherl (CDU/ Antwort des Staatssekretärs Wittrock CSU) : Behinderungen auf den Transit- (BMV) auf die Fragen A 153 und 154 — wegen nach Bayern 5132* C VIII Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Anlage 57 Anlage 61 Antwort des Staatssekretärs Wittrock Antwort des Staatssekretärs Wittrock (BMV) auf die Frage A 167 — Druck- (BMV) auf die Frage A 173 — Druck- sache 7/1661 — des Abg. Dr. Marx (CDU/ sache 7/1661 — des Abg. Dr. Schmitt- CSU) : Erklärung des Regierungssprechers Vockenhausen (SPD) : Absicherungen ge- über Vorkommnisse auf den Transit- gen Schneeverwehungen ...... 5134* C strecken 5132* D Anlage 62 Anlage 58 Antwort des Parl. Staatssekretärs Antwort des Staatssekretärs Wittrock Moersch (AA) auf die Fragen A 184 und (BMV) auf die Fragen A 168 und 169 185 — Drucksache 7/1661 — des Abg. — Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) : Ver- Abelein (CDU/CSU) : Meldeweg bezüg- tretung West-Berlins durch die Bundes- lich der Transitverletzungen am 1. und republik Deutschland in den Vereinten 2. Februar 1974; Erklärung des Regie- Nationen und ihren Organen; etwaige rungssprechers über Transitverletzungen 5133* B Infragestellung dieser Vertretung seitens der DDR und/oder ihrer Verbündeten . 5134' D

Anlage 59 Anlage 63 Antwort des Staatssekretärs Wittrock Antwort des Pari. Staatssekretärs (BMV) auf die Fragen A 170 und 171 Moersch (AA) auf die Frage A 188 Drucksache 7/1661 des Abg. Gerster Drucksache 7/1661 — des Abgeordneten (Mainz) (CDU/CSU) : Fahrpreiserhöhung Hansen (SPD) : Nichteinsichtnahme des der Deutschen Bundesbahn zum 1. April Bundespresseamtes in die Sendeunter- 1974 5134* A lagen des US-Senders „Radio Liberty" 5135* C

Anlage 60 Anlage 64 Antwort des Staatssekretärs Wittrock Antwort des Parl. Staatssekretärs (BMV) auf die Frage A 172 — Druck- Moersch (AA) auf die Frage A 193 — sache 7/1661 des Abg. Seefeld (SPD): Drucksache 7/1661 — des Abg. Dr. Fuchs Studien amerikanischer und englischer (CDU/CSU) : Ratifizierung des Überein- Verkehrsfachleute betr. die zweckmä- kommens zwischen der Bundesrepublik ßigste Einrichtung des öffentlichen Nah- Deutschland und der Republik Österreich verkehrs 5134* B über gegenseitige Grenzbereinigungen . 5135* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5001

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79. Sitzung

Bonn, den 14. Februar 1974

Stenographischer Bericht spekt derjenigen, die andere Standpunkte vertre- ten. Sein Tod ist für dieses Parlament ein schmerz- Beginn: 9.00 Uhr licher Verlust. Ich spreche den Angehörigen des Verstorbenen Präsident Frau Renger: Die Sitzung ist er- und der Fraktion der SPD das aufrichtige Beileid öffnet. des ganzen Hauses aus. (Die Abgeordneten erheben sich.) Wir haben noch einen anderen Toten zu beklagen. Wir gedenken unseres Kollegen Dr. Klaus Dieter Gestern ist unser früherer Kollege Dr. Arndt, der am 29. Januar kurz vor Vollendung sei- nach langem schwerem Leiden gestorben. Im Namen nes 47. Lebensjahres nach einer schweren und heim- des Deutschen Bundestages habe ich an die Witwe tückischen Krankheit in Berlin gestorben ist. des Verstorbenen folgendes Telegramm gesandt: Dr. Arndt gehörte dem Deutschen Bundestag seit Adolf Arndt war 20 Jahre — von 1 1949 bis 1965 als Abgeordneter seiner Heimatstadt Berlin 1969 — Mitglied des Deutschen Bundestages. an, in der er schon als Bezirksverordneter und spä- Er zählte zu den ersten, die dem Wiederbeginn ter als Mitglied des Abgeordnetenhauses parlamen- des parlamentarischen Lebens in Deutschland tarische Erfahrungen gesammelt hatte. entscheidende Impulse gegeben haben. Seit 1949 haben die Mitglieder des deutschen Schon bald nach seinem Eintritt in den Bundes- Parlamentes, die Regierenden und die Bevöl- tag rückte er in die vordersten Reihen seiner Frak- kerung seine Stimme mit Aufmerksamkeit und tion auf; im April 1967 wurde er zum Parlamentari- Hochachtung gehört. Er war davon überzeugt, schen Staatssekretär im Bundesministerium für daß das Recht eine unverzichtbare Forde- Wirtschaft ernannt. Dort hat er ebenso wie in seiner - rung an die Politik ist. Er hat leidenschaft- Arbeit hier im Hause maßgeblichen Anteil an lich für diese Gewißheit gekämpft. Er war ein der Formulierung einer Wirtschaftspolitik gehabt, Mann, dessen Argumente in der politischen die darauf gerichtet war, die Erkenntnisse der mo- Auseinandersetzung die Schwächen bloßlegten, dernen Wirtschaftswissenschaft in die Praxis um- ohne den Gegner zu verletzen. Denn sein Leben zusetzen, die den Menschen ein Mehr an sozialer beruhte auf der christlichen Nächstenliebe. Sicherheit, Fortkommens- und Freiheitschancen bringen soll. Adolf Arndt hat in zahllosen Beiträgen in Wort und Schrift geholfen, daß der Auftrag des Dr. Arndt ist Mitglied einer Reihe von Ausschüs- Grundgesetzes, einen sozialen Rechtsstaat zu sen gewesen, und er war Mitglied des Europäischen schaffen, erfüllt werde. Hinter jedem seiner Parlaments. Seit 1968 war er Präsident des Deut- Worte stand er mit seiner ganzen Person, auch schen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. dann, wenn er vorher wußte, daß er damit al- Schließlich hat ihm seine Fraktion das Amt eines lein bleiben werde. Den Deutschen Bundestag stellvertretenden Vorsitzenden anvertraut. In der hat er entscheidend mitgeprägt und ihm als her- hohen Stimmenzahl, die er bei dieser Wahl erhielt, ausragende Persönlichkeit Gesicht gegeben. drückt sich das große Vertrauen aus, das er sich Alle, für die parlamentarische Demokratie Ver- als Mensch, als Politiker und als hervorragender pflichtung und Aufgabe ist, trauern um einen Wirtschaftsfachmann in seiner Fraktion erworben vorbildlichen Mann. hatte. Ich danke Ihnen. Wir nehmen Abschied von einem Manne, in dem sich auf eine selten glückliche Weise die analy- tischen Fähigkeiten des Wissenschaftlers mit den Meine Damen und Herren, für den verstorbenen Begabungen und Erfahrungen des Praktikers ver- Abgeordneten Dr. Arndt (Berlin) ist am 2. Februar einten, der Augenmaß für das Notwendige wie für 1974 die Abgeordnete Frau Grützmann in den Bun- das politisch Mögliche, Tatkraft und Überzeugungs- destag eingetreten. Ich begrüße die neue Kollegin fähigkeit besaß. Seine menschlichen Gaben, sein so- sehr herzlich und wünsche ihr erfolgreiche Mitarbeit ziales Engagement und fachliches Können haben im Deutschen Bundestag. ihm hohes Ansehen eingetragen und auch den Re (Beifall.) 5002 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Präsident Frau Renger Ich habe noch die Freude, Glückwünsche zu Ge- Schwäche, mit der die Regierung diesen Erschei- burtstagen auszusprechen. Unser Kollege der Abge- nungen begegnet bzw. nicht begegnet. Die Folge ist ordnete Mick hat am 2. Februar sein 60. Lebensjahr ein breiter Vertrauensschwund, der nicht nur ein- vollendet, der Abgeordnete Dr. Erhard am 4. Fe- zelne Institutionen, sondern den demokratischen bruar sein 77. Lebensjahr. Staat als ganzen in Frage zu stellen beginnt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Dieser Vertrauensschwund ist überall festzustel- die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden len: bei den Arbeitnehmern — die wilden Streiks Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden: des vergangenen Jahres waren ein Signal —, bei Unternehmern, Freiberuflichen und Wissenschaft- 1. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1974 lern — Fälle der Resignation werden häufiger — — Drucksache 7/1670 — und im verbündeten und neutralen Ausland. Die in Überweisungswunsch: Rechtsausschuß (federführend), Innenaus- schuß, Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zwei Jahrzehnten aufgeschichteten Berge des Ver- trauens in den USA und in Westeuropa sind weit- 2. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schöfberger, Schmidt (München), Bredl, Marschall, Vahlberg, Frau Dr. gehend abgetragen. Riedel-Martiny, Staak (Hamburg), Dr. Apel, Pawelczyk, Glombig, Engelhard, Frau Schuchardt und Genossen einge- All das spiegelt sich in der in- und ausländischen brachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietprelsrechtlicher Vorschriften in der kreisfreien Stadt Presse wider. Drei Kurzzitate aus Zeitungen der München und im Landkreis München sowie in der Freien letzten Zeit mögen das belegen. In der „Frankfurter und Hansestadt Hamburg — Drucksache 7!1671 — Allgemeinen Zeitung" vom 16. Januar 1974 schildert Überweisungswunsch: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Günter Gillessen die Situation Frankfurts, wie sie Städtebau sich ihm zu Beginn dieses Jahres darstellt, wie folgt Das Haus ist einverstanden. Die Erweiterung der — ich zitiere —: Tagesordnung ist damit beschlossen. Straßenschlachten mit der Polizei, Teilerfolge mit Guerillataktik, eine Justiz, die kaum noch Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesord- zu greifen vermag; ein Universitätspräsident, nungspunkt 2 und den Zusatzpunkt 1 auf: der ratlos ist, wie er die Lehre noch schützen Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ soll; eine Regierung, die sich das anzusehen CSU betr. Wahrung der verfassungsmäßigen scheint, als ginge es sie nichts an. Ordnung der Bundesrepublik Deutschland Der britische „Economist", der unserem Land im - Drucksache 7/1481 Dezember eine Sonderausgabe gewidmet hat, be- Überweisungsvorschlag des Altestenrates: merkt zu der Lage an unseren Universitäten, daß es Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß zwar auch in anderen westlichen Ländern Studen- Ausschuß für Bildung und Wissenschaft tenunruhen gegeben habe, daß sie aber nur in der Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, Bundesrepublik Deutschland zu einem — ich zitiere FDP betr. Grundgesetz für die Bundesrepublik — „erfolgreichen Griff nach der Macht an den Deutschland 1949 bis 1974 Universitäten" geführt hätten. — Drucksache 7/1670 — Für den „Economist" ist Deutschland zu einem Überweisungswunsch: Rechtsausschuß (federführend), Innenaus- schuß, Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Lande der Ungewißheiten geworden, und er stellt eine ganze Reihe von Fragen, u. a. wohin sich die Es ist eine verbundene Debatte vorgesehen. Das neue deutsche Politik neigen werde, nach Osten, Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger. nach Westen oder richtungslos in die Mitte.

Dr. Dregger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Mit dieser englischen Beurteilung stimmt die der Meine Damen und Herren! Das Grundgesetz, unsere „Neuen Zürcher Zeitung" vom 13. Januar im we- Verfassung, war nach Diktatur und Krieg die erste sentlichen überein. Danach ist die Bundesrepublik große Gemeinschaftsleistung des demokratischen Deutschland, die im westlichen Europa einmal ein Deutschland. Unter seiner Geltung wurde die Bun- Pfeiler nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch po- desrepublik zum freiesten, in mancherlei Hinsicht litischer Stabilität war, zu einem — ich zitiere --- wohlhabendsten und vor allem sozialsten Staat der „Herd ohne Abschirmung" geworden, „der seinen deutschen Geschichte. Bei allem Stolz auf das Er- Nachbarn Anlaß zu ernsten Fragen" gibt. reichte: Haben wir Anlaß zum Feiern? Ich glaube Meine Damen und Herren, ich will zunächst einmal nicht. Schauen wir uns um. dahingestellt sein lassen, ob und inwieweit diese Das, was die Menschen draußen im Lande beun- Analysen zutreffen. Allein die Tatsache, daß sie ruhigt, ist nicht allein die Sorge um die Sicherheit vorgelegt werden, ist alarmierend — ein Vorgang, ihrer Arbeitsplätze und um den Wert ihres Einkom- der vor fünf Jahren noch völlig undenkbar gewesen mens und ihrer Ersparnisse. Verunsichert werden wäre. sie auch durch den Wortradikalismus der System- (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn]: Sehr richtig!) veränderer, der hier und da in Gewalt umschlägt, Wenn es etwas Vergleichbares an innerer und durch die revolutionäre Situation an einigen Uni- äußerer Unsicherheit, an Zweifeln und Vertrauens- versitäten, durch die Umfunktionierung mancher schwund in den ersten beiden Jahrzehnten der Schulen, durch den Abbau bisher für sicher gehalte- Bundesrepublik nicht gegeben hat, dann war das ner Wertvorstellungen und Institutionen, wie er vor allem zwei Umständen zu verdanken: zunächst sich z. B. im Bummelstreik beamteter Fluglotsen der Konsequenz, mit der die außen- und gesell- ausdrückte, und durch die Unsicherheit und schaftspolitische Grundorientierung der deutschen Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5003

Dr. Dregger Politik allen Verlockungen und Schwierigkeiten Dabei sollte jede kleinliche, sich auf einzelne Mit zum Trotz durchgehalten wurde. Ich darf zu dem, glieder beziehende Beckmesserei vermieden werden. was ich meine, auf die Ziffern 8 bis 10 unseres (Beifall bei der CDU/CSU.) Antrages verweisen. Diese Klarheit schloß Fehler im Einzelfall nicht aus, begründete aber Vertrauen Nichts ist aber für die Lage der größten und bedeu- in den Gesamtkurs. Die deutsche Politik erhielt auf tendsten Arbeitsgemeinschaft der SPD erhellender diese Weise das, was unserem Lande geschichtlich als das Scheitern des nun schon berühmten Antra- so häufig und so lange gefehlt hatte: Rationalität, ges 32. Mit diesem Antrag wollte der scheidende Kalkulierbarkeit, Zuverlässigkeit, mit einem Wort: Bundesvorsitzende Roth, möglicherweise im Auf- Vertrauenswürdigkeit nach innen und außen, all das, trage der SPD-Führung — vielleicht im Hinblick auf was unter Ihrer Verantwortung, Herr Bundeskanz- diese Verfassungsdebatte —, die Jusos an den ler, mehr und mehr verlorengeht. demokratischen Staat binden, sie zu einer Absage an das verfassungswidrige imperative Mandat be- (Beifall bei der CDU/CSU.) wegen und sie u. a. auf folgende Prinzipien ver- Die Stabilität der ersten beiden Nachkriegsjahr- pflichten: Möglichkeit organisierter Opposition, Un- zehnte hatte noch einen zweiten, für den Bestand abhängigkeit der Rechtssprechung, Autonomie der der Republik noch bedeutsameren Pfeiler. So sehr -Gewerkschaften, Minderheitenschutz, Meinungs der politische Streit zwischen den demokratischen und Pressefreiheit. Der Bundesausschuß der Jusos Parteien um wichtige und weniger wichtige Fragen zwang seinen Vorsitzenden noch vor Beginn des der deutschen Politik tobte, ein Bereich war außer Kongresses dazu, diesen Antrag zurückzuziehen. Streit: die Verfassung. Ob Sozialdemokraten, Libe- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) rale oder Christdemokraten, niemand konnte daran zweifeln, daß sie alle, in all ihren Strömungen und Roths leidenschaftlicher Appell, ihn wenigstens als Flügeln in den Grundnormen der Verfassung über- Arbeitsmaterial an die Bezirke weiterzugeben, einstimmten, daß sie alle keine andere, sondern wurde vom Plenum des Kongresses zurückgewiesen. diese Republik, die Republik des Grundgesetzes (Abg. Dr. Marx: Warum wohl?) wollten, daß sie jede Zusammenarbeit mit Verfas- sungsfeinden von rechts und links ablehnten und Doch auch damit gaben sich die erbitterten Ge- daß sie gewillt waren, diesen Kurs auch in den eige- nossen nicht zufrieden. nen Reihen durchzusetzen. Damit war ein Basis- — Ich zitiere aus dem „Rheinischen Merkur". konsens, ein Fundament gemeinsamer Grundüber- (Lachen bei der SPD.) zeugungen gegeben, das dem Parteienstreit entzo- gen war, das ihn begrenzte und ihm die feindselige — Sie scheinen ein besonderes Verhältnis zu der Schärfe nahm, die wir heute zunehmend zu bekla- Vielfalt der Presse in unserem Land zu haben, meine gen haben. Ohne eine solche Gemeinsamkeit kann Damen und Herren. eine Diktatur überleben, eine freiheitliche Demokra- (Beifall bei der CDU/CSU.) tie nicht. (Beifall bei der CDU/CSU.) Ich zitiere weiter: - Gerade weil das Spiel von Macht und Gegenmacht, Sie verabschiedeten mit großer Mehrheit einen das Gegenüber von Regierung und Opposition, der Initiativantrag, in dem der Bundesvorstand we- Streit der Parteien zu ihrem Lebensgesetz gehören, gen dieses Antrages scharf gerügt wurde. muß, wenn der Streit nicht zerstörerisch werden soll, ein Fundament allseits anerkannter Verfah- Meine Damen und Herren, nicht weniger auf- rensregeln und eines Mindestbestandes gemeinsa- schlußreich als der Juso-Kongreß ist die Art und mer politischer Grundsätze, die ihren Niederschlag Weise, in der sich die extreme SPD-Linke mit alten in der Verfassung gefunden haben, gegeben sein. Sozialdemokraten auseinandersetzt. Ein Betroffener ist seit langem der frühere Vorsitzende der Bauar- Meine Damen und Herren, beide Pfeiler der Sta- beitergewerkschaft und jetzige Bundesverteidi- bilität sind heute angeknackst. Mit der außen- und gungsminister . Aus einem ganzen Chor gesellschaftspolitischen Grundorientierung sind die von Anti-Leber-Stimmen will ich nur eine Stimme, Konturen der deutschen Politik unscharf, unsicher die von Johano Strasser zitieren, der seit München und fragwürdig geworden. Auch die Verfassung ist im Juso-Spektrum nun schon als Rechter gilt, was nicht mehr das feste Fundament aller demokrati- den geradezu rasenden Linkskurs dieser Jung-SPD schen Parteien und ihrer Flügel. deutlich macht. Herr Strasser lehnt es zwar ab, „das Problem ... der Rüstungsausgaben in der Bundes- Den jüngsten Beweis lieferte der Juso-Kongreß republik Deutschland in Georg Leber zu personali- in München. sieren", wie es die Hamburger Jungsozialisten ge- (Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Marx: fordert hatten. Das ist weniger interessant als die Und ob!) Begründung, die Herr Strasser dafür gegeben hat. Seine Ergebnisse sind für uns alle von Bedeutung. Er sagt: Politische Parteien sind keine privaten Kränzchen, Sozialisten haben ja wohl auch nie die Meinung sondern Pfeiler unseres Verfassungslebens, und sie vertreten, daß es zur Lösung des Problems der müssen sich daher auch hinsichtlich ihrer inneren Konzentration in der Wirtschaft genügt, exem- Entwicklung der öffentlichen Kritik stellen. plarisch ein paar Konzernherren zu erschie- (Beifall bei der CDU/CSU.) ßen... Das ist eine Sache, die man in der Partei 5004 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Dregger ausfechten muß, in Frankfurt, wo dieser Mensch Ich bin sicher, daß der große russische Patriot Sol- ja das nächste Mal wieder aufgestellt werden schenizyn, der jetzt in diesem Lande weilt, wenn er will .. . Ihnen Gelegenheit zu einem Gespräch geben sollte, diesen Begriff „Rechtsstaat" besser zu schätzen weiß. (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!) (Beifall bei der CDU/CSU.) Meine Damen und Herren, die Diktion des Herrn Strasser klingt so, als ob die Frage, ob man „diesen Aber es gibt selbstverständlich auch andere Stim- Menschen da" demnächst in Frankfurt abwählt oder men. Als Beispiele nenne ich den früheren Hambur- zusammen mit einigen Konzernherren erschießt, nur ger Bürgermeister Professor Weichmann und den eine Frage der Zweckmäßigkeit und nicht des Prin- Hamburger Verfassungsschutzpräsidenten Horchern. zips sei. Ich nenne den Berliner Senatsdirektor Kreutzer, nach (Abg. Dr. Marx: So ist es!) dessen Meinung die Grotewohls wieder mitten unter uns sind. Ich nenne den bayerischen DGB-Landes- Im selben Interview kennzeichnete dieser famose vorsitzenden Rothe, der am 10. August 1973 im Juso-Führer den Standort der Jung-SPD mit folgen- DGB-Organ „Welt der Arbeit" erklärte — ich zitiere der Aussage — ich zitiere wörtlich : wörtlich —: Sowohl die Kommunistische Partei Italiens als In der Tat verstößt vieles, was die Jungsoziali- auch die Kommunistische Partei Frankreichs ha- sten zum Programm erhoben haben, klar gegen ben ein strategisches Konzept, das der Doppel- Grundgesetz und Betriebsverfassungsgesetz ... strategie der Jusos sehr ähnlich ist. Soviel Systemveränderung zielt den Gewerk- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) schaften mitten ins Herz. Und auch die Bündnisfrage ist für diese Parteien (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) weniger abhängig von theoretischen Bekennt- So die Auffassung des DGB-Landesvorsitzenden in nissen .. . Bayern, Mitglied Ihrer Partei. Meine Damen und Herren, viele Jusos haben ganz Ich nenne den früheren Juso-Vorsitzenden, unse- offensichtlich den Gegensatz zwischen parlamentari- ren Kollegen Corterier, der in einem Beitrag für die scher Demokratie und sozialistischer Diktatur aus „Berliner Stimme" feststellte, der Münchner Juso ihrem Bewußtsein verdrängt. Sie haben ihn ersetzt Kongreß sei — ich zitiere jetzt wörtlich — „weder durch das Klassenkampfschema des 19. Jahrhunderts zu einer Bejahung der parlamentarischen Demokra- und das ihm entsprechende Gegensatzpaar: Hie So- tie noch zu einer Ablehnung der Aktionseinheit mit zialismus, hie Kapitalismus. Das hat einschneidende Kommunisten bereit" gewesen und habe sich da- Folgen. Wem es nicht um die soziale Demokratie durch — jetzt wieder wörtlich — „für die Zukunft geht, sondern um das sozialistische System, für den alle Möglichkeiten offengehalten". Corterier fügte verliert auch der Zusatz „demokratisch" zum Wort dieser Feststellung die Sorge hinzu, es werde in „Sozialismus" bald an Bedeutung, dem stehen die Zukunft kaum noch möglich sein, dem Wähler zu Kommunisten, die das sozialistische System nach erklären, wieso die SPD versuche, radikale Rand- eigener Aussage ebenfalls wollen, bald näher als gruppen zu integrieren, die — ich zitiere wörtlich — - die Christdemokraten, die Freien Demokraten und „in Wirklichkeit eine andere Partei und einen an- auch die sogenannten rechten Sozialdemokraten, die deren Staat wollen". Diese Aussage Corteriers ist ja das System der parlamentarischen Demokratie in eine scharfe Absage an eine Theorie, mit der sein unserem Lande gemeinsam tragen. Manche Jungso- Parteivorsitzender sein Gewährenlassen und seine zialisten und auch einige Ältere sind offenbar dabei, Untätigkeit bisher begründet hat. den Beschluß über Unvereinbarkeit zwischen Sozial- demokraten und Kommunisten zu ersetzen durch Daran scheint sich auch nach München nichts ge- eine neue Unvereinbarkeit, nämlich zwischen Sozia- ändert zu haben. In einem vom Bundeskanzler dem listen und den „Knechten des Großkapitals", zu de- „Stern" in den letzten Tagen gegebenen Interview nen sie alle rechnen, die anderer Meinung sind als heißt es nämlich — ich zitiere wörtlich —: sie. Mir scheint, häufig werden lokale Erscheinun- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr! — gen dramatisiert. Einige Herren der Opposition Sehr gut!) — leider auch meiner eigenen Partei — scheuen Der aktive Widerstand innerhalb der SPD gegen ja keine Mühe, überall und irgendwo verfas- diese Entwicklung scheint sich bisher auf Einzel- sungsfeindliche Tendenzen herbeizuahnen. kämpfer zu beschränken, Herr Bundeskanzler, glauben Sie wirklich, es sei (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!) alles Gespensterfurcht, was viele Ihrer Parteifreunde ängstigt? Glauben Sie im Ernst, Sie könnten die hinter denen die Autorität des Parteivorsitzenden schlimme Wirklichkeit dadurch überwinden, daß Sie Brandt und des Fraktionsvorsitzenden Wehner nicht sie nach dem Beispiel Ihrer Ostpolitik zunächst ein- steht, bis heute jedenfalls nicht sichtbar geworden mal anerkennen? Glauben Sie wirklich, auf diese ist. Im Gegenteil, Herr Kollege Wehner hält es für Weise die kritische Jugend für die Demokratie ge- dringlicher, aus den „verknorpelten und deformier- winnen zu können? Könnte sich bei der Jung-SPD ten Begriffen soziale Marktwirtschaft und Rechts- nicht das wiederholen, was Sie bei den Ihrer Partei staat" herauszukommen. Rechtsstaat, Herr Wehner, nahestehenden Studentenverbänden bereits erlebt das ist das Kernstück unserer Freiheit. haben? Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (Beifall bei der CDU/CSU.) und der Sozialdemokratische Hochschulbund sind Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5005

Dr. Dregger kommunistisch geworden. Wie wird die Entwicklung und Verwirklichung seiner Grundwerte und bei den Jusos sein? Zielsetzungen im Rahmen der Verfassung. Heute steht die SPD ohne jeden Studentenver- Das können wir alle unterschreiben, meine Damen band da. Der Ring Christlich-Demokratischer Stu- und Herren. denten ist der einzige einer demokratischen Partei (Beifall bei der CDU/CSU.) nahestehende Studentenverband, der an unseren Ehe ich mich den einzelnen Feldern der verfas- Universitäten einen mutigen, entsagungsvollen, kei- sungspolitischen Auseinandersetzung zuwende, neswegs erfolglosen Kampf für diese Demokratie möchte ich sechs Feststellungen treffen und begrün- führt. den, die zum Teil Selbstverständliches enthalten. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) (Abg. Wehner: Ja! Ja!) Nach Berichten des Verfassungsschutzes sind neben den Mitgliedern des Bundes „Freiheit der Wissen- — Ja, vielleicht nicht für Sie, Herr Wehner; das schaft" gerade die Mitglieder des RCDS durch den weiß ich nicht. roten Terror in besonderer Weise persönlich ge- (Beifall bei der CDU/CSU.) fährdet. Diesen jungen Studentinnen und Studen- Ich spreche das Selbstverständliche gleich zu Beginn ten den Respekt aller Demokraten auszusprechen, aus, damit sich die Debatte sobald und so intensiv stünde uns in dieser Debatte gut an. wie möglich (Beifall bei der CDU/CSU.) (Abg. Wehner: Daran auszurichten hat! Ja!) Es ist nicht meine Aufgabe, zu beurteilen, ob es ihrem eigentlichen Gegenstand zuwenden kann. der SPD genügt, wenn ihr Vorsitzender von Zeit zu (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Da haben Sie Zeit das Vorbild großer Sozialdemokraten wie recht: „eigentlichen"!) Ebert, Wels und Kurt Schumacher beschwört, ohne daraus Konsequenzen für die Gegenwart zu ziehen. — Es kommt noch, Herr Wehner. (Abg. Dr. Marx: Sehr wahr!) Erste Feststellung. Festhalten an der Verfassung bedeutet nicht festhalten an dem gegenwärtigen Was der deutschen Öffentlichkeit jedenfalls nicht gesellschaftlichen und politischen Zustand. Dieser genügt und das auszusprechen bin ich berech- Zustand muß sich ändern, tigt —, ist die Tatsache, Herr Bundeskanzler, daß Sie (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Aha!) Ihre Partei ausgerechnet bei dieser Entwicklung gewissermaßen ex cathedra zur Mitte erklären. Was weil sich die Bedingungen der menschlichen Existenz sich in Teilen dieser Partei zur Zeit tut und wie und der staatlichen Gemeinschaft verändern. Sie dieser Entwicklung begegnen, hat mit Mitte, (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Sehr richtig!) gleichgültig, ob Sie sie als linke Mitte, neue Mitte durch die Politik oder alte Mitte definieren, nichts zu tun. Diese notwendigen Veränderungen aktiv zu beeinflussen und zu gestalten — dafür (Beifall bei der CDU/CSU.) bietet die Verfassung einen weiten Rahmen; Diese Hinweise mögen genügen, um- die Not- (Abg. Lenders: Ach nein!) wendigkeit dieser Verfassungsdebatte zu begrün- — doch, nicht nur Sozialismus, es gibt auch etwas den. Ihr Sinn ist es, Klarheit zu schaffen, die in anderes! — einen Rahmen für durchaus unterschied- letzter Zeit in Frage gestellten Verfassungsgrund- liche politische Vorstellungen und Ziele. sätze zu bekräftigen und auf diese Weise das Ver- trauen in diesen demokratischen Staat wieder her- Zweite Feststellung. Die Verfassung ist in der zustellen, bei den Bürgern drinnen und bei den Wirklichkeit des Lebens nur dann fest verankert, Nachbarn draußen. Dabei geht es nicht um das, was wenn ihre Grundsätze in den Herzen und in den uns politisch unterscheidet, sondern um das, was Köpfen der Menschen verankert sind. allen gemeinsam ist, die auf dem Boden der Ver- (Beifall bei der CDU/CSU.) fassung stehen. Wir haben nie die Meinung vertre- Verfassungsschutz und Polizei sind ohne Macht, ten, daß die Demokratie erst durch die Christlich wenn nicht die Menschen selbst diese Verfassung Demokratische Union verwirklicht wird. Wir halten wollen. allerdings auch die Aussage Ihres Godesberger Pro- gramms, die Demokratie werde erst durch den Wer aus dieser Beurteilung allerdings den Schluß Sozialismus erfüllt, für antipluralistisch, antidemo- zieht, der demokratische Staat dürfe rechtsstaatliche kratisch und im Grunde totalitär. Mittel erst einsetzen, wenn alle anderen Mittel ver- sagen, unterliegt einer Fehlschätzung. Er riskiert (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU. — und verantwortet eine Eskalation der Gewalt, die Zuruf des Abg. Wehner.) andere, häufig Unschuldige, mit Leib und Leben zu Lassen Sie mich einen Satz aus dem auch im übri- bezahlen haben, wie wir das an den Universitäten gen ausgezeichneten Beitrag der Jungen Union nun feststellen mußten. Der demokratische Staat Deutschlands zu dieser Verfassungsdebatte zitieren. kann nur denjenigen mit Toleranz begegnen, die Es heißt dort: selbst tolerant sind. Wer die Freiheit der freiesten Das Grundgesetz erlaubt keinen sozialisti- Verfassung der Welt mißbraucht, um sie abzuschaf- schen, freidemokratischen oder christlich-demo- fen, der muß von Anbeginn auch mit rechtlichen kratischen Staat. Aber es verpflichtet alle Par- Mitteln in seine Schranken gewiesen werden. teien zum Wettbewerb um die Anerkennung (Beifall bei der CDU/CSU.) 5006 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Dregger Die geistig-politische Auseinandersetzung, auf die das ungerechtfertigte Hineinwachsen niedriger Ein- das Hauptgewicht zu legen ist, kommen in die Steuer- und Abgabenprogression, (Abg. Conradi: Das merkt man!) woran Sie so sehr festhalten, und der Einsatz rechtsstaatlicher Mittel gegen die- (Zuruf des Abg. Reddemann) jenigen, die die Spielregeln nicht akzeptieren, sind dazu die entschädigungslose Enteignung der Spa- nebeneinander notwendig. Keines dieser beiden rer - 40 Millionen DM Enteignung sind in diesem Instrumente kann das andere ersetzen. Jahr zu erwarten; das ist das Achtfache von dem, Dritte Feststellung. Die Grundprinzipien unserer was Sie mit einer zweifelhaften Vorlage in diesem Lande an Vermögen neu verteilen wollen —, Verfassung sind gleichrangig. Das Rechtsstaats- prinzip kann das Sozialstaatsprinzip nicht ersetzen; (Beifall bei der CDU/CSU) umgekehrt gilt das gleiche. Es wäre absurd, wenn all das verwirklicht den Sozialstaat nicht, sondern wir uns in Rechtsstaatler und Sozialstaatler aufteilen zerstört ihn. wollten, meine Damen und Herren. Beides gehört notwendigerweise zusammen. (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.) Und was die jetzt anstehenden gesellschaftspoli- tischen Aufgaben angeht, so brauchen wir den Grundrechte sind unwirklich, wenn die soziale Basis Wettbewerb mit Ihnen, meine Damen und Herren fehlt, sie geltend zu machen. Umgekehrt werden der Koalition, nicht zu fürchten. Das gilt für die sozialstaatliche Leistungen erst dadurch zur Basis Fortentwicklung der Vermögensbildung, zu der alle der Bürgerfreiheit und der Menschenwürde, daß sie praktisch verwirklichten Initiativen von uns ge- sich in Rechten niederschlagen, die der einzelne kommen sind. allein oder mit Hilfe seiner gesellschaftlichen Grup- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Lachen pen wahrzunehmen in der Lage ist. bei der SPD.) Sozialutopien dagegen, die ihre Grundlage und Grenze nicht in den Rechten der Menschen finden, — Viele in Ihren Reihen fürchten doch die Klein- kapitalistenmentalität, das wissen wir doch! sind, wie alle geschichtlichen Beispiele zeigen, un- menschlich und geeignet, die Welt zur Hölle zu (Beifall bei der CDU/CSU.) machen auch für diejenigen, um deretwillen das Der SPD-Bezirk Hessen-Süd und der Bezirk — wenn angeblich dann alles geschieht. ich nicht irre — Ostwestfalen haben noch vor eini- (Beifall bei der CDU/CSU.) gen Monaten beschlossen: keine Vermögensbildung Ein weiterer Gedanke hierzu: Die Verwirklichung bei den Arbeitnehmern, weil sie nämlich eine Klein- des Sozialstaatsprinzips ist eine ständige, nie erle- kapitalistenmentalität befürchten. Das ist doch eine Tatsache! digte Aufgabe, wie es die Ziffer 9 unseres Entschlie- ßungsantrags deutlich macht. Mit dem Wandel der (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse Marx: Schwarz auf weiß!) ändern sich die Aufgaben, die stets neu und nach Wir brauchen den Wettbewerb mit Ihnen auch Möglichkeit besser gelöst werden müssen als vor- nicht in bezug auf die Fortentwicklung der Mitbe- her. Daß davon im Augenblick keine Rede sein stimmung zu fürchten, die nach dem Zweiten Welt- kann, hat in der Debatte zur Lage der Nation mein krieg als weitestgehende der Welt von uns einge- Kollege Blüm in der Feststellung deutlich gemacht, führt worden ist daß ein wesentlicher Teil der jetzigen Sozialpoli- tik einem Lazarettwagen gleicht, der hinter der In- (Abg. Conradi: Weiberfastnacht!) flation herfährt, um die Verletzten aufzuladen. und für deren Fortentwicklung wir früher als die (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Koalition eine Vorlage auf den Tisch gebracht ha- ben. Schließlich: Unser Maßstab für die Verwirkli- Abschließend lassen Sie mich zu diesem Abschnitt chung des Sozialstaats sind die realen Lebensver- sagen: Wir begreifen die Politik als eine dynami- hältnisse, die reale Freiheit, die reale Sicherheit, die sche, im Rahmen der Verfassung zu erfüllende reale Fähigkeit des Menschen, des einzelnen Men- Aufgabe. Dabei erstreben wir eine gesellschaftliche schen, jedes einzelnen Menschen und der natür- Ordnung, welche die Mitwirkung der Bürger immer lichen Ordnungen, in die er gestellt ist und für die mehr gewährleistet, ihre persönliche Freiheit — ich er Verantwortung trägt. Wenn Sie, meine Damen betone: persönliche Freiheit — durch mehr soziale und Herren der Koalition, nicht Wortgeklingel, son- Sicherheit festigt und durch Verteilung und Kon- dern diesen realen Maßstab zugrunde legen, müssen trolle der Macht sichert. Dabei sehen wir den Auf- Sie noch sehr, sehr viel tun, um einen ähnlichen trag des Grundgesetzes, die Sozialpflichtigkeit des sozial- und gesellschaftspolitischen Fortschritt in Eigentums zu gewährleisten, nicht auf das Sach- diesem Lande zu bewirken, wie wir ihn in zwan- und Kapitaleigentum beschränkt. Wir sehen ihn er- zigjähriger Regierungsverantwortung in diesem streckt auf alles, was gesellschaftliche Macht ver- Lande bewirkt haben. leiht, wozu auch die Macht der Verbände und der (Lebhafter- Beifall bei der CDU/CSU. Medien gehört, die vielfach größer ist als die Macht Lachen bei der SPD.) der Behörden und des Sach- und Kapitaleigentums. Immer schneller steigende Preise, welche die Lohn- Vierte Feststellung: Rechts- und Linksextremis- und Rentenerhöhungen weitgehend entwerten, dazu mus sind gleich schlimm. Sie sind mit der Lebens- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5007

Dr. Dregger form der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie ger die Zufügungen und Umformulierungen — da in gleicher Weise unvereinbar. Beide leugnen die sind wir völlig offen --, sondern die Streichungen Rechtsstaatlichkeit, den Pluralismus in Staat und und Weglassungen. Unter diesem Aspekt allerdings Gesellschaft und die Grundrechte des Menschen, ist das Koalitionspapier nicht nur enttäuschend, son- beide versklaven und entwürdigen ihn. dern erschreckend. Manches von dem, was in unse- rem Papier präzis und eindeutig gesagt ist, wird in Wer das bei der geschichtlichen Darstellung der dem Koalitionspapier unscharf und undeutlich ge- Vergangenheit verschweigt, begründet gefährliche sagt. Anderes fehlt ganz. Warum? Doch offenbar Fehlhaltungen in der Jugend und bereitet — wenn deshalb, weil eine oder beide Koalitionsparteien auch ungewollt — einen Pendelschlag ins andere nicht in der Lage sind, zu diesen nicht politischen, Extrem vor. Deshalb muß im Sinne Solschenizyns Verfassungsprinzipien eine Position zu die Wahrheit gesagt werden, die ganze und nicht sondern beziehen, die von der Gesamtfraktion und der Ge- die halbe, die Wahrheit nicht nur über den Rechts- radikalismus und den Nationalsozialismus, die samtpartei geteilt wird. Wahrheit auch über den Kommunismus, die in wei- (Beifall bei der CDU/CSU.) ten Teilen der Jugend unbekannt geblieben ist. Zu In diesem Entschließungsantrag der Koalition drückt dieser heute weithin vergessenen Wahrheit gehört sich der ganze Jammer aus, in dem Sie sich befin- die Tatsache, daß die erste deutsche Republik zwi- den. schen beiden Radikalismen zerrieben worden ist, (Lachen ,des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].) zwischen NSDAP und KPD. (Beifall bei der CDU/CSU. - Zurufe von — Wir können Ihnen, Herr Prof. Schäfer, die Ant- der SPD.) wort nicht ersparen; Sie werden sie vielleicht nach- her geben. Wir fragen Sie daher jetzt und immer — Zweifeln Sie etwa daran, meine Damen und wieder, bis Sie Antwort gegeben haben: Warum Herren? fehlt in Ihrem Papier jede Äußerung erstens zur (Zurufe von der SPD: Und die Deutsch Freihaltung des Staatsdienstes von Verfassungs- nationalen und Konservativen?) feinden, zweitens zur Abgrenzung der demokrati- Meine Damen und Herren, ich wäre in der Lage, schen Parteien von verfassungsfeindlichen Kräften, aus alten Parlamentsprotokollen der dreißiger Jahre drittens zum imperativen Mandat, viertens zur zu zitieren. Orientierung der schulischen Erziehung am Grund- (Abg. Rawe: Tun Sie es doch!) gesetz und fünftens zur Einfügung der Universitäten in die Rechts- und Verfassungsordnung des demo- Ich will einmal ein Zitat bringen; von wem es kratischen Staates? Warum? Meine Damen und stammt, ist in diesem Zusammenhang völlig gleich Herren, ziehen Sie sich hinsichtlich der beiden letz- gültig. Dort wurde den Nationalsozialisten von den ten Punkte bitte nicht hinter die Gesetzgebungs- Kommunisten nicht etwa Verfassungsfeindlichkeit kompetenz zurück. Hier geht es nicht um Gesetz- vorgeworfen, sondern das Gegenteil: gebung, sondern um ein politisches Votum. Hier Legalismus. Es heißt dort: geht es nicht um Kulturpolitik, sondern um Verfas- - sungspolitik. Zur politischen Verteidigung der Ver- Die Nationalsozialisten bieten sich öffentlich fassungsordnung in Bund, Ländern und Gemeinden feil als Büttel dieser bürgerlichen Republik. ist kein Organ berufener als der Deutsche Bundes- Als ich das gelesen habe, meine Damen und Herren, tag, der — mit Vertretern der Regierung und des ist mir wieder einmal die tragische Lage der Deut- Bundesrates in seiner Mitte — das Forum der schen am Anfang der dreißiger Jahre bewußt ge- deutschen Nation ist. worden, in der die Linken und die Rechten sich (Beifall bei der CDU/CSU.) gegenseitig die Wähler zutrieben und eine Mitte, die Zeichen von Schwäche zeigte, wie wir sie auch Sechste Feststellung: Die Ziffern 8 bis 10 unseres heute wieder sehen, einen Zustand darbot, der dann Entschließungsantrages enthalten Aussagen zur zum Abmarsch nach links und rechts führte. Es Grundorientierung der deutschen Politik. Sie sind liegt an uns, ob sich das noch einmal in diesem unserer Auffassung nach politisch ich betone: Lande wiederholt. Deswegen sind wir verpflichtet, politisch — geboten, wenn unsere Verfassung Be- die Wahrheit, die ganze Wahrheit, zu sagen. stand haben und verwirklicht werden soll. Das gilt (Beifall bei der CDU/CSU.) zunächst für die westliche Orientierung unserer Außenpolitik. Wie sollte unsere Republik an der Wer Freiheit und Demokratie bewahren will - das Grenze zweier Weltsysteme der auf vielen Ebenen ist ,die Schlußfolgerung aus dieser geschichtlichen vorgetragenen kommunistischen Expansion stand- Tatsache -, muß deshalb beide Radikalismen in halten, wenn nicht im engen Bündnis mit der west- gleicher Entnschiedenheit ablehnen und bekämpfen. lichen Welt? Fünfte Feststellung: Unser Entschließungsantrag enthält selbstverständlich nicht alle bedeutsamen Was das Westbündnis für die Freiheitssicherung Verfassungsprinzipien, sondern nur diejenigen, die nach außen bedeutet, das bedeutet das System dei heute umstritten sind. Diesen 'bestrittenen, in Frage sozialen Marktwirtschaft für die Freiheitssicherunc gestellten und mißachteten Verfassungsprinzipien nach innen. Lassen Sie mich diese unsere Auffassung gilt es Nachdruck zu verleihen. An dem als Ant- kurzch begründen, wobei es Ihnen selbstverständli wort auf unseren Entwurf vorgelegten Entschlie- freisteht, zu dieser politischen Frage eine andere ßungsantrag der Koalition interessieren daher weni- Meinung zu haben. 5008 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Dregger Beide, staatliche Demokratie wie marktwirtschaft- wie sie Djilas, der ehemalige Kommunist und frü- liche Ordnung, gründen auf den Freiheitsrechten des here Chefideologe Titos in einem Buchtitel treffend Menschen, dessen Personenwürde sie unter anderem gekennzeichnet hat. Deshalb sind wir für diese frei- durch ein ausgeklügeltes System der Machtvertei- heitliche Ordnung in Staat und Wirtschaft, meine lung schützen. Der Bändigung der staatlichen Macht Damen und Herren, und aus gar keinem anderen durch Gewaltenteilung, durch die Legitimität der Grunde. parlamentarischen Opposition, durch den Föderalis- (Abg. Dr. Marx: Aber da gibt's Ignoranten mus und die kommunale Selbstverwaltung ent- dazu!) spricht die Bändigung der wirtschaftlichen Macht durch Wettbewerb, den der Staat unter anderem — Jeder kennzeichnet sich selbst durch solche Aus- durch ein wirksames Kartellrecht zu gewährleisten drücke, meine Damen und Herren. hat, und durch die Anerkennung freier, starker und Wie weit auch immer die in den Ziffern 8 bis 10 unabhängiger Gewerkschaften, die für unser System enthaltenen Ausprägungen unseres Verfassungs- im Gegensatz zum sozialistischen System — not- systems rechtlich geboten sind - daß das nur zum wendig sind. Teil der Fall ist, sei ausdrücklich betont : ihr Diese Verteilung der Macht im staatlichen und im innerer Zusammenhang mit dem Fortbestand und wirtschaftlichen Bereich, wie sie bei uns verwirk- der Verwirklichung unserer Verfassungsordnung licht ist, steht im schärfsten Gegensatz zu der Macht- rechtfertigt es, sie in diese Entschließung einzube- ziehen und die Frage zu klären — und der sollten konzentration des sozialistischen Systems, das we- der Gewaltenteilung noch Föderalismus, noch kom- Sie nicht ausweichen —, wie die Abgeordneten des munale Selbstverwaltung noch Grundrechte noch Deutschen Bundestages zu diesen Grundorientierun- Wettbewerb noch die Legitimität der parlamentari- gen der deutschen Politik stehen. schen Opposition noch die Legitimität freier, von Ich möchte jetzt die Hauptpunkte unseres Ent- Staat und Partei unabhängiger Gewerkschaften schließungsantrages kurz begründen. Im Verlauf der kennt. Debatte werden sie in Einzelbeiträgen meiner Kol- (Abg. Matthöfer: Sie sind ein Ignorant!) legen weiter vertieft werden. - Ein Ignorant? Vielen Dank für dieses Lob, das Ich beginne mit dem Schul- und Hochschulwesen- Sie mir aussprechen! Ich will Ihnen folgendes sagen, aus drei, Gründen: Hier begann der Angriff der Herr Matthöfer. Systemveränderer; hier hat er die größten Erfolge (Zurufe von der CDU/CSU.) errungen; hier ist er am gefährlichsten. Hier trifft er auf seine wehrlosesten Opfer, auf unsere Kinder, Wir hatten in meiner Stadt eine sowjetische Ge die auf Grund ihres Alters besonders aufnahmefähig, werkschaftsdelegation aus der Ukraine zu Besuch, lernbegierig, wegen des Mangels eigener Erfahrungen und diese Delegation gab der „Fuldaer Volkszei- - niemand von ihnen hat den Nationalsozialismus tung" ein Interview. Der Vorsitzende der Delega- und den Kommunismus am eigenen Leibe kennen- tion wurde gefragt, welches denn die Hauptauf- gelernt — besonders manipulierbar sind. gaben der Gewerkschaften in der Sowjetunion seien. Die Antwort war folgende: erstens die Mitwirkung- Lassen Sie mich das, was an unseren Schulen zur an der Erstellung, an der Erfüllung und an der Über- Zeit geschieht, nicht mit eigenen Worten sagen, erfüllung volkswirtschaftlicher Pläne, denn die Pro- sondern mit denen zweier angesehener Erziehungs- duktion ist die Grundlage des Volkswohlstandes — wissenschaftler, die nicht meiner Partei angehören, also: malocht, Kameraden, Aufgabe Nr. 1 —, sondern der SPD, und denen man daher keine Vor- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) eingenommenheit gegen die SPD nachsagen kann: Ich nenne die beiden Professoren Lübbe und Nipper und die zweite Aufgabe: die Erziehung der Men- dey. schen zum sozialistischen Wirtschaftssystem. Und (Lachen bei der FDP.) dann kam nichts mehr! Kein Wort von Arbeitszeit- verkürzung, kein Wort von Lohnerhöhung, kein – Ja, Leute, die anderer Meinung sind als Sie, sind Wort von Mitbestimmung, kein Wort von Vermö- lächerlich in Ihren Augen, natürlich. Sie sind ein gensbildung! Meine Damen und Herren, es gibt dort schöner Liberaler, mein Lieber! Gewerkschaften, aber die haben eine ganz andere (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Aufgabe als unsere Gewerkschaften. Dort vertreten Die SPD-Mitglieder Lübbe und Nipperdey schildern sie den Staat gegen die Arbeiter; bei uns vertreten die von einem sozialdemokratischen Kultusminister die Gewerkschaften die Arbeitnehmer gegen die in Hessen erlassenen Rahmenrichtlinien für Gesell- Wirtschaftsunternehmen. Und das ist doch ein Un- schaftslehre wie folgt - ich zitiere wörtlich -: terschied! Kritik an der parlamentarischen Demokratie (Beifall bei der CDU/CSU und Zurufe von (formaldemokratische Wahlen) rangiert weit der SPD.) vorn ... Eine Auseinandersetzung mit oder eine Diese Machtkonzentration im sozialistischen Lager Abgrenzung vom Kommunismus findet nicht macht den Menschen zu dem, weswegen die Soziali- statt ... Die liberalen Elemente unseres politi- sten unserem System zu Unrecht Vorwürfe machen, schen Systems, ja die Wirklichkeit der Freiheit, nämlich zum willenlosen und rechtlosen Werkzeug die Legitimität der Opposition, das Recht, der einer Klassenherrschaft, der Herrschaft der Staats- Kompromiß, die Toleranz, der Staat, der mit und Parteifunktionäre nämlich, dieser neuen Klasse, Institutionen die Freiheit des einzelnen und Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5009 Dr. Dregger den Frieden unter den Bürgern sichert, der fikationsmöglichkeiten mit der staatlichen Gemein- Basiskonsens, auf dem unser Gemeinwesen be- schaft radikal zerstört werden, wenn ihnen die Ge- ruht — all das kommt nicht vor oder wird von schichte, die Geschichte ihres Volkes ausgetrieben vornherein diskreditiert. wird wie ein böser Geist, wenn die Werte unserer freiheitlichen Ordnung Ihnen nicht nahegebracht, (Abg. Dr. Marx: Hört! Hört!) sondern, wie Lübbe und Nipperdey schreiben, dis- Dies ist nicht mein Urteil, sondern das dieser bei- kreditiert werden, wenn die Kinder den Menschen den. sozialdemokratischen Erziehungswissenschaft- nicht mehr als freies, d. h. persönlicher Verantwor- ler. tung und individueller Schuld fähiges Wesen, son- (Abg. Groß meldet sich zu einer Zwischen dern nur als Produkt der Gesellschaft begreifen frage.) lernen, wie sollen sie dann zu verantwortungsfähi- gen und -bereiten Bürgern der res publica Deutsch- Präsident Frau Renger: herr Abgeordneter, land, dieser unserer Republik werden? gestatten Sie mir eine Frage: Befinden wir uns be- (Beifall bei der CDU/CSU.) reits in der Debatte oder begründen Sie noch den Antrag? Ich frage dies, um zu klären, ob ich eine Lassen Sie mich auch den Schlußsatz aus diesem Zwischenfrage zulassen kann. Oder lassen Sie eine Gutachten zitieren: Zwischenfrage zu? Die Rahmenrichtlinien negieren den Pluralis- mus, die Solidarität aller Demokraten, die Dr. Dregger (CDU/CSU) : Ich bin mit Zwischen- Abgrenzung gegenüber dem Kommunismus, die fragen gerne einverstanden, Frau Präsidentin. Ich humanen Werte unseres sozialen und liberalen habe nur die Sorge, daß ich dadurch meine Zeit Rechtsstaates. Sie müssen deshalb gerade von überschreite. Sie mögen bitte entscheiden, ob es aus der Position der Sozialdemokratie aus abge- Zeitgründen geht. lehnt werden. Meine Damen und Her ren, das ist sicherlich nicht Präsident Frau Renger: Eine Zwischenfrage nur die Meinung der Herren Lübbe und Nipperdey, des Herrn Abgeordneten Groß. sondern auch vieler anderer Sozialdemokraten. Aber entlastet Sie das als Partei? Entlastet es vor allem Groß (FDP) : Herr Kollege Dregger, Sie zitieren die Führung der Partei? Niemand kann glauben, einen Erziehungswissenschaftler Nipperdey. Ist daß sich der hessische Kultusminister von Friede- Ihnen bekannt, daß Herr Nipperdey nicht Erzie- burg als einziges rotes oder schwarzes Schaf im hungswissenschaftler, sondern Historiker ist? Sind marxistischen Dschungel verirrt hat, wenn im glei- Sie bereit, damit einzuräumen, daß Ihnen der Hin- chen zeitlichen Rahmen der Herr Girgensohn in tergrund des Ganzen gar nicht bekannt ist? Nordrhein-Westfalen und der Herr von Oertzen in Niedersachsen ebenfalls Rahmenrichtlinien vorlegen, (Lachen bei der CDU/CSU. — Beifall bei die nicht am Grundgesetz, sondern an der spät- den Regierungsparteien.) - marxistischen Ideologie der neuen Linken orientiert sind. Dr. Dregger (CDU CSU): Ich verzichte auf eine (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) Antwort, meine Damen und Herren. Eine ideologisch fixierte Erziehung in staatsmono- (Beifall bei der CDU/CSU.) polistischen Schulen ist Verfassungsbruch, Daß das in den Hessischen Rahmenrichtlinien (erneuter Beifall bei der CDU/CSU) Fehlende nicht auf Vergeßlichkeit der Richtlinien- gleichgültig, um welche Ideologie es sich handelt. verfasser beruht, mögen Sie daran erkennen, daß Es sind unsere Kinder und unser aller Schulen, die es in dem Antrag enthalten war, den der Juso-Kon- Schulen dieser Republik. Weder die CDU noch die greß in München nicht akzepiert hat. Die Überein- SPD noch die FDP hat das Recht, eine Erziehung stimmung zwischen denen, die auf dem Juso-Kon- nach ihrer Ideologie oder der Ideologie einer ihrer greß das Sagen hatten und den Richtlinienverfassern Flügel zu verwirklichen. in Wiesbaden ist unverkennbar. Weiter: (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Der Angriff der Rahmenrichtlinien . . . richtet Frau Dr. Lepsius: Das sagen Sie mal den sich in gleicher Weise gegen die Familie, deren Bayern! — Gegenrufe von der CDU/CSU.) Klassenstruktur denunziert werden soll; die Mobilisierung der Kinder gegen die Eltern, zu- — Ich sage Ihnen noch sehr viel mehr, dessen kön- mal über eine obskure Sexualtheorie von den nen Sie gewiß sein, gnädige Frau! politischen Wirkungen einer „Triebunterdrük- Dem Angriff der Systemveränderer auf die Schu- kung", ist hier zentral. Mit der Autoritäts- len ging die Unterwanderung der Universitäten und fixierung wird auch jede funktionale Autorität Lehrerakademien voraus. Wird es nicht schon als in der Demokratie verworfen, der Protest an normal empfunden, daß Stipendiaten streiken, daß sich wird verherrlicht. Professoren, deren Gesinnung den Linksradikalen Meine Damen und Herren, wenn die Institution nicht paßt, verprügelt, mit Farbe übergossen und der Familie in der Schule systematisch herabge- aus den Hörsälen geprügelt werden und daß die setzt wird, wenn die Kinder in den Kategorien des Täter in den seltensten Fällen haftbar gemacht und Klassenkampfes erzogen werden, wenn alle Identi bestraft werden? 5010 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Dregger Die Parallelen zu den Jahren vor 1933 sind unver- Präsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, kennbar. fahren Sie bitte fort! (Beifall bei der CDU/CSU.) Diehl-Thiele hat in der „Frankfurter Allgemeinen Dr. Dregger (CDU/CSU) : Frau Präsidentin, ich Zeitung" vom 3. Juni 1972 einen Vergleich ange- bitte um Vergebung. Ich bitte um Ihre Genehmi- stellt zwischen dem Vokabular des NS-Studenten gung, noch ein Zitat zu bringen, das den Vergleich bundes und dem, was uns heute von linker Seite darstellt zwischen dem, was der NS-Studentenbund als progressive Kost serviert wird. Die Überein- gesagt hat, und dem, was uns jetzt als linke Kost stimmung ist frappierend: verkauft wird. (Beifall bei der CDU/CSU.) Befreiung der von der Hochfinanz enterbten, ausgebeuteten Volksschichten, ... Unterstüt- Es heißt dort: zung der berechtigten Forderungen der Arbei- Was also der alten Welt als Heiligtum erschei-

ter gegen das Aussaugersystem .. . nen mag, ist es für uns nationalsozialistische Studenten schon lange nicht mehr. Und das So hieß es in der Agitation des NS-Studentenbun- größte Heiligtum, die kapitalistische Wirt- des. Und weiter — ich zitiere wörtlich aus dem schaftsordnung, ist für uns gar das Hassenswer- Vokabular des NS-Studentenbundes — teste, da der Grund für Unterdrückung, Not und Elend. Herr Abgeordneter, Präsident Frau Renger: Meine Damen und Herren, genau das sind die Töne gestatten Sie! Ich glaube nicht, daß das hierher ge- von SDS, SHD und anderen kommunistischen und hört — Sie sollten bitte zur Sache zurückkehren —, sozialistischen Gruppen an unseren Universitäten. daß Sie hier — — (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.) (Lebhafte Zurufe und Widerspruch von der CDU/CSU.) Der Zangengriff auf die deutsche Jugend wirkt — Einen Augenblick! von den Hochschulen über die Lehrerakademien in die Schulen und bedient sich als zweiten Hebels der (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) Erwachsenenbildung. Was der Eichengrün-Bericht der — Einen Augenblick bitte! sozialdemokratischen Führung vorhergesagt hat, ist (Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU. — heute eine Tatsache. Nach der Universität ist die Gegenrufe von der SPD.) Erwachsenenbildung das Schlupfloch für beamtete Linksradikale geworden. — Ich bitte um Ruhe! Noch ein letztes zu diesem Komplex! Unsere Uni- (Weiter anhaltende Zurufe von der CDU/ versitäten sind nicht schon dann wieder gesund, CSU: Na, na! — Wo sind wir eigentlich?) wenn nicht mehr geprügelt und offen terrorisiert — Das ist doch unerhört! wird. Terror und Gesetzlosigkeit treten nicht immer in der Form äußerer Gewalt auf. Meine Damen und (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU. — Herren, es gibt auch eine Ruhe nach der Macht- Gegenrufe von der SPD.) - ergreifung. — Ich bitte um Ruhe, meine Damen und Herren. (Abg. Dr. Marx: Sehr wahr!) (Weitere fortgesetzte Zurufe.) Es sind durchaus Universitäten denkbar, an denen — Ich bitte Sie um Ruhe, meine Damen und Herren. in aller Ordnung gelehrt und gelernt wird, aber nach der Ordnung der DDR und nicht in der Treue zur (Erneute lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.) Verfassung. DKP und Spartakusbund als Ordnungs- — Der Herr Abgeordnete hat mich überhaupt nicht macht, die mit Hilfe der Hochschulautonomie unsere gefragt, ob er hier die Zitate anbringen kann, und Universitäten zu sozialistischen Inseln in der frei- heitlich-rechtsstaatlichen Demokratie machen, das ist (stürmische Zurufe von der CDU/CSU. — kein Hirngespinst, das ist nicht nur kommunistische Abg. Dr. Marx: Seit Herrn Mommer ist das Planung, sondern das ist bereits beginnende Wirk- ein alter Hut!) lichkeit in unserem Lande. — einen Augenblick mal! — ich halte es nicht für (Beifall bei der CDU/CSU.) richtig, solche Vergleiche mit NS-Zitaten hierher- zustellen. Neben der marxistischen Indoktrinierung der Ju- (Beifall bei der SPD. — Erneute Zurufe von gend ist die schrittweise Eroberung des Staatsappa- der CDU/CSU. — Abg. Dr. Müller [Mün rates auch außerhalb der Schulen und Universitäten chen] : Volkskammer! — Zurufe: Uner wichtigstes Teilstück der revolutionären Strategie. hört! — Abg. Dr. Jenninger: Volkskam Die bisherige Reaktion auch auf diese Herausforde- mer! — Gegenrufe von der SPD.) rung kann nur als Tragikomödie und als Bestätigung der von vielen behaupteten Hilflosigkeit unseres Systems empfunden werden. Dr. Dregger (CDU/CSU) : Frau Präsidentin — — Meine Damen und Herren, wir wünschen uns in (Anhaltende große Unruhe. — Zurufe von dieser lebenswichtigen Frage von der heutigen So- der SPD. — Abg. Dr. Marx: Weiter zialdemokratie nicht mehr, als daß sie die Entschie- sprechen!) denheit zeigt, die ihrer Geschichte würdig ist. Ha- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5011 Dr. Dregger ben wir denn vergessen, daß es der sozialdemokra- funktionsunfähig zu machen. Es ist daher kein Wun- tische preußische Ministerpräsident Otto Braun war, der, daß die Verfassungsfeinde unsere Gerichte zu- der 1930 feststellte, daß ein Beamter seine Treue- nehmend durch Sitz-, Liege- und Hungerstreiks, pflicht bricht, wenn er die KPD oder die NSDAP durch Toben, Spucken, Drohungen und andere Pö- auch nur fördere, geschweige denn ihr angehöre, beleien an der Ausübung ihrer Pflichten hindern. oder daß es der sozialdemokratische Innenminister (Zurufe von der SPD.) Hessens Heinrich Zinnkann war, der 1950 verfügte, daß Beamte, Angestellte oder Arbeiter, die an Or- Um so wichtiger ist es, daß sich das Verhalten ganisationen oder auch nur an Bestrebungen gegen der Demokraten davon deutlich unterscheidet. Auch die freiheitlich-demokratische Ordnung teilnehmen, hier hat eine erschreckende Entwicklung eingesetzt. aus dem Dienst des Landes zu entlassen seien? Das Wort ich bitte um Entschuldigung, daß ich es zitiere — von den „acht Arschlöchern von Karls- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) ruhe", von denen man sich die Ostpolitik nicht Schon die Zugehörigkeit zur Vereinigung der So- kaputtmachen lassen wolle, war ein besonders er- wjetfreunde und erst recht zur KPD galt als Teil- lesenes Beispiel. Drei Wochen später war im SPD- nahme im Sinne des Erlasses dieses sozialdemokra- Parteiorgan „Vorwärts" von „richterlicher Welt- tischen Innenministers aus dem Jahre 1950. Warum fremdheit" und einem Selbstverständnis der Verfas- handeln sozialdemokratische Landesregierungen sungsrichter zu lesen, das noch vom „Nachleben heute anders, meine Damen und Herren? Wer gegen des Bismarck-Deutschland" geprägt sei. den demokratischen Staat arbeitet, kann nicht in (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) seinem Dienst stehen. Diese einfache, der Rechtsord- nung entsprechende und einleuchtende Feststellung Dem Urteil liege „zutiefst eine Selbstüberschätzung unseres Antrages ist durch staats- und beamten- des Gerichts" zugrunde. rechtliche Erwägungen, die zum größten Teil neben Meine Damen und Herren, das sind dieselben Ar- der Sache liegen und nur die Untätigkeit der Regie- gumente, die heute von Moskau und Ost-Berlin ge- rung bemänteln sollen, vernebelt worden. gen die Bundesrepublik und ihre Rechtsposition ins (Abg. Seiters: Sehr richtig!) Feld geführt werden, Ich nehme hierzu auf die Erklärung des Rings Christ- (Beifall bei der CDU/CSU) lich-Demokratischer Studenten Bezug, die Ihnen al- wobei neuerdings sozialdemokratische Bundestags- len zugegangen ist. abgeordnete auch von Moskau aus Hilfestellung lei- Ein wichtiger Punkt ist die Stellung des Abgeord- sten. neten gegenüber seiner Partei und gegenüber dem (Abg. Dr. Jenninger: Hört! Hört!) Volk. Die Bindung der Abgeordneten an Parteibe- Ich denke jetzt weniger an den Fraktionsvorsitzen- schlüsse ist verfassungswidrig. Ich verzichte aus den der SPD, der zwar nicht die Position des Bun- Zeitgründen darauf, das im einzelnen zu belegen. desverfassungsgerichts, aber doch die Verhand- Es ist ja auch hier im Hause weitgehend bekannt. lungsposition seiner eigenen Regierung durch die Besonders weit gediehen ist es in der Stadt- Frank- in Moskau abgegebene Erklärung untergrub, diese furt, wo Versetzungen im Magistrat durch Parteibe- Verhandlungsposition sei überzogen. Nein, ich zirksbeschlüsse rückgängig gemacht werden und wo denke an unseren Kollegen Karl-Heinz Hansen, der sogar die Personalunterlagen der Bewerber dem in Radio Moskau das Urteil unseres höchsten Ge- Parteivorstand zur Verfügung gestellt werden. richts zum Grundvertrag als — ich zitiere — „Mittel (Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. revanchistischer Kräfte im Kampf gegen die Ent- Marx: Unglaublich!) spannungspolitik der Regierung Brandt/Scheel" de- nunzierte. Der Satz: „Die Partei befiehlt dem Staat" hat (Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. schon einmal in Deutschland gegolten. Wir möchten Marx: Unerhört! Zuruf von der CDU/ das nicht noch einmal erleben. CSU: Aufstehen!) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wenn sich das Abgeordnete dieses Hauses leisten, Dr. Marx: Sehr gut!) wie können wir uns dann noch wundern über das, Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler: Was haben Sie was draußen vor unseren eigenen Gerichten durch unternommen, um dieser verfassungswidrigen Pra- die Systemveränderer geschieht? xis in Ihrer Partei entgegenzutreten? (Beifall bei der CDU/CSU.) (Abg. Dr. Jenninger: Nichts!) Meine Damen und Herren, aus Zeitgründen will Eine letzte Einzelfrage: Wie steht es mit dem ich meinen Beitrag kürzen, worüber Sie sich auf der Respekt vor der Gerichtsbarkeit in unserem Lande? linken Seite des Hauses sicherlich freuen. Zusam Kein Gericht kann regelmäßig Urteile fällen, die menfassend möchte ich nur noch folgendes sagen. beiden Parteien zusagen. Um so mehr ist der Nicht die Einzelfälle, die ich vorgetragen habe, sind Respekt vor der Würde des Gerichts und vor seinen das für die Stabilität unseres Gemeinwesens Ge- Entscheidungen unentbehrliche Voraussetzung ei- fährliche, obwohl manche von ihnen erregend ge- ner Friedensordnung. Es gehört dementsprechend nug sind. Das Schlimme ist, daß es sich hier um zur Strategie der Systemüberwinder, den Staat und eine Welle der Mißachtung, der Nichtachtung und insbesondere die Staatsorgane, die diese Friedens- der Verachtung unserer Verfassung und ihrer ver ordnung zu sichern haben, also Justiz und Polizei, fassungsmäßigen Institutionen handelt und daß da- 5012 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Dregger hinter eine Ideologie oder auch mehrere Ideologien rungen gegen den Staat hätten, sondern weil in stehen - mit dem Ziel, aus dieser Republik eine ihnen noch Tugenden lebendig sind, die in einer andere zu machen. Dies ist, so meine ich, die Stunde, langen geschichtlichen Tradition in diesem Lande in der sich der Deutsche Bundestag dieser Frage zu- gewachsen sind, die aber heute verlacht werden. wenden und erklären muß, daß Verteidigungsbereit- (Beifall bei der CDU/CSU.) schaft zuallererst eine geistige Frage ist, daß sie die Kenntnis vorhandener Werte und den Willen, sie Wenn erst eine ganze Generation nach der Konflikt- zu schützen, voraussetzt. Bei uns geschieht ja so theorie der Rahmenrichtlinien von Hessen, Nord- gut wie nichts, um Wertbewußtsein und Verteidi- rhein-Westfalen und Niedersachsen erzogen sein gungsbereitschaft in der jungen Generation zu wird, werden wohl nicht nur die Fluglotsen, son- wecken. dern auch viele andere Spezialisten ihre Macht (Lachen bei der SPD.) mißbrauchen. Was sollte sie daran hindern? Es muß eben auch das Ethos des Beamten geben, der Im Gegenteil: Nicht nur Lehrer, nicht nur promi- nicht nur Privilegien will, sondern auch Pflichten nente Juso-Führer, sondern auch Parteivorsitzende übernimmt und sogar bereit ist, auf ein Streikrecht der SPD — z. B. der SPD-Landesvorsitzende in zu verzichten. Schleswig-Holstein — kritisieren nicht nur beste hende Mißstände - das tun wir auch —, sondern Meine Damen und Herren, den demokratischen sprechen — ich zitiere wörtlich von der „syste Staat intakt zu erhalten, die Grenze zu den Ver- matischen Erbärmlichkeit eines unverantwortlichen fassungsfeinden deutlich zu ziehen und offensiv zu Systems in unserer Wirtschafts- und Gesellschafts- verteidigen, das ist nicht, wie viele von Ihnen sagen, ordnung" und rufen öffentlich „zum Klassenkampf rechtskonservativ-reaktionär, sondern das ist die und zur Systemveränderung" auf. Pflicht jedes demokratischen Politikers. Was soll eigentlich junge Bürger dieser Republik Ich komme zum Schluß. Zum Grundgesetz gibt es ohne unsere geschichtlichen Erfahrungen veran- keine Alternative. Dieser apodiktische Satz am An- lassen, diese Republik zu verteidigen? Wie sollen fang unseres Entschließungsantrags will mit der sie sich mit der freiheitlichen Verfassung identifi- Klarheit, die der Sache angemessen ist, deutlich zieren, wenn sie z. B. im 1972 neu eröffneten Histo- machen, daß die Demokraten in Deutschland jede rischen Museum der Stadt Frankfurt die November- Alternative ablehnen, weil es für uns keine Alter- ereignisse des Jahres 1918 wie folgt kommentiert native gibt, weder eine linksfaschistische noch eine finden — ich zitiere wörtlich —: „Das Rätesystem rechtsfaschistische, weder eine rätedemokratische hätte in Deutschland als Mittel wirken können, die noch eine ständestaatliche, weder ganz noch halb, an Autorität und Unterwerfung gewohnte Bevölke- noch zu einem Viertel. Für uns gibt es auch keine rung zur Selbstbestimmung zu bringen"? Konvergenz, keine Vermischung der Systeme. Für uns gibt es nur diese freiheitlich-rechts- und sozial- Meine Damen und Herren, welches Glück für die staatliche Demokratie im Sinne unseres Grundge- mitteldeutsche Bevölkerung, daß sie wenigstens setzes. Das deutlich zu machen für die Bürger im nach 1945 unter einem Rätesystem zur Selbstbe- Lande und die Menschen in der Welt ist der Sinn stimmung gebracht worden ist! Welchen Rück- - unserer Entschließung, die auf jede Polemik ver- stand haben wir in der Bundesrepublik Deutschland zichtet noch aufzuholen! (Lachen bei der SPD) Wie soll ein Staat Bestand haben, der auf Selbst- und der alle zustimmen können, die auf dem Boden verteidigung verzichtet, der das Gewaltmonopol mit der Verfassung stehen. anderen teilt, der sich seiner Machtmittel begibt? Das Disziplinarrecht an den Universitäten wurde (Beifall bei der CDU/CSU.) nicht modernisiert, sondern fast restlos abgeschafft. Der Deutsche Bundestag ist aufgerufen, ein Signal Aber hier hat ja ein Lernprozeß bei den Sozialdemo- zu setzen und den verfassungstreuen Kräften im kraten eingesetzt. Das dauert bei Ihnen immer nur Lande den Rücken zu stärken. ein bißchen lange. In Verwaltungsgerichtsprozes- (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der sen erleben Professoren oft, daß vorgesetzte Behör- CDU/CSU.) den sie im Stich lassen, gar heimlich mit den Stö- rern sympathisieren, weil sie die „Aufbrechung verkrusteter Strukturen" wollen. Präsident Frau Renger: Das Wort zur Ge- Auf Recht und Ordnung — und das heißt ja nichts schäftsordnung hat Herr Kollege Wagner. anderes als inneren Frieden kann nicht verzich- tet werden. Die Gesellschaft kann den Staat nicht Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Frau Präsiden- ersetzen. Deshalb müssen wir in diesem Lande nicht tin! Meine Damen und Herren! Es ist das zweite nur Gesellschafts-, sondern auch Staatspolitik be- Mal in kurzem Abstand, daß ein Redner der CDU/ treiben. CSU-Fraktion wegen des Inhalts seiner Rede unter- Ich hätte das gern noch am Beispiel des Streiks brochen wird. Das erste Mal war es bei Herrn Kol- beamteter Fluglotsen und an der ganz anderen legen Häfele, und heute ist es bei Herrn Kollegen Haltung etwa unserer beamteten Lokomotivführer Dregger, weil er nicht gebeten hat, ein Zitat ver- exemplifiziert. Wenn diese Lokomotivführer nicht wenden zu dürfen. Nach unserer Auffassung ist streiken, dann doch nicht etwa deshalb, weil sie dies in der Geschäftsordnung nicht vorgeschrieben nicht bummeln könnten oder weil sie keine Forde- und durch die Geschäftsordnung auch nicht ge- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5013 Wagner (Günzburg) deckt. Wir sehen darin eine Beeinträchtigung der Bitte, Herr Abgeordneter Wagner zu einer Er- Redefreiheit klärung. (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Frau Präsiden- und möglicherweise den Ansatz für den Beginn tin! Meine Damen und Herren! Nach dieser Erklä- einer Zensur, die keiner von uns haben will. rung und Entschuldigung der Frau Präsidentin er- (Erneuter lebhafter Beifall bei der CDU/ kläre ich meinen vorhin erhobenen Vorwurf für CSU.) gegenstandslos. Meine Damen und Herren, wir müssen, so meine ich, diese grundsätzliche Frage vor Fortführung der Präsident Frau Renger: Meine Damen und Debatte klären. Aus diesem Grunde bitte ich um Herren, wir fahren fort. Das Wort hat der Abgeord- Unterbrechung der Sitzung um eine halbe Stunde nete Dr. Schäfer. und um Einberufung des Ältestenrats zur Klärung dieses Themas. Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Frau Präsidentin! (Beifall bei der CDU/CSU.) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu der Rede des Herrn Kollegen Dregger möchte ich ein- gangs nur zitieren, was der Vorsitzende der CDU, Präsident Frau Renger: Zur Geschäftsord- , offensichtlich in Kenntnis dessen, was nung Herr Abgeordneter Wienand. Herr Dregger vortragen wird, vor kurzem gesagt hat. (Lachen und Oh-Rufe bei der CDU/CSU.) (Abg. Reddemann: Zitieren Sie mit Geneh migung?) Wienand (SPD) : Frau Präsident! Meine Damen — Da ich die Erklärung der Frau Präsidentin von und Herren! Die SPD-Fraktion wird der Unterbre- soeben so verstehe, daß die Genehmigung nicht not- chung selbstverständlich zustimmen. wendig ist, zitiere ich. Nur zwei Feststellungen vorab: Wir bedauern, daß (Lachen bei der CDU/CSU.) in der Begründung des Unterbrechungswunsches schon eine Wertung gegenüber der amtierenden Präsidentin lag, eine Wertung, die erst im Ältesten-- Präsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, rat vorgenommen werden sollte. die Frage, ob wir uns üblicherweise daran halten sollten, haben wir im Ältestenrat noch nicht geklärt. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Nordlohne: Sie können offensichtlich (Heiterkeit bei der CDU/CSU.) eine Feststellung von einer Wertung nicht unterscheiden!) Dr. Schäfer (Tübingen )(SPD): Vielen Dank für die Klarstellung, Frau Präsidentin! Dann bitte ich um Dies, meine Damen und Herren — da können Sie die Genehmigung. Darf ich es, Frau Präsidentin, ein ruhig hinauslaufen —, ist der schlechteste Stil, der bißchen generell machen, weil ich öfter zitieren muß? je in diesem Haus praktiziert worden ist. Herr Kohl also sagte folgendes: (Beifall bei der SPD. — Lebhafte Rufe von der CDU/CSU: Ausgerechnet Sie! — Wei- Es ist die verhängnisvolle Neigung vieler Deut- tere lebhafte Zurufe von der Mitte.) scher, alles, was ihnen nicht in den Kram paßt, sogleich für verfassungswidrig zu halten, und umgekehrt alles, was sie aus irgendwelchen Präsident Frau Renger: Meine Damen und Gründen wünschen und wollen, als Gebot der Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 10.50 Uhr. Verfassung auszugeben. (Unterbrechung von 10.20 bis 11.43 Uhr.) (Abg. Katzer: Ein sehr gutes Wort!) Im übrigen werde ich an der geeigneten Stelle auf Präsident Frau Renger: Meine Damen und Sie zurückkommen, Herr Kollege Dregger. Herren, die unterbrochene Sitzung wird wieder auf- (Abg. Stücklen: Es lohnt sich, Kohl zu genommen. zitieren!) Nach einer Sitzung des Ältestenrates erkläre ich: Ich hoffe, daß wir uns in diesem Hause darüber Meine Bitte an den Abgeordneten Dregger, zur Sache einig sind, daß unsere Verfassung nicht ein Organi- zurückzukommen, kam nicht einem Sach- oder Ord- sationsstatut ist, sondern daß durch sie mehr geregelt nungsruf nach § 40 gleich. Wenn ich in der aufkom- und abgegrenzt und möglich gemacht werden soll, menden Unruhe und Erregung eine mißverständ- nämlich die Voraussetzungen für die einzelnen Men- liche Ausdrucksweise gewählt haben sollte, be- schen und für die Gemeinschaft der Menschen, ihre daure ich das ausdrücklich. Herr Abgeordneter Gaben für sich und für die sie umgebende Gemein- Dregger hatte nicht, wie es der Übung des Hauses schaft zu entfalten. Und — ich zitiere dazu die Ver- entspricht, die Präsidentin um Genehmigung des fassung meines Heimatlandes Baden-Württem- Zitierens gebeten. Ich war der Auffassung, daß ein berg —: weiteres Zitieren aus dem Vokabular des NS-Stu- dentenbundes von der Sache wegführe. Eine poli- Der Staat hat dem Menschen dabei zu dienen. tische Wertung und ein Eingriff in die Redefreiheit (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn]: Ein sehr waren mit meiner Bemerkung nicht beabsichtigt. gutes Wort!) 5014 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Schäfer (Tübingen) Diese Auffassung ist heute Allgemeingut. Die Frage Ich zitiere also: ist, ob man immer danach handelt. Der Staat soll Vorbedingungen dafür schaffen, Diese Gestaltung einer Verfassung, das Erkennen, daß der einzelne sich in freier Selbstverantwor- was zu einer Verfassung gehört, gibt es für uns So- tung und gesellschaftlicher Verpflichtung entfal- zialdemokraten seit 110 Jahren, seit Lassalle 1862 ten kann. Die Grundrechte sollen nicht nur die und 1863 gesagt hat, was Verfassung ist. Ich darf Freiheit des einzelnen gegenüber dem Staat zitieren: sichern, sie sollen als gemeinschaftsbildende Rechte den Staat mitbegründen. Wir haben also gesehen, was die Verfassung eines Landes ist, nämlich die in einem Lande Als Sozialstaat hat er für seine Bürger Vorsorge bestehenden tatsächlichen Machtverhältnisse. zu treffen, um jedem die eigentverantwortliche Die Herren Borsig und Egells, die großen Indu- Selbstbestimmung zu ermöglichen und die Ent- striellen überhaupt, die Bankiers Mendelssohn wicklung einer freiheitlichen Gesellschaft zu und Schickler, die Börse überhaupt, das ist ein fördern. Durch Verschmelzung des demokrati- Stück Verfassung. schen mit dem sozialen und dem Rechtsgedan- ken soll der Staat zum Kulturstaat werden, der Und er sagte weiter, an den einzelnen gerichtet: seine Inhalte von den gesellschaftlichen Kräf- Allen einzelnen aber durch die großen Gesamt- ten empfängt und dem schöpferischen Geist der einrichtungen des Staats in einer den jedesmali- Menschen dient. gen Zeitbedürfnissen entsprechenden Weise die Und, Herr Dregger, damit Sie es für die Zukunft reale Möglichkeit zur Selbsthilfe und Selbst- wissen und nicht wieder falsch zitieren — ich hoffe entwicklung zu gewähren, das ist gerade der nicht, daß Sie es bewußt falsch dargestellt haben; erste Sinn der Freiheit, das ist der wahre Inhalt ich nehme an, Sie haben es von einem früheren Fäl- aller gesellschaftlichen Ordnung, das und nicht scher abgeschrieben; denn es gibt deren viele —, der bloße Polizeizweck, Verbrechen abzuweh- ren, ist der letzte Grund und Zweck des Staates, (Beifall bei der SPD) der nicht den Ministern oder den Königen ge- will ich Ihnen hier auch das Grundsatzprogramm der hört, sondern durch alle und für alle da ist. SPD wörtlich zitieren: Auf dem Boden dieses verfassungspolitischen Ver- Sozialismus wird nur durch die Demokratie ver- ständnisses haben Sozialdemokraten seit 1863 ge- wirklicht, die Demokratie durch den Sozialis- kämpft, gelitten, Leben und Freiheit eingesetzt und mus erfüllt. geopfert. Auf diesem Boden haben die Sozialdemo- (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. kraten im Parlamentarischen Rat — ich nenne stell- Dregger: Habe ich doch gesagt!) vertretend für alle anderen Carlo Schmid diese

Verfassung gestaltet, die sozialdemokratischen Vor- — Lesen Sie doch noch einmal nach, was Sie falsch stellungen entspricht und die sozialdemokratisches gesagt haben. Herr Dregger, da Sie sich so erfreu- Gedankengut in guter — ich möchte fast sagen: in lich viel mit der SPD befassen, will ich Ihnen ein bester Weise wiedergibt. Originalgrundsatzprogramm zuleiten, damit sie es (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD.) dann richtig zitieren können. (Abg. Dr. Dregger: Ich habe richtig zitiert!) Dieses Grundgesetz ist eine große Leistung, weil es gelungen ist, diesen Forderungen, die ich eben — Nein, Sie haben es falsch zitiert! skizziert habe, gerecht zu werden, gleichzeitig Ziel- (Abg. Rawe: Nein, er hat richtig zitiert!) vorstellungen deutlich zu machen und innerhalb die- ser Zielvorstellungen die politische Entwicklung als Herr Dregger, ich nehme zur Kenntnis, daß Sie der eine selbstverständliche Aufgabe möglich zu machen. Meinung sind, Sie hätten es richtig zitiert. Deshalb Für uns Sozialdemokraten ist das auch heute eine sage ich nicht, Sie hätten bewußt falsch zitiert. Und Selbstverständlichkeit, und wir haben das in unse- Sie werden sich überzeugen, daß gerade die Form, rem Godesberger Programm sehr deutlich formu- wie Sie zitiert haben, das bedeutet. liert. Ich darf daraus zitieren. (Zuruf von der CDU/CSU.) (Abg. Dr. Klein [Göttingen] : „Demokratie erfüllt sich im Sozialismus"!) — Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, wir sollten uns darüber einig sein, daß es keinen — Herr Klein, auf Sie komme ich nachher zurück. Alleinanspruch gibt. Sie werden zufrieden sein. (Abg. Dr. Dregger: „Erfüllt"!) (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das kann man vorher nie wissen!) — Entschuldigen Sie, sie wird erfüllt. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten der Erfüllung. -- Da haben Sie auch wieder recht; Sie werden es (Abg. Dr. Marx: Denken Sie! — Weitere wahrscheinlich nicht sein, Herr Stark. Zurufe von der CDU/CSU.) (Zuruf des Abg. Reddemann.) — Entschuldigen Sie, wir sind in einem pluralisti- — Ach, Herr Reddemann, Sie nicht! Sie besser nicht! schen Staat, und nach unserer Auffassung wird die (Beifall bei der SPD und bei. Abgeordneten Forderung des demokratischen Staates erfüllt in der FDP.) dieser Weise, wie es unser Grundprogramm vor- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5015 Dr. Schäfer (Tübingen) sieht. Sie mögen es in anderer Weise sehen; ich Damen und Herren, die Themen für die politischen komme gleich darauf. Parteien, für die Politik kann man sich nicht suchen, (Abg. Dr. Jenninger meldet sich zu einer sondern die Themen ergeben sich aus der gesell- Zwischenfrage.) schaftlichen Entwicklung und werden uns gestellt. Und wer glaubt, vor ihnen davonlaufen zu können, — Augenblick, ich muß den Gedanken zu Ende füh- erfüllt die Aufgabe einer politischen Partei nicht. ren, Herr Jenninger. — Sie sahen es von der CDU aus im Ahlener Programm. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Warum laufen Sie denn dauernd (Abg. Dr. Dregger: Kein Alleinvertretungs- davon?!) anspruch!)

Nun komme ich zu einer Ihrer grollen Schwierig- Dr. Jenninger (CDU/CSU): Herr Kollege Schä- keiten, Herr Dregger, zu einer der großen Schwie- fer, ich wollte Sie eigentlich im Zusammenhang mit rigkeiten der CDU/CSU in dieser Verfassung. dem Wort „erfüllt", das Sie vorhin gebraucht haben, 1948/49, als das Grundgesetz geschaffen wurde, hat- fragen: Wie können Sie diese Formulierung des ten wir Sozialdemokraten eine 85jährige politische Godesberger Grundsatzprogramms mit der wieder- Geschichte; die Liberalen hatten ihre jahrhunderte- holten Aussage des Herrn Bundeskanzlers verein- alte Geschichte; die CDU hatte keine. baren, daß die Demokratie nur durch den Sozialis- (Abg. Dr. Dregger: Neu! Modern!) mus „vollendet" werde? — Herr Dregger, ich habe Sie angehört, hören Sie (Zuruf von der SPD: Er braucht auch ein bitte auch zu. Wir wollen uns hier ja auf einige Exemplar!) Dinge, hoffe ich, aufmerksam machen, die zum Nach- denken Anlaß geben. Wenn das nicht der Sinn Ihrer (Tübingen) (SPD) : Ihnen schicke ich Rede gewesen sein sollte, müßte ich Ihre Rede ja Dr. Schäfer noch etwas Weiteres zu als nur das Grundsatz- ganz merkwürdig deuten. programm. Sie können das dann studieren. (Beifall bei den Regierungsparteien.) (Abg. Dr. Jenninger: Ein bißchen dünn! — Abg. Rawe: Wollen Sie keine Antwort ge Präsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, - ben, Herr Schäfer! — Abg. Dr. h. c. Kiesin gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- ger: Das ist eine ernste Frage! — Weitere ordneten Dr. Jenninger? Zurufe von der CDU/CSU.) — Ich beantworte sie in der Form, Herr Kollege Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Noch nicht, ich Kiesinger, wie ich es für richtig halte. Sie können muß den Gedanken zu Ende führen, Herr Jenninger. ja nachher dazu Stellung nehmen. Ich werde dann Ich lasse mir die Gedanken nicht zerreißen, Herr auch an Sie eine Frage stellen, Herr Kiesinger, zu Jenninger; davon haben wir alle nichts. der Sie Stellung nehmen dürfen. (Abg. Dr. Jenninger: Das will ich auch gar (Abg. Rawe: Aber wir stellen fest, auf diese nicht!) Frage haben Sie keine Antwort!) 1948/49, als das Grundgesetz geschaffen wurde, hat- Meine Damen und Herren, wir sagen uns hier ten wir unsere Basis und wußten, was wir mit die- einige Dinge, die zu Überlegungen Anlaß geben. Die sem Grundgesetz wollen, und die Liberalen hatten CDU hat, nachdem sie ihr Ahlener Programm auf- ihre Basis. Und Sie — ich respektiere das —, die gegeben hat, keine neue politische Generallinie ge- neu gesammelt haben, Kräfte, die sich in der CDU funden. haben sich Mühe gegeben, haben ihr Ahlener Pro- gramm formuliert, das in seiner Konzeption bei der (Abg. Rawe: Aber wir haben in der Zwi Schaffung des Grundgesetzes zugrunde lag. Das schenzeit gute Politik für dieses Land ge haben Sie verlassen, und Sie sind bis zu Ihrem macht! — Abg. Reddemann: Das sind doch ersten Parteitag in Berlin vor drei Jahren richtungs- Pappkameraden!) los geblieben. Sie hat keine neue Generallinie gefunden. Ich werde (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar- es Ihnen im einzelnen darstellen, und ich hoffe, da teien. — Zuruf des Abg. Reddemann.) mit Ihnen zu helfen, um damit uns allen zu helfen. — Zu Ihnen komme ich gleich. Das war bis zu Ihrem (Abg. Dr. Jenninger: Wir machen Sie zum Parteitag in Hamburg, wo Sie sich ehrlich bemüht Ehrenvorsitzenden der CDU! — Abg. Dr. haben — und das ist ein Fortschritt, den wir be- Heck meldet sich zu einer Zwischenfrage.) grüßen —, auf die politischen Fragestellungen Ant- Ich komme auf den Punkt zurück, Herr Heck, wort zu geben. dann können Sie danach fragen. Aber das ist doch auch wieder interessant: An In dieser Situation meinte nun die CDU, eine dem Tag, meine Damen und Herren, an dem Ihr polemische Debatte über Verfassungstreue gegen Parteitag war, hat in der „Frankfurter Allgemeinen uns beginnen zu können. Zeitung" Johannes Gross einen Artikel mit der Überschrift „Das falsche Thema der CDU" geschrie- ben und der CDU gesagt: Wie könnt ihr bloß über Präsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Mitbestimmung und solche Dinge reden! Meine Zwischenfrage, Herr Kollege? 5016 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Ich hatte gesagt, dem dann die Heren nacheifern mögen, Ebert und ich komme nachher auf den Punkt zurück. Herr Heck Noske zu sein; aber in der Weise — kann dann fragen. (Abg. Dr. Jenninger: Rosa Luxemburg haben Ich hoffe, daß die CDU/CSU inzwischen gemerkt Sie ausgelassen!) hat, daß man in der deutschen Öffentlichkeit in- -- Herr Jenninger, Rosa Luxemburg ist auch ein Ted zwischen sehr genau registriert hat, was dieser Ver- unserer Geschichte. such sollte. Ich meine, ich sollte Ihnen dazu etwas vorlesen, was für mich von Interesse ist. Herr (Beifall— bei den Regierungsparteien. Barzel kann heute nicht hier sein, also hat er seine Zurufe von der CDU/CSU.) Rede zu diesem Punkt schon am 6. Februar gehal- ten. Er hat am 6. Februar in Paderborn gesagt — Präsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ich habe den Wortlaut seiner Rede —: gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Ab- geordneten Dr. Müller (München)? Diese Besinnung auf unser Grundgesetz sollte niemandem Anlaß sein, parteipolitische Süpp- chen zu kochen, Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Ich habe gesagt: jetzt noch nicht. Ich komme nachher darauf. (Abg. Dr. Dregger: Sehr richtig! Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU.) nur zum Kampf gegen die unbezweifelbar vor- Ich muß nämlich jetzt eine Frage an den Herrn handenen und aktiven Feinde der Verfassung Kiesinger stellen. Ich sagte: es gibt verschiedene aufzurufen, sich nur der ebenso unbezweifel- Verantwortungen der politischen Gruppen. Hier im bar vorhandenen und aktiven Erfolge dieser „Spiegel" Nr. 4, Herr Kiesinger, wird zitiert aus zweiten gelungenen Demokratie zu berühmen. einer Darstellung des Herrn Rehwinkel, aus der sich — — (Abg. Windelen: Wollen Sie dem wider- (Zuruf des Abg. Dr. h. c. Kiesinger.) sprechen? — Zurufe von der CDU/CSU: Ausgezeichnet!) — Die habe ich bis heute nicht dementiert gefun- den. Es ist ein so schwerwiegender Vorwurf, Herr Es gibt noch mehr Punkte. Ich werde sie Ihnen nicht Kiesinger, der hier steht; der sollte auf einem Poli- vorenthalten. tiker Ihres Ranges nicht lasten bleiben. Deshalb (Abg. Rawe: Lesen Sie ruhig weiter! — stelle ich die Frage hier. Der Vorwurf ist allzu deut- Abg. Dr. Dregger: Daraus können Sie viel lich, nämlich dahin gehend: nicht nur bei der Bun- lernen! — Weitere Zurufe von der CDU/ despräsidentenwahl hat man mit der NPD zusam- CSU. — Gegenrufe von der SPD.) mengespielt, sondern insgeheim, so steht es hier, war das Zusammenspiel mit der NPD auch nach — Ja, die Punkte bekommen Sie alle noch zu hören. 1969 erwünscht. Dazu wäre es gut, wenn Sie sich Wenn ich dann lese, was der Herr Kollege Klein nachher zu Wort meldeten, um das klarzustellen. gesteren veröffentlicht hat: Herr Kollege Klein, (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Ich habe eine dazu kann ich Ihnen nur sagen, es stellt sich jeder Gegenfrage!) auf seine Weise dar und heftet sich das Etikett an, das er in diesem Hause tragen wird. — Sie verstehen, Herr Kollege Kiesinger, es ist nicht gut, wenn eine solche Frage hier stehenbleibt. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Leb- hafter Beifall bei der CDU/CSU.) — Abg. Klein [Göttingen] : Ich bin nicht zufrieden!) Präsident Frau Renger: Gestatten Sie bitte die Zwischenfrage, Herr Kollege. — Wenn Sie nicht zufrieden sind, sollten Sie in die- sen vier Jahren der Legislaturperiode manchmal be- denken, was ich Ihnen eben gesagt habe. Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Bitte schön. (Abg. Rawe: Herr Schäfer, lohnt sich nicht!) Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) : Darf ich mit Ich bin mit dem Herrn Dregger und hoffentlich einer Gegenfrage das Problem, hoffe ich, auch be- mit dem ganzen Hause in Übereinstimmung, daß antworten. Herr Kollege Schäfer, haben Sie nicht wir eine Gesamtverantwortung für diese Verfas- bemerkt, daß während des Bundestagswahlkapmfes sung tragen. Dabei fallen den einzelnen politischen 1969 nicht nur meine Partei, sondern auch ich selbst Gruppierungen, Parteien, verschiedene Aufgaben zu, mit aller Schärfe der NPD entgegengetreten sind die zu erfüllen sind. Wenn z. B. Herr Strauß gestern und unsere Wähler gewarnt haben, diese Partei zu sagt — ich zitiere die „Frankfurter Allgemeine" —: wählen? (Abg. Stücklen: Das Beste, was Sie machen (Beifall bei der CDU/CSU.) können, ist, ihn zu zitieren!) Wir (die CSU) sind heute mehr die Partei Eberts Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Kiesinger, und Noskes als die SPD, die sich gar nicht die Methodik der Gegenfrage kennen wir. Sie ist mehr traut, Ebert vorzuzeigen. aber keine Antwort auf meine Frage. (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.) Meine Damen und Herren, entweder ist dies über- hebliche Arroganz oder der Versuch einer Beleidi- Herr Kiesinger, lassen Sie das nicht stehen, was hier gung von Ebert und Noske, oder es ist ein Vorsatz, steht! Lassen Sie das nicht stehen, daß Sie 1969 nach Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5017 Dr. Schäfer (Tübingen) der Wahl sich so geäußert haben sollen! Das ist dem Gebiet der inneren Sicherheit, ein Bund-Länder- eine Belastung für das ganze Haus. Konzept des Zusammenwirkens, zu entwickeln. Das (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu- muß uns aber auch in die Lage versetzen — hier darf rufe von der CDU/CSU.) ich mich an die Bundesratsbank wenden, die heute erfreulicherweise stark besetzt ist , auf dem Bil- Mit der Auffassung, daß Sie das Ahlener Programm dungssektor durch einen Bildungsgesamtplan und aufgegeben und damit Ihre Basis verloren haben, durch die notwendige Zusammenarbeit im Bildungs- bin ich ja nicht allein. wesen eine Einheitlichkeit zu schaffen, um den Fö- Da habe ich am 28. Dezember eine Fernsehdiskus- deralismus zu bestätigen und nicht Entwicklungen in sion gesehen: Oswald von Nell-Breuning, der Herr Gang zu setzen, die wir nicht wollen. Kollege Blüm von hier und der Herr Kollege Mül- (Abg. Stücklen: Aber in der richtigen Rich ler [Remscheid], und in der Ankündigung heißt es: tung!) „Der Sozialkatholizismus ist eines sanften To- — Deshalb hat dieses Haus, Herr Kollege Stücklen, des entschlafen." So urteilte vor kurzem einer die Enquete-Kommission Verfassungsreform einge- der Wegbereiter dieser Bewegung, der Jesuit setzt, um genau in diese Richtung die Entwicklung Oswald von Nell-Breuning. richtig weiterzuführen, nicht zu der Frage, ob der Und die ganze Sendung hatte diesen Tenor. Und vor eine oder der andere mehr tut, sondern im Sinne drei Wochen stellt sich der Herr Blüm hier hin und der Machtbalance und im Sinne des Zusammenwir- redet Dinge, die damit gar nicht im Einklang stehen. kens. Ich hoffe, daß man hier die Bemühungen, die von allen Seiten unternommen werden, auch tat- (Abg. Stücklen: Warum beschweren Sie sich sächlich unterstützt. bei uns darüber; beschweren Sie sich doch beim Vatikan! — Weitere Zurufe von der Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zu einer CDU/CSU.) Entwicklung sagen, die ganz groß auf uns zukom- men soll — wir wünschen sie alle —, nämlich daß Meine Herren, das ist Ihre Situation. sich über diesen Bundesstaat ein neuer Bundesstaat (Vor sitz: Vizepräsident von Hassel.) schieben möge: die EWG. (Abg. Stücklen: Europa!) Die Verfassung dieses Staates geht von der Macht- - balance aus. Die Verfassung dieses Staates kennt — Europa, der Bundesstaat Europa; den wollen wir die Machtbalance im staatlichen Bereich und im ge- alle. Lassen Sie mich aber vorweg sagen, meine sellschaftlichen Bereich. Sie ist eine der Vorausset- Damen und Herren: Dazu gehören Mut und Beharr- zungen für das Funktionieren dieses Staates. Ich lichkeit und noch einmal Beharrlichkeit; hier darf weiß, es ist nicht mehr die alte Gewaltenteilungs- man nicht nach Tagesentwicklungen, Tageserschei- lehre von Montesquieu: Teilung der Gewalt zwi- nungen politisch resignieren. schen Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung. Wir müssen anerkennen, daß diese Regierung 1969 Es sind neue öffentliche Gewalten entstanden. Ich wesentliche Impulse dafür gegeben hat, daß die nenne nur mal: Unternehmen, Wirtschaftsverbände, EWG vergrößert werden konnte. Heute befinden wir Gewerkschaften, Kirche, Presse, Rundfunk, Fernse- uns in einem Wellental dieser Entwicklung. Es ist hen. Daß die alle in einem Balancesystem sind, das jedoch eine alte Erkenntnis in der Politik, daß man ist eine Gewähr unserer Freiheit. Deshalb ist es in einer solchen Situation keine Entscheidungen eine Aufgabe für den Gesetzgeber, diese Balance zu trifft, weil sie negativ sein können. Wir wissen, daß sichern, z. B. die Meinungsfreiheit zu sichern, es niemanden in diesem Hause und keine deutsche (Abg. Dr. Klein [Göttingen]: Landespresse- Regierung gibt, die diese Dinge nicht vorantreiben ausschuß!) wollten. Ich muß dabei aber auch sagen: die Verfas- sung für die EWG, wie sie durch den EWG-Vertrag aber als erstes im staatlichen Bereich den Föderalis- geschaffen wurde, kann für uns, aus unserem parla- mus zu sichern. mentarischen Staatsverständnis heraus, nur eine Lassen Sie mich zum Föderalismus folgendes sa- vorübergehende Lösung sein. Es darf keine Dauer- gen. Wir Sozialdemokraten haben hier viel dazuge- lösung werden, daß das Europäische Parlament des- lernt. Ich bin froh, daß Sozialdemokraten 1949 in halb nicht funktionsfähig ist, weil es gar keine Funk- dieser richtigen Richtung mitgewirkt haben. Födera- tionen im eigentlichen Sinne eines Parlaments hat lismus ist nicht ein historisches Mitschleppen von und die Gesetzgebung durch den Ministerrat erfolgt. ehemaligen staatlichen oder monarchischen Gebil- Es muß unsere gemeinsame Anstrengung sein, über den, sondern ist eine echte Funktion der Gewalten- diese Entwicklung hinwegzukommen, und zwar in teilung. Auf der anderen Seite hat er den weiteren die Richtung einer Verfassung, wie wir sie haben, großen Vorteil der Konzentration der politischen wie sie andere Staaten haben. Kräfte, gleichgültig, von welcher Seite, weil man (Abg. Reddemann: Einverstanden!) nämlich bei der heutigen Konstellation immer davon ausgehen kann, daß alle drei Parteien irgendwie in Meine Damen und Herren, ich hoffe, wir stimmen der politischen Vollverantwortung stehen. auch darin überein, daß wir, so wie wir hier sitzen, (Abg. Stücklen: Sehr gut!) in unserem Alter langfristig, langatmig, hartnäckig Geduld haben müssen, um die nächste Generation in Das hat es uns z. B. ermöglicht — früher hat man die richtige Entwicklung hineinzubringen. Wir dür- es nicht geschafft —, ein einheitliches Konzept auf fen alle dankbar feststellen, daß wir keine Töne von 5018 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Schäfer (Tübingen) der nächsten Generation hören, die die europäische der Regierungsmacht und die Verhütung der Entwicklung stören könnten. Totalherrschaft. Das Wesen der Opposition ist der permanente Versuch, an konkreten Tatbe- (Abg. Dr. Jenninger: Warum lehnen Sie ständen mit konkreten Vorschlägen der Regie- dann die Direktwahl ins Europäische Parla- rung und ihren Parteien den positiven Gestal- ment ab?) tungswillen der Opposition aufzuzwingen. — Weil die Direktwahl von uns Deutschen allein Meine Damen und Herren, jetzt muß ich auf das — gesehen keine Lösung ist, sondern weil sie im Herr Heck, dies sage ich auch an Ihre Adresse — ganzen zu sehen ist, Her Kollege Jenninger, und zurückkommen, was ich vorher sagte. Sie haben die weil es auf die Kompetenz des Parlaments ankommt. Basis verloren, als Sie das Ahlener Programm auf- (Beifall bei der SPD.) gaben. Sie haben kein neues Grundsatzprogramm Lassen Sie uns gemeinsam nach Wegen suchen, wie gehabt. Das ging bis zur Gefälligkeitsdemokratie des wir hier weiterhelfen können! Aus Ihrer Zwischen- ehemaligen Kanzlers Erhard. Das ging bis zur Gefäl- frage und aus der Zustimmung ersehe ich, daß wir ligkeitsdemokratie mit Staatskrise 1964/65, zu der hier alle einer Meinung sind. der nachmalige Bundeskanzler Kiesinger sehr deut- lich sagte: Diesem Regierungswechsel ist eine lange Meine Damen und Herren, nicht nur die Europa- schwelende Krise vorausgegangen. Als Sie im Früh- politik, sondern die gesamte Außenpolitik dieser jahr 1965 hier Gesetze verabschiedeten, zu denen Bundesregierung ist eine Friedens- und Entspan- der SPD-Sprecher Alex Möller sagte: Diese Gesetze die dem Auftrag des Grundgesetzes ge- nungspolitik, kann niemand erfüllen; wir Sozialdemokraten wen- recht wird, mit unseren Nachbarn in Frieden zu den uns dagegen!, haben Sie, Herr Erhard, als Kanz- leben. Auch hier haben wir es mit schwierigen, lang- ler die Verantwortung dafür übernommen. Damals fristigen Entwicklungen zu tun. haben Sie — winken Sie nicht ab; das ist eine Lassen Sie mich hier auch ein Wort zur Bundes- schlimme Sache — die Glaubwürdigkeit dieses Hau- wehr sagen. Die Reformpolitik im Innern und die ses gefährdet. Wir mußten später 36 Gesetze ändern, Friedenspolitik nach außen stehen im Einklang mit die Sie vor der Wahl als Gefälligkeitsdemokratie dem Bild einer Bundeswehr, die voll in ihre Aufgabe Kanzler verabschieden ließen, als eine friedenssichernde Schutzkraft hineingewach- (Beifall bei der SPD) sen ist. Wir sind froh, feststellen zu können, daß - diese Bundeswehr gleichermaßen selbstverständlich und zwar — gestützt auf die Mehrheit, die Sie hier heute von einem sozialdemokratischen Verteidi- im Parlament hatten — nur mit dem Blick auf den gungsminister wie früher von Ministern der Christ- Wähler. Man neigt dazu, in diesem Zusammenhang lich-Demokratischen Union geleitet wird. Dies gibt ein hartes Wort des Strafrechts zu gebrauchen. uns das sichere Gefühl, Streitkräfte zu haben, die (Abg. Dr. Marx: Armselig!) sich ihrer Einbindung in die demokratisch-parlamen- tarische Struktur dieses Staates bewußt sind und ihre Tätigkeit danach ausrichten. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Heck? Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Bitte, Herr Heck!

Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD): Bitte! Dr. Heck (CDU/CSU) : Herr Kollege Schäfer, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Christlich-Demokrati- Biehle (CDU/CSU) : Herr Kollege Schäfer, haben sche Union Deutschlands, nachdem sie sich 1950 als Sie damit auch die Meinung Ihrer Kollegen Horn Bundespartei konstituiert hat, 1953 in Hamburg ein und Hansen kundgetan? Programm verabschiedet hat und daß dieses Pro- gramm bis 1969 die Grundlage Ihrer Politik gewe- Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Ich habe die Mei- sen ist? nung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion (Abg. Dr. Dregger: Einer sehr erfolgreichen kundgetan, die jeder in diesem Hause verstanden Politik vor allem! An ihren Früchten werdet hat. ihr sie erkennen, nicht an ihren Program (Beifall bei den Regierungsparteien.) men! — Abg. Dr. Jenninger: Das hat er Lassen Sie mich auf ein anderes Thema eingehen nie begriffen!) und dabei zunächst auf dieses Haus zu sprechen kommen. Kurt Schumacher — Herr Präsident, ich Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Heck, mir habe darum gebeten, generell zitieren zu dürfen; es ist bekannt, daß Sie als früherer Generalsekretär handelt sich immer nur um kurze Zitate — hat 1949, der CDU, nachdem ,die SPD ihr Grundsatzprogramm als man hier begonnen hat und die SPD in die Oppo- verabschiedet hatte, dieses Programm sehr gründ- sition kam, die Aufgabe der Opposition wie folgt lich studiert und sich auch öffentlich damit ausein- umschrieben: andergesetzt haben und dann eine Programmkom- Opposition ist Bestandteil des Staatslebens, mission einberufen und den Versuch gemacht haben, nicht eine zweitrangige Hilfestellung für die von dem, was Sie selbst nicht „Programm" nannten Regierung. Die Opposition ist die Begrenzung und nicht gelten ließen — ich meine die Hamburger Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5019 Dr. Schäfer (Tübingen) Beschlüsse von 1953 —, endlich zu einem Programm — ich komme gleich darauf, Herr Kollege —, genau zu kommen. Das ist die Situation. wie 1965. Genau das darf weder die Opposition (Beifall bei der SPD.) noch überhaupt eine Gruppe hier machen. Hier hat man Verantwortung fürs Ganze zu tragen, meine Damen und Herren. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Lassen Sie mich, wenn ich beim Parlament bin, weitere Zwischenfrage. etwas weiteres sagen. Es gibt ein unbehagliches Ge- fühl über das Parlament. Dieses Gefühl ist in der Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Wir machen kein 6. Legislaturperiode durch die verhältnismäßig Zwiegespräch. Das ist in Ihrem Interesse. große Zahl von Abgeordneten, die ihre Fraktion ge- (Abg. Rawe: Aber Sie sollten wenigstens wechselt haben, wesentlich genährt worden. Da gab es eine Debatte und gibt es heute noch. Da keine Antwort schuldig bleiben!) gibt es Überlegungen, wie man denn dem zuvor- — Herr Rawe, ich bleibe keine Antwort schuldig. kommen könne, wie man das beheben könne. Ich Haben Sie keine Sorge! sage Ihnen: Ich habe meine Zweifel, ob man das Die CDU ist davon auch nicht mehr heruntergekom- verfassungsrechtlich, gesetzlich zwischen Art. 21 men. Im letzten, im 6. Bundestag hat es der Vorsit- und 38 GG, also zwischen Parteienprivileg und Stel- zende der CDU/CSU-Fraktion am 15. Dezember letz- lung des Abgeordneten, einwandfrei regeln kann. ten Jahres, nachdem der Wähler gesprochen hatte, Aber muß denn alles, was notwendig ist, was man von diesem Platz aus unmißverständlich deutlich von einem nicht anders erwarten kann, in einem gemacht, auch wenn es sich aus dem Protokoll nicht Gesetz gesagt sein, damit man es tut? Ist es nicht mehr ganz so deutlich ergibt. möglich, daß wir in diesem Hause zu einer Rege- (Abg. Rawe: Was Sie gesagt haben, hat lung kommen, die vom Volk verstanden wird?! Herr Bahr ja zugegeben!) (Beifall bei der SPD.) - Das hat Herr Barzel gesagt, Herr Rawe. Passen Meine Damen und Herren, wir alle haben im Sie auf, was er sagte! Herr Barzel sagte folgendes, Wahlkampf bei denen, die meine Partei und Ihre wie das andere auch; das steht nicht im Protokoll, Partei beauftragen wollten, um die Übertragung aber es steht in meiner Erinnerung; ich habe mich eines Mandats gebeten. Wenn ich mich um ein vergewissert. Ich lese Ihnen gleich vor, was Herr Mandat bewerbe und es bekomme und eines Tages Barzel gesagt hat. glaube, es nicht mehr tragen zu können, dann habe (Abg. Rawe: Wie er sich verhalten hat, hat ich nur die eine Möglichkeit: mich dieser Aufgabe Herr Bahr gesagt! Ich spreche von Herrn zu entziehen, indem ich das Mandat zurückgebe. Bahr. Sie scheinen das nicht gern zuhören!) (Beifall bei den Regierungsparteien.) - Sie scheinen es zu wissen; denn es ist Ihnen so Man hat nicht das Recht — Sie mögen es verfas- unangenehm. sungsrechtlich drehen und wenden, wie Sie wol- Ich lese jetzt vor: len —, und das Volk versteht es nicht, daß man das Mandat wie ein Eigentum behandelt und mitnimmt. In diesem 7. Deutschen Bundestag sind durch die Wähler selbst die Aufgaben klar verteilt. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Sie sollen Regierung, wir sollen Opposition Daraus ergab sich erfreulicherweise dann auch sein. Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, an bei der CDU eine Diskussion; denn da sind ja auch jedem Tag und zu jedem Thema den Vorschlä- lebendige kritische Kräfte. gen der Regierung die der Opposition entge- genzusetzen, diesen noch zuvorzukommen oder (Zuruf des Abg. Reddemann.) alles rundweg ablehnen zu müssen, was von — Da sind Sie, Herr Reddemann, Gott sei dank nicht der Regierung kommt. Wir werden unser kri- allein. Da gibt es ja auch noch andere Leute. Ich tisches Wächteramt sehr grundsätzlich auf werde Sie Ihnen nachher vorlesen. Schwerpunkte konzentriert und darauf ange- legt wahrnehmen, im Jahre 1976 die bessere (Abg. Reddemann: Es wäre schlimm, wenn Alternative zu sein. wir allein hier säßen!) Vorher hatte er aber sinngemäß gesagt, im 6. Bun- — Da sind Sie, Herr Reddemann, Gott sei Dank nicht destag habe man jeden Tag auf Regierungssturz, zweien würde die anderen in Kürze kaum mehr in- aber nicht auf politische Alternative hingearbeitet. teressieren. Daraus entstand nicht zuletzt die alte Debatte über das imperative Mandat. Das ist keine Meine Damen und Herren, wenn Sie einmal in neue Geschichte, sondern die Frage: Wie kann ich der Lage sind, Ihre jetzigen Anträge kritisch anzu- darauf einwirken, daß sich der von mir Beauftragte sehen, dann sind Sie wieder bei Gefälligkeitsdemo- auch so verhält, wie er versprochen hat? kratie angelangt. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Für uns Sozialdemokraten sieht die Sache sehr einfach aus. Wir sind in regelmäßiger Aussprache Dann stellen Sie Anträge zum Schaden des Ganzen. mit unseren Wählern, wir sind in regelmäßigem kri- Dann stellen Sie Anträge für einzelne Gruppen tischem und hartem Kontakt und in Aussprache mit (Zuruf von der CDU/CSU: Antrag auf unseren Parteigremien, und der Abgeordnete muß Steuersenkung!) nachher allein die Verantwortung dafür tragen, wie 5020 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Schäfer (Tübingen) er sich hier entscheidet — dafür steht er nach vier Haben Sie vielleicht jemals gesehen, daß man sich Jahren zur Wahl —; das hat er allein zu entschei- in einem Koalitionsabkommen bedingungslos der den. Entscheidung eines anderen unterwirft? Herr Carstens, ich kenne nur ein imperatives Man- (Zuruf des Abg. Dr. h. c. Kiesinger.) dat, das seit Jahren praktiziert wird, und dazu, Aber das haben Sie hier! Der Herr Carstens möge glaube ich, haben wir einen Anspruch auf eine Ant- wort von Ihnen als Fraktionsvorsitzendem. Es gibt hierherkommen und endlich mal erklären und dem Hause vortragen, wie diese meines Erachtens mit in diesem Hause meine Damen und Herren, Sie der Verfassung nicht im Einklang stehende Rege- werden überrascht sein — seit Jahren die Praktizie- lung der CDU/CSU ist. rung eines imperativen Mandats. Ich habe hier schon einmal gefragt, ich habe es in einem Buch geschrie- (Beifall bei den Regierungsparteien.) ben; ich habe keine Antwort bekommen. Bei Beginn jeder Legislaturperiode schließen CDU und CSU ein Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Abkommen, in dem die CDU verspricht, in keinem weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Fall von Fragen der föderalistischen Ordnung Breidbach? (Abg. Stücklen: Grundgesetz!) — ja, vielen Dank; Sie bestätigen, so ist es; schön, Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Ja, ich bitte aber, Herr Stücklen, das habe ich gewollt — mir diese Zeit zuzurechnen. (Beifall bei der SPD) Ja, das rechnen wir die CSU zu überstimmen. Das heißt, es gibt in die- Vizepräsident von Hassel: zu. — Bitte schön, Herr Breidbach. sem Hause keine Verfassungsänderung — vielen Dank, Herr Stücklen! —, wenn nicht die kleine Par- tei, die CSU, zustimmt. Die CDU, Herr Carstens, hat Breidbach (CDU/CSU) : Herr Kollege Schäfer, sich global, generell von Anfang an verpflichtet, das unabhängig davon, daß auch ich Ihrer Niveau- zu respektieren. Das ist imperatives Mandat, das beurteilung unterliege, möchte ich Sie fragen, wie einzige, das es gibt. Sie es in diesem Zusammenhang werten, daß es eine Absprache zwischen der SPD und der FDP gibt, (Beifall bei der SPD, Lachen und Zurufe den Art. 38 des Grundgesetzes dadurch einzu- von der CDU/CSU.) - schränken, daß man nicht mit wechselnden Mehr- Das ist imperatives Mandat. heiten abstimmt. (Anhaltendes Lachen und Zurufe von der (Beifall bei der CDU/CSU.) (CDU/CSU.) — Ja, soll ich mal dem Herrn Carstens vorlesen, was Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Das Abkommen er in seinem Buch über das Wasserhaushaltsgesetz ist mir nicht bekannt. Das gibt es auch gar nicht. geschrieben hat und was er dann hier vertreten (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.) mußte? Imperatives Mandat ist dann vorhanden, meine Damen und Herren, wenn Sie die Entschei- — Nein, das gibt es nicht! Entschuldigen Sie mal, dung über Ihr parlamentarisches Verhalten gar da brauchen Sie nicht zu lachen. Das gibt es nicht. global wie in diesem Fall — der Entscheidung eines Eine solche Vereinbarung gibt es nicht. Nicht ab- anderen unterordnen, und das hat die CDU hier ge- lenken, meine Damen und Herren! tan. (Beifall bei der SPD.) Nicht ablenken von Ihrer Abmachung, Herr Car- Gestatten Sie eine Vizepräsident von Hassel: stens, in der Sie sich schwarz auf weiß unterworfen Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kiesin- haben. Oder soll ich Sie an die Abstimmung vom ger? 17. Mai letzten Jahres erinnern? Soll ich Sie an das erinnern, was sich vor zwei Tagen bei Ihnen er- Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Bitte, Herr Kiesin- eignet hat? ger. (Zuruf ,des Abg. Reddemann.) Soll ich Sie an die Art und Weise erinnern, wie Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) : Herr Professor Herr Kiesinger Bundeskanzler wurde und Herr Schäfer, wie würden Sie in diesem Zusammenhang Carstens Fraktionsvorsitzender, daß die kleine Par- die Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und FDP tei, die sich nicht einmal der Wahl im ganzen Bun- bei Beginn dieser Koalition einordnen? desgebiet stellt, daß diese kleine Partei, die nicht (Beifall bei der CDU/CSU.) eine Vollegitimation hat, die definitive Entschei- dung für Sie alle miteinander trifft? Das ist die Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Aber, Herr Kie- Situation. singer, jetzt tut es mir schrecklich leid, wenn ich (Beifall bei den Regierungsparteien. — La Ihnen eigentlich sehr hart antworten muß: Das war chen bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. unter Ihrem Niveau, ein solches dummes Zeug zu Stücklen.) vertreten. — Herr Stücklen, es ist mir ein Vergnügen, mit (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.) Ihnen zu ,diskutieren, abe r ich verstehe Sie so nicht. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5021 Dr. Schäfer (Tübingen) Ein Wort zum Verfassungsgericht. Das Bundes- Man wird die Rechtsprechung des Bundesver- verfassungsgericht hat sich als ein gutes und wir- fassungsgerichts in den Bund-Länder-Fällen nur kungsvolles Instrument erwiesen. Daß das Bundes- dann richtig verstehen, wenn man bedenkt, daß verfassungsgericht in Entscheidungen kritisiert wird, die Hälfte der Richter vom Bundesrat gewählt ist eine normale Angelegenheit. Das steht Ihnen zu, wird. Damit ist die Stellung der Länder verfas- das steht auch Herrn Carstens in seinem Buch zu. sungsmäßig stärker abgesichert als in irgend- Das steht jedem von uns zu. einem Bundesstaat der Welt. Bisher wurde ein (Zuruf von der CDU/CSU: Aber doch nicht Teil der Richter überdies nur auf Zeit, nämlich in Moskau!) auf die Dauer von acht Jahren, gewählt. Häufig fand nach Ablauf der Amtzszeit eine Wieder- Es ist immerhin beachtlich, daß das Bundesverfas- wahl statt. sungsgericht Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, mehrfach anhalten mußte, die Verfassung Und jetzt kommt es: zu achten und zu vollziehen, z. B. durch das Urteil Wer kann die Möglichkeit ausschließen, daß — mit Terminsetzung — über die Gleichberechtigung Richter, die ihre Wiederwahl anstrebten, dabei von Mann und Frau, z. B. durch zwei Urteile im bedachten, welches Gremium sie gegebenenfalls Abstand von sechs Jahren über die Schaffung des zu wählen haben würde. Rechts des nichtehelichen Kindes. Natürlich sind Einflüsse dieser Art niemals be- (Zuruf des Abg. Stücklen.) weisbar. An die Machtversuche des Herrn Bundeskanzlers Aber Sie, Herr Carstens, verdächtigen diese Her- Adenauer, zurechtgewiesen im Fernsehurteil, werden ren der Rechtsbeugung, und das ist das Schlimmste, Sie sich auch noch erinnern. was Sie tun können. (Beifall bei den Regierungsparteien.) (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jenninger: Darf man denn nicht mal Herr Dregger, ich unterstelle wieder, daß Sie über die Richterwahl nachdenken?) etwas nicht wissen; sonst hätten Sie es nicht so vor- getragen. Sie reden von einer abfälligen Äußerung Das steht keinem Professor, das steht keinem Abge- von hoher Stelle aus. Es gibt eine gemeinsame Er- ordneten zu, den Richtern zu unterstellen, daß sie, klärung der Präsidenten und Vizepräsidenten des - schielend auf eine Wiederwahl, das Recht in ihrer Bundesverfassungsgerichts und des Bundesjustiz- Art dann gefällig auslegen. Eine schlimme Sache, die ministers, in der festgestellt wird, daß es eine solche sich Herr Carstens hier zuschulden kommen ließ. Äußerung nicht gibt. Ich sagte vorher: Machtbalance ebenso im gesell- (Widerspruch bei der CDU/CSU.) schaftlichen Raum, Gebote des Grundgesetzes. Ich - Wenn Sie dem Herrn Benda nicht trauen, ist das habe einige Bereiche aufgezählt. Lassen Sie mich nur Ihre Sache. auf einige eingehen, z. B. auf die Presse. Daß in der Gesamtgestaltung der Presse das Recht des Art. 5 (Zuruf von der CDU/CSU: Das wissen wir des Grundgesetzes gewahrt wird, muß ja unser Be- doch, wie das geschieht!) mühen sein. Daß wir uns deshalb bemühen, mit Es ist gesagt, daß es sie nicht gibt. Ich habe vorhin einem Presserechtsrahmengesetz mögliche Macht- den Wortlaut eingesehen. konzentrationen, Machtverschiebungen zu verhin- dern — ich hoffe, daß wir uns darüber einig sind. (Abg. Reddemann: Aber gegeben hat!) Eine sehr wichtige Frage: Herr Carstens, Sie - Wenn es sie geben sollte, dann bedaure ich, daß sprachen im Plenum vor kurzem über die Markt so etwas passiert ist, und ich verurteile das. Ich ver- Wirtschaft. Sie sagten: urteile es auch dann, wenn es im augenblicklichen ., die Angriffe ,der SPD oder großer Teile der Ärger geschehen ist; denn das dürfte nicht passieren. SPD gegen die soziale Marktwirtschaft sind uns (Abg. Reddemann: Einverstanden!) bekannt. Nach unserer Auffassung — ich will das hier nur noch einmal bestätigen — steht — Einverstanden. Nächster Absatz, Herr Redde- die soziale Marktwirtschaft mit der freiheit- mann, passen Sie auf! Herr Carstens schreibt dann — lichen Lebensordnung in unserem Lande in „Politische Führung", einem unlösbaren Zusammenhang, und des- (Abg. Stücklen: Gutes Buch!) wegen sind diese Angriffe so gefährlich. es ist nicht viel, es ist nur ein Absatz, Herr Präsi- Ich überlasse Ihnen das. Das ist Ihre Meinung. dent — auf Seite 86, nachdem er vorher, wie es ihm (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. durchaus zusteht, an Urteilen des Bundesverfas- Dr. Carstens [Fehmarn]: Das ist doch gut!) sungsgerichts zum Bund-Länder-Verhältnis Kritik übt — — Sie wissen, daß damit ein reines Besitzstanddenken (Abg. Stücklen: Diese Schleichwerbung!) ausgedrückt ist. (Widerspruch bei. der CDU/CSU.) — Herr Stücklen, Sie halten sich so zurück, und Sie halte ich für so verfassungstreu, daß ich mich mit Ich will Ihnen einmal Radbruch aus dem Jähre Ihnen nicht befassen muß. Ich bin bei Herrn Car- 1928 gegenüberstellen der hat ja wohl kaum stens. Herr Carstens schreibt in seinem Buch: auf Sie geantwortet —: 5022 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Schäfer (Tübingen) Mit der staatsbürgerlichen Gleichheit, wie die haben ,das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet. Verfassung sie gewährleistet, steht die wirt- Damals zeigte es sich: 22 von Ihnen haben mitge- schaftliche und gesellschaftliche Ungleichheit in stimmt; so groß ist diese Gruppe, die dann auch den schwer erträglichem Gegensatz. Ich sage nicht: Mut hat, sich zu bekennen. die Ungleichheit der wirtschaftlichen Chance. (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Radbruch Der Untertan ist zum Staatsbürger geworden, würde sich im Grabe umdrehen, wenn er aber der Staatsbürger ist noch immer Wirt- den Entwurf sähe!) schaftsuntertan. Den Arbeitnehmer zum Wirt- schaftsbürger zu erheben ist eine im Geiste der Ich will es mir ersparen, etwas zur Frage der Ver- Verfassung selbst vorgezeichnete Aufgabe. mögensbildung zu sagen, denn ich möchte Ihnen Deshalb das Grundsatzprogramm der SPD in dieser doch einiges zur Eigentumsbildung auf dem Gebiet Weise. Deshalb hoffe ich auch auf Einsicht und Mit- des Bodenrechts vortragen. Auf dem Gebiet des arbeit derjenigen Kräfte in der CDU, die das eben- Bodenrechts zeigt es sich, ob die Entwicklung, die falls für erforderlich halten. Art. 14 des Grundgesetzes vorschreibt, auch tatsäch- lich respektiert wird. Es sollte Ihnen, die Sie ein Mit Freuden sehe ich in einem Entschließungs- „C" in Ihrem Namen führen, doch nicht gleichgültig antrag der Jungen Union, der heute veröffentlicht sein, wenn beide Kirchen 1973 folgendes veröffent- wurde und sich angenehm abhebt von dem, was Sie lichten: hier vorgetragen haben, den Hinweis darauf. — Ich will in Erinnerung rufen, daß in unserem Grund- Gleichzeitig sind Eigentümern von Grund und gesetz in Art. 74 Nr. 16 steht, daß der Bund das Boden viele Milliarden zugefallen, ohne daß sie Recht der Gesetzgebung zur Verhütung des Miß- zur Steigerung seines Wertes beigetragen brauchs wirtschaftlicher Machtstellung hat. Der haben. Ihr Gewinn ging auf Kosten der Groß- Verfassungsgeber hat das also als eine ausdrückliche zahl der Mieter, der Sparer für ein Eigenheim Aufgabe des Parlamentes gesehen. und der Allgemeinheit. Er führte zu erhöhten Mieten und hat vor allem denjenigen, die sich Will denn jemand im Ernst sagen, daß man in ein Eigentum an Wohnraum zu schaffen such- den letzten Monaten auf dem Gebiete der Energie- ten, ihr berechtigtes Bemühen erheblich er- versorgung noch von einem Wettbewerb im Sinne schwert und verteuert. Der Grund für diese der freien Marktwirtschaft ausgehen konnte? Wol- außergewöhnlichen Gewinne liegt zumeist nicht len Sie nicht mit uns selbst ehrlich sagen, daß Markt- - in spekulativen Grundstücksgeschäften, sondern wirtschaft eine funktionierende und nicht eine simu- in einer sozial unangemessenen Ordnung des lierte Wettbewerbssituation verlangt? Wollen Sie Bodenrechts. nicht mit uns ehrlich sagen, daß das das Schaffen von Machtpositionen zur Ausbeutung anderer und Das haben wir Ihnen 1961 hier gesagt. zur Anhäufung von Rieseneinnahmen ist? (Abg. Dr. Jenninger: Und Sie haben über (Widerspruch des Abg. Dr. Erhard und bei haupt nichts getan!) Abgeordneten der CDU/CSU.) — Da waren Sie noch nicht da, lesen Sie es nach! — Daß Herr Erhard das nicht versteht, weiß ich. 1961 haben Sie das weggewischt, weil Sie es Das brauchen Sie nicht noch einmal zu betonen, nicht wollten, weil Sie von einem Besitzstanddenken Herr Erhard. und einem Gewinndenken für bestimmte Bevölke- (Beifall bei der SPD. — Abg. Nordlohne: Sie rungskreise ausgegangen sind. sind— heute weit unter Ihrem Niveau! (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Weitere Zurufe von ,der CDU/CSU.) CDU/CSU.) Lesen Sie einmal nach, was Herr Dichgans gesagt Ich muß Ihnen, damit Sie nicht meinen, das sei von hat, veröffentlicht in dem Zwischenbericht ,der En- uns, noch einmal von beiden Kirchen folgendes vor- quete-Kommission. Daß man da ernsthaft Über- lesen. legungen anstellt, mindestens die Wettbewerbs- (Abg. Dr. Jenninger: Was haben Sie denn funktion wieder zu garantieren — ich hoffe, daß bisher getan?) sogar Sie das mitmachen, es sei denn, daß Ihre For- — Hören Sie zu, was die Kirchen sagen ; normaler- mulierung in Ihrem Antrag Augenwischerei ist. weise schweigen sie dort doch auch! (Abg. Dr. Frerichs: Wir haben das Kartell- gesetz vor einem Jahr einstimmig verab- Es heißt dort: schiedet, Herr Schäfer, einstimmig!) Das Grundgesetz garantiert in Art. 14 entspre- Wir wollen die Mitbestimmung als Teil und als chend den Wertvorstellungen unserer Gesell- einen Schritt der Gleichberechtigung von Menschen. schaft das Eigentum als Grundrecht, um seinem Wir wollen die Mitbestimmung als einen Schritt Träger einen Freiheitsraum im vermögensrecht- zum freien Wirtschaftsbürger, wie Radbruch damals lichen Bereich sicherzustellen und ihm eine noch sagte. eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu er- möglichen. Dabei blieb lange unerkannt, daß (Zuruf des Abg. Dr. Klein [Göttingen].) das Grundgesetz keinen statistisch absoluten, Ihre ganzen Angriffe in der letzten Zeit sind ohn- die überkommene Eigentumsordnung zementie- mächtige Wut darüber, daß die Koalition dabei ist, renden Wesensbegriff des Eigentums kennt. In- dieses Problem zu lösen. Das ist aber nicht neu. Wir halt und Funktion des Eigentums werden viel- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5023

Dr. Schäfer (Tübingen) mehr der Anpassung an die jeweiligen gesell- Sie, meine Damen und Herren, haben 1966 nicht schaftlichen und wirtschaftlichen Erfordernisse mit Bemerkungen gespart, als es einen 14 Wochen für fähig und bedürftig gehalten. Das Grund- langen Streik in Schleswig-Holstein gab um die gesetz überträgt daher in Art. 14 dem Gesetz- Lohnfortzahlung, die überflüssig war und die dem geber die Aufgabe, Inhalte und Schranken der sozialen Gebot unserer Verfassung entsprach, bis verschiedenen Eigentumsrechte unter Respektie- wir sie dann 1969 endlich machen konnten. rung ihres Wesensgehalts näher zu bestimmen. (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Je weniger die Art des Eigentums auf persön- liche Arbeit und Leistung zurückgeht, je mehr CDU/CSU.) die Freiheit verbürgende Funktion zurücktritt Das war Ihre Haltung. Die damalige Lage ist ge- und je stärker die Nutzung den Freiheitsbereich kennzeichnet durch Ihr restriktives Verhalten. anderer einengt und Belange der Allgemeinheit beeinträchtigt, um so mehr Spielraum läßt die (Abg. Katzer: Dolles Stück!) Verfassung dem Gesetzgeber für die Bestim- mung von Inhalt und Schranken des Eigentums. Dazu werde ich Ihnen gleich noch einiges zu sagen haben. So sehen wir den Auftrag des Grundgesetzes. Demgemäß werden wir handeln, auch wenn Sie dies- Wir verteidigen diesen Rechtsstaat. Wir vertei- mal nicht auf das „C" hören. digen ihn gegen Entwicklungen, die die Funktions- (Beifall bei den Regierungsparteien.) fähigkeit des Rechtsstaates tangieren. Wir wollen ihn mit rechtsstaatlichen Mitteln verteidigen. Wir Es reizt eigentlich — ich habe es für den Fall, wollen nicht, daß Feinde des Staates im Staatsdienst daß Sie es gern hören möchten, hier , Ihnen dazu sind. Aber, meine Damen und Herren und meine noch einiges aus dem Ahlener Programm vorzu- Herren auf der Bundesratsbank, es kommt ganz ent- lesen. Ich schenke mir das. scheidend darauf an, wie man solche Bestimmungen, wie wir sie in Kürze wohl als Gesetz haben werden, Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine anwendet. Herr Ministerpräsident Filbinger wird ja Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jahn? nachher vielleicht etwas dazu sagen. Wenn man die Referendare in Baden-Württemberg nicht während Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Bitte schön! - der Referendarzeit überprüft, sondern die Referen- darzeit zu Ende gehen läßt und die Leute dann auf Dr. Jahn (Münster) (CDU/CSU) : Herr Professor die Straße setzt mit der Begründung, bei ihnen laufe Schäfer, nehmen Sie denn auch zur Kennt- ein Verfahren, so muß ich fragen: Seit wann zieht nis, daß beide Kirchen in dem Kirchenpapier jeg- man Schlußfolgerungen aus laufenden Verfahren, lichen Sozialisierungstendenzen in bezug auf das die noch nicht abgeschlossen sind? Das ist ein Ver- Eigentum mit Nachdruck entgegengetreten sind und stoß gegen den Rechtsstaat. damit auch dem Beschluß eines Ihrer Parteitage, in dem es heißt, daß kein Quadratmeter Grund und (Beifall bei den Regierungsparteien.) Boden, der im Eigentum einer Kommune steht, künf- tig an einen Privatmann veräußert werden soll? Was mir dabei am meisten Sorge macht, ist, daß man Dossiers heranzieht, daß man in die Begrün- dungen Dinge schreibt, die der Betreffende vor fünf (Tübingen) (SPD): Jetzt haben Sie Dr. Schäfer Jahren gesagt hat. Meine Damen und Herren, wol- wieder ein Musterbeispiel der Vermengung von len wir denn ein karrieregerechtes Denken beim zwei Dingen geliefert. Da kann ich Ihnen nicht hel- Fünfzehn-, Sechszehn-, Siebzehnjährigen, oder wol- fen. Lesen Sie das Ganze, und zitieren Sie das len wir eine Jugend, die ihr Mißbehagen, wo es be- Ganze, dann wissen Sie genau, wie die Darstellung steht, auch zum Ausdruck bringt? Wollen wir eine ist! So wie ich zitiert habe, und nicht anders. Jugend haben, die sich, wenn auch manchmal müh- (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu sam und für uns beängstigend, hindurchentwickelt rufe von der CDU/CSU.) zu dem politischen Träger dieses Staates? Wir verteidigen diesen Rechtsstaat. Ich kann auf (Beifall bei den Regierungsparteien.) die sozialen Gebote nicht eingehen. Ich will aber doch ein paar Bemerkungen machen, die ich mir nicht Oder wollen wir ein Muckertum? Ich habe die Sorge, ersparen kann. 1961, als der damalige Kanzlerkan- daß wir auf diese Weise ein Muckertum heranzie- didat, Bundeskanzler Brandt, davon sprach, daß Um- hen, daß man nicht mehr wagt, seine Meinung zu weltmaßnahmen getroffen werden müßten, haben sagen, aus Angst: es wird ja aufgeschrieben, es Sie höhnisch gelacht. wird mir eines Tages präsentiert. Es handelt sich (Zurufe von der CDU/CSU.) nur um junge Leute. Als wir das Recht des einzelnen Bürgers auf reine (Abg. Dr. Dregger: In welcher Welt leben Luft und auf reines Wasser anerkannten, da haben Sie eigentlich, Herr Schäfer?) Sie gelacht. (Abg. Windelen: O nein!) — Ich lebe in der Welt, in der ich Verantwortung trage, und ich lebe nicht in der Pseudowelt, die Sie Sie haben jahrelang gelacht, bis Sie dann endlich, hier aufzubauen versuchen, Herr Dregger. der Führung dieser Regierung entsprechend, seit zwei, drei Jahren, die Arbeit mitgestalteten. (Beifall bei den Regierungsparteien.) 5024 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Dr. Schäfer (Tübingen) Daß wir uns keiner Täuschung hingeben: Die das Godesberger Programm es verlangt, und sich Situation an den Universitäten ist schwierig. durchzusetzen. Das wäre Ihre Aufgabe gewesen! (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Also keine (Beifall bei der SPD.) Pseudowelt?) Aber dann hier herzukommen, lieber Freund — so Es ist uns bis heute nicht gelungen, keiner Partei nicht, da diskreditieren Sie sich, wenn das über- hier — — haupt noch möglich ist. (Abg. Nordlohne: Dann würde er überhaupt (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der nicht mehr ernst genommen werden, wenn CDU/CSU.) er hier von Pseudowelt redete!) Meine Damen und Herren, das Problem an den — Können Sie nicht zuhören? Universitäten sollen wir so sehen, wie es tat- (Lachen bei der CDU/CSU.) sächlich ist. Das Problem der akademischen Jugend werden wir nicht verkleinern. Lassen Sie mich dazu Es ist uns allen miteinander bis heute nicht ge- etwas — von mir aus gesehen — entscheidend lungen, die Neutralen, Neutralisten und Opportu- Wichtiges sagen. Ich bin dieses Jahr 59 Jahre alt, nisten zu aktivieren und sie davon zu befreien, ich zähle also noch zur mittleren Generation. Wir Nachläufer und Mitläufer von Radikalen und von standen am Kriegsende vor einem Trümmerhaufen. Verführern zu sein. Das ist eine Aufgabe für uns. Unsere Generation ist geprägt von der Abwehr ge- (Beifall bei der SPD.) gen den „Ismus", wir rühmen uns, wir seinen Pra- Es ist die große Aufgabe, die politische Auseinan- gmatiker geworden. Und ich sage Ihnen: Allzu viele dersetzung zu suchen, sie von uns aus zu führen. sind Opportunisten geworden (Abg. Nordlohne: Dann mal los! Beginnen (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr! — Sie mal!) Sehr gut!) und nicht Pragmatiker. Wir Sozialdemokraten haben das immer gehabt. Für uns ist das Problem mit den Jusos kein neues (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen, wo Problem. von Sie reden!) (Lachen bei der CDU/CSU.) Deshalb ist es eine durchaus normale Entwicklung, Nein, wir Sozialdemokraten haben nämlich unse- - daß die nächste Generation viel grundsätzlicher an rer Jugendorganisation nie den Mund verbunden, die Dinge herangeht, daß sie zunächst wieder Ideo- sondern wir haben von ihr verlangt, daß sie sich logien wie Heilslehren aufnimmt und daß es ein mit den Problemen befaßt. Daß daraus Schwierig- schwieriger Entwicklungsprozeß ist, mit der Reali- keiten entstehen, ist uns klar. tät konfrontiert zu werden und sich darüber klar (Zurufe von der CDU/CSU.) zu sein, daß man nicht ideale Welten aufbauen, sondern diese Welt gestalten soll. — Verfolgen Sie doch die Geschichte! Meine Damen und Herren, dies ist die erste Gene- (Abg. Dr. Müller [München] meldet sich zu ration, die in einer Demokratie geboren wird und einer Zwischenfrage.) aufwächst. Noch keine deutsche Generation hat es — Da meldet sich jetzt einer zu Wort, der Schwie- gegeben, die in einer Demokratie aufgewachsen ist rigkeiten gehabt hat. und die in einer Demokratie zur Wirksamkeit kommt. Das ist unser aller Aufgabe. Aber dann bitte Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine nicht mit den Fingern aufeinander zeigen! Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller (Mün- (Abg. Windelen: Sie zeigen doch dauernd!) chen)? — Ich zeige auf mein Manuskript. Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Bitte sehr! (Lachen bei der CDU/CSU.) Aber wenn Sie sich getroffen fühlen, Herr Windelen Dr. Müller (München) (CDU/CSU) : Herr Kollege — à la bonne heure! Herr Windelen, es ist Ihre Schäfer, ist Ihnen bekannt, daß August Bebel im Sache, zu versuchen, einen so wichtigen Punkt Jahre 1891 und Otto Wels im Jahre 1931 gegen- lächerlich zu machen. Das kennzeichnet Sie auch auf über den radikalen Jugendlichen in der Partei die anderem Gebiet. Konsequenzen gezogen haben, während heute nur geredet und nicht gehandelt wird? Meine Damen und Herren, das ist die entschei- dende Frage für diesen Staat: ob es uns gelingt, die (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und nächste Generation in die Verantwortung, in den Zurufe von der SPD.) Staat des Grundgesetzes hinein zu leiten, mit ihr hineinzufinden, indem man sich der Diskussion stellt, Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Müller, da (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Richtig!) kann ich Ihnen bloß sagen, da Sie ja in diesen Fra- gen bewandert sind, hätten Sie eigentlich auch die indem man sie überzeugt. Und da bin ich ganz hoff- Aufgabe, erkennen sollen, die Ihnen gestellt war: nungsfroh, wenn ich sehe, daß es bei Ihnen ja auch nicht als Vorsitzender davonzulaufen, sondern den andere Kräfte gibt. Da bin ich ganz hoffnungsfroh, demokratischen Sozialismus so zu vertreten, wie wenn ich hier den Wortlaut von zehn Punkten der Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5025 Dr. Schäfer (Tübingen) Jungen Union und auch die lezte Rede des Vorsit- Vorschläge der Jusos sich damit nicht abdecken las- zenden der Jungen Union, Wissmann, lese. sen. (Beifall bei der SPD. — Lachen und Zurufe (Zuruf von der CDU/CSU: Hervorragend!) von der CDU/CSU.) Dann habe ich die Hoffnung, daß auch bei Ihnen le- — Es steht Ihnen ja frei, das zu tun. bendige Kräfte entstehen, (Abg. Reddemann: Antrag 32, den Kollege (Zurufe von der CDU/CSU) Dregger vorgetragen hat!) die Sie zum neuen Durchdenken zwingen. Vielleicht kommen Sie dann von dem herunter und zu dem, — Nein, Irrtum, Herr Reddemann, die Welt sieht nicht so aus, wie Sie sie sehen möchten. (Abg. Dr. Dregger: Wenn Sie so etwas nur (Lachen bei der CDU/CSU.) hätten, Herr Schäfer, eine so hervorragende Junge Union!) Ich lese Ihnen jetzt etwas vor, und ich sage Ihnen was hier geschrieben steht. nachher, von wem es stammt. Ich hatte eigentlich den Eindruck, der Betreffende hatte das Manuskript (Abg. Dr. Dregger: Das fehlt Ihnen eben!) von mir: Wer die verfassungsmäßige Ordnung erhalten will, Mehr soziale Gerechtigkeit, Verfassungssätze muß die Überlegenheit des demokratischen Staates und Alltagswirklichkeit müssen immer mehr durch Reformen beweisen, deckungsgleich werden. Wer hier beharrt, ver- (Abg. Dr. Dregger: Sehr gut!) liert; wer besonnen fortschreitet, gewinnt. Rechthaberisches Beharren führt zur Erosion meine Damen und Herren, er muß für soziale Ge- prinzipieller Ordnungswerte. rechtigkeit streiten, (Abg. Dr. Dregger: Richtig!) (Abg. Dr. Dregger: Hervorragend!) Besonnener Fortschritt führt durch immer brei- die demokratischen Rechte des Bürgers stärken, tere Teilhabe einer anwachsenden Zahl von staatlichen und privaten Mißbrauch bekämpfen. Mitbürgern an Einsicht, an Bildung, an Mitver- (Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU.) antwortung, an Mitbestimmung, an Miteignung zur Festigung prinzipieller Ordnungswerte. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine (Abg. Dr. Dregger: Sehr gut!) Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein? Wer nicht selbst den Fortschritt bewirkt und be- wegt, über den wird die Entwicklung fortschrei- Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Ich darf den Satz ten. zu Ende führen. — Das sind die Reformen, (Abg. Dr. Dregger: Das ist richtig!) (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn Ihre Jusos Wer nur gegen etwas ist, ohne zugleich zu sa- Ihnen auch einmal solche zehn Punkte gen, für welches Bessere er ist, ist aus der liefern würden!) seriösen Diskussion heraus. (Abg. Dr. Dregger: Sehr gut!) die diese Regierung und diese Koalition hier im Ver- folg des Auftrags des Grundgesetzes vorgelegt ha- Der Zeitgeist weht ihn hinweg wie ein welkes ben. Bitte! Blatt. (Abg. Dr. Jenninger: 10 °/o Inflation!) Und im Gegensatz zu manchen Äußerungen aus Ihren Kreisen: Dr. Klein (Stolberg) (CDU/CSU): Herr Kollege Die Grenze des sozialen Rechtsstaates ist nicht Schäfer, sind Sie guten Gewissens in der Lage, Ihrer erreicht. eigenen politischen Jugendorganisation die gleiche Und dann fährt Herr Barzel fort: positive Einstellung zum Grundgesetz zu bescheini- gen, die Sie eben für die Junge Union mit Recht gel- (Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU.) tend gemacht haben? Was dem entgegensteht an verkrusteter Ge- (Beifall bei der CDU/CSU.) wohnheit, an morschen Schlössern, an sozialen Widrigkeiten muß abgebaut, was zu diesen Zielen führt, (Tübingen) (SPD) : Ich bin mit sehr Dr. Schäfer (Abg. Dr. Jenninger: Das ist Fortschritt in gutem Gewissen der Überzeugung, sagen zu können: der CDU!) Diese Jusos sind Suchende nach Lösungen, die bes- sere Lösungen für den Menschen sein sollen. muß bewirkt werden. (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD. — (Beifall und Zurufe von der CDU/CSU: Zurufe von der CDU/CSU.) Sehr gut! Hervorragend! — Das sollten Sie übernehmen! — Abg. Dr. Jenninger: Und Wir in der politischen Verantwortung sind der Über- nicht die Preise um 10 % steigen lassen!) zeugung, daß der Rahmen des Grundgesetzes die beste realisierbare Möglichkeit ist. Und dann kom- Meine Damen und Herren, ich hatte es beinahe men Sie bitte zu mir und sagen mir bitte, welche wörtlich so formuliert. Es ist schade, daß Herr Barzel 5026 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Schäfer (Tübingen) heute nicht da sein kann; ich weiß auch nicht, ob er Es gibt kein offizielles Dokument dieses Hauses gesprochen hätte. in dieser Legislaturperiode, das in mir ein ähnliches (Abg. Nordlohne: Auf jeden Fall besser Unbehagen hervorgerufen hat wie dieser Antrag der als Sie!) CDU/CSU, der diese Debatte ausgelöst hat Wenn uns, meine Damen und Herren, der Wille (Beifall bei den Regierungsparteien) verbindet, den Geboten des Grundgesetzes gerecht und der, um es gleich zu sagen, doch wohl nicht zu werden, wenn uns der Wille verbindet, diese ernsthaft die alleinige Grundlage einer solchen Ver- große Aufgabe gemeinsam zu meistern, wenn wir fassungsdebatte sein kann. Es ist nicht der Gegen- uns bei dieser Gelegenheit auch auf diese und jene stand dieses Papiers, der mich befremdet, es ist sein Überlegung hinsichtlich der Entwicklung aufmerk- Denkansatz. Wir wollen nicht wie in einer Art Be- sam machen, dann meine ich, dokumentiert sich auch kenntnisorgie in einen Wettbewerb darüber ein- für den Bürger, daß er diese Verfassung nicht nur treten, wer fester auf dem Boden der Verfassung ertragen muß, sondern daß er in der Lage ist, sie steht als alle anderen zusammen, und zwar des- mitzutragen, und daß die nächste Generation sie wegen nicht, weil wir davon überzeugt sind, daß sich zu eigen macht; das muß unser aller Ziel sein. alle drei Fraktionen dieses Hauses entschlossen (Lebhafter Beifall bei. den Regierungspar- sind, gemeinsam die Verfassung zu verteidigen, wo teien. — Zuruf von der CDU/CSU: Amen!) immer sie angegriffen wird, die Verfassung zu wah- ren und zu achten, wo wir Macht ausüben, d. h. Vizepräsident von Hassel: Zur Geschäftslage, über Andersdenkende zu entscheiden haben. Wir meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich wollen eine Verfassungsdebatte und keine Ver- Ihnen folgendes darlegen. Als nächster steht der fassungsschutzdebatte, keine Juso-Debatte. Abgeordnete Dr. Hirsch auf der Rednerliste; für (Zuruf des Abg. Reddemann.) ihn hat seine Fraktion 50 Minuten Redezeit be- antragt und mich wissen lassen, .daß Herr Dr. Hirsch Wir wollen die Bezüge dieses Grundgesetzes zu den hoffe, mit weniger auszukommen. Ich werde jetzt verfassungsmäßigen Traditionen ebenso wie zum Herrn Dr. Hirsch aufrufen. Die Mittagspause wird Verfassungsverständnis unserer Zeit und unserer dann verkürzt, da wir um 14 Uhr mit der Frage- Gesellschaft darstellen. Darum sollte keine Ver- stunde beginnen. Mit der Aussprache zu diesem fassungsdebatte in diesem Hause ohne die Fest- Tagesordnungspunkt fahren wir dann um 15.30 Uhr stellung beginnen: Unser Grundgesetz hätte weder fort. Ich bitte Sie sich darauf einzurichten. durch 25 Jahre unser politisches und staatliches Le- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch. ben bestimmt, noch hätte es Aussicht fortzubestehen, wenn der Verfassungskonsens in diesem Hause nicht Dr. Hirsch (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen bestehenbliebe und wenn auch nur eine der in die- und Herren! Es ist das schöne an Ihnen, Herr Dreg- sem Hause ihn verwirklichenden Parteien sich von ger, daß Sie einen nie enttäuschen. unserer Verfassung lossagte. Dies ist und dies wird nicht geschehen. (Abg. Dr. Dregger: Ich habe meine Freunde nie enttäuscht! Meine Gegner auch nicht!) Das Grundgesetz hat gegen alle Angriffe eine er- Sie haben eine Rede gehalten, die die Dinge so staunliche Lebenskraft bewiesen. Es ist, wie vor ihn einfach darstellt, daß man merkt: so einfach können schon einmal eine Demokratie in Deutschland, nicht sie gar nicht sein. Das Neue an Ihren Ausführungen durch einen konstitutiven Akt des Volkes, sondern für mich war, daß Sie — für mich zum erstenmal im Gefolge einer nationalen Katastrophe entstanden, — betont haben, daß eine Verfassung einer Ver- wie Heuss gesagt hat, mehr originell als originär. änderung unterliegen müsse. Dabei ist das nicht einmal von allen Bundesländern akzeptiert worden. Man hat es ein lebensfremdes (Abg. Dr. Dregger: Sie müssen in meine Juristengesetz gescholten, und man hat nicht auf- Versammlungen kommen, Herr Hirsch!) gehört zu betonen, welchen Anteil die Besatzungs- — Vielleicht kommen Sie dann auch einmal in mächte an seinem Inhalt gehabt hätten. Man hat meine Versammlungen. sorgfältig analysiert, daß die Verfassungsväter nur (Abg. Dr. Dregger: Sicher!) nach rückwärts geblickt und nur auf die Erfahrungen mit dem Weimarer System reagiert hätten, und Das wird sicherlich sehr interessant werden. Sie ebenso sorgsam hat man die gewaltenverschrän- haben gesagt, daß auch eine Verfassung einer Ver- kende Kraft der bundesstaatlichen Struktur unserer änderung unterliegen müsse, wie es den Erforder- Verfassung verschüttet unter Neugliederungsfurcht nissen dieser Gesellschaft entspreche. Aber: Wenn und unter kleinlichem Kompetenzgerangel, das sich diese Veränderungen, dieses Bekenntnis zu Ver- nicht am Gebot einheitlicher Lebensverhältnisse änderungen nicht nur eine verbale Formulierung orientiert, sondern an der Eigenstaatlichkeit der sein soll, dann müßten Sie sagen, an welchen Punk- Länder, über die die Staatsrechtslehre schon vor ten und wie Sie die Verfassung verändern wollen. 50 Jahren recht realistische Erkenntnisse hatte. Man Darüber, wo Sie das konkret tun wollen, wo Sie hat die Parteien als „Lizenzparteien" gekennzeich- die Probleme unserer Verfassungsentwicklung in net, um sie als von der Besatzungsmacht abhängig den letzten 25 Jahren gesehen haben, habe ich in zu diffamieren. Dieses alles haben sogenannte Ihrer Rede nichts gehört. Rechte und sogenannte Linke gleichermaßen getan. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Die Verfassung hat das alles überstanden. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5027

Dr. Hirsch Der Geist der Verfassung hat auch die Parteien stoß gleichsam gegen verfassungsmäßige Pflichten durch 25 Jahre vor Versuchungen geschützt. Um nur sei, eine der Versuchungen zu nennen: Ich glaube, daß (Abg. Dr. Dregger: Das ist eine kühne der mehrfache Verzicht auf die Manipulation unse- Schlußfolgerung! Das hat kein Mensch be res Wahlrechts ein Beweis dieses Verfassungs- hauptet!) respektes war und nicht nur die politische Klugheit ob damit behauptet werden soll, nur eine von der einer Tagesentscheidung. Es hat vor dem Grund- CDU/CSU getragene Regierung wahre die Verfas- gesetz keine Verfassung gegeben, die tiefer vom sung. Dann wäre es ja eine verfassungsmäßige Geist des Liberalismus und der Rechtsstaatlichkeit Pflicht, sie auch zu wählen. Diese Art der Identifi- durchdrungen war als diese. Unser Respekt gilt ins- zierung mit dem Staat wird für mich zu dem un- besondere den liberalen Mitgliedern des Parlamen- erträglichen Gleichnis, daß Bekenner andersartiger tarischen Rates, Max Becker, , Her- politischer Auffassungen nicht nur Unrecht hätten, mann Höpker-Aschoff, Theodor Heuss, Hermann sondern daß sie verfassungswidrig handelten, also Schäfer und Hans Reif, die sich würdig in die Reihe Verfassungsfeinde seien, großer Liberaler gestellt haben und ohne die ein moderner und liberaler und sozialer Verfassungs- (Abg. Dr. Dregger: „Den Sozialismus voll staat nicht aus den Wirren der Restauration und enden"!) den Trümmern der Deutschen Reiche entwickelt wor- weil sie gegen Sie stehen. den wäre, eine Reihe, die von den liberalen Theo- (Beifall bei den Regierungsparteien.) retikern der bürgerlichen Aufklärung über Rotteck und Welcker bis zu Friedrich Naumann reicht, dem Dieser Ansatz kann nicht hingenommen werden. wir viele moderne Thesen zu verdanken haben. Wer die Verfassungsdebatte unter solchen Ziel- setzungen führen will, kann in uns keinen Ge- Nun kommt dieser Antrag hier „betreffend Wah- sprächspartner dafür finden. rung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundes- republik Deutschland" und unternimmt mit erstaun- (Beifall bei den Regierungsparteien.) lich vereinfachten Formulierungen den Versuch, Uns bewegen andere Probleme. Da ist die Frage, unser Verfassungsthema auf eine Basis zu redu- wie der Sozialstaat zu definieren ist, der zum ersten- zieren, die ich kaum noch als schlicht bezeichnen - mal in der deutschen Geschichte Verfassungsrang kann. erhalten hat und bei dem uns doch die Verfas- (Beifall bei den Regierungsparteien.) sungsväter keine Auskunft darüber hinterlassen haben, was er in der Gesetzgebung und in der Ver- Schlimmer noch: durch die Beantragung auch von waltungspraxis konkret erfordert. Grewe hat 1949 I Selbstverständlichkeiten, die in diesem Hause nie den Sozialstaatsbegriff einen substanzlosen Blan- bestritten worden sind, wird, ich behaupte: bewußt kettbegriff genannt, und das Bundesverfassungs- der Eindruck provoziert, gericht hat Jahre später das 'Sozialstaatsprinzip (Zustimmung bei der SPD) neben den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung ge- hier gehe es um streitige Positionen, die der Koali- rechnet, und das mit Recht. tion abzutrotzen seien, als müsse hier der eine oder andere zur Verfassungstreue gezwungen werden. Aber ist denn nun — das ist doch die Frage — beides miteinander zu vereinen? So müßten wir also (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. fragen, wenn der Rechtsstaat den Status quo, also Dr. Dregger: Stimmen Sie doch zu, oder auch den wirtschaftlichen Besitzstand garantiert, formulieren Sie es in Ihrer Sprache!) der Sozialstaat aber den Weg zu einer immer wei- Herr Professor Carstens, der leider nicht mehr tergreifenden staatlichen Tätigkeit weist, um der hier ist, macht es noch deutlicher, wenn er im Forderung nach sozialer Gerechtigkeit zu genügen. Deutschland-Union-Dienst in diesem Zusammenhang Uns interessiert, wie die Freiheit des einzelnen schreibt — er soll es sogar wiederholt haben, wie unter diesen Bedingungen mit den Mitteln der Ver- ich gestern gehört habe —, er müsse immer wieder fassung gesichert werden kann, damit nicht die feststellen, innerhalb der SPD werde nicht genügend Eigenverantwortung, die Selbstbestimmung, die Dy- Widerstand gegen radikale und extremistische namik des Individuums und auch seine Bereit- Kräfte geleistet, und die FDP lege sich in Kenntnis schaft zum Risiko in einem Versorgungsstaat auf- dieser Dinge auf eine Koalition mit der SPD fest gelöst werden. Uns interessiert, wie die Mitwir- und übernehme damit die volle Mitverantwortung kungsrechte im Staat ebenso wie in der Gesell- für das, was dort geschehe; nur die Union — nur die schaft zu strukturieren sind, damit der Einzelmensch Union! — leiste geschlossenen Widerstand. sie ausüben kann, ohne zum Objekt von Organi- sationen zu werden, und damit er es nicht wird. (Abg. Vogel [Ennepetal] : So ist es!) Also werden wir schon aus diesem liberalen Ver- fassungsauftrag heraus daran arbeiten, daß die Ab- Ich will nicht fragen, Herr Kollege Vogel, welche hängigkeit auch im gesellschaftlichen Bereich durch der beiden Unionsparteien da eigentlich gemeint ist. Teilhabe abgelöst wird. (Abg. Vogel [Ennepetal] : Beide!) (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr gut!) Aber ich frage mich, ob es ernst sein soll, daß die damit der Industrieuntertan in einen Industrie Bekräftigung der Koalition hier und jetzt ein Ver- bürger umgewandelt werde, wie es Friedrich Nau- 5028 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Hirsch mann schon im Jahre 1904 in seiner Schrift über delt. Diese Koalition hat niemals einen Zweifel den „Liberalismus als Prinzip" gefordert hat. Herr daran begründet, daß sie den Kernbestand unserer Dregger hat die Mitwirkung der Opposition an die- Verfassung als eine unveränderliche Grundlage un- sem großen Thema angekündigt. seres Staates betrachtet und danach handelt. Dieser (Abg. Dr. Klein [Göttingen] : Was heißt Kernbereich ist die Achtung vor den Grundrechten, „angekündigt" ; geschildert!) der Grundsatz der Volkssouveränität, die Gesetz- mäßigkeit der Verwaltung, das Mehrparteiensystem, Ich bin neugierig, wie dies in der Praxis aus- das Recht auf Opposition, die parlamentarische Ver- sehen wird. antwortlichkeit, die Unabhängigkeit der Gerichte Es gehört weiter zu den wesentlichsten Verände- und jeder Ausschluß von Gewalt- und Willkürherr- rungen unseres Verfassungsverständnisses in die- schaft. sen 25 Jahren, daß die Grundrechte nicht nur Frei- Mit den zehn Verfassungsgeboten Ihres Antrags heit vor öffentlicher Gewalt sichern, sondern daß beschwören Sie Positionen, die den Eindruck er- sie den Staat verpflichten sollen, Rechte und Lei- wecken, als würden Sie tatsächlich nicht die dahinter stungen zu gewähren. Also werden wir prüfen verborgenen Verfassungsprobleme erkennen. Wir müssen, ob die klassischen Grundrechte z. B. so zu werden im Laufe dieser Debatte im einzelnen darauf ergänzen sind, wie es der Bundesinnenminister mit zurückkommen. Einiges sei vorweggenommen: dem Recht auf gesunde Umwelt gefordert hat. Sie erklären, daß das imperative Mandat verfas- Wer das Grundgesetz als ein statisches Korsett sungswidrig sei. Niemand in diesem Hause hat dem begreifen will, wird es der Zerstörung preisgeben. jemals widersprochen. Das imperative Mandat würde Ich verkenne nicht, daß der Kollege Dregger Sorge davor hat, daß die individualrechtliche Substanz die repräsentative Demokratie beenden und zu einer unserer Verfassung zerstört werden könnte. Diese Anonymisierung der Verantwortlichkeit führen, die Gefahr besteht, und sie besteht immer und solange unerträglich wäre. Ohne das freie Mandat wäre ein überhaupt über eine Verfassung gestritten wird. Abgeordneter abhängig von einem kaum faßbaren, Aber wir können dieser Gefahr nicht dadurch be- jederzeit in seiner Zusammensetzung wechselnden gegnen, daß wir blauäugig auf Symptome starren, Kreis von Parteimitgliedern, deren Legitimation im sondern wir müssen uns fragen, wo die Ursachen Verhältnis zur Zahl der Wähler mit Recht zu bezwei- für diejenigen liegen, die gegen unsere Verfassung feln wäre. Dieses weiß jeder. Zu fragen ist aber doch anrennen. nur, ob denn dieses nun alles ist, was dabei zu be- denken ist. Man muß doch fragen, was die Ursache (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten für die Forderung ist, einen Abgeordneten an Be- der SPD.) schlüsse von Gremien zu binden, die ihn aufgestellt Niemand in diesem Lande bestreitet, daß es nicht haben. Das Problem liegt wohl darin, daß die poli- nur glühende Verteidiger, sondern auch Feinde un- tisch aktiven Burger, die in diesen Gremien vertre- serer Verfassung gibt, die bereit sind, sie bei pas- ten sind, es nicht hinnehmen wollen, ohne legalen sender Gelegenheit zu beseitigen. Aber die leben- Einfluß auf die Entscheidung des ihren Willen reprä- dige Kraft unserer Verfassung beruht nicht auf der sentierenden Parlaments zu bleiben. Wenn wir sie Schlagkraft der Polizei, sondern auf dem Respekt, darauf verweisen, sich in der täglichen Kleinarbeit der ihr entgegengebracht wird, und darauf, daß der der Kreis- und Ortsverbände zu verwirklichen, müs- Inhalt einer Verfassung der sozialen Wirklichkeit sen wir uns fragen, ob dies den Erwartungen ent- und den Idealen der Bürger entspricht, die in dieser spricht, die wir in ihnen geweckt haben, als wir sie Verfassung leben. Ein Staat, der sich vor der Her- zu aktiver politischer Tätigkeit aufgerufen haben. ausforderung von Verfassungsfeinden fürchtet, der Wir müssen uns darüber unterhalten, was wir von nicht die politische Auseinandersetzung sucht, son- den Bürgerinitiativen halten, welchen Platz sie in dern vorschnell mit Verboten, mit der Beschwörung unserem Verfassungsgefüge bekommen sollen. Ich der Ordnung hantiert, gerät in Gefahr, die alten meine hier nicht die Bürgerinitiativen, die nur aus Mächte aus dem Kyffhäuser herauszuzaubern, wie Anzeigen bestehen sondern jene, die wirklich aus Scheel das einmal genannt hat. Menschen bestehen. (Beifall bei der FDP. — Abg. Reddemann: (Beifall bei den Regierungsparteien.) Die kämen gar nicht über die Zonengrenze!) Das imperative Mandat ist ein untaugliches Mittel, Das Gegenteil ist notwendig, nämlich die Ursachen den Nimbus von der Ohnmacht des einzelnen zu zu erkennen, aus denen Radikalismen erwachsen zerschlagen. Wir lösen das Problem aber nicht, wenn sind, und diese Ursachen zu beseitigen. Es ist auch wir uns darauf beschränken, nur von Verfassungs- notwendig, zu unterscheiden zwischen denen, die widrigkeit zu reden, ohne Lösungen anzubieten. — ihre politischen Ziele in der Form einer demokrati- Bitte! schen Auseinandersetzung verfolgen, und Verfas- sungsfeinden, die bereit sind, die Grundsätze einer Dr. Klein (Stolberg) (CDU/CSU) : Herr Kollege freiheitlichen und demokratischen- Grundordnung Hirsch, mich würde interessieren, inwieweit Sie mit den Mitteln der Gewalt zu beseitigen. diese Ihre Auffassung angesichts des existierenden Diese Koalition hat niemals einen Zweifel daran Beschlusses der Jungdemokraten Nordrhein-West- gelassen, daß sie die Anwendung von Gewalt in je- falens, für das imperative Mandat einzutreten, inner- der Form in der politischen Auseinandersetzung als halb der FDP Nordrhein-Westfalens verdeutlicht ein kriminelles Unrecht betrachtet und danach han- und durchgesetzt haben. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5029

Dr. Hirsch (FDP) : Herr Kollege, wenn Sie die- verantwortliches Handeln vorzubereiten. Wer aber sen Beschluß — den ich selber nicht für richtig glaubt, die Erziehung von Kindern zu diesem Ziel sei halte — läsen, würden Sie feststellen, daß er sich systemüberwindend, wer also die Erziehung zum lediglich auf organisationsinterne Beschlüsse der Erkennen und zum Austragen von Konflikten für Jungdemokraten bezieht, nicht aber auf Abgeordnete verfassungsfeindlich hält, verkennt, daß die Über- und deren Mandat. Hier bitte ich doch zu differen- lebenschance einer Gesellschaft nur in ihrem ein- zieren. verständlichen Wandel durch die Bewältigung von (Beifall bei der FDP.) Interessen- und Meinungskonflikten liegen kann. In Ihrem zweiten Gebot sagen Sie: Wer gegen den (Abg. Vogel [Ennepetal] : Haben Sie einmal demokratischen Staat arbeitet, kann nicht in seinem gelesen, was Dahrendorf schreibt?) Dienst stehen. — Auch das hat niemand in diesem — Herr Nipperdey? Ja, ich sage gleich etwas dazu. Hause bestritten. Darin liegt also offenbar nicht das Herr Nipperdey reicht mir als Kronzeuge dazu doch Problem. Das Problem liegt doch darin, wie Sie die nicht aus. Frage, ob ein Bewerber für den öffentlichen Dienst die Gewähr für die aktive Einhaltung der beamten- (Abg. Vogel [Ennepetal] : Herr Hirsch, ich rechtlichen Verpflichtungen bietet, mit ausschließlich hatte Herrn Dahrendorf genannt!) rechtsstaatlichen Mitteln behandeln wollen. Wir — Ja, ich habe auch Herrn Dahrendorf gelesen. werden bei der Beratung der Novelle zum Beamten- (Parl. Staatssekretär Moersch: Das sagt rechtsrahmengesetz in diesem Hause sicherlich aus- auch Dahrendorf; nur muß man ihn ver führlich Gelegenheit haben, festzustellen, ob Sie mit stehen!) uns bereit sind, sich in dieser Auseinandersetzung ausschließlich auf rechtsstaatliche Gesichtspunkte Das Entscheidende, was Dahrendorf sagt, ist doch, und Mittel zu beschränken. daß Richtlinien und Rahmenpläne diese Situation eines Streits offen darlegen und die bisherigen (Abg. Vogel [Ennepetal] : Wann kommt Strukturen der politischen und gesellschaftlichen denn der Entwurf?) Auseinandersetzung darstellen müssen. Diese Auf- — Gemach, sehr schnell! Herr Kollege Vogel, Sie gabe ist doch jahrelang, jahrzehntelang sträflich ver- kennen den Zeitplan genau. Wir werden im Laufe nachlässigt worden! Wenn wir den Versuch kriti- der Debatte darauf zurückkommen. - sieren wollen, diese Aufgabe zu lösen, dann ist nicht der grobe Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit, In Ziffer 5 Ihres Antrages sprechen Sie vom Miß- sondern eine positive Kritik am einzelnen hilfreich. brauch unserer Schulen durch Systemveränderer. Dann reicht mir Herr Nipperdey als Kronzeuge eben Ich frage mich immer, was „Systemveränderer" nicht aus, sondern dann ist eine ,differenzierte Aus- eigentlich sind. Jeder von uns bemüht sich doch einandersetzung mit einer der vielen konkreten darum, das System unseres staatlichen Lebens, also Rahmenrichtlinien unter dem Gesichtspunkt ihrer auch unsere Verfassung zu verändern, und zwar so, inneren Ausgeglichenheit erforderlich, und 'dann ge- daß es optimale Lebensbedingungen gewährt und hörte sie hier auf den Tisch. den Anforderungen der Menschen an die Gemein- schaft, mit der sie leben müssen, entspricht. Das gilt (Beifall bei den Regierungsparteien.) auch für die Verfassung, wie Herr Kollege Dregger Mit allgemeinen Pauschalformulierungen ist da vorhin in seiner ersten These betont hat. Theodor nicht geholfen. Heuss hat sogar einmal vorgeschlagen, die Verfas- sung alle zehn Jahre einer gründlichen Überprüfung Zur Hochschulreform wird später gesprochen wer- zu unterziehen, und wir haben gemeinsam eine den, nämlich darüber, oh wir mit einem Ordnungs- Systemveränderungskommission eingesetzt, wenn recht und mit Strafanträgen da ansetzen sollten, wo auch mit anderem Namen. einzelne Studentengruppen nicht an ihrem Studium sondern primär an einer angeblich besseren Welt In dieser These sprechen Sie z. B. vom Elternrecht, interessiert sind, die sie mit Gewalt herbeiführen aber nicht von den jahrelangen Bemühungen, es als wollen. Da muß man sich fragen, ob es nicht auch einen Vorwand zu mißbrauchen, um konfessionelle schon vorher den dringenden und berechtigten Ruf Zwergschulen zum Nachteil jener Kinder zu erhal- nach einer Hochschulreform gegeben hat und ob ten, für die die vom Grundgesetz verbriefte Chan- sich die Extreme an den Hochschulen nicht eben des- cengleichheit damit Papier geblieben ist. wegen haben ansiedeln können, weil die alten Uni- (Beifall bei den Regierungsparteien.) versitäten unter dem Ansturm voraussehbarer Stu- dentenmassen zusammengebrochen sind. Wo steht etwas in Ihren Thesen von dem Recht des Kindes, die vom Staat gewährten Bildungschancen In Nr. 7 Ihres Antrags beschwören Sie die Freiheit auch und gerade dann nutzen zu können, wenn es der Opposition, die Unabhängigkeit der Verbände — eben nicht bildungsbewußte Eltern hat! ich füge hinzu: auch der Kirchen —, die Freiheit ,der Presse, die Achtung vor dem Verfassungsgericht. Was ist eigentlich der Erziehungsauftrag der Ich frage mich, wer dies alles bestritten hat. Schule, von dem Sie sprechen? Der Erziehungsauf- trag der Schule ist doch, dem Schüler nicht nur die In Nr. 8 bleibt der dort dargestellte Zusammen- Kenntnis von Institutionen, sondern auch die Fähig- hang zwischen dem verfassungsrechtlichen System keit zu vermitteln, sich durch eigene Überlegungen der Machtverteilung und der sozialen Marktwirt- eine weltanschauliche Einstellung zu schaffen, sich schaft für mich schillernd und unklar. Die Liberalen vor Unterwerfung zu schützen und sich auf selbst in diesem Staat haben die soziale Marktwirtschaft 5030 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Hirsch gegen den Widerstand aller anderen Parteien er- die liberale Aufgabe in den siebziger und acht- kämpft. Es ist kein Zweifel daran, daß wir sie ver- ziger Jahren unseres Jahrhunderts. teidigen werden. Aber es ist auch kein Zweifel dar- Meine Damen und Herren, wir haben versucht, an, daß es sich dabei eben nicht um einen Kampf diese Gedanken in einer Ihnen vorliegenden Reso- um verfassungisrechtliche Kategorien handelt, son- lution zum Ausdruck zu bringen, die das gemein- dern um ein Problem politischer Meinungsverschie- same Bekenntnis dieser Koalition darstellt. denheiten auf der Grundlage unserer Verfassung. (Beifall bei den Regierungsparteien.) (Beifall bei der FDP.) Es empfiehlt sich, einmal wieder den Art. 15 des Vizepräsident von Hassel: Ich darf Ihnen, Grundgesetzes nachzulesen, der dem Ahlener Pro- Herr Kollege Dr. Hirsch, danken, daß Sie wesent- gramm entspricht, also den Anträgen der CDU im lich unter der Zeit geblieben sind und damit unsere nordrhein-westfälischen Landtag in den Jahren Mittagspause ein bißchen verlängern. 1947/48. Wenn Sie diese Anträge heute nachläsen, Ich berufe die Sitzung auf 14 Uhr zur Frage- dann wären sie für Sie schon in ihrer Formulierung stunde wieder ein. eine Ausgeburt neomarxistischer, verfassungsfeind- licher Träumereien. Ich habe das hier. Ich kann es Die Sitzung ist unterbrochen. vorlesen. (Unterbrechung von 13.23 Uhr bis 14.01 Uhr.) (Beifall bei den Regierungsparteien.) Meine Damen und Herren, wir sollten uns doch ge- Vizepräsident von Hassel: Die unterbrochene meinsam davor hüten, uns dem Verdacht auszuset- Sitzung wird wieder aufgenommen. zen, wir wollten wirtschaftliche Interessen zum Ver- Ich rufe Punkt 1 auf: fassungssatz erheben und sie damit einer Sachdis- kussion entziehen, die wir nicht zu scheuen haben. Fragestunde (Beifall bei den Regierungsparteien.) Drucksache 7/1661 — Wir beginnen mit den gestern nicht mehr abge- Wir verstehen unsere Verfassung als einen handelten Fragen aus dem Geschäftsbereich des dynamischen Prozeß. Sie erlaubt die Entwicklung Bundesministers für Wirtschaft. Der Parlamentari- gegensätzlicher politischer Positionen, die sich sche Staatssekretär steht zur Beantwortung zur Ver- gegenseitig ausschließen, die aber trotzdem verfas- fügung. sungsgemäß sind. Sie vereint auch gegensätzliche Ideale. Der Grundsatz der Volkssouveränität und Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Brück auf: die Grundrechte des Individuums können einander Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen der Verhandlungen über die Schaffung eines Regionalfonds der Europäischen Ge- widerstreiten. Der Grundsatz der Rechtsstaatlich- meinschaft auf die Notwendigkeit der grenzüberschreitenden Re- keit umschließt nicht notwendigerweise die tatsäch- gionalpolitik zwischen den Mitgliedstaaten zu drängen, da eine erfolgversprechende europäische Strukturpolitik auf bestehende liche Chancengleichheit. Die soziale Gerechtigkeit Staatsgrenzen keine Rücksicht nehmen darf, wie am Beispiel der engen Wirtschaftsverflechtung zwischen dem Saarland, Luxem- ist eine Aufgabe, die jeweils neu zu erfüllen ist. burg und Lothringen deutlich wird? Bei der Verwirklichung der materiellen Inhalte unserer Verfassung hat sie sich gerade deswegen Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer bewährt, weil sie für Veränderungen offen ist. Die Staatssekretär Grüner. Ewiggestrigen und die Reformunfähigen sind in meinen Augen die eigentliche revolutionäre Gefahr, Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- mit der wir uns auseinanderzusetzen haben. ster für Wirtschaft: Die Bundesregierung ist sich be- (Beifall bei den Regierungsparteien.) wußt, daß eine Koordinierung der regionalen Wirt- schaftspolitik in den Grenzregionen vordringlich ist. Denn nur, wenn es nicht gelingen sollte, gegenüber Sie arbeitet mit diesem Ziel auf verschiedenen Ebe- dem starren Festhalten an dem Gegebenen auch nen mit den Regierungen der Nachbarländer zusam- dort Reformen zu verwirklichen, wo ökonomische men. Der europäische Fonds für Regionalentwick- Interessen berührt werden, nur dann wird die Ge- lung ist allerdings nicht das geeignete Instrument fahr entstehen, daß der Freiheitsraum des Bürgers der Koordinierung in den innergemeinschaftlichen den Idealen der Gleichmacherei zum Opfer fallen Grenzregionen. Seine Aufgaben liegen vor allem in könnte. den von regionalen Ungleichgewichten besonders betroffenen Randgebieten der Gemeinschaft. Unsere gesellschaftlichen Probleme sind nicht durch den Einsatz staatlicher Macht lösbar, son- dern durch den Abbau von starren Positionen, durch Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Aufklärung im eigentlichen Sinn, durch eine Poli- Herr Abgeordneter Brück. tik nicht formelhafter, sondern sachbezogener Ver- nunft. Damit zitiere ich Karl-Hermann Flach — mit Brück (SPD) : Herr Staatssekretär, sind Sie nicht Erlaubnis —; er hat gesagt: mit mir der Auffassung, daß sich europäische Politik Die ewig gültigen liberalen Postulate „Freiheit nicht darin erschöpfen darf, daß man neue Fonds der Persönlichkeit" und „Wahrung der Würde schafft, daß man bisherige Aufgaben, die in der des Menschen" in unsere Zeit hineinzutragen, nationalen Verantwortung lagen, dadurch europä- nicht für eine Schicht, sondern möglichst für isch gestaltet, daß man sie europäisch finanziert, alle, die das wollen, sie durchzusetzen, das ist sondern daß echte europäische Politik darin besteht, Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5031

Brück Trifft es zu, daß die Bundesregierung eine Lockerung oder auch bestehende Grenzen zu überwinden und an die Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzungen, insbesondere auf Lösung der Probleme unter europäischen Gesichts- Autobahnen, in Erwägung zieht, und bis wann ist bejahenden- falls damit zu rechnen? punkten heranzugehen? Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär! Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster für Wirtschaft: Herr Kollege, ich teile diese Auf- Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- fassung vollkommen. Unsere Bemühungen sind dar- ster für Wirtschaft: Die Bundesregierung wird sich auf gerichtet, eine solche Politik, die sicher nur in der Kabinettsitzung vom 20. Februar 1974 mit Schritt für Schritt verwirklicht werden kann, in die der Frage der Geschwindigkeitsbegrenzungen befas- Realität umzusetzen. sen. Wie ich in ,der Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Ollesch bereits ausgeführt habe, er- geben die ersten Februarmeldungen der Mineralöl- Keine Zusatzfrage. Vizepräsident von Hassel: wirtschaft für die Monate März und April — ge- Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Brück auf: messen an dem Verbrauch der entsprechenden Vor- Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang jahresmonate — eine voraussichtliche Angebots- die Äußerungen des französischen Premierministers Pierre Mess- mer in Lyon, „die Idee einer organischen Zusammenarbeit lücke beim Benzin. Bei der Beurteilung der Ver- zwischen französischen und benachbarten ausländischen Regionen brauchsentwicklung bestehen allerdings wegen der solle man sich aus dem Kopf schlagen"? starken Preisanhebungen im Januar erhebliche Un- Bitte, zur Beantwortung! sicherheitsfaktoren. Die Bundesregierung geht da- von aus, daß bis zu dem Gespräch des Bundes- ministers für Wirtschaft mit der Mineralölwirtschaft Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Grüner, am 18. Februar sowohl die neuen Versorgungs- ster für Wirtschaft: Der genaue Wortlaut der Äuße- daten für die Monate März und April ,als auch die rungen des französischen Ministerpräsidenten in ersten Erkenntnisse über die Auswirkungen der Lyon liegt der Bundesregierung nicht vor. Nach höheren Benzinpreise auf den Verbrauch vorliegen. einem Bericht in „Le Monde" vom 2. Februar 1974 Unter Berücksichtigung des neuen Zahlenmaterials sind diese Äußerungen im Zusammenhang mit Aus- wird anschließend darüber zu entscheiden sein, ob führungen über die Dezentralisierung der französi- die Voraussetzungen für die auf das Energiesiche- schen Verwaltung zu sehen. Der französische Pre- rungsgesetz gestützten Geschwindigkeitsbeschrän- mierminister hat sich jedoch gleichzeitig für die kungen weiterhin gegeben sind. Fortsetzung der zwischenstaatlichen Kontakte in den Grenzregionen ausgesprochen. Die Bundesregierung ist auch der Ansicht, daß die Zeit für eine Auflösung Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, bestehender Staats- und Verwaltungseinheiten in Herr Abgeordneter Engelsberger. den Grenzregionen im Zeichen europäischer Integra- tion noch nicht gekommen ist, was die Zusammen- Engelsberger (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, arbeit in diesen Grenzregionen allerdings nicht aus- treffen Pressemeldungen zu, wonach die Bundes- schließt. regierung einen Großversuch von zweieinhalb Jah- ren mit km 120 plant, wofür allerdings nicht ener- giepolitische, sondern Sicherheitsmaßnahmen maß- Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, gebend sein sollen? Herr Abgeordneter Brück. Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Brück (SPD) : Herr Staatssekretär, heißt das, daß ster für Wirtschaft: Herr Kollege, diese Frage müß- die Bundesregierung die Ausführungen des franzö- ten Sie an das Bundesverkehrsministerium richten. sischen Premierministers so versteht, daß natürlich Ich bin leider nicht in der Lage, darauf eine Ant- auch die vorhandenen politischen und wirtschaft- wort zu geben. lichen Organe in den Grenzregionen miteinander zu- sammenarbeiten können und nicht der Umweg über Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- die Regierungen in Paris oder in Bonn genommen satzfrage dos Abgeordneten Engelsberger. werden muß? Engelsberger (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- wäre ,die Bundesregierung nach dem Energiesiche- ster für Wirtschaft: So haben wir diese uns aller- rungsgesetz nicht verpflichtet, die Geschwindig- dings im Wortlaut nicht vorliegenden Äußerungen keitsbegrenzung aufzuheben, sobald wie der Eng- verstanden. paß in der Benzinversorgung beseitigt ist, und kann man angesichts der guten Versorgungslage der Tankstellen bei Benzin von einem derartigen Eng- Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. paß heute noch sprechen, und was hindert die Bun- Die Frage 28 des Abgeordneten Krockert und die desregierung daran, die Geschwindigkeitsbegren- Frage 29 des Abgeordneten Gansel werden auf zung sofort aufzuheben? Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Engels- ster für Wirtschaft: Herr Kollege, ich habe in meiner berger 'auf: Antwort gerade klargelegt, daß wir verpflichtet 5032 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Parl. Staatssekretär Grüner sind, die Geschwindigkeitsbegrenzung aufzuheben, Vizepräsident von Hassel: Ich danke Ihnen, wenn die Versorgungslage das erlaubt. Das muß Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beant- allerdings geprüft werden, und wir warten die Da- wortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich. ten der Mineralölwirtschaft ab. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- kanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beant- Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage wortung steht Herr Staatssekretär von Wechmar des Abgeordneten Conradi. zur Verfügung. Ich rufe die Frage 179 des Abgeordneten Niegel Conradi (SPD) : Herr Staatssekretär, besteht nach auf: Ansicht Ihres Hauses, nachdem die Absatzstatistiken Treffen die Meldungen zu oder sind es nur Karnevals- bzw. der Automobilindustrie schon seit Frühjahr 1973 Faschingserscheinungen, daß der Bundeskanzler über die derzeit im Volksmund kursierenden Witze über ihn und seine Regie- einen Rückgang erkennen lassen, ein Zusammenhang rung wegen eines „hämischen bis bösartigen Untertons" besorgt und deshalb ein Spezialpsychologe beauftragt worden sei, diese zwischen Geschwindigkeitsbeschränkung und Auto- Witze zu untersuchen? mobilverkäufen? Freiherr von Wechmar, Staatssekretär, Chef Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie- ster für Wirtschaft: Dieser Zusammenhang wird rung: Herr Abgeordneter, die Antwort auf beide jedenfalls von der Automobilindustrie behauptet Teile Ihrer Frage lautet nein. und gesehen. Es ist selbstverständlich so, daß solche Soweit in Witzen ein „hämischer bis bösartiger Zusammenhänge auf psychologischen Faktoren be- Unterton" zu registrieren ist, bedarf es zu einer Be- ruhen, die einer exakten wissenschaftlichen Nach- urteilung keines weiteren Auftrages an einen Spe- prüfung nicht ohne weiteres zugänglich sind. zialpsychologen. Bereits Sigmund Freud hat festge- stellt, daß sich durch das Erzählen von Witzen, u. a. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Charakter des Erzählers offenbare. des Abgeordneten Brück. (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs parteien.) Brück (SPD): Herr Staatssekretär, ist die jetzige gute Versorgungslage bei Benzin nicht auch darauf - Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage zurückzuführen, daß es die Geschwindigkeitsbegren- des Abgeordneten Niegel. zung gibt, und ist es nicht so, daß die Versorgungs- lage nicht mehr so gut wäre, wenn wir die Geschwin- Niegel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, kann digkeitsbegrenzung aufhöben? man daraus vielleicht schließen, daß sich der Volks- witz über den Bundeskanzler und seine Regierung Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- — im Gegensatz zu früheren Regierungen im ster für Wirtschaft: Es ist ganz selbstverständlich, Zeichen der von ihm verkündeten Lebensqualität daß die Einsparungen, die im Bereich der Benzin- auch gewandelt hat, und ist das auf das zurück- versorgung erzielt worden sind, entscheidend dazu gehende Vertrauen des Volkes in diese Regierung beigetragen haben, das Ziel des Energiesicherungs- zurückzuführen? gesetzes zu erreichen, nämlich die vorhandene Ener- gielücke zu schließen. Wir haben ja darauf aufmerk- Freiherr von Wechmar, Staatssekretär, Chef sam gemacht, daß uns im Januar und Februar 1974 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie- gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres rung: Die Antwort lautet nein. tatsächlich nur Mindermengen zum Verbrauch zur Verfügung standen, so daß solche Einsparungen Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- auch notwendig waren. satzfrage des Abgeordneten Niegel. Ich darf Sie aber bitten, sich wirklich präzise an die Grundfrage zu halten und nicht davon abzuweichen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Nordlohne. Niegel (CDU/CSU) : Ich ziehe aus der Antwort ja wiederum die Folgerungen: Hat die Bundesregie- Nordlohne (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, rung folglich dann nichts mehr zu lachen, keinen können Sie sagen, in welchem Umfange die gerin- Humor, und — als Ergänzung dazu — sammelt sie gere Abgabe von Benzin seitens der Tankstellen die Witze, ist sie bereit, diese Witze auch heraus- auf die wesentliche Preiserhöhung zurückzuführen zugeben — ähnlich dem Kinderbüchlein „Ich liebe ist? den Bundeskanzler" (Abg. Dr. Marx: Volksausgabe!) Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- mit dem Titel „Volkswitz und Volkswitzkalender"? ster für Wirtschaft: Darüber haben wir keine zuver- lässigen Angaben. Wir können immer nur den Ge- Freiherr von Wechmar, Staatssekretär, Chef samtverbrauch in einem bestimmten zeitlichen Ab- des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie- stand feststellen. Ich halte es für sicher, daß auch rung: Herr Abgeordneter, Sie werden Verständnis die höheren Preise dazu beitragen werden, den Ver- dafür haben, wenn ich mich auf ein Wort beschränke brauch zu reduzieren. und sage: Die Antwort lautet nein. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5033

Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Vizepräsident von Hassel: Keine weitere Zu- des Abgeordneten Haase (Kassel). saztfrage. Ich danke Ihnen für die Beantwortung. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Amtes auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parla- muß ich Ihrer letzten Antwort — leider — entneh- mentarische Staatssekretär Moersch zur Verfügung. men, daß Sie nicht beabsichtigen, eine Sammlung Ich rufe zunächst die Frage 180 des Abgeordneten über den Volkswitz und die Bundesregierung zur Lattmann auf: Erbauung unserer Bevölkerung herauszugeben? Sie Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Republik Süd- wollen es nicht tun? afrika tätige Arbeitnehmer mit Staatsangehörigkeit der Bundes- republik Deutschland ihre dort erworbenen Ersparnisse erst fünf Jahre nach Rückkehr in ihr Heimatland vollständig oder teil- Staatssekretär, Chef weise ausführen können und während dieser Zeit für die dort Freiherr von Wechmar, durch staatliche Verordnung festgelegten Ersparnisse lediglich des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie- einen ungewöhnlich niedrigen Zinssatz erhalten, und kann die Bundesregierung bei der Republik Südafrika eine Änderung rung: Nein. dieser Bedingungen erwirken, die sich für die ehemals und gegenwärtig in Südafrika tätigen deutschen Arbeitnehmer als außerordentlich ungünstig und zum Teil sogar existenzbedrohend Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage erweisen? des Abgeordneten Jäger (Wangen). Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats- sekretär, bitte! Jäger (Wangen) (CDU/CSU): Herr Staatssekre- tär, muß ich aus Ihrer ersten Antwort auf die Frage des Kollegen Niegel den Schluß ziehen, daß die Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Meldung im „Spiegel" von dieser Woche falsch ist, ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, von wonach die Betreuer Brandts, wie es hier wörtlich einer Erschwerung des Transfers, einer Blockierung heißt, im Kanzleramt den habilitierten Psychologen oder einem Zwangssparen zu niedrigem Zinssatz Manfred Koch aus dem Bundespresseamt — das von Ersparnissen aus dem Erwerbseinkommen deut- müßten Sie ja wissen — damit beauftragt hätten, scher Staatsbürger in der Republik Südafrika ist der Ursachen und Herkunft der „üblen Scherze" zu un- Bundesregierung nichts bekannt. Nach Auskünften tersuchen? der zuständigen Auslandsvertretung sind Geschäfts- banken in Südafrika ohne Genehmigung der dorti- - gen Reservebank ermächtigt, den in ihre Herkunfts- Freiherr von Wechmar, Staatssekretär, Chef länder zurückkehrenden Ausländern, die sich bis des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie- zu drei Jahren in Südafrika aufgehalten haben, Er- rung: Herr Abgeordneter, ich habe jetzt endlich Ge- sparnisse bis zu 2 000 Rand, das sind 7 750 DM, legenheit, eine Frage einmal mit Ja zu beantworten. per Antragsteller am Tage der Ausreise zu trans- Die Antwort lautet: ja. ferieren.

Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Wenn auf befristete Verträge in Südafrika tätige des Herrn Abgeordneten Wohlrabe. Ausländer länger als drei Jahre im Land verbleiben oder höhere Beträge als 2 000 Rand überweisen wol- len, muß die Geschäftsbank eine Genehmigung der Wohlrabe (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist südafrikanischen Reservebank einholen. Dies wurde denn von der Bundesregierung überhaupt ein Psy- bei hinreichendem Beweis des Eigentums und des chologe in letzter Zeit eingestellt oder beschäftigt rechtmäßigen Erwerbs dieser Beträge bisher immer worden? Wenn ja, für welche Aufgabe? genehmigt.

Freiherr von Wechmar, Staatssekretär, Chef Keine Zusatzfrage. des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie- Vizepräsident von Hassel: Frage 181 des Herrn Abgeordneten rung: Herr Abgeordneter, der hier offenbar in Rede Ich rufe -die stehende Diplompsychologe, der mit den hier be- Wohlrabe auf: Welche Leistungen hat die Bundesregierung seit dem 11. Sep- handelten Fragen nicht beauftragt ist, ist im Bundes- tember 1973 im Rahmen der humanitären Hilfe der Bundes- presseamt zu Zeiten eingestellt worden, als der Bun- republik Deutschland Chile — unmittelbar oder durch andere deskanzler Kiesinger hieß. Organisationen — zur Verfügung gestellt? Zur Beantwortung, bitte! Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling. Moersch, Pari. Staatssekretär beim Bundesmini- ster des Auswärtigen: Die Bundesregierung hat die Dr. Sperling (SPD) : Herr Staatssekretär, teilen sehr frühzeitig einsetzenden Hilfsaktionen des Deut- Sie meine Auffassung, daß das amtliche Sammeln schen Caritasverbands, der über seine Schwester von Witzen nicht witzig ist? organisation Caritas Chile tätig werden konnte, un- terstützt. Caritas hat zunächst Sendungen von Gü- tern zur medizinischen Versorgung von Verwunde- Freiherr von Wechmar, Staatssekretär, Chef ten und der im Nationalstadion von Santiago fest- des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie- gehaltenen Personen durchgeführt. Die Bundesregie- rung: Das amtliche Sammeln von Witzen, Herr Ab- rung hat sich an den Lufttransportkosten beteiligt. geordneter, würde voraussetzen, daß das Amt eine solche Sammlung kraft seines Auftrages veranstaltet. Von Caritas unterstützt wurden ferner in Not Mein Amt hat nicht den Auftrag, Witze zu sammeln. geratene Familien von politischen Flüchtlingen oder 5034 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Parl. Staatssekretär Moersch Gefangenen. Auch hier hat die Regierung einen Zu- daß sie sich ausschließlich an der eingetretenen schuß gezahlt. Notlage orientiert. Über die Aufnahme politischer Von besonderer Bedeutung war die Bereitschaft Flüchtlinge aus Chile, die noch nicht abgeschlossen der Bundesregierung, politisch verfolgte Personen ist, hinaus sind zur Zeit keine humanitären Hilfs- in der Bundesrepublik aufzunehmen bzw. diesen in maßnahmen im Gange oder geplant. den Räumen der deutschen Botschaft in Santiago bis zur Ausreise Unterkunft zu gewähren. Aus Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Chile sind bisher rund 540 Flüchtlinge eingetroffen. bitte schön. Weitere 400 bis 450 werden erwartet. Die Kosten der Versorgung und der Flugpassage werden vom Wohlrabe (CDU/CSU) : Da Sie soeben von der Auswärtigen Amt übernommen. aktuellen Notlage in Chile gesprochen haben, ge- Als humanitäre Hilfe für Chile ist auch eine un- statte ich mir die Frage, Herr Staatssekretär, ob auf entgeltliche Sendung von 15 000 Tonnen Weizen Grund der dort für bestimmte Bevölkerungsschich- zu werten, die Ende November 1973 in Chile ein- ten zweifelsfrei vorhandenen Notlage daran gedacht traf. ist, im Moment auch die humanitäre Hilfe in Chile unmittelbar fortzusetzen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe. Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster des Auswärtigen: Nein, Herr Abgeordneter. Ich habe soeben in der Antwort gesagt, daß über das Wohlrabe (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, sind hinaus, was ich dargestellt habe, im Augenblick Sin in der Lage, bekanntzugeben, welche finanzielle keine Planungen vorliegen. Man kann ja Hilfe nur Größenordnung diese humanitäre Hilfe bisher in leisten, wenn konkrete Anforderungen da sind. etwa ausmacht.

Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Vizepräsident von Hassel: Zweite Zusatzfrage ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich bin des Abgeordneten Wohlrabe. gern bereit, das im einzelnen nachzureichen. Ich habe hier z. B. eine Unterlage, wonach ein Trans- Wohlrabe (CDU/CSU): Ich kann also davon aus- portkostenzuschuß in Höhe von 100 000 Dollar ge- gehen, daß nach Ihrer Aussage bisher von Chile und geben worden ist. Es handelt sich also um Beträge auch von der deutschen Botschaft in Chile sowie von von erheblicher Höhe. Ferner ersehe ich hier, daß Verbänden, die im Rahmen der humanitären Hilfe in einem Fall ein Betrag von 250 000 DM an den tätig sind, wie z. B. der Caritas, keine Anforderun- Deutschen Caritasverband gegangen ist. Ferner gen an das Auswärtige Amt oder überhaupt an die wurden 500 000 DM für die Transportkosten der Bundesregierung ergangen sind? 500 mit dem Flugzeug Transportierten gezahlt. Fer- ner sind die erwähnten Lieferungen zu berücksich- Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- tigen. Das summiert sich. ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich muß den Sachverhalt im einzelnen prüfen, um festzu- Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- stellen, ob da etwas Neues vorliegt. Das ist nicht satzfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe. Gegenstand Ihrer schriftlichen Frage gewesen; ich kann deshalb jetzt aus dem Stegreif keine verbind- Wohlrabe (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ich liche Antwort dazu geben. darf also davon ausgehen, daß die Gesamtkosten der Projekte und Objekte, die Sie eben vorgetragen Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die haben, schriftlich nachgereicht werden? Frage 183 des Abgeordneten Reiser auf: Sieht die Bundesregierung in der Meldung der „Welt der Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Arbeit" vom 18. Januar 1974, „Fast gleichzeitig, als Bonn für 4,4 Millionen Mark Hülsenfrüchte aus Äthiopien erhielt, gab die ster des Auswärtigen: Wenn Sie es wünschen, Bundesregierung umgekehrt 5 Millionen Mark aus, um für Äthio- pien Mais und Magermilchpulver zu spenden . ." einen Wider- selbstverständlich. spruch, und wenn ja, wie ist dieser Widerspruch zu erklären?

Wohlrabe (CDU/CSU) : Ich wäre sehr dankbar. Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär, bitte schön. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 182 des Abgeordneten Wohlrabe auf: Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Ist die Bundesregierung bereit — unabhängig von Staats- und ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, zwischen Regierungsform des Empfängerlands —, verstärkte humanitäre den beiden von Ihnen erwähnten Tatbeständen be- Hilfe nach Chile zu leisten, und welche Maßnahmen sind bisher eingeleitet worden? steht tatsächlich kein Widerspruch, so überraschend das klingen mag. Äthiopien hat in der Vergangen- Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- heit Hülsenfrüchte ausschließlich für den Export und ster des Auswärtigen: Die Bundesrepublik leistet damit für die Verbesserung der Handelsbilanz pro- im Rahmen ihrer Möglichkeiten humanitäre Hilfe duziert, nicht für die Ernährung der eigenen Be- stets und überall, wenn sich Menschen oder Grup- völkerung. Hülsenfrüchte werden nämlich im Lande pen von Menschen in unmittelbarer Gefahr befin- nicht verzehrt; sie entsprechen nicht den dortigen den. Es liegt im Wesen humanitärer Hilfeleistung, Nahrungsgewohnheiten. Für Getreide und Mais ist Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5035

Parl. Staatssekretär Moersch noch Ende 1973 ein absolutes Exportverbot erlassen Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesm ini worden. Die äthiopische Regierung hat nach den Be- -ster des Auswärtigen: Ich habe von der Gewißheit richten der Botschaft in Addis Abeba gelegentliche gesprochen, daß sie sich auf der Rückreise befinden. Verstöße gegen das Exportverbot streng geahndet. Was das andere betrifft, verweise ich darauf, daß ich gesagt habe, es handle .sich nicht um deutsche Staatsangehörige, jedenfalls nicht nach Auffassung Keine Zusatzfrage. Vizepräsident von Hassel: der sowjetischen Behörden — in einem Falle ist es Die Fragen 184 und 185 des Abgeordneten Dr. auch von dem Betroffenen gar nicht bestritten ge- Mertes (Gerolstein) werden auf Wunsch des Frage- wesen —, so daß die Entscheidung darüber bei der stellers schriftlich beantwortet. Die Antworten wer- sowjetischen Seite liegen wird. den als Anlagen abgedruckt. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- Ich rufe die Frage 186 des Abgeordneten Dr. satzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka. Hupka auf: Welche verbindlichen Zusagen hatte die Botschaft der Bun- desrepublik Deutschland in Moskau am 31. Januar 1974 seitens Dr. Hupka (CDU/CSU) : Wie beurteilt die Bun- der sowjetischen Behörden bezüglich des Schicksals der beiden asylsuchenden aussiedlungswilligen Volksdeutschen — keine desregierung die jüngste Nachricht vom 11. Februar, Festnahme, freie Rückkehr zum Heimatort, Gewährung der Aus- in der es heißt, daß wiederum Aussiedlungswillige siedlung —, als sie diese hilfesuchenden Menschen dazu „über- redete" (laut Moskauer Bericht der „Süddeutschen Zeitung"), die auf dem Wege ,der Demonstration versucht haben, Botschaft wieder zu verlassen? auf sich aufmerksam zu machen und damit über- Bitte schön, zur Beantwortung, Herr Staats- haupt ihre Aussiedlung ein wenig in Bewegung zu sekretär. bringen?

Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, diese ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, verbind- Frage steht zwar in einem gewissen Zusammenhang liche Zusagen der sowjetischen Behörden lagen am mit Ihrer Hauptfrage, aber ich kann zu einem Sach- 31. Januar 1974 nicht vor und konnten angesichts der verhalt, den ich auch nur so kenne, wie Sie ihn sowjetischen Staatsangehörigkeit der beiden Volks- kennen, hier nicht Stellung nehmen. deutschen auch nicht erwartet werden. Im übrigen ist zu diesem keineswegs ungewöhn- Vizepräsident von Hassel: Ich rufe Frage 187 lichen Fall folgendes zu bemerken. Am 30. Januar des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf: nachmittags gelangten die Ausreisewilligen in die Welche Beweise oder sachbezogenen Hinweise besitzt die Botschaft. Diese intervenierte noch am gleichen Bundesregierung zur Erhärtung der von Bundesminister Schmidt erhobenen Behauptung, „daß die Abreise einer so großen Zahl Abend im sowjetischen Außenministerium zugunsten von Deutschen, die nach Deutschland wollen, die drüben arbeiten in Polen, in manchen Ortschaften und in manchen Betrieben eine dieser beiden Ausreisewilligen. Dieser Schritt galt schwere Lücke reißt. Es sind ja nicht gerade die ungelerntesten Kräfte, um die es sich handelt, und infolgedessen ist es nur nicht nur der Unterstützung ihres Ausreisewunsches, vernünftig, wenn durch die Ermöglichung von Investitionen hier sondern auch ihrem persönlichen Wohlergehen nach ein Ausgleich geschaffen wird."? einem etwaigen Verlassen der Botschaft. Hierüber wurden die Betroffenen informiert und gleichzeitig Zur Beantwortung Herr Staatssekretär, bitte! unter Berücksichtigung aller maßgebenden Gesichts- punkte beraten. Sie haben daraufhin am 31. Januar Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- die Botschaft aus eigenem, freiem Willen verlassen. ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, wie Bereits am folgenden Tage konnte mit Sicherheit ge- Ihnen bekannt ist, konzentriert sich der größte Teil sagt werden, daß beide Personen in Moskau nicht der Ausreiseanträge auf die Bezirke Oppeln, Katto- festgenommen worden waren, sondern sich auf der witz und Allenstein. Wenn nunmehr ,diesem Per- Rückreise in ihre Heimat befanden. Das sowjetische sonenkreis die Ausreise gestattet wird, hat dies Außenministerium hat die weitere Überprüfung der erhebliche Auswirkungen z. B. ,auf die dort befind- Ausreiseangelegenheit durch die zuständigen Be- lichen Betriebe und Berufszweige, in denen die hörden zugesagt. Ob dieser von mir hier dargestellte Umsiedlungsbewerber arbeiten. Aus den vorliegen- Sachverhalt das in Ihrer Frage aus einem Zeitungs- den Unterlagen über die bisher Ausgereisten, die bericht zitierte Wort „überreden" rechtfertigt, mag im einzelnen aufgeschlüsselt sind, ergibt sich, daß dahingestellt bleiben. diejenigen Personen, ,die als qualifizierte Fachkräfte zu bezeichnen sind, ein starkes Element ,darstellen. Der Ersatz dieser Fachkräfte schafft, wie jedem Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage verständlich sein wird, in den betroffenen Gebieten des Abgeordneten Dr. Hupka. wirtschaftliche Probleme.

Dr. Hupka (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Sie Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, haben soeben das Wort „Gewißheit" gebraucht, und Herr Abgeordneter Dr. Hupka. zwar auf Grund der Erklärungen, die sowjetische Behörden unserer Botschaft in Moskau gegeben haben. Welche Gewißheit besteht nun seitens der Dr. Hupka (CDU/CSU) : Wie erklären Sie sich Botschaft, daß tatsächlich gerade ,der Aussiedlungs- die Behauptung, daß es erhebliche Auswirkungen antrag dieser Menschen in die Tat umgesetzt wer- auf die Wirtschaft geben müßte, wenn doch feststeht, den kann? daß von 280 000 Aussiedlungswilligen nicht mehr 5036 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Hupka als 70 000 im Arbeitsprozeß stehen? Dann kann es Jäger (Wangen) (CDU/CSU) : Herr Staatssekre- sich doch wohl bei einer Zahl von 50 000, die in die- tär, angesichts der Tatsache, daß die Ausreiseanträge sem Jahr aussiedeln wollen, nicht um eine beson- bei den Verhandlungen in Warschau im Jahre 1970 dere wirtschaftliche Auswirkung handeln. ja wohl im wesentlichen schon vorlagen und die Konzentration auch damals schon erkennbar war, frage ich Sie: Hat die polnische Seite schon bei die- Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- sen Verhandlungen auf diese wirtschaftlichen ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe Schwierigkeiten hingewiesen und von uns entspre- schon darauf hingewiesen, daß die Frage der Kon- chende finanzielle Hilfen bei Investitionen als Ge- zentration in gewissen Gebieten eine Rolle spielt genleistung für ihre damals gegebene „Information" und daß die Sache selbst, wie Sie wissen, auch in der zur Ausreise dieser Deutschen verlangt? Begründung komplex ist. Aber Unterlagen über die Berufe, die vorher von den Ausgesiedelten ausge- übt worden sind, zeigen, daß z. B, die Feststellung, Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- es handle sich in sehr starkem Maße um Facharbei- ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, eine Lek- ter, zutreffend ist. türe der Protokolle der Beratungen im Auswärtigen Ausschuß zu dieser Zeit wird Ihnen sicherlich Auf- klärung über die damaligen Ansichten der polni- Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- schen Seite verschaffen, die mit diesen Zahlenanga- satzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka. ben nichts zu tun hatten.

Dr. Hupka (CDU/CSU) : Wie beurteilen Sie, Herr Vizepräsident von Hassel: Wir kommen zu Staatssekretär, dann die Bemerkung, die ein Kor- Frage 188 des Herrn Abgeordneten Hansen. Ist der respondent in der vorigen Woche in der Wochen- Herr Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht anwesend. schrift „Die Zeit" veröffentlicht hat, daß es sich näm- Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Ant- lich bei diesem angeblichen Zusammenhang zwi- wort wird als Anlage abgedruckt. schen einer wirtschaftlichen Notwendigkeit und der Aussiedlung lediglich um ein taktisches Manöver Ich rufe Frage 189 des Herrn Abgeordneten Spran- ger auf: handle? Beruht die von der Bundesregierung nach Meldung der „Asso- ciated Press" veranlaßte Kontrolle der Sendungen der „Deutschen welle" auf Interventionen sowjetischer Stellen zur Verhinderung Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- der Verlesung von Solschenizyns Buch „Der Archipel Gulag", und ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es gibt wie ließe sich eine solche Zensur des Senders mit dem Grund- recht der Rundfunkfreiheit in Einklang bringen? eine Fülle von subjektiven Ansichten über Motiva- tionen auf der einen oder der anderen Seite, und ich Zur Beantwortung bitte Herr Staatssekretär! habe auf die Komplexität der Frage hingewiesen. Aber es wäre sicher unzutreffend, wenn wir behaup- Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- teten, es handle sich überhaupt nicht um wirtschaft- ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, von einer liche Fragen. Ich habe Ihnen gerade gesagt, daß ein Kontrolle der Sendungen der Deutschen Welle durch großer Teil derer, die gekommen sind es ist ja die Bundesregierung zu sprechen, ist schon im inzwischen eine erhebliche Zahl hierher gelangt —, Ansatz völlig verfehlt. Bekanntlich ist die Bundes- Fachkräfte sind, die dort zum Teil in bestimmten regierung — und für sie auch das Auswärtige Bereichen und in bestimmten Unternehmen konzen- Amt — mit Sitz und Stimme sowohl im Rundfunk- triert waren. rat als auch im Verwaltungsrat der Deutschen Welle vertreten. Die Bundesregierung oder das Auswärtige Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Amt hat also nicht nur das Recht, sondern sogar die des Herrn Abgeordneten von Fircks. Pflicht, mit darüber zu wachen, daß die Deutsche Welle die von dem „Gesetz über die Errichtung von Rundfunksendern des Bundesrechts" vom 29. No- Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Herr Staats- vember 1960 gezogenen Grenzen einhält. sekretär, wie verträgt sich die Argumentation mit § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes enthält eine klare Aus- den Arbeitskräften damit, daß polnische Firmen mit sage über die Programminhalte, die gefordert wer- Fachkräften sowohl in der DDR als auch hier Aus- den. Hier heißt es wörtlich: landsaufträge geradezu suchen, um ihre Fachkräfte voll zu beschäftigen? Die Sendungen sollen den Rundfunkteilnehmern im Ausland ein umfassendes Bild des politi- schen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- in Deutschland vermitteln und ihnen die deut- ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es wäre sche Auffassung zu wichtigen Fragen darstellen sicher reizvoll, in diesem Zusammenhang über ar- und erläutern. beitsteilige Wirtschaft zu sprechen. Daß auch wir trotz Vollbeschäftigung Exportaufträge im Ausland Wenn nun — wie es seit Jahren in Abständen suchen, ist bekannt. immer wieder geschieht — unsere Auslandsvertre- tungen über Reaktionen auf die fremdsprachlichen Programme der Deutschen Welle berichten, muß Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, sich das Auswärtige Amt natürlich eigene Kennt- Herr Abgeordneter Jäger (Wangen). nisse über die Inhalte dieser Programme verschaffen, Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode --- 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5037 Parl. Staatssekretär Moersch weil es sonst überhaupt nicht in der Lage wäre, die Wort „Zensur" muß ich in diesem Zusammenhang Reaktionen anderer zu beurteilen und unberechtigte zurückweisen — auch im Interesse dieses Hauses. Vorwürfe gegebenenfalls zurückzuweisen. Zu die- Wenn sich der Gesetzgeber einen Auftrag gibt und sem Zweck wurde seit langem wiederholt in Sende- diesen Auftrag erfüllt, hat das mit Zensur über- unterlagen Einsicht genommen. Das konnte der haupt nichts zu tun. Natur der Sache nach selbstverständlich erst nach (Beifall bei den Regierungsparteien) der erfolgten Sendung geschehen und erstreckte sich keineswegs nur auf das russischsprachige Pro- sondern mit der Überwachung gesetzlicher Auf- gramm, das zuletzt im Herbst des vergangenen Jah- träge. Der Rundfunkrat ist von diesem Hause mit res für einen bestimmten Zeitraum analysiert wor- den Stimmen aller Fraktionen eingesetzt, um eine den ist. Daraus ergibt sich zwingend, daß diese bestimmte Überwachung vorzunehmen, wie das Maßnahmen mit der Verlesung des Buches „Archipel auch in den Länder-Rundfunkgesetzen der Fall ist. GULAG" von Solschenizyn, die erst im Januar 1974 Hier kann es sich also nur darum handeln, daß die begann, nicht in Zusammenhang stehen und gar bestellten Gremien darauf achten — das ist in die- nicht stehen können. Ihnen lag im übrigen auch sem Falle der Rundfunkrat, in anderen Fällen der keinerlei sowjetische Intervention zugrunde. Verwaltungsrat , daß den gesetzlichen Verpflich- tungen, die dieses Haus selbst erlassen hat, nach- gekommen wird. Das mit Zensur zu bezeichnen Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Spranger. verfälscht meiner Ansicht nach diesen Begriff.

Darf ich bitten, zu Spranger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, fol- Vizepräsident von Hassel: beachten, daß sich Zusatzfragen genau an die gende Zusatzfrage: Würde die Bundesregierung, Grundfrage halten. Ihre zweite Zusatzfrage ging wenn nach ihrer Auffassung die Sendeanstalten über diese fraglos hinaus. Ich darf Sie bitten, bei ihren gesetzlichen Auftrag nicht erfüllen würden, die den kommenden Zusatzfragen darauf zu achten. Mittel für diese Sendeanstalten kürzen, und wer würde die Entscheidung der Bundesregierung auf Eine weitere Zusatzfrage hat der Abgeordnete ihre Rechtmäßigkeit hin — nach Ihrer Auffassung — Dr. Hupka. überprüfen? Dr. Hupka (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Sie Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- erwähnten gerade die Sendungen mit der Darstel- ster des Auswärtigen: Die Rechtslage ist ganz ein- lung aus dem Buch von Alexander Solschenizyn. deutig: Aufsichtsorgan für den Inhalt von Sendun- Halten Sie es für eine anerkennenswerte Leistung gen — ob sie gesetzesmäßig sind oder nicht — ist — in Übereinstimmung mit dem Auftrag der Deut- der Rundfunkrat. Die entsprechenden Organe des schen Welle —, daß dieses Buch hier vorgestellt Senders müßten dann mit der Bundesregierung si- wird? cherlich Kontakt aufnehmen; das würde man bera- ten. Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Im übrigen ist es ja im Haushaltsausschuß des ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es ist Bundestages, wenn ich nicht irre, und auch im nicht die Aufgabe der Bundesregierung, den Art. 5 Unterausschuß für auswärtige Kulturpolitik schon des Grundgesetzes hier in irgendeiner Form zu früher immer wieder für den Bundestag — nicht interpretieren. Sie sind Mitglied des Rundfunk- von der Bundesregierung — die Frage gestellt rats der Deutschen Welle, und ich müßte die Frage worden, ob bestimmte Ausgaben sinnvoll seien. an Sie zurückgeben, ob Sie der Meinung sind, daß Wenn hier gekürzt würde, würde das möglich sein, diese Lesung dem gesetzlichen Auftrag entspricht. ohne daß deswegen irgendein Petitum der Bundes- (Beifall bei den Regierungsparteien.) regierung vorliegt; es ist die freie Entscheidung Das müßte dann der Rundfunkrat, aber nicht der des Parlaments, den Haushalt zu bestimmen. Die Bundestag und die Bundesregierung feststellen. Bundesregierung hat von sich aus niemals irgend- welche Initiativen unternommen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- hat der Abgeordnete Dr. Sperling. satzfrage, Herr Abgeordneter Spranger. Dr. Sperling (SPD) : Herr Staatssekretär, halten Spranger (CDU/CSU) : Beabsichtigt die Bundes- Sie die Tatsache, das gesetzmäßige Handeln der Bun- regierung, Herr Staatssekretär, auch in anderen desregierung auf Grund einer Falschmeldung als Sendeanstalten durch Analysen zu zensieren, ob Zensur zu diffamieren, für eine besondere Krönung hier Steuergelder entsprechend der Meinung der dieses Tages der Verfassungsdebatte? Bundesregierung verwendet werden, und wo liegt bei solchen Zensuren nach Ihrer Meinung der Un- Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- terschied zu einer verfassungswidrigen Beschrän- ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich bin kung der Meinungs- und Rundfunkfreiheit? hier insofern für jedes mißverständliche Wort dank- bar, weil es in der Öffentlichkeit geklärt werden Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- kann und nicht weiter im Innern von Fragestellern ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, das herumbohrt. 5038 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage liegen, die aus Sicherheitserwägungen zu Bedenken hat der Abgeordnete Dr. Czaja. Anlaß geben könnten?

Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, kön- Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- nen Sie bestätigen, daß das Bundesverfassungsge- ster des Auswärtigen: Dann wären sie nicht einge- richt zur Frage der Schutzpflicht der Meinungsfrei- reist, Herr Abgeordneter. heit — eine Frage, die auch die Schutzpflicht der Bundesregierung betrifft — festgestellt hat, daß es Dr. Miltner (CDU/CSU) : Dann hätten sie also Aufgabe der Meinungsfreiheit und aller öffentlich- kein Einreisevisum bekommen? rechtlichen Rundfunkanstalten ist, auch die Unter- schiede in der Rechts- und Lebensordnung zwischen Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- einer freiheitlichen Demokratie und einer diktatori- ster des Auswärtigen: Ja, das ist der Sinn von schen Ordnung darzustellen? Sicherheitsüberprüfungen, daß man sich vorher ver- gewissert. Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich bin Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die nicht Mitverfasser dieses Gesetzes über die Deut- Frage 192 des Abgeordneten Dr. Miltner auf: sche Welle, aber Sie waren, glaube ich, damals be- Sind chilenische Antragsteller zurückgewiesen worden, und reits Mitglied des Bundestages. Ich darf doch unter- wenn ja, mit welcher Begründung? stellen, daß der Gesetzgeber und damit auch Sie sich etwas dabei gedacht haben, wenn Sie in dieses Ge- Bitte, Herr Staatssekretär. setz hineingeschrieben haben: Die Sendungen sollen den Rundfunkteilnehmern Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- im Ausland ein umfassendes Bild des politischen, ster des Auswärtigen: Chilenische Antragsteller sind kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in nicht abgelehnt worden. Deutschland vermitteln und ihnen die deutsche Auffassung zu wichtigen Fragen darstellen und Dr. Miltner (CDU/CSU) : Auch nicht südameri- erläutern. kanische, wenn ich fragen darf? Ich gehe davon aus, daß dies im Einklang mit dem Grundgesetz steht, sonst müßte sich der Bundestag Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- nachträglich selbst anklagen. ster des Auswärtigen: Das ist in einem Falle bei einem Kolumbianer geschehen, bei dem kein Ver- folgungstatbestand vorlag. Es handelte sich um Die Frage 190 ist Vizepräsident von Hassel: einen Jugendlichen, der von zu Hause ausgerissen vom Fragesteller zurückgezogen. war. Ein anderer, der einen Antrag gestellt hatte, Ich rufe die Frage 191 des Abgeordneten Dr. Milt- den wir auf Grund unserer Erkenntnisse hätten ab- ner auf: lehnen müssen, ist inzwischen gar nicht mehr auf- Wie viele chilenische Flüchtlinge sind nach dem Sturz des getaucht. Er war bereits anderweitig abgereist. Allende-Regimes bereits in die Bundesrepublik Deutschland ein- gereist, und wie viele Reiseanträge sind noch gestellt? Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatz- Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär. frage, Herr Dr. Miltner.

Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Dr. Miltner (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ster des Auswärtigen: Bis zum 11. Februar 1974 sind nachdem Sie uns mitgeteilt haben, daß Sicherheits- insgesamt 563 Chile-Flüchtlinge in die Bundesrepu- risiken bei Einreisenden und Antragstellern nicht blik Deutschland eingereist, davon 295 Chilenen — vorgelegen haben, frage ich Sie: Befinden sich viel- meist Schutzsuchende aus der Botschaft plus Fami- leicht doch Mitglieder radikaler südamerikanischer lienangehörige —, der Rest Ausländer und ihre Kin- Organisationen unter diesen chilenischen Flüchtlin- der, die, wenn sie in Chile geboren sind, die chileni- gen oder südamerikanischen Staatsangehörigen, be- sche Staatsbürgerschaft zuerkannt bekommen haben. finden sich Flugzeugentführer oder Terroristen dar- Insgesamt werden noch erwartet: 209 Drittausländer, unter? 30 Schutzsuchende in unserer Botschaft, die Chilenen sind, 52 Drittausländer und Chilenen aus anderen Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Botschaften, ca. 50 Drittausländer aus Argentinien. ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, wenn wir Bis zum Abschluß der Aktion treffen bei uns also der Meinung wären, daß sich Terroristen darunter noch etwas über 900 Chile-Flüchtlinge ein. befinden, hätten wir sie sicherlich nicht einreisen lassen. Daß es Menschen geben mag, die in ihren Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Wortäußerungen radikal sind, d. h. die Dinge von des Abgeordneten Dr. Miltner. der Wurzel her betrachten, kann ich nicht abstreiten. Das ist aber eine Eigenschaft, die z. B. die französi- Dr. Miltner (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, schen Liberalen zu der Behauptung veranlaßt, sie befinden sich unter den chilenischen Flüchtlingen, die seien Radikalsozialisten. bereits eingereist sind oder noch einreisen wollen, (Abg. Dr. Marx: Das Wort „radikal" ist auch solche Personen, bei denen Erkenntnisse vor- eben sehr schillernd!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5039

Vizepräsident von Hassel: Keine weitere Zu- Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister satzfrage. für Arbeit und Sozialordnung: Sehr verehrte Frau Kollegin. Die Bundesregierung unternimmt alle not- Die Frage 193 des Abgeordneten Dr. Fuchs wird wendigen Schritte, um die Arbeitslosigkeit in der auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. von Ihnen genannten Größenordnung zu verhindern. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich darf in diesem Zusammenhang auf das umfas- Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs sende Programm hinweisen, das die Bundesregie- angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, rung im Dezember 1973 und am Anfang dieses Mo- Herr Staatssekretär, und rufe den Geschäftsbereich nats zur Sicherung der Beschäftigung beschlossen hat. des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Auf Grund der soliden Finanzlage der Rentenver- auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentari- sicherung wird bei einer realistischen Annahme die scher Staatssekretär Rohde zur Verfügung. Leistungsfähigkeit der Rentenversicherungsträger durch die künftige Entwicklung nicht berührt. Selbst Ich komme zur Frage 31 des Abgeordneten Han- bei den in Ihrer Frage enthaltenen theoretischen An- sen. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage nahmen ist die finanzielle Leistungsfähigkeit der wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Versicherungsträger weder mittel- noch langfristig Anlage abgedruckt. gefährdet. Dabei spielt es eine erhebliche Rolle, daß Die Frage 32 ist vom Fragesteller zurückgezogen sich der im Gesetz vorgesehene finanzielle Verbund worden. der Versicherungsträger untereinander bewährt hat. Die Fragen 33 der Abgeordneten Frau Benedix, Vielleicht darf ich, Frau Kollegin, auf Ihre zweite 34 und 35 des Abgeordneten Dr. Stavenhagen wer- Frage wegen des Sachzusammenhangs sogleich ant- den auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beant- worten? wortet. Dies gilt auch für die Fragen 36 und 37 des (Abg. Frau Dr. Neumeister: Ja!) Abgeordneten Bäuerle. Die Antworten auf die ge- nannten Fragen werden als Anlagen abgedruckt. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Neumeister. Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Jaunich auf. — Ist der Fragesteller anwesend? — Er ist nicht (Abg. Frau Dr. Neumeister: Die Zusatz- anwesend. Die Frage wird ebenso wie die Frage 39 frage stelle ich im ganzen, weil das ein schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Komplex ist!) Anlagen abgedruckt. Vizepräsident von Hassel: Dann rufe ich die Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Grobecker Frage 48 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister auf: auf. — Der Abgeordnete ist nicht anwesend. Die Auf welche Jahresbeträge müßten mittel- und Iangfristig die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird Ausgleichszahlungen der Bundesversicherungsanstalt für Ange- stellte an die Arbeiterrentenversicherungsträger erhöht werden, als Anlage abgedruckt. wenn es sich bei den erwähnten Arbeitslosenzahlen ganz bzw. zur Hälfte um arbeitslose Arbeiter handelt? Die Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Lenzer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich be- Bitte, Herr Statssekretär. antwortet. Die Antworten werden als Anlagen abge- druckt. Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Zu Ihrer zweiten Ich komme zur Frage 43 des Abgeordneten Dr. Frage, Frau Kollegin, möchte ich auf die Voraus- Köhler (Duisburg). Ist der Fragesteller anwesend? — berechnung der finanziellen Entwicklung der Ren- Das ist nicht der Fall. Die Frage 43 wie auch die tenversicherung der Arbeiter und von Angestellten Frage 44 des Abgeordneten Dr. Köhler (Duisburg) im Rentenanpassungsbericht 1974 hinweisen. Dar- werden schriftlich beantwortet. Die Antworten wer- aus läßt sich erkennen, daß unter den dort gemach- den als Anlagen abgedruckt. ten Annahmen jede zusätzliche Belastung der Ren- Frage 45 des Abgeordneten Horstmeier wird auf tenversicherung der Arbeiter etwa ab 1975 durch Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Ausgleichszahlungen von der Angestelltenversiche- Auch die Antwort darauf wird als Anlage abge- rung gedeckt werden müßte. druckt. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Roser auf. Frau Abgeordnete Dr. Neumeister! — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Frau Dr. Neumeister (CDU/CSU) : Herr Staats- sekretär, können Sie mir in Zahlen sagen, in wel- Frage 47 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister: cher Höhe sich etwa im Jahre 1980 die Zusatzlei- Sind der Bundesregierung die mittel- und langfristigen Auswir- kungen für die finanzielle Leistungsfähigkeit der Rentenversiche- stungen der Bundesversicherungsanstalt für Ange- rungsträger bekannt, wenn es im Durchschnitt der Jahre 1974 stellte bewegen werden? bis 1976 jährlich 400 000 bzw. 700 000 bzw. 1 Million Arbeitslose in der Bundesrepublik gibt? Die Fragestellerin ist anwesend. Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Das ist im Renten- (Beifall.) anpassungsbericht im einzelnen ausgewiesen. Aber Bitte zur Beantwortung, Herr Staatssekretär! ich habe den Eindruck, daß Sie ein besonderes Inter- 5040 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Parl. Staatssekretär Rohde esse haben, kennenzulernen, wie die Zahlen sich Jahn, abgesehen von der in der Kürze der Zeit nicht unter den theoretischen Annahmen, die Sie gesetzt zu klärenden Frage, ob das von Ihnen aufgeführte haben, darstellen würden. Sie werden Verständnis Zitat auf einer tatsächlichen Äußerung beruht, dafür haben, daß das — weil das umfangreiche möchte ich zur Sache selbst darauf hinweisen, daß Rechenvorgänge sind — nicht in der kurzen Zeit- die Bundesregierung durch ihre wirtschafts- und spanne seit der Einbringung der Frage erledigt wer- beschäftigungspolitischen Maßnahmen den Rang der den konnte. Aber ich bin gern bereit, nach den Arbeitsmarktpolitik deutlich gemacht hat. Ich darf entsprechenden Berechnungen Ihnen die Zahlen- Sie auch auf die Antwort zu der Kleinen Anfrage angaben nachzuliefern. Ihrer Fraktion aufmerksam machen, die unter der Bundestagsdrucksachen-Nr. 7/1665 gegeben worden Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- ist und in der die Bundesregierung zu den Problemen satzfrage, Frau Dr. Neumeister. der aktuellen Arbeitsmarktlage eingehend Stellung genommen hat. Frau Dr. Neumeister (CDU/CSU) : Herr Staats- Ergänzend dazu möchte ich noch folgendes bemer- sekretär, dürfte ich dann zusätzlich für die schrift- ken. Ende Januar 1974 betrug die Zahl der Arbeits- liche Beantwortung noch anfügen, daß mich sehr losen 620 500 und lag damit unter den entsprechen- interessieren würde, wie hoch die Zahlen wären, den Zahlen der Jahre 1967 und 1968. Ein beträcht- wenn statt der Arbeitslosenzahlen die gleiche Zahl licher Teil, etwa 230 000 Personen, war aus saisona- an Kurzarbeitern vorhanden wäre? len Gründen arbeitslos. Wie sich die Arbeitslosig- keit im Februar dieses Jahres entwickelt, wird we- Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister sentlich von den Witterungsbedingungen der näch- für Arbeit und Sozialordnung: Ich werde prüfen, sten Wochen abhängen. Sind diese günstig, ist damit ob sich das den Rechenvorgängen, auf die wir zu- zu rechnen, daß die Zahl unter der vom Februar 1967 rückgreifen können, entnehmen läßt. Wenn das bleibt. Diese Aussage wird gestützt durch die jetzt möglich ist, leite ich Ihnen die Angaben zu. vorliegenden Angaben zur Entwicklung der Auf- tragseingänge und der Produktion im Dezember Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zu- 1973. satzfrage, Frau Dr. Neumeister. Im übrigen, Herr Kollege, ist es sicherlich Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, daß die Bundes- Frau Dr. Neumeister (CDU/CSU) : Herr Staats- regierung in der vergangenen Woche ein Sonder- sekretär, liegen der Bundesregierung Berechnungen programm in Höhe von 600 Millionen DM beschlos- darüber vor, wie sich die Mehrausgaben, vor allen sen hat, das gezielte Maßnahmen für bestimmte Dingen auch wegen der Mehrbelastung der Renten- Branchen und vor allem Regionen vorsieht, um die versicherung durch die berechtigte Umverteilung Probleme struktureller Arbeitslosigkeit abzubauen. der Lasten der Rentnerkrankenversicherung, auf die Hinzu kommen die arbeitsmarktpolitischen Maß- Höhe des Beitragssatzes zur Rentenversicherung nahmen, die mit einem Anwerbestopp für auslän- auswirken werden? dische Arbeitnehmer eingeleitet worden sind. Es ist eine wesentliche Aufstockung der Mittel für allge- meine Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung vorge- Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister sehen. Ferner sollen Umschulung und Fortbildung für Arbeit und Sozialordnung: Wir haben Angaben gefördert, soll auch die überregionale Vermittlung über die Rentnerkrankenversicherung in den Doku- intensiviert und im ganzen das Arbeitsförderungs- mentationen der Sozialstatistik ausgewiesen. In die- gesetz für die Beschäftigungspolitik voll ausge- sem Zusammenhang darf ich Sie darauf aufmerksam schöpft werden. machen, Frau Kollegin, daß diese Angaben sich für die Zukunft durch die Absicht der Bundesregierung verändern werden, die Rentnerkrankenversicherung Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, in ihrem finanziellen Gehalt neu zu ordnen. Ich der Abgeordnete Dr. Jahn. hoffe, daß es möglich sein wird, diesen gesetzgebe- rischen Prozeß in diesem Jahr einzuleiten. Dadurch würden sich für die Zukunft andere Perspektiven Dr. Jahn (Münster) (CDU/CSU) : Herr Staatsse- sowohl für die Krankenversicherung als auch für die kretär! Zu Ihren einleitenden Bemerkungen erlaube Rentenversicherung ergeben. ich mir die Frage: Wenn ein Abgeordneter des Deut- schen Bundestages aus einem Dokument des Partei- tages zitiert, wird man doch wohl davon ausgehen Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die können, daß diese Aussage auch gefallen ist. Frage 49 des Abgeordneten Dr. Jahn (Münster) auf: Trifft die Prognose („schon bald werden wir unter einer sozial- demokratischen Regierung Arbeitslosenzahlen haben, die jene Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister von 19661967 erreichen und sogar übersteigen") zu, die der bisherige Vorsitzende der Jungsozialisten, Roth, auf dem Bun- für Arbeit und Sozialordnung: Ich habe das auch deskongreß der Jungsozialisten in München abgab? nicht in Zweifel gezogen. Ich habe nur festgestellt, Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatskekretär! daß ich das im einzelnen nicht nachprüfen konnte.

Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Vizepräsident von Hassel: Noch eine Zusatz- für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege Dr. frage, Herr Dr. Jahn, bitte schön! Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5041

gestellt ist, und wenn ja, ist die Bundesregierung bereit, für Dr. Jahn (Münster) (CDU/CSU) : Herr Staatsse- diese genannten Betriebe zeitlich begrenzte Ausnahmegenehmigun- kretär, halten Sie es für möglich, daß die Tatsache gen zu erteilen und gleichzeitig auf eine Vermittlungsgebühr zu der größeren Arbeitslosigkeit mit auf die damals verzichten? von der Bundesregierung vertretene ökonomisch Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär. verfehlte These zurückzuführen ist, 5 % höhere Preissteigerungen seien besser als 5 % Arbeits- losigkeit? Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege Schrö- der, zu Ihrer Frage ist zunächst zu bemerken, daß Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Anwerbestopp für Arbeitnehmer aus dem Aus- für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, im land von den Erfordernissen der Arbeitsmarkt- Bundestag ist wiederholt ausgiebig und sachbezo- situation im ganzen ausgeht. Das ist auch in dem gen über die wirtschaftliche Entwicklung diskutiert von Ihnen genannten Beschäftigungsbereich zu be- worden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie dabei rücksichtigen. Nach Auffassung der Bundesanstalt nicht den Eindruck gewonnen haben, daß die Ent- für Arbeit müßte es bei der gegenwärtigen Be- wicklung der Beschäftigungsziffern andere Ursachen schäftigungslage für die Fremdenverkehrsbetriebe hat. Denken Sie beispielsweise an die Auswirkungen möglich sein, das benötigte Personal rechtzeitig im der Erdölkrise und die Debatten über die struk- Bundesgebiet zu gewinnen. Selbst die Aussichten, turellen Probleme der Arbeitslosigkeit in bestimm- Fachkräfte zu erhalten, sind günstig zu beurteilen. ten Regionen und Branchen. So registrierte die Bundesanstalt für Arbeit Ende Januar 1974 in diesem Bereich 10 595 Arbeit- Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage suchende gegenüber 7 471 offenen Stellen. Es be- des Abgeordneten Carstens (Emstek). steht also ein Überhang des stellensuchenden Fach- personals. Am Arbeitsmarkt für Fremdenverkehrs- leistungen stellt sich häufig ein besonderes Aus- Carstens (Emstek) (CDU/CSU): Herr Staatssekre- gleichsproblem, weil sich Angebot und Nachfrage tär, würden Sie mir bitte, wenn Ihnen entsprechen- vielfach räumlich nicht decken. Die Bundesanstalt des Zahlenmaterial vorliegt, die Frage beantwor- für Arbeit hat daher eine überbezirkliche Vermitt- ten, wann wir mehr Arbeitslose hatten, am 31. De- lung eingerichtet. Fremdenverkehrsbetriebe, die zember 1966 oder am 31. Dezember 1973. Arbeitskräfte für die kommende Saison benötigen, sollten dies nutzen, empfiehlt die Bundesanstalt für Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Arbeit. für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich möchte Sie nochmals auf die Antwort der Bundes- regierung auf die Kleine Anfrage Ihrer Fraktion Vizepräsident von Hassel: Eine Zwischen- hinweisen. Ich habe schon deutlich gemacht, daß wir frage des Herrn Abgeordneten Schröder. auch im Vergleich zu den Jahren 1967/68 heute von anderen Arbeitslosenzahlen, nämlich geringeren Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/CSU): Herr als damals, ausgehen können. Staatssekretär, glauben Sie wirklich, daß die von Ihnen genannten über 10 000 Beschäftigungslosen Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage in diesem Fachbereich bereit sind, für eine sehr des Abgeordneten von Fircks. kurze Saisondauer ihre Heimat zu verlassen, um auf den Inseln oder an der Küste ihre Arbeit zu verrichten? Halten Sie das nicht für unrealistisch? Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Herr Staats- sekretär, halten Sie dann die Aussage des früheren Vorsitzenden der Jungsozialisten Roth in München Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für eine rein demagogische Äußerung, oder hatte für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich er irgendwelche sachlichen Anhaltspunkte, um eine kann im Augenblick nicht übersehen, wie viele von solche Aussage machen zu können? den arbeitslosen ausländischen Arbeitnehmern bei- spielsweise zu dem Kreis derjenigen gehören, die in Gaststätten und Fremdenverkehrsbetrieben tätig Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister sein können. Ich glaube aber, daß die Mobilität für Arbeit und Sozialordnung: Ich gehe davon aus, dieses Kreises so groß ist, daß auch Kräfte für die daß Herr Roth seine Befürchtungen, jetzt nicht nur Arbeit in diesen Bereichen gewonnen werden kön- unter Würdigung der Zahlenangaben, sondern auch nen. angesichts der eingeleiteten wirtschafts- und be- schäftigungspolitischen Maßnahmen der Bundes- regierung uberprüfen wird. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- satzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Schröder (Wilhelminen- Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/CSU) : Herr hof) auf: Staatssekretär, wäre die Bundesregierung, wenn Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der von ihr beschlossene Anwerbungsstopp für ausländische Arbeitnehmer den sich Ihre günstige Prognose nicht bewahrheiten Fremdenverkehrsbetrieben auf den Nordsee-Inseln und an der sollte, bereit, kurzfristig auch anders zu entschei- Nord- und Ostseeküste so große Probleme aufgibt, daß während der Saison eine Versorgung der erholungsuchenden Gäste in Frage den? 5042 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Rohde, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Da nicht auszuschließen ist, daß durch das Tra- für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich gen eines bestimmten Abzeichens während des Dien- muß Ihnen offen und freimütig sagen, daß die Frage stes im Einzelfall solche Zweifel hervorgerufen wer- von Ausnahmen vom Anwerbestopp für den einen den können, ist das Herausstellen der Parteimit- oder anderen Bereich nicht isoliert betrachtet wer- gliedschaft im Dienst in dieser Form nicht mit der den kann. Vielmehr ist die Gesamteinschätzung der durch § 53 des Bundesbeamtengesetzes gebotenen konjunkturellen Entwicklung und der Arbeitsmarkt- Zurückhaltung vereinbar. Dies gilt insbesondere für entwicklung zu berücksichtigen; denn unsere Erfah- Dienststellen mit Publikumsverkehr. rungen auf vergleichbaren Gebieten zeigen, daß eine Für Arbeitnehmer ergibt sich der gleiche Grund- Ausnahme die andere nach sich ziehen würde. Dann satz aus § 8 Abs. 1 des Bundesangestelltentarifver- stehen Sie eines Tages an dem Punkt, an dem Sie trages und § 9 Abs. 9 des Manteltarifvertrages für sich fragen, wieweit überhaupt der Anwerbestopp Arbeiter des Bundes. Sie haben sich so zu verhal- im Hinblick auf die Arbeitsmarktlage noch wirksam ten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dien- ist. stes erwartet wird. Dazu gehört — wie bei Beam- Ich darf Sie auch auf die Auffassung des rhein- ten —, daß sie unvoreingenommen und unparteiisch land-pfälzischen Ministerpräsidenten aufmerksam ihr Amt wahrnehmen. machen, der, wenn ich mich recht erinnere, vor kurzem darauf hingewiesen hat, daß der Anwerbe- Damit habe ich bereits den zweiten Teil Ihrer stopp durchgehalten werden müsse. Ich teile seine Frage beantwortet, Herr Kollege; denn die Einhal- Auffassung in diesem Punkt. tung eines gesetzlich verankerten Gebots — § 53 des Bundesbeamtengesetzes — kann nicht dadurch ver- hindert werden, ,daß man verbietet, das Gebot zu Vizepräsident von Hassel: Die Frage 51 wird beachten. auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwor- tet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Be- des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling. antwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Dr. Sperling (SPD) : Herr Staatssekretär, kann ministers der Verteidigung. Zur Beantwortung der ich Ihrer Antwort entnehmen, daß ein Beamter, der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär nicht im Publikumsverkehr Dienst tut, sondern nur Berkhan zur Verfügung. Karteien bearbeitet, diese Nadel nicht tragen darf, weil die Farbe der Nadel auf sein amtliches Handeln Die Frage 52 ist von Herrn Abgeordneten Dr. abfärben könnte? Zimmermann eingebracht. — Er ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort Berkhan, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- wird als Anlage abgedruckt. ster der Verteidigung: Herr Kollege Dr. Sperling, ich Die Fragen 53, 54 und 55 werden auf Wunsch der bin ziemlich sicher, daß Karteikarten weder wahl- Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten berechtigt sind noch die Gelegenheit haben, von sich werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage aus in Parteien einzutreten. Aber ich will Sie darauf 56 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf: aufmerksam machen, daß dieser Kollege während Welche rechtlichen Grundlagen gibt es, in Bundeswehrverwal- des Dienstes stets mit anderen Kollegen in Berüh- tungen das Tragen solcher Abzeichen zu verbieten, die die Zugehörigkeit zu oder Sympathie mit einer Partei erkennen las- rung kommt und unter Umständen durch Kartei- sen, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, solche eintragungen Entscheidungen vorbereitet, die nur Verbote in den bundesunmittelbaren Verwaltungen zu verhin- dern? unparteiisch, sachlich und im Rahmen des Amtes vorgenommen werden dürfen. Bitte, Herr Staatssekretär! (Beifall bei der CDU/CSU.)

Berkhan, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Vizepräsident von Hassel: Zu einer zweiten ster der Verteidigung: Herr Präsident! Herr Kollege! Zusatzfrage Herr Dr. Sperling. Die Betätigung in politischen Parteien stellt grund- sätzlich einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung un- seres politischen Lebens dar und darf auf keinen Dr. Sperling (SPD) : Herr Staatssekretär, würde Fall behindert werden. Dabei ist es jedoch selbst- dieses amtliche Handeln durch das Tragen einer verständlich, daß eine parteipolitische Aktivität Nadel eingefärbt werden? Sehe ich das richtig? nicht die Verpflichtung des Beamten zu unpartei- ischer Amtsführung beeinflussen darf. Nach § 53 des Berkhan, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Bundesbeamtengesetzes hat nämlich der Beamte bei ster der Verteidigung: Herr Kollege Dr. Sperling, es politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zu- kommt darauf an, wo und zu welchem Zweck die rückhaltung zu wahren, die sich aus seiner Stellung Nadel getragen wird. Wenn damit ein Mangel in der gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht Kleidung verdeckt werden soll, hat diese Nadel na- auf die Pflichten seines Amtes ergeben. Vor allem türlich keine politische Bedeutung. Aber wenn da- innerhalb des Dienstes hat er sich so zu verhalten, mit eine Zusammengehörigkeit mit einer politischen daß Zweifel an seiner unparteiischen Amtsführung Gruppierung kundgetan wird, glaube ich, daß das nicht entstehen können. Gesetz hier zu Recht angewandt worden ist. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5043

Vizepräsident von Hassel: Damit sind die Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesmini- ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Was die sters der Verteidigung erledigt. Ich danke Ihnen für verwaltungsmäßige Behandlung der genannten Fälle die Beantwortung, Herr Statssekretär. betrifft, Herr Dr. Nölling, so darf ich Sie hier zu- Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- nächst auf die diesbezüglichen Ausführungen im bereich des Bundesministers für Jugend, Familie und 4. Wohngeldbericht verweisen, der in dieser Woche Gesundheit. Zur Beantwortung steht der Herr Parla- zur Beratung ansteht. Zur Vereinfachung des Ver- mentarische Statssekretär Westphal zur Verfügung. fahrens ist in den Verwaltungsvorschriften zum Zweiten Wohngeldgesetz unter Nr. 21.3 ein beson- Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Dr. Nöl- deres Zusammenwirken von Wohngeldstelle und ling auf: Sozialhilfeträger vorgesehen. Dieses Verfahren läuft Ist der Bundesregierung bekannt, daß von den etwa 1,4 Millio- nen Empfängern von Wohngeld mehr als 10 % gleichzeitig lau- darauf hinaus, daß der Sozialhilfeträger entspre- fende Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne des Bundessozialhilfe- chend den Bestimmungen des Bundessozialhilfege- gesetzes erhalten, deren Wohngeld bei den Leistungen der So- zialhilfe voll angerechnet wird, so daß ohne ein Mehr an Hilfe setzes den Unterkunftsbedarf in Höhe der tatsäch- zweifacher Verwaltungsaufwand entsteht? lichen Aufwendungen zunächst einmal voll deckt Bitte, zur Beantwortung! und sich vorn Hilfeempfänger zur Geltendmachung von dessen Wohngeldanspruch sowie zur Entgegen- Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- nahme von Wohngeldzahlungen bevollmächtigen ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kol- läßt, die er dann zum Ausgleich seiner Vorleistun- lege Dr. Nölling, nach dem Wohngeldgesetz hat auch gen verwendet. ein Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt Dieses Verfahren hat zu einer Verminderung des nach dem Bundessozialhilfegesetz wie jeder andere Verwaltungsaufwandes beigetragen. Weitere Erfah- Bürger Anspruch auf Wohngeld, wenn er die im rungen bleiben jedoch abzuwarten. Wohngeldgesetz genannten Voraussetzungen erfüllt. Die Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in den Ein grundsätzlich anderes Verfahren, etwa das Kreis der Anspruchsberechtigten geht auf eine Ent- einer pauschalierten Verrechnung, würde dagegen scheidung des Bundesverfassungsgerichts vom verfassungsrechtliche Schwierigkeiten mit sich brin- 14. November 1969 zurück, das den im Ersten Wohn- gen, sofern es darauf hinauslaufen würde, den indi- viduellen Anspruch des Sozialhilfeempfängers auf geldgesetz zunächst vorgesehenen Ausschluß der So- - zialhilfeempfänger vom Wohngeld wegen Verstoßes das Wohngeld in Frage zu stellen. gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG für nichtig erklärte. Die Anrechnung des Wohn- Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage geldes auf die Sozialhilfe — um den Wortlaut Ihrer des Herrn Abgeordneten Dr. Nölling. Fragestellung zu gebrauchen — und die Tatsache, daß gegebenenfalls zwei Stellen einer und derselben Dr. Nölling (SPD) : Herr Staatssekretär, da Sie Person Hilfe für die Wohnkosten gewähren müssen, selber in Ihrem Bericht schreiben, daß Sie noch Er- erklären sich daraus, daß beide Leistungen in einem fahrungen sammeln müßten, daß das also noch Rangverhältnis zueinander stehen und die vorran- nicht abschließend geklärt ist, darf ich Sie fragen, gige Leistung, in diesem Fall das Wohngeld, im welche Möglichkeiten Sie hätten, ein pauschalieren- Gegensatz zur nachrangigen Sozialhilfe regelmäßig des, Arbeitskräfte einsparendes Verfahren von der nicht kostendeckend ist. Natürlich bedeutet der An- Bundesregierung her anzuordnen oder anzuraten? spruch auf zwei Leistungen bei jeder dieser Leistun- gen einen eigenen Verwaltungsaufwand. Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich glaube Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatz- nicht, Herr Kollege Dr. Nölling, daß wir dazu Mög- frage Herr Abgeordneter Dr. Nölling. lichkeiten hätten, wenn die Auswirkung wäre, daß dieser nun durch ein Verfassungsgerichtsurteil be- Dr. Nölling (SPD) : Herr Staatssekretär, haben stätigte Anspruch auch des Sozialhilfeempfängers Sie Vorstellungen darüber, wie groß dieser doppelte auf ein Wohngeld eingeschränkt würde. Dies muß Verwaltungsaufwand quantitativ ist? den Vorrang haben. Sie sehen im übrigen, daß nach dem gewählten Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Verfahren eben nur eine Stelle für den Petenten ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Das ist die Ansprechstelle ist; und wenn er dazu bereit ist, außerordentlich schwer herauszufinden. Die Zahl kann sie auch die einzige Stelle bleiben, weil sich von 10 %, die Sie in Ihrer Frage genannt haben, dann das Amt von Amts wegen bei dem anderen, kann ich leider nicht bestätigen. Es gibt darüber für Wohngeld zuständigen Amt das Geld zurück keine zusammenfassende oder dem Bund zur Ver- holt fügung stehende Statistik. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die satzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Nölling. Frage 58 des Abgeordneten Dr. Nölling auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß durch eine interne Dr. Nölling (SPD) : Herr Staatssekretär, trifft es und gegebenenfalls pauschalierte Verrechnung zwischen Bund und Ländern der Verwaltungsaufwand erheblich vermindert und zu, daß, würde man pauschalieren, die materiellen das Verfahren wesentlich vereinfacht wird? Ansprüche der betreffenden Empfänger nicht ange- Herr Staatssekretär. tastet werden? 5044 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Haushalt des Bundesministers des Innern insgesamt ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Darf ich ein Zuschuß in Höhe von 74 500 DM gewährt. Eine Sie bitten, die Frage zu wiederholen. weitergehende finanzielle Förderung wurde der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft bei Mitwir- Dr. Nölling (SPD) : Ich frage, ob, würde man kung im Katastrophenschutz unter den Bedingungen pauschalieren und damit Verwaltungsaufwand in er- des Katastrophenschutzgesetzes angeboten. Die heblichem Maße einsparen, die eigentlichen mate- Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft hat es im riellen Ansprüche dieser Gruppen tangiert werden Gegensatz zu den meisten humanitären Hilfsorgani- oder nicht. sationen ausdrücklich abgelehnt, unter diesen gesetz- lichen Bedingungen im Katastrophenschutz mitzu- Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- arbeiten. ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Das Pro- Auf einen Antrag der Deutschen Lebens-Rettungs- blem dabei ist, daß es sich in dem einen Fall um Gesellschaft im Juli 1972 erhielt diese, da dem Bun- Bundesgeld und in dem anderen Fall um Gemeinde- desminister für Jugend, Familie und Gesundheit geld handelt. Dies durcheinanderzubringen würde Haushaltsmittel für dasselbe Jahr nicht mehr zur verfassungsmäßige Schwierigkeiten bereiten. Des- Verfügung standen, vom Jahre 1973 an erstmals wegen glaube ich nicht, daß der Weg, den Sie vor- einen jährlichen Zuwendungsbetrag zur Teilfinan- geschlagen haben, gangbar ist. Immerhin will ich zierung von Lehrgängen und Seminaren für Ausbil- Ihnen zusagen, daß uns, wie ich es in der Antwort der im Bereich des Wasserrettungsdienstes und der auch schon formuliert habe, die Sammlung neuer Wiederbelebung. Erfahrungen vielleicht auch andere Erkenntnisse Eine darüber hinausgehende allgemeine finan- für das Verfahren bringen könnte. Im Augenblick zielle Förderung der Deutschen Lebens-Rettungs- sehe ich allerdings keine Möglichkeit. Gesellschaft fällt in die Zuständigkeit der Länder.

Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Nordlohne. des Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye.

Nordlohne (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Freiherr Ostman von der Leye (SPD) : Ist es würden Sie bestätigen, daß die für das Wohngeld - demnach richtig, Herr Staatssekretär, daß für den und die für die Sozialhilfe zuständigen Stellen in eigentlichen Lebensrettungsdienst keine Gelder zur enger Zusammenarbeit die Probleme des Antrag- Verfügung stehen? stellers zu lösen versuchen?

Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Westphal, ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Auf der ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich gehe Bundesebene nicht. davon aus, daß dies so ist, und ich hoffe, daß es auf örtlicher Ebene überall so ist, wie es auch in dem Wohngeldbericht verdeutlicht wird. Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- satzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye. Vizepräsident von Hassel: Für die Frage 59 hat der Fragesteller, der Abgeordnete Walkhoff, um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird Freiherr Ostman von der Leye (SPD) : Darf als Anlage abgedruckt. ich Sie dann fragen, ob Sie gewillt sind, mit dem Innenministerium Verbindung aufzunehmen, damit Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Freiherr es mich davon unterrichtet, warum es von der Deut- Ostman von der Leye auf: schen Lebens-Rettungs-Gesellschaft die Erklärung WieDeut- erklärt die Bundesregierung die Tatsache, daß die sche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e. V., die nicht nur in Zivil- der Bereitschaft zum zivilen Katastrophenschutz schutz- und Katastrophenfällen, sondern auch im normalen All- dienst verlangt hat, obwohl diese Gesellschaft jeden tag — so z. B. im Jahr 1973 in 594 Lebensrettungsfällen, darunter 71 unter Lebensgefahr, in 5476 Sachbergungen und 54 001 Erste- Tag Katastrophen- und Zivilschutzdienst bei der Ret- Hilfe-Fällen an Land — tätig ist und somit eine lebensnotwendige Aufgabe für den Staat übernommen hat, überhaupt keine staat- tung von Menschenleben leistet und diese Tätigkeit liche Beihilfe vom Bund erhält? selbstverständlich auch im allgemeinen Katastro- phenfall fortsetzen würde? Bitte, zur Beantwotrung, Herr Staatssekretär.

Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kol- ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kol- lege Ostman von der Leye, der hohe Rang der Lei- lege Ostman, im Einvernehmen mit dem Bundes- stung dieser Gesellschaft wird wohl von niemandem minister des Innern beantworte ich die Frage wie bei uns, ganz gleich, in welchem Ressort der Bun- folgt. desregierung, unterschätzt. Wir schätzen die Arbeit Die Behauptung, daß die Deutsche Lebens-Ret- und die Leistung dieses Verbandes. Was Ihre Frage tungs-Gesellschaft e. V. keine staatliche Beihilfe angeht, ob ich mich beim Bundesminister des Innern vom Bund erhält, ist nicht zutreffend. In den Jahren dafür einsetzen kann, daß er Ihre Frage beantwor- 1967 bis 1973 wurde der Deutschen Lebens-Rettungs- tet, so will ich Ihnen das gern zusagen im Sinne Gesellschaft im Rahmen der Sportförderung aus dein der Amtszusammenarbeit, wie wir sie praktizieren. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode -- 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5045

Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die liche Hilfe für unzählige Menschen in diesem Lande Frage 61 des Abgeordneten Freiherr Ostman von darstellt, gezielt zu fördern? der Leye auf: Sieht die Bundesregierung die Zuwendung von nur 19 000 DM Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- im Haushalt (Kap. 15 02 Tit. 684 06), erstmals für das Haushalts- jahr 1973, an die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e. V. an- ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kol- gesichts der Tatsache, daß diese ins Zeitraum 1950 bis 1973 11 218 000 Ausbildungen mit Prüfungsabschluß durchgeführt und lege Rommerskirchen, ich will das gern unter ge- damit eine wichtige Aufgabe für die Allgemeinheit übernommen sundheitspolitischen Gesichtspunkten -- dies wäre hat, als ausreichend an? mein Ansatz dafür prüfen lassen. Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär! Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Frage 62 des Abgeordneten Dr. Kunz (Weiden) auf: ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Für die Wie hoch liegt der zusätzliche Personal- und Sachaufwand, der den Gemeinden bzw. den Stadt- und Landkreisen aus der Ab- Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft wird mit wicklung der Ausgabe von Gutscheinen im Rahmen der Heizöl- zuschußaktion entsteht, und könnte nicht aus Vereinfachungs- 19 000 DM derselbe finanzielle Zuwendungsbetrag gründen generell auf die Einkommensüberprüfung für Familien bereitgestellt wie für die übrigen freiwilligen Hilfs- mit drei und mehr Kindern sowie für Rentnerhaushalte verzich- tet werden, da nach Erfahrungsberichten der Abwicklungsbehör- organisationen, z. B. den Arbeiter-Samariter-Bund, den über 80 % dieses Personenkreises einen Anspruch auf der- die Johanniter-Unfall-Hilfe und den Malteser-Hilfs- artige Begünstigungen besitzen? dienst, die ein sehr breites und nicht geringes Spek- Der Abgeordnete ist anwesend. Zur Beantwortung, trum wichtiger Aufgaben für die Allgemeinheit er- Herr Staatssekretär! füllen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es sich bei Berücksichtigung der wichtigen und viel- fältigen humanitären Aufgaben, die nicht nur von Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, son- ster für Jugend, Famile und Gesundheit: Herr Kol- dern von allen freiwilligen Hilfsorganisationen lege Dr. Kunz, nach Mitteilung der Länder sind An- wahrgenommen werden, um einen relativ geringen träge auf Gewährung eines Heizölkostenzuschusses Zuschuß handelt. Im Entwurf zum Haushaltsplan bisher nicht in so großem Umfang gestellt worden, 1974 sind für die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesell- wie wir es erwartet haben. Entsprechend ist auch schaft und die übrigen humanitären Hilfsorgani- der bisher entstandene Personal- und Sachaufwand sationen deshalb jeweils 25 000 DM vorgesehen. nicht so groß wie erwartet. Auf Grund dieser Fest- Eine weitergehende Erhöhung dieser finanziellen stellung ergibt sich zur Zeit keine Notwendigkeit, Zuwendung ist aus Haushaltsgründen zur Zeit lei- Überlegungen anzustellen, wie eine weitere Verwal- der nicht möglich. Ich mache außerdem nochmals tungsvereinfachung erreicht werden kann, nachdem darauf aufmerksam, daß die Förderung von Aus- die Bestimmungen des Gesetzes bereits so gestaltet bildungsaufgaben als Sache der Länder anzusehen sind, daß bei der Durchführung ein möglichst gerin- ist. ger Verwaltungsaufwand entsteht. Ihr Vorschlag, aus Vereinfachungsgründen generell auf die Ein- Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, kommensüberprüfung in bestimmten Fällen zu ver- der Abgeordneter Ostman von der Leye. zichten, würde allerdings eine Gesetzesänderung voraussetzen. Freiherr Ostman von der Leye (SPD) : Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, angesichts der Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Tatsache, daß diese Gesellschaften ich spreche der Abgeordnete Dr. Kunz. jetzt von der Mehrzahl — dem Staat durch ihren eigenen Einsatz erhebliche Mittel einsparen, die Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) : Herr Staatsse- Mittel in den nächsten Haushaltsjahren erheblich kretär, ist die Bundesregierung bereit und in der zu erhöhen? Lage, abzuschätzen, wie hoch etwa der finanzielle Mehrbedarf wäre, wenn die von mir vorgeschlagene Westphal, Pari. Staatssekretär beim Bundesmini- Regelung realisiert würde? ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Die Ent- scheidungen über die Größenordnungen, die im Etat Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- stehen, sind Entscheidungen dieses Hohen Hauses, ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kol- Herr Kollege. Wir mühen uns redlich, eine Auf- lege Dr. Kunz, dies kann ich Ihnen nicht zusagen. wärtsentwicklung herbeizuführen, wie Sie aus der Dies hieße, das Gesetz noch einmal hier in die Bear- Zahlenrelation von 1973 zu 1974 erkennen können. beitung zu bringen, obwohl es ein Gesetz ist, das einen zeitbegrenzten Rahmen ausfüllt und ein be- Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, stimmtes Stadium des Außerkrafttretens hat und der Abgeordneter Rommerskirchen. außerdem für eine bestimmte, sehr konkrete Situa- tion gedacht ist. Aus dem, was wir bis jetzt wissen, Rommerskirchen (CDU/CSU) : Herr Staatsse- müssen wir sagen — die Länder sind die Durchfüh- kretär, wenn Sie keine Möglichkeit der allgemeinen renden —, daß eine solche Vereinfachung, wie Sie Förderung dieser bedeutsamen Organisation sehen, sie wünschen und die eine Gesetzesänderung bedin- ist es dann nicht eventuell doch möglich, das Lehr- gen würde, nicht erforderlich ist. Daher möchten wir buch über Schwimmen und Retten, das diese Gesell- hier keine Zusage geben, unter solchen Gesichts- schaft herausgebracht hat und das eine sehr nütz- punkten noch einmal neu zu rechnen. Ich glaube nicht 5046 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Parl. Staatssekretär Westphal unbedingt, daß die von Ihnen in Ihrer Frage ge- Die Frage 63 des Abgeordneten Schreiber wird auf nannten Zahlen zutreffend sind. Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Vizepräsident von Hassel: Noch eine Zusatz- Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Wurche frage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz. auf: Welche Maßnahmen sind auf Grund der gegenwärtigen Ener- giesituation von der Bundesregierung eingeleitet worden, um bei Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU): Herr Staatsse- künftigen Baugenehmigungen eine Mindestforderung von ent- sprechenden Isolierungen im Wohnungsbau sicherzustellen? kretär, ist Ihnen bekannt, daß die Zahlen, die Ihnen global zur Verfügung stehen, natürlich nicht für alle Zur Beantwortung, Herr Bundesminister! Kommunen in gleicher Weise zutreffen? Denn in wirtschaftlich schwächeren Randzonen dürfte der Anfall dieser Arbeiten wegen der allgemein niedri- Dr. Vogel, Bundesminister für Raumordnung, geren Einkommen wesentlich höher sein, vor allem, Bauwesen und Städtebau: Herr Präsident! Sehr ge- wenn Sie dann die Butterverbilligungsaktion in Ihre ehrter Herr Kollege! Die in den einschlägigen Tech- Überlegungen mit einbeziehen. nischen Baubestimmungen enthaltenen Anforderun- gen für den Wärmeschutz im Hochbau sind bau- aufsichtliche Mindestanforderungen. Sie verhindern Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- die Durchfeuchtung der Baukörper und ermöglichen ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich ge- ein hygienisch einwandfreies Bewohnen der Ge- stehe, daß ich den Zusammenhang mit der Butter- bäude. Dieser Wärmeschutz hat sich im Rahmen der verbilligungsaktion noch nicht gesehen hatte. Aber bisher gestellten Aufgabe bewährt. Er ist allerdings ich möchte Ihnen gerne zugestehen, daß sich in klei- unter Berücksichtigung der Baukosten, der Baufolge nen Ämtern auf wenige Personen eine ähnliche Auf- kosten und der Heizenergieaufwendungen, insbe- gabe verteilt, wobei man dann natürlich auch sehen sondere unter Berücksichtigung der gestiegenen muß, daß die Bevölkerungszahl dort nicht so groß Energiekosten, jetzt nicht mehr wirtschaftlich. Ener- ist. gieeinsparungen sind möglich. Daher sind die Be- Das, was uns vorliegt, besagt, daß es verwaltungs- mühungen der Bundesregierung auf eine Erhöhung mäßig bis jetzt möglich war, dieses Gesetz ordent- der bisherigen Anforderungen gerichtet. lich durchzuführen. Wenn sich neue Erfahrungen er- - Die Bundesregierung hat folgende Maßnahmen geben sollten, beginnen wir sofort mit neuen Über- eingeleitet. Erstens. Auf Grund von Forschungs- und legungen, um Verbesserungen zu ermöglichen. Ich sonstigen Untersuchungsvorhaben wurden die tech- glaube allerdings, daß es sich nicht um Änderungen nischen und wirtschaftlichen Sachverhalte, die mit handeln kann, die das Gesetz noch einmal ändern. einer Erhöhung der wärmeschutztechnischen Anfor- derungen zusammenhängen, erarbeitet. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Zweitens. Für eigene Bauten des Bundes hat mein des Abgeordneten Nordlohne. Haus auf dem Erlaßwege die Erstellung von Wirt- schaftlichkeitsberechnungen für wärmeschutztech- Nordlohne (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, da nische Maßnahmen veranlaßt und eine Erhöhung der Sie in Ihrer ersten Aussage davon sprachen, daß der Anforderungen eingeleitet. Personenkreis der Antragsteller nicht den ursprüng- Drittens. Der Bund beabsichtigt, für den Bereich lichen Vorstellungen der Bundesregierung entspricht des sozialen Wohnungsbaus mit den Ländern den — ich nenne die Zahl 3 Millionen, die damals ge- oben dargelegten Gesamtkomplex zu erörtern. Dies- nannt worden ist; Kostenaufwand 420 bis 510 Millio- bezügliche Anforderungen in den Einsatzrichtlinien nen DM —, können Sie schätzungsweise einen des Bundes für den sozialen Wohnungsbau enthalten Prozentsatz der Antragsteller nennen? bereits Einschränkungen für den spezifischen Wär- mebedarf der Wohngebäude. Die jüngste Fassung, Westphal, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Dezember 1972, hat bereits auf die veränderte Lage ster für Jugend, Familie und Gesundheit: Nein, das und Entwicklung Rücksicht genommen. kann ich leider noch nicht. Wir sind auf Zahlen der Viertens. Unter Beteiligung des Bundes prüfen zur Länder angewiesen, und wir möchten die Länder Zeit die für das Bau- und Wohnungswesen zustän- nun nicht auch noch mit Statistik beschäftigen in digen Minister und Senatoren der fachlich zustän- einer Zeit, in der wir ihnen zusätzlichen Verwal- digen Länder in der Fachkommission „Bauaufsicht" tungsaufwand zumuten. eine Erhöhung der wärmeschutztechnischen Anfor- (Abg. Nordlohne: Das ist völlig klar!) derungen für den allgemeinen Hochbau. Fünftens. Die Bundesregierung unterstützt durch Vizepräsident von Hassel: Wir sind am Ende Mitarbeit der Ressorts und durch Finanzierung für Ihres Geschäftsbereiches angelangt. Ich danke Ihnen, vorbereitende Untersuchungen im baulichen Wärme- Herr Staatssekretär Westphal, für die Beantwortung schutz Normungs- und andere Fachgremien. der Fragen. Sechstens. Zur Verbesserung des Wärmeschutzes Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers bei Altbauten soll zur Erarbeitung beispielhafter für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. bautechnischer und wirtschaftlicher Lösungen ein in Zur Beantwortung steht Herr Bundesminister Vogel Vorbereitung befindlicher Wettbewerb in Kürze aus- zur Verfügung. geschrieben werden. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5047

Bundesminister Dr. Vogel Siebtens. Die Bundesregierung fördert im Bereich Die Bundesregierung ist im übrigen bereit, über des Bauwesens gegenwärtig mit Vorrang For- die Transitkommission auf die Instandsetzung der schungs- und Entwicklungsvorhaben, die der Ener- Zugangswege nach Berlin (West) immer wieder gieeinsparung und der besseren Energieausnutzung hinzuwirken. für Zwecke der Heizung und Klimatisierung von Ge- bäuden dienen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Köhler. Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Dr. Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU): Herr Staats- Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Dr. Schnei- sekretär, sind der Bundesregierung Forderungen der auf. — Der Abgeordnete ist nicht anwesend. der DDR bekanntgeworden, nach denen über die zu Die Frage wird schriftlich beantwortet. ebenso die leistenden Zahlungen hinaus Sonderzahlungen, z. B. Frage 66 des Abgeordneten Dr. Schneider. Die Ant- für die Instandhaltung der Elbbrücken bei Magde- worten werden als Anlagen abgedruckt. burg, geleistet werden sollen? Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister, für die Be- antwortung der Frage. Herold, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen: Das ist mir nicht für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwor- bekanntgeworden. tung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold zur Verfügung. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Die Frage 67 des Abgeordneten Spranger ist vom des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen). Fragesteller zurückgezogen worden. Jäger (Wangen) (CDU/CSU) : Herr Staatssekre- Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Dr. Köhler tär, hat die Bundesregierung schon einmal den Ver- (Wolfsburg) auf: such unternommen, festzustellen, ob die in der Ist die Bundesregierung bereit, in den Gesprächen mil der DDR Pauschalsumme an die DDR gezahlten Beträge tat- darauf hinzuwirken, daß von den jährlich zu leistenden Zahlun- gen zu Lasten des Bundeshaushalts für Verkehrsabgaben und sächlich für die in diesem Artikel des Abkommens Transitgebühren an die DDR ein angemessener Betrag zum genannten Zwecke, also auch für den Straßenbau, Zweck der Instandsetzung der Transitstraßen von und nach West- - berlin eingesetzt wird? verwendet werden? Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär! Herold, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Die Bundesregie- Herold, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister rung sieht sich außerstande, den Rechnungshof für für innerdeutsche Beziehungen: Herr Präsident, Herr die Ausgaben der DDR zu spielen. Das ist nicht Kollege Dr. Köhler, in meiner Antwort vom 10. De- möglich. Schließlich werden die Straßen ja laufend zember 1973 auf eine entsprechende schriftliche instandgesetzt, wenn wir auch feststellen müssen, Frage des Herrn Dr. Riedl (München), abgedruckt daß dies nicht in dem Ausmaß geschieht, wie wir in der Anlage 66 zum Bundestagsprotokoll der das für richtig halten. 71. Sitzung vom 13. Dezember 1973, habe ich be- reits darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland der DDR gemäß Art. 18 Abs. 1 des Vizepräsident von Hassel: Die Fragen 69 und Transitabkommens Abgaben, Gebühren und andere 70 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich Kosten, die den Verkehr auf den Transitwegen be- beantwortet. Die Antworten werden in der Anlage treffen, einschließlich der Instandhaltung der ent- abgedruckt. sprechenden Wege, Einrichtungen und Anlagen, die Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Dr. Witt- für diesen Verkehr benutzt werden, in Form einer mann (München) auf: jährlichen Pauschalsumme erstattet. Ist die Bundesregierung gegenüber der „DDR" Verpflichtungen eingegangen, auch von der Seite der Bundesrepublik Deutsch- Die Bundesregierung geht dabei — ich betone das land die Demarkationslinie so anzustrahlen, daß die Organe der „DDR" diese Linie besser überwachen können, insbesondere im nochmals — davon aus, daß die Kosten für Repara- Zuge der neu geschaffenen Grenzübergangsstellen? turen an den Zugangswegen nach Berlin (West) durch die jährliche Pauschalsumme abgegolten sind. Die DDR hat bisher nicht zu erkennen gegeben, daß Herold, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister sie diese Auffassung der Bundesregierung nicht teilt. für innerdeutsche Beziehungen: Herr Kollege Dr. Wittmann, ich darf ganz klar antworten: Die Bun- Eine Zweckbestimmung dergestalt, daß der gemäß desregierung ist gegenüber der DDR keine der Art. 18 des Transitabkommens vereinbarte Pauschal- a rtigen oder ähnlichen Verpflichtungen eingegangen. betrag ausschließlich oder speziell für die Instand- setzung der Zugangswege nach Berlin einzusetzen ist, war und ist nach unserer Auffassung politisch Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage nicht durchsetzbar. Hierzu darf ich auch auf die des Abgeordneten Dr. Wittmann. Ausführungen des Parlamentarischen Staatssekre- tärs beim Bundesminister für Verkehr in seiner Ant- Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) : Herr wort vom 9. Mai 1973 auf eine entsprechende Staatssekretär, ist Ihnen aber bekannt, daß tat- schriftliche Frage des Herrn Kollegen Wohlrabe sächlich Lichtanlagen an der Demarkationslinie, ins- — Drucksache 7/511, Frage B 46 — hinweisen. besondere in Nordbayern, von der Seite der Bundes- 5048 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dr. Wittmann (München) republik hergestellt werden oder zumindest ent- rere Forscher und Institute, z. B. das Freiburger sprechende Aufträge erteilt wurden? Institut für Grenzgebiete der Psychologie, die sich mit Parapsychologie ernsthaft befassen. Die Ent- Herold, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister scheidungen über die Förderungen werden in den für innerdeutsche Beziehungen: Wenn Sie die Licht- Selbstverwaltungsorganen der Wissenschaft getrof- anlagen meinen, die notwendig sind, um einen fen. Sogenannte Grenzfragen der Wissenschaft wie flüssigen Grenzverkehr an den Grenzübergangs- die Parapsychologie gehören unzweifelhaft zur stellen zu gewährleisten, dann trifft das zu. Grundlagenforschung. In diesem Bereich sind, wie Bundesminister Ehmke in seiner Rede vor der Max- Planck-Gesellschaft am 29. Juni 1973 betont hat, Eine zweite Zu- Vizepräsident von Hassel: staatliche Stellen gut beraten, wenn sie nicht ver- satzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann. suchen, auf Detailentscheidungen Einfluß zu neh- men. Dazu reichen ihre Kapazitäten -- vielleicht Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) : Herr sollte man, dem Gegenstand etwas angemessener, Staatssekretär, hat man dabei auch in Betracht ge- sagen: ihre hellseherischen Kapazitäten — nicht zogen, daß derartige Lichtanlagen unter Umständen aus. den Organen der DDR dabei behilflich sein könn- ten, z. B. in Ausführung des sogenannten Schieß- befehls gegen Flüchtende leichter vorzugehen? Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Meinecke. Herold, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Ich habe eben wohl Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) : Herr Staatsse- deutlich gemacht, daß wir verpflichtet sind, dafür kretär, teilt die Bundesregierung meine Meinung zu sorgen, daß der Verkehr an und bei den Über- und Befürchtung, daß parapsychische Epidemien, gängen reibungslos läuft. Das heißt auch, daß diese wie sie z. B. durch einen „gewissen Menschen" in Übergänge ausreichend beleuchtet sein müssen. den Massenmedien ausgelöst wurden, wissenschaft- lich untersucht und gesellschaftspolitisch erforscht Vizepräsident von Hassel: Die Fragen 72, 73 werden müßten, insbesondere im Hinblick auf Mas- und 74 sind von den Fragestellern zurückgezogen. senbeeinflussungen durch Phänomene oder auch Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs durch Tricks? angelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung danken. Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- ster für Forschung und Technologie und für das bereich des Bundesministers für Forschung und Tech- Post- und Fernmeldewesen: Herr Abgeordneter, ich nologie und für das Post- und Fernmeldewesen. nehme Ihre Zusatzfrage gern zum Anlaß, um zu Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer erklären, daß die von Ihnen angesprochenen Ereig- nisse sehr genau untersucht werden müssen, ins- Staatssekretär Dr. Hauff zur Verfügung. besondere im Hinblick auf die Tatsache, daß bei der Die Frage 75 ,des Herrn Abgeordneten Baier wird Popularisierung solcher parapsychologischer Er- auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. kenntnisse und Praktiken, wie Sie sie angesprochen Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. haben, berücksichtigt werden muß, daß dadurch Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten zwar die deutsche Besteckindustrie eine erhebliche Dr. Meinecke (Hamburg) auf: Absatzförderung erfahren könnte, daß es aber zu- gleich im Bereich der Uhrmacher zu erheblichen Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung der Parapsycholo- gie bei? Beschäftigungseinbrüchen kommen könnte. Inso- fern hätte eine solche Entscheidung auch beschäf- Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung tigungspolitische und strukturpolitische Auswir- Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte! kungen, die mit zu berücksichtigen wären. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster für Forschung und Technologie und für das Außerdem, Herr Abgeordneter, ist für die jeweils Post- und Fernmeldewesen: Herr Präsident, ich Betroffenen die Frage der Haftung völlig ungeklärt. bitte, beide Fragen mit Zustimmung des Fragestel- Es dürfte auch fragwürdig sein, ob es durch diesen lers im Zusammenhang beantworten zu dürfen. Forschungsbereich tatsächlich zu einer Verbesse- rung der Qualität des Lebens kommen kann. So- Vizepräsident von Hassel: Keine Bedenken. lange die damit zusammenhängende Frage nicht Auch die Frage 77 des Abgeordneten Dr. Meinecke endgültig und abschließend geklärt ist, geht jeden- (Hamburg) ist aufgerufen: falls das Bundesministerium für Forschung und Sieht sich die Bundesregierung durch Ereignisse der letzten Technologie davon aus, daß ein Bedarf der Gesell- Zeit veranlaßt, die parapsychologische Forschung in erheblichem schaft an einer erheblichen Verstärkung dieser Art Umfange zu unterstützen? von parapsychologischer Forschung nicht vorausge- setzt werden kann. Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege Meinecke, Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zu- wie Sie wissen, gibt es an den Universitäten meh- satzfrage des Abgeordneten Dr. Meinecke. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5049

Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) : Herr Staatsse- Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- kretär, wenn ich auch Ihre Auffassung und die der ster für Forschung und Technologie und für das Post- Bundesregierung teilen mag, möchte ich Sie trotz- und Fernmeldewesen: Hier befindet sich Ihre Ein- dem fragen: Wie kommt es, daß in den Vereinigten schätzung in voller Übereinstimmung mit der Mei- Staaten und in der Sowjetunion die Schwerpunkte nung des Bundesministers für Forschung und Tech- der parapsychologischen Forschung in den letzten nologie. Jahren außerordentlich verstärkt gefördert worden sind, und glauben Sie nicht, daß die Bundesregierung vielleicht in die Gefahr gerät, hier den internatio- Vizepräsident von Hassel: Ich rufe Frage 78 nalen Anschluß zu verlieren, insbesondere deshalb, des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer auf: da ja offenbar parapsychologische Phänomene auch Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherige Arbeit der von ihr zur Zeit mehr oder weniger ausschließlich finanziell geförder- im Zusammenhang stehen mit bestimmten Proble- ten Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, men der bemannten Raumfahrt? und hat sie gegebenenfalls durch ihre Vertreter im Kuratorium bzw. als einer der Gesellschafter an dieser Arbeit öffentliche Kritik geübt?

Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats- ster für Forschung und Technologie und für das sekretär Hauff, bitte! Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege Meinecke, soweit die Bundesregierung informiert ist, handelt es sich — jedenfalls im Fall Amerika weitgehend Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- um private Initiativen und Initiativen privater Stif- ster für Forschung und Technologie und für das Post- tungen. Gerade angesichts des Gegenstandes der und Fernmeldewesen: Herr Kollege Schweitzer, die heutigen Verhandlungen im Deutschen Bundestag Bundesregierung sieht in der Förderung der Frie- wird es nicht unangemessen sein, darauf hinzuwei- dens- und Konfliktforschung eine wichtige Aufgabe. sen, daß die Bundesregierung nachdrücklich jede pri- Die vom Bundesministerium für Forschung und Tech- vate Förderung von Forschungsaktivitäten begrüßt. nologie dazu bereitgestellten Mittel werden von der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konflikt- forschung autonom verwaltet. Auf die Auswahl der Vizepräsident von Hassel: Eine dritte Zu- geförderten Forschungsvorhaben hat die Bundesre- satzfrage des Abgeordneten Dr. Meinecke. gierung keinen Einfluß. Ein Urteil über deren Quali- tät steht zunächst einmal der Wissenschaft selbst zu. Die Bundesregierung wird dem nicht vorgreifen. Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) : Herr Staatsse- kretär, ist die Bundesregierung denn wenigstens der Ein Urteil hat sich die Bundesregierung dort zu Auffassung, daß in den Bereich dieser Forschung bilden, wo der Bund als Mitglied der Gesellschaft nicht nur das Aufklären und Verifizieren von Fragen oder im Kuratiorium Einfluß auf die Arbeit der Ge- und Phänomenen gehört, sondern auch der psycho- sellschaft selbst nehmen kann. Das ist neben dem hygienische Aspekt, d. h. die Aufklärung über schäd- Bereich der Wirtschaftsführung, die bislang zu Be- liche Auswirkungen derartiger Phänomene wie Wun- anstandungen keinen Anlaß bot, vor allem das Pro- dergläubigkeit, Wunderheilungen, Jenseitskontakte blem der Schwerpunktbildung in der Förderung. Der oder die merkwürdige Aufnahmebereitschaft unserer Bundesminister für Forschung und Technologie be- Bevölkerung gerade zur Zeit bezüglich solcher Phä- grüßte es, daß im letzten Jahr nicht zuletzt auf seine nomene? Anregung hin ein Schwerpunktprogramm erarbeitet und vom Kuratorium beschlossen wurde. Er erwartet von einer geringeren Streuung der Mittel eine grö- Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ßere Wirksamkeit der Förderung in den jeweiligen ster für Forschung und Technologie und für das Post- Schwerpunktbereichen. und Fernmeldewesen: Herr Kollege Meinecke, ich vermag auf Ihre Frage keine Antwort zu geben, wo- Ihre Frage, ob Vertreter der Bundesregierung im bei ich nicht ausschließen kann, daß es auch über Kuratorium oder in der Gesellschaft an der Arbeit mein Vermögen geht, Ihnen zu sagen, ob mich hier- der DGFK öffentlich Kritik geübt haben, ist zu ver- an möglicherweise geheimnisvolle Kräfte hindern. neinen. (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs- parteien.) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schweitzer.

Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatz- frage des Abgeordneten Dr. Meinecke. Br. Schweitzer (SPD) : Herr Staatssekretär, hal- ten Sie es für möglich, daß auf den letzten Sitzungen des Kuratoriums der Gesellschaft tatsächlich durch Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) : Kann ich denn Vertreter Ihres Hauses öffentlich Kritik geübt wurde, vielleicht Übereinstimmung mit der Bundesregie- und zwar ohne Kenntnis der Leitung Ihres Ministe- rung in der Auffassung herstellen — anläßlich die- riums, und würden Sie — ich sage ausdrücklich: ses heutigen Tages —, daß das Nutzbarmachen von würden Sie — gegebenenfalls dafür Sorge tragen, psychokinetischen Impulsen und Energien jedenfalls daß künftig zumindest klarere Weisungen an Ihre zur Lösung der Energiekrise nicht geeignet sein Vertreter in den Gremien ergehen, die grundsätz- wird? lich öffentlich tagen? 5050 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- mationswege nach dem Westen abschließen zu müs- ster für Forschung und Technologie und für das Post- sen, nötig, daß ihr die Behörden der Bundesrepublik und Fernmeldewesen: Herr Kollege Schweitzer, ich dabei entgegenkommen, indem sie auf formal-fiska- will die Frage gern noch einmal prüfen, aber wir lischen Bestimmungen bestehen? haben mit den Herren aus unserem Hause, die an den letzten Sitzungen teilgenommen haben, eine Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Besprechung zur Klärung der damit zusammenhän- ster für Forschung und Technologie und für das genden Fragen durchgeführt. Diese Gespräche haben Post- und Fernmeldewesen: Herr Abgeordneter, es zu der Aussage geführt, die ich hier eben vorgetra- handelt sich in diesem Falle nicht um formale Dinge, gen habe. sondern um Zahlungen für die Inanspruchnahme von Diensten. Im übrigen darf ich aber hinzufügen, daß Vizepräsident von Hassel: Die zweite Zusatz- sich die Bundesregierung im Rahmen der laufenden frage, Herr Abgeordneter Dr. Schweitzer. Verhandlungen mit der DDR darum bemüht, hier eine Regelung zu finden, die von beiden Seiten Dr. Schweitzer (SPD) : Herr Staatssekretär, darf akzeptiert wird. ich schließlich noch fragen, welche Gründe die Bun- desregierung seinerzeit dazu bewogen haben, die Vizepräsident von Hassel: Keine weiteren Zu- Aufhebung der 1973 ausgesprochenen qualifizierten satzfragen. Sperre von Haushaltsmitteln in Höhe von meiner Die Fragen 80 und 81 des Herrn Abgeordneten Erinnerung nach 800 000 DM nicht zu beantragen? Dr. Evers werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Anlage abgedruckt. ster für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen: Weil es dafür keinen Bedarf Ich rufe Frage 82 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf: gibt. Die Mittel wären auch bei Aufhebung der Sind der Bundesregierung Fälle bekanntgeworden, in denen, Sperre nicht abgeflossen. wie in der Fernsehsendung „Panorama" vom 4. Februar 1974 dargestellt, Postkunden den Kauf von Briefmarken mit dem Porträt von Rosa Luxemburg abgelehnt haben? Vizepräsident von Hassel: Ich rufe Frage 79 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf: Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats- Ist es richtig, daß die Deutsche Bundespost den Vertrieb von sekretär Dr. Hauff, bitte! 51 Zeitungen und Zeitschriften aus der DDR eingestellt hat, weil die Hersteller die erforderlichen Gebühren nicht länger bezah- len wollten, und — bejahendenfalls — betrachtet die Bundes- Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- regierung diese formal sicherlich korrekte Entscheidung als mit ihrer Politik der innerdeutschen Annäherung übereinstimmend? ster für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen: Die Auflagenhöhe von Bitte, zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Sonderpostwertzeichen ist begrenzt. Deshalb werden Staatssekretär Dr. Hauff! sie an den Schaltern im allgemeinen nur auf Wunsch abgegeben. Bei der Nachfrage nach Sonderpostwert- Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- zeichen haben Postkunden, vor allem ältere Bürger, ster für Forschung und Technologie und für das den Kauf der Briefmarken mit dem Porträt von Rosa Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege Dübber, es Luxemburg verschiedentlich abgelehnt. Nach der ist richtig, daß die Deutsche Bundespost den Vertrieb „Panorama"-Sendung haben sich die Reaktionen von 51 Zeitungen und Zeitschriften aus der DDR ein- nicht nur im negativen, sondern zugleich auch im gestellt hat, weil die Hersteller die erforderlichen positiven Sinne verstärkt. Gebühren nicht länger zahlen wollten. Die Deutsche Bundespost hat den Vertrieb von Zeitungen und Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Zeitschriften aus der DDR über den Postzeitungs- dienst dadurch ermöglicht, daß sie die Bevollmäch- Ich rufe die Frage 83 des Abgeordneten Dr. Riedl tigten der DDR-Verleger in der Bundesrepublik (München) auf. — Der Abgeordnete ist nicht an- Deutschland und in Berlin (West) wie Verleger an- wesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. gesehen hat, die im Geltungsbereich der Postzei- tungsordnung ansässig sind und ihre Verlagserzeug- Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches an- nisse in diesem Bereich herausgeben. Dementspre- gelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung danken chend wurden den Bevollmächtigten für die ange- und rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundes- meldeten Zeitungen und Zeitschriften Zulassungen ministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Be- zum Postzeitungsdienst erteilt. Bereits zum 1. Juli antwortung der Fragen steht der Parlamentarische 1971 jedoch haben die Bevollmächtigten auf die wei- Staatssekretär Zander zur Verfügung. tere Zulassung der von ihnen angemeldeten Ver- Ich rufe die Frage 84 auf. — Der Fragesteller, Dr. lagserzeugnisse verzichtet. Slotta, ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abge- Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage druckt. des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber. Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Dr. Hornhues auf. Ist der Fragesteller anwesend? — Dr. Dübber (SPD) : Herr Staatssekretär, ist es Er ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich be- dann, wenn die DDR glaubt, sich selbst vom Infor- antwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5051

Vizepräsident von Hassel Die Fragen 86 und 87 des Abgeordneten Pfeifer Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage und die Fragen 88 und 89 des Abgeordneten Gölter hat der Abgeordnete Kahn-Ackermann. sind zurückgezogen worden.

Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Vahlberg Kahn - Ackermann (SPD) : Herr Staatssekretär, auf. Ist der Abgeordnete anwesend? — Er ist nicht habe ich Sie richtig verstanden, wenn ich Sie so anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. interpretiere, daß sich die Bundesregierung, falls Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. es eine Konvention aus dem Europarat heraus geben sollte, einer solchen in der Sache nicht widersetzen Die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs würde? wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich be- antwortet. Die Antwort wird als Anlage abge- druckt. Dr. Bayerl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz: Die Bundesregierung würde sich Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs nicht nur nicht widersetzen, sondern sie würde das angelangt. Ich danke für die Geduld, die Sie haben sehr begrüßen und auch fördernd mitwirken. aufwenden müssen, ohne zum Zuge gekommen zu sein. Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ick komme nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Die Beantwortung der Ich rufe als letzte Frage der heutigen Frage- Fragen hat der Parlamentarische Staatssekretär stunde die Frage 108 des Herrn Abgeordneten Dr. Bayerl übernommen. Dr. Penner auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß manche Geschäftsleute Ich rufe die Frage 107 des Herrn Abgeordneten bei Ladendiebstahl nicht nur Strafanzeige erstatten, sondern auch eine sogenannte Bearbeitungsgebühr" erheben, und beabsichtigt Kahn-Ackermann auf: die Bundesregierung, gegebenenfalls durch geeignete gesetz- Wird sich die Bundesregierung entsprechend der Empfehlung geberische Vorschläge solche Praktiken zu unterbinden? 719 der Beratenden Versammlung des Europarats im Minister- komitee dafür einsetzen, daß der Expertenausschuß für Men- schenrechte ein Übereinkommen über die Fragen der Freizügig- Parl. Staatssekretär beim Bundes- keit von Künstlern in Ausübung ihres Berufs in allen euro- Dr. Bayerl, päischen Staaten vorbereitet? minister der Justiz: Herr Kolleger Penner, der Bun- desregierung ist insbesondere auch aus Pressebe- Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats- sekretär Dr. Bayerl! richten bekannt, daß manche Geschäftsleute bei La- dendiebstahl nicht nur Strafanzeige erstatten, son- dern auch eine sogenannte Bearbeitungsgebühr er- Dr. Bayerl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- heben. minister der Justiz: Herr Kollege Kahn-Ackermann, die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, ge- Ladendiebstahl ist nicht nur eine Straftat, sondern mäß der in der Empfehlung 719 der Beratenden stellt zivilrechtlich auch eine unerlaubte Handlung Versammlung des Europarats enthaltenen Anregung dar. Der geschädigte Geschäftsmann kann daher von sich für eine verstärkte Freizügigkeit von Künstlern dem Täter nach §§ 823 und 249 des Bürgerlichen bei Ausübung ihres Berufs in allen europäischen Gesetzbuches Ersatz des aus dem Diebstahl entstan- Staaten einzusetzen. Die Bundesregierung ist aller- denen Schadens verlangen. Dazu gehören die durch dings der Auffassung, daß zur Konkretisierung die- die konkrete Tat entstandenen Schäden, die im ein- ser Bestrebungen nicht die Ausarbeitung eines be- zelnen nachzuweisen sind. Eine abstrakte Schadens- sonderen Übereinkommens unbedingt notwendig ist, berechnung ist nur in bestimmten Einzelfällen mög- sondern eines in Verbindung zur Europäischen lich, die aber in der Regel bei Ladendiebstählen nicht Menschenrechtskonvention stehenden Zusatzproto- vorliegen. Daraus folgt, eine pauschalierte Bearbei- kolls der angemessenere Weg wäre. tungsgebühr etwa in Höhe von 20 DM oder gar, wie von Ladenketten neuerdings angekündigt, in Höhe Durch die Schaffung besonderer Übereinkommen von 50 DM steht dem Ladeninhaber gegenüber für einzelne Berufsgruppen, z. B. Journalisten und einem Ladendieb nicht zu. Der Ladeninhaber muß Künstler, könnte die Einheit des durch die Euro- seinen Schaden konkret nachweisen, wobei im Streit- päische Menschenrechtskonvention geschaffenen falle § 287 ZPO hinsichtlich der Höhe im Hinblick Rechtsschutzsystems gefährdet werden. Innerhalb auf eine Pauschalierung Erleichterungen bringen der Mitgliederstaaten des Europarates ist die Frei- kann. Ein solcher Nachweis des Schadens wird aber zügigkeit von Künstlern weitgehend gewährleistet. dort kaum zu erbringen sein, wo dem gestellten Die Möglichkeit, in europäische Übereinkommen Ladendieb die Ware sofort wieder abgenommen Staaten einzubeziehen, die nicht zu den .Mitglied- wird. Verwaltungskosten, insbesondere der Zeitauf- staaten des Europarats gehören, ist rechtlich gege- wand von Angestellten, die bei der Feststellung der ben. Beispielsweise ist Finnland, obgleich nicht Mit- Ursachen und bei der Abwicklung eines Schadens- glied des Europarates, zahlreichen Übereinkommen falles entstehen, sind nach der neueren Rechtspre- des Europarates, u. a. dem Europäischen Kulturab- chung — im Bereich von Verkehrsunfällen entwik- kommen und dem Europäischen Auslieferungsab- kelt, hier aber entsprechend anwendbar — nicht er- kommen, beigetreten. Ob sich gerade im Hinblick stattungsfähig. Das undifferenzierte Verlangen einer auf das hier angestrebte Übereinkommen oder Zu- Bearbeitungsgebühr von jedem Täter, insbesondere satzprotokoll Nichtmitgliedstaaten des Europarates in Höhe von 20 DM oder 50 DM oder mehr, hat damit zu einem Beitritt bereitfinden werden, bleibt abzu- in solchen Fällen offenbar den Zweck, den Dieb einen warten. Die Bundesregierung würde es sehr be- Anteil an den generellen Kosten des Unternehmens grüßen. anzulasten, die diesem bei seinen Maßnahmen zur 5052 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Parl. Staatssekretär Dr. Bayerl Verhinderung und Aufklärung von Ladendiebstäh- Chance der Integration — und das übrigens nach len entstehen. beiden Seiten des politischen Spektrums. Keine ver- antwortungsbewußte Partei darf diese Chance aus- Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfra- lassen. Ich finde, hier ist der erhobene Zeigefinger gen. — Wir sind am Ende der Fragestunde, die wir völlig fehl am Platze. Meine Damen und Herren, um zwei Mnuten überschritten haben, angelangt. täuschen Sie sich nicht: was die Parteien nicht an Alle verbliebenen Fragen aus dieser Woche werden innerer Spannung auf sich selbst nehmen, das muß schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als der Staat an innerer Spannung ertragen. Anlagen zum Stenographischen Bericht abgedruckt. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Die Fragen A 132, 161 und 162 sind von den Frage- stellern zurückgezogen worden. Das Bemühen um Integration muß überall dort seine Grenze finden, wo sichtbar wird, daß Desintegration Meine Damen und Herren, wir fahren nunmehr oder Integration zum Extrem seine Folge wäre. Hier fort in der unterbrochenen Aussprache zu Punkt 2 muß die Grenze scharf gezogen werden, und die der Tagesordnung und Punkt 1 der Zusatzpunkte Parteien dieses Hauses tun es. Aber ich finde, keine zur Tagesordnung, Beratung des Antrags der Frak- Partei sollte der anderen die Schwierigkeiten vor- tion der CDU/CSU betr. Wahrung der verfassungs- halten, die sie sich vielleicht bei der Bewältigung mäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dieser Aufgaben einhandeln mag. und Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Grundgesetz für die Bundesrepublik Wenn wir über unsere Verfassung sprechen, so Deutschland 1949 bis 1974. sollten wir uns nicht auf ein Tauziehen einlassen, wer nun der Verfassung näher oder am nächsten Das Wort hat nunmehr der Bundesminister des sei. Ich habe die Sorge, das Tau könnte dabei rei- Innern, Herr Genscher. ßen. Das Jahr 1974 wird mancherlei Anlässe bieten zu Gedenken. Ich denke, der 25. Wiederkehrtag, Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Prä- an dem unser Grundgesetz in Kraft trat, steht dabei sident! Meine Damen! Meine Herren! Ein Parlament mit Recht an der Spitze. Ich denke, dieses Jubiläum kann kaum einen würdigeren Gegenstand für eine sollte uns Anlaß sein, sehr offen und selbstkritisch Debatte finden als die Verfassung selbst. Die Be- Bilanz zu ziehen. Es sollte uns veranlassen, auch deutung des Gegenstandes muß Stil und Inhalt der losgelöst von aktuellen Tagesfragen unsere gesamte Debatte bestimmen. Herr Kollege Dregger hat heute politische Wirklichkeit und unsere gesamte gesell- morgen ein Bild unseres Landes gezeichnet, das der schaftliche Wirklichkeit am Maßstab des Grundge- Korrektur bedarf. setzes zu messen. Es ist das heute nicht die erste Gelegenheit. 1959 schrieb Theodor Eschenburg den (Beifall bei den Regierungsparteien.) Politikern den Satz ins Stammbuch, der es wert ist, Niemand leugnet, daß es Gewalttat und verfassungs- heute in Erinnerung gerufen zu werden; er schrieb: feindliche Aktivität gibt, und zwar auch in unserem Die Verfassung will pfleglich behandelt werden. Das Land und auch jetzt und nicht nur in der Zeit, in der heißt doch wohl: wir müssen peinlichst darauf ach- Sie regiert haben, meine Damen und Herren. Wenn ten, daß unser Grundgesetz das uns allen Gemein- Sie aber unter Bezug auf ausländische Stimmen die same, das Verbindende über alle Gegensätze hinweg Sorge um die Entwicklung in unserem Lande vor- bleibt. tragen, ist die Frage berechtigt, wieviel Länder es in (Beifall bei den Regierungsparteien.) dieser Welt gibt, in denen man von den Parlaments- An der Substanz der Verfassung endet der politische parteien ohne Ausnahme sagen kann, sie seien Ver- Kampf. Wer das nicht will, muß Gesellschaft und fassungsparteien. Wie viele Länder gibt es mit so Staat den inneren Zusammenhang nehmen. Diese eindeutiger Absage der Bürger an verfassungsfeind- Verfassung ist — Kollege Schäfer hat es gesagt — liche Parteien wie in unserem Lande? eben nicht nur ein Organisationsstatut. Sie ist ein (Beifall bei den Regierungsparteien.) Programm für ein Deutschland, das den eigenen Ich finde, auch das gehört zum Bild dieses Landes, Frieden und die eigene Freiheit so hoch achtet wie wenn wir über seine Verfassungswirklichkeit spre- den Frieden und die Freiheit für alle anderen Völ- chen wollen. ker. Sie war und sie ist, um ein ganz nüchternes Wort zu gebrauchen, die Absichtserklärung für ein Sie haben recht, wer über das Grundgesetz spricht, anderes, ein besseres Deutschland — und wenn wer über die Verfassungswirklichkeit spricht, muß auch beschränkt auf seinen Geltungsbereich, so doch auch über die Parteien in diesem Lande sprechen — ein Modell, und zwar unser Modell für ein freiheit- Parteien, das sind wir alle. Wohl dem, der über seine liches ganzes Deutschland. Wer hier Vorrechte in eigene Partei nicht sprechen muß. Nur, meine Da- Anspruch nehmen wollte, brächte uns alle in die men und Herren, eines müssen wir wissen: Die Par- Gefahr, den anderen aus der Verfassung, aus sei- teien haben die Aufgabe, die Bürger, vor allem aber nem Anteil an ihr und, was das Wichtigste ist, aus die jungen Menschen, für die Demokratie zu gewin- seiner Verantwortung für sie hinauszudrängen. Das nen. Sie müssen offen sein für die Mitwirkung vie- kann niemand wollen. Ein solcher Versuch würde ler, sie müssen Betätigungsräume anbieten und sie dem Geist der Verfassung in gefährlicher Weise müssen vor allen Dingen bewußt in Kauf nehmen, zuwiderlaufen. Unser Grundgesetz will bewußt ein daß sich in ihnen, in den Parteien, der kontrover- integrierender Faktor sein. Es würde diese seine seste Teil der politischen Willensbildung vollzieht. Integrationskraft verlieren, wenn es mit Monopol- Die Auseinandersetzung in den Parteien bietet die ansprüchen konfrontiert würde. Eine auf Integra- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5053 Bundesminister Genscher tion angelegte Verfassung darf eben nicht ein tak- Formen seiner Verwirklichung nicht nur möglich ist, tisches Instrument in der Auseinandersetzung der sondern daß das Grundgesetz das geradezu will. Es Parteien werden. Unsere Demokratie lebt davon, ist sehr bestimmt in der Definition der Grund- und daß wir, die Parteien dieses Hauses, unsere Gemein- Freiheitsrechte, es legt sehr genau die demokrati- samkeit unter dem Grundgesetz nicht in Frage schen Spielregeln fest, und es ist eindeutig in der stellen. Bestimmung der Staatsziele. Dieses Grundgesetz ist ein System von Wert- Aber, meine Damen und Herren, diese Verfassung entscheidungen. Seine vier tragenden Prinzipien ist bewußt offen und dynamisch in dem Bereich, den sind das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprin- ich als den Gestaltungs- und Aufgabenbereich der zip, das Bundesstaatsprinzip und ,das Sozialstaats- Politik im engeren Sinne bezeichnen möchte, wo es prinzip. Ein solches System begründet keine for- also darum geht zu entscheiden, auf welche Weise male, sondern eine reale und das heißt eine wert- die vorgegebenen Ziele erreicht werden sollen. Um bestimmte Demokratie. Es fordert zur Parteinahme es sehr präzise auszudrücken, weil es im Umgang für diese Grundwerte heraus. Es verlangt, daß wir mit der Verfassung auf Präzision ankommt: Das unser Handeln daran orientieren. Grundgesetz ist offen für den Fortschritt, und es will Diesen vier Prinzipien ist gemeinsam, daß sie die ihn. Es stellt nicht Dogmen in den Weg, wo neue Freiheitschancen des einzelnen sichern und mehren Erkenntnisse zu neuen Wegen führen. Es operiert wollen: die Demokratie als Chance der Selbstbe- nicht mit Verboten und Geboten, wo der Entschei- stimmung, der Rechtsstaat als Schutz vor jeder Will- dungs- und Verantwortungsbereich der Politik be- kür, der Bundesstaat als zusätzliche Verteilung von ginnt. Die Dynamik unserer Verfassung liegt darin Macht und als System vielfältiger Formen von begründet, daß sie das Freiheitsproblem von zwei bürgerschaftlicher Mitwirkung und schließlich der Seiten angeht. Sie bietet ein wohlsortiertes Instru- Sozialstaat als Erfüllung der materiellen Voraus- mentarium für die Bewahrung und Verteidigung der setzungen. Freiheit; sie setzt aber zugleich weit ausholende Ziele für die materielle und das heißt wohl auch für Unser Grundgesetz ist unverrückbar in diesem die soziale Ausfüllung der Freiheit. Das Grundgesetz Kernbereich, und dieser Kern, das eigentlich staats- schlägt einen Doppelakkord aus Freiheitsverw irk- bildende Element, ist die Begründung einer freiheit- lichung und Freiheitssicherung an. lichen Ordnung. „Im Zweifelsfall immer für die Frei- heit", diesen Satz legt unser Grundgesetz uns nahe, Die Ausfüllung der Freiheit müßte scheitern, diesem Anspruch muß unsere politische Arbeit ent- wollte man auf die entschiedene Auseinanderset- sprechen, und an diesem Anspruch müssen 25 Jahre zung mit jenen verzichten, die diesen Staat und diese Leben mit dem Grundgesetz und ,der Verfassungs- Gesellschaft nicht verbessern, sondern zerschlagen wirklichkeit, die daraus entstanden ist, gemessen wollen. Ebenso müßten auf die Dauer diejenigen werden. Das Grundgesetz, meine Damen und Her- scheitern, die sich nur auf die Handhabung der In- ren — auch das müssen Sie wissen , ist nicht nur strumente der Freiheitsbewahrung beschränken ein Katalog von Verboten, das Grundgesetz bietet wollten, ohne Staat und Gesellschaft im Geiste der Freiheit auch nicht als Konsumartikel, sondern es Verfassung zugestalten und zu entwickeln. bietet Freiheit als eine Herausforderung, und Frei- heit nicht als eine abstrakte Idee, sondern als einen Das Grundgesetz gibt zwar ein verbindliches ganz konkreten Anspruch. Grundmuster für die Entwicklung unseres staat- Hier sind eine Reihe kritischer Fragen zu stellen. lichen und gesellschaftlichen Lebens; es läßt aber Wie kommt es, daß sich immer mehr Menschen darin breiten Raum für die Ausgestaltung im einzel- unfrei fühlen angesichts der Macht schwer über- nen. In zahlreichen Urteilen hat das Verfassungs- schaubarer, anonymer Apparate? Wie kommt es, daß gericht auf den Charakter des Grundgesetzes als die Regelungsmechanismen in unserer Gesellschaft einer Verfassung der offenen Wege hingewiesen. vielfach so undurchsichtig sind, daß sich beim Bürger In der Tat gab es in den letzten 25 Jahren eine nur das Bewußtsein der Ohnmacht gegenüber „de- große Bandbreite möglicher staats- und gesellschafts- nen da oben" einstellt? Wie kommt es, das Rechte, politischer Alternativen, die zu einer wesentlich an- die nach unserer Verfassungsordnung und unserer deren als der gegenwärtigen Verfassungswirklichkeit Gesetzgebung allen zustehen, nur von organisierten hätten führen können. Auch in Zukunft werden wir Minderheiten wahrgenommen werden können? Gibt uns immer wieder vor die Freiheit und vor den es Freiheit hierzulande nur im Kollektiv? Können Zwang von Grundsatzentscheidungen gestellt sehen, Rechte nicht mehr unmittelbar wahrgenommen die innerhalb des Verfassungsrahmens zu sehr un- werden, sondern bedarf es denn dazu jeweils eines terschiedlichen Verfassungswirklichkeiten führen Vermittlers? Mit anderen Worten: Sind wir so frei, können. Diese Verfassung läßt Raum für Denk- wie unsere Verfassung uns haben will? Das ist das ansätze und Zielvorstellungen, die sich mit unseren Thema des heutigen Tages. eigenen Überzeugungen nicht decken, die wir sogar Unser Grundgesetz als ein großes Freiheitsange- für schädlich und unerwünscht halten mögen. Es ist bot ist die Summe unserer verfassungsgeschicht- jedermanns gutes Recht, meine Damen und Herren, lichen Erfahrungen. Es entspricht seinem freiheit- solche Vorstellungen, die nicht in sein Konzept pas- lichen Geist auch das muß jeder sehen, der sen, politisch mit Nachdruck und Leidenschaft zu be- glaubt, im Besitz der allgemeingültigen Wahrheit kämpfen. Ich finde, es ist sogar die Pflicht der De- zu sein —, daß auch die Freiheit zu verschiedenen mokraten, das zu tun. 5054 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Bundesminister Genscher Die Verfassung ist aber kein bequemes Ruhekis- sich nicht darauf beschränken, nur zu prüfen, ob sen. Sie verlangt Entscheidungen. Die Dynamik des etwas verfassungsgemäß ist — diese Prüfung ist Grundgesetzes liegt in den Impulsen, die von ihm freilich wichtig und unerläßlich —; er muß auch ausgehen, in seinen Gestaltungsaufträgen. Lassen erkennen, daß durch Nichtstun und Unterlassen Sie mich drei davon nennen: den internationalen, ebenfalls gegen den Verfassungsauftrag des Grund- den nationalen und den sozialen Impuls. Hier finden gesetzes gehandelt werden kann. wir das exzeptionell Neue dieser Verfassung. (Allgemeiner Beifall.) In Erkenntnis der engen internationalen Ver- Offenheit und Dynamik kennzeichnen unser Ver- flechtung und der starken gegenseitigen Abhängig- fassungsrecht schließlich auch und gerade im staats- keit der Staaten in der Staatengemeinschaft öffnet und gesellschaftspolitischen Bereich. Der Auftrag des das Grundgesetz den Weg zu einer zwischenstaat- Grundgesetzes, den sozialen Rechtsstaat zu schaffen, lichen Zusammenarbeit, die weit über das Her- läßt der ausführenden Politik vielleicht den weite-. kömmliche hinausgeht. Die Ausübung von Hoheits- sten Raum. Staatliches Handeln ist mehr und mehr gewalt soll nicht mehr ausschließliches Vorrecht soziales Handeln. des einzelnen Staates sein. Der Bund kann daher Ein Hauptteil der staatlichen Tätigkeit besteht Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtun- darin, die Gesellschaft zu verändern. Ich weiß, daß gen übertragen. Auch Sicherheit kann nach dem ein solcher Satz Widerspruch bei denen auslösen Verständnis des Verfassungsgebers nicht mehr nur mag, die sofort abwehrbereit dastehen, wenn sie das national gewährleistet werden. Deshalb weist das Wort „Veränderung" hören. Und doch ist es so: Die Grundgesetz auch den Weg zur Einordnung in ein Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen, System kollektiver Sicherheit in gegenseitiger So- lidarität. Die Wahrung des Friedens ist oberstes der Kampf um menschenwürdige Umweltbedingun- gen und der Durchbruch zu einem auf Chancen- Gebot zwischenstaatlicher Beziehungen. Die Be- gleichheit beruhenden Bildungssystem, das alles ver- wahrung und Sicherung des Friedens ist ein Gebot der Verfassung. Eine aktive Friedenspolitik erfüllt ändert die Gesellschaft, weil sich die persönlichen eben dieses Verfassungsgebot. Lebensverhältnisse der vielen einzelnen verändern, weil neue Bedürfnisse entstehen und sich neue Ver- Auch in der nationalen Frage ist das Grundgesetz haltensweisen formen. Zwar ist prinzipiell jeder — zumal in der Interpretation durch das Verfas- Staatsbürger jedem anderen in seinen Rechten gleich- sungsgericht — im Auftrag bemerkenswert eindeu- gestellt, aber bei unterschiedlichen materiellen Le- tig und bestimmt, im Wege bemerkenswert offen. bensbedingungen wirken Rechte und Gesetze durch- So begründet es insbesondere durch seine Präam- aus unterschiedlich. bel die Rechtspflicht für alle Staatsorgane der Bun- desrepublik Deutschland, die Einheit Deutschlands Anatole France hat in seinem unvergleichlichen mit allen Kräften anzustreben. Mit welchen politi- Bild das Problem beim Namen genannt: Das Gesetz schen Mitteln, auf welchen politischen Wegen die- in seiner gravitätischen Erhabenheit verbietet es ses Ziel zu erreichen ist, bleibt jedoch der eigenver- Armen und Reichen in gleicher Weise, ihr Nachtlager antwortlichen Entscheidung der zu politischem Han- unter Brücken aufzuschlagen. Und der Rechtsphilo- deln berufenen Organe überlassen. Die Bundes- soph Erich Fechner spricht von der soziologischen regierung des Jahres 1974 orientiert sich an dem- Grenze der Grundrechte. Gibt es demnach Rechte - selben Recht wie die des Jahres 1949. Daß eine so müssen wir in dieser Debatte fragen , gibt es in diesem Sinne vorwärtsgerichtete Deutschland- vielleicht sogar Grundrechte, die nicht von allen in politik auf dem Boden unseres Verfassungsrechts Anspruch genommen werden können? Wir wollen möglich ist, hat das Bundesverfassungsgericht der uns nichts vormachen: Natürlich ist es so. Wir müs- Bundesregierung in seinem Urteil zum Grundlagen- sen erreichen, daß die Rechte und Freiheiten des vertrag bescheinigt. Das Wiedervereinigungsgebot Grundgesetzes auch von jedermann in Anspruch ge- unserer Verfassung, die Offenhaltungspflicht nach nommen werden können. Denn Demokratie meint Art. 23 des Grundgesetzes, die einheitliche deut- Freiheit für alle. Die Garantie eines menschenwürdi- sche Staatsangehörigkeit, die Verpflichtung zur gen Daseins, das Ziel des Sozialstaats, soll dafür die Einbeziehung Berlins in alle Verträge mit der DDR, Grundvoraussetzung schaffen. die ihrem Inhalt nach auf das Land Berlin und seine Aber vergessen wir nie: Der soziale Rechtsstaat Bürger ausgedehnt werden können, waren und sind verwirklicht sich im Schicksal des einzelnen und nur die wichtigsten Grundpositionen, ,die dieser in diesem. Der einzelne ist Träger der sozialen Ga- Deutschlandpolitik den verfassungsrechtlichen Rah- rantien und Chancen und nicht das Kollektiv. Diese men setzen. Das wird auch künftig so sein, und Grenze wird gegenüber mächtigen gesellschaftlichen niemand wird uns davon abbringen, nach diesem Gruppen gezogen, eben den organisierten Interes- Verfassungsgebot zu handeln. sen, deren Macht den Freiheitsraum des einzelnen Das Bundesverfassungsgericht, das diese Ver- bei einem kollektiven Sozialstaatsverständnis umfas- pflichtung ebenso bestätigt hat wie die Überein- sen und erdrücken könnte. Der soziale Rechtsstaat, stimmung des Grundlagenvertrages mit der Verfas- der für alle die gleichen Rechte und Möglichkeiten sung, verdient den entschiedenen Schutz nicht ge- anerkennt, sucht auch die bessere Lösung für alle. genüber seriöser Kritik, wohl aber gegenüber den Damit, meine Damen und Herren, schafft er eine Ge- Angriffen, denen es ausgesetzt ist. Bedenken Sie sellschaft, die den Klassenkampf überwunden hat. aber auch eines. Wer den Verfassungsauftrag zur Im Klassenkampf sollen vermeintliche oder wirk- Lösung unserer nationalen Frage ernst nimmt, darf liche Privilegien einer Gruppe auf die andere über- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5055

Bundesminister Genscher tragen werden. Der freiheitliche und soziale Rechts- mit diesen anderen Auffassungen gesucht werden staat will keine Gruppe und keinen privilegieren. und nicht die Indoktrination gegen die Freiheit. Der soziale Rechtsstaat ist so die Antithese zum (Beifall bei der CDU/CSU. — Beifall bei der Klassenkampf. FDP.) In der Eigentumsfrage heißt das konkret, daß die Auch der umgekehrte Versuch wäre zum Scheitern Vermögenskonzentration nicht zu dem Schluß füh- verurteilt. Demokratie kann nicht eingeimpft wer- ren darf: kein Eigentum für alle. Vielmehr muß es den. Unsere Kinder müssen kritik- und unterschei- heißen: Eigentum und Vermögen für die vielen. Der dungsfähig an unseren demokratischen Staat her- freiheitliche Sozialstaat löst das Problem, das sich angeführt werden. aus der Verfügungsgewalt über die Produktions- (Beifall bei der CDU/CSU. — Beifall bei mittel ergibt, nämlich die Macht über Menschen und den Regierungsparteien.) ihre Abhängigkeit, nicht durch die eigentumslose Gesellschaft, sondern durch Mitbestimmung. Diese Sie sollen kritische, sie sollen aber nicht gläubige verwirklicht ihr Prinzip um so stärker, je mehr der Staatsbürger werden. einzelne an seinem Arbeitsplatz und darüber hinaus (Beifall bei der CDU/CSU. — Beifall bei den in seinem Lebensbereich ihr Träger ist. So führt sie Regierungsparteien.) zur Selbstbestimmung des freiheitlichen Individu- Meine Damen und Herren, was in unseren Schulen ums. Die Freiheitsgarantie ist in Verbindung mit geschieht, ist für uns nicht nur heute, sondern erst dem Gleichheitsgrundsatz in Wahrheit ein Recht des recht morgen wichtig. Deshalb ist es wichtig, festzu- Schwächeren. halten: Wer unsere Kinder erziehen und lehren will , Meine Damen und Herren, wenn es richtig ist, daß Parteinahme für die Wertordnung unserer muß zur der Gebrauch der Freiheit in allen Stücken von so- Verfassung bereit sein. zialen Voraussetzungen abhängt, wenn es stimmt, (Beifall bei der CDU/CSU. — Beifall bei daß diese Voraussetzungen ungleich sind und sie der FDP und bei Abgeordneten der SPD.) sind es; denken Sie an die heute noch unterschied- lichen Bildungschancen in unserem Land, oder den- Wir wollen nicht, daß unsere Kinder gegen die Ver- ken Sie an die hohe Wahrscheinlichkeit des Weges fassung indoktriniert werden. in die Kriminalität bei Jugendlichen aus bestimmten (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut! — Umweltbedingungen —, dann muß sich die Politik Sehr richtig!) bemühen, die Gleichheit der Voraussetzungen, die Eines ist in den letzten Jahren deutlich geworden: Gleichheit der Chancen und der Möglichkeiten zu Das gesellschaftspolitische Engagement der Bürger schaffen. Das ist das Thema von heute. Das ist wahr- wächst. lich nicht zwangsweise verordnete Gleichmacherei. In einer demokratischen Gesellschaft sind nicht alle Meine Damen und Herren, auf das vielleicht kon- auf die gleiche Länge oder, besser gesagt, auf die fliktträchtigste Gebiet der Verfassungsdiskussion gleiche Kürze zurechtgestutzt. Wir haben ein System begibt sich, wer die Frage nach der Verteidigung sozialer Sicherungen, das ein bestimmtes Maß an der Verfassung gegen ihre Gegner stellt. Hier geht Sicherheit für alle garantiert. Aber dieses System es um ganz prinzipielle Fragen, viel grundsätzliche- legt nur eine untere Grenze fest. Eine obere gibt es re, als bisher erörtert worden sind. Der Konflikt ist nicht. Daraus erwächst ein Freiraum für das Handeln im freiheitlichen Geist des Grundgesetzes selber an- in eigener Verantwortung, und daraus ergibt sich gelegt. Wie kann die Freiheit gesichert werden, der Antrieb zur eigenen Leistung. Meine Damen und ohne daß sie sich selbst in Frage stellt? Herren, Gleichheit im Sinne des Grundgesetzes heißt Der große Moralist Karl Jaspers verweist auf das nicht, daß wir alle gleich wären oder gleichgemacht Risiko. Er sagt: werden müßten, sondern daß wir alle gleichen An- spruch auf Freiheit haben. Die menschlichen Dinge gestatten keine abso- lute Sicherheit. Freiheit kann sich nur durch (Abg. Dr. Marx: Sehr gut!) Freiheit im Risiko behaupten. Wer absolute Si- Deshalb räumt der soziale Rechtsstaat die Hinder- cherheit will, will die Unfreiheit und den poli- nisse beiseite, die diesem Anspruch außerhalb der tischen Tod. Der Wille zur absoluten Sicherheit Person des einzelnen im Wege stehen. Danach aber drückt eine Gesinnung aus, die die Wirklichkeit wird die eigene Leistung verlangt. des menschlichen Daseins nicht anzuschauen wagt. Demokratie, meine Damen und Herren, muß über- all gelebt werden, auch wenn es noch so schwerfällt, Ich füge hinzu: Die absolute Sicherheit, meine Da- auf hergebrachte, autoritäre Formen zu verzichten. men und Herren, gibt es zu allererst im absoluten Polizeistaat. Sicher ist doch nur eines, nämlich daß Lassen Sie mich ganz offen sagen: Auch Schule die Presse dort weder über die Kriminalität noch und Erziehung sind nicht wertfrei. Sie sollen zur Be- über die Verletzung der Würde des Menschen be- jahung der freiheitlichen Prinzipien unserer Ord- richten darf. nung führen. (Beifall.) (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) Auf der anderen Seite wissen wir: Freiheit ohne Das kann und darf nicht heißen, daß andere Auf- Schutz, Freiheit ohne Sicherheit gegen Feinde der fassungen verschwiegen werden sollen, im Gegen- Freiheit bedeutet, das Ende der Freiheit. Das hat teil. Es muß aber die kritische Auseinandersetzung unser Volk selbst erleben müssen. Dieses Erleben 5056 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, . den 14. Februar 1974

Bundesminister Genscher mit seinen furchtbaren Folgen bestimmte den Parla- Wahrung der inneren Sicherheit eines Gemein- mentarischen Rat vor 25 Jahren dazu, sich bei der wesens aufgezeigt. Ausgestaltung unserer Verfassung für die abwehr- bereite, für die streitbare Demokratie zu entschei- Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, diese den. Der Schutz unserer Verfassung muß damit be- Grenze immer aufs neue zu finden, sie in vielen ginnen, daß wir das demokratische Engagement Einzelentscheidungen auch konsequent zu zeichnen, des Bürgers noch mehr und noch stärker als macht das Gemeinsame der Verantwortung der- bisher entwickeln und stärken. Dazu, meine Damen jenigen aus, die in den Ländern und im Bund in und Herren, gehört, daß wir auch durch unsere Ge- unserem demokratischen Rechtsstaat die Verant- sellschaftspolitik eine Verfassungswirklichkeit schaf- wortung für die innere Sicherheit haben. Für sie fen, zu der sich die Bürger aus Überzeugung beken- stellt sich diese Problematik staatlicher Selbstbe- nen können. hauptung in einer Demokratie, in einem freiheitlich (Sehr gut! bei der CDU/CSU.) verfaßten Staat, täglich neu. Ich halte es für einen wesentlichen Erfolg unserer Demokratie, daß es in Wir brauchen um den Bestand unserer freiheitlich- den letzten Jahren möglich geworden ist, in dem demokratischen Grundordnung nicht in Sorge zu Kernbereich unserer inneren Sicherheit und damit sein, wenn der Bürger weiterhin bereit ist, sich zu auch der Demokratie Übereinstimmung zwischen den tragenden Prinzipien unseres Rechtsstaats zu Bund und Ländern unabhängig von der parteipoli- bekennen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich tischen Zugehörigkeit der jeweils Verantwortlichen den Herausforderungen zu stellen, die politischer zu erreichen. Das war nicht immer so, das wird auch Extremismus und Verfechter radikaler Ideologien in Zukunft nicht immer einfach sein. Dennoch soll- an unsere verfassungsmäßige Grundordnung richten. ten wir diesen Zustand und diesen Bestand an de- Demokratisches Engagement kann eben nicht nur mokratischer Gemeinsamkeit zu bewahren und aus- durch den Gang zur Wahlurne erfüllt werden. zubauen suchen.

Täuschen wir uns nicht! Natürlich ist auch unser Eine Verfassung der Liberalität wie die unsere Land nicht verschont geblieben von der weltweiten ist eine Verfassung der Toleranz. Ein Staat, zu des- Auseinandersetzung um die Grundwerte von Staat sen Prinzipien die Toleranz gehört, befindet sich ge- und Gesellschaft. Was vor zehn Jahren noch selbst- genüber Angriffen und Übergriffen zunächst in einer verständlich war — die Anerkennung einer freiheit- Position scheinbarer Schwäche. Natürlich will der lich-demokratischen Grundordnung —, das muß freiheitliche Rechtsstaat Recht und Ordnung in einem heute gegenüber Zweifeln, gegenüber prinzipieller wohlverstandenen Sinne, aber legt die Schwelle, Kritik und sogar gegenüber offenen Angriffen ver- oberhalb derer der Zwang beginnt, sehr hoch, und teidigt und glaubhaft begründet werden. Diese Kri- nur in jener falschen Sicht von Law and Order, die tik, diese Auseinandersetzungen, die bis an die diese ganze, das Selbstverständnis des Staates zu- Wurzel unseres Gemeinwesens gehen, bieten uns tiefst berührende Problematik überhaupt nicht sieht aber auch eine Chance. Wir werden gezwungen, oder nicht sehen will, entsteht daraus der Vorwurf unsere eigene Position zu überdenken, berechtigte der Schwäche. In Wahrheit ist die vermeintliche Kritik anzuerkennen und die notwendigen Konse- Schwäche die Stärke des Rechtsstaates. Der Mangel quenzen zu ziehen. Wir kommen so in die Lage, an Toleranz, der jeden Extremismus kennzeichnet, die Stärke unserer Position zu erkennen, den Wert dient fast durchweg nur zu Verdeckung der eigenen unserer Verfassung zu begreifen und das Gefühl Schwächen. Er führt zu einem quasi religiösen Eife- rational zu begründen, für eine gute Sache einzu- rertum, das nicht mehr die Ausprägung einer gebo- treten. tenen und erwünschten Meinungsvielfalt, sondern das skrupellose und gefährliche Durchsetzen des Ein demokratischer Rechtsstaat muß fähig und be- eigenen Machtinteresses darstellt. Hier ist aber auch reit sein, sich auch gegenüber unverhüllten und die Schranke erreicht, an der Halt zu gebieten ist. feindseligen Angriffen auf seine Grundordnung weh- Bis zu diesem Punkt ist das Risiko, das wir in einer ren zu können. Zu dieser Abwehrbereitschaft haben freiheitlichen Grundordnung durch die Tolerierung sich die Schöpfer des Grundgesetzes bekannt. Dafür auch radikaler Bestrebungen auf uns nehmen, ja auf können wir ihnen dankbar sein. Aber die Problema- uns nehmen müssen, kalkulierbar; aber auch nur tik staatlicher Selbstbehauptung dürfen wir nie aus bis zu diesem Punkt. den Augen verlieren. Der Heidelberger Ordinarius für politische Wissenschaften, Friedrich, hat in sei- Lassen Sie mich noch einmal Karl Jaspers zitie- nem geistesgeschichtlichen Werk „Die Staatsraison ren. Er sagt: im Verfassungsstaat" die Frage gestellt, an welchem Politisch will ein freies Volk, daß alle Kräfte Punkt die Anwendung der Abwehrmethoden die offen zur Geltung kommen, zwar nur geistig, Verfassung selbst zerstöre und ob der Glaube an aber nicht gewaltsam. Was nicht offen zutage eine Ordnung noch bewahrt werden könne, die tritt, wirkt untergründig und ist dann ein Gift ihren Sinn und ihre Lebenskraft verloren habe. Er im Staatskörper. Geistig können sie bekämpft hielt das Risiko, von dem auch Jaspers spricht, nicht und vielleicht überwunden werden. Wo sie ge- für eine absolute Antithese der Sicherheit, sondern waltsam werden und Gewaltsamkeit organisa- sah Sicherheit nur für verwirklicht an, wenn man torisch vorbereiten, da erst greift Staatsmacht bereit sei, ein Risiko einzugehen, das allerdings ein ein. kalkuliertes Risiko bleiben müsse. Damt hat er den Raum, aber auch die Grenzen für die Politik zur Und ich füge hinzu: Hier muß der Staat eingreifen. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5057

Bundesminister Genscher Gewalt als Mittel der Durchsetzung politischer sungsschutz, Polizei, Bundesgrenzschutz und Bun- Ziele ist in einem freiheitlichen Rechtsstaat durch deswehr — haben deshalb ihren festen Platz in nichts zu rechtfertigen. Auch hier gilt: Wehret den unserer Verfassungsordnung. Sie sind auf Vertrauen Anfängen! Das richtet sich nicht nur gegen die An- angewiesen, und sie verdienen unser Vertrauen. wendung von Gewalt, es richtet sich ebenso gegen Wer sie herabsetzt oder ungerechtfertigt verdäch- die Aufforderung dazu, gegen die Verherrlichung tigt, trifft den Staat in seiner Substanz. der Gewaltanwendung wie gegen die Verniedlichung (Beifall bei den Regierungsparteien und der ihrer Folgen. CDU/CSU. — Abg. Dr. Dregger: So ist es!) In der geistig-politischen Auseinandersetzung ist Rechtsstaatliche Freiheit und Abwehrbereitschaft die Toleranzgrenze weit gezogen. Sie wird über- gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen bilden schritten, wenn an Stelle der Auseinandersetzung keinen Gegensatz. Beide Prinzipien bedingen sich mit den Gegnern der Freiheit die Zusammenarbeit vielmehr gegenseitig. Es gibt kein Recht ohne Si- mit ihnen tritt. cherheit, aber auch keine Sicherheit ohne Recht. (Abg. Damm: Sehr richtig!) Rechtsstaatliche Prinzipien müssen auch und gerade Die Wertentscheidungen der Verfassung erlauben dann gewahrt werden, wenn unsere Demokratie niemandem den Schluß, was nicht verboten sei, sei ihre Abwehrbereitschaft gegen die Feinde unserer auch demokratisch. Demokraten dürfen nicht ge- Freiheit verwirklicht. meinsame Sache mit 'den Gegnern der Freiheit ma- chen; denn man kann nicht Arm in Arm mit den Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ist für die Gegnern der Freiheit die Freiheit gestalten oder Bundesregierung auch oberstes Prinzip in ihrer Hal- auch nur verteidigen wollen. tung gegenüber Gegnern unserer Verfassung, die in den öffentlichen Dienst eindringen wollen. Unser (Beifall bei den Regierungsparteien und freiheitlicher Rechtsstaat setzt geradezu denknot- bei der CDU/CSU.) wendig die Loyalität 'der Angehörigen des öffent- Der Punkt des Eingreifens und das Instrumenta- lichen Dienstes voraus. Wer die kommunistische rium zur Verteidigung der gegebenen Grenzen sind Diktatur der DDR als Vorbild für die Umgestaltung im Grundgesetz sehr deutlich festgelegt. In der Wäh- unseres Staats- und Gesellschaftswesens ansieht, lerresonanz hat sich z. B. sowohl bei 'der DKP wie wer rassistischen Vorstellungen folgt oder einem bei der NPD die Wirkung der politischen Ausein- der Würde des Menschen widersprechenden völ- andersetzung mit verfassungsfeindlichen Gruppie- kischen Kollektivismus das Wort redet, hat im rungen gezeigt. Die staatlichen Abwehrmittel sind öffentlichen Dienst dieses Staates nichts zu suchen. dann einzusetzen, wenn Einzelpersonen oder Grup- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und pen die Gewalt als Mittel der politischen Ausein- bei Abgeordneten der Regierungsparteien.) andersetzung propagieren und anwenden. Ich unter- streiche noch einmal: Wer in unserem Staat, der Das ist so unbestritten unter den demokratischen den Bürgern das höchste Maß an Freiheit gewährt, Parteien, das unsere Geschichte kennt, Gewaltanwendung (Zurufe von der CDU/CSU) ideologisch zu rechtfertigen sucht oder zur Nach- sicht rät, rührt an Grundüberzeugungen unseres daß gerade diese Feststellung in Ihrem Antrag so Rechtsstaats. selbstverständlich ist. Um was es uns als Demo- (Abg. Damm: Sehr richtig!) kraten gemeinsam gehen muß, ist, diese außer- ordentlich schwierige, für einen Rechtsstaat emp- Ich habe in einer anderen Debatte an 'dieser findliche Frage mit dem höchsten Maß an Rechts- Stelle gesagt: „An der Frage der Gewalt müssen staatlichkeit auch lösen zu können. Das ist des sich die Geister scheiden." Das gilt heute wie da- Schweißes der Edlen wert! mals, und es gilt in allein Bereichen unseres gesell- (Beifall bei den Regierungsparteien und bei schaftlichen Lebens. Abgeordneten der CDU/CSU.) (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Sehr gut!) Meine Damen und Herren, ich sage ebenso offen: Der Bürger hat ein Recht auf Schutz nicht nur vor In der Auseinandersetzung mit allen Feinden der Kriminalität, sondern auch vor politischer Krimi- Freiheit dürfen wir nicht einäugig sein. Wer nur nalität. die eine Seite sieht, ist nicht besser daran als einer, (Abg. Damm: Sehr wahr!) der gegenüber dieser Gefahr völlig blind ist. Diesen Schutz muß gerade 'der freiheitliche Staat (Abg. Reddemann: Sehr gut!) ihm gewähren. Ein so liberaler Staatsdenker wie Wilhelm von Humboldt hat in der Gewährleistung Eine ehrliche Bilanz zu Beginn dieses Verfas- der inneren und äußeren Sicherheit überhaupt den sungsjahres gibt weder Anlaß zu Kassandrarufen einzigen Tätigkeitsbereich des Staates sehen wollen noch zu Selbstgerechtigkeit. Unsere Verfassung ist und den Sinn des Staats in der Ausprägung der anspruchsvoll; sie sagt nicht, daß Ruhe die erste Freiheit des einzelnen. Bürgerpflicht sei. Wenn in diesem Lande Friedhofs- ruhe herrschte, wenn es nicht kritische Öffentlich- Der Schutz des Bürgers ist nämlich deshalb so keit, sondern allenfalls räsonierende Privatheit wichtig, weil sich sein Bild vom Staat auch nach gäbe, dann — und nur dann — müßte man wohl dem Grad des Schutzes formt, den der Staat ihm konstatieren, daß dieses Land nicht in Ordnung ist. bietet. Ich sage hier sehr deutlich: Die Träger un- serer inneren und äußeren Sicherheit — Verfas- (Beifall bei den Regierungsparteien.) 5058 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Bundesminister Genscher Zur Bilanz gehört deshalb wohl auch die Fähig- werten als ein taktisches Instrument und vor allem keit, die Entwicklung des staatsbürgerlichen und keine Bündnisse demokratischer Parteien mit sol- demokratischen Bewußtseins als einen positiven chen zuzulassen, die die Freiheit, die diese Verfas- Prozeß zu sehen. Die Demokratie ist bei uns doch sung gewährt, untergraben wollen. stärker geworden. Das „Ohne mich" ist im Schwin- (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Sehr gut!) den. Ein wirkliches Engagement für Freiheit und Gerechtigkeit gerade bei vielen Jüngeren ist doch Durchaus Zustimmung in dieser Richtung! Aber ich deutlich sichtbar. Unsere Demokratie ist heute eine stelle fest, daß in der Rede, die der Sprecher der andere. Meine Damen und Herren, ich glaube, sie SPD, Professor Schäfer, gehalten hat, eine Ausein- hat heute eine bessere Qualität als in den 50er andersetzung mit diesen Kernfragen der Debatte Jahren. vermißt werden muß. (Beifall bei den Regierungsparteien.) (Beifall bei der CDU/CSU.) Die Formen eines neuen demokratischen Enga- Wie steht die SPD, so frage ich, zur Kernfrage dieser gements mögen uns nicht immer passen, auch die Debatte, nämlich zu der Tatsache, daß Verfassungs- Inhalte mögen uns nicht immer passen. Wir müs- wirklichkeit und Verfassungsrecht in einigen wichti- sen aber akzeptieren, daß sich hier ein elementares gen Positionen auseinanderklaffen? Bedürfnis nach Demokratie, und zwar nach freiheit- licher Demokratie, Bahn bricht. Unsere Verfas- Statt dessen haben wir Vorwürfte des ersten Red- sung ist ein Grundgesetz für freie Menschen. Sie ners gegen den Altbundeskanzler Erhard gehört. braucht Demokraten, die sich zu ihr bekennen, in Ihm wurde vorgeworfen, er habe in seiner Regie- diesem Hause und überall draußen. Deshalb sollte rungszeit Akte einer Gefälligkeitsdemokratie erlas- über alle Parteigrenzen hinweg eines gelten, ob wir sen. Ich muß sagen, meine Damen und Herren, an- soziale, christliche oder freie Demokraten sind: Das gesichts der heutigen wirtschaftlichen und finanziel- Grundgesetz ist unsere Verfassung, unsere gemein- len Situation finde ich diesen Vorwurf geradezu toll- same Verfassung, und es sollte unsere gemeinsame kühn. Zu Zeiten des Altbundeskanzlers Erhard ha- Verfassung bleiben. ben nämlich die Arbeitnehmer und die Selbständi- (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar- gen Jahr für Jahr ihre Ersparnisse wesentlich ver- teien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.) mehrt, während diese Kapitalien heute zusammen- schmelzen wegen einer Inflation, die die Bundes- - bank als „hausgemacht" bezeichnet. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: (Beifall bei der CDU/CSU.-- Abg. Wehner: Das Wort hat Herr Ministerpräsident Dr. Filbinger Geschwätz ist das! — Abg. Dr. Schäfer [Tü (Baden-Württemberg) . bingen] : Ein Debattenredner!) — Herr Abgeordneter Wehner, wenn Sie das als Ge- Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes schwätz ansehen: Baden-Württemberg: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ziel dieser Debatte (Abg. Wehner: Anhören!) ist es, auszuloten, ob die Verfassungswirklichkeit Die Realität dessen, was ich angesprochen habe, sich von dem Geist unserer Verfassung entfernt hat. wird Ihnen draußen von der Bevölkerung jeden Tag Ziel muß es auch sein, festzustellen, ob der Konsens bestätigt werden. der demokratischen Parteien dieses Landes über die Grundwerte unserer Verfassung und über deren (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Einrichtungen noch besteht. Schließlich ist es ganz Abg. Dr. Jenninger: Geschwätz ist die Infla besonders wichtig, festzustellen, ob innerhalb der tion bei denen!) einzelnen demokratischen Parteien dieser Republik Die Frage, die sich heute stellt, geht an die von das Grundgesetz noch die gemeinsame Basis ist. der SPD und der FDP gestellte Regierung, und sie Die Verfassungswirklichkeit stellt sich nicht nur geht auch an die SPD als Partei: Wie gedenkt sie auf der Bundesebene, sondern auch bei den Ländern fertig zu werden mit Initiativen von Kräften ihres dar. Die Länder sind es auch, welche die Angriffe linken Flügels, die nicht mehr mit den Grundwerten auf unsere Verfassung unmittelbarer als die Bun- der Verfassung im Einklang stehen? desregierung zu spüren bekommen etwa in den Bei der Rede des Herrn Professor Schäfer habe ich Universitäten, bei der Polizei, der Justiz — und auch eine Auseinandersetzung mit den Jusos ver- die mit ihrer Abwehr nahezu täglich an Ort und mißt. Statt Argumenten habe ich nur die Aufforde- Stelle konfrontiert sind. Deshalb ergreife ich als rung gehört: Sagen Sie mir, welche Vorschläge der Mitglied des Bundesrates und Ministerpräsident Jusos sind gegen das Grundgesetz? — Sie brauchen eines deutschen Bundeslandes das Wort. doch, Herr Professor Schäfer, nur einmal die Be- schlüsse der Kongresse der Jusos aus den letzten Ich stimme wesentlichen Feststellungen des Herrn Jahren und aus diesem Jahr herzunehmen, um zu Bundesinnenministers Genscher zu: daß es Aufgabe sehen, daß hier zur Verfassungswirklichkeit eine der Parteien sei, die Jugend an die Verfassung ganz erhebliche Lücke klafft. heranzuführen, keine Indoktrination gegen die Ver- fassung zu führen, kritische, nicht gläubige Bürger (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. zu haben, die Substanz der Verfassung als Postulat Dr. Schäfer [Tübingen]:: Herr Filbinger, ha verbindlich zu halten, die Verfassung nicht abzu- ben Sie es gelesen?) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5059

Ministerpräsident Dr. Filbinger -- Herr Professor Schäfer, ich habe eine Mappe, in Meine Damen und Herren, die Ausführungen von der diese Beschlüsse drin sind. Ich habe sie auch ge- Herrn Professor Schäfer zur Frage der Radikalen lesen. habe ich als eine Verharmlosung empfunden. (Abg. Wehner: Wir sind doch hier nicht ein Floh-Parlament!) Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp? Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwi- Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes schenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin? Baden-Württemberg: Gleich, wenn ich diesen Ge- danken zu Ende geführt habe.

Frau Däubler - Gmelin (SPD) : Herr Minister- präsident, wir haben ja nun mittlerweile schon viel- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: mals den Teufel an die Wand gemalt bekommen. Herr Kollege Rapp, Sie müssen sich noch gedulden. Wäre es nicht möglich, daß Sie den Weg zu Ihrer Mappe gehen und uns einmal konkret sagen, was Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Sie meinen, daß Sie Roß und Reiter nennen? Baden-Württemberg: Der Hinweis, man wolle keine (Beifall bei der SPD.) Duckmäuser haben, ist doch nicht mit diesem Thema vereinbar. Es geht doch darum, ob wir im Staats- dienst Leute haben wollen, Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg: Ich darf Sie fragen, gnädige (Abg. Conradi: . . . die das Grundgesetz Frau: Ist Ihnen eigentlich unbekannt, daß die Ver- nicht kennen!) staatlichung der Banken, die gar nicht gewillt sind, diesem Staate zu dienen, (Lachen und Zurufe von der SPD) sondern ihn bekämpfen und dafür außerdem noch Gehalt und Ruhegehalt auf Lebenszeit beziehen der Grundindustrie verlangt worden ist, daß die wollen. zentrale Steuerung der Investitionen, die Kommuna- lisierung des Baubodens verlangt worden ist? (Zustimmung bei der CDU/CSU. Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Das war nicht die (Lachen und anhaltende lebhafte Zurufe von Frage, sondern Ihre Art und Weise, mit den der SPD. — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Menschen umzugehen!) Art. 15! Er hat ja keine Ahnung!) Warum fehlt, meine Damen und Herren, in dem Papier, das die SPD vorgelegt hat, jede konkrete Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Äußerung zu den Punkten, die heute vormittag der Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Abgeordnete Dregger vorgetragen hat und die Kern- Sonst können wir die Zwischenfragen gar nicht hö- bestand der heutigen Debatte sind: erstens eine ren. Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwi- Äußerung zur Freihaltung des Staatsdienstes von schenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch? Verfassungsfeinden, zweitens eine Äußerung zur Abgrenzung der demokratischen Parteien von ver- Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes fassungsfeindlichen Kräften, drittens eine Äußerung Baden-Württemberg: Bitte sehr! zum imperativen Mandat, viertens eine Äußerung zur Orientierung der schulischen Erziehung am Grundgesetz, Moersch (FD' P) : Herr Ministerpräsident, ist Ihnen (Abg. Wehner: Wer hat Ihnen denn den bekannt, daß das, was Sie soeben als Möglichkeit Unsinn aufgeschrieben?) monieren, nämlich die Verstaatlichung der Banken, gegen den Widerstand von Thomas Dehler von fünftens eine Äußerung zur Einfügung der Universi- Ihren Freunden als Möglichkeit ins Grundgesetz hin- täten in die Rechts- und Verfassungsordnung des eingeschrieben worden war, demokratischen Staates? Meine Damen und Herren, dazu vermisse ich eine konkrete Äußerung in dem (Beifall bei den Regierungsparteien) Papier, das die SPD dem Hohen Hause vorgelegt hat. und zwar in Art. 15? (Beifall bei der CDU/CSU.) (Zurufe von der CDU/CSU.)

Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Herr Ministerpräsident, gestatten Sie die Zwischen- Baden-Württemberg: Die Garantie des Eigentums, frage des Herrn Abgeordneten Rapp? Bitte! die Garantie unserer verfassungsmäßigen Wirt- schaftsordnung bedeutet, daß eine Verstaatlichung Rapp (Göppingen) (SPD) : Herr Ministerpräsident, keinen enteignungsähnlichen Charakter haben dürfe, ich möchte noch einmal auf Ihre vorherigen Aus- und daran halten wir uns im Grudgesetz. führungen zurückkommen. Da ich nicht annehmen (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von kann, daß ein Ministerpräsident das Grundgesetz der SPD: Grundgesetz lesen! — Weitere nicht kennt, möchte ich fragen, ob der stellvertre- Zurufe.) tende Vorsitzende der CDU vorhin eine CDU-authen- 5060 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Rapp (Göppingen) tische Interpretation des Art. 14 des Grundgesetzes Generell hat der Redner der SPD nicht gewürdigt, abgegeben hat? daß es einer ernsthaften Besinnung darüber bedarf, (Abg. Dr. Marx: Laßt doch diesen Unsinn!) welches der Verfassungszustand der Bundesrepublik Deutschland ist. Wird dieses Grundgesetz von der Mehrheit der Bevölkerung und von den maßgeb- Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes lichen politischen Kräften dieser Republik getragen, Baden-Württemberg: Ich verzichte auf eine Antwort. oder bröckelt es dabei ab? Sind wir dabei, unser (Ironischer Beifall bei Abgeordneten der System zu erhalten oder, wie es vielfach lautstark SPD und Zurufe von den Regierungspar- gefordert wird, dieses System zu verändern? Ich teien. — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : So könnte nun auch an dieser Stelle wieder Zitate aus einfach geht das nicht!) Juso-Kongressen — auch Judo-Kongressen —, aus Reden auf Parteitagen der Regierungsparteien brin- gen, um zu belegen, daß wir — mindestens in be- Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: stimmten Gruppen — dabei sind, uns von der Ver- Herr Ministerpräsident, gestatten Sie noch eine fassung zu entfernen. Aber das genügt nicht. Ich Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller? möchte einige Punkte beleuchten, wo sich diese Ge- fahr zeigt. Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes An unseren Universitäten ist es in den letzten ein Baden-Württemberg: Gut, noch eine. bis zwei Jahren äußerlich ruhiger geworden; jedoch darf man sich dadurch nicht täuschen lassen. Immer Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: noch erfolgen Einbrüche in unser rechtsstaatliches Bitte! System auf dem Boden der Universitäten, am einen Ort stärker, am anderen geringer. Diese Gefährdun- Dr. Müller (München) (CDU/CSU) : Herr Mini- gen sind eher ernster geworden, als sie es früher waren. Es sind nicht mehr die lautstarken Radikalen, sterpräsident, können Sie mir bestätigen, daß der die den Universitätsbetrieb stören und die dort täti- Beschluß des Bundeskongresses der Jungsozialisten 1969, der folgendermaßen lautet: gen Lehrer und Forscher verunsichern. Vielmehr haben unter den radikalen Linken diejenigen die Eine Abschaffung des Privateigentums in der Mehrheit, die unsere hohen Schulen nicht stürmen, - Bundesrepublik ist über das Parlament allein sondern unterwandern wollen. Typischer Ausdruck nicht möglich. Am Ende eines solchen langen dafür ist ein Flugblatt des Sozialistischen Heidel- Prozesses von Basiskämpfen, eines solchen lan- berger Studentenbundes, das erklärt: „Die strate- gen Kampfes um Demokratisierung ,der Betriebe gische Linie an der Universität ist: Tunnels graben steht der revolutionäre Sprung. und Vorräte anlegen." Es ist vielfach ein diszipli- nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist? nierter Marsch durch die Institutionen, aber dieser Marsch ist in vollem Gange. Und das Ziel, diesen (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Weh- Staat aus den Angeln zu heben, ist das gleiche ge- ner: Hier muß einer sein Honorar abarbei- blieben. ten!) Es muß gesagt werden, daß trotz der gewissen Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes äußeren Beruhigung auch heute noch terroristische Baden-Württemberg: Ich bestätige diese Auffassung. Maßnahmen erfolgen: Störungen von Vorlesungen, tätliche Angriffe gegen Hochschullehrer und ge- (Lachen bei den Regierungsparteien.) mäßigte Studenten sowie rechtswidrige Besetzung Meine Damen und Herren, wir haben also zur von Instituten; so ist es jüngst in Heidelberg ge- Kernfrage der Verfassung von Herrn Abgeordneten schehen. Seit dem Jahre 1972 mußte die Universität Schäfer wenig gehört. Dafür aber hörten wir Zeug- Heidelberg annähernd 100 000 DM zur Behebung von nisse der SPD aus dem 19. Jahrhundert — ein Zitat Sachschäden an und in Gebäuden ausgeben. Sie tut von Herrn Lassalle über ,die Verfassung das heute nicht mehr, weil es nutzlos wäre, da nach jeder Renovierung die Wände mit gleichen Kampf- (Abg. Wehner: Machen Sie sich doch nicht parolen beschmiert werden. blöd!) (Abg. Metzger: Wer ist denn dort Minister und ein Zitat des Ahlener Programms der CDU, das präsident?!) jetzt bald das 30jährige Jubiläum feiern kann. Ich bin der Meinung, daß es schön ist, daß sich der Ab- — Ich komme darauf. -- Unser Volk gibt Milliarden geordnete Schäfer dieses Programms annimmt. Aber D-Mark für seine hohen Schulen aus. Was muß die- Herr Professor Schäfer hat übersehen, daß es seit ses Volk für gestörte Vorlesungen oder für Streiks dem Jahre 1953 ein Hamburger Programm gibt, das ganzer Fakultäten oder gar Universitäten nutzlos die CDU bei ihren politischen Maßnahmen geleitet ausgeben! Wir haben errechnet, daß bei einem Vor- hat und das in den 60er Jahren fortgeschrieben lesungsstreik an allen Universitäten Baden-Würt- worden ist. tembergs ein Streiktag 2,5 Millionen DM kosten würde. (Abg. Wehner: Abgeschrieben! Abg. Dr. (Zuruf des Abg. Conradi.) Nölling: Alle zwei Jahre müssen Sie das fortschreiben! — Weitere Zurufe von der Auch außerhalb der Hochschulen gibt es gewalt- SPD.) same Umtriebe von Extremisten, die nach Guerilla- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5061 Ministerpräsident Dr. Filbinger Art kämpfen. Ich brauche nur auf die Hausbesetzun- — Ich habe die Bilanz angekündigt. Nur Geduld, es gen in Frankfurt hinzuweisen, die mit Straßen- kommt noch eine ganze Menge, Herr Abgeordneter schlachten verbunden waren. Wie man den bewaff- Wehner. neten Kampf mit der Polizei durchführt, kann man (Zuruf von der SPD: Hoffentlich noch was in einem „Handbuch für Hausbesetzer" nachlesen. zum lachen!) Der gesetzwidrige Angriff auf das Eigentum wird nicht nur propagiert, er wird systematisch orga- Aber wer von Ihnen, so stelle ich die Frage, hat nisiert. es nicht erlebt, daß auch im Bereich der Gerichts- (Zuruf des Abg. Matthöfer.) barkeit Unsicherheit und Schwäche in Erscheinung treten? Mir sind Fälle bekannt, in denen sich Rich- Und ich stelle hier die Frage: Was tun die politisch ter weigern, Strafreferate zu übernehmen, oder daß Verantwortlichen in Frankfurt dagegen? Ist es nicht sich Richter gegen eine Versetzung an Gerichte der so, daß die Radikalen ihre Muskeln deshalb so spie- Universitätsstädte wehren. Selbst den Verzicht auf len lassen können, weil die SPD in Hessen und ein Beförderungsamt hat es schon gegeben, als ab- ihre verantwortlichen Politiker sich nicht recht- sehbar war, daß mit diesem Amt die Führung eines zeitig dazu aufgerafft haben, spannungsgeladenen politischen Prozesses verbun- den sein würde. (Zuruf von der SPD: Wer hat die Verant- (Zurufe von der SPD.) wortung in Stuttgart?) Diese Beispiele von Verunsicherung sind die Folge Recht und Gesetz gegen Angriffe dieser Seite zu systematischer Zermürbungstaktik, die gegen Rich- schützen?! ter, Staatsanwälte und deren Angehörige angewen- (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schä- det wird. Dazu gehören nächtliche Telefonanrufe, fer [Tübingen]: Immer mit dem Finger auf Steinwürfe gegen die Wohnung, Bedrohungen und die anderen deuten, selber nichts tun und Beleidigungen. Das gleiche gilt für andere Organe selber keinen Mut haben!) unseres Gemeinwesens, vor allem für die Polizei, die in zurückliegenden Jahren in Berlin und Frank- Herr Kollege Professor Schäfer, ich komme dar- furt, um nur einmal diese beiden Städte zu nen- auf, was wir tun; haben Sie gar keine Sorge. Ich nen — aber nicht nur dort ist es geschehen —, im komme noch dazu, eine Bilanz dessen zu ziehen, Mittelpunkt konzentrischer Angriffe der Radikalen was wir tun und was die SPD unterlassen hat — stand und zum Teil heute noch steht. dort, wo Sie politische Verantwortung tragen. Wir haben immer wieder hervorragende Beispiele (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: der Staatstreue, der Loyalität und der Einsatzbereit- Sie kommen vom Hahn auf den Hund!) schaft unserer Polizei in den Kommunen, den Län- dern und im Bereich des Bundes erlebt. Wir können Das werde ich im Laufe dieser Rede noch sagen. aber nicht verschweigen, daß Polizeibeamte von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.) ihren Oberen im Stich gelassen wurden, wenn es galt, sie gegen Angriffe von Extremisten, die gar Auch in den Betrieben vermehren sich die Um- nicht so selten durch einzelne Presseorgane unter- triebe der Linksradikalen. Das erste Ziel ist die stützt wurden, abzuschirmen. Es hat sogar Fälle Aufwiegelung der Lehrlinge. Diese Arbeit besorg gegeben, wo hohe Polizeichefs, Polizeipräsidenten, mit besonderem Eifer die Sozialististische Deutsche aus ihrem Amt weichen mußten, weil die politischen Arbeiterjugend, eine kommunistische Jugendgruppe, Instanzen dem Druck der Linksradikalen nachgege- die immer mehr zur eigentlichen Vorhut der DKP ben haben. Hier haben die politisch Verantwort- wird. lichen versagt. Mir steht auch der Fall eines Innen- ministers eines deutschen Bundeslandes vor Augen, Was ich hier in dünnen Strichen und selbstver- der der SPD angehört und der jeweils dann unter ständlich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit Druck gesetzt worden ist, wenn er etwas gegen die zeichne, steht zu Gesetz und Verfassung in einem Radikalen unternommen hat. krassen Widerspruch, und ich stelle nun die Frage: Wie verhalten sich die von der Verfassung zu Meine Damen und Herren, solche Vorgänge haben deren Schutz bestimmten Organe? eine verheerende Wirkung in doppelter Hinsicht. Die Polizei muß erkennen, daß sie nicht unbedingt (Abg. Matthöfer: Jetzt kommen wir mal zu dafür honoriert wird, wenn sie sich unter Gefahr Ihnen!) für Leib und Leben für diesen Staat und seine Insti- tutionen einsetzt. Die Bürger müssen erkennen, daß Wir sind es gewohnt, die Justiz als eine noch intakte Säule unseres demokratischen Staates anzu- dieser Staat nicht so fest dasteht, um alle Rechts- sprechen, und aufs Ganze gesehen ist sie das auch. güter, die ihnen die Verfassung verleiht, zu schützen. Dadurch wird das Vertrauen in diesen Staat zer- (Abg. Wehner: Die setzen eine Perücke auf, setzt. Wo aber das Vertrauen schwindet, kann die wenn sie in Stuttgart beamtet sind! — Hei- Demokratie nicht leben. terkeit bei der SPD.) (Beifall bei der CDU/CSU.) — Das war ein Mann vom Verfassungsschutz, kei- Ich stelle hier die Frage: Wie soll der Bürger ner von der Justiz, Herr Abgeordneter Wehner. unseren Staat noch verstehen, der solche Zustände (Abg. Wehner: Weil Sie doch so stolz auf einreißen läßt? Wie soll er es verstehen, daß aus Ihr Land sind!) Universitätsinstituten und aus besetzten Privat- 5062 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Ministerpräsident Dr. Filbinger häusern tagelang die roten Fahnen der Besetzer Der Landtag von Baden-Württemberg hat nämlich im hängen, ohne daß die Polizei eingreift? Wie ernst vergangenen Jahr ein brauchbares Ordnungsrecht soll er diesen Staat noch nehmen, für die Universitäten geschaffen — trotz erheblicher Widerstände, insbesondere von der SPD. Nachdem (Abg. Wehner: Wenn er solche Minister- das Gesetz beschlossen war, ist Ruhe eingekehrt, präsidenten hat!) auch und sogar — mit ganz wenigen Ausnahmen — wenn der Vorsitzende einer Partei, deren Ziele klar in Heidelberg. Ganz offensichtlich hat allein schon verfassungswidrig sind, bei offiziellen Anlässen die Existenz dieses Ordnungsrechts beruhigend auf von der Bundesregierung eingeladen wird? Wie soll bestimmte Agitatoren an den Universitäten gewirkt. er es verstehen, daß Studenten, die ihre Professoren Mit Befriedigung haben wir in diesen Tagen gehört, mißhandeln, weiterhin auf der Universität geduldet daß die westdeutschen Rektoren ein Ordnungsrecht werden? für alle Universitäten empfehlen wollen. Das hatten sie vor zwei Jahren noch strikt abgelehnt. Auch vom Die weitere Frage: was verlangen unsere Bürger Bundeswissenschaftsminister lese ich in diesen Ta- vom demokratischen Staat? Sie verlangen gewiß gen, daß bei ihm nun eine Bereitschaft auf dem Wege nicht von ihm, daß er in der martialischen Gebärde sei, an ein Ordnungsrecht zu denken. Meine Damen des Polizeistaates auftritt. Unsere Bürger wollen und Herren, warum ist das nicht zu rechter Zeit Toleranz, und sie haben Verständnis dafür, daß man geschehen? Man hätte sehr viele Schäden, die sich in nicht bei Bagatellfällen mit Kanonen auf Spatzen der Zwischenzeit verwirklicht haben, vermeiden schießt. Sie haben aber ganz bestimmt kein Ver- können. ständnis dafür, daß durch ewiges Taktieren, durch (Beifall bei der CDU/CSU.) Unentschlossenheit und Schwäche die Rechtsbrecher ermutigt und die Angegriffenen benachteiligt wer- Ich habe schon das Problem der Radikalen im den. Solches Verhalten führt zu Verdrossenheit und öffentlichen Dienst erwähnt. Diese Leute sind zy- Unmut an unserem Staat, ja es führt zu schlimmeren nisch genug, die Vorteile des Berufsbeamtentums Dingen: zum Zweifel daran, ob dieser Staat noch in für sich in Anspruch zu nehmen, um risikolos die- sen Staat unterminieren zu können. Es ist gut, daß der Lage ist, seine Bürger und deren Rechtsgüter zu der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten aller schützen. Bundesländer im September vergangenen Jahres be- kräftigt haben, Verfassungsfeinde aus dem öffent- Beispiele von unerträglicher Schwächlichkeit gibt - es nicht nur im staatlichen, sondern auch im univer- lichen Dienst fernzuhalten. Es ist aber schlecht, daß sitären Bereich. In Heidelberg bildete sich vor weni- SPD und FDP wenig tun, diesen Worten Taten fol- gen Jahren das sogenannte Sozialistische Patienten gen zu lassen. Im Gegenteil, durch die Beschlüsse Kollektiv, das vorgab, sich psychisch Kranker an- des SPD-Parteitages in Hannover ist die Einheits- zunehmen, aber alsbald zu aggressiven Aktionen front der Regierungschefs von Bund und Ländern gegen die Ordnung der Universität überging und gegenüber den Versuchen verfassungsfeindlicher zu kriminellen Handlungen, die allerdings erst spä- Gruppen, den öffentlichen Dienst zu unterwandern, ter ruchbar wurden. Der damalige Rektor der Uni- geopfert worden. versität führte mit diesem Kollektiv endlose Ver- Schlimmer aber als dieser Beschluß ist das Ver- handlungen, statt das Recht anzuwenden. Er wurde halten von der örtlichen SPD gestützt. Die Mitglieder des (Abg. Wehner: Ist Ihr Schluß!) Kollektivs fühlten sich ermutigt, fünf Tage lang das Zimmer des Rektors zu besetzen, um ihn zu erpres- mancher großer Stadt- und Ortsverbände der SPD. sen. Auch in diesem Stadium weigerte sich der Rek- Nicht nur in München, auch in Tübingen sind An- tor noch, die Polizei einzusetzen. Die Drahtzieher gehörige der SPD bereit, aktiv gegen den Beschluß des Kollektivs verlangten schließlich vom Rektor die der Regierungschefs zu kämpfen. Die gesamte SPD Anerkennung als Einrichtung der Universität. Es war von Baden-Württemberg faßte im Frühjahr 1973 den ganz gewiß nicht der Universitätsverwaltung und Beschluß, öffentlich gegen den Extremistenbeschluß ihren Repräsentanten zuzuschreiben, daß es zu dieser zu demonstrieren. Anerkennung nicht kam. Erst die Entdeckung eines Meine Damen und Herren, so kann es nicht wei- Waffenlagers, der Nachweis enger Verbindungen tergehen. Die Regierungsparteien müssen nun Farbe zur Baader-Meinhof-Bande waren geeignet, diesem bekennen. Sie müssen die Frage beantworten, ob Zusammenschluß von Anarchisten und Kriminellen ihnen die Solidarität der Demokraten oder die das Handwerk zu legen. Solche Vorgänge müssen Rücksichtnahme auf linke Parteiflügel wichtiger ist. von uns nicht hingenommen werden, wenn wir alle (Beifall bei der CDU/CSU.) entschlossen sind, Standfestigkeit und notfalls auch Härte zu zeigen. Auch dafür gibt es mannigfache Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Beispiele. Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischen- Wenn ich nun, Herr Kollege Schäfer und Herr frage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin? Kollege Wehner auf Baden-Württemberg zu spre- chen komme, dann bitte ich das nicht als eine An- Frau Däubler - Gmelin (SPD) : Herr Minister- spielung auf ein Musterland zu nehmen, sondern als präsident, ich sah mich leider schon vor einem hal- ben Jahr genötigt, die gleiche Frage Ihrem Kollegen einen Sachbericht. Pfeifer zu stellen: Warum bringen Sie es nicht (Zurufe von der SPD: Nie daran gedacht! fertig, den Beschluß des Landesparteitags Baden- Und Heidelberg?) Württemberg richtig zu zitieren? Wir haben nicht Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5063 Frau Däubler-Gmelin I beschlossen, gegen den Ministerpräsidentenbeschluß Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: öffentlich zu demonstrieren, sondern gegen ,das, was Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Frage Sie im Lande Baden-Württemberg machen. des Herrn Abgeordneten Ravens? (Zuruf von der CDU/CSU: Warum stellen Sie nicht mal eine Frage, gnädige Frau?) Ravens (SPD) : Herr Ministerpräsident, können Warum sind Sie nicht bereit, hier richtig zu zitieren? Sie bestätigen, daß Sie mit dem Herrn Bundes- innenminister abgesprochen haben, daß, bevor ein (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Schäfer Gesetzentwurf für ein Beamtenrechtsrahmengesetz [Tübingen] : Sehr richtig! Die Wahrheit dem Bundestag zugeleitet wird, über diesen auf der sagen! — Weitere Zurufe von der SPD.) nächsten Ministerpräsidentenkonferenz gesprochen wird, und können Sie ferner bestätigen, daß dieser Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Punkt auf der morgigen Tagesordnung steht und Baden-Württemberg: Ihr Beschluß stammt aus dem Sie ,das wissen? Frühjahr 1973, und das, was das Land Baden-Würt- (Abg. Frau Däubler-Gmelin: Aha! — Abg. temberg macht, nämlich die Richtlinien, ist im Spät- Dr. Marx: Heut' ist heut'! Ist das denn schon sommer erlassen worden. beschlossen? — Weitere Zurufe von der (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Schieß- CDU/CSU.) Erlaß! — Zuruf von der SPD: Vogel! — Weitere Zurufe von der SPD.) Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Meine Damen und Herren, die Regierungspar- Baden-Württemberg: Wir wissen eines, nämlich daß teien müssen nun Farbe bekennen. Sie müssen die die Bundesregierung selbst angekündigt hat, und Frage beantworten, ob für sie die Solidarität der zwar schon im Herbst letzten Jahres, daß ein Durch- Demokraten höher steht als, wie ich vorhin sagte, führungsgesetz binnen kurzem erlassen werden die Rücksichtnahme auf linke Parteigänger. Ich würde. Damals wurde — allerdings nicht in ver- widerhole diese Aussage. bindlicher Form -- von wenigen Wochen gespro- chen. Von einer Seite wurde gesagt: In fünf Wo- Da die Bundesregierung nicht in der Lage war, ihre Ankündigung wahrzumachen, haben die Län- chen werden wir es haben. Das war im September 1973. Wenn wir jetzt, im Februar 1974, der Meinung der Bayern und Baden-Württemberg am Montag - sind, es wäre Zeit, eine Initiative zu ergreifen, die dieser Woche im Bundesrat einen Gesetzentwurf zum Ziele führt, so ist dieser Zeitpunkt unseres über die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst Erachtens nicht verfrüht. eingebracht. Dieser Gesetzentwurf geht vom Be- amtengesetz des Bundes und der Länder aus, wonach (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der in das Beamtenverhältnis nur berufen werden darf, SPD: Die Frage beantworten!) wer die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die frei- Im übrigen: Wenn sich bei dieser Konferenz ein heitliche, demokratische Grundordnung im Sinne Konsens mit den Ministerpräsidenten ergibt, so ist des Grundgesetzes einzutreten. Dazu gehört, daß der das nichts Neues. Neu wäre es, zu erfahren, ob in Vorrang der besonderen Treuepflicht im öffentlichen der Regierungskoalition und innerhalb der Regie- Dienst gegenüber dem Parteienprivileg gesetzlich rungsparteien ein solches Gesetz durchgesetzt wer- verankert wird, wie es das Urteil des Oberverwal- den kann. Daarauf warten wir nämlich seit Monaten tungsgerichts Koblenz vom Sommer 1973 und der vergeblich. Beschluß der Regierungschefs von Bund und Län- (Beifall bei der CDU/CSU.) dern im September 1973 ausgesprochen haben. (Abg. Frau Däubler-Gmelin: Das Bundes- Vizepräsident Dr. Schmitt -Vockenhausen: verfassungsgericht in Karlsruhe!) Herr Ministerpräsident, gestatten Sie noch eine wei- Die Bundesregierung hat eine solche gesetzliche tere Frage des Herrn Abgeordneten Ravens? Regelung alsbald nach ,der im September 1973 er- folgten Bekräftigung dieses Beschlusses über die Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Radikalen zugesagt, aber wegen der Widerstände Baden-Württemberg: Bitte sehr! im eigenen Lager bisher nicht erlassen. Der Bun- desregierung und den Koalitionsparteien ist jetzt Ravens (SPD) : Herr Ministerpräsident, können die Möglichkeit geboten, nachzuweisen, daß es Sie mir die Frage beantworten, warum Sie es nötig ihnen mit dem Fernhalten radikaler Kräfte aus haben, dem Bundestag gegenüber eine Ihnen be- dem öffentlichen Dienst ernst ist und daß sie die kannte Tatsache so zu benutzen, und zwar mit dem Widerstände im eigenen Lager zu überwinden ver- alleinigen Zweck, daß Ihr Argumentationsboden mögen. trägt? Ein weiterer Punkt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der Ich stelle die Frage: Wer hat den Zustand der Uni- CDU/CSU.) versität Bremen zu verantworten, die allen Warnun- den zum Trotz eine rote Kaderschmiede und keine Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Universität im allgemeinen Sinne geworden ist? Baden-Württemberg: Ich verzichte auf eine Antwort. (Beifall bei der CDU/CSU. — Buh-Rufe bei (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. der SPD. — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Marx: Seit wann wird denn von der Regie So ist es! Das ist die Wahrheit!) rungsbank aus gefragt?) 5064 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Diese Einigkeit braucht nicht erneut festgestellt zu Herr Ministerpräsident, gestatten Sie noch eine Zwi- werden. Sie besteht seit September. schenfrage des Herrn Abgeordneten Ostman von der (Beifall bei der CDU/CSU.) Leye? Meine Damen und Herren, hier wird doch der Ver- such gemacht, es so erscheinen zu lassen, als wäre Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes die Bundesregierung schon seit langem darauf aus, Baden-Württemberg: Jawohl. das Gesetz zu erlassen und in Kraft zu setzen. In (Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohen- Wirklichkeit wissen wir doch, daß die linke Seite stein: Herr Ministerpräsident, die nächste in der SPD und auch in der FDP den stärksten Frage kommt ausnahmsweise nicht von der Trouble gegen diesen Erlaß gemacht hat, den stärk- Regierungsbank!) sten Widerstand dagegen geleistet hat. In dieser Woche habe ich in der Zeitung gelesen, daß in Nord- rhein-Westfalen ein offizieller Beschluß besteht, wo- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Herr Abgeordneter, jedes Mitglied des Bundestages nach jeder Kandidat in der Zukunft einen Revers kann über das Mikrophon Zwischenfragen an den unterschreiben muß, ob er bereit ist, sich aktiv gegen Redner stellen. den Radikalenerlaß der Regierungschefs von Bund und Ländern einzusetzen. Hier liegen doch die Gründe für die Verzögerung. Freiherr Ostman von der Leye (SPD) : Herr Ministerpräsident, können Sie mir die Frage beant- (Beifall bei der CDU/CSU.) worten, warum Sie die Initiative ausgerechnet dann ergriffen haben, als Sie die Einladung mit der Tages- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: ordnung bereits auf dem Tisch hatten, und dies, ob- Herr Ministerpräsident, entschuldigen Sie, es liegen wohl die Konferenz vorher deshalb nicht zustande Wortmeldungen zu weiteren Zwischenfragen vor. kam, weil Sie Terminschwierigkeiten hatten? Ich frage Sie daher, ob Sie noch Zwischenfragen zu- lassen. (Heiterkeit bei der SPD. — Bundeskanzler (Zurufe von der CDU/USU: Schluß!) Brandt: Sehr richtig!)

- Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg: Ich habe jetzt vier Zwischen- Baden-Württemberg: Unsere Initiative ist schon fragen zugelassen. Ich glaube, das war tolerant. Ich frühzeitig ergriffen worden. Wir haben ja bekannt- möchte jetzt in meinen Ausführungen fortfahren. lich auch die Richtlinien erlassen. Das, was jetzt in Gesetzesform vorgelegt wird, ist nichts anderes als (Beifall bei der CDU/CSU.) der materielle Inhalt der Richtlinien, die wir seit Meine Damen und Herren, ich habe die Frage ge- dem Herbst des vergangenen Jahres haben und an- stellt, wer es zu verantworten hat, daß die Univer- wenden. Das Gesetz bringt also nichts Neues. sität Bremen so gegründet worden ist, daß sie heute (Beifall bei der CDU/CSU.) zu dem entartet ist, was man schon im Gründungs- stadium in Ansätzen erkennen konnte und befürch- ten mußte und wovor viele — auch in der Minister- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: präsidentenkonferenz — gewarnt haben. Diese Uni- Herr Ministerpräsident, entschuldigen Sie bitte, mir versität ist — ich wiederhole es — in der Zwischen- liegen noch zwei Meldungen zu Zwischenfragen vor. zeit eine rote Kaderschmiede geworden, die For- Gestatten Sie zunächst noch eine Zwischenfrage des schung und Lehre offiziell und ausschließlich in das Herrn Abgeordneten Professor Dr. Schäfer? Interesse der Lohnabhängigen und Unterprivilegier- ten stellt, die von den Hochschullehrern ein deut- Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes liches und politisch konkretes Engagement und eine Baden-Württemberg: Ja, ich gestatte noch eine Parteinahme verlangt Zwischenfrage. (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Das Politolo gen-Deutsch ist nicht zu verstehen!) Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Ministerprä- und die -- all das sind Zitate — nebulösen Wissen- sident, hätten Sie es nicht für einen unfreundlichen schaftspluralismus der antidemokratischen Positio- Akt von seiten der Bundesregierung gehalten, wenn nen unter dem Deckmantel der Wissenschaft ver- sie vor einer Rücksprache auf der terminlich schon schleiert. — Das Politologen-Deutsch ist oftmals anberaumten Ministerpräsidentenkonferenz einen kaum zu lesen; da stimme ich Ihnen zu, Herr Abge- Gesetzentwurf vorgelegt hätte? ordneter. Das ist die Formulierung, die jüngst von der Universität Bremen gegenüber Kandidaten, die Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes sich dort um Lehrstühle beworben hatten, verwen- Baden-Württember: Ich bin der Meinung, daß spä- det worden ist. Gleiches ist in einem Fragebogen testens seit dem September des vergangenen Jahres enthalten zur Orientierung, ob man bereit ist, all Einigkeit mit der Ministerpräsidentenkonferenz über dies mitzumachen! das besteht, was in diesem Gesetz stehen kann. Für diese Universität, die den Klassenkampf im (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Sie weichen Bereich von Forschung und Lehre institutionalisiert, der Frage aus!) werden allen Warnungen zum Trotz Millionen und Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5065

Ministerpräsident Dr. Filbinger aber Millionen an Steuergeldern ausgegeben, und dann steht unsere Verfassung auf einem verlorenen die Lehrkräfte werden vom Staat besoldet. Es war Posten. Die Verfassungsurkunde bedeutet nichts doch erkennbar, wohin die Reise gehen würde. Das ohne die Menschen, die sie mit Geist und Leben er- Gründungsgremium hat damals in seinen Ausfüh- füllen. rungen genügend deutlich gemacht, daß wir hier Jetzt noch eine wichtige Feststellung. Ich war tief keine Universität im klassischen oder auch nur im betroffen, als ich die Äußerung des Herrn Abgeord- modernen Sinne, sondern eine einseitig klassen- neten Wehner las, wonach Begriffe wie „soziale kämpferisch orientierte Schmiede bekommen. Marktwirtschaft" und „Rechtsstaat" verknorpelt und Meine Damen und Herren, es gibt noch weitere, der Frischluftzufuhr bedürftig sei en. eklatante Beispiele dafür, wie sich Bildungseinrich- (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Was sagt tungen von dem entfernen, was das Grundgesetz Herr Barzel?) unter Erziehung und Ausbildung versteht. Ich — Was heißt hier Verknorpelung, Herr Schäfer? brauche nur die hessischen Rahmenrichtlinien zu erwähnen, um zu zeigen, daß dort ein lupenreines (Abg. Wehner: Da müssen Sie in den Spie Konfliktmodell des Klassenkampfs vorgelegt wird. gel sehen! Gucken Sie in den Spiegel, dann sehen Sie es! — Gegenruf des Abg. Dr. (Abg. Wehner: Wollen Sie diesen Quatsch Marx: Gucken S i e mal in Ihren hinein, auch im Bundesrat erzählen?!) was da herausschaut! — Abg. Wehner: Wie — Ich frage, Herr Abgeordneter Wehner, ob es dem ein an sich sympathischer Mensch völlig Willen der Mehrheit der Bürger dieses Staates und verknorpelt wird! — Gegenruf des Abg. Dr. der Verfassung entspricht, Marx: Dieser freche Mensch!) (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Ich frage, ob — Diese Verknorpelung läuft doch — ich kann es der Ministerpräsident oder der CDU-Vor- nicht anders verstehen, Herr Abgeordneter Wehner sitzende von Baden-Württemberg spricht!) — auf die Konsequenz hinaus, daß hier etwas ver- ändert werden müsse. Wir wollen aber nicht, meine wenn die Familie im gesellschaftskundlichen Unter- Damen und Herren, richt von den Kindern als eine elterliche Herrschafts- struktur begriffen werden soll, die man zerschlagen (demonstrativer Beifall und Lachen bei der muß. SPD — Zurufe von der SPD) - Meine Damen und Herren, ich frage weiter: In daß die Struktur der Marktwirtschaft aufgebrochen welchem Staat leben wir? wird, so wie es die Linken wollen. Wenn der DGB- Vorsitzende Vetter unserer Wirtschaftsordnung die (Lachen bei der SPD. — Abg. Wehner: Sie Fähigkeit abspricht, Maßstäbe für die Qualität des reden über Bremen, Frankfurt und über alle Lebens zu entwickeln, dann verkennt er, daß diese möglichen Länder, nur nicht über Ihres! In Ordnung soziale Gerechtigkeit doch erst ermöglicht welchem Staat leben Sie ? Sie sind der hat, und zwar auf einem Niveau, das jedes andere Außenminister Ihres Landes!) System in den Schatten stellt. — Ja, ich habe mit zwei markanten Beispielen ge- (Beifall bei der CDU/CSU.) sagt, was wir machen und was in anderen Ländern, die ich jetzt zitiere, nicht geschieht. Ich frage, meine Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Damen und Herren, gleichwohl: Herr Abgeordneter Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischen- Wehner, müssen wir es hinnehmen, daß unsere Kin- frage des Herrn Abgeordneten Groß? der die Schule als Gegner der Verfassung, unseres Grundgesetzes verlassen, weil sie dort so indoktri- Groß (FDP) : Herr Ministerpräsident, sind Sie be- niert werden sollen? reit, folgende Feststellung zu unterstreichen: „Wir (Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe von sind der Überzeugung, daß die alte kapitalistische der SPD.) und liberalistische Wirtschaftsform sich überlebt hat Wenn Herr Bundesminister Genscher vorhin eine und daß sie in die heutige Zeit nicht mehr paßt" — Erklärung gegen eine Indoktrination unserer Jugend Dr. 1946? gegen unsere Verfassung abgegeben hat, dann (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten unterstreiche ich seine Ausführungen; sie haben hier der FDP.) ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit. (Abg. Conradi: Das werden wir unseren Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Lehrern erzählen! — Weiterer Zuruf von Baden-Württemberg: Wir sprechen von der sozialen der SPD: Sie müssen die Lehrer in Baden- Marktwirtschaft. Sie ist etwas anderes als eine rein Württemberg fragen!) kapitalistische Wirtschaft des Laisser-faire. Lassen Sie sich das gesagt sein! Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich (Beifall bei der CDU/CSU.) eine Schlußfolgerung ziehen. Wenn der Konsens über das Berufsbeamtentum und seine Freihaltung von Extremisten, über die Freiheit von Lehre und Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Forschung an unseren Universitäten, über den Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine weitere Schutz des Eigentums, über das Intakthalten der Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Groß? sozialen Marktwirtschaft und anderes mehr nicht ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Der darf noch wahrt und danach nicht politisch gehandelt wird, mal! — Abg. Stücklen: Es lohnt sich!) 5066 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes Ich habe zu Beginn — und jetzt komme ich zum Baden-Württemberg: Bitte! Schluß — (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Groß (FDP) : Herr Ministerpräsident, darf ich die- die Frage nach dem Konsens der demokratischen ses Zitat dann zu Ende führen und Sie fragen, ob Parteien über dieses Grundgesetz gestellt. Sie dieser Meinung widersprechen wollen: „Des- Ich frage nun: Wird diese Debatte die Jusos und wegen nehmen wir auch keinerlei Anstand, hier die mit ihnen Gleichgesinnten in ihrer Haltung dann zu erklären, daß wir für die Wirtschaftsform der beeinflussen, wenn sich am Schluß der Konsens der Gegenwart und der Zukunft die geplante Wirt- Parteien dieses Hohen Hauses über die Grundwerte schaft halten"? Letzter Satz: „Aus dieser Über- der Verfassung ergeben sollte? Ich glaube, daß nie- zeugung heraus bekennen wir auch uns zur sozia- mand so optimistisch wäre, dies zu behaupten. listischen Wirtschaft." Was ist dann aber durch diese Debatte zu gewin- (Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — nen? Die Jusos wollen ihre Partei, die SPD, auf Abg. Dr. Marx: Ein „guter Liberaler" !) ihren Weg bringen, der vom Grundgesetz wegführt. Diese Partei, die SPD, hat es nicht vermocht, diesen Kräften rechtzeitig Einhalt zu gebieten; inzwischen Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes sind sie zu stark geworden. Es sind beileibe nicht Baden-Württemberg: Warum haben Sie nicht auch politisch unbedeutende Sektierer. Man kann sie auch etwas zitiert, was noch weiter zurücklag als das nicht so harmlos machen, wie das heute früh aus Ahlener Programm? Meine Damen und Herren, die dem Munde von Herrn Professor Schäfer geklun- CDU will an ihrem Programm gemessen werden, gen hat. Sie sind bereits so mächtig, daß sie dem das sie in Hamburg beschlossen hat, an der sozialen stellvertretenden Parteivorsitzenden Kühn dieser Marktwirtschaft, die vom Altbundeskanzler Erhard Tage eine Niederlage bereiten und dem Landesver- geschaffen worden ist. Das sind doch die Grund- band Nordrhein-Westfalen ihren Willen aufzwingen sätze — — konnten. Nunmehr ist der inquisitorische Fragen- (Abg. Wehner: Sie wollen doch keine Ver- katalog der Jusos in Nordrhein-Westfalen partei- änderung! — Mehrere Abgeordnete der offiziell geworden. Die Nominierung von Kandidaten SPD melden sich zu Zwischenfragen.) soll davon abhängig gemacht werden, ob sie sich entschieden für die Verstaatlichung der Schlüssel- industrien und der Banken einsetzen und ob sie Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: bereit sind, sich gegen den Radikalen-Erlaß des Bun- Meine Damen und Herren, der Redner hat mich deskanzlers und der Regierungschefs der Länder wissen lassen, daß er keine weiteren Zwischenfra- einzusetzen. gen mehr zuläßt. Ich frage den Herrn Bundeskanzler, ob er als Vor- sitzender der Partei, der auch Herr Kühn angehört, Dr. Filbinger, Ministerpräsident des Landes derartige Beschlüsse höchster Parteigremien noch Baden-Württemberg: Meine Damen und Herren, ich hinnehmen kann. Nach diesem Befragungskatalog habe das Stichwort von der „Verknorpelung" auf- der SPD für Nordrhein-Westfalen könnte auch der gegriffen, und ich habe davor gewarnt, solche For- Parteivorsitzende Brandt als Kandidat nicht mehr in mulierungen zu gebrauchen. Denn es kommt darauf Frage kommen, es sei denn, er zöge seine Unter- an, in der Auseinandersetzung des Tages und durch schrift unter die Vereinbarung mit den Länderchefs sie hindurch die tieferen Auseinandersetzungen zu gegen die Radikalen im öffentlichen Dienst zurück. erspüren, in denen es um die Veränderung unseres Systems geht. Hier ist Genauigkeit, auch sprach- Hier im Deutschen Bundestag ergreifen die Sozial- liche Genauigkeit sehr vonnöten. Wenn man der demokraten das Wort, die sich zum Grundgesetz be- Marktwirtschaft und dem Rechtsstaat Frischluftzu- kennen. Auf Parteitagen der SPD und vor allem auf fuhr wünscht, so klingt das zwar so, als solle die Juso-Kongressen reden die anderen, und es ist eine Substanz erhalten bleiben. Wird aber dadurch nicht grundsätzlich andere Sprache, die hier und die dort ein Signal für die Linken gesetzt, die allzugern gesprochen wird. Das ist das Problem der SPD. Aber solche Signale verstehen und aufgreifen oder der es ist eben nicht allein das Problem der SPD, es ist Meinung sein könnten, daß hier für sie ein Tor auf- auch das Problem dieser unserer Republik. gemacht wird? Ich sage mit großer Betonung: Wir (Beifall bei der CDU/CSU.) reagieren empfindlich auf alles, was nach System- Ich stimme dem Minister Genscher zu, daß es die veränderung aussieht. Wir haben einen langen und Aufgabe der Parteien ist, die Jugend an die Verfas- dornenvollen Weg bis zu diesem sozialen Rechts- sung heranzuführen. Diese Aufgabe hat die SPD be- staat zurücklegen müssen, und wir wollen diesen züglich eines wesentlichen Teils ihres Parteinach- Weg nicht noch einmal gehen. Das würde aber wuchses bis heute nicht gelöst. Solange es der SPD unweigerlich dann eintreten, wenn wir diesen nicht gelingt, ihre vom Boden des Grundgesetzes Staat, den Rechtsstaat, das Eigentum, die Markt- wirtschaft zur Disposition stellten. Wer Teile der wegstrebenden Kräfte zu binden, kann die Frage dieser Debatte nach dem Konsens über das Grund- Verfassung tangiert oder gar preisgibt, der gibt das gesetz nicht positiv beantwortet werden. Ganze preis; denn die Freiheit, so wie wir sie ver- stehen, hat nur Bestand, wenn sie ganz und ohne (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der Abstriche erhalten wird. SPD: Märchenstunde!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5067

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: beschränkt das Verfassungsproblem auf die Be- Das Wort hat Herr Abgeordneter Dürr. kämpfung des linken Extremismus. Einseitig hervor- gehoben werden die bewahrenden, beharrenden, Dürr (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und konservativen Elemente der Verfassung. Das Grund- Herren! In der Debatte zur Lage der Nation hat gesetz wird nur noch als Instrument zur Zementie- Herr Kollege Dr. Abelein das Verhältnis von SPD rung des gesellschaftlichen Status quo gesehen, und Regierung zum Bundesverfassungsgericht mit nur noch als statische Ordnung. dem des Götz von Berlichingen zum deutschen Kai- Diese Sicht, meine Damen und Herren von der ser verglichen. Er hat damit bewiesen, daß unter Union, hat Schlagseite. Sie ist unvollständig und den zahlreichen Deutschen, die von Goethes Götz deswegen schlichtweg falsch. Nach dem Grund- nur eine Aufforderung von sechs Worten und kein gesetz erschöpfen sich die Aufgaben des Staates Wort mehr kennen, auch ein ordentlicher Profes- nicht in der Abwehr, dem Schutz, dem Zurück- sor ist. Über Götzens Verhältnis zum Kaiser steht drängen von Bewegungen. Das Grundgesetz ent- aber in der letzten Szene mehr, das hätte Herr hält auch dynamische Elemente, vor allem das Abelein nachlesen können. Da ruft der Götz aus Sozialstaatsprinzip, das bezeichnenderweise im An- dem Fenster: trag der Unionsfraktion nicht vorkommt. (Abg. Stücklen: Vorsicht!) Ihre Sicht, meine Damen und Herren von der Sag deinem Hauptmann, vor Ihro Kaiserlicher Union, ist die des formalisierten Rechtsstaats, un- Majestät hab ich wie immer schuldigen Re- sere die des materialen sozialen Rechtsstaats. spekt. (Beifall bei der SPD.) Schuldiger Respekt — damit hat Herr Abelein, der An dieser Stelle hatte ich eigentlich entschiedene es ganz anders meinte, das Verhältnis von SPD und Pfui-Rufe und tiefe Betroffenheit des Ministerpräsi- Regierung zum Bundesverfassungsgericht ohne denten von Baden-Württemberg erwartet. Wissen Zweifel zutreffend wiedergegeben. Sie, warum? Weil ich nämlich mit anderen Worten (Beifall bei der SPD.) genau das gleiche gesagt habe wie , Dieser Respekt vor dem Bundesverfassungsge- den Sie wegen seiner Formulierung so kritisiert richt verbietet es uns, Entscheidungen des Bundes- haben. Pfui-Rufe dürfen jetzt nachgeholt werden. verfassungsgerichts als Handorakel zu benutzen, - (Beifall und Heiterkeit bei den Regierungs das man gebraucht, wenn es paßt, und in das man parteien. — Lachen und Zurufe bei der nicht reinschaut, wenn es nicht paßt. Dieser Re- CDU/CSU.) spekt vor dem Bundesverfassungsgericht und Grund- Nun gestatten Sie mir eine Bemerkung zur Debat gesetz verbietet es uns zu schweigen, wenn jemand tenmethodik des Herrn Dregger. Wir Sozialdemo- so tut, als wäre seine Partei die Verfassungspartei. kraten bitten Herrn Dregger sehr herzlich, einen Und aus Respekt vor dem Grundgesetz werden wir Mann wie Friedrich Ebert nicht für seine deutsch- heute mit aller Deutlichkeit darlegen, mit welchen nationale Argumentation beschlagnahmen zu wol- Taschenspielertricks Unionspolitiker versuchen, len. den demokratischen Sozialismus als grundgesetz- (Beifall bei der SPD.) widrig hinzustellen. Herr Dregger, bitte treiben Sie keinen politischen Ahnenkult mit Vätern der Demokratie wie Friedrich Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ebert und Otto Wels, von denen Sie bestimmt nicht des Herrn Abgeordneten Jäger? abstammen. (Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Und Dürr (SPD) : Nein. Ich bitte Herrn Jäger, mir zu wie ist es mit Rosa Luxemburg?) gestatten, erst einmal den ersten Gedanken auszu- — Herr Kollege Stücklen, wenn diese Rosa Luxem- führen, bevor er mit Zwischenfragen anfängt. In burg nichts anderes gesagt hätte als den Satz, daß fünf Minuten haben Sie mehr Chancen, Herr Kol- Freiheit nicht nur Freiheit für die Regierungspar- lege Jäger. teien, sondern immer Freiheit für die Andersdenken- Wer Respekt vor dem Grundgesetz hat, darf un- den sei, dann hätte sie schon deshalb verdient, auf sere Verfassung nicht als parteipolitisches Kampf- eine Briefmarke zu kommen. mittel mißbrauchen. (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der (Beifall bei den Regierungsparteien. — CDU/CSU. — Abg. Dr. Müller [München] Zuruf von der CDU/CSU: Wer tut das meldet sich zu einer Zwischenfrage.) denn?) Vorsorglich erkläre ich, daß ich dem Herrn Dr. Mül- Der Antrag und die Debattenstrategie der Oppo- ler (München) keine Zwischenfrage gestatte sition machen deutlich, daß Ihr Verfassungsver- (Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/ ständnis Schlagseite hat. CSU. — Abg. Dr. Müller [München] : Feig (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Ei!) ling! — Abg. Dr. Wörner: Halten Sie das für den Ausdruck Ihres Demokratiever Sie hatten eine Verfassungsdebatte angekündigt, ständnisses? — Abg. Franke [Osnabrück]:: wollen nun daraus eine Verfassungsschutzdebatte Sie haben wohl etwas gegen Parteiwechs machen. Ihr Antrag ist geprägt von einer eher ver- ler! — Abg. Wehner: Der muß sein Honorar fassungspolizeilichen Sicht des Grundgesetzes. Er verdienen!) 5068 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dürr Ich war bei Herrn Dregger. Was mich bei ihm und noch im Dezember zutiefst bestürzend fand, aus dem seiner Methode bedrückt — nicht ärgert —, ist ein- Munde des Bundesfinanzministers öffentlich zu hö- fach die Tatsache, daß für jeden, der sich ein wenig ren, daß die Marktwirtschaft eigentlich kein Gebot für die Geschichte des 20. Jahrhunderts interessiert, unserer Verfassung sei. Ende Januar hatte Helmut bei ihm die Methode des „Schlag nach bei Alfred Kohl bereits erheblich zurückgesteckt und behaup- Hugenberg" gar zu deutlich durchkommt. tete nur noch, die soziale Marktwirtschaft sei ein Teil der lebenden Verfassung. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu- ruf von der CDU/CSU: Das war aber weit So weit im geistigen Fortschritt ist der Herr stell- hergeholt!) vertretende CDU-Vorsitzende Dr. Filbinger noch nicht, der, von Kollegin Däubler-Gmelin um kon- Zur Verbesserung seines Verfassungsverständnis- krete Angaben aus der Mappe gebeten, die Forde- ses sei ihm und allen hier im Hause gesagt: „Der rung nach Verstaatlichung der Banken als verfas- Staat des Grundgesetzes ist planender, lenkender, sungsrechtlich problematisch bezeichnet hat. Herr leistender, verteilender, individuelles wie soziales Dr. Filbinger, ich kann nicht annehmen, daß Sie es Leben erst ermöglichender Staat, und dies ist ihm als gelernter Jurist nicht besser wissen. Um so durch die Formel vom sozialen Rechtsstaat von Ver- schlimmer, daß Sie so etwas hier sagen! fassungs wegen als Aufgabe gestellt." — Das stammt gar nicht von einem Sozialdemokraten, sondern von (Beifall bei der SPD.) dem Staatsrechtler Konrad Hesse. Von diesem akti- Allen — und Herrn Dr. Filbinger insbesondere — ven, gestaltenden, zukunftsgerichteten Element un- ins Stammbuch, daß das Bundesverfassungsgericht serer Verfassung steht im Antrag der CDU nichts, seine Feststellung, die gegenwärtige Wirtschafts- nicht einmal eine Andeutung. Die CDU/CSU, die das und Sozialordnung sei zwar eine nach dem Grund- Grundgesetz oder zumindest sein richtiges Verständ- gesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die nis für sich gepachtet haben will, ist also nachweis- allein mögliche, immerhin schon vor zwanzig Jah- lich konservativer als das Grundgesetz. ren getroffen hat. Ich frage die CDU/CSU: Will sie (Beifall bei der SPD.) nicht auf Grund neuer Erkenntnisse Punkt 8 ihres Antrages schleunigst zurückziehen oder durch eine Das Prinzip des sozialen Rechtsstaats enthält zwar angemessenere Formulierung ersetzen? für den Gesetzgeber einen verbindlichen Auftrag, gibt aber keine Richtlinien für seine Erfüllung im Daß sich das Grundgesetz nicht für ein bestimm- einzelnen. Richtlinien, Orientierungsdaten und Leit- tes Wirtschaftssystem entschieden hat, darf nicht im bilder für die sozialstaatliche Gestaltung der Gesell- Sinne einer bloßen Fehlanzeige verstanden werden. schaft sind die Grundrechte. Diese Grundrechte sind Die Väter unserer Verfassung haben sich einer sol- in erster Linie dazu bestimmt, den Freiheitsbereich chen Feststellung bewußt enthalten, weil sie die des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt Frage der Gestaltung des Wirtschaftssystems der zu sichern. Sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen offenen politischen Auseinandersetzung überlassen den Staat, aber sie sind nicht nur das. Dieses Grund- wollten. gesetz will keine wertneutrale Ordnung sein. In Wann wird die CDU/CSU anfangen, von dieser seinem Grundrechtsabschnitt ist auch eine objektive positiven Gewährleistung freier Auseinandersetzung Wertordnung aufgerichtet. wieder einmal Gebrauch zu machen? Sie hat doch ihr Diese Wertmaßstäbe lassen einen weiten Raum wirtschaftspolitisches Selbstverständnis seit Mitte für politische Gestaltungen, für unterschiedliche So- der fünfziger Jahre nicht mehr hinterfragt, dadurch zialstaatsmodelle. Sie lassen Raum für den demo- eine große Kapitalismus-Kritik hervorgerufen, und kratischen Sozialismus im Sinne des Godesberger jetzt entrüstet sie sich über die von links kommende Programms wie für sozialistische Vorstellungen, die Kapitalismus-Kritik. Wo in der CDU gibt es Leute, nicht in die SPD passen. Sie lassen Raum für den die die Mitglieder der Traditionskompanie Ludwig Liberalismus der Freiburger Thesen der FDP wie für Erhard darauf aufmerksam machen, daß Traditions- die katholische Soziallehre wie für die Vorstellun- hüter, ohne es zu wollen, leicht zu Museumswäch- gen der CDU von sozialer Marktwirtschaft, die man tern werden können? allerdings in ihren Facetten von Blüm bis Dregger Ich finde, man sollte das Wort „Marktwirtschaft" einmal genauer beleuchten müßte. Unter dieser — besser durch „Wettbewerbswirtschaft" ersetzen, wie sagt man doch bei der CDU? — Markenartikel- weil damit ,der Motor bezeichnet ist, der das Gefährt bezeichnung verbirgt sich nämlich vieles an sozial antreiben sollte. Es ist doch mehr als bezeichnend, verbrämtem Kapitalismus Baujahr 1948, der einer daß die zur Gewährleistung von mehr Wettbewerb gedanklichen Generalinspektion mehr als dringend dringend erforderliche Verbesserung unseres Kar- bedarf. — Sie winken ab, Herr Professor Erhard. Es tellgesetzes nicht in den zwanzig Jahren unter CDU- war auch gar kein Vorwurf gegen Sie. Die General- Kanzlern beschlossen, sondern erst von der sozial- inspektion hätten die CDU-Politiker der nach Ihnen liberalen Koalition durchgesetzt wurde. folgenden Generation vornehmen müssen, und die trifft mein Vorwurf. (Beifall bei ,der SPD.) (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Herr Präsident, ich hatte dem Abgeordneten Jä- Dr. Carstens [Fehmarn] : Beweis!) ger (Wangen) die spätere Beantwortung einer Zwi- An der Spitze der CDU hat man sich über ihr ge- schenfrage zugesagt; ich wäre bereit, wenn er es sellschaftspolitisches Glanzstück so wenig Gedanken jetzt noch wünscht. gemacht, daß es der Parteivorsitzende Dr. Kohl (Lachen bei der CDU/CSU.) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5069

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: — noch mehr bedrückt oder, wie es heute neudeutsch l Bitte, Herr Abgeordneter Jäger. heißt, down. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Jäger (Wangen) (CDU/CSU): Herr Kollege Dürr, Aber schauen Sie, gerade weil ich heute morgen der Punkt, zu dem ich fragen wollte, mag vielleicht da war, bei dem einen oder anderen inzwischen in Verges- (Abg. Dr. Dregger: Dann könnten Sie das senheit geraten sein. Ich möchte aber, nachdem Sie alles nicht sagen!) mich so freundlich auffordern, jetzt dennoch meine Frage stellen. Sie haben vorhin — ich darf das in will ich jetzt für Sie und für Herrn Dr. Jenninger Erinnerung rufen — die Frage gestellt, ob nicht ein Privatissimum lesen, langsam zum Mitschrei- Herr Kollege Professor Abelein mit seinem Zitat ben, weil ich den Eindruck habe, es ist immer noch aus dem Schauspiel „Götz" von Wolfgang von nicht klar genug. Goethe mißbräuchlich und irrtümlich zitiert habe. Ich möchte jetzt an Sie die Frage stellen, ob Ihnen Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: denn bei der Beurteilung dieses Zitats des Kollegen Herr Abgeordneter Dürr, würden Sie vor dem Abelein entgangen ist, daß der Kollege Abelein Privatissimum noch eine Zwischenfrage des Herrn genau das damit gemeint hat, was Sie durch Ihre Abgeordneten Gallus zulassen? eigene Äußerung bestätigt haben, nämlich daß der Respekt vor dem Kaiser — sprich hier: vor dem (Heiterkeit bei ,der CDU/CSU.) Bundesverfassungsgericht — ein reines Lippenbe- kenntnis ist, wenn man nicht auch dem Hauptmann Dürr (SPD) : Aus landsmannschaftlicher Verbun- — sprich: dem konkreten Urteil — durch praktische denheit sehr gern! Befolgung seinen Respekt zollt. (Beifall bei der CDU/CSU.) Gallus (FDP) : Herr Kollege Dürr, können Sie mir als Landsmann aus Baden-Württemberg hier bestätigen, daß das Volk von Baden-Württemberg Dürr (SPD) : Die Frage war zwar sehr lang, aber im allgemeinen wesentlich besser ist als die Rede, leicht zu beantworten. Herr Kollege Jäger, die Sache die sein Ministerpräsident hier gehalten hat? ist so: Nach dem Hören von Kollegen Abeleins Rede habe ich sie nachgelesen und habe mir dabei die (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs- Frage vorgelegt, ob er nicht das gedacht haben parteien und Zurufe von der CDU/CSU.) könne, was Sie ihm wohlwollenderweise unterstel- len. Aber in dem Zusammenhang, in dem er es ge- Dürr (SPD) : Das kann ich vollinhaltlich bestäti- sagt hat, oder neudeutsch gesprochen — im Kon- gen. text ist es einfach unmöglich. An die Aufforderung, (Lachen bei der SPD.) der niemand nachzukommen braucht, hat er gedacht! Herr Dr. Dregger und Herr Dr. Jenninger, im Jetzt vom germanistischen Seminar zurück zu Godesberger Programm der Sozialdemokraten steht wirtschaftspolitischen Erwägungen. Diese Union, die — ich zitiere wörtlich —: von dem verfassungspolitisch gewährleisteten poli- Sozialismus wird nur durch die Demokratie tischen Spielraum während ihrer Regierungszeit verwirklicht, die Demokratie durch den Sozia- sparsamen Gebrauch gemacht hat, versucht nun, aus lismus erfüllt. der Oppositionsposition heraus, den warnenden Zeigefinger zu erheben und zu behaupten, ,dieser (Abg. Dr. Dregger: Anders geht es also Freiraum sei für ihre CDU/CSU-Wirtschafts- und nicht? — Weitere Zurufe von der CDU/ Gesellschaftsvorstellungen vorbehalten und dürfe CSU: Ausschließlichkeitsanspruch!) um Himmels willen nicht von anderen, insbesondere — Sie sind im Reden auch größer als im Zuhören. nicht von den Anhängern des Godesberger Pro- Hätten Sie die Freundlichkeit, mich noch drei Sätze gramm der SPD, ausgefüllt werden. Das ist es doch, sagen zu lassen, erübrigte sich vielleicht Ihr Zwi- was Sie, meine Damen und Herren — — schenruf. — Was heißt das? Das heißt, daß ein an- (Abg. Dr. Dregger: Haben Sie heute mor- derer als der demokratische Weg für Sozialdemo- gen gefehlt?) kraten nicht gangbar ist; er ist auch nach unserer Verfassung nicht zulässig und würde auf den Wider- — Nein, ich habe mich rechtschaffen über Sie ge- stand aller demokratischen Sozialisten stoßen, weil ärgert die Einführung des Sozialismus mit Hilfe totalitärer (Abg. Dr. Dregger: Haben Sie geschlafen?) und autoritärer Herrschaft die Würde des Menschen mißachten, seine Freiheit vernichten und das Recht und war, wie ich Ihnen sagte, über die Art, wie Sie zerstören würde. Deshalb heißt es: Sozialismus wird hier — und, wie ich vermute, im Akzent noch deut- nur durch die Demokratie verwirklicht. licher im Lande — sprechen, bedrückt. Bloß vorhin war ich — weil das landsmannschaftliche Verbun- (Beifall bei der SPD.) denheitsgefühl Ihnen gegenüber nicht da ist, aber Und danach heißt es: Die Demokratie wird durch gegenüber einem Ministerpräsidenten, der mein den Sozialismus erfüllt. Das heißt, daß wir den Bundesland Baden-Württemberg in dieser Weise, demokratischen Sozialismus als die gemäße, nach die ich nicht näher qualifizieren will, repräsentiert unserer Meinung beste Erfüllung der Demokratie 5070 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Dürr ansehen. Andere Gruppen mögen andere Pläne ha- ist halb gewonnen" aus dem Sprachschatz der CDU- ben, wie sie die Demokratie erfüllen wollen. In Redner in Zukunft — zumindest in diesem Hohen diesem Satz des Godesberger Programms liegt keine Hause, aber hoffentlich auch draußen im Lande — Absage an die plurale Gesellschaft, sondern ihre zu verbannen. Bejahung. (Beifall bei der SPD.) (Beifall bei der SPD.) Das Beispiel dieser Fälschung zeigt, daß die Oppo- Und wie bewältigt nun Herr Dr. Helmut Kohl sition versucht, mit allen Mitteln statt einer poli- diese Problematik? In seinem Aufsatz in der „Deut- tischen Auseinandersetzung fälschlicherweise eine schen Zeitung" vom 8. Februar 1974 heißt es — ich verfassungsrechtliche Auseinandersetzung zu füh- zitiere —: ren. Sie erweckt den Eindruck, als verlaufe die In der parteilichen Demokratie der Sozialisten Frontlinie zwischen den Parteien entlang der Ver- steht die Opposition im Abseits. Genau das ist fassung. Das bedeutet Diffamierung statt politische der tiefere Sinn der sozialdemokratischen Auseinandersetzung. Grundüberzeugung, daß Demokratie nur im (Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: Soll Sozialismus verwirklicht werden kann. Große es auch!) Teile der SPD stört es offenbar wenig, daß die- Das heißt auch: mit einem solchen Gegner braucht ser ihr Demokratiebegriff mit dem Konzept man sich dann nicht mehr politisch auseinanderzu- einer freien und pluralistischen Gesellschaft, das setzen, ein solcher Gegner muß aus dieser Sicht unserer Verfassung zugrunde liegt, unvereinbar vielmehr folgerichtig mit allen staatlichen Zwangs- ist. mitteln, einschließlich des Kammerjägers, bekämpft (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Herr Dregger, werden. haben Sie es jetzt begriffen?) (Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Stücklen: Herr Dregger zitierte genauso falsch. Er sagte, Das ist ja: Husch, Husch, weggetreten! — Demokratie werde erst durch den Sozialismus Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist erfüllt; so stehe es im Godesberger Programm. Und reine Phantasie!) er zieht daraus genau die gleichen Folgerungen wie Dagegen gilt es festzuhalten, daß die zwischen den Herr Kohl. Parteien des Deutschen Bundestages anstehenden (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Er hat abge-- Streitfragen solche politischer, teils verfassungs- schrieben!) politischer Natur sind. Das verfassungspolitische Die Gedankengebäude der Herren Kohl und Dreg- Grundproblem ist die Frage, ob man Demokratie ger sind Kartenhäuser, die auf einem gefälschten einseitig als Staatsform auffaßt — so wohl die Zitat beruhen. Opposition — oder ob man, wie wir, sie als dar- (Beifall bei der SPD.) über hinausgehende Lebensordnung versteht. Im Godesberger Programm heißt es nämlich, die (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Übergangs Demokratie werde durch den Sozialismus erfüllt. form!) Statt dessen zitiert Herr Kohl als angeblich sozial- Dem demokratischen Sozialismus liegt die Überzeu- demokratische Grundüberzeugung, sie werde nur gung zugrunde, daß politische Demokratie der Ab- im Sozialismus verwirklicht werden können, und stützung durch demokratische Strukturen im ge- Herr Dregger zitiert, daß die Demokratie erst durch sellschaftlichen Bereich bedarf, den Sozialismus erfüllt werde. (Beifall bei der SPD) daß es insbesondere auch in der Wirtschaft demo- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Herr Abgeordneter Dürr, gestatten Sie eine Zwi- kratische Strukturen geben muß. Wie sonst soll schenfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg? jemand politisch mündig handeln können, wenn er während der überwiegenden Zeit des Tages, der Arbeitszeit, als unmündiges Befehlsobjekt behan- Dürr (SPD) : Nein, meine Redezeit geht zu Ende. — Die Herren Dr. Kohl und Dregger stehen mit delt wird?! Mitgestaltung und Mitbestimmung am Arbeitsplatz und im Betrieb, Humanisierung der dieser Zitatfälschung leider nicht allein. Arbeitswelt werden deshalb von uns Sozialdemo- (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: So ist es!) kraten für eine besonders vordringliche Aufgabe Im Laufe der Jahre haben die Herren Dufhues, von angesehen. Guttenberg, von Weizsäcker, und Bie- (Zuruf von der CDU/CSU: Deswegen die denkopf nachweislich den genau gleichen Trick an- Einführung der Wahlmänner! — Abg. Dr. gewendet. Diejenigen, die das Grundgesetz für Carstens [Fehmarn] : Sehr gut! Genau das sich pachten wollen, bedienen sich der Fälschung, richtige Mittel dazu!) um uns Sozialdemokraten Pachtabsichten auf das Grundgesetz zu unterstellen. Aufbauend auf Gedanken der Professoren Schelsky und Hennis hat nun der Herr Kollege Pro- (Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Es fessor Klein gesagt — ich zitiere —, die revolu- geht nichts über einen alten Sozialdemo- tionäre Forderung nach einer Demokratisierung der kraten!) Gesellschaft bilde eine radikale Alternative zur Ich hoffe, daß dieses Privatissimum vielleicht ein Position des Grundgesetzes. Und Professor Klein wenig dazu beiträgt, die Methode „Falsch zitiert, behauptet ferner die sich zumindest abzeichnende, Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5071

Dürr wenn nicht vollzogene kopernikanische Wende im schaftung durch ein Gesetz, das Art und Aus- Verhältnis der SPD zur geltenden Verfassung bilde maß der Entschädigung regelt .. . den Anlaß der von der Opposition initiierten Ver- Das ist genau der Wortlaut des Grundgesetzes. fassungsdebatte. Falsch zitiert ist halb gewonnen: Das scheint jeden- (Oh-Rufe bei der SPD. — Abg. Stücklen: falls der Punkt zu sein, bei dem Sie hier falsch zitiert Der ist gut, der Professor Klein!) haben. — Sie meinen, Herr Stücklen, er sei gut. Ich finde (Beifall bei der CDU/CSU.) — und da unterscheide ich mich von Ihnen —, Herr Meine Damen und Herren, noch einmal zu der Professor Klein kommt mit seinem Angriff auf das Kontroverse um das sozialdemokratische Grundsatz- vor 15 Jahren beschlossene Godesberger Programm programm und das Zitat „Die Demokratie wird durch reichlich spät. Er scheint die Zwischenzeit im geisti- den Sozialismus erfüllt". Das ist ja nun wohl korrekt gen Tiefschlaf verbracht zu haben. zitiert. Was verstehen Sie unter „erfüllt"? Der Bun- (Beifall bei den Regierungsparteien.) deskanzler hat unter Berufung auf Herrn Kreisky davon gesprochen, daß Sozialismus vollendete De- Die Opposition, so behauptete Kollege Klein, sei zur mokratie sei. Meine Damen und Herren, wenn es Führung dieser Debatte um so mehr verpflichtet, als ein Demokratiegebot gibt, ist auch das Demokratie- die mangelnde Verfassungstreue sozialdemokrati- gebot ein beständiger und nie zu Ende bringender scher Politik in Bund und Ländern das war also Verfassungsauftrag dieses Grundgesetzes. Ich Filbinger, gehobene Ausgabe, aber in gleichem Sin- glaube, auch das sollte heute nachmittag in dieser ne — in immer mehr Einzelfragen erkennbar werde, Debatte deutlich sein. und er spricht sogar von der zweifelhaft gewordenen (Beifall bei der CDU/CSU.) Verfassungstreue maßgebender Kreise der SPD. Wir haben diese Debatte nicht beantragt, um Meine Damen und Herren, auf alle diese Ver- Sonntagsreden über Demokratie und Sonntagsreden suche, den gemeinsamen Boden aller demokratischen über das Grundgesetz zu hören. Die Tatsache, daß Parteien so zu verschieben, daß der Eindruck ent- der Bundesinnenminister hier eine sicher sehr schöne steht und entstehen soll — nach Ihrer Meinung —, Rede über die Verfassung der Bundesrepublik die Sozialdemokratische Partei stehe außerhalb da- Deutschland gehalten hat, aber inzwischen nicht von, gibt es keine deutlichere und würdigere Ant- mehr anwesend ist, zeigt doch, wie sehr das als ein wort als die Worte Adolf Arndts aus dem Jahre Auftrag angesehen wird, hier eine Sonntagsrede zu 1958: halten. Politik ist nur möglich mit dem Wert und in der (Beifall bei der CDU/CSU.) Zielsetzung, wenigstens Ansätze zur Gemein- schaft zu bilden; ein anderes Verhalten sollte Uns geht es um die Frage, ob das Selbstverständnis, nicht mehr Politik genannt werden, sondern das Verfassungsverständnis der Demokraten in die- glaubens- und gnadenlose Vorbereitung des sem Lande noch in Ordnung ist, wo Bereiche sind, Vernichtens. die Sorgen bereiten, und wo wir der Auffassung (Beifall bei der SPD.) sind, daß die Parteien dieses Hohen Hauses sehr deutlich und sehr klar sagen müssen, wo die Gren- Wenn sich die Opposition dieses Wort überlegt zen sind. Davon hören wir heute zum Teil relativ und wenn sie diese Ansätze wieder besser sieht, als wenig. Statt dessen wird auf Dinge ausgewichen, Herr Dregger sie heute gesehen hat, dann haben wir die sicherlich auch wichtig sind, wenn wir über das hier im Bundestag auch besser Gelegenheit zur wirk- Grundgesetz debattieren, die aber nicht die Fragen lichen politischen Auseinandersetzung. Die wich- sind, die im Augenblick den Menschen in unserem tigste Frage für die politische Auseinandersetzung in Lande Sorgen bereiten. diesen Jahren ist doch das Problem „Gesellschaft Wir, die Christlichen Demokraten, bekennen uns und Demokratie". Die Opposition ist zu einer Demo- uneingeschränkt zu den verfassungsmäßigen Ge- kratisierungsdebatte in diesem Hohen Hause stets staltungsaufgaben des Grundgesetzes, Aufgaben, herzlich eingeladen. die sich aus dem Demokratiegebot, dem Sozialstaats- (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der gebot und dem Rechtsstaatsgebot ergeben, und ich CDU/CSU.) nehme gerne auch das Bundesstaatsgebot hinzu, weil Herr Kollege Schäfer dazu einiges ausgeführt

Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: hat, was ich unterstreichen möchte, was aber doch Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel. in einem Widerspruch zu dem steht, was der Kol- lege Dürr schriftlich von sich gegeben hat. Er hat Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Herr Präsident! der Christlich Demokratischen Union parteipoliti- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige sche Instrumentalisierung des Bundesrates vorge- Vorbemerkungen zu der Frage „Falsch zitiert worfen. Wenn wir anerkennen, daß dieser Bundes- ist halb gewonnen". Wir haben heute nachmittag rat im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik einige Äußerungen zum Thema der Verstaatlichung Deutschland ein Element der Gewaltenteilung ist, von Banken und Versicherungen gehabt. Artikel 15 dann gehört eben auch dazu, daß die Mehrheits- des Grundgesetzes, den Sie hier zitieren könnten, verhältnisse im Bundesrat auf die gesamte Politik meine Damen und Herren, heißt: in der Bundesrepublik Deutschland durchschlagen. Grund und Boden, Naturschätze und Produk- (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des tionsmittel können zum Zwecke der Vergesell- Abg. Geiger.) 5072 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Vogel (Ennepetal) Wir möchten allen Versuchen, das Grundgesetz daß in der Bundesrepublik Deutschland noch nie einseitig in den Dienst einer Ideologie zu stellen, mehr Sozialstaat verwirklicht worden ist als in der eine Absage erteilen. Ich sage bewußt: allen Ver- Zeit von 1948 bis 1969. suchen, weil dieses Grundgesetz von der prinzi- (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. piellen Offenheit für alternative politische Pro- Schäfer [Tübingen]:: Ach so! — Weitere Zu gramme getragen ist. Insofern ist dieses Grundge- rufe von der SPD.) setz sicherlich nicht nur staatliches Organisations- statut. Es ist ebensowenig eine säkularisierte Heils- Sie, meine Damen und Herren, werden sich eines ordnung, sondern prinzipiell offen für alternative Tages daran messen lassen müssen, wieviel an So- politische Programme. zialstaat Sie verwirklicht haben. Der Herr Kollege Dürr hat versucht — wiederum (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Richtig!) versucht —, den Rechtsstaat gegen den Sozialstaat auszuspielen, hat uns zu unterstellen versucht Ich will jetzt gar nicht wegen des derzeitigen Zu- was ich zurückweise, weil es nicht stimmt —, wir stands polemisieren, in dem sich die Bundesrepublik hätten ein Verständnis von einem formalisierten Deutschland befindet, und auch nicht wegen der so- Rechtsstaat; er hat dem das sozialdemokratische zialen Situation, die derzeit in dieser Bundesrepu- Verständnis von einem materialen Sozialstaat ge- blik Deutschland gegeben ist. Aber auch Sie wer- genübergestellt. Wer so und in solchen Gegen- den eine Erfahrung machen, nämlich daß mit dem sätzlichkeiten das Grundgesetz sieht, hat eben ein Gang der Entwicklung neue Probleme auftauchen, falsches Verfassungsverständnis. Der Sozialstaat daß diese neuen Probleme neue Anforderungen stel- darf nicht gegen den Rechtsstaat, die Gleichheit len und daß neue Lösungen dafür gefunden werden nicht gegen die Freiheit ausgespielt werden. Die müssen. Sie werden, wenn Sie eines Tages die Ver- Wertziele unserer Verfassung müssen gleichwertig antwortung abgeben müssen, festellen, daß auch Sie und ausgewogen verwirklicht werden. Insoweit gibt viele ungelöste Probleme hinterlassen werden. es keinen Gegensatz zu dem, was z. B. der Bundes-

innenminister hier vorgetragen hat. Wir müssen Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: uns aber verwahren gegen den Vorwurf einer ver- Herr Abgeordneter Vogel, gestatten Sie eine Zwi- fassungsgefährdenden Oppositionsstrategie, wenn schenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi? wir einen solchen Antrag wie den hier heute vor- liegenden im Bundestag einbringen. Und wir müs- - sen uns verwahren gegen den Vorwurf des Miß- Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) : Bitte sehr! brauchs des Grundgesetzes als Waffe im partei- politischen Kampf, wenn wir Sorgen hier im Bundes- Conradi (SPD) : Herr Kollege, könnten Sie uns tag zur Sprache bringen, die viele Menschen in an Stelle von Allgemeinheiten ein konkretes Bei- diesem Lande haben. spiel dafür nennen, wie Ihre Partei die Sozialpflich- (Beifall bei der CDU/CSU.) tigkeit etwa des Bodeneigentums in den 20 Jahren Ihrer Regierungszeit verwirklicht hat? Ein konkre- Wer so redet, setzt sich dem Verdacht aus, das tes Beispiel an Stelle von Plattitüden! Tischtuch zwischen den Demokraten zerschneiden zu wollen. Wer unseren Antrag zum Anlaß nimmt, uns ein Ausbrechen aus der Gemeinschaft der De- Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) : Ich will Ihnen mokraten vorzuwerfen — wie Herr von Oertzen es eines sagen: Wenn Sie die Fülle von Möglichkeiten getan hat —, zerstört mutwillig diese Gemeinschaft auch für den kleinen Mann in diesem Lande sehen, der Demokraten in diesem Lande. ein eigenes Haus auf eigenem Grund und Boden zu bauen — — (Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Pfeifer: Wir verlangen von Ihnen, meine Damen und Her- Solange wir regiert haben! — Zurufe von ren von der Koalition, nichts anderes, als daß Sie , der SPD.) Stellung beziehen zu Fragen, die zentrale Fragen des Verfassungsverständnisses in unserem Volke — Ja, ich weiß natürlich, daß das für Sie keine geworden sind, nichts mehr und nichts weniger. Herr Lösung von sozialen Problemen ist, meine Damen Kollege Schäfer, für Sie mag das, was Herr Kol- und Herren. Das gehört aber zu der sozialen Wirk- lege Dregger hier vorgetragen hat, eine Pseudowelt lichkeit der 50er und 60er Jahre. sein. Dann muß ich aber sagen: Schauen Sie bitte (Weitere Zurufe von der SPD und Gegen genauer hin, was im Lande draußen los ist, nicht rufe von der CDU/CSU.) nur an unseren Universitäten, aber vor allem an — unseren Hochschulen! Das mag Ihrem Eigentumsverständnis nicht ent- sprechen. (Zurufe von der SPD.) (Abg. Conradi: Nichts haben Sie getan!) Ich möchte zu einigen Punkten dieser Debatte noch einige wenige Ausführungen machen. Meine Wir sind der Auffassung, daß wir damit auch Frei- Damen und Herren, es ist die Rede davon gewesen, heit in diesem Lande verwirklicht haben, mehr, wie wir den Auftrag des Grundgesetzes zu verste- meine Damen und Herren, als mit den Vorstellun- hen haben. Es ist die Rede davon gewesen, wie der gen, die Sie verbreiten. eine und wie der andere den Sozialstaat-Auftrag die- (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Conradi: ses Grundgesetzes versteht. Ich bin der Auffassung, Sie haben „Fincken-Politik" gemacht!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5073

Vogel (Ennepetal) Herr Ehmke hat auf dem Parteitag in Hannover baus und des verfassungsrechtlich geordneten poli- eine, wie ich meine, sehr richtige Erkenntnis gehabt. tischen Lebens". Sie sind in die Reihe der Integra- Er hat gesagt: Die Lösungslücke wird immer größer, tionsfaktoren im Staate eingerückt, aus dem Bereich die Probleme wachsen schneller als die Lösungsmög- des Politisch-Soziologischen in den Rang einer ver- lichkeiten. Diese Erfahrung werden Sie machen. Ich fassungsrechtlichen Institution erhoben. Damit sind kann Ihnen nur sagen: Sie tun gut daran, sich nicht ihnen besondere Pflichten gegenüber der Verfas- zuviel aufzuladen, wenn Sie Erfolg haben wollen. sungsordnung unseres Staates, ihrer Bewahrung Sonst werden wir eines Tages eine Rechnung auf- und Durchsetzung auferlegt. machen, die Ihnen sehr viel Kummer bereiten wird. Konsequenterweise weist das Bundesverfassungs- (Abg. Frau Dr. Timm: Zu großer Nachhol- gericht im KPD-Urteil darauf hin, daß an der Inkor- bedarf!) poration der Parteien in das Verfassungsgefüge po- Das eigentliche Problem vollzieht sich nahezu un- litisch sinnvoll nur die Parteien teilhaben können, die auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen bemerkt; ich kann es hier nur andeuten, Herr Kol- Grundordnung stehen und bei denen wenigstens lege Schäfer; es wäre einer Diskussion wert. Ich Einmütigkeit in der Bejahung der verfassungsrecht- meine das Problem, wie sich das Grundrechtsver- lichen Grundwerte besteht. Von der Inkorporation ständnis gewandelt hat, das Problem, daß es bei der in das Verfassungsgefüge der streitbaren Demokra- Interpretation Bemühungen gibt, diese in einen pri- vaten und einen öffentlichen Bereich aufzuteilen und tie sind demnach solche politischen Parteien ausge- den öffentlichen Bereich dieser Grundrechte zu ver- schlossen, die verfassungsfeindliche Zielsetzungen gesellschaften. Von daher tauchen eine Fülle von verfolgen und deshalb im Grundgesetz mit dem Eti- Problemen auf. Hier ist allerdings die Frage zu stel- kett „verfassungswidrig" gekennzeichnet werden. len, ob dieses Grundrechtsverständnis noch das des Die Unterscheidung in verfassungstragende und ver- fassungswidrige Parteien zwingt die ersteren in eine Grundgesetzes ist. Solidarität gegenüber den letzteren. Nur wenn und Noch ein Punkt, meine Damen und Herren. Herr soweit diese Solidarität der Demokraten gegenüber Kollege Schäfer war so freundlich, darauf hinzuwei- Verfassungsfeinden wirksam ist, kann die streitbare sen, daß das Bundesverfassungsgericht die Unions- Demokratie darauf vertrauen, daß sie sich im Wege parteien in den vergangenen Jahren auf nicht er- geistiger und politischer Auseinandersetzung gegen- füllte Verpflichtungen der Verfassung aufmerksam über ihren innenpolitischen Feinden behaupten gemacht habe. Ich möchte Sie, Herr Kollege Schäfer kann. — vielleicht nehmen Sie das in Ihren Zitatenschatz Meine Damen und Herren, für mich war interes- auf —, an die Entscheidung des Bundesverfassungs- sant, was der Bundesinnenminister heute nachmittag gerichts bezüglich des niedersächsischen Vorschalt- zu der Frage der Verfassungsfeinde in unserem gesetzes zum Hochschulgesetz erinnern. Lande ausgeführt hat. Wenn ich es richtig verstan- (Abg. Stücklen: Sehr gut!) den habe, hat er gesagt: Die Staatsmacht greift erst ein, wo Verfassungsfeinde gewaltsam auftreten. — Die niedersächsische Regierung weigert sich aus- Ich kann mich erinnern, daß der Bundesinnenmini- drücklich, dieser Entscheidung des Bundesverfas- ster zu anderer Zeit und an anderer Stelle einmal sungsgerichts nachzukommen. darauf hingewiesen hat, daß die Verfassungsfeinde, (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Wir sind hier die auf leisen Sohlen unsere verfassungsmäßige Ord- im Bundestag! — Abg. Seiters: Aber Herr nung zu unterwandern versuchen, schlimmer seien von Oertzen ist da!) als diejenigen, die gewaltsam auftreten. Wir sollten — Ich möchte es Ihnen nur sagen, Herr Kollege uns hier gegen eine Einengung dessen wehren, was Schäfer. Nehmen Sie es in Ihren Zitatenschatz auf. als verfassungsfeindlich angesehen werden muß, Vielleicht ist dies hilfreich auch für das Verständnis weil wir sonst in die Gefahr gerieten, einen weiten dafür, daß nicht alle Probleme auf einmal angepackt Bereich des verfassungswidrigen Angriffs auf un- und ganz sicher nicht auf einmal gelöst werden sere Ordnung zu übersehen. können. Meine Damen und Herren, wir sind mit der NPD fertiggeworden. Ich möchte noch zu einigen Punkten unseres Ent- (Zurufe von der SPD.) schließungsantrages Stellung nehmen. Wenn es in Ziffer 2 unseres Entschließungsantrages heißt: „De- — Wir sind alle gemeinsam mit der NPD fertigge- mokratische Parteien und Verbände dürfen keine ge- worden. meinsame Sache mit Verfassungsfeinden machen", (Abg. Geiger: Fragen Sie nur mal den Herrn dann deshalb, weil das Grundgesetz und die auf Filbinger, wie er mit ihr fertiggeworden ihm beruhende Entwicklung der letzten 25 Jahre vor ist! Er hat sie einverleibt!) allem den politischen Parteien eine hervorragende Rolle bei der Verwirklichung des Verfassungsauf- — Ich kann nur noch einmal betonen: Wir sind mit der NPD fertiggeworden — das gehört zu den ge- trages, vor allem der Verwirklichung des Sozial- staates und des Rechtsstaates, zugewiesen hat. meinsamen Leistungen der Demokraten in diesem Die politischen Parteien sind in der streitbaren De- Lande, und diese Leistung lassen wir uns auch nicht mokratie des Grundgesetzes nicht in eine neutrale nehmen —, weil es in der Solidarität der Demokra- Distanz gegenüber dem Staat entlassen, sondern, ten keine Risse gegeben hat wie das Bundesverfassungsgericht es beschrieben (Zuruf von der SPD: Das haben wir in hat, „integrierende Bestandteile des Verfassungsauf- Baden-Württemberg gemerkt!) 5074 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Vogel (Ennepetal) und weil vor allem CDU und CSU sich ihrer Pflichten nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine jahrelange gegenüber der Verfassung bewußt gewesen und Politik der Beschwichtigung, des Hinnehmens und nicht opportunistischen Versuchungen erlegen sind. des Gewährenlassens diesen Grenzverkehr immer Die NPD ist heute geistig und politisch überwunden. lebhafter werden ließ. Das deutsche Volk kann sich darauf verlassen, daß Meine Damen und Herren, die .Jusos konnten CDU und CSU auch künftig gegenüber jedem verfas- glauben, daß sie recht haben, weil ihnen fast keiner sungsfeindlichen Rechtsradikalismus voll in der Soli- wiedersprochen hat. Nur einige wenige haben wider- darität der Demokraten stehen werden. sprochen. Aber die meisten haben ihnen nicht wi- (Beifall bei der CDU, CSU.) dersprochen. Was wir hier seit Jahren erleben, ist Mit dem verfassungsfeindlichen Linksradikalismus doch wohl das genaue Gegenteil von „geschlosse- sind wir nicht fertig geworden. Wir können das nicht nem und entschlossenem Widerstand gegen die Un- nur an Prozenten abzählen, die am Wahltag errun- terwanderung unserer freiheitlich-demokratischen gen werden, sondern müssen es daran messen, wie Ordnung". Der unentschlossene, halbherzige Kampf, weit der Linksradikalismus im Untergrund dieser selbst führender Sozialdemokraten gegen den Ver- unserer Gesellschaft wirksam ist und wie weit er such von Verfassungsfeinden, in den öffentlichen auf die geistig-politischen Prozesse in diesem Land Dienst einzudringen, und der gemeinsame Kampf Einfluß nimmt. Wir sind mit ihm nicht fertiggewor- vieler Sozialdemokraten und vereinzelter Freier den, weil ihm gegenüber die Solidarität der Demo- Demokraten zusammen mit Kommunisten gegen den kraten brüchig geworden ist. Extremistenerlaß der Ministerpräsidenten zeigen das leider überdeutlich. (Beifall bei der CDU/CSU. - Abg. Seiters: Leider!) Was steckt denn hinter der Forderung nach einem höchsten Maß an Rechtsstaatlichkeit? Dahinter Gegenüber dem verfassungsfeindlichen Linksradika- steckt doch, daß man den materiellen Gehalt dessen, lismus wird die Solidarität der Demokraten von was geltendes Recht ist, abschwächen möchte. Das einer unheilvollen Solidarität der Sozialisten über- hat sich entzündet an der Diskussion über die lagert. Die Schwäche unserer Demokratie heute ist Frage, ob Mitglieder verfassungsfeindlicher Parteien darin begründet, daß demokratische Sozialisten, wie in den öffentlichen Dienst übernommen werden kön- sie sich nennen — und nicht nur sie —, vielfältig nen oder nicht. gemeinsame Sache mi t antidemokratischen, totali- tären Kommunisten machen. Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Vor allem die SPD, aber auch die FDP hat aufge- Herr Abgeordneter Vogel, gestatten Sie eine Zwi- heult, als Herr Carstens, der Fraktionsvorsitzende schenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch? der CDU/CSU, zu Beginn dieses Jahres die CDU/ CSU als die einzige politische Kraft bezeichnete, die Dr. Hirsch (FDP): Herr Kollege Vogel, da wir „geschlossen und entschlossen Widerstand gegen hier über die Verfassung diskutieren, frage ich Sie: die Unterwanderung unserer freiheitlich-demokrati- Würden Sie vielleicht dazu übergehen, uns darzu- schen Ordnung" leiste. Die Wahrheit tut manchmal legen, welche verfassungspolitischen Konsequenzen weh, meine Damen und Herren. Sie muß aber auch Sie aus Ihrer Anschauung ziehen wollen? dann und notfalls immer wieder gesagt werden, wenn sie wehtut. Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) : Sie werden es Niemand von uns übersieht und hat jemals über- hören, Herr Kollege Hirsch. sehen, wie tief verwurzelt das demokratische En- gagement in der SPD und selbstverständlich auch in Meine Damen und Herren, kein opportunistisches der FDP ist und welchen hervorragenden Beitrag Motiv kann diesen seit Bestehen der Bundesrepu- beide Parteien ebenso wie die CDU/CSU zur Ver- blik Deutschland bisher nachhaltigsten Einbruch in wurzelung und Stärkung des demokratischen Staa- die Solidarität der Demokraten rechtfertigen. Es tes in der Bundesrepublik Deutschland geleistet ist leider nicht anmaßend, sondern traurige Wahr- haben. heit, wenn wir feststellen müssen, daß nur noch die Unionsparteien den erforderlichen „geschlos- senen und entschlossenen Widerstand gegen die Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Unterwanderung unserer freiheitlich-demokrati- Herr Abgeordneter Vogel, gestatten Sie eine Zwi- schen Ordnung" leisten. schenfrage des Herrn Abgeordneten Ostman von der Leye? Herr Kollege Hirsch, Sie fragten, welche verfas- sungspolitischen Konsequenzen ich ziehen wolle. Da kann ich nur sagen: verfassungspolitische Kon- Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Nein, im Augen- sequenz sollte sein, daß die Demokraten in diesem blick nicht. Land gemeinsam sagen, wo die Grenzen sind, wo die Aber es wäre nichts als Selbsttäuschung und fal- Übergriffe auf die freiheitliche Ordnung dieses Staa- sche Rücksichtnahme, wenn wir übersehen wollten, tes sind. Wenn sie gemeinsam sagen, daß es ein daß der Grenzverkehr zwischen Sozialdemokraten, imperatives Mandat verfassungsmäßig nicht geben teilweise auch Freien Demokraten auf der einen kann, daß Demokraten mit Verfassungsfeinden, mit und Kommunisten auf der anderen Seite sehr leb- Antidemokraten keine gemeinsame Sache machen haft geworden ist. Die Aktivitäten der sozialdemo- dürfen, kratischen Parteiführung in der letzten Zeit können (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5075 Vogel (Ennepetal) meine Damen und Herren, wenn das die verfas- schaft in einer Aufbauphase und der Wirtschaft in sungspolitische Konsequenz aller hier im Hause einer wäre, dann brauchten wir uns im nächsten Jahr (Zuruf von der CDU/CSU: Abbauphase! — eine solche Debatte nicht mehr zu leisten. Beifall bei der CDU/CSU.) Phase der Marktsättigung sehen? Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Ob wir diese Frage jetzt als eine Verfassungsfrage Herr Abgeordneter Vogel, gestatten Sie noch eine zulassen, das ist doch das Problem! Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ostman von der Leye? Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) : Meine Damen und Herren, eine der zentralen Verfassungsfragen ist, Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) : Bitte, Herr Kol- wie der freiheitliche Anspruch dieses Grundgesetzes lege Ostman von der Leye. verwirklicht werden kann. Für uns gehört dazu auch die soziale Marktwirtschaft. Es mag sein, daß Sie in Freiherr Ostman von der Leye (SPD) : Herr der Abbauphase sozialer Marktwirtschaft damit Kollege Vogel, wären Sie, nachdem Sie doch eine nicht mehr auskommen. Verfassungsdebatte beantragt haben, nun endlich Ich habe vorhin davon gesprochen, wie die Soli- so freundlich, den Unterschied zwischen dem Ver- darität der Demokraten durch den Grenzverkehr fassungsrecht, das wir alle wahren wollen, und der verlorengegangen ist, der zwischen den linken Flü- Wirtschaftspolitik, die Sie hier als Verfassungs- geln der SPD und der FDP und den Kommunisten recht ausgeben, deutlich zu machen? stattfindet. Ich möchte hier nicht verhehlen, daß ich gerade denjenigen unter den freidemokratischen Po- Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Herr Kollege von litikern außerordentlich dankbar bin, die hier durch der Leye, entweder waren Sie heute morgen nicht Wachsamkeit und durch Härte verhindert haben, daß da, als Herr Kollege Dregger den Antrag begrün- das in den Ländern und im Bund zum Prinzip erho- dete, oder Sie haben nicht richtig zugehört, oder Sie ben wird. haben es nicht verstanden. Diese drei Möglichkeiten (Abg. Dr. Dregger: Nicht in allen Ländern!) gibt es. Was schlimmer ist als der Grenzverkehr, ist die (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der geistige Verwirrung, die sich in seinem Gefolge CDU/CSU: Er wollte es nicht verstehen!) breitgemacht hat und ihrerseits eine immer größere Ich meine, daß Herr Kollege Dregger den Zusam- Intensivierung gefördert hat. Sie hat bereits zu einer menhang sehr deutlich dargelegt hat. Wir haben so weitgehenden — ich möchte es einmal so bezeich- nicht für uns in Anspruch genommen, daß das Grund- nen — roten Verfärbung des politischen Grundwas- gesetz einseitig für eine bestimmte wirtschaftliche sers unserer Verfassungsordnung geführt, daß die Ordnung plädiert. Aber Herr Kollege Dregger hat Solidarität der Sozialisten nicht nur mancherorts deutlich gemacht, welcher Zusammenhang zwischen stärker geworden ist als die Solidarität der Demo- den Prinzipien sozialer Marktwirtschaft und den kraten, sondern bereits so sehr das politische Be- Möglichkeiten der Freiheitsverwirklichung in die- wußtsein trägt, daß versucht wird, Nichtsozialisten sem Lande besteht. Meine Damen und Herren, Herr aus unserer Verfassungsordnung hinauszudrängen. Bundeskanzler a. D. sitzt hier unter Ich möchte gar nicht auf das hinweisen, was sich uns. Er ist das beredteste Zeugnis dafür, was an heute morgen hier ergeben hat, als Namen wie Freiheitsverwirklichung in diesem Lande möglich ist. Lübbe und Nipperdey genannt wurden. Allein die Es ist möglich gewesen durch die soziale Markt- Reaktionen sprechen eine Sprache für sich. Aber es wirtschaft Ludwig Erhards, meine Damen und Her- gibt schlimmere Vorgänge in diesem Lande. ren. In Eschborn in Hessen — Herr Ministerpräsident (Beifall bei der CDU/CSU. - Abg. Dr. Schä- Osswald, ein Fall, um die Sie sich vielleicht einmal fer [Tübingen]:: Da gibt es eine sehr inter- kümmern können - hat die Vollversammlung des essante Rede von Herrn Strauß! Kennen Sie Stadtjugendrings am 26. Oktober 1973 mit den Stim- die?) men der Jungsozialisten die Aufnahme der Jungen Union abgelehnt und gleichzeitig die Aufnahme der

Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: SDAJ beschlossen, Herr Abgeordneter Vogel, gestatten Sie eine wei- (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!) tere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ost- man von der Leye? und zwar mit folgender Begründung: die Junge Union befähige junge Menschen nicht zum kritischen Denken und Handeln; sie könne die Interessen der Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) : Bitte sehr! Jugend in der Öffentlichkeit nicht vertreten; sie wirke den autoritären, totalitären, nationalistischen Freiherr Ostman von der Leye: Herr Kollege und militärischen Tendenzen nicht entgegen. Ich muß Vogel, würden Sie mir, wenn Sie das mit. den Aus- sicher davon ausgehen, daß der SDAJ diese Eigen- führungen des Abgeordneten Dregger von heute schaften zuerkannt worden sind. Das sind Fälle, mit morgen verbinden, dann bitte die Frage erlauben, denen Sie sich beschäftigen mögen. Ein gleicher Vor- ob Sie nicht den Unterschied zwischen einer Wirt- fall hat sich in Bad Homburg vollzogen. Das ist für 5076 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Vogel (Ennepetal) mich die reaktionäre Sprache des Potsdamer Abkom- den. Es klingt elitär arrogant, wenn unter solchen mens. Das sind waschechte kommunistische Argu- Umständen der Antrag der CDU/CSU damit abge- mente. tan wird, man könne doch wohl schlecht dazu auf- (Beifall bei der CDU/CSU.) fordern, das Grundgesetz einzuhalten. Ich habe den Was tut die SPD dagegen? Was tut die SPD gegen Eindruck, es ist Zeit aufzufordern, daß überall und solche Vorgänge? Was haben wir von der SPD ge- gegenüber jedermann das Grundgesetz eingehalten hört, als die neue Juso-Vorsitzende, Frau Wieczorek- wird. Deshalb unser Antrag und deshalb diese De- Zeul, erklärte, daß ihr der MSB Spartakus näher- batte. stehe als der RCDS? Das ist genau das, was dem (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) RCDS an allen Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland begegnet. Vizepräsident Dr. Schmitt -Vockenhausen: Das Wort hat Herr Abgeordneter Groß. Unter den — häufig genug ermunternd zwinkern- den — Augen führender Sozialdemokraten wird (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und systematisch ein Klima der Intoleranz gegenüber Groß Herren! Gestatten Sie, Herr Vogel, mir eine Vor- den Christlichen Demokraten erzeugt, die mit Vo- bemerkung. Sie kritisierten vorhin die Abwesenheit kabeln wie „reaktionär", „rechtsradikal", „Rechts- von Herrn Genscher. Ich meine, in solchen Fällen kartell" usw. belegt werden. Gleichzeitig macht sich wäre es zweckmäßig — das gilt sicher für alle —, Toleranz gegenüber den Kommunisten breit. Was sich vorher nach dem Grunde zu erkundigen. Wenn kann in einem solchen Klima von der „Solidarität der Sie den Grund gekannt hätten, dann hätten Sie Demokraten" noch übrigbleiben? Es nimmt nicht diese Bemerkung auch unterlassen. Wunder, wenn angesichts des demokratischen Ver- sagens der Sozialdemokraten etwa der Abgrenzungs- beschluß des DGB gegenüber linksextremen Organi- Vizepräsident Dr. Schmitt -Vockenhausen: sationen ausdrücklich DKP, SDAJ und MSB Sparta- Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- kus ausnimmt. Wer ein solches Klima im Lande ordneten Vogel? sich entwickeln läßt, zuschaut und dagegen nicht vor- geht, eher augenzwinkernd fördert, der macht schon Groß (FDP) : Bitte. gemeinsame Sache mit den Verfassungsfeinden. - Vogel (CDU/CSU) : Herr Kollege Groß, sind Sie Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: bereit, entgegenzunehmen, daß ich das bedauere? Herr Abgeordneter Vogel, gestatten Sie eine Zwi- Ich habe es nicht gewußt und habe festgestellt, daß schenfrage des Herrn Abgeordneten Wilhelm? Herr Genscher kurze Zeit später wieder hier war.

Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Ja, bitte! Groß (FDP) : Vielen Dank, Herr Vogel, für diese Erklärung. Sie kennen die Gründe. Aber ich meine, Wilhelm (SPD) : Herr Kollege Vogel, Sie spra- wir sollten uns in Zukunft mit solchen Bemerkun- chen vorhin erneut vom imperativen Mandat mit gen etwas zurückhalten. Blick auf die SPD. Ich möchte Sie fragen: Wie wür- den Sie einen Vorgang bewerten, der sich Mitte der (Beifall bei den Regierungsparteien.) sechziger Jahre in diesem Hause abgespielt hat, als Herr Dr. Dregger hat heute morgen ein Bild von über das Röhrenembargo diskutiert und abgestimmt dieser Verfassung und von der Verfassungswirk- werden sollte und als Geschäftsführer Ihrer Frak- lichkeit gezeichnet, von dem ich in seinem und in tion bei der Auszählung hier vor dem Plenarsaal seiner Partei Interesse hoffen möchte, daß er es ihre Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, sicherlich selbst für unrealistisch hält. Denn sonst müßte man mit Billigung Ihres Fraktionsvorstandes, daran hin- an tiefgreifende Auseinandersetzungen innerhalb derten, den Saal zu betreten, um damit den Bundes- der CDU glauben. Wenn man nämlich dieses Bild tag beschlußunfähig zu machen? Würden Sie darin für realistisch hielte und meinen sollte, daß das auch eine gewisse Form des imperativen Mandats Auffassung der CDU insgesamt wäre, dann wären und vielleicht sogar der Nötigung sehen? alle jene Versuche des Vorsitzenden der CDU, Herrn Kohl, und des Generalsekretärs der CDU, (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Herrn Biedenkopf, der CDU ein zukunftsträchtigeres CDU/CSU.) Bild — vielleicht auch ein zukunftsträchtigeres Pro- gramm — zu geben, zunichte. Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) : Herr Kollege Wil- helm, was würden Sie sagen, wenn aus Furcht, daß Herr Dr. Dregger hat das Dilemma deutlich ge- Abgeordnete nicht so abstimmen, wie es ihre Frak- macht, vor dem die CDU/CSU steht. Er ist ausge- tionsführung erwartet, dafür gesorgt wird, daß sie gangen von der heilen Welt, die es nie gab und nie bei einer Abstimmung auf ihren Plätzen sitzen- geben wird. bleiben? (Abg. Dr. Marx: Sie kennen doch das Pro (Beifall bei der CDU/CSU.) blem der Erbsünde?!) Ich habe gesagt: Wer ein solches Klima im Lande Er ist gestoßen auf die heile Welt von Sozialtheolo- sich entwickeln läßt, zuschaut und dagegen nicht gen und Utopisten, die, ebenso in ihre Vorstellun vorgeht, eher augenzwinkernd fördert, der macht len verliebt, nicht bereit sind, die Realitäten ins schon gemeinsame Sache mit den Verfassungsfein- Auge zu fassen. Beide diese heilen Welten müssen Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5077 Groß sich notwendigerweise aneinander reiben. Aber das reits ermordet, und Präsident Johnson war an der Ergebnis ist allenfalls Wärme, Hitze, aber keine Regierung. Ihn und seinen Nachfolger meinte ich. Ausgangsbasis für eine realistische Politik. Ich bin weder Historiker noch Psychologe. Deshalb Herr Dr. Dregger hat erneut den alten Fehler all will ich auch nicht eine abschließende Antwort auf derer exerziert, die, ihrer selbst und ihrer Auffas- einige Fragen geben, die sich hier einem nachdenk- sungen nicht mehr sicher, ihre Zuflucht zu harten lichen Betrachter der Szene stellen. Aber ich will Fra- Maßnahmen, mindestens zu harten Worten nehmen, gen stellen, die meines Erachtens auf die Ursachen die sich nicht mehr fragen, warum der Tatbestand, zurückführen könnten, während wir uns hier bisher den sie beklagen, so sein könnte. Sie nehmen dabei nur mit den äußeren Erscheinungen auseinanderge- Zuflucht zu Formeln und Regeln. So wie man in der setzt haben. War es Zufall, daß in den USA diese Außenpolitik jahrelang versucht hat, mit Hilfe ju- Erscheinungen auftraten als Reaktion auf die mora- ristischer Formeln — sprich: Hallstein-Doktrin — lische Krise, in welche die Vereinigten Staaten Politik in ein Korsett zu drängen, so versucht man — oder ihre Regierungen — durch das Verhalten in das auch hier wieder, versucht, an den Symptomen Vietnam gekommen waren? War es ein Zufall, daß herumzukurieren, statt nach den Ursachen dieser sich diese Unruhe unter Studenten mit all ihren Erscheinungen zu fragen. extremen Ausuferungen als Reaktion auf die mora- lische Krise nach dem Krieg in Algerien ergab? Ein seiner selbst sicheres offenes System — wenn Sie wollen, ein Widerspruch in sich —, eine solche Wieso eigentlich, meine Damen und Herren, stam- Ordnung kann auf solche Formeln, an denen man zu men die meisten jener extremen Kräfte, die uns seiner eigenen Sicherheit abzählen kann, ob man auf heute beschäftigen, genau aus jenem Bürgertum, das dem rechten Wege ist oder nicht, verzichten. Dieses mit einem hohen moralischen Anspruch aufgetreten offene System, diese offene Ordnung kann sich dann ist, diesen hohen moralischen Anspruch aber weder aber auch nicht davor drücken, sich auseinanderzu- in der Zeit der Weimarer Republik noch im Dritten setzen, den Konflikt auszutragen, statt in die Vor- Reich hat realisieren können? Bestehen nicht Zu- stellung von einer heilen Welt zu flüchten. sammenhänge zwischen der totalen Konzentration aller Kräfte in der Nachkriegszeit auf den Wieder- Herr Dr. Dregger zeigt sich erneut als ein Meister aufbau und Aufbau in dieser Bundesrepublik und in der Beschränkung auf Provinzielles in Hessen, in der moralischen und zeitlichen Vernachlässigung Baden-Württemberg, in Berlin und anderswo. Er tut - eben der Kinder jenes Bürgertums, die mehr damit so, als ob die Auseinandersetzungen, die sich wissen wollten, als eben nur die Anbetung des unter jungen Menschen an Hochschulen anderswo Wohlstands zu zelebrieren? abspielen, eine Erscheinung seien, die sich aus- schließlich in der Bundesrepublik abspiele. Ist eigentlich die als „Wohlstand für alle" ge- priesene und meines Erachtens doch wohl materia- Warum eigentlich begann diese Auseinanderset- listische Auffassung für junge Menschen so attraktiv zung, dieses Auftreten sozialistischer Vorstellungen gewesen? Ist sie eine emotional ansprechende und marxistisch-leninistischer Provenienz nicht zuerst intellektuell überzeugende Leitidee für Achtzehn- im Lande Hessen, sondern in den Vereinigten Staa- und Neunzehnjährige gewesen? Ist die Schärfe der ten an der Universität Berkeley, in einem Land, des- Auseinandersetzung zwischen Älteren und Jüngeren sen Präsident politisch vermutlich der Opposition nicht auch darin zu suchen, daß hier Väter, die näherstand als uns? Warum eigentlich begannen die wegen des Krieges nie jung sein durften, auf Söhne Auseinandersetzungen in einem Land wie Frank- und Töchter stoßen, die alle Vorrechte der Jugend reich, dessen Präsidenten der Opposition politisch für sich in Anspruch nehmen? sicher nähergestanden haben und näherstehen als den beiden Parteien der Regierungskoalition? Soll hier der Staat nachträglich das leisten, was das. Elternhaus und die Schule nicht schafften oder nicht schaffen konnten? Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen- (Beifall bei den Regierungsparteien.) frage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller (Mün- Haben wir Demokraten, wir alle, die wir in diesem chen) ? Saal sitzen, die wir draußen in den demokratischen Parteien agieren', die Demokratie so vorgelebt, daß wir glaubwürdig gewesen sind? Groß (FDP) : Ja, bitte! Ich war noch weit entfernt von diesem Hause, als Dr. Müller (München) (CDU/CSU) : Herr Kollege Wolfgang Döring in diesem Hause meinen späteren Groß, ich habe die Entwicklung in Berkeley selbst kurzzeitigen Platznachbarn gegen beobachten können. Sie haben gesagt: Dort war ein eine Auffassung verteidigte, die einseitig staatliche Präsident, welcher der Opposition nahestand. Heißt — noch dazu rechtsstaatswidrige — Auffassungen in das, daß Präsident Kennedy der CDU/CSU nahe- den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stellte. stand? Ich will jetzt nicht polemisieren, aber konnte eigentlich ein Verhalten, das innerhalb und außer- GroB (FDP) : Herr Kollege Dr. Müller, nach mei- halb dieses Hauses in den fünfziger und sechziger ner Erinnerung waren diese Auseinandersetzungen Jahren oft genug dargestellt wurde, glaubwürdig Mitte der 60er Jahre. Nach meiner Erinnerung war wirken? Konnten bestimmte Politiker — die Namen zu dieser Zeit der von Ihnen zitierte Präsident be Krüger und Oberländer sind manchem noch in Er- 5078 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Groß innerung — ein glaubwürdiges Zeugnis für diese wir bekämpfen sie auch ganz gleich, wer sie ha- Demokratie ablegen und damit ein Vorbild sein für ben könnte —, denn wir wissen, daß eine solche eben diese jungen Menschen? Diese Fragen müssen absolute Mehrheit einer Partei zum Machtmißbrauch wir stellen. verführt, und es ist bei genügend Gelegenheiten Herr Kohl hat in einer schon zitierten Rede ge- davon auch Gebrauch gemacht worden bei den Par- teien, die sagt, die Regierung beschönige Rechtsbrüche. Meine ,die absolute Mehrheit haben oder hatten. Damen und Herren, wenn dem so wäre: Es soll Zei- Ich nehme da niemanden aus. ten gegeben haben, in denen auch in diesem Hause Meine Damen und Herren, müssen wir nicht zu darüber gestritten wurde, daß eine Regierung einer besseren Antwort auf die hier zu behandeln- Rechtsbrüche selbst begeht. Es ist in diesem Hause de Frage kommen? Wir sollten — und jetzt spreche ja wohl einiges zu diesem Thema gesagt worden. ich Herrn Vogel an — dem erschrockenen Bürger Herr Dregger hat zu Recht die Frage gestellt: Wie dieses Staates nicht das seltsame Schauspiel bieten, soll eigentlich in den Herzen und in den Köpfen der uns hier unter Demokraten, wenn auch gelegentlich jungen Menschen diese Verfassung verankert wer- mit Vorbehalten und Einschränkungen, draußen den? Genau das ist die Frage. Ich werde die Ver- aber dann um so gröber, des vorsätzlichen Verfas- fassung nicht verankern können, indem ich lediglich sungsbruchs, des Gedankens an Verfassungsbruch nach der Polizei und dem Richter rufe, nicht aber oder zumindest des fahrlässigen Verfassungsbruchs bereit bin, Demokratie vorzuleben und vorzuprakti- zu bezichtigen. Meine Damen und Herren, kommen zieren. wir weiter, wenn auf die Frage nach — ein beliebi- (Beifall bei den Regierungsparteien.) ges Beispiel — Vorgängen in Eschborn oder Vor- gängen an anderen Orten nun wiederum anders zi- Hier tragen wir an den Folgen der fünfziger und tiert wird? Es ist leicht, dieses Spiel hin- und herzu- sechziger Jahre. spielen und dem Bürger eine totale Verwirrung vor- zumachen. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: (Zurufe von der CDU/CSU.) Herr Abgeordneter Groß, gestatten Sie eine Zwi- Es ist doch leicht, den Hinweis auf die Universi- schenfrage des Herrn Abgeordneten Sauer? tät Bremen mit dem Namen „Kosiek" zu kontern; dann wird sich Herr Filbinger in Baden-Württem- Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU) : Herr Kollege berg angesprochen fühlen. Aber was soll das, meine Groß, Sie haben gerade die fünfziger und sechziger Damen und Herren? Wir können natürlich fragen, Jahre erwähnt. Wären Sie als niedersächsischer aber es führt zu nichts. Landesvorsitzender der FDP bereit, insbesondere Als 1968 die studentische Jugend rebellierte, die Minister hier einzubeziehen, die uns Ihre Partei waren alle Parteiführer bereit, zu sagen: Nun geht drüben einmal als Kultusminister präsentiert hat? bitte in die Parteien; spielt keine außerparlamen- tarische Opposition, sondern geht in die Parteien Groß (FDP) : Herr Sauer, ich beziehe sämtliche und versucht dort, eure oppositionellen Ansichten Parteien ein, und ich nehme für mich in Anspruch, durchzusetzen! Das war das gemeinsame Rezept. auch als Parteimitglied — das war für mich mit ein Einige haben das realisiert. Teilweise ist es schief- Motiv, in diese Partei einzutreten — diese Leute gegangen. Aber sollte die CDU/CSU berechtigt sein, auf das energischste zu bekämpfen, und wie Sie den Zeigefinger zu erheben, wenn es ihr — zum sehen, mit Erfolg. Teil wenigstens — gelungen ist, die NPD und Teile (Beifall bei den Regierungsparteien.) von ihr zu integrieren? Daraus mache ich der CDU keinen Vorwurf; ich würde es als eine Leistung einer demokratischen Partei ansehen, wenn sie Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: eine extreme Seite binden, möglicherweise sogar Herr Abgeordneter, gestatten Sie im Anschluß daran integrieren könnte. Aber wo bleibt dann das morali- noch eine weitere, schon angemeldete Zwischen- sche Recht, den Zeigefinger zu erheben, wenn eine frage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter? andere Partei dies auch versucht, dabei aber teil- weise Fehler macht, diese Fehler zugesteht und ge- Kroll-Schlüter (CDU/CSU) : Herr Kollege, muß rade damit vielleicht glaubwürdiger ist als jener nicht die ständige kritische Distanz derjenigen zum Pharisäismus, der heute hier Triumphe gefeiert hat? Staate, die in Hessen, in Frankfurt, seit 20 Jahren Meine Damen und Herren, Herr Filbinger hat regieren und verpflichtet sind, diesen Staat oder einen klugen Satz geprägt. Er hat gesagt, man solle Teile von ihm zu repräsentieren, entweder zur Ra- sprachlich genau sein. Genau dies ist richtig, aber dikalität oder zur Resignation führen? er hat sich leider selbst nicht daran gehalten. Auch er hat sich dieser modischen Verpackungskunst be- GroB (FDP) : Herr Kollege, ich könnte es mir dient und hat von „Radikalen" gesprochen. Es geht einfach machen und die Frage zurückgeben, ob nicht aber nicht um Radikale, denn ich wüßte in allen diejenigen, die in Bayern über Jahrzehnte hinweg Fraktionen eine ganze Reihe hockgeschätzter Mit- — mit einer vierjährigen Unterbrechung — eine glieder, die sich selbst in dieser oder jener Frage CSU-Regierung erlebt haben, ebenso frustriert sein als Radikale bezeichnen. Meine Damen und Herren, können. Herr Kroll-Schlüter, wir haben zu allen es geht darum, Verfassungsfeinde — Leute, die nicht Zeiten eine tiefe Abneigung gegen absolute Mehr- bereit sind, aktiv diese parlamentarische Demokra- heiten gehabt — ganz gleich, wer sie hat —, und tie, diese freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5079 Groß zu unterstützen - nicht in den öffentlichen Dienst wir ein Interesse daran haben, auch Argumente aufzunehmen. gegen dieselben zu finden. Aber die Richtlinien, von (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) denen Sie gesprochen haben, Herr Dregger, habe ich nirgendwo finden können, und zwar deswegen, weil Ein anderes Beispiel für die merkwürdige Sprach- es sie nicht gibt. verwirrung oder Verschleierungstaktik ist dieser (Abg. Seiters: Ich schicke Sie Ihnen!) seltsame Begriff „Berufsverbot". Ich möchte hier feststellen: es gibt keine Berufsverbote. Es gibt sie -- Herr Seiters, dann müssen Sie also zunächst ein- allenfalls in der Phantasie einiger. Und in ,der Pro- mal bei Herrn von Oertzen nachfragen; der hatte paganda dient dieser Begriff geschickten Demago- sie nämlich auch nicht. gen und ihrem gutwilligen Anhang. (Abg. Seiters: Sie heißen „Handreichungen"!) Es geht hier um die Frage, ob wir es zulassen — Man muß aber um Herrn Filbinger zu zitieren, wollen, daß Menschen, die politische Ansichten ver- Herr Seiters — sprachlich genau sein. treten, die vom Grundgesetz nicht gebilligt werden, in den öffentlichen Dienst aufgenommen werden. Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Meine Damen und Herren, wie wäre es, wenn wir Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen- uns in dieser Auseinandersetzung so verhielten, daß frage des Herrn Abgeordneten Franke? nicht durch Provokationen unsererseits — ich appel- liere hier an die von Herrn Vogel zitierte Solidari- Groß (FDP) : Ja. tät der Demokraten — neue Provokationen ange- heizt würden? Wäre es nicht ,denkbar, daß wir ,den harten Kern jener, die wir alle gemeinsam nicht Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Herr Kollege wollen, die wir entschieden ablehnen, isolieren, daß Groß, darf ich Ihnen dann empfehlen, einmal die wir ihn trennen von jenen vielen Harmlosen, Gut- Handreichungen des niedersächsischen Kultusmini- willigen, Blauäugigen — oder wie Sie sie bezeich- steriums mit dem gleichen Inhalt zu lesen, die vor nen wollen die sich immer dann mit diesen ex- einigen Monaten herausgekommen sind? tremen Kräften solidarisieren, wenn wir ihnen durch Ungeschick dazu einen Anlaß geben? Wenn Groß (FDP) : Verehrter Herr Kollege Franke, ich wir uns nämlich so verhielten, diese Provokationen brauche dieses Papier nicht zu lesen, weil ich es zu unterlassen, würden wir sehr schnell fetsstellen, kenne. daß der harte Kern sehr klein ist und daß es dann (Abg. Franke [Osnabrück]: Also!) auch möglich ist, diesen harten Kern in der Diskus- Weil ich es aber gelesen habe, kann ich feststellen, sion so zu isolieren, daß wir dann auch deutlich in daß sie es nicht gelesen haben; denn sonst hätten der Lage sind, mit ihm fertig zu werden. Ich sehe es Sie diese Schlußfolgerung nicht gezogen. als ein Zeichen der Schwäche an, wenn wir dies nicht fertigbekommen. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Ich habe also keinerlei Sympathien für vieles, was Meine Damen und Herren, Demokratie ist ver- dort geschieht. Ich will hier aber keine Wahlkampf- wundbar. Sie zeigt im ersten Ansturm ihrer Gegner auseinandersetzung führen. Wenn Sie jedoch jetzt oft Schwächen, auch diese. Jede Ordnung, die nicht einen Vergleich ziehen wollen, dann, Herr Franke, auf Aggression ausgerichtet ist, muß diese Schwä- sollten Sie sauber sein und im übrigen korrekter- chen zeigen. Aber die innere Stärke dieser verfas- weise auch noch Rahmenrichtlinien erste Fassung, sungsmäßigen Ordnung zeigt sich dann, wenn es zweite Fassung, usw. unterscheiden und darüber um die Mobilisierung aller Kräfte geht. Und diese sprechen. Kräfte, meine Damen und Herren, können Sie nur mobilisieren, wenn wir in unserem Verhalten alle (Abg. Franke [Osnabrück] : Ich denke, es glaubwürdig gewesen sind. Festigkeit, meine Damen gibt keine?!) und Herren, ist nicht eine Frage von starken Wor- Aber das hat Herr Dregger auch nicht nötig ge- ten, ist auch keine Frage von Verpackungskünsten; habt. sie ist in keiner Weise durch administrative Maß- Die Treue zur Verfassung, meine Damen und Her- nahmen zu ersetzen. ren, die wir von den Angehörigen der öffentlichen Für uns Freie Demokraten steht fest: Wer nicht Verwaltung verlangen, ist nicht ein Formelver- bereit ist, aktiv für diese freiheitlich-demokratische halten, das auch dadurch zu realisieren ist, daß Grundordnung einzutreten, darf nicht in den öffent- man, wie es einmal in einem anderen Zusammen- lichen Dienst. hang hieß, in die Nische tritt. Wie ernst es die Ver- fassung mit der Treue zur Verfassung meint, weist (Abg. Seiters: Deswegen wollen Sie mit eindeutig Art. 5 des Grundgesetzes aus, der von Herrn von Oertzen koalieren!) den im übrigen in seiner Meinungs- und Lehrfreiheit - Herr Seiters, darauf kommen wir gleich noch ein- nicht eingeschränkten Hochschullehrern verlangt, mal zu sprechen. Aber vielleicht gestatten Sie, daß daß er sich treu gegenüber der Verfassung verhält. ich auf die von Herrn Dregger in seiner Rede zitier- Dies alles, meine Damen und Herren, muß aber im ten Niedersächsischen Rahmenrichtlinien eingehe. Einzelfall geprüft werden. Das besagt, daß lediglich Nun, Herr Dregger, wir befinden uns in Niedersach- individuelles Verhalten, das politische Verhalten sen in einem Wahlkampf gegen die alleinregieren- geprüft und überprüft werden kann. Und dies, den Sozialdemokraten. Sie werden verstehen, daß meine Damen und Herren, muß ohne Ansehen der 5080 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Groß Person gelten. Niemand darf mit Erfolg hoffen, er nun jeder Aktionsfähigkeit berauben. Wir sind mit könne schon deshalb nicht abgelehnt werden, weil jenen Erscheinungen nach dem Kriege fertiggewor- er einer Partei angehört, die nicht verboten ist. den, die zahlenmäßig sicher sehr viel größer waren Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch als das, was uns heute beschäftigt und in der Zu- eine Anmerkung zur Rede von Herrn Ministerprä- kunft möglicherweise beschäftigen wird. Meine Da- sident Filbinger. Ich verstehe einfach nicht, warum men und Herren, das Thema taugt nicht für den er nicht auf die klare Frage von Herrn Ravens eine Wahlkampf. Aus der Verantwortung für das Ge- klare Antwort gegeben hat. Herr Filbinger wußte es wesene und für manche Ursachen des Heutigen kann ja, er hatte es in seiner Aktentasche, was die Koali- sich keiner von uns davonstehlen, auch nicht die tionsparteien möchten und was die Bundesregierung Kollegen von der CDU/CSU. vorschlagen will, was sie aber zweckmäßigerweise, Meine Damen und Herren, hier ist von Herrn da wir nicht an parteipolitischen Auseinanderset- Vogel vom Grenzverkehr gesprochen worden. Herr zungen, sondern am Erfolg einer gemeinsamen Hal- Vogel, meinen Sie das wirklich so, wie Sie das tung interessiert sind, zunächst einmal mit den sagen? Meinen Sie, daß es einen solchen Grenzver- Innenministern der Länder und dann mit den Mini- kehr nur dort gegeben hat, wo Sie ihn zu sehen sterpräsidenten morgen erörtern will. Warum hat glauben? Hat es nicht auch einen anderen Grenz- Herr Filbinger dies nicht gesagt? Er hat genau das verkehr gegeben? Ist hier nicht in der Vergangen- getan, was kritisiert hat. Er hat par- heit manches passiert, was uns allen nicht gefallen teipolitischen Vorteil aus einer Situation ziehen hat, auch was Ihre Partei und was die CSU betraf? wollen, die nur einige kannten, viele aber nicht. Meine Damen und Herren, demagogische Gespen- (Beifall bei Abgeordneten der Regierungspar- sterbeschwörung hilft uns hier nicht weiter. teien.) Wenn heute ein Mann wie Richard Wagner be- Meine Damen und Herren, ich will in dieser Aus- gehrte, in Bayern oder Baden-Württemberg in den einandersetzung nicht von jenen reden, die laut öffentlichen Dienst aufgenommen zu werden, so schreien, wenn ein Kommunist, ein Marxist-Leni- würden ihn manche, die heute gern alljährlich nach nist, um es präziser zu sagen, im öffentlichen Dienst Bayreuth pilgern, wegen revolutionärer Ansichten abgelehnt wird, die aber ebenso heftig schreien, und Tragens langer Haare nicht in den öffentlichen wenn ein Nationaldemokrat, ein Nationalsozialist Dienst aufnehmen. aufgenommen wird. Diese Schizophrenie mag trei- ben, wer will; wir sind damit nicht zu packen. Hier hat Helmut Kohl völlig zu Recht erklärt — Meine Damen und Herren, ich höre natürlich ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsiden- jetzt den Einwand: Wenn wir solch ein rechts- ten zitieren —: Jeder, der sich irgendwann einmal staatlich einwandfreies Verfahren einführen, besteht zur Feindschaft gegen unsere Verfassungsordnung die Gefahr, daß doch jemand in diesen öffentlichen hat verleiten lassen, muß auch die ehrliche Chance Dienst gelangen könnte, der nicht einwandfrei auf haben, zu ihr zurückzufinden. Dem ist kein Wort dem Boden dieses Grundgesetzes steht. Dies müssen hinzuzusetzen. Aber ich habe den Eindruck, daß die- wir in Kauf nehmen. Ich frage Sie allen Ernstes: ser Satz mehr an die Adresse der CDU/CSU als an Haben Sie denn jene Angst, die hier heute kultiviert die der Koalitionsparteien gerichtet war. wird, vor solchen Leuten gehabt, die wir alle nicht In Ihrer Verlegenheit um Argumente scheuen Sie mögen, als nach 1945 die öffentliche Verwaltung wieder mit Kräften anfangen mußte, bei denen vor Unlogik und vor Geschichtsklitterung nicht zu- rück. Zweifel über ihr demokratisches Verhalten nicht nur angebracht, sondern in vielen Fällen auch be- Herr Professor Carstens hat vor einiger Zeit ge- gründet waren. sagt, — ich zitiere das —, das dritte Jahr der Infla- (Zuruf von der SPD: Vialon!) tion benutzten sie, diese ominösen Radikalen, um ihren Angriff gegen die freiheitliche Ordnung und Meine Damen und Herren, dieser Staat ist nicht un- die soziale Marktwirtschaft zu fahren. So einfach ist tergegangen, obwohl viele, die hier sitzen, Lehrer das. Diese Radikalen gibt es offenbar erst seit drei gehabt haben, die als Nationalsozialisten oder Jahren. Nach meiner historischen Kenntnis traten Deutschnationale erzogen worden sind. diese Erscheinungen schon im Jahre 1967 auf, als die (Beifall bei der SPD.) Welt, insbesondere auch die finanzielle Welt — wenn ich Franz Josef Strauß folgen soll — noch voll- Wenn diese Gleichung richtig wäre, daß ein autori- kommen in Ordnung war. tär oder totalitär eingestellter Lehrer automatisch auch solche Schüler züchtet, gäbe es dieses Parla- Meine Damen und Herren, was soll dies? ment nicht mehr. Ich schließe ab. Es gibt zwei Wege, zur Revolution Wir sollten uns hier auch ein wenig an dem orien- zu kommen: den einen, indem man versucht, den tieren, was außerhalb unseres Landes zu dieser Dis- Umsturz mit Gewalt zu erreichen, den anderen, in- kussion gesagt wird. Sie alle kennen das Lächeln dem man sich statisch gegen jede Veränderung mancher Nachbarn, die sich fragen, was die Deut- stemmt, um damit jenen, die stets neue Argumente schen in der Bundesrepublik für Sorgen haben. Wir für ihre revolutionären Ansichten suchen, neue Ar- haben Sorgen, meine Damen und Herren, aber wir gumente zu liefern; damit führt dieses statische Ver- haben diese Sorgen so ernst zu nehmen, daß wir uns halten zu einer Revolution wie nach der anderen Me- nicht aus lauter Angst vor einigen Erscheinungen thode. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5081

Groß Wir haben keine Angst vor der Auseinanderset- Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: zung. Wir haben keine Angst vor der Auseinander- Jawohl! setzung mit Radikalen aller Spielarten und speziell mit Extremisten. Die FDP ist selbstbewußt genug, Breidbach (CDU/CSU) : Herr Ministerpräsident, auf dem Boden dieser Verfassung diese Auseinan- nachdem Sie pauschal von dem Land gesprochen ha- dersetzung mit allen, die es angeht, zu führen. Aber ben, das nach Meinung von Herrn Dregger anders ich habe eine Sorge. Wenn es uns nicht gelingt, diese aussieht als nach Ihrer Meinung, wäre ich Ihnen Solidarität zwischen den Demokraten ohne Mental- recht dankbar, wenn Sie mir als einem Abgeordne- reservationen zu halten, dann werden wir es er- ten, der nicht aus Hessen kommt, die Fakten wider- leben, daß uns aus der Reaktion auf diese Extremi- legen könnten, die Herr Dregger in seiner Rede ge- sten eine Gegenentwicklung beschert wird, vor der nannt hat, z. B. die Schwierigkeiten bezüglich des ich nun allerdings wirklich Angst habe. Denn die Hochschulrechtsrahmengesetzes, die Schwierigkei- Reaktion auf solche extremistischen Vorgänge kann ten, die Sie an ihren Universitäten haben, und ins- dafür ist die Weimarer Zeit in der Tat ein Bei- besondere die Schwierigkeiten, die Sie mit Ihren spiel -- uns alle und alle Demokraten hier in den Jungsozialisten haben. Abgrund führen. Darum sollten wir uns bemühen, (Beifall bei der CDU/CSU.) dies mit allen Kräften zu verhindern und damit auch zu der notwendigen Solidarität zu kommen. Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: (Beifall bei der FDP und der SPD.) Sie müssen sich freundlicherweise einen Augen- blick gedulden; ich habe meine Rede gerade erst Vizepräsident Dr. Schmitt -Vockenhausen: begonnen. Aber Sie bekommen von mir noch die Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Antworten, auf die Sie warten, Antworten auf das, Hessen, Ministerpräsident Osswald. was Herr Dregger hier dargelegt hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird Flagge (Zurufe von der CDU/CSU.) gezeigt!) — Ich werde darauf im Laufe meiner Rede eingehen. Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, dann hier Ministerpräsident des Landes Hessen: Osswald, zu sein und zuzuhören. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die - Opposition hat einige Akte ihres heutigen verfas- Ich kann mich nur fragen, welcher Zweck hinter sungspolitischen Dramas nach Hessen verlegt. Dies einer Veranstaltung steht, in der rechtliche Gemein- konnte sicher nicht anders sein angesichts der bevor- plätze beteuert werden und zugleich die Verfas- stehenden Landtagswahlen in Hessen. Dort kennen sung zum Gesetz des sozialen Status quo umgemünzt wir Herrn Dregger allerdings besser als Sie hier in wird. Was mag die Opposition, insbesondere den diesem Bundestag. Man darf ihn nicht ganz so ernst Kollegen Dregger, wohl auf den Gedanken gebracht nehmen, wie er sich heute hier darzustellen versucht haben, politische Phantasie durch die Beschwörung hat. der Verfassung zu ersetzen? (Beifall bei der SPD. - Lebhafte Zurufe von (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Schäfer der CDU/CSU.) [Tübingen]:: Sehr richtig!) Herr Dregger hat heute morgen hier das Bild einer Dies ist doch das Problem. Auf eine Antwort auf Republik gezeichnet. Es ist sein Bild, das er gezeich- diese Frage warten wir alle. net hat, ein Bild, das in seiner Vorstellungswelt lebt, Eine der Fragen möchte ich gleich beantworten. das aber mit Hessen nicht übereinstimmt. Vielleicht Nehmen wir einmal den gesamten Bildungsbereich überzeugt Sie das, was ich Ihnen sagen darf — die und schließen wir in die Debatte das mit ein, was Ergebnisse entsprechender Umfragen hat Herr Dreg- Rahmenrichtlinien fälschlicherweise von ger ja auch —, nämlich daß 60 % der Bevölkerung hier zu den denen behauptet und festgestellt wurde, die es unseres Landes mit diesem Land sehr zufrieden sind, eigentlich besser wissen müßten, wenn sie sich um mit großer Freude darin wohnen und stolz auf die die Sache gekümmert hätten. Leistungen in diesem Lande sind. (Beifall bei der SPD.) (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Hört! Hört! - Weitere Zurufe Meine Damen und Herren, die CDU/CSU befindet von der CDU/CSU.) sich in der angenehmen Situation, daß sie in der Bildungspolitik fast ein Jahrzehnt lang hinter der Dies ist die Position, nach der wir in Hessen die Entwicklung hergelaufen politische Landschaft über die Zeit, in der Sozial- demokraten dort politische Verantwortung getra- (erneuter Beifall bei der SPD) gen haben, nach liberalen, sozialen Grundsätzen und dann in den Zug eingestiegen ist, der sich aus gestaltet und damit unsere Bevölkerung mit jenen der bildungspolitischen Dynamik fortschrittlicher Leistungen ausgestattet haben, die sich in den Sach- Länder in unserer Bundesrepublik ergeben hat. ergebnissen draußen im Lande als Leistungen für die Bürger erweisen lassen. (Abg. Gerster [Mainz] : Reden Sie von Bre men?) Vizepräsident Dr. Schmitt -Vockenhausen: Dies war die Position der CDU, als sie für die klei Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischen- nen Dorfschulen kämpfte und sich gegen Gemein frage des Herrn Abgeordneten Breidbach? schaftsschulen sperrte, dies war ihre Position, als sie 5082 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Ministerpräsident Osswald uns in Hessen in der ersten Stunde die Konfessions- heute auf die Konfessionsschule zu sprechen zu schule aufzwingen wollte, kommen — —; (Beifall bei der SPD — Abg. Matthöfer: (Widerspruch bei der SPD) Sehr richtig!) wenn Sie es also für richtig erachten, dann, wenn und dies war Ihre Position, meine Damen und Her- Sie über Kulturpolitik sprechen, auf das Jahr 1948 ren von der CDU/CSU, als Sie gegen die Entwick- statt auf die Situation im Jahre 1974 zu sprechen zu lung zur Gesamtschule gekämpft haben. kommen, muß ich Sie fragen: Hielten Sie es nicht Da Ihnen nun auf Grund dieser Entwicklung in vielleicht für besser, dann, wenn Sie auf das Schul- der vergangenen Phase bildungspolitisch die Dinge konzept Hessens und vielleicht auch auf die Moder- entglitten sind, nität dieses Schulsystems zu sprechen kommen, hier eventuell auch etwas über die Gesamtschule zu (Zurufe von der CDU/CSU) sagen, weil dies über das Schulsystem mehr aus- da sich jetzt eine gewisse Übereinstimmung, eine sagt — — Annäherung an das, was in den Bundesländern von Sozialdemokraten und inzwischen auch von ei- Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: nigen CDU-Kultusministern verantwortet wird, er- Herr Kollege, seien Sie mir nicht böse, Sie kommen gibt und die Probleme, die in der Vergangenheit mit Ihrer Frage nicht zu Ende. Sie kennen doch die nicht bewältigt worden sind, für Sie kein Reizthema Geschäftsordnung. Herr Kollege, jetzt kommen Sie mehr sind, haben Sie sich die Rahmenrichtlinien, bitte zu einer klaren und präzisen Frage, wie sie die d. h. die Modernisierung und Neuformulierung der Geschäftsordnung verlangt. Bildungsinhalte, ausgesucht. Ich hoffe, mit Ihnen in der Grundfrage übereinzustimmen; denn ich wüßte (Zurufe von der SPD: Das kann er doch nicht, aus welchen anderen Gründen sich das Land nicht!) Rheinland-Pfalz (Abg. Pfeffermann meldet sich zu einer Zwi- Pfeffermann (CDU/CSU) : Dann frage ich anders. schenfrage) (Lachen bei den Regierungsparteien.) — Augenblick, ich möchte den Gedanken erst zu Ende führen; Sie bekommen Ihre Frage beantwor- Herr Präsident, ich möchte Ihre Geduld nicht miß- tet — der Mühe unterzogen hätte, Bildungspläne brauchen. Lassen Sie es mich anders formulieren. und Richtlinien zu erarbeiten. Wenn Sie den Text Herr Ministerpräsident, hielten Sie es nicht für gut, einmal studieren, werden Sie in weiten Passagen statt auf das Jahr 1948 abzulenken, auf die schuli- ähnliche Anregungen finden, wie wir sie gegeben sche Situation des Jahres 1974 in Hessen zu spre- haben. Dies festzustellen, ist Ihnen nur deshalb un- chen zu kommen und den ernsthaften Versuch zu angenehm, weil Sie dann nicht mehr polemisieren unternehmen, sich mit dem Anliegen auseinander- können zusetzen, das der Kollege Dregger heute morgen hier vorgetragen hat? (Abg. Seiters: Wer polemisiert hier denn (Beifall bei der CDU/CSU.) eigentlich? Sie polemisieren doch die ganze Zeit!) und die Dinge nicht so vereinfachen können, wie Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: Sie es tun, indem Sie das, was wir mit den Rahmen- Hessen war schon immer — von Beginn an — ein richtlinien auf dem Gebiet der inneren Schulreform sozial fortschrittliches Land. Wir konnten mit den in Gang setzen wollen, mit der Kurzformel „Marx" Bischöfen zu einer Zeit, als die CDU noch für die abtun. Damit glauben Sie Ihre Pflichtübungen er- Konfessionsschule kämpfte, Übereinstimmung dar- ledigt zu haben. über erreichen, die Konfessionsschule in Hessen nicht zu etablieren. Stellen Sie sich dies einmal vor! (Beifall bei den Regierungsparteien.) Dies wirkt bis heute in diesen guten Beziehungen Sie glauben, sich mit der Thematik inhaltlich nicht fort. auseinandersetzen zu müssen. Zu dieser Auseinan- (Beifall bei den Regierungsparteien.) dersetzung werden Sie aber gezwungen sein. Das ist eine Position, die sich durchaus sehen lassen kann. Ich bedaure, daß Sie die Bischöfe beschimpfen, Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: daß sie sich damals nicht anders verhalten haben. Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwi- Dies tut mir in diesem Zusammenhang sehr leid. schenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann? (Beifall bei der SPD.) Nun zu Ihrer Frage betreffend die Gesamtschule Ministerpräsident des Landes Hessen: Osswald, bzw. das, was bei uns in Hessen bildungspolitisch in Jawohl. der Diskussion ist. Bei uns befindet sich die Gesamt- schule nicht mehr im Stadium des Experiments oder Pfeffermann (CDU/CSU) : Herr Ministerpräsi- des Versuchs, sondern im Stadium der praktischen dent, wenn Sie es schon für sehr geschmackvoll Erprobung. Wir stellen fest, daß die Ergebnisse, die halten, nachdem Sie Mitte des vergangenen Jahres in der Schulpraxis zu verzeichnen sind, sich sehen Gespräche mit den katholischen Bischöfen über die lassen können. Sie stellen sicher, daß das, was wir Kulturpolitik des Landes Hessen geführt haben, wollen, erreicht wird, nämlich daß mehr Arbeiter- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5083 Ministerpräsident Osswald kinder als seither mit einer qualifizierten Bildung Wir sind in unserem Land zur Zeit dabei, Bil ausgestattet werden. dungspläne zu erproben. Ich möchte hier betonen, (Beifall bei den Regierungsparteien.) daß diese Bildungspläne nicht in Kraft gesetzt sind. Sie werden in einem offenen Prozeß der Dikussion Dies erreichen wir mit unserem bildungspolitischen mit der interessierten Öffentlichkeit erörtert und Konzept in unserem Lande in einem hohen Maße. darüber hinaus in der Schule erprobt. Deshalb haben wir ja den Konflikt mit der CDU; sie will nicht, daß die Menschen zu klug werden. (Zuruf von der CDU/CSU: In wieviel Schu len denn?) (Beifall bei der SPD. — Abg. Seiters: Billige Polemik!) — Es ist eine ganze Anzahl von Schulen. Sie ändert sich von Tag zu Tag. Sind es Ihnen zuwenig? Wir werden dafür sorgen, daß wir noch ein paar dazube- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischen- kommen. frage des Herrn Abgeordneten Erhard? (Beifall bei der SPD.) Die Pläne werden also erprobt. Aber Sie tun hier Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: ständig so, als ob sie in Hessen ohne Mitbeteiligung Bitte schön! der Eltern durch Verordnung in Kraft gesetzt wor- den wären. Ständig tun Sie so! Das ist nicht der Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) : Herr Mini- Fall; nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis! sterpräsident Osswald, wären Sie bereit, dem Hohen Hause, das die hessische Verfassung nicht so genau Außerdem ist in der 'hessischen Verfassung das kennt, wie Sie sie kennen sollten, mitzuteilen, daß Elternrecht wie in keiner anderen Verfassung der in Art. 56 der hessischen Verfassung die Schule zur Bundesländer so deutlich festgelegt, daß in allen Staatssache gemacht wird und die Form der Gemein- Phasen der Entwicklung zur endgültigen Gestaltung schaftsschule statuiert wird, daß Art. 156 der hessi- dieser Rahmenrichtlinien der hessische Landesel- schen Verfassung die Möglichkeit einräumt, im ternbeirat, die jeweiligen Elternbeiräte in den Schu- Wege der Wiedergutmachung eine Konfessions- len und die gesamte Lehrerschaft sowie die Öffent- schule dort, wo sie von den Nazis aufgelöst worden lichkeit durch die Diskussionen, die ich in Gang ist, wieder zu errichten? Wären Sie weiterhin bereit, - gesetzt 'habe, in diesen Prozeß der Meinungsfindung hier mitzuteilen, daß seit dem Zeitpunkt, zu dem zur Verbesserung der inhaltlichen Gestaltung die- sowohl die SPD als auch die CDU die hessische Ver- ser Rahmenrichtlinien einbezogen werden. Nun fassung angenommen haben, von der CDU kein ein- frage ich Sie, meine Damen und Herren: Wo gibt es ziger Antrag auf Errichtung einer Konfessionsschule ein demokratischeres Verfahren als dieses, an dem gestellt wurde? alle Gruppen beteiligt sind? Wo gibt es das? (Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der SPD.) Ich wundere mich sehr darüber, daß dies ein Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: solches Reizwort für Sie ist. Aber die CDU in un- Herr Abgeordneter, Sie haben richtig formuliert: serem Land hat sich, wie dies leider — ich betone: kein Antrag gestellt wurde. Aber in der öffentlichen leider — in der Bildungspolitik so oft der Fall war, Diskussion wurde es durch verschiedene Vertreter durch ihre eigene Entscheidung erneut ins Abseits gefordert. Das ist eine kleine Differenz. gestellt. (Zurufe von der CDU/CSU.) (Zurufe von der CDU/CSU.) Dies war die Tatsache. Ich will den alten Herrn Sie war gar nicht bereit, inhaltlich mitzudiskutieren, Cuno Raabe, den Amtsvorgänger von Herrn Dreg- sondern setzte an 'den Beginn 'der Diskussion 'die ger, in diesem Zusammenhang nicht noch besonders Forderung: Das muß vom Tisch! Sie forderte das, erwähnen. ohne über die Zielsetzung dessen, was andere Län- der, auch CDU-regierte Länder, mit diesen Rahmen- Aber wir wollen noch ein bißchen länger bei die- richtlinien als inneres Schulreformprogramm beab- sen Rahmenrichtlinien bleiben. Das scheint doch sichtigten, auch nur einmal mit sich reden zu las- das richtige Reizthema für Sie zu sein. sen. Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie die (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihr hessischen Verhältnisse kennen, wissen Sie, daß Niveau!) wir diesen Zustand in unserem Land schon öfter ge- Anscheinend ist es noch nicht so richtig griffig, wie habt haben, wobei wir hinterher 'feststellten, daß Sie es gern hätten. sich die CDU beeilen mußte, noch auf den fahren- den Zug zu springen. Sie ist dann ganz hinten drauf Nun, meine Damen und Herren, ich darf Ihnen gewesen. Dann ist sie nach vorn gerannt und wollte vielleicht einmal vortragen, was wir in Hessen im zur Lokomotive; wenn ein Bahnhof kam, wollte sie Hinblick auf die Rahmenrichtlinien tun. Nur hätte ihre Fahne heraushängen. ich an Sie die Bitte, dies dann auch zur Kenntnis zu nehmen und diesen Bundestag nicht immer wie- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) der mit Fragen zu belästigen, die hier nicht zu ent- Das war die Situation, wie sie sich immer bei un- scheiden und im sachlichen Inhalt wahrscheinlich seren schulpolitischen Auseinandersetzungen erge- gar nicht zu diskutieren sind. ben hat. (Beifall bei der SPD.) (Zurufe von der CDU/CSU.) 5084 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Ministerpräsident Osswald Über die schulpraktische Anwendung der Richt- Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: linien während des laufenden Erprobungsverfah- Bitte schön! rens entscheiden die Lehrer und Schulen frei nach Beteiligung der Elternvertretungen. Sie sollten das Breidbach (CDU/CSU) : Herr Ministerpräsident, hier bitte einmal zur Kenntnis nehmen! Vielleicht würden Sie das Urteil, das Sie vorhin über die Ab- hilft dies mit, daß wir uns möglicherweise doch über geordneten pauschal gefällt haben, sie hätten sich die Grundübereinstimmung, die ich in den Fragen nicht ausreichend mit den Rahmenrichtlinien be- der bildungspolitischen Reform, soweit es die Bil- schäftigt, wie die Diskussionen gerade hier gezeigt dungsinhalte angeht, für notwendig halte, noch ver- hätten, auch über die Professoren — Sie haben ständigen. können. einen genannt — Nipperdey und Lübbe fällen, die Es müßte auch in diesem Hause und unter den Ihrer Partei angehören und die diese Richtlinien demokratischen Parteien unstrittig sein, daß die aufs schärfste verurteilt haben? alten Bildungspläne aus den 50er Jahren abgelöst werden müssen. Sie sind noch einem starren Fächer- Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: kanon verhaftet und auf das traditionelle dreiglied- Sie haben mir im Augenblick wieder nicht richtig rige Schulsystem festgelegt. Meine Damen und zugehört. Herren, dort ist doch der eigentliche Konfliktpunkt! (Zuruf von der SPD: Nicht nur im Augen Sie haben in Ihrem schulpolitischen Konzept noch blick!) nicht von diesem Schulsystem Abschied genom- men, das nicht mehr in die moderne Landschaft der Ich habe gesagt: Beide Herren sind von mir einge- Zukunft paßt. laden gewesen. Einer der Herren hat an den öffent- lichen Podiumsdiskussionen teilgenommen, um über (Beifall bei den Regierungsparteien.) diese Inhalte zu diskutieren. Die Sache ist doch Das ist doch die Situation, mit der wir uns ausein- noch nicht fertig. Sie ist in der Diskussion. Sie be- andersetzen müssen, und nicht die Fragen, die Sie haupten, sie sei fertig. Ich sage, das ist ein Prozeß am Rande aufwerfen und dabei Marx falsch zitie- der Meinungsfindung zum besten Modell, und dar- ren die meisten, die ihn zitieren, haben ihn näm- um streiten wir. Wenn Sie sagen, sie seien fertig, lich nicht gelesen. - , dann kommen Sie doch nach Hessen! Wir können das vertreten. Ich kann Ihnen sagen: sie sind nicht (Zuruf von der CDU/CSU: Sie etwa?) - fertig. oder die Rahmenrichtlinien, die Sie zitieren; die (Beifall bei der SPD.) meisten haben auch diese nicht gelesen. Dann wer- den Sie hier in diesem Bundestag bedauerlicher- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: weise aus Ihren eigenen Reihen mit einem solchen Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Thema befaßt, weil Sie glauben, hier politisch an- Abgeordneten Dr. Luda? heizen zu können für den Wahlkampf in Hessen, wo man sich zunächst von der Sache her mit den Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: Dingen vertraut gemacht haben muß, ehe man im Bitte; den habe ich noch gut in Erinnerung aus der einzelnen in diese Sache hineingehen kann. Zeit, als ich schon mal im Bundestag war. (Beifall bei der SPD. - Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Aber der Herr Nipperdey hat Dr. Luda (CDU/CSU) : Ich frage Sie: Wie verträgt die Rahmenrichtlinien doch wohl gelesen!) sich das, was Sie eben gesagt haben, mit der Tat- sache, daß es — Darf ich Ihnen einmal etwas sagen, Herr den in Hessen herrschenden Kräften Carstens. Wir sind in Hessen sogar so weit gegan- im Landtagswahlkampf 1970 gelungen war, zu ver- gen, daß wir die beiden Herren — und darin wollen hindern, daß Herr Dregger im dortigen Fernsehen Sie bitte auch die tolerante Haltung dieser meiner im Wahlkampf wesentlich auftreten konnte? Regierung sehen zu den öffentlichen Diskussions- foren einladen und sie ans Podium setzen, damit sie Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: dem Volk ihre Meinung kundtun können. Das ha- Ich werde diese Ihre Frage an die ARD und an das ben wir getan. ZDF weitergeben und werde Ihnen dann eine schrift- (Beifall bei der SPD.) liche Antwort erteilen; denn etwas anderes kann ich Ihnen dazu wirklich nicht sagen. Herr Nipperdey ist in unserem Lande dazu aufge- fordert worden, und die Herren haben mit dabei- (Beifall bei der SPD.) gesessen. Verlangen Sie denn noch mehr, Herr Ich bin weder im Rundfunkrat noch habe ich irgend- Carstens? Ich lade auch Sie ein, wenn Sie um die einen Einfluß darauf. Aber ich will gern die Gremien Rahmenrichtlinien in Hessen mitstreiten wollen. befragen, damit ich Ihnen eine Antwort auf diese Herzlich willkommen in unserem Lande, herzlich Frage zuteil werden lassen kann. willkommen! (Beifall bei der SPD.) Meine Damen und Herren, hier war häufig von Systemveränderern, von Radikalen und von Ver- fassungsfeinden die Rede, die es von Schulen, Hoch-

Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: schulen und Behörden fernzuhalten gelte. Ich frage Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischen- mich immer wieder: Welchen Sinn 'haben solche frage des Herrn Abgeordneten Breidbach? sterilen Bekenntnisdebatten, die dauernd zur Wie- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5085

Ministerpräsident Osswald derholung ,des gesetzlichen Grundsatzes nötigen, daß Vizepräsident Frau Funcke: Herr Ministerprä- die Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur ak- sident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- tiven Verfassungstreue verpflichtet sind? ordneten Lenz? Hier lassen Sie mich bitte eines einfügen, was Herr Filbinger vorhin gegenüber dem Innenminister Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: nach meiner Auffassung nicht korrekt dargelegt hat. Bitte schön! In dem Gespräch bei dem Herrn Bundeskanzler im Beisein des Bundesinnenministers, als der Kollege Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) : Herr Minister- Filbinger noch Vorsitzender der Ministerpräsiden- präsident, wenn Sie seit zwei Jahrzehnten nach die- tenkonferenz war, gab es jene Übereinstimmung sen Grundsätzen verfahren, wie kommt es dann, daß mit dem Kanzler über die inhaltliche Gestaltung in der Gegend von Wiesbaden eine Lehrerin unter- dieses Gesetzes, ,das er hier heute monierte. Die richtet, die in Rheinland-Pfalz, durch ein Urteil des Forderung von Herrn Filbinger an Herrn Genscher Oberlandesgerichts bestätigt, als ungeeignet für den war aber: Bevor dieses Gesetz von der Bundesregie- öffentlichen Dienst und für den Lehrberuf bezeich- rung vorgelegt wird, sollte es mit den Mini ster- net worden ist? präsidenten erörtert werden. (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr. Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: Schäfer [Tübingen] : Das habe ich ihn vorhin Dazu kann ich Ihnen sofort eine ganz klare Ant- gefragt!) wort geben. Diese Lehrerin ist bei uns auf Grund Das war die Forderung von Herrn Filbinger in die- eines Stundenvertrages mit 14 Wochenstunden be- sem Gespräch. Ich habe mich gewundert, wie er dies schäftigt, nicht in einem Beamtenverhältnis. vergessen haben konnte. Denn die Mehrzahl der (Zurufe von der CDU/CDU.) Ministerpräsidenten war dabei. Die Bundesregierung Entschuldigen Sie bitte, und hören Sie jetzt einen würde nicht sachgemäß handeln, wenn sie ihren Augenblick zu. Das erste Urteil war für die Lehre- Entwurf, bevor sie ihn endgültig verabschiedet, nicht rin. Dann ist man in die zweite Instanz gegangen; vorher sowohl in der Innenministerkonferenz der das Urteil war gegen die Lehrerin. Daraufhin habe Länder als auch mit den Ministerpräsidenten erör- ich meinem Kultusminister gesagt: Sagen Sie bitte tern läßt. Dies war nicht korrekt, entspricht nicht - dieser Dame, wenn sie jetzt nicht Revision einlegt den Tatsachen. Deshalb fühle ich mich veranlaßt, und später nicht zum Bundesverfassungsgericht das hier richtigzustellen. geht, muß sie aus unseren Diensten ausscheiden. Nun, da wir dies wissen, bin ich doch der Mei- Dann haben wir den ersten Fall, in dem wir viel- nung, daß in dieser Debatte etwas mehr Selbst- leicht einmal jetzt eine Klärung bekommen, wie wir sicherheit und mehr demokratische Souveränität sie schon lange haben wollen. vonnöten ist. (Beifall bei den Regierungsparteien.) (Beifall bei ,der SPD.) Nun eine Bemerkung von mir. Ich bin nicht so Ich meine, daß die Fragen nach Verfassung und verfahren wie Herr Filbinger, der seinen NPD- Gesetz ziemlich klar zu beantworten sind. Etwaige Mann gestern schnell noch hinausgesetzt hat, nach- Zweifel mögen durch ein Rahmengesetz des Bundes dem ihn sein Kultusminister monatelang verteidigt und notfalls vom Bundesverfassungsgericht behoben hat. werden. In Hessen — und dies sollten Sie auch (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs gegenüber allen Unkenrufen zur Kenntnis neh- parteien.) men verfahren wir seit über zwei Jahrzehnten hier wurde der Innenminister aus dieser Zeit Der Anteil der Links- und Rechtsextremisten — zitiert unangefochten nach den Gesetzen der (Abg. Dr Lenz [Bergstraße] meldet sich zu freiheitlichen Demokratie, die auch ihren Gegnern einer Zwischenfrage.) nur mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnen darf, wenn sie sich nicht selbst untreu werden will. — Ich darf jetzt erst meine Gedanken zu Ende bringen. — Zu diesem Vorgang, bitte, gern! (Beifall bei der SPD.) Wir lassen uns nicht durch Panikmache von prak- Vizepräsident Frau Funcke: Bitte schön, Herr tischer Politik ablenken und zum Aufbau von Abgeordneter Dr. Lenz! Apparaten verführen, in denen Dossiers über die Tiraden von Revolutionsschauspielern gesammelt werden. Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) : Herr Minister- präsident, würden Sie mit mir darin übereinstimmen, (Vorsitz: Vizepräsident Frau Funcke.) daß es richtig ist, auch im öffentlichen Dienst einen Fehler, den man begangen hat, unverzüglich zu kor- Daran haben wir keinen Bedarf. rigieren und nicht erst einen Prozeß zu führen, ob- (Beifall bei der SPD.) wohl man genau weiß, daß bereits ein Oberlandes- gericht anders entschieden hat und die Anstellung Wir haben keinen Bedarf an Gesinnungsschnüffelei, der Lehrerin ja auch bis zur Entscheidung des Bun- aber auch kein Defizit an Staatsgesinnung. Das soll- desverfassungsgerichts hätte vertagt werden kön- ten Sie hier zur Kenntnis nehmen. nen? (Lebhafter Beifall bei der SPD.) (Zurufe von der SPD.) 5086 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: ten, die ganze Bundesrepublik, d. h. auch die ver- Augenblick bitte! Wir können den Fall doch sachge- schiedenen Bundesländer, betrifft. Ich habe mich über mäß klären, damit er nicht wieder irrtümlich aufge- Herrn Filbinger gewundert, der immer Heidelberg rollt wird. Diese Lehrerin war vorher nicht bei uns zitierte und dann meinte, in Hessen sei es schlecht. beschäftigt — das wissen Sie , und zwar bereits Das war eben das Komische bei ihm. Ich weiß nicht, zu einer Zeit, in der diese Fragen noch nicht so hoch- wo er das im einzelnen hergenommen hat. gespielt waren wie heute; also Jahre, bevor Ent- (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs scheidungen der Ministerpräsidenten untereinander parteien.) und in Absprachen mit dem Bundeskanzler diese Frage unter den Gesichtspunkt stellten, wie wir Ich würde auch der Opposition angeraten sein las- ihn in Übereinstimmung mit dem Bundeskanzler sen, ihre politischen Freunde aus den Ländern nach festgelegt haben. ihrer Haltung, die sie noch vor wenigen Jahren im Hinblick auf ein Ordnungsrecht hatten, selbst noch Daher resultiert der Vertrag von 14 Wochenstun- einmal zu befragen. Denn es waren auch namhafte den. Da gab es den ersten Prozeß, den sie gewon- politische Vertreter aus Ihrem Bereich, die in dieser nen hat. Ich stehe ganz klar zu der Position, die ich Frage sehr zurückhaltend waren und die hier das hier vertrete: Wenn das Bundesverfassungsgericht Entstehen einer Rechtsebene sahen, die nicht unter gegen diese Lehrerin entscheidet, wird sie von mir Kontrolle wäre. entlassen. Das ist ein ganz klarer Standpunkt. Aber solange das nicht geschehen ist, solange nicht ein Außerdem warne ich vor der Illusion zu glauben, Gericht in letzter Instanz ein Urteil gefällt hat, soll- mit einem Ordnungsrecht die Probleme in den Uni- ten Sie nach den Rechtsstaatsprinzipien, die Sie versitäten regeln zu können. Ich warne vor dieser heute nach der Verfassung vertreten sehen wollen, Illusion! auch jedem sein Recht zugestehen. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD.) der FDP.) Nun, der Anteil an Links- und Rechtsextremisten Diese Probleme sind viel tiefgreifender. im öffentlichen Dienst Hessens ist nach Promille zu (Abg. Rawe: Wer will das denn? Herr berechnen und führt in unserem Lande nur die Oppo- Dohnanyi will das doch! Das müssen Sie sition zu Rauschzuständen, sonst niemanden. - dem mal sagen!) (Heiterkeit bei der SPD.) — Sie sehen, vorhin haben Sie noch von mir ge-. Ich frage mich, wodurch unsere Verfassung mehr ge- wünscht, daß ich etwas dazu sage. Jetzt wollen Sie fährdet wird, Herr Dregger — diese Frage richte ich es für Herrn Dohnanyi haben. ernsthaft an Sie, weil ich viele Reden von Ihnen aus (Abg. Rawe: Sie hören gar nicht richtig hin! unserem Landtag kenne; neben Ihnen sitzt ja der Der will das doch!) Kollege Wallmann, der in diesen Fragen damals ge- genüber Herrn Zinn auch gewisse Äußerungen ge- Ich halte nichts davon, wenn die Opposition glaubt, macht hatte —: durch die winzige Gruppe radikaler daß sie diese Probleme nur mit dem Ordnungsrecht Lehrer, die z. B. — das will ich nur als Beispiel nen- regeln könnte. Hier sind wir alle, auch die CDU, als nen — in Frankreich niemanden um den Schlaf Demokraten gefordert, aber nicht im Sinne von De- brächten, oder durch die Anmaßung einer Partei, die monstrationen, sondern im Sinne einer echten poli- über die Verfassungstreue anderer Parteien richten tischen Mithilfe für alle Gruppen in den Universitä- möchte. Das möchte ich Sie einmal fragen. ten zur Regelung ihrer eigenen Probleme. (Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall (Beifall bei den Regierungsparteien.) bei Abgeordneten der FDP.) Hier ist ein gemeinsamer Auftrag. Entweder ge- Ich verstehe durchaus, daß die Opposition Auf- lingt es uns, diese gemeinsame Aufgabe zu lösen, wind verspürt, wenn radikale Studentenkader die oder wir werden immer wieder Situationen finden, geistige Liberalität unserer Universitäten zynisch wie sie sich ja doch nicht erst in der jetzigen Regie- ausbeuten. rungsepoche oder in den letzten Wochen in Frank- (Abg. Rawe: Was macht ihr denn?) furt gezeigt haben. Ich erinnere an die Zeiten der außerparlamentarischen Opposition — dies fällt doch — Lesen Sie es. Das müssen Sie gelegentlich auch noch in die Phase Ihrer Verantwortung für die Bun- tun. despolitik —, als die Jugend in der damaligen Zeit (Abg. Rawe: Lesen nicht, sehen wollen rebellierte und Sie ihr in dieser Phase nichts anbie- wir was!) ten konnten. Nichts konnten Sie ihr anbieten! Ich mache nicht das, was andere tun würden. Viel- (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. leicht kann ich Ihnen eine kurze Abhandlung über Rawe: Denken Sie darüber nach, daß Sie ge das geben, was ich getan habe und was wir in Frank- meinsam mit uns in der Großen Koalition furt dabei an Ergebnissen zu sehen haben. waren!) Hierbei geht es nicht um spefizische Probleme des Das sind doch Positionen, die Sie nicht vergessen hessischen Hochschulrechts. Das ist hier heute an- sollten, wenn Sie in Ruhe einmal darüber nachden- geklungen. Das Problem der Universitäten ist in sei- ken, wie wir vielleicht gemeinsam Lösungen finden ner Dimension und in seinem Inhalt ein umfassendes können. Problem, das alle oder die Mehrheit der Universitä- (Zurufe von der CDU/CSU.) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5087

Ministerpräsident Osswald — Ich möchte Ihnen dies hier nur mit auf den Weg Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: geben. Wir reden über die Verfassung, und da gibt Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt doch es gemeinsame Verpflichtungen für Demokraten. Ich erst einige Gedanken zu Ende bringen — ich sehe, glaube, daß wir doch noch jene Grundübereinstim- der Saal füllt sich allmählich —; sonst nehme ich mung haben können. Wenn das nicht mehr geht, hier eine Redezeit in Anspruch, für die ich mich bei dann machen wir nur noch in Konflikt, wie Herr diesem Hohen Hause und bei allen, die sich noch Dregger das heute morgen andeutete. in diesem Hause befinden, entschuldigen muß. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. (Abg. Rawe: Für die Zeit brauchen Sie sich Dr. Stark [Nürtingen] : Dann müssen Sie mit nicht zu entschuldigen!) der Wahrheit anders umgehen!) Wenn Sie mich so viel fragen, komme ich nicht zu meinen Texten. Darf ich erst einmal ein bißchen aus Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister- meiner Rede vortragen? — Sehr schön! präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Wir laden Sie in 14 Tagen noch einmal ein! Dann ist

Kroll -Schlüter (CDU/CSU) : Herr Ministerpräsi- Karneval! — Zuruf des Abg. Reddemann.) dent, ist Ihnen die Umfrage Ihrer Partei aus dem Es ist doch klar, daß Lehre und Forschung nur in Monat Mai 1973 bekannt, aus der klipp und klar einer Atmosphäre der Freiheit und der Toleranz ge- hervorgeht, daß der Wunsch nach Orientierung, deihen können. Wer die Richtigkeit wissenschaft- nach Inhalten noch nie so groß war wie im Jahre licher Erkenntnisse Mehrheitsabstimmungen unter- 1973 und folglich auch heute? werfen will, hat ein falsches Wissenschaftsverständ- nis, und wer die freie Lehre und Forschung durch Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: permanenten Gruppenkampf stört, verwirkt nach Forschen wir nach den Ursachen. Dies ist ja eigent- meiner Auffassung das Bürgerrecht auf akademische lich der Konflikt, der heute hier auszutragen wäre, Bildung. Dies habe ich deutlich gemacht, und dies nämlich die Frage nach den Ursachen. Könnte es müssen wir auch ganz klar sehen. nicht sein, daß sich durch nicht zeitig genug in Gang gesetzte Reformen in unserer gesellschaftlichen Wir haben vor kurzem diesen Konflikt an der Entwicklung ein Stau gebildet hat, der uns letzten Universität Frankfurt am Main nach meiner Auf- fassung mit angemessenen Mitteln, mit Überzeu- Endes in die Situation geführt hat, für die Sie uns gung und offensiver Diskussion beilegen können. heute mit leichter Hand verantwortlich machen wol- Der Vorlesungsboykott ist gescheitert, die Störer len? sind nach meiner Auffassung politisch isoliert. Aber (Beifall bei den Regierungsparteien.) ich gebe mich nicht der Illusion hin, daß in dem nächsten Semester nicht wieder gleiche oder anders- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister- artige Probleme in dieser Art auftreten könnten. Die präsident, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Masse der lernwilligen Studenten aber hat diesen Abgeordneten Kroll-Schlüter? Gruppen — und das sehe ich bei unserem Vorgehen in der Frankfurter Universität als entscheidend an Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: — die Solidarität verweigert. Und darum muß es Bitte! uns doch gehen, daß sie sich nicht mit den Anarchi- sten solidarisieren.

Kroll - Schlüter (CDU/CSU) : Ich bin dankbar für (Beifall bei der SPD.) diese Auseinandersetzung. Aus dieser Umfrage geht Ich nehme an, das ist doch auch Ihr Anliegen in der ebenfalls hervor, Sache. Wir leisten in unserem Lande den im Inter- (Zurufe von der SPD: Frage!) esse von Forschung und Lehre notwendigen Frei- daß die Mehrheit der Jugend ja sagt zu diesem Staat heitsschutz, aber ohne Anleihe bei reaktionärer und im Vordergrund aller Zukunftsüberlegungen ein Konfliktstrategie. glückliches Familienleben steht. Meine Damen und Herren, Sie werden bald vor (Lachen bei der SPD.) dieser Frage stehen, und Sie können Ihren Beitrag leisten, indem Sie das Hochschulrechtsrahmengesetz, — Das können Sie Ihrer Umfrage entnehmen. Sind dessen Förderung ich Ihnen sehr anempfehlen möch- Sie nicht der Meinung, daß diese Bundesregierung te, beschleunigt verabschieden, auch mit den Stim- gerade vor der Familie versagt hat? men der CDU. Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen: (Beifall bei den Regierungsparteien.) Da kann ich Ihnen wieder eine wunderbare Antwort Dann haben Sie einen bewußten, sachbezogenen Bei- geben: Ich habe ein glückliches Familienleben, und trag geleistet, und wir können dann gemeinsam die ich wünsche nur, daß alle anderen es auch haben! Probleme sicher noch besser lösen. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Nun aber zu einigen anderen Fragen, die hier an- Lachen bei der CDU/CSU.) gesprochen worden sind, und wo ich Risiken sehe, die aus der Debatte — Staatsverständnis Dr. Dreg- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister- ger, der ja seine eigene Perspektive hat, und das, präsident, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? was uns als Demokraten eigentlich noch gemeinsam 5088 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Ministerpräsident Osswald verbinden sollte — entstehen. Ich warne vor diesen streitig machen wollte, daß sic auf der Grundlage vereinfachten Formeln, Herr Dr. Dregger, die Sie dieses unseres Verfassungsrechts steht. Das wäre uns hier angeboten haben im Sinne eines Freund- schlimm. Dies müssen wir doch miteinander als Feind-Verhältnisses. Übereinstimmung festhalten. Es muß doch auch Ihr (Beifall bei der SPD.) Anliegen sein, daß wir dies festhalten und dadurch diesen unseren Staat durch gemeinsame Anstren- Die Verfassungswirklichkeit und der Alltag sind gungen in den politischen Entscheidungen, die diffe- differenzierter, als daß sie nur mit dem Lösungs- renziert sein müssen und sein werden, dann anrei- mittel der Ruhe — und sei es Friedhofsruhe ge- chern. regelt werden könnten. Ich bedaure dabei, meine Damen und Herren, daß (Erneuter Beifall bei der SPD.) Sie sich in dieser politischen Auseinandersetzung Sie sind viel komplizierter und schwieriger in der nicht zu den konservativen Grundsätzen Ihrer Par- internen Auseinandersetzung mit den politischen tei bekennen. Ich bedaure das, denn dann wären die Kräften, auch mit den jungen Menschen in unserem Fronten etwas deutlicher. Das ist doch mit das ei- Lande und auch Teilen der Jugend, die Unbehagen gentliche Problem, um das es hier geht! empfinden über diese unsere Demokratie und ihre (Beifall bei den Regierungsparteien.) innere Ausstattung. Hier zeigen sich doch auch die Schwierigkeiten, Was ist denn nun geschehen? Als sich diese Koali- wenn wir aneinander vorbeireden. tionsregierung hier in Bonn auf den Weg begab, die (Zurufe von der CDU/CSU.) sozialstaatlichen Inhalte unserer Verfassung, jenen Wechsel, den man, als man die Verfassung schuf, Ich warne nur davor, daß Sie solche Utopien als den Arbeitnehmern ausgestellt hatte, in die Wirk- verfassungsrechtliche Wahrheiten ausgeben. Und lichkeit umzusetzen durch mehr Mitbestimmung, wissen Sie, da ist auch mit solchen Zwischenrufen durch mehr Verfassung, versuchten Sie, diese Ent- nichts getan. Ich habe in dieser Frage eine ganz scheidungen an den Rand der Verfassung zu drän- klare Haltung. gen, indem Sie Verfassungsklage oder andere Maß- (Abg. Seiters: Eine sehr polemische!) nahmen ankündigten. — Die ist nicht polemischer als die von Herrn Dreg- (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.) - ger. Soll dies in der Zukunft der Inhalt der Auseinander- (Zustimmung des Abg. Wehner.) setzungen sein über erforderliche Reformen in unse- Sie beschweren sich immer, wenn man Ihnen einmal rer Gesellschaft und die sozialstaatlichen Inhalte, die in gleicher Münze zurückzahlt. Das ist ein komi wir dabei für die große Mehrheit unserer Bürger an- sche Sache im politischen Geschäft. Wenn sich dann reichern wollen? Denn diese Aufbauleistung, das, einmal jemand auch dieser Art und Form der Argu- was wir heute in der Freiheit dieses Grundgesetzes mentation bedient, werden Sie auf einmal empfind- feiern, was wir in der Stabilität dieses freien Staates lich. feiern, entspringt der Arbeitsleistung von Millionen (Zustimmung bei der SPD.) Arbeitnehmern, die sich aus diesem Staate nicht hinausdrängen lassen, Ich frage aber, warum. Sie sollten nicht empfindlich werden, meine Damen und Herren! (erneuter lebhafter Beifall bei der SPD) (Beifall bei den Regierungsparteien. - Zu sondern die mitten in diesem Staate stehen und rufe von der CDU/CSU.) das Fundament tragen, auf dem dieser Staat steht. Es ist ein solides Fundament. Und da lassen wir es Wir sollten uns politisch das sagen, was notwendig auch nicht zu — das ist immer ein beliebtes Spiel ist, aber als Demokraten auch sehen, daß es viele von Ihnen gewesen , daß Sie einzelne Mitglieder Fragen gibt, wo wir zusammenstehen müssen, um Sozialdemokratischen Partei oder einzelne Gruppen diese unsere freiheitliche Demokratie gemeinsam zu aus den Jungsozialisten herausnehmen und so ver- verteidigen — eine ganze Menge Fragen! gröbern und verallgemeinern, daß Sie die gesamte (Beifall bei den Regierungsparteien und Sozialdemokratie oder alle Jungsozialisten dabei Sehr gut! bei der CDU/CSU.) diffamieren. Das lassen wir nicht zu; seien Sie davon überzeugt. Nun, ich glaube, hier müssen wir sehen, daß sich (Lebhafter Beifall bei der SPD.) nicht folgendes vollzieht; und dies klang in Ihren Ausführungen, Herr Dr. Dregger, an. Wir fürchten, Hier werden wir uns offensiv, mit einem klaren daß Sie die ganze Struktur unserer Wirtschaftspo- Konzept - diese Bundesregierung hat es deutlich litik in die Verfassung einbunkern wollen, um sie werden lassen, was Fragen der Vermögensbildung dadurch dann unbeweglich werden zu lassen. und Mitbestimmung betrifft; sie wird es in anderen (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Das hat Herr gesellschaftspolitischen Bereichen deutlich machen Dregger nicht gesagt!) — mit Ihnen auseinandersetzen, und zwar politisch auseinandersetzen; denn dort sind die Entscheidun- Diese Ordnung ist nicht festgeschrieben in unserer gen zu treffen. Es wäre schlimm um unsere Verfas- Verfassung; das Grundgesetz ist in dieser Frage sung bestellt, wenn man einer der in diesem Parla- eine offene Verfassung. Sie haben die Entwicklun- ment vorhandenen demokratischen Parteien - ich gen der letzten 20 Jahre im Rahmen dieser offenen schließe dabei alle Abgeordneten ein — auch nur Verfassung in Gang gesetzt. Dabei sind wir ein gan- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5089 Ministerpräsident Osswald zes Stück weitergekommen. Dies wird Ihnen nie- Wer ist für oder wer ist gegen die Verfassung! mand bestreiten, am allerwenigsten ich. Das, was (Abg. Mick: Sie waren doch der Scharf dabei mit versäumt worden ist, in den sozialstaat- macher!) lichen, sozialpolitischen und sozialrechtlichen Inhal- ten jene Anreicherungen zu vollziehen, um das Das wird nicht gelingen. Sie verletzen damit nach Ganze sich entwickeln zu lassen. Dies ist doch das meiner Auffassung das Lebensgesetz der Demokra- Problem, über das wir streiten. Und jetzt kommen tie: daß nämlich die demokratische Verfassung die ein paar Reformen; da sind Sie gleich wieder auf rechtliche Grundordnung für das politische Wirken dem Wege, um sie zu bekämpfen. aller Parteien ist, die dieses Grundgesetz zuläßt. (Zuruf des Abg. Dr. Lenz [Bergstraße].) Dieses Grundgesetz gründet sich auf die Kon- Das ist die Frage, hier setzen wir uns auseinander, kurrenz einer Vielzahl politischer Gruppen, denen und hier werden wir dann auch aus unserer Sicht in einem System politischer Toleranz und geistiger unseren politischen Beitrag in der Form leisten, wie Offenheit die gleichberechtigte Chance politischer ich ihn hier angedeutet habe. Betätigung verbürgt sein soll. Das Freiheitssystem ist rechtlich durch nichts als die Verfassung selbst Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, beschränkt und in der täglichen Praxis nur durch wir wollen bitte festhalten, daß das Grundgesetz die Einsicht begrenzt, daß Freiheit vornehmlich die kein Totalkonzept für die Gestaltung der gesell- Freiheit des Andersdenkenden ist. Und denken Sie, schaftlichen Ordnung enthält. Es hat die Lösung so- meine Damen und Herren, dabei immer an eines: zialer Konflikte nicht vorprogrammiert. Wohl hat Das Grundgesetz ist kein Paternoster, mit dem sich die Verfassung durch ihre Grundentscheidung für die CDU/CSU in den Alleinbesitz der Staatsmacht den demokratischen Sozialstaat dem Gesetzgeber zurückbefördern kann. das Mandat zur sozialen Evolution erteilt; dabei bindet sie als geltungsstärkste Norm jede Umset- (Anhaltender lebhafter Beifall bei den zung politischer Programme. Sie sichert grundrecht- Regierungsparteien.) liche Freiräume, trifft Wertentscheidungen, bestimmt die Regeln der politischen Auseinandersetzung und Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat bindet die Rechtsetzung an übergreifende Prinzipien der Herr Kultusminister Maier (Bayern). des Rechtsstaates und einer chancengleichen Vertei- - lungsgerechtigkeit. Zugleich aber läßt sie dem Ge- setzgeber einen Raum eigener Gestaltungsfreiheit, Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Frau in dem nur die Ideen zählen, die der Wähler hono- Präsidentin! Meine Damen und Herren! Keine riert. Ein Raum bleibt offen, in dem die Parlamente Angst, ich will den homerischen Streit der deut- — zwar in Bindung an die Grundrechte, aber doch schen Stämme und Länder nicht fortsetzen. Ich in großer Freiheit — neue staatliche Ziele festlegen möchte die Debatte auch nicht allzusehr auf die und die überkommenen Strukturen so verändern Bundesrats-Bank verlagern und dem baden-württem- können, daß die demokratische Gesellschaft auch bergisch-hessischen Schlagabtausch einen hessisch für die kommende Generation eine lebenswerte Ord- bayerischen nachschicken. Aber einige „Fragen nung ist. eines lesenden Arbeiters" zu dem hier skizzierten Bild des fortschrittlichen Hessen drängen sich doch Und darum bemühen wir uns in unserem politi- auf. schen Kampf. Dazu sind aber Antworten auf Fragen (Heiterkeit bei der CDU/CSU.) zu finden, die die Arbeitswelt betreffen, (Abg. Matthöfer: Sehr wahr!) Erste Frage zu den Richtlinien: Wenn sie so schön sind, die Richtlinien, und so unumstritten, auf Fragen, die die Umwelt betreffen, auf Fragen, warum, Herr Kollege Osswald, haben Sie sie dann die die Bildungsreform und Bildungsgerechtigkeit, kurz vor dem Hessen-Forum mindestens im das Bürgerrecht auf Bildung, das Recht auf humane ersten Entwurf — zurückgezogen? Stadtplanung, auf eine Ausrichtung der Produktion auf die Grenzen des Wachstums betreffen — ein (Beifall bei der CDU/CSU.) Problem, auf das uns nach meiner Auffassung die Zweite Frage: Wenn die Eltern so stark beteiligt Energiekrise viel früher gebracht hat, als es uns waren, warum hat dann der Landeselternbeirat sonst bewußt geworden wäre. Solche Fragen hat mehrfach gegen die Rahmenrichtlinien Stellung ge- der demokratische Gesetzgeber im Interesse einer nommen und eben jenes Gutachten bei den SPD- besseren Lebensqualität für die Mehrheit der Bür- Kollegen Nipperdey und Lübbe in Auftrag gegeben, ger im Konflikt mit Gruppeninteressen zu entschei- das zu dem Ergebnis kommt, wesentliche Teile der den. Rahmenrichtlinien des ersten Entwurfs seien ver- Für diese Konfliktentscheidung hält die Verfas- fassungswidrig? sung kein Arsenal fertiger Handlungsweisungen (Beifall bei der CDU/CSU.) parat, sondern überwiegend nur grundrechtliche Schutzmarken der menschlichen Eigensphäre. Meine Dritte Frage eines lesenden oder eines mithören- Damen und Herren von der Opposition, verengen den Arbeiters: Wenn nur alte Inhalte neu gestaltet wir den politischen Diskussionshorizont nicht auf worden sind, wie erklären Sie sich dann das Urteil die einfache Freund-Feind-Formel: von Golo Mann — ich zitiere ihn mit Erlaubnis der (Abg. Mick: Was haben Sie denn die ganze Frau Präsidentin --: Zeit gemacht?!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) 5090 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Landesminister Dr. Maier Die Verfasser sagen, die Geschichte erhalte in Das wäre ebenso anmaßend wie töricht. den hessischen Rahmenrichtlinien einen neuen (Beifall bei der CDU/CSU. — Demonstrati Stellenwert. Den erhält sie: im Mülleimer. ver Beifall bei den Regierungsparteien.) Das ist Golo Mann. Es geht auch nicht darum, daß eine Partei gegen- (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: über der anderen recht behält. Damit wäre dem Eingebildet originell! - Abg. Dr. Schäfer notwendigen Konsens der demokratischen Kräfte in [Tübingen] : Ich habe schon Besseres von diesen Fragen nicht gedient. Ihnen gehört!) (Beifall bei der CDU/CSU.) — Das ist ein Zitat von Golo Mann. Es war nicht Es geht in dieser Debatte, wenn ich sie recht ver- von mir. Zu den hessischen Rahmenrichtlinien ist standen habe, um drei Dinge, erstens um das ge- ihm wahrscheinlich nichts Besseres eingefallen. meinsame Verfassungsverständnis aller demokrati- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) schen Parteien — das gemeinsame Verfassungsver- ständnis! —, zweitens um die Beurteilung dessen, Vierte Frage: Wenn sich die Gesamtschule in was sich am Rande oder außerhalb dieses Verfas- Hessen so bewährt hat, warum kommt dann die sungsverständnisses in den letzten Jahren an Kräf- schärfste Kritik an den augenblicklichen Gesamt- ten und Bewegungen in diesem Lande entwickelt schulversuchen gerade aus dem Kollegium der hat, Ernst-Reuter-Schule in Frankfurt? Das wird ja unter (Beifall bei der CDU/CSU) Pädagogen bundesweit diskutiert. und drittens — und das ist das Wichtigste — um ein Fünfte Frage: Wenn Hessen in der Schul- und solidarisches Handeln der demokratischen Parteien Hochschulpolitik immer voran war, wie erklären Sie gegenüber diesen Kräften. dann den merkwürdigen Sachverhalt, daß Hessen (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.) bis heute keine neue Hochschule gegründet hat? Dabei liegt der Streit viel weniger in der Theorie Denn die Gesamthochschule Kassel ist nur eine Er- als vielmehr in der Praxis. Ich könnte allem zustim- weiterung schon bestehender Hochschulen. Wie er- men, was der Verfassungminister des Bundes heute klären Sie sich, daß CDU- und CSU-Kultusminister, mittag zur Eröffnung der Debatte gesagt hat. Das Mikat in Nordrhein-Westfalen, Hahn in Baden- - hätte ein Unionspolitiker sicher nicht besser sagen Württemberg, Huber in Bayern, eine große Anzahl können. neuer Hochschulen gegründet haben, lange bevor (Beifall bei der CDU/CSU.) Hessen auch nur seinen augenblicklichen Bestand an Studienplätzen aufgestockt hat? Die Frage ist gar nicht: Ist dieses oder jenes ver- fassungsrechtlich oder verfassungspolitisch proble- (Beifall bei der CDU/CSU.) matisch? Darüber erzielt man mit SPD-Kollegen rasch Hessen liegt im Augenblick mit seiner Zahl an Einigkeit, manchmal unter vier Augen rascher als in Studienplätzen unter dem Durchschnitt der Bundes- der Öffentlichkeit. republik. Das läßt sich nachweisen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) (Hört! Hört! und Beifall bei der CDU/CSU. Sondern die Frage ist: Was tun wir dagegen? Hier — Zurufe von der SPD.) fangen die Fragen, die Zweifel und die Bedenklich- keiten an. Diese Debatte hat sie nicht beheben kön- Ich sage das nicht aus kleinlicher Kritik. Es gibt nen. Denn ich habe eine Antwort auf die Fragen der viele Punkte, in denen auch CDU-Länder Nachhol- Unionsfraktion nicht gehört. bedarf haben. (Bravo! bei der SPD.) (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Von der CDU nicht gehört!) — Selbstverständlich, das habe ich nie bestritten. — Es gibt auch viele Punkte, wo SPD-Länder Nach- — Nein, gerade von Ihnen, Herr Kollege Schäfer. holbedarf haben. Das sollte in einem föderalisti- Ich komme noch darauf zurück. schen System ein edler Wettstreit sein, und man (Beifall bei der CDU/CSU.) sollte nicht alle Lorbeeren auf ein Haupt und auf ein Land häufen. Im übrigen stimme ich Herrn Osswald Zunächst zum Verfassungsverständnis! Die Ver- sehr zu in der Hochschulpolitik, wenn er kürzlich fassung ist die rechtliche Grundordnung eines Staa- erklärt hat, er wolle Flagge zeigen. Nur, Herr Kol- tes. Sie ist die Ordnung unseres gemeinsamen Zu- lege Osswald, das sollte nicht die weiße Flagge sein. sammenlebens. Sie ist die Spielregel für den Aus- trag unserer Konflikte. Sie ist auch — darin stimme (Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ ich den SPD-Rednern zu — der Grundriß für den CSU. — Zurufe von der SPD. — Abg. Orgaß: Ausgeflaggt!) Ausbau dieser Demokratie. Sie ist aber vor allem ein gesetztes Maß, das eingehalten werden muß. Sie Zurück zu dieser Debatte. gilt. Sie darf nicht verletzt werden. Sie muß beachtet (Beifall bei der SPD.) werden. Es geht in dieser Debatte nicht darum, irgendeiner Man sage nicht, das sei statisches Denken. Jeder Partei die Schelle mangelnder Verfassungsloyalität weiß, daß Verfassungen sich entwickeln. Jeder weiß, umzuhängen. daß wir heute das Grundgesetz mit anderen Augen (Zurufe von der SPD.) sehen, anders interpretieren, andere Akzente setzen Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5091 Landesminister Dr. Maier als 1949. Aber in aller Entwicklung, die stets offen Soviel nur zur Einleitung. Ich meine, diese Grund- ist und die offengehalten werden muß, müssen besinnung und diese Überlegung sind notwendig; Grundmaße unverrückt bleiben, die zu beachten der denn wir stehen gemeinsam vor den gleichen Auf- Verfassungsgeber sich selbst verpflichtet hat. Das gaben, die ich jetzt kurz darstellen will. sind die Menschenrechte, vor allem das Recht der Zweifellos haben sich in den letzten Jahren Kräfte Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, das entwickelt, die über den lange Zeit unbestrittenen ist die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Grundkonsens unserer Verfassung hinausdrängen. Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßig- Es ist ja nur ein kleines Symptom, wenn in einer keit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Ge- gestern erschienenen Infas-Umfrage unter Gymna- richte, das Mehrparteienprinzip, die Chancengleich- siasten und Studenten bekannt wird, daß sich 10 % heit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf für eine Revolution aussprechen, daß nur wenige verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer am Bestehenden Vergnügen finden. Man sollte das Opposition. So hat das Bundesverfassungsgericht weder unterschätzen noch überschätzen. Es ist das in verbindlicher Auslegung unseres Grundgesetzes gute Recht junger Menschen, sich nicht mit dem Be- die freiheitlich-demokratische Grundordnung um- stehenden zu begnügen. Hier liegt nicht das eigent- schrieben, und man sollte sich heute daran erinnern, liche Problem. Es ist auch klar, daß diese Jugend, daß diese Abgrenzung vom Verfassungsgericht zu- die keine Erfahrung mehr mit dem Dritten Reich ge- erst nach rechts befestigt worden ist, nämlich im habt hat, die auch keine Erfahrung mit kommuni- SRP-Urteil von 1952. Ich hoffe, diese freiheitliche stischen Diktaturen hat, nicht den gleichen Zugang Grundordnung ist eine verpflichtende Regel für alle. zur Verfassung und zu der Erfahrungsgrundlage Es wird nicht bestritten, daß das Grundgesetz dieser Verfassung hat wie die mittlere und ältere breite Zonen der Ausgestaltung und Weiterentwick- Generation. lung enthält. Ich will nur an die Begriffe Demokra- tie, Sozialstaat, Leistungsstaat, aber auch Rechts- Vizepräsident 'Frau Funcke: Herr Minister, staat denken; denn auch 'der Rechtsstaat ist keines- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- wegs abgeschlossen, vollendet. Hier liegt das legi- ordneten Moersch? time Kampffeld aller Parteien. Hier geht auch die Auseinandersetzung vor sich, ganz zu Recht, um die Fragen Sozialismus, Demokratie, Mitbestim- Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Bitte mung und was man immer hier nennen mag. Aber schön! es wäre verfehlt — ich halbe das ein paarmal in Beiträgen der Regierungsparteien anklingen hören Moersch (FDP) : Herr Minister, können Sie mir , die Einhaltung geltenden Verfassungsrechts, gel- bei der Auswertung dieser Umfrage zustimmen, tender Verfassungsgrundsätze von 'dem Postulat der wenn ich sage, daß dies ein ungewöhnlich günstiges sozialen Weiterentwicklung des Grundgesetzes ab- Ergebnis ist, wenn es heißt, ,daß nur 10 % ihre poli- hängig zu machen. Wenn die Unionsparteien ganz tischen Vorstellungen nicht im Rahmen der Verfas- selbstverständlich sich dazu bekennen, daß das sung verwirklichen wollen, verglichen mit der Ver- Grundgesetz nichts Abgeschlossenes ist, sondern haltensweise aller hier anwesenden Abgeordneten der Weiterentwicklung ebenso fähig wie bedürftig zu dem Zeitpunkt, als sie 18 Jahre alt waren? ist, wenn sie ohne weiteres den Satz unterschrei- ben, daß ein Rechtsstaat ohne soziale Gerechtigkeit Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Ich habe heute eine Leerformel ist, etwas Leeres, so sollte schon gesagt, daß ich die Ergebnisse solcher Studien auch die SPD einräumen, daß 'die freiheitlich-demo- nicht überbewerte, zumal es heute einem gewissen kratische Grundordnung in jedem Fall der Diskus- modischen Trend entspricht, für Veränderung, auch sion der Parteien entzogen ist für Revolution zu sein. (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Wie können Sie „einräumen" sagen!?) Aber hier scheint mir nicht ,das Problem zu liegen. Wir müssen auch betonen: nicht die Jugend allein und nicht unter ein Gebot einer sozialen, sozial- hat die Verantwortung für diese Entwicklung. Oft ist staatlichen oder sozialistischen Ausfüllung, gewis- die Saat des radikalen Zweifels an überlieferten sermaßen unter einen Ausfüllungsvorbehalt ge- Werten schon in der Famile gesät worden, von El- stellt werden kann. tern, die angesichts der rapiden Veränderungen in (Beifall bei der CDU/CSU.) ihrer Umwelt immer weniger in der Lage waren, ih- Ich räume ein: es gibt sicher Politiker, die zu ren Kindern erzieherische Werte mitzugeben. Was als lernen haben, daß eine Verfassung ein offenes Sy- Aufstand gegen alle Autorität erscheint, ist oft nur stem ist und daß man sie weiterentwickeln muß, eine Reaktion auf verweigerte Autorität, vorenthal- oder 'die mehr auf diesem Gebiet zu lernen haben. tenen Widerstand, auf ein Fehlen von Vorbildern Aber ebenso sollten andere Politiker lernen, daß der Lebensgestaltung, und hier sind wir alle mitver- die Verfassung nicht erst durch ,den Gesetzgeber antwortlich. Die Folge ist jenes große Mißtrauen, das erfüllt wird, sondern daß sie schon in ihrer Grund- heute jeder Erzieher, aber auch jeder Politiker zu ordnung, in ihrer freiheitlich-demokratischen Grund- spüren bekommt, der mit der Jugend zu tun hat. ordnung ein Bestand ist, der gilt, der zu beachten Eines aber möchte ich sagen: Je mehr Erwachsene, ist und gegen dessen Verletzung alle Parteien ein- je mehr Politiker, je mehr demokratische Parteien treten müssen, ganz unabhängig von ihren — je darauf relativistisch oder „jugendverstehend"-lau nachdem — andersgearteten politischen Zielen. reagieren, desto stärker wird die Empfänglichkeit 5092 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Landesminister Dr. Maier der jungen Generation für absolute und totale Lö- Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Ich sungen und für die Revolution sein, desto stärker möchte das Zitat noch zu Ende führen; dann gern! wird der Wunsch sein, wenn nicht geliebt, so doch Ich zitiere weiter: wenigstens bekämpft zu werden. Das von den Hochschulen kommende wach- (Beifall bei der CDU/CSU.) sende Potential der Kommunisten und die von der Studentenselbstverwaltung zur politischen Die Unsicherheit der älteren Generation und der Aktionseinheit durchschlagende Studentensoli- abstrakte Moralismus der Jüngeren bieten eine darität wird die SPD zwingen, stärker als bis- Chance für Verführer, die sich im Besitz von Total- her auf eine klare Abgrenzung zum Kommu- erklärungen für alle Lebensprobleme und Lebens- nismus zu achten. rätsel wähnen. Hieraus erklärt sich wenigstens zum Teil die Anziehungskraft des Neomarxismus und Anderes würde ich auch nicht sagen. Anderes hat, seiner verschiedenen Organisationen auf die junge wenn ich ihn recht verstanden habe, auch Herr Dreg- Generation. Genau hier ist der Punkt, wo Verwal- ger nicht gesagt. tung und Gesetzgebung, wo wir alle, meine Damen (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) und Herren, ein waches Gespür für die Folgewir- kungen geistiger Bewegungen in der Tiefe der Ge- Das, meine Damen und Herren von der SPD, sind sellschaft entwickeln müssen, die Fragen, die wir an Sie haben. Wie gesagt, ich sehe noch nicht, daß sie befriedigend beantwortet (Abg. Dr. Mertes [Gerolstein]: Sehr gut!) worden wären. wo wir versuchen müssen, zerstörerischen Radika- lismus abzuwehren, ohne die Fragen der jungen Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister, Generation zu verdrängen, wo wir Grenzen ziehen gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- müssen, um die Freiheit und Pluralität der Wissen- ordneten Glotz? schaft gegen ideologische Zwangsmuster, gegen Schulungskurse zu sichern, seien sie nun durch Dr. Glotz (SPD) : Herr Staatsminister, würden Sie Richtlinien oder durch Studienordnungen eines so- mir denn zugestehen, daß die Sozialdemokratie die- zialistischen Studiums abgesichert. Das ist eine ge- sem Staat und dieser Verfassung dadurch, daß sie meinsame Aufgabe aller Parteien; denn wir finden seit 1968 viele der jungen Kritiker unserer Staats- die gleiche Lage und die gleiche Psychologie der - ordnung in eine reformistische Arbeiterbewegung jungen Generation überall, in allen Ländern und in integriert hat, einen großen Dienst geleistet hat? allen Parteien, vor.

Aber ohne Frage — das sei keine Kritik — leidet Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Inso die SPD unter dieser Entwicklung im Augenblick weit, als sie es tatsächlich getan hat, Herr Kollege besonders stark. Ich darf es, um jede Mißdeutung Glotz, erkenne ich das voll an. abzuwehren, mit den Worten eines der Ihren sagen. Bruno Friedrich hat davon gesprochen, ,daß die SPD (Beifall bei der CDU/CSU.) in gewissem Sinne den Preis ihres Sieges von 1972 Meine Kritik beginnt dort — ich glaube, Sie wer- zahlen müsse, und zwar durch den Zustrom vieler den mir in der Diagnose zustimmen —, wo aus Inte- Mitglieder, die — ich zitiere — gration Anpassung, d. h. aus Kritik an dieser nach ihrem Herkommen und ihrem Denken we- Gruppe und aus Zurechtweisung und Eingliederung nig von dem wissen, was die Sozialdemokratie eine bedingungslose Anpassung geworden ist. bisher geprägt hat. Es gibt Großstädte, vor (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Conradi: allem Universitätsstädte, in denen die SPD in Ihr Verhältnis zum Wirtschaftsrat!) zwei Jahren mehr als ein Drittel der Mitglie- der neu hinzugewonnen hat, und es gibt Mit- Herr Minister, gliederversammlungen, in denen mehr als die Vizepräsident Frau Funcke: gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- Hälfte der Anwesenden neue Mitglieder sind. ordneten Vogel? Er sagt im gleichen Artikel in der „Zeit" vom 6. April 1973 — ich zitiere wiederum —: Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) : Herr Minister, Es wäre untunlich, hier zu verschweigen oder was, meinen Sie, würde der Herr Kollege Glotz zu kaschieren, daß, von den Hochschulen kom- sagen, wenn sich ein gleicher Vorgang im rechten mend, ein den Reformsozialismus ablehnender, Spektrum vollzogen hätte und die CDU NPD-Mit- weltanschaulich formulierter Marxismus in der glieder in ihre Reihen aufgenommen hätte? SPD Boden gewinnen will. (Zuruf von der SPD: Das hat sie doch!) Ich glaube, in der Schärfe hat es kein Debattenred- ner der Unionsparteien gesagt. Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Da die (Abg. Dr. Glotz meldet sich zu einer Zwi- Frage an den Herrn Kollegen Glotz gerichtet ist schenfrage.) und ich mir nicht gut seinen Kopf zerbrechen kann, kann ich keine Antwort geben. Aber vielleicht kön- nen sich die beiden Interpellanten selbst verstän- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister, digen. gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Heiterkeit bei der CDU/CSU.) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5093

Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: „Ge- eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten meinsam machen wollten" setzt eine Absprache Schäfer? voraus. Davon kann überhaupt keine Rede sein. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Bitte! Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Minister, cine letzte Zwischenfrage des Abgeordneten Müller? würden Sie mir zustimmen, daß sich die Problema- tik für die CDU/CSU im Verhältnis zur NPD und Dr. Müller (München) (CDU/CSU) : Herr Staats- ihren Angehörigen genauso stellt? minister, ist Ihnen bekannt, daß der SPD-Abgeord- nete Vahlberg, der Sie gerade gefragt hat, im Bun- Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Nein, destagswahlkampf 1969 auf einer gemeinsamen Ver- denn ich kenne keine NPD-Mitglieder, die bewußt anstaltung mit Kommunisten gesprochen hat? versucht haben, in einer Doppelstrategie — ich (Stürmische Rufe Hört! Hört! von der CDU/ komme gleich darauf zurück — Aktionseinheiten, CSU.) Organisationen und Institutionen der Unionspar- teien zu unterwandern und sie für ihre Ziele mit der Absicht einzuspannen, aus den Unionsparteien Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Das ist eine andere Partei zu machen. mir nicht bekannt.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der Ich kehre jetzt wieder zu meiner Rede zurück, CDU/CSU.) wenn es gestattet ist. (Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Parteigenosse Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Minister, Schäfer! — Weitere anhaltende Zurufe. — vermögen Sie nicht zu erkennen, daß es insbeson- Abg. Franke [Osnabrück] meldet sich zu dere bei der CSU einer Unterwanderung gar nicht einer Zwischenfrage.) bedurfte, sondern man directement tätig werden — Bitte jetzt keine Zwischenfrage mehr! konnte? (Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Kroll-Schlüter: Das Vizepräsident Frau Funcke: Meine Damen ist Ihre Primitivität! — Abg. Franke (Osna- und Herren, der Herr Staatsminister hat vor der brück): Sie haben es nötig!) letzten Frage gebeten, keine Zwischenfragen mehr stellen zu lassen. Ich glaube, es liegt in unser aller Interesse, daß die Rede jetzt fortgesetzt und Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Herr nicht wieder unterbrochen wird. Kollege Schäfer, das ist wirklich eine Unterstellung, (Abg. Stücklen: Bevormundung! - Weitere die ich scharf zurückweisen muß. lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Der Herr Staatsminister hat mich gebeten, keine Abg. Rawe: Das sagt ausgerechnet Herr Zusatzfragen mehr zuzulassen. Ich bitte, dies zur Schäfer! Der hat es nötig! — Weitere Zu- Kenntnis zu nehmen. rufe von der CDU/CSU.) Ich darf zurückkommen — Dr. Maier, Minister des Landes Bayern: Ja, das (Abg. Rawe: Ausgerechnet Herr Schäfer trifft zu. Ich bitte um Entschuldigung. Aber ich hat das nötig! Abg. Kroll-Schlüter: Sie möchte das Hohe Haus auch nicht gegen den Bun- sollten sich schämen! — Anhaltende wei- desrat aufbringen, weil er seine Redezeit hier über- tere Zurufe von der Mitte. — Abg. Kroll- zieht. Aber vielleicht können nachher zu anderen Schlüter [zu Abg. Dr. Schäfer/Tübingen] : Themen noch Fragen gestellt werden. Wo waren Sie denn vor 30 Jahren?) Ich komme zum letzten Teil meiner Ausführun- gen, nämlich zu der Frage: Was tun? Meine Damen Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie und Herren, ich darf es wiederholen: In der Dia- noch eine Zwischenfrage? gnose der Verhältnisse in Schulen und Hochschu- (Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.) len sind die Unionsparteien und die hiesigen Re- gierungsfraktionen näher beieinander, als man — Meine Damen und Herren, es ist eine Zwischen- glaubt. Ich sehe gerade in der Hochschulpolitik eine frage angekündigt; ich bitte um Ruhe. gewisse Wendung auch in der Beurteilung mancher Dinge durch SPD-Kollegen. Ich bin weit davon ent- fernt, diesen bitteren Triumph auszukosten. Man hat (SPD) : Herr Staatsminister, erinnern Vahlberg uns vor Jahren noch geprügelt und in eine rechte Sie sich nicht mehr daran, daß die CDU/CSU und Ecke gestellt, wenn wir von Ordnung an Hochschu- die NPD 1969 gemeinsam Herrn Schröder zum Bun- len sprachen, wenn wir ein Ordnungsrecht für despräsidenten machen wollten? eine unter anderen notwendigen Maßnahmen hiel- (Beifall bei der SPD.) ten. Daß es die allein notwendige sei und daß damit 5094 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Landesminister Dr. Maier allein die Hochschulen zu retten seien, hat niemals Kommunisten haben in unserer Gesellschaft keinen ein Unionspolitiker behauptet. Anspruch auf Ämter dieses demokratischen Staates. (Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber es ist schon etwas beschämend, wenn heute Man kann vom Staat viel an Toleranz verlangen. das Ordnungsrecht von seiten der SPD gefordert Man kann aber nicht von ihm verlangen, daß er den wird und man nicht mit jenem kleinen Rest von Selbstmord der Demokratie prämiiert. Courtoisie, die auch in der Politik üblich sein sollte, (Beifall bei der CDU/CSU.) damit nach dreijähriger Verspä- zugibt, daß die SPD Man kann von ihm auch nicht verlangen, daß er der tung eine Position der Unionsparteien eingeholt hat. Subventionierung der Revolution zustimmt und Meine Damen und Herren, man sollte sich nicht daß er Leute auf Planstellen setzt, die von dieser fortschrittlich nennen, wenn man eine so lange Basis her diese Demokratie, die unsere gemeinsame Leitung hat und drei Jahre länger braucht als an- Basis ist, zerstören. Das kann man nicht verlangen. dere; (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU.) sosehr ich der Meinung bin, daß unser Bildungswe- Insofern steht die Antwort, die klare, präzise Ant- sen auch für langsamer lernende Schüler etwas tun wort der SPD — in allgemeiner Form ist das gesagt muß. worden — zu der Frage des Extremistenerlasses und (Heiterkeit bei der CDU/CSU.) der Praxis des Extremistenerlasses immer noch aus. Ich wehre mich auch dagegen, daß hier immer ge- Lassen Sie mich nun zurückkommen. Ich sagte: In sagt wird: der Erlaß der Ministerpräsidenten. Es ist der Diagnose stimmen wir vielfach überein. Ich darf der Erlaß der Ministerpräsidenten und des Bundes- wiederum einen sozialdemokratischen Kollegen zi- kanzlers, meine Damen und Herren. tieren, Richard Löwenthal. Er hat gesagt, das Expe- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) riment der demokratisierten Universität, der Freien Universität in Berlin sei gescheitert. Ich zitiere aus Ich habe nicht gehört, daß er seine Unterschrift zu- einem Vortrag zum 25. Jahrestag der Gründung der rückgezogen hätte. FU. Er steht in der „FAZ" vom 5. Dezember 1973. Die zweite Maxime, auf die sich alle Seiten eini- Es heißt dort: gen sollten, ist: Keine Zusammenarbeit mit extremi- Dieser Lösungsversuch ist gescheitert. Die durch stischen Kräften! das Gesetz von 1969 geschaffene, „demokrati- (Beifall bei der CDU/CSU.) sierte" Universität hat weder die inhaltliche Reform des Studiums geleistet noch die Integra- Es geht heute quer durch die SPD, vor allem in den tion der Extremisten verwirklicht, noch auch nur großen Städten, eine Auseinandersetzung um die den äußeren Frieden, die elementarste Bedin- Fragen der Zusammenarbeit oder Nichtzusammen- gung wissenschaftlicher Arbeit und freiheit- arbeit und der Abgrenzung nach links. Ich könnte licher Erziehung, wiederhergestellt. Aber Ber- hier aus der Münchner Szenerie eine Fülle von lin braucht eine Universität — eine wahrhaft Äußerungen zitieren, von Herrn Kronawitter über freie Universität. Wenn die FU eine Zukunft Herrn Preisinger und Herrn Johann bis zu Herrn haben soll, wenn sie wieder in Freiheit nach Bundesminister Vogel. Ich will mir das ersparen. Ich Wahrheit streben soll, so muß ein neuer Ver- möchte auch gar nicht Salz in die Wunden der SPD such gewagt werden — und dieser Versuch kann streuen. Meine Damen und Herren, was ich von nicht den bequemen Weg des geringsten Wider- Ihnen erwartet hätte, wäre nur gewesen, daß Sie standes gehen. wenigstens die Lage so geschildert hätten, wie sie ist. (Beifall bei der CDU/CSU.) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) Meine Damen und Herren, ich möchte das verall- Man sollte das doch wenigstens aussprechen und gemeinern und fragen: Was tun wir in dieser Situa- nicht so tun, als sei man der einzige Fremdling in tion gegenüber den Problemen, die wir gemeinsam Jerusalem, der davon noch nie gehört hat. vorfinden und an die wir mit verschiedenen Tradi- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) tionen und verschiedenen politischen Zielvorstellun- gen, aber gemeinsam der Verfassung verpflichtet Das ist politisches Biedermeier. herangehen? (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Zunächst: Es scheint mir keineswegs nötig zu sein, eine waffenstarrende, abwehrbereite Demo- Das dritte — und damit komme ich zur Hochschul- kratie in Szene zu setzen. Großzügigkeit und Ge- politik — ist eine Gemeinsamkeit in den Grund- lassenheit müssen auch für uns das Richtmaß sein. fragen der Hochschulpolitik. Es genügt nicht, wenn Das ist von allen Seiten dieses Hauses gesagt wor- der Bundeswissenschaftsminister jetzt auf einmal den. Aber es gibt drei deutliche Grenzen, anknüp- von der Notwendigkeit eines Ordnungsrechts fend an das, was ich einleitend gesagt habe. spricht. Ich sage Ihnen sehr deutlich als einer, der dieses Ordnungsrecht durchgekämpft hat, auch ge- Die eine Grenze ist die folgende. Es mag Extre- gen Sie und Ihre Partei: Damit allein ist überhaupt misten in der Gesellschaft geben. Aber — um Herrn nichts gewonnen. Wenn Sie nicht den Vertrauens- Neubauer zu zitieren — Nationalsozialisten und schwund stoppen, wenn Sie nicht die Verantwor- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5095

Landesminister Dr. Maier tungsbereiche klar regeln, wenn Sie nicht denen, die Ich schließe mit einer Äußerung, die vor kurzem zu Forschung und Lehre verpflichtet sind und das in der Bundespräsident beim Wissenschaftsrat und der Urkunde, in der Bestallung, bekommen, die Bildungsrat getan hat: Möglichkeit geben, sich in den Gremien durchzu- Mit dem Grundgesetz nicht in Einklang zu brin- setzen — Sie können sie ja nicht mit Boxhand- gen sind alle Bestrebungen, auf dem Wege über schuhen ausstatten —, dann nützt Ihnen ein nach- Schule und Hochschule aus der Bundesrepublik träglich imputiertes Ordnungsrecht überhaupt nichts. einen Klassenstaat oder einen Weltanschau- (Beifall bei der CDU/CSU.) ungsstaat zu machen. Das Grundgesetz schützt die Koalitionsfreiheit, die Freiheit des Gewis- Bei diesem Punkt — wenn man schon über die sens und das Recht auf die eigene Meinung, aber Frage der Verfassungskonformität spricht und über es gibt keinem einzelnen und keiner Gruppe die Haltung der SPD zur Verfassung und wenn man das Recht, ihre Meinung, ihren Glauben oder mit Recht die Verfassungsloyalität der SPD betont ihre Weltanschauung zur verbindlichen Staats- — hätte ich auch ein Wort zu den Fragen der An- lehre zu erheben. passung sozialdemokratischer Länderhochschulge- setze an das Urteil des Karlsruher Gerichts erwartet Dem ist nichts hinzuzufügen — es sei denn der Appell an alle Demokraten, sich auf diese Sätze auch (Beifall bei der CDU/CSU) für die gemeinsame Resolution zu einigen. — davon ist nicht gesprochen worden — und eine (Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der Äußerung zur Frage des künftigen Hochschulrah- CDU/CSU.) mengesetzes; aber das wird vielleicht noch kommen. Denn auch hier ist festzustellen, daß das Karlsruher Urteil in einem zentralen Punkt durch eine taktische Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat Umsteuerung unterlaufen wird. Ich will es mir jetzt Frau Abgeordnete Benedix. versagen, auf Einzelheiten einzugehen. Frau Benedix (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Wenn man die Verfassung weiter entwickeln will, Meine Damen und Herren! In der heutigen Debatte muß man sie zunächst einmal einhalten. hat schon mehrfach die Situation der Schule und der (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und Hochschule eine entscheidende Rolle gespielt. Ich Beifall des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]). meine, das ist eine Tatsache, die an sich schon ein Zeichen ist, das nicht übersehen werden darf. Wenn Wenn man den Respekt vor dem Bundesverfassungs- ich mich jetzt erneut diesem Fragenbereich zu- gericht beschwört bei gleichzeitiger Offenheit der wende, dann deshalb, weil ich der Auffassung bin, Kritik — denn dies steht allen frei —, dann sollte daß das Verhältnis der Jugend zu diesem unseren man auch in diesem Punkt, wo das Gericht sehr de- Staat, der Bundesrepublik Deutschland, nicht nur zidiert gesprochen und Positionen der SPD-Hoch- eine entscheidende, sondern ich möchte sagen: eine schulpolitik für nichtig erklärt, die Courtoisie, die existentielle Frage für den Fortbestand dieser demo- Ehrlichkeit und den Anstand haben zu sagen: Gut, kratischen Ordnung ist. hier haben wir geirrt, und hier revidieren wir unse- ren falschen Ansatz. Das ist leider nicht geschehen. Ehe ich auf diese Fragen eingehe, kann ich mir allerdings nicht versagen, Ihnen, Herr Ministerpräsi- Abschließend: Wir führen hier keine Debatte ge- dent Osswald — sind Sie noch da? — eine Antwort gen die SPD, das wäre anmaßend oder lächerlich. Wir zu geben. führen aber sehr wohl eine Debatte gegen die USPD in den allzu breiten Mantelfalten der heutigen SPD. (Zurufe von der CDU/CSU: Wo ist er?) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) — Er ist weg. Schade. — Ich hatte nämlich vor etwa zwei Jahren, als ich noch dem niedersächsischen Mir scheint — und nicht nur mir allein —, die Zeit Landtag angehörte, das Vergnügen, einmal mit einer für eine deutlichere Unterscheidung ist hier gekom- interfraktionellen Gruppe Hessen zu bereisen, weil men, im Interesse dieser Republik, aber auch im Hessen so fortschrittlich ist und wir uns dort die eigenen Interesse dieser Regierung und vor allem integrierten Gesamtschulen ansehen wollten. Es wa- der SPD. Diese Entscheidung wird Ihnen niemand ren übrigens auch einige Herren Ihres Ministeriums, abnehmen, und der Bundeskanzler sollte vor dieser Herr Minister von Oertzen, dabei. Entscheidung nicht in eine ebenso faltenreiche wie konsequenzlose Rhetorik flüchten. Als wir nach zwei Tagen nur Schulen besucht hat- ten, die zwei Jahrgänge umfaßten — bekanntlich tre- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) ten die Probleme erst dann auf, wenn die Schulen Ich kann verstehen, daß man sagt: man muß jeden größer sind, also erst beim vierten, fünften Jahr- Versuch der Integration unternehmen. Dafür habe gang —, bestanden wir darauf, nicht unverrichteter ich Verständnis. Aber es gibt extremistische Kräfte, Dinge umzukehren und endlich einmal eine solche die können Sie nicht eingliedern; denn die werden Schule zu sehen. Wo führte man uns hin? Nach immer die SPD als Vehikel und Durchgangsstation Wolfshagen. Der Direktor empfing uns und sagte: für einen ganz anderen Staat ansehen. Und am Ende „Nanu, wie kommt das? Sie sind sicher fehlgeleitet; werden Sie dann auch noch die Wähler verlieren, wir sind keine integrierte Gesamtschule, sondern die auf die SPD gesetzt haben als Anwalt der Schwa- eine kooperative. Ich muß Sie enttäuschen." chen gegen Gewalttätigkeit und als Anwalt des Die Diskussion, die sich dann ergab, war sehr, sehr Rechts gegen Gewalttäter. aufschlußreich insofern, als wir erst einmal erfuh- 5096 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Frau Benedix ren, was Sie von der SPD unter Chancengleichheit zum Leben, und zwar zu dem einzigen, das diesen verstehen. Das war für mich eine Offenbarung. Da Namen verdient: zum Leben in Würde und Freiheit. wurde erst einmal deutlich, daß Sie damit meinen, Diese Kraft — da stimme ich Ihnen allerdings zu — der Gesellschaft der Gleichen näherzukommen, d. h. kann nicht allein aus der Geschlossenheit der recht- jeden etwa mit dem kleinen Level ins sogenannte lichen Institutionen bezogen werden — so sagten Leben zu entlassen. Da schieden sich die Geister; Sie —; dazu bedarf es des leidenschaftlichen Enga- denn wir meinen, Chancengleichheit heißt, daß man gements der Bürger - da stimme ich Ihnen zu jeden so weit fördern, wie es möglich ist, und daß für die Erhaltung der Vielfalt gegen Monopolisie- es ein schwerer Verstoß gegen das Recht des ein- rung, für mehr soziale Gerechtigkeit. Es bedarf vor zelnen auf die ihm gemäße Bildung ist, wenn man sie allen Dingen des Engagements der jungen Genera- so versteht wie Sie. tion. Aber wir fragten uns bei der Abreise alle: War- Aber das, wofür ich mich engagieren soll, was um eigentlich versteckt man etwas, was doch so fort- ich vor Gefahren schützen will, was ich weiterent schrittlich und so beispielhaft ist, vor Gästen, die ja wickeln will, muß ich doch zunächst einmal kennen, immerhin sachkundig und nicht so ganz bedeutungs- (Abg. Dr. Marx: Sehr gut!) los sind? und zwar in seinem wirklichen Sein und nicht in Ein Weiteres: Zu dieser Gruppe gehörte auch Ihr einem Zerrbild. Staatssekretär. Der hat einmal die integrierte Ge- samtschule in Frankfurt Nordwest-Stadt geleitet. (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn]: Richtig!) Ich erinnerte ihn an etwas, was ihm offenbar recht Ich möchte sagen: Kennen ist noch zu wenig; ich peinlich war. Ich hatte nämlich das Vergnügen, in muß es verstehen, begreifen, bejahen. der ersten Elternversammlung anwesend zu sein, (Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sehr richtig!) wo die Eltern mit all ihren Klagen ankamen. Dieser Staatssekretär, damals Leiter dieser Schule Frank- Meine Herren Kultusminister der SPD, wir kön furt Nordwest-Stadt, hob zum Schluß beide Hände nen weiß Gott nicht davon ausgehen, daß unsere hoch und sagte: „Ja, meine lieben Eltern, ich kann es Jugend das nötige Verständnis für die Funktionen auch nicht ändern: von einer bestimmten Größe ab unserer vielfältigen demokratischen Organe a priori schlägt die Masse abrupt in eine andere Qualität besitzt. Wir können doch auch nicht davon ausge- um." Ich fragte ihn, ob er zu neuen Erkenntnissen - hen, daß sie zum Beispiel weiß, woher die Produk- gekommen wäre. Die Antwort lautete nein. tivkraft unserer Wirtschaft kommt, was sie so über- Ich kann Ihnen nur sagen: Wir verließen dieses legen macht gegenüber allen staatskapitalistischen Systemen. Nein, wir erleben täglich das Gegenteil, fortschrittliche Hessen mit dem Eindruck, daß der nämlich daß unter jungen Leuten in der Mehrzahl Fortschritt darin besteht, daß Sie sich in einer fort- die Neigung herrscht, in dem gegenwärtigen System schreitenden Krankheit befinden. nur die Mängel, im sozialistischen Gegenbild nur (Beifall bei der CDU/CSU.) die Vorzüge zu sehen. Dies ist übrigens eine Fest- Nun aber zu meinem eigentlichen Thema. Viele stellung von Herrn Professor Losch in einem Buch Gespräche mit jungen Menschen, und wir führen von Professor Ortlieb, der sicher nicht CDU-ver- diese ja — Gott sei Dank wir alle —, in Schulen, dächtig ist. Professor Losch weist auch darauf hin, Hochschule und Betrieben müssen uns doch wirklich daß sich in erschreckendem Maße eine Emotionali- zutiefst unruhig machen. Vorhin wurde Professor sierung und Ideologisierung des gesellschaftlichen Löwenthal zitiert. Er sagt, daß vieles in unserer Denkens breit macht. Demokratie heute gefährdet ist. Er sagt, daß die Da frage ich vor allem die Kultusminister der Demokratie bei uns in der Bundesrepublik eine viel SPD-regierten Länder, die hier eine besondere Ver- tiefere Krise durchmacht als in den westlichen De- antwortung tragen: Was tragen Sie eigentlich dazu mokratien. Es sagt, daß eine besonders gefährliche bei, dieser Ideologisierung entgegenzuwirken, dieser Einbruchstelle bei uns in der Schule zu suchen ist. Jugend diesen Staat, den Verfassungsauftrag be Dies zu sehen, Herr Minister von Oertzen, ist kein greifbar zu machen? reaktionäres Verständnis. Die Väter des Grundge- (Beifall bei der CDU/CSU.) setzes wußten sehr wohl, warum sie die streitbare Demokratie wollten, eine Demokratie mit hoher Sie wissen ebensogut wie wir, daß diese Jugend es Wachsamkeit. Zu dieser Wachsamkeit sind wir hier, mit einem solchen Engagement schwer hat, denn sie an diesem Punkt, besonders herausgefordert, weil kennt ja nicht die Abwesenheit von Freiheit, aber es sich nämlich um eine neue Art der Gefährdung sie erlebt täglich die Abwesenheit von Gerechtig- handelt, um die Bewußtseinsbildung, die sich ja laut- keit. Dadurch verstärkt sich der Vorwurf, den wir los und langsam vollzieht. Hier schlägt keine Alarm- Ihnen machen müssen: Was tragen Sie dazu bei, glocke an. Wenn wir, die Opposition, dieser Auf- um dieser Jugend Freiheit erlebbar zu machen, um gabe nicht gerecht werden, wäre dies allerdings sie für sie erfahrbar zu machen, ich muß sagen: auch gleichbedeutend mit der Selbstaufgabe dieses Staa- als Gefühlswert erfahrbar zu machen? tes. Sie wissen genau, wie schwer es die Demokratie (Beifall bei der CDU/CSU.) hat, die Jugend zum Engagement zu bringen; denn Herr Minister von Oertzen, es geht auch nicht, wie erlebt die Jugend den demokratischen Staat? wie Sie in Ihrer großen Rede gesagt haben, um die Wir sind hier immer besonders voran, wir haben Kraft zum Überleben. Nein, es geht um die Kraft ja, was die Symbole anlangt, wieder einmal Kahl- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5097 Frau Benedix schlag betrieben. Wie erlebt die Jugend unseren das alles offenbar so ernst nicht nehmen, daß Sie Staat, wie begegnet er ihr? Doch meistens in Be- sogar der Meinung sind, eine Debatte darüber sei hörden, in Aktenschränken, in Polizei, im Partei- überflüssig. hader und Beispielen aus diesem Hohen Hause, wie (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Hervorra man mit seinem politischen Gegner umgeht. gend!) (Beifall bei der CDU/CSU.) Wenn wir feststellen müssen, daß unsere Jugend Einen solchen Staat soll ich bejahen, soll mich für kein Verständnis zu unserem Staat hat, daß sie ihm ihn engagieren, soll mich mit ihm identifizieren, ja, kühl, distanziert, ablehnend, ja feindlich gegenüber- soll ihn als letzte Konsequenz mit Leib und Leben steht, dann ist das ein Tatbestand, der uns, die wir verteidigen? Können wir uns eigentlich noch wun- hier sitzen, eigentlich alle miteinander nicht mehr dern, wenn die Haltung unserer Jugend diesem schlafen lassen dürfte. Staat gegenüber vielfach distanziert, ja systemfeind- (Beifall bei der CDU/CSU.) lich ist? Jeder von uns wird solche Erfahrungen, solche Erlebnisse täglich haben. Ich darf Ihnen einige In der Geschichte gibt es bekanntlich keine Rück- aus den letzten Wochen aufzählen. fahrkarten. Wenn man den Zeitpunkt nicht erkennt, die Zeichen nicht mehr sieht, hat man die Chance Ich komme mit einer Gruppe ehemaliger Schüler zur Kurskorrektur verspielt. Diese Debatte hier muß nach Ost-Berlin. Wir haben die Gelegenheit, an einer mit Härte und Leidenschaftlichkeit geführt werden. Diskussion teilzunehmen zwischen einer Jugend- Aber wenn nicht mehr alle von Ihnen — und das gruppe der DDR und einer der Bundesrepublik. Ich schien mir heute oft so — in der Lage sind, sich fahre zurück. Ich frage meine Gruppe, wie ihre Be- speziell dieser Frage mit ganzem Ernst zuzuwen- urteilung ist. Die Beurteilung lautet: beachtlicher den, sind wir bereits mitten drin, diese Chance wie- Informationsstand, großartige Argumentation. Dann der zu verspielen. hieß es: „Aber wissen Sie, was uns auffiel? — Die von der DDR-Gruppe fühlten sich immer persönlich (Beifall bei der CDU/CSU.) angegriffen. Das war ihr Staat, den sie verteidigten. Wir sind uns einig — ich hoffe es —: Kein Staat Und unsere Leute? — Sie verhielten sich etwa so ohne Staatsbewußtsein, kein Staatsbewußtsein ohne wie ein etwas unterkühlter Rechtsanwalt, der seinen Staatsbejahung, keine Staatsbejahung — das gilt Mandanten verteidigt." — Ich muß sagen: eine ganz vor allen Dingen für die Jugend — ohne Identifika- großartige Analyse. - tion mit diesem Staat! Die Jugend mit ihrer revolu- Ein zweites Beispiel: Wenige Tage später die Dis- tionären Kraft und ihrer Begeisterungsfähigkeit, kussion in einer 13. Klasse eines Gymnasiums. Es mit ihrem sozialen Engagement kennt keine Va- waren alle Parteien vertreten. Wir waren natürlich kuumräume, sie verträgt sie nicht. Und wie ist Ihre sehr schnell auch bei der Frage der Wehretats und Antwort, die Antwort z. B. des Herrn Ministers bei der Frage der Wehrbereitschaft. Und da kam es Girgensohn in seiner Essener Rede: Ich darf mit Ge- heraus, daß bei diesen Gymnasiasten alle Wehr- nehmigung der Frau Präsidentin zitieren: „Eine dienstverweigerer waren. Es war ein SPD-Kollege, Identifikation mit dem Staat, wie sie in den 50er der nachher sagte: „Ist das denn wirklich möglich? Jahren geherrscht hat, sei gefährlich und müsse ab- Diesen Staat, der euch so viel Entfaltungsmöglich- gelehnt werden." keit, so viele Chancen der Freiheit gibt, wollt ihr (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) nicht verteidigen?" Antwort: „Diese Frage stellt sich Und bei den Erläuterungen im Parlament sagte der- nicht." Oder allenfalls: „Na ja, soziale Verteidi- selbe Minister, der Mehrheit der Lehrer täte ein gung". Sie kennen das: passiver Widerstand, wenn Schub in Richtung radikalsozialistischen Bewußt- die Okkupation vollzogen ist. seins und revolutionärer Ideen gut. Und ein drittes Beispiel: Das war ausgerechnet an (Abg. Dr. Marx: Wir haben aber tolle dem Tage des Todes von Jan Pallach, der sich als Minister, das muß man sagen!) lebendige Fackel dargeboten hat, um die Lauen auf- zurütteln, ausgerechnet an dem Tage, als in den Auf dem Münchener SPD-Parteitag hörte es sich Zeitungen sehr ausführlich berichtet wurde über so an: Nicht kommunistische Erzieher stellen eine den Leidensweg von Solschenyzin und über die Gefahr für die Kinder dar, sondern die autoritäts- uns alle beeindruckende und packende Art, wie er hörigen, politisch bewußtlosen und konservativen Widerstand leistet gegen die Mächte der Menschen- Verhältnisse an unseren Schulen. verachtung. Ausgerechnet an diesem Tage sagt mir (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) einer der Schüler einer Fachoberschule, als wir auf die Frage der Freiheit kamen: „Ach, hören Sie, Frei- Das Protokoll vermerkt: großer Beifall. heit, was ist denn das? — Ein abstrakter Begriff!" (Abg. Dr. Marx: Bei diesem Geschwätz Bei Meine Damen und Herren, es saßen etwa 70, 75 fall!) Schüler da. Keiner von ihnen widersprach; alle stimmten dieser Erklärung zu. Meine Damen und Herren, was soll man von sol- chen Erklärungen halten, wie soll man sie deuten, Ich wundere mich nicht mehr über eine solche wenn sich gleichzeitig bei den Wissenschaftlern und Haltung nach alledem, was in die Erfahrungs- und Pädagogen, die Sie, meine Herren Kultusminister Bewußtseinswelt dieser jungen Leute eindringt. von der SPD, mit der Erarbeitung von Richtlinien Aber ich bin zutiefst erschüttert, daß Sie, meine oder Handreichungen für den modernen Unter- Damen und Herren von den Regierungsparteien, richt beauftragen, das durchgängige Unterrichts- 5098 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Frau Benedix prinzip etwa wie folgt darstellt: Der Schüler muß Bildungschancen in der Bundesrepublik. Ortmann schon sehr früh lernen, sein Unbehagen zu artikulie- und Pross. ren, Unbehagen an den gegebenen Ordnungstruktu- ren, die er nicht geschaffen hat — Familie, Schule, Zu 2) Kursbuch 27, Herausgeber: Enzensberger! Staat —, Unbehagen über die Disziplin, die man ihm Michel, — Mitscherlich: Die Unwirtschaftlichkeit aufzwingt, die Leistung, die gefordert wird usw. unserer Städte; Schultz: Umwelt aus Beton oder un- Ursache des Unbehagens — das würde er sehr sere unmenschlichen Städte. schnell erkennen — sind die Sozialisationsprozesse, Zum dritten Thema „Mitarbeit in Organisationen denen er unterworfen ist. Möglichkeit: Befreiung, und Vereinen wird empfohlen: Mayntz: Soziologie Emanzipation, d. h. Umbruch oder — in der Tarn- der Organisation; See: Volkspartei im Klassenstaat sprache — Veränderung der Gesellschaftsordnung. oder das Dilemma der innerparteilichen Demokratie. So in das totale Konfliktbewußtsein hineinge- führt, ist es dem jungen Menschen nicht mehr mög- Zu Punkt 3) — Berufsbildung/Lehrlingsausbildung lich — das ist eine notwendige Folge —, sich zu — werden empfohlen: Haug/Maessen: Was wollen identifizieren. Und da er darüber hinaus durch die die Lehrlinge? und Lempert: Leistungsprinzip und ständige Selbstbeschäftigung zunehmend auch die Emanzipation. Und so geht das weiter. Für die münd- Wirklichkeit nicht mehr wahrnimmt und da der liche Prüfung sind die gleichen Autoren vorgesehen, junge Mensch mit seiner Begeisterungsfähigkeit die zu denen noch folgende hinzukommen: Menschik, Leere nicht ertragen kann, bleibt ihm existenz- Reich, Wallraff, Holzer, Jochimsen, Hund. notwendig nur die Flucht in eine neue Heilslehre, in das scheinbar so geschlossene Gedankengebäude Die Einseitigkeit, meine Damen und Herren, ist einer Ideologie. komplett. Man versetze sich in die Lage eines Prüf- lings, der sich dem Risiko einer externen Prüfung Meine Damen und Herren, weltanschaulicher Fa- gegenübersieht. Er muß sich diese und nur diese natismus wäre nie chancenreich gewesen, wenn die Gedanken zu eigen machen und wird später aus die- Lehrer dieses Fanatismus nicht Leere im Sinne von ser Einbahnstraße nicht mehr herausfinden. Wie Vakuum vorgefunden hätten. sollte er auch, da er mit ziemlicher Gewißheit mit (Beifall bei der CDU/CSU.) diesen Gedankengängen auch während des Studiums immer wieder und vielleicht sogar ausschließlich Deshalb ist dieses Prinzip so diabolisch. Professor konfrontiert wird! Und so erschrickt man schon nicht Lübbe, der heute schon oft zitiert wurde, sagt: Sol- mehr, wenn man erfährt, daß Studenten an einer chen Schülern bleibt nichts anderes übrig, als sich Fachhochschule für Sozialpädagogik in den letzten vor dem Schultor vom Spartakus abholen zu lassen. Semestern die Ergebnisse der Genetik, der Mole- — Sagen Sie nur nicht, das alles sei Ihnen nicht hin- kularbiologie, der Anthropologie, der Verhaltens- länglich bekannt. Und sagen Sie mir bitte nicht, es forschung und der Mikrophysik überhaupt nicht ken- sei Ihnen nicht hinlänglich bekannt, wie die Auf- nen. Als ich dann fragte: „Wie konnte man Sie nur lagenziffer der Taschenbücher mit linkslastigem und um ein pluralistisches Wissenschaftsbild bringen? nicht mehr verfassungskonformem Inhalt, der sich an Hat man Ihnen hier nicht die Wahrheit vorenthal- die Zielgruppe „Jugend" wendet, ständig steigt, wie ten?" kam die erschreckende Antwort: „Wieso? Der Jugend- und Kindersendungen mit kommunistischem Neomarxismus — das ist doch die Wahrheit." Weltbild allmählich nicht mehr ungewöhnlich sind und wie sich ihre Sprache und damit auch die Sprache (Abg. Dr. Ritz: Hört! Hört!) der Schüler mehr und mehr ideologisiert. Sie können natürlich, meine Damen und Herren, Die Zahl der kämpferischen sozialistischen Lehrer sagen: Gut, Freiheit muß das alles verkraften kön- steigt; allein in Frankfurt bekennen sich 600 zum nen; schön. Aber was tun Sie, um der jungen Gene- sozialistischen Lehrerbund. Diese Lehrer, meine Da- ration diese Kraft für diese ideologische Ausein- men und Herren, wollen die Bewußtseinsrevolution. andersetzung zu geben? Wo sind Ihre Handreichun- Sie sagen das, sie schreiben das, sie erklären das, gen für Lehrer, die unsere Ordnung darstellen wol- und sie sehen die Schule als Strategiefeld Nr. 1 an. len, sie für den Schüler transparent erlebbar ma- Sie sind vielfach Lehrer geworden, um dieses Ziel chen? Wo ist die Fülle der Alternativen unserer zu verwirklichen. Wer kann uns eigentlich glauben rechtsstaatlichen Ordnung, die Chance der Freiheit, machen, daß sie ausgerechnet dann, wenn sie dieses die der Lehrer darstellen möchte, die Darstellung Ziel erreicht haben, auf seine Verwirklichung aus der offenen Gesellschaft, in die die Jugend zu gehen Loyalitätsgründen verzichten würden? vermag? Wo stellen Sie die wirtschaftliche Kraft und Kapazität dar, die unsere Marktwirtschaft hervorzu- Meine Damen und Herren, ich habe da z. B. die bringen vermag, wo ihre hohe Ergiebigkeit, ihre Anforderungen für die Zulassungsprüfung für Be- große Beweglichkeit, ihr begrenztes Risiko? Wo werber ohne Reifezeugnis an der Pädagogischen stellen sie dar, welche Möglichkeit sie gibt, Solidari- Hochschule Niedersachsen. Es heißt da: Schriftliche tät zu üben, mehr Gerechtigkeit zu schaffen, und Prüfung: Die Themen werden den folgenden Pro- zwar nicht auf Kosten anderer, welche Möglichkeit blemkomplexen entnommen. 1) Bildungschancen und sie gibt, Hilfe für die Schwachen und Entwicklungs- Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen und ihre hilfe zu leisten? Wo sprechen Sie in Ihren Richt- Abhängigkeit vom Gesellschaftssystem. 2) Siedlung, linien von der Gefährdung dieser Freiheit von innen Wohnen, Wohnung. — Zur Vorbereitung empfiehlt und von außen, wo von der Verpflichtung, diesen man die Lektüre folgender Bücher: Zu 1) Weber: Pri- Staat, der so relativ viel Chancen der Freiheit gibt, vilegien durch Bildung. Über die Ungleichheit der auch für verteidigungswürdig zu halten? Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5099

Frau Benedix Und, Herr Minister von Oertzen, wir haben ein- Wir fordern Sie deshalb auf, zwei Dinge sofort zu mal im Niedersächsischen Landtag darüber disku- tun: tiert, auf welche Motive sich Verteidigungsbereit- 1. Es muß aufgehört werden mit der Vermischung schaft gründen kann; Sie werden sich erinnern kön- fundamentaler Unterschiede in Schulbüchern, Ar- nen. Wir haben damals übereinstimmend gesagt, beitsbogen, Handreichungen. Diktatur in der DDR daß sie nicht auf Emotionen gründen darf. Das kön- muß wieder Diktatur und Demokratie bei uns muß nen die diktatorisch regierten Staaten tun, indem sie wieder Demokratie genannt werden; Feuer muß die Nation glorifizieren und den Feind auf verab- wieder Feuer und Wasser wieder Wasser genannt scheuungswürdige Weise darstellen. Wir wollten sie werden; sie können sich nicht vermischen. nicht gründen — Sie erinnern sich — auf Tradition, die das Verhalten unreflektiert übernimmt. Wir (Beifall bei der CDU/CSU.) wollten sie auch nicht gründen etwa auf Freude an Nur was ich beim Namen nenne, kann ich begreifen, äußeren Formen, etwa auf ein Biwak-Bedürfnis, auf verstehen und verteidigen. ein Bedürfnis nach Kameradschaft, nach Gemein- 2. Vor die Kritik unserer Ordnung, die notwen- schaft in einer Kampfatmosphäre. dig ist, muß die Beschreibung, die Darstellung, die Wir haben dann gesagt — Herr Minister von Funktionskraft dieser Ordnung gesetzt werden. Oertzen, ich erinnere Sie —: Weil wir all das nicht Ich darf noch einmal Professor Löwenthal zitie- wollen, müssen wir um so mehr tun, um sie zur ren. Er sagt: Einsicht und rationalen Erkenntnis zu befähigen, diese Pflicht zu tun und diesen Auftrag anzunehmen. Identitätsbewußtsein ist keine Frage der Pro- Und so frage ich Sie, Herr von Friedeburg, Herr klamation, der Propaganda, es bildet sich nur Girgensohn und Herr von Oertzen: Wo vermitteln in längeren Zeiträumen. Das wichtigste Instru- Sie diese Einsicht, diese Erkenntnis, ment ist die Schule. Sie kann diese Aufgabe nicht erfüllen ohne die klare Zielsetzung durch (Abg. Dr. Marx: Sehr gut!) die politische Führung. Darum ist die Rolle der daß es sich lohnt, sich für diesen Staat einzusetzen, Schule eine Lebensfrage der Demokratie. ihn zu bejahen, ihn zu verteidigen, Ich habe dieser Aussage nichts hinzuzufügen. (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU.) und zwar so, wie er besteht und wie er die Kraft zur Weiterentwicklung in sich trägt? Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat die Es muß gesagt werden, daß man die Probleme Abgeordnete Frau Schuchardt. unserer Zeit nicht mit den in Ihren Handreichungen dargebotenen marxistischen Instrumentarien aus Frau Schuchardt (FDP) : Frau Präsidentin! Meine dem vorigen Jahrhundert und auch nicht mit einem Damen und Herren! Wenn ich mich recht erinnere, simulierten Klassenkampfgemälde lösen kann. diskutieren wir über einen Zehnpunkte-Antrag der (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Sehr gut!) CDU. Der erste Redner der CDU heute hat bereits zu erkennen gegeben, aus welcher Ecke dieser Antrag Was Sie in den Richtlinien anbieten, leistet Vor- schub für die Erziehung revolutionärer Fanatiker kommt. (Zurufe: Und CSU!) oder revolutionärer Träumer. — Verzeihung: und CSU. Das ist nicht ganz unwich- (Beifall bei der CDU/CSU.) tig in diesem Zusammenhang. Nicht die heile Welt von morgen, sondern die un- Nun will ich gar nicht unterstellen, daß alle CDU- vollständige freiheitliche Demokratie von heute und und CSU-Mitglieder dieses Hauses diesem Antrag der Einsatz für etwas weniger Unvollkommenheit zustimmen. Das Erschütternde an ihm ist aber, daß für morgen müssen das Erziehungsziel sein. er die Mehrheit gefunden hat. Meine Damen und Herren, in den Tagen, als man Dieser Antrag ist ja bewußt so gefaßt, daß ihm glaubte, daß man dem Sozialismus tschechoslowaki- die Koalitionsfraktionen nicht zustimmen können. scher Prägung ein menschliches Antlitz würde ge- ben können, sagte ein bedeutender tschechoslowa- (Lachen bei der CDU/CSU.) kischer Politiker in der letzten Fernsehsendung, die Einem Antrag, der Verfassungsfeinde so definiert, er einem westlichen Journalistenteam geben konnte: daß auch politisch Andersdenkende mit erfaßt wer- Freiheit ist das Kostbarste, darum hat sie auch den, die sehr wohl noch auf dem Boden dieser Ver- einen hohen Preis. Wir müssen ihn täglich neu fassung stehen, kann ein solider Demokrat nicht zu- entrichten. Wer es versäumt, muß mit dem stimmen. höchsten Preis bezahlen, mit dem Verlust der (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu- Freiheit . . . ruf von der CDU/CSU: Sind wir unsolide?!) Wir sind uns wohl einig: es darf nicht geschehen, Das demagogische Streufeuer der CDU wird uns daß die junge heranwachsende Generation durch nach Ablehnung dieses Antrages vollends alle zu unser Versagen oder durch unser Wegsehen, also Verfassungsfeinden erklären, da wir ja dann dem dadurch daß wir eine solche Bewußtseinsverengung Satz „Zur freiheitlich-demokratisch-rechtsstaat- zulassen, diesen höchsten Preis noch einmal zahlen lichen Ordnung des Grundgesetzes gibt es keine muß. Alternativen" nicht zugestimmt haben. 5100 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Frau Schuchardt Nun ist es nicht nur dieser Antrag, mit dem die Aber ich möchte Ihnen die Frage stellen, ob Ihre Oppostion in der Öffentlichkeit den Eindruck er- Mitarbeit an einer Broschüre der prokommunisti- weckt, sie habe ein Monopol in der Erhaltung des schen „Demokratischen Aktion" ein Beitrag zum Grundgesetzes. Die rhetorische Entgleisung des Kampf um das Grundgesetz ist. Fraktionsvorsitzenden beim 22. Parteitag der CDU, (Beifall bei der CDU CSU.) daß allein die CDU/CSU die einzige geschlossen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung kämpfende Partei sei, Frau Schuchardt (FDP) : Herr Müller, Sie wer- (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) den sich vielleicht wundern, aber ich habe bereits in dieser Broschüre einmal mitgearbeitet, und ich ist eine ungeheuerliche Anmaßung und läßt außer- scheue mich auch nicht, dies wieder zu tun, wenn dem die Achtung vor dem Grundgesetz vermissen. es darum geht, daß ich meine Vorstellungen zum Grundgesetz darin so formuliere, wie ich es wahr- (Beifall bei den Regierungsparteien.) nehmen will. Wenn darüber 'hinaus der Bundesvorsitzende der (Hört! Hört! und weitere Zurufe von der CDU, Kohl, vor der katholischen Akademie in Mün- CDU/CSU.) chen am 8. Dezember 1973 den Abgesang des Grund- gesetzes vornimmt, sein Referat mit -dem Satz be- ginnt: „Das Grundgesetz w a r ein Vierteljahrhun- Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie dert lang die selbstverständliche Grundlage der Po- eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mer- litik aller 'demokratischen Parteien", dann unter tes? anderem fortfährt: „Dies ist heute nicht mehr so" und dies auch eindeutig in Richtung auf die FDP ausdehnt, so ist das eine Überheblichkeit, die die Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) : Frau Kol- Schwelle der Verantwortlichkeit gegenüber dem legin, darf ich Sie fragen, ob Sie nach der Erklärung Bürger längst überschritten hat. der Frau Präsidentin von heute morgen und der Antwort unseres Parlamentarischen Gschäftsführers (Beifall bei den Regierungsparteien.) den Vorfall als endgültig beendet ansehen oder ob Dieser Satz beweist: Christus' größte Widersacher Sie ihn wieder neu aufnehmen wollen? waren die Pharisäer. Heute nennen sich die größten Pharisäer Christen. Frau Schuchardt (FDP) : Verzeihen Sie, ich habe Letztendlich haben wir noch einen weiteren CDU- nicht den Vorfall als nicht beendet erklärt, sondern Politiker vorzustellen, Herrn Filbinger, der heute ich habe mir erlaubt, einmal einige CSU-Mitglieder eine sehr eigenartige Vorstellung seiner Haltung zu zitieren — was nämlich hier vorne nicht an- zum Grundgesetz gegeben hat. Ich frage mich, wie kommt — die ein ganz eigenartiges Demokratiever- die CDU eigentlich diese Verfassung schützen will, ständnis entwickeln. wenn sie solche Ministerpräsidenten hat. (Beifall bei den Regierungsparteien.) (Beifall bei den Regierungsparteien. — Ganz gleich, welcher Vorfall dazu auch führen mag. Lachen bei der CDU/CSU.) Aber wenn man die Präsidentin dieses Hauses zur Volkskammerpräsidentin erklärt, dann, meine ich, Ich wünschte manchmal einem jeden von Ihnen, hat das längst das zulässige Maß überschritten. auf den Plätzen der FDP zu sitzen. Da kriegen Sie nämlich sehr eigenartige Zwischenrufe zu hören. Ich (Beifall bei den Regierungsparteien.) möchte Ihnen nur zwei nennen, die heute gefallen sind in dem Zusammenhang mit dem Vorfall heute Vizepräsident Frau Funcke: Frau Schuchardt, morgen. Da meinte Kollege Müller (München), dies gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- sei Faschismus — in Richtung auf unsere Präsiden- ordneten Gansel? — Bitte! tin —, und der Herr Becher meinte gar, das sei eine Volkskammerpräsidentin. Gansel (SPD) : Frau Kollegin, die Frage von (Zurufe von der FDP und der SPD.) Herrn Müller gibt mir Veranlassung, Sie zu fragen, Das ist das Demokratieverständnis einiger aus der ob Ihnen vielleicht bekannt ist, daß von Herrn Mül- Fraktion, die sich hier zum Hüter der Verfassung ler, als er noch nicht als Juso-Bundesvorsitzender aufspielen. auf ein CSU-Bundestagsmandat spekulierte, sondern noch Revolutionsschauspieler Ende der 50er Jahre (Beifall bei den Regierungsparteien.) beim Münchener SDS war, Äußerungen überliefert sind, auf Grund deren er bei Zugrundelegung des Vizepräsident Frau Funcke: Frau Schuchardt, baden-württembergischen Entwurfes zur Staatsfeind- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- frage zwar noch Abgeordneter dieses Hauses werden ordneten Müller? — Bitte! könnte, aber nicht mehr z. B. Lehrer im öffentlichen Dienst? Und stimmen Sie mit mir darin überein, daß dies möglicherweise mehr für die Anpassungsfähig- Dr. Müller (München) (CDU/CSU) : Frau Schu- keit von Herrn Müller spricht als für den baden- chardt, ich will mich nicht zu Ihrer Äußerung äußern. württembergischen Entwurf? (Abg. Wehner: So ein fieser Möpp!) (Beifall bei der SPD.) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5101

Frau Schuchardt (FDP) : Herr Gansel, ich möchte Gesetze ausgeschöpft und angewendet werden soll- Ihnen darauf ganz kurz antworten. Ich hätte keine ten. Dies werden sie bis heute nicht. Wenn gar Bedenken, Herrn Müller einzustellen, und werde Länderminister von uns erwarten, daß wir das mich von Herrn Müller auch nicht irritieren lassen, Hochschulrahmengesetz mit einem Ordnungsrecht wenn ich mich für manch andere einsetze, die in die- anreichern sollten, ihre Intention aber bei der De- sen Staatsdienst übernommen werden sollen. batte über das Hochschulrahmengesetz nur darin bestand, dieses Gesetz soweit wie möglich zu „ver- (Zustimmung bei der SPD.) armen", dann kann man das doch nur so verstehen, Meine Damen und Herren, der Wortlaut des Punk- daß die Länder den Bund hier als Vehikel benutzen tes 5 des CDU-Antrages geht in erschütternder wollen, um etwas durchzusetzen, das sie selbst Weise, geradezu fahrlässig auf das Grundgesetz ein. politisch nicht durchstehen. Es heißt da zum Beispiel, unsere Schulen dürften (Abg. Pfeifer: Sie meinen Herrn von Friede- nicht von „Systemveränderern" mißbraucht werden. burg?) Damit gibt die CDU bereits erstmals bereits offiziell zu, daß es ihr nicht darum geht, die freiheitlich- Dazu sollte das Hochschulrahmengesetz nicht miß- demokratische Grundordnung zu schützen, sondern braucht werden, meine ich. daß sie es als Vehikel benutzt, um politisch Anders- Meine Damen und Herren, das Bildungssystem, denkende auszuschalten. Weiter spricht die CDU in ob Schule oder Hochschule, ist kein politischer dieser These nicht mehr von der ,,freiheitlich-demno- Freiraum. Gerade in den Schulen müssen Demokra- kratisch-rechtsstaatlichen Ordnung", wie etwa in ten von morgen befähigt werden. Der Auftrag der Punkt 1, sondern nur noch von der „freiheitlichen Schule besteht unserer Auffassung nach darin, den Ordnung". Entweder ist das eine enorme Schlampe- einzelnen zur Selbstbestimmung und zu demokrati- rei oder, was wahrscheinlicher ist, System. Das be- schem Handeln zu befähigen. deutet, sie setzt nicht mehr voraus, daß diese Ord- nung demokratisch entsteht und diese Freiheit Die Kritik der FDP im Hessischen Landtag an den rechtsstaatlich geschützt ist. Rahmenrichtlinien war nie eine Pauschalkritik. Die FDP hat versucht, hier ein differenziertes Votum Meine Damen und Herren, ich darf an ein Wort abzugeben. Unser Standpunkt war es nie, diese erinnern, das Herr Vogel vorhin in seiner Rede hessischen Rahmenrichtlinien vom Tisch zu bekom- gesagt hat. Er erklärte, wenn sich Kräfte innerhalb men, sondern sie zu verbessern. Ich glaube, man der SPD und FDP zum Ministerpräsidentenbeschluß kann sagen, und das ist uns in wesentlichen Punk- äußerten und meinten, daß rechtsstaatliche Metho- ten auch gelungen; die bestimmenden Punkte unserer den angewendet werden sollten, sei dies ein Zei- Kritik an den Rahmenrichtlinien lassen sich wie chen dafür, daß man geltende Gesetze unterhöhlen folgt zusammenfassen: erstens die Legitimation der wolle. Dies ist eine sehr gefährliche Interpretation Autoren, zweitens die Anerkennung des Pluralismus dessen, was wir in der Öffentlichkeit gefordert ha- und drittens das Prinzip der Toleranz. ben. Erstens. Die Autoren der Rahmenrichtlinien nah- Die Situation an den Hochschulen und an den men selbstverständlich an zu wissen, wer das rich- Schulen wurde eindeutig so geschildert, als stehen tige demokratische Bewußtsein hat und wer es sie bereits vor dem Umkippen in die restlose Ver- vermissen läßt. Nun ist es gerade dies, was die fassungswidrigkeit. Ich meine, daß die CDU damit CDU/CSU mit den Autoren offenbar gemeinsam hat; erneut bewiesen hat, wie bildungsfeindlich sie ist. ich meine, sie hat mit ihrem Antrag bewiesen, daß (Oh-Rufe und Lachen bei der CDU/CSU.) sie am allerwenigsten das Recht hat, das Verhalten der Autoren der Richtlinien zu kritisieren. Denn das Schlimmste, was Bildungspolitiker und überhaupt Politiker tun können, ist, einen Keil Zweitens. Der Pluralismus der Anschauungen in zwischen Schule und Elternhaus und zwischen Ge- unserem Staat gebietet es, die Standpunkte der je- sellschaft und Hochschule zu treiben, weils Andersdenkenden zu respektieren und gege- (Abg. Dr. Frerichs: Wer tut denn das?) benenfalls zu berücksichtigen. Daß dies in den hes- sischen Rahmenrichtlinien zu Anfang nicht hinrei- und genau das haben Sie heute hier in sehr deut- chend geschehen ist, haben wir bemängelt. Der licher Form getan. Zufall will es nun aber, daß auch dieses Argument (Zurufe von der CDU/CSU.) voll auf den Antrag der CDU/CSU und damit die CDU/CSU selbst anzuwenden ist. Beide Sprecher aus meiner Fraktion haben dar- auf hingewiesen, daß es uns allein darauf ankommt, Drittens haben wir immer darauf hingewiesen, die Ursachen extremen Verhaltens zu erkennen und daß die wesentliche Voraussetzung für unsere uns dagegen zu wenden. Dies will ich nicht weiter Demokratie die Toleranz ist und daß dies in den ausführen. Rahmenrichtlinien nicht hinreichend ausgearbeitet (Abg. Haase [Kassel] : Sehr gut!) worden sei. Auch dies kann man nahtlos auf die CDU/CSU und ihren Antrag übertragen. Ich meine, Ich möchte nur noch einige Worte zu dem viel- es gab heute genug Debattenbeiträge, die jegliche zitierten Ordnungsrecht sagen. Auf dieses Tritt- Toleranz vermissen ließen. brett versuchen einige mehr und mehr zu springen. Die FDP hat bis heute keine Veranlassung gesehen, Es hat aber auch zwei positive Aspekte gegeben. von ihrer Ablehnung des Ordnungsrechts abzuge- Wir beschäftigen uns nun endgültig damit, was die hen. Wir sind der Meinung, daß die bestehenden Schule zukünftig eigentlich leisten soll. Wir be- 5102 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Frau Schuchardt schäftigen uns nun endlich auch damit, daß die Zeit Liberalen zeichnen sich dadurch aus, daß ihr Tole- der dirigistischen Entscheidungsvorhaben von oben ranzpegel etwas höher liegt als der von anderen. vorbei ist und daß Lernzielsetzung aus der Gesell- Toleranz denen gegenüber zu pflegen, die tolerant schaft heraus erfolgen muß. Die FDP hat immer be- sind, ist noch nicht liberal. Die Liberalität beginnt tont, daß die Schule sich auch mit den Konflikten erst dort, wo Toleranz auch noch gegenüber In- innerhalb der Gesellschaft zu befassen hat und daß toleranz geübt wird. die Diskrepanz zwischen Verfassungsanspruch und (Abg. Dr. Frerichs: Da sind wir einer Mei- Verfassungswirklichkeit dabei einzuarbeiten ist. Ich nung!) meine, daß die öffentliche Diskussion über die Rah- menrichtlinien gezeigt hat, wie stark das Interesse Wir werden dieses Grundgesetz mit seinem tiefen gerade der Eltern und Schüler an diesem Thema ist. Ansatz, so wie es Herr Hirsch heute morgen um- Ich kann nur hoffen, daß auch all diejenigen Lern- schrieben hat, politisch verteidigen und ausfüllen, zielsetzungen, die wir heute immer noch haben, auch gegen Intoleranz aus den Reihen demokrati- ebenso wie neue Formen auf diese Art und Weise scher Parteien. in der Öffentlichkeit einmal angegangen werden. (Beifall bei den Regierungparteien.) Meine Damen und Herren, der Antrag der CDU/ CSU beweist eindeutig, daß die CDU/CSU das Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat Grundgesetz offenbar als ein Ermächtigungsgesetz Herr Bundesminister von Dohnanyi. ansieht. (Widerspruch bei der CDU/CSU. — Zuruf Dr. von Dohnanyi, Bundesminister für Bildung von der CDU/CSU: Unerhört!) und Wissenschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen — Verzeihen Sie, verstehen Sie das Wort doch ein- und Herren! Es ist spät geworden. Ich will mich da- mal so, wie es vom Inhalt her gemeint ist. In dem her darauf beschränken, hier die Fragen zu beant- Antrag der CDU/CSU ist nämlich im wesentlichen worten, Herr Kollege Maier, die Sie vorhin an Herrn von Verboten und Sanktionen die Rede. Auf den Osswald gestellt haben, der inzwischen nicht mehr wesentlichen Kern unseres Grundgesetzes, nämlich hier ist, weil er, wie Sie wissen, mit den Minister- den Auftrag, unsere Gesellschaft sozialstaatlich zu präsidenten zusammensitzt. Die gestellten Fragen entwickeln, wird darin kaum eingegangen. sollten nicht unbeantwortet bleiben. Im Zusammenhang mit der Einstellung, oder bes- Sie haben gefragt: Warum sind die ersten Ent- ser: Nichteinstellung einiger Bewerber in den würfe der Rahmenrichtlinien zurückgezogen wor- öffentlichen Dienst ist immer wieder auf unsere den? Der Grund liegt darin, daß wir den Versuch machen, Neuland zu betreten, mit neuen didakti- streitbare Demokratie hingewiesen worden. In die- schen Methoden vorzugehen. Dabei müssen selbst- sem Begriff liegt aber gleichzeitig die große Gefahr verborgen, daß sich eine Demokratie bis zur Un- verständlich Erfahrungen gesammelt und folglich kenntlichkeit schützen kann. Ich fürchte, daß dies auch einmal bestimmte Entwürfe zurückgezogen von vielen bis heute nicht einmal bemerkt worden werden. Das ist demokratisch, und das ist besser, Herr Maier, als wenn man eine Sache verordnet und ist. Wir haben in den letzten Jahren wiederholt die sie stehenläßt. Erfahrung machen müssen, daß sich Parteien oder (Beifall bei der SPD.) Parlamentarier, ja, sogar Verwaltungen anmaßten, über Verfassungswidrigkeit entscheiden zu wollen. Zweitens. Herr Maier, Sie haben gefragt, warum Wir haben erfahren müssen, daß dabei der Willkür der Elternbeirat hier so einstimmig gegen die Rah- Tür und Tor geöffnet war. menrichtlinien votiert habe. Herr Maier, ich habe die Stimmen der Arbeitereltern in dieser Ausein- Demokratie ist untrennbar mit Toleranz verknüpft. andersetzung noch nicht gehört. Das ist nämlich das (Abg. Frau Schroeder [Detmold] : Das haben Problem: Hier nimmt sich eine Gruppe heraus, für Sie eben bewiesen!) alle Eltern zu sprechen. Das muß man klar sehen. Wo Toleranz aufhört, hört auch die Demokratie auf. (Beifall bei der SPD.) (Abg. Stücklen: Dann müßten Sie gleich auf Sie haben dann mit einem gewissen Recht, Herr hören!) Maier, auf die Kritik von Herrn Nipperdey und Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß wir uns mit Herrn Lübbe hingewiesen. Aber, meine Damen und extremen Kräften innerhalb dieser Gesellschaft poli- Herren, das sind ja auch die beiden einzigen, die tisch auseinandersetzen müssen. Ich bedaure es des- hier immer wieder zitiert werden. Man könnte auch z. B. den Präsidenten des Max-Planck-Instituts für halb außerordentlich, daß weder die CDU/CSU noch - die SPD an Podiumsveranstaltungen teilnehmen, zu Bildungsforschung zitieren, der gesagt hat, daß die denen extreme Gruppen eingeladen sind. Erfahrungen mit Gesamtschulversuchen, die vom Deutschen Bildungsrat empfohlen wurden, auch da- (Abg. Dr. Frerichs: Das tun wir!) zu geführt haben, daß man inhaltliche Veränderun- In Hamburg ist es neuerdings allein die FDP, die auf gen vornimmt. Und dann sagte er — ich darf mit dem politischen Parkett den Kampf mit diesen Grup- Erlaubnis der Präsidentin zitieren —: pen wagt. Ich hoffe, daß das nicht ein Beispiel für Dieses Problem ist theoretisch seit langem be- andere Landesverbände der SPD ist. handelt worden. Im Entwurf der hessischen Der Toleranzpegel ist von Mensch zu Mensch und Rahmenrichtlinien werden aus ihm zum ersten- von Gruppe zu Gruppe sehr unterschiedlich. Die mal praktische Konsequenzen gezogen. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5103

Bundesminister Dr. von Dohnanyi Auch das muß man sehen. Das sind eben Befür- daß man, wenn die Fachleute draußen, insbesondere worter. Es gibt nicht nur Gegner. Rektoren, Präsidenten und Kultusminister, der Auf- fassung sind, daß hier zusätzliche Instrumente er- Drittens. Sie haben mit Recht das Zitat von Golo forderlich seien, diese wohl schaffen müßte. Nur Mann gebracht. Es gibt gerade aus dem Bereich der eines: Die Debatte um diese Frage ging quer durch Historiker Kritik an diesen ersten Versuchen. Das die Parteien. Wenn wir die Sachverständigen hören ist unbestritten. Aber auch ein Kritiker wie Hans werden, sollten wir vielleicht auch den General- Mommsen, der, wie Sie wissen, hinsichtlich des sekretär der CDU laden, der als Rektor von Bochum Geschichtsverständnisses dieser Rahmenrichtlinien im Jahre 1969 gesagt hat — ich darf wieder zitie- ebenfalls Fragen stellt, sagt dazu — ich darf wie- ren —: derum zitieren —: Nichts in der Diskussion um die Neugestaltung Die Rahmenrichtlinien „Gesellschaftslehre" stel- des Disziplinarrechts begründet jedoch die Not- len einen bedeutsamen Ansatzpunkt dazu dar, wendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung. die herkömmlichen, nach Schultypen differen- zierten und im wesentlichen stofforientierten So Professor Biedenkopf im Jahre 1969! Auch das Lehrpläne durch ein neuartiges Unterrichts- muß man wissen. konzept zu ersetzen, das von bestimmten Lern- Schließlich, Herr Maier, haben Sie eine Rede ge- zielen ausgeht und diese mit spezifischen Lern- halten, die auch einen persönlichen Ton hatte. Aber feldern in Beziehung setzt. ich will hier doch zugleich unterstreichen, daß Ihre Ich zitiere weiter: These, nur wir hätten uns in manchen Fragen der Erfahrung Ihren bildungspolitischen Vorstellungen Ein solcher Versuch ist grundsätzlich zu be- angepaßt, ganz sicher falsch ist. Sie haben heute grüßen. eine Reihe von Gemeinsamkeiten der Bildungspoli- Also auch hier keine einseitigen Feststellungen! tik festgestellt, Gemeinsamkeiten, die auch Reform- charakter haben, Herr Maier. Ich gebe durchaus zu, Viertens. Herr Kollege Maier, Sie haben Herrn daß in Ihrer Zustimmung zum Bildungsgesamtplan Osswald gefragt, warum hört man denn, wenn die auch ein — wenn auch in kritischen Fragen, so Gesamtschulen so gut sind, die meiste Kritik von scheint mir, begrenztes — Reforminteresse und Re- hessischen Gesamtschulen? Meine Damen und Her- formbedürfnis steckt. Allerdings haben Sie — ich ren, woher soll man denn die Kritik über solche will mit der Erlaubnis der Präsidentin wieder zi- Versuche sonst hören? Etwa von bayerischen Ge- tieren — im Jahre 1972, wenn ich das richtig sehe, samtschulen, die es gar nicht gibt? Man kann ja nur nach einem Bericht der Nachrichten aus Bayreuth aus Hessen, also von dort etwas hören, wo die Ver- gesagt: suche gemacht werden. Ohnehin bin ich überzeugt, daß die wichtigsten (Beifall bei der SPD. - Zurufe von der Reformen geschehen sind, bevor man von Re- CDU/CSU.) formen zu reden begann: in den hinter uns Fünftens. Herr Maier, Sie haben gerügt, daß „Hes- liegenden 20 Jahren. sen vorn" immer noch ein Schlagwort sei, dabei aber Meine Damen und Herren, wer das von der Bil- der Ausbau gerade der Universitäten in Hessen nicht dungspolitik sagt und dem Bildungsgesamtplan zu- so schnell verlaufen sei. Nun muß ich Ihnen ehrlich stimmt, der ist seinerseits auch einen Schritt in Rich- sagen: Die Hessen sind eben insofern vorn, als sie tung auf Reformen gegangen. Wir begrüßen das. es verstanden haben, daß es nicht nur um den Hoch- Aber man sollte nicht so einseitig diskutieren. schulausbau, sondern auch um den Ausbau von (Beifall bei den Regierungsparteien.) Schulen, Berufsschulen und der Berufsbildung geht. (Lachen bei der CDU/CSU.) Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der — Es ist gar kein Zweifel, daß das so ist. Meine Da- Herr Kultusminister von Oertzen, Niedersachsen. men und Herren von der Opposition, Sie müssen da schon zuhören. Es ist doch eine Doppelzüngigkeit, Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- auf der einen Seite zu sagen, man müsse alles für sachsen: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Abiturienten tun, und auf der anderen Seite vor dem Damen und Herren! Die Debatte hat, was ich verste- sogenannten akademischen Proletariat zu warnen. hen kann und als Kultusminister ganz besonders, So kann man doch auch hier nicht vorgehen. in der letzten Zeit eigentlich eine Wendung zu einer (Zuruf von der CDU/CSU: Das war doch Schul- und Hochschuldebatte genommen. Auch wenn- eure Politik! Wer hat denn den Hochschul ich einräume, daß wesentliche Fragen des Verfas- notstand geschaffen?!) sungsverständnisses auf diesem Gebiet sichtbar wer. den und beantwortet werden müssen, so ist die Sechstens. Hier ist gesagt worden, wir hätten in Debatte um unsere Verfassungsordnung im Kern der Frage des Ordnungsrechts eine Umkehr voll- ja denn doch nicht eine Debatte ausschließlich übe] zogen. Schul- und Hochschulfragen. (Abg. Stücklen: Sicher!) Nichtsdestoweniger lassen Sie mich ein paar Be- Meine Damen und Herren und Herr Professor Car merkungen machen, weil ich persönlich hier ange- stens, das ist nicht so. Wir haben schon 1972 gesagt, sprochen worden bin und weil Herr Kollege Dregger (Oh-Rufe von der CDU/CSU) heute morgen eine Feststellung getroffen hat, die 5104 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Landesminister Dr. von Oertzen schon Herr Kollege Carstens vorher irrtümlicher- — Da Sie das noch einmal bekräftigt haben, kann ich weise getroffen hat. Mein Landsmann Herr Groß mir weitere Argumentationen in dieser Richtung er- von der FDP-Fraktion hat sie bereits ein wenig zu- sparen. rechtgerückt. Er hat von niedersächsischen Rahmen- richtlinien gesprochen, die nicht am Grundgesetz (Beifall bei der SPD. — Beifall bei der orientiert seien. Es gibt keine niedersächsischen CDU/CSU.) Rahmenrichtlinien, was ich sehr bedauere; aber sie Sie übernehmen das als Ihre Überzeugung. Ich stelle sind erst in der Erarbeitung. Es gibt Handreichun- hiermit fest, die CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses gen; das sind freiwillige, von den Schulen anzu- hat durch ihren Beifall kund und zu wissen getan, nehmende oder abzulehnende Angebot von Kur- daß sie einen wesentlichen Bestandteil des gültigen sen für die Arbeit in der gymnasialen Oberstufe. Parteiprogramms der SPD für totalitär hält. Wir Von den über hundert, die bisher erschienen sind, werden uns das merken. sind zwei in die kritische Auseinandersetzung ge- (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der raten. Im einen Fall haben sich die Autoren mit den CDU/CSU.) Kritikern geeinigt und eine verbesserte Fassung vorgelegt. Im anderen Fall sind die Meinungsver- Aber da ich es dabei nicht bewenden lassen will schiedenheiten bestehengeblieben. Hier von einer und da heute morgen ein sehr scharfer Zwischenruf Indoktrination der niedersächsischen Schulen zu gemacht worden ist — es ist Herrn Kollegen Dregger sprechen, wäre, glaube ich, ein wenig übertrieben. Ignoranz vorgeworfen worden; dieses Wort würde ich ihm gegenüber niemals in den Mund nehmen, ich Was die Bemerkung betrifft, daß wir nicht bereit würde lieber auf deutsch von Unwissenheit spre- gewesen seien, dem Gebot des Bundesverfassungs- chen, gerichts zu folgen: Wir haben das Gesetz, das teil- (Beifall bei der SPD) weise — nicht vollständig — für verfassungswidrig das ist ebenso wahr, aber weniger kränkend , darf erklärt worden ist, auf dem schnellsten Wege novel- ich mir erlauben — und das wird das einzige Zitat liert; wie wir meinen, in Übereinstimmung mit dem sein, Frau Präsidentin —, eine Passage aus der poli- Karlsruher Urteil. Daß die Damen und Herren von tischen Rede eines in relativ führender Position täti- unserer Landesopposition, die mit der Bundesoppo- gen Sozialdemokraten zu verlesen, aus der der sition identisch ist, damit nicht einverstanden sind, Standpunkt unserer Partei zu diesem Thema deutlich das sei ihnen unbenommen. Wir haben ein gutes hervorgeht. Dort wird gesagt: Gewissen, hiermit das Gebot des Bundesverfassungs- gerichts erfüllt zu haben. Aber dies, meine ich, Sozialismus ist vollendete Demokratie. Ein „un- sollte nicht im Mittelpunkt der Diskussion stehen. demokratischer Sozialismus" ist nicht etwa ein Sozialismus mit kleinen Fehlern, sondern hat Ich möchte vielmehr an die allgemeinen Äuße- das sozialistische Ziel in seinem wesentlichen rungen, die insbesondere mein hochschätzbarer Inhalt überhaupt verfehlt. Demokratische Mei- Kollege Herr Staatsminister Maier hier gemacht hat, nungs- und Willensbildung ist nur auf der anknüpfen, weil ich meine, daß er mit dem Scharf- Grundlage uneingeschränkter individueller und sinn und der Beredsamkeit, die ihn auszeichnen und sozialer Freiheit möglich. Gewissens- und Mei- die wir von ihm kennen, hier eine Position aufge- nungsfreiheit, institutionelle Sicherung freier baut hat, die auf Anhieb außerordentlich sympa- Kritik, Wissenschaftsfreiheit, Pressefreiheit, Or- thisch und einnehmend wirkt, die aber im wesent- ganisations- und Koalitionsfreiheit, Minderhei- lichen die Funktion hat, was davor und daneben tenschutz usw., kurz, die klassischen Errungen- aus den Reihen der konservativen Opposition in schaften des demokratischen und liberalen diesem Hause und außerhalb dieses Hauses gesagt Rechtsstaates müssen infolgedessen im Sozialis- worden ist, in Vergessenheit geraten zu lassen. mus uneingeschränkt erhalten bleiben. In der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Ich möchte das, was Herr Kollege Dregger hier Deutschland sind diese Errungenschaften in dem heute morgen gesagt hat, eben nicht in Vergessen- Begriff der freiheitlichen demokratischen Grund- heit geraten lassen. Ich möchte noch einmal daran er- ordnung enthalten. Die Verteidigung der Grund- innern, daß er einen Kernsatz des geltenden Partei- sätze der freiheitlichen demokratischen Grund- programms der Sozialdemokratischen Partei heraus- ordnung gegen reaktionäre Einengung und pseu- gegriffen hat, den Satz, daß die Demokratie durch dorevolutionäre Relativierung ist daher für den den Sozialismus erfüllt werde, und daran eine Folge- Sozialismus nicht nur eine taktische, sondern rung geknüpft hat, die ich mir wörtlich mitgeschrie- eine prinzipielle Aufgabe. ben habe, weil man diese Formulierung in der Tat auf (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/ der Zunge zergehen lassen und sie in Gegensatz zu CSU: Dann handelt auch danach!) der Forderung nach Großzügigkeit und Gelassenheit setzen muß, die Herr Kollege Maier völlig zu Recht Ich darf nun auch sagen, wer das gesagt hat und wo hier aufgestellt hat. Er hat nämlich gesagt, dies sei es gesagt worden ist. Ich bin es selbst, der das ge- sagt hat. eine Forderung, die antipluralistisch sei — nun gut, dies mag noch hingehen, obwohl auch dies ein ziem- (Große Heiterkeit bei der CDU/CSU. lich schwerer Vorwurf ist —, antidemokratisch und Abg. Dr. Marx: Welche Leistung! — Abg. im Grunde totalitär. Haase [Kassel]: Der Cassius Clay aus Han- nover! — Fortgesetzte Zurufe von der (Beifall bei der CDU/CSU.) CDU/CSU.) Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5105

Landesminister Dr. von Oertzen — Ich wollte mir das Vergnügen Ihrer freudigen und dein Geist des Art. 15 des Grundgesetzes — für Überraschung nicht nehmen lassen, meine Damen einen verfassungfeindlichen Akt erklärt hat. und Herren von der Opposition. Es wird Sie viel- (Abg. Graf Stauffenberg: Entgegen dem leicht interessieren, wo und unter welchen Umstän- Wortlaut?) den: nämlich vor deni Parteitag der so viel disku- tierten und so arg berüchtigten Frankfurter Sozial- demokratie. In der Diskussion hat kein einziger der Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister, Diskussionsteilnehmer diesen Feststellungen wider- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten sprochen. Wenn sie diese Auffassung, die die un- Vogel? eingeschränkte und einmütige Auffassung der So- zialdemokratischen Partei ist, Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- (Anhaltende Heiterkeit bei der CDU/CSU. sachsen: Nein. — Abg. Haase [Kassel]: Herr von Oertzen, (Pfui-Rufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Sie kriegen einen Faschingspreis!) Klein [Göttingen]: Er hat Angst! — Weitere mit der Äußerung vergleichen, die Herr Kollege Zurufe von der CDU/CSU.) Dregger heute morgen getan hat, dann stoßen wir Ich möchte Ihnen die Gelegenheit geben, noch auf den Grundirrtum der Diskussion, die Sie hier ein Zitat zu hören. Dann bin ich gerne bereit, die zu führen gedenken. Zwischenfrage von Herrn Kollegen Vogel zu be- (Fortgesetzte Heiterkeit bei der CDU/CSU. antworten. - Abg. Stücklen: Nur gut, daß wir den (Abg. Dr. Marx: Ist das Zitat von Ihnen? Maier haben!) Dann müssen Sie vorher die Präsidentin fragen!) Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- Mein wissenschaftlicher Kollege Biedenkopf- ordneten Gerster? wenn ich mich nicht täusche, handelt es sich um den Generalsekretär der CDU - Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- (Zurufe von der CDU/CSU: Da täuschen Sie sachsen: Nein. sich nicht!) (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.) hat am 15. September des vergangenen Jahres auf dem Rheinischen Mittelstandstag in Neuß folgendes Sie verwischen nämlich — ich will nicht unter- gesagt — ich bitte herzlich, wenn Sie schon meinen stellen: vorsätzlich — die Ebenen der politischen Worten nicht lauschen wollen, wenigstens den Wor- Diskussion, die Ebene der aktuellen politischen ten Ihres Generalsekretärs einen Augenblick Auf- Meinungsverschiedenheiten, der grundlegenden ge merksamkeit zu schenken sellschaftspolitischen Gegensätze — Konservatis mus, Liberalismus und Sozialismus —, und schließ Die soziale Marktwirtschaft ist die verfassungs- lich die Ebene, auf der der Konsensus aller Demo- rechtliche Form der Machtkontrolle in einer kraten in der Bejahung der freiheitlich-demokrati- freiheitlichen Gesellschaft. schen Grundordnung seinen Ort hat. Wir haben im (Abg. Stücklen: Sehr richtig!) Gegensatz zu Ihnen, jedenfalls heute, niemals ver- sucht, jene zu verketzern, die die Demokratie durch Ich sage bewußt verfassungsrechtlich; denn es eine andere Wirtschafts- und Sozialordnung erfüllt ist meine Überzeugung, daß die Grundzüge die- sehen wollten als wir. Aber Sie haben versucht ses am System der Gewaltenteilung orientier- dafür haben Sie heute wieder vielfach Beweise gelie- ten Prinzips der Machtkontrolle in unserer Ver- fert —, die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozial- fassung festgeschrieben sind. ordnung, die von Ihnen so genannte soziale Markt- (Abg. Dr. Ritz: Das ist richtig!) wirtschaft, als ein positives und zwingendes Ver- - Ja bitte! Das aus der abwägenden Sprache des fassungsgebot darzustellen Wirtschaftsjuristen in simple politische Umgangs- (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn rede übersetzt heißt doch: Sie halten also die For- das gesagt?) derung nach Änderung der Wirtschaftsordnung, so- - darauf werde ich sofort kommen - und alle jene weit damit die Änderung der Marktwirtschaft ge- als verfassungsfeindliche Systemveränderer zu ver- meint ist, für verfassungswidrig. Und genau das habe ich behauptet. dächtigen, die im Rahmen der freiheitlich-demokra- - tischen Grundordnung diese Gesellschaft verändern (Abg. Dr. Marx: Jedenfalls wollen wir wollen. keine sozialistische! Da haben wir An- Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ver- I schauungsmaterial genug! - Abg. Dr. Ritz: pflichtet nicht auf eine bestimmte Wirtschafts- und Über die Fortentwicklung der Marktwirt- Sozialordnung. Das hat Herr Kollege Vogel — das schaft haben Sie wohl noch nichts gehört?! will ich einräumen — auch in einer Passage seines Interessiert Sie auch nicht! — Abg. Dr. Hupka: Lesen lernen!) Diskussionsbeitrages ausdrücklich gesagt und hat gleichzeitig Herrn Ministerpräsidenten Filbinger Darüber hinaus hat Herr Kollege Biedenkopf beigepflichtet, der die Forderung nach Vergesell- außerdem noch behauptet, daß eine voll entwik- schaftung der Banken entgegen dem Wortlaut kelte sozialistische Wirtschaft überhaupt, unter gar 5106 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 Landesminister Dr. von Oertzen keinen Umständen, nicht einmal durch Verfassungs- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister, änderung eingeführt werden könnte, sondern ledig- gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Ab- lich durch eine revolutionäre Änderung der Ver- geordneten Stauffenberg? fassung. Genau diese Art und Weise, Auffassungen — die Sie von Ihrem Standpunkt aus politisch be- Graf Stauffenberg (CDU/CSU) : Herr Minister kämpfen mögen; das Recht wird Ihnen niemand von Oertzen, darf ich Sie daran erinnern, daß Sie bestreiten — dadurch diskreditieren zu wollen, daß vorher gesagt haben, daß der Art. 15 des Grund- Sie sie mit Kunstgriffen für verfassungswidrig er- gesetzes in seinem Wortlaut — in seinem Wortlaut! klären, — die Verstaatlichung von Banken gestattet, wäh- (Abg. Stücklen: Sind sie auch!) rend Sie jetzt eine mühsame Interpretation Ihrer Art diese Tatsache ist es, die ich gegenüber den schö- gegeben haben, die mit dem Wortlaut nichts zu tun nen Reden von Herrn Maier noch einmal deutlich hat? herausstellen wollte. (Beifall bei der SPD.) Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- sachsen: Ich habe gesagt, daß der Art. 15 die Ver- staatlichung von Banken und Versicherungsgesell- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister, schaften gestattet. Dieser Meinung bin ich auch. gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeord- neten Vogel? Graf Stauffenberg (CDU/CSU) : Sie haben ge- sagt „im Wortlaut". Bleiben Sie doch bei dem, was Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- Sie gesagt haben! sachsen: Bitte. Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) : Herr Minister von sachsen: Selbstverständlich; weil ich der Meinung Oertzen, ist Ihnen entgangen, daß ich den Wortlaut bin, daß Banken und Versicherungsgesellschaften des Art. 15 des Grundgesetzes vorgelesen habe, daß durch den Begriff „Produktionsmittel" gedeckt wer- sich daraus ergibt, daß eine Verstaatlichung von den. Banken und Versicherungen nicht möglich ist, daß (Beifall bei der SPD. — Abg. Haase [Kassel] : sie nicht grundgesetzkonform wäre, und sind Sie Bei Ihnen ist die Heilsarmee auch eine im übrigen bereit, sich von Ihrem Parteifreund Pro- Armee, nicht? — Weitere Zurufe von der fessor Kriele darüber belehren zu lassen, daß eine CDU/CSU.) Zentralverwaltungswirtschaft mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wäre? Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister, (Beifall bei der CDU/CSU.) gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin? Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- sachsen: Herr Kollege Vogel, in Art. 15 des Grund- Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- gesetzes steht, daß die Sozialisierung von Grund und sachsen: Ja, bitte! Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln zu-

lässig ist. Frau Däubler - Gmelin (SPD) : Herr Minister, (Abg. Graf Stauffenberg: Aber keine Dienst stimmen Sie mir zu, daß dieses juristische Detail- leistungsbetriebe!) problem ebenso wie viele andere Probleme durch einen Blick in den Kommentar von Maunz-Dürig- Es geht um die Deutung des Begriffes „Produktions- Herzog gelöst werden könnte, auch durch einen mittel". Blick in die Schrift über Eigentum und Sozialisie- (Abg. van Delden: Die Banken drucken doch rung des Professors Klein, der aber nicht identisch kein Geld!) ist mit unserem H. H. Klein aus Göttingen? Es handelt sich eindeutig um eine Kategorie, die Eigentum bezeichnet, also zum Beispiel Aktienkapi- Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- tal. Es widerspräche jeder wirtschaftlichen Vernunft sachsen: Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ich stimme und einer sinnvollen Ausdeutung des Begriffs „Pro- Ihnen darin zu. duktionsmittel", wenn man beispielsweise theore- Das entscheidende Problem in der Auseinander- tisch nach Art. 15 des Grundgesetzes das Kapital- setzung um die Verfassungswirklichkeit und die - eigentum an einem Produktionsbetrieb, nicht aber Verfassungspolitik ist, wie ich glaube, heute mor- jene Bank, die beispielsweise das Eigentum an die- gen in einem Satz von Herrn Kollegen Genscher ser Aktienmehrheit in Händen hält, der öffentlichen deutlich gemacht worden, in dem er nämlich von der Kontrolle durch Sozialisierung unterwerfen dürfte. Freiheit im Risiko sprach und von der Grenze zwi- (Beifall bei der SPD. - Zurufe von der schen der freien geistigen Auseinandersetzung und CDU/CSU.) der Abwehr aktiver verfassungsfeindlicher und ge- waltsamer Tendenzen. Es besteht immer die Gefahr, Ich bin also der Meinung, daß der Begriff „Produk- diese Grenze zu verwischen. Die Extremisten ver- tionsmittel" selbstverständlich das Bank- und Kredit- wischen sie auf ihre Weise genauso wie diejenigen, wesen mit einschließt. die alles das, was ihnen weltanschaulich oder poli- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5107

Landesminister Dr. von Oertzen tisch nicht in den Kram paßt, sofort mit dem Makel Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister, der Verfassungsfeindlichkeit belegen wollen. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- ordneten Erhard? In diesem Zusammenhang darf ich noch ein paar Bemerkungen zu dem Diskussionsbeitrag von Herrn Minister des Landes Nieder- Kollegen Vogel machen. Er hat gesagt — dem ist Dr. von Oertzen, ohne weiteres zuzustimmen —: An der Inkorpora- sachsen: Ja, bitte. tion in das Verfassungsgefüge der streitbaren De- mokratie nehmen nur diejenigen Parteien teil, die Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) : Herr Mini- auf dem Boden der freiheitlich demokratischen ster von Oertzen, sind Meldungen falsch, nach de- Grundordnung stehen. Das ist richtig. Aber er hat nen Sie in Frankfurt sich von dem imperativen Man- nicht gesagt, daß diese Feststellung, ob eine solche dat ausdrücklich distanziert haben? Partei auf dem Boden der freiheitlich demokratischen (Heiterkeit bei der CDU/CSU.) Grundordnung steht, nach Art. 21 Abs. 2 des Grund- gesetzes eben nicht durch eine Opposition, nicht durch eine Exekutive, nicht einmal durch das Par- Dr. von Oertzen, Minister des Landes Nieder- lament, sondern ausschließlich durch das Bundesver- sachsen: Die Meldungen sind richtig. Und es hat mir fassungsgericht getroffen werden kann. — das ist das Komische — bis hin zu den extremsten Jungsozialisten in dieser Konferenz niemand wider- (Beifall bei der SPD.) sprochen. Das glauben Sie wohl nicht? Er hat dann weiter in einer sehr ironischen Art (Abg. Dr. Marx: Gibt es denn solche extre- und Weise — und ich habe mich eigentlich gewun- men Jungsozialisten? — Heiterkeit bei der dert, daß das ohne Protest von irgendeiner Seite CDU/CSU.) hier hingenommen worden ist — Unser Grundgesetz und die Verfassungen besa- (Abg. Dr. Hamanns: Von welcher Seite?) gen, daß die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden davon gesprochen, die häufig erhobene Forderung, und nur ihrem Gewissen unterworfen seien. Trotz- im Kampf gegen Verfassungsfeinde ein Höchstmaß dem wissen wir, meine Damen und Herren — ich an Rechtsstaatlichkeit zu wahren, sei im Grunde glaube, im Ernst kann das nicht geleugnet werden —, nur so eine Art Deckmantel vor einer Schwächung daß Abgeordnete natürlich vielerlei politischen Ein- der materiellen Rechtsstaatlichkeit. Ich kann nicht flüssen unterliegen: ihrer Fraktion, ihrer Parteiorga- finden, daß die Forderung nach einem Höchstmaß nisation und ihrer Wähler. Was mit dem Art. 38 ge- an Rechtsstaatlichkeit irgend etwas wie eine solche sagt wird - und das ist unbestritten —, ist, daß es Schwächung der Rechtsstaatlichkeit darstellen keine Rechtspflicht zur Stimmabgabe auf Weisung könnte. und keine Möglichkeit der Abberufung während der Er hat in diesem Zusammenhang dann gemeint, Wahlperiode gibt. Diese gesetzlichen und verfas- die Solidarität der Linken überlagere die Solidarität sungsrechtlichen Institutionen zu verändern, hat nie- der Demokraten. Herr Kollege Maier hat seinerseits mand gefordert, weder die Sozialdemokratische Par- zum solidarischen Handeln aller Demokraten auf- tei als ganze noch irgend jemand in ihren Reihen. gerufen. So richtig diese Feststellung ist, ist doch (Abg. Dr. Marx: Ihr Archiv ist aber schlecht, die Frage, die wir stellen müssen: Wo ist hier heute, Herr Landesminister!) wenn wir Ihre tatsächlichen Aussagen nicht über kleine Randgruppen, nicht über Gewalttäter, nicht Aber ebenso unstreitig ist es - es sind ja heute über extremistische Splitter, sondern über Pro- morgen auch aus Ihren Reihen mehrere Beispiele da- gramm und politische Forderungen dieser Sozial- für genannt worden —, daß es eine freiwillige Bin- demokratischen Partei als ganzer vor uns Revue dung an Mehrheitsbeschlüsse der eigenen Partei passieren lassen, die Solidarität der Demokraten? und der eigenen Fraktion gibt. Es ist unbestritten, daß es einer Partei freisteht, einen Abgeordneten, (Beifall bei der SPD.) der immer wieder gegen Fraktions- und Parteibe- schlüsse handelt, nicht wieder aufzustellen. Es ist Sie betrachten einen Kernsatz unseres Programms jeder Partei freigestellt — und es ist in allen Par- als totalitär. Sie betrachten bereits die Forderung teien vorgekommen —, Abgeordnete aus Fraktionen auf Verstaatlichung eines Wirtschaftszweiges als oder wegen Zuwiderhandelns gegen Parteibe- verfassungswidrig. Sie bauen aus dem vielberufenen schlüsse aus Parteien auszuschließen. Auch das ist, imperativen Mandat einen Buh-Mann auf, um damit glaube ich, unstreitig, und niemand kann im Ernst auf die Mehrheitsparteien dieses Hauses loszuschla- in Abrede stellen, daß es sich hier um rechtmäßige gen. Ist das die Solidarität der Demokraten, die Sie Maßnahmen handelt. beschwören? Sie können nicht erwarten, daß wir auf der Basis einer solchen Polemik diese Solidarität Dahinter aber, meine Damen und Herren, steht akzeptieren. doch ein ganz anderes Problem. Im Ernst wird doch niemand leugnen können, daß es in dem Maße, in (Abg. Erhard [Bad Schwalbach] meldet sich dem soziale Spannung und aktive Anteilnahme der zu einer Zwischenfrage.) Bürger in unserer Gesellschaft zunehmen, in dem Ich darf gerade zu dem vielumstrittenen Thema die unbestrittene Autorität der Obrigkeit — nennen des imperativen Mandats noch einige Bemerkungen wir es einmal so — auch der gewählten Volksvertre- machen. ter in Frage gezogen wird, so etwas wie ein Parla- 5108 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Landesminister Dr. von Oertzen ments- und Parlamentarierproblem im demokrati- gleiten in eine uferlose und zerstörerische, im schen Staat gibt, daß es Entfremdungserscheinungen schlechten Sinne des Wortes revolutionäre Entwick- gibt zwischen gewählten Volksvertretern und ihren lung auf der anderen Seite ein sehr schmaler und Wählern sowohl als ihren Parteiorganisationen und ein sehr gefährlicher Weg ist. Die Sozialdemokra- wachsende Spannungen auch in den einzelnen Par- tische Partei ist in ihrer ganzen langen Geschichte teien. Es wäre doch einfach leichtfertig oder, wenn diesen Weg trotz mancher Irrtümer und vieler Nie- es vorsätzlich als politische Waffe mißbraucht wird, derlagen, die wir ja auch zu verzeichnen haben - auch noch Schlimmeres, wenn man den Parteien das das wollen wir nicht leugnen , Recht bestreiten wollte, den Versuch zu unterneh- (Abg. Stücklen: Das einzige vernünftige men, die Frage zu klären, die da lautet: Wie können Wort heute!) die gewählten Volksvertreter in Übereinstimmung mit dem Auftrag ihrer Wähler und in Übereinstim- unbeirrt gegangen, und sie wird sich auch von mung mit dem politischen Willen der Partei, die sie Ihnen von diesem Wege nicht abbringen lassen. entsandt hat und der sie doch sehr weitgehend ihr Eines lassen Sie mich zum Schluß sagen: In Mandat verdanken, gebracht werden Sachen Verfassungstreue bedarf die Sozialdemokra- tische Partei von Ihrer Seite keiner Belehrung! Herr Kollege Maier hat mit Recht darauf hinge- wiesen, daß es gerade bei der jungen Generation (Anhaltender Beifall bei der SPD. — Abg. eine Art von Unsicherheit gibt. Und er hat, wie ich Dr. Marx: Eine schwache Rede! — Abg. glaube auch zu Recht gesagt, daß vieles davon auf Stücklen: Ein Glück, daß wir den Maier das erzieherische Versagen der Elternhäuser zu- haben! — Weitere Zurufe.) rückzuführen ist; ich würde aber hinzufügen: sicher- lich auch manches auf Versäumnisse der Politik, Vizepräsident Frau Funcke: Meine Damen auf Versäumnisse des Staates und der öffentlichen und Herren, es ist nach 21 Uhr. Der Ältestenrat hat Erziehung. Es geht nicht darum, die Probleme, die vereinbart, daß die Sitzung zu diesem Zeitpunkt ge- daraus entspringen, nun zu leugnen oder Lösungs- schlossen werden sollte. Bevor ich die Sitzung versuche von vornherein zu verketzern. Es geht schließe, erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. darum, falsche Alternativen zu vermeiden. Müller (München) zu einer persönlichen Bemerkung das Wort. Herr Kollege Maier hat gemeint, relativistische Verständnisbereitschaft, also widerstandsloses Nachgeben gegenüber unruhigen, fordernden oder Dr. Müller (München) (CDU/CSU): Danke schön, gar extremistischen Kräften sei falsch. Das ist sicher Frau Präsidentin! Frau Präsidentin! Meine Damen richtig. Und er hat die rechte Autorität, das Ver- und Herren! Die Äußerung des Kollegen Gansel, ich mitteln von Werten und den Appell an Vorbilder hätte in früheren Erklärungen in den 50er Jahren 1 dagegengesetzt. Das ist sicherlich ebenso richtig. Aussprüche getätigt, die mich heute unter den Radi- Aber die Frage ist doch entscheidend die, wie diese kalenerlaß fallen ließen, weise ich zurück. Herr Gan- Vorbilder aussehen sollen, ob es etwa das Vorbild sel konnte keinerlei konkrete Angaben machen, er einer starren, jede denkbare oder auch nur halb- hat auch keine gemacht, und er kann auch in Zukunft wegs sich entwickelnde Abweichung verketzernden keine machen. Interpretation der geltenden Verfassung ist. Nie- Richtig ist, daß ich schon im Jahre 1958 als Rechter mand bestreitet, daß das geltende Verfassungsrecht aus dem SDS von Thomas von der Vring, Immanuel Gültigkeit hat und daß die geltende Verfassung ein- Geiß, Ulrike Meinhof und Erika Runge ausgeschie- gehalten werden muß, aber ebensosehr kann doch den bin, von dem sich die SPD erst 1962 getrennt niemand bestreiten, daß geschriebene Verfassungen hat. und der Gehorsam der Verfassung, daß Staatstreue (Abg. Haase [Kassel] : Sehr gut!) und Loyalität nicht im luftleeren Raume schweben. In einer Festschrift des SHB aus dem Jahre 1970 (Abg. Dr. Marx: Das bestreitet ja auch (Zuruf von der FDP: Das ist sehr inter- keiner! Was soll das?) essant!) — Nein, aber die Art und Weise, in der Sie auf wird mir wörtlich seit meinem Eintritt in die SPD breiter Front — und ich meine, ich habe eine Reihe 1955 permanent reaktionäre Gesinnung vorgewor- von Belegen hier vorgebracht — immer wieder den fen. Versuch machen, der Sozialdemokratie als ganzer (Aha! bei der CDU/CSU.) in ihrer gesellschaftsverändernden — nennen wir sie systemverändernden, nämlich das gesellschaft- Diesen Vorwurf habe ich akzeptiert, da jene Kräfte liche System verändernden — Politik den Makel der Reaktion mit Treue zum Grundgesetz gleichsetzen. mindestens möglichen Verfassungswidrigkeit auf- (Beifall bei der CDU/CSU.) zudrücken, zeigt ganz deutlich, daß Sie diese Grenze eines starren, eines im Grunde bloß bewahrenden — um nicht zu sagen: reaktionären — Verfassungs- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort zu ei- verständnisses eben nicht überschreiten wollen. ner persönlichen Erklärung hat der Abgeordnete Gansel. (Beifall bei der SPD und Zurufe von der CDU/CSU.) Gansel (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen Wir wissen, daß der Weg zwischen den Gefahren und Herren! Es war mir leider nicht möglich, in der Erstarrung auf der einen Seite und dem Ab- einer Zwischenfrage meine Äußerung zu konkreti- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5109

Gansel sieren. Es ist aber so, daß diese Zwischenfrage eine Vizepräsident Frau Funcke: Meine Damen typische Reaktion auf die humoristischen Zwischen- und Herren, damit ist die Sitzung beendet. fragen war, die Herr Müller heute gemacht hat. Ich Ich berufe das Haus auf morgen, Freitag, den stehe allerdings zu dem, was ich gesagt habe, und 15. Februar, 9 Uhr ein. scheue mich nicht, den Wahrheitsbeweis anzutreten, wenn Herr Müller ihn von mir fordert. Die Sitzung ist geschlossen. (Abg. Dr. Marx: Hic Rhodos, hic salta!) (Schluß der Sitzung: 21.27 Uhr.)

Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5111*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage i Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich

Liste der beurlaubten Abgeordneten Walkhoff * 16. 2. Frau Dr. Walz * 16. 2. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Weber (Heidelberg) 23. 2. Dr. Aachenbach * 16. 2. Adams * 16. 2. Dr. Ahrens ** 16. 2. Anlage 2 Dr. Aigner * 16. 2. Dr. Artzinger * 16. 2. Antwort Dr. Bangemann * 16. 2. Dr. Barzel 22. 2. des Parl. Staatssekretärs Grüner vom 13. Februar Dr. Beermann 19. 2. 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Behrendt * 16. 2. Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Benz 23. 2. Frage A 5) : Dr. von Bismarck 15. 2. Wie beabsichtigt die Bundesregierung - etwa auch in Zusam- menarbeit mit den zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Blumenfeld 15. 2. Staaten und den Vereinigten Staaten - die Investitionstätigkeit der ölexportierenden arabischen Staaten und ihrer Staatsangehöri- Bredl 28. 2. gen zur Vermeidung weiterer Gefahren für die deutsche und Dr. Burgbacher * 16. 2 westliche Welt unter Kontrolle zu halten, insbesondere wenn juristische Personen mit dem Sitz in Deutschland oder in dritten Dr. Corterier * 16. 2. Ländern eingeschaltet werden, und was gedenkt die Bundes- regierung allgemein zu tun, um im Interesse der deutschen Bür- van Delden 14. 2. ger dem Grundsatz der Gegenseitigkeit bei Anlagen in einem Dr. Dollinger 17. 2. dritten Land Geltung zu verschaffen? Eckerland 23. 2. Egert 23. 2. Die Bundesregierung ist sich der Problematik be- Fellermaier * 16. 2. wußt, die sich aus den hohen Überschüssen der erd- Flämig * 16. 2. ölexportierenden Länder ergeben kann. In verschie- Frehsee * 16. 2. denen internationalen Gremien wie der EG, der Dr. Freiwald 22. 2. OECD und dem IWF wird geprüft, welche Anlage- Dr. Früh * 16. 2. möglichkeiten für diese Mittel geschaffen werden Gerlach (Emsland) * 16. 2. können. Dabei wird unter anderem daran gedacht, Graaff 22. 2. neue multilaterale Kooperationsformen mit den Härzschel * 16. 2. OPEC-Ländern zu entwickeln. Dr. Jahn (Braunschweig) * 16. 2. Unsere Statistiken zum Jahresende 1973 weisen Kater * 16. 2. noch kein Ansteigen von Investitionen aus erdöl- Kiep 15. 2. fördernden Ländern in der Bundesrepublik Deutsch- Dr. Klepsch* 16. 2. land aus. Nach Äußerungen der Regierungen der Krall * 16. 2. betreffenden Länder ist anzunehmen, daß die schon Lampersbach 23. 2. entwickelten Erdölländer in erster Linie mit den Lange * 16. 2. Einnahmen ihre eigene Wirtschaft aufbauen, aber Lautenschlager * 16. 2. auch ärmeren Entwicklungsländern helfen wollen. Lücker * 16. 2. Mit gewissen Anlagen in Industrieländern ist aber Memmel * 16. 2. zu rechnen. Ganz generell und unter dem Vorbehalt, Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 22. 2. daß die Größenordnung die Bewertung ändern kann, Müller (Mülheim) * 16. 2. ist zu Investitionen aus den erdölfördernden Län- Mursch (Soltau-Harburg) * 16. 2. dern zu sagen, was auch für andere Auslandsinvesti- Frau Dr. Orth * 16. 2. tionen in Deutschland gilt: Solche Investitionen die- Pieroth 14. 2. nen der internationalen Zusammenarbeit und damit Dr. Prassler 23. 2. auch der allgemein-politischen Interessenverflech- Ronneburger 22. 2. tung, die für uns sehr nützlich sein kann. Frau Schimschock 16. 2. Dem Grundsatz der Gegenseitigkeit trägt die Bun- Schmidt (München) * 16. 2. desregierung durch völkerrechtliche Verträge Rech- Dr. Schulz (Berlin) * 16. 2. nung. Zur Förderung deutscher Privatinvestitionen Schwabe * 16. 2. in den Erdölländern ist die Bundesregierung bereit, Dr. Schwörer * 16. 2. das allgemeine Förderungsinstrumentarium für In- Seefeld* 16. 2. vestitionen in Entwicklungsländern auch auf sie an- Seibert 14. 2. zuwenden. Bisher haben die Erdölländer - mit Aus- Slotta 25. 2. nahme Libyens - nur wenig deutsches Privatkapital Springorum * 16. 2. angezogen. Zur Sicherung des Rechtsschutzes für Dr. Starke (Franken) * 16. 2. künftig vermehrt zu erwartende Privatinvestitionen * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Par- wird die Bundesregierung den Regierungen dieser laments Länder den Abschluß von Investitionsförderungs- ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Ver- verträgen vorschlagen; ein solcher Vertrag besteht sammlung des Europarates bereits mit Iran. 5112* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Anlage 3 Im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemein- schaft ist der Grundstückserwerb jedoch in dem Antwort Sinne liberalisiert, daß die Erwerbsfreiheit für In- länder auch von Angehörigen anderer EWG-Länder des Parl. Staatssekretärs Grüner vom 13. Februar (z. B. auch von Gesellschaften mit ausländischer Be- 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten teiligung) in Anspruch genommen werden kann. Picard (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fragen A 6 und 7) : Inwieweit treffen Nachrichten zu, nach denen Milliardenbeträge aus arabischen Ölförderländern zum Ankauf von Grundbesitz in deutschen Großstädten dienen? Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung bezüglich der Anlage 4 Überlegungen, Grundstückskäufe in der Bundesrepublik Deutsch- land durch Ausländer gesetzlich so zu regeln, daß mögliche Gefah- ren der Konzentration von Grundbesitz in Händen ausländischer Antwort Eigentümer vermieden werden, etwa analog den gesetzlichen Re- gelungen in der Schweiz, Osterreich oder den Niederlanden? des Parl. Staatssekretärs Grüner vom 14. Februar Zu Frage A 6: 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Krockert (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 28) : Für diese Nachrichten gibt es bisher keine kon- Wird die Bundesregierung bei der Revision des Energiepro- kreten Beweise. Nach der Zahlungsbilanzstatistik gramms auch Möglichkeiten ins Auge fassen, über die bisheri- gen Andeutungen hinaus (Ziffer 78) staatlichen Einfluß auf die der Deutschen Bundesbank sind die Käufe inländi- Entwicklung des Bedarfs an Energie zu gewährleisten? scher Grundstücke durch Ausländer von 5 Millionen DM im Jahre 1972 auf 186 Millionen DM im Jahre Fortschritten mit dem Ziel einer rationellen Ener- 1973 gestiegen. Diesen Käufen stehen Verkäufe in- gieverwendung kommt innerhalb der Energiepolitik ländischer Grundstücke durch Ausländer an Inlän- der Bundesregierung mit Sicherheit eine erhöhte Be- der in Höhe von 108 Millionen DM im Jahre 1972 deutung zu. Die Bundesregierung ist daneben der und in Höhe von 72 Millionen DM im Jahre 1973 Meinung, daß die jüngsten Ölpreissteigerungen auch gegenüber. Mit diesen Zahlen sind allerdings nur für die Verbraucher von Energie einen sehr starken die unmittelbaren Käufe erfaßt. In welchem Umfange Zwang in die gleiche Richtung ausüben. Ausländer mittelbar, insbesondere über inländische Die Bundesregierung hat im „Rahmenprogramm Gesellschaften, Grundstücke erworben haben, geht Energieforschung (1974 bis 1977) " insgesamt 56 Mil- aus der Zahlungsbilanzstatistik der Bundesbank lionen DM für Systemanalysen und für die Entwick- nicht hervor. lung technischer Hilfsmittel in den Sektoren Ge- werbe, Haushalt und Verkehr vorgesehen, um in Zu Frage A 7: diesen Bereichen den Nutzungsgrad bei der Ener- Diese Frage betrifft einen Teilbereich der deut- gieverwendung zu erhöhen. Sie prüft, wie darüber schen Investitionspolitik gegenüber dem Ausland. hinaus etwa durch die Anpassung bestimmter Dabei kommt der Kapitalanlagepolitik der Erdöl- „Standards" — z. B. der Isolierungsnormen für den förderländer wegen des stark steigenden Devisen- Hochbau — oder die Schaffung zusätzlicher Anreize potentials dieser Staaten und der zu erwartenden für Energieeinsparungen ein rationellerer Energie- Belastungen der Leistungsbilanzen der Ölverbrau- einsatz erreicht werden kann. cherländer aktuelle Bedeutung zu. Sollten sich die anlagesuchenden Mittel auf einzelne Zuflußländer konzentrieren, so würde dies in der Tat Probleme aufwerfen. Die Bundesregierung wird die Entwick- lung sorgfältig beobachten. Sie ist zudem bemüht, in Anlage 5 internationalen Verhandlungen vernünftige Rege- lungen anzustreben. Antwort Schon jetzt erlaubt § 23 des Außenwirtschafts- des Parl. Staatssekretärs Grüner vom 14. Februar gesetzes (AWG) Beschränkungen des Grundstücks- 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten erwerbs durch Ausländer, wenn die Beschränkungen Gansel (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 29) : erforderlich sind, „um einer Beeinträchtigung der Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den bis- her bekanntgewordenen Praktiken multinationaler Mineralölkon- Kaufkraft der Deutschen Mark entgegenzuwirken zerne, mit Hilfe der sogenannten Erdölkrise zusätzliche Gewinne oder das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz sicherzu- ins Ausland zu verlagern? stellen". Im gegebenen Zeitpunkt wäre zu prüfen, ob Gewinnverlagerungen können dadurch entstan- für die Wahrung allgemeiner sozial-, wirtschafts- und bodenpolitischer Zwecke eine weitere Rechts- den sein, daß - grundlage geschaffen werden müßte. — ausländische Gesellschaften konzernverbunde- nen Unternehmen in Deutschland Rohöl und Fer- Bei solchen Überlegungen ist allerdings zu berück- tigprodukte zu überhöhten Verrechnungspreisen sichtigen, daß auch die deutsche Wirtschaft ein er- lieferten, hebliches Interesse an Investitionen und damit an Grundstückskäufen im Ausland hat. Außerdem hat — deutsche Handelsunternehmen von internationa- sich die Bundesrepublik durch Investitionsförde len Gesellschaften Produkte zu höheren Preisen rungs- und Niederlassungsverträge verpflichtet, den beziehen mußten als sie den deutschen Töchtern Erwerb von Grundstücken durch Ausländer in ge- dieser Gesellschaften in Rechnung gestellt wur- wissem Umfang zuzulassen. den. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5113*

Zu dem ersten Komplex kann ich Ihnen im Ein- licher oder kaufmännischer Berufe. Außerdem kommt vernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen es vor, daß nicht immer ein Dienstplatz frei ist, der folgendes mitteilen: eine Beschäftigung im erlernten Beruf ermöglicht. Das Steuerrecht bietet — vor allem mit § 1 Ich nehme an, daß Ihrer Frage ein Einzelfall zu- Außensteuergesetz — die Möglichkeit, überhöhte grunde liegt und wäre Ihnen daher dankbar, wenn Verrechnungspreise zwischen konzernverbundenen Sie mir den Sachverhalt mitteilen würden. Dann Gesellschaften zu korrigieren und damit Steuerver- werde ich prüfen lassen, ob eine Beschäftigung im er- kürzungen zu Lasten des deutschen Fiskus zu ver- lernten Beruf möglich ist und Sie darüber unter- hindern. Beurteilungsmaßstab ist das Verhalten un- richten. abhängiger Gesellschaften untereinander. Die Durchführung dieser Vorschriften ist Ange- legenheit der Finanzverwaltung der Länder. Diese beobachten die Entwicklung bei allen internatio- Anlage 7 nalen Gesellschaften genau, um eventuellen Ge- winnverlagerungen entgegenzutreten. Der Bundes- Antwort regierung ist bekannt, daß die Finanzbehörden des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 13. Februar 1974 schon bisher erfolgreich auf den Ansatz angemesse- auf die Mündliche Frage der Abgeordneten ner Verrechnungspreise der Mineralölgesellschaf- Frau Benedix (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A 33) : ten gedrungen haben. Allerdings hat die Entwick- Ist die Bundesregierung bereit, bei einer Änderung der Ren- lung der Preise für Rohöl und für Fertigprodukten tengesetze für nicht erwerbstätige Mütter die freiwilligen Ver- importe — insbesondere aus Rotterdam — in den sicherungsbeiträge wie Pflichtbeiträge gelten zu lassen, damit die Ausfallzeiten angerechnet bleiben und berufstätig gewesene letzten Monaten die bisher schon schwierige Auf- Frauen, die durch Mutterschaft und Kindererziehung im Renten- versicherungsrecht benachteiligt sind, in Zukunft die sogenannte gabe weiter erschwert. Halbdeckung erreichen?

Die zuständigen Finanzämter haben die Situation Die Bundesregierung hat in der Regierungserklä- der Mineralölgesellschaften in den letzten Monaten rung zum Ausdruck gebracht, daß sie eine eigenstän- laufend verfolgt; sie passen, wo notwendig, die dige soziale Sicherung der Frau anstrebt. In diesem Vorauszahlungen für die Körperschaft- und Ge- Zusammenhang steht auch Ihre Anregung, in der werbesteuer der laufenden Entwicklung an. Rentenversicherung bei nicht erwerbstätigen Haus- Die zweite Frage, die Belieferung der unabhängi- frauen mit Kindern die freiwilligen Beiträge bei der gen deutschen Handelsunternehmen, ist primär sog. Halbdeckung zu berücksichtigen, damit diese unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten zu Frauen beitragslose Zeiten angerechnet erhalten bewerten. Hierzu hat das Bundeskartellamt in Erf ah- können. Bei den Überlegungen, wie die bisherige rung gebracht, daß unabhängige deutsche Impor- vom Ehemann abgeleitete Sicherung der Frau zu teure im November 1973 für Mineralölprodukte aus eigenständigen Sicherungsformen hin entwickelt hölländischen Raffinerien einiger internationaler werden kann, soll daher auch das von Ihnen ange- Gesellschaften höhere Preise zahlen mußten, als sie sprochene Problem eingehend geprüft werden. Eine den deutschen Töchtern dieser Unternehmen in Lösung muß sich sinnvoll in eine Gesamtkonzeption Rechnung gestellt wurden. Das Bundeskartellamt zur Neuregelung der sozialen Sicherung der Frau hat seine Ermittlungen der EG-Kommission mitge- einfügen. Hierbei sind u. a. auch Fragen des Mutter- teilt; die weitere Aufklärung, insbesondere die An- schutzes, des Versorgungsausgleichs bei Eheschei- hörung der betroffenen Gesellschaften, sowie — ge- dung sowie der Höhe der Witwenrente einzubezie- gebenenfalls — die Verfolgung dieses Sachverhalts hen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß vor Ab- ist Sache der EG-Kommission. Das deutsche Wett- schluß dieser Prüfung noch nicht gesagt werden bewerbsrecht hilft hier nicht weiter, da die betroffe- kann, wie eine entsprechende Regelung ausgestaltet nen Unternehmen ihren Sitz außerhalb des Bundes- und welche Voraussetzungen im einzelnen aufge- gebietes haben. stellt werden müssen. Der Ausbau der eigenständi- gen sozialen Sicherung der Frau wird jedoch — so hoffe ich — noch im Laufe dieser Legislaturperiode weitere Fortschritte machen.

Anlage 6

Antwort Anlage 8 des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 14. Februar - 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Antwort Hansen (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 31) : des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 13. Februar Trifft es zu, daß Zivildienstleistende nicht in dem Beruf ein- gesetzt werden können, den sie erlernt haben, auch dann nicht, 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten wenn es sich hierbei um Berufe handelt, die dem Allgemeinwohl dienen? Dr. Stavenhagen (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fragen A 34 und 35) : Zivildienstleistende werden nach Möglichkeit ent- Auf welcher Rechtsgrundlage beruht die Tatsache, daß die ge- sprechend ihrer beruflichen Vorbildung beschäftigt. setzlichen Krankenversicherungen von Pensionären eine prozen- tuale Beteiligung der Versicherten an den Arzneikosten fordern, Es gibt jedoch Fälle, in denen dies schwerlich mög- während Rentner von diesen Rezeptgebühren befreit sind, und hält die Bundesregierung diese Ungleichbehandlung von Rentnern lich ist, z. B. bei Angehörigen bestimmter handwerk und Pensionären für gerechtfertigt? 5114* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Befaßt sich die Sachverständigenkommission zur Weiterent- möchte ich auf den umfassenden Katalog der Rehabi- wicklung der sozialen Krankenversicherung mit dem Problem der Kostenbeteiligung für Pensionäre, und wann ist mit einer Stel- litationsmaßnahmen hinweisen, die auch die Berufs- lungnahme dieser Sachverständigenkommission zu rechnen? genossenschaften in den von Ihnen genannten Fäl- Zunächst ist grundsätzlich anzumerken, daß eine len bereithalten. Beteiligung der Versicherten an den Arztkosten im Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich folgendes: Für geltenden Recht der gesetzlichen Krankenversiche- die äußere Gestaltung der Arbeitsplätze von Schreib- rung nicht enthalten ist. Die Versicherten haben le- kräften gibt es Untersuchungen und Empfehlungen, diglich bei der Abnahme von Arznei-, Verband- und die in erster Linie der technischen Erleichterung der Heilmittel 20 vom Hundert der Kosten, höchstens Schreibarbeit dienen. Sie sollen in der „Verordnung jedoch 2,50 Deutsche Mark je Verordnungsblatt zu über Arbeitsstätten" berücksichtigt werden. Diese tragen. Befreit von der Beteiligung ist der in § 182 a Verordnung wird sich unter anderem mit dem zu- der Reichsversicherungsordnung genannte Perso- mutbaren Lärmpegel in derartigen Büros, mit der nenkreis. Darunter fallen auch Empfänger beamten- Klimatisierung, Beleuchtung usw. befassen. rechtlicher Versorgungsbezüge, wenn sie in ihrer Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß nervliche Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 v. H. gemindert Belastungen von Schreibkräften auch dann noch sind und diese Minderung von einer amtlichen Stelle auftreten, wenn alle technischen Hilfen, die man in nachgewiesen ist. bezug auf den Arbeitsplatz stellen kann, vorliegen. Zu Ihrer zweite Frage bemerke ich folgendes: Die Die Ursachen werden dann in anderen Bereichen zu Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung suchen sein, z. B. in den Anforderungen, die an die der sozialen Krankenversicherung hat sich mit dem einzelnen Angestellten gestellt werden. Bericht der Bundesregierung an den Bundesrat über Statistische Angaben über erhöhte nervliche Be- die Erfahrungen mit der Ablösung der Verordnungs- lastungen der Schreibkräfte in größeren Schreib- blattgebühr durch eine Beteiligung der Versicherten büros liegen nicht vor. Auch der zuständige Ren- an den Arznei-, Verband- und Heilmittelkosten ge- tenversicherungsträger kann darüber keine Anga- mäß § 182 a Reichsversicherungsordnung (Bundes- ben machen, weil der Anspruch auf Berufsunfähig- ratsdrucksache 98/72) befaßt. Sie ist zu dem Ergeb- keitsrente von der Feststellung des Kausalzusam- nis gelangt, daß § 182 a Reichsversicherungsordnung menhanges mit der beruflichen Beschäftigung nicht aufgehoben werden sollte. Die Empfehlung der Sach- abhängt. verständigenkommission wird geprüft. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich dem Ergebnis der Zu der Frage der besonderen Belastung beim Prüfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor- Schreiben mit Kopfhörern können genauere Anga- greifen kann. ben nicht gemacht werden. Ich werde mich jedoch mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfall- forschung in Dortmund in Verbindunng setzen und sie von Ihren Fragen und den darin enthaltenen Problemen unterrichten. Anlage 9

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 13. Februar Anlage 10 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Antwort Bäuerle (SPD) (Drucksache 7/1661 Fragen A 36 und 37) : des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 14. Februar Liegen der Bundesregierung medizinische Gutachten darüber vor, daß weibliche Arbeitnehmer, die jahrelang an der Schreib- 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten maschine arbeiten müssen, besonders anfällig für Sehnenschei- (SPD) (Drucksache 7/1661 Fragen A 38 und denentzündungen sind, und ist gegebenenfalls beabsichtigt, diese Jaunich Sehnenscheidenentzündungen als Berufskrankheit in das Berufs- 39) : krankheitsverzeichnis aufzunehmen? Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus der Liegen der Bundesregierung statistische Unterlagen darüber Tatsache zu ziehen, daß mehr als die Hälfte del Arbeitslosen vor, daß die in größeren Schreibbüros beschäftigten Angestellten (Stand: Sonderzählung der Bundesanstalt für Arbeit Ende Sep- einer besonders starken nervlichen Belastung ausgesetzt sind und tember 1973) Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung daß Schreibkräfte, die während ihrer gesamten Dienstzeit über sind? den Kopfhörer auf Band aufgenommene Diktate übertragen müs- Hält die Bundesregierung eine Änderung der Anordnung Num- sen, so stark belastet sind, daß sie in verstärktem Maße be- mer 24 des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (A rufsunfähig werden, und welche Konsequenzen gedenkt die Bun- Fortbildung und Umschulung) vom 18. Dezember 1969 mit dem desregierung gegebenenfalls zu ziehen? Ziel der Einbeziehung von Maßnahmen der Allgemeinbildung für arbeitslose jugendliche Hilfsarbeiter für erforderlich, und ist sie bereit, in diesem Sinn auf den Verwaltungsrat der Bundes- Bei der Sehnenscheidenentzündung handelt es sich anstalt für Arbeit einzuwirken? um ein Krankheitsbild, mit dem sich die arbeits- medizinische Literatur und die Träger der Unfall- Die Probleme der an- und ungelernten Arbeiter, versicherung eingehend beschäftigt haben. Auf die wie auch die jüngste Arbeitsmarktentwick- Grund der Ergebnisse wurde die Sehnenscheiden- lung zeigt — von einem Beschäftigungsrückgang be- entzündung unter der Nr. 43 in die Anlage zur Be- sonders betroffen werden, hat die Bundesregierung rufskrankheitenverordnung als entschädigungs- in ihrem Bericht nach § 239 des Arbeitsförderungs- pflichtige Berufskrankheit aufgenommen. Nach dem gesetzes eingehend dargelegt (vgl. BT-Drucksache geltenden Recht ist für die Anerkennung bzw. die 7/403). Langfristig wird hier hauptsächlich die Re- Entschädigung Voraussetzung, daß die Krankheit form der beruflichen Bildung eingreifen, die durch zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder die bevorstehende Neufassung des Berufsbildungs- jeder Erwerbsarbeit gezwungen hat. Im übrigen gesetzes eingeleitet wird. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5115*

Entsprechen Pressemeldungen den Tatsachen, wonach der Ver- Kurzfristig wirksame Maßnahmen sind von der mittlungsstopp für ausländische Arbeitnehmer nicht auf die Be- Bundesanstalt für Arbeit in engem Zusammenwirken schäftigten der deutschen Seeschiffahrt angewendet wird? mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozial- ordnung in letzter Zeit im Bereich der Bildungsförde- Ausländische Seeleute, die auf Schiffen unter rung nach dem Arbeitsförderungsgesetz getroffen deutscher Flagge beschäftigt werden, benötigen worden. So hat der Verwaltungsrat der Bundes- keine Arbeitserlaubnis. Es besteht somit nach wie anstalt die Förderungsmöglichkeiten nach der An- vor die Möglichkeit, Seeleute aus jenen Ländern ordnung Fortbildung und Umschulung für an- und anzuheuern, die unter den Anwerbestopp fallen. Die ungelernte Arbeitnehmer mit Wirkung vom 1. April Auslandsdienststellen der Bundesanstalt für Arbeit, 1974 erheblich verbessert. Diese erhalten in Zukunft deren sich die Reeder vor Inkrafttreten des Anwer- ihre Lehrgangskosten in voller Höhe erstattet. Das bestopps in beschränktem Umfange bedienten, stehen wird dazu führen, daß das bislang geringe Angebot für eine derartige Vermittlung allerdings derzeit an Maßnahmen zum Nachholen der fehlenden Fach- nicht zur Verfügung. arbeiterprüfung verstärkt wird. Ferner ist erstmalig Ergänzend möchte ich noch bemerken, daß in mei- die Förderung kurzfristiger innerbetrieblicher Bil- nem Hause derzeit geprüft wird, ob für ausländische dungsmaßnahmen ermöglicht. Diese Regelungen sol- Seeleute auch eine Arbeitserlaubnispflicht einge- len vor allem den an- und ungelernten Arbeitneh- führt werden soll. mern zugute kommen. Darüber hinaus hat der Präsident der Bundes- anstalt einen ad hoc-Arbeitskreis gebildet, der Hin- weise für die Arbeitsämter erarbeiten soll, wie durch Ausnutzung bestehender und Erschließung neuer Anlage 12 Schulungskapazitäten die Bildungsmöglichkeiten ins- besondere der an- und ungelernten Arbeitnehmer Antwort verbessert werden können. Einzelne Arbeitsämter haben daraufhin schon Lehrgänge zum Nachholen des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 14. Februar der Facharbeiterprüfung eingerichtet. 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Lenzer (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fragen A 41 Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich folgendes be- und 42) : merken: Die von Ihnen genannte „Anordnung" er- Wie beurteilt die Bundesregierung entsprechende Gesetzge- möglicht bereits im Rahmen des geltenden Rechts bungsmaßnahmen, die es den Mitgliedern der Rentenversiche- rungsanstalten nach 72 bzw. 78 Wochen dauernder Krankheit und eine weitgehende Vermittlung von Allgemeinbil- dem damit verbundenen Bezug von Krankengeld im Falle wei- terer Arbeitsunfähigkeit ermöglichen, sofort und unbürokratisch dung. Die Anordnung schließt die Förderung nur bei eine Anerkennung als Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähig- B) solchen Maßnahmen aus, in denen überwiegend keitsrentner auf Zeit zu erhalten? Wissen vermittelt wird, das dem von allgemein- Hält es die Bundesregierung für erstrebenswert, daß Ver- sicherte mit beschränkter Arbeitsfähigkeit nach dieser genannten bildenden Schulen angestrebten Bildungsziel ent- Zeit ebenfalls als Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeits- rentner anzuerkennen sind, sofern die Arbeitsämter keinen ent- spricht. Danach werden auch solche beruflichen Bil- sprechenden Arbeitsplatz in zumutbarer Entfernung nachweisen dungsmaßnahmen gefördert, bei denen allgemein- können? bildende Inhalte bis zur Hälfte des Lehrstoffes aus- machen. Die bisherigen Erfahrungen haben nach Mit- Die Zielrichtung Ihrer Fragen geht offenbar dahin, teilung der Bundesanstalt für Arbeit gezeigt, daß an das Krankengeld einen nahtlosen Anschluß von diese Regelung für eine erfolgreiche berufliche Bil- anderen Sozialleistungen oder von Arbeitseinkom- dung ausreicht. men sicherzustellen. Dieses Ziel wird im Regelfall Entsprechendes gilt für die Förderung noch nicht bereits aufgrund der geltenden Rechtslage erreicht. berufsreifer Jugendlicher, zu denen auch viele ju- Ein Versicherter, der über einen längeren Zeitraum gendliche Hilfsarbeiter gehören. Die berufsvorberei- Krankengeld bezogen hat, kann bereits heute den tenden Maßnahmen, die nach § 40 Arbeitsförde- Antrag auf Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente rungsgesetz von der Bundesanstalt gefördert wer- stellen. Die Krankenkassen können ihn dazu sogar den, vermitteln weitgehend auch allgemeine Bil- anhalten. Ein solcher Antrag wird dann dazu füh- dung. ren, daß der Rentenversicherungsträger entweder Abschließend möchte ich noch hinzufügen, daß ich die Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen oder die von Ihnen gestellten Fragen mit diesen Ant- die Gewährung von Rente prüft. Nach dem in den worten dem Präsidenten der Bundesanstalt für Ar- parlamentarischen Beratungen befindlichen Rehabili- beit mitteilen werde. Auch für den von Ihnen ge- tations-Angleichungsgesetz sind die Krankenkassen nannten Personenkreis sollte alles unternommen künftig gehalten, Versicherte, bei denen die Durch- werden, um den Weg in eine bessere berufliche Bil- führung von Rehabilitationsmaßnahmen in Betracht dung zu finden. kommen, rechtzeitig dem Rentenversicherungsträger mitzuteilen. Dieser hat dann die erforderlichen Schritte unver- Anlage 11 züglich einzuleiten. Führen Rehabilitationsmaßnah- men aber nicht mehr zum Erfolg, wird in aller Regel Antwort Rente wegen vorzeitiger Minderung der Erwerbs- fähigkeit zu gewähren sein. des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 14. Februar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich folgendes be- Grobecker (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 40) : merken: Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung 5116* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

hat der Rentenversicherungsträger bei der Prüfung davon ausgehen, daß es das gemeinsame Bestreben der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit auch die Ar- von Bundesregierung, Rentenversicherungsträgern beitsmarktsituation zu beachten. Bei Versicherten, und deren Aufsichtsbehörden ist, gerade auch die die nicht mehr vollschichtig tätig sein können, ist Information der Versicherten ständig zu verbessern. nach dieser Rechtsprechung Rente zu zahlen. Schei- den auch Leistungen der Rentenversicherung aus, hat die Arbeitsverwaltung zu prüfen, ob und in welchem Umfang der Versicherte dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung steht. Ist der Versicherte grund- Anlage 14 sätzlich vermittlungsfähig, kann ihm aber ein Ar- beitsplatz nicht vermittelt werden, hat er einen Antwort Anspruch auf Arbeitslosengeld. des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 14. Februar Sollte Ihrer Frage ein bestimmter Einzelfall zu- 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten grunde liegen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Horstmeier (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage mir den Sachverhalt mitteilen würden, damit ich der, A 45) : Sache nachgehen kann. Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die neuen Ab- gabebedingungen für die Landabgaberente nach dem einzel- betrieblichen Förderungsprogramm auch auf bereits vollzogene Tatbestände vor dem 1. Januar 1974 anzuwenden?

Ich nehme an, daß Sie mit den „neuen Abgabe- Anlage 13 bedingungen für die Landabgaberente nach dem Einzelbetrieblichen Förderungsprogramm" die auf Antwort Grund der EWG-Richtlinien 159 und 160 getroffenen Neuregelungen im 7. Änderungsgesetz zur Alters- des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 14. Februar hilfe für Landwirte ansprechen. Grundsätzlich finden 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten diese Neuregelungen auch auf bereits vor dem Dr. Köhler (Duisburg) (CDU/CSU) (Drucksache 1. Januar 1974 vollzogene Tatbestände Anwendung, 7/1661 Fragen A 43 und 44): wobei die nunmehr geforderten Voraussetzungen er- Wie groß war in bezug auf die Gesamtzahl der Antragsteller füllt sein müssen. im Jahr 1973 die Zahl derjenigen, die von der Möglichkeit Ge- brauch gemacht haben, bereits vor Ausscheiden aus dem Arbeits- leben einen Antrag auf Altersrente zu stellen? So können Landwirte in Fällen, in denen sie vor In welcher Weise wird der betroffene Personenkreis auf die dem Inkrafttreten des 7. Änderungsgesetzes ihr land- Möglichkeit der vorgezogenen Antragstellung aufmerksam ge- wirtschaftliches Unternehmen strukturverbessernd macht, und wie könnte diese Information verbessert werden? abgegeben haben, aber keine Landabgaberente er- halten konnten, weil ihr Betrieb das Fünffache der Nach den bisherigen Erfahrungen wird in aller Mindesthöhe überschritten hat, nunmehr unter Um- Regel von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, das ständen Landabgaberente erhalten. Erforderlich ist Altersruhegeld bereits vor dem Ausscheiden aus der Nachweis, daß der abgegebene Betrieb nicht ent- dem Arbeitsleben zu beantragen. Präzises Zahlen- wicklungsfähig im Sinne der oben genannten EWG- material dafür, in welchem konkreten Umfang das Richtlinie 159 ist und die weiteren Voraussetzungen geschieht, steht allerdings nicht zur Verfügung, zu- des neugestalteten § 42 des Gesetzes über eine mal es nach Angaben der Fachleute auch nur mit Alterhilfe für Landwirte vorliegen. Die Durchfüh- unverhältnismäßig hohem Aufwand zu erhalten rung des Nachweisverfahrens ist im Gesetz im ein- wäre. zelnen geregelt. Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich folgendes be- merken: Die Versicherungsträger haben in den letz- ten Jahren die für das Altersruhegeld heranstehen- den Geburtsjahrgänge durch Aufrufe aufgefordert, ihre Anträge rechtzeitig zu stellen. Das trifft ins- Anlage 15 besondere für die Berechtigten zu, die die flexible Altersgrenze in Anspruch nehmen können. Da die Antwort Antragstellung fast ausnahmslos über die Versiche- des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 14. Februar rungsämter oder die Versichertenältesten erfolgt, 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten werden die Antragsteller auf die durch das Renten- Roser (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A 46) : reformgesetz im Jahre 1972 eingeführte Möglichkeit Ist es zutreffend, daß im Rahmen des Anwerbestopps auslän- hingewiesen, sich vom Arbeitgeber das für die discher Arbeitskräfte auch die Einreise von Praktikanten verhin- letzten drei Monate ihrer Tätigkeit voraussichtlich dert wird, die auf Grund von Firmenzusagen zur Ausbildung in die Bundesrepublik Deutschland, gestützt auf ein Beschäfti- anfallende Entgelt vorab bescheinigen zu lassen gungsverhältnis, einreisen wollen? und dadurch die Bearbeitung des Rentenantrags er- heblich zu beschleunigen. Auch die Weiterentwick- Ausländische Praktikanten, die im Bundesgebiet lung der integrierten Datenverarbeitung in der Ren- tätig werden wollen, bedürfen einer Arbeitserlaub- tenversicherung wird in diese Richtung wirken. nis, soweit sie nicht Angehörige eines Mitglied- Schließlich sind in einer Reihe von wichtigen So- staates der Europäischen Gemeinschaften sind. So- zialgesetzen und Gesetzentwürfen in jüngerer Zeit weit es sich um Regierungspraktikanten handelt, verstärkt die Beratungs- und Aufklärungsfunktionen deren Entsendung auf völkerrechtlich verbindlichen der Sozialleistungsträger betont worden. Sie können Zusagen beruht, wird die Arbeitserlaubnis auch Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5117* weiterhin erteilt. Dagegen erhalten die sogenannten Die Pressemeldungen treffen — soweit sie sich freien Praktikanten, die bei deutschen Firmen tätig überprüfen lassen — nicht zu; die Sowjetunion hat werden wollen, seit dem Anwerbestopp zur Zeit die Wehrdienstzeit nicht verlängert. keine Arbeitserlaubnis mehr. Bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage wäre es auch sozialpolitisch kaum vertretbar, wenn die Firmen offene Stellen mit aus- Anlage 18 ländischen Praktikanten statt mit Arbeitslosen be- setzen würden. Antwort

des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 14. Februar 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Würtz (SPD) (Drucksache 7/1661 Fragen A 53 und Anlage 16 54) Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, wenn auf eine größere Anzahl von Beschwerden über die Änderung der Prü- fungsordnung für den 7. Stabsoffizier- und Auswahllehrgang nach Anwort über einem Jahr noch keine Beschwerdebescheide erteilt wurden, und dies, obwohl gemäß § 16 Abs. 2 der Wehrbeschwerdeordnung des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 13. Februar vorgesehen ist, daß Beschwerdeführer nach einem Monat erneut Beschwerde einlegen können, wenn eine Entscheidung nicht ge- 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten troffen wurde? Walkhoff (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 51): Ist in diesem Zusammenhang das Verfahren mit der Wehrbe- schwerdeordnung vereinbar, wenn den Beschwerdeführern Ent- Trifft die Meldung der „Frankfurter Rundschau" vom 1 . Februar würfe von Beschwerdebescheiden (ohne Datum und Unterschrift) 1974 zu, wonach laut Aussage von Zivildienstleistenden kein Ver- zusammen mit der Frage übersandt werden, ob die Beschwerde- pflegungsgeld mehr für Zivildienstleistende gezahlt wird, ob- führer ihre Beschwerden weiter aufrechterhalten wollen? wohl zahlreiche Einsatzplätze vor allem im sozialen Bereich nicht über Möglichkeiten der Gemeinschaftsverpflegung und nicht über Gemeinschaftsunterkünfte verfügen? Ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß es aus Gründen der Rechtssicherheit notwendig ist, Be- Zivildienstpflichtige sind nach § 31 des Zivil- schwerden unverzüglich zu bearbeiten und zu ent- dienstgesetzes auf dienstliche Anordnung verpflich- scheiden. Dabei verkenne ich jedoch nicht, daß bei tet, an einer Gemeinschaftsverpflegung teilzuneh- diffiziler Rechts- und Sachlage Beschwerdeentschei- men. In einem Erlaß vom 22. Oktober 1973 hat der dungen zuweilen nicht so zügig getroffen werden Bundesbeauftragte für den Zivildienst darauf hin- können, wie die Beschwerdeführer es erwarten. gewiesen, daß aus Gründen der Fürsorge für die In den von Ihnen angesprochenen Beschwerden Dienstleistenden die Beschäftigungsstellen des Zi- verzögerten sich die endgültigen Entscheidungen vildienstes grundsätzlich gehalten sind, die Ver u. a. dadurch, daß eine nachgeordnete Stelle des pflegung sicherzustellen und nicht durch Auszah- Bundesministeriums der Verteidigung in Verken- lung eines Geldbetrages dem Dienstleistenden selbst nung ihrer Zuständigkeit bereits über einen Groß- zu überlassen. Gleichzeitig wurde festgelegt, daß teil der Beschwerden entschieden hatte und diese in Ausnahmefällen, in denen die Beschäftigungs- Entscheidungen nach den gesetzlichen Bestimmun- stelle die Verpflegung nicht oder teilweise nicht gen wieder aufgehoben werden mußten. selbst oder durch Verträge mit Gaststätten oder sonstigen Küchenbetrieben sicherstellen kann, auch Ich darf jedoch darauf hinweisen, daß alle Be- Vereinbarungen mit Dritten getroffen werden kön- schwerdeführer durch mehrere Zwischenbescheide nen. über den jeweiligen Sachstand unterrichtet und auf den für die sachgemäße Bearbeitung notwendigen Nunmehr hat sich herausgestellt, daß trotz weit- Zeitaufwand hingewiesen wurden. gehender Ausnahmeregelung in Einzelfällen eine Inzwischen sind alle Beschwerden entschieden und Verpflegung der Dienstleistenden in natura nicht ge- die Entscheidungen den Beschwerdeführern zuge- währt werden kann. Der Bundesbeauftragte für den stellt worden. Zivildienst hat deshalb die Ausnahmen dahin gehend erweitert, daß in diesen Fällen den Dienstleisten- Das Bundesministerium der Verteidigung — also den ein Verpflegungsgeld zur Sicherstellung seiner die für diese Entscheidungen zuständige Stelle — Verpflegung von der Beschäftigungsstelle ausge- hat den Beschwerdeführern keine Entwürfe von Be- zahlt werden muß. schwerdebescheiden über ihre Beschwerde über- sandt. Richtig ist dagegen, daß den Beschwerdefüh- rern durch das bearbeitende Referat ein Beschluß des I. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungs- gerichts vom 27. September 1973 übersandt wurde, Anlage 17 in dem der Senat über eine gleichgelagerte Be-- schwerde entschieden hatte. In dem Übersendungs- schreiben dazu wurden die Beschwerdeführer unter Antwort Hinweis auf die vom Senat dargelegten Gründe des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 14. Februar befragt, ob sie ihre Beschwerde aufrechterhalten 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten wollten. Dieses Verfahren, das der Sach- und Dr. Zimmermann (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Rechtsaufklärung dient, ist nicht zu beanstanden Frage A 52) : und üblich. In den meisten Fällen wird die Über- sendung einer bereits vorliegenden sachgleichen Treffen Pressemeldungen zu, nach denen die Sowjetunion die Wehrdienstzeit um ein Jahr verlängert hat, und welche Konse- gerichtlichen Entscheidung von den Betroffenen be- quenzen zieht gegebenenfalls die Bundesregierung daraus für unsere Sicherheitspolitik? grüßt. 5118* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Anlage 19 Eine Pflicht des Arztes zur Herausgabe von Unter- lagen an Patienten oder Krankenkassen hätte Kon- Antwort sequenzen, die sorgfältig überdacht werden müssen. Bei einer Herausgabe an Patienten müßte man die des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 14. Februar mögliche Gefahr des Verlustes der Unterlagen in 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten vielen Fällen einkalkulieren. Eine Herausgabepflicht Niegel (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A 55): gegenüber den Krankenkassen würde Schwierig- Welche Bundesminister, Parlamentarischen und beamteten keiten im Zusammenhang mit der Wahrung des Staatssekretäre haben an den vier Fahrverbotssonntagen aus welchen Gründen Sonderflugzeuge bzw. Sonderhubschrauber be- ärztlichen Berufsgeheimnisses bringen. Die Bundes- nutzt? regierung wird mit den Beteiligten prüfen, ob eine Änderung der Rechtsvorschriften angesichts dieser An den 4 Fahrverbots-Sonntagen hat nur der schwierigen Probleme zweckmäßig ist. Stellvertreter des Bundeskanzlers und Bundesmini- ster des Auswärtigen Scheel ein Flugzeug der Flug- bereitschaft des Bundesministeriums der Verteidi- gung benutzt. Grund für den Flug war die Teilnahme an der Anlage 21 Tagung des NATO-Ministerrats in Brüssel. Antwort Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes wurden von dem in Ihrer Frage angesprochenen Personen- des Parl. Staatssekretärs Dr. Haack vom 14. Februar kreis nicht benutzt. 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schreiber (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 63) : Beabsichtigt die Bundesregierung, für Werkswohnungen eine ähnliche Lösung einzuführen, wie sie für die Unverfallbarkeit von Betriebsrenten vorgesehen ist? Anlage 20 Betriebsrenten und Werkwohnungen sind völlig Antwort unterschiedliche betriebliche Versorgungsleistun- gen, so daß sie sich auch in ihren Gestaltungsfor- des Parl. Staatssekretärs Westphal vom 13. Februar men weitgehend einer Vergleichbarkeit entzehen. 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Walkhoff (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 59) : Im Bereich des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaues darf ein Bauherr Werkwohnungen Stimmt die Bundesregierung mit der Auffassung überein, daß die gegenwärtige Rechtslage, nach dei Ärzte nicht dazu gemäß § 53 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes nur verpflichtet sind, Untersuchungsbefunde dem Patienten bzw. der Kasse zwecks Verwendung bei späteren ärztlichen Be- durch einen Vertrag vermieten, der vorsieht, daß handlungen zur Verfügung zu stellen, sich dadurch zum Nach- nach Ablauf von 5 Jahren das Mietverhältnis vom teil des Patienten und der Krankenkasse auswirken kann, daß bei Arztwechsel frühere Diagnosen unberücksichtigt bleiben und Bestehen des Dienst- und Arbeitsverhältnisses un- neue aufwendige Untersuchungen den Patienten bzw. den Kas- sen in Rechnung gestellt werden, und wenn ja, welche gesetz- abhängig wird. Der Arbeitnehmer erhält somit be- lichen Maßnahmen kann sie ergreifen, um das zu verhindern? reits nach 5 Jahren die Stellung des Mieters einer normalen Mietwohnung und läuft nicht Gefahr, In meiner schriftlichen Antwort vom 24. Januar seine Wohnung bei einem Arbeitsplatzwechsel zu 1974 auf die ebenfalls von Ihnen gestellte Frage verlieren. Diese Verpflichtung wird dem Arbeit- habe ich 'bereits darauf hingewiesen, daß die gel- geber mittels Auflage bei der Bewilligung der tende Regelung, wonach ärztliche Aufzeichnungen, öffentlichen Mittel auferlegt. Sie hat weiterhin die Krankenblätter, Röntgenaufnahmen und andere Wirkung, daß nach Ablauf von 5 Jahren die für Untersuchungsbefunde nach den Berufsordnungen die Kündigung von Werk- und Werkdienstwoh- der Ärzte vom behandelnden Arzt eine bestimmte nungen maßgeblichen Sondervorschriften der Zahl von Jahren aufzubewahren sind, in erster Linie §§ 565 b bis 565 e BGB, die dem Vermieter eine dem Interesse des Patienten dienen. Sie soll sicher- leichtere Kündigung ermöglichen, nicht mehr ange- stellen, daß derartige Untersuchungsunterlagen wendet werden dürfen. nicht verlorengehen und für spätere Behandlungen greifbar sind; andererseits ist durch eine solche Auch bei Werkwohnungen, die nicht mit öffent- Regelung hinreichend gewährleistet, daß das ärzt- lichen Mitteln gefördert sind, ist eine vorzeitige liche Berufsgeheimnis gewahrt bleibt. Da eine Her- Aufhebung des Mieverhältnisses nach Beendigung ausgabe an andere Ärzte, die den Patienten eben- des Dienstverhältnisses nur zulässig, wenn der falls behandeln, bei Wahrung der ärztlichen Schwei- Wohnraum weniger als 10 Jahre überlassen war gepflicht möglich und auch geboten ist, sollte es im und für einen anderen zur Dienstleistung Verpflich- allgemeinen nicht dazu kommen, daß bei Arzt- teten dringend benötigt wird. Lediglich bei funk- wechsel frühere Diagnosen unberücksichtigt bleiben tionsgebundenen Werkwohungen ist eine vorzei- und bereits erfolgte Untersuchungen nochmals tige Aufhebung des Mietverhältnisses unabhängig durchgeführt werden. Dem Patienten kann zugemu- von seiner Dauer nach Beendigung des Dienstver- tet werden, daß er den neugewählten Arzt über eine hältnisses möglich. Entsprechendes gilt für die frühere Behandlung unterrichtet und ihn auf etwa Werkdienstwohnungen. durchgeführte Untersuchungen hinweist, damit be- Im übrigen weise ich darauf hin, daß das Wohn- reits vorliegende Untersuchungsbefunde beigezo- raumkündigungsschutzgesetz auch auf Werkwoh- gen werden können. nungen uneingeschränkt anzuwenden ist. Dabei Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5119* dürfte nach Auffassung der Bundesregierung in der gesetzten Mietobergrenzen für den öffentlich ge- Regel ein berechtigtes Interesse des Vermieters im förderten sozialen Wohnungsbau, gemessen an der Sinne des Artikels 1 § 1 des Wohnraumkündigungs- finanziellen Leistungsfähigkeit der Wohnung- schutzgesetzes nur vorliegen, wenn die Wohnung suchenden mit niedrigerem Einkommen, sehr hoch nach Beendigung des Dienstverhältnisses dringend sind." für einen anderen Arbeitnehmer benötigt wird. Die Bemühungen der Bundesregierung gehen da- Nach Meinung der Bundesregierung führt das hin, die Mietobergrenzen 1974 auf dem Stand des geltende Recht bei den Werkwohnungen zu einem Jahres 1973 zu halten und dafür zu sorgen, daß angemessenen Ausgleich zwischen den betrieb- diese Mietobergrenzen auch tatsächlich eingehalten lichen Notwendigkeiten und dem Erfordernis des werden. Außerdem will die Bundesregierung er- Bestandsschutzes im Rahmen des sozialen Miet- reichen, daß die durch degressive Subventionen rechts. Eine Änderung erscheint daher nicht erfor- entstehenden Mietsteigerungen auf ein Ausmaß re- derlich. duziert werden, das bei der absehbaren Einkom- mensentwicklung angemessen ist. Mit den Woh- nungsbauministern der Länder wird bereits seit geraumer Zeit über eine solche Begrenzung des förderungsbedingten Mietanstiegs verhandelt.

Anlage 22

Antwort Anlage 23 des Parl. Staatssekretärs Dr. Haack vom 14. Februar 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Antwort Dr. Schneider (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fra- des Parl. Staatssekretärs Herold vom 13. Februar gen A 65 und 66) : 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Wieviel Sozialwohnungen werden nach Schätzung der Bundes- Baron von Wrangel (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 regierung voraussichtlich 1974 gebaut werden? Fragen A 69 und 70) : Welche Mietbelastung hält die Bundesregierung im sozialen Wohnungsbau auch für die unteren Einkommensschichten noch Ist der Bundesregierung bekannt, daß die DDR, obwohl sie der für tragbar, und durch welche Maßnahmen gedenkt die Bundes- Konvention gegen die Diskriminierung im Bildungswesen vom regierung im sozialen Wohnungsbau ein tragbares Mietniveau 14. Dezember 1960 beigetreten ist, die Grundsätze dieser Kon- zu gewährleisten? vention permanent verletzt? Ist der Bundesregierung insbesondere bekannt, daß es jungen aktiven Christen sowie anderen jungen Menschen, die die kom- Die Zahl der Sozialwohnungen, die 1974 in den munistische Überzeugung nicht teilen, erschwert wird, weiter- Programmen der Länder gefördert werden dürften, führende Schulen und Hochschulen zu besuchen, und kann die Bundesregierung dem Bundestag zu diesem Thema eine umfas- wird mit allen Vorbehalten, unter denen solche sende Information vorlegen? Prognosen stehen, auf etwa 140 000 geschätzt. Außerdem werden etwa 40 000 bis 50 000 Woh- Die Konvention gegen Diskriminierung im Bil- nungen im Regionalprogramm des Bundes geför- dungswesen vom 14. Dezember 1960 ist am 5. Ok- dert werden können; es wird sich hierbei allerdings tober 1973 auch für die DDR in Kraft getreten. Das zum Teil um im Bau befindliche oder bereits fertig- Protokoll vom 18. Dezember 1962 über die Errich- gestellte Bauvorhaben handeln. tung einer Schlichtungs- und Vermittlungskommis- sion ist von der DDR bisher nicht unterzeichnet Die Zahl der fertiggestellten Sozialwohnungen worden. wird 1974 aufgrund des geringeren Förderungs- ergebnisses des Jahres 1973 niedriger sein als die Nach Art. 1 der Konvention „umfaßt der Begriff Zahl der geförderten Sozialwohnungen. ,Diskriminierung' jegliche auf der Rasse oder der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Reli- Ihre zweite Frage beantworte ich mit einem gion, der politischen oder sonstigen Überzeugung, Zitat aus dem Mietenbericht 1972. Dort ist folgendes der nationalen oder sozialen Herkunft, den wirt- ausgeführt: schaftlichen Verhältnissen oder der Geburt beru- „Die Mieten und Belastungen, die sich nach dem hende Unterscheidung, Ausschließung, Beschrän- Einsatz der objektbezogenen öffentlichen Mittel er- kung oder Bevorzugung, die den Zweck oder die geben, müssen nicht für alle zu den breiten Schich- Wirkung hat, die Gleichbehandlung auf dem Gebiet ten der Bevölkerung rechnenden Wohnungsuchen- des Bildungswesens aufzuheben oder zu beeinträch- den individuell tragbar sein. Die Erwägung, das tigen..." Ausmaß der staatlichen Hilfen für das Wohnen zur Der Bundesregierung ist bekannt, daß die DDR Vermeidung von Fehlsubventionierungen im Einzel- z. B. in der Zulassungsordnung zum Hochschulstu- fall durch eine Kombination von Wohngeld und dium vom 1. Juli 1971 „die aktive Mitwirkung an Objektförderung möglichst an die individuellen der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft und Verhältnisse anzupassen, spricht vielmehr dafür, Bereitschaft zur aktiven Verteidigung des Sozialis- das Mietniveau der neu geförderten Sozialwohnun- mus" zur Zulassungsvoraussetzung macht. gen an einer durchschnittlichen Belastbarkeit der berechtigten Haushalte zu orientieren. Dies ist — Darüber hinaus ist der Bundesregierung bekannt, neben der Enge des finanziellen Rahmens für die daß die Mitgliedschaft zu konfessionellen Gemein- Förderung des sozialen Wohnungsbaues — der schaften Hindernis beim Besuch von Hochschulen Hauptgrund dafür, daß die von den Ländern fest- und Universitäten sein kann. 5120* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Wie die Bundesregierung diese und andere Aus- Es trifft zu, daß an Sonn- und Feiertagen viele wirkungen der Grundordnung der DDR beurteilt, Telegrafenstellen geschlossen sind, so daß gewöhn- brauche ich wohl nicht darzulegen, ihre Haltung ist liche Telegramme an Empfänger im Bereich dieser bekannt und liegt fest. Telegrafenstellen an diesen Tagen nicht dorthin übermittelt und infolgedessen auch nicht zugestellt In diesem Zusammenhang möchte ich noch darauf werden können. Die Entscheidung, ob eine Telegra- hinweisen, daß die Erkenntnisse der Bundesregie- fenstelle an Sonn- und Feiertagen dienstbereit sein rung über Diskriminierungen der genannten Art ver- muß oder nicht, wird im wesentlichen durch das zu einzelt und unvollständig sind, so daß es mir nicht erwartende Verkehrsaufkommen beeinflußt. möglich ist, Sie detaillierter zu informieren. Es trifft jedoch nicht zu, daß die Bevölkerung über diesen Tatbestand nicht unterrichtet wird. Die Dienstvorschriften der Deutschen Bundespost schrei- ben dem Annahmebeamten vor, daß er den Auflie- Anlage 24 ferer eines Telegramms stets davon zu unterrich- ten hat, wenn das Telegramm voraussichtlich nicht Antwort mehr am gleichen Tage am Bestimmungsort zuge- stellt werden kann, weil das Bestimmungsamt ge- des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff vom 14. Februar schlossen ist. Dem Auflieferer bleibt es dann selbst 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten überlassen zu entscheiden, ob er unter diesen Um- Baier (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A 75): ständen sein Telegramm zurückziehen und damit Wann wird die Zusage von Bundeskanzler Brandt anläßlich auch die Gebührenausgabe sparen oder ob er es eines Besuchs im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidel- berg im Jahr 1973, wonach das Deutsche Krebsforschungszen- trotzdem absenden will. Neben dieser unmittelbar trum Heidelberg als Großforschungseinrichtung übernommen bei der Aufgabe eines Telegramms zu erteilenden wird, eingelöst? Information werden die Telegrammauflieferer auch durch Hinweise über die Telegrammzustellung un- Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidel- terichtet, die auf der Rückseite des bei den An- berg gehört zu den Forschungseinrichtungen, die nahmeschaltern ausliegenden Telegrammformblatts Gegenstand der Erörterungen zwischen Bund und enthalten sind. Die Deutsche Bundespost ist der Auf- Ländern über eine Rahmenvereinbarung Forschungs- fassung, daß diese Art der Information, die unmittel- förderung nach Art. 91 b GG sind. Das Bundeskabi- bar dem einzelnen Kunden erteilt wird, die beste nett hat am 3. 10. 1973 im Zusammenhang mit der und wirksamste ist und am ehesten dazu beitragen Verabschiedung des Entwurfs der Rahmenvereinba- kann, den Kunden vor unnötigen Gebührenausga- rung sein Einverständnis damit erklärt, daß das ben zu bewahren. Deutsche Krebsforschungszentrum wie andere Groß- forschungseinrichtungen zu 90 % vom Bund finan- ziert wird. Anlage 26 Die Bundesregierung hofft, daß es kurze Zeit nach der Unterzeichnung der Rahmenvereinbarung durch Antwort die Regierungschefs von Bund und Ländern zu einer des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff vom 14. Februar (bereits in Vorbereitung befindlichen) Vereinbarung 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten mit dem Land Baden-Württemberg kommt, in dem Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 die beiderseitige Zusammenarbeit geregelt wird. Frage A 83) : Vorsorglich geht die Bundesregierung bei ihrer Fi- Kann die Bundesregierung ausschließen, daß es im Zusammen- nanzplanung davon aus, daß ab Januar 1975 die hang mit den Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst neue Regelung in Kraft treten kann. zum „Dienst nach Vorschrift" bei der Deutschen Bundespost kommt, und ist damit zu rechnen, daß ein solcher Dienst nach Vorschrift auch Beeinträchtigungen in der Übertragung der Fern- sehprogramme von ARD und ZDF mit sich bringen wird?

Nach den Beamtengesetzen und der hierzu er- Anlage 25 gangenen Rechtsprechung ist die Beteiligung von Beamten an einem Arbeitskampf unzulässig. Antwort Soweit die Fernsehanstalten auf die Übertragung ihrer Programme durch die Post angewiesen sind, des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff vom 14. Februar wird der Dienstbetrieb nach Überzeugung der Bun- 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten desregierung störungsfrei ablaufen, da in diesen Dr. Evers (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fragen Bereichen — einschließlich der Schaltstellen — A 80 und 81): durchweg Beamte beschäftigt werden. Treffen Informationen zu, daß an Wochenenden in bestimmten kleineren Orten keine Telegramme zugestellt werden, weil dies mit zu hohen Kosten verbunden ist, und was ist unter kleineren Orten in diesem Zusammenhang zu verstehen? Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß durch diesen Anlage 27 Tatbestand und die Unkenntnis der Bevölkerung über diesen Tatbestand Telegramme unnötig aufgegeben werden und vermeid- Antwort bare Kosten bei den Aufgebenden verursachen, und was beab- sichtigt die Bundesregierung zu unternehmen, um zu gewährlei- sten, daß die Bevölkerung darüber informiert wird, daß ein als des Bundesministers Genscher vom 14. Februar 1974 selbstverständlich erwarteter Service der Deutschen Bundespost, auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Bar- nämlich die schnelle Zustellung von Telegrammen, in bestimmten Orten nicht mehr erbracht wird? dens (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 92) : Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5121*

Wieso konnten bei einem Bruch der Öl-Pipeline bei Dinslaken Inwieweit ist die Bundesregierung über Pläne zum Ba u eines großere Mengen Rohöl ausströmen, bis dies durch Zufall von Kernkraftwerks in Luxemburg nahe der Grenze zur Bundesrepu Spaziergängern entdeckt wurde, obwohl angeblich modernste blik Deutschland informiert? Warngeräte vorhanden waren, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, einen solchen Vorfall für die Zukunft aus- zuschließen? Die Bundesregierung ist seit längerer Zeit über Pläne zur Errichtung eines Kernkraftwerks in Luxem- Bei dem Schadensfall an der Ölpipeline bei Dins burg unterrichtet. Diese Pläne sind im November laken im November 1973 ist infolge eines Senkungs- des vergangenen Jahres in ein konkreteres Stadium bebens ein Rohrkrümmer geknickt. An der Scha- getreten, als das Rheinisch-Westfälische Elektrizi- densstelle sind dann mehrere Tausend Liter Rohöl tätswerk mit der Regierung des Großherzogtums zunächst unkontrolliert ausgelaufen. Nach dem Ab- Luxemburg eine Société Anonyme luxemburgischen schiebern der Leitung wurde noch eine zusätzliche Rechts mit Sitz in Luxemburg gegründet hat. Diese Menge Rohöl kontrolliert abgelassen, um den ober- Gesellschaft soll die Möglichkeiten zur Errichtung halb liegenden Rohrabschnitt zu entleeren. eines Kernkraftwerkes mit erprobtem Leichtwasser- reaktor und einer elektrischen Leistung von rund Der Unfall ereignete sich während des Umschal 1 200 Megawatt untersuchen und — bei positivem tens auf einen anderen Abnehmer, d. h. bei gerin- Ergebnis — ein solches Kernkraftwerk auf luxem- gerem Pumpendruck in einem instationären Betriebs- burgischem Hoheitsgebiet im Bereich der Mosel er- zustand. richten und betreiben. Vor einer eventuellen Bau- Bisher gibt es nur Sicherheitseinrichtungen, die in entscheidung müssen jedoch in Luxemburg erst noch der Lage sind, während eines stationären Betriebs- umfangreiche rechtliche, organistorische und tech- zustandes Druckschwankungen zu registrieren und nische Fragen geklärt werden. damit in der Betriebszentrale anzuzeigen, also nicht beim Ein-, Aus- oder Umschalten. Der Betrieb von Fernleitungen wird von der nach Anlage 29 Landesrecht zuständigen Behörde genehmigt. Der Antwort Entscheidung wird die „Richtlinie für Fernleitungen zum Befördern gefährdender Stoffe (RFF)", die auf des Bundesministers Genscher vom 14. Februar 1974 Bundesebene von einem Sachverständigenausschuß auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wende laufend dem Stand der Technik angepaßt wird, zu- (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 95) : grunde gelegt. Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, darauf hinzuwir- ken, daß bei den Diskussionen um das Wasserhaushaltsrecht Die Bundesregierung unterstützt die Arbeiten des auch die berechtigten Interessen des Wassersports (z. B. Rudern, Sachverständigenausschusses durch die Vergabe von Kanu, Wasserwandern) angemessen berücksichtigt werden? Forschungsaufträgen. So hat das Bundesinnenmini- sterium unmittelbar nach dem Schadensfall in Och- Die Bundesregierung spricht sich mit Nachdruck trup an der gleichen Fernleitung im Frühjahr 1973 dafür aus, daß den Belangen des Wassersports bei dem Rheinisch-Westfälischen Technischen Über- der Inanspruchnahme der Gewässer soweit wie mög- wachungsverein in Essen einen Auftrag zur Unter- lich Rechnung getragen wird. Die einschlägigen was- suchung über wiederkehrende Prüfungen von Fern- serrechtlichen Regelungen über den Gemeingebrauch leitungen nach neuesten Prüfmethoden erteilt. Das an Gewässern, insbesondere also das Rudern, Kanu- Ergebnis dieser Untersuchungen wird im Sommer fahren und Wasserwandern, befinden sich allerdings dieses Jahres vorliegen und dann Grundlage für in den Wassergesetzen der Länder. Die Bundesregie- eine Ergänzung der bereits genannten Richtlinie rung hat daher in den Entwurf eines Vierten Ge- sein. setzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes — der Gesetzentwurf liegt dem Bundestag als Bun- Abschließend darf ich auch auf die Antwort des destagsdrucksache 7/888 vor — Regelungen dieser Herrn Staatssekretärs Rohde des Bundesmministe- Art nicht aufgenommen. riums für Arbeit und Sozialordnung auf die Frage des Herrn Abgeordneten Hugo Brandt in der Frage- Mit dem Deutschen Kanuverband und dem Deut- stunde des Deutschen Bundestages am 19. Dezember schen Sportbund hatte ich Anfang vergangenen Jah- 1972 (Protokoll über die 5. Sitzung des 7. Deutschen res einen Schriftwechsel in dieser Angelegenheit. Bundestages am 19. Dezember 1972, S. 80) sowie Ich habe damals diese beiden Verbände über die auf meine Antwort auf die Frage des Herrn Abge- Auffassung der Bundesregierung unterrichtet und ordneten Hermann Biechele für die Fragestunde des habe zugleich an die für die Wasserwirtschaft und Deutschen Bundestages am 31. Januar/2. Februar das Wasserrecht zuständigen obersten Landesbehör- 1973 (Stenographischer Bericht des Deutschen Bun- den geschrieben und diese gebeten, den Wünschen destages vom 1. Februar 1973, 12. Sitzung S. 475/476) nach Änderung oder Ergänzung der jeweiligen lan- - hinweisen. desrechtlichen Vorschriften dort, wo hierfür berech- tigte Interessen des Wassersports gegeben sind, nachzukommen.

Anlage 28 Antwort Anlage 30 Antwort des Bundesministers Genscher vom 14. Februar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten des Bundesministers Genscher vom 14. Februar Dr. Haenschke (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 93) : 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten 5122* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Büchler (Hof) (SPD) (Drucksache 7/1661 Fragen leider nicht davor bewahrt, verschiedentlich zum A 96 und 97) : Ziel pauschaler Vorwürfe und Verdächtigungen in Hat die Bundesregierung die Absicht, Maßnahmen nach dem der Öffentlichkeit gemacht zu werden. Insbeson- Wassersicherstellungsgesetz in notwendigem Umfang auch im Zonenrandgebiet durchzuführen? dere die in den letzten Monaten vereinzelt bekannt- Gibt es größere Bereiche im Zonenrandgebiet, die in die bis- gewordenen Versuche, Mißtrauen gegen die Ver- herigen Maßnahmen noch nicht einbezogen worden sind? fassungstreue des BGS zu säen, weise ich mit Ent- schiedenheit zurück. Ich benutze diese Gelegenheit, Zu Frage A 96: den BGS und seine leitenden Beamten gegen solche Die Vorsorgemaßnahmen nach dem Wasser- unverantwortlichen Ausführungen ausdrücklich in Schutz zu nehmen." sicherstellungsgesetz werden nach der Konzep- tion „Wasserwirtschaftliche Vorsorgeplanung zur Ich wiederhole diese Erklärung vor diesem Hohen Durchführung des Wassersicherstellungsgesetzes" Haus mit Nachdruck. vorn 13. Februar 1969 und nach dem ergänzend hierzu erlassenen Prioritätenprogramm i. d. F. vom Zu Frage A 99: 28. August 1973 vorerst in Großstadträumen, Bal lungs- und Industriegebieten durchgeführt. Dieses Diese Frage beantworte ich mit einem klaren Prioritätenprogramm ist mit den Ländern abge- „Nein". stimmt. Die Zonenrandgebiete ,der Länder Schles- wig-Holstein, Niedersachsen und Hessen sind be- rücksichtigt.

Zu Frage A 97: Anlage 32 Es gibt größere Bereiche im Zonenrandgebiet, Antwort die nach Konzeption und Prioritätenprogramm noch nicht in das Schwerpunktprogramm zur Trink- des Bundesministers Genscher vom 14. Februar 1974 wasser-Notversorgung einbezogen sind. Es handelt auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. sich hierbei um die Lüneburger Heide, den Harz Sperling (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 100): und das Zonenrandgebiet Nordbayerns. Welche gewerberechtlichen oder anderen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, zur Förderung des Eigeninteresses an um- weltschützenden Maßnahmen die Entnahme von Flußwasser durch einzelne Gemeinden und Produktionsstätten grundsätzlich so zu regeln, daß die jeweilige Entnahmestelle flußabwärts der Stelle liegt, an der durch die gleiche Gemeinde und Produktionsstätte Abwässer eingeleitet werden? Anlage 31 Die Wassergesetze der Länder ebenso wie das Antwort Wasserhaushaltsgesetz des Bundes sehen vor, daß die Benutzung der oberirdischen Gewässer durch des Bundesministers Genscher vom 14. Februar Entnahme oder Ableiten von Wasser nur mit Erlaub- 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten nis oder Bewilligung der zuständigen Wasserbehör- Dr. Jobst (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fragen den zulässig ist. Diese Behörden sind gesetzlich be- A 98 und 99) : fugt, die Erteilung der Erlaubnis bzw. Bewilligung Warum hat die Bundesregierung den schwerwiegenden Vorwurf, ,,der Bundesgrenzschutz sei viel gefährlicher als die Bundeswehr, mit Auflagen zu verbinden. Die zuständigen Was- da er die Leute aufgenommen habe, die beim Aufbau der Bun- serbehörden der Länder sind insbesondere auch be- deswehr wegen mangelnder demokratischer Qualifikation durch- gefallen seien" (Meldung in der „Welt" vom 19. Januar 1974), rechtigt, sowohl Gemeinden als auch Gewerbebetrie- nicht zurückgewiesen? ben im Einzelfall vorzuschreiben, daß die jeweilige Besteht Anlaß zur Besorgnis über eine demokratische Unzu- verlässigkeit beim Bundesgrenzschutz? Entnahmestelle flußabwärts der Stelle liegen muß, an der durch die betreffende Gemeinde oder den betreffenden Gewerbebetrieb Abwässer eingeleitet Zu Frage A 98: werden. Die Länder sind nach geltendem Recht auch Die Bundesregierung hat den in der Frage an- befugt, durch Allgemeine Verwaltungsvorschrift gesprochenen Zweifel an der Verfassungstreue des oder Landesgesetz die zuständigen Wasserbehörden Bundesgrenzschutzes mit Entschiedenheit zurück- anzuweisen, generell in diesem Sinne zu verfahren. gewiesen. Im Zusammenhang mit dem Tätigkeits- Da der Bundesgesetzgeber nach der Kompetenzver- bericht des Bundesgrenzschutzes für das Jahr 1973 teilung des Grundgesetzes im Bereich der Wasser- habe ich am 7. 2. 1974 erklärt: wirtschaft auf den Erlaß von Rahmenvorschriften be- „Der Bundesgrenzschutz hat sich auch im Jahre schränkt ist, könnte eine bundesrechtliche Regelung 1973 bei ,der Erfüllung seiner Aufgaben bewährt dieses Inhalts z. Z. nicht getroffen werden. Hierzu- und das in ihn gesetzte Vertrauen voll gerechtfer- würde es erst der Erweiterung der wasserwirtschaft- tigt. Er hat sich erneut als ein zusätzliches, jeder- lichen Gesetzgebungsbefugnis des Bundes zur Voll- zeit abrufbereites Sicherheitspotential im Bereich kompetenz bedürfen, die bekanntlich von der Bun- der Inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutsch- desregierung angestrebt wird. Der Entwurf eines land erwiesen. Der Bundesgrenzschutz ist ein entsprechenden Gesetzes zur Änderung des Grund- Garant der freiheitlich-demokratischen Grundord- gesetzes liegt, wie Sie wissen, dem Deutschen Bun- nung, seine Angehörigen erfüllen ihren Dienst auf destag vor. der Grundlage und im Geist des Grundgesetzes. Ob es sich allerdings empfiehlt, den zuständigen Seine vorbildliche Pflichterfüllung hat den BGS Behörden generell zwingend vorzuschreiben, die Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5123*

Wasserentnahme nur unterhalb der Abwasserein- (Wangen) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fragen leitung zu gestatten, erscheint zweifelhaft. Bei ört- A 102 und 103) : licher Nähe von Entnahme- und Einleitungsstelle Treffen Pressemeldungen zu („Welt" vom 24. Januar 1974), wo- nach die Angehörigen der sowjetischen Militärmissionen in der kann es durchaus zweckmäßig sein zu verlangen, Bundesrepublik Deutschland neuerdings hauptsächlich nachts un- daß die Entnahme unterhalb der Abwassereinleitung terwegs sind und dabei die verschiedenartigsten Objekte von militärischer Bedeutung fotografieren, und ist nach Auffassung erfolgt, soweit nicht — was bei der Entnahme von der Bundesregierung die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß diese Wasser für Wasserversorgungszwecke der Fall sein Tätigkeit einer detaillierten Einmarscherkundung dient? kann — besondere wasserhygienische Gründe dem Hält die Bundesregierung umfangreiche Erkundungsfahrten, vor allem nächtlich durchgeführte, für vereinbar mit der von der entgegenstehen. In vielen Fällen würde sich dage- Bundesregierung in der Fragestunde des Deutschen Bundestags vom 23. Januar 1974 umschriebenen Aufgabe der sowjetischen gen eine solche Regelung nur mit unvertretbar ho- Militärmissionen, die Verbindung zwischen dem Oberbefehlshaber hem finanziellen Aufwand verwirklichen lassen. der in der DDR stationierten Gruppe der sowjetischen Streit- kräfte in Deutschland und den Oberkommandierenden der in der Dies gilt insbesondere dann, wenn das Abwasser Bundesrepublik Deutschland stationierten Streitkräfte der Ver- einigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs und deren über weite Strecken flußaufwärts gepumpt werden Stäben aufrechtzuerhalten, und ist die Bundesregierung ver- müßte, wodurch hohe Investitions- und laufende Be- neinendenfalls entschlossen, darauf hinzuwirken, daß ein Miß- brauch der Bewegungsfreiheit der sowjetischen Militärmissionen triebskosten — zugleich auch ein erheblicher Ener- in der Bundesrepublik Deutschland unterbleibt? giebedarf verursacht würden. Bei Gemeinden, die aus Flüssen Wasser für die Trinkwasserversorgung Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, hat nach nahe unterhalb von Abwassereinleitungen entneh- den ihr zur Verfügung stehenden Informationen men, käme außerdem hinzu, daß, um den wasser- keinen Anlaß zu der Annahme, daß die von Ihnen hygienischen Erfordernissen Rechnung zu tragen, zitierte Meldung, so wie sie der Frage zugrunde ge- hohe zusätzliche Aufwendungen entweder bei der legt ist, zutrifft. Klärung oder bei der Wasseraufbereitung erforder- lich würden. Ich hatte bereits am 23. Januar 1974 an dieser Stelle im Zusammenhang mit der Beantwortung der Im übrigen ist die Bundesregierung mit Ihnen der von Ihnen und von dem Herrn Abgeordneten Ger- Auffassung, daß es dringend zusätzlicher Maßnah- ster gestellten Fragen in bezug auf die Tätigkeit der men zum Schutze der Gewässer vor Verschmutzung Sowjetischen Militärmissionen deutlich zu machen bedarf. Sie hat im Jahre 1973 den Entwurf einer versucht, daß dieser Komplex sich von der Natur 4. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz im Bundes- der Sache her für eine verantwortungsvolle Erörte- tag eingebracht; dieser Gesetzentwurf enthält im rung in dem für derartige Fragen eigens gebildeten Schwerpunkt neue Vorschriften zur Reinhaltung der Parlamentarischen Vertrauensmännergremium eher Gewässer. Die Bundesregierung wird ferner im kom- eignet als für eine Diskussion in der Öffentlichkeit. menden Monat den Entwurf eines Abwasserabga- Dies gilt auch und insbesondere für die Frage, wie bengesetzes vorlegen. Mit der Einführung der Ab- die Reisetätigkeit von Angehörigen der Sowjeti- wasserabgabe soll für die Abwassereinleiter insbe- schen Militärmissionen im Hinblick auf die Sicher- sondere ein Anreiz geschaffen werden, entweder die heitsbelange der Bundesrepublik Deutschland zu be- erforderlichen Kläranlagen zu bauen oder neue ab- urteilen ist. Ich wiederhole deshalb hier meinen da- wasserarme oder gar abwasserlose Produktionsver- mals gemachten Vorschlag. fahren vorzusehen.

Anlage 35 Anlage 33 Antwort Antwort des Bundesministers Genscher vom 14. Februar des Bundesministers Genscher vom 14. Februar 1974 1974 auf die Mündlichen Fragen der Abgeordneten auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Marx Frau Eilers (Bielefeld) (SPD) (Drucksache 7/1661 (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A 101): Fragen A 104 und 105) : Beabsichtigt die Bundesregierung, die Aufklärungstätigkeit der Beabsichtigt die Bundesregierung, künftig den gleichzeitigen Grenzaufsichtsorgane des Bundes an der innerdeutschen Grenze Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vorzusehen, wenn über Vorkommnisse auf den Transitstrecken (Erfassung von deutsche Eltern oder ein deutscher Elternteil einen Minderjähri- Mitteilungen von Reisenden, gezielte Befragung) einzuschränken gen mit fremder Staatsangehörigkeit oder einen staatenlosen oder den Meldeweg nach neuen Gesichtspunkten zu reglemen- Minderjährigen adoptieren? tieren? Beabsichtigt die Bundesregierung, sich bei einer derartigen Änderung der Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetze an den Herr Abgeordneter, Ihre Frage beantworte ich mit Regelungen anderer — und gegebenenfalls welcher — europä- ischer Staaten zu orientieren? Nein. Die beabsichtigte Neuordnung des Adoptions- rechts wird nach den Vorstellungen der Bundes- regierung entsprechende Konsequenzen auch in staatangehörigkeitsrechtlicher Hinsicht haben. Ein- Anlage 34 zelheiten darüber, inwieweit die Adoption ausländi- Antwort scher Kinder mit einem automatischen Erwerb oder einem Anspruch auf Erwerb der deutschen Staats- des Bundesministers Genscher vom 14. Februar 1974 angehörigkeit verknüpft werden kann, bedürfen auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Jäger allerdings noch der Klärung. 5124* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Gerade bei Änderungen im Statusrecht ist es system der EWG-VO 974/71 ausgeglichen. Frank- wegen der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte reich ist danach verpflichtet, für die betr. Agrar- auch im internationalen Bereich üblich, daß die erzeugnisse in Höhe der Währungsabweichung ge- Regelungen des ausländischen Rechts, vor allem genüber den in der „Schlange" verbliebenen EG- der westeuropäischen Staaten, mit in Betracht ge- Währungen Ausfuhrabgaben zu erheben und Ein- zogen werden. So wird auch hier verfahren werden. fuhrsubventionen zu gewähren. Die Wettbewerbs- fähigkeit der deutschen gegenüber der französischen Landwirtschaft wird daher nicht beeinträchtigt. Es ist grundsätzlich weder mit einem Importdruck französischer Agrarprodukte noch mit einer Ver- Anlage 36 schlechterung der Preiskonkurrenz für deutsche Agrarerzeugnisse auf den Exportmärkten zu rech- Antwort nen. des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A 122) : Anlage 38 Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der weit überdurch- schnittlichen Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft des Zonen- randgebiets ausnahmsweise und im Vorgriff Neubaumaßnahmen Antwort im Straßenbau des Zonenrandgebiets vor Verabschiedung des Bundeshaushalts zu genehmigen, um so wenigstens im Frühjahr eine Milderung der unerträglichen Härten für die am stärksten des Parl. Staatssekretärs Logemann vom 14. Februar betroffenen Bauarbeiter zu erreichen? 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Kiechle (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage .A Um den in der Frage aufgezeigten Problemen zu 139) : begegnen, hat die Bundesregierung am 6. Februar Wie beabsichtigt die Bundesregierung, die mit dem Gesetz- 1974 für Gebiete, in denen sich im Zusammenhang entwurf über die Agrarberichterstattung durch einen kürzer ge- faßten Berichtszeitraum sowie eine Ausweitung der Erhebungen mit der konjunkturellen Beruhigung 1974 besondere auf die Gemeinden zukommenden Mehrkosten zu übernehmen, und wie wird die Geheimhaltung statistischer Einzelangaben strukturelle Schwierigkeiten und Beschäftigungs- sichergestellt? risiken ergeben, ein Sonderprogramm mit einem Finanzvolumen von insgesamt 600 Mio DM be- Ihre Frage umfaßt zwei Einzelfragen, die ich im schlossen. Im Rahmen des Teils B dieses Program- Namen der Bundesregierung wie folgt beantworte: mes, für den 300 Mio DM zur Verfügung gestellt werden, sollen neben anderen Investitionsvorhaben 1. Zur Frage von Mehrkosten für die Gemeinden des Bundes insbesondere kleinere Straßenbaumaß- nahmen in den vorgenannten Problemgebieten Für die Gemeinden sind vom vorliegenden Ge- setzentwurf insgesamt kaum Mehrkosten zu er- durchgeführt werden. warten. Ich darf das wie folgt begründen: Im übrigen können neue Baumaßnahmen vor Der in der Frage erwähnte kürzer gefaßte Verkündung des Bundeshaushalts gemäß Art. 111 a) Berichtszeitraum gilt nur für die totale Bo- und 112 Grundgesetz grundsätzlich nicht begonnen dennutzungshaupterhebung als Teil der werden. Ausnahmen sind nur im Falle eines un- vorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses Agrarberichterstattung und erst ab 1979. Erst dann soll die bisher in jedem 3. Jahr totale mit Einwilligung des Bundesministers der Finanzen und in den Zwischenjahren repräsentative Er- möglich. hebung zur Anpassung an die übrigen Stati- stiken und an statistische Vorhaben der EG in jedem 2. Jahr total durchgeführt werden. Dafür sollen jedoch die bisher getrennten Anlage 37 Bodennutzungsvor- und -haupterhebungen zusammengefaßt werden, wodurch sich der Antwort Erhebungsaufwand der Gemeinden erheblich reduziert. des Parl. Staatssekretärs Logemann vom 14. Februar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten b) Eine weitere Entlastung der Gemeinden ent- Kiechle (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A steht dadurch, daß die Zusammenstellung der 138) : Ergebnisse der Bodennutzungserhebung wie auch der Viehzählung nicht mehr manuell in Welche Auswirkungen hat die faktische Abwertung des fran- zösischen Franc auf die deutsche Landwirtschaft hinsichtlich der den Gemeinden, sondern maschinell in den- Wettbewerbsfähigkeit, des Importdrucks von französischen Nah- rungsmitteln auf den deutschen Markt, des eigenen Marktanteils Statistischen Landesämtern vorgenommen der Preiskonkurrenz auf Exportmärkten und der gemeinsamen werden soll. Erzeugerpreise deutscher und französischer Bauern? c) Durch den repräsentativen Teil der Agrar- Die gemeinsamen Agrarpreise bleiben nach der berichterstattung, der in jedem 2. Jahr rd. Freigabe des Wechselkurses des französischen 100 000 Betriebe erfassen soll, entstehen den Franc in Frankreich unverändert. Die Auswirkun- Gemeinden keine Kosten; diese sollen viel- gen des Abwertungseffektes des Franc werden für mehr von den Statistischen Landesämtern ge- den Agrar-Handel mit EG-Mitgliedstaaten und drit- tragen werden. Auch die durch die Novel- ten Ländern durch das bestehende Grenzausgleichs lierung des Viehzählungsgesetzes ab Dezem- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5125*

ber 1973 eingetretene Entlastung der Ge- rates auf den verschiedenen Ebenen bei den Arbei- meinden wird durch den vorliegenden Ge- ten mit, die als Voraussetzung für die Konvention setzentwurf nicht beseitigt. Lediglich die Ge- dienen können. So sollen sich nach dem Arbeitspro- meinden mit 100 000 Einwohnern und mehr, gramm für 1974 der denen bisher bei der Bodennutzungserhebung Europäische Ausschuß zur Erhaltung der Natur bezüglich der Periodizität Erleichterungen ge- und der natürlichen Quellen und währt wurden, werden nunmehr in die allge- mein vorgesehene Periodizität einbezogen die Arbeitsgruppen Erziehung und Information Nach der Konzeption des Gesetzentwurfs sind Planung und Pflege der Natur mithin für die Gemeinden insgesamt kaum Mehr- Fauna kosten zu erwarten. Für eine gewisse Übergangs- zeit könnten allenfalls in Gemeinden einzelner Flora Bundesländer Mehrkosten dadurch entstehen, in denen die Bundesrepublik jeweils durch Vertre- daß die Statistischen Landesämter die bisher in ter aus Wissenschaft und Verwaltung vertreten ist, den Gemeinden vorgenommenen Aufbereitungs- mit Untersuchungen über arbeiten nicht sofort und in vollem Umfang zen- tral übernehmen und die sonstigen Rationalisie- seltene Vögel, die in Europa vom Aussterben rungsmöglichkeiten nicht voll auschöpfen. Diese bedroht sind, vorübergehenden Mehrkosten wären von den Harmonisierung von Jagd- und Fischereibestim- Ländern zu tragen, da diese die Statistik für Bun- mungen. deszwecke gemäß Art. 83 ff. GG als eigene Ange- Sammlung von Kriterien für Listen von bedroh- legenheit ausführen. ten Tier- und Pflanzenarten sowie von gefähr- deten Brut- und Rastplätzen 2. Zur Frage der Geheimhaltung befassen.

Die Geheimhaltung der statistischen Einzelan- Darüber hinaus wird die Bundesrepublik auch in gaben wird in § 13 des Gesetzentwurfs sicherge- der Arbeitsgruppe Jagd und Fischerei, die in die- stellt. Dabei gehen die im Gesetzentwurf vorge- sem Jahr gegründet werden soll, vertreten sein. Die schriebenen Einschränkungen hinsichtlich der Erarbeitung und Aufbereitung des Textes sowie alle Weiterleitung von Einzelangaben noch über die damit verbundenen Arbeiten sind Sache des Gene- in § 12 des Gesetzes über die Statistik für Bun- ralsekretariates des Europarates. deszwecke grundsätzlich zugelassenen Weiterlei- tungsmöglichkeiten hinaus. Insbesondere wird Über den Europäischen Rahmen hinaus war die klargestellt, daß eine Weiterleitung zu steuer- Bundesregierung auch am Zustandekommen des lichen Zwecken ausgeschlossen ist. Vorgeschrie- ben wird außerdem, daß die §§ 12 und 13 des Ge- Übereinkommens über Feuchtgebiete — insbe- setzes über die Statistik für Bundeszwecke, in sondere als Lebensraum für Wasser- und Watt- denen die Geheimhaltungspflicht sowie Strafen vögel — von internationaler Bedeutung (Feucht- und Geldbußen festgelegt sind, für alle Personen gebiete-Konvention) und des gelten, denen Einzelangaben zugeleitet werden." Übereinkommens über den Handel mit gefähr- deten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (Washingtoner Artenschutzkonvention) beteiligt.

Anlage 39

Antwort Anlage 40 des Parl. Staatssekretärs Logemann vom 14. Februar 1974 auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Antwort Frau von Bothmer (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 140) : des Parl. Staatssekretärs Logemann vom 14. Februar Wird sich die Bundesregierung entsprechend der Empfehlung 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten 720 der Beratenden Versammlung des Europarats betreffend die Gansel (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 141): Ergebnisse der Europäischen Ministerkonferenz für Umwelt- - schutz in Wien vom 28. bis 30. März 1973 dafür einsetzen, daß durch eine Konvention einheitliche Grundsätze für den Schutz Zu welchem Ergebnis kommt die Kosten-Nutzen-Analyse der der Tier- und Pflanzenwelt festgelegt werden einschließlich stren- Prognos AG über die Molkereistrukturpolitik der Bundesregie- ger Maßnahmen gegen das Jagen, Fangen und Schießen schutz- rung, und welcher Art sind die methodischen — oder möglicher- bedürftiger Tiere, Fische und Vögel, insbesondere das Fangen weise agrarpolitischen — Probleme, die zu einer Verschiebung großer Mengen von Singvögeln und das Sammeln von Vogel- des Veröffentlichungszeitpunkts von November 1973 auf März eiern, und welche Schritte unternimmt sie zu diesem Zweck? 1974 geführt haben?

Ja, die Bundesregierung unterstützt die Durchfüh- Es ist schwierig, das Ergebnis der 300 Seiten um- rung der Resolution, an deren Zustandekommen sie fassenden Kosten-Nutzen-Analyse der Prognos AG ja auch maßgeblich beteiligt war, nachdrücklich. Sie in wenigen Worten darzustellen. Jedoch läßt sich wirkt daher auch in den Institutionen des Europa sagen, daß nach Meinung dieses Instituts die grund- 5126* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

sätzlich positiv zu bewertende Förderung der Mol- Kassen Ist- kereistrukturverbesserung ihr Hauptziel, die Ver- Land rahmen ausgabe besserung des Milchauszahlungspreises, nicht er- 1973 1973 reicht hat. Dieses Ergebnis wurde mit einer Makro Analyse der Molkereistrukturbranche erzielt, bei — in Millionen DM — der der Einfluß der Förderung auf die Entwicklung Schleswig-Holstein 135 133 der Arbeitsproduktivität ermittelt wurde. Ob der Hamburg 10 10 von der Prognos AG gewählte Ansatz in Anbetracht der vielfältigen Einflüsse auf die Verhältnisse des Bremen 7 6 deutschen Milchmarktes geeignet ist, die Ergebnisse Berlin 1 1 als zutreffend und gesichert erscheinen zu lassen, Niedersachsen 238 235 bleibt einer sorgfältigen Prüfung vorbehalten. Diese Prüfung ist eingeleitet. Nordrhein-Westfalen 125 116

Hessen 77 76 Die Veröffentlichung der Untersuchung ist nicht verschoben worden; vielmehr hat es sich in der Rheinland-Pfalz 87 82 bei solchen Untersuchungen üblichen Abschlußbe- Saarland 10 7 sprechung des vorläufigen Endberichtes, die im Baden-Württemberg 156 155 November 1973 stattfand, als notwendig erwiesen, einige Kapitel der größeren Klarheit wegen zu Bayern 233 231 überarbeiten. Der Endbericht ist dem Ministerium am 4. Februar übermittelt worden; bereits am zusammen 1 079 1 052 5. Februar wurde die Untersuchung interessierten Mitgliedern des Hohen Hauses zugeleitet und am 6. Februar Vertretern von Presse und Rundfunk.

Anlage 42

Antwort Anlage 41 des Parl. Staatssekretärs Logemann vom 14. Fe- Antwort bruar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeord- neten Eigen (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A 143) : des Parl. Staatssekretärs Logemann vom 14. Februar Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, damit der 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Grenzausgleich nach der Abwertung des französischen Franc gegenüber der D-Mark auch für Grundgetreide erhoben werden Eigen (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A 142) : kann, um die Wettbewerbslage für deutsches Getreide gegen- über dem französischen Getreide in der EG nicht zu verschlech- In welcher Höhe standen den einzelnen Bundesländern im Rah- tern? menplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar- struktur und des Küstenschutzes" 1973 für die Durchführung des ersten Rahmenplans kassenwirksame Bundesmittel zur Verfü- gung, und in welchem Umfang wurden diese tatsächlich ver- Nach der Freigabe des Wechselkurses des fran- ausgabt? zösischen Franc ist Frankreich in den bestehenden Grenzausgleich einbezogen worden. Die Ausgleichs- Für den ersten Rahmenplan der Gemeinschafts- beträge sind grundsätzlich auch auf Getreide an- aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des zuwenden. Nach den Vorschriften über den Grenz- ausgleich dürfen jedoch die Ausgleichsbeträge in Küstenschutzes" waren im Bundeshaushaltsplan den abwertend floatenden Mitgliedstaaten nicht 1973 insgesamt 1,2 Mrd. DM veranschlagt. Dieser höher sein als die Einfuhrbelastung für Drittlands- Betrag ist den Ländern in voller Höhe für Bewilli- importe. Damit soll verhindert werden, daß Ein- gungen zur Verfügung gestellt worden. Die Bun- fuhren unter den Weltmarktpreis subventioniert desregierung hatte am 9. Mai 1973 im Rahmen ihrer werden. Da aufgrund der sehr hohen Weltmarkt- stabilitätspolitischen Beschlüsse u. a. auch eine preise z. Zt. keine Importabschöpfungen bei Ge- Streckung der Gemeinschaftsaufgaben um 10 v. H. treide erhoben werden, entfällt gegenwärtig der beschlossen. Demzufolge sind den Ländern 1973 Grenzausgleich bei Grundgetreide für alle abwer- kassenwirksame Bundesmittel in Höhe von rd. tend floatenden Mitgliedstaaten, also auch für 1 079 Millionen DM zugewiesen worden. Hiervon Frankreich. - haben die Länder bis zum Ende des Haushaltsjahres Es besteht derzeit kein Interesse der Bundes- 1973 rd. 1 052 Mill. DM ausgegeben, also rd. 27 Mil- regierung, daß ein solcher Grenzausgleich erhoben lionen DM weniger als vom Bund zugestanden. So- wird, da zur Marktversorgung besonders Getreide weit die hiernach an der Rahmenplansumme von aus Frankreich benötigt wird. Die Erzeugererlöse in 1,2 Mrd. DM fehlenden rd. 148 Millionen DM durch der Bundesrepublik werden dadurch nicht berührt. Bewilligungen belegt sind, werden diese Beträge Die Bundesregierung beabsichtigt daher gegenwär- den Ländern 1974 kassenwirksam zur Verfügung tig nicht, bei der EWG für Getreide die Anwendung gestellt. Die Aufteilung auf die einzelnen Länder des Grenzausgleichs in Höhe der Abwertungsrate lautet wie folgt: des franz. Franc zu beantragen. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5127*

Anlage 43 und Landschaftspflege — Drucksache 7/886 — auf der Grundlage des Art. 104 a Abs. 4 GG auch die Antwort gesetzmäßigen Voraussetzungen für Finanzhilfen des Parl. Staatssekretärs Logemann vom 14. Fe- des Bundes in diesem Bereich zu schaffen. Diese Be- bruar 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abge- mühungen der Bundesregierung und der sie tragen- ordneten Stahl (Kempen) (SPD) (Drucksache 7/1661 den Parteien sind bis heute an der ablehnenden Fragen A 144 und 145) : Haltung des Bundesrates gescheitert. In der Erwar- tung, daß das Gesetz doch noch bald verabschiedet Trifft es zu, daß die Bundesregierung sich künftig an der Aus- gestaltung der deutschen Naturparks durch Bundeszuschüsse nicht wird, hat die Bundesregierung in den Entwurf des mehr in der gleichen Höhe wie in den Vorjahren beteiligen will, und, falls dies zutrifft, welche Gründe führten zu diesem Bundeshaushaltsplanes für 1974 bei Kap. 10 02 Standpunkt? Tit. 882 07 (Zuweisungen nach dem Gesetz für Welche Beträge waren in den letzten fünf Jahren im Bundes- Naturschutz und Landschaftspflege) einen Betrag haushalt aufgeführt und an die Länder überwiesen? von 10 000 000 DM eingestellt; der Betrag ist bis zum Wirksamwerden des Gesetzes gesperrt (Stand Zu Frage A 144: der Beratungen im Ernährungs- und im Haushalts- Es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung sich ausschuß des Deutschen Bundestages). künftig an der Ausgestaltung der deutschen Natur- parke durch Bundeszuschüsse nicht mehr mehr in Zu Frage A 145: der gleichen Höhe wie in den Vorjahren betei- ligen will. In den letzten 5 Jahren waren im Bundeshaushalt folgende Beträge für Naturparke aufgeführt und Auf Grund der Finanzreform von 1969 gehört die sind in folgender Höhe an die Länder überwiesen Förderung von Naturparken zu den Aufgaben der worden: Länder. Der Bund konnte .den Ländern deshalb hierbei mit Bundesmitteln nur noch während der 1969 1970 1971 1972 1973 Übergangszeit bis zum Wirksamwerden des 1. Rah- menplanes nach dem Gesetz über die Gemein- —inDM — schaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur Ansatz 760 000 760 000 1 260 000 9 000 000 — und des Küstenschutzes" am 1. Januar 1973 helfen. Um u. a. auch die finanziellen Hilfen des Bundes überwiesen an die für die Naturparke über diesen Zeitpunkt hinaus 771 000 809 000 1 253 000 9 217 500 — weiter gewähren zu können, bemüht sich die Bun- Länder desregierung seither, durch eine Grundgesetzände- Die über die genannten Ansätze hinaus an die Län- rung anstelle der Rahmengesetzgebung die Zustän- der überwiesenen Beträge sind durch Einsparung digkeit für die konkurrierende Gesetzgebung auf bei den übrigen im gleichen Titel veranschlagten dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschafts- Mitteln für landschaftspflegerische Maßnahmen pflege zu erlangen und mit dem von ihr einge- aufgebracht worden (vgl. beiliegende Titelüber- brachten Entwurf eines Gesetzes für Naturschutz sicht). 5128* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Kapitel Jahr Zweckbestimmung Ansatz Ist Titel DM DM

1969 10 02 Förderung von Naturparken (900 000) (898 000) 652 02 und Landschaftsschutzmaßnahmen

davon 1. Naturparke 760 000 771 000 2. Landschaftsschutz und -pflege 140 000 127 000

1970 wie vor wie vor (1 400 000) *) (1 395 000)

davon 1. Naturparke 760 000 *) 809 000 2. Landschaftschutz und -pflege 640 000 586 000

1971 wie vor wie vor (1 400 000) (1 398 800)

davon 1 . Naturparke 1 260 000 1 253 000 2. Landschaftsschutz und -pflege 140 000 145 800

1972 10 02 wie vor (9 833 700) (9 797 200) 652 92

davon 1. Naturparke 9 000 000 9 217 500 2. Landschaftschutz und -pflege 833 700 579 700

1973 — — —

1974 10 02 Zuweisungen nach dem Gesetz für Naturschutz 10 000 000 882 07 und Landschaftspflege Die Aus- gaben sind gesperrt

*) 500 000 DM überplanmäßig Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5129*

Anlage 44 Anlage 46

Antwort Antwort

des Parl. Staatssekretärs Logemann vom 14. Fe- des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 bruar 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeord- 1974 auf die Mündliche Frage ,des Abgeordneten neten Susset (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fra- Dr. Jahn (Münster) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 gen A 146 und 147): Frage A 149) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß die von der EG-Kom- mission für das Wirtschaftsjahr 1974/75 vorgeschlagene Erhöhung Ist die Bundesregierung bereit, bei der Deutschen Bundesbahn des Richtpreises für Milch um 4 % angesichts der gestiegenen darauf hinzuwirken, daß zur Förderung des öffentlichen Perso- und noch steigenden Bearbeitungs- und Vermarktungskosten bei nennahverkehrs auf der Schiene nicht nur in Ballungskernen Milch und Milchprodukten zu einer Senkung des Milchauszah- und Ballungsrandzonen, sondern auch in den sogenannten städti- lungspreises bei den Milcherzeugern im laufenden Wirtschafts- schen Verflechtungsgebieten mehr Haltestellen eingerichtet wer- jahr führen würde, und was gedenkt die Bundesregierung zu den, und wenn ja, welche Maßnahmen hält die Bundesregierung tun, daß die Milcherzeuger eine an die allgemeine Kostenent- zur Verwirklichung dieses Ziels für erforderlich? wicklung angepaßte Erhöhung ihres Einkommens aus dem Ver- kauf von Milch erhalten? Ist die Bundesregierung bereit, sich im EG-Ministerrat für eine Die Deutsche Bundesbahn ist grundsätzlich Richtpreiserhöhung einzusetzen, die der massiven Preiserhöhung der Sachkosten bei den Milchwerken und insbesondere auch den immer bestrebt, ihr Angebot den Verkehrsbedürf- gestiegenen Produktionskosten in den landwirtschaftlichen Be- trieben gerecht wird, oder erwägt die Bundesregierung nationale nissen anzupassen. Dies gilt auch für die Errich- Maßnahmen, um die für die Milcherzeuger unerträgliche Ent- tung neuer Haltepunkte. So hat sie in der Ver- wicklung abzumildern? gangenheit von zahlreichen Stellen, wo neue Sied- lungsschwerpunkte u. ä. entstanden waren, auch Der Bundesregierung ist die in den letzten Mo- außerhalb der Ballungsgebiete neue Haltestellen naten eingetretene Entwicklung der Kosten in der eingerichtet. Dies setzt aber voraus, daß die Schie- Be- und Verarbeitungsstufe für Milch und Milch- nenstrecke günstig zu erreichen ist, und ,daß nicht produkte bekannt. Die von der EG-Kommission an- eine bessere Anbindung im Omnibusverkehr er- gestrebte Richtpreisanhebung um 4 % soll der Erlös- folgen kann. verbesserung der Milcherzeuger dienen. Dies muß bei Butter- und Magermilchpulver durch entspre- chende Festsetzung der Interventionspreise abge- sichert werden.

Die Bundesregierung hält eine Anhebung des Anlage 47 Richtpreises für Milch sowie des gesamten Agrar- preisniveaus für die Landwirtschaft einkommens- Antwort politisch für notwendig; marktpolitisch sollte dies bei Milch behutsam geschehen. Sie wird an den des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 Verhandlungen in Brüssel mit dem Ziel teilnehmen, 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten die Agrarmarktpolitik im Interesse des gemein- Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 samen Marktes und der betroffenen Bevölkerungs- Fragen A 150 und 151) : gruppen zu verbessern. Nach welchen Prinzipien werden Lärmschutzanlagen durch den Bund mitfinanziert, wenn z. B. durch den Bau von Umgehungs- Ich bitte um Verständnis, daß ich aus verhand- straßen in dicht besiedelten Wohngebieten unerträgliche Lärm- lungstaktischen Gründen die deutschen Vorstellun- belästigungen für den Bürger bestehen? gen jetzt noch nicht bekanntgeben kann. Kann es sein, daß das Bundesverkehrsministerium in Hamburg andere Förderungsgrundsätze gelten läßt als z. B. bei der Förde- rung von Lärmschutzanlagen in Hannover?

Zu Frage A 150:

Beim Neu- oder Ausbau von Bundesfernstraßen Anlage 45 übernimmt der Bund die Kosten für Lärmschutz- anlagen, wenn die Lärmbelästigungen der Bürger Antwort durch den Straßenverkehr unzumutbar sind. Die des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 im Einzelfall zu ergreifenden Maßnahmen werden auf die Mündliche Frage des Abgeordneten von unter Berücksichtigung des Standes der Technik Schoeler (FDP) (Drucksache 7/1661 Frage A 148) : und der Rechtsprechung im Planfeststellungsver- fahren festgelegt. Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß die in Bebra bestehende Bundesbahnfachschule erweitert und vom einfachen und mittleren Dienst auf den gehobenen Dienst aus- gedehnt wird? Soweit Lärmschutzanlagen an ,der Straße nicht möglich sind, kann für die Anlieger ein Ausgleich Diesem Anliegen ist bereits entsprochen. In der in Geld nach Maßgabe des § 906 BGB in Betracht Bundesbahnschule in Bebra werden neben Beamten kommen. des einfachen und des mittleren Dienstes schon jetzt Beamte des gehobenen Dienstes vorwiegend Zu Frage A 151: dus dem Bezirk der Bundesbahndirektion Kassel dus- und fortgebildet. Auf diese Laufbahngruppe Bei der Kostenübernahme von Lärmschutzanlagen entfiel im Jahre 1973 rund ein Drittel aller Lehr- durch den Bund werden keine regionalen Unter- gänge. schiede gemacht. 5130* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

Anlage 48 Regelung werden auch die vor dem Inkrafttreten einer solchen Regelung erteilten Fahrerlaubnisse Antwort einbezogen werden. des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gro- becker (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 152) : Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den zunehmen- den Trend deutscher Reeder, ihre Schiffe unter ausländischer Anlage 50 Flagge laufen zu lassen (ausflaggen), zu unterbinden? Antwort Die Bundesregierung ist bestrebt, die wettbe- werbsmäßigen Rahmenbedingungen für den Betrieb des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 von Seeschiffen zu verbessern. Das bedeutet prak- 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten tisch folgendes: Horstmeier (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage A 155) : Bei Beibehaltung des erreichten Standards im Treffen Pressemeldungen zu, daß die Bundesregierung plant, Sicherheits- und sozialen Bereich kann der zuneh- die Straßenneubauämter in Nordrhein-Westfalen zu verringern menden Ausflaggung nur durch eine weitere Ver- oder ganz aufzulösen? besserung der Subventionen und Steuervergünsti- gungen für die deutsche Seeschiffahrt begegnet wer- Die Pressemeldungen treffen nicht zu. den. Ein Schritt zur Verbesserung der wettbewerbs- Die Länder verwalten die Bundesfernstraßen im mäßigen Rahmenbedingungen ist die Lockerung der Auftrag des Bundes. Die Einrichtung der Straßenbe- bisherigen Bardepotpflicht. hörden ist nach Artikel 85 Absatz 1 des Grundge- setzes ihre Aufgabe. Der Bund hat auf diesem Ge- biet keinerlei Befugnisse. In Nordrhein-Westfalen hat das Land die Verwaltung der Bundesfernstra- ßen und der Landesstraßen den Landschaftsverbän- Anlage 49 den Rheinland und Westfalen-Lippe übertragen. Die Antwort organisatorischen Entscheidungen liegen allein bei den Landschaftsverbänden. des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Eyrich (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fragen A 153 und 154) : Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Direktors des Anlage 51 TÜV Rheinland, Prof. Dr. Kuhlmann, daß der „Führerschein auf Zeit" „ganz bestimmt" in Übereinstimmung mit der Europäischen Kommission auch in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt Antwort werde? Hat die Bundesregierung mit der Europäischen Kommission in des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 dieser Frage bereits eine Übereinkunft erzielt, und welche Vor- stellungen in bezug auf die in der Vergangenheit erworbenen auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Führerscheine und bezüglich der Kriterien (Alter, Zeitablauf seit Erteilung der Fahrerlaubnis) für eine solche Regelung bestehen Wittmann (München) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 bereits? Frage A 156) : Erfassen die derzeitigen Lärmprüfbestimmungen für Perso- Die Bundesregierung hat zu der Frage „Führer- nenkraftwagen mit 5-Ganggetriebe (vorwiegend Sportwagen) diejenigen Betriebsweisen, die in der Regel praktiziert werden, schein auf Zeit" in ihrem Verkehrssicherheitspro- ist eine Änderung dieser Bestimmungen vorgesehen, und ist die Entwicklung eines ,,Vor-Ort-Prüfverfahrens" für die Polizei so- gramm ausführlich Stellung genommen. Sie sieht in weit gediehen, daß es in der Praxis angewendet werden kann? der befristeten Erteilung der Fahrerlaubnis kein geeignetes Mittel zur Hebung der Verkehrssicher- Die derzeit geltenden Lärmprüfbestimmungen heit. Ein entsprechender Vorschlag der Kommission stellen — insgesamt gesehen — ein Optimum zwi- der Europäischen Gemeinschaften ist der Bundes- schen dem Prüfaufwand einerseits und dem Aus- regierung im übrigen nicht bekannt. Wohl aber hat sagewert der Prüfung andererseits dar. Die prak- die Kommission eine Richtlinie des Rates der Euro- tische Anwendung der Bestimmungen hat aller- päischen Gemeinschaften über die Harmonisierung dings gezeigt, daß Fahrzeuge mit 5-Gang-Getriebe des Fahrerlaubnisrechts vorgeschlagen. In diesem hinsichtlich der Anforderungen, die an die Fahr- Vorschlag sind u. a. ärztliche Wiederholungsunter- zeuge im Hinblick auf die Lärmminderung zu stellen suchungen in bestimmten Abständen enthalten. Sol- sind, begünstigt werden. Aus dieser Erkenntnis her- che Wiederholungsuntersuchungen lassen sich auf aus muß eine Modifizierung der Prüfbestimmungen verschiedene Weise überwachen. Eines „Führer- speziell für Fahrzeuge mit 5-Gang-Getriebe ange- scheins auf Zeit" bedarf es hierzu nicht. Auch zu die- strebt werden. Da es sich bei den Lärmprüfbestim- sem Problem hat die Bundesregierung in ihrem Ver- mungen für Personenkraftwagen um EWG-einheit- kehrssicherheitsprogramm Stellung genommen. liche Bestimmungen handelt, kann eine Änderung Der Richtlinienvorschlag der Kommission der nur über die EWG und die EWG-Bestimmung erfol- Europäischen Gemeinschaften wird im Ministerrat gen. Die Arbeiten hierzu sind angelaufen dadurch, der Europäischen Gemeinschaften ausführlich bera- daß die Kommission mit dieser Frage eine beson- ten werden. Ein Termin hierfür ist noch nicht be- dere Sachverständigengruppe befaßt hat, in der die kannt. In eine künftige gemeinsame europäische Bundesrepublik Deutschland den Vorsitz führt. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5131*

Anlage 52 Anlage 53 Antwort Antwort des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Sauter (Epfendorf) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Dr. Enders (SPD) (Drucksache 7/1661 Fragen A 157 Fragen A 159 und 160) : und 158) : Treffen Pressemeldungen zu, nach denen der Parlamentarische Mit welchem Lärmpegel muß an der Trasse der geplanten Nord- Staatssekretär Haar mehrfach zur Fahrt von Bonn nach Stuttgart Süd-Schnellstrecke der Deutschen Bundesbahn im Durchschnitt und zurück einen Salonwagen der Deutschen Bundesbahn be- und im Höchstfall gerechnet werden? nutzte? Welche Kosten sind durch die Benutzung des Salonwagens der Wie kann sichergestellt werden, daß die durch die hohe Ge- Deutschen Bundesbahn entstanden, und welche Konsequenzen ge- schwindigkeit der Züge auf der Schnellstrecke verursachte Lärm- denkt die Bundesregierung aus diesem Vorfall zu ziehen? belästigung im Bereich von Wohnsiedlungen nicht die gesetzlich festgelegten Werte übersteigt? Zu Frage A 159: Zu Frage A 157: Die Presseberichte, die ,der Frage zugrunde liegen, sind insofern unzutreffend, als sie den Eindruck Nach den bisherigen Erkenntnissen der Schall- vermitteln, der Sonderdienstwagen, der fälschlich forschung kann man an den Neubaustrecken der DB als Salonwagen bezeichnet worden ist, sei von dem beim Einsatz modernster Schienenfahrzeuge auf benutzungsberechtigten Staatssekretär ,aus rein per- lückenlos verschweißtem im Schotterbett gelagerten sönlichen Gründen in Anspruch genommen worden. Betonschwellengleis in 100 m Entfernung bei 200 Der mit Telefon sowie Arbeits- und Besprechungs- km/h schnellen Zügen mit einem energieäquivalen- einrichtungen ausgestattete Sonderdienstwagen ten Dauerschallpegel von etwa 65 Dezibel (dB [A]) dient — übrigens seit eh und je — dem gesetzlich rechnen. Dieser Wert gilt, wenn überhaupt keine für die Bundesbahn zuständigen Minister und sei- schalldämmenden Maßnahmen an Fahrweg und nen unmittelbaren Vertretern zur Wahrnehmung Fahrzeug vorgesehen sind. Außerdem gilt er nur bei dienstlicher Obliegenheiten, also beispielsweise zur flachem Gelände ohne besonderen Bewuchs. Bei den Durchführung von Besprechungen oder zur Bearbei- Schallimmissionen spielt die topografische Gestal- tung dienstlicher Akten während einer Reise. tung des Geländes eine große Rolle, so daß sich je nach Örtlichkeit günstigere Schallpegel einstellen Zu Frage A 160: können. Durch die Benutzung des Sonderdienstwagens entstehen keine quantifizierbaren Kosten. Schon Zu Frage A 158: allein aus diesem Grunde besteht kein Anlaß zu Konsequenzen. Auch aus den in der Antwort auf Bei der Trassierung der Neubaustrecken wird von Ihre erste Frage dargelegten Erwägungen ergibt seiten der DB versucht, zu bebauten Gebieten vor sich kein Gesichtspunkt, der Konsequenzen nahe- allem im Hochgeschwindigkeitsbereich im Normal- legen könnte. fall einen Abstand von 100 m und mehr zu errei- chen. Sollte sich in Einzelfällen dennoch eine Be- Erwähnen möchte ich noch, daß von dem Recht lästigung der Anwohner nicht vermeiden lassen, so zur Benutzung des Sonderdienstwagens nur in kann durch bauliche Schallschutzmaßnahmen an der äußerst dringenden Fällen Gebrauch gemacht wird. Strecke der Schallpegel wesentlich verringert wer- Diese selbstverständliche Regel beachtet auch Herr den. Diese Maßnahmen reichen von einer Ein- Kollege Haar. schnittslage über Bewuchs, Lärmwällen und Schall- wänden bis zur vollen Ummantelung der Strecke. Sie können, soweit sie nicht von vornherein berück- sichtigt sind, in den Planfeststellungsverfahren zur Auflage gemacht werden. Anlage 54

Die erzielbaren Werte entsprechen weitgehend Antwort den Planungsrichtpegeln nach Vornorm DIN 18 005. des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 Da in den Nachtstunden die Verkehrsdichte ab- auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Waf- nimmt und vornehmlich die langsameren Züge ver- fenschmidt (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage kehren, werden auch hier die zulässigen Werte ein- A 163) : gehalten werden. Wir beurteilt die Bundesregierung die neuen Pläne der Landes- regierung von Nordrhein-Westfalen, den Flughafen Köln-Bonn wesentlich zu vergrößern, und was gedenkt die Bundesregie- Die Strecken werden zwar im Hinblick auf eine rung zu tun, um, insbesondere als Vertreterin des Bundes in der Flughafengesellschaft Köln-Bonn, die berechtigten Interessen technische Fortentwicklung für eine Höchstge- der betroffenen Städte und Gemeinden und der betroffenen Bür- schwindigkeit von 300 km/h trassiert, in den An- ger zu schützen? fangsjahren nach Inbetriebnahme sind jedoch nur Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h vorgesehen. Der Flughafen Köln-Bonn hat bisher nur eine voll nutzbare Start- und Landebahn (14 L/32 R). Deshalb In diesem Geschwindigkeitsbereich sind die Lärm- soll die kleine westliche Parallelbahn (14 R/32 L) emissonen der Eisenbahn weitgehend bekannt. innerhalb der nächsten Jahre auf eine Gesamtlänge 5132e Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

von rund 2 500 m in Richtung Südosten verlängert nissen ihres Fahrzeuges bzw. von Reisegepäck zu werden. Diese Piste soll jedoch nur zu Landungen ermöglichen. aus und zu Starts in südöstlicher Richtung dienen. Am 26. Januar 1974 haben Transitreisende Anga- Ferner wird die Möglichkeit erwogen, in der zwei- ben über die bezeichneten Vorgänge in Berlin und ten Hälfte der 80er Jahre östlich der bestehenden an den Grenzkontrollstellen Helmstedt, Herleshau- Hauptstart- und Landebahn eine dritte Parallelbahn sen und Rudolphstein gemacht; die Angaben der anzulegen. Grund und Boden dazu ist auf dem Ge- drei Reisenden über die Vorfälle vom 4. Februar lände des Truppenübungsplatzes ausreichend vor- 1974 wurden sämtlich bei der Grenzkontrollstelle handen. Verhandlungen wurden bisher nicht aufge- Rudolphstein aufgenommen. nommen. Zur Zeit werden Überlegungen angestellt, schon jetzt die Umgebung des Flughafens für diese Zu Frage A 165: Planung freizuhalten. Die Bundesregierung sieht keinen qualitativen Die Bundesregierung beurteilt die Pläne der Lan- Unterschied darin, auf welchem der Transitwege desregierung unter verkehrlichen Aspekten positiv. Behinderungen stattgefunden haben. Der bereits stark ausgelastete Flughafen Düsseldorf hat nur noch sehr beschränkte Ausbaumöglichkei- ten. Für einen dritten Flughafen im östlichen Teil des Landes Nordrhein-Westfalen konnte kein ge- eignetes Gelände gefunden werden. Das Aufkom- Anlage 56 men aus dem Schwerpunkt-Bereich Köln und Bonn ist so groß, und die Prognosen sind so gut, daß die Antwort geplanten Maßnahmen notwendig erscheinen. des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 Die zur Realisierung der Projekte gesetzlich vor- 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten geschriebenen Verfahren der Genehmigung und Höcherl (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage Planfeststellung sind mit allen rechtsstaatlichen Ga- A 166) : rantien ausgestattet. Sie gewährleisten, daß die be- Kann die Tatsache, daß Behinderungen nur auf den Transit- rechtigten Interessen der betroffenen Bevölkerung wegen nach Bayern bekannt geworden sind, damit erklärt wer- den, daß in Bayern die Kontrollen an der Zonengrenze durch in jedem Fall geschützt werden. Beamte der Bayerischen Grenzpolizei, auf den anderen Transit- wegen jedoch durch den Bundesgrenzschutz durchgeführt wer- den?

Nein. Eine solche Erklärung wäre unzutreffend.

Anlage 55

Antwort des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 Anlage 57 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Wag- Antwort ner (Günzburg) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fragen A 164 und 165) : des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 Welches Ergebnis hat die angekündigte Untersuchung der 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Bundesregierung über die Behinderungen im Transitverkehr von und nach Berlin gehabt? Dr. Marx (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage Sieht die Bundesregierung einen qualitativen Unterschied A 167) : darin, auf welchem der Transitwege Behinderungen stattgefun- den haben, nachdem der Sprecher der Bundesregierung erklärt Enthielt jemand dein Regierungssprecher den tatsächlichen hat, diese Behinderungen hätten sich merkwürdigerweise gerade Sachverhalt der Vorkommnisse auf den Transitstrecken vor, so auf der Straße nach Bayern und nicht auf den anderen Transit- daß dieser in der Bundespressekonferenz am 4. Februar 1974 die wegen abgespielt? Öffentlichkeit falsch informierte, oder aber desinformierte der Regierungssprecher die Öffentlichkeit absichtlich?

Zu Frage A 164: Der Regierungssprecher hat durch seine am Mon- Transitreisende von und nach Berlin (West) haben tag, dem 4. Februar 1974, in der Bundespresse- seit dem 25. Januar 1974 in den späten Abend- konferenz abgegebene Erklärung, im Hinblick auf stunden berichtet, daß auf den Transitautobahnen das Wochenende vom 1. bis 3. Februar 1974 lägen von der Deutschen Volkspolizei außergewöhnliche Berichte von Reisenden, ,daß die Transportmittel Kontrollen durchgeführt würden. Reisende in Pkw von Transitreisenden im Verkehr von und nach würden veranlaßt, Kofferräume zu öffnen und die Berlin (West) durchsucht worden seien, nicht vor, Kontrolle des Wageninneren zu ermöglichen. Einige die Öffentlichkeit richtig informiert. Reisende hätten den Pkw auch verlassen müssen. Die in der Öffentlichkeit aufgestellte Behaup- Ebenso hätten Fahrer von Lkw die Kontrolle des tung, es lägen im Hinblick auf Freitag, den 1. Fe- Führerhauses und der Schlafkojen ermöglichen bruar 1974, doch Berichte über abkommenswidrige müssen. Die Kontrollen dauerten bis in die späten Durchsuchungen von Transportmitteln vor, stützt Nachmittagsstunden des 26. Januar 1974. sich offenbar auf das Fernschreiben Nr. 30 der Drei Transitreisende haben weiterhin am 4. Fe- Grenzkontrollstelle Rudolphstein vom 1. Februar bruar 1974 berichtet, daß sie an diesem Tage auf- 1974, dessen Inhalt von der Pressestelle des Baye- gefordert warden seien, die Kontrolle von Behält- rischen Staatsministerium des Innern bekanntge- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5133*

geben worden war. Dieses Fernschreiben hat fol- Vom Bundesministerium des Innern wurde dieser Be- genden Wortlaut: richt um 17.10 Uhr mit Fernschreiben Nr. 83 an wei- tere Stellen, u. a. den Bundesminister für Verkehr, „Betr.: Vorkommnisse im Transitverkehr von und übermittelt. Hier wurde das Fernschreiben aufgenom- nach Berlin (West) und in die DDR; men und dem Delegationsleiter der Bundesrepublik hier: Verschärfte Verkehrskontrollen Deutschland in der Kommission nach Art. 19 des Transitabkommens fernmündlich zugesprochen. Am 1. 2. 1974 um 12.00 Uhr reiste am Autobahn- übergang Rudolphstein im Lkw, Ford Transit, amtl. Der in diesem Fernschreiben Nr. 30 der Grenz- Kennzeichen ..., Fahrer: ..., von Berlin (West) kontrollstelle Rudolphstein vom 1. Februar 1974 ent- kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein: haltene Sachverhalt wurde in späteren öffentlichen Erörterungen als Bericht über eine Durchsuchung ,... gab bei seiner Einreise an, daß er auf der bewertet. Transitstrecke von Westberlin bis in die BRD drei- mal kontrolliert worden sei. Die erste Kontrolle fand ca. 80-100 km nach Berlin (West), die zweite Zu Frage A 169: nach weiteren 100 km statt. Bei den Kontrollen Die von dem Regierungssprecher Grünewald in wurde jeweils der Führerschein verlangt. Bei der der Bundespressekonferenz am Montag, dem 4. Fe- dritten Kontrollstelle am ersten Schlagbaum vor bruar 1974, abgegebene Erklärung, im Hinblick auf der Grenzübergangsstelle Hirschberg/DDR wurde das Wochenende vom 1. bis 3. Februar 1974 lägen auch das Wageninnere von Angehörigen der Volks- Berichte von Reisenden, daß die Transportmittel von polizei in Augenschein genommen. Die Wartezeit Transitreisenden im Verkehr von und nach Berlin betrug ca. 20 Minuten. Seinen Angaben zufolge, (West) durchsucht worden seien, nicht vor, ist richtig. sind sämtliche Autobahnausfahrten auf der Transit- Die in der Öffentlichkeit aufgestellte Behauptung, strecke von Berlin (West) in die BRD von Volks- es lägen im Hinblick auf Freitag, den 1. Februar polizeiposten besetzt. Eine Begründung für die 1974, doch Berichte über abkommenswidrige Durch- Überprüfung wurde ihm von der Volkspolizei nicht suchungen von Transportmitteln vor, stützt sich of- genannt." fenbar auf das Fernschreiben Nr. 30 der Grenzkon- Aus diesem Fernschreiben ergibt sich nicht, daß trollstelle Rudolphstein vom 1. Februar 1974, dessen das Fahrzeug bei der dritten Kontrolle in Hirsch- Inhalt von der Pressestelle des Bayerischen Staats- berg durchsucht worden ist. Im Gegensatz zu ministeriums des Innern bekanntgegeben worden den Vorberichten der Grenzkontrollstelle Rudolph- war. Dieses Fernschreiben hat folgenden Wortlaut: stein enthält das Fernschreiben keine Angaben darüber, daß der Reisende Behältnisse hat öffnen „Betr.: Vorkommnisse im Transitverkehr von und oder auf andere Weise die Einsicht in das Fahr- nach Berlin (West) und in die DDR; zeug hat ermöglichen müssen. Die Einsicht in das hier: Verschärfte Verkehrskontrollen Wageninnere von außen ist aber keine Durch- Am 1. 2. 1974 um 12.00 Uhr reiste am Autobahn- suchung. übergang Rudolphstein im Lkw, Ford Transit, amtl. Kennzeichen ..., Fahrer:..., von Berlin (West) kom- mend in die Bundesrepublik Deutschland ein: ,... gab bei seiner Einreise an, daß er auf der Anlage 58 Transitstrecke von West-Berlin bis in die BRD drei- mal kontrolliert worden sei. Die erste Kontrolle Antwort fand ca. 80-100 km nach Berlin (West), die zweite des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 nach weiteren 100 km statt. Bei den Kontrollen auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. wurde jeweils der Führerschein verlangt. Bei der Abelein (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fragen A dritten Kontrollstelle am ersten Schlagbaum vor der 168 und 169) : Grenzübergangsstelle Hirschberg/DDR, wurde auch das Wageninnere von Angehörigen der Volkspoli- Wie verlief der Meldeweg über die Transitverletzungen am vergangenen Freitag/Samstag (1./2. Februar 1974) instanzenmäßig zei in Augenschein genommen. Die Wartezeit be- und zeitlich, war insbesondere die Bundesregierung seit Frei- tagabend (1. Februar 1974) über die vertragswidrigen Tatbestände trug ca. 20 Minuten. Seinen Angaben zufolge sind auf den Transitstrecken informiert? sämtliche Autobahnausfahrten auf der Transitstrecke Warum erklärte der Regierungssprecher Grünewald in der Bun- von Berlin (West) in die BRD von Volkspolizei- despressekonferenz am vergangenen Montag (4. Februar 1974), es lägen keinerlei Meldungen über Transitverletzungen vor? posten besetzt. Eine Begründung für die Uberprü- fung wurde ihm von der Volkspolizei nicht ge- Zu Frage A 168: nannt." Berichte über besondere Vorkommnisse im Tran- Aus diesem Fernschreiben ergibt sich nicht, daß sitverkehr von und nach Berlin (West) wurden am das Fahrzeug bei der dritten Kontrolle in Hirsch- Freitag, dem 1. Februar 1974, nur in einem Falle von berg durchsucht worden ist. Im Gegensatz zu den einem Transitreisenden gegenüber Beamten der Vorberichten der Grenzkontrollstelle Rudolphstein Grenzkontrollstelle Rudolphstein gegeben. Dieser Be- enthält das Fernschreiben keine Angaben darüber, richt wurde gegen 12.00 Uhr aufgenommen und von daß der Reisende Behältnisse hat öffnen oder auf der Grenzkontrollstelle Rudolphstein um 15.00 Uhr andere Weise die Einsicht in das Fahrzeug hat er- mit Fernschreiben Nr. 30 an die zuständigen Stellen, möglichen müssen. Die Einsicht in das Wageninnere u. a. dem Bundesminister des Innern, weitergeleitet. von Außen ist aber keine Durchsuchung. 5134* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974

haben sollen, den öffentlichen Nahverkehr am besten und billig- Anlage 59 sten durch Autobusse, die auf reservierten Fahrbahnen ver- kehren, zu bewältigen, und — wenn ja — sind diese Erkennt- nisse auch auf ihre Anwendbarkeit in der Bundesrepublik Antwort Deutschland untersucht worden? des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Ger- Der Bundesregierung sind zwar entsprechende ster (Mainz) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Fra- Studien amerikanischer und englischer Verkehrs- gen A 170 und 171) : fachleute nicht bekannt, sie kennt aber Untersuchun- gen über „besondere Fahrspuren für Omnibusse", Wie vereinbart die Bundesregierung die erneute Fahrpreis- erhöhung der Deutschen Bundesbahn zum 1. April 1974, nach- die von der OECD und erst kürzlich von der Euro- dem bereits zum 1. April 1973 die Preise erheblich angehoben wurden, mit ihren Sparmaßnahmeappellen an die Verbraucher päischen Verkehrsministerkonferenz (CEMT) durch- und ihren Appellen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, da dann die Benutzung eines Pkws mit nur einer Person fast dem geführt worden sind. Fahrpreis der Deutschen Bundesbahn angeglichen ist?

Wird die beabsichtigte Erhöhung nicht zwangsläufig Fahrgäste Da diese Studien ergeben haben, daß die Einfüh- der Deutschen Bundesbahn veranlassen, wieder auf den eigenen rung besonderer Fahrspuren für Omnibusse den Pkw umzusteigen? öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nur in be- sonders geeigneten Städten nachhaltig verbessern Vorweg darf ich bemerken, daß die Deutsche kann, wurde die generelle Anwendbarkeit der Er- Bundesbahn ihre Personentarife letztmalig am gebnisse auf die Städte der BRD bisher nicht unter- 28. Januar 1973, nicht am 1. April 1973 angehoben sucht. Die Bunderegierung prüft jedoch sehr sorg- hat. fältig die Erfahrungen u. a. der Städte Bonn, Wies- Auf die Deutsche Bundesbahn kommen in diesem baden und München bei der Führung von Omnibus- Jahr u. a. vor allem infolge der steigenden Personal- sen auf besonderen Fahrspuren. kosten erhebliche Mehrbelastungen zu. Wie in je- dem Jahr stellt sich hier die Frage, in welchem Verhältnis dem Benutzer der Bundesbahn einerseits und dem Steuerzahler andererseits die Kostener- höhungen der Bundesbahn angelastet werden kön- Anlage 61 nen. Grundsätzlich muß gelten, daß die Kosten vom Benutzer zu tragen sind. In Anbetracht der auf die Antwort Deutsche Bundesbahn zukommenden Mehrbelastun- gen von über 1 Milliarde DM sind die im Personen- des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 verkehr vorgesehenen Erhöhungen von durch- auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. schnittlich 6,7 % mit einer rechnerischen Mehrein- Schmitt-Vockenhausen (SPD) (Drucksache 7/1661 nahme von 150 Mio DM als maßvoll zu bezeichnen. Frage A 173) : Das gilt insbesondere, wenn man beachtet, daß in Hat die Bundesregierung die Absicht, gegen Schneeverwehun- den letzten Jahren das Angebot der Deutschen gen statt der bislang üblichen Absicherungen dauerhafte Zäune Bundesbahn qualitativ und quantitativ verbessert aus Kunststoff — mit Seilverstrebungen — aufzustellen? worden ist. Im übrigen wird das Ausmaß der Er- höhungen durch gezielte Tarifmaßnahmen, wie z. B. Das Aufstellen von Schneeschutzzäunen zur Vor- durch die neue Ferienkarte, nicht unwesentlich ge- beugung gegen Schneeverwehungen ist Sache der mildert. Straßenbauverwaltungen der Länder. Sie verfahren dabei nach dem „Merkblatt für Schneeschutz an Die Deutsche Bundesbahn hat die Marktlage sorg- Straßen" der Forschungsgesellschaft für das Straßen- fältig geprüft. Sie ist der Auffassung, daß keine Ab- wesen, das vom Bundesminister für Verkehr für die wanderungen zu befürchten sind. Ihr Vergleich der Durchführung des Wetterdienstes an Bundesfern- Bundesbahnfahrpreise mit den Kosten von Pkw- straßen eingeführt wurde. Fahrten ist mir insofern nicht ganz verständlich, als von den Automobilclubs heute die Kilometerkosten Die Auswahl der in Frage kommenden Bauweisen des Pkw mit mindestens 40 bis 45 Pf beziffert wer- treffen die Länder nach technischen und wirtschaft- den, während der Grundfahrpreis der Deutschen lichen Gesichtspunkten. Die Bundesregierung hat Bundesbahn in der 2. Wagenklasse nunmehr bei weder die Absicht, die Verwendung von Kunststoff- 11,6 Pf je Kilometer liegt. zäunen verbindlich vorzuschreiben, noch sie zu un- tersagen.

Anlage 60 Anlage 62 Antwort Antwort des Staatssekretärs Wittrock vom 14. Februar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Seefeld des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 13. Februar (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 172) : 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) (Drucksache Sind der Bundesregierung Studien amerikanischer und eng- lischer Verkehrsfachleute bekannt, die das Ergebnis erbracht 7/1661 Fragen A 184 und 185): Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Februar 1974 5135'

Welche Vorgänge seit der Aufnahme beider Teile Deutsch- lands in die Vereinten Nationen — vergleiche „Trierische Landes- Anlage 63 zeitung" vom 30. Januar 1974 — sprechen nach Ansicht der zu- ständigen Stellen der Bundesregierung dafür, daß die DDR und/oder Antwort ihre Verbündeten die im Vier-Mächte-Berlin-Abkommen veran- kerte Vertretung Westberlins durch die Bundesrepublik Deutsch- land in den Vereinten Nationen und ihren Organen sowie Dienst- des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 14. Februar stellen in Zweifel ziehen, sondern versuchen, die These zu de- 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten monstrieren, Westberlin sei ein selbständiges politisches Ge- bilde? Hansen (SPD) (Drucksache 7/1661 Frage A 188): Werten die zuständigen Stellen der Bundesregierung den Brief Trifft es zu, daß das für die Kontrolle des vom Boden der des sowjetischen UN-Chefdelegierten Malik vom 26. Juli 1973 Bundesrepublik Deutschland ausstrahlenden US-Senders „Radio als uneingeschränkte Zustimmung zum vollen Inhalt des Briefs Liberty" zuständige Bundespresseamt in den vergangenen 17 Jah- voll Bundesaußenminister Scheel ve in 13. Juni 1973, in dem die ren nicht ein einziges Mal in die dafür bereitgehaltenen Sende- Vertretung Westberlins in den Vereinten Nationen festgestellt unterlagen Einsicht genommen hat, obwohl es in dieser Zeit zu wird, oder deutet der Brief Maliks eine Infragestellung dieser politischen Kontroversen über das Sendeprogramm gekommen ist? Vertretung an? Für eine Kontrolle der Sendeprogramme von Zu Frage A 184: „Radio Liberty" durch die Bundesregierung gibt es In letzter Zeit sind in den Vereinten Nationen keine Rechtsgrundlage. Eine Zuständigkeit des wegen der Vertretung der Interessen von Berlin Presse- und Informationsamts ist mithin nicht gege- (West) durch die Bundesrepublik Deutschland ge- ben. wisse Schwierigkeiten aufgetreten. Darauf weist die von Ihnen herangezogene Meldung der Trierischen Landeszeitung vom 30. 1. 1974 richtig hin. Es han- Anlage 64 delt sich dabei um schwierige technische und juri- stische Einzelfragen. Grundsätzlich geht es um fol- Antwort gendes: des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 14. Februar Mit dem Brief des Bundesaußenministers vom 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten 13. 6. 1973 an den Generalsekretär der Vereinten Dr. Fuchs (CDU/CSU) (Drucksache 7/1661 Frage Nationen wurde Berlin (West) in den VN-Beitritt A 193) : der Bundesrepublik Deutschland in der bei multi- Welche Gründe liegen vor, daß das Übereinkommen zwischen lateralen Konventionen seit langem üblichen Form der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesrepublik Oster- reich über gegenseitige Grenzbereinigungen bis jetzt noch nicht einbezogen. Seit dem Beitritt geht es darum, die zur Ratifizierung vorgelegt wurde, und wann ist gegebenenfalls Einbeziehung von Berlin (West) in dem komplizier- damit zu rechnen? ten Mechanismus einer multilateralen Organisation anzuwenden und auszufüllen. Dabei ist es zu den in Bei dem von Ihnen genannten Übereinkommen der Zeitungsmeldung genannten Schwierigkeiten ge- handelt es sich offenbar um den am 29. Februar kommen, ohne daß die Vertretung Berlins dabei 1972 unterzeichneten Vertrag zwischen der Bundes- grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Die Bundes- republik Deutschland und der Republik Österreich regierung ist abweichenden Interpretationen der über die gemeinsame Staatsgrenze. Dieser Vertrag Rechtslage durch die östliche Seite mit Nachdruck stellt den gültigen Grenzverlauf auf eine neue entgegengetreten und konnte befriedigende Rege- Rechtsgrundlage. lungen durchsetzen. Sie wird ihre Bemühungen Der Vertrag sieht in seinem Art. 2 Abs. 2 den Ab- auch in Zukunft fortsetzen. schluß von Zusatzverträgen über neu zu erstellende Grenzurkunden vor. Schon vor Unterzeichnung des Zu Frage A 185: Hauptvertrags trafen sich im Oktober 1971 Exper- tendelegationen beider Länder, um einen Zusatz- Der Brief des Ständigen Vertreters der Sowjet- vertrag für den Grenzabschnitt „Dreieckmark- union bei den Vereinten Nationen Malik vom Dandlbachmündung" auszuarbeiten. 26. 6. 1973 an den Generalsekretär der Vereinten Nationen stellt die durch das Schreiben des Bundes- Die Bundesregierung ging zunächst davon aus, außenministers vom 13. 6. 1973 bewirkte Einbezie- daß der Hauptvertrag zusammen mit diesem Zu- hung von Berlin (West) in den VN-Beitritt der Bun- satzvertrag ratifiziert werden sollte. Nachdem sich desrepublik Deutschland nicht in Frage. Der Brief in der Folge ergab, daß die österreichische Regie- Maliks enthält eine Darstellung des sowjetischen rung die Ratifizierung des Hauptvertrags unabhän- Standpunktes zur Rechtsgrundlage und zum Um- gig von dem von den Delegationen noch nicht ab- fang der Außenvertretung von Berlin (West) durch schließend beratenen Zusatzvertrag eingeleitet hatte, die Bundesrepublik Deutschland. Die Drei Mächte wurde auch deutscherseits das Vertragsgesetz vor- haben in einem Schreiben vom 7. 12. 1973 an den bereitet. Der Gesetzentwurf wird den gesetzgeben- Generalsekretär der Vereinten Nationen ihre den Körperschaften voraussichtlich in Kürze zuge- Rechtsauffassung klargestellt. leitet werden können.