Im Alten Land Laufen Die Uhren Langsamer: HANS-JUERGEN FINK flaniert Zur Apfelernte Durch Obstgärten Und Fachwerkdörfer
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SONNABEND / SONNTAG, 9. / 10. OKTOBER 2010 41 2010 Unterwegs: 7 Ausflüge zu den 1000 Seen › Stadtgespräch: Box-Champion Vitali Klitschko › Titel-Thema: Das Alte Land neu entdecken Lokal-Termin: Entenbrust in der „Uhlenhorster Weinstube“ › Gestern & Heute: 55 Jahre Lotto-Geschichte › Handgemacht: „Der Stuhl“ Gepflücktes Glück Im Alten Land laufen die Uhren langsamer: HANS-JUERGEN FINK flaniert zur Apfelernte durch Obstgärten und Fachwerkdörfer. er Eingang zum Schlaraffenland liegt im Sü- den, kurz hinterm Elbtunnel. A7, Abfahrt Moorburg. Ein paar Kilometer noch, auf de- nen Strommasten in den Himmel ragen und D mit einer malerischen Rinderherde um die optische Vorherrschaft rangeln. Gleich dar- auf sagen altgediente Reetdächer klar und deutlich: Schluss mit Stadt. Auf den Orts- schildern steht Moorburg und Francop. Hier beginnt das Paradies. Die Äste biegen sich, so dicht an dicht hängen die Früchte: Birnen, Äpfel, reif, knackig, duftend – zum Reinbeißen. Da übersieht man glatt das Schild „Willkommen im Alten Land“. Kaum ist man angekommen, ticken die Uhren schon spürbar lang- samer. Hier gilt der bedächtig schwingende Rhythmus der Natur – Blüte, Reife, Ernte. In unserer Sekundenzeiger- und Handy-Hektik ist der längst untergegangen. Doch hier draußen rechnet man noch in Wo- chen, und nur wenn zur Blütezeit neuer Frost droht und im Herbst die Früchte reif sind, muss alles ein bisschen schneller gehen. Dann wollen mehr als 16,4 Millionen Obstbäume auf 10 500 Hektar abgeerntet werden. Jeder dritte deutsche Apfel kommt von hier. Wer aber nach den großen Obstbäumen aus Kindheit und Bilder- büchern sucht, hat verloren. Es gibt noch ein paar; die stehen dekorativ vor Obsthöfen und großen Fachwerkhäusern, mit ordnungsgemäß hin- eingetupften rotgelben Äpfeln. Ihre Kollegen auf den schmalen Plan- tagen, die gleich hinter den Häusern beginnen und sich kilometerlang hinziehen, müssen jedoch klein bleiben. Gerade mal knapp drei Meter werden sie hoch, sodass man sie mithilfe einer Trittstufe problemlos sind für Dorfkirchen vergleichsweise prachtvoll ausgestattet. Und weil abernten kann. Kleine Baumsoldaten, akkurat angetreten und manch- der berühmte Orgelbauer Arp Schnitger ebenfalls aus dem Alten Land mal verdrahtet wie Weinreben. Niederstammobstbau ist vor allem stammte, sind hier auch etliche seiner Instrumente erhalten. eins: effektiv. Sich ein romantisches Mai-Picknick zwischen Nieder- Neben den Prunkpforten mit ihren dick aufgetragenen arbeits- stamm-Bäumchen vorzustellen fällt schwer. Aber man hätte selbst im ethischen Sinnsprüchen prägen die kunstvoll gemauerten Fachwerk- Sitzen die Blüten noch auf Augenhöhe. häuser das Bild vom Alten Land. Die stehen noch als große Obsthöfe Per Heimrecht bremsen Trecker mit langen Hängerkarawanen voller in den langen Straßendörfern oder als schmucke Kunstwerke auf den Äpfel zur Erntezeit allzu eilige Auto-Touristen aus, während die ge- Deichen an Lühe und Este. Sie haben für Großstädter einen hohen waltigen Trucks der Großvermarkter daran erinnern, dass hinter dem Idylle- und Neidfaktor – bis irgendjemand beginnt, die Versicherungs- „größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet Nordeuropas“ auch prämie für Holzbau und Reetdach auszurechnen. eine entsprechende Logistik steht. Also wird weitergeradelt. Immer wieder locken am Straßenrand Hof- Mit dem Auto wird das Alte Land zur rasch absolvierten Tagestour. läden zu Rast und Einkauf. Dort gibt’s Äpfel in allen Farbschattierungen Gerechter wird man der Landschaft und sich selbst durch mehr Zeit und und Sorten, Birnen, Pflaumen, Pfirsiche. Fruchtsäfte und Weine, Obst- einen entschleunigten Zugang: per Fähre von Blankenese nach Cranz brände, Gelees und Marmeladen, Obstkuchen, Ökofruchtschnitten, oder von Schulau nach Lühe. Das sind uralte Verbindungen; die erste ist Voll kornbrote, Katenschinken und Würste – alles, was man unter dem urkundlich schon im Jahr 1060 nachweisbar. Mit ihnen wurden früher Etikett „Hofladen“ in den Regalen haben kann, ohne die gute Idee „Das Rotbäckchen – auch im Alten statt der Touristen Ochsen übergesetzt. Ochsen kommen heute auf an- kommt von hier!“ zu unterlaufen. Überhaupt sind manche Obstbauern Land immer eine Sünde wert ... deren Wegen zum Teller, deshalb passen auch Fahrräder auf die Schiffe. ganz schön erfinderisch. Einer organisiert das Picknick – unter Obst- FOTO: FOTEX/CREAPS Per Rad kann man das Alte Land abseits der Durchgangsstraßen erkun- bäumen, wie versichert wird, ein anderer bietet einen Apfelkisten- den. Vom Fahrrad aus erkennt man auch besser, wie dieses Stück Erde Express durch seine Plantage an, wo man lernt, warum Bäume erzogen wurde, was es ist: Ständig sieht man Wassergräben und Deiche. werden müssen, wenn sie nicht unartige Äste bilden sollen, die dann Die holländischen Siedler, die seit 1113 vom Bremer Erzbischof Fried- nur den Treckern im Weg hängen. Obstlehrpfade leisten dasselbe, nur rich I. geholt wurden, um den nassen Elbmarschboden landwirtschaft- geht man da zu Fuß durch die „Baum“-Reihen. lich zu erschließen, haben ganze Arbeit geleistet: Sie gruben Wettern, Als Radfahrer stößt man nicht so schnell an die Grenzen des Alten Fleete und Gräben, um das Wasser abzuleiten. Und errichteten Deiche, Landes. Die sind eng gezogen: die B73 im Süden, Airbus und die A7 im um die Elbe und ihre Nebenflüsse Schwinge, Lühe und Este im Zaum Osten, Stade und die große Kuppel des Atomkraftwerks im Westen, und zu halten. In drei Abschnitten kam die Zivilisation ins Alte Land, noch im Norden der acht Meter hohe Elbdeich. Und wenn man sich dann noch heute wird es so in „Meilen“ unterteilt: Die erste reicht von der Zeit nimmt, im Alten Land zu übernachten – Hotels, Ferienwohnungen Schwinge bis zur Lühe, die zweite bis zur Este, und die dritte bis zur und Zimmer gibt es überall – kommt man vor allem früh morgens und Süderelbe. Hübsche weiße Zugbrücken – van Gogh lässt grüßen – und abends dem Altländer Lebensgefühl und -rhythmus ganz nah. In den Windmühlen wie bei Borstel erinnern an die uralte Verbindung zum letzten Strahlen der Herbstsonne. Wenn erste Nebel über dem Land auf- Nachbarland und sind dankbare Fotomotive. ziehen und das Geschrei der Vögel für kurze Zeit allgegenwärtig ist. Der Marschboden ist fruchtbar, der Bedarf an Obst in Stade und Oder oben auf dem Elbdeich auf einer Bank, ein knackiges Aalbröt- Hamburg war immer groß – so wurden die Bauern im Alten Land wohl- chen vom Elbfischer in der Hand (den gibt’s seit 1648, wenn auch nicht habend und selbstbewusst, auch gegenüber ihrem Gott. Davon erzählen immer an der Elbe), dazu einen frischen Apfelsaft. Wenn man lange ge- die zehn Kirchen, von St. Pankratius in Neuenfelde, die ihren Turm nug schaut, fährt hier bestimmt ein Schiff vorbei, in dessen Containern S. 4/5 – Das Paradies vor der knapp neben der südlichen Einflugschneise zu Airbus in Finkenwerder gerade Äpfel aus Neuseeland ankommen. Sie haben 23 000 Seekilometer Haustür: über 60 Ausflugsziele mahnend zum Himmel reckt, bis zu St. Mauritius in Hollern. Sie alle und 28 Reisetage hinter sich. Da liegt das Alte Land entschieden näher. und Einkaufstipps im Alten Land. II Sonnabend / Sonntag, 9. / 10. Oktober 2010 › WOCHENENDE Linsengericht: Die Kamera- börse bietet alte Raritäten, Ab zur Müritz aber auch neue Fotohandys. FOTOS: PR Waren 5 Kargow 7 3 Gerd KARTE: GRAFIKANSTALT 1 1 Klockow Spiekermann 192 FOTO: NDR/ANDREAS GARRELS 2 Der Plattdeutsch-Profi (NDR, „Hör 6 mal ’n beten to“), 58, bekocht die Lieben und „skypt“ mit dem Enkel. Müritz Kratzeburg Müritz Nationalpark Mein perfekter Sonntag Röbel 4 6.05 Uhr Der Radiowecker 2km springt an und mit den Glocken des Michel beginnt das Ham- burger Hafenkonzert auf NDR 7 AUSFLÜGE ZU DEN 100O SEEN 90,3. Habe ich moderiert, schlafe ich weiter. Ich weiß ja, Kranich-Treffen am kleinen Meer was kommt. Hatten meine KollegInnen am Sonnabend STADTLEBEN Im „Land der 1000 Seen“ ist er der großartigste: Die Müritz, mit 117 Quadrat- Dienst, dann bleibe ich dran. kilometern Deutschlands größter Binnensee, lockt mit Apfelfesten und einem Nationalpark mit grandiosen Schauspielen, wenn hier zahllose Zugvögel rasten. 8.30 Uhr Ich radle zu Bäcker Iden in der Ahrensburger Tag der Durchblicker Den Namen „Müritz“, er ist slawischen Ursprungs und bedeutet „kleines Meer“, trägt Straße. Meine Frau und ich das Naturschutzgebiet in Deutschlands wasserreichster Landschaft nicht umsonst: frühstücken alleine, die Kinder 1000 kleine Seen glitzern in dem Vogelparadies, See- und Fischadler haben hier schlafen noch. Danach müs- ihr Brutgebiet, und Tausende Kraniche machen hier im Frühjahr und Herbst Rast – sen unsere beiden Kooiker- beeindruckend, wenn gleichzeitig mehrere Tausend dieser Vögel „trompeten“. Wer das hunde dringend raus. Im Vom Fotoapparat aus Edelholz bis zum Camcorder, von der analogen Knipse bis erleben möchte, kauft ein „Kranich-Ticket“ beim Nationalpark-Service und nimmt an Eichtalpark gibt es Gott sei zum digitalen Handy: Diesen Sonntag lädt die Kamerabörse in der Handwerkskammer einer der Führungen teil. Der Müritz-Nationalpark erstreckt sich vom Ostufer der Müritz Dank eine Hundeauslaufwiese. bis zum Naturpark Feldberger Seenlandschaft. Kurz vor Ende der DDR, am 1. Oktober Wir treffen alte Bekannte. zum Stöbern ein – und Profis schätzen für Sie den Wert Ihrer alten Schätzchen. 1990, wurden die 318 Quadratkilometer zum Nationalpark erklärt. Touristisches Unsere Hunde auch. Zentrum der Region ist Waren, eine reizende Kleinstadt am östlichen Müritz-Ufer. Hier kann man im Müritzeum Deutschlands größtes Aquarium für Süßwasserfische 11 Uhr Gottesdienst in der besuchen, shoppen (oft auch