Plenarprotokoll 19/24

Deutscher

Stenografscher Bericht

24. Sitzung

Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Inhalt:

Zur Geschäftsordnung (AfD)...... 2165 A Dr. (AfD)...... 2143 B (SPD) ...... 2166 D Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU). . . . 2144 C Recht und Verbraucherschutz Tagesordnungspunkt 3: Dr. , Bundesministerin BMJV...... Abgabe einer Regierungserklärung durch 2167 C die Bundeskanzlerin Roman Johannes Reusch (AfD)...... 2169 A (Fortsetzung der Aussprache) Dr. (CDU/CSU). . . . . 2169 C Innen, Bau und Heimat (AfD)...... 2171 A , Bundesminister BMI. . . . 2146 D Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU). . . . . 2171 C Dr. (AfD)...... 2149 C (FDP)...... 2171 D Dr. Eva Högl (SPD) ...... 2150 D (DIE LINKE). . . . 2172 D Dr. (FDP)...... 2152 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . 2174 A Dr. André Hahn (DIE LINKE)...... 2153 C Dr. (SPD)...... 2175 D Dr. Tobias Matthias Peterka (AfD)...... 2176 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . . 2155 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . 2177 C Dr. (CDU/CSU). . . . 2156 D Dr. (FDP)...... 2178 D (AfD) ...... 2158 B (SPD) ...... 2179 B Sören Bartol (SPD)...... 2159 C Dr. (AfD)...... 2180 A Daniel Föst (FDP)...... 2160 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU). . . . . 2180 C (CDU/CSU) ...... 2161 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU)...... 2181 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . . 2161 D Ernährung und Landwirtschaft Marie-Luise Dött (CDU/CSU)...... 2162 B Julia Klöckner, Bundesministerin BMEL. . . 2182 B (SPD)...... 2163 C (AfD)...... 2184 C (Weil am Rhein) (CDU/CSU)...... 2164 C (SPD)...... 2185 D II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. , Freitag, den 23. März 2018

Dr. (FDP)...... 2186 D Dr. Lukas Köhler (FDP)...... 2210 C Beatrix von Storch (AfD)...... 2187 B Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU). . . . 2211 B (DIE LINKE). . . . . 2188 A Dr. Gero Clemens Hocker (FDP). . . . . 2189 A Gesundheit Renate Künast , Bundesminister BMG. . . . . 2212 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . . 2190 A (AfD)...... 2214 A (CDU/CSU)...... 2191 D Dr. (SPD)...... 2215 B (AfD) ...... 2192 D Christine Aschenberg-Dugnus (FDP). . . . 2216 C (DIE LINKE) ...... 2193 C (DIE LINKE)...... 2217 D Johann Saathof (SPD)...... 2194 B Dr. Karl Lauterbach (SPD)...... 2218 C (FDP)...... 2195 B Dr. (FDP). . . . . 2219 C (CDU/CSU)...... 2196 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . . 2219 D (SPD) ...... 2197 B Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU)...... 2221 B Dr. (AfD)...... 2222 C Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (SPD)...... 2223 B , Bundesministerin BMU. . . 2198 B (FDP)...... 2224 B (AfD)...... 2200 A (CDU/CSU) ...... 2225 A René Röspel (SPD)...... 2200 D Dr. (SPD)...... 2226 B Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU)...... 2201 C (FDP)...... 2203 B Nächste Sitzung ...... 2227 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) ...... 2204 B Sylvia Kotting-Uhl Anlage 1 (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . . 2205 D Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . 2229 A Carsten Träger (SPD)...... 2207 B Dr. Rainer Kraft (AfD)...... 2208 B Anlage 2 (CDU/CSU)...... 2209 B Amtliche Mitteilung...... 2230 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2143

(A) (C)

24. Sitzung

Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mal an der Entwicklung eines Fahrzeugs im Antriebs- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte strangbereich gearbeitet hat? nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröfnet. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen NEN]: Darum geht es bei Geschäftsordnungs- wir einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die anträgen nicht! – [DIE Fraktion der AfD hat fristgerecht beantragt, die heutige LINKE]: Sie müssen zur Geschäftsordnung Tagesordnung zu erweitern, und zwar um ihren Antrag reden!) auf Drucksache 19/1376 zu dem Vorschlag für eine Ver- ordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Dann bin ich wohl der Einzige. Ich habe die Unterlagen Festsetzung von Emissionsnormen für neue Personen- zu dieser Emissionsverordnung gelesen und, wie ich den- kraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge im Rah- ke, auch verstanden. men des Gesamtkonzepts der Union zur Verringerung der ( [CDU/CSU]: Aber zu spät!) (B) CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten (D) Nutzfahrzeugen und zur Änderung der Verordnung (EG) Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Nr. 715/2007 (Neufassung). Es handelt sich um eine Sub- viele Leute in diesem Parlament, wenn überhaupt je- sidiaritätsrüge. mand, einen vergleichbaren Wissensstand dazu haben. Die Fraktion der AfD hat beantragt, über diesen An- (Beifall bei der AfD – Lachen bei der CDU/ trag im Anschluss an den Geschäftsbereich „Innen, Bau CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – und Heimat“ – ohne Aussprache – abzustimmen. Wird Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? – Das Wort GRÜNEN]: Angeber!) hat der Abgeordnete Dr. Dirk Spaniel. Ich halte es für wichtig, dass wir diese EU-Verordnung (Beifall bei der AfD) diskutieren, mindestens aber eine Subsidiaritätsrüge aus- sprechen, und zwar vor Ablauf der Frist für eine solche Dr. Dirk Spaniel (AfD): Subsidiaritätsrüge. Das bedeutet ganz praktisch: hier und Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen heute. und Herren! In der letzten Woche wurde ein Vorschlag für eine EU-Verordnung auf die Tagesordnung der Aus- (Beifall bei der AfD) schüsse gesetzt. Diese EU-Verordnung tritt in Kraft, Ich denke, wir sind es den Menschen in diesem Land wenn dieses Parlament keinen Widerspruch hierzu ein- schuldig, dass wir uns mit dieser Verordnung beschäfti- legt. Die Frist für die Einlegung des Widerspruchs läuft gen. Wenn die Autoindustrie in Deutschland derart mas- am 27. März ab. Die EU-Verordnung betrift die Festle- siv bedroht wird, sollten wir uns damit befassen. gung von Emissionsnormen für Personenkraftwagen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD) NEN]: Darüber reden wir aber inhaltlich Zumindest den Menschen in meinem Wahlkreis in Stutt- nicht!) gart ist das sehr viel wichtiger als die Anerkennung der Die Begleitunterlagen zu diesem Dokument umfassen Rohingya in Myanmar, was unser nächster Punkt auf der viele Hundert Seiten. Die Frist für die Vorbereitung hätte Tagesordnung wäre. eine Woche betragen. Grob gesagt, geht es in der Verordnung darum, rea- Nun weiß ich, dass in diesem Parlament nur wenige litätsnahe Verbrauchstests für Pkw und leichte Nutz- Ingenieure sitzen. Gibt es hier jemanden, der schon ein- fahrzeuge einzuführen. Die Grenzwerte sind dabei so 2144 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Dirk Spaniel (A) gewählt, dass für Pkw mit Benzinmotoren eine Ver- Die potenzielle Vernichtung Hunderttausender Arbeits- (C) brauchsobergrenze von 4 Litern besteht. plätze in Deutschland sollte uns mindestens so wichtig sein wie ein Menschenrechtsthema in Myanmar. ( [Erfurt] [SPD]: Sie sol- len nicht zum Inhalt reden, sondern zur Ge- Ich danke Ihnen. schäftsordnung!) (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann Dies mag unter Laborbedingungen von Kleinwagen er- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ha- füllbar sein; aber meiner Einschätzung nach ist dies be- ben Sie eigentlich nicht eine Frage gestellt? reits von Mittelklasselimousinen unter realen Testbedin- Im Umweltausschuss nicht ein Wortbeitrag! gungen nicht erfüllbar. Einen Vorbehaltsbeschluss hätten Sie machen ( [SPD]: Geschäftsordnung!) müssen, aber keine Subsidiaritätsrüge! Sie ha- ben keine Ahnung, von nix! – Widerspruch bei Als Konsequenz müssten wir den Verbrennungsmotor in der AfD) Fahrzeugen oberhalb des Kleinwagensegments durch ei- nen Elektroantrieb ersetzen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ich kann mir nicht erklären, warum dieses wichtige Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Stefan Müller, Thema, das praktisch durch einen EU-Rechtsakt das CDU/CSU. Ende des Verbrennungsmotors verordnet, von Ihnen nicht erkannt wurde (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Dr. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): im Ausschuss behandelt!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Spaniel, ich muss mich schon sehr wun- und in diesem Parlament ohne jede Debatte – ohne jede dern. Meine Kollegen aus dem Umweltausschuss sagen Debatte! – oder Abstimmung akzeptiert wird. mir, dass die AfD bei diesem Tagesordnungspunkt gar (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE nicht das Wort ergrifen hat. GRÜNEN]: Das war im Ausschuss!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der Diese EU-Regelung trift das Herzstück unserer Wirt- FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ schaft hier in Deutschland. Genau genommen ist diese DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜND- ofene Aggressivität der EU gegenüber der deutschen NIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Jürgen (B) (D) Autoindustrie und letztlich gegenüber den Arbeitneh- Braun [AfD]: Sie machen unsere Wirtschaft mern in unserem Land ein Skandal. kaputt!) (Beifall bei der AfD) Und dann stellen Sie sich hierhin und sagen, der Bundes- Ein noch größerer Skandal wäre es, wenn das deutsche tag würde das ohne Debatte durchwinken. Ihr Antrag hät- Parlament dieser Regelung ohne jede Debatte zustimmte. te nach Aufsetzung auf die Tagesordnung ja auch ohne Debatte behandelt werden sollen. So war es doch von (Beifall bei der AfD) Ihnen beantragt. Es ist doch unglaubwürdig, uns vorzu- werfen, dass wir keine Debatte wollen, wenn Sie selber Genau das wollen wir verhindern. Wir wollen in diesem es nicht wollen. Parlament eine sachliche, konstruktive Debatte über die- ses Thema führen. Die Menschen, die in der Industrie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, arbeiten, sind es, die im Wesentlichen dieses Land am der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Laufen halten und Ihre sozialen Umverteilungsphanta- GRÜNEN – Dr. [AfD]: Wir sien und auch Ihre persönliche Existenz überhaupt erst haben überhaupt keine Debatte gehabt!) fnanzieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die AfD beantragt (Beifall bei der AfD) jetzt also kurzfristig, Diese Menschen haben ein Recht darauf, dass wir uns (Jürgen Braun [AfD]: Sie haben doch alle mit ihren Interessen beschäftigen. keine Ahnung! Sie kommen nur mit forma- len Tricks! Was anderes können Sie doch gar Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nicht! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder Herr Kollege Spaniel, ich darf Sie darauf hinweisen, [CDU/CSU]: Sind Sie mal ruhig!) dass Sie zur Begründung eines Geschäftsordnungsan- dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen, und be- trags sprechen und nicht zur Sache. tont, es sei besonders dringlich, dass wir uns heute mit diesem Punkt befassen. Richtig ist, dass die Frist für das Dr. Dirk Spaniel (AfD): Aussprechen einer Subsidiaritätsrüge am Dienstag ab- Ja, genau. läuft. Richtig ist auch, dass heute die letzte Gelegenheit ist, darüber in einer Sitzung zu debattieren. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein! Nicht genau!) (Hansjörg Müller [AfD]: Genau!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2145

Stefan Müller (Erlangen) (A) Das scheint den Kolleginnen und Kollegen von der AfD GRÜNEN – Dr. [AfD]: Das ist (C) aber erst gestern Abend aufgefallen zu sein, es, wofür Sie jetzt die Verantwortung haben! Unverschämtheit!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie haben es ja gar nicht ge- Ganz abgesehen davon hatten Sie es ja noch nicht einmal merkt! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist ver- nötig, uns darüber zu informieren, dass Sie planen, einen logen ohne Ende!) solchen Antrag einzureichen. Gelegenheit dazu hätten weil der Antrag auf Aufsetzung erst gestern Abend um Sie ja gehabt. 17.54 Uhr beim Parlamentssekretariat eingegangen ist, (Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Das ist nicht wahr! – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kay Gottschalk [AfD]: Daran werden Sie sich neten der SPD, der FDP, der LINKEN und des erinnern, an diesen Tag! – Weitere Zurufe von BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker der AfD – Gegenruf des Abg. Volker Kauder Kauder [CDU/CSU]: Ihr seid unfähig! – Ge- [CDU/CSU]: Ruhe jetzt!) genruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]: Un- (Glocke des Präsidenten) verschämtheit! Sie wollen den Verbrennungs- motor abschafen!) (Zurufe von der AfD – Gegenrufe vom also zu einem Zeitpunkt, wo wir hier mit Wahlen und Ab- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des stimmungen beschäftigt waren, wo also für alle anderen Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Aufhören!) Fraktionen keine Möglichkeit bestand, sich sorgfältig mit Letzte Woche Mittwoch haben wir in einer interfrak- diesem Antrag auseinanderzusetzen. tionellen Runde zusammengesessen und über die Tages- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der ordnung dieser Woche beraten. Kein Wort von der AfD, SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE einen solchen Antrag einzubringen! GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Eine sinnvolle Beratung war jedenfalls nicht mehr mög- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich. sowie bei Abgeordneten der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, Sie So ist es!) hätten ja Zeit genug gehabt. Letzte Woche Donnerstag haben wir im Ältestenrat die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tagesordnung für diese Sitzungswoche beschlossen. NEN]: Ja, aber wenn man schläft!) (B) Kein Wort der AfD, einen solchen Antrag einzubringen! (D) Der Verordnungsentwurf ist am 8. November 2017 von der EU-Kommission vorgelegt worden. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜND- DIE GRÜNEN]: Haben die nicht gemerkt! – NIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu blöd! – Jürgen Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie lenken ab!) Braun [AfD]: Peinlich!) Sie hätten mehr als vier Monate Zeit gehabt, hier einen Diese Woche Dienstag haben wir in der Runde der Parla- Antrag einzureichen, damit sich der Bundestag damit or- mentarischen Geschäftsführer zusammengesessen. Kein dentlich beschäftigen kann. Wort der AfD zu diesem Antrag! (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜND- Wir hatten allein in diesem Jahr sechs Sitzungswo- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Herr Baumann chen, wo wir das hätten tun können, wenn Sie einen An- wieder gepennt! – Widerspruch bei der AfD) trag eingebracht hätten. Am Mittwoch saß eine Runde von Fraktionsmitarbeitern (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Jetzt am Mitt- zusammen. Kein Wort der AfD zu diesem Antrag! woch! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Guten (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Morgen! – Jürgen Braun [AfD]: Sie haben der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE doch nichts gemerkt, Herr Müller!) GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Herr Müller, Sie haben doch selber gar nichts geblickt!) Nun weiß ich ja nicht, was bei Ihnen schiefgelaufen ist. Aber vier Monate lang passiert bei einem Thema, das Ih- Gestern Nachmittag haben wir im Ältestenrat zusam- nen ofensichtlich sehr wichtig ist, nichts, und dann kom- mengesessen. Sie werden es schon wissen: Kein Wort der men Sie auf den letzten Drücker, ohne dass die anderen AfD zu diesem Antrag! Fraktionen Gelegenheit haben, sich damit auseinander- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem zusetzen. Da machen wir nicht mit! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie geordneten der FDP und der LINKEN – Wi- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE derspruch bei der AfD) 2146 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Stefan Müller (Erlangen) (A) Zwei Stunden bevor Sie diesen Antrag eingereicht haben, – Herr Kollege, wir sind mitten in einer Abstimmung. Ich (C) haben wir noch zusammengesessen, und Sie haben es darf Sie bitten, die Abstimmung über einen von Ihnen nicht für nötig gehalten, uns darüber zu informieren. Das gestellten Antrag nicht zu behindern. ist schlechter Stil, auch gegenüber allen anderen Fraktio- nen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, bei Abgeordneten der LINKEN) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Der Antrag ist gegen die Stimmen der AfD mit den GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Hören Sie Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt. auf, abzulenken! Das ist peinlich, diese Num- mer!) (Dr. [AfD]: Es ist so schön, dass wir hier sind! Wir werden euch jagen! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Was für ein

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ofenbarungseid! Was Sie hier machen, ist Herr Kollege Müller, auch bei Geschäftsordnungsde- unverantwortlich! Wir werden Sie daran erin- batten gibt es eine Begrenzung der Redezeit. nern! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Schüt- teln Sie nur Ihr weises Haupt, Herr Kauder!) Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Wir fahren mit dem Tagesordnungspunkt 3 fort: Ich fasse zusammen: Sie haben vier Monate nichts ge- Abgabe einer Regierungserklärung durch die macht. Sie haben vier Monate geschlafen, Bundeskanzlerin (Jürgen Braun [AfD]: Das ist peinlich, Herr (Fortsetzung der Aussprache) Müller! Peinlich! Peinlich! – Weitere Zurufe von der AfD) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie sind dafür ver- antwortlich, wenn die deutsche Autoindus- kommen jetzt auf den letzten Drücker, ohne dass wir Ge- trie vor die Hunde geht! – Gegenruf des Abg. legenheit hatten, uns damit zu beschäftigen. Wir lehnen Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sollten mal den Antrag auf Aufsetzung ab. sehen, wie Sie wirken! – Gegenruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]: Sie sorgen für Ihren ei- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, genen Untergang, Herr Kauder!) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD) (Glocke des Präsidenten) (B) (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die notwendige Aufmerksamkeit wiederherzustellen, Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsord- damit wir den Sinn parlamentarischer Debatten erfüllen nungsantrag liegen mir nicht vor. können, nämlich in Rede und Gegenrede, im politischen Streit demokratisch um die richtigen Lösungen zu ringen. (Burkhard Lischka [SPD]: Schlafmützen sind die da drüben! – Gegenruf des Abg. Jürgen Ich erinnere daran, dass wir am Mittwoch für die heu- Braun [AfD]: Unglaublich! Peinliche Num- tige Aussprache 5 Stunden und 30 Minuten beschlossen mer! Sie schnallen nichts! – Weitere Zuru- haben. fe von der AfD – Abg. Britta Haßelmann Wir beginnen heute mit den Bereichen Innen, Bau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anscheinend und Heimat. Das Wort hat der Bundesminister des In- reichen nicht mal zwei PGs!) nern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer. (Glocke des Präsidenten) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir kommen damit zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag? – Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat: (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Jetzt Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und müsst ihr euch schon melden!) Kollegen! Ich beginne mit zwei Schlüsselsätzen aus dem Koalitionsvertrag. In der Präambel, gleich auf der ersten Wer stimmt dagegen? – Seite, heißt es: (Dr. Alice Weidel [AfD]: Schämen Sie sich! Den sozialen Zusammenhalt in unserem Land wol- Sie werden sich daran erinnern! Das ist un- len wir stärken und die entstandenen Spaltungen glaublich! Die Abschafung des Verbren- überwinden. Wir nehmen die Ängste der Menschen nungsmotors! – Weitere Zurufe von der ernst und wollen ihnen durch unsere gemeinsame AfD – Gegenrufe von der CDU/CSU und dem Arbeit umfassend begegnen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Enthaltungen? – Im Kapitel zur Zuwanderungspolitik heißt es etwa (Jürgen Braun [AfD]: Schämen Sie sich!) 100 Seiten später: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2147

Bundesminister Horst Seehofer (A) Integrationsfähigkeit ... beinhaltet ... auch unseren Die Sicherheitslage in Deutschland ist unverändert (C) Anspruch, die Lebensbedingungen der hier leben- sehr bedrohlich im Hinblick auf den islamistischen Ter- den Menschen ... zu berücksichtigen. ror.

Ich denke, diese beiden zentralen Botschaften ma- (Zurufe von der AfD: Ach was! – Seit wann nifestieren, was sich in den vergangenen Wochen und denn das?) Monaten, ja vielleicht sogar in den letzten Jahren zuneh- Wir müssen deshalb gemeinsam höchste Aufmerksam- mend gezeigt hat, wenn man den Menschen genau zuge- keit walten lassen und unsere Sicherheitsmaßnahmen hört hat: In unserer Gesellschaft erodiert der Zusammen- ständig optimieren. Der Staat beansprucht für sich das halt. Fragen von Zuwanderung, Integration, kultureller Gewaltmonopol und gibt seinerseits dafür das Sicher- Identifkation sind aufgeladen und hochumstritten. Es heitsversprechen an seine Bürgerinnen und Bürger. schwingen Ängste mit, abgehängt, ja ungleich behandelt (Zuruf von der AfD: Ja, genau! Das ist die zu werden. Aus all diesem erwächst Spaltung, und aus Legitimation!) diesem erwächst Polarisierung. Beides sind ideologische Teilchenbeschleuniger. Deshalb, meine Damen und Her- Niemand von uns kann absolute Sicherheit versprechen. ren, ist es mein Ziel, gesellschaftlicher Polarisierung ent- Aber, meine Damen und Herren, das Menschenmögliche gegenzuwirken, Gruppen zusammenzuführen, Politik für für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger müs- die Menschen in unserem Land zu machen. sen wir jeden Tag tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) ordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der AfD – Katrin Göring-Eckardt [BÜND- Dort, wo Grenzen überschritten, Regeln missachtet NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat bisher aber oder Gesetze gebrochen werden, gilt für mich: null To- nicht geklappt! – Dr. Konstantin von Notz leranz. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit soll- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten Sie dann mal langsam anfangen!) ordneten der SPD) Dabei werde ich mich zwei einfacher, aber wirksamer Ich sage gleich zu Beginn unserer Legislatur ganz deut- Antreiber bedienen: der Tatkraft und der Beharrlichkeit. lich: Null Toleranz gibt es für mich auch bei Hassparolen Bei Amtsantritt wird man ja regelmäßig gefragt: Was tun und Gewalt gegenüber Andersdenkenden und Anders- Sie in den ersten 100 Tagen? Ich möchte dem Parlament gläubigen. mitteilen: So lange möchte ich nicht zuwarten. (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (D) (Beifall bei der CDU/CSU) bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Das spiegelt die erste der beiden Maximen wider: Ein Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Weiter-so möchte ich nicht, wobei ich ausdrücklich mei- Dass eine Null-Toleranz-Strategie Wirkung zeigt und ab- nem Vorgänger, Thomas de Maizière, für seine Arbeit schreckt, hat sich in der Geschichte der Republik schon danke. Ich habe ein sehr gutes Haus übernommen. vielfach gezeigt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ordneten der SPD und der FDP) Wo?) Eine solche Strategie braucht einerseits einen breiten Wir müssen aber auch neue Wege gehen, und wir müssen Rückhalt in der Bevölkerung, aber genauso vertraue ich vor allem Tempo machen. andererseits auf Ihre Unterstützung, meine Damen und Herren. Sicherheit ist nicht rechts oder links, nicht kon- All dies werde ich gleich zu Beginn meiner Amtszeit servativ oder progressiv; tun. Erste Gesetzentwürfe und Konzepte, die im Koaliti- onsvertrag angelegt sind, werde ich bereits in den kom- (Dr. Eva Högl [SPD]: Sehr richtig!) menden Wochen einbringen. Mein Ziel ist, Kabinetts- Sicherheit ist ein Menschenrecht, und dafür setze ich beschlüsse zu den wichtigsten Vorhaben noch vor der mich jeden Tag ein. Sommerpause einzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Eines unserer wichtigsten Ziele, ja sogar das wich- FDP: Sie meinen wohl: vor der bayerischen tigste Ziel im Rechtsstaat muss sein: die konsequente Landtagswahl!) Durchsetzung geltenden Rechts, und zwar in allen Be- Beherztes Handeln ist das Gebot der Stunde, nachdem reichen und gegenüber jedermann; denn ein starker Staat wir viele Monate damit verbracht haben, die Regierung duldet keine rechtsfreien Räume. Wir sind und bleiben ein liberaler und weltofener Staat nach dem Motto „Le- zu bilden. Das gilt vor allem für folgende Trias: erstens ben und leben lassen“. Sicherheit, und das fächendeckend in ganz Deutschland, zweitens Migration, gesteuert und begrenzt, und drittens ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sozialer Frieden, gemeinsam und integrativ. NEN]: Ach!) 2148 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Bundesminister Horst Seehofer (A) Aber wenn es um den Schutz der Bürger geht, brauchen Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau (C) wir einen starken Staat, und dafür trete ich ein. und Heimat: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich bin ein diskussionsfreudiger Mensch, aber meine ordneten der SPD) erste Rede im Deutschen Bundestag nach zehn Jahren möchte ich ohne jede Störung halten. Wir werden auch Schluss machen mit ungleicher Si- cherheit, abhängig von Längen- und Breitengraden, in- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dem wir ein Musterpolizeigesetz für ganz Deutschland ordneten der SPD) schafen. Ein starker Staat wird ferner gelingen mit zeit- gemäßen Fahndungs- und Ermittlungsinstrumenten. Das Schließlich gelingt ein starker Staat nur mit starken BKA, also das Bundeskriminalamt, als zentrales Daten- Polizei- und Sicherheitsbehörden. Diesbezüglich haben haus im polizeilichen Informationsverbund werde ich Sie hier schon in der Vergangenheit massive personelle weiter vorantreiben. Die Befugnisse im digitalen Raum Verstärkungen, insbesondere beim Bundeskriminalamt müssen denen im analogen Raum angepasst werden. Auf und bei der Bundespolizei, eingeleitet. Der Bund wird europäischer Ebene müssen wir alles daransetzen, die zügig 7 500 zusätzliche neue Stellen schafen und unse- vielen Datenbanken so miteinander zu verknüpfen, dass re Sicherheitskräfte mit guter Ausstattung und moderner unsere Sicherheitsbehörden künftig schneller und zielge- Ausrüstung versehen. Schließlich sind unsere Sicher- richteter agieren können. heitskräfte die Garanten für unser Wohlergehen. Ich sage sehr deutlich: Wir alle müssen jene besser schützen, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. uns jeden Tag schützen. Dr. Eva Högl [SPD]) Alles nach der Maxime „Vorfahrt für die Sicherheit“. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, ich möchte auch hier im Der zweite Punkt ist die Migration. Sie wissen: Ich Parlament darauf hinweisen: Sicherheit beginnt an den habe einen Masterplan angekündigt. Drei Bausteine lie- Grenzen. gen mir hier besonders am Herzen: die Begrenzung der Zuwanderung unter Wahrung unserer Schutzverpfich- (Hansjörg Müller [AfD]: Welche Grenzen?) tungen, konsequentere Abschiebungen für jene, die kein Ich bin sehr dafür, dass wir eines Tages wieder zu wirksa- Bleiberecht haben, und schließlich keinerlei sozialro- men Kontrollen an den EU-Außengrenzen zurückkehren. mantisches Verständnis bei Straftätern und Gefährdern.

(B) (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (D) ­Armin-Paulus Hampel [AfD]: Lassen Sie es Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) doch!) Ich habe vor einiger Zeit zum ersten Mal von einer Das würde wunderbar zur Freizügigkeit innerhalb Eu- zahlenmäßigen Begrenzung der humanitären Migration ropas passen. Aber ich sage Ihnen auch: Solange die nach Deutschland gesprochen und erlebt, was man neu- Sicherheit an den Außengrenzen der EU nicht wirksam deutsch als „Shitstorm“ bezeichnet. Nun steht ein Kor- geleistet werden kann, müssen wir mit verschiedenen ridor von jährlich 180 000 bis 220 000 Zuwanderern im Maßnahmen, vor allem intelligenten Maßnahmen, die Koalitionsvertrag. Trotzdem gibt es keinen Grund, Men- Binnengrenzen zu unseren Nachbarn kontrollieren. schenrechte infrage zu stellen, auch nicht das Asylrecht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ordneten der SPD – Beatrix von Storch [AfD]: des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜND- Bayern voran!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich werde dafür eintreten, dass die intelligente Vi- deotechnik weiter ausgebaut wird. Jeder, der sich daran Deshalb haben wir eine ganze Fülle von Maßnahmen stößt, möge sich in die Opfer eines Überfalls in einem vereinbart: von der Bekämpfung der Fluchtursachen, U-Bahnhof oder in einer Fußgängerzone hineinversetzen die für mich immer noch die humanste Antwort auf die und dann erneut abwägen. Migrationsproblematik unserer Zeit ist, bis hin zu ver- stärkten Abschiebungen. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Aha!) Ich setze sehr auf die Ankunfts-, Entscheidungs-, Ver- Wir wollen nicht wissen, wer wann in welchem Super- teilungs- und Rückführungseinrichtungen, die man kurz markt einkauft. Wir wollen wissen, wer dealt, wer zu- AnKER-Zentren nennt. Das ist ein komplizierter techno- schlägt, wer stiehlt oder wer einbricht, und dann unmiss- kratischer Begrif; aber dahinter verbirgt sich, dass wir verständliche Konsequenzen ziehen. schnellere rechtsstaatliche Verfahren bekommen und erst (Beifall bei der CDU/CSU) dann eine Verteilung auf die Gemeinden in der Bundesre- publik Deutschland vornehmen, wenn Klarheit über den Status besteht. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der AfD? ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2149

Bundesminister Horst Seehofer (A) Ich will auch noch etwas zu dem omnipräsenten The- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) ma Heimat sagen. Hier gibt es ofenkundig einige Miss- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gottfried Curio, verständnisse. AfD. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wieder (Beifall bei der AfD) AfD-Programm!)

Bei Heimat geht es nicht um Folklore, Brauchtümelei Dr. Gottfried Curio (AfD): oder Nostalgie. Wer dies so versteht, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Bei Heimat geht es um die Veran- Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Abgeordne- kerung und Verwurzelung, um ein kulturell angestamm- te! Herr Innenminister, die Menschen in Deutschland tes Umfeld in einer globalisierten Welt. Es geht schlicht spüren, dass die Politik mit falscher Münze unterwegs und einfach um Zusammenhalt, um Geborgenheit, um ist. Es sind die großen Unwahrheiten, die dieses Land den Halt, den jeder Mensch in unserem Lande braucht, spalten: der Fehlbegrif „Flüchtling“, die vermeintliche auch wir. Demokratieverträglichkeit des Islam. Sie sollen jetzt, alt- bewährt als Ankündigungspolitiker, AfD-Wähler zurück- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gewinnen, indem Sie ein bisschen AfD kopieren – Wir werden über die Heimatabteilung zum einen den ge- (Widerspruch bei der CDU/CSU) sellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärken und zum anderen dafür kämpfen, dass wir gleichwertige das Grundproblem der Massenzuwanderung gehen Sie Lebensverhältnisse überall in Deutschland bekommen. jedoch nicht an. Sie beklagten die „Herrschaft des Un- Das gilt für Ost wie für West. rechts“ – jetzt machen Sie mit ihr gemeinsame Sache. Ich bin sehr glücklich, dass wir einen Koalitionsver- (Beifall bei der AfD) trag haben, den ich als Koalitionsvertrag für kleine Leute Sie beklagen Massenzuwanderung – die CSU hat stets bezeichne. Ich habe noch nie an einem Koalitionsvertrag mitregiert. Sie fordern verstärkte Grenzüberwachung – mitgewirkt, der eine so breite soziale Dimension bein- die Union hat gerade erst den entsprechenden Antrag der haltet hat: von der Rente über die Pfege bis hin zur Ge- AfD abgelehnt. sundheit. ( [AfD]: Also Sozialdemokra- (Beifall bei der AfD) tie!) Wir brauchen nicht vor allem zentrale Aufnahmestel- (B) Das gilt auch für den Wohnraum. Ich sage in aller Kürze: len, sondern eine Klärung, wer überhaupt zum Grenz- (D) Für mich ist die Entwicklung unserer Mieten das soziale übertritt berechtigt ist. Antwort: Niemand ist berechtigt, Problem heute und für die Zukunft. unter Berufung auf Schutzgründe den Grenzübertritt nach Deutschland oder von der Türkei oder Libyen nach (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Europa zu verlangen – die Leute sind schon in Sicherheit. Auch 2015 gab es für die Migranten im sicheren Ungarn Da ist neben anderen Dingen die richtige Antwort, dass natürlich keine „humanitäre Ausnahmesituation“. Und wir genügend Wohnraum und mehr Gleichgewicht im im Koalitionsvertrag steht nur, der „steuerbare Teil der Markt schafen. Deshalb ist es gut, dass wir 50 Prozent Zuwanderung“ werde 220 000 nicht übersteigen. Jährlich mehr Wohnungen bauen werden als in der letzten Legis- sollen also zwei Großstädte einwandern. Wer baut denn laturperiode, nämlich 1,5 Millionen Wohnungen. Dieses diese Städte Jahr für Jahr? Und Herr Schulz sagt: Wenn Thema wird bei uns im Ministerium kein Anhängsel sein, es mehr sind, sind es halt mehr. – Nichts mit Obergrenze, sondern ein Schwerpunkt. alles Etikettenschwindel! Das Gebot der Stunde, meine Damen und Herren, ist: (Beifall bei der AfD) Ärmel hochkrempeln und anpacken! Nicht nur die Si- tuation beschreiben, sondern sich für die Menschen mit Gemäß Dublin IV soll es reichen, zu behaupten, man ihren Sorgen und Ängsten in unserem Land einsetzen, hätte eine Verbindung zu jemandem in Deutschland – ein und bei aller Weltofenheit, die uns auch prägt, Politik Familiennachzugsprogramm für Parallelgesellschaften, auch mit dem Herzen zu machen! Meine Erfahrung über ein Aufbauprogramm für Clanbildung, Hauptsache, die viele Jahrzehnte ist: Nur dann, wenn man Politik mit dem UN-Replacement-Migration kommt voran. Herzen macht, gelingt sie gut. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beatrix von Storch [AfD]: Aber Verstand ist NEN]: Woher nehmen Sie all den Hass, echt? auch gut!) Woher haben Sie den eigentlich? Echt traurig!) Das alles ist ehrgeizig. Aber das ist mein Anspruch, und Wer hat uns gefragt, ob wir ein „historisch einzigar- dem fühle ich mich verpfichtet. Ich kann Ihnen zusi- tiges Experiment“ möchten, „eine monoethnische … chern: Die Koalition wird liefern. Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln“, wie Danke. der Politologe Yascha Mounk formulierte? Zitat: „Das kann klappen, … aber dabei kommt es natürlich auch (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – zu vielen Verwerfungen.“ Ach ja, Maria, Mia, Mireille, Beifall bei der SPD) bestialisch ermordete Mädchen, sind jetzt Verwerfungen 2150 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Gottfried Curio (A) eines Experiments. Welch abscheulicher Hochmut einer kräfte – Polizisten, Gerichte, Lehrer –, permanent Mes- (C) Lenkungskaste! serattacken, in Berlin sieben pro Tag. (Beifall bei der AfD) Schluss mit der Verharmlosung: „nur ein Einzelfall“, „nur Beziehungstat“. Nein! Sozialisierung in Frauenver- Bis vor kurzem war Deutschland noch ein Land und achtung mündet in tödliche Gewalt. Marias Mörder: „Es nicht ein Gelände, wo jeder sein eigenes Rechts- und war ja nur eine Frau“. Abschiebung rettet Leben, aber es Kultursystem lebt. Wer sich im Islam um Reformen be- geschieht nicht. NRW-CDU-Innenminister Reul meint: müht, steht unter Todesdrohung; einen liberalen Islam Die Bürger werden sensibler sein müssen. Man muss wird es nicht geben. Die Verurteilung von islamistischem nicht Menschen nah an sich ranlassen. – Eine ungeheure Terror durch Imame fehlt aufallend. Der Koran selbst Verantwortungslosigkeit! Wir warnen: Masseneinwande- sagt: Tötet die Ungläubigen, sie sind schlimmer als das rung heißt auch Messereinwanderung. Vieh; wenn Frauen sich aufehnen, schlagt sie; nehmt nicht Juden und Christen zu Freunden; Allah hat die Un- (Beifall bei der AfD) gläubigen verfucht und für sie die Flamme bereitet. – Das, Herr Maas, ist Hass. Thilo Sarrazin hat gewarnt: „Deutschland schaft sich ab“. Frau Merkel sagt: „Wir schafen das!“ und Diese Hetze soll jetzt Schulfach werden; wir produ- zieren sehenden Auges tickende Zeitbomben: Unterricht (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) in Demokratieverachtung für künftige Gefährder. Auch „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu die gewaltsame Missionierung der Ungläubigen ist gültig müssen … dann ist das nicht mein Land.“ Wir sagen: Es bleibender Auftrag Allahs, und so wird er auch verstan- ist auch nicht Ihr Land. Sie dürfen es verwalten. den: Zwei Drittel der europäischen Muslime fnden reli- giöse Gebote wichtiger als unsere Gesetze. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der AfD) Markus Söder sagt, der „Islam ist Bestandteil Bay- Man kann nicht hingehen und sagen: Ich bin so barm- erns“, nach Frau Merkel gehört er zu Deutschland. Gehört herzig, ich spendiere einmal das Firmenvermögen. – Das aber die Aufteilung der Welt in Gläubige und Ungläu- gehört Ihnen nicht. Wollen wir Asylmissbrauchsparadies bige zu Deutschland? Gehört der Dschihad zu Deutsch- sein – oder Sozialstaat für unsere Bürger? Zuwande- land, die Vielehe, die Todesstrafe für Glaubenswechsel, rungsland für Analphabeten – oder Wohlstand sichern? Körperstrafen für Ehebrecher und Alkoholtrinker, das Es steht Ihnen schlecht an, erst Europa und Deutschland spalten, aber dann Zusammenhalt beschwören. (B) Züchtigungsrecht für Ehemänner gegenüber ihren Frau- (D) en – „schlagt sie“ –, gehört das zu Deutschland? Die (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Volksverhetzung gegenüber Andersgläubigen – „schlim- mer als das Vieh“ –, der militante Missionsauftrag, die Wenn Sie sagen, aus Illegalen machen wir Legale, Tötungsaufrufe, all das ist laut Koran nicht interpretier- dann, meine Damen und Herren, spricht das allem Recht bar, sondern direktes, allgültiges Gotteswort. Gehört ir- und Gesetz Hohn. Das war alles auf Basis von Unrecht, gendetwas davon zu Deutschland? Für drei Viertel der hier wird ständig nur Unrecht zementiert – es gehört aber Deutschen gehört der Islam nicht zu Deutschland. Die rückgängig gemacht. AfD gibt diesen Menschen eine Stimme. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Es darf keine Parallelgesellschaft geben, die Werte und Der Islam ist untrennbar mit der Scharia verbunden. Gesetze des Landes nicht achtet; schon gar nicht darf es Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam dergleichen auf der Regierungsbank geben. sagt: Ich danke Ihnen. … es ist verboten, einem anderen das Leben zu neh- men, außer wenn die Scharia es verlangt. (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für ein Erdogan sagt: Es gibt keinen Islam und Islamismus. Es ekelhaftes Zeug!) gibt nur einen Islam. – Und ja, der in der Schule gelehrte Koran und der von den Salafsten verteilte ist derselbe.

Der Islam gehört doch eben nicht vor allem deshalb nicht Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zu Deutschland, weil wir hier historisch-christliche Feste Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Eva Högl, feiern; er ist nicht Gegensatz zum Christentum, sondern SPD-Fraktion. zur Rechtsstaatlichkeit, er ist nicht mit dem Grundgesetz (Beifall bei der SPD) vereinbar.

(Beifall bei der AfD) Dr. Eva Högl (SPD): Die Sicherheitslage ist ein Desaster. Gefährderaus- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und weisung: Fehlanzeige; Salafstenverbot: Fehlanzeige. Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Straftaten gegen Deutsche – generell Deutschenfeind- haben mit unserem Koalitionsvertrag eine wirklich gute lichkeit – nehmen zu, auch Verachtung der Ordnungs- Grundlage für die Innenpolitik, für gesellschaftlichen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2151

Dr. Eva Högl (A) Zusammenhalt, für die Stärkung der Demokratie und für hörden, beim Zoll und auch bei den Rettungskräften und (C) unseren Rechtsstaat gelegt. allen, die mit Blaulicht zu tun haben. (Zuruf von der AfD: April, April!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir knüpfen damit an unsere erfolgreiche Politik in der Ich sage sehr deutlich, meine Damen und Herren, dass letzten Legislaturperiode an; Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Hetze und Ausgrenzung (Lachen bei der AfD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das glauben Sie wohl selber nicht!) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Völkisch fehlt noch!) denn wir haben hier unter schwierigen Bedingungen ge- weder hier in diesem Parlament noch in unserer Gesell- meinsam viel auf den Weg gebracht. schaft einen Platz haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Für die SPD-Bundestagsfraktion sage ich deswegen: der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Herr Seehofer, wir freuen uns auf die Zusammenarbeit GRÜNEN) mit Ihnen. Ich möchte auch die Gelegenheit nutzen, dem Wir werden gemeinsam alles daransetzen, diese Hetze bisherigen Bundesinnenminister Thomas de Maizière und diesen Rassismus und Rechtsextremismus ganz kon- ganz herzlich für die gute Arbeit und sein Engagement sequent zu verfolgen. zu danken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist ein Ich sage das insbesondere heute, 85 Jahre nach der muti- sicheres Land. gen und bemerkenswerten Rede von Otto Wels zum Er- mächtigungsgesetz. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Auf dem Index ab- gestürzt!) (Lachen des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) Das ist der Erfolg und das Ergebnis unserer besonnenen, sachlichen und sehr pragmatischen Innenpolitik hier im Wir werden alles daransetzen, unsere Demokratie zu Deutschen Bundestag. stärken, und alle unterstützen, die daran mitwirken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir haben uns im Koalitionsvertrag für diese Legisla- (B) der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und (D) turperiode vorgenommen, etwas weniger Gesetzgebung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kay zu machen, als wir das in der letzten Legislaturperiode Gottschalk [AfD]: Treten Sie zurück!) gemacht haben und machen mussten. Vielmehr wollen wir uns darauf konzentrieren, die vielen guten gesetz- Deswegen bringen wir hier sehr bald einen Antrag auf lichen Grundlagen, die wir haben, sehr engagiert anzu- den Weg, um die NPD von der staatlichen Parteienfnan- wenden und umzusetzen. zierung auszuschließen. Wir werden Prävention stärken und Demokratieförderung auf eine stabile fnanzielle Grundlage stellen. Und wir werden einen Antisemitis- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: musbeauftragten oder eine Antisemitismusbeauftragte Frau Kollegin Högl, gestatten Sie eine Zwischenfrage benennen, um ein klares Signal zu senden, dass auch das der Kollegin von Storch? in unserer Gesellschaft keinen Platz hat. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Dr. Eva Högl (SPD): Braun [AfD]) Nein. Für die SPD-Fraktion sage ich sehr deutlich, dass wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) uns über die deutlichen Worte der Bundeskanzlerin am Mittwoch gefreut haben, durchaus auch über die Selbst- Deswegen ist ein zentrales Projekt dieser Legisla- kritik bei dem ganzen Thema „Flucht, Migration und In- turperiode der Pakt für den Rechtsstaat. Wir wollen ge- tegration“, und über die ehrliche Analyse. Ich möchte ei- meinsam mit den Bundesländern die Politik spürbar ver- nen Punkt aus diesem Komplex herausgreifen, der für die bessern und Polizei, Justiz und die Sicherheitsbehörden SPD-Fraktion sehr wichtig ist – wir freuen uns, dass wir besser ausstatten. Das betrift also Personal, Ausrüstung, das als gemeinsames Projekt auf den Weg bringen –: das Gebäude, IT-Infrastruktur, aber auch Arbeitsbedingun- Einwanderungsgesetz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gen, efziente Verfahren und natürlich die Zusammenar- es ist überfällig, dass wir ein Einwanderungsgesetz be- beit der Behörden. kommen. Wir freuen uns, dass wir das verabredet haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Wir wollen Einwanderung steuern und ordnen. Wir wol- Deshalb an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön len legale Einwanderung ermöglichen – nach klaren Kri- an all diejenigen, die sich jeden Tag für unsere Sicher- terien. Damit ist Einwanderung planbar. Wir wollen auch heit in unserem Land engagieren: in den Sicherheitsbe- die Vorschriften vereinfachen. 2152 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Eva Högl (A) Ein paar letzte Bemerkungen zum Thema Europa: Der zweite Großkonfikt betrift das Thema Einwan- (C) Unsere ofenen Grenzen – Herr Seehofer hat es ange- derung. Wenn man sie falsch macht, kann sie die libera- sprochen – sind ein hohes Gut und eine Errungenschaft len Gesellschaften des Westens spalten, innerlich und un- in Europa. Das gilt es zu bewahren. Deswegen muss tereinander. Deshalb ist es natürlich richtig, insbesondere unsere gesamte Anstrengung natürlich dahin gehen, die in die humanitär bedingte Zuwanderung mehr Ordnung Außengrenzen zu stärken und zu sichern. Aber das heißt zu bringen. Mehr Ordnung schaft man übrigens nicht, auch: Wir müssen unser Engagement in diesem Bereich indem man die Flüchtlingskrise zu einem Geschenk für verstärken, damit genau das möglich ist. Das erwarte ich die eigene Partei erklärt, lieber Herr Gauland. von der neuen Koalition. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Für mehr Ordnung sorgt man vielmehr mit klaren Re- Wir müssen den Datenaustausch in Europa inten- geln und indem man das Recht anwendet. Ich muss sa- sivieren – auch das ist ein wichtiger Baustein für eine gen: Dort, wo die FDP Regierungsverantwortung trägt, bessere Zusammenarbeit –, und ein echtes, wirksames in Nordrhein-Westfalen, werden Gefährder konsequenter Asylsystem auf den Weg bringen, das aufgebaut ist auf abgeschoben als in jedem anderen Bundesland, konse- Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und nicht wie quenter übrigens auch als in Bayern. das bisherige Dublin-System funktioniert. (Beifall bei der FDP) Meine letzte Bemerkung, liebe Kolleginnen und Kol- legen: Wir wollen unsere Freiheit gemeinsam bewahren Was mir bei der Einwanderungsfrage allerdings zu und schützen. Wir wollen Sicherheit gewährleisten. Das kurz kommt, ist ein ofensiverer Umgang mit dem The- gibt es nur mit mehr Europa und nicht mit weniger Euro- ma. Frau Högl, Sie haben natürlich recht: Als Innovati- pa in der Innenpolitik. onsstandort brauchen wir Zuwanderung. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Vielen Dank. (Zuruf von der AfD: Wir brauchen Kinder! – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gegenruf des Abg. Manuel Höferlin [FDP]: der CDU/CSU) Dann machen Sie welche!) Wir brauchen qualifzierte Zuwanderung. Aber dann darf Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: man doch nicht nur davon reden, die besten Talente der Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Marco Welt zu uns einzuladen, dann muss man doch auch für Buschmann, FDP. Normenklarheit sorgen. Das, was Sie Einwanderungs- (B) (D) (Beifall bei der FDP) gesetz nennen, ist doch nur eine Zusammenfassung des Bisherigen. Kein Punktesystem, keine Vereinfachung, kein Mehr an Transparenz – das ist zu wenig, um die bes- Dr. Marco Buschmann (FDP): ten Talente nach Deutschland einzuladen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, auf Sie (Beifall bei der FDP – Stephan Thomae kommt es eigentlich an; denn Sie und Ihr Haus stehen [FDP]: Um nicht zu sagen: nichts!) im Zentrum der gesellschaftlichen Großkonfikte unserer Transparenz ist übrigens nicht nur eine Frage unseres Gegenwart. Davon möchte ich drei hier ansprechen. Interesses an den besten Talenten der Welt; es ist auch Der erste betrift die Frage, wie wir die innovativen Da- humanitär besser. Denn wenn wir aufgrund eines kompli- tendienstleistungen der Digitalisierung mit dem Schutz zierten Rechts den Menschen auf der Welt, die glauben, der Privatsphäre verbinden. Dieses Thema ist nicht neu; sie hätten hier eine Chance auf dem Arbeitsmarkt – ohne aber es hat in den letzten Tagen eine völlig neue Qualität dass sie eine haben –, diese falsche Hofnung nicht neh- erhalten. Mit dem Facebook-Skandal ist eines klar ge- men, begeben sie sich in die Hände von Schleppern und worden: Wenn Millionen von Datensätzen missbräuch- Kriminellen. Deshalb bedeutet Normenklarheit auch, lich genutzt werden, um Wahlen zu manipulieren, dann Menschenleben zu retten. Da stehen Sie in der Pficht. geht es um mehr als den Schutz der Privatsphäre. Es geht (Beifall bei der FDP) um die res publica. Das ist eine öfentliche Angelegen- heit, weil es um die Integrität der liberalen Demokratie Herr Seehofer, das dritte Thema, das auch Sie ange- geht. Dass Sie das ofenbar nicht interessiert – das zeigen sprochen haben, ist der Umgang mit dem islamistischen Sie, indem Sie mir den Rücken zuwenden – und dass der Fundamentalismus. Ich stehe nicht hier, um Sie zu be- für Datenpolitik und Datenschutz zuständige Fachminis- lehren; das wäre unangemessen. Aber ich möchte Sie, ter kein einziges Wort dazu gesagt hat, ist das stärkste insbesondere nach den ersten Tagen Ihrer Amtszeit, auf Argument dafür, dass wir endlich ein Digitalministerium den Maßstab hinweisen, den einer der erfolgreichsten brauchen. Kämpfer gegen den islamistischen Terrorismus Ihnen ins Stammbuch schreiben würde; ich meine unseren libe- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Britta ralen ALDE-Parteifreund Bart Somers. Bart Somers ist Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – zum besten Bürgermeister der Welt gewählt worden, Manuel Höferlin [FDP]: Desinteressse an dem Parlament! Desinteressiert an dem Thema! (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Bezeichnend!) GRÜNEN]: Zu Recht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2153

Dr. Marco Buschmann (A) unter anderem, weil er das Übel des islamistischen Fun- glaubwürdig. (C) damentalismus in seiner Stadt Mechelen praktisch aus- Herr Seehofer, mit Ihrer pauschalen Ausgrenzung des gerottet hat. Bart Somers hat über diesen Erfolg ein Buch Islam haben Sie für die beste Propaganda gesorgt, die geschrieben, in dem er uns drei Hinweise gegeben hat, sich der IS nur wünschen kann. Ein deutscher Innenmi- worauf dieser Erfolg basiert. nister hat die Aufgabe, den IS zu schwächen, und nicht, Erstens. Der liberale Verfassungsstaat basiert auf den ihn zu stärken. Freiheitsrechten. Wer im Konfikt als Erstes die Frei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- heitsrechte einschränkt, statt sie zu verteidigen, macht ten der SPD, der LINKEN und des BÜND- den liberalen Verfassungsstaat unglaubwürdig. NISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Gauland [AfD]: Da sagt der Seehofer mal was DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli Nissen Richtiges, und dann ist es auch wieder falsch! [SPD]) Ist ja fürchterlich!) Er stärkt ihn nicht, er schwächt ihn. Er sorgt für Was- Deshalb bleibt in der Summe stehen: Sie sind ein ser auf die Mühlen seiner Gegner. Von der Verteidigung Mann, groß von Statur, groß in der Ambition, groß im der Freiheitsrechte liest man in Ihrem Koalitionsvertrag Hunger nach neuen Stellen, aber in das Amt eines Bun- nichts. Sie erhalten sogar die verfassungswidrige Vor- desinnenministers müssen Sie noch hineinwachsen. ratsdatenspeicherung aufrecht. Da kann ich nur sagen: Wir sehen uns vor dem Bundesverfassungsgericht wie- (Beifall bei der FDP) der, Herr Minister. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Fraktion Die Linke. GRÜNEN – Manuel Höferlin [FDP]: Erneut! Schon wieder zu dem Thema!) (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Recht, das gilt, muss durchgesetzt werden – völlig klar. Da helfen keine Paragrafen, da hilft nur mehr Dr. André Hahn (DIE LINKE): Personal – völlig klar. Aber dass Sie als erste Amtshand- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! lung der neuen Regierung Ihre Ministerien aufgebläht Unsre Heimat, das sind nicht nur haben und dafür über 200 Planstellen im Bereich des Zoll die Städte und Dörfer, und der inneren Sicherheit gestrichen haben, ist ein fata- unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald. (B) les Signal. Das ist doch in sich widersprüchlich. Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, (D) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem das Korn auf dem Feld BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde, Sie reden von Grenzkontrollen und nehmen dem Zoll das und die Fische im Fluß sind die Heimat. Personal. Sie reden von innerer Sicherheit und nehmen Und wir lieben die Heimat, die schöne, den Zuständigen das Personal. Das ist doch das falsche und wir schützen sie, Signal. weil sie dem Volke gehört … Drittens – das ist, meine ich, der absolut wichtigste (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wunderbar! Punkt –: Der liberale Verfassungsstaat ist dem Funda- Das waren schöne Zeiten! – Katrin Göring- mentalismus, gerade dem islamistischen, deshalb überle- Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gen, weil er allen Menschen eine Heimat bietet, die sich haben wir in der Schule gelernt!) an seine Regeln halten, und zwar unabhängig davon, an welchen Gott sie glauben oder ob sie überhaupt an einen Für all jene Dinge, die in diesem Kinderlied aus Gott glauben. Wie wichtig das ist, möchte ich Ihnen nicht DDR-Zeiten aufgezählt werden, haben wir nun einen vorenthalten; das hat nämlich Bart Somers in seinem Heimatminister, Buch sehr ausführlich beschrieben. Der Fundamentalis- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE mus, schreibt Somers, GRÜNEN]: Sehr gut!) … zählt auf diejenigen Kräfte im Westen, die eben- der genau das schützen soll. so wie er glauben, dass wir einen Zusammenstoß der Kulturen erleben. Seine Hofnung ruht auf solchen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Gruppen, die nach einem harten Vorgehen rufen … GRÜNEN]: Ja, die Fische im Wasser!) und auf Menschen, die Muslime als fünfte Kolonne Ganz nebenbei ist Herr Seehofer als Minister in der darstellen. Mini-GroKo aber auch noch für die innere Sicherheit, Weiter schreibt Somers: die Terrorabwehr, die Bundespolizei, das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundesamt für Migration und Denn wenn wir Muslime zu Feinden erklären – sub- Flüchtlinge, die wichtigen Politikfelder Bauen und Woh- til oder explizit –, tun wir genau das, was sie schon nen und nicht zuletzt auch noch für den Leistungssport seit Jahren herumposaunen: Wir machen sie zuständig. Herr Seehofer ist gerade einmal eine Woche – er meint die Fundamentalisten – im Amt und hat schon mit seinen ersten Positionierungen 2154 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. André Hahn (A) zu diversen Themen für erhebliche Aufregung und auch Es ist Heuchelei, wenn man sich als Christ bezeich- (C) für Irritationen gesorgt. net und gegen Menschen ist, die bei uns Zufucht suchen. Im Bereich des Innenministeriums gibt es viele Punk- te, zu denen der neue Minister hätte Position beziehen (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- können: verstärkte Anstrengungen zur Integration zu NIS 90/DIE GRÜNEN) uns gekommener Flüchtlinge, klare Beschränkung ge- heimdienstlicher Kompetenzen, neue Standards für Wer so agiert wie Horst Seehofer, der will nicht zusam- den Schutz der Daten der hier lebenden Menschen vor menführen, sondern spalten. Ausforschung und Manipulation und nicht zuletzt, wie Wenn es in diesem Zusammenhang um Heimat geht, er sich eine Stärkung der direkten Demokratie vorstellt, dann drängt sich mir immer mehr die Frage auf, ob Herr bis hin zur Einführung von Volksbegehren und Volksent- Seehofer wirklich geeignet ist, die Heimat zu schützen, scheiden auf Bundesebene. oder ob unser Land nicht vielmehr vor diesem Minister (Beifall bei der LINKEN) geschützt werden müsste. Welche Position bezieht Herr Seehofer eigentlich (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zu den laufenden Tarifverhandlungen im öfentlichen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Dienst? Wir als Linke unterstützen hier die Position von und des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] Verdi. [SPD]) (Beifall bei der LINKEN) Die bürgerrechtliche Bilanz der im Herbst abgewähl- ten Großen Koalition war schon unterirdisch. Mit der Die Beschäftigten im öfentlichen Dienst leisten eine Vorratsdatenspeicherung – die Kollegen von der FDP ha- wichtige und gute Arbeit und haben die geforderten Ge- ben sie schon erwähnt –, der Fluggastdatenspeicherung haltserhöhungen redlich verdient. und der Neuregelung der Ausland-Ausland-Fernmelde- (Beifall bei der LINKEN) aufklärung des BND haben Union und SPD vor allem auf die massenhafte Speicherung und Auswertung von Daten Schließlich, Herr Seehofer: Wie wollen Sie das Tech- ins Blaue hinein gesetzt. Der neue Koalitionsvertrag ist nische Hilfswerk und die Feuerwehren in unserem Land im Kern die Fortsetzung dieser Agenda. Die Bundesbe- unterstützen? Wie stehen Sie als Minister generell zu hörden sollen weiter gestärkt und ausgebaut werden. Es bürgerschaftlichem Engagement und nicht zuletzt auch geht nicht um bessere Koordination oder Unterstützung zu Initiativen gegen Rassismus, Antisemitismus und der Landesbehörden, sondern um eine Führungsrolle des Rechtextremismus? Zu alledem habe ich von Ihnen, Herr Bundes bis hin zu einem Direktionsrecht, beispielswei- (B) Seehofer, kein einziges Wort gehört – auch heute nicht. se gegenüber den Landesämtern für Verfassungsschutz. (D) Ein guter Start sieht sicher anders aus. Damit legen die Koalitionäre nicht nur die Axt an die Grundrechte, sondern auch an die föderalen Wurzeln un- (Beifall bei der LINKEN) serer Sicherheitsarchitektur. Was Herr Seehofer in verschiedenen Interviews ge- Beim Datenschutz herrscht Rat- und Tatenlosigkeit. sagt hat, ist in der Regel an den tatsächlichen Proble- Jede Woche, Herr Seehofer, erscheinen in überregiona- men der Menschen in diesem Land vorbeigegangen. Sie len Zeitungen Artikel, in denen die Schwierigkeiten bei wollen hier den Hardliner mimen, und ich befürchte fast, der Umsetzung der EU-Datenschutz-Grundverordnung dass das zumindest bis zur bayerischen Landtagswahl so gerade für kleinere Unternehmen beklagt werden. Und weitergehen wird. die Koalition? Die Koalition will eine Evaluation der Was aber war nun von Herrn Seehofer zu vernehmen? Verordnung im Jahr 2019 abwarten. Mehr haben Union Viereinhalb Millionen Menschen muslimischen Glau- und SPD zu diesem komplexen Thema nicht zu sagen. bens gehören seiner Ansicht nach nicht zu Deutschland, Stattdessen wollen Sie eine Debatte über Dateneigen- selbst dann nicht, wenn sie zum Teil seit Jahrzehnten tum führen. Ofensichtlich hat diese Koalition nicht ver- hier leben. In diesem Punkt hat die Bundeskanzlerin in standen, worum es beim Schutz von Daten geht: um den ihrer Regierungserklärung am Mittwoch erfreulicherwei- Schutz der Menschenwürde, um den Schutz eines pri- se Klartext gesprochen und ihren Innenminister in die vaten Kernbereichs, der weder vom Staat noch von Un- Schranken gewiesen. ternehmen berührt werden darf. Wer „Dateneigentum“ (Beifall bei der LINKEN – Dr. Eva Högl und „Datenrecht“ sagt, der spricht eben nicht mehr von [SPD]: Sehr gut!) Daten„schutz“, sondern der will diesen inneren Bereich zum Objekt staatlicher Ausspähung und kommerzieller Der CSU-Chef spricht jedoch weiter von massenhaf- Ausbeutung machen. Wir als Linke wollen das nicht. tem Asylmissbrauch, ohne dafür einen Beleg zu nennen, und kündigt einen Masterplan für Abschiebungen an. Er (Beifall bei der LINKEN) plädiert für die Fortsetzung innerdeutscher Grenzkon- Ganz nach vorn stellen Sie neue Stellen bei den Poli- trollen und will Obergrenzen für Flüchtlinge, obwohl es zeien des Bundes und der Länder. Doch die ganze Ver- laut Grundgesetz keine Obergrenze für die Aufnahme einbarung ist an vielen Stellen ein ungedeckter Wechsel. von Menschen in Not geben kann. Es ist noch gar nicht lange her, dass alle an einer neuen Papst Franziskus hat absolut recht, wenn er zu diesem Regierung beteiligten Parteien in den Ländern bei der Po- Thema sagt: lizei massiv Personal abgebaut haben. Das geschah unter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2155

Dr. André Hahn (A) dem Druck von Schuldenbremse und fehlenden Steuer- weder die geplante Leistungssportreform noch deutliche (C) einnahmen der Länder. Von denen wird nun aber erwar- Verbesserungen im Breitensport gelingen. tet, dass sie bei der Polizei 7 500 neue Stellen schafen. Woher die Länder die fnanziellen Mittel dafür nehmen Was bleibt nun also nach Koalitionsvertrag und Re- sollen, verraten Sie nicht. gierungserklärung im innenpolitischen Bereich zu kons- tatieren? Mehr Law and Order, mehr und zum Teil höchst Herr Seehofer will und soll ja nun bekanntlich ein Su- umstrittene Befugnisse für Polizei und Geheimdienste, perministerium führen, zu dem auch der Bereich Bauen Aushöhlung des Datenschutzes, weniger Bürgerrechte und Wohnen gehört. Um dem Wohnraummangel zu be- und weniger Mitbestimmung statt einer Stärkung direk- gegnen, setzt die kleine GroKo vor allem auf Neubau und ter Demokratie. All das will die Linke nicht. Deshalb Wohneigentumsbildung. Die in diesem Zusammenhang müssen Sie, Herr Seehofer, in den kommenden Jahren geplanten Steuererleichterungen über Sonderabschrei- mit unserem entschiedenen Widerstand gegen eine derar- bung und einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer tige Politik rechnen. oder auch eine neue Eigenheimzulage bedeuten letztlich milliardenschwere Subventionen ohne jegliche Sozial- Herzlichen Dank. bindung. Wir als Linke halten das eindeutig für den fal- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- schen Weg. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Die neue alte Koalition hat die Brisanz der Wohnungs- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: not als soziale Frage noch nicht einmal ansatzweise er- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Konstantin von kannt. Mit den geplanten Schwerpunktsetzungen wird Notz, Bündnis 90/Die Grünen. der Mangel an bezahlbaren, barrierefreien und umwelt- gerechten Wohnungen defnitiv nicht auszugleichen sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die minimalen Verbesserungen bei der Mietpreisbremse oder der Modernisierungsumlage sind reine Symbolpo- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- litik NEN): (Sören Bartol [SPD]: Das sind sie eben Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- nicht!) ren! Die freiheitlich-demokratische Grundordnung unse- res Landes steht unter Druck, und zwar von außen und und helfen den allermeisten Mieterinnen und Mietern lei- von innen. der nicht. Wie das von innen geschieht, Herr Curio, das konnte (B) Meine Damen und Herren, der neue Innenminister ist (D) man hier heute wieder gut sehen bei Ihrem zwanghaften schließlich auch für den Sport zuständig, wobei das ein Zitieren aus dem Koran. Man möchte Ihnen raten: Gehen Gebiet ist, von dem er nun wahrlich keine Ahnung hat. Sie freitags einfach einmal in die Moschee, wenn Sie die- (Widerspruch des Abg. Stefan Müller [Erlan- ses Bedürfnis haben. gen] [CDU/CSU]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Als bayrischer Ministerpräsident hat sich Herr Seehofer sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP diesbezüglich wahrlich keine Meriten erworben. Eine und der LINKEN) Delegation des Sportausschusses war in der letzten Le- gislatur gemeinsam mit unter anderem Ich habe keine Ahnung, woher Ihr ganzer Selbsthass, Ihr in Ruhpolding, Königssee und Inzell. Wir waren frak- ganzer Hass kommt, aber verschonen Sie dieses Haus mit tionsübergreifend entsetzt, wie wenig fnanzielle Mittel pauschalen Verurteilungen von Millionen von Menschen seitens des Landes Bayern zur Unterstützung des Leis- in unserem Land. Das ist unerträglich. tungssports bereitgestellt wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Kommunen, in denen sich große Sportanlagen und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der wie Skisprungschanzen, Bobbahnen oder Eishallen be- CDU/CSU, der FDP und der LINKEN – Be- fnden, wurden jedenfalls sträfich alleingelassen. Das atrix von Storch [AfD]: Das ist die Tatsache!) macht wenig Hofnung, dass gerade Horst Seehofer nun Herr Seehofer, in Ihrem Verantwortungsbereich gibt auf Bundesebene dem Spitzensport und auch dem Behin- es wirklich Probleme genug. Im zentralen Feld der Inte- dertensport die Gelder bereitstellen wird, die dort drin- gration: keine konsequente Strategie, keine ausreichende gend benötigt werden. Finanzierung. Bei der Riesenbehörde BAMF: keine sau- Die vollmundig angekündigte große Leistungsspor- beren Abläufe, keine Transparenz, hohe Unzufriedenheit treform wurde bislang weitgehend am Parlament vorbei der Mitarbeiterschaft. Klar, es ist gut, dass es der „Pakt durchgedrückt. Das darf so nicht bleiben. Der Sportaus- für den Rechtsstaat“ aus den Jamaika-Sondierungen in schuss muss hier endlich als Partner einbezogen werden. den GroKo-Koalitionsvertrag geschaft hat; aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass es Jahre dauern und zu- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Er- nächst Personal binden wird, bis man diese Stellenzahlen hard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) erreicht hat. Da ist es nicht nur für den freien Güterver- Natürlich brauchen wir jetzt schnelle Entscheidungen; kehr und für die Freizügigkeit der Menschen problema- denn ohne spürbare fnanzielle Untersetzung werden tisch, dass Sie mal eben so geschlossene Grenzen in den 2156 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Konstantin von Notz (A) Raum stellen, Herr Seehofer. Wie es der GdP-Vize Jörg Sie dürfen nicht weiter relativiert werden, weder (C) Radek so schön sagt: analog noch digital. Die IT-Sicherheit und der Schutz unserer persönlichen Daten, das sind zentrale Zukunfts- Wir brauchen kein Zurück hinter die Schlagbäume. themen. Ausgerechnet diese Bereiche sind von den letz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten Bundesregierungen sträfich vernachlässigt worden. Deswegen brauchen wir endlich eine echte Kehrtwende Herr Innenminister, Flüchtlingsunterkünfte werden im Bereich der IT-Sicherheit. Wir müssen weg von der angegrifen, Moscheen brennen. Fast täglich geschehen anlasslosen Massenüberwachung und vom staatlichen in diesem Land schwerste Verbrechen. Das Erste, was Ankauf und der Nutzung von Sicherheitslücken. Die man von Ihnen hört, ist: Antworten sind: konsequente Verschlüsselung und die Der Islam gehört nicht zu Deutschland. staatliche Gewährleistung der Integrität unserer digitalen Infrastruktur. Sie geben Interviews, Zeitungen schreiben Überschrif- ten. Dabei ist kein einziges Problem in diesem Land ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) löst, ganz im Gegenteil: Sie säen Zwietracht, Sie schwä- Dieses Parlament trägt Verantwortung für die gleich- chen den Zusammenhalt, Sie spalten. wertigen Lebensverhältnisse in Stadt und Land, in Ost (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und West, in Nord und Süd. Ein schneller Internetzu- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gang – auch auf dem Land –, bezahlbarer Wohnraum – auch in der Stadt –, und verlässlicher öfentlicher Nah- Religion und Religionsfreiheit – das ist jetzt ein guter verkehr überall: Dafür hat der Staat eine unmittelbare Punkt für die AfD –, und zwar die positive und die ne- Verantwortung. Aber man wird die Probleme, die wir da gative, sind von zentraler Bedeutung für den säkularen haben, nicht mit dem Begrif „Heimat“ zukleistern kön- Rechtsstaat. nen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Frage ist: Welche Voraussetzungen muss der Staat sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- schafen, damit Menschen Heimat fnden und auch emp- KEN) fnden können? Das ist ein wichtiger Punkt. Dem stimme Die Stärke unseres Landes ist seine Pluralität, auch die ich zu. Aber wenn Sie dieses Parlament zu einer kleinka- religiöse. Deswegen ist es richtig, wenn die Kanzlerin rierten Weißwurschtbude machen wollen, Herr Seehofer, sagt: sind wir nicht dabei. Deutschland, das sind wir alle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (B) Wenn ein Bundesinnenminister das infrage stellt, den (D) Zusammenhalt schwächt, Ressentiments schürt, dann Dass Sie sich präventiv und ohne belastbares Arbeits- schwächt das unser Land. programm erst einmal weitere 100 Beamtenstellen ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schenken, ofenbart eine ziemlich unmögliche großkoa- bei der FDP und der LINKEN) litionäre Selbstbedienungsmentalität. Wir werden diese Bundesregierung parlamentarisch innenpolitisch kritisch Als Bundesinnenminister kann man eben nicht Dauer- begleiten. Dort aber, wo Sie Grundrechte schleifen und wahlkämpfer für irgendeine Partei bei irgendeiner Land- die Pluralität unserer Gesellschaft infrage stellen, die tagswahl sein. Hier geht es um das ganze Land, und zwar Sicherheit vernachlässigen, oder auch wenn Sie spalten, von Freiburg bis Flensburg. Wenn Sie hier dauerhaft Par- werden wir uns mit allen demokratischen Mitteln dage- tikularinteressen vertreten wollen, dann sind Sie als Bun- genstellen. desinnenminister schlicht fehl am Platz, Herr Seehofer. Auf eine konstruktive Zusammenarbeit! Ganz herzli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen Dank. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie suggerieren, Sie hätten mit den letzten zwölf Jah- sowie bei Abgeordneten der FDP) ren Regierungspolitik nichts zu tun. Die Baustellen und Probleme, die wir in diesem Bereich haben, haben Sie Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: aber nicht geerbt, für die sind Sie mitverantwortlich; Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Mathias Middelberg, denn Sie haben in den letzten Jahren in all den Runden CDU/CSU. im Bundeskanzleramt mit dabeigesessen. Deswegen sage ich Ihnen: Nach dem Rechtsterror des Nationalis- (Beifall bei der CDU/CSU) tischen Untergrundes, dem NSA-Überwachungsskandal, dem schrecklichen Anschlag vom Breitscheidplatz steht Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): die Efektivität unserer Sicherheitsstruktur infrage. Das Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herzli- Fundament und der Kern unserer öfentlichen Sicherheit chen Dank: Die letzte Wahlperiode in diesem Haus war und Freiheit, das sind die Bürgerrechte und das ist unsere sicher eine Periode der Innenpolitik. Wer die Debatte Verfassung. Sie dürfen nicht weiter relativiert werden. bisher verfolgt hat, sieht: Auch die jetzt anstehende Le- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gislaturperiode wird zumindest für einen gewissen Zeit- sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- raum weiter eine Periode der Innenpolitik bleiben. Wir KEN) stehen weiter vor großen Herausforderungen im Bereich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2157

Dr. Mathias Middelberg (A) der Migration, der Integration, der Sicherheit, aber auch Es ist richtig – ich glaube, hat es in (C) des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Ich glaube, das der Debatte am Mittwoch gesagt –: Ohne sichere Außen- ist das, was Horst Seehofer eben zu dem Thema Heimat grenzen kann es keine ofenen Grenzen im Innern geben. beschrieben hat. Darum geht es im Kern bei dem Thema Heimat nämlich auch: um den gesellschaftlichen Zusam- (Beifall bei der CDU/CSU) menhalt. Deshalb ist es richtig, dass wir weiterhin mit intelligenten Maßnahmen unsere Binnengrenzen prüfen und checken, Der Koalitionsvertrag – da danke ich Eva Högl; sie hat solange wir an den Außengrenzen noch nicht wirksam das angesprochen – gibt ganz konkrete Antworten und geschützt sind. enthält ganz konkrete Punkte dazu, wie wir diese Pro- bleme angehen. Ich hätte mich gefreut, wir hätten in der Unser Ziel ist ein gemeinsames europäisches Asyl- Debatte heute mehr über diese ganz konkreten Probleme system. Auf dem Weg dorthin sind wir aber auf natio- und Aufgaben gesprochen. Das wäre sicherlich hilfreich nale Maßnahmen weiter angewiesen. Bundesminister gewesen. Seehofer hat die AnKER-Zentren für Aufnahme, Ent- scheidung und Rückführung angesprochen. In Zukunft (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sollen in diesen Zentren die Verfahren gebündelt und Ich will zwei Felder herausstellen – Migration und schneller durchgeführt werden. Möglichst von dort aus Integration – und auch auf das Thema Digitalisierung sollen auch Rückführungen stattfnden. Es ist richtig, eingehen. Von zentraler Bedeutung wird weiter das The- dass wir Asylsuchende ohne geklärte Identität nicht ma Migration sein, und wir geben auf unterschiedlichen weiter im Land verteilen. Wir wollen wissen, wer sich Ebenen unterschiedliche Antworten. in unserem Land aufhält. Diese Anforderung kann man stellen. Wir werden in diesem Zusammenhang auch das Die internationale Seite hat die Bundeskanzlerin, fn- Thema Altersfeststellung bei möglicherweise Minderjäh- de ich, sehr ehrlich und überzeugend in ihrer Regierungs- rigen angehen. erklärung am Mittwoch angesprochen, und zwar insbe- sondere das Thema Fluchtursachenbekämpfung. Einer der nächsten Punkte wird die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten sein. Ich begrüße ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zudem den Masterplan zur verstärkten Durchsetzung Abschottung!) der Ausreisepficht außerordentlich. Angesichts von 230 000 ausreisepfichtigen Personen, vieler Hunderttau- – Abschottung ist sicherlich nicht, wenn wir das Welter- send Asylklagen und einer wahrscheinlich wachsenden nährungsprogramm und den UNHCR vor Ort weiter un- Zahl dieser Personen ist dieses Thema dringlich. Ich sage terstützen, um damit die Ursachen dafür, dass Menschen Ihnen ganz ehrlich: Aus meiner Sicht ist die Durchset- (B) hungern und nicht ausreichend versorgt sind, zu bekämp- (D) zung des Asyl- und Flüchtlingsrechts keine Frage von fen, den Menschen vor Ort ganz konkret zu helfen und Härte oder von Menschlichkeit, sondern es ist in erster es ihnen möglich zu machen, dort vor Ort Zufucht zu Linie eine Frage der Glaubwürdigkeit unseres Rechts- nehmen, statt den Marsch durch ganz Europa anzutreten. staates. Das ist, fnde ich, eine ganz konkrete Hilfe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ordneten der SPD) Ihr habt zwölf Jahre regiert!) Wir beschädigen das Vertrauen in diesen Rechtsstaat und Dazu hat die letzte Bundesregierung, insbesondere die damit letzten Endes auch die Akzeptanz unseres Asyl- Bundeskanzlerin, ganz maßgebliche Beiträge geleistet. rechts, wenn es am Ende egal ist, ob jemand als Flüchtling Das ist der erste und wichtige Punkt, den wir in diesem anerkannt wird oder nicht, weil er ohnehin irgendwie in Zusammenhang einmal anerkennen sollten. Deutschland bleibt. Dies gilt insbesondere, wenn bereits (Beifall bei der CDU/CSU) Ausreisepfichtige strafällig werden oder eine Gefahr darstellen. Es geht deshalb am Ende nicht um harte oder Auch das EU-Türkei-Abkommen ist am Ende hilf- weiche Asylpolitik, sondern um das Vertrauen, dass das reich. Es gibt Kritik an diesem Abkommen – das hat Recht in diesem Staat gilt und auch durchgesetzt wird. auch die Kanzlerin klar und deutlich erwähnt –; aber es ist doch allemal besser, diesen Weg zu beschreiten, als (Beifall bei der CDU/CSU) dem Sterben in der Ägäis – das haben wir lange Zeit se- Herr von Notz, Sie haben gesagt, dass das Thema In- hen müssen – und dem Tun der Schlepper und Schleuser tegration im Koalitionsvertrag nicht angesprochen wer- tatenlos zuzusehen. Das ist doch eindeutig die bessere de bzw. zu kurz komme. Ich rate Ihnen zur Lektüre des Lösung. entsprechenden Kapitels. Dort stehen sehr dezidierte Pla- (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nungen und Vorhaben. Wir wollen eine Integrationsstra- Auch jetzt sterben Menschen!) tegie entwickeln, in der wir sämtliche Maßnahmen, die bisher zum Teil noch sehr unstrukturiert verlaufen und Richtig ist auch – das hat Horst Seehofer angespro- die unter den Ländern bzw. zwischen dem Bund und den chen –: Wir brauchen einen wirksamen Schutz der eu- Ländern nicht abgestimmt sind, zusammenfassen wollen ropäischen Außengrenzen. Wir müssen Frontex zu einer nach dem Grundsatz „Fördern und Fordern“. europäischen Grenzpolizei ausbauen. Ich möchte auf einen weiteren wichtigen, zentralen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Punkt zu sprechen kommen – Stichworte „Digitalisie- 2158 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Mathias Middelberg (A) rung“ und „IT“ –, und zwar im Zusammenhang mit der Veranlassung zu der Annahme, dass ein solches Gesetz (C) Kriminalitätsbekämpfung, auf die wahrscheinlich mein jetzt plötzlich verabschiedet werden sollte. Kollege Schuster nachher noch intensiver eingehen wird. Aber in einem sind wir uns einig: Die wichtigste Auf- Eine ganz zentrale Aussage des Koalitionsvertrags ist, gabe des Staates ist es, die Sicherheit und den Schutz dass wir gleichwertige Befugnisse der Sicherheitsbehör- seiner Bürger zu gewährleisten. Sie haben im Koaliti- den im Internet wie außerhalb des Netzes brauchen; das onsvertrag diesbezüglich eine ganze Menge Maßnahmen hat der Minister richtigerweise angesprochen. Das ist ein vereinbart, die aber größtenteils gar nicht erforderlich zentraler Schlüssel im Kampf gegen die Kriminalität im wären, wenn die Regierung diesen Auftrag in der vergan- und durch das Internet ebenso wie bei der Nutzung des genen Legislaturperiode ernst genommen und alles zum Internets für terroristische Propaganda oder die Planung Schutz der Bevölkerung getan hätte. von Anschlägen. Wir führen diese Diskussion schon län- ger und immer wieder, wenn wir über die sogenannte (Beifall bei der AfD) Vorratsdatenspeicherung oder über Onlinedurchsuchun- Aber die Regierung hat sich eben für das Gegenteil gen sprechen. Letztlich geht es um die Frage: Wollen wir entschieden. Sie hat ab September 2015 Hunderttausende rechtsfreie Räume im Internet dulden, oder stehen wir für Menschen unkontrolliert in unser Land gelassen und da- die Durchsetzung unserer Rechtsordnung, ob im „norma- mit die Sicherheitslage massiv verschlechtert. Frau Högl, len“ Leben oder im Netz? Für uns gilt Letzteres. ich bitte Sie, wachen Sie auf: Deutschland ist defnitiv Ich möchte mir unter dem Stichwort „Digitalisierung“ unsicherer geworden. noch einen Hinweis auf das Bürgerportal erlauben, um (Beifall bei der AfD) wenigstens anzudeuten, dass wir nicht nur über Sicher- heit und verwandte Themen sprechen, sondern auch über Durch diese Grenzöfnung hat sich die islamistische Ter- die Servicequalität, über das Bundesinnenministerium rorgefahr in Deutschland extrem erhöht. Wir hatten im als Bürgerministerium. Das einheitliche, digitale Bürger- Januar 2015 266 islamistische Gefährder im Land; jetzt portal wird für die Bürger von außerordentlich großem sind es 750. Die Zahl der islamistischen Terrorverfahren Nutzen sein. Die Bürger werden real erleben, dass sie hat sich seit 2015 verzehnfacht. Anis Amri hat einen ver- von der Digitalisierung proftieren. heerenden Terroranschlag mit zwölf Toten und Dutzen- den Schwerverletzten verüben können. Diverse andere (Beifall bei der CDU/CSU) Terroranschläge und -versuche wurden ebenfalls durch- In der letzten Wahlperiode gab es – das hatte ich ge- geführt. Unsere Großveranstaltungen, an denen wir vor sagt – auf den Feldern Migration, Integration, innere Si- 2015 gefahrlos teilnehmen konnten, müssen mittlerweile cherheit oder auch Digitalisierung viel zu tun. Das wird mit Betonpollern, schwerbewafneten Polizisten und Per- (B) jetzt wieder so sein. Ich sage auch von meiner Seite ei- sonenkontrollen geschützt oder ganz abgesagt werden. (D) nen herzlichen Dank an Thomas de Maizière, unseren (Beifall bei Abgeordneten der AfD) früheren Bundesinnenminister. Ich freue mich auf Horst Seehofer und die Zusammenarbeit mit ihm, die Zusam- Was tut die Regierung? Sie trift völlig unzureichende menarbeit in dieser Koalition. Ich glaube, wir haben auch Maßnahmen, die nur die Symptome, nicht aber die Ursa- heute einen Bundesinnenminister erlebt, der die Hand chen bekämpfen. zur Zusammenarbeit ausgestreckt hat. Diese Hand neh- (Beifall bei der AfD) men wir jedenfalls an, und wir freuen uns auf die Arbeit in diesem Haus, an diesen Themen. Sie schützen weiterhin unsere Grenzen nicht. Noch im- mer kommen Tausende ohne Identitätspapiere in unser Herzlichen Dank. Land. Islamistische Gefährder, also Personen, denen un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sere Sicherheitsbehörden zuschreiben, dass sie im Inland ordneten der SPD) Terroranschläge verüben werden, bekämpfen Sie eben- so unzureichend. Unsere Sicherheitsbehörden – das ist bekannt – können diese Gefährder nicht alle lückenlos Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: überwachen. Deshalb kann sich ein Teil dieser Gefähr- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Martin Hess, der auch immer noch ungehindert bewegen, und das trotz AfD, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag. der elektronischen Fußfessel; diese hindert sie nämlich (Beifall bei der AfD) nicht daran, ihren Aktionsradius wahrzunehmen. Dieses exorbitant hohe Sicherheitsrisiko für die deutsche Bevöl- kerung ist nicht hinnehmbar. Martin Hess (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der AfD) Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, nach dem, was Alle Gefährder sind sofort abzuschieben oder, wo das ich hier von der SPD gehört habe, bin ich mir nicht si- nicht möglich ist, langfristig in Gewahrsam zu nehmen. cher, ob Sie das, was Sie hier dargestellt haben, auch al- Kommen Sie bei der langfristigen Gewahrsamnahme bit- les so umsetzen werden. te nicht ständig mit dem falschen Argument, dass dies nicht verhältnismäßig wäre. Der Schutz des Lebens und Lassen Sie mich bitte noch ein Wort zur Erarbeitung der Gesundheit unserer Bürger muss oberste Priorität ge- eines Musterpolizeigesetzes sagen. Ich war ganz erstaunt, nießen. diesen Begrif wieder zu hören. Den Entwurf dafür gibt es nämlich schon seit 1976, und ich habe wirklich keine (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2159

Martin Hess (A) Diese Grundrechtsgüter müssen höherwertiger sein als dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle Kollegin- (C) das Freiheitsrecht eines erkannten und verifzierten Ge- nen und Kollegen! Ihr macht eine tolle Arbeit. fährders. (Beifall bei der AfD) Wenn Sie das anders sehen, dann dürfen Sie das so sehen; dann seien Sie aber auch ehrlich, und sagen Sie Abschließend an Sie direkt gerichtet, Herr Minister: den Bürgerinnen und Bürgern ins Gesicht, dass für Sie Die Maßnahmen des Koalitionsvertrages zur Verbesse- die Freiheit eines Gefährders wichtiger ist als das Leben rung der Sicherheitslage sind völlig unzureichend. Ich und die Gesundheit der deutschen Bevölkerung. habe erklärt, warum. Sie setzen nur an den Symptomen an und nicht an den Ursachen. Deshalb bitte ich Sie: Ha- (Beifall bei der AfD) ben Sie den Mut und setzen Sie endlich die von der AfD Zudem zeigt die Kriminalstatistik eine wesentlich hö- geforderten Maßnahmen um; denn nur auf diese Art und here Kriminalitätsbelastung bei den Menschen, die seit Weise sind maximale Sicherheit und der bestmögliche der Grenzöfnung in unser Land gekommen sind. Sie Schutz für unsere Bürger zu erreichen. liegt bei besonders schwerwiegenden Delikten wie Tö- Danke schön. tungs-, Gewalt-, Rohheits- und schweren Sexualdelik- ten um das 10‑ bis 16‑Fache höher als bei Deutschen. (Beifall bei der AfD) Wir sind mit völlig neuen Kriminalitätsphänomen wie Massenvergewaltigungen konfrontiert. Zum Schutz von Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Frauen bei öfentlichen Veranstaltungen müssen mittler- Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol, SPD. weile sogar Frauenschutzzonen eingerichtet werden. Die Zahl der Messerangrife in Deutschland ist in manchen (Beifall bei der SPD) Metropolen um bis zu 300 Prozent gestiegen. Die Folgen: Die Menschen und vor allem die Frauen Sören Bartol (SPD): fürchten sich immer mehr davor, im öfentlichen Raum Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Opfer einer Gewalttat oder eines Sexualdeliktes zu wer- Kollegen! Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum ist den. Das alles hat diese Regierung zu verantworten. eine Frage von großer gesellschaftlicher Bedeutung und (Beifall bei der AfD) Dringlichkeit und, wenn wir die Probleme nicht lösen, auch von einer großen gesellschaftlichen Sprengkraft. Hätte sie, wie es ihre Aufgabe ist, die deutschen Gren- Wohnen ist eine der sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts zen geschützt, dann hätten wir in Deutschland nicht diese geworden. Wohnen muss für alle bezahlbar sein. (B) desaströse Sicherheitslage. Anis Amri, die Mörder von (D) Freiburg und Kandel und viele andere Terroristen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gewalttäter hätten unser Land nämlich nie betreten und der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE ihre Mordtaten nie begehen können. GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Die Große Koalition hat sich große Ziele gesteckt. In den nächsten Jahren sollen 1,5 Millionen neue Wohnun- Und dann unterstellen die hierfür verantwortlichen Poli- gen entstehen. Dabei werden wir vor allem das Angebot tiker den Bürgern auch noch unbegründete Ängste. Da- an bezahlbarem Wohnraum erhöhen. Die Frage nach be- bei ist das Gegenteil richtig: Der Bürger hat recht. zahlbarem Wohnraum beschäftigt in Ballungsgebieten Bei den geschilderten Zuständen handelt es sich um längst die besserverdienende Mittelschicht. Ältere Men- massive und nicht hinnehmbare Fehlentwicklungen und schen, die eigentlich in einer viel zu großen Wohnung Missstände im Bereich der inneren Sicherheit, und diese leben, aber noch von einem alten Mietvertrag proftieren, müssen endlich mit geeigneten Maßnahmen efektiv und können sich einen Umzug in eine kleinere Wohnung, um nachhaltig korrigiert werden. Platz zu schafen für Familien, die mehr Wohnfäche be- nötigen, gar nicht mehr leisten. (Beifall bei der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen daher Die Bürger wollen sich nämlich wieder angstfrei im öf- so schnell wie möglich eine Wohnraumofensive. Wir fentlichen Raum bewegen. Sie wollen keine Betonpoller, werden hier im Bund Verantwortung übernehmen, um sie wollen keine schwerbewafneten Polizisten und keine diese Herausforderung gemeinsam mit den Ländern und Personenkontrollen. Schon gar nicht wollen sie, wie es Kommunen anzugehen. Ihr Amtsvorgänger dereinst den Bürgern empfohlen hat, mit dem islamistischen Terror leben. Das alles wollen (Beifall bei der SPD) sie nicht. Nein, sie wollen endlich wieder ihr sicheres Wir werden den sozialen Wohnungsbau fortsetzen und Deutschland zurück. ausbauen. (Beifall bei der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Und die Lage in diesem Land wäre noch viel schlim- dabei zähle ich auch auf Ihre Unterstützung, damit wir mer, wenn wir nicht hochmotivierte Polizisten hätten, die dies mit einer Grundgesetzänderung schnell hinbekom- mit ihrem herausragenden Engagement und mit vollem men. Das Problem ist viel zu drängend, als dass wir par- Einsatz – trotz widrigster Rahmenbedingungen – Ihr po- lamentarische Streitigkeiten auf dem Rücken der Miete- litisches Versagen kompensieren würden. Und dafür von rinnen und Mieter austragen dürfen. 2160 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Sören Bartol (A) 2 Milliarden Euro investieren wir zusätzlich in den so- wo es öfentliche Begegnungsorte wie Schwimmbäder, (C) zialen Wohnungsbau, Theater und Sportvereine gibt. (Beifall bei der SPD) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist es um die Heimat nicht und das ist gut angelegtes Geld; denn nur zusätzliche gut bestellt mit der letzten GroKo!) Wohnungen entlasten den Wohnungsmarkt. Natürlich gehört auch der private Wohnungsbau dazu, den wir mit Der Koalitionsvertrag bietet die Chance, durch sozi- einer steuerlichen Förderung und auch mit dem Baukin- alen Wohnungsbau, Städtebauförderung und Förderung dergeld ankurbeln. des ländlichen Raumes einen Beitrag für einen „neuen Zusammenhalt für unser Land“ zu schafen. Daraus er- Unsere Ziele erreichen wir nur, wenn wir mehr be- gibt sich auch, lieber Kollege Seehofer, ein Aufgabenheft zahlbares Bauland mobilisieren und Spekulationen mit für das neue Ministerium, dessen Umsetzung wir Punkt vorhandenen Baufächen eindämmen. Bauland ist ein für Punkt hier im Bundestag intensiv begleiten werden. knappes Gut, und steigende Bodenpreise treiben die Bau- Lieber Herr Minister, ich freue mich auf eine gute Zu- kosten in die Höhe. Mit der neuen Koalition werden wir sammenarbeit. Ländern und Kommunen künftig bundeseigene Grund- Vielen Dank. stücke für die soziale Wohnraumförderung günstiger zur Verfügung stellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Die höchsten Einnahmen durch Verkäufe bringen nichts, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wenn der Staat im Anschluss für immer mehr Menschen Nächster Redner ist der Kollege Daniel Föst, FDP. immer höheres Wohngeld zahlen muss, damit die Men- (Beifall bei der FDP) schen sich Wohnen überhaupt noch leisten können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Daniel Föst (FDP): Gleichzeitig geht es uns aber auch darum, Mieterinnen Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und und Mieter vor explodierenden Mieten zu schützen. Die Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Seehofer! Der Verschärfung der Mietpreisbremse und die Absenkung Volksmund weiß: Wenn man in einer Sackgasse steckt, der Modernisierungsumlage werden hier helfen. dann tut ein Tapetenwechsel manchmal gut und bewirkt Wunder. – Ich hofe, dass Sie die Last der Machtkämp- (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fe in Bayern hinter sich lassen können und zu Tatkraft (D) zurückfnden. In diesem Sinne: Alles Gute für Ihr neues Für deren Verankerung im Koalitionsvertrag hat die SPD Amt! besonders gekämpft. (Beifall bei der FDP) Wenn wir dem Koalitionsvertrag unter anderem die Es ist richtig, dass das wichtige Thema „Bauen und Überschrift geben „Ein neuer Zusammenhalt für unser Wohnen“ endlich aus dem Umweltministerium heraus- Land“, dann geht es um noch mehr als Wohnungsneu- geholt wurde, wo es, wie man ehrlicherweise feststellen bau und Schutz vor Verdrängung, dann geht es uns um muss, vor sich hingegammelt hat und zu Tode gedämmt die Gestaltung von Städten, Kommunen und Quartieren, wurde. dass Stadtzentren bunt und vielfältig bleiben – auf dem Land und in den Metropolen. Wenn wir den immensen (Sören Bartol [SPD]: Na! Na! – Ulli Nissen Druck aus den Ballungszentren herausnehmen wollen, [SPD]: Was ist denn das hier?) müssen die ländlichen Räume und auch kleinere Städte Herr Seehofer, Sie haben jetzt die Möglichkeit, das zu langfristig lebenswert bleiben. ändern. Aber bitte, Herr Minister, verzichten Sie auf Ihre (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Angewohnheit, wie in Bayern, alle naslang Ihre Meinung zu ändern. Deshalb ist es gut, dass wir die Mittel für das Förder- programm „Soziale Stadt“ und für die anderen Städte- (Beifall bei der FDP) bauförderprogramme in der letzten Legislaturperiode Wenn Sie mit dem Innen-, Bau- und Heimatressort so verdoppelt haben und diese Programme nun auf dem umgehen wie beispielsweise mit der dritten Start- und gleichen Niveau fortführen wollen. Sie machen es mög- Landebahn des Münchener Flughafens, dann wird das lich, dass sich auch die nicht ganz so reichen Städte und wohl eher schwierig hier in Berlin. Kommunen – fast die Hälfte der Städtebauförderung fießt in ländliche Regionen – um ihre sozialen Brenn- Auch in der Bau- und Wohnungspolitik brauchen wir punkte kümmern und Chancen zur Teilhabe schafen. Verlässlichkeit, kluge Konzepte und Durchsetzungskraft. Ich gebe zu: Die GroKo hat die Herausforderungen im Es wurde schon viel über das neue Heimatministerium Koalitionsvertrag zwar ordentlich beschrieben; doch statt diskutiert. Ich fnde, wir sollten es als Chance begreifen. die Probleme wie zu hohe Wohnkosten, zu wenig Bau- Heimat ist der Ort, wo wir uns aufgehoben fühlen und land, zu viel Bürokratie zu lösen, graben Sie tief in der gut leben, wo es Schulen und Busse gibt, wo öfentliche Mottenkiste der schon einmal gescheiterten Maßnahmen. Daseinsfürsorge und schnelles Internet funktionieren und Ich nenne zwei Beispiele. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2161

Daniel Föst (A) Erstens: Baukindergeld. Zugegebenermaßen ist das Bayern? Das darf nicht zum Standard für Deutschland (C) ein netter Werbeslogan. Das gab es aber so ähnlich schon werden. einmal. Es hatte riesige Mitnahmeefekte, war schweine- teuer, und der Erfolg war mau. Das wurde zu Recht abge- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) schaft, und zwar von Ihnen selbst, dem ersten Kabinett Abschließend möchte ich sagen: Sehr geehrter Herr Merkel. Seehofer, maßen Sie sich bitte nicht an, für meine Fami- Zweitens: Grundsteuer C. Die gab es auch schon ein- lie und mich staatlich festzulegen, was für uns Heimat mal. Sie sollte ebenfalls neues Bauland schafen, hat ge- zu bedeuten hat. Ich liebe Bayern, und ich bin nicht nur nau das Gegenteil bewirkt und wurde wegen Misserfolgs von der Figur her, sondern auch aus tiefstem Herzen Ba- wieder abgeschaft. Was wir Freien Demokraten vermis- juware. sen, sind Ideen und Visionen, wie wir die zu Recht drin- (Heiterkeit bei der FDP, der CDU/CSU, der gende soziale Frage der Wohnkosten lösen. Wir Freien SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ Demokraten wollen, dass wir nach vorne schauen und DIE GRÜNEN) nicht zurück, dass wir neu denken. Ich nenne drei wichti- ge Anregungen von uns. Bitte unterstehen Sie sich, mich in eine wie auch immer geartete Leitkultur zu pressen. Dann wird das auch was mit uns beiden. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Föst, gestatten Sie vor Ihren Anregungen Vielen Dank. zunächst eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Frakti- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten on? der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Daniel Föst (FDP): Ja, gern, warum nicht. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Föst, ich weiß zwar nicht genau, was die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Leitfgur eines Bajuwaren ist, aber wir werden das genau studieren. Bitte. (Heiterkeit) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Jetzt jedenfalls erteile ich das Wort der Kollegin (B) Herr Kollege Föst, ich habe eigentlich nur eine kurze Daniela Wagner, Bündnis 90/Die Grünen. (D) Zwischenfrage: Sind Sie für oder gegen das Baukinder- geld? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daniel Föst (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen den Menschen dringend ermöglichen, in Haben Bauen, Stadtentwicklung und Wohnen mit Hei- die eigenen vier Wände zu ziehen. Deswegen – da zie- mat zu tun? Ja, sogar ziemlich viel. Aber, verehrte Da- he ich jetzt meine dritte Anregung vor –: Lassen Sie uns men und Herren, Heimat ist mehr als Baukindergeld, Deutschland zu einer Eigentümernation machen, indem mehr als Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese mit wir zum Beispiel einen Freibetrag auf die Grunderwerb- Geranien am Balkon und möglichst keinen Muslimen steuer einführen. unter den Nachbarn. (Beifall bei der FDP – Zurufe von der CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU) Das sind auch die sozialen Brennpunkte in unseren Städ- Das brauchen wir nicht prüfen, das können wir machen. ten, die schwierigen Wohngebiete, die Geschosswoh- Ich komme zurück auf meine Anregungen. nungsbauten. Wir brauchen einen Heimat- und Woh- nungsbauminister, der alle meint, Herr Seehofer, der (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die wirklich alle meint. Antwort auf die Frage: Ja oder Nein!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erstens. Wir wollen gemeinsam mit Ihnen die Wohn- sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- kosten senken, aber nicht durch staatliche Preisfestset- KEN) zungen, sondern indem wir die Angebotslücken schlie- ßen. Man kann einen Mangel nicht verwalten, man muss Angesichts der 850 000 Wohnungslosen in Deutsch- den Mangel beheben. land – darunter sind übrigens zunehmend auch Fami- lien mit Kindern –, der endlosen Wartelisten bei unse- Zweitens. Bitte, Herr Seehofer, kümmern Sie sich da- ren Wohnungsämtern und der wachsenden Schar von rum, dass der ländliche Raum nicht weiter ausblutet. Ist Mieterinnen und Mietern, die aus ihren preisgünstigen Ihnen übrigens bekannt, werte Kolleginnen und Kolle- Wohnungen heraussaniert werden, ist es geradezu ab- gen, dass laut einer Prognos-Studie das Kaufkraftgefälle surd, Herrn Seehofer in diesen Zeiten seine Wunsch- und zwischen Stadt und Land nirgendwo so groß ist wie in Heimatspielwiese zurechtzuzimmern, indem ein weite- 2162 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Daniela Wagner (A) res Mal das wichtige Thema zu einem Wanderpokal zwi- körpern Erwartungen, die mit Wünschen und Hofnun- (C) schen den Häusern gemacht wird. gen der Menschen in Deutschland verbunden sind. Hier geht es um das Zuhause, das jeder Mensch braucht. In (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Kombination mit der Wohnungs- und Städtebauför- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) derung ergibt die neue Struktur im Bundesinnenministe- Das kostet Zeit und Geld, meine Damen und Herren, und rium einen überzeugenden Zusammenhang. es ist das Gegenteil von Ernsthaftigkeit. Eine Heimatab- (Zuruf von der FDP: Das glauben Sie doch teilung mit 100 neuen Stellen im Ministerium – ob das selber nicht!) eine zeitgemäße Antwort auf die Fragen dieser Tage ist oder nicht eher eine Jobbörse für verdiente Christsoziale, Bayern und Nordrhein-Westfalen sind Vorreiter dieser fragt man sich da. Entwicklung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir erleben in unseren Wahlkreisen doch immer wie- sowie der Abg. Helin [DIE der, wie stark die Menschen sich mit ihrem Dorf, mit ih- LINKE]) rer Stadt und den örtlichen Vereinen identifzieren, wie engagiert sie sich für attraktive Lebensbedingungen in Bezahlbares Wohnen und städtebauliche Entwick- ihrer Region einsetzen und wie deutlich die Frage des lung werden zu Recht zu den großen Herausforderungen gesellschaftlichen Zusammenhalts im Dorf und im Stadt- des 21. Jahrhunderts gezählt. Sie sind zu groß für einen teil die politischen Debatten vor Ort prägt. Mit der Schaf- Mann, der doch eigentlich nicht mehr will, als noch ein- fung des Heimatministeriums auf Bundesebene nehmen mal eine Landtagswahl in Bayern zu gewinnen. wir uns der Lebenswirklichkeit und der Bedürfnisse der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Menschen an. Wenn man Aussagen von Teilen der Koalition in die- Ganz eng mit dem Heimatthema verknüpft ist das sen Tagen so hört, dann stellt sich einem die Frage, wer Wohnen. Es gehört zu den Grundbedürfnissen der Men- hier eigentlich in den letzten zwölf Jahren regiert hat. schen. Dort, wo man wohnt, ist man zu Hause. (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Genau!) Dr. Eva Högl [SPD]) Sie benennen die Probleme – das ist sehr ehrenwert –, Wie wir wohnen, sagt oft auch viel über unseren Bezug die Sie in den zurückliegenden zwölf Jahren nicht gelöst zur Heimat aus. Man sieht das besonders deutlich bei je- haben, nen, die sich Wohneigentum geschafen haben. Wohnei- (B) gentum ist ein Anker für die regionale Verbundenheit. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer ein Haus baut oder sich eine Wohnung kauft, möchte und nennen jetzt neue Maßnahmen, die Sie jetzt ergreifen das Haus bzw. die Wohnung im Normalfall in den nächs- wollen. ten Jahrzehnten nutzen und plant seine Zukunft an die- sem Ort. Ich bin sicher: Sie sind guten Willens. Das ist gar keine Frage. Wir werden Sie kritisch-konstruktiv dabei (Beifall bei der CDU/CSU) begleiten, wie Sie 1,5 Millionen neue Sozialwohnungen Ein sicheres und ansprechendes Zuhause muss in ei- bauen, wie Sie das Mietrecht endlich so reformieren, nem wohlhabenden Staat wie Deutschland grundsätzlich dass tatsächlich etwas für die Mieterinnen und Mieter möglich sein. Deutschland geht es gut. Die Bürger ha- dabei herausspringt. Und wir werden Sie bei vielen ande- ben das erarbeitet – über mehrere Generationen hinweg. ren Maßnahmen begleiten, die der Integration in unsere Wirtschaftswachstum, gestiegene Einkommen, deutlich Gesellschaft dienen und nicht zur Spaltung führen. Dabei gesunkene Arbeitslosenzahlen, Binnenwanderung, de- haben Sie uns immer an Ihrer Seite, Herr Minister. mografscher Wandel und Zuwanderung haben auf dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wohnungsmarkt die Nachfrage spürbar belebt. Es ist da- her richtig, den erarbeiteten Wohlstand auch für die Si- Wir wünschen eine glückliche Hand und gutes Gelin- cherung des Wohnens zum Einsatz zu bringen. gen. Wir wollen, dass jährlich 350 000 bis 400 000 Woh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nungen gebaut werden. Der Koalitionsvertrag sieht dazu ein umfassendes Maßnahmenbündel vor. Es geht noch Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: deutlich über die Ergebnisse des Bündnisses für Wohnen Jetzt hat die Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/ hinaus. Das geplante Baukindergeld und die Ideen zur CSU-Fraktion, das Wort. Baulandgewinnung ergänzen sie sinnvoll. Aber: Für die Bewältigung dieser Aufgabe müssen wir die Länder ins (Beifall bei der CDU/CSU) Boot holen. Das efektive Zusammenwirken von Bund und Ländern ist unverzichtbar für den wohnungspoliti- Marie-Luise Dött (CDU/CSU): schen Erfolg der Bundesregierung. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den (Beifall bei der CDU/CSU) Herausforderungen Bau und Heimat hat das bisherige Bundesinnenministerium zwei wertvolle Aufgaben be- Mir gefällt vieles an der Haltung einiger Länder bei kommen. Denn die Begrife „Bau“ und „Heimat“ ver- der Wohnungsbaupolitik nicht. Berlin ist da eines der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2163

Marie-Luise Dött (A) Beispiele: über Jahre kassiert, und nichts ist passiert. Es Burkhard Lischka (SPD): (C) wird Zeit, das zu ändern. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Minister Seehofer, wenn man wie Sie seit über (Beifall bei der CDU/CSU) 40 Jahren in der Politik ist, dann sammeln sich viele Zi- Die Länder müssen wegen ihrer grundgesetzlichen Zu- tate an. Ein Zitat von Ihnen gefällt mir besonders gut: ständigkeit für die Wohnraumförderung wirksam in die „In der Bundespolitik“, haben Sie einmal als bayerischer Pficht genommen werden. Das gilt insbesondere, wenn Ministerpräsident gesagt, „gibt es zu viele Mundwerker der Bund sich auch künftig an den Kosten beteiligen soll. und zu wenig Handwerker.“ Das kann ich komplett un- Wenn der Bund Geld für den sozialen Wohnungsbau zur terschreiben. Verfügung stellt, ist es dort auch vollständig zum Einsatz (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zu bringen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich wünsche Ihnen und auch uns, dass Sie diesen Satz in ordneten der FDP – Dr. Mathias Middelberg den nächsten Jahren als Bundesinnenminister auch be- [CDU/CSU]: Sehr richtig!) herzigen. Der geplante Wohnungsgipfel muss der Auftakt für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ein vertrauensvolles Miteinander von Bund und Ländern der LINKEN) in der Wohnungspolitik sein, das über die Ressortgren- Insofern war ich dann doch etwas enttäuscht, als zen der Bauminister hinausgeht. Mit einer Neujustierung Sie in der vergangenen Woche als erste Amtshandlung in der Wohnungsbaupolitik wollen wir schneller ans Ziel als neuer Bundesinnenminister wieder eine uralte De- kommen. Das Eigenheim, die Eigentumswohnung und batte aufgewärmt haben, die hier schon mehrfach zur der private Kleininvestor beim Mietwohnungsbau für Sprache kam, nämlich die, ob der Islam inzwischen zu Normalverdiener werden stärker als bisher Teil der Lö- Deutschland gehört oder nicht. Wissen Sie: Da kann man sung sein. ja unterschiedlicher Meinung sein; das haben Sie in den Es ist nicht ausschließlich der soziale Wohnungs- vergangenen Tagen auch mit der Kanzlerin in aller Öf- bau, um den wir uns kümmern wollen, sondern auch die fentlichkeit demonstriert. Menschen mit Durchschnittseinkommen brauchen unse- Ich will Ihnen heute aber doch eines deutlich sagen: re Unterstützung auf dem Wohnungsmarkt. Mit einem Wir hatten in den letzten Wochen zwei Dutzend An- Baukindergeld werden wir jungen Familien helfen, den schläge auf Moscheen in unserem Land. Wer vor diesem Traum vom eigenen Heim schneller zu realisieren. Wir Hintergrund seine Amtszeit ausgerechnet mit dem Satz (B) (D) wollen das zusätzlich mit einer höheren Wohnungsbau- beginnt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, der muss prämie und einem Bürgschaftsprogramm fankieren. Vie- sich schon die Frage gefallen lassen, ob er eigentlich die le Menschen warten auf das Baukindergeld. Das eigene richtigen Worte zur richtigen Zeit fndet und über das Heim bietet Geborgenheit für die Familie und ist gleich- notwendige Fingerspitzengefühl verfügt. zeitig private Altersvorsorge. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der FDP) Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung in den kommenden Wochen hier Klarheit und Planungssicher- Sie, Herr Bundesinnenminister, sind jetzt für den inneren heit schafen wird. Frieden in unserem Land verantwortlich, und wir Sozi- aldemokraten werden Sie in den nächsten Jahren daran Eine weitere wichtige Maßnahme soll die steuerliche messen, ob Sie diesen inneren Frieden fördern oder ob Förderung des Mietwohnungsneubaus sein. Hier müssen Sie ihn beschädigen. die Länder Farbe bekennen. Stets zu nehmen, ohne zu geben, darf nicht belohnt werden. (Beifall des Abg. [SPD]) Auf Sie wartet jetzt eine Menge Arbeit, Herr Seehofer. (Beifall bei der CDU/CSU) Nehmen wir nur einmal den Bereich der inneren Si- Deswegen begrüße ich die Vereinbarung im Koalitions- cherheit. Da geht es ja nicht nur um Terror- und Ha- vertrag zu einer Wohnraumofensive. ckerangrife. Es geht vor allen Dingen auch – das habe ich bei Ihrer Rede vermisst – um die Bekämpfung der Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Alltagskriminalität. Wir haben beispielsweise jedes Jahr in Deutschland 150 000 Wohnungseinbrüche. Das sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht nur 150 000 Versicherungsfälle, sondern das sind ordneten der SPD) auch 150 000 betrofene Familien in Angst und in Sorge, beraubt ihres Urvertrauens, in den eigenen vier Wänden sicher zu sein. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Kollege Burkhard Lischka, Nur, Wohnungseinbrüche und Kriminalität sind kein SPD. Wetterphänomen und kein Naturschauspiel. Da kann man tatsächlich etwas tun. Deshalb haben wir als Koalition in (Beifall bei der SPD) der vergangenen Legislaturperiode insgesamt 15 000 zu- 2164 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Burkhard Lischka (A) sätzliche Stellen bei den Polizei- und Sicherheitsbehör- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) den geschafen und sind auch in dieser Legislaturperiode Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Armin wieder dabei. Jetzt liegt es an Ihnen, Herr Seehofer, mit Schuster, CDU/CSU-Fraktion. diesen vielen zusätzlichen Stellen auch für reale Polizis- ten auf den Straßen zu sorgen, und zwar nicht nur am (Beifall bei der CDU/CSU) Münchner Flughafen, nicht nur an der bayerischen Lan- desgrenze, sondern überall in Deutschland – von Görlitz Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): bis nach Hanau. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank, Burkhard Lischka, für die exakten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausführungen dazu, was bei uns im Koalitionsvertrag der FDP) steht. Genau so verstehen wir Heimat. Sie haben es wun- derbar erklärt. Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, Dieser Rechtsstaat muss Rückgrat zeigen gegen Krimi- Sie kommen gar nicht aus dem Süden. Für alle hier im nelle, und zwar überall in Deutschland. Haus: Als Baden-Württemberger habe ich acht Jahre in Bayern gelebt. Ich empfehle allen, das nicht als so be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ihnen sicherlich drohlich anzusehen. nicht ganz unbekannte Fernsehkoch Tim Mälzer hat – was wohl? – ein Kochbuch geschrieben, und zwar mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. dem einfachen und sehr einprägsamen Titel „Heimat“. In Stephan Thomae [FDP]) einem Text zu Mälzers Buch heißt es dazu: Wenn ich diese Debatte zum Maßstab nehme, müsste Für ihn ist Heimat überall, wo man sich zu Hause man fast Angst davor haben. Nein, es waren acht sehr fühlt: im Fußballstadion, bei der Familie, am Meer schöne Jahre. Ich würde auch zurückkommen, aber das wie in den Bergen, beim Camping, zu Lande und ist eine andere Sache. zu Wasser. Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage welt- weit, auch in Deutschland, hat sich dramatisch verändert. Recht hat er, der Tim Mälzer. Und ich sage: Wer den Das führt zu Trendwenden in der äußeren wie in der inne- Begrif „Heimat“ jetzt für ein Bundesministerium rekla- ren Sicherheitspolitik, die wir eingeleitet haben. Die Uni- mieren will, der sollte sich sehr genau überlegen, wie er onsinnenpolitiker haben 2013 ein gravierendes Investi- diesen Begrif ausfüllt. Nein, es kann nicht darum gehen, tionsprogramm in die deutsche Sicherheit gestartet. Ich dass aus Deutschland ein Heimatmuseum wird, so wie danke der SPD dafür, dass sie in der zweiten Halbzeit der es Ihr Versprecher aus der vergangenen Woche nahelegt. letzten Legislaturperiode kräftig mit ins Lenkrad gegrif- fen hat. Wir haben ab 2015 auch zusammen eine Menge (B) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (D) für die Haushalte getan. SPD) (Zurufe von der SPD) Es kann auch nicht sein, Herr Seehofer, dass Sie als Mi- nister diesen Begrif quasi vordefnieren und dann durch Ich darf einmal sagen: Von 2014 bis 2017 ist der Haus- Ihr Ministerium verwalten lassen. halt des Bundesinnenministeriums von 5,9 Milliarden Euro auf sage und schreibe 9 Milliarden Euro gestiegen: Heimat ist Vielfalt, die an der nächsten Ecke beginnt, Das waren Investitionen in Migration, Integration und schreibt Mälzer im Vorwort zu seinem Buch. Diese groß- Sicherheit. – Ein stärkeres Argument kannst du als Re- artige Vielfalt in unserem Land, von der Ostsee bis zu gierung nicht haben. den Alpen, zu bewahren und vor allen Dingen dafür zu Warum, Frau Dr. Högl, beschleicht mich eigentlich sorgen, dass die vielen unterschiedlichen ländlichen Re- der Eindruck, dass diese Periode für uns in der Innen- gionen auch für viele Menschen in Zukunft Heimat blei- politik noch wesentlich besser laufen könnte als der Ruf ben – durch eine gute medizinische Versorgung, durch dieser GroKo draußen am Anfang war? Ich glaube – das Kindergärten, durch Schulen, durch Busse, durch Feuer- sagt mir mein Gefühl –, wir werden noch eine starke Pe- wehren und vieles andere mehr –, ist die große Aufgabe, riode draufsetzen. Das sagt auch der Koalitionsvertrag. die vor uns, aber vor allen Dingen auch vor Ihnen liegt, lieber Herr Seehofer, damit sich Menschen gerade im (Dr. Eva Högl [SPD]: Sehr schön!) ländlichen Raum nicht abgehängt fühlen und dann den Viele Behördenleiter aus unseren Reihen haben gesagt: Falschen hinterherlaufen. Dieses Investitionsprogramm könnt ihr nicht toppen. – Doch, können wir. (Beifall bei der SPD) (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) Der beste Schutz gegen Radikalismus ist die Lösung von Problemen. Es stand im Wahlprogramm, es steht im Koalitionsver- trag. Wir waren nicht fertig. Wir wussten, dass wir erst Wer hat es gesagt? Der neue Bundesinnen-, Bau- und auf dem Weg sind. Deshalb beinhaltet der Koalitions- Heimatminister. An diesen Worten werden wir Sie mes- vertrag ein extrem starkes Signal bezüglich der Themen sen, lieber Herr Seehofer. Sicherheit und Integration in diesem Land. Ich sage ein- mal als Innenpolitiker: Ich bin wahnsinnig dankbar, dass (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörg wir endlich diesen Pakt für den Rechtsstaat haben. Ein Cezanne [DIE LINKE]) Gleichschritt beim Aufwuchs bei den Sicherheitsbehör- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2165

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) den und bei der Justiz ist überfällig. Es kann nicht sein, Zu Ihrer ersten Frage; da greife ich einem Punkt zu (C) dass in Berlin Gerichtsverfahren gar nicht stattfnden, „Wo investieren wir warum?“ vor: weil die Justiz überlastet ist und der mutmaßliche Straftä- ter wieder auf freien Fuß gesetzt werden muss. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In Kitas! Reicht aber nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – ich be- nutze nur selten Superlative, aber hier mache ich das Deswegen ist dieser Pakt wichtig. heute Morgen – muss zu einer Superbehörde werden. Warum? Weil sich die Frage, ob wir unseren humanitä- Wo investieren wir warum? ren Verpfichtungen nachkommen und eine konsequente Erstens. Eine eigene Struktur für die Bekämpfung des Haltung gegenüber denen, die wieder nach Hause müs- islamistischen Terrorismus im Bundeskriminalamt ist sen, einnehmen können, am Schlüsselpunkt Bundesamt überfällig, und wir ermöglichen es, sie zu schafen. für Migration und Flüchtlinge entscheidet. Deswegen ha- ben wir für dieses die Mittel erhöht; denn genau dort wird entschieden, wer in dieses Land integriert wird – das Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: BAMF ist damit der Startpunkt einer gelungenen Inte- Herr Kollege Schuster, die Frau Kollegin von Storch gration – und wer nach Hause muss. Ich möchte deshalb würde gerne eine Zwischenfrage stellen. nicht – das sage ich auch dem Bundesinnenminister –, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE dass wir beim Personal des BAMF rote Linien unter- GRÜNEN]: Dann hätte sie halt Redezeit neh- schreiten, solange deutsche Verwaltungsrichter beklagen, men sollen!) dass das BAMF nicht in der Lage sei, die Gerichtsverfah- ren bzw. -prozesse zu begleiten. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Zur zweiten Frage. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das Ja, ist doch gut so. ansprechen. Ich hätte mir gewünscht, dass alle, die ge- rade hier am Rednerpult Kritik am Bundesinnenminister formuliert haben, einmal das vollständige Zitat herange- Beatrix von Storch (AfD): zogen hätten. Es gibt so etwas wie ein Fragerecht, Herr von Notz. Das dürfen auch wir wahrnehmen. (Beifall der Abg. Andrea Lindholz [CDU/ CSU]) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Arme Frau Storch!) Das vollständige Zitat besagte nämlich: Die 4,5 bis (B) 5 Millionen Muslime gehören selbstverständlich zu die- (D) Ich habe zwei ganz kurze Fragen. sem Land. – Und es gilt Religionsfreiheit. Gerade eben Sie haben gerade gesagt, dass die Erhöhung der Aus- sagte er in seiner Rede: Ich setze mich entschieden ein gaben für die Bereiche Migration, Integration usw. ein gegen alle, die diese Religionsfreiheit missachten. – Au- Ausweis der Bedeutung dieser Bereiche für die Regie- ßerdem hat er gesagt: Und zu Deutschland gehört die rung ist. Kann man nicht vielmehr sagen, dass es das Er- christlich-abendländische Kultur, nicht der Islam. gebnis des Versagens ist, dass jetzt das Erfordernis groß (Beifall der Abg. Andrea Lindholz [CDU/ ist, hier zu investieren? Ich ziehe in Zweifel, dass Inves- CSU]) titionen im Bereich Migration echte Investitionen sind. Ich fnde an diesem Zitat, wenn man es komplett liest, Die zweite Frage, ganz präzise: Halten Sie es wie Herr überhaupt nichts Verwerfiches. Seehofer, dass der Islam zu Deutschland gehört, oder nicht? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Abg. Beatrix von Ich darf Ihnen eines sagen – eine ganz persönliche Storch [AfD] nimmt Platz) Aufassung –: Man kann die Meinung haben, der Islam gehöre zu Deutschland – hier geht es um eine aus meiner Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sicht ernste und nachvollziehbare Haltung in der Diskus- sion –, man kann aber auch eine andere Meinung haben. Frau Kollegin Storch, es gehört zu den üblichen Ge- Die Volksparteien CDU und CSU haben die Aufgabe, pfogenheiten, dass man bei der Beantwortung der Frage diesen gesellschaftlichen Prozess, den wir auf Deutsch- stehen bleibt. lands Straßen beobachten und auf den Sie refektieren, (Abg. Beatrix von Storch [AfD] erhebt sich genau so abzubilden, und das tun wir. Deswegen habe ich wieder) nicht einmal ein Problem damit, wenn die Bundeskanz- lerin und der amtierende Innenminister die Dinge unter- Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): schiedlich auslegen. Mein Bild der Union, in die ich ein- mal eingetreten bin, ist: eine breite und tiefe Volkspartei. Und das waren zwei Fragen. Da bleiben Sie eine Wei- le stehen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Ich komme zurück zum Bundeskriminalamt und zur und der FDP – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Die Rol- Lass dir mal schön Zeit beim Antworten!) le des GTAZ, die deutsche Sicherheitsarchitektur – das 2166 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) müssen wir uns anschauen, meine Damen und Herren. fnale Rettungsschuss – und zwar verfassungsgemäß – im (C) Ein Projekt des bisherigen Bundesinnenministers de UZwG Eingang fndet, der ist auch in der Lage, einen Maizière, das immer unter dem Radar bleibt und das ich Server abzuschalten, wenn es denn sein muss. Ich sehe fast für ein Vermächtnis halte, da keine verfassungsmäßigen Probleme. (Zuruf von der LINKEN: Er lebt doch noch!) (Beifall bei der CDU/CSU) ist das gemeinsame Datenhaus im polizeilichen Verbund der Informationssysteme. Das nehmen wir sehr wichtig. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Schuster, achten Sie auf die Redezeit. Zweiter Punkt. Meine Damen und Herren, jede Inves- Die Kollegin von Notz hat Ihnen schon sehr viel zusätz- tition in Grenzsicherheit und in die Bundespolizei, die liche Redezeit verschaft. wir tätigen wollen – 7 500 Stellen über alle Behörden hinweg –, ist eine Investition in Reisefreiheit und Freizü- (Zuruf von der AfD: Von Storch!) gigkeit. – Das ist übrigens etwas zum Nachdenken, das kann man nicht auf Anhieb verstehen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): (Beifall der Abg. Andrea Lindholz [CDU/ Bei Herrn von Notz bedanke ich mich. Es heißt übri- CSU] – Heiterkeit der Abg. Dr. gens nicht von Freiburg bis Flensburg, sondern von Weil [CDU/CSU]) am Rhein bis Flensburg; so ist es geografsch richtig. Jede Investition in Grenzsicherheit ist eine Investition in Freiheit, Reisefreiheit und Freizügigkeit. Nur die, die da Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nicht investieren, kommen zur Renaissance der Schlag- Herr Schuster, jetzt ist Ihre Redezeit zu Ende. bäume. Das wollen wir nicht – kurzfristig ja, weil Europa versagt hat, Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine Investition in Sicherheit ist eine Investition in Freiheit, und das bedeutet Lebensqualität. Das ist das langfristig niemals. Wahlprogramm der Union. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich danke Ihnen. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb fordere ich, dass die Kommission endlich beim Thema EU-Grenzpolizei Gas gibt. Da muss Deutschland Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (B) Geld liefern – das geht nicht anders –, (D) Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dagmar Freitag, (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Und SPD. Grenzschützer!) (Beifall bei der SPD) aber wir müssen das endlich anpacken. Wir müssen, wenn es nach mir geht, weiter in Bevölkerungsschutz Dagmar Freitag (SPD): und Katastrophenschutz investieren. DRK, THW und Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Feuerwehr hat niemand erwähnt. Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, Ihr Haus heißt ja (Dr. Eva Högl [SPD]: Doch, jawohl, aber Ministerium des Innern, für Bau und Heimat. Der Sport sicher!) fehlt leider – zumindest in der Bezeichnung –, und das hat man, muss ich sagen, Ihrer Rede ein wenig angemerkt. Herr Minister, ich möchte, dass der Bund weiter die Bereitschaftspolizeien der Länder mitfnanziert. Das ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli hier sehr strittig. Jetzt sage ich es auf Bayerisch, Herr Mi- Nissen [SPD]: Sehr schade!) nister: Wer zahlt, schaft an. – Ich möchte deshalb, dass Deshalb bin ich meiner Fraktion ausgesprochen dankbar, der Bund Gewissheit darüber hat, wie viel Einheiten von dass sie uns Sportpolitikern Redezeit eingeräumt hat. Bereitschaftspolizei wir in diesem Land stellen können. Der G-20-Gipfel hat gezeigt, wie notwendig das ist. Wir diskutieren zurzeit die Spitzensportreform, eine der bedeutendsten Reformen der letzten Jahrzehnte für Letzter Punkt – last, not least –: IT-Sicherheit und Da- unsere Athletinnen und Athleten. Damit habe ich auch tenschutz; es ist hier oft angesprochen worden. Meine schon gesagt, für wen wir das machen. Wir machen das Damen und Herren, Festungen zu bauen wie im Mittel- nicht für Sportpolitiker oder für Funktionäre, sondern für alter, das reicht nicht mehr. Die Firewalls können noch diejenigen, die tatsächlich im Mittelpunkt dieser Reform so hoch und tief sein: Die Täter kommen durch. Wenn stehen sollen, ja, stehen müssen. Deshalb, lieber Kollege wir uns nicht dazu entschließen, im virtuellen Leben die Hahn, verstehe ich Ihre eben geäußerte Kritik nicht so gleichen Befugnisse zu schafen wie im realen, werden ganz. Natürlich beschäftigt sich der Ausschuss intensiv die Täter uns übermannen. mit der Spitzensportreform, allein in der neuen Wahlpe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) riode bereits mit zwei eigenen Tagesordnungspunkten. Ich fordere Netzwerksoperationsfähigkeit. Ich möchte Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, zu ei- Täter, die wir lokalisiert haben, angreifen können, wie ner Reform gehören nicht nur gute Rahmenbedingungen, ich es im realen Leben auch tue. Wer dafür sorgt, dass der sondern dazu gehört auch die Unterstützung von Initia- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2167

Dagmar Freitag (A) tiven, die aus den Reihen der Athletinnen und Athleten Kollege Hahn, ich bin ja froh, dass Sie den Sport in Ihren (C) selbst kommen. Dazu gehören natürlich optimale Trai- Ausführungen überhaupt angesprochen haben. Herr Mi- ningsbedingungen, Investitionen in Sportstätten und die nister, ich biete Ihnen ausdrücklich gute Zusammenarbeit Einbindung der Sportwissenschaft, und zwar über die dabei an. Institute IAT und FES hinaus. Für Eitelkeiten von Pro- fessoren ist da kein Platz mehr; da geht es jetzt um den Vielen Dank. Wettbewerb um die besten Ideen im Sinne unserer Athle- (Beifall bei der SPD) tinnen und Athleten. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin : Wir brauchen auch bessere Bedingungen für die medi- Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich zinische Betreuung durch Ärzte und Physiotherapeuten. liegen mir nicht vor. Aber, Herr Kollege, all das sind Fragen, die der Sport Wir kommen nun zu dem Bereich Recht und Ver- vorbereiten muss. Wir entscheiden, wie und was wir f- braucherschutz. Das Wort hat die Bundesministerin der nanzieren. Justiz und für Verbraucherschutz, Katarina Barley. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Irrtum, zu (Beifall bei der SPD) glauben, dass alle unsere Olympiateilnehmer und Spit- zensportler auch Spitzenverdiener sind, ganz im Gegen- Bundesministerin der Justiz und teil. Natürlich gibt es die Absicherung durch die Sport- Dr. Katarina Barley, für Verbraucherschutz: fördergruppen bei der Bundeswehr, bei der Polizei, beim Zoll, auch bei den Landespolizeien. Aber nicht alle Ath- Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kol- letinnen und Athleten wollen beispielsweise zur Bundes- leginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist die Aufgabe wehr. Das geht auch gar nicht, weil die Anzahl der Plätze des Rechts, verbindliche Regeln für unser Zusammenle- begrenzt ist. Das heißt für uns: Wir müssen uns intensiv ben zu setzen. Nun leben wir in einer Zeit, in der sich darum kümmern, dass wir außerhalb dieser Institutionen die Art, wie wir zusammenleben, ziemlich rasant verän- Platz für ein Mindestmaß an sozialer Absicherung schaf- dert. Das hat im Wesentlichen mit dem Phänomen der fen. Hierfür gibt es Konzepte, die wir Sozialdemokraten Digitalisierung zu tun. Es verändert sich die Art, wie wir auf jeden Fall intensiv unterstützen. miteinander kommunizieren. Es verändert sich die Art, wie wir einkaufen, wie wir auch globalen Handel treiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es verändert sich die Art, wie wir Bildung vermitteln. Es Meine Damen und Herren, wir wissen um Skandale, verändert sich ziemlich viel. Das Recht muss diesen Ver- (B) wir wissen um Korruption im internationalen Sport. Ja, änderungen Rechnung tragen. (D) es gibt einen massiven Vertrauensverlust auf allen Ebe- Diese Veränderungen bergen ganz große Chancen. Sie nen. Deshalb, glaube ich, wird es Zeit, dass die Athle- machen das Leben in weiten Teilen einfacher. Man kann tinnen und Athleten sich wieder selbst darum kümmern, mittlerweile einfach ins Wohnzimmer spazieren, einmal dass die Werte, die den Sport ausmachen, wieder einen laut sagen, dass man eine Pizza bestellen möchte, und ei- höheren Stellenwert in allen Diskussionen erhalten. nige Minuten später klingelt der Pizzabote tatsächlich an (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Tür. In der Zeit hat der vernetzte Kühlschrank schon gemerkt, dass kein Bier mehr da ist, und das Bier beim Man muss schon sagen: Die Zahl der Funktionäre – das Lieferservice bestellt. Während man wartet, setzt man gilt leider für die nationale wie die internationale Ebe- schnell ein paar Facebook-Klicks und bucht vielleicht ne –, die wirkliche Veränderungen in dieser Hinsicht noch eine Reise im Internet. – Das ist alles wunderbar so. wollen, ist leider mehr als überschaubar. Dabei entstehen allerdings enorme Datenmengen. Wir wollen mündige Athletinnen und Athleten, die Persönliche Daten sind der Rohstof unserer digitali- selbstbewusst und unbeeinfusst für ihre Belange eintre- sierten Zeit. Sie sind sozusagen das Erdöl des 21. Jahr- ten können. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, hunderts, wenn man so will. Das weckt Begehrlichkei- werbe ich um Unterstützung für unsere Athleten, die in ten; denn mit diesen Daten kann man sehr viel machen: Deutschland eine Art Vorbildrolle eingenommen haben, Tracking, Profling, Scoring. Das sind so einige Begrife. auch für die internationale Ebene: Athleten Deutschland Es geht darum, dass aus unserer Persönlichkeit, aus unse- e.V. ren Vorlieben, aus unserem Verhalten Profle erstellt wer- (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sprechen den können und diese digitalen Daten für die Wirtschaft Sie doch mal über die Integrationskraft des und für andere Zwecke nutzbar gemacht werden. Sports!) Da sagen nun manche: Na und? Ich habe ja nichts Das ist eine Maßnahme, die zeigt, wie Athleten sich ihren zu verbergen. Das ist doch alles nicht so wild. – Mag Sport mit all seinen Werten zurückholen können. sein. Aber wenn der Algorithmus, der auf Ihre Verhal- tensweisen gelegt wird, ergibt, dass Sie zum Beispiel (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zu spontanen Entschlüssen neigen, dann kann es Ihnen Das verdient aus meiner Sicht jegliche Unterstützung. mittlerweile passieren, dass Ihnen bestimmte Güter oder Dienstleistungen auf Ihrem Handy teurer angeboten Daran – dafür werbe ich – sollten wir gemeinsam ar- werden als anderen Leuten, weil der Algorithmus damit beiten, im Sinne der Athletinnen und Athleten. Lieber rechnet, dass Sie schneller zugreifen als andere. Oder 2168 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Bundesministerin Dr. Katarina Barley (A) wenn Sie aufgrund Ihres Datenverhaltens als besonders Ende der Buchung kommen noch ein paar Euro hinzu, (C) unzuverlässig eingestuft werden, dann bekommen Sie oder in Rechnungen tauchen komische Beträge auf, die vielleicht bei der Suche nach einer Wohnung Probleme. wir uns nicht richtig erklären können. Das ist ärgerlich, Vielleicht werden Ihnen nicht so viele Angebote ange- aber zu wenig, um dagegen zu klagen. Deswegen werden zeigt, oder Sie bekommen Probleme, wenn es um die wir die Musterfeststellungsklage einführen, nach dem Auswahl der Interessenten geht. Motto „Einer für alle“. So können bestimmte Einrichtun- gen wie zum Beispiel die Verbraucherzentralen für eine Unsere Daten machen uns auch manipulierbar. Wenn es dafür noch eines Beweises gebraucht hätte, dann liefer- Vielzahl von Betrofenen ein Verfahren führen, in dem te diesen der Datenskandal bei Facebook und Cambridge die Anspruchsvoraussetzungen verbindlich festgestellt Analytica. Da wurden Menschen mit politischen Bot- werden. Den Gesetzentwurf habe ich schon letzte Woche schaften bombardiert, je nachdem wie sie eingeschätzt auf den Weg gebracht. Er soll möglichst am 1. Novem- wurden: die Verzagten mit Angstmacherei, die Wütenden ber in Kraft treten, damit die in der Dieselafäre Geschä- mit Hassbotschaften. Und das Ganze geschah, um eine digten ihre Ansprüche noch vor der Verjährung geltend politische Wahl zu beeinfussen. Weil solche Gefahren machen können. nun einmal bestehen – die kann man nicht aus der Welt reden –, ist es so wichtig, dass jede und jeder Einzelne (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan möglichst gut darüber informiert ist, welche Daten von Thomae [FDP]) ihm oder ihr unterwegs sind, und möglichst viel Kontrol- Ich setze da auf die Kolleginnen und Kollegen, dass die le über diese Daten hat. Ressortabstimmung zügig abgeschlossen wird. Wir befnden uns da natürlich in der Situation „David gegen Goliath“ – die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer Ein weiteres Beispiel will ich nennen: Miete. Sie ist in gegen die geballte Wirtschaftsmacht und die Unterneh- Ballungszentren mittlerweile oft das Problem Nummer men. Gerade deswegen braucht es hier den Rechtsstaat eins. Viele Menschen geben inzwischen ein Drittel oder und den Verbraucherschutz, um das Machtgefälle auszu- mehr ihres Einkommens für Miete aus. Deshalb werden gleichen. Wir tun das: auf europäischer Ebene mit der wir die Mietpreisbremse weiter verschärfen. Vermieter Datenschutz-Grundverordnung, die im Mai 2018 in Kraft müssen zukünftig Auskunft über die Vormiete geben, treten wird. Sie wird es deutlich besser möglich machen, damit Mieter und Mieterinnen ihre Rechte wirksam aus- dass man individuell zustimmen kann, welche Daten man üben können. Zudem werden wir die Modernisierungs- freigeben will und welche nicht, und sie eröfnet auch umlage absenken, damit die Mieter entlastet werden und bei der Sanktionierung einen deutlich größeren Rahmen. der Anreiz, langjährige Mieter zugunsten von Luxussa- (B) Eine Geldbuße von 4 Prozent des weltweiten Jahresum- nierungen aus den Wohnungen zu drängen, gemildert (D) satzes, das ist bei einem Unternehmen wie Facebook mit wird. einem Jahresumsatz von 40 Milliarden Euro schon eine ganze Menge, nämlich 1,6 Milliarden Euro. Diese poten- Sie sehen: Den Grundsatz „Wer Recht hat, soll Recht zielle Sanktion hat schon abschreckende Wirkung. bekommen“ schreiben wir groß und machen wir stark. Für die Umsetzung haben wir den Pakt für den Rechts- Bei den Algorithmen – das haben wir im Koalitions- staat. Die Justiz erhält zusätzliche Stellen, damit all das vertrag festgelegt –, den Rechenoperationen, nach denen auch umgesetzt werden kann. man eingestuft wird, brauchen wir mehr Transparenz; denn sie entscheiden am Ende darüber, in welche Schub- Unser Ziel ist, den Rechtsstaat starkzumachen; denn laden wir gesteckt werden. nur mit einem starken, verlässlichen Rechtsstaat, der für Kurz gesagt: Wir brauchen Regeln. Wir brauchen Gerechtigkeit und Schutz steht, können wir das Vertrau- aber auch eine Diskussion über ethische Maßstäbe in der en der Menschen in die Demokratie letztendlich auch digitalen Welt mit der IT-Wirtschaft, mit den Unterneh- gewährleisten. Denn von Ängsten nähren sich die Po- men, die da unterwegs sind. Nachdem sich schon viele pulisten in unserer Gesellschaft, deren Geschäftsmodell Unternehmen die Corporate Social Responsibility auf die darin besteht, die Ängste weiter zu befeuern. Sie haben Fahne geschrieben haben, brauchen wir jetzt auch so et- gar kein Interesse, dass die Probleme gelöst werden, und was wie eine Corporate Digital Responsibility. Gerade in sind deswegen auch nie mit konstruktiven Vorschlägen Deutschland gibt es gute Beispiele für Unternehmen, die unterwegs. da vorangegangen sind und sich selbst solche Maßstäbe auferlegt haben. (Abg. Kay Gottschalk [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Eins ist jedenfalls klar: Wir als Rechtsstaat, wir als Politik stehen ein für die Datensouveränität unserer Bür- Mein Appell: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbei- gerinnen und Bürger. ten, unseren Rechtsstaat starkzumachen, unsere Demo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kratie starkzumachen – im Interesse aller Menschen in der CDU/CSU) Deutschland. Den Kampf „David gegen Goliath“ führen wir auch Vielen Dank. in anderen Bereichen, zum Beispiel wenn massenhaft Abzocke betrieben wird. Das sind oft kleine Beträge in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Form von dubiosen Gebühren. Wir alle kennen das: Am wie der Abg. [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2169

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Vielen Dank. (C) Die Frage habe ich nicht mehr zugelassen, da die Bun- (Beifall bei der AfD – Dr. Volker Ullrich desministerin schon über die Zeit war. Es liegt im Ermes- [CDU/CSU]: Glauben Sie, dass Sie mit die- sen des Präsidiums, wie wir damit umgehen. sem destruktiven Ansatz punkten? Sie haben Das Wort hat für die AfD-Fraktion. nichts Konstruktives gesagt!)

(Beifall bei der AfD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth für die Roman Johannes Reusch (AfD): CDU/CSU-Fraktion. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau (Beifall bei der CDU/CSU) Ministerin, als ich mir den Koalitionsvertrag zum The- ma Justiz angeschaut habe, habe ich mich gefragt, ob das wirklich das Regierungsprogramm für dieses Land Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): ist, für ein Land, in dem wir einen Richterbund haben, Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! dessen Vorsitzender nicht nur einen Brandbrief, sondern Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst darf gleich ein ganzes Brandbuch zu den Zuständen der Justiz ich Ihnen, Frau Bundesministerin Barley, die besten geschrieben hat – er prognostiziert: wenn es so weiter- Wünsche für die vor Ihnen liegende Amtszeit überbrin- ginge, würde das Ende der Gerechtigkeit bevorstehen –, gen. Wir bieten Ihnen sehr gerne eine konstruktive, gute für ein Land, in dessen Hauptstadt wir eine Vereinigung Zusammenarbeit an, und ich möchte die Gelegenheit von Staatsanwälten haben, deren Vorsitzender vor kur- auch wahrnehmen, Ihrem Amtsvorgänger, , zem sagte, es gebe bereits kein funktionierendes Rechts- für die erfolgreiche Zusammenarbeit in den vergangenen system mehr. Das ist ein Befund, den ich aus eigener An- Jahren zu danken. schauung bedauerlicherweise bestätigen muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Im Koalitionsvertrag ist zwar als Plan enthalten, 2 000 Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD setzt Richterstellen nebst Folgepersonal einzurichten; aller- Zeichen, insbesondere für einen starken Rechtsstaat dings ist das eine Verabredung zulasten Dritter, nämlich und für eine starke Justiz. Wenn wir uns die Situation der Länder. Man hat also vereinbart, dass die Länder das in unserem Land ansehen, dann müssen wir sagen: Ja, machen. Schauen wir einmal, was daraus wird. Deutschland ist ohne Zweifel eines der sichersten Länder Nötig wäre eine Reform an Haupt und Gliedern ge- der Welt, (B) wesen. Wir brauchen strukturelle Veränderungen, die das (Lachen bei Abgeordneten der AfD – (D) Hauptproblem der Justiz lösen, nämlich die Massen von Hansjörg Müller [AfD]: Gewesen!) Verfahren, die mit dem Instrumentarium des 19. Jahrhun- derts nicht mehr zu bewältigen sind. Kein Wort davon! aber wir sind zugleich ein Land, in dem viele Menschen Sorgen um ihre Sicherheit haben. Wir sind ein Land, in (Beifall bei der AfD – Dr. Johannes Fechner dem das Vertrauen vieler Menschen in die Funktionsfä- [SPD]: Blödsinn!) higkeit des Rechtsstaats ein Stück weit verloren gegan- gen ist. Laut Koalitionsvertrag sind zwar StPO-Änderungen vorgesehen (Jörn König [AfD]: Ach!) (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Genau!) Deshalb müssen wir diese Legislaturperiode nutzen, um die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats dort, wo es De- – das sind teilweise gute Anregungen –; allerdings ist das fzite gibt, wiederherzustellen und verlorengegangenes Klein-Klein. Das löst unser Hauptproblem nicht. Die Re- Vertrauen zurückzugewinnen. alitäten wurden bedauerlicherweise ausgeblendet, nach der guten alten After-Eight-Methode „Wir tun am besten Der Schutz des Rechtsstaats und die Arbeit für den so, als hätten wir das nicht gesehen“. Rechtsstaat sind kein Selbstzweck. Sie sind Vorausset- zung für den Rechtsfrieden in unserem Land und Grund- (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Af- lage der Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft. ter-Eight-Methode?) Der Verzicht auf Selbstjustiz und die Akzeptanz des Frau Dr. Merkel, die Chefn dieser Koalition, hat staatlichen Gewaltmonopols sind nur dann möglich, schon am Wahlabend verkündet, sie wisse gar nicht, was wenn die Justiz funktioniert. Ohne funktionierende man anders hätte machen sollen. Das sieht man diesem Gerichte, ohne Staatsanwaltschaften und ohne Ermitt- Dokument an. Es ist ideenlos, ziellos und hilfos. lungsbehörden stünde der Rechtsstaat nur auf dem Pa- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- pier. Deshalb werden wir die Justiz mit dem Pakt für den NEN]: Was ist denn Ihre Idee?) Rechtsstaat in der vor uns liegenden Legislaturperiode stärken und modernisieren. Gebe Gott, dass sich diese Koalition bald zerstrei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU tet – die ersten Anzeichen gibt es ja schon –, sodass die sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Agonie, die seit dem Machtantritt von Frau Dr. Merkel in dieses Land gekommen ist, endlich endet und wir die Dieser Pakt sieht einen Dreiklang vor. Dieser Probleme in den Grif bekommen können! Dreiklang besteht aus einem efzienteren Verfahrens- 2170 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Stephan Harbarth (A) recht, aus einer besseren Personalausstattung und auch das KfW-Programm, das wir aufgelegt haben, in dieser (C) aus einer besseren Ausstattung der Justiz einschließlich Legislaturperiode noch einmal aufstocken. Wir werden ihrer Digitalisierung. auch über weitere Instrumente der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls Zum Verfahrensrecht. Unsere Gerichte brauchen ein sprechen müssen. praxistauglicheres, efzienteres Prozessrecht. (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Meine Damen und Herren, wir sind in den vergan- genen Tagen mit schweren Vorwürfen gegen Facebook Bei den Verwaltungsgerichten etwa besteht die Gefahr, konfrontiert worden. Bei diesen Vorwürfen geht es um dass sie mit der gestiegenen Zahl an Asylklagen lahmge- zweierlei: Es geht um schlimmen Missbrauch von Daten, legt werden könnten, und das für viele Jahre. Efzientere es geht um den Missbrauch individueller Daten. Aber es Verfahren stärken die Rechtsdurchsetzung. Sie stärken geht noch um viel mehr. Es geht um die Frage, ob es hier damit den Rechtsstaat, die Rechtssicherheit und somit zu Geschehnissen gekommen ist, die Sprengkraft für die auch das Vertrauen der Menschen in das Funktionieren Funktionsweise der freiheitlichen Demokratie entfalten der Rechtspfege und der staatlichen Strukturen. können. Deshalb müssen wir uns diesem Fragenkreis in Zum besseren Verfahrensrecht gehört auch, dass wir der neuen Legislaturperiode gleich zu Anfang mit großer im Bereich des Strafrechts Missbräuchen einen Riegel Akribie widmen. vorschieben. Wir wollen nicht, dass etwa Beweisanträ- Wir wollen von Facebook wissen, ob Vorgänge, die ge oder Befangenheitsanträge instrumentalisiert werden dem Unternehmen in den USA vorgeworfen werden, können, um die Funktionsfähigkeit der Justiz zu beein- auch in Deutschland aufgetreten sind. Wir wollen von trächtigen. Deshalb werden wir an diesen und an vielen Facebook wissen, welche Maßnahmen ergrifen wurden, anderen Stellen Änderungen vornehmen. um Derartiges für die Zukunft zu unterbinden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Abg. Kay Gottschalk [AfD] meldet sich zu ordneten der SPD) einer Zwischenfrage) Eine funktionierende Justiz setzt personelle Ressour- cen voraus. Deshalb haben wir vorgesehen: Es gibt in Vizepräsidentin Petra Pau: dieser Legislaturperiode 2 000 zusätzliche Stellen für Kollege Harbarth, gestatten Sie eine Frage oder Be- Richter und Staatsanwälte und das sie unterstützende merkung? Personal in den Staatsanwaltschaften und in den Gerich- ten. (B) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): (D) Der Deutsche Richterbund hat darauf hingewiesen, Ich möchte gerne unser rechtspolitisches Programm dass in den Jahren 2015/2016 mehr als 40 Menschen we- im Zusammenhang ausführen. gen überlanger Verfahrensdauer aus der Untersuchungs- haft entlassen werden mussten. Dies ist in einem Rechts- (Kay Gottschalk [AfD]: Im Anschluss?) staat nicht akzeptabel. Wir brauchen die entsprechenden Dies zeigt, wie richtig es war, in der vergangenen Le- personellen Ressourcen. Viele Bundesländer haben in gislaturperiode den Einstieg in die gesetzliche Regulie- den vergangenen Jahren schon gezeigt, dass sie hier in rung auch sozialer Netzwerke zu fnden. die richtige Richtung gehen. Wir erwarten aber, dass sich alle Bundesländer, die nach der föderalen Struktur hier- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- für die Zuständigkeit haben, entsprechend einbringen. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir haben auch in diesem Haus parlamentarische Strö- ordneten der SPD) mungen, deren Vertreter glauben, es sei richtig, alle Branchen zu regulieren: die Banken zu regulieren, die Wir werden auch an anderen Stellen das Verfahrens- Versicherungen zu regulieren, die Automobilindustrie zu recht verbessern. Das gilt etwa für die Einsatzmöglich- regulieren, keiten von DNA-Analysen im Strafverfahren. Allerspä- testens nach dem schrecklichen Mord an einer Freiburger (Zurufe von der LINKEN) Studentin und nach Appellen aus der Praxis ist klar ge- die aber auch glauben, es sei die vornehmste Aufgabe worden, dass wir hier tätig werden müssen. Künftig sol- dieses Hauses, in Relation zu sozialen Netzwerken den len äußere Merkmale wie etwa Augen-, Haar- und Haut- parlamentarischen Kniefall zu praktizieren. Das ist nicht farbe und auch das Alter abgefragt werden dürfen. unsere Überzeugung. Wir haben den Einstieg in die Re- (Beifall des Abg. Dr. [CDU/ gulierung sozialer Netzwerke gefunden. CSU]) (Zurufe von der LINKEN) Es geht auch um die Alltagssorgen der Menschen. Wir werden das, was in den vergangenen Tagen gesche- Das betrift etwa die Wohnungseinbruchskriminalität. hen ist, zum Anlass nehmen, diesen Weg weiter zu ge- Wir haben hier in der vergangenen Legislaturperiode hen. Die Menschen haben das verdient. viel auf den Weg gebracht. Wir sehen, dass die Zahlen beim Wohnungseinbruchsdiebstahl in Deutschland er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- freulicherweise wieder sinken. Wir werden die Mittel für ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2171

Dr. Stephan Harbarth (A) Meine Damen und Herren, bei allem Bemühen, die sich gegeben haben. Ich glaube, dann stellen wir Vertrau- (C) Rechtsordnung zu verbessern, müssen wir uns immer in en in den Rechtsstaat wieder her; denn das ist der philo- Erinnerung rufen, was uns der Philosoph Ludwig Feuer- sophische Oberbau des Rechtsstaats. bach ins Stammbuch geschrieben hat: Danke schön. ... der Mensch ist nicht der Gerechtigkeit oder der (Beifall bei der AfD) Justiz wegen, sondern die Justiz ist des Menschen wegen. Vizepräsidentin Petra Pau: Diese dienende Funktion müssen wir auch in der neuen Herr Harbarth, Sie haben das Wort zur Erwiderung. Legislaturperiode im Blick haben. Wir müssen verloren- gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Wir müssen den Rechtsstaat handlungsfähiger machen. Wir müssen den Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Rechtsstaat stärken. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Herr Kollege, da Sie die Fragen angesprochen haben, ist hierzu gerne bereit. wie wir Defzite im Bereich des Rechtsstaats in den kom- menden Jahren bekämpfen wollen, schlage ich Ihnen Herzlichen Dank. vor: Lesen Sie die sehr umfangreichen Passagen in unse- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rem Koalitionsvertrag. Darin haben wir, glaube ich, sehr ordneten der SPD) viel ausbuchstabiert, was wir in den kommenden Jahren tun müssen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie plädieren dafür, eine Wende vorzunehmen, Sie Zu einer Kurzintervention hat Herr Gottschalk das plädieren dafür, dass wir geltendes Recht respektieren Wort. und anwenden. Ich würde Ihnen vor allen Dingen raten: Beginnen Sie damit in Ihrer eigenen Fraktion. Kay Gottschalk (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Herr Kollege, zunächst muss ich sagen: Ihre Ansät- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ze – da bin ich einmal bei Ihnen –, den Rechtsbereich zu stärken und Personal einzustellen, sind löblich. Wenn ich mir die Lebensläufe und die Vorgänge so an- schaue, dann habe ich den Eindruck, dass es dort ziem- Würden Sie mir aber zustimmen, dass es viel wichti- lich viele Berührungspunkte mit dem Strafgesetzbuch ger wäre – da appelliere ich an die CDU/CSU und auch gibt, aber genau von der falschen Seite. an die FDP –, eine geistige Wende in diesem Land her- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (B) vorzurufen? Es wird versucht, mit Regulatorik, mit Maß- (D) nahmen und Gesetzen Dinge zu ändern, die gesellschaft- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE licher Natur sind. Es wird versucht, mit Maßnahmen im GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: juristischen Bereich gesellschaftliche und wirtschaftliche Stuss! Richtiger CDU-Stuss!) Probleme zu lösen, weil wir die Augen davor verschlos- sen haben und wir als Politik und Sie als Regierung nicht Vizepräsidentin Petra Pau: den Mut haben, diese zu benennen. Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. Wir können doch nicht die Wohnungsprobleme mit einer völlig vergurkten Mietpreisbremse lösen – wir wis- (Beifall bei der FDP) sen, dass sie versagt –, sondern müssen sehen, dass da ein Markt nach Gesetzen einer gewissen Logik funkti- Stephan Thomae (FDP): oniert. Wir können doch nicht unbegrenzt Platz in den Frau Präsidentin! Verehrte Frau Bundesministerin, zu- Städten schafen, sondern müssen versuchen, die Regio- nächst möchte ich Ihnen persönlich wie auch im Namen nen zu stärken, das Leben in den ländlichen Regionen meiner Fraktion für Ihr neues Amt viel Glück, Erfolg und wieder attraktiver zu machen. Das geht nur, wenn wir als Gottes Segen wünschen. Das alles werden Sie brauchen, Politiker wieder das tun, wofür uns die Menschen drau- auch schon gleich am Anfang; denn Sie müssen schon ßen im Land wählen, nämlich Führung und klare Ideen bald Ihr erstes Meisterstück abliefern, hängt doch der zu entwickeln und Kurs zu halten. Das tun Sie an dieser Haussegen in der neuen Koalition schon ein bisschen Stelle nicht. schief wegen eines Themas, das Ihr Ressort betrift. Sie Die Asylkrise und die Euro-Krise sind das zweite ahnen, ich spiele auf § 219a StGB an, ein Thema, das Symptom. Wir und Sie als Regierung müssen wieder ler- diese junge Koalition, – ich will nicht sagen, – an den nen, sich an geltende Gesetze zu halten. Sie schafen die Rand einer Koalitionskrise gebracht hat, aber schon auf ganzen Verfahren doch erst deswegen, weil Sie vorher eine Bewährungsprobe stellt. Rechtsbrüche en masse begangen haben. Es geht dabei nicht etwa, wie manche intonieren, Versuchen Sie zum einen also bitte, gesellschaftliche um Schwangerschaftsabbrüche, es geht eigentlich nicht und politische Probleme nicht immer juristisch lösen zu einmal um Werbung dafür, sondern es geht darum, dass wollen, sondern als Politiker endlich wieder Hintern in sich Frauen, die sich in einer Zwangslage befnden, frei der Hose zu haben und zu sagen, wo wir hinwollen und informieren möchten. Sie von der SPD sollten das Einlö- was wir tun wollen. Handeln Sie zum anderen doch end- sen des Versprechens, das der Fraktionsvorsitzende Ihres lich nach Ihren eigenen Gesetzen und Verträgen, die Sie Koalitionspartners Ihrer Fraktionsvorsitzenden gegeben 2172 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Stephan Thomae (A) hat, einfordern, dass die SPD hier frei nach ihrem Ge- Das ist nicht unser Metier als Juristen. Ich glaube, das (C) sellschaftsbild, ihrem Menschenbild abstimmen darf. Es sollten wir den Baupolitikern überlassen. Wir haben steht der Partei Willy Brandts gut zu Gesicht, dass sie hier nicht die Möglichkeit, mit dem Gesetzbuch in der Hand ein Stück Modernisierung und Emanzipation wagen darf. Wohnungen zu bauen. Das müssen andere übernehmen. Ich möchte Ihnen Mut machen: Lassen Sie sich nicht auf Verzögerungen, Verschleppungen und Verschiebungen (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf ein. Das begann ja bedauerlicherweise alles schon im von der CDU/CSU: Wir machen das!) Rechtsausschuss. Setzen Sie sich durch! Sonst fährt man Als letzten Punkt, bevor meine Redezeit abläuft, will mit Ihnen drei Jahre lang Schlitten. Das sollte in diesem ich ein Thema erwähnen, das Sie zu Recht angesprochen Bereich nicht sein. haben, Frau Ministerin. Das Thema Digitalisierung be- trift jeden, auch uns Rechtspolitiker und uns Juristen. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Daten sind Macht, und Algorithmen steuern Entschei- Dr. [CDU/CSU]) dungsprozesse immer stärker automatisiert und entziehen sich den Regeln der Rechtsstaatlichkeit. Zu Recht haben Denn wenn schon ein einziger kleiner Paragraf im viele Leute heutzutage mehr Angst vor einem schlech- Strafgesetzbuch eine veritable Krise auszulösen vermag, ten Scoring als vor dem Gerichtsvollzieher. Hier müssen wie soll das noch werden, wenn es gar um die großen wir Regeln fnden, wie wir auch die Digitalisierung und Modernisierungsprojekte dieser Amtsperiode gehen damit die algorithmengestützten Entscheidungsprozesse wird? Gerade die Familie ist etwas, das in einem stän- dem Recht unterwerfen. Das ist ein großes Projekt, das digen Wandel begrifen ist, und die Familie endet auch wir angehen müssen, und ich bin froh, dass Sie das in nicht, wenn sich Eltern trennen oder scheiden lassen. Da- Ihrer Rede so prominent vorgestellt haben. mit müssen wir uns befassen, weil auch dann die Kinder im Vordergrund stehen müssen, auch im Interesse der Bevor meine Redezeit endet, wünsche ich Ihnen noch Eltern. einmal Glück, Erfolg und alles Gute. Denken Sie von Zeit zu Zeit daran, wem Sie es mitverdanken, dass Sie in So wie das Sorgerecht zu Recht dahin gehend geän- dieser Wahlperiode dieses Amt ausüben dürfen! dert wurde, dass mit der Scheidung der Eltern das Sorge- Danke schön. recht, also die Verantwortung der Eltern für die Kinder, nicht endet, so muss auch für die Betreuung etwas Neues (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei gefunden werden. Rollenbilder ändern sich. Das Ver- Abgeordneten der CDU/CSU) ständnis der Väter, aber auch der Mütter, was ihre Ver- (B) antwortung für die Kinder angeht, ändert sich ebenfalls. Vizepräsidentin Petra Pau: (D) Das ist ja etwas Schönes. Deswegen müssen wir von dem Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege gesetzlichen Regelbild des Residenzmodells abkommen Friedrich Straetmanns das Wort. und etwas Neues ins BGB aufnehmen. Aus unserer Sicht ist es Zeit, ein Wechselmodell einzuführen, das beinhal- (Beifall bei der LINKEN) tet, dass die Betreuung der Kinder auch nach der Tren- nung der Eltern durch beide Elternteile gewährleistet ist. Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zu- Es geht aber auch um ein ganz anderes Thema: die hörer! Und natürlich auch sehr geehrte Frau Ministerin! Abstammungsmedizin. Die Antwort, die unser Recht Auch für die Opposition darf ich Ihnen viel Erfolg und hierauf gibt, nämlich alles zu verbieten – Leihmutter- ein gutes Händchen in Ihrem neuen Amt wünschen. So schaft und Eizellenspende –, wird, wenn sich rings um viel Fairness muss sein. uns herum die Welt verändert, nicht mehr die richtige Antwort für unser Jahrhundert sein können. Es sind – ich (Beifall bei der LINKEN) gebe es zu – schwierigste rechtliche und ethische Fragen Sie können sogar auch Unterstützung von der Linken er- zu beantworten. Ich habe Respekt vor jeder Aufassung, warten. Es gibt bestimmte Themen – ich habe mir sieben aber dem Rad der Zeit in die Speichen zu greifen, wird herausgepickt –, zu denen ich gerne mit Ihnen ins Ge- auf Dauer nicht gelingen können. spräch kommen möchte. (Beifall bei der FDP) Das erste Thema „Demokratieausbau und Stärkung der Bürgerbeteiligung“ ist uns als Partei extrem wichtig. Das Thema Mietpreisbremse spielte schon eine Rolle. Viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sind poli- Sie sprachen davon, dass Sie die Mietpreisbremse ver- tikverdrossen. Deshalb müssen wir als Politiker doch er- schärfen bzw. scharf machen wollen, weil sie bislang kennen, dass wir diesen Bürgerinnen und Bürgern einen nicht gegrifen hat. Ich meine, man muss darüber nach- stärkeren Einfuss auf die Politikgestaltung geben müs- denken, ob dieses Instrument überhaupt das richtige ist. sen. Wir müssen das allerdings in einem verbindlichen Sie werden die Mietpreise nicht mit dem Gesetzbuch in Rahmen tun. Darin sind wir uns wahrscheinlich einig. der Hand bremsen können. Dazu müssen Sie Ziegelstei- ne in die Hand nehmen. Wir haben als Partei zu dem Stichwort „Volksbegeh- ren und Volksgesetzgebung“ ein sehr schönes Konzept (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Bis jetzt noch!) entwickelt. Statt aber unsere durchdachten Vorschläge Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2173

Friedrich Straetmanns (A) aufzugreifen, beabsichtigen Sie, dieses wichtige The- Das Strafrecht muss allerdings – da stimme ich Ihnen (C) ma in einer Expertenkommission zu versenken, um es zu – umfassend bereinigt werden. Seine Funktion als Ul- einmal so auszudrücken. Dieses Thema der politischen tima Ratio muss wiederhergestellt werden. Überfüssige Rechten zu überlassen, halten wir für einen groben poli- Straftatbestände sind zu streichen, sei es die Beleidigung tischen Fehler. des Bundespräsidenten oder das Erschleichen von Leis- tungen. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das war ja Politikverdrossenheit hat auch wesentlich mit fehlen- klar!) der Transparenz zu tun. Die Linke fordert deshalb schon seit langem ein verbindliches Lobbyregister. Wir haben einen Gesetzentwurf, der sich zur Ersatzfrei- heitsstrafe verhalten wird. Das ist ein gutes Thema; denn (Beifall bei der LINKEN – Dr. Eva Högl die Ersatzfreiheitsstrafe trift leider überwiegend arme [SPD]: Wir auch!) Menschen. Vor dem Hintergrund, dass kurze Haftstrafen eine Resozialisierung eher verhindern als befördern, wol- Denn die Bürgerinnen und Bürger wollen und müssen len wir die Ersatzfreiheitsstrafe abschafen. wissen, wer wie und wo Einfuss auf die Politik nimmt. Die SPD hatte im Wahlprogramm ein verpfichtendes (Beifall bei der LINKEN) Lobbyregister – ebenso wie die Grünen – gefordert. Aber die CDU hat es zusammen mit der CSU abgelehnt. Der Zum § 219a StGB hat der Kollege Thomae von der Koalitionsvertrag schweigt dazu. Das wäre doch ein FDP-Fraktion schon dankenswerterweise etwas referiert. schönes Thema, das wir gerne mit der SPD und Ihnen Ich werde mir weitere Ausführungen dazu sparen. Ich bin im Bundestag angehen würden. Einen Antrag dazu ha- an dieser Stelle mit der FDP einig. Das ist erstaunlich, ben wir bereits eingebracht. Gemeinsam könnten wir das nicht wahr? schafen. (Heiterkeit bei der FDP – Stephan Thomae (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- [FDP]: Das freut mich!) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Lassen Sie mich noch etwas zum Verbraucherschutz GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE sagen. Frau Ministerin, Sie wollen die Bürgerrechte beim GRÜNEN]: Wir sind dabei! – Gegenruf der Verbraucherschutz stärken, indem Sie Musterfeststel- Abg. Dr. Eva Högl [SPD]: Wir auch!) lungsklagen gegen Unternehmen einführen. Das begrü- ßen wir. Das bisherige Ungleichgewicht – hier ein großer Zum Straf- und Strafprozessrecht haben sich hier schon Konzern, dort der einzelne Verbraucher – muss ein Ende viele Redebeiträge verhalten. Das ist ein sehr sensibles (B) fnden. Die bisherige Rechtslage gibt den Verbrauchern (D) Thema. In den vergangenen Legislaturperioden war die keine einfachen Instrumente an die Hand, um gegen be- Antriebsfeder zu Veränderungen in der Sicherheitspolitik trügerische Konzerne vorzugehen. VW lässt grüßen. Die und im Strafrecht Angst. Angst ist, wie wir Juristen wis- Lehre kann nur sein: Verbraucherrechte müssen deutlich sen, ein schlechter Ratgeber. Das hat dazu geführt, dass gestärkt werden. Klagemöglichkeiten müssen substanzi- Sicherheitspolitik und Strafrecht verschärft und auf ein ell erweitert werden. übertriebenes Maß ausgedehnt wurden. Die notwendige Prävention blieb schon damals auf der Strecke. Die neue (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Bundesregierung setzt hier noch einen drauf. Laut Koa- Stephan Thomae [FDP]) litionsvertrag soll das Strafprozessrecht – das haben wir gerade wieder gehört – noch einmal verschärft werden Bei der Verbraucherklage und der Musterfeststel- zulasten der Beschuldigten; davon müssen wir ausgehen. lungsklage sind wir in der Tat der Meinung, dass das Opt- out-Prinzip, demzufolge das Ergebnis der Klage quasi (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Es soll be- auf die Nichtkläger übertragen wird, das Beste ist, um die schleunigt werden!) Verbraucherrechte zu schützen. An dieser Stelle würden wir gerne mit Ihnen gesetzgeberisch weiterdenken. Als Beispiel sind im Koalitionsvertrag Verfahrensbe- schleunigungsgesichtspunkte genannt. Verfahrensbe- (Beifall bei der LINKEN) schleunigung heißt für uns hier: Beschneidung von Be- Erfolgreicher Verbraucherschutz kann aber nur gelin- schuldigtenrechten. gen, wenn ein Unternehmensstrafrecht in Kraft gesetzt (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das wird, das diesen Namen auch verdient. Zu Facebook muss gar nicht sein!) wurde hinreichend etwas gesagt; das sehen wir genauso wie Sie. Nutzen Sie die Möglichkeit, solchen Konzernen Beweisanträge von Beschuldigten und Nebenklägern rechtliche Grenzen zu setzen. sollen künftig im Vorabverfahren abgelehnt werden. Das NSU-Verfahren lässt grüßen. Da war schon die Neben- Zum Schluss noch ein Punkt, der mir als langjähriger klage den meisten lästig. Grundrechte werden so ausge- Richter am Sozialgericht ein besonderes Bedürfnis ist. höhlt, ohne dass Ermittlungserfolge dadurch nachgewie- Wir haben viel über die Justiz gesprochen; sie ist wich- sen wären. Sicherheit wird suggeriert statt hergestellt. tig. Die Gerichte sind wichtig. Besonders wichtig sind Wir als Linke lehnen diesen Ansatz ab und sehen uns da aus unserer Sicht aber die Sozialgerichte; denn diese sind mit der Anwaltschaft in einem Boot. wichtig für das Funktionieren des Sozialstaats. Sie sind seit mehr als zehn Jahren dauerbelastet. Die Kolleginnen (Beifall bei der LINKEN) und Kollegen machen eine tolle Arbeit. Die Dauerbelas- 2174 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Friedrich Straetmanns (A) tung ist aber die Folge einer verfehlten Sozialpolitik. Für Rechtsbehelfe führen zu kürzerer Verfahrensdauer und (C) diese steht – das kann ich Ihnen nicht ersparen – Ihre mehr Rechtssicherheit. Partei mit der verfehlten Agenda-Politik. Wir stehen als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Partei dafür, diese abzuschafen. sowie des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP]) Vielen Dank. Einen entsprechenden Gesetzentwurf haben wir Grüne (Beifall bei der LINKEN) bereits eingebracht, was Sie natürlich nicht davon abhal- ten soll, sich der Sache anzunehmen.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Wort hat Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/ Im Strafrecht kündigen Sie eine evidenzbasierte Ge- Die Grünen. setzgebung an. Das wäre wirklich einmal etwas Neues. Die letzten vier Jahre haben wir davon wenig gesehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Machen Sie Schluss damit, dass jeweils nach einzelnen erschütternden Verbrechen die Gesetzgebungsmaschine Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): angeworfen wird und Symbolgesetze ins Strafgesetzbuch geschrieben werden. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, auch von meiner (Beifall des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP]) Seite zunächst einmal die herzlichsten Glückwünsche zu diesem Amt. Denn in Zeiten, in denen der Rechtsstaat Stärken Sie stattdessen das Vertrauen in den Rechtsstaat, von Populisten massiv unter Beschuss genommen wird – indem Sie aufzeigen, dass unsere Gesetze durchaus ge- hier in Deutschland, aber auch bei unseren europäischen eignet sind, Straftaten zu erfassen und zu ahnden. Nachbarn –, kommt diesem oft unterschätzten Amt eine Im Koalitionsvertrag wird die Beschleunigung von besondere Bedeutung zu. Strafverfahren angesprochen. Angesichts dessen habe auch ich große Sorge, dass dies am Ende wieder einmal Allerdings muss ich gleich sagen, dass ich in Ihrer allein zulasten der Beschuldigtenrechte gehen wird. Als Antrittsrede als Justizministerin ein wenig die Justiz ver- Justizministerin in der heutigen Zeit ist es unter ande- misst habe. rem Ihre Aufgabe, den Menschen trotz aller Empörung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu verdeutlichen, was den funktionierenden Rechtsstaat ausmacht. Die Unschuldsvermutung und hohe rechts- Immer dann, wenn es darum geht, den demokratischen staatliche Verfahrensstandards dürfen dem populisti- (B) Rechtsstaat, die Unabhängigkeit von Justiz und Anwalt- schen Schrei nach Vergeltung nicht geopfert werden. (D) schaft, die Bürgerrechte zu verteidigen, werden Sie auf uns Grüne zählen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Stattdessen macht es durchaus Sinn, sich noch einmal Kollegin Keul, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder die Reform der Opferschutz- und Opferentschädigungs- Zwischenbemerkung von Herrn Müller? regelungen vorzunehmen. Das stand ja schon 2013 im Koalitionsvertrag, und nichts ist passiert. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, das stimmt!) Nein. – Ich freue mich deshalb darüber, dass der soge- nannte Pakt für den Rechtsstaat den Weg in Ihren Koali- Zugegeben, die systematische Neuordnung der Opferent- tionsvertrag gefunden hat. 2 000 neue Richterstellen bei schädigung ist ein dickes Brett und wird seine Zeit brau- den Gerichten der Länder und des Bundes schafen zu chen. Die von uns Grünen vorgeschlagene Streichung der wollen, klingt wirklich gut. In der Finanzierungsliste des Ausnahme im Opferentschädigungsgesetz für Straftaten, Koalitionsvertrages fndet sich dazu allerdings nichts. die mittels eines Kraftfahrzeuges begangen werden, wäre schon einmal ein Anfang und ein Signal an die Opfer und (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: So ist es!) Hinterbliebenen des Anschlags auf dem Breitscheidplatz. Was das für die zuständigen Länder bedeutet, bleibt (Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak ebenfalls völlig ofen. [CDU/CSU] – Dr. Eva Högl [SPD]: Da haben Sie recht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Opferschutz ist aber nicht der einzige Wiedergän- Manchmal braucht es aber gar nicht viel Geld, um ef- ger im Koalitionsvertrag. Die Unternehmenssanktionen fzienter zu werden, so zum Beispiel bei den durch Asyl- wollten Sie auch schon vor vier Jahren angehen. prozesse überlasteten Verwaltungsgerichten. Durch die (Dr. Eva Högl [SPD]: Jetzt machen wir es!) Schafung einer Berufungsmöglichkeit im Hauptverfah- ren und einer Beschwerdemöglichkeit im einstweiligen Wir haben als Grüne – hört! hört! – in der Zwischenzeit Rechtsschutz könnte sich endlich eine obergerichtliche umfangreiche Vorschläge zur Reform des § 30 des Ge- Rechtsprechung etablieren, die wegweisend wäre für vie- setzes über Ordnungswidrigkeiten, OWiG, erarbeitet und le erstinstanzliche Verwaltungsgerichte. Hier gilt: Mehr vorgelegt. Auf diese Vorschläge können Sie aufbauen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2175

Katja Keul (A) Dass hier dringend etwas passieren muss, hat uns ja die Eines kann ich Ihnen zum Schluss auch nicht erspa- (C) Automobilindustrie deutlich vor Augen geführt. ren: Lassen Sie uns endlich den unsäglichen und verfas- sungswidrigen § 219a StGB abschafen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Trotzdem fehlt in Ihrem Koalitionsvertrag wieder ein- bei der SPD und der LINKEN – Dr. Jan- mal der Whistleblower-Schutz. Wenn Sie Straftaten aus Marco Luczak [CDU/CSU]: Verfassungswid- Unternehmen heraus efektiv verfolgen wollen, müssen rig ist der auch schon?) Sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch Sehr geehrte Frau Ministerin, nachdem Ihre Fraktion am sonstigen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern end- Mittwoch im Rechtsausschuss den zuvor vereinbarten lich gesetzlichen Schutz gewähren. Beim kollektiven Anhörungstermin, 16. April, hat platzen lassen, Rechtsschutz haben Sie sich ja jetzt eine zeitliche Frist bis November gesetzt. Das ist auch dringend notwendig, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Es ist nichts damit die geprellten Dieselfahrer ihre sonst verjähren- vereinbart gewesen!) den Ansprüche gegenüber der Autoindustrie noch besser durchsetzen können. Unser Gesetzentwurf zur Gruppen- kann ich nur eindringlich davor warnen, bei der weiteren klage hat gegenüber der Musterfeststellungsklage erheb- Verzögerung der Gesetzesreform Beihilfe zu leisten. liche Vorteile. Da dürfen Sie gerne von uns abschreiben; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir sind da gar nicht kleinlich. sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie das geht, haben wir bei der Ehe für alle vier Jahre Über die sonstigen Ankündigungen im Verbrau- lang beobachten können. cherschutz sind wir erst einmal erfreut, und wir harren gespannt der Umsetzung: von der Ausweitung der Ba- (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ganz Fin-Aufsicht auf alle Finanzanlagenvermittler über mehr anderer Sachverhalt!) Transparenz bei Algorithmen und Vergleichsportalen bis So lange können die angeklagten Frauenärztinnen und hin zur Institutionalisierung der Marktwächter. Auch die Frauenärzte nicht warten. In diesem Sinne: Legen Sie geplanten Maßnahmen gegen Strom-, Wasser- und Gas- los! sperren begrüßen wir ausdrücklich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD) (B) (D) Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre Mietpreisbremse der letzten Legislatur ist ein Rohrkrepierer gewesen. Die Mieten sind einfach weiter Das Wort hat Dr. Johannes Fechner für die SPD-Frak- gestiegen. Wir Grüne wollen eine echte Stärkung der tion. Rechte der Mieterinnen und Mieter, sowohl im Wohn- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten raum- als auch im Gewerbemietrecht. der CDU/CSU) Traurig ist, ehrlich gesagt, die Wirkung all der schönen Expertenkommissionen gewesen. Der von Ihrem Vor- Dr. Johannes Fechner (SPD): gänger eingesetzte Arbeitskreis Abstammungsrecht hat Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! konkrete Empfehlungen an den Gesetzgeber gemacht, Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Sehr die aus unserer Sicht eine gute Grundlage wären. Statt geehrte Justizministerin, auch wir wünschen Ihnen alles aber den Handlungsbedarf zu sehen und die Empfehlun- Gute und haben keinen Zweifel, dass wir die Rechtspoli- gen jetzt umzusetzen, soll der Reformbedarf erneut ge- tik erfolgreich gestalten werden. prüft werden. Wie lange wollen Sie denn noch prüfen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Gutachten zur Reform von Qualitätssicherung Wir haben schon in der letzten Wahlperiode rund und Vergütung im Betreuungsrecht liegt inzwischen vor. 100 Gesetze für die Bürgerinnen und Bürger durchge- Es muss in Zusammenarbeit mit den Ländern umgesetzt setzt. Wir wollen daran festhalten, dass wir im Verbrau- werden. Aufgrund der Zunahme der Zahl von rechtlichen cherschutz und in der Rechtspolitik wichtige Verbes- Betreuungen dürfen wir nicht zulassen, dass ausgerech- serungen durchsetzen. Wir wollen mehr Personal für net die Vereine, die die ehrenamtlichen Betreuungen un- Justiz und Polizei schafen – in enger Abstimmung mit terstützen, aus fnanziellen Gründen aufgeben. dem Richterbund übrigens. Wir werden für schnellere Strafprozesse sorgen, ohne die Beschuldigtenrechte ein- Die Reformvorschläge für die Tötungsdelikte sind zuschränken. Wir werden die Sanktionen für kriminelle völlig in der Versenkung verschwunden, obwohl es an Unternehmen verschärfen. Wir werden den strafrechtli- der Zeit gewesen wäre, den täterbezogenen Mordtatbe- chen Schutz von Kindern vor Missbrauch verbessern und stand endlich ins moderne Strafrechtszeitalter zu über- vieles mehr. Alles das sind wichtige und notwendige Ver- führen. besserungen, die die SPD für die Bürgerinnen und Bür- ger durchsetzen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das wäre gut gewe- sen!) (Beifall bei der SPD) 2176 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Johannes Fechner (A) Dabei muss es uns immer auch darum gehen, das Ver- innerhalb von sechs Jahren erhöht werden kann. Die SPD (C) trauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat zu wird bei diesen explodierenden Mieten die Mieter nicht stärken. Dazu gehört: Wer recht hat, der muss auch recht im Regen stehen lassen. bekommen. – Deswegen ist die Musterfeststellungskla- ge für den Verbraucherschutz so wichtig. Damit können (Beifall bei der SPD – Dr. Jan-Marco Luczak Einrichtungen wie etwa die Verbraucherzentralen das [CDU/CSU]: Wir auch nicht!) Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Bür- Aus aktuellem Anlass möchte ich auch einen Satz zu gerinnen und Bürger feststellen lassen. Es besteht kein § 219a StGB sagen. Zunächst eine Klarstellung: Die SPD nennenswertes Kostenrisiko. hat den Entwurf, den wir eingebracht haben, nicht zu- (Sonja Amalie Stefen [SPD]: Genau!) rückgezogen, Weil nicht jeder einzelne Anspruch getrennt geprüft (Beifall bei der SPD) werden muss, steht rasch fest, ob der Anspruch des Ver- und es war auch kein Anhörungstermin vereinbart. Das brauchers besteht. Kurzum: Es gilt dann der Grundsatz: war ein ungewöhnlicher Vorgang im Rechtsausschuss. Wer recht hat, der muss auch recht bekommen – und das schnell und kostengünstig. – Genau nach diesen Prinzi- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen für pien, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir den mehr Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte sor- Verbraucherschutz mit diesem Instrument stärken. gen. Die SPD-Fraktion erwartet zeitnah den Vorschlag der Bundesregierung. Wir werden uns hier nicht auf den (Beifall bei der SPD) Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten lassen. Ich bin opti- Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den mistisch, dass die Zusage der Kanzlerin gilt und dass die Rechtsstaat stärken wir auch, indem wir die Unterneh- Unionsfraktion dem folgen wird, dass wir zeitnah für die menssanktionen deutlich verschärfen. Wenn Unterneh- Ärztinnen und Ärzte, aber auch für die Frauen, die drin- men gegen Gesetze verstoßen, dann muss das spürbare gend Zugang zu sachlichen Informationen brauchen, eine Sanktionen zur Folge haben. Es darf beim Bürger nicht Lösung fnden werden. der Eindruck entstehen: Die Kleinen fängt man, und die (Stephan Thomae [FDP]: Das ist wichtig!) Großen lässt man laufen. An die AfD gerichtet: Wenn Ihnen die Rechtspolitik so (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wichtig ist: Wo ist denn dann der Ausschussvorsitzende? Deshalb ist es richtig, dass wir das Höchstmaß an Sank- Vielen Dank. tionen für betrügende Unternehmen erhöhen und noch (B) einen Schritt weitergehen, nämlich die verhängten Sank- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei (D) tionen dann auch veröfentlichen. Das dient auch dem Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und fairen Wettbewerb; denn dadurch können sich die be- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) trügenden Unternehmen keinen Vorteil mehr gegenüber den anständigen und ehrlichen Unternehmern bei uns in Vizepräsidentin Petra Pau: Deutschland sichern – liebe Kolleginnen und Kollegen, Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat eine ganz wichtige Maßnahme. Herr aus der AfD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD) Das Vertrauen der Bürger in den Staat hängt auch da- von ab, ob sie den Eindruck haben, dass sich die Politik, Tobias Matthias Peterka (AfD): dass sich der Bundestag ihrer Probleme tatsächlich an- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Die nimmt. Wir sehen, dass es immer weniger bezahlbaren Bundesregierung verkündet hier seit Tagen so einiges. Wohnraum gibt. Zwar ist richtig, Herr Kollege Thomae, Der angeblich am schnellsten zustandegekommene Ko- dass wir im Koalitionsvertrag sehr viele Maßnahmen be- alitionsvertrag aller Zeiten befasst sich jedoch nur auf 11 schlossen haben, um mehr Wohnraum zu schafen; aber von circa 180 Seiten mit genuinen Reformen des Rechts- es wird das eine oder andere Jahr dauern, bis das alles staats; das Steuerrecht einmal ausgeklammert. Es ist von umgesetzt ist, bis Wohnraum zur Verfügung steht. In einem „modernen Recht“ in einem „modernen Staat“ für dieser Zeit können wir nicht zuschauen, wie die Mieten eine „moderne Gesellschaft“ die Rede. Das ist dasselbe nicht nur in den Großstädten weiter explodieren. Es ist Füllwort dreimal hintereinander. Wäre es nicht besser, mittlerweile so, dass selbst Normalverdiener Probleme Fehlentwicklungen schonungslos zu benennen und eine haben, bezahlbaren Wohnraum zu fnden, und dass Fa- Strecke des Weges zurückzugehen, um festzustellen, wo milien einen Großteil ihres Einkommens für die Miete man denn begann, falsch abzubiegen, wo der normale ausgeben müssen. Bürger anfng, sich zu fragen, welche Prioritäten ihm hier Dabei schaut die SPD nicht zu. Wir wollen deshalb eigentlich vorgesetzt werden? die Mietpreisbremse verschärfen. Wir wollen, dass die Die interkulturelle Kompetenz der Justiz soll also ver- rechtswidrigen Überzahlungen von Anfang an zurückzu- bessert werden. Vielleicht ist es eher einmal notwendig, zahlen sind, wir werden die Höhe der Modernisierungs- die rechtsstaatliche Kompetenz mancher Kulturen zu umlage von 11 auf 8 Prozent reduzieren, und wir wollen verbessern. einen Deckel einbauen, sodass die Miete nach einer Mo- dernisierung nicht um mehr als 3 Euro pro Quadratmeter (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2177

Tobias Matthias Peterka (A) Sie wollen das Bewusstsein für vergangenes Unrecht bei desländer, wie man am Beispiel des Anschlags auf dem (C) Richtern und Mitarbeitern im öfentlichen Dienst schär- Breitscheidplatz sehen musste. fen. Das ist löblich. Aber: Zum einen sollten Sie hier (Beifall bei der AfD) nicht nur den Nationalsozialismus nennen, sondern auch dessen verkappten Bruder, den Internationalsozialismus Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben, bevor Sie der DDR, wieder feuchte Träume einer immer engeren Union träu- men. Asylverfahren außerhalb unserer Landesgrenzen (Beifall bei der AfD – [DIE und konsequente Abschiebungen stehen auf dem Spick- LINKE]: Wie kann man Nationalsozialismus zettel, den Sie anscheinend immer noch nötig haben. verharmlosen?) (Beifall bei der AfD – Stephan Thomae [FDP]: zum anderen muss dringend das Bewusstsein für aktuell Sie sind beim BMI gelandet! Falsche Debatte! hier ablaufendes Unrecht geschärft werden. Wir sind beim Justizressort!) Zum Strafprozessrecht wurde schon einiges gesagt; Frau Ministerin, die AfD wird der kleinen und klein- manches war sogar richtig. Komplett unangetastet aber mütigen GroKo stets genau auf die Finger schauen, wenn lässt der Koalitionsvertrag sinnvolle Verschärfungen des weiterhin Unrecht zu Recht gemacht werden soll – ob materiellen Strafrechts. Wahrscheinlich sind Ihnen die ofen oder verdeckt. Prinzipien „Abschreckung“ und „Sühne“ einfach nicht modern genug. Gehen Sie auch hier zurück, und fnden Vielen Dank. Sie heraus, wo Sie ins Unterholz abgebogen sind, in die- (Beifall bei der AfD) ses immer bunter werdende Land, in dem wir alle gefäl- ligst gut und gerne zu leben haben. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der AfD) Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Winkelmeier- Becker für die CDU/CSU-Fraktion. Sollten Sie dazu nicht in der Lage sein: Wir werden es mithilfe der Wähler sehr gerne für Sie übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Was ist das Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): für eine rechtspolitische Aussage? – Dr. Jan- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Marco Luczak [CDU/CSU]: Machen Sie es Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Lassen Sie mich zu doch mal konkret!) Beginn der Rede kurz auf die guten Tipps eingehen, die (B) Ein gemeinsames Musterpolizeigesetz, so liest man wir von der FDP bekommen haben. Ich gebe zu: Das (D) im GroKo-Manifest, soll Zonen unterschiedlicher Si- Thema § 219a StGB macht uns den Start in eine gute Zu- cherheit verhindern, die es auf einmal zu geben scheint. sammenarbeit, die ich trotzdem erwarte und auch anbie- Wir sind sehr gespannt, wie ernst dies gemeint ist. Bisher te, nicht leichter. Es sollte aber nicht die Sorge der FDP hatte die Polizei unter der politischen Führung in diesem sein, wie wir zusammenarbeiten. Gute Tipps von einer Land eher zu leiden und wurde von ihr instrumentalisiert. Partei, die die Möglichkeit zur Mitwirkung an der Regie- rung ausgeschlagen hat und Rechtspolitik hätte gestalten (Beifall bei der AfD) können, brauchen wir nun wirklich nicht, lieber Stephan Thomae. Ich sage nur: G-20-Gipfel oder – ganz aktuell – Kandel ist überall. Lassen Sie die Polizei wieder ihre Arbeit ma- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- chen, und verschonen Sie die Beamten mit politischen ordneten der SPD – Stephan Thomae [FDP]: Einsatzzielen. Kann die Opposition keine Vorschläge mehr unterbreiten?) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie wollen politische Einsatzziele!) Mir ist aufgefallen, dass es Anzeichen für einen Stra- tegiewechsel, der heute Morgen in der „Welt“ sehr an- Weiten Sie den Einsatz von Bodycams aus, und schafen schaulich beschrieben ist, gibt. Dort kann man lesen, Sie eine Rechtslage, in welcher sich angegrifene Polizis- dass man sich ofenbar vorgenommen hat, das Framing ten efektiv zur Wehr setzen dürfen. zu ändern. Bisher ging es immer um Werbung für Ab- treibung. Aber man hat jetzt gemerkt, dass es in der Öf- (Beifall bei der AfD) fentlichkeit doch noch ein Bewusstsein dafür gibt, dass Sie verdienen nämlich jede Rückendeckung bei dem, man für Abtreibung, für Tötung von ungeborenen Kin- was sie tun, nämlich in vielen Gegenden dieses Landes dern nicht wirbt. Sie haben gemerkt, dass Sie damit nicht so etwas Ähnliches wie den Normalbetrieb aufrechtzu- gut ankommen. Jetzt soll das Framing geändert werden. erhalten. Werbung soll jetzt Information heißen. (Beifall bei der AfD) Ich kann dazu nur sagen: Ein Informationsdefzit über die medizinischen und sachlichen Zusammenhänge beim Sie wollen eine efektivere Terrorismusbekämpfung Schwangerschaftsabbruch kann ich nicht erkennen. Und durch eine EU-Sicherheitskooperation ermöglichen. Das es gibt auch kein Informationsdefzit darüber, welche liest sich ebenfalls gut und schön. Derzeit klappt jedoch Ärzte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, wenn noch nicht einmal die Vernetzung der einzelnen Bun- eine Frau sich letztendlich dazu entscheidet. Sollte es 2178 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) dieses aber geben, gibt es andere Möglichkeiten, es aus- tizbarometer der Europäischen Union von 2017 weist (C) zugleichen. In diesem Sinne verstehe ich auch die Ver- aus, dass die deutsche Justiz weiterhin hohes Ansehen einbarungen auf der Ebene der Fraktionsspitzen. genießt, und das völlig zu Recht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ordneten der AfD – Stephan Thomae [FDP]: der SPD) Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge!) Im Vergleich sind die Verfahrensdauern bei uns immer Ein weiterer Punkt. Wir reden heute über Rechtspoli- noch sehr ansehnlich, und wir haben eine hohe Qualität. tik. Dabei machen wir uns Gedanken über die vornehms- Da brauchen wir uns wirklich nicht zu verstecken. te Aufgabe des Rechtsstaats. Die vornehmste Aufgabe des Rechtsstaats ist es, Opfer zu schützen. Deshalb müs- Zum Pakt für den Rechtsstaat gehört ein neues Verfah- sen wir gerade diejenigen in den Blick nehmen, die sich ren, nämlich die Musterfeststellungsklage, die wir gerade selber am wenigsten zur Wehr setzen können, und durch im Sinne der Verbraucher ins Gesetzblatt bringen wol- den Staat schützen. len. Hier soll derjenige, der recht hat, auch recht bekom- men. Das darf nicht daran scheitern, dass Prozesskosten Am schutzbedürftigsten sind die ungeborenen Kinder und -risiko zu hoch sind. Ganz entscheidend wird dabei im Mutterleib. Deshalb müssen wir uns eher darüber Ge- sein, dass wir uns die Klagebefugnis genau anschauen: danken machen – das ist meine Überzeugung –, wie wir Wer darf diese Verfahren führen? Denn wir müssen und diesen Schutz verbessern können, und nicht darüber, ob wollen verhindern, dass dies nach US-amerikanischem wir Werbung für Abtreibung zulassen. Vorbild ein Geschäftsmodell für große Kanzleien wird, (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – die vor allem eines im Sinn haben: damit selber Geld zu Dr. Eva Högl [SPD]: Niemand will hier Wer- verdienen. bung! Echt ätzend!) (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kollegen, wir haben unsere Vorhaben in der Ich glaube, es wird viel Fleiß von uns erwartet. Ich Rechtspolitik in dieser 19. Wahlperiode unter die Über- freue mich auf die Zusammenarbeit. schrift „Ein handlungsfähiger und starker Staat für eine freie Gesellschaft“ gestellt. Dazu gehört der Pakt für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den Rechtsstaat, der mehr Personal vorsieht. Dieses ordneten der SPD) Vorhaben ist im Übrigen zu hundert Prozent an die die ­PEBB§Y-Berechnungen des Deutschen Richterbundes Vizepräsidentin Petra Pau: angelehnt. Wir brauchen eine bessere Ausstattung und – Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die (B) dafür sind wir als Bundesgesetzgeber zuständig – efekti- FDP-Fraktion. (D) vere Verfahren; denn wir machen die Beobachtung, dass sich die Dauer der Verfahren signifkant verlängert hat, (Beifall bei der FDP) vor allem im Strafrecht. Wir haben zum Beispiel im NSU-Prozess immer wie- Dr. Stefan Ruppert (FDP): der dieselbe Leier, dass unsinnige Beweisanträge gestellt Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und werden; zuletzt sollte sogar – kein Scherz – der letzte Herren! Wir haben diesem Haus vier Jahre nicht ange- Gefängniswärter von Rudolf Heß vernommen werden. hört. Die Debatten haben sich in diesen vier Jahren mas- Diese werden zu Recht zurückgewiesen, und dann folgt siv verändert. Die repräsentative Demokratie ist unter natürlich ein Befangenheitsantrag. So geht es immer und Druck geraten, das Vertrauen in Institutionen und Recht immer weiter, wirklich exzessiv und in einer letztendlich hat abgenommen, und wir haben erleben müssen, dass prozessverschleppenden Art und Absicht. Oder: Vor dem die Menschen das Gefühl hatten, dass sich ihr Recht Landgericht Koblenz platzte ein Prozess gegen 26 mut- nicht mehr ausreichend durchsetzen lässt. maßliche Neonazis, weil nach fünf Jahren die Altersgren- (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ze des Richters erreicht war. Das sind Dinge, die einen NEN]: Und all das nur, weil die FDP weg war, Missbrauch darstellen. Hier müssen wir uns tatsächlich ja?) Gedanken machen. Lösungen sind schon vorgeschlagen. Diese Dinge müssen wir angehen. Es geht um die Ab- Herr Seehofer hat das mit den Worten, es gebe eine Herr- wehr von nicht weiterführenden Beweisanträgen, Befan- schaft des Unrechts, beschrieben. Das ist mindestens eine genheitsanträgen, Besetzungsrügen und in großen Ver- analytische Unschärfe. Wenn überhaupt, gibt es ein Pro- fahren auch um die Bündelung der Nebenklagen. blem nicht durchgesetzten Rechts in Deutschland, und die Menschen haben Angst, dass der Staat in alle Lebens- Wir haben hohe Belastungen an den Verwaltungsge- bereiche eingreift, sich durch Bürokratisierung, Gänge- richten. Es gibt schon Vorschläge, wie wir hier zu einer lung und Bevormundung um jedes Detail kümmert, aber schnelleren Klärung relevanter Rechtsfragen kommen. nicht um die Durchsetzung seines Gewaltmonopols und Auch darum wollen wir uns kümmern, genauso wie um die Erfüllung seiner wesentlichen Aufgaben. viele andere Dinge mehr. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ich möchte einem Eindruck entgegentreten: Der Dr. Alexander Gauland [AfD]) Rechtsstaat ist nicht etwa in Gefahr, auch die Justiz nicht. Wir haben sicherlich einen Bedarf, Dinge zu verbessern, Ich muss sagen: Ich freue mich, dass Katarina Barley und wir wollen das entschlossen anpacken. Aber das Jus- Justizministerin geworden ist. Ich habe die Hofnung, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2179

Dr. Stefan Ruppert (A) dass mir ihr ein Stil der Sachlichkeit, der bürgerrechtli- Ich glaube, Sie haben auch das Konstrukt Verbraucher- (C) chen Orientierung und überhaupt des Zuhörens einkehrt. schutz nicht verstanden. Da geht es nämlich mitnichten Ihrem Vorgänger waren meiner Meinung nach Boulevard darum, dass man Leute gängelt, sondern es geht im Ge- und „Bunte“ sowie ein schlechter Umgang mit seinen ei- genteil darum, dass Verbraucherinnen und Verbraucher genen Mitarbeitern häufg wichtiger als das Thema Bür- die Möglichkeit haben, am Markt vernünftige, fundierte gerrechte. Entscheidungen zu trefen, ohne dabei hinter die Fichte geführt zu werden. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist jetzt aber schlech- ter Stil! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das ist (Beifall bei der SPD) ja bei Ihrem Vorsitzenden ganz anders!) Genau das setzen wir mit diesem Koalitionsvertrag fort. Es war, wie ich fnde, guter Stil von Frau Barley, sich Verbraucherschutz ist nichts, was man einfach nur in ein die Debatte zur Innenpolitik anzuhören; denn beide Ver- Ministerium abschieben kann. Verbraucherschutz ist et- fassungsressorts haben in dieser Frage etwas zu sagen. was, was sich in vielen Bereichen des politischen Alltags Das Innenministerium scheint es hingegen nicht für nötig fndet. Das haben wir, glaube ich, in den letzten Tagen zu halten, dieser Debatte zu folgen; denn der Minister gesehen. Deswegen haben wir als SPD dafür gesorgt, ist nicht anwesend. Das ist eigentlich schon bezeichnend. dass sich dieses Thema in allen Bereichen wiederfndet. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Noch ein Wort zum Komplex Mietpreisbremse. Das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ganze wurde ja mehrfach kritisiert. Herr Thomae, glau- be ich, hat dann noch gesagt, dass das Gesetzbuch keine Wir spüren, wie gesagt, Druck. Wir werden das Ver- Wohnungen baut. Ja, das wissen auch wir. Aber es geht trauen in die repräsentative Demokratie nicht dadurch natürlich nicht nur darum, dass wir Wohnungsneubau wiederherstellen, dass wir den Menschen wie ein Ver- fördern, sondern es geht auch darum, die Rechte von suchsobjekt behandeln und mittels Gesetzen als eine Mieterinnen und Mietern in bestehenden Mietverhält- Art Sozialingenieure dafür sorgen, dass er sich besser, nissen zu stärken. Das verhindern wir mit dem Verbot schlechter oder anders verhält, und wir ihn zum Wohl- der Luxussanierung. Es geht auch darum, dass die Leute, verhalten zwingen. Nein, wir müssen Recht durchsetzen. die nicht vorhaben, aufs Land zu ziehen – das war ja die Aber Menschen sind mündig. Sie kümmern sich schon Alternative der AfD –, wo es noch preisgünstigen Wohn- um das, was ihnen wichtig ist. Ein bisschen mehr Ver- raum gibt, nicht mit überbordenden Mieten konfrontiert trauen in das Individuum, in seine Fähigkeit, sein Leben sind. Es gibt in unseren Städten darüber hinaus Stadtteile, in die Hand zu nehmen, wäre mir wichtig. wo wir es mit Gentrifzierung zu tun haben, wo Men- Bei Ihnen tauchen häufg Begrife wie Prävention, schen verdrängt werden. Damit muss man umgehen. (B) Steuerung, Beeinfussung, Anreiz auf. Das sind Voka- Ein weiteres Beispiel, bei dem es ganz klar darum (D) beln, die zum Teil auch einen kleinen manipulativen und geht, Verbraucherrechte zu stärken, ist der Finanzbe- die Freiheit beschränkenden Kern haben. Eine solche Po- reich. Es gibt immer die Neigung, zu sagen: Wir müssen litik können wir als Freie Demokraten nicht mittragen. Finanzmarktregulierung betreiben, um die Finanzmärkte (Beifall bei der FDP) stabil zu halten. – Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass Menschen, die mit ihrem Geld fürs Alter vorsor- Im Ergebnis: Stärken Sie also den freien, eigenver- gen oder sich ein Haus kaufen wollen, die Möglichkeit antwortlichen Menschen. Gängeln Sie ihn nicht. Nerven haben, dieses Geld gut anzulegen. Wer aufmerksam die Sie ihn nicht mit überfüssigen Gesetzen wie dem zur Zeitung gelesen hat – ich nehme nur den Fall P&R, wo unwirksamen Mietpreisbremse, mit einer Vorratsdaten- Leuten Container als sichere Anlagestrategie empfohlen speicherung, die nirgends durchgesetzt werden kann, und wurden –, der sieht: Hier besteht Handlungsbedarf. anderen überfüssigen Details mehr. Kümmern Sie sich vielmehr um die wesentlichen Dinge wie die Herrschaft (Beifall bei der SPD) des Rechts in Deutschland. Dann fnden Sie uns an Ihrer Wir haben den grauen Kapitalmarkt schon in der letz- Seite. ten Legislaturperiode stärker reguliert; aber ich glau- (Beifall bei der FDP) be, es ist richtig und es ist zwingend, dass wir uns jetzt auch die Vermittlerseite genauer anschauen. Die reinen Finanz­anlagenvermittler unter die Aufsicht der BaFin zu Vizepräsidentin Petra Pau: stellen, ist da ein essenzieller Punkt. Es ist richtig, dass Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Sarah wir hier endlich tätig werden. Ryglewski das Wort. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir haben zum Thema Rechtsdurchsetzung schon viel Sarah Ryglewski (SPD): gehört. Auch zum kollektiven Rechtsschutz ist schon viel gesagt worden. Ich möchte die Debatte zur Musterfest- Herr Ruppert, nach dieser Rede muss ich erst einmal stellungsklage nicht wieder aufmachen, aber noch einmal tief durchatmen. Ehrlich gesagt, glaube ich, Sie haben betonen, wie wichtig es ist, dass wir nicht nur Gesetze das, was wir im Koalitionsvertrag zu Recht und Verbrau- schafen, sondern auch dafür sorgen, dass sie durchge- cherschutz geschrieben haben, einfach nicht verstanden. setzt wird. Das tun wir nicht nur, indem wir eine Muster- (Beifall bei der SPD – Dr. Stefan Ruppert feststellungsklage ermöglichen, sondern beispielsweise [FDP]: Das glaube ich nicht!) auch, indem wir den Zugang zur Verbraucherschlichtung 2180 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Sarah Ryglewski (A) erleichtern, indem wir dafür sorgen, dass Inkassounter- Danke schön. (C) nehmen stärker beaufsichtigt werden, indem wir – da weise ich noch einmal auf einen Aspekt hin, den wir auch (Beifall bei der AfD) im Koalitionsvertrag festgehalten haben – sowohl in so- zial benachteiligten Quartieren als auch in ländlichen Vizepräsidentin Petra Pau: Räumen den Zugang zur Verbraucherberatung stärken. Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Das ist essenziell wichtig; denn auch das ist ein Instru- Dr. J­a­n-Marco Luczak das Wort. ment zur Rechtsdurchsetzung. Die Marktwächter, die da- für sorgen, dass sozusagen Marktbeobachtung von unten (Beifall bei der CDU/CSU) stattfndet und wir schnell reagieren können, stärken und verstetigen wir. Das ist wirksamer Verbraucherschutz Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): und keine Bevormundung der Bevölkerung. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Vielen Dank. Herren! Wir haben in der Debatte schon viel von den Herausforderungen gehört, vor denen wir stehen: in der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Welt, in Europa und natürlich auch in unserem eigenen der CDU/CSU) Land. Wie gehen wir mit den Gefährdungen unserer Gesell- Vizepräsidentin Petra Pau: schaft durch den islamistischen Terrorismus um? Wie Das Wort hat Dr. Lothar Maier für die AfD-Fraktion. gewährleisten wir, dass Menschen sicher, frei und unbe- (Beifall bei der AfD) schwert in unserem Land leben können? Was machen wir gegen die Verrohung, die Polarisierung in unserer Gesell- schaft und gegen den Hass in den sozialen Medien? Wie (AfD): Dr. Lothar Maier können wir unter dem Strich sicherstellen, dass der Zu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn sammenhalt in unserem Land gewährleistet ist? eine neue Verbraucherministerin – das sind Sie, Frau Barley – ihr Amt antritt, dann kann man erwarten, dass Für all das, meine Damen und Herren – das wissen ein Anschub für den Verbraucherschutz in der Bundes- wir als Rechtspolitiker –, spielt die Rechtspolitik eine republik erfolgt. Den großen Wurf haben wir vielleicht ganz entscheidende Rolle. Rechtspolitik ist immer auch nicht unbedingt von Ihnen erwartet, aber immerhin et- Gesellschaftspolitik, weil wir die Regeln für unser all- was Zusammenhängendes. Stattdessen legen Sie schon tägliches Zusammenleben miteinander diskutieren und im Koalitionsvertrag ein Sammelsurium von zahlreichen gestalten. Das Entscheidende dabei ist, dass wir diese (B) Einzelmaßnahmen vor, die in keinem inneren Zusam- Regeln so gestalten, dass die Menschen Vertrauen in un- (D) menhang stehen. Sie stehen auch nicht unter einem Ober- seren Staat haben. Dabei geht es zum einen um die Ge- thema, das sich in Gestalt der Digitalisierung angeboten staltung der Rechtsordnung, zum anderen aber geht es hätte, auf die Ihre und auch andere Fraktionen so großen natürlich auch darum, ob unsere Regeln, unsere Gesetze Wert legen. Es gibt zwei oder drei Einzeltitel, die in Ih- auch durchgesetzt werden. Dieses Vertrauen ist wichtig. rem Programm vorgeschlagen werden, aber auch die sind Es ist unsere vornehmste Aufgabe, sicherzustellen, dass im Programm verstreut und stehen in keinem inneren Zu- es bei den Menschen vorhanden ist. Die Rechtsetzung sammenhang. und die Rechtsdurchsetzung müssen eine Einheit bilden. Ich glaube, dass unser Koalitionsvertrag dafür eine gute Das Ganze soll anscheinend in Form von vielen Ein- Grundlage bildet. zelgesetzen und Verordnungen umgesetzt werden. Ver- fahren der modernen, fexiblen, auch außergesetzlichen Von dem Pakt für den Rechtsstaat, den wir gemein- Regulierung sind gar nicht in Betracht gezogen worden, sam miteinander festgelegt haben, ist heute schon viel wie zum Beispiel die Regulierung von Globalzielen in ei- gesprochen worden. Hier muss der Appell vor allen nem Rahmengesetz. Die inhaltliche, die materielle Aus- Dingen an die Länder gehen. Es müssen 2 000 Stellen gestaltung überlässt man beispielsweise der mandatierten bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten geschafen Normung oder – wie in Großbritannien mit großem Er- werden. Ich will noch einmal deutlich machen: Es geht folg praktiziert – der sogenannte Koregulierung. Codes noch darüber hinaus. Es geht nicht nur um Staatsanwälte. of good Conduct der Anbieterverbände werden erstellt, Es geht nicht nur um Richter. Es geht vor allen Dingen ihre Kontrolle aber der staatlichen Marktaufsicht über- auch um die Stellen in den Justizvollzugsanstalten, bei lassen. den Gerichtsvollziehern oder in den Geschäftsstellen der Gerichte. Es kann doch nicht wirklich der Ansatz sein, (Beifall bei der AfD) dass Richter stundenlang am Kopierer stehen, um Akten Außerdem hätte man erwarten können, dass auch Sie zu vervielfältigen. Das raubt ihnen die Zeit für die eigent- endlich die grundlegenden Verbraucherrechte – so wie lich wichtigen Dinge. Hier müssen wir zu Verbesserun- in vielen anderen europäischen Ländern – kodifzieren. gen kommen, hier brauchen wir wirklich mehr Personal, Das geschieht wiederum nicht. Es wäre denkbar gewesen damit die Richter wieder Zeit haben, sich um ihre eigent- in Gestalt eines umfassenden Verbraucherschutzgesetzes lichen Aufgaben zu kümmern, meine Damen und Herren. oder im Grundgesetz. Ihre Kollegin Frau Gifey will die (Beifall bei der CDU/CSU) Kinderrechte im Grundgesetz festlegen, da wäre es doch zumindest angemessen, dass Sie daran denken, die Ver- Ich möchte einen Punkt in besonderer Weise heraus- braucherrechte dort zu verankern. greifen, weil er für das Vertrauen in unseren Rechtsstaat Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2181

Dr. Jan-Marco Luczak (A) von besonderer Bedeutung ist: der Bereich der Flücht- darstellt. Wir sind in Deutschland zum Glück davor ge- (C) lings- und Migrationspolitik. Wir haben im Koalitions- feit; denn es gibt – ganz im Gegenteil – ein Vertrauen vertrag ganz klar festgelegt, dass sich die Situation von der großen Mehrheit der Bevölkerung in den Rechtsstaat. 2015 nicht wiederholen darf, dass wir dort ordnen, steu- Es ist wichtig, heute zum Ausdruck zu bringen, dass wir ern und begrenzen wollen, und das werden wir auch tun. hinter diesem Rechtsstaat stehen, hinter den Richtern, den Staatsanwälten und den Polizisten, die Tag für Tag Ein zentraler Punkt sind an dieser Stelle die Asylver- Ordnung und Recht in diesem Land durchsetzen. fahren. Diese müssen einfacher, einheitlicher und damit auch schneller werden. Momentan schieben wir eine (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alice Weidel wahre Bugwelle vor uns her. Wir haben in Deutschland [AfD]: Die fühlen sich aber von Ihnen verlas- 51 Verwaltungsgerichte. Im Jahr 2017 waren bei diesen sen!) 51 Gerichten 400 000 Asylverfahren anhängig; das sind drei Viertel aller verwaltungsgerichtlichen Verfahren. In- Meine Damen und Herren, der Schutz vor Kriminali- sofern müssen wir uns überlegen: Wie können wir es so tät und der Schutz der Opfer gehören zu den wichtigsten gestalten, dass die Verwaltungsgerichte nicht auf Jahre Anliegen unserer Rechtspolitik. Dazu gehört nach wie lahmgelegt werden? vor, dass die Justiz ordentlich ausgestattet ist. Wir brau- chen mehr Stellen im Bereich von Polizei, Staatsanwalt- Ein ganz entscheidender Punkt ist dabei – er kommt schaften und Richtern, um die Verfahren im Interesse al- von Frau Keul, sie musste leider schon weg – die Frage ler Verfahrensbeteiligten zu beschleunigen. Wir müssen des Rechtsmittelzugangs. Frau Keul hat dafür plädiert, uns überlegen, inwieweit die großen Chancen der Digi- dass wir den Rechtsmittelzugang erleichtern. Darüber talisierung dem Recht dienstbar zur Seite stehen können. müssen wir nachdenken. Aber gleichzeitig müssen wir Es wird eine der großen Herausforderungen sein, das zu- abwägen, ob dies nicht möglicherweise dazu führen künftig zu regeln. könnte, dass eine weitere Instanz geschafen wird und dadurch die Verfahren nicht beschleunigt – unser eigent- Wir müssen uns auch überlegen, wie wir den Vollzug liches Ziel ist ja, sie zu beschleunigen –, sondern zusätz- des Rechts noch besser gestalten können. Wir haben in lich erschwert und verlangsamt werden. Das darf unter der letzten Wahlperiode in vielen Bereichen des Straf- dem Strich nicht sein. rechts den Opferschutz gestärkt. Jetzt kommt es darauf an, dass das Strafrecht, das wir durchgesetzt haben – bei- Wir müssen uns anschauen, was wir mit dem Bundes- spielsweise in den Bereichen der Raserei, des Schutzes verwaltungsgericht machen. Können wir möglicherweise von Polizeibeamten und des verschärften Sexualstraf- Mittel fnden, dort tatsächliche Feststellungen zu ermög- rechts –, auch angewandt wird, dass die Menschen wis- lichen, sodass Länderleitentscheidungen für bestimmte sen, sie sind vor diesen Kriminalitätsformen geschützt. (B) Herkunfts- und Zielstaaten möglich sind, (D) Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch über- (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) legen, wie wir im Bereich des Verbraucherschutzes noch besser werden können. Der traurige Anlass, warum wir damit man dort zu einer einheitlichen Rechtsprechung über dieses Thema diskutieren, ist das große Datenleck und zu einer schnelleren Verfahrenserledigung kommt? bei Facebook, das in dieser Woche publik wurde. All das müssen wir uns anschauen. Es gibt viel zu tun. Leider reicht die Zeit nicht aus, um alle Punkte anzuspre- Ich möchte darauf zurückkommen, was Datenschutz chen. Ich kann Ihnen, Frau Justizministerin, nur sagen: eigentlich bedeutet. Wir schützen nicht irgendwelche Da- Wenn es darum geht, das Vertrauen in unseren Rechts- tensätze, sondern wir schützen die Menschen, die hinter staat zu stärken, wenn es darum geht, dass Menschen frei diesen Daten stehen. Geschützt ist die Unversehrtheit, und sicher in unserem Land leben können, dann haben aber auch die Würde des Menschen; die Würde deswe- Sie die Union bei Ihrer Arbeit an Ihrer Seite. Ich wünsche gen, weil es nicht sein darf, dass man über seine Daten Ihnen eine glückliche Hand. ausgeforscht und durchgeleuchtet wird. Der Kernbereich der Lebensgestaltung muss geschützt bleiben. Deswegen Vielen Dank. müssen wir uns überlegen, ob wir zukünftig auf europä- ischer Ebene durch die E-Privacy-Verordnung deutlich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- machen, dass die Verfehlungen von sozialen Netzwerken ordneten der SPD) auch tatsächlich Konsequenzen haben. Wir schützen die Menschen, die in diesen Netzwerken unterwegs sind. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU) Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. Wir brauchen auch eine bessere Rechtsdurchsetzung für Verbraucher, gerade bei Kleinschäden. Sie können (Beifall bei der CDU/CSU) heute über Apps vielfältige Angebote buchen, Fahrkarten kaufen und vieles mehr. Aber wenn die Leistung nicht Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): erfüllt wird, dann müssen sie oftmals zu einem Formu- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und lar greifen und auf schriftliche Art und Weise ihren Wi- Herren! Der Rechtsstaat ist eine tragende Säule der libe- derspruch einlegen oder ihre Regressforderung geltend ralen Demokratie. Wer in andere Staaten, auch in der Eu- machen. Auch das wollen wir ändern. Wir wollen, dass ropäischen Union, schaut, der sieht, dass die Erosion des die Erstattung ähnlich unkompliziert funktioniert wie der Rechtsstaats eine mögliche Gefährdung der Demokratie Abschluss von Verträgen. 2182 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Volker Ullrich (A) Ich komme auf ein sensibles Thema zu sprechen, das für Ernährung und Landwirtschaft auch das Lebensmi- (C) den persönlichen Bereich betrift. Wenn ein Ehepartner nisterium, liebe Kollegen! ins Krankenhaus kommt oder handlungsunfähig wird und keine Vorsorgevollmacht vorliegt, dann hat der ande- (Beifall bei der CDU/CSU) re Ehepartner derzeit kaum Handhabe, einzugreifen oder Diese Lebensthemen haben unsere Wertschätzung rechtlich an der Seite des anderen zu stehen; aber die Lai- verdient. Lebensmittel sind unsere Mittel zum Leben. ensphäre geht davon aus, dass dem so ist. Das wollen Das ist nicht banal, das ist nicht unbedeutend, das ist sys- wir ändern, und zwar zugunsten der Familie, zugunsten temrelevant. Es geht um Wertschätzung derjenigen, die derjenigen, die sich in Notsituationen gegenseitig helfen jeden Morgen früh aufstehen und hart arbeiten, damit wir wollen. alle gesunde Lebensmittel haben, um Wertschätzung für die, die gegen manches Vorurteil anzukämpfen haben. Das sind nur einige Aspekte der Rechtspolitik, die wir in den nächsten Jahren umsetzen werden. Eines ist ganz Ich freue mich sehr, dieses wichtige Haus führen gewiss: Wir werden große Sorgfalt walten lassen; denn zu dürfen, unterstützt durch meine beiden Parlamen- die Qualität des Rechts entscheidet über die Qualität des tarischen Staatssekretäre Hans-Joachim Fuchtel und Zusammenlebens und des Zusammenhalts. Dafür stehen Michael Stübgen. wir ein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Herzlichen Dank. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir können uns alle mehr als glücklich schätzen, in unserem Land keinen Hunger oder existenziellen Mangel erleben zu müssen, Vizepräsidentin Petra Pau: auch wenn nicht wenige einen schmalen Geldbeutel ha- Weitere Wortmeldungen zu diesen Themenbereichen ben und ihr Leben schwer ist. Dennoch: In Deutschland liegen mir nicht vor. haben wir eine große Auswahl an hochwertigen Lebens- mitteln. Nehmen wir das zu selbstverständlich? Wir ge- Wir kommen nun zu den Bereichen Ernährung und hen in den Supermarkt, zum Hofaden, auf den Wochen- Landwirtschaft. – Ich bitte, die notwendigen Umgrup- markt, tummeln uns an der Theke im Internet. Seien wir pierungen zügig vorzunehmen. ehrlich: Wir machen uns viel zu wenig Gedanken, wie Wir beginnen die Aussprache zu den Bereichen Ernäh- viel Aufwand, Sorgfalt, Herzblut und Arbeit in diesen rung und Landwirtschaft. Das Wort hat die Bundesminis- Lebensmitteln steckt. terin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner. (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ernährungswirtschaft steht für Vielfalt, Qualität und ordneten der SPD und der FDP) eine Fülle von Lebensmitteln. Wir haben in Deutsch- land 80 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher. Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Das sind 80 Millionen individuelle Ernährungsexperten. Landwirtschaft: Wenn wir die gesamte Lebensmittelkette betrachten, steht die Branche für jeden neunten Arbeitsplatz, auch Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen im Handel, in der Industrie, im Handwerk, vom Acker Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! „Unsere bis zur Theke. Unfaire Handelsbedingungen haben hier Gesellschaft ist menschlicher geworden, … Zusammen- nichts zu suchen. halt ist neu gewachsen“. Dieses Ziel hat unsere Bun- deskanzlerin vor zwei Tagen hier defniert. Und gerade (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dieser Bereich, über den wir hier heute diskutieren, kann ordneten der SPD) erheblich dazu beitragen, dieses Ziel des gesellschaftli- chen Zusammenhalts zu erreichen. Ich bin stolz auf unsere Bauern, unsere Gärtner, Fischer, Forstwirte, Winzer, auf alle grünen Berufe; denn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ihre Existenz ist im Interesse aller Verbraucher. Für sie ordneten der SPD) will ich mich einsetzen und habe das auch bereits ge- tan: Tausend Milchbauern blieben nach der Insolvenz Verehrte Kollegen, unsere Bürger müssen spüren, der Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft auf insgesamt dass wir uns um ihre Lebensthemen kümmern. Wenn wir 900 000 Tonnen Milch sitzen, wertvolle Milch, die ver- heute über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, über dorben wäre. Mit dem Präsidenten des Deutschen Raif- Wein-, Obst-, Gemüse- und Gartenbau, über Fischerei feisenverbandes konnte ich eine Vereinbarung trefen, und Tierhaltung, über Biodiversität und starke ländliche dass der größte Teil der Milch übernommen wird. Auch Räume sprechen, dann sind das die Lebensthemen der Liquiditäts- und Bürgschaftsprogramme der Rentenbank Menschen in unserem Land. konnte ich anstoßen. Ich möchte mich bedanken bei den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, die mich da- ordneten der SPD und der FDP) rauf angesprochen haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn hier geht es um unser täglich Brot, um die Bewah- rung der Schöpfung, um Tierwohl und um eine gute Zu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will aber auch kunft für unser Land. Deshalb ist das Bundesministerium betonen, wovon ich überhaupt nichts halte: Wenn Milch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2183

Bundesministerin Julia Klöckner (A) werbewirksam ausgeschüttet wird, wie soll ich dann den Lebensmittelbetrug will ich bekämpfen. Ich möchte (C) Verbrauchern noch vermitteln, dass dieses Produkt etwas eine noch engere Koordination mit den Ländern bei der wert ist? Lebensmittelsicherheit, aber auch bei der Tierseuchenbe- kämpfung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der Abg. Carina Konrad Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema „Ernäh- [FDP]) rung und gesundheitlicher Verbraucherschutz“ werde ich in meinem Haus stärker betonen. Die Verbraucher sind anspruchsvoller und kritischer geworden. Sie setzen auf klare Herkunftserkennbarkeit, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auf Regionalität, auch bei der Tierhaltung. Die Haltung der Tiere entspricht hohen europäischen Standards. Aber Manch einer hat noch ein allzu romantisches und altmo- es gibt immer schwarze Schafe, die das Image der ge- disches Bild im Kopf, wenn er von der Agrarwirtschaft samten Branche beschädigen, und sie müssen mit efek- redet. Unsere Ernährungs- und Landwirtschaft sind tiven Strafen rechnen. längst hochmodern. Viele unserer Bauern sind die Vor- reiter in der Digitalisierung. Im Hightech-Stall werden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gesundheitszustand und Milchqualität per App auf das Handy des Bauern geschickt. GPS-gestützte Landma- Tiere sind Mitgeschöpfe, keine Maschinen. Lücken schinen – ich bin jüngst eine gefahren – arbeiten auf dem im Tierschutz müssen wir schließen. Ich will, dass es al- Feld zentimetergenau. Durch Precision Farming, also mit len Tieren gut geht, Präzision, können wir Pfanzenschutzmittel und Dünger (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gezielt aufbringen und so auch der Menge nach reduzie- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und ren. Das will ich verstetigen. der SPD) (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Was wol- len Sie denn da ausbauen?) dass Tierwohl sich lohnt: für den Verbraucher, für den Tierhalter und für das Tier. Das muss klar erkennbar sein. – Wie man das ausbauen will? Es ist schön, dass die FDP Deshalb will ich ein staatliches Tierwohllabel einführen. sich da jetzt einbringt. Ich freue mich, dass Sie uns da- Bessere Standards müssen erkennbar sein. Das Label bei unterstützen wollen. Denn es geht um eine moderne soll dem Verbraucher Orientierung geben. Er entschei- Landwirtschaft, und dazu muss man auch regieren wol- det, was ihm Tierwohl wert ist. Fleisch und Wurst aus len. Tierhaltung mit hoher Lebensqualität der Tiere kosten auch mehr. Die Kosten dafür können aber nicht allein die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – La- (B) Bauern tragen. chen bei Abgeordneten der FDP – Dr. Gero (D) Clemens Hocker [FDP]: Und das können Sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht alleine?) ordneten der SPD) Das verstetigt die Nachhaltigkeit von der Ackerfurche Ganz zentral ist für mich die Ernährungsbildung. Ich bis zur Cloud. Das soll ein Schwerpunkt in meinem Haus möchte, dass wir unseren Kindern von klein auf die bes- sein; dafür werde ich mich einsetzen. ten Voraussetzungen geben. Ernährungsbildung gehört in die Schulen und in die Kitas. Ein ausgewogener Lebens- Ich werde mich aber auch dafür einsetzen, dass wir stil ist wichtig. Warum? Weil Fehlernährung und Überer- aus den ideologischen Grabenkämpfen herauskommen. nährung zugenommen haben. Wir müssen an die Ursa- Naturschutz und Landwirtschaft sind keine Gegensätze, chen ran. Ich bin nicht der Meinung, dass man Produkten sondern sie gehören zusammen. Deshalb will ich mit der oder einzelnen Rohstofen allein die Schuld dafür geben Kollegin Schulze ein gutes Einvernehmen fnden. Uns kann. Das wäre zu kurz gesprungen. Wir müssen uns den geht es darum, Wälder, Wiesen und Flüsse zu schützen, Lebensstil als Ganzes anschauen. aber auch zu nützen. Das geht Hand in Hand. Ich meine, wir sollten uns nicht in Grabenkämpfen verlieren, son- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. dern Rückenwind für unsere grünen Berufe geben, auch Rainer Spiering [SPD]) auf europäischer Ebene. Dort aber, wo bewusst verwirrende und verbrauchertäu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) schende Kennzeichnungen angewandt werden, will ich Verbesserungen erreichen. Naturschutz und Landwirtschaft sind keine Gegen- sätze. Schauen wir uns konkret das Thema Bienen an – Wahrheit und Klarheit sind mir ebenso wie All- klein, aber ganz groß; systemrelevant. Wenn mir unsere tagstauglichkeit wichtig. Nicht nur ich habe den Ein- Wissenschaftler sagen, dass die Neonics – ich kürze es druck, dass manche Angaben zu Portions- und Verzehr- ab – zu Bienensterben führen; dann werde ich gemein- größen wenig mit der Lebensrealität der Bürger zu tun sam mit der Landwirtschaft und mit den europäischen haben. Partnern eine Lösung fnden. Was für Bienen schädlich ist, muss weg vom Markt – sonst sind irgendwann alle Noch immer werden zu viele Lebensmittel weggewor- anderen weg vom Markt. fen: über 80 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Das Min- desthaltbarkeitsdatum wird häufg als Verfalls- oder Ver- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem brauchsdatum missverstanden. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 2184 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Bundesministerin Julia Klöckner (A) Ich weiß, dass unsere Bauern, Winzer und Gärtner Res- Heute ist nicht genügend Raum und Zeit, über (C) pekt vor der Schöpfung haben. Deshalb ist die Landwirt- GAP 2020 zu reden. Ich biete an, dies im Ausschuss oder schaft auch ein Verbündeter des Naturschutzes. in einer Extradebatte hier in diesem Haus zu tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, über die Hälfte un- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen allen biete ich serer Bürger in Deutschland lebt in den ländlichen Re- eine gute Zusammenarbeit an. Wir haben nichts weniger gionen und auch von den ländlichen Regionen. Diese zu tun, als uns für alle Menschen in unserem Land um ländlichen Regionen sind die Kraftzentren in Deutsch- diese Lebensthemen zu kümmern. Diese Dinge machen land. Sie stecken voller Innovation und Dynamik; doch unser Land so lebenswert, und die kommende Generati- sie brauchen gute Rahmenbedingungen, und die will on braucht sie auch als Grundlage. ich schafen. Wir wollen die Ideen der Menschen in den Herzlichen Dank. ländlichen Regionen unterstützen – damit ihr Zuhause eine Zukunft hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und

der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Abgeordnete Peter Felser für die Deshalb ist der ländliche Raum in meinem Ministerium AfD-Fraktion. richtig aufgehoben. Wir kennen uns dort aus und haben auch die Konzepte. (Beifall bei der AfD)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Peter Felser (AfD): ordneten der SPD) Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Gerade im ländlichen Raum engagieren sich viele Liebe Kollegen! Verehrte Frau Ministerin, herzlichen Menschen ehrenamtlich. Ehrenamt ist die Seele unseres Glückwunsch zum neuen Amt. Sie brauchen viel Kraft; Landes und das Fundament unserer ländlichen Räume. denn es stehen große Herausforderungen an. Wenn wir Ich möchte ganz bewusst allen Danke sagen, die sich eh- heute in die Wahlkreise zurückfahren, werden wieder renamtlich engagieren in diesem Land, 15 Landwirte ihre Höfe geschlossen haben, weil sie nicht überleben können. Am Ende des Jahres werden 4 000 bis (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 5 000 Landwirte ihren Hof abgeschlossen haben. Hun- derttausende Landwirte warten auf ein Signal gegen die- explizit auch den vielen Landfrauen und der Landjugend. ses Höfesterben. Davon lesen und hören wir von Ihnen Wir wollen sie noch stärker unterstützen. (B) aber nichts. (D) Für strukturschwache Regionen werden wir Geld in Daher: Ihre Absichten stehen auf wackeligen Füßen. die Hand nehmen. Niemand soll sich abgefühlt – abge- Was sind die Hintergründe? hängt fühlen. Schon vor einem Jahr, am 30. März, gab es hier in (Heiterkeit – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE Berlin im Auswärtigen Amt einen Workshop zur Zukunft GRÜNEN: Abgefüllt!) der Agrarpolitik im nächsten mehrjährigen Finanzrah- men 2020. Man könnte auch sagen, es war ein Workshop – Man kann sich ja mal versprechen; ich glaube, auch das gegen die Zukunft der Agrarpolitik. Warum? ist menschlich, oder? Professor Heinemann vom ZEW Mannheim rüttelte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dabei an den Grundfesten der Gemeinsamen Agrarpolitik ordneten der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/ seit den Fischler-Reformen 1992. DIE GRÜNEN) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Sie sind es doch gewesen, die neulich, getwittert hat, NEN]: Das waren die MacSharry-Reformen ich würde hier nicht sitzen, während ich bei der Trauer- von 1993! Die Fischler-Reformen waren von feier für Kardinal Lehmann war. Ich fnde, es wäre schon 2003!) gut, noch einen Moment länger zu warten, bevor man Er fragte tatsächlich, ob die jährlich 45 Milliarden Euro, sich äußert. die bisher in der Gemeinsamen Agrarpolitik zur Verfü- Am Montag war ich in Brüssel beim Agrarrat, liebe gung standen, aus Sicht des EU-Zentralstaats nicht sinn- Kolleginnen und Kollegen. Dort spürt man: Die europä- voller eingesetzt werden können. Es gab ganz konkrete ische Agrarpolitik ist das zentrale Bindeglied zwischen Vorschläge: für die Lücke von 20 bis 30 Milliarden Euro den Mitgliedstaaten. Sie ist eine wichtige Säule für den durch den Brexit, für eine europäische Armee und, ja, Integrationsprozess und für die europäische Einigung. auch für die Bewältigung der sogenannten Flüchtlings- Deshalb geht es um stabile Rahmenbedingungen der Eu- krise, für mehr Entwicklungshilfe oder gar für die Schul- ropapolitik. Es geht aber auch darum, dass wir den Er- den Griechenlands. wartungen der Bevölkerung an die Mittelvergabe mehr So werden Flüchtlinge, Griechen und Briten gegen die gerecht werden. Ich will entbürokratisieren und die Ef- Bauern in Stellung gebracht – divide et impera vom fektivität der europäischen Agrarpolitik steigern. Feinsten! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2185

Peter Felser (A) Diese Studie hat die Bertelsmann-Stiftung fnanziert. zu haben. So sieht es doch aus, Frau Ministerin. Das Hö- (C) festerben und der Konzentrationsprozess der Landwirt- (Jürgen Braun [AfD]: Wer sonst!) schaft sind kein Naturgesetz. Das sogenannte Refexionspapier lag bis Anfang Sep- tember nur auf Englisch vor. Sollten deutsche Steuerzah- (Beifall bei der AfD) ler und Bauern in einem so frühen Stadium besser nicht Lassen Sie mich mit dem Thema Land Grabbing mitdiskutieren dürfen? schließen. Wir haben laut Thünen-Institut immer mehr (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Die ver- Betriebe, die von Investoren geführt werden. Aufgrund stehen Englisch! – Renate Künast [BÜND- der Nullzinspolitik fießt immer mehr Geld in diese NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sprechen nicht Betriebe, der Landwirt selber verliert immer mehr sein nur Deutsch!) Ackerland. Damit verliert das Grundstückverkehrsgesetz faktisch seine Schutzwirkung. Man gewinnt den Eindruck, die sollen überhaupt nicht gehört werden. Ich fordere Sie auf: Sehen Sie nicht weitere zwölf Jah- re zu! Machen Sie dem Land Grabbing ein Ende! ( [CDU/CSU]: In russischer Sprache!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt haben Sie schon zweimal ein eng- Frau Ministerin, währenddessen stimmt Ihr Partei­ lisches Wort benutzt! Reden Sie mal deutsch! – freund, Kommissar Oettinger, die Bauern schon jetzt auf Gegenruf der Abg. [CDU/ Kürzungen des Agrarhaushalts um 5 bis 10 Prozent ein. CSU]: Ja! Deutsche Sprache, schwere Spra- ( [SPD]: Sogar der Oettinger che!) kann mittlerweile Englisch!) Damit helfen wir den Familienbetrieben; damit helfen Wir haben das ja auch im Ausschuss diskutiert. wir den bäuerlichen Betrieben in der Heimat. Investieren wir nicht in 98 neue Posten beim Heimatministerium! In- (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Haben Sie vestieren wir in einen starken Bauernstand! schon mal was vom Brexit gehört?) Danke schön. „Das macht gar nichts“, sagt die EU-Kommissarin für Regionalpolitik, Corina Cretu, „die Mitgliedstaaten (Beifall bei der AfD) können ja per Kofnanzierung selbst einspringen.“ So selbstherrlich geriert sich Brüssel im Umgang mit seinen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bauern und Steuerzahlern. (B) Die nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Schulte (D) (Beifall bei der AfD) von der SPD-Fraktion. Na gut, wenn die Situation so ist, dann lautet der Ge- (Beifall bei der SPD) gensparvorschlag der AfD folgendermaßen: Wenn Brüs- sel für die GAP und die Bauern weniger bezahlen möch- te, dann wird die Kommission im Bereich Landwirtschaft Ursula Schulte (SPD): deutlich verkleinert werden müssen, dann müssen die Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Mi- britische Parlamentssitze ersatzlos wegfallen, nisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt (Beifall bei der AfD) uns Parlamentariern noch einmal die Gelegenheit, auf dann wird die Gesetzgebungs- und Regelungskompetenz Projekte hinzuweisen, die uns besonders wichtig sind. der EU im Bereich Landwirtschaft drastisch beschnitten Das will ich für meinen Bereich, Ernährungspolitik und werden müssen. gesundheitlichen Verbraucherschutz, gerne tun. Die EU möchte weniger zahlen und weniger arbei- Zuerst aber möchte ich der Bundesministerin für Er- ten, aber weiter alles kontrollieren und noch mehr Geld nährung und Landwirtschaft, Frau Klöckner, zu ihrer bekommen. Diese Zentralstaatsattitüde hat nichts mehr Ernennung ganz herzlich gratulieren. Ich freue mich auf mit dem ursprünglichen Gedanken der Wirtschafts- und eine konstruktive Zusammenarbeit mit Ihnen und hofe, Friedensunion der Völker und Staaten von Europa zu tun. dass die Ernährungspolitik in Ihrem Hause einen höheren Stellenwert bekommt, Frau Ministerin. Nach Ihrer Ein- (Beifall bei der AfD) stiegsrede bin ich fast sicher, dass das so sein wird. Zur nächsten ganz wichtigen Baustelle. Im Koaliti- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten onsvertrag steht – ich zitiere –, Sie wollen die „bäuer- der CDU/CSU) lich-unternehmerische, familiengeführte und regional verwurzelte Landwirtschaft“ stärken. So ähnlich steht es Der Koalitionsvertrag sieht eine Reihe von guten auch bei uns im Programm. Wer sind denn die famili- Ansätzen für den Bereich Ernährungspolitik und ge- engeführten bäuerlichen Höfe? Das sind doch die Höfe, sundheitlicher Verbraucherschutz vor. Noch vor zwei auf denen die Familien in der Früh um 5 Uhr aufstehen Monaten habe ich anlässlich der Debatte zur Internatio- müssen. Die ganze Familie muss mithelfen und den gan- nalen Grünen Woche klare Regelungen für eine nationale zen Tag arbeiten, um am Schluss keinen fairen Preis für Reduktionsstrategie gefordert. Nun steht genau das im ihre Produkte zu bekommen und kein faires Auskommen Koalitionsvertrag. Darüber freue ich mich wirklich sehr. 2186 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Ursula Schulte (A) Ich hofe, dass die Strategie nun zügig ausgearbeitet und wir das Thema Ernährung gleich zwingend mitdenken. (C) umgesetzt wird. In meiner Heimatstadt werden in einer Grundschule die Mahlzeiten von einer Landfrau zubereitet. Sie kauft re- (Beifall bei der SPD) gional ein, kocht gesund und ausgewogen. Die Kinder Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen aus bestimmen mit. Alle sind rundum zufrieden. Ich rege an, persönlichen Erfahrungen, wie schwierig es ist, unser Er- darüber nachzudenken, ob man die Zusammenarbeit zwi- nährungsverhalten zu verändern. Daher begrüße ich den schen Landfrauen und Schulen nicht als Projekt auf den Weg hin zu gesünderen Produkten, den das Max-Rubner-­ Weg bringen kann. Institut vorgeschlagen hat. Das Institut regt an, die Re- Ebenso sollte man darüber nachdenken, eine Kampa- zepturen verarbeiteter Lebensmittel zu verändern – ver- gne zum Verzehr von Gemüse zu starten. ändern deshalb, weil das Weglassen bestimmter Zutaten nicht so einfach funktioniert, da Zucker, Salz und Fett in (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Produkten durchaus eine Funktion haben. Am ein- NEN]: „5 am Tag“! Das gab es schon!) fachsten wäre die Reduzierung beim Salz, habe ich mir sagen lassen. Einige Unternehmen sind auch schon da- Gesundes Essen positiv zu vermarkten, das muss doch bei, die Rezepturen entsprechend zu ändern, oder haben unser Ziel sein. Verbote und Vorschriften sind nicht der es sogar schon getan. Das sollten wir als Politiker unter- richtige Weg. stützen und fördern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich bin auch sehr froh darüber, dass wir im Koaliti- der CDU/CSU – Stef Lemke [BÜNDNIS 90/ onsvertrag die ersten tausend Tage eines Menschen in DIE GRÜNEN]: „5 am Tag“ hieß die Kam- den Blick nehmen. Viele Experten weisen gerade auf die pagne!) Bedeutung dieses Lebensabschnittes hin. In dieser Pha- Für mich gehört die Ernährungsbildung ohne Wenn se werden nämlich die entscheidenden Weichen für die und Aber zur Verbraucherbildung. Bürgerinnen und Entwicklung der Kinder gestellt. Eine falsche Ernährung, Bürger müssen in die Lage versetzt werden, Wissen zu das Fehlen von Vitaminen und Spurenelementen, kann erwerben, auch um gute Konsumentscheidungen trefen die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder be- zu können. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten einträchtigen. Deshalb ist es so sinnvoll, dass wir dieses gesunde Produkte auf einen Blick erkennen können. Ich Thema im Rahmen des Aktionsplanes IN FORM in den erinnere hier noch einmal an die Lebensmittelampel. Koalitionsvertrag aufgenommen haben. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser aller Leben wird immer hektischer. Die vielen Fertigprodukte, die (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir einen ge- wir in den Regalen und in den Tiefkühltruhen sehen, (D) sunden und nachhaltigen Lebensstil fördern, wenn wir spiegeln das wider. In unserer schnelllebigen Zeit scheint ernährungsbedingte Krankheiten bekämpfen und wenn Essen lediglich der reinen Nahrungsaufnahme zu dienen. wir den gesundheitlichen Verbraucherschutz stärken Das ist wirklich schade und kein guter Trend. Essen, zu- wollen, dann müssen wir das Wissen um die Ernährung mal gemeinsames Essen, besitzt einen kulturellen und verbessern. Am sinnvollsten wäre es, wenn wir damit in sozialen Aspekt. Es ist wichtig, dass man sich Zeit für den Kitas und Schulen anfangen. Ernährungsbildung ge- gemeinsame Mahlzeiten nimmt. Dies gilt gerade für Fa- hört für mich einfach in die entsprechenden Lehrpläne. milien. Gemeinsame Mahlzeiten mit guten Gesprächen, Ich habe sehr gern gehört, was Sie zu diesem Thema ge- das ist sinnvoll miteinander verbrachte Zeit. sagt haben, Frau Ministerin. Es wäre doch gelacht, wenn wir da nichts hinbekommen würden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand von uns kann den Zusammenhang zwischen Armut und ungesun- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der Ernährung noch leugnen. Es ist auch keine neue Er- Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Gero Hocker, kenntnis, dass mit sinkendem sozialem Status sowohl die FDP-Fraktion. Erkrankungshäufgkeit als auch die vorzeitige Sterblich- (Beifall bei der FDP) keit ansteigen. Die Ursachen sind wie immer sehr viel- schichtig. Aber wer wenig Geld hat, ist eben auf billige Produkte angewiesen und verschleppt sogar manchmal Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): den Gang zum Arzt. Man kann als Politiker vor diesen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Tatsachen nicht mehr die Augen verschließen. Man muss ren! Herr Kollege Felser, erlauben Sie mir kurz ein Wort auch im Interesse einer gesunden Ernährung die Armuts- zu Ihnen. Sie haben behauptet, dass unsere Landwirte bekämpfung ganz oben auf die Agenda setzen. nicht in der Lage seien, in englischer Sprache verfasste (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta Texte zu verstehen. Ich sage Ihnen eins: Sie sollten Ihr Connemann [CDU/CSU]) Bild von unserer Landwirtschaft und von den Menschen, die in ihr tätig sind, überprüfen. Das sind alles bestens Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über den ausgebildete Männer und Frauen; das sind keine Hinter- Ganztag in Kitas und Schulen sprechen, dann müssen wäldler, sondern mittelständische Unternehmer. Sie soll- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2187

Dr. Gero Clemens Hocker (A) ten sich fragen, ob Sie tatsächlich den richtigen Eindruck Menschen, die kein Englisch sprechen, Hinterwäldler (C) von unseren Landwirten haben. sind?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeord- der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch neten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der bei Abgeordneten der AfD) LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Frau Ministerin, ich darf Ihnen ganz herzlich zu Ihrem Meine Güte! Das gibt es nicht! Es geht immer Amt gratulieren, das Sie in einer Zeit antreten, die für noch schlimmer!) unsere landwirtschaftlichen Betriebe nicht einfach ist. Vielen Betrieben geht es nicht gut. Es geht ihnen nicht Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): gut, weil die Aufagen, die die Politik ihnen macht, ih- Verehrte Kollegin von Storch, glauben Sie bitte nicht, nen häufg genug die Luft zum Atmen nehmen; es geht dass in diesem Fall Angrif die beste Verteidigung ist. Ihr ihnen nicht gut, weil diese Betriebe beim Grundwasser- Kollege hat eben behauptet, dass ein Papier aus Brüssel, schutz, bei der Luftreinhaltung, bei der Bekämpfung von weil es in englischer Sprache verfasst wurde, von den Multiresistenzen häufg genug pauschal die Probleme in Landwirten nicht verstanden werden könne. Diese Be- die Schuhe geschoben bekommen, die wir eigentlich ge- hauptung ist falsch. Unsere Landwirte sind bestens aus- samtgesellschaftlich angehen müssten und die übrigens gebildet. ohne das Zutun des Verbrauchers gar nicht gelöst wer- den können; aber vor allem geht es ihnen nicht gut, weil (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- sich, übrigens auch in den letzten vier Jahren, das Klima ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND- für unsere landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland NISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast zusätzlich verschlechtert hat. Ich appelliere an Sie, dass [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt das Sie in den kommenden vier Jahren unseren Landwirten mittlerweile doch auch auf Deutsch! Was soll bitte mit der Wertschätzung gegenübertreten, die sie ver- denn das? – Beatrix von Storch [AfD]: Das dienen. war die Frage nicht!)

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen machen der CDU/CSU) die Betriebe in Deutschland weiter, häufg genug nicht wegen, sondern trotz der Politik, häufg genug, obwohl Über eins müssen wir uns nämlich klar sein: Wenn sich Menschen auf dem Land abgehängt fühlen von Kinder von Landwirten in der Schule oder in der Kita Verkehrsströmen, von Infrastruktur, von digitaler Infra- (B) wegen des Berufes ihrer Eltern gehänselt werden, wenn struktur und obwohl die schulische, die medizinische (D) viele Verbraucher andere Standards fordern, aber nicht Versorgung nicht so ist, wie sie vielleicht sein könnte. bereit sind, einen höheren Preis für diese Standards zu Sie machen weiter, weil ihre Familien teilweise schon bezahlen, wenn schließlich sogenannte Aktivisten in seit Jahrhunderten ihre Höfe bewirtschaften und sie ins- Ställe einbrechen, Hausfriedensbruch begehen, Gesetze geheim davon träumen, dass ihre Söhne und Töchter in ganz bewusst überschreiten, Teile der Gesellschaft, aber ihre eigenen Fußstapfen treten und das weiterführen, auch Teile der Politik dies tolerieren, dann sind das mas- was sie selber aufgebaut haben. Sie machen weiter, weil sive gesellschaftliche Veränderungen. Frau Ministerin, sie nicht irgendwelchen Organisationen da draußen die wir werden Sie daran messen, ob Sie glauben, diese Pro- Meinungshoheit überlassen wollen, die es zu einem Ge- bleme weglächeln zu können, oder ob Sie sich tatsächlich schäftsmodell gemacht haben, mit dem schlechten Ge- mit Rückgrat und mit Haltung gegen die systematische wissen und häufg genug auch mit der Unwissenheit vie- Stigmatisierung unserer landwirtschaftlichen Betriebe in ler Spenden einzusammeln. Und sie machen vor allem Deutschland zur Wehr setzen. deshalb weiter, weil sie Verantwortung verspüren: für ihre Betriebe, für die Zukunft ihrer Tiere, für Flächen, (Beifall bei der FDP) Wasser, Luft und Boden. Deswegen sage ich es ganz unumwunden: Ich habe Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: großen Respekt vor dem Verantwortungsbewusstsein und dem Durchhaltevermögen unserer landwirtschaftli- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der chen Betriebe in Deutschland, meine sehr verehrten Da- Kollegin von Storch? men und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): der CDU/CSU) Selbstverständlich. Ich darf Ihnen ankündigen, Frau Ministerin: Wir wer- den als Opposition immer dann den Finger in die Wun- de legen, wenn wir der Meinung sind, dass Sie einem Beatrix von Storch (AfD): falschen Zeitgeist hinterherlaufen. Wir werden Sie und Vielen Dank. – Ich habe nur eine sehr kurze Frage. Sie Ihr Haus immer dann konstruktiv begleiten, wenn wir haben gerade gesagt, wir sollten nicht annehmen, dass den Eindruck haben, dass Sie unsere mittelständischen die Bauern Hinterwäldler seien, sie würden selbstver- landwirtschaftlichen Betriebe für die Zukunft ft machen, ständlich Englisch sprechen. Sind Sie der Meinung, dass wenn Sie Entbürokratisierung fördern und unsinnige 2188 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Gero Clemens Hocker (A) Vorgaben abschafen, wenn Sie technische Innovationen Aber wer proftiert davon? Nicht die Menschen in den (C) ermöglichen und die Digitalisierung – ich habe mich sehr Ländern, in die wir exportieren. Das ist schon einmal klar. gefreut, dass Sie das Thema erwähnt haben – im ländli- Proftieren die Menschen hier in Deutschland? Nein. Die chen Raum voranbringen, aber übrigens auch, Frau Mi- kleinbäuerlichen Betriebe, die verdrängt werden, pro- nisterin, wenn Sie Erkenntnissen von Wissenschaft und ftieren nicht. Auch nicht die Menschen, die neben den Forschung in diesem Hohen Hause wieder mehr Raum Megaställen oder neben den überdüngten Feldern woh- geben, statt mit Halb- oder Unwahrheiten, wie das einige nen, also da, wo es fast das ganze Jahr nach Gülle riecht. tun, politisches Kapital gewinnen zu wollen. Proftieren die Verbraucherinnen und Verbraucher, die (Beifall bei der FDP – Albert Stegemann billiges Fleisch kaufen können? Nein, auch die proftie- [CDU/CSU]: Jetzt wartet doch mal ab!) ren nicht. Fleisch, das unter katastrophalen Arbeitsbe- dingungen und unerträglichem Tierleid produziert wird, Deswegen appelliere ich an Sie, Frau Ministerin, dass Fleisch von Tieren, die ihr kurzes Leben lang mit Anti- Sie – das wird schwierig genug sein – sich innerhalb des biotika vollgepumpt werden, weil sie so dicht gedrängt Kabinetts, in das Sie eingebunden sind, als Anwalt der im Stall stehen, dass, wenn ein Tier krank wird, gleich landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland verstehen. alle Tiere krank werden: Das wollen die Menschen nicht. Das sind Sie ihnen aufgrund ihrer besonderen Bedeutung schuldig. (Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das ist doch Populismus! – Vielen Dank. Marlene Mortler [CDU/CSU]: Das ist doch (Beifall bei der FDP) beleidigend! Schämen Sie sich für solche Aus- sagen!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Hätten wir eine bessere Kennzeichnungspficht darü- Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Amira ber, wie die Tiere gehalten werden und ob sie mit Anti- Mohamed Ali das Wort. biotika oder Hormonen behandelt wurden, dann würde sich das Kaufverhalten radikal ändern. Davon bin ich (Beifall bei der LINKEN) überzeugt. Bei der Eierkennzeichnung hat das auch funk- tioniert. Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der LINKEN) gen! Liebe Gäste! Die Regierung hält weiterhin an ihrer Der Koalitionsvertrag enthält vage Forderungen nach verfehlten Landwirtschaftspolitik fest, die darauf abzielt, einem freiwilligen staatlichen Tierschutzlabel. Aber ich (B) dass Deutschland ein ganzes Drittel seiner Agrarproduk- sagen Ihnen: Vage, unverbindliche Anforderungen rei- (D) te exportiert. Die Linke hält das für falsch. chen nicht aus. (Beifall bei der LINKEN) (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Jetzt Die Folgen dieser Politik sind nachweislich verhee- warten Sie doch mal ab!) rend. Warum? Die EU gibt jährlich 55 Milliarden Euro An zwölf Stellen in Niedersachsen, wo ich lebe, wur- für Agrarsubventionen aus, die diese Exportmenge erst den kürzlich an Badeseen, Flüssen und Bächen Proben ermöglichen. Das sind rund 40 Prozent ihres gesamten entnommen. In allen Proben – ich wiederhole: in allen Budgets, also mehr Geld, als für Migrations-, Klima- Proben – wurden Keime nachgewiesen, denen mindes- und sogar Verteidigungsfragen insgesamt zur Verfügung tens drei der vier Standardantibiotika nichts mehr anha- steht. Bevorzugt werden dabei die Großbetriebe. Denn ben können. Antibiotikaresistente Keime! Auch das ist entscheidend für die Höhe der Subvention ist die Fläche. ein Abfallprodukt der Megaställe, in denen mit Antibioti- Das führt dazu, dass kleine bäuerliche Betriebe nicht ka herumgeaast wird, als gäbe es kein Morgen. mehr mithalten können und kaputtgehen. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Welche Aber es geht noch weiter. Die staatlich geförderte wissenschaftlichen Ergebnisse gibt es darü- Milch- und Fleischüberproduktion in Deutschland und ber? Wie können Sie das einfach behaupten?) der EU Wenn sie so weitermachen, dann gibt es das wirklich (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Was ist denn nicht. Ihre Landwirtschaftspolitik ist auch gesundheits- daran schlecht?) politisch absolut unverantwortlich, meine Damen und überfutet die Märkte der sogenannten Dritten Welt und Herren von der Regierung. zerstört vor Ort die heimische Produktion. Wir, die Steu- (Beifall bei der LINKEN – Gitta Connemann erzahlerinnen und Steuerzahler, bezahlen also die Sub- [CDU/CSU]: Was Sie sagen, ist bar jeder Wis- ventionen, damit die Produkte billiger exportiert werden senschaft!) können, und die Bauern in den Ländern, in die wir ex- portieren, werden damit in den Ruin und in die Armut Die Menschen sorgen sich und fragen sich zu Recht: getrieben. Und dann zahlen wir wiederum für die Ent- Können unsere Kinder im Sommer noch unbesorgt im wicklungshilfe für diese Länder. Was für ein absurder, Badesee schwimmen gehen? – Das ist doch alarmierend. irrsinniger Kreislauf! (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Auf welcher (Beifall bei der LINKEN) Grundlage sagen Sie das denn?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2189

Amira Mohamed Ali (A) Auf was für eine Zukunft steuern wir da hin? Und wofür? Die Linke sagt: Damit muss Schluss sein. Die Bundes- (C) regierung kniet vor der Agrarlobby. Stehen Sie endlich (Beifall bei der LINKEN) auf! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Die regionalen, ökologisch nachhaltig arbeitenden Be- Kollegen Hocker? triebe brauchen unsere Unterstützung. Wir brauchen insgesamt eine deutliche Erhöhung der Mittel für die ländliche Entwicklung. Davon proftieren die regionalen (DIE LINKE): Amira Mohamed Ali Wirtschaftskreisläufe, die Kommunen, die Regionen, die Ja. Menschen und auch die Tiere. Als Tierschützerin möchte ich hier noch etwas sagen: Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): Es sind insbesondere der Konkurrenzkampf und der Vielen Dank, Frau Kollegin, dass ich diese Zwischen- Preisdruck unter den großen Landwirtschaftsbetrieben, frage stellen darf. – Ich möchte von Ihnen gerne wissen, die zu den überlangen, qualvollen Tiertransporten füh- welche wissenschaftliche Studie Ihrem Redetext zugrun- ren. Tiere werden quer durch Europa und ins Ausland ge- de liegt, wenn Sie behaupten, dass die Landwirte in Nie- karrt, weil der eine Abnehmer zum Zeitpunkt X ein paar dersachsen – dort fand die angebliche Studie statt, die der Cent mehr pro Kilo zahlt. Ja, wo leben wir denn? Das NDR in Auftrag gegeben hat – für die Multiresistenzen sind keine Pakete, das sind Lebewesen, verantwortlich sind. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Hunger haben, die Durst haben, die Schmerzen füh- len und die Angst empfnden. Glauben Sie mir: All das fühlen die Tiere auf den überlangen Transporten. Da Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): nutzt auch das Bild vom lächelnden Schwein auf den Herr Kollege, ich habe nicht gesagt, dass es die Land- Tiertransportern nichts. Damit muss Schluss sein. wirte sind. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Das steht Die Linke fordert daher eine Begrenzung der reinen da: Ernährung und Landwirtschaft!) Transportzeiten auf maximal vier Stunden. Mit dieser – Lassen Sie mich doch aussprechen, Herr Kollege! – Maßnahme kommen wir automatisch weg von den rie- (B) Danke. Ich habe Sie doch auch ausreden lassen. sigen Massenschlachtereien, wo im Akkord täglich Tau- (D) sende Tiere geschlachtet werden, und hin zu einer regio- Ich habe gesagt, dass das ein Ergebnis der Megaställe nalen Schlachtung in kleinen Betrieben. und der Antibiotikaüberbehandlung ist; das ist nachge- wiesen. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Es ging Ich möchte zu einem anderen Thema kommen. Als um die Ursache!) verbraucherschutzpolitische Sprecherin meiner Frakti- on erreichen mich in diesen Tagen viele Anfragen zum Ich habe Ihnen doch gerade gesagt: An allen Stellen wur- Thema Mikroplastik in Lebensmitteln. Nachdem nun im den antibiotikaresistente Keime gefunden. Finden Sie das Mineralwasser aus Plastikfaschen zum Teil Tausende nicht alarmierend? Ich jedenfalls fnde das alarmierend. Teilchen Mikroplastik pro Liter nachgewiesen werden (Beifall bei der LINKEN) konnten und Plastik auch in Honig und Meersalz gefun- den wurde, fragen sich viele Menschen, welche Auswir- Die Ursache ist der Antibiotikaübergebrauch. kungen das auf ihre Gesundheit hat. Die Menschen sind beunruhigt, und das kann ich gut verstehen, umso mehr, (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Frage beant- weil aktuell keiner eine Antwort auf diese Frage hat. Die worten!) Linke fordert die Bundesregierung auf, sofort zu handeln Danke schön. – Ich setze meine Rede jetzt fort. und Fördermittel für die Forschung bereitzustellen. Wir müssen wissen, in welchen Lebensmitteln Mikroplastik (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist noch enthalten ist, wie es hineingelangt, welche Auswir- schön vorbei!) kungen es auf den Menschen hat und vor allem wie wir das Plastik aus unserer Nahrung heraushalten können; Die Menschen sorgen sich und fragen sich zu Recht, denn da hat es überhaupt nichts zu suchen. ob sie selbst und ihre Kinder im Sommer in Badeseen noch unbesorgt schwimmen gehen können. Wie ich gera- (Beifall bei der LINKEN) de gesagt habe, fnde ich das alarmierend. Dieses Land erlebt nun schon das 13. Regierungsjahr Wer proftiert von dieser Politik? Wer proftiert von unter einer von Frau Merkel geführten Koalition. Für die der Exportorientierung und der Subventionspolitik? Es Landwirtschaft und die Umwelt, aber auch für die Ver- sind die Großbetriebe, und das auf Kosten der Verbrau- braucherrechte waren das keine guten Jahre. Wir als Lin- cherinnen und Verbraucher, auf Kosten der regionalen ke werden weiter an der Seite der Verbraucherinnen und Betriebe und auf Kosten der Gesundheit der Menschen. Verbraucher, der Verbände, der Initiativen und der Men- 2190 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Amira Mohamed Ali (A) schen in diesem Land stehen und weiter dafür kämpfen, wenigen Wochen und Monaten auf der Basis dessen, was (C) dass die Menschen und die Natur an erster Stelle stehen am Markt ist, Label und Kennzeichnungen anbieten. Sie und nicht der Proft der großen Konzerne. können sich dem allenfalls in ein oder zwei Jahren an- schließen und sagen: Das war eigentlich ich. – Ich glaube Danke schön. aber, es war im Wesentlichen die Bewegung draußen, die (Beifall bei der LINKEN) das gemacht hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sowie des Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE]) Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Künast, Ich bin der festen Überzeugung, dass das, was da auf- Bündnis 90/Die Grünen. gelegt wird, von der Struktur her gar nicht reichen wird; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vielmehr werden das die gesellschaftliche Bewegung und einige, die hier im Parlament aktiv sind, weitertreiben. Lassen Sie sich Zeit. Denn natürlich werden wir sagen: 10 Prozent mehr Platz und ein Spielzeug mehr in der Schweinebucht reichen Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): eben nicht aus. – Es reicht übrigens auch nicht aus, wenn Ich habe alle Zeit der Welt. Sie, Frau Klöckner, sagen: Wir werden in Zukunft tolle digitalisierte Ställe haben. – Die werden wir vielleicht auch haben. Aber wenn wir wirklich an Tierhaltung und

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Tierschutz herangehen und die Interessen der Kundinnen Sie wissen ja: In der Ruhe liegt die Kraft. und Kunden berücksichtigen, ist die Zielstellung nicht der digitalisierte Stall, sondern die Zielstellung lautet: Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Sau muss raus. Stimmt. – Ich lege meine Gehhilfe auf den Fußboden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn ich damit auf den Tisch hauen würde, würde sie sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sowieso nach unten fallen. Sie wissen: Andere Länder haben damit längst angefan- (Heiterkeit) gen, etwa Holland mit dem „Schwein der Zukunft“. Was Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Mi- wir also brauchen, ist eher der Antrieb, eine gute, klare nisterin, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem und einfach verständliche Kennzeichnung von Wurst, Amt! In einem haben Sie auf alle Fälle recht: Das ist das von Fleisch allgemein bis hin zum verarbeiteten Ei zu schafen. (B) schönste Ministerium. (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich kann hier nur sagen: Da brauchen wir noch mehr. Sie haben gesagt, Sie wollten Lücken schließen. Aber Auch wenn Sie das Wort „Lebensministerium“ bei den dann gehen Sie einmal an die quälenden, langen Tier- Österreichern, die es schon jahrelang verwenden, gestoh- transporte heran. Gehen Sie an die Probleme heran, dass len haben: Ich glaube, dass es da tatsächlich auch um un- viele Tiere anhaltenden Schmerz gerade am Ende ihres ser aller Lebensgrundlagen geht, um das, was wir essen, Lebens, vor der Schlachtung, empfnden, dass Nottötun- was wir trinken, um den Erhalt der Lebensgrundlagen, gen nicht tierschutzgerecht sind und dass wir die Anzahl um die Grundlagen der Schöpfung und eben auch um der Tierversuche reduzieren und dabei nicht stehen blei- den Erhalt der Grundlagen, die man für gutes bäuerliches ben. Wirtschaften braucht, um auf dieser Basis Jobs zu haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nachdem ich Sie zu Beginn beglückwünscht habe und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gemeinsamkeiten mit Ihnen festgestellt habe, komme ich jetzt zu einem anderen Teil. Dazu haben Sie eigentlich nichts gesagt – nichts Kon- kretes. (Rainer Spiering [SPD]: Der dauert länger!) Ich bin aber der festen Überzeugung: Planungssicher- – Der dauert länger. – Sie haben alle Schlüsselworte heit für Landwirte und wirtschaftliche Chancen gibt es benannt, sie mit Absichtserklärungen versehen und sie nur, wenn wir klare Kennzeichnungen haben und da- strahlend vorgetragen. Aber ich fnde, am Ende war es durch wieder gesellschaftliche Akzeptanz herstellen. für alle nichts Konkretes, ehrlich gesagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]) Stichwort „Tierhaltung“: Die Kunden sagen, sie hät- ten das Recht, zu wissen, was in den Nahrungsmitteln Ich nehme als konkretes Beispiel die Pestizide, ein The- enthalten ist, wie sie produziert wurden, wie die Tiere ge- ma, das uns alle beschäftigt. Sie kommen im Zweifelsfall halten wurden. Sie haben ein Tierwohllabel angekündigt, mit Precision Farming. Aber ich frage – auch in Richtung aber sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, wie Sie SPD –, wenn ich die allgemeine Formulierung höre, dass eigentlich damit umgehen, dass es das jetzt eigentlich man für die Minderung von Glyphosat und Pestiziden fast schon gibt. Nachdem Lidl angekündigt hat, ein sol- und für deren umweltverträglichen Einsatz ist: Wie soll ches Label zu verwenden, zieht der restliche Lebensmit- das gehen? Der Einsatz von Pestiziden ist immer ein Ein- telhandel jetzt nach. Man trift sich aktuell und wird in grif in die Umwelt, ein unnatürlicher Eingrif. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2191

Renate Künast (A) Wir haben viel gelesen über den Verlust von 75 Pro- Recht darauf haben, zu wissen, was drin ist – bei alter (C) zent der Bienen und bestäubenden Insekten, über den und bei neuer Gentechnik und auch bei der Ernährung! Verlust der Vögel, gerade in Frankreich. Wenn man wirk- Wir wollen eine ordentliche Kennzeichnung. Was gute lich eine Biodiversitätsstrategie verfolgen will, wenn Ernährung angeht, auch was Chemierückstände in der man Insektenschutz betreiben will, dann darf man eines Ernährung anbetrift, wollen wir sagen: Wir schützen in nicht tun: nur warme Worte sprechen und diese warmen Zukunft unsere Kinder und nicht die fnanziellen Interes- Worte am Ende mit Fördertatbeständen doch wieder kon- sen der Agrarchemie. terkarieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN) Reduzieren wir jetzt massiv, und machen wir konkrete Wir wollen ein wirklich ehrgeiziges Programm. An Vorgaben! Stichwort „Neonicotinoide“, Frau Schmidt – – die Vorrednerin von der SPD gerichtet, sage ich: Wir brauchen in Wahrheit keine Gemüsekampagne; seit 10, (Heiterkeit) 15 Jahren reden wir über „fünfmal am Tag Gemüse“ usw. – Frau Klöckner, sorry. Mit Herrn Schmidt vergleiche ich Wir müssen Fakten schafen, zum Beispiel indem die Kri- Sie nicht. Ich habe mich versprochen. – Ihr Vorgänger, terien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu Min- Herr Schmidt, der jetzt auch noch die Deutsche Bahn ins destkriterien in Kindergärten, Schulen, Studentenwerken Unglück reißen soll, sagte im November 2017 im EU- und überall werden. Wir müssen im Ernährungsbereich Rat: Wenn die EFSA den Beweis erbringt, dass es schäd- endlich dafür sorgen, dass mehr bio, mehr regional, mehr lich ist, dann wird Deutschland dem Verbot zustimmen. – saisonal gegessen wird und dass es sowohl gesundes als Nachdem die EFSA gesagt hat: „Es ist so“, sagen Sie in auch fair hergestelltes Essen gibt. Brüssel faktisch gerade: Wir wissen es noch nicht genau. Wir müssen noch einmal reden, noch einmal nachden- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ken. – Ich habe den Verdacht: Sie arbeiten nur daran, Frau Kollegin! möglichst viele Ausnahmen zu machen. Fassen Sie sich doch ein Herz! Sie brauchen auf kei- Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ne wissenschaftliche Diskussion zu warten, weil es keine Zeitgleich mit unserer Produktion müssen wir die Bio- wissenschaftliche Diskussion mehr gibt. Alle sind einer diversität schützen und den Bauern Absatzmöglichkeiten Meinung. Sagen Sie Ja zum Verbot der Neonicotinoide, geben. Die Landwirtschaft ist nicht irgendwo. Ihre Zu- wie es vorgeschlagen ist! kunft liegt darin, dass sie ihren Beitrag leistet und wir die Finanzströme danach ausrichten. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der SPD) Selbst die DLG, ein Fachverband, sagt: Die Zukunft heißt Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: „gute fachliche Praxis“. „Gute fachliche Praxis“ heißt Der Kollege Albert Stegemann spricht für die CDU/ „Fruchtfolge“, meine Damen und Herren. Man kann nur CSU-Fraktion. eines machen. Ich sage Ihnen: Schützen Sie die Grundla- gen des Lebens, schützen Sie die Grundlagen guter bäu- (Beifall bei der CDU/CSU) erlicher Betriebe statt die Profte der Agrarchemie! Albert Stegemann (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- und bei der LINKEN) be Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich mit Ihnen auf die Debatte, die wir zur Zunächst möchte ich unserer neuen Landwirtschaftsmi- EU-Agrarreform haben werden, und sage Ihnen schon nisterin Julia Klöckner herzlich für ihre gelungene Rede eines: Sie werden sagen müssen, wie Sie von den alten danken. Strukturen, die die Probleme von heute geschafen ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben, wegkommen und neue Strukturen schafen wollen. Sie können hier nicht nur ein bisschen rumbutschern. Für das neue Amt wünsche ich gutes Gelingen, Gottes Wie wird das Geld in Zukunft zielgerichtet ausgegeben, Segen und eine gute Portion Glück; auch das braucht sodass es nicht bei den Unternehmen ankommt, sondern man hin und wieder in einem solchen Amt. Guten Ge- die Leistungen von Bauernfamilien fnanziert? Das wer- wissens kann ich für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Sie nicht mit Ihrer Exportstrategie und immer mehr sagen: Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Handelsabkommen – mit dem Mercosur, mit Australien, Vor allen Dingen freuen wir uns aber, dass es nun endlich Neuseeland – schafen, bei denen es darum geht, Autos mit der praktischen Arbeit losgeht. und Dienstleistungen gegen Rindfeisch zu tauschen. Das hilft doch unseren Landwirten nicht, meine Damen und (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren! NEN]: Was haben Sie denn die letzten vier Jahre gemacht?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viele in der Branche, sowohl in der Politik als auch im Über allem steht – mein letzter Gedanke hier –: Ge- Berufsstand, hofen auf einen Aufbruch. Wir hofen nicht ben Sie endlich zu, dass die Kunden, die Verbraucher ein nur, nein, wir spüren geradezu, wie es jetzt mit Power zur 2192 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Albert Stegemann (A) Sache geht und wie durchgestartet wird. Diese Agilität Deshalb wollen wir eine Haltungskennzeichnung einfüh- (C) steckt an und macht Freude. ren. Damit leisten wir einen Beitrag für mehr Tierwohl und stärken die Verbindung zwischen Erzeuger und Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) braucher. Heute können diese mit ihrer Kaufentscheidung Das ist gut; denn die Themen warten nicht, wie beispiels- kaum Einfuss auf bestimmte Haltungsformen nehmen. weise zuletzt bei der Insolvenz der Berliner Milchein- Das wird sich ändern. Verbraucher stimmen mit den Fü- fuhr-Gesellschaft. Die guten Kontakte zum Raifeisen- ßen ab, wenn sie die Informationen für selbstbestimmte verband wurden rasch genutzt, um den Milcherzeugern Kaufentscheidungen haben. Ich bin sehr zuversichtlich, schnell und unbürokratisch zu helfen. Vielen Dank für dass wir die bestehenden Brancheninitiativen mit einer diese unkomplizierte Hilfe – ohne Umschweife, ohne staatlichen Haltungskennzeichnung verzahnen können. viele Anträge oder lange Diskussionen! Danke dafür! Mit den 1,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, können wir (Beifall bei der CDU/CSU) gerade beim Tierwohl Innovationen anschieben. Eine große Hofnung und Sehnsucht verspüre ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ebenfalls im Berufsstand. Die Branche befndet sich in neten der SPD und des Abg. Dr. Gero Clemens einer schwierigen Gemütslage. Worum geht’s? Es fehlt Hocker [FDP]) an Anerkennung für die geleistete Arbeit. Landwirtschaft war immer ein elementarer Bestandteil der Gesellschaft. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Unionsfrakti- Prägend war das Miteinander, nie das Gegeneinander. on bekennt sich zu einer modernen, wettbewerbsfähigen Diese enge Verbindung wird deutlich an Erntedankfes- und familiengeführten Landwirtschaft. Ich bin über- ten, gut gemeinten Bauernregeln oder ähnlichen Überlie- zeugt, dass Landwirtschaft in Deutschland eine Zukunft ferungen, die bis heute einen festen Platz im Alltag der hat. Dafür ist aber die gesellschaftliche Akzeptanz not- Menschen haben. Landwirte standen wie selbstverständ- wendig. Die Branche ist viel mehr als nur ein wichtiger lich im Einklang mit ihrem Umfeld. Das ist heute leider Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum. Die vielen Men- nicht mehr überall der Fall. Hier ist eine Kluft entstan- schen mit ihren unterschiedlichen Berufen, vom Förster den. Viel mehr noch: In den letzten Jahren ist hier etwas über den Winzer, die Jäger, Tierhalter, Fischer bis hin zu zerbrochen. Als Politik muss es unsere Aufgabe sein, die den Gärtnern, sind Teil unserer Gesellschaft. Landwirtschaft bei der Lösung dieses Konfiktes zu un- terstützen. Unser Ziel muss daher sein, Brücken zu bauen (Beifall bei der CDU/CSU) und wieder zusammenzuführen. Für sie machen wir eine Agrarpolitik, die den Raum für Sicherlich gab es auch Verfehlungen einzelner Betrie- die notwendigen Veränderungen schaft. Auf diese Arbeit (B) be, die das Bild der modernen Landwirtschaft getrübt freue ich mich. (D) haben. Hier müssen und werden wir konsequent ein- Herzlichen Dank. schreiten. Allerdings spiegelt die oftmals sehr kritische Berichterstattung die Realität in den allermeisten Fällen (Beifall bei der CDU/CSU) nicht wider. Die Landwirte sind zu gesellschaftlich ge- wünschten Veränderungen bereit. Dafür braucht es aller- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dings verlässliche Rahmenbedingungen. Zur Planungs- sicherheit gehört auch eine fnanziell gut ausgestattete Der nächste Redner ist der Kollege Stephan Protschka Gemeinsame Agrarpolitik, über die wir unsere regional für die AfD-Fraktion. verwurzelten Landwirte fördern wollen. Ich danke Ihnen, (Beifall bei der AfD) Frau Bundesministerin, dass Sie hierfür bereits am Mon- tag in Brüssel einen Pfock eingeschlagen haben. Stephan Protschka (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Es gibt aber auch Bereiche, in denen sich der Staat und Herren! Gott zum Gruße, Frau Ministerin Klöckner! verzetteln kann. Nehmen wir als Beispiel unser Baurecht. Vorweg möchte ich Ihnen zu Ihrem neuen herausragen- Gerade junge Landwirte haben damit große Schwierig- den Amt gratulieren. Als Weinkönigin haben Sie schon keiten in der Praxis. Investitionen sind kaum noch mög- einmal das Wissen, was einen Weinbauer in Deutschland lich. Hier müssen wir neu denken, vor allem wenn es beschäftigt. um die erforderlichen Modernisierungen geht; denn zur Zu Ihrer Erklärung: Wir haben sehr viele große Wor- Wahrheit gehört: Moderne Ställe führen zu mehr Tier- te gehört. Diverses soll geschützt werden, anderes soll wohl, und dies schaft Akzeptanz. Wir müssen aufpassen, gefördert werden. Und überhaupt: schöne neue Gro- dass durch Verbote die aktuelle Weiterentwicklung der Ko-Welt, alles gut, alles systemrelevant. – Wovon ich Landwirtschaft nicht konterkariert wird. Unsere Verant- hier heute leider relativ wenig gehört habe – wenn Sie wortung ist es, den Wandel konstruktiv zu begleiten. Wir nicht mit Ihrem Handy sprechen, bekommen Sie viel- wollen Landwirtschaft verändern, ohne sie abzuschafen. leicht auch mit, was ich sage; das wäre nett, wenn Sie je- Produktionsverlagerungen ins Ausland helfen weder mand anspricht –, ist die Zukunft der örtlichen deutschen den Landwirten noch den Verbrauchern und erst recht Bauern mit einem Hof kleiner oder mittlerer Größe. nicht den Tieren. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Dann haben (Beifall bei der CDU/CSU) Sie sich die Ohren nicht gewaschen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2193

Stephan Protschka (A) Dabei sind es diese feißigen Männer und Frauen, die – Ja, dann reden Sie auch mit mir. Danke, das fnde ich (C) nicht nur vernünftiges Essen auf unsere Teller bringen, sehr nett. sondern auch unsere Kulturlandschaften hegen und pfe- gen. Man sollte meinen, dass diese Arbeit unserer Bauern Ralph Lenkert (DIE LINKE): Ihre Unterstützung verdient hätte. Tatsächlich aber sieht Herr Protschka, Sie kennen sich in der ostdeutschen es damit eher schlecht aus. Landwirtschaft sehr gut aus, nehme ich an, weil Sie aus Dabei ist die Lage unserer Höfe mehr als nur bedenk- Bayern kommen. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass die lich. Seit Jahren haben wir ein ungebrochenes Höfester- Produktionsgenossenschaften in Ostdeutschland ein Zu- ben. Unsere Milchbauern bereiten sich inzwischen auf die sammenschluss von Genossenschaftsmitgliedern sind, nächste Milchkrise vor, und immer mehr Ackerland ist in die gemeinsam ihre Flächen bewirtschaften, die gemein- der Hand weniger Unternehmen. An dieser Stelle sende sam im genossenschaftlichen Eigentum produzieren. ich einen freundlichen Gruß an die Kollegen der Links- Dass Sie dies mit konzernartigen Agrargroßbetrieben partei, die trotz sorgfältig gepfegter Robin-Hood-Atti- gleichsetzen, die einem Einzelnen oder Investmentge- tüde rein gar nichts dagegen einzuwenden haben, dass sellschaften gehören, ist nicht sachgerecht und beleidigt die ehemaligen VEB-Betriebe in Mitteldeutschland ihre unsere Landwirtinnen und Landwirte, die in Gemein- Größe gnadenlos ausnutzen und den kleinen Bauern im- schaftsarbeit ihre Felder bewirtschaften. Auch wenn es mer mehr wegnehmen. große Flächen sind, so sind es doch Genossenschaften, die zusammenstehen und zusammenarbeiten, und das ist (Ulrich Freese [SPD]: Dahinter stecken vie- auch gut so. le Familien und Menschen! Das ist doch Quatsch!) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. [SPD]) Aber vermutlich läuft das bei Ihnen unter realsozialisti- scher Traditionspfege, meine Damen und Herren. Stephan Protschka (AfD): (Beifall bei der AfD) Sehr geehrter Herr Kollege, wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie gehört, dass ich nicht von den Zurück zum Thema und zurück zu Ihnen, Frau Minis- LPGs gesprochen habe, sondern von den ehemaligen terin. Seit Jahren legt auch Ihre Partei unseren kleinen Volkseigenen Betrieben, die nach der Wende übernom- und mittelständischen landwirtschaftlichen Betrieben men wurden und jetzt ihre Größe ausnutzen und dafür immer mehr Fesseln an: Gülleverordnung hier, Pestizid- sorgen, dass die kleinen bäuerlichen Betriebe im Osten verbote da, angeblich alles im Namen des Umweltschut- aufgeben müssen. Wenn Sie sich einmal Zeit nehmen zes. Tatsächlich versucht die deutsche Umweltpolitik seit (B) und sich mit dem Deutschen Bauernbund zusammenset- (D) Jahren, die Probleme zu lösen, die ohne die zunehmende zen, wird er Ihnen das bestätigen. – Danke für die Zwi- Konzentration der Fläche bei einigen wenigen Großbe- schenfrage. trieben vermutlich gar nicht vorhanden wären; denn der beste Umweltschutz bleibt die kleinräumige, familiär ge- (Beifall bei der AfD) prägte Landwirtschaft. Jetzt aber weiter. Der beste Umweltschutz bleibt eine (Beifall bei der AfD) kleinräumige Landwirtschaft. Warum ist das so? Weil der Bauer mit Sicherheit auf seinen eigenen Boden achten und ihn so pfegen wird, dass ihn auch seine Kindeskin-

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der nutzen und sich von seinem Ertrag ernähren können. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Aber was haben wir stattdessen? Immer größere Betriebe Kollegen Lenkert? und Höfesterben. Mitverantwortlich dafür ist im Übrigen ihr Hang zum Stephan Protschka (AfD): Freihandel, den hier fast alle haben, außer uns. Wenn Ja, gern. ich an die anstehende Abstimmung über das Freihan- (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- delsabkommen mit den Mercosur-Staaten denke, dann NEN]: Was soll das denn?) dreht sich mir, ehrlich gesagt, der Magen um. Glauben Sie wirklich, dass ein Bauer aus Niederbayern oder aus – Darf man einem AfDler keine Zwischenfrage mehr Ihrer Heimat, Frau Ministerin, der Pfalz, davon proftiert, stellen? wenn er mit einem Kollegen aus Argentinien mithalten muss, der weniger Umwelt- und Sozialaufagen erfül- (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len muss und für einen Liter Diesel um einiges weniger NEN]: Ich habe nicht mit Ihnen geredet!) zahlt? – Anscheinend doch. (Beifall bei der AfD) (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- An dieser Stelle gebe ich auch gerne noch einen Hin- NEN]: Nein!) weis an die sonst so menschenrechtsbewegten Fraktio- – Sie schauen mich aber gerade an. nen hier im Haus: Dass mit diesem Freihandelsabkom- men Produkte auf den deutschen Markt kommen, die mit (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: einem Genozid an den Ureinwohnern Nordargentiniens Jetzt ja, weil Sie mich angesprochen haben!) erkauft werden, scheint hier niemanden so richtig zu in- 2194 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Stephan Protschka (A) teressieren. Wenn es Sie aber interessiert: Das ist Rassis- der Mittelstand, kleine Unternehmen, Start-ups und das (C) mus, meine Damen und Herren. Handwerk gefördert werden. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Noch einen Satz. Ich sehe, dass meine Zeit beinahe Es kommt zum Beispiel darauf an, dass wir in den länd- abgelaufen ist. Dabei hätte ich noch viel mehr dazu zu lichen Räumen nicht nur Milch produzieren, sondern sie sagen. auch veredeln. Wir brauchen eine regionale Vermark- tung. Diese müssen wir massiv fördern. Es geht dabei (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) um regionale Produkte. Haben Sie schon einmal ostfrie- sische Milch getrunken? Das wird Ihnen nicht gelingen. – Ich darf auch länger reden, wenn die Grünen das immer Ich fnde trotzdem, dass sie ein wichtiges Produkt ist. Ich wieder dürfen. bin mir auch ganz sicher, dass Sie alle eigentlich gerne Frau Ministerin, Ihre Regierung schaft auf der einen ostfriesische Milch trinken würden. Seite ein Heimatministerium, sorgt aber auf der ande- (Beifall bei der SPD) ren Seite dafür, dass deutsche Heimat täglich vernichtet wird. Das ist der pure Wahnsinn. Dabei geht es auch um die Festsetzung bestimmter Kriterien. So kann man festlegen, dass die Milch nicht Ich hätte noch viel mehr zu sagen. Ich hätte gerne auch mehr als 100 Kilometer transportiert wird, dass sie gen- noch etwas zu Herrn Hocker gesagt, weil er Unwahrhei- technikfrei ist, dass die Kühe nicht enthornt wurden und ten über meine Kollegen verbreitet. Aber ich komme dass es sich um Zweinutzungsrinder handelt. Man kann zum Schluss, weil meine Zeit überschritten ist. also Qualitätsstandards festlegen, die die Menschen Frau Ministerin, Sie sind jetzt verantwortlich für das nachfragen und befürworten. Schicksal der deutschen Bauern. Bitte verhalten Sie sich (Beifall bei der SPD) in Zukunft so. Dann werden wir gut zusammenarbeiten. Genauso wie es solche Kriterien für regionale Milch gibt, Danke schön. kann es sie auch für regionales Fleisch oder sogar für die regionale Tourismusförderung geben. So kann man den (Beifall bei der AfD) Urlaub bewusst mit einem ökologischen Fußabdruck, der nicht enorm ist, verbringen und eine schöne Zeit mit der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Familie erleben. Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Johann Was gehört dazu? Dazu gehört Infrastruktur – und (B) (D) Saathof. daran mangelt es, meine Damen und Herren –: Straße, Schiene, Wasserstraße, aber vor allen Dingen öfentli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten cher Personennahverkehr. Versuchen Sie einmal, bei uns der CDU/CSU) in Ostfriesland mit dem Bus zu fahren. Da brauchen Sie verdammt viel Zeit. Johann Saathof (SPD): Dazu gehören auch die Breitbandausstattung und die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Herausforderungen bei der 5G-Ausschreibung, vor de- Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben gesagt: Ländliche nen wir stehen. Wir wollen Precision Farming, Frau Mi- Räume sind die Kraftzentren in Deutschland. – Da muss nisterin. Aber das haben wir nur dann, wenn es auch eine ich Ihnen beipfichten. Das ist richtig; das sehe ich genau- vernünftige Breitbandabdeckung gibt. Da fehlt es aber an so. Sie haben auch gesagt: Das Landwirtschaftsministeri- allen Ecken und Enden. Das ist so, als wenn Sie versu- um ist das Ministerium für den ländlichen Raum. – Dazu chen, sich mit einem Handtuch zuzudecken: Egal wohin komme ich gleich noch. Und Sie sagen: Wenn die länd- Sie es ziehen, irgendetwas ist immer kalt. lichen Räume als Kraftzentrum für Deutschland agieren, dann werden wir die Ideen der Menschen unterstützen (Beifall bei der SPD) und das Ehrenamt besonders fördern. – Das ist löblich; Dazu gehört natürlich auch Gesundheitspolitik. Wir keine Frage. Aber wir müssen gemeinsam konstatieren, haben in den ländlichen Räumen schon längst das Pro- dass sich die ländlichen Räume nicht so entwickelt ha- blem, dass man keinen Hausarzt mehr fndet. Außerdem ben, wie wir es gerne gehabt hätten. Auch mit Blick auf ist die Krankenhausversorgung nicht mehr ausreichend. die letzten vier Jahre müssen wir das ehrlich eingestehen. Wenn dann der Hinweis auf Telemedizin kommt, ist das Wenn es in Ostfriesland um die ländlichen Räume für uns nicht ernüchternd, sondern eher besorgniserre- geht, dann fragt man: Wat köst mi dat, un wat hebb ik gend. daarvan? Wir müssen uns also fragen: Wo ist eigentlich Vielleicht haben wir zu lange Ursachen und Sympto- das Problem, das dazu führt, dass sich die ländlichen me verwechselt. Wir haben darüber gesprochen, dass wir Räume nicht wie erhoft entwickelt haben? Es wurde aus der demografschen Entwicklung entgegenwirken müs- meiner Sicht der falsche Fokus auf die ländlichen Räu- sen. Aber Demografe ist das Symptom. Die Ursache ist me gelegt. Ich glaube, es kommt wesentlich darauf an, die fehlende öfentliche Infrastruktur. Hier müssen wir dass in den ländlichen Räumen Wertschöpfung möglich eine neue Antwort fnden. ist, dass Arbeit möglich ist und dass die Menschen dort Arbeit fnden. Wichtig ist, dass in ländlichen Räumen (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2195

Johann Saathof (A) Ein Ministerium für die ländlichen Räume hatte ich unsere Kinder und Enkel so bleiben. Aber die Zahl der (C) schon einmal in einer meiner Reden gefordert, und ich landwirtschaftlichen Betriebe sinkt weiter; auch das ist fnde, dass das immer noch richtig ist. Es ist jedenfalls die Wahrheit. Allein seit 2010 haben fast 30 000 Betriebe richtiger, als ein Ministerium für Heimat zu fordern, weil die Hoftüren für immer geschlossen. Das führt natürlich dort eine Zersplitterung und keine Bündelung stattfndet. zu Veränderungen. Wer mit Scheuklappen durchs Leben läuft, sieht die Chancen links und rechts vom Feldrand (Beifall bei Abgeordneten der FDP) nicht. Wir können den Wandel nicht aufhalten, aber wir Wir brauchen – ähnlich wie bei der Energiepolitik, wo können ihn gestalten. Da hilft es nicht, Angst zu verbrei- es eine Sektorenkopplung gibt – eine Kopplung von ver- ten und mit Kampfbegrifen und Forderungen nach mehr schiedenen Ministerien und Institutionen. Wir haben al- Verboten, mehr Gesetzen, mehr Regeln und mehr Aufa- lein fünf Ministerien, die sich mit der Frage beschäftigen, gen zu kommen; wie die ländlichen Räume gefördert werden – Landwirt- schaft, Innen, Finanzen, Wirtschaft, Verkehr und digitale (Beifall bei der FDP) Infrastruktur –, und wir haben Zuständigkeiten des Bun- denn das verunsichert die Verbraucher und nimmt auch des und der Länder. Wenn sich die Menschen in meiner dem letzten Landwirt die Lust an der Arbeit und wirt- Region fragen: schaftlich die Puste. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: In unserer (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja! Mitma- Region! Es ist unsere!) chen!) „Warum wollen eigentlich alle die ländlichen Räume för- Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen. Na- dern, und warum merken wir das im ländlichen Raum türlich wollen wir alle gutes und gesundes Essen, und das nicht?“, dann hat das etwas mit dieser Zersplitterung der haben wir auch. Für jeden individuellen Ernährungsex- Zuständigkeiten zu tun. Wir brauchen die vielzitierte perten in Deutschland fndet sich heute das Richtige in Sektorenkopplung endlich auch bei der Förderung der unseren Regalen. Doch was wir gerne vergessen, ist, dass ländlichen Räume, damit diese Hilfe dort ankommt, wo unsere Lebensmittel viel mehr wert sind, als sie uns alle sie hingehört: im ländlichen Raum. kosten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Was ich damit meine, ist, dass die Landwirte und ihre Familien in Deutschland noch ganz nebenbei unsere Kul- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: turlandschaft prägen. (B) Die nächste Rednerin ist die Kollegin Carina Konrad, (D) FDP-Fraktion. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: So ist es!) (Beifall bei der FDP) Sie engagieren sich in der Dorfgemeinschaft, in der Feu- erwehr, vor Ort in den Vereinen, im Sportverein und sind damit ein unverzichtbarer gesellschaftlicher Mehrwert, Carina Konrad (FDP): von dem wir alle proftieren. Statt sie mit Bürokratie zu Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Lie- belasten – als Stichwort die Düngeverordnung –, müs- be Kolleginnen und Kollegen! Liebe Ministerin Julia sen wir sie entfesseln, damit sie ihrer eigentlichen Arbeit Klöckner, ich freue mich wirklich und gratuliere Ihnen nachgehen können; denn Müsli wächst nicht auf dem recht herzlich zu Ihrem neuen Amt als Landwirtschafts- Schreibtisch. ministerin in Deutschland. Das tue ich nicht nur, weil auch Sie aus Rheinland-Pfalz kommen, sondern auch, (Beifall bei der FDP) weil ich glaube, dass Sie wissen, welche Sorgen und Nöte die Landwirte in Deutschland umtreiben. Doch ich Wir Freien Demokraten wollen Trendwenden in der kann Ihre Spitze von eben nicht außen vor lassen; denn Landwirtschaft aktiv gestalten, damit die Landwirte auch es sind insbesondere die Landwirte, die nach dem Jamai- in Zukunft von ihrer Hände Arbeit leben können und die ka-Aus gesagt haben: Gott sei Dank habt ihr uns vor den Verbraucher sichere und gesunde Lebensmittel in den grünen Ideologen bewahrt! Regalen fnden. Liebe Frau Klöckner, wir Freie Demo- kraten sind konstruktive Partner an Ihrer Seite, wenn Sie (Beifall bei der FDP – helfen, das Spannungsfeld zwischen Verbrauchern und [CDU/CSU]: Nee, nee! – Gegenruf des Abg. Landwirten, zwischen Stadt und Land zu überbrücken, Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Doch! Das wenn Sie die Landwirte unterstützen, indem Sie bürokra- stimmt schon! – Stef Lemke [BÜNDNIS 90/ tische Fesseln entfernen, wenn Sie den Zulassungsstau DIE GRÜNEN]: Habt ihr euch geopfert für bei Pfanzenschutzmitteln aufösen und sich gegen natio- die Landwirte? – Gegenruf des Abg. Dr. Gero nale Alleingänge bei der Zulassung von Pfanzenschutz- Clemens Hocker [FDP]: Genau!) mitteln stellen Nichts ist so beständig wie der Wandel. Was Heraklit (Beifall bei der FDP) bereits 500 vor Christus wusste, das gilt bis heute, beson- ders – vielleicht ganz besonders – für die Agrarwirtschaft und wenn Sie keinen Unterschied machen zwischen öko- bei uns. Wir sind alle satt. Die Regale in den Supermärk- logisch und konventionell wirtschaftenden Betrieben. ten sind voll. Das ist auch gut so, und das soll auch für Dann sind wir Ihre Partner. 2196 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Carina Konrad (A) Vielen Dank. Zwischen damals und heute, liebe Kolleginnen und Kol- (C) legen, gibt es aus meiner Sicht einen kleinen Quanten- (Beifall bei der FDP) sprung. Düngung, also Nahrung für die Pfanzen, erfolgt heute nach Bedarf, nicht zu viel, nicht zu wenig. Digita- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: lisierung und modernste Technik helfen dabei. Aber wir Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt die Kollegin können noch besser werden, und das müssen wir auch. Marlene Mortler das Wort. Beim Pfanzenschutz ist es genauso. Heute sagen wir: Wissenschaft und Landwirtschaft gehen Hand in Hand. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Unser Ziel sind gesunde Pfanzen – egal ob bio oder ordneten der SPD) konventionell – durch optimale Versorgung durch Profs, durch gelernte Landwirte. Das bedeutet für mich nach- Marlene Mortler (CDU/CSU): haltige Landwirtschaft. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer kennt hier eigentlich noch seinen Bauern (Beifall bei der CDU/CSU) um die Ecke? Wer weiß genau, was er macht, wie und Auch über unser Ernährungsverhalten wissen wir heu- warum er Landwirtschaft betreibt? Gefühlt ist diese Ecke te so viel mehr als früher. Trotzdem werden die Menschen aus meiner Sicht weit weg von der Realität – wenn ich krank wegen falscher Ernährung. Immer mehr Menschen mir die Rede von der Kollegin der Linken noch einmal defnieren ihr Sein, ihr Anderssein über ihre besondere vor Augen halte, alternative Ernährung. Damit das klar ist: Jeder kann und (Niema Movassat [DIE LINKE]: Eine gute soll aus meiner Sicht essen, was er will. Aber für mich Rede!) gilt immer noch: Die beste Medizin ist eine abwechs- lungsreiche, eine bedarfsgerechte Ernährung, möglichst umso mehr. frisch, saisonal und regional. Liebe Kollegin von der Linken, ich nehme hier und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- heute das Wort „Bayern“ nur einmal in den Mund. Ein ordneten der SPD) Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe in unserem Land liegt in Bayern. Sie sind nicht besonders groß, aber Ich fnde es klasse, dass unsere Ministerin in ihrer fulmi- leistungsfähig, weil eine Staatsregierung dahintersteht, nanten Rede nicht von Verboten gesprochen hat, sondern die sagt: Wir unterstützen unsere Betriebe neben dem von mehr und gezielter Aufklärung, von Wahrheit und Bund in ihrer Vielfalt. – Das ist aus meiner Sicht glaub- Klarheit, auch bei der Kennzeichnung von Lebensmit- würdige Politik. teln. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wissen über Landwirtschaft aus erster Hand halte ich Wahrheit und Klarheit fordere ich auch bei privaten in einer Zeit medialer und digitaler Möglichkeiten, auch Einbrüchen in Tierställe. Es kann nicht sein, dass unter Manipulationen, sprich: Fake News, für zwingend not- dem Vorwand der Recherche für den Tierschutz Recht wendig. Miteinander statt übereinander reden, Brücken gebrochen und das auch noch begrüßt wird. bauen statt Brücken abreißen, Brücken bauen zwischen Landwirtschaft, Gesellschaft und Politik – das ist unser (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Motto. Mein Antrieb ist: neue Wege gehen und Landwirt- ordneten der FDP) schaft und Umwelt versöhnen. Wehret den Anfängen! Diese Aktionen müssen wir ohne Meine Damen, meine Herren, es ist spannend, fas- Wenn und Aber verurteilen und verfolgen. zinierend und vor allem aufregend im positiven Sinne, in die Arbeitswelt unserer Bauern und Bäuerinnen real Der traurige Höhepunkt ist, dass man in die Privaträu- einzutauchen. Ich weiß, wovon ich rede, weil ich über me der Ministerin in Nordrhein-Westfalen eingestiegen Jahrzehnte Landwirtschaft betrieben und begleitet habe; ist, das private Netzwerk gehackt hat, den Fernseher ma- nun tragen mein Sohn und seine Familie Verantwortung. nipuliert hat. Hier ist für mich die Grenze zur Kriminali- In diesen Jahrzehnten gab es gewaltige Umbrüche. Eines tät eindeutig überschritten worden. aber ist für mich unverändert geblieben. Schon damals (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) galt: Wenn es meinen Tieren gut geht, dann geht es auch dem Betrieb, meiner Familie und mir gut. – Deshalb ap- Ich sage an dieser Stelle: Liebe Christina Schulze pelliere ich an dieser Stelle an alle, sowohl an die Tier- Föcking, wir stehen hinter dir. Es kann und darf nicht halter als auch an die Verbraucher: Nehmen Sie Ihre Ver- sein, dass Minister auch noch dafür büßen müssen, wenn antwortung ernst! sie praktischen Sachverstand ins Amt mitbringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall des Abg. Artur Auernhammer [CDU/ Ursula Schulte [SPD]) CSU]) Damals gab es enge, dunkle Ställe. Das war kein Auf- Wenn der Zweck die Mittel heiligt, meine Damen und reger in der Öfentlichkeit. Heute reden wir über großzü- meine Herren, dann wird es gefährlich. Darum danke ich gige, lichtdurchfutete Ställe. Das ist ein Aufreger. Da- an dieser Stelle allen Bauern und Bäuerinnen, die jeden mals hat man Pfanzenschutzmittel eingesetzt nach dem Tag ihr Bestes geben, hart dafür arbeiten, dass unser täg- Motto „Viel hilft viel“; ähnlich war es bei der Düngung. liches Brot sicher und jederzeit verfügbar ist. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2197

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: soll sich an gesellschaftlichen Veränderungen und Wün- (C) Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit. schen orientieren. – Wir müssen uns jetzt in der Tat die Frage stellen, ob wir das wirklich tun. Marlene Mortler (CDU/CSU): Lassen Sie mich einen heimatlichen Bezug herstellen. Ja. – Unsere Aufgabe ist es deshalb, dafür zu sorgen, Ich gehöre ja nicht mehr zu den Allerjüngsten. dass auch in Zukunft unsere Bauern im Wettbewerb, so- (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Oh!) wohl auf dem Wochenmarkt als auch dem Weltmarkt, ihre Chancen nutzen, dass sie weiter ihren Beitrag zum – Kein Mitleid, Artur! – Ich komme aus dem klassischen Klimaschutz leisten und dass sie im Sinne ihrer Betriebe Bereich einer klein strukturierten Landwirtschaft: kleine wirklich Bürokratieabbau erleben. Das heißt, Bürokra- Höfe, kleine Flächen, viel Arbeit, viele Hände, Fleiß und tieabbau darf aus unserer Sicht kein Lippenbekenntnis auch Erfolg. Es ist eine Region, in der auch der Bereich bleiben. der Hersteller landwirtschaftlicher Maschinen seine Hei- mat gefunden hat. Dieselben Landwirte, die produziert, In diesem Sinne komme ich zum Schluss. getan, gemacht haben, stellen heute fest, dass sie im ge- sellschaftlichen Fokus, in der Kritik, am Pranger stehen, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und fragen sich: Was ist eigentlich passiert? Ich habe Das ist gut. Der Schluss ist eigentlich schon da, Frau doch meinen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt geleis- Kollegin. tet. Was passiert da? – Ich glaube, viele von uns, gerade große Verbände, haben die Macht der Medien und die Marlene Mortler (CDU/CSU): Macht der Informationen bei weitem unterschätzt. Die Menschen in unserem Land wollen saubere Luft, sau- Ich bedanke mich, Herr Präsident, dass Sie so groß- beres Wasser, sauberen Boden, und darauf, Kolleginnen zügig mit mir umgegangen sind. – Mit Blick nach vorne und Kollegen, haben sie Anspruch. wünsche ich Ihnen allen ein frohes Osterfest, gesegnete Ostern und viele Ostereier – aber übertreiben Sie nicht! (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn nun die Sensibilität, die Aufmerksamkeit da ist, ist jetzt die große Frage: Sollten wir das System gesund- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: reden, oder können wir unseren Beitrag dazu leisten, dass das System in seiner Vielfalt besser wird? Die Frage, die Der letzte Redner zu diesem Themenbereich ist der sich übrigens auch mir stellt – ich habe sehr aufmerk- Kollege Rainer Spiering von der SPD-Fraktion. sam zugehört, Kolleginnen und Kollegen –, lautet: Ist es (B) (Beifall bei der SPD) der richtige Weg, zu verharren und zu sagen: „Wir haben (D) dies und das erreicht“? Kollegin Mortler, all das, was Rainer Spiering (SPD): in den Bereichen der Düngung und des Pfanzenschut- zes passiert ist, all das, was bei der Digitalisierung der Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Gäste auf den Landwirtschaft passiert ist, beruht am Ende des Tages auf Tribünen! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Gesetzgebung, also darauf, dass wir etwas gesetzlich er- Lassen Sie mich heute in der Generaldebatte „Ernährung zwungen und damit Erfolg gehabt haben. Das muss man und Landwirtschaft“ einen Moment beim vermutlich klar sagen. größeren Bereich Ernährung verweilen. Frau Ministerin, ich habe eine große Bitte: Wir haben in diesem Bereich (Beifall bei der SPD) sehr viele Beschäftigte. Wenn wir partiell im Bereich Er- nährung und Landwirtschaft gesellschaftlichen Unmut Die Zukunftsmusik kann nur dort spielen, wo Innova- spüren, dann hat dies auch eine Menge damit zu tun, dass tion stattfndet. Ich war in den letzten beiden Tagen beim der Ertrag all dessen, was dort geldwert produziert wird, Fraunhofer-Institut und bei Bitkom zu Besuch. Ich fand für die Menschen – ob es nun die Landwirte, die Bäcker, die Zahlen, die mir genannt wurden, imponierend. Das Fraunhofer-Institut kann belegen, dass sie mit 1 Milliar- die Fleischer, vor allen Dingen aber die Mitarbeiterinnen de Euro Forschungsgeld 20 Milliarden Euro wirtschaft- und Mitarbeiter in den Betrieben sind – nicht auskömm- lichen Umsatz generieren. Sie haben dargestellt, in wel- lich ist. Ich würde Sie dringend darum bitten, dass Sie chen Bereichen sie gut sind: Maschinenbau, Automotive, Ihr Augenmerk auf die Arbeitsgegebenheiten der vielen Kommunikation, Logistik. Sie haben einen Bereich dar- Beschäftigten in diesem riesengroßen Bereich richten – gestellt, in dem gigantisch viel Luft nach oben ist: Land- wir sprechen von jedem achten Beschäftigten – und da- wirtschaft. Wir müssen also unser Augenmerk darauf le- für sorgen, dass diese Menschen von dem Lohn, den sie gen, dass wir in diesem Bereich besser werden. bekommen, auch leben können. Das wäre mir ein großes Anliegen. Die Ministerin hat die Digitalisierung der Landwirt- schaft angesprochen. Die Landwirtschaft ist der Bereich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mit dem Schlepper auf dem Acker. Wir müssen hier aber der LINKEN) besser werden. Wir müssen darüber nachdenken – wie Wir haben im Koalitionsvertrag viele Punkte angespro- Johann Saathof argumentiert hat –, ob wir die regiona- chen, die Ihnen bekannt sind: Ernährung, Tierhaltung, le Vermarktung kraft IT und kraft der Datenvernetzung Tierwohl, Verbraucherschutz, ländlicher Raum – ich fn- nicht viel besser machen können. Sie haben zum Beispiel de, Johann hat es eben toll dargestellt –, Landwirtschaft. das Thema „Tierwohl und Tiertransporte“ angesprochen. Wir haben eine Art Präambel formuliert: Agrarpolitik Jetzt denke ich einmal sehr kreativ. Wie ist das eigent- 2198 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Rainer Spiering (A) lich? Der Lkw wird sowieso über Toll Collect überwacht: Die sozial-ökologische Industriepolitik hat zu sehr (C) Kann ich nicht eine Digicam hinten im Transporter in- vielen Innovationen geführt, während wir gleichzeitig stallieren und auf die Tiere richten? Wenn ich den Trans- eine der führenden Volkswirtschaften der Welt sind. Die port dokumentiere, dann habe ich die Möglichkeit der These eines Widerspruchs von Ökologie und Ökonomie besseren Kontrolle. Wir müssen diese Möglichkeiten ist gerade hier in Deutschland eindrucksvoll widerlegt nutzen. Wir sind hier noch lange nicht am Ende der Fah- worden. Jetzt, nach dem großartigen Klimaschutzabkom- nenstange. men von Paris und der Agenda 2030, wird die weltweite Nachfrage nach Umwelttechnologie weiter steigen. Wir Noch eine kurze Bemerkung, Herr Präsident. – Der reden hier von den großen Märkten der Zukunft – bei Haushalt für Landwirtschaft mit 350 Millionen Euro For- denen Deutschland übrigens sehr gut ist. schungsgeld ist viel zu klein. Wir brauchen einen Ver- bund mit den großen Forschungseinheiten: Leibnitz-Ins- Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber wir sind noch titut, Helmholtz-Zentrum, Fraunhofer-Institut. Außerdem lange nicht am Ende des Weges. Vor uns liegen grundle- brauchen wir eine Umschichtung der GAP-Mittel, und gende Strukturveränderungen oder, wie es auch genannt zwar dingend. Zurzeit geht es bei der Berechnung der wird, eine große Transformation. Das gilt für neue Mobi- GAP-Mittel nach der Fläche, das heißt, es wird Eigentum litätssysteme, für unsere Energieversorgung, für neue in- belohnt, und nicht Innovation. dustrielle Prozesse, für die Digitalisierung und natürlich auch für neue Formen der Landwirtschaft. Ich kann sehr (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Artur gut nachvollziehen, dass Menschen solche Umbrüche Auernhammer [CDU/CSU]) verunsichern. Ich weiß aus meiner Heimat, aus Nord- rhein-Westfalen, was Strukturwandel für die Menschen Solange wir nicht den Mut haben, Innovation nicht för- bedeutet. Ich weiß auch: Veränderungen, von denen dern, so lange wird die deutsche Landwirtschaft leider große Teile der Gesellschaft betrofen sind, kann man unter Druck sein. Es tut mir leid. nur mit den Menschen zusammen und mit den Regio- Herzlichen Dank. Frohe Ostern und ein gutes Fest! nen, in denen sie stattfnden, angehen. Das ist übrigens ein weiteres Beispiel dafür, dass aus der grünen Frage (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schon längst eine rote Frage geworden ist. Wir werden der CDU/CSU) Umweltfragen immer auch mit Blick auf ihre sozialen Auswirkungen verantworten. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marie- Wir sind am Ende dieses Themenbereichs. Luise Dött [CDU/CSU]) (B) Wir kommen nun zum Bereich Umwelt, Naturschutz Ich stehe für eine kooperative Umweltpolitik, in der (D) und nukleare Sicherheit. Das Wort hat die Bundesmi- in besonderer Weise auf Beteiligung geachtet wird. Man nisterin Svenja Schulze. kann jetzt natürlich oberfächlich sagen: Das sind ja nur lauter Kommissionen. – Man kann darüber spotten. Für (Beifall bei der SPD) mich ist das Ausdruck einer modernen Politik, einer Po- litik, die sich darum bemüht, den gesellschaftlichen Kon- Einen Moment, Frau Ministerin, vielleicht geben wir sens zu verbreitern, die sich aber natürlich nicht hinter den Kollegen, die nicht an der Debatte teilnehmen wol- solchen Prozessen wegducken darf. Kommissionen sind len, noch die Gelegenheit, den Saal zu verlassen. Liebe dafür da, Entscheidungen gesellschaftlich vorzubereiten, Kollegen, könnten Sie bitte, wenn Sie nicht an der De- aber die Politik nicht aus der Verantwortung zu entlassen. batte zum nächsten Bereich teilnehmen wollen, den Ple- narsaal zügig verlassen? – So, Frau Ministerin, Sie haben (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem das Wort. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit all denen, Svenja Schulze, Bundesministerin für Umwelt, Na- die dabei mithelfen wollen, den Klimawandel wirklich turschutz und nukleare Sicherheit: zu stoppen. Ich werbe schon heute hier im Parlament um Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Da- Unterstützung dafür, dass Deutschland seine alte Vorrei- men und Herren! Sie wissen: Die Umwelt zu schützen, terrolle schnell wiederbelebt. das ist ein zentrales Politikfeld. Unsere Natur ist die Ba- (Beifall bei der SPD) sis allen Lebens, allen gesellschaftlichen und wirtschaft- lichen Handelns, das es in unserem Land gibt. Dazu bedarf es wirklich gemeinsamer Kraftanstrengun- gen der gesamten Bundesregierung und des Parlaments, Umso schöner ist es, dass der Umweltschutz in der Länder und der Kommunen, der Zivilgesellschaft Deutschland eine seit Jahrzehnten anhaltende Erfolgs- und der Unternehmen. Es wird nur miteinander gehen, geschichte schreibt, und zwar eine ökologische und eine nicht gegeneinander. Dafür werde ich mich einsetzen. ökonomische Erfolgsgeschichte. Der Umweltschutz hat das Leben in Deutschland gesünder, lebenswerter und Um einen Einwand gleich vorwegzunehmen: Ja, es gerechter gemacht. Ich werde als Ministerin alles dafür stimmt, diese Koalition hat ofen eingestanden, dass tun, dass diese Erfolgsgeschichte weitergeschrieben wer- es eine Lücke zur Erreichung unserer Klimaschutz- den kann. ziele 2020 gibt und wir sie trotz der Bemühungen der vergangenen Jahre nicht geschlossen haben. Der Grund (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dafür liegt aber weniger in den vergangenen 4 Jahren, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2199

Bundesministerin Svenja Schulze (A) sondern vielmehr in dem unzureichenden Handeln in den Die Verursacher sind die Automobilhersteller, und genau (C) vergangenen 25 Jahren, und zwar über alle Regierungs- die müssen sich ihrer Verantwortung stellen. konstellationen hinweg. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜND- CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN]: 12!) Ich habe daher meine Kabinettskollegen im Wirt- Wir werden jetzt mit aller Kraft darangehen, die Lücke schafts-, Verkehrs- und Justizministerium mit dem bis 2020 so weit wie möglich zu schließen, zum Beispiel Vorschlag angeschrieben, jetzt schnell zu einem Spit- durch Sonderausschreibungen für Wind- und Solarstrom, zentrefen mit den Vorstandsvorsitzenden der Automo- wie wir sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir bilindustrie einzuladen, bei dem über verpfichtende werden in diesem Jahr erstmals ein Klimaschutzgesetz Hardwarenachrüstung gesprochen werden soll. vorbereiten und 2019 verabschieden. Damit werden wir (Beifall bei der SPD) sicherstellen, dass wir das 2030-Ziel zuverlässig und ver- bindlich erreichen. Ich für meinen Teil werde dafür sorgen, dass das So- fortprogramm „Saubere Luft“ umgesetzt wird. Wir sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gerade dabei, die Vorschläge aus den Beispielkommunen der CDU/CSU) auszuwerten. Ich danke an dieser Stelle schon einmal Wir werden die Instrumente beschreiben, mit denen wir den Städten für die vielen guten Ideen. Die besonders das Ziel erreichen wollen. aussichtsreichen Vorschläge müssen wir jetzt rasch auf die anderen Kommunen ausweiten. Es geht um eine Art Ich habe auf die notwendigen Maßnahmenprogram- Baukasten, bei dem selbstverständlich geschaut wird, me hingewiesen. Was die Sektorenziele betrift, habe ich welche Maßnahmen vor Ort jeweils die geeigneten sind. übrigens alle Ressorts bereits angeschrieben. Ich habe Ich jedenfalls stehe als Partnerin der Kommunen bereit darauf hingewiesen, dass wir in den jeweiligen Sekto- und werde genau hinhören, was dort gebraucht wird. ren den Einhalt der maximalen Treibhausgasbudgets bis 2030 sicherstellen müssen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Ko- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vom früheren alitionsvertrag festgelegt, dass es eine Kommission für Landwirtschaftsminister Schmidt herbeigeführte Zustim- Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung geben mung Deutschlands zur Verlängerung der Glyphosat-Ge- soll. Die werden wir jetzt schnell auf den Weg bringen. nehmigung hat sich als Bumerang erwiesen. Meine Hof- nung ist, dass dies ein einmaliger Ausrutscher war (B) Die Arbeit soll starten. Die Kommission hat den schwie- (D) rigen Auftrag, erstmals für Deutschland ein Enddatum (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ für den Kohleausstieg zu erarbeiten. Aber wir alle, Sie DIE GRÜNEN) alle wissen: Mit einem Datum allein ist es natürlich nicht getan. Vielmehr müssen wir jetzt damit beginnen, in den und dass wir davon ausgehen können, dass in der neuen betrofenen Regionen über konkrete Entwicklungspers- Bundesregierung ein neuer Geist herrscht und sich ein pektiven zu sprechen, mit den Kommunen, mit den Ge- solches Foulspiel nicht wiederholen wird. werkschaften, mit den Umweltverbänden. Das muss ein (Beifall bei der SPD) paralleler Prozess sein. Dafür hat die Koalition erstmals erhebliche Mittel bereitgestellt, allein in dieser Legisla- Letztlich wird das nur funktionieren, wenn wir wirklich turperiode in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Menschen in Deutschland haben ganz eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie kein Glyphosat auf un- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme natür- seren Äckern wollen und dass sie insgesamt einen sorg- lich gerne auf das aktuelle Thema Luftreinhaltung zu sameren Umgang mit Pfanzenschutzmitteln einfordern. sprechen. Ich bin keine Freundin von Fahrverboten. Wir werden deshalb die Anwendung von Glyphosat in (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der dieser Legislaturperiode schnellstmöglich beenden. Und CDU/CSU) nicht nur das: Wir werden das in eine rundum verbesser- te Pfanzenschutzmittelpolitik einbetten, die umweltver- Ich weiß aber auch, dass wir innovative Lösungen brau- träglich ist und den Interessen der Verbraucherinnen und chen, wenn wir sie verhindern wollen. Was nämlich auch Verbraucher entspricht. stimmt, ist, dass die Menschen in Deutschland ein Recht auf saubere Luft haben. Das gilt vor allen Dingen auch Das Insektensterben beunruhigt die Menschen zu für die Menschen, die wenig Geld haben, die an den be- Recht. Deswegen haben wir festgelegt, dass wir ein Ak- lasteten Straßen leben. tionsprogramm für den Insektenschutz schnell auf den Weg bringen. Das ist ein sehr wichtiges Thema, bei dem Für mich gilt das Verursacherprinzip. jetzt endlich etwas passieren muss. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Verursacher sind nicht die Autofahrerinnen und Au- Zum Abschluss ein letzter Punkt. Im Laufe dieser Le- tofahrer, die sich im guten Glauben Autos gekauft haben, gislaturperiode übernimmt Deutschland die EU-Ratsprä- von denen sie dachten, die wären umweltfreundlicher. sidentschaft. Diese Zeit bietet die Chance, die Entwick- 2200 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Bundesministerin Svenja Schulze

(A) lung in Europa in ganz besonderer Weise mitzugestalten. Die Schulbildung einiger hier war beim CO2 ofen- (C) Ich wünsche mir für die gesamte Bandbreite der Umwelt- sichtlich umsonst; meine war kostenlos. CO2 ist ein Spu- politik und für die Umsetzung der globalen Agenda 2030 rengas, welches in Spuren, für nachhaltige Entwicklung bei uns in Europa, dass wir dort entsprechende Akzente setzen. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Oh!) Ich freue mich darauf, in der kommenden Woche mei- nen französischen Kollegen Hulot zu trefen. Frankreich also in Mikromengen, in der Atmosphäre vorhanden ist. ist und bleibt ein wichtiger Partner für uns, mit dem wir In den letzten 150 Jahren ist seine Konzentration von 3 zusammenarbeiten, um den Umweltschutz in Europa vo- auf 4 Moleküle ranzubringen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- In diesem Sinne danke ich Ihnen für die Aufmerksam- NEN]: Genau!) keit. Es gibt viel zu tun. Ich freue mich, dass wir jetzt pro 10 000 Moleküle in der Luft angestiegen. Ein ganzes endlich starten können, und ich freue mich auf die Zu- Molekül CO auf 10 000! sammenarbeit mit Ihnen. 2 Für die mit vielen Milliarden gepamperte Hypothese, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dass mehr CO2 mehr Temperatur erzeugt, gibt es keinen einzigen Beweis, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: So ein Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Schmarrn!) Karsten Hilse. auch nicht in einem der bislang veröfentlichten (Beifall bei der AfD) ­IPCC-Berichte. Alles, was in den letzten 30 Jahren „be- wiesen“ wurde, kommt aus Computermodellen, doch die Karsten Hilse (AfD): versagen schon bei der Berechnung der Klimavergan- genheit dramatisch, und bei der schon eingetretenen Zu- Herr Präsident! Werte Kollegen! Werte Zuschauer kunft – es gibt sie ja nun schon seit 30 Jahren – ebenso. auf den Tribünen, vor allem die Patrioten von Pegida Dresden – herzlich willkommen im Deutschen Bundes- tag! Deutschland hat Riesenprobleme. Sie wurden alle Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: von den schon länger hier Sitzenden herbeigeführt. Das Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (B) sind zuvorderst die Migrationskrise, die Euro-Krise, aber (D) auch eine nur in der Fantasie grüner Ideologen existie- rende Scheinkrise. Ich spreche vom Klimawandel, Karsten Hilse (AfD): Aber natürlich. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ui!) René Röspel (SPD): der nicht anders, nicht schneller, nicht steiler, sondern eher deutlich moderater verläuft als in den letzten Jahr- Was Sie gerade behauptet haben, entspricht nicht dem, tausenden. Er wird aber seit Jahrzehnten und immer was tatsächlich 99 Prozent aller auch unabhängig geför- schriller in eine apokalyptische Gefahr umgedeutet. derten Wissenschaftler weltweit herausgefunden haben. Fragen Sie einmal einen Praktiker – einen Pfanzenphy- (Beifall bei der AfD – Harald Ebner [BÜND- siologen oder einen Biologen –, wie sich schon ganz NIS 90/DIE GRÜNEN]: Faktencheck!) geringe Anstiege von Kohlendioxid in der Umgebungs- atmosphäre auf Wachstum, Entwicklung oder Ähnliches Das Klima – ein rein statistischer Rechenwert aus lo- auswirken. Ich frage mich, aus welchen wissenschaftli- kalen Wetterdaten, über mindestens 30 Jahre gemittelt – chen Quellen Sie eigentlich Ihre Pseudoaussagen entneh- soll so sehr in Gefahr sein, dass es geschützt werden men, die Sie hier äußern. muss. Wer das will und noch logisch und nicht ideolo- gisch denken kann, müsste dann doch zunächst damit an- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem fangen, das Wetter zu schützen – ein absurder Gedanke. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben ja gar nichts verstanden!) Karsten Hilse (AfD): Vielen Dank für die Frage. Sie verlängern meine Re- Und natürlich soll der Mensch wegen seiner dezeit; das ist natürlich sehr gut. – Ich wollte gerade da- CO2-Emissionen an dieser bevorstehenden Apokalypse rauf eingehen. Genau das wollte ich gerade sagen. schuld sein. Das behauptet jedenfalls unsere Klimakanz- lerin, unterstützt von mit viel Steuergeld gefütterten For- Viele werden hier sagen, 97 Prozent der Wissenschaft- schungsinstitutionen, die immer genau das liefern, was ler, die genau das behaupten, sind doch Beweis genug. die Geldgeber von ihnen verlangen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Welches (Beifall bei der AfD) Institut? Genau! Konkret!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2201

Karsten Hilse (A) Nur als Anmerkung: Nur 0,3 Prozent – also keine 97 Pro- Dabei wissen wir die wirkliche, ideologiefreie Wissen- (C) zent – der circa 12 000 Studien, die zu dieser Aussage schaft in allen Bereichen auf unserer Seite. führten, enthielten den expliziten Hinweis, dass die Er- wärmung menschengemacht ist. 0,3 Prozent und nicht Frohe Ostern! 97 Prozent! (Beifall bei der AfD – Harald Ebner [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine Bütten- (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rede! – Ulli Nissen [SPD]: Können wir uns NEN]: Falsch! Das stimmt einfach nicht!) schenken!) Ich werde nachher hofentlich eine Kurzintervention machen dürfen. Dann führe ich Ihnen das gerne auf. Oder Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wir setzen uns einmal zusammen hin, und dann können Der nächste Redner ist Dr. Georg Nüßlein für die wir die Studie gerne durchgehen. – Vielen Dank. CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der AfD – Lachen beim Beifall (Beifall bei der CDU/CSU) beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Fake News!) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Da- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: men! Meine Herren! Wir sind es ja mittlerweile schon Herr Kollege, Sie machen dann keine Kurzinterven- gewohnt. Heute Morgen haben wir in der Geschäfts- tion. Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann sagen Sie es ordnungsdebatte erlebt, dass es Kollegen hier im Haus bitte jetzt. gibt, die vor allem eine Überzeugung mitgebracht haben, nämlich dass sie gescheiter sind als alle anderen. Das ha- ben Sie jetzt auch wieder so gemacht wie heute Morgen. Karsten Hilse (AfD): Man kann das Thema sehen, wie man will. Es ist gar Aber natürlich, Entschuldigung. – Trotzdem be- nicht entscheidend, ob Sie sich der herrschenden Mei- schließt diese Regierung – unterstützt von allen Kar- nung der Wissenschaft anschließen wollen oder nicht. tellparteien dieses Hauses –, den Klimaschutzplan 2050 Darauf kommt es gar nicht an. Ich glaube, für uns als weiterhin als Staatsdoktrin so rasch wie möglich umzu- Umweltpolitiker ist am Schluss entscheidend, dass wir setzen. Dazu dient die sogenannte Dekarbonisierung, uns im Klaren darüber sein müssen, dass das Ausmaß des (B) das heißt der völlige Verzicht auf die Nutzung fossiler Verbrauchs der Ressourcen auf diesem Planeten nicht (D) Brennstofe, die unseren Wohlstand begründen, sichern mehr aufrechterhalten werden darf. Da ist mir die Moti- und erhalten. Der Weg dahin soll die große Transforma- vation egal; das sage ich Ihnen ganz ehrlich. tion sein. „Transformation“ kommt im Klimaschutzplan 2050 über 40-mal vor. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Die AfD sagt hier und heute der Irrlehre vom men- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schengemachten Klimawandel den Kampf an. Wir wol- len den Ausstieg aus allen diesbezüglichen nationalen Wenn Sie sagen, Sie glauben nicht an den Klimawan- und internationalen Verträgen und Gremien. del, dann kommt es doch auf die Schlussfolgerungen an, die Sie ziehen. Diese müssen doch so ähnlich wie unsere (Beifall bei der AfD) sein. Man muss sich doch überlegen, ob wir auf Dauer fossile Brennstofe ohne Rücksicht auf Verluste verbrau- Wir wollen den Stopp der Finanzierung von Pseudowis- chen und ob wir das Thema Biodiversität so vernachläs- senschaft. Die AfD sagt damit auch der Energiewende sigen können, wie wir das bisher getan haben. den Kampf an und fordert die sofortige Aufhebung des EEG, der Energieeinsparverordnung und anderer Kne- (Karsten Hilse [AfD]: Die Begründung ist belungs- und sozialistischer Umverteilungsgesetze, die einfach nicht richtig!) den Verbraucher schon mehrere Hundert Milliarden Euro Das sind die Dinge, die uns am Schluss einen müssen. gekostet haben. Nun stimmt auch, dass beim Thema Klimaschutz (Beifall bei der AfD – Lachen bei der LIN- Ideologie eine gewisse Rolle spielt. KEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und jetzt der Narrhallamarsch!) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Wir werden mit der Bekämpfung der nur ideologisch Wir sind momentan dabei, ein bisschen zu glorifzieren begründeten, völlig überzogenen Grenzwerte für Feinstaub und Legenden darüber zu bilden, was mit einer Jamai- und Stickoxid beginnen, die nichts weiter zum Ziel haben ka-Koalition alles funktioniert hätte. Ich sage Ihnen: Da als die Enteignung von Millionen von Autofahrern. hat genau an dieser Stelle gar nichts funktioniert. Wir ha- ben uns nämlich tagelang nur über die Frage gestritten: (Ulli Nissen [SPD]: Haben Sie das schon Wie groß wäre denn die Klimalücke, und bekommen wir eingeatmet?) in Ableitung dazu einen Kohleausstieg hin? Diesen hät- 2202 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Georg Nüßlein (A) ten die Grünen im Sinne ihrer Kommunikationsstrategie Artikelgesetz handeln soll. Im Koalitionsvertrag wird zu (C) dringend gebraucht. Recht die Formulierung „Klimaschutzgesetz“ vermie- den, (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Den hat eure Ministerin gerade ange- (Dr. [SPD]: Das hat die Kanzlerin in der Regierungserklärung gesagt!) kündigt! Ihre Ministerin hat ihn angekündigt!) weil es eben kein übergeordnetes Gesetz ist, auf das sich Wir haben uns an dieser Stelle leider keinen Zentime- in Zukunft alle Gesetzgebungsmaßnahmen zu beziehen ter aufeinander zubewegt. Das hat mich zu dem Schluss haben, sondern es wird ein Artikelgesetz sein, mit dem geführt, dass die jetzt kleiner gewordene Große Koalition wir bestehende Rechte ändern werden. Darum geht es an für die Umweltpolitik am Ende die bessere Option ist. dieser Stelle. Ich glaube, da gibt es gar keinen Dissens. Die Rede der Ministerin hat mich heute in dieser Einsicht (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Überhaupt bestärkt, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das will ich nur noch einmal gesagt haben, damit nicht irgendwann im Laufe der Koalition etwas konstruiert Ich fand es bemerkenswert, dass die Ministerin nicht wird. Das ist mir entscheidend wichtig. nur über das gesprochen hat, was man tun muss. Viel- mehr hat die Ministerin auch über die Rahmenbedingun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen gesprochen, dass wir nämlich keine Unternehmen Ich habe mich gefreut, dass die Ministerin erklärt hat, aus dem Land vertreiben wollen, dass es natürlich auch sie sei kein Freund von Fahrverboten. Auch wir sind kei- um Wirtschaft geht, dass es um Arbeitsplätze geht; auch ne Freunde von Fahrverboten. Wir sind übrigens auch eine soziale Dimension, die übrigens bei der Umwelt- keine Freunde von Plaketten jedweder Art, egal ob blau politik vielfach vernachlässigt wird. Das sage ich an die oder eine andere Farbe. Adresse all derjenigen, die immer rufen: Das regeln wir über das Geld. Wir verteuern das, was uns nicht passt. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was wollen Sie denn?) Dann werden es diejenigen, die es sich nicht leisten kön- nen, schon sein lassen. – Das ist eine falsche Politik. Sie Nichts soll den Blick oder Durchblick der Autofahrer an wissen genau, wen ich in diesem Zusammenhang meine. der Windschutzscheibe einschränken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ich sage für meine Fraktion ganz klar: Wir werden da- Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]) für Sorge tragen, dass es so etwas nicht geben wird. Das (B) dazu getrofene Gerichtsurteil besagt, dass die Kommu- (D) Dass wir eine Kommission gründen, die die Über- nen zuständig sind, dass sie in eigener Souveränität Fahr- schrift „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ verbote anordnen können und dass sie dafür keiner Hilfe trägt und eben nicht nur „Kohleausstiegskommission“ durch den Bundesgesetzgeber bedürfen. Sie können es heißt, halte ich für zentral wichtig. Wir wollen und brau- also in eigener Regie machen. chen an dieser Stelle keine Strukturbrüche. Wir wollen (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE so aus der Kohle aussteigen, dass uns das wirtschaftlich GRÜNEN]: Lassen Sie sie ruhig im Regen nicht schadet; denn am Ende, meine Damen und Herren, stehen!) kommt es auf den Erfolg an und nicht auf die Statistik. – Nein, wir lassen sie nicht im Regen stehen. Aber einen Das ist ganz entscheidend. schönen Gruß an den Kollegen in Stuttgart! – Vielleicht Es gibt im Haus etliche Kollegen, denen es nur auf die kann man auch die eine oder andere bauliche Maßnah- nationale Statistik ankommt. Sie liegen an dieser Stelle me ergreifen, um das Problem an kritischen Punkten zu falsch. Es kommt darauf an, dass die Maßnahmen, die lösen. Auch das ist eine Aufgabe der Kommunen. Dafür wir in diesem Land in Sachen Klimaschutz ergreifen, brauchen die Kommunen uns überhaupt nicht. eine Vorbildfunktion haben. Das wird nicht nur dann Natürlich muss das Verursacherprinzip mit dem Ziel so sein, wenn damit CO2-Emissionen reduziert werden, der Schadensminimierung durch die Automobilkonzerne sondern sie werden insbesondere dann eine Vorbild- gelten, ganz klar. Ich sage Ihnen auch ganz ofen: Mir funktion haben, wenn wir dadurch in der Lage sind, den sind die strafrechtlichen Konsequenzen, die gegenüber Wohlstand in unserem Land auszubauen. Deshalb hat die denjenigen ergrifen werden, die vorsätzlich betrogen ha- Ministerin recht, wenn sie sagt: Die Umweltpolitik hat ben, zu gering, viel zu gering. Wir sind aber trotzdem als auch eine wirtschaftspolitische Dimension, meine Da- Bundespolitiker gehalten, über die Frage nachzudenken, men und Herren. wie es mit unserer Automobilindustrie weitergeht. Die Geschäftsordnungsdebatte heute Morgen war ge- (Beifall bei der CDU/CSU) steuert. Sie wollten den Anschein erwecken, als sei die Nun will ich auf das eingehen, was die Ministerin EU bei den Flottengrenzwerten nicht zuständig. Das zum Thema Klimaschutzgesetz gesagt hat. Ich war beim stimmt faktisch leider nicht, da ist sie sehr wohl zustän- dig. Aber Sie müssen nicht glauben, dass uns das Thema Thema Klimaschutz bei den Verhandlungen dabei. Wir Flottengrenzwerte nicht auch umtreibt. waren uns einig – damit hier kein falscher Zungenschlag hineinkommt –, dass es sich bei diesem Gesetz um ein (Zuruf von der AfD: Was haben Sie getan?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2203

Dr. Georg Nüßlein (A) Wir in Deutschland produzieren die Premiummodelle dass dem Thema Umwelt auch in diesem Haus diese Be- (C) der Welt. Für unsere Automobilindustrie ist das, was da deutung zugerechnet werden würde. passiert, extrem kritisch. Deshalb ist die neue Bundesum- (Beifall bei der FDP) weltministerin auch zu diesem Thema in ganz besonderer Art und Weise gefordert. Sie, Frau Ministerin, müssen Dass dem nicht so ist, liegt vielleicht auch daran, dass Sorge dafür tragen, dass alles, was noch kommen wird, Naturschutz und Artenschutz bei den Menschen vor Ort am Ende umsetzbar ist und nicht nur begrenzend wirkt. nicht immer positiv konnotiert sind. Das ist ein schwie- Denn was passieren kann, wenn man falsche Grenzwer- riges Thema. Beispielsweise sind die Kleine Hufeisen- te setzt – und das mit großer Ruhe, weil sie irgendwann nase, der Rotmilan oder der Juchtenkäfer nicht dafür be- kommen –, das können wir beim Thema Diesel lebhaft kannt, dass sie besonders selten und schützenswert sind, sehen. Ich will, dass wir so etwas nicht noch einmal erle- sondern dafür, dass sie den Bau von Brücken, Windrä- ben. Das ist ganz wichtig. dern und Bahnhöfen verzögern, verhindern oder verteu- ern können. Das liegt eventuell auch daran, dass Natur- (Beifall bei der CDU/CSU) schutz und Umweltschutz in den letzten 60 Jahren zwar Beim Thema Insektensterben hat in der Debatte zuvor engagiert gemacht worden sind, aber zumeist von oben die Bundeslandwirtschaftsministerin der Bundesumwelt- nach unten diktiert wurden, die Akzeptanz der Menschen ministerin in einer besonderen Art und Weise die Hand vor Ort für den Naturschutz und den Umweltschutz aber gereicht. Ich meine, wir sollten ihre Hand nehmen. Wir nicht in gleichem Maße mitgegangen ist. Das führt dazu, sollten dafür Sorge tragen, dass diese Themen nicht ge- dass unsere Kinder, die in den kommenden Jahren auch gen, sondern mit der Landwirtschaft bearbeitet werden. die Weltmeere und das Klima schützen müssen, heute Da wird sich einiges bewegen, wenn jetzt die Ministerin noch nicht einmal Heu und Stroh voneinander unter- ganz klar gesagt hat, dass Insektizide, die schädlich sind, scheiden können. letztlich vom Markt genommen werden müssen. Das ist (Beifall bei der FDP) richtig. Da werden wir die Ministerin beim Wort nehmen. Deswegen brauchen wir neue Wege in den Natur- Ansonsten haben wir im Koalitionsvertrag gezeigt, schutz. Wir brauchen einen Naturschutz – das haben Sie dass wir das Thema Biodiversität sachlich angehen, sehr richtig gesagt –, der die Gesellschaft mitnimmt, der Stichwort Wolf. Es steht explizit darin, dass wir auch tatsächlich für die Menschen gemacht ist, zusammen mit willens sind, dort, wo der Wolf Menschen gefährdet, wo den Landwirten und in den Kommunen. Wir brauchen er Eigentum gefährdet, wo zu viele Wölfe leben, zur Me- einen Naturschutz, der nicht von oben kommt, sondern thode der, wie es so schön heißt, letalen Entnahme grei- von unten, der nicht große Schutzfächen in Deutschland fen; ich sage es einfacher: zum Abschuss. Das zeigt: Wir installiert, die isoliert sind, sondern für kleine fächende- (B) machen die Dinge sachorientiert. Ich wünsche mir, dass ckende und vernetzte Biotope sorgt. Diese neuen Wege (D) man auch dieses Thema zügig umsetzt. des Naturschutzes würden uns freuen, und auf diesen Wegen würden wir gerne mit Ihnen gemeinsam mitge- In diesem Sinne vielen herzlichen Dank. Glück auf hen. der neuen Ministerin! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) der CDU/CSU) Weil wir die Partei sind, die rechnen kann – ich höre Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schon unsere Haushälter fragen, was das kostet –, habe Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Judith Skudelny­ ich sogar einen Sparvorschlag für Sie –: Nehmen Sie das Wort. einfach das Geld, das Sie sonst jährlich an die Deutsche Umwelthilfe zahlen würden! (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Karsten Hilse [AfD]) Judith Skudelny (FDP): Tatsächlich ist es so, dass das Geld, das dort investiert Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau wird, im Wesentlichen in Veranstaltungen und Papie- Ministerin! Wir haben gehört, dass der Bereich Umwelt re fießt. Was wir brauchen, ist mehr Geld für konkrete eines der zentralen Politikfelder ist. Wenn dem so ist, Naturschutzprojekte. Deswegen wäre es gut, wenn wir dann frage ich mich, warum sich gerade einmal 3 Prozent statt elitärer Lobby für den Naturschutz vor Ort zahlen des Koalitionsvertrages mit Umweltthemen beschäftigen würden. und wir im Rahmen dieser Debatte der vorletzte Bereich auf der Tagesordnung sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Miersch Eines erkenne ich aber neidlos an: Die Deutsche [SPD]: Es zieht sich überall durch den Koaliti- Umwelthilfe macht manche Sachen schon richtig gut, onsvertrag!) nämlich den Menschen Angst. Es ist ja so, dass die Nachhaltigkeit drei Säulen hat – eine ökologische, eine hat an Dreikönig das Thema „Erhalt ökonomische und eine soziale Säule –, und jede Säule des Lebensraums“ an die allererste Stelle der Zukunfts- sozusagen an ihrem Ende zieht. Gerade beim Umwelt- herausforderungen gesetzt. Ich würde mir wünschen, schutz versuchen wir, seine Bedeutung dadurch beson- 2204 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Judith Skudelny (A) ders zu betonen, dass wir Ängste schüren wie zuletzt in Deutschland, die Werke zu schließen, umso glaubwürdi- (C) der Stickoxiddebatte darüber, dass wir wegen der Luft in ger, wenn wir Lingen und Gronau dichtmachen. den deutschen Städten Todesängste haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wir sind daher der Überzeugung, dass wir auch neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) im politischen Stil eine Trendwende brauchen. Seit den 70er-Jahren werden Luft, Böden und Gewässer in Ein umfassendes Frackingverbot zur Förderung von Deutschland sauberer. Erdöl oder Erdgas ist erforderlich: zum Schutz unseres Trinkwassers vor Chemikalien und auch davor, dass der (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Klimawandel weiter verstärkt wird, weil nämlich beim NEN]: Nein! Falsch! Sachlich falsch!) Fracking nachgewiesenermaßen über Jahre hinaus Met- Die größten Errungenschaften in diesem Bereich sind mit han entweicht. der Technik und mit den Menschen geschafen worden. Ja, wir brauchen ein Kohleausstiegsgesetz bis 2035, Wir denken daher, dass auch in der Umweltpolitik und wir brauchen einen Strukturfonds, durch den jähr- Angstmache kein Stilmittel mehr sein sollte, sondern lich 400 Millionen Euro bereitgestellt werden, damit dass wir gemeinsam in einen ofenen, fairen und angst- in der Lausitz bzw. in Mitteldeutschland genau wie im freien Dialog mit den Menschen, den Kommunen und rheinischen Revier neue Industrien angesiedelt werden der Wirtschaft treten müssen, um den Umweltschutz in können und Arbeitsplätze geschafen werden, die die Deutschland weiter zu verbessern. Energiewende ermöglichen: in Speichertechnologien, Wärmepumpen und Windkraftanlagen. Das ist ein rich- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tiger Weg, und den unterstützen wir. der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Frau Ministerin Schulze, in der Umweltszene sind Sie bislang noch ein unbeschriebenes Blatt. Das eröf- Viele Menschen leiden unter Lärm. net Chancen. Wir hofen, Sie gehen beim Artenschutz mit uns neue Wege, leiten die Gelder von der Lobby weg (Karsten Hilse [AfD]: Genau! Unter Infra- in konkrete Projekte und machen den Menschen Mut zu schall von Windkraftanlagen!) Umweltschutz. Denn Mut schaft Chancen. Da stellt sich ernsthaft die Frage, wieso es bis heute nicht (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gelungen ist, die verschiedenen Lärmpläne zusammenzu- der CDU/CSU) fassen. Fluglärm wird extra betrachtet. Straßenlärm wird (B) extra betrachtet. Schienenlärm wird extra betrachtet. Die (D) Belastungen wirken aber zusammen. Also wäre es doch

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: das Einfachste, die Gesamtbelastung zu analysieren und Für die Linke hat das Wort der Kollege Ralph Lenkert. dann den entsprechenden Lärmschutz durchzuführen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Ralph Lenkert (DIE LINKE): Zu einem ganz anderen Problem, das uns alle betrift. Wie schnell gehen technische Geräte kaputt bzw. werden Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen Updates gemacht bzw. werden neue Generationen auf und Kollegen! Ich habe letztes Jahr eine Seminarfachar- den Markt gebracht? Eigentlich noch brauchbares elek- beit von Elftklässlern betreut. Sie haben in einer kurzen, tronisches Spielzeug, Unterhaltungselektronik oder An- aber guten Zusammenfassung nachgewiesen, wie der lagen funktionieren plötzlich nicht mehr. Wir brauchen geringfügige CO -Anstieg zu einer Temperaturerhöhung 2 Mindestnutzungszeiten. Wir brauchen eine Verpfichtung auf der Erdoberfäche führt. Dazu ist man mit unserer der Industrie, Upgradebarkeit und Nachrüstbarkeit si- Schulausbildung in der Lage, wenn man die selektive cherzustellen zum Schutz der Ressourcen, zum Schutz Wahrnehmung aufgibt. unserer Geldbeutel und auch zum Schutz der Entwick- (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie lungsländer vor dem Müll, der übrig bleibt. des Abg. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der LINKEN) Für eine intakte Umwelt ist viel zu tun. Die Atom- Damit all die Geräte dort ankommen, wohin sie sollen, ist kraftwerke sind gefährlich, und damit von ihnen zukünf- eine Pfandpficht für technische Geräte ein guter Schritt. tig weniger Gefahr ausgeht, sind auch die Atomfabriken Das können wir schnell umsetzen. Dann erhöhen wir die in Gronau und Lingen sofort stillzulegen. Recyclingquoten und können die Wiederverwertung in Gang setzen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ein weiteres wichtiges Thema ist: Die kommunale NEN]) Daseinsvorsorge bei Müll und Abwasser muss kommu- nal bleiben. Die Menschen an unseren Westgrenzen haben nicht um- sonst Sorge, dass es zu einer großen Havarie in Tihange (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli oder Cattenom kommt. Deswegen ist der Druck aus Nissen [SPD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2205

Ralph Lenkert (A) Daseinsvorsorge hat proftfrei organisiert zu werden. temittel 1234yf seit 2017 in fast allen Pkws eingesetzt (C) Jede Privatisierung in diesem Bereich lehnen wir ab. wird, ist ein Skandal, der dringend beendet werden muss. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei der LINKEN) Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es immer Es ist mir unverständlich, dass ein Konzern wie Kali mehr Störungen im Radio gibt? und Salz, der in den vergangenen zehn Jahren 4,3 Milliar- den Euro Gewinn gemacht hat, keine 800 Millionen Euro (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das Radio bereitstellt, um abfallfrei, abwasserfrei und haldenfrei ist kaputt?) Kalisalz zu produzieren. In Kanada kann dasselbe Un- ternehmen dies durchführen. Liebe Kumpel von Kali und Die Funkfrequenzen sind überlastet, weil es dermaßen Salz, verwundert es Sie nicht, dass Ihre Bosse in Kanada viele Geräte gibt, die nicht mehr den technischen Nor- etwas können, hier aber nicht, dass sie in Kanada Milliar- men entsprechen. Bei Polizei und Rettungskräften ist das den investieren, hier aber nicht, dass jedes einzelne Werk verheerend. Die Störungen nehmen zu. Amateurfunker eine selbstständige GmbH ohne Konzernhaftung ist und sind die Einzigen, die laut rufen, dass das ein Problem ist. dass der proftable Deponiebetrieb ausgegründet wurde? Wir müssen an dieser Stelle über die Bundesnetzagentur Es ist zu befürchten – deswegen sollten Sie sich gegen ernsthaft eingreifen. Das Minimierungsgebot für Strah- Ihre Konzernspitze wehren –, dass spätestens dann, wenn lenbelastungen ist nicht nur unter Sicherheitsaspekten die Werke im Ausland richtig laufen, Ihre Werke dichtge- notwendig, sondern auch als Schutz der Gesundheit vor macht werden, und zwar unter Hinweis auf den Umwelt- elektromagnetischen Strahlen. schutz. Das ist scheinheilig. Das Steuerprivileg für Dienstwagen kann sofort ab- (Beifall bei der LINKEN) geschaft werden. Das bringt uns über 3 Milliarden Euro für mehr Lärmschutz an Straßen, Schienen, Flugplätzen Lassen Sie uns jetzt gemeinsam in den Umweltschutz in- und für einen besseren öfentlichen Personennahverkehr. vestieren, in die Technologie, die aus Thüringen stammt, für eine salzfreie Werra und Weser. Das ist Umwelt- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- schutz, den man sofort machen kann. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe sehr viele gute Worte gehört. Ich hofe, dass Meine Kollegin hat das schon gesagt: Die Dauer von die Ministerin Taten folgen lassen wird. Dann kann es Tiertransporten ist auf vier Stunden zu begrenzen, damit eine gute Legislaturperiode für die Umwelt werden. wir regionale Wirtschaftskreisläufe verbessern und das Tierwohl erhöhen. Das ist schnell zu erledigen. Vielen Dank. (B) (D) Nun zum Naturschutz. Wir fordern 50 Millionen Euro (Beifall bei der LINKEN) extra für den Schutz des nationalen Naturerbes, damit auch noch unsere Kinder die Buchenwälder auf Rügen, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: im Hainich oder im Rothaargebirge bewundern können. Die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen: die Des Weiteren ist ein Altlastenfonds unerlässlich. In- Kollegin Sylvia Kotting-Uhl. dustrielle Altlasten überall in der Republik, in Nord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder in Baden-Württemberg, sind tickende Zeitbomben. Diese müssen mithilfe eines Altlastenfonds saniert wer- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den. Die Kommunen, die Eigentümer, sind überfordert. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Einen solchen Fonds fordern wir. Kollegen! Frau Ministerin Schulze, herzlichen Glück- wunsch zu Ihrem Amt und zu Ihrer Rede! Aber Sie (Beifall bei der LINKEN) übernehmen ein schweres Erbe: ein Haus, in dem Ihre Vorgängerin im Laufe ihrer Amtszeit erkannt hat, dass Es ist mir unerklärlich, wieso ein Grundstückseigentümer es beim Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen – um bzw. eine Kommune für die Entsorgung alter Kriegswaf- nichts anderes geht es bei der Umweltpolitik – radika- fen, von Bomben und Granaten aus beiden Weltkriegen, le Ansagen braucht. Ihre Vorgängerin hat diese Ansagen zahlen muss, wenn sie nicht aus deutschen Beständen auch zunehmend getätigt; sie war aber leider noch nicht stammen. Es war ein gesamtdeutsches Verbrechen, diese einmal im Ansatz in der Lage, die entsprechenden Maß- Kriege zu beginnen. Also ist es auch eine gesamtdeutsche nahmen auch durchzusetzen. Aufgabe, die Hinterlassenschaften der beiden Weltkriege zu beseitigen. Das darf nicht auf die jeweilige Kommune Als ihren größten Erfolg hat Ihre Vorgängerin den oder den jeweiligen Eigentümer abgewälzt werden. Neustart in der Endlagersuche bezeichnet. Das Standort- auswahlgesetz war aber nun gerade kein Gesetz, das aus (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli der Regierung kam, sondern vom Parlament erarbeitet Nissen [SPD]) wurde, Wir müssen wesentlich schneller an die Aufgabe he- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rangehen, kritische Chemikalien aus unserer Umwelt zu verbannen, sei es in Konsumgütern oder in Klimaanlagen das in ganz anderer Weise als die Regierung in ihrer ge- von Pkws. Dass das im Brandfall tödlich wirkende Käl- samten Regierungszeit in der Lage war, ein gravierendes 2206 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Sylvia Kotting-Uhl (A) umweltpolitisches Problem gemeinsam im Konsens an- Die frühere Klimakanzlerin hat die Klimaschutzzie- (C) zupacken. le 2030 bekräftigt. Fein! Die geräuschlose Entsorgung der 2020-Ziele befreit erst einmal von dem Zwang, sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit notwendigen Maßnahmen auseinanderzusetzen. Die Regierungskoalition bleibt; die Umweltministerin Wenn selbst der Energiewendestaatssekretär Rainer wechselt. „Die Umweltministerin, die keiner kennt“, ti- Baake, telt die . Das muss nun nicht unbedingt ein Nachteil sein – wenn ich da zum Beispiel an den (Karsten Hilse [AfD]: Ein Glück, dass der neuen Verkehrsminister oder den neuen Innenminister weg ist!) denke. der viel Geduld mit Verschleppungen bewiesen hat, nun (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ unter Protest das Wirtschaftsministerium verlässt, DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wie ist (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Protest?) das jetzt gemeint?) dann ist die Frage berechtigt, wer sich denn jetzt noch für An die Umweltministerin richten sich noch Erwartungen. Klimaschutz zuständig fühlt. Einiges kennt man doch, Ihre Mitgliedschaften zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beispiel. Für die Umweltpolitik relevant: IG BCE und Okay, Sie. Aber wie? Mit welcher Prioritätensetzung? NABU. Der Naturschutzhintergrund ist ein Muss für eine Sie haben nach Amtsantritt sehr schnell von Industriepo- Umweltministerin. Zur IG BCE fällt mir als Erstes deren litik geredet, die in Ihrem Ministerium irgendwie mit Kampf für lange Laufzeiten der Kohlekraftwerke ein. Umweltpolitik versöhnt werden müsse. Ich dachte: Au- (Karsten Hilse [AfD]: Davon haben die sich weia, jetzt ist der SPD-interne Konfikt der letzten Legis- doch schon lange verabschiedet! Das stimmt latur zwischen Industriepolitik im Wirtschaftsministeri- doch gar nicht mehr! – [SPD]: um und Umweltpolitik im Umweltministerium in einer Für gute Arbeit!) Person zusammengeführt. Der Bogen schlägt sich zur NRW-Kohle-SPD und zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frage, ob Sie sich hier von der Rolle der Interessenver- Nun haben Sie heute von sozialökologischer Indus- treterin freischwimmen können. Überzeugen Sie uns. triepolitik geredet. Allerdings meinen Sie, sie gebe es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schon. Das kann ich für die zwölf Jahre, die ich Mitglied im Deutschen Bundestag bin, nicht bestätigen. Eine öko- (B) Sie wollen die Kohlekommission auf den Weg brin- logische Industriepolitik hat gerade Ihre Gewerkschaft, (D) gen. Ich halte es für eine richtige Idee, für die politische die IG BCE, an vielen Stellen verhindert. Die grüne Fra- Aufgabe Kohleausstieg die Stakeholder an einen Tisch ge ist in der Tat auch eine rote Frage, aber gerade als zu bringen. Ich will Ihnen aber eines dafür mitgeben: Es grüne Frage ist sie noch lange nicht beantwortet. geht auch um die Verhinderung eines Strukturbruchs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vorrangig geht es um die Verhinderung des Klimakol- lapses. Der Koalitionsvertrag spricht von der umfassenden Bekämpfung des Insektensterbens, und Sie haben das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aktionsprogramm Insektenschutz genannt. Das heißt Ihre großen Aufgaben – Sie haben sie selbst genannt – genau was? Weiß das irgendjemand in der Regierung? sind der Klimaschutz, das Insektensterben, die Luftrein- Ich vermute, nein. Aber jeder wird wissen, dass Insek- haltung in den Städten. Auch der Koalitionsvertrag be- tenschutz nicht ohne eine Veränderung der Praxis in der nennt diese Themen, immerhin. Aber wer, frage ich, sind Landwirtschaft zu haben sein wird. eigentlich Ihre Bündnispartner in der Regierung für die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) se Aufgaben? Der Klimaschutz frmiert in Ihrem Haus; real verankert ist er aber in anderen Häusern: im Wirt- An den Widerstand des Landwirtschaftsministeriums, schaftsministerium, im Verkehrsministerium, im Land- wenn es um die Begrenzung von Stickstofeinträgen, von wirtschaftsministerium und, nachdem nun auch noch der Neonicotinoiden, von Glyphosat oder darum geht, dass Bau aus dem Umweltministerium abgezogen ist, auch im nicht länger zu viele Tiere auf zu wenig Fläche sein dür- Innenministerium. fen, erinnern sich viele von uns. Leider hat sich der Blick von vorgestern auf die Probleme von heute und morgen Die Regierungserklärung der Kanzlerin und die Vor- immer wieder durchgesetzt. Deswegen sind wir bei die- stellungen dieser einzelnen Häuser haben nicht gerade sen Themen keinen Schritt weiter. den Eindruck hinterlassen, dass Klimaschutz eine hoch angesiedelte Aufgabe ist. Der Wirtschaftsminister hat Ähnlich ist es beim Thema Luftreinhaltung. Im Kon- Klimaschutz und Energiewende gerade einmal zwei aus- fikt zwischen menschlicher Gesundheit und Wirtschafts- sagelose Sätze gewidmet. Der Verkehrsminister hat gar interessen hat sich die alte Bundesregierung auf die Seite nichts dazu gesagt, die Landwirtschaftsministerin auch der Industrie gestellt. Der neue Verkehrsminister setzt nicht. Der Innenminister weiß vermutlich gar nicht, dass diese Linie fort; das wundert nicht wirklich. Ich will Ih- sein Ministerium etwas mit Klimaschutz zu tun hat. nen ganz klar sagen: Das Kapitel „Umwelt und Gesund- heit“ im Koalitionsvertrag und die darin vorgesehene (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weiterentwicklung eines Aktionsprogramms Umwelt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2207

Sylvia Kotting-Uhl (A) und Gesundheit können Sie schreddern – das ist für die len Nachhaltigkeitszielen. Wir sehen es bei der Energie- (C) Füße –, wenn Sie es nicht fertigbringen, im Dieselkon- wende. Wir sehen es aber auch bei kleinen Programmen fikt ganz klar die Priorität „menschliche Gesundheit“ zu wie „Grün in der Stadt“ – wichtig für die Ökologie in setzen. der Stadt und wichtig für den sozialen Zusammenhalt; es geht um Orte der Erholung gerade auch für die Men- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen, die sich den kleinen eigenen Garten nicht leisten sowie des Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE]) können. Wir sehen es bei der Kreislaufwirtschaft, die Lassen Sie mich der Ministerin noch ein Versprechen jeden von uns betrift, Tag für Tag. Gute Umweltpolitik mitgeben. Frau Ministerin Schulze, wenn Sie sich ent- denkt das Soziale mit. sprechend Ihrer Vorstellungsrede (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wohlver- der CDU/CSU) halten vorausgesetzt!) Kolleginnen und Kollegen, das zentrale Umweltpro- in Ihrem neuen Amt klar für den Erhalt unserer natür- jekt dieser Legislaturperiode wird der Klimaschutz sein. lichen Lebensgrundlagen positionieren, wenn es Ihnen Wir wollen den Klimawandel begrenzen: in den nächs- gelingt, die dafür notwendigen Maßnahmen in die par- ten zwölf Monaten mit einem Gesetz. Es wird Zeit. Herr lamentarische Beratung zu bringen, dann haben Sie un- Hilse, bei Ihrer Rede wehte ein Hauch von Trump durch sere volle Unterstützung. Wenn Sie stattdessen Teil der den Saal – Ignoranz gegenüber umweltpolitischen Belangen wer- (Karsten Hilse [AfD]: Danke! Danke schön! – den, wie wir sie gestern und heute beim Wirtschafts-, Weiterer Zuruf von der AfD: Yes we can!) Verkehrs- und Landwirtschaftsministerium wieder reali- sieren mussten, dann stoßen Sie auf unseren erbitterten nach dem Motto: Ich habe eine Meinung. Verwirr mich Widerstand. nicht mit Tatsachen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Ulli Nissen [SPD]: Zum Schluss hätten Sie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- etwas Positives sagen können!) geordneten der CDU/CSU) Es wird höchste Zeit, dass alle Sektoren ihren Beitrag Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: leisten, so wie wir es im Klimaschutzplan bereits ver- Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort dem Kolle- einbart haben. Aber Vereinbarungen und Ziele sind das gen Carsten Träger. eine; ein Gesetz ist etwas anderes. Diese neue Qualität brauchen wir. (B) (Beifall bei der SPD) (D) (Beifall bei der SPD) Carsten Träger (SPD): Für uns Sozialdemoraten ist klar: Nach dem Ausstieg Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und aus der Atomenergie muss der Ausstieg aus der Kohle Kollegen! Frau Ministerin, herzlichen Glückwunsch zu folgen. Da geht es nicht mehr um das Ob, sondern nur Ihrem neuen Amt und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer noch um das Wie und das Wann. Selbstverständlich Rede! gestalten wir das Wie gemeinsam mit den betrofenen Regionen, damit der Strukturwandel gelingt, damit die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kumpel nicht ins Bergfreie fallen, damit Strom bezahl- der CDU/CSU) bar bleibt und damit Versorgungssicherheit rund um die Sie haben völlig recht: Gute Umweltpolitik ist nicht nur Uhr gewährleistet ist; gut für die Umwelt; sie ist auch sozial. Nur dann, wenn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Umweltpolitik alle mitnimmt, wird sie auch von allen der CDU/CSU und der LINKEN) getragen. aber der Ausstieg muss kommen. Ich halte daher die Ein- Wenn wir alle uns einen Tesla leisten könnten, dann richtung der Kommission „Wachstum, Strukturwandel gäbe es die aktuelle Debatte um die Fahrverbote wahr- und Beschäftigung“ für eine kluge Entscheidung. Sie scheinlich nicht; können wir aber nicht. Wir können uns wird all die wichtigen Fragen adressieren, um die es nun auch nicht einfach einen Diesel der neuesten Generati- geht. Wir müssen diese Kommission nun schnell ins Le- on 6d kaufen. Deshalb ist es eine Frage der Gerechtig- ben rufen mit Beteiligung der relevanten gesellschaftli- keit, dass derjenige für den Schaden aufkommt, der den chen Kräfte. Schaden angerichtet hat – nicht die Kunden und nicht die Steuerzahler. Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem Klima- schutzgesetz gibt es weitere große Aufgaben. Wir dürfen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf keinen Fall den Erhalt der Biodiversität vernachläs- der CDU/CSU und der LINKEN) sigen. Alle Menschen haben das Recht auf eine intakte Um- (Beifall des Abg. [SPD]) welt. Deshalb denkt gute Umweltpolitik das Soziale mit. Gute Umweltpolitik setzt auf Zusammenarbeit. Nicht Große Schlagzeilen macht ja das Insektensterben, das das Gegeneinander, das Miteinander birgt Chancen für tatsächlich alarmierend ist. Das Aktionsprogramm Insek- alle. Das sehen wir bei der 2030-Agenda, bei den globa- tenschutz ist für mich daher eines der zentralen Vorha- 2208 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Carsten Träger (A) ben, das wir jetzt schnell auf Grundlage eines nationalen Beginn der Aufzeichnungen, dokumentiert; aber das nur (C) Monitorings angehen müssen. am Rande.

(Beifall bei der SPD) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wetter und Klima, sage ich da nur!) Wir brauchen mehr Mittel für den Naturschutz. Wir Vorgestern hat sich der neue Bundesaußenminister, der brauchen einen eigenständigen EU-Naturschutzfonds, jetzt leider nicht da ist, geäußert – ich zitiere ihn –: Ziel und es wird beim Thema Biodiversität – machen wir ist die „Freiheit der Wissenschaft“. – Schöne, hehre Wor- uns nichts vor – weiterhin, sagen wir, Überschneidungen te. Aber wie frei ist die Wissenschaft in unserem Land zum Bereich der Landwirtschaft geben. Ich habe mich denn wirklich? über die Zusage der Ministerin Klöckner gefreut, dass sie hier auf gute Zusammenarbeit setzt. Ich hofe sehr, Vor circa vier Wochen fand in der Bremer Landes- dass wir das gemeinsam erreichen werden; denn auch vertretung der parlamentarische Abend der Meeresfor- im ländlichen Raum und in der Landwirtschaft gibt es schung statt. Unter anderem sprach dort Professor Latif, riesige Herausforderungen in sozialer, ökologischer und einer der Hohepriester in der Klimareligion, über die Ge- wirtschaftlicher Hinsicht: bei der Reform der GAP, beim fahr eines Erliegens des Golfstroms und darüber, welche Ausstieg aus Glyphosat, beim Verbot grüner Gentech- furchtbaren Auswirkungen dies haben könnte. Bemer- nik auf unseren Äckern. Das alles sind auch Fragen des kenswert war, dass wirklich jedes beobachtete und doku- Umweltschutzes, sozialen Ausgleichs und wirtschaftli- mentierte Phänomen krampfhaft mit dem Klimawandel cher Tragweite. Deshalb gilt auch hier: Wir werden diese in Verbindung gebracht werden musste. Lösungen nur gemeinsam hinbekommen: gemeinsam, (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nachhaltig und gerecht. Und die Erde ist eine Scheibe! – Gegenruf des Abg. Karsten Hilse [AfD]: Für Sie schon!) Vielen Dank. Zu wenige Fische: der Klimawandel. – Zu viele Fische: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Klimawandel. – Zu warm: Klimawandel. – Zu kalt: der CDU/CSU) Klimawandel. – Zu salzig: Klimawandel. – Nicht salzig genug: Klimawandel. – Klimawandel, Klimawandel, Klimawandel. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Für die Fraktion der AfD erteile ich das Wort dem NEN]: Diesel!) Kollegen Dr. Rainer Kraft. (B) Diese pathologische Fixierung auf ein Glaubenskonst- (D) (Beifall bei der AfD) rukt korrumpiert unsere gesamte Wissenschaft. Es wird viel Geld in die Forschung gepumpt; aber damit wird nur derjenige gefördert, der die gewünschten Ergebnisse (AfD): Dr. Rainer Kraft bringt. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeord- (Beifall bei der AfD – Zurufe der Abg. Harald nete, zumindest die, die noch da sind! Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [SPD]) NEN]: Das ist bei Ihnen nicht anders!) Das ist der Weg von einer freien Wissenschaft zur ideologisch beschränkten, mantraartigen Selbstbestäti- Frau Bundesministerin, Ihre Erklärung und die der gung. Wissenschaft ist frei, und sie muss frei sein. Sie neuen, alten, inzwischen gar nicht mehr so großen Koa- muss sich wieder und wieder selbst infrage stellen, um lition ist geprägt von einer ideologisch verzerrten Wahr- sich zu entwickeln und zu verbessern, damit sie ihre urei- nehmung der Realität. Das gilt auch für Ihre Haltung zur gene Aufgabe erfüllen kann, nämlich die Suche nach ob- syrischen Regierung. Sie haben gestern und vorgestern jektiven, nachvollziehbaren Fakten. keine Gelegenheit ausgelassen, den Überlebenskampf einer multireligiösen, multikulturellen, säkularen sy- (Beifall bei der AfD) rischen Gesellschaft gegenüber einer extremistischen, Ideologien sind das Gegenteil. Sie lassen es nicht zu, theokratischen Sklavenhalterideologie anzuprangern. infrage gestellt zu werden. Sie erlauben keine Verände- Ganz anders verhielt es sich, als die Assad-Regierung in rung des zugrunde liegenden Dogmas, und sie verfolgen Übereinstimmung mit Ihrem ideologischen Klimakate- diejenigen, die an der Unumstößlichkeit ihrer Dogmen chismus im November 2017 die Ratifzierung des Pari- zweifeln. ser Klimaabkommens angekündigt hatte. Da war Ihnen dieses Regime plötzlich gar nicht mehr so unrecht; denn (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit diesem Argument konnten Sie nun die Trump-Admi- NEN]: Andere Ihrer Kollegen haben die glei- nistration als alleinigen Apostat in der Klimafrage brand- che Rede schon gehalten!) marken. Die Hypothese vom menschengemachten Klimawandel hat längst den Boden der Wissenschaften verlassen und Wir sind kalendarisch in dieser Woche in den Frühling ist zum Dogma mutiert. eingestiegen. In Bayern wurde der kälteste Frühlingsbe- ginn seit mindestens 138 Jahren, wenn nicht sogar seit (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2209

Dr. Rainer Kraft (A) Sehr geehrte Frau Bundesministerin, befreien Sie die Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. (C) Wissenschaft bitte von den Ketten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Aber zurück zum Golfstrom. Nach den Diskussionen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie um die unterschiedlichen, jedoch allesamt apokalypti- des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) schen Szenarien im Falle des Erliegens des Golfstroms Daran knüpft sich aus meiner Sicht, dass wir selbst- warf ich einen Blick in die dazu vorliegenden Unter- verständlich streiten können, wenn wir feststellen, dass lagen. Diese enthalten neben den Modellen, die einen wir noch nicht so weit sind, wie wir sein wollen. Ob das Zusammenbruch des Golfstroms bis zum Jahr 2100 vor- nun an den letzten 4 oder 8 oder 12 oder 25 Jahren liegt, hersagen, auch die reell gemessenen Daten. 4 000 drif- ist natürlich eine Debatte, die man führen kann. Ich fnde tende Bojen des Argo-Projekts zeigen wie auch stationäre es aber viel entscheidender, dass wir jetzt darauf hinwei- Messbojen im Zeitraum der letzten 30 Jahre eine völlig sen und klarmachen: Es gibt jetzt Handlungsbedarf. Wir normale und stabile Umwälzzirkulation. Das kann man müssen das jetzt angehen und mit aller Kraft und aller dort lesen. Die beobachteten Trends liegen – so ist es dort Anstrengung die Dinge voranbringen. niedergeschrieben – innerhalb der natürlichen Schwan- kungsbreite. So ein Glück, kann ich nur sagen: Die Kata- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- strophe fällt diesmal aus. ordneten der SPD) Eines ist doch klar: Es gibt Handlungsbedarf, und (Beifall bei der AfD) dieser Handlungsbedarf wird nicht nur von einigen mit Was uns aber ganz reell droht, sind weitere vier Jah- verengter Sicht hier im Parlament gesehen, sondern re einer katastrophalen Umweltpolitik, die sich nicht mit 195 Staaten der Welt haben in Paris ein Klimaabkommen der Lösung realer Probleme befasst, sondern ihre eigene beschlossen. Das ist ein Durchbruch gewesen. Existenz mit ökopopulistischen Glaubenssätzen rechtfer- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tigt. NEN]: Da kommt die AfD auch nicht dran vorbei!) (Lachen des Abg. Harald Ebner [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Britta Haßelmann Aus meiner Sicht gilt es, darauf aufzubauen. Wir Deut- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Erde schen haben dabei eine besondere Verantwortung. ist eine Scheibe!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Wir werden als Oppositionspartei nicht damit aufhören, wie bei Abgeordneten der LINKEN und des die Bürger im Lande über diese Scheinpolitik aufzuklä- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) ren. Diese Verantwortung verlangt selbstverständlich, Um- (Beifall bei der AfD – Harald Ebner [BÜND- welt, Soziales und Wirtschaft zusammenzubringen. Vor NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Scheinre- allen Dingen gilt jetzt aber die Devise: Wir müssen ran! den!) Deshalb ist es richtig, dass eine Kommission eingesetzt wird, damit alle Akteure an einen Tisch kommen. Es Genießen Sie diese letzten Jahre; denn die Zeit dieser ist aber vor allem gut, dass diese Kommission nicht bis Koalition ist bereits vorbei, bevor sie eigentlich richtig zum Sankt-Nimmerleins-Tag tagen soll, sondern in die- begonnen hat. sem Jahr schon konkrete Vorschläge machen muss. Eine der Maßgaben im Koalitionsvertrag ist dabei, alles nur Vielen Dank. Mögliche dafür zu tun, um das 2020-Ziel, soweit es eben geht, noch zu erreichen. Das scheint mir mit Blick auf (Beifall bei der AfD) die kurzfristigen Fragen sehr wichtig zu sein. Selbstver- ständlich wird es dabei um alle Sektoren und auch um die Vizepräsident : Kohle gehen. Nächster Redner ist der Kollege Andreas Jung von der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- CDU/CSU. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Ralph Lenkert Jetzt hat es eine Rolle gespielt, welche Ministerinnen [DIE LINKE]: Andreas, gib es ihnen!) und Minister der Bundesregierung in den vergangenen Tagen hierzu etwas gesagt haben. Ich will an die Regie- rungserklärung der Bundeskanzlerin vom Mittwoch erin- Andreas Jung (CDU/CSU): nern. Die Kanzlerin hat gesagt: Es ist klar, diese Regie- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rung wird einen Plan zur schrittweisen Reduzierung der Frau Ministerin! Zunächst möchte ich einmal an meine Kohleverstromung einschließlich eines Ausstiegsdatums Vorrednerinnen und Vorredner anknüpfen und in aller vorlegen. Das ist das Vorhaben, und daran wird nicht ge- Deutlichkeit sagen: Klimaschutz ist nicht grün. Klima- rüttelt. Natürlich muss darüber diskutiert werden: Wen schutz ist nicht rot. Klimaschutz ist übrigens auch nicht nehmen wir wie mit? Wie bewältigen wir den Struktur- schwarz, gelb, blau oder sonst wie farbig. wandel? Wie schafen wir es, die Arbeitsplätze zu erhal- ten und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten? – (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber dunkel- All das ist richtig. Aber das Ziel ist festgeschrieben, und rot! – Judith Skudelny [FDP]: Magenta!) es gilt. 2210 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Andreas Jung (A) Die Bundeskanzlerin hat gleichzeitig gesagt: Es geht Dr. Lukas Köhler (FDP): (C) darum – das haben wir eindeutig vereinbart –, diesen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Pfad festzuschreiben, also das, was im Rahmen des und Kollegen! Sehr geehrte Frau Schulze, vielen Dank Klimaschutzplans von der letzten Regierung erarbeitet für Ihre Ausführungen. Als Klimapolitiker fnde ich es wurde, gesetzlich festzuschreiben. Dabei geht es um alle ganz fantastisch, dass Sie ein Klimaschutzgesetz auf den Sektoren. Es geht selbstverständlich um Energie und Weg bringen wollen. Ich will jetzt auch gar nicht fra- Kohle – ich habe es gesagt –, es geht aber auch um Ener- gen, warum die Koalition das in den letzten Jahren nicht gieefzienz, es geht um Verkehr, es geht um die Land- hinbekommen hat oder warum sie dazu erst einmal eine wirtschaft. In all diesen Bereichen wird es verbindliche Kommission braucht. Zumindest Sie als Ministerin sind Ziele und verbindliche Maßnahmen geben. ja neu. Deswegen würde ich mit Ihnen gerne über die Ich bin sehr froh, dass es endlich gelingen wird, die Zukunft reden. Das hat am Mittwoch auch die Kanzlerin steuerliche Förderung der Gebäudesanierung umzuset- getan. Es hat mich sehr gefreut, dass sie über Generatio- zen. nengerechtigkeit gesprochen hat. Sie hat jedoch nur über Rente und Haushalt geredet. Dabei ist Generationenge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rechtigkeit so viel mehr. Wir müssen unseren Kindern ordneten der SPD) und Enkeln auch eine Umwelt hinterlassen, die ihnen die gleichen Chancen bietet, die wir heute haben. Das ist das konkrete Vorhaben dieser Koalition. Wir set- zen darauf, dass es diesmal nicht wieder von den Ländern (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten blockiert wird, sondern wir hier tatsächlich vorankom- der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- men. Damit sind die Aufgaben klar beschrieben. SES 90/DIE GRÜNEN) Ich will auf das zurückkommen, was die Ministe- Ich selbst habe einen zweijährigen Sohn. So süß er rin gesagt hat. Auch ich blicke in besonderer Weise auf heute ist, so sauer wird er in Zukunft sein, wenn er mich die Partnerschaft mit Frankreich, wenn es darum geht, fragt: Warum habt ihr nichts gegen den menschenge- diese Dinge voranzubringen. Wir erarbeiten den neuen machten Klimawandel getan? Élysée-Vertrag, der im nächsten Jahr verabschiedet wer- den soll. Dabei muss ein wichtiges Thema der gemeinsa- (Beifall bei der FDP, der SPD und dem me Einsatz für den Klimaschutz sein, und zwar mit inter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- nationalem Anspruch. Es muss aber auch um die Frage geordneten der CDU/CSU) gehen: Was können wir im Rahmen gemeinsamer Pro- Wenn ich mir den wirklich dünnen Klimaschutzteil im jekte im Bereich der Energienetze, der Energieefzienz Koalitionsvertrag anschaue, muss ich sagen: Ich befürch- (B) und der Elektromobilität voranbringen? Wir haben hier (D) te, dass man zumindest dieser Bundesregierung diese eine besondere Aufgabe und können gemeinsam Vorrei- Frage zu Recht stellen wird. ter sein. Meine Damen und Herren, Klimapolitik ist mehr als (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nur Energiepolitik, auch wenn beides viel zu oft gleich- Das gilt insgesamt, also nicht nur für den Bereich von gesetzt wird. Für uns Freie Demokraten ist Klimapolitik Umwelt, Naturschutz und Klimaschutz, sondern auch mehr als die Fragen, wann wir aus der Kohleverstromung im Hinblick auf die Nachhaltigkeit. In der nächsten Sit- aussteigen oder wie viele Milliarden Euro die Verbrau- zungswoche werden wir, so hofe ich, den Nachhaltig- cher noch durch die EEG-Umlage verschwenden sollen. keitsbeirat endlich wieder einsetzen. Es gilt, den Welt- Lassen Sie uns das Thema größer denken. zukunftsvertrag mit global gültigen Entwicklungszielen für alle Bereiche und alle Staaten, den wir in New York (Beifall bei der FDP) verabschiedet haben, engagiert umzusetzen und ihn zum Klimapolitik umfasst die Landwirtschaft und die Wärme, Maßstab der Politik dieses Hauses und der Bundesregie- aber insbesondere den Verkehrssektor, den wir so schnell rung zu machen. Jede Regierung, jedes Parlament und wie möglich in den Emissionshandel aufnehmen müssen. jeder, der heute Verantwortung trägt, wird sich daran messen lassen müssen, ob er in den Augen künftiger Ge- (Beifall bei der FDP) nerationen besteht. Deshalb müssen wir der Nachhaltig- keitsstrategie die Bedeutung zukommen lassen, die sie Wenn Sie wirklich etwas bewegen wollen, dann können verdient. Da gibt es noch Luft nach oben. Das ist eine wir das in einem ersten Schritt auf nationaler Ebene be- besondere Aufgabe für diese Regierung. An all dem wol- reits jetzt tun. Dazu haben wir einen Antrag eingebracht. len wir gemeinsam arbeiten. Wenn die Regierung da ent- Doch um die Klimaziele zu erreichen, sollten wir uns schieden vorangeht, hat sie unsere Unterstützung. natürlich in erster Linie darum bemühen, CO2 zu vermei- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) den. Wichtig ist aber auch, den Rest nicht einfach in die Atmosphäre zu blasen, sondern so viel wie möglich zu nutzen und zu speichern. Ohne Nutzung und Speiche- Vizepräsident Thomas Oppermann: rung von CO2 kommt nämlich kein seriöses Klimamodell Vielen Dank. – Jetzt spricht Dr. Lukas Köhler für die aus, wenn es nicht in einem völligen Desaster enden soll. FDP. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2211

Dr. Lukas Köhler (A) Gerade beim Speichern zeigt sich jedoch das Dilemma ren es 49 Millionen Euro. Ende des Jahres 2016 waren es (C) in Deutschland: Trotz einiger erfolgreicher Projekte ist im Haushaltsplan 2017 immerhin 71 Millionen Euro. Ich die Technologie aufgrund der politischen Rahmenbedin- glaube, da ist noch viel Luft nach oben. gungen bei uns derzeit quasi tot. Aber ich hofe jetzt auf Sie, liebe Frau Schulze, dass Sie als neue Ministerin mu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tig genug sind, diese Technologie wieder zum Leben zu ordneten der SPD) erwecken. Aber nicht nur der Umfang der Mittel, die für Maß- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) nahmen zur Verfügung standen, hat sich positiv entwi- ckelt, auch die Zahl der Mitarbeiter im Umweltministeri- Denn Mut, Optimismus und Vertrauen in die Men- um stieg von 712 auf 1 193 Mitarbeiter. Ich glaube, diese schen, die Tüftler, die Ingenieure und ihre Ideen – das Personalausstattung macht deutlich, dass wir entspre- ist es, was wir brauchen, wenn wir Deutschland wieder chende Maßnahmen eingeleitet haben. Das gilt auch für zum Vorreiter in Sachen Klimaschutz machen wollen. das Bundesamt für Naturschutz, das statt 21 Millionen Dazu müssen wir den Emissionshandel auf alle Sekto- Euro jetzt immerhin 32 Millionen Euro zur Verfügung ren ausweiten, auf einen international einheitlichen CO2- hat. Preis hinarbeiten und ofen für neue Technologien sein, die uns jenseits aller ideologischen Debatten helfen, das Der Insektenschutz wird für uns eine große Heraus- Klima sinnvoll zu schützen. Wir als Freie Demokraten forderung sein, aber ich warne davor, nur einen kleinen jedenfalls werden die Bundesregierung aus der Opposi- Bereich als Ursache zu sehen, nämlich die Landwirt- tion heraus unterstützen, wenn sie sinnvolle und smarte schaft. Ich glaube, die Vergrößerung der Anbaufächen, Klimapolitik betreiben möchte. die Monokulturen, die Vermaisung der Landschaft, die zunehmende Lichtverschmutzung und die Monotonisie- Vielen lieben Dank. rung der Pfanzengesellschaften sind ebenfalls Faktoren, (Beifall bei der FDP) mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsident Thomas Oppermann: ordneten der SPD) Letzter Redner in dieser Debatte ist jetzt Dr. Klaus- Peter Schulze für die CDU/CSU. Das wird nur gehen, wenn wir entsprechend taxonomisch ausgebildete Wissenschaftler haben. Deswegen hatten (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. wir ja schon in der vorangegangenen Legislaturperiode Carsten Träger [SPD]) gemeinsam einen entsprechenden Antrag auf den Weg (B) gebracht, dass in der Hochschulausbildung diesbezüglich (D) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): mehr gemacht wird. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wäre der Naturschutz ohne das Ehrenamt in Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Zu- Deutschland? Ich glaube, die Arbeit, die hier von vielen schauertribünen! Zunächst einmal herzlichen Glück- geleistet wird, ob sie im NABU oder im BUND orga- wunsch, Frau Ministerin! Ich freue mich auf eine hofent- nisiert oder als Einzelkämpfer unterwegs sind, könnte lich gute und sachliche Zusammenarbeit, und ich fnde der behördliche Naturschutz nie leisten. An dieser Stel- es gar nicht schlimm, wenn Sie Mitglied der IG BCE le möchte ich mich bei all den Genannten ganz herzlich sind. Denn das ja schon mehrfach angesprochene Thema bedanken. „Wie weiter mit der Kohle?“ und das Bestreben, in der Diskussion zu einem Endpunkt zu kommen, werden es (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der notwendig machen, dass mit den Beschäftigten in diesem FDP sowie der Abg. Dr. Bettina Hofmann Bereich intensiv zusammengearbeitet wird. Ich glaube, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) da können Sie einen entscheidenden Beitrag leisten. Ich will noch ein Beispiel nennen. Bis 1990 waren (Beifall bei der CDU/CSU) viele Naturfreunde unterwegs und haben während der Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kolle- Brutzeiten die Horstbäume bewacht, damit die Eier nicht gin Skudelny hat gesagt, der Naturschutz stehe so ein entnommen und gegen D-Mark in den Westen oder nach bisschen am Rande. Ich muss aber sagen: Wenn ich in Westdeutschland, wie wir es gesagt haben, verbracht die Medien der letzten Wochen reinschaue, dann habe wurden oder sich im Gegenzug dafür Literatur besorgt ich nicht das Gefühl, dass das so ist. Wir diskutieren wurde. Das musste man einige Tage lang machen. Wenn das Thema „Insektensterben“, wir diskutieren das The- das Ei bebrütet war, konnte man diesen Export nicht ma „Vermüllung der Meere“, wir diskutieren das Thema mehr betreiben. Inzwischen ist es aber so, dass die Natur- „Rückkehr des Wolfes und anderer geschützter Arten“ schützer gezwungen sind, 365 Tage im Jahr unterwegs zu und die damit verbundenen Probleme. Das sind große sein, um die Horstbäume zu schützen, weil skrupellose, Herausforderungen, die wir in den nächsten Jahren wei- proftgierige Geschäftemacher, die unter dem Deckman- ter bearbeiten müssen. tel der alternativen Energien unterwegs sind, versuchen, diese Horstbäume zu fällen, um anschließend Windkraft- Lassen Sie mich noch einen Blick zurückwerfen. anlagen in diesen Gebieten zu errichten. Im Jahr 2005 standen unter Rot-Grün für Naturschutz 29 Millionen Euro zur Verfügung. Als wir 2013 die Gro- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE ße Koalition in der 18. Legislaturperiode begannen, wa- GRÜNEN]: Was?) 2212 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) Also, Dank für diesen Einsatz, nicht den Geschäftema- Doktor nicht, sorry. Das war eine Assoziation mit Ge- (C) chern, sondern den Ehrenamtlern. Ihnen muss man dan- sundheit. ken, und wir müssen da konsequenter durchgreifen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: ordneten der SPD und der AfD) Herr Präsident, es geht zwar um Gesundheitspolitik, Im Oktober wird die Antarktis-Kommission sich mit aber Doktor bin ich nicht. dem Thema „Unterschutzstellung des Weddellmeeres in der Antarktis“ beschäftigen. Wir haben dazu in den Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! letzten Jahren mit unseren Forschungsmöglichkeiten, Zum Finale der Sitzungswoche geht es um Gesundheits- insbesondere mit unseren Forschungsschifen, die ent- politik. Die Begrife Gesundheit, Pfege und Prävention sprechenden wissenschaftlichen Grundlagen gelegt. Ich kommen scheinbar erst einmal so harmlos und so freund- glaube, wir sollten als Deutscher Bundestag in einem lich daher, aber wir alle wissen: In Wahrheit geht es um interministeriellen Antrag die Bemühungen der Bundes- Grundsätzliches, zum Teil um Existenzielles, wenn im regierung, die in dieser Kommission mitarbeitet, unter- Leben Schicksal, Zufälle, Unzulänglichkeiten zu Erkran- stützen, weil es wichtig ist, dass Teile des Weddellmeeres kungen, Krankheiten, Leid, Ängsten und Sorgen führen. unter Schutz gestellt werden. Von der Geburt – wir erleben dieser Tage in mancher De- batte, dass es manchmal auch um Fragen zu der Zeit vor (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ der Geburt geht – über das ganze Leben bis hin zum Ster- CSU]) ben – Fragen der Hospiz und anderes – stehen am Ende Ich freue mich da auf eine gute Zusammenarbeit. immer Aspekte davon, was im Gesundheitswesen und in der Gesundheitspolitik geleistet wird, im Fokus. Abschließend muss ich als Lausitzer natürlich etwas zu dem Thema Kohleausstieg sagen. Dass wir dieses Wir können nicht – egal mit welchen politischen Mit- Thema in der Kommission diskutieren werden und dis- teln oder fnanziellen Ressourcen – Schicksale ungesche- kutieren müssen, ist ganz klar, aber ich warne davor, nur hen machen. Bei Pfegebedürftigkeit, wenn jemand in der die Arbeitsplätze zu subsumieren. Ich warne davor, nur Familie Demenz hat, wenn jemand eine andere Erkran- auf die Versorgungssicherheit und die preiswerte Ener- kung hat, können wir das, was damit verbunden ist, nicht gie abzustellen. Das hat natürlich erste Priorität. Aber es wegnehmen. Aber wir können versuchen, zu helfen, dass sind auch andere Fragen zu berücksichtigen. Ich habe das es leichter wird, dass es im Alltag erträglicher wird, dass schon einmal in der vergangenen Legislaturperiode an- es Unterstützung gibt. Jeden Tag, liebe Kolleginnen und gesprochen, wurde dafür aber kritisiert. Woher kommen Kollegen, leisten 5 Millionen Menschen im deutschen (B) 6 Millionen Tonnen Gips, wenn die REA-Anlagen nicht Gesundheitswesen in den unterschiedlichsten Berufen – (D) mehr laufen? Wo lassen die Städte Berlin, Dresden und Ärztinnen und Ärzte, Pfegekräfte, Apothekerinnen und die jährlich 800 000 Tonnen konditionierte Ab- Apotheker, Hebammen, Physiotherapeuten und viele an- fälle, die sie in den Kraftwerken mitverbrennen lassen? dere, die ich nicht aufgezählt habe – Großartiges, zusam- Brauchen wir neue Müllverbrennungsanlagen? Vielleicht men mit Angehörigen, mit Familien und vielen anderen, war es in Berlin eine kluge Entscheidung, das Tempelho- die mit viel Mitgefühl und Empathie anpacken und hel- fer Feld nicht zu bebauen. Da wäre ja ausreichend Platz. fen, dass es neben all dem Leid und Frust auch viel Freu- de gibt. Diesen Helden des Alltags gebührt zu Beginn (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) einer solchen Debatte und zu Beginn dieser Legislatur Aber es spielen noch andere Fragen eine Rolle. Die unser Dankeschön. sollten wir wirklich konstruktiv diskutieren, im Interesse der drei Kohleregionen. Ich freue mich da auch auf Ihre (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Unterstützung, Frau Ministerin. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Unser Gesundheitssystem leistet tatsächlich jeden Tag Großes, aber wir spüren auch – das sehen wir ja –, es (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ist nicht perfekt. Es gibt oft im Alltag Probleme, Ärger, Thomas Jurk [SPD]) Frust, und es ist an manchen Stellen eben nicht so, wie es eigentlich sein sollte. Deswegen wollen wir jetzt zu Vizepräsident Thomas Oppermann: Beginn zügig mit drei Projekten starten. Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Bereich liegen nicht vor. Das erste Projekt betrift die Frage der Pfege und der Versorgung bei Pfegebedürftigkeit. Da ist in den letzten Dann kommen wir jetzt zum Themenbereich Gesund- vier Jahren und auch in den Jahren zuvor schon viel getan heit. Auch hier ist eine Redezeit von 60 Minuten verein- worden. Ich denke an den neuen Pfegebedürftigkeitsbe- bart. – Ich warte einen Augenblick, bis die nötigen Platz- grif, über den lange diskutiert wurde; bei den Diskus- wechsel vorgenommen worden sind. sionen ging es auch darum, den Betreuungsbedarf bei Als ersten Redner rufe ich den neuen Minister für Ge- Demenz und die Unterstützung in der ambulanten Ver- sundheit und Pfege auf, Dr. Jens Spahn. sorgung besser darzustellen und abzubilden. Jetzt soll in einem ersten Paket mit einem Sofortprogramm die Situ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. ation der Pfegekräfte in der Kranken- wie in der Alten- Sabine Dittmar [SPD]) pfege im Fokus stehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2213

Bundesminister Jens Spahn (A) Dabei geht es – erstens – um die Umsetzung des Pfe- temdebatte führen. Aber ich möchte lieber eine andere (C) geberufegesetzes, das zum Ende der letzten Legislatur Debatte führen, nämlich darüber, wie wir ganz konkret verabschiedet wurde. Ich habe gestern die Verordnung Verbesserungen in der Versorgung erreichen. Den Men- über die Ausbildung und die Prüfverfahren in die Res- schen ist nicht dadurch geholfen, dass wir abstrakt über sortabstimmung und die Verbändeanhörung gegeben. das System diskutieren, sondern dadurch, dass wir kon- Wir wollen jetzt schnell starten, um am Ende ein breit- krete Verbesserungen erreichen. Darum geht es bei die- gefächertes Angebot zu haben – von der Ausbildung zur sem zweiten Paket. Pfegehilfskraft über die Pfegeberufe bis zur Akademi- sierung –, um alle, die in der Pfege mit anpacken und (Beifall bei der CDU/CSU) helfen wollen, einbinden zu können. Eines ist mir dabei Im Kern geht es darum, dass bei medizinisch notwen- als Bundesminister übrigens ganz wichtig: Ich möch- digen Leistungen alle einen schnellen Zugang zur nöti- te, dass auch in Zukunft Schülerinnen und Schüler mit gen Versorgung haben. Das wollen wir unter anderem Haupt- und Realschulabschluss die Möglichkeit haben, erreichen, indem wir die Zeit der Sprechstunden in der in der Pfege mit anzupacken, wenn sie wollen und kön- gesetzlichen Versorgung von 20 auf mindestens 25 Stun- nen. den erweitern. Ich fände es wichtig, dass wir auch ofene (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- Sprechstunden regelhaft vorsehen; denn auch das ist ein wie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. wichtiges Instrument. Wir wollen die Terminservicestel- Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE len ausbauen, idealerweise zu einem 24-Stunden/7-Ta- GRÜNEN]) ge-die-Woche-Betrieb, damit jeder, wenn es medizinisch angezeigt ist, zeitnah einen Termin bekommt. Dazu ge- Das ist mir jedenfalls ein wichtiges Anliegen. hört im Zweifel auch eine Änderung bei der Vergütung, sodass es sich lohnt, sich schnell um Patienten zu küm- Es geht – zweitens – um die Bezahlung nach Tarif. mern, bzw. dass man zumindest nicht bestraft wird – das Darüber werden wir gemeinsam mit dem Kollegen Bun- ist schon einmal der erste wichtige Schritt –, wenn man desminister Heil sicherlich noch manche Diskussion zu als Ärztin oder Arzt im niedergelassenen Bereich viele führen haben. Es ist rechtlich schwierig, aber trotzdem zusätzliche Patienten aufnimmt, behandelt und für sie ein wichtiges Ziel, die Allgemeinverbindlichkeit der Ta- sorgt. Es geht auch darum, die Attraktivität der Nieder- rifbezahlung in der Pfege zu erreichen und damit auch lassung, insbesondere im ländlichen Raum, aber auch in fnanziell anzuerkennen, was dort geleistet wird. manchem Stadtteil, zu verbessern. Dazu gehört ein gan- Es geht – drittens – um mehr Stellen. Wir wollen mit zes Bündel von Maßnahmen. einem Sofortprogramm 8 000 zusätzliche Stellen schaf- Eines steht fest, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir (B) fen und sie refnanzieren. Ich weiß, dass manch einer (D) sagt: 8 000, das ist aber zu wenig. lösen die bestehende Unfairness bei der Terminvergabe nicht, indem wir alle länger warten lassen. Wir wollen (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das Problem lösen, indem wir die Anreize entsprechend NEN]: Ja, ist zu wenig!) ändern, um im gesetzlichen System eine schnellere Ter- minvergabe zu gewährleisten. Das alles wollen wir in ei- Es ist jedoch ein erster wichtiger Schritt. nem zweiten Paket schnell angehen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- GRÜNEN]: Ein kleiner Schritt!) ordneten der SPD und der FDP) Ich bin aber schon froh, Frau Kollegin, wenn wir es schafen, im ersten Schritt die 8 000 Stellen überhaupt Das bringt mich zu dem dritten Paket, das wir schnell zu besetzen; da können Sie mithelfen. Wir müssen ge- angehen wollen. Es geht um das Thema Finanzierung. meinsam möglichst viele Menschen motivieren, mit uns Wir haben in der Koalition miteinander vereinbart, dass diesen Weg zu gehen. zum 1. Januar 2019 die sogenannte Parität in der Finan- zierung wiederhergestellt werden soll. Das macht, wenn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- man dazunimmt, dass gleichzeitig der Arbeitslosenversi- ordneten der FDP) cherungsbeitrag um 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden soll, aus Sicht der Beschäftigten insgesamt eine Entlas- 8 000 zusätzliche Pfegekräfte sind erst einmal ein wich- tung in Höhe von etwa 8 Milliarden Euro aus. Es ist also tiger erster Schritt im Hinblick auf die Versorgung. ein Beschäftigtenentlastungsgesetz. Ich fnde es wichtig, Im Weiteren geht es – viertens – darum, den Ar- dass wir einerseits schauen, wo wir die Versorgung ver- beitsalltag rund um Bürokratie, Dokumentation und Ar- bessern können. Andererseits müssen wir zugleich aber beitsbedingungen zu verbessern. auch die Beitragszahler im Blick haben, die den Laden am Laufen halten, indem sie die fnanziellen Mittel zur Beim ersten Paket liegt der Fokus also auf der Pfege. Verfügung stellen. 8 Milliarden Euro Entlastung sind ein Das zweite Projekt, das wir schnell angehen wollen, deutliches Zeichen für diejenigen, die jeden Tag arbeiten nimmt die Verbesserung der Versorgung in den Blick, und mit ihren Beiträgen das System fnanzieren. insbesondere im ambulanten Bereich. Krankheiten un- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) terscheiden nicht zwischen gesetzlich und privat. Jetzt können wir, wie wir es wahrscheinlich schon in den Dazu gehört auch, dass wir prüfen, ob angesichts der letzten 20, 30 Jahren gemacht haben, einmal mehr mit Rücklagen der Kassen weiteres Potenzial für Beitrags- viel Emotion, viel Kraft und Aufmerksamkeit die Sys- satzsenkungen vorhanden ist. Außerdem wollen wir die 2214 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Bundesminister Jens Spahn (A) soziale Komponente im Blick behalten. Der Mindestbei- ursacht werden, die Sie hierhergeholt haben. Immerhin (C) trag für Selbstständige, der für viele oft viel zu hoch ist, 1,5 Millionen Straftaten pro Jahr werden durch Nicht- soll gesenkt werden. deutsche begangen. Das kommt zu den Straftaten unse- rer eigenen, deutschen Kriminellen noch dazu. Darunter Sie sehen: Wir haben drei Projekte, mit denen wir jetzt sind viele Körperverletzungen. Wer zahlt die Kosten für schnell starten wollen. Wir wollen noch vor der Sommer- die Behandlung der Opfer? Der deutsche Steuerzahler pause in den gesetzgeberischen Prozess eintreten. In den mit seinen Beiträgen zur Gesundheitskasse. Das Gleiche Bereichen Digitalisierung, Internetmedizin, Organspen- gilt für die kriminellen Auseinandersetzungen politischer de und Arzneimittelversorgung gibt es viele weitere Pro- Vereinigungen auf unseren Straßen. Die Migrantenorga- jekte, die anschließend auf uns warten. nisationen benutzen Deutschland, um mit ihren Thesen Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gegeneinander anzutreten. Auch da ist der Gesundheits- haben viel vor. Ich möchte jeden Tag daran mitarbeiten, fonds mit dabei. Hinzu kommt das Einschleppen von dass wir den Alltag der Bürgerinnen und Bürger ganz Krankheiten, die wir bereits ausgemerzt hatten. Auch die konkret besser machen, dass sie spüren, dass sich etwas Behandlung dieser Krankheiten ist kostenintensiv. ändert. So gewinnen wir verlorengegangenes Vertrauen Der ländliche Raum wurde angesprochen. Prima, dass zurück. was gemacht wird. Es ist allerdings erstaunlich, dass wir, Packen wir es an! obwohl Ihre Partei schon so viele Jahre an der Macht ist, Herr Bundesminister, dort immer noch zu wenige Ärzte (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haben. Die Ärzteschaft ist nach wie vor überaltert. Die Ärzte sind im Schnitt über 54 Jahre alt. Die Attraktivität Vizepräsident Thomas Oppermann: des ländlichen Raumes wurde bisher nicht erhöht. Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Detlev Spangenberg für die AfD. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Ich gehe auf die Hebammen ein. Der Erhalt dieses Berufszweiges ist ungeheuer wichtig, auch wenn das die Damen hier drüben nicht groß zu interessieren scheint. Detlev Spangenberg (AfD): Hebammen sind wichtig für die Mütter, die diese Leis- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! tung gerne in Anspruch nehmen wollen. Einen Beitrag Sehr geehrter Minister Spahn, was Sie eben gesagt ha- zur Haftpfichtversicherung in Höhe von 7 000 Euro pro ben, kann die AfD voll unterstützen. Hofentlich kommt Jahr kann dieser Berufszweig aber nicht erbringen. Ich es auch so, wie Sie es sagen. Insofern kann ich mich in habe nicht gehört, dass in dieser Richtung etwas getan (B) meiner Rede auf das beziehen, was nicht in Ordnung ist. werden soll. (D) Der Gesundheitsbereich ist eines der wichtigsten (Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche Elemente in der Gesellschaft. Nur gesunde Menschen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) können ihre Leistung für sich und für die Gesellschaft erbringen und anderen helfen, die dazu objektiv nicht in Von den Patienten wird kritisiert die Wartezeit in den der Lage sind. Die Gesundheitspolitik ist somit ein Teil Praxen, die Unterschiede bei der Vergabe von Facharzt- der Innenpolitik, eingebettet in die katastrophale Politik terminen an privat Krankenversicherte und gesetzlich der letzten Jahre. Versicherte sowie der Ärztemangel im Allgemeinen. Wir geben täglich mehr als 1 Milliarde Euro für Ge- Meine sehr verehrten Damen und Herren, am 21. März sundheit aus. Es wird allerdings auch ein Anspruchsden- hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung ken gefördert, das nicht nachvollziehbar ist. Zum Bei- gesagt: Viele Deutsche haben das Gefühl, schlechter- spiel können Nichtdeutsche nach 15 Monaten Aufenthalt gestellt zu werden als die Nichtdeutschen, die in dieses in unserem Land Land gekommen sind. – Ich muss Ihnen deutlich sagen: Die Frau Bundeskanzlerin irrt hier. Denn die Deutschen (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Jörg werden tatsächlich teilweise schlechtergestellt. Das ist ­Cezanne [DIE LINKE]: Oh, da sind wir wie- also kein Gefühl, sondern das ist eine Tatsache, dass sie der beim Thema! Bingo! – Helin Evrim Som- schlechtergestellt werden. mer [DIE LINKE]: Flüchtlinge! Migranten!) die gleichen Leistungen in Anspruch nehmen (Beifall bei der AfD – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Die Erde ist eine Scheibe!) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zu Recht!) Ich nenne Ihnen ein Beispiel – hören Sie zu! –, von dem ich in meiner Eigenschaft als Mitglied des Petiti- wie beispielsweise die, die immer in die Kassen einge- onsausschusses des Sächsischen Landtags im letzten Jahr zahlt haben. Glauben Sie im Ernst, dass ein deutscher erfahren habe. Es geht um eine Massenpetition, auch un- Staatsbürger das im Ausland erhalten würde? Ich denke, terstützt durch die Seniorenvereinigungen. Folgender er würde nicht einen einzigen Euro bekommen. Fall: Ein Rentner muss zur ambulanten Behandlung. Was (Beifall bei der AfD) macht er? Er bezahlt die Taxe. Die Kosten dafür wer- den seit 2004 nicht mehr übernommen. Er bezahlt seine Weiter geht es mit den zusätzlichen Gesundheits- Medikamente. Die Kosten dafür werden auch nicht über- kosten, die durch die kriminellen Aktivitäten derer ver- nommen. – Und der Nachbar? Das ist ein Asylbewerber. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2215

Detlev Spangenberg (A) Der fährt natürlich umsonst dorthin. Das ist ja auch ganz ten glauben, hatten Sie in dieser wichtigen Debatte nicht (C) logisch. Der hat ja kein Geld. einen einzigen Satz übrig. (Zuruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, LINKE]) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Hören Sie erst einmal zu. – Die Begründung ist juris- Das fnde ich einfach traurig. Sie haben nur ein einziges tisch einwandfrei: In dem einen Fall geht es um eine Kör- Thema, und das beherrschen Sie nicht. perschaft öfentlichen Rechts, die Krankenkasse zahlt nicht mehr; in dem anderen Fall kommt das Geld aus (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dem Asylbewerberleistungsgesetz. Es ist logisch, dass NEN]: Das ist immer die gleiche Platte!) das ganz andere Töpfe sind. Aber Sie vergessen: Das Ich möchte zunächst einmal Herrn Spahn viel Glück muss hier erwirtschaftet werden, egal wie der Topf heißt. und eine gute Hand für diese Legislaturperiode gönnen. Die Menschen in Deutschland müssen das Geld erwirt- schaften. Das ist ein sehr unsensibles Verhalten, das Sie (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE hier an den Tag legen. Die einen müssen zahlen und die GRÜNEN]: Und einen guten Karl Lauterbach! anderen nicht. Das müssen Sie sich anhören! Einen netten Karl Lauterbach!) (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Helin Wir werden zusammenarbeiten; das ist gar keine Frage. Evrim Sommer [DIE LINKE]) Wir sind in vielen Punkten einer Meinung – auch in der Vergangenheit –, in anderen Punkten nicht. Das wird Diskutieren Sie mit diesen Seniorinnen und Senioren. nicht kaschiert werden. Machen Sie das! Dann werden Sie von denen auseinan- Wir stehen vor großen Herausforderungen. Wir stehen dergenommen. Dann erfahren Sie, wie die sich fühlen. vor einer sehr großen Herausforderung in der Langzeit- Das, was Sie machen, ist unsensibel. pfege. Unsere Pfegeversicherung ist gut; das darf man (Ulrich Kelber [SPD]: Absichtliche Verdre- nicht geringschätzen. Aber wir geben, gemessen an unse- hung der Tatsachen!) rem Bruttoinlandsprodukt, nur ungefähr halb so viel für Pfege aus wie die skandinavischen Länder. Wir haben – Da ist nichts verdreht. Hören Sie sich das an. dort großen Nachholbedarf. Wir erwarten in den nächsten zehn Jahren eine Zunahme der Zahl der Pfegebedürfti- Zusammenfassend heißt das: Gesundheitspolitik ist gen um ein Drittel auf eine Gesamtzahl von 4 Millionen. pragmatische und nicht ideologische Politik. Das heißt, Die Angehörigen pfegen noch 75 Prozent der Bedürfti- (B) bei allem, was Sie an Nichtdeutsche ausreichen, sollten gen. Das wird schwerer werden wegen der zerfallenden (D) Sie daran denken, dass die Menschen, die dieses Geld Familienstruktur. Gleichzeitig haben wir die Probleme, erwirtschaften müssen, auch einen Anspruch haben und dass die Schulabgänger sich mehr für ein Studium als für nicht bloß diejenigen, die nichts getan haben. Denken Sie einen Ausbildungsberuf interessieren und dass die Pfege einmal an die Leistungsträger. Die haben es verdient, be- als Beruf unattraktiver wird. achtet zu werden. Das sind die Probleme, vor denen wir stehen. Wie Vielen Dank. können wir diesen Problemen begegnen? Es ist richtig – ich höre das jeden Tag –, dass die 8 000 Stellen für das (Beifall bei der AfD) Sofortprogramm diese Probleme nicht lösen können. Aber es gibt derzeit bereits 17 000 ofene Stellen, die zu- Vizepräsident Thomas Oppermann: sammen mit den 8 000 Stellen aus dem Sofortprogramm 25 000 ergeben. Es gibt jedoch nur 3 000 Bewerber. Das Nächster Redner für die SPD: Dr. Karl Lauterbach. Problem ist nicht die Zahl der ofenen Stellen, sondern dass wir derzeit viel zu wenige Bewerber haben. Das (Beifall bei der SPD) wird sich nur ändern, wenn wir die Löhne erhöhen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Dr. Karl Lauterbach (SPD): LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- und der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther ren! Bevor ich zur eigentlichen Sache komme, die in der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rede des Kollegen von der AfD keine Rolle gespielt hat, Die Löhne sind in der Pfege nicht alles. Aber ohne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten deutlich höhere Löhne können wir die Probleme nicht lö- der CDU/CSU und der LINKEN) sen. Wenn besser bezahlt wird, dann kehren auch wieder Menschen in die Pfege zurück, die dort arbeiten könn- möchte ich einen Satz sagen: Sie haben im Prinzip nur, ten, und dann lassen sich mehr Menschen umschulen. und das auch noch falsch – man könnte viel korrigieren, Dann wird es mehr Menschen geben, die Pfege leisten, aber dafür würde meine Redezeit nicht reichen –, über und dadurch werden die Arbeitsbedingungen besser. Es die Gesundheitsversorgung der Gefüchteten gesprochen. gibt dann also bessere Arbeitsbedingungen und höhere Sie haben kein Wort übrig gehabt für die 99,9 Prozent der Löhne. Die Spirale muss sich wieder in die andere Rich- Bürger, für die Sie eigentlich hier stehen sollten. Von da- tung drehen. Derzeit dreht sie sich nach unten, aber sie her kann ich nur sagen: Für die Leute, die Sie zu vertre- muss sich wieder nach oben drehen. Damit werden wir 2216 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Karl Lauterbach (A) in dieser Legislaturperiode gemeinsam beginnen, meine wir konstruktiv und fair miteinander streiten und zu einer (C) Damen und Herren. Umsetzung kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU) der CDU/CSU) Im Gesundheitssystem haben wir in der Pfege eben- falls ein sehr großes Problem. Wir haben durch die Ein- Vizepräsident Thomas Oppermann: führung der Fallpauschalen – an der ich selbst beteiligt Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin war; das gebe ich zu – ein Sparen zulasten der Pfege in Christine Aschenberg-Dugnus von der FDP. Kauf nehmen müssen. Diese Nebenwirkung war damals (Beifall bei der FDP) nicht erkennbar, auch in den Studien anderer Länder nicht. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): (Dr. Robby Schlund [AfD]: Das stimmt so Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nicht!) Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Lieber Herr Minister Spahn, vie- – Es war damals nicht erkennbar. Ich habe das Gutach- len Dank für Ihre Rede. Ich bin allerdings sowohl in Ih- ten für die Einführung der Fallpauschalen damals selbst rer Rede als auch im Koalitionsvertrag auf einige Unge- verfasst. reimtheiten im Bereich der Gesundheitspolitik gestoßen, (Dr. Robby Schlund [AfD]: Ich war damals in und diese Punkte würde ich mir jetzt gerne einmal vor- der Projektgruppe! Wir haben darauf hinge- nehmen. wiesen!) Erster Punkt. Herr Minister Spahn, die Koalition Damals gaben die Studien das nicht her. möchte im Bereich der ambulanten Versorgung die Frei- berufichkeit der Ärzte stärken. Wie verträgt sich das aber ( [FDP]: Sie haben es mit einer Erhöhung des Mindestsprechstundenangebotes nicht erkannt!) auf 25 Stunden? Das ist doch keine Stärkung der Freibe- rufichkeit. Das ist ein planwirtschaftlicher Eingrif. 25 000 Stellen sind in der Pfege verloren gegangen. Wir werden dieses Problem jetzt beseitigen, indem wir (Beifall bei der FDP) die Pfege komplett aus den Fallpauschalen herausneh- Das zeigt, wie wenig Sie vom Arbeitsalltag der Vertrags- men und dort zur Kostenerstattung in den Krankenhäu- ärzte verstehen; denn die tatsächlich geleisteten Arbeits- sern zurückkehren, sodass das Sparen zulasten der Pfege stunden für gesetzlich Versicherte liegen doch weit höher (B) in allen Krankenhäusern ein für alle Mal beendet wird. (D) als die von Ihnen geforderten 25 Stunden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ein niedergelassener Arzt arbeitet durchschnittlich Ich komme jetzt zu einem Thema, das eben schon eine 52 Wochenstunden, und am Mittwoch haben wir im Rolle gespielt hat und bei dem ich anderer Meinung bin Gesundheitsausschuss außerdem erfahren, dass die Ver- als der Minister: die Zweiklassenmedizin. Ich glaube, tragsärzte und Psychotherapeuten im Jahr 2017 54 Milli- dass es nicht eine gefühlte Zweiklassenmedizin ist, son- onen Bürokratiestunden zu bewältigen hatten. Wenn nur dern dass wir tatsächlich eine Zweiklassenmedizin ha- die Hälfte davon für die Patientenversorgung zur Verfü- ben. Wenn ich als Rheumakranker in der Phase, wo das gung stehen würde, dann wäre das sowohl für die Ärzte Rheuma noch behandelbar ist, als gesetzlich Versicherter als auch für die Patienten ein Gewinn. keinen Termin bekomme, dann fühle ich mich nicht nur (Beifall bei der FDP) benachteiligt, sondern ich bin benachteiligt; Lieber Herr Minister, das wäre doch einmal ein Ansatz (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- für ein Sofortprogramm, und das ist jetzt richtig konkret. KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Zweiter Punkt. Die Koalition möchte die Digitalisie- rung voranbringen. Hier sind wir ganz bei Ihnen. Auch denn das kann dazu führen, dass ich nicht mehr rechtzei- wir sehen die Chancen der Digitalisierung. Aber wie ver- tig versorgt werden kann. Auch ich bin daher der Mei- trägt sich das denn mit einem Verbot des Versandhandels nung, dass wir Sofortmaßnahmen benötigen. mit rezeptpfichtigen Arzneimitteln in Deutschland? Die Patienten sollten doch eine Wahlfreiheit haben, von wem Aber wir müssen uns ehrlich machen. Ohne die glei- sie ihr rezeptpfichtiges Medikament beziehen. Eine fä- che Bezahlung für die gleiche Behandlung der gleichen chendeckende Arzneimittelversorgung braucht doch bei- Krankheit bei jedem Patienten, die zeigt, dass uns jeder des: ortsgebundene Apotheken auf der einen Seite und Patient mit der gleichen Behandlungsbedürftigkeit gleich in- und ausländischen Versandhandel auf der anderen viel wert ist, werden wir das Problem nicht lösen können. Seite. Wenn Sie die inhabergeführten Apotheken auf dem Daher brauchen wir einheitliche, gerechte Honorare. Es Land stärken wollen – und das wollen wir auch –, dann kann nicht sein, dass ein Arzt besser bezahlt wird, wenn macht man das doch nicht mit einem Versandhandelsver- er einem Privatpatienten das Ohr reinigt, als er bezahlt bot, sondern ganz gezielt zum Beispiel durch die Zahlung wird, wenn er die Tinnituserkrankung eines gesetzlich von Sicherstellungszuschlägen. Versicherten versorgt. Das müssen wir beenden. Dafür werden wir eine Kommission gründen, und da werden (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2217

Christine Aschenberg-Dugnus (A) Dritter Punkt. Sie wollen die Gebührenordnungen damit die Frauen in schwierigen Situationen die Mög- (C) EBM und GOÄ reformieren. Das ist ein guter Ansatz. lichkeit haben, sich sachlich zu informieren – auch im Aber fangen Sie doch einfach einmal damit an, die Bud- Internet auf der Seite der Ärztin. getierung der grundversorgenden Haus- und Fachärzte (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ abzuschafen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [CDU/CSU]: Verdrehung der Tatsachen!) der AfD) Wir als FDP-Fraktion haben dazu einen vermittelnden Das würde nämlich ganz ohne Kommission der Patien- Antrag eingebracht. Wir haben Ihnen eine Brücke ge- tenversorgung direkt zugutekommen. Es ist doch abso- baut. Ich hofe, die Koalition geht über diese Brücke. Das lut untragbar, dass zum Beispiel in Hausärz- wäre toll. te von einem Euro Honorar für gesetzlich Versicherte (Beifall bei der FDP) durchschnittlich nur 78 Cent bezahlt bekommen – und Fachärzte nur 79 Cent. Das heißt, über 20 Prozent der ge- Zum Schluss noch ein letzter Satz: Herr Minister leisteten Arbeit für gesetzlich Versicherte wird überhaupt Spahn, wir sind jederzeit bereit, Sie bei patientenorien- nicht bezahlt. tierten Maßnahmen zu unterstützen; aber bei Einschrän- kungen der Patientensouveränität oder der Freiberufich- Sie wollen Veränderungen bei der Vergütung? Dann keit machen wir als FDP nicht mit. schafen Sie die Budgetierung ab. Machen Sie das zum Vielen Dank, und ich wünsche allen Kolleginnen und Wohle der Patientinnen und Patienten. Zusammen mit ei- Kollegen frohe Ostertage. nem Bürokratieabbau würde das auch zu mehr Terminen für gesetzlich Versicherte führen. (Beifall bei der FDP – Erich Irlstorfer [CDU/ CSU]: Ihr seid doch nicht einmal in der Re- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gierung!) der AfD – [CDU/CSU]: Sie hätten doch dabei mithelfen können! Ihr hättet doch Vizepräsident Thomas Oppermann: regieren können!) Das wünsche ich Ihnen auch. – Nächster Redner ist Harald Weinberg für Die Linke. Herr Minister Spahn, abschließend muss ich noch ganz kurz auf Ihre Aussage zu § 219a StGB, also dem (Beifall bei der LINKEN) (B) Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, eingehen. (D) Wir beide kennen uns schon seit einigen Tagen und noch Harald Weinberg (DIE LINKE): länger, und Sie wissen, dass ich Sie schätze – fachlich und Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und auch persönlich. Das, was Sie dazu in der „Bild“-Zeitung Kollegen! Jetzt haben wir ja wieder die Spezialpartei für gesagt haben, war aber völlig unangebracht und ging die Ärzteschaft im Parlament. Ich weiß nicht, ob ich sie auch völlig an der Sache vorbei. wirklich vermisst habe. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem (Tino Sorge [CDU/CSU]: Wen? Die Kolle- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- gin oder die Partei? – Christine Aschenberg-­ geordneten der SPD) Dugnus [FDP]: Ich hofe, mich haben Sie ver- misst!) Man kann bei diesem Thema selbstverständlich unter- Auf jeden Fall soll eines dazu gesagt werden: Auch eine schiedlicher Meinung sein. Ich bin zum Beispiel für eine Kassenarztpraxis kalkuliert, was ihr Budget betrift, so, Streichung des § 219a StGB. Dieses Thema ist aber zu dass sie 140 000 Euro Überschuss im Jahr macht. Es wird ernst und taugt nicht für so eine Hauruck-/Haudrauf-Rhe- also auf einem relativ hohen Niveau gejammert. torik. Tut mir leid, aber das muss ich Ihnen sagen. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (Beifall bei der FDP – Tino Sorge [CDU/ [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Andrew CSU]: Dann lesen Sie doch, was er gesagt hat! Ullmann [FDP]: Das stimmt ja gar nicht!) Zitieren Sie nicht die „Bild“-Zeitung!) Wir haben vom neuen Gesundheitsminister Spahn in den letzten Wochen so einiges gehört – ich zitiere –: Es – Ich habe es genau gelesen. gibt keine Zwei-Klassen-Medizin. „Hartz IV bedeutet nicht Armut ...“. „Jeder hat im Alter das, was er zum Le- (Tino Sorge [CDU/CSU]: Sie sollen mit ihm ben braucht – mindestens.“ Das Thema Pfegenotstand sprechen und nicht die Zeitung lesen!) ist mit zu hohen und großen „Wunschvorstellungen über- frachtet“. „Jeder Patient sollte sich aber stets fragen, ob Was wir brauchen, ist doch – und darüber müssen wir ein Arztbesuch wirklich nötig ist.“ „Es ist wichtig, Phar- uns hier doch einig sein – Rechtssicherheit für Ärztinnen mafrmen gut genug für Medikamente zu entlohnen.“ und Ärzte, Das waren nur einige Zitate. In einer sehr kurzen Tak- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) tung haut der Herr Minister eine Provokation nach der 2218 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Harald Weinberg (A) anderen heraus, inzwischen so viele, wie üblicherweise Harald Weinberg (DIE LINKE): (C) für eine ganze Politikerkarriere ausreichen. Wer ist das? (Beifall bei der LINKEN) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Aber er ist noch nicht einmal einen Monat im Amt. Hof- Vizepräsident Thomas Oppermann: fen wir, dass er in sich geht und die Zahl der Schlagzeilen verringert. Direkt vor Ihnen.

Mit Blick auf meine Redezeit werde ich nicht viele Harald Weinberg (DIE LINKE): Bereiche aus dem Koalitionsvertrag nennen können, son- Ich hatte den Namen akustisch nicht verstanden. Wenn dern nur ein paar ansprechen. Mehrere Bereiche bleiben ich die Frage zulasse, müssen Sie schon meine Redezeit im Koalitionsvertrag vage, oder es werden Kommissio- anhalten. nen eingesetzt – wie bei der Reform der Gebührenord- nung für Ärzte –, von denen aus unserer Sicht nicht so (SPD): besonders viel zu erwarten ist. Dr. Karl Lauterbach Vielen Dank. Ich will mich kurzfassen. – Der Ge- In anderen Bereichen kommt es sehr auf die konkre- samtbeitragssatz, also Einheitsbeitragssatz plus Zusatz- ten Formulierungen und auf die Ausgestaltung an; das beitrag, wird durch zwei geteilt. Können Sie mir dann ist bereits gesagt worden. Ich nehme einmal das Bei- erklären, wo darin für den Versicherten ein Unterschied spiel der Rückkehr zur paritätischen Finanzierung, das besteht? Es ist doch für den Versicherten wie auch für auch ein großes Anliegen der SPD war. Die Rückkehr den Arbeitgeber in Euro genau der gleiche Wert. zur gleichen Aufteilung des Versicherungsbeitrags zwi- Es gibt einen Kassenwettbewerb. Beispielsweise schen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird zunächst von kann sich der Gesamtbeitragssatz aus 15,0 Prozent plus uns logischerweise deutlich begrüßt; die Form, in der das 0,8 Prozent zusammensetzen. Aber für alle Beteiligten – geschehen soll, allerdings nicht. also Versicherte und Arbeitgeber – läuft das auf den Wortwörtlich heißt es im Koalitionsvertrag: gleichen Betrag hinaus. Wo soll es da einen Unterschied geben? Ab 1. Januar 2019 werden die Beiträge zur Kran- kenversicherung wieder im gleichen Maße von Ar- Harald Weinberg (DIE LINKE): beitgebern und Beschäftigten geleistet. Ja, genau das ist das Problem, Herr Lauterbach. Unse- re Position ist, dass wir den Zusatzbeitrag nicht wollen, So weit, so gut. Aber dann kommt der Satz: (B) weil wir keinen Preiswettbewerb wollen. (D) Der bisherige Zusatzbeitrag wird paritätisch fnan- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aha! Sozia- ziert. listische Einheitskasse!) (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Ich kenne übrigens die Varianten des Koalitionsvertra- ges. In dem Koalitionsvertragsentwurf stand seinerzeit, Das heißt konkret: Die Kassen, die mit den Zuwei- als er noch nicht konsentiert war, Ihre Position. Sie war sungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, im Prinzip im Sinne eines paritätischen Beitragssatzes müssen weiterhin einen Zusatzbeitrag erheben, der dann insgesamt ohne Zusatzbeitrag ausgestaltet. Sie sind von zur Hälfte vom Arbeitgeber bezahlt wird. Der Preiswett- dieser Position abgerückt und sind dann – da hat sich die bewerb um die Vermeidung von Zusatzbeiträgen bleibt Union durchgesetzt – dazu übergegangen, dass es die pa- somit erhalten – mit allen Folgen und Nebenwirkungen. ritätische Finanzierung des Zusatzbeitrages geben soll, was zur Folge hat, dass es diesen Wettbewerb gibt und (Tino Sorge [CDU/CSU]: Sie haben es ver- dass es dabei einen Player gibt, der ein großes Interesse standen! Genau!) an einem niedrigen Zusatzbeitrag hat. – Ja, ich habe das durchaus richtig verstanden. – Wir ha- (Beifall bei der LINKEN) ben da noch einen zusätzlichen Player in diesem Preis- wettbewerb: Der Arbeitgeber könnte auf seine Beschäf- Das Thema „Pfegenotstand in den Krankenhäusern“ tigten logischerweise Druck machen, zu einer Kasse mit steht endlich an einer prominenteren Stelle im Koaliti- niedrigerem Zusatzbeitrag zu wechseln. Das heißt, wir onsvertrag. Das ist allerdings in erster Linie der Tarifaus- verschärfen an dieser Stelle den Preiswettbewerb, nicht einandersetzung um Entlassungen sowie den Aktionen den Qualitätswettbewerb, zwischen den Kassen noch ein und Demonstrationen der Kolleginnen und Kollegen in bisschen. den Krankenhäusern geschuldet. Dafür gebührt ihnen aus meiner Sicht großer Dank. Kurz ansprechen möchte ich noch das Thema Pfege- (Beifall bei der LINKEN) notstand in den Krankenhäusern und in der Altenpfege. Wir haben im Bereich der stationären Altenpfege sehr kurzfristigen Handlungsbedarf; denn dort gehen die Ei- Vizepräsident Thomas Oppermann: genanteile derzeit vielfach durch die Decke und treiben Gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage des Kollegen Pfegebedürftige und ihre Angehörigen in die Armut. Lauterbach? Wir haben zu diesem Thema einen Antrag eingebracht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2219

Harald Weinberg (A) Es wird Zeit, dass hier schnell etwas passiert. Vor allen Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) Dingen darf es nicht sein, dass eine gute tarifiche Ent- Bitte sehr. lohnung der Pfegekräfte sich durch die Erhöhung der Eigenanteile gegen die Pfegebedürftigen und ihre Ange- hörigen richtet. Das muss gelöst werden; sie dürfen nicht Dr. Wieland Schinnenburg (FDP): gegeneinander ausgespielt werden. Herr Weinberg, vielen Dank für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. – Ich möchte Sie fragen: Was machen (Beifall bei der LINKEN) Sie, wenn Ihre Pfegeuntergrenzen unterschritten wer- Zum Thema „Personaluntergrenzen in den Kranken- den, weil zum Beispiel Pfeger krank sind? Schicken Sie häusern“ – dazu ist auch schon etwas gesagt worden –: Patienten nach Hause, oder was machen Sie mit denen? Eine Personalbemessung ist absolut notwendig und muss schnell eingeführt werden. Aber das, was derzeit zwi- Harald Weinberg (DIE LINKE): schen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband verhandelt wird, ist aus unserer Ich weiß nicht, ob Sie die Situation in den Kranken- Sicht nicht die Lösung. häusern kennen. Die Situation ist so, dass nahezu täglich Aufnahmen und nahezu täglich Entlassungen erfolgen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wenn wir in Schichten die Untergrenze tatsächlich nicht SES 90/DIE GRÜNEN) einhalten können, dann muss die Bettenkapazität gesenkt Das war auch kaum zu erwarten; denn beide wollen das werden. Das ist die einzig vernünftige Maßnahme, die eigentlich nicht. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft man dann trefen kann; denn ansonsten kann man die will das nicht, weil sie die unternehmerische Freiheit in Patienten nicht mehr sachgerecht pfegen. Es kommt zu der Personalbemessung ihrer Krankenhäuser erhalten gefährlicher Pfege, teilweise sogar zu lebensgefährlicher will, und der GKV-Spitzenverband will das nicht, weil Pfege. Das können Sie auch nicht wollen. es zu viel kostet. (Beifall bei der LINKEN) Ich will drei Dinge nennen, die dort verhandelt wer- Mit Blick auf die Redezeit muss ich ein bisschen den und aus dem Zwischenbericht hervorgehen, die aus schneller machen und abkürzen. Ich wollte eigentlich unserer Sicht überhaupt nicht akzeptabel sind. noch ein paar positive Aspekte nennen. Das Herausneh- Nach den Plänen sollen Untergrenzen nur für sechs men der Pfegepersonalkosten aus den DRGs halten wir Bereiche im Krankenhaus gelten, aber nicht schichtge- für sehr gut, wenn sichergestellt ist, dass diese Mittel in nau, sondern nur im Dreimonatsdurchschnitt nachge- der Pfege ankommen und die Zweckbindung gewähr- (B) wiesen werden. Das heißt, die Pfegebedürftigen dürf- leistet ist. Das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung. (D) ten anhand der durchschnittlichen Zahl der Pfegekräfte Ebenfalls begrüßen wir außerordentlich – um das in aller gepfegt werden. Das geht überhaupt nicht. Das muss Deutlichkeit zu sagen – die vollständige Refnanzierung schichtgenau erfolgen. der Tarifsteigerung im Bereich der Pfegekräfte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neten der SPD) Ein Mix aus zwei Drittel Pfegefachkräften und ein Aus unserer Sicht sind das Schritte hin zu einer Um- Drittel Pfegehilfskräften soll die Untergrenze schon stellung der Finanzierungssystematik in den Kranken- erfüllen können. Auch das geht aus unserer Sicht nicht. häusern, die zumindest in der letzten Zeit so nicht funkti- Dort muss eine entsprechende Fachkraftquote eingehal- oniert hat. Wir werden das wohlwollend begleiten, wobei ten werden. mir noch ein wenig der Glaube fehlt, dass die Umstellung (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gelingt – vor allen Dingen mit Blick auf den neuen Ge- NIS 90/DIE GRÜNEN) sundheitsminister. Erst wenn ein Krankenhaus über drei Jahre hinweg ge- Vielen Dank. gen diese Regel verstößt, soll es überhaupt zu Sanktionen (Beifall bei der LINKEN) kommen. Das geht auch überhaupt nicht.

Dieser Zwischenstand der Verhandlungen zeigt, dass Vizepräsident Thomas Oppermann: dort etwas nicht in Ordnung ist. Nach diesem Zwischen- bericht ist klar: Besser wird es nicht. Es macht sich das Danke sehr. – Nächste Rednerin ist Katja Dörner für Gefühl breit, dass da der Bock zum Gärtner gemacht Bündnis 90/Die Grünen. worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Thomas Oppermann: Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Weinberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage ei- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- nes Kollegen der FDP? be Kollegen! Das Gesundheitsministerium zu leiten, ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Wenn ich mir an- Harald Weinberg (DIE LINKE): schaue, wie und mit welchen Themen sich der neue Mi- Ja. nister in den letzten Wochen in die öfentliche Debatte 2220 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Katja Dörner (A) eingebracht hat, dann habe ich sehr starke Zweifel daran, Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn ich von ei- (C) dass er für diese Aufgabe tatsächlich geeignet ist. nem großen Teil der Menschen spreche, die von uns eine gute Politik erwarten, dann meine ich die Menschen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pfegen und die gepfegt werden. Ich war in den letzten Das meine ich überhaupt nicht fachlich. Ich glaube, nie- Wochen und Monaten auf vielen Veranstaltungen zu dem mand hier im Saal wird bezweifeln, dass Jens Spahn die Thema in Pfegeeinrichtungen und in Ausbildungsinstitu- Rechtsgrundlagen der Gesundheitspolitik gut kennt. Ich tionen. Ganz klar ist: Der Pfegenotstand ist Realität. Wir meine das mit Blick auf seine Haltung gegenüber einem sind mittendrin. großen Teil der Menschen, für deren Gesundheit und für (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther deren gute Pfege wir uns einsetzen sollten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Norbert Blüm hat gestern eine harte Diagnose gestellt: Und jetzt gibt es ein klitzekleines Sofortprogramm. Empathie- und Herzlosigkeit, Am Mittwoch hat die Kanzlerin gesagt – Jens Spahn hat es heute auch noch einmal gesagt –: Das ist ein erster (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Mit Schritt. – Klar, es ist ein erster Schritt. Aber in der dra- Recht!) matischen Situation, in der wir uns tatsächlich befnden, und zwar zu Recht. Ein guter Gesundheitsminister muss erwarten die Menschen echte Verbesserungen statt nur sich in die Menschen hineinversetzen wollen und auch einen ersten kleinen Minischritt. können. Das konnten wir in den letzten Wochen nicht er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kennen. und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir Grüne haben Vorschläge für zwei Sofortpro- sowie bei Abgeordneten der FDP) gramme in der Altenpfege und für die Krankenhäuser gemacht. Das sind Sofortprogramme, die einen tatsäch- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn ich von ei- lichen Efekt hätten. Ich bin auf die parlamentarische nem großen Teil der Menschen spreche, die von uns zu und auch auf die öfentliche Auseinandersetzung dazu Recht erwarten, dass wir eine gute Gesundheitspolitik gespannt. machen, dann meine ich zum Beispiel auch die Frauen. An absurden Aussagen von Herrn Spahn zum § 219a (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) herrscht ja leider kein Mangel. Es würde der Bundesregierung auch sehr gut anste- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Un- hen, unseren Vorschlag aufzugreifen und die Pfege end- glaublich!) lich in den Namen des Ministeriums mit aufzunehmen. (B) Das wäre ein wichtiges Signal hinsichtlich der Bedeu- (D) Aber keine Frau trift eine Entscheidung leichtfertig, tung dieses Themas. wenn es um die Frage eines Schwangerschaftsabbruchs geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Und damit lösen wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN alle Probleme?) sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Das hat auch niemand Ein anderer sehr großer Teil der Menschen, die von gesagt!) uns eine gute Gesundheitspolitik erwarten, sind die ge- setzlich Versicherten, die es leid sind, wochenlang auf ei- Die Pille danach ist kein Smartie, das Frauen einfach nen Termin bei der Fachärztin zu warten, wohl wissend, einwerfen, wie Herr Spahn suggeriert, sondern eine Not- dass mit einer privaten Versicherung schwuppdiwupp fallverhütung, für die es gute Gründe gibt. Ich erwarte ein Termin zu haben wäre. Da hilft nämlich ein Herum- von einem Gesundheitsminister, dass er die Sorgen und doktern an den vermurksten Terminservicestellen nicht. Nöte von Frauen ernst nimmt, statt sich plump auf ihrem Denn es geht – auch das ist schon gesagt worden – um die Rücken zu proflieren. strukturellen Unterschiede der Vergütung von Leistun- gen für Kassen- und Privatpatientinnen und -patienten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der LINKEN und der FDP – Erich Irlstorfer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was zur Sa- Es ist an der Zeit, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, che! Das wäre mal interessant!) sondern tatsächlich die Ursachen zu beseitigen. Deshalb Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fnde es übrigens wird für uns die Bürgerversicherung auch in dieser Le- sehr gut, wenn man sich um schwangere Frauen sorgt. gislaturperiode ein wichtiges Thema sein. Ich fnde es auch sehr gut und wichtig, wenn man sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – um die Geburtshilfe sorgt. Das hat ja auch durchaus et- Tino Sorge [CDU/CSU]: Ich dachte schon, was miteinander zu tun. Zum Thema Geburtshilfe und das kommt heute gar nicht mehr!) Hebammen fnden wir im Koalitionsvertrag einen mi- nimickrigen Satz. Angesichts der schwierigen Situation Minister Spahn hat als eines seiner wichtigsten The- vielerorts ist das eine herbe Enttäuschung. men die Digitalisierung genannt. Natürlich werden wir auch da den Minister an seinen Taten messen. Ein kleiner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rückblick kratzt aber schon sehr am neuen Selbstbild und bei der FDP) als digitaler Macher. Denn zwischen 2009 und 2013 hat Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2221

Katja Dörner (A) Herr Spahn als gesundheitspolitischer Sprecher seiner rüber will ich nun reden, aber nicht, ohne darauf hinzu- (C) Fraktion zugelassen, dass die Digitalisierung im Ge- weisen, was wir in der letzten Legislaturperiode gemacht sundheitswesen komplett ausgebremst wurde. Nützliche haben, wie wir die Pfege gestärkt haben, was wir im Be- Anwendungen wie beispielsweise das elektronische Re- reich der Krankenhausstruktur, bei Hospiz- und Palliativ- zept wurden gestoppt, und noch 2016 wurde die Fernver- versorgung und der Hygiene im Krankenhaus verbessert schreibung verboten. haben. Das haben wir gemeinsam miteinander beschlos- sen. – Gestatten Sie mir an dieser Stelle, dass ich den All das passt überhaupt nicht zur Forderung nach mehr Glückwunsch an den neuen Minister verbinde mit einem Telemedizin. Dank an Hermann Gröhe, seinen Vorgänger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Abschließend. Minister Spahn hat 2016 etwas sehr ordneten der SPD) Kluges gesagt, und zwar zum Umgang mit der AfD: Das Thema ländlicher Raum ist in der Tat ein kompli- Populismus ist da wie eine Droge. Die Dosis muss ziertes Thema. Wir sehen hier viele Verwerfungen, die immer höher werden, die Forderungen immer abge- sich nicht so einfach aufösen lassen. Wir haben viele drehter, damit es noch wirkt. Das kann nicht unser Ansätze: verbesserte Kooperation der Akteure, Aufwer- Weg sein. tung nichtärztlicher Gesundheitsberufe, Telemedizin und Beherzigen Sie das! Es ist nicht unsere Aufgabe, täglich fnanzielle Anreize. All diese Themen sind wichtig. Aber um Schlagzeilen zu buhlen, sondern tatsächlich den All- entscheidend wird am Schluss sein, Ärztinnen und Ärzte tag der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Wir sind zu motivieren, sich im ländlichen Bereich niederzulas- dafür bereit. sen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Geld!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE Das geht nur, wenn wir für Flexibilität sorgen, wenn das LINKE]) Niederlassen im ländlichen Bereich keine unumkehrbare Lebensentscheidung ist, wenn die Ärzte auch die Chan- ce haben, sich einmal vor Ort umzuschauen und darü- Vizepräsident Thomas Oppermann: ber nachzudenken, ob es Sinn macht, sich im ländlichen Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein Raum niederzulassen. Das derzeitige Zulassungssystem für die CDU/CSU. stellt an dieser Stelle ein Hemmnis dar. Die Bedarfspla- nung in ihrer Abstraktheit und Weite ist eher ein Nach- (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) teil. Ich habe zu denjenigen gehört, die in den Koalitions- verhandlungen festgelegt haben, dass das zu reformieren Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): ist. In Zukunft wird es keine Zulassungssperren für Ärz- Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe tinnen und Ärzte mehr geben, die sich in ländlichen oder Frau Dörner, ich habe gedacht, dass man von der morali- strukturschwachen Bereichen niederlassen wollen. schen Palme aus einen besseren Überblick hat. Aber ich kann das bei Ihnen nicht konstatieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist entscheidend, dass sich die Ärzte frei niederlas- NEN]: Sprechen Sie zur Sache, Herr Nüßlein!) sen können. Es gibt Gott sei Dank viele ältere Ärzte, die Sie haben über Sorgen und Nöte theoretisch gesprochen. weiterhin praktizieren, dennoch altersbedingt ihren Pati- Sie haben dann Dinge ausgeführt, die nach meiner Ein- entendurchlauf reduzieren. Wenn diese Ärzte dann nicht schätzung die Menschen in unserem Land nicht umtrei- mehr praktizieren können, soll plötzlich wie Deus ex ben. Machina ein junger, frischer Arzt bereitstehen, der sich vorher nicht hat niederlassen dürfen? (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Doch!) In meinem Wahlkreis wurde zwei jungen Fachärztin- Ich glaube nicht, dass die Menschen auf mehr Werbung nen eine zusätzliche Zulassung versagt mit dem Hinweis, für Abtreibungen warten und auf theoretische Debatten dass es 30 Kilometer weiter einen Arzt gleicher Fachrich- über eine Bürgerversicherung hofen. tung gibt, dessen Wartezimmer noch relativ leer ist. Die (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Es geht Patienten werden doch wohl selber entscheiden, zu wel- nicht um Werbung! Es geht um Frauen!) chem Arzt sie gehen wollen. Wir werden jedenfalls alles tun, um von dieser Planwirtschaft wegzukommen, hin Die Menschen erwarten vielmehr konkrete Gesund- zur Niederlassungsfreiheit gerade im ländlichen Bereich. heitspolitik zum Beispiel zur Versorgung des ländlichen Ich halte das für ganz entscheidend. Raums oder zur Pfege. (Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie wie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) zur Sache!) Nachdem die Kollegin von der FDP das Thema Apo- Der Minister hat vorhin unser Konzept vorgestellt. theken vorhin so leidenschaftlich angesprochen hat, Hätten Sie zugehört, hätten Sie es mitbekommen. Da- will ich Ihnen auch sagen: Mit Verlaub, wenn Sie sich 2222 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Dr. Georg Nüßlein (A) anschauen, was der Onlinehandel mit dem Einzelhandel Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) gemacht hat, und wenn Sie daraus Ihre Schlüsse ziehen, Nächster Redner ist für die AfD Dr. Robby Schlund. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wir (Beifall bei der AfD) reden von 1 Prozent!)

dann werden Sie zu dem Ergebnis kommen, dass wir, Dr. Robby Schlund (AfD): wenn wir an dieser Stelle nicht eingreifen, irgendwann Werter Herr Präsident! Werter Herr Gesundheitsmi- richtige Schwierigkeiten mit der Apothekenstruktur be- nister! Werte Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Seit kommen werden. 20 Jahren erleben wir in Deutschland eine Discountvari- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ante der Gesundheitspolitik. Statt eines grandiosen Wurfs hören wir wieder nur Worthülsen: „Wir wollen ...“, „Wir Wenn Ihnen das nicht gefällt, sage ich Ihnen an dieser werden ...“, „Wir haben vor ...“ Nein, Herr Gesundheits- Stelle auch noch einmal ganz klar: Sie haben die Chance minister, die Menschen erwarten jetzt Lösungen und gehabt, in einer Regierung mitzugestalten. Diese Chance Hilfe. Als Arzt kenne ich die riesigen Probleme und die haben Sie des Efekts wegen einfach so beiseitegescho- realen Sorgen der Menschen vor Ort, die sehr aufmerk- ben. Der Nachteil, dass Sie jetzt in der Opposition sind, sam Ihre zukünftige Politik verfolgen werden. Wir, die ist, dass Sie an dieser Stelle nur schimpfen können. Alternative für Deutschland, werden unsere Bürger dabei zuverlässig begleiten. (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wir können mehr (Beifall bei der AfD) als schimpfen!) Deshalb fordern wir von Ihnen, sofort dafür zu sorgen, dass das Gesundheitssystem in allen Bereichen einen Pa- Was nun das Thema Pfege angeht, so glaube ich, dass radigmenwechsel erfährt. Wir müssen im Bereich der das, was Karl Lauterbach vorhin angesprochen hat, von Kranken- und Pfegeversicherung weg von der Bedarfs- zentraler Bedeutung ist. Es geht nicht nur einfach mal so steuerung. um 8 000 Stellen und deren Bezahlung, sondern wir wol- len hier strukturell maßgeblich etwas ändern. Wir wol- (Karin Maag [CDU/CSU]: Ach! – Harald len klarstellen: Pfege ist durchfnanziert, beispielsweise Weinberg [DIE LINKE]: Hä?) über die Vollfnanzierung der Tarifsteigerungen, dadurch, dass wir dafür Sorge tragen, dass insgesamt Tariföhne Reden Sie nicht nur über die Entbürokratisierung, son- (B) gezahlt werden, aber auch über die besagte Reform des dern setzen Sie sich bitte auch konsequent dafür ein. (D) DRG-Systems. Setzen Sie sich sofort dafür ein, dass Hochschulen, Wis- senschaft und Forschung staatliche Finanzierungen für Da haben wir uns sehr präzise festgelegt. Wir werden Infrastrukturprojekte im Gesundheits- und Präventions- den krankenhausindividuellen Finanzierungsbedarf für sektor bekommen. Oder wollen Sie wirklich den For- die Pfege aus den DRGs herausrechnen. Wenn Sie sich schungsstandort Deutschland komplett den Amerikanern die Zahlen anschauen, dann werden Sie merken, dass die und den eurasischen Playern überlassen? Zahl der Krankenhausfälle in den letzten Jahren ange- stiegen ist, dass aber die Zahl der Pfegekräfte gleich- (Beifall bei der AfD) geblieben ist. Es geht eben nicht nur um die Bezahlung, sondern es geht auch um die Arbeitsbedingungen, die Wir fordern, dass die Patienten mehr Mitspracherech- von den Pfegerinnen und Pfegern momentan zu Recht te bekommen, wenn es um die Verwendung ihrer Versi- beklagt werden. chertenbeiträge geht; denn sie sind mündig genug, mit- zuentscheiden. Deshalb werden wir an dieser Stelle etwas ganz Maß- gebliches ändern – das ist im Duktus dessen, was wir Wir fordern eine Entlastung der Patienten und Bewoh- in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben –: ner von Pfegeheimen sowie die absolute Gleichstellung Da haben wir bereits einen Pfegepersonalzuschlag ein- der Pfegearten. Einzelne Trägerformen dürfen nicht wei- geführt und von 500 Millionen Euro auf 830 Millionen ter bevorzugt werden. Euro jährlich angehoben. Diese Mittel werden auf die je- Die AfD fordert weiterhin kategorisch, das Sofortpro- weiligen Krankenhäuser zur Finanzierung der Pfegekos- gramm für die Pfege tatsächlich noch vor der Sommer- ten verteilt. Das trägt dazu bei, dass die Krankenhäuser pause umzusetzen, meine Damen und Herren. keinen Druck haben, gerade in der Pfege Geld zu sparen. Pfege muss uns etwas wert sein. Pfege muss durchf- (Beifall bei der AfD) nanziert sein. Es macht Sinn, das genau auf dem Wege zu tun, wie wir es in diesem Koalitionsvertrag präzise Herr Spahn, Sie reden über Pfegekammern nach Vor- vereinbart haben. Ein Pfegepaket muss diesen Punkt in bild von Ärzte- und Anwaltskammern. Das ist nicht das genau diesem Umfang berücksichtigen. vordringliche Problem. Heben Sie stattdessen die Bezah- lung der Pfegekräfte tatsächlich an, und verbessern Sie Vielen Dank. vor allem die sozialen Rahmenbedingungen! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2223

Dr. Robby Schlund (A) Weiterhin fordern wir die schrittweise Abschafung Den Pfegebedürftigen in Deutschland, ihren Famili- (C) des kostenintensiven und inefzienten DRG-Kranken- en und ihren Angehörigen, aber auch den professionel- hausabrechnungssystems. len Pfegekräften möchte ich an dieser Stelle sagen: Ihre Botschaft ist angekommen. Ja, wir haben verstanden. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Wir werden dafür Sorge tragen, dass es weitere spürbare Das war von Anfang an ein totgeborenes Kind, Herr Verbesserungen im Bereich der Pfege gibt. Das ist die Lauterbach. wichtige Aufgabe, der wir uns in den nächsten Jahren widmen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Last, but not least muss die Budgetierung bei den Ärz- wie bei Abgeordneten der LINKEN) ten sofort aufgehoben werden. Dies forderte übrigens eindeutig auch Herr Dr. Gassen von der Bundes-KV Unverzichtbar sind hierfür natürlich qualifzierte, mo- tivierte und zufriedene Pfegerinnen und Pfeger – und (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ach so?) das in ausreichender Zahl. Wir werden deshalb in einer vorgestern in der Sitzung des Gesundheitsausschusses, „Konzertierten Aktion Pfege“ die Arbeits- und Rahmen- übrigens auf Anfrage der AfD, meine Damen und Herren. bedingungen der professionellen Pfege im stationären und ambulanten Bereich verbessern. Wir werden mit den (Beifall bei der AfD – Christine Aschen- Gewerkschaften und den Arbeitgebern fächendeckende berg-Dugnus [FDP]: Grimms Märchen!) Tarifverträge in der Altenpfege umsetzen und damit für eine bessere Bezahlung sorgen. Ein positives Signal an die täglich am Limit arbeitenden KV-Ärzte wäre es jetzt, von ihnen nicht noch fünf Stun- Mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen, das den zusätzlich zu fordern, sondern alle Rückforderungen bedeutet für uns unter anderem: Personalstandards in der bei Überschreitung der Budgetierung zu beenden. Alten- und Krankenpfege sowie eine Ausbildungs- und Weiterqualifzierungsofensive. Ich bin dankbar, dass die Herr Spahn, Sie sagten der „Bild“-Zeitung, dass Sie Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, die vom Famili- die Prävention weiter ausbauen und mit Ärzten darüber enministerium und Gesundheitsministerium gemeinsam reden wollen. Kein Problem. Dann tun Sie das bitte auch! erarbeitet worden ist, jetzt endlich auf den Weg gebracht Sie haben in der AfD motivierte Ansprechpartner, die das worden ist, sodass wir da zu Potte kommen. deutsche Gesundheitssystem aus erster Hand kennen. Wir, die Alternative für Deutschland, stehen für ein ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rechtes, präventionsorientiertes Gesundheitssystem, für der CDU/CSU) Wissenschaft und Forschung am Standort Deutschland (B) Es geht aber auch um Anreize für die Rückkehr von Teil- (D) und für die Patienten und Leistungserbringer im Gesund- zeit in Vollzeit und eine gute betriebliche Gesundheits- heitswesen. vorsorge für die Beschäftigten. Vielen Dank, meine Damen und Herren. Kolleginnen und Kollegen, zur Wertschätzung gehört (Beifall bei der AfD – Tino Sorge [CDU/ auch, dass wir den Pfegeprofs die Verantwortung geben, CSU]: Die Rede ist gut für die „heute-show“! die sie aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Berufserfah- Nicht schlecht! – Weitere Zurufe) rung übernehmen können. Ziel muss die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Ärzteschaft und Pfege sein. Vizepräsident Thomas Oppermann: Das sind Riesenherausforderungen, und es bedarf der Als Nächstes spricht für die SPD die Kollegin Sabine Kräfte aller; denn es geht letztendlich um nichts anderes Dittmar. als um die Zukunft der Pfege in unserem Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir klar und deutlich der CDU/CSU) sagen: Verbesserungen kosten Geld. Sie können sich aber darauf verlassen, dass die SPD für eine gerechte Finan- zierung sorgen wird. Wir werden es nicht zulassen, dass Sabine Dittmar (SPD): die Pfegebedürftigen oder ihre Familien alleingelassen Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr werden und sie die bessere Pfege aus der eigenen Tasche Schlund, ich wundere mich schon, dass Sie von der Aus- zahlen müssen. sage von Herrn Gassen im Gesundheitsausschuss über- rascht waren. Gerechtigkeit ist für uns ein zentrales Thema. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Arbeitgeber künftig wie- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) der die Hälfte der Zusatzbeiträge bezahlen. Das entlastet Wenn Sie in den letzten Jahren im kassenärztlichen Be- die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die reich gearbeitet hätten, so wie ich, dann wüssten Sie, dass Rentnerinnen und Rentner um rund 6 Milliarden Euro im das schon lange die Forderung der Ärzteschaft ist. Jahr. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Logisch!) Für Existenzgründer und sogenannte kleine Selbst- ständige werden wir Erleichterungen bei den Kranken- Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in dieser versicherungsbeiträgen durchsetzen. An dieser Stelle Legislaturperiode viel vorgenommen. Schwerpunkte muss ich auch sagen: Es ist für mich nicht ganz nachvoll- sind Finanzierung, Versorgung und Pfege. ziehbar, dass die Union ein Wahlrecht für Beamte verhin- 2224 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Sabine Dittmar (A) dert hat. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Beamtin- ein Einwanderungsgesetz, wie es die FDP seit langem (C) nen und Beamten sehr gut selbst entscheiden können, ob fordert. sie gesetzlich oder privat versichert sein wollen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Um mehr Menschen für die Pfege zu gewinnen, müssen Leider haben wir es auch nicht geschaft, den Bei- wir den Beruf attraktiver machen und die Arbeitsbedin- tragssatz auf Betriebsrenten zu halbieren. Aber auch hier gungen grundlegend verbessern. werden wir nicht lockerlassen; denn wir sind überzeugt, dass eine betriebliche Alterssicherung attraktiver gestal- Für uns Freie Demokraten liegt ein Schlüssel dazu in tet werden muss. Ich denke, Herr Minister, Sie werden der Digitalisierung; ich freue mich, dass Sie das auf Ihrer uns dabei auch unterstützen. Es geht hier um ein Stück Agenda haben. Die Digitalisierung hilft, den Menschen Generationengerechtigkeit, und die liegt Ihnen doch sehr wieder in den Mittelpunkt der Pfege zu rücken. 13 Pro- am Herzen. zent der Arbeitszeit verbringt eine Pfegekraft mit Do- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kumentation – wertvolle Zeit, die für die Pfege am Bett der CDU/CSU) fehlt. Beenden wir diese Misstrauenskultur, verschlanken wir die Dokumentation, und stellen wir sie auf digital um. Ein echter Fortschritt wäre es auch, wenn wir in der Drogen- und Suchtpolitik die ideologischen Scheuklap- (Beifall bei der FDP) pen ablegen und uns im Sinne der Betrofenen konstruk- tiv um neue Wege bemühen. Konkrete Verbesserungen im Alltag, von denen Sie gesprochen haben, können auch digitale Angebote sein, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- die Pfegekräfte und pfegende Angehörige entlasten: KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Sensoren, die Stürze melden, oder Pfaster, die die Flüs- NEN sowie der Abg. Nicole Westig [FDP]) sigkeitszufuhr überwachen. Wenn Digitalisierung eine Querschnittsaufgabe sein soll, dann starten Sie, Herr Mi- Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich sehe, meine nister, eine Ofensive für Digitalisierung in der Pfege. Redezeit ist abgelaufen –, ich freue mich, dass wir jetzt Die Unterstützung der FDP ist Ihnen sicher. endlich mit der gesetzgeberischen Arbeit beginnen kön- nen. Die SPD ist ein verlässlicher Partner. Wir werden (Beifall bei der FDP) aber hart mit Ihnen ringen, um den Menschen unabhän- gig von Wohnort und sozialer Situation eine gute und Auf dem Deutschen Pfegetag haben Sie gesagt, die verlässliche Versorgung zu ermöglichen. Debatte um die Pfege in Deutschland ehrlich führen zu (B) wollen. Dazu gehört für uns Freie Demokraten auch, (D) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. dass es keine Rundumversorgung durch den Staat geben (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- kann; denn diese belastet zukünftige Generationen über wie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Gebühr. Ehrlich wäre es, sich von der Vollkaskomentali- tät zu verabschieden. Ehrlich wäre es, zu sagen, dass es ohne Eigenvorsorge nicht funktionieren wird. Unabding- Vizepräsident Thomas Oppermann: bar dafür ist eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. Danke. – Für die FDP spricht die Abgeordnete Nicole Die Sonderabgabe Soli muss endlich komplett entfallen. Westig. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Wir brauchen Generationengerechtigkeit auch in der Nicole Westig (FDP): Pfege. Herr Minister, Sie als Vertreter der jungen Poli- tikergeneration, vergessen Sie bei Ihrer Politik die junge Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mi- Generation nicht! nister! Die Gesundheit steht hier heute am Schluss der Debatte; dabei ist sie doch eigentlich unser höchstes (Beifall der Abg. Christine Aschenberg-­ Gut. Immerhin hat die Kanzlerin das Thema Pfege am Dugnus [FDP]) Mittwoch angesprochen. In einem ersten Schritt sollen 8 000 neue Pfegekräfte eingestellt werden. Wir sind ge- Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum Schluss. spannt, wo die neuen Pfegekräfte herkommen sollen. Als Abgeordnete der Region Bonn/Rhein-Sieg bitte ich Schon jetzt lassen sich ofene Stellen nicht besetzen. Sie, den Gesundheitsstandort Bonn zu stärken. Die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pfegeberufe haben Sie, Herr Minister, gestern vorgelegt. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das wollen alle Wir hofen, dass auch die Finanzierungsverordnung bald Abgeordneten gern, nicht nur die Bonner!) folgt; denn unsere Pfegeschulen brauchen Planungssi- cherheit für ihre wertvolle Arbeit. Setzen Sie sich für eine faire Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin ein, und leisten Sie damit auch einen (Beifall bei der FDP) Beitrag für gesunden Föderalismus in Deutschland! Aber eine Reform der Pfegeausbildung allein wird Vielen Dank. nicht genügen. Um dem Fachkräftemangel gerade auch in der Pfege begegnen zu können, brauchen wir dringend (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2225

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: gen – ich betone: notwendigen – Krankenhäuser auch in (C) Mit Werbeblock für den Wahlkreis. – Nächste Redne- dünn besiedelten Gebieten, wo die Krankenhäuser sich rin ist Karin Maag für die CDU/CSU. eben nicht über hohe Fallzahlen selbst fnanzieren kön- nen, fnanziell absichern. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Karin Maag (CDU/CSU): Patienten wollen aber auch mit den neuesten Me- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! thoden, den neuesten Geräten und nach neuesten wis- Werte Gäste! Politik lebt bekanntlich davon, Menschen senschaftlichen Erkenntnissen behandelt werden. Der zu überzeugen. Deshalb reicht es nicht, nur zu wiederho- Schlaganfallpatient muss in ein Krankenhaus mit Stroke len, dass wir ein gutes Gesundheitssystem haben, sondern Unit eingeliefert werden. Der Darmkrebspatient hat deut- wir müssen dort, wo Verbesserungsbedarf besteht, unser lich höhere Überlebenschancen, wenn er in einem Zen- System auch im Sinne der Patienten weiterentwickeln. trum behandelt wird. Deshalb werden wir die Zentrums- bildung noch stärker vorantreiben. Aber auch dort haben Dabei möchte ich mit dem Zugang zur ambulanten wir schon einiges geregelt. Leider werden 180 Millionen Versorgung beginnen. Wenn ein niedergelassener Arzt Euro – die Zentrumszuschläge, die die Krankenkassen den privat versicherten Patienten schneller drannimmt, zur Verfügung stellen – derzeit schlicht nicht abgerufen, dann wird das zu Recht als Ärgernis empfunden. Aber weil sich die Selbstverwaltung streitet, was ein Zentrum Politik war da nicht etwa untätig. Wir haben der Selbst- ist. verwaltung bereits einiges an Möglichkeiten an die Hand gegeben; die Umsetzung erfolgt leider eher schleppend. Wir sorgen nun dafür, dass Kommunen auch dann ein Seit Juli 2015 gibt es die gesetzliche Verpfichtung zur gutes ärztliches Angebot am Standort vorhalten können, Einrichtung von Terminservicestellen. Innerhalb von wenn ihr kleines örtliches Krankenhaus – weil es nicht vier Wochen können Patienten dort einen Facharzttermin mehr in die moderne Versorgungskette passt, weil es erhalten. Diese Terminservicestellen müssen vor allem nicht mehr notwendig ist – schließt. Auch dafür werden bekannter und besser werden. Das gelingt mit einer ein- wir weiterhin fnanzielle Mittel zur Verfügung stellen. heitlichen Telefonnummer und längeren Ansprechzeiten. Meine Damen und Herren, zur guten Versorgung ge- Neu ist, dass man dort nicht nur Facharzttermine in- hört untrennbar die Apotheke vor Ort. nerhalb dieser vier Wochen bekommen kann, sondern (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- künftig auch Hausarzttermine und Kinderarzttermine. ordneten der SPD und der FDP) Bereits seit 2011, Herr Schlund, ist geregelt, dass der Da gibt es Beratung, Wochenenddienst, Nachtdienst (B) Erstkontakt beim Haus- und beim Facharzt besser vergü- (D) tet werden soll, um Anreize zu setzen, damit Haus- und und Notdienst. Nach einem Urteil des Europäischen Ge- Fachärzte auch neue Patienten aufnehmen. richtshofes dürfen aber ausländische Versandapotheken ihre Abgabepreise für verschreibungspfichtige Medi- ( [SPD]: Das kann er nicht kamente frei festlegen und Boni gewähren, während für wissen, weil er eine Privatpraxis hat!) die deutsche Präsenzapotheke weiterhin die Arzneimit- Leider hat meines Wissens überhaupt nur die Kassenärzt- telpreisverordnung gilt und Rabatte verboten sind. Wir liche Vereinigung Sachsen diese Regelung umgesetzt. werden mit einem Versandhandelsverbot bezüglich ver- schreibungspfichtiger Medikamente die Gleichbehand- Neu ist zum Beispiel auch – der Kollege hat es er- lung wiederherstellen, damit das Überleben der Apothe- wähnt –, dass wir mit einer besseren Vergütung für die ken vor Ort gesichert wird. sprechende Medizin und mit regionalen Zuschlägen für Ärzte dafür sorgen wollen, dass diese weiterhin auch in (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. wirtschaftlich schwachen Regionen oder ländlichen Räu- Harald Weinberg [DIE LINKE] – Christine men praktizieren. Ich hofe, das wird diesmal umgesetzt. Aschenberg-Dugnus [FDP]: Falsche Maßnah- me!) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, nicht nur, aber besonders Beim Thema „Zugang zur Versorgung“ reden wir in ältere und kranke Menschen haben ein Recht auf ein der Union übrigens auch mit den privat versicherten Pa- Leben in Würde. Deswegen – es wurde heute mehrfach tienten über den Reformstau in der PKV, über sprunghaf- erwähnt – haben wir viel für die von Pfege Betrofenen te Beitragssteigerungen, über Probleme durch steigende und für ihre Familien getan. Selbstverständlich haben Beiträge im Alter und über Überversorgung. Lieber Herr wir die Menschen, die in der Pfege arbeiten, nicht ver- Lauterbach, wir sollten es uns dabei gemeinsam nicht gessen. Deswegen werden wir die Ausbildungs- und Ar- leisten, die Sorgen von rund 10 Prozent der Bevölkerung beitsbedingungen deutlich verbessern und für eine tarif- schlicht zu ignorieren. vertragliche Durchdringung sorgen. Auch hier waren wir nicht untätig. Zum Beispiel sollten rund 18 von jährlich (Beifall bei der CDU/CSU – Gabriela Heinrich insgesamt 75 Milliarden Euro GKV-Ausgaben für Kran- [SPD]: Bürgerversicherung einführen!) kenhäuser über den Pfegeanteil bei den Fallpauschalen Kommen wir zur stationären Versorgung. Viele Men- eigentlich bereits heute bei der Pfege ankommen. Hin- schen treibt die Sorge um, dass insbesondere in den zu kommt eine knappe Milliarde Euro aus dem Pfege- ländlichen Räumen das kleine örtliche Krankenhaus stellen-Förderprogramm. Hinsichtlich der Frage, ob das verschwindet. Wir werden die Existenz dieser notwendi- auch so geschieht, haben wir große Zweifel. Genau des- 2226 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

Karin Maag (A) wegen brauchen wir Transparenz. Wir möchten endlich bewegt. Wir haben den Reformstau aufgelöst. Seit 2017 (C) sicher sein, dass das Geld dort ankommt und dass wir mit haben wir allein für die Altenpfege 8 Milliarden Euro diesem Geld keine Aufzüge, Fenster und Dächer in den mehr ausgegeben. Wir haben die fächendeckende me- Krankenhäusern fnanzieren. dizinische Versorgung und die Verbesserung der Versor- gungsqualität in den Krankenhäusern zu unserem Thema (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, ordneten der SPD) vieles von dem hat eine sozialdemokratische Handschrift Das ist ein Grund, warum wir die Pfege auch künftig getragen und die Versorgung eindeutig verbessert. gesondert fnanzieren wollen. (Beifall bei der SPD) Mir ist ein zweiter Gedanke wichtig. Ärzte und Pfe- gekräfte behandeln gemeinsam. Mit der neuen Pfege- Wir müssen und werden vieles weiterentwickeln, auch pauschale wird die Pfege endlich auch ein Teil der Wert- unsere Themen. Gerade im Krankenhausbereich wird schöpfungskette im Krankenhaus und nicht mehr nur vieles natürlich erst später Erfolge zeitigen. Die Pfe- als – ich sage es einmal so – Kostenfaktor bezeichnet. ge ist, glaube ich, dafür ein gutes Beispiel. Wenn man mit den Leuten vor Ort redet, dann erfährt man, was die Ein letzter Gedanke. In der Medizin haben Daten einen Verbesserungen bei der Tagespfege oder der Verhinde- hohen Stellenwert. Sie tragen dazu bei, dass neue Medi- rungspfege bewirkt haben. Jetzt können auch Leistun- kamente, Diagnostika und Medizinprodukte erfolgreich gen kombiniert werden. Vor allen Dingen haben wir ein entwickelt und operative Verfahren verbessert werden. Sofortprogramm für die Pfege aufgelegt. Das bedeutet, Die Forschung an Krebs wird heutzutage unmittelbar in dass wir das Personal besser bezahlen. Das bedeutet aber Behandlungsstrategien überführt. Ein Großteil der Daten auch, dass wir mehr Personal in der Krankenpfege und kann allerdings, zum Beispiel aufgrund der Barrieren in in der Altenpfege bekommen. Das ist ein eindeutiger der Datenübermittlung zwischen den unterschiedlichen Fortschritt für die Menschen vor Ort, meine sehr verehr- Leistungserbringern, nicht abgerufen werden. Digitali- ten Damen und Herren. sierung ist deshalb kein Selbstzweck, sondern ein Pro- zess und ein Mittel, um die Versorgung zu verbessern. (Beifall bei der SPD) Jede Behandlung bringt neue Erkenntnisse zutage. Die Krankenhäuser wurden schon angesprochen. Wir Wir wollen eine verbesserte Vernetzung, zum Beispiel werden die Pfegekosten aus den DRGs heraustrennen. den einheitlichen Behandlungsweg von der Universi- Ich glaube, damit werden wir auch erreichen, dass besse- tätsmedizin bis hin zur ambulanten Schwerpunktpraxis. re Pfege konkret ankommt. Wir werden Tarifsteigerun- Genau deswegen brauchen wir eine elektronische Pa- gen refnanzieren und in allen bettenführenden Abteilun- (B) (D) tientenakte. Einzelne Krankenkassen entwickeln eine gen Personaluntergrenzen einführen. Auch das wird sich, solche Patientenakte bereits. Gut so! Wir werden das glaube ich, positiv auswirken. Rad nicht zurückdrehen, sondern darauf achten, dass die Schnittstellen zusammenpassen und die Interoperabilität Eines ist aber auch klar: Wir können in keinen Wett- gewährleistet ist. Es gibt also viel zu tun, insbesondere bewerb eintreten, wer die meisten Stellen fordert. Die für die Selbstverwaltung, die ich noch einmal herzlich Fraktionsvorsitzende der Grünen hat ja beispielsweise einlade. dem „MOMA“ gesagt: Wir fordern 25 000 Stellen. – Es Ich freue mich auf die gute Zusammenarbeit in den sind aber nur 8 000 Stellen geplant. Es geht nicht darum, nächsten vier Jahren. in einen Wettbewerb einzutreten. Es geht darum, die Pfe- gestellen auch tatsächlich zu besetzen. Das müssen wir Danke. machen. Wir müssen Pfege attraktiver machen. Das wird die Aufgabe der Koalition sein, meine sehr verehrten Da- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- men und Herren. ordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Vizepräsident Thomas Oppermann: wie bei Abgeordneten der FDP) Letzter – wirklich allerletzter – Redner in dieser De- batte ist Dr. Edgar Franke für die SPD. Der Minister hat ja schon die ersten Schritte zu einer besseren und attraktiven Pfegeausbildung gemacht. Ich (Beifall bei der SPD) stimme der FDP zu: Wir müssen über eine strukturierte Einwanderung nachdenken, was Pfege anbelangt, um Dr. Edgar Franke (SPD): die Pfegekräfte – wir brauchen 160 000 bis 2030 – auch wirklich zu bekommen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Ich freue mich, dass ihr alle noch hier seid. Am Frei- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sehr tagnachmittag letzter Redner zu sein, ist ja ein besonders richtig!) dankbarer Job. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das Beste kommt Wir brauchen eine fächendeckende medizinische Ver- eben zum Schluss!) sorgung. Auch das war heute schon Thema. Wir haben der Kassenärztlichen Vereinigung Instrumente in die Wir haben in der letzten Legislaturperiode – das Hand gegeben, damit sie etwas tun kann: Ansiedlungs- möchte ich an den Anfang meiner Rede stellen – viel prämien, Zuschläge und vieles andere mehr. Wir werden Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2227

Dr. Edgar Franke (A) die Strukturmittel erhöhen. Die Zulassungssperren – das che – Herr Nüßlein wird mir zustimmen – kleine Kran- (C) ist ja auch in Ihrem Sinne, Frau Aschenberg-Dugnus – kenhäuser brauchen, dass diese unverzichtbar sind. Sie sind deshalb unverzichtbar, weil viele ambulante Ärzte (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja! sich aus der Fläche zurückziehen. Auch die müssen wir Stimmt!) unterstützen. Dazu haben wir ja mit den Ländern ein In- werden wir aufheben. strument entwickelt: die Sicherstellungszuschläge. Diese müssen auch tatsächlich eingesetzt werden, damit wir (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sehr keine Versorgungslücken im ländlichen Bereich bekom- gut!) men. Aber eines ist auch klar: Auch die Kassenärztlichen Ver- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) einigungen müssen ihre Hausaufgaben machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt ei- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nen roten Faden sozialdemokratischer Gesundheitspo- FDP) litik: den Zugang zu einer bestmöglichen Versorgung, Wenn von Sicherstellung die Rede ist, dann darf sich unabhängig vom Wohnort, unabhängig vom Alter, un- das nicht nur auf die eigenen Leute beziehen, sondern abhängig vom Einkommen und unabhängig vom Versi- dann muss sich das auch auf die Versorgung beziehen. chertenstatus. Ich bin sicher, dass der neue schwarze Ge- Auch das muss man den Leuten von der KV immer wie- sundheitsminister Jens Spahn einen roten Faden spinnen der sagen; denn manchmal vergessen die das. – Frau kann. Dittmar lächelt. Sie war lange KV-Ärztin. Sie weiß, wo- (Tino Sorge [CDU/CSU]: Keine roten Zahlen von ich rede. mehr!) Wir müssen auch sehen, dass wir die Unterschiede Damit, dass er heute die Rückkehr zur paritätischen Ver- zwischen strukturschwachen und strukturstarken Gebie- sicherung gelobt hat, hat er ja schon einmal angefangen. ten aufheben. Wenn man diese vergleicht, ist der Begrif der Zweiklassenmedizin richtig. In diesem Sinne werden wir sicherlich interessante Zeiten in dieser Legislaturperiode erleben. Ich denke, Letzter Punkt. Im Krankenhausbereich – das ist für wir werden im Interesse der Patienten die Versorgung in mich persönlich ein ganz wichtiger Punkt – müssen wir Deutschland verbessern. die Versorgungsqualität weiter verbessern. Wir haben in vielen Krankenhäusern noch die Strukturen der 70er- Ich danke Ihnen ganz herzlich. und 80er-Jahre. Wir wissen, dass das besonders für klei- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der ne Krankenhäuser in Ballungszentren gilt. Wir brauchen FDP) (B) mehr Spezialisierung; denn bei planbaren Operationen (D) stimmen die Patienten ja mit den Füßen ab. Sie informie- ren sich und gehen in die Krankenhäuser, die sozusagen Vizepräsident Thomas Opperman: über eine gute Qualifzierung verfügen. In den letzten Vielen Dank. – Wir sind damit, weil mir weitere Wort- zehn Jahren – das wissen Sie alle – sind die Kranken- meldungen nicht vorliegen, am Ende der Aussprache der hausausgaben um 40 Prozent gestiegen. Wir dürfen eines Regierungserklärung der Bundeskanzlerin. Ich schließe nicht machen: Wir dürfen keine Gelder mit der Gießkan- die Aussprache, die Tagesordnung ist erschöpft. ne verteilen, sondern wir müssen gerade im Interesse der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Patienten die Qualitätsverbesserungen zielgerichtet steu- tages auf Mittwoch, den 18. April 2018, 13 Uhr, ein. ern und dafür sorgen, dass wir gute, spezialisierte Kran- kenhäuser haben. Ich wünsche Ihnen schöne Osterfeiertage. Die Sitzung ist geschlossen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin aus Nordhessen. Ich weiß natürlich auch, dass wir in der Flä- (Schluss: 16.05 Uhr)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 2229

(A) Anlagen zum Stenografschen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Altenkamp, Norbert CDU/CSU 23.03.2018 Mihalic, Irene * BÜNDNIS 90/ 23.03.2018 Maria DIE GRÜNEN Biadacz, Marc CDU/CSU 23.03.2018 Müller, Axel CDU/CSU 23.03.2018 Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 23.03.2018 Müntefering, Michelle SPD 23.03.2018 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/ 23.03.2018 Nord, Thomas DIE LINKE 23.03.2018 DIE GRÜNEN Pfeifer, Dr. Joachim CDU/CSU 23.03.2018 Bülow, Marco SPD 23.03.2018 Radomski, Kerstin CDU/CSU 23.03.2018 Bystron, Petr AfD 23.03.2018 Rief, Josef CDU/CSU 23.03.2018 Cotar, Joana AfD 23.03.2018 Riexinger, Bernd DIE LINKE 23.03.2018 Frieser, Michael CDU/CSU 23.03.2018 Rosemann, Dr. Martin SPD 23.03.2018 Gabriel, Sigmar SPD 23.03.2018 Schäfer (Bochum), Axel SPD 23.03.2018 Gerster, Martin SPD 23.03.2018 Schimke, Jana * CDU/CSU 23.03.2018 Grötsch, Uli SPD 23.03.2018 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 23.03.2018 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 23.03.2018 Schön, Nadine CDU/CSU 23.03.2018 (B) (D) Hebner, Martin AfD 23.03.2018 Schulz, Jimmy FDP 23.03.2018 Held, Marcus SPD 23.03.2018 Schulz, Martin SPD 23.03.2018 Herdt, Waldemar AfD 23.03.2018 Sendker, Reinhold CDU/CSU 23.03.2018 Hessel, Katja FDP 23.03.2018 Stafer, Katrin CDU/CSU 23.03.2018 Hirte, Christian CDU/CSU 23.03.2018 Steinke, Kersten DIE LINKE 23.03.2018 Jelpke, Ulla DIE LINKE 23.03.2018 Strack-Zimmermann, FDP 23.03.2018 Dr. Marie-Agnes Kamann, Uwe AfD 23.03.2018 Strasser, Benjamin FDP 23.03.2018 Kessler, Dr. Achim DIE LINKE 23.03.2018 Tackmann, Dr. Kirsten DIE LINKE 23.03.2018 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ 23.03.2018 Vogt, Ute SPD 23.03.2018 DIE GRÜNEN Vries, Kees de CDU/CSU 23.03.2018 Korte, Jan DIE LINKE 23.03.2018 Wadephul, Dr. Johann CDU/CSU 23.03.2018 Kühn (Tübingen), BÜNDNIS 90/ 23.03.2018 David Christian DIE GRÜNEN Weiler, Dr. h. c. Albert CDU/CSU 23.03.2018 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 23.03.2018 Werner, Katrin DIE LINKE 23.03.2018 Launert, Dr. Silke CDU/CSU 23.03.2018 Wiese, Dirk SPD 23.03.2018 Lay, Caren DIE LINKE 23.03.2018 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 23.03.2018 Leutert, Michael DIE LINKE 23.03.2018 Ziegler, Dagmar SPD 23.03.2018 Leyen, Dr. Ursula von CDU/CSU 23.03.2018 der Zimmermann, Pia DIE LINKE 23.03.2018

Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 23.03.2018 * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes 2230 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018

(A) Anlage 2 Drucksache 19/910 Nr. A.96 (C) EuB-BReg 84/2017 Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Drucksache 19/910 Nr. A.97 EU-Dok 398/2017 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 19/910 Nr. A.98 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- Ratsdokument 14865/17 DE onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 19/910 Nr. A.110 Verteidigungsausschuss EP P8_TA-PROV(2017)0351 Drucksache 19/910 Nr. A.95 Drucksache 19/910 Nr. A.112 EuB-BReg 75/2017 EP P8_TA-PROV(2017)0500

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2018 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrift-gesetze.de ISSN 0722-8333