SON 441 Einleitung
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XII Einleitung Der Gesamtausgabenband „Kleinere Bühnenwerke“ enthält umgearbeitet5 und in den Werkausgaben von Florian in vielen alle einem musikdramatischen Genre zuzurechnenden Werke Auflagen bis weit in das 19. Jahrhundert gedruckt.6 Welche Felix Mendelssohn Bartholdys mit Ausnahme der Singspiele Textvorlage dem jungen Mendelssohn konkret zur Verfügung seiner Kinder- und Jugendzeit, des Opernfragmentes Lorelei stand, ist nicht bekannt. Die Werke des Dichters, der vor allem MWV L 7 und der großen Schauspielmusiken der 1840er mit Fabeln und Romanen berühmt geworden war, wurden in Jahre, die für den König Friedrich Wilhelm IV. komponiert der frankophilen Familie Mendelssohn insbesondere zu Beginn wurden.1 Zusätzlich werden Arrangements einzelner Sätze der 1820er Jahre gern gelesen. Die Kinder erhielten Franzö- mitgeteilt. Der Terminus „Bühnenwerke“ ist etwas weiter ge- sisch-Unterricht7 und Fanny Mendelssohn vertonte allein zwi- fasst, da nicht in jedem Falle eine szenische Umsetzung be- schen März und Juni 1820 elf Lieder nach Texten von Florian.8 legt ist beziehungsweise sich die Texte oder die Stücke dazu in Ihr Bruder Felix Mendelssohn komponierte sein erstes Sololied Grenzbereichen zwischen einer konzertanten Aufführung und ebenfalls auf einen Text dieses Dichters,9 bevor er auf Blanche et einer Bühnenaufführung bewegen. Zudem handelt es sich um Vermeille aufmerksam wurde. Ob dies anhand des Textbuches Werke, die in Besetzung, Charakter und Umfang höchst unter- oder aufgrund besagter Komposition von Rigel geschah, bleibt schiedlich sind. Die „Bühne“ für die ersten Werke bildete der offen.10 Salon der Mendelssohns, in dem regelmäßig kleinere Stücke Das kurzweilige Stück ist in dem für das 18. Jahrhundert so szenisch oder halbszenisch aufgeführt wurden: zu Weihnachts- beliebten Schäfer-Milieu angesiedelt und thematisiert die festen, Geburtstagen und zu anderen familiären Anlässen. Der Liebe der beiden Schwestern Blanche und Vermeille, die sich Knabe Felix Mendelssohn wuchs in diese Atmosphäre hinein, nach etlichen Verwirrungen mit ihren Partnern Lubin und erlebte die Festivitäten und war bald bemüht, sich mit eigenen Colin zusammenfinden und diese schlussendlich heiraten.11 Beiträgen daran zu beteiligen. Der vorliegende Band enthält Der elfjährige Mendelssohn beschränkte sich bei der musika- mehrere Fragmente aus der Kinderzeit, einen 1833 gedruckten lischen Umsetzung auf den Anfang des Stückes. Erhalten sind Beitrag für ein Festspiel des Berliner Dichters Gustav Julius, ein vollständiger Satz und der Beginn einer weiteren Szene. vier Schauspielmusiken für die Düsseldorfer Bühne (1833– Mendelssohn fasste den Text der 1. Szene und den Anfang der 1835) und eine Gelegenheitskomposition für das Leipziger 2. Szene zu einem Satz zusammen. Als 1. Szene singt Vermeille, Theater (1839). allein am Spinnrad sitzend, eine Ariette, in der sie ihre Gefühle zu Lubin ausdrückt. Im anschließenden Duett erwidert der hin- zukommende Lubin ihre Liebe. In der 3. Szene tauschen sich MWV M 1 die beiden Schwestern Blanche und Vermeille über ihren Ge- Ein Fragment mit französischem Text mütszustand aus, wobei Blanche gesteht, nicht mehr in Colin, sondern in einen Prinzen verliebt zu sein. Vom Textdichter ist Mendelssohn eröffnete diese Werkgruppe im März 1820 und in dieser Szene eine weitere Ariette, „L’autre jour, au fond du griff dafür den Text einer französischen Comédie pastorale auf. bois“, vorgesehen. Höchstwahrscheinlich war es diese Ariette, Es handelte sich um Blanche et Vermeille des bekannten und er- für die Mendelssohn die ersten Takte notierte. Konzipiert ist folgreichen Dichters Jean-Pierre Claris de Florian (1755–1794). das Musikstück für drei solistische Holzbläser (zwei Oboen, ein Dessen 1780/1781 entstandenes Werk2 hatte seine Premiere Fagott) und Streichinstrumente. Doch nach acht Takten bricht am 5. März 1781 mit der Musik von Henri-Joseph Rigel der Satz noch vor dem Einsatz der Solostimme ab, so dass keine (1741–1799) im Theater der Comédie Italienne in Paris.3 In eindeutige Aussage über die Stimmlage von Blanche und den der Folgezeit wurde Blanche et Vermeille mehrfach aufgeführt,4 angedachten Text getroffen werden kann. 1 Siehe Serie V, Bände 1–10 dieser Ausgabe, sowie Band 12 für das Fragment der Oper Lorelei MWV L 7. 2 Zur Entstehung und frühen Rezeption des Stückes siehe Michel Cointat, Florian 1755–1794, Aspects méconnus de l’auteur de Plaisir d’amour, Paris 2007 (im Folgenden: Cointat, Florian), S. 176–177. 3 Nicole Wild / David Charlton, Théâtre de l’Opéra-Comique Paris, Répertoire 1762–1972, Sprimont 2005, S. 47 und 165. 4 Allein im Jahre 1781 elfmal, siehe Cointat, Florian [Anm. 2], S. 177. 5 Aus der ursprünglich dreiaktigen entstand eine zweiaktige Fassung. 6 Florians Werke, die in immer neuen Auflagen erschienen, fanden auch außerhalb Frankreichs Verbreitung. Von besonderer Bedeutung ist die 1820 von Antoine-Augustin Renouard (1765–1853) herausgegebene sechzehnbändige Gesamtausgabe. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Florian ein größerer Lexikonartikel von Louis Lacour gewidmet, siehe: Nouvelle Biographie générale depuis les temps les plus reculés jusqu’à nos jours, publiée par MM. Firmin Didot frères sous la direction de M. le Dr Hoefer, Vol. 17, Paris 1856, Sp. 952–955. 7 Mendelssohns erster erhaltener Brief vom 18. August 1817 an Karl von Stein (1800–1871) ist in französischer Sprache verfasst. 8 Renate Hellwig-Unruh, Fanny Hensel geb. Mendelssohn Bartholdy. Thematisches Verzeichnis der Kompositionen, Adliswil/Lottstetten 2000, S. 82–90. 9 Pauvre Jeanette, im Übungsbuch bei Zelter MWV Z 1, Nr. 43. 10 Zumindest ist bei Rigel der Grundgestus der betreffenden Szene mit ihrem lyrischen, wiegenden Charakter eindeutig vorgeprägt. Rigel veröffentlichte sein Werk in der zweiaktigen Fassung bei Lauriers in Paris. Ein Exemplar befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv (im Folgenden: D-B), Mus. Mb 32. In diesem Exemplar ist die Widmung „dédiée à Monsieur le Cavalier de Florian“ auf dem Titelblatt entfernt, hier ergänzt nach Angaben aus: David J. Buch, Magic Flutes & Enchanted Forests: The Supernatural in Eighteenth- Century Musical Theater, Chicago 2008, S. 412. 11 Eine ausführlichere Zusammenfassung des Werkinhalts findet sich in:Correspondance littéraire, philosophique et critique, adressée à un souverain d’Alle- magne, depuis 1770 jusqu’en 1782, par le Baron de Grimm et par Diderot, Paris 1812, Bd. 5, S. 274–275. XIII MWV M 2 fortschreitenden Handlung Abraham Mendelssohn noch mit Ein Ausschnitt aus der Familiengeschichte seinem Bruder streitet, ob Spontini ein guter Komponist sei, er- scheint auf der Bühne ein fremder Künstler. Er fragt sich bei ver- Lustspiel in 3 Scenen steht als Titel in kindlicher Handschrift schiedenen Mitarbeitern der Bank bis zu den Geschäfts führern über einem Fragment, das im Sommer 1820 entstand. Die durch und trägt die Bitte vor, ein Konzert geben zu dürfen. Handlung spielt im Bankhaus der Mendelssohn-Familie, die Plötzlich ist der Streit vergessen und die beiden Mendelssohns tragenden Figuren sind Vater und Onkel des Komponisten, sind sich völlig einig in ihrer vehementen Ablehnung: „Schon nämlich Abraham und Joseph Mendelssohn. Da Letzterer am wieder einer von dieser Race, mach, dass Du fort kommst, da- 11. August 1820 seinen 50. Geburtstag feierte, ist es nicht aus- mit ich Dich nicht hasse, fort, fort, fort, fort.“ Der Künstler, geschlossen, dass das runde Jubiläum die Anregung für diesen dem Felix Mendelssohn das Stimmfach des drama tischen So- Kompositionsversuch gab.12 Beide Brüder leiteten seit 1804 ein prans übertrug, antwortet mit einer kurzen, aber fulminanten Bankinstitut, das ihren Namen trug: „J. & A. Mendelssohn“.13 Rache-Arie, die sowohl an Mozarts „Königin der Nacht“ als Der elfjährige Knabe begann das Stück folgerichtig, indem er auch an die großen Arien Spontinischer Opern denken lässt. diese Namenskürzel vertonte: „Ich, J. Mendelsohn“ (Tenor), Der elfjährige Mendelssohn muss eine genaue Vorstellung ge- „Ich, A. Mendelssohn“ (Bass), und gleichzeitig mit verschie- habt haben, wie eine solche Arie zu klingen habe, und traf den denen Schreibweisen des Namens spielerisch umging.14 Wäh- Gestus einer Bravourarie genau, ohne bereits über die hand- rend sich die Brüder bei dienstlichen Belangen völlig einig sind, werkliche Fähigkeit zu verfügen, die vielen Koloraturen me- kommt es bald zu einem Streit über den guten musikalischen trisch exakt in einer Partitur darzustellen. – Die folgende Szene Geschmack. Ausgangspunkt für den Vorwurf, Joseph Mendels- spielt im Inneren des Bankkontors. Die Bank angestellten, die sohn sei unmusikalisch,15 bildete das divergierende Verhältnis einen kleinen Chor bilden, werden durch das rücksichtslose beider zum Komponisten Gaspare Spontini (1774–1851), der Verhalten des Herrn Jordan gestört, der laut vor sich hinträllert 1820 als königlich-preußischer Generalmusikdirektor nach und dann auch noch rauchen möchte: „Ich tu, was ich mag, das Berlin wechselte und dort sogleich mit seinen Opern für Auf- wehret mir keiner“. Ob die Situation durch den hinzutreten- sehen sorgte. Die in Mendelssohns Fragment genannte Olimpie den Mitarbeiter Emden gelöst wird, kann nicht eruiert werden, hatte ihre Premiere am 20. Dezember 1819 in Paris, wo die denn die Szene bricht nach 53 Takten mitten in einer Akkolade Mendelssohn-Brüder das Werk gehört haben müssen, denn erst mit dessen Worten ab: „Stille, stille, hier ist noch Tee, wer will 1821 gelangte es auf den Spielplan der Königlichen Oper.