Opfer des Tatarenjochs oder Besatzungsgewinner? Die Moskauer Großfürsten und die Goldene Horde in der Darstellung der Historiographie

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie (Mag. Phil.)

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Bernard NIKOLLA

am Institut für Geschichte

Begutachter: Ass.-Prof. Mag. Dr. phil. Johannes Gießauf

Graz, 2021

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken wurden als solche kenntlich gemacht. Diese Arbeit wurde in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.

17.05.2021 Datum, Ort Unterschrift

Gendererklärung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...... 7

2 Historischer Abriss der Goldenen Horde ...... 10 2.1 Tschinggis und der Aufstieg des Mongolischen Reiches ...... 10 2.2 Der mongolische Vormarsch nach Europa ...... 12 2.3 Die Goldene Horde unter ...... 16 2.4 Mongolische Überlegenheit ...... 20 2.5 Die Spaltung des Mongolischen Reiches ...... 23 2.6 Aufstieg der Moskauer Fürsten ...... 27 2.7 Wendepunkt einer Entwicklung ...... 29 2.8 Die letzten Atemzüge ...... 32

3 Die ostslawischen Chroniken ...... 35 3.1 Terminologie ...... 35 3.2 Chroniken als Quellen ...... 36 3.3 Ausgewählte Chroniken ...... 37 3.3.1 Nestorchronik ...... 37 3.3.2 Hypatius-Chronik ...... 39 3.3.3 Laurentius-Chronik ...... 40 3.3.4 Radziwill-Chronik ...... 41 3.3.5 Erste Novgoroder Chroniken ...... 42 3.3.6 Moskauer Chronistik ...... 43 3.4 Problemfelder ...... 45

4 Sergei Soloviev ...... 47 4.1 Aufstieg Moskaus in A From Earliest Times ...... 47 4.1.1 Russland im 13. Jahrhundert ...... 47 4.1.2 Moskau wird zum Großfürstentum ...... 48 4.1.3 Sieg über die Goldene Horde ...... 50 4.1.4 Moskau reformiert die Erbfolge ...... 52 4.1.5 Die Horde hört auf zu bestehen...... 54 4.2. Diskussion ...... 55 4.2.1 Einfluss der Horde auf das gesellschaftliche Leben ...... 56 4.2.2 ‚Russen‘ und Tataren ...... 58 4.2.3 Religion und Kirche ...... 60 4.2.4 Fazit ...... 62

5 Donald Ostrowski ...... 65 5.1 Moskau zur Zeit der Goldenen Horde in Ostrowskis Schriften ...... 65 5.1.1 und ...... 65 5.1.2 Duale Administration ...... 67 5.1.3 Erbfolge und territoriale Erweiterung ...... 70 5.2 Diskussion ...... 74 5.2.1 Duale Administration ...... 74 5.2.2 Hof des Khans ...... 75 5.2.3 Bojaren und Kleriker ...... 76 5.2.4 Wirtschaft und Handel ...... 78 5.2.5 Bedeutung der Schlacht am Kulikovo Pole ...... 78 5.2.6 Fazit ...... 79

6 George Vernadsky ...... 81 6.2 Ausgewählte historische Ereignisse in der Zeit der Fremdherrschaft in The and Russia ...... 82 6.2.1 Die ersten Jahrzehnte unter der Goldenen Horde ...... 82 6.2.2 Wiederherstellung der Ordnung im Khanat ...... 84 6.2.3 Moskau und Tver in Konkurrenz ...... 85 6.2.4 Dmitri Donskois Aufstieg ...... 87 6.2.5 Ende des Tatarenjochs ...... 89 6.3 Diskussion ...... 91 6.3.1 Balanceakt ...... 92 6.3.2 Militärwesen ...... 95 6.3.3 Serfdom ...... 97 6.3.4 Ende der Fremdherrschaft, Ostexpansion sowie Selbst- und Fremdbilder ...... 101 6.3.5 Fazit ...... 104

7 Charles J. Halperin ...... 106 7.1 Die Goldene Horde und ihr Einfluss auf die Rus‘ ...... 106 7.1.1 Einfall der Mongolen ...... 106 7.1.2 Aufstieg Moskaus und Sieg gegen die Horde ...... 108 7.1.3 Civil war in Moskau und Ende der Goldenen Horde ...... 110 7.2 Diskussion ...... 112 7.2.1 Mediävisten und die traditionelle Historiographie ...... 112 7.2.2 Wirtschaftlicher Effekt ...... 114 7.2.3 Mongolische Institutionen und Unifikation der nördlichen Rus‘ ...... 116

7.2.4 Fazit ...... 118

8 Conclusio ...... 120

Literaturverzeichnis ...... 128

Onlinequellen ...... 136

Abbildungen ...... 137

Anhang ...... 138

1 Einleitung

Die Mongolen haben die Geschichte Europas signifikant beeinflusst. Das Mongolische Reich expandierte vom Fernen Osten quer durch Asien bis nach Europa und wurde zum gefährlichsten östlichen Nachbarn.1 Während des Mongolensturms drangen die Invasoren über die Rus‘ bis nach Ungarn vor. Einige mongolische Krieger betraten auf ihrer Route sogar österreichischen Boden.2 Die Goldene Horde, oder das Kiptschak-Khanat, wird das mongolische Teilreich, Ulus, in Kasachstan und den westlichen Gebieten bezeichnet, die Tschinggis Khan seinem ältesten Sohn Dschötschi übertrug.3 Sie sollte von allen Teilreichen am längsten die Zeit überdauern und bis zur Annexion des 1441 abgespaltenen Krim-Khanats durch Katharina die Große im Jahr 1783 überleben.4 In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie Historiker, von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, den Einfluss der Goldenen Horde auf die Entstehung des Großfürstentums Moskau und den damit in Verbindung stehenden Aufstieg und die Machtfestigung der Moskauer Großfürsten bewerten. Die Forschung ist bis heute in vielen Punkten uneinig. Soloviev deutet in seinem Hauptwerk Istorija Rossii s drevnejšich vremen den Sieg Dmitri Donskois am Kulikovo Pole 1380 als „the end of barbarian rule over the great Eastern plateau and marked the rise of a European realm there.“ 5 Vernadsky wertet diesen Sieg „[as] a severe blow to the Mongol power but not a mortal one.”6 Ostrowski hinterfragt dagegen gänzlich „the nature of this ‘victory’”7 und Halperin argumentiert, dass “Moscow’s battlefield triumph of 1380 had remarkably little effect on Russia’s status within the ’s hegemony, and the Tatar Yoke was not

1 Vgl. David Morgan: The Mongols. 2. Ausg. Blackwell: Malden, Oxford, Victoria 2007. (= The Peoples of Europe.) S. 1. Im Folgenden zitiert als: Morgan, The Mongols. 2 Vgl. Johannes Giessauf: Herzog Friedrich II. von Österreich und die Mongolengefahr 1241/42. In: Forschungen zur Geschichte des Alpen-Adria-Raumes. Hrsg. von Herwig Ebner, Paul W. Roth und Ingeborg Wiesflecker-Friedhuber. Selbstverlag Karl-Franzens-Universität: Graz 1997. (= Schriftenreihe des Instituts für Geschichte. 9.) S. 188. Im Folgenden zitiert als: Giessauf, Mongolengefahr von 1241/42. 3 Vgl. George Vernadsky: The Mongols and Russia. Yale University: New Haven 1953. (= A History of Russia. 3.), S. S. 138f. Im Folgenden zitiert als: Vernadsky, Mongols and Russia. 4 Vgl. Morgan, The Mongols, S. 128. 5 Sergei M. Soloviev: Russian Society. 1389-1425. Hrsg. und übers. von George S. Pahomow. Academic International: Gulf Breeze 2001. (= History of Russia. 6.) S. 236. Im Folgenden zitiert als: Soloviev, Russian Society. 6 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 263. 7 Donald Ostrowski: Muscovy and the Mongols. Cross-cultural influences on the steppe frontier, 1304-1589. Cambridge University Press: Cambridge 1998, S. 155. Im Folgenden zitiert als: Donald Ostrowski, Muscovy and Mongols.

7 shattered.”8 Dieses besondere Ereignis beweist die Spannweite der Deutungen in der Historiographie. Die zentralen Thesen von S. M. Soloviev, George Vernadsky, Donald Ostrowski und Charles J. Halperin stehen im Mittelpunkt dieser Arbeit. Ostrowski und Halperin sind aktuelle, vielzitierte Forscher. Sergei M. Solovievs A History of Russia From Earliest Times aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist nach wie vor “a monument for contemporary and future historians”.9 Der 1927 in die USA ausgewanderte sowjetische Historiker George Vernadsky verfasste die für seine Zeit wohl „umfassende Gesamtdarstellung des russischen Mittelalters“ in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die eine „eurasische Grundkonzeption“ erkennen lässt.10 Das Kernproblem, das hier behandelt wird, sind die z. T. unterschiedlichen Interpretationen und Ergebnisse in ihren Publikationen. Diese sollen einerseits intern auf Stimmigkeit und Widerspruch analysiert, und andererseits Interpretationen und Sichtweisen diverser weiterer Historiker ‚ausgesetzt‘ werden, die die Thesen entweder stützen oder widerlegen. Das Ziel am Ende ist, dass die relevanten Faktoren für den Aufstieg der Moskauer Großfürsten und der Sicherung ihrer Macht historisch eingeordnet und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können, sodass bewusst tendenziöse Behauptungen aufgedeckt werden, wahrscheinliche Begebenheiten benannt und am Ende ein Schritt in Richtung ‚Wahrheitsfindung‘ getätigt wird. Um einen Gesamtüberblick des Mongolischen Reiches zu geben, wird im ersten Kapitel die Zeit vom Aufstieg Temüdschins zum großen Tschinggis Khan bis zum Tod des letzten Khans des westlichen Ulus skizziert. Dabei sollen wesentliche außereuropäische Spannungen vor und während der Zeit der Goldenen Horde thematisiert werden, die das Verständnis für die Ereignisse in Europa fördern sollen. Im zweiten Kapitel werden wesentliche zeitgenössische ostslawische Quellen vorgestellt, die den Ausgangspunkt der mittelalterlichen Russlandforschung stellen. Anschließend wird auf die Forschungsergebnisse der vier Historiker eingegangen. Dabei werden wir uns vom ‚Ganzen‘ (historischer Querschnitt) zum ‚Wesentlichen‘ (Aussagen, Standpunkte) vorarbeiten: Die Inhalte der Monographien, Buchreihen oder sonstigen wissenschaftlichen Texte sollen reduziert (zusammengefasst), und

8 Vgl. Charles J. Halperin: Russia and the Golden Horde. The Mongol Impact on Medieval Russian History. Indiana University: Bloomington, Indianapolis 1985, S. 25f. Im Folgenden zitiert als: Halperin, Russia and the Golden Horde. 9 Walter K. Hanak im Kapitel Introduction. Vgl. Sergei M. Soloviev: The Origins of Kievan Rus’ to 1054. Hrsg. und übers. von Walter K. Hanak. Academic International: Gulf Breeze 2014. (= History of Russia. 1.) S. xi. 10 Günther Stökl: Russisches Mittelalter und sowjetische Mediaevistik. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 3 (1955), H. 1, S. 4.

8 wesentliche Aussagen (und Begrifflichkeiten) der Historiker herausgefiltert, und durch zusätzliches Material diskutiert und bewertet werden. Mongolen und Tataren werden in dieser Arbeit als Synonyme gebraucht. Zwar wird auf den Unterschied der Begriffe eingegangen werden, der Gebrauch unter den Historikern ist jedoch nicht einheitlich. Soloviev spricht durchwegs von Tataren, Vernadsky von Mongolen.11 Ein weiteres Definitionsproblem ist die ‚nördliche Rus‘, die aus vielen Fürstentümern bestand. Es gibt keinen russischen Staat während der Moskauer Periode. ‘Rus’ umfasst alle Ländereien und Personen, unabhängig ihrer Ethnie, die unter der Herrschaft der russischen Dynastie standen. Die Definition von Rus‘ ist eine politische, ihr Bedeutungsunterschied zu den Begrifflichkeiten ‚Great-Russia‘ oder ‚Russland‘ kontrovers. Halperin formuliert es wie folgt: “One can avoid Great-Russian translations of Rus’ as Russia, Rußland, or ‘la Russie’ only by translating the term at all, but just transliterating it. This is a no-win situation.”12 Es werden im folgenden Kapitel ‚nördliche Rus‘ und ‚Russland‘ synonym gebraucht.

11 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 208f. 12 Charles J. Halperin: Rus', Russia and National Identity. In: Canadian Slavonic Papers 48 (2006), H. 1/2, S. 160.

9 2 Historischer Abriss der Goldenen Horde

2.1 Tschinggis Khan und der Aufstieg des Mongolischen Reiches

Die Urahnen Tschinggis Khans waren ein himmlischer grauer Wolf und eine weiße Hirschkuh, die sich über den Tenggis-See am Onanfluss niederlegten – so der Mythos. Tschinggis Khans Vater war Yesugai aus dem Stamm der Manghol, seine Mutter Ho’elun ujin, eine erbeutete Frau, die Yesugai den Merkitern stahl. Temujin wurde als eines von fünf Kindern gezeugt. Mit neun Jahren fand seine Verlobung mit der ein Jahr älteren Borte aus dem Uniggrat-Stamm statt. Yesugai wurde nach der Verlobung seines Sohnes von Tataren vergiftet. Seine Frau Ho’elun musste ihre Kinder allein großziehen und war als Witwe dem Neid und der Missgunst ihres Umfeldes ausgesetzt. Ihre Söhne waren in ständigem Kampf mit Mitgliedern anderer Klans. Bei vielen Kämpfen ging es um Leben und Tod. Selbst zwischen den Geschwistern kam es zu tödlichen Auseinandersetzungen. Temüdschin hatte aber nicht nur Gegner wie die Teici’uter und Merkiter, sondern auch Verbündete wie To’oril Onghan von den Kereit. Aufgrund besonderen Mutes und eindrucksvoller Kampfleistungen wurde Temujin von den Anführern mehrerer verbündeter Lager am Blauen See, in der Bucht des Berges Gurelgu, zum Khan mit dem Titel Tschinggis Khan (Cinggis han) – dem Oberhaupt der Manghol – erhoben.13 Im 12. Jahrhundert waren die bedeutungsvollsten Steppenvölker die Naimanen, Keraiten, Merkiten, Tataren und die Mongolen. Tschinggis Khan, der dem ursprünglich niedergeordneten mongolischen Klan der Borjigine angehörte, gelang es, diese unterschiedlichen Völker zu einem Verband zu einigen.14 Voraussetzung für die Gründung eines Bündnisses vieler Steppenclans zu einem Reich, war der gemeinsame Glaube an einen Himmelsgott, der auf Erden exakt einen Stellvertreter senden konnte – den Großkhan – der die Führung über Politik und Militär inne hatte.15 Mit der Zeit kamen die Oirats, Oniggirats, Onguts und viele weitere Stämme hinzu, die den Eroberungen Temüdschins unterlagen.16 Innerhalb weniger Jahre gelang es ihm, benachbarte Völker zu unterwerfen und bis 1206 zum Großkhan aufzusteigen, der aber der Jin-Dynastie im Norden Chinas weiterhin Tribut zollen mussten.

13 Vgl. Erich Haenisch: Die Geheime Geschichte der Mongolen. Aus einer mongolischen Niederschrift des Jahres 1240 von der Insel Kode’e im Keluren-Fluß. Übers. und erläutert von Erich Haenisch. Das mongolische Weltreich. Quellen und Forschungen. Hrsg. von Erich Hänisch und Hans Heinrich Schäder. Harrassowitz: Leipzig 1941, S. 1-35. Im Folgenden zitiert als: Haenisch, Geheime Geschichte. 14Vgl. Bayarsaikhan Dashdondog: The Mongols and the Armenians (1220-1335). Brill: Leiden, Boston 2011. (= Brill’s Inner Asian Library. 24.), S. 38. Im Folgenden zitiert als: Dashdondog, Armenians. 15 Vgl. Michal Biran: The Mongol Transformation. From the Steppe to Eurasian Empire. In: Medieval Encounters 10 (2004), H. 1-3, S. 340. Im Folgenden zitiert als: Biran, Transformation. 16Vgl. Dashdondog, Armenians, S. 38.

10 1211 zogen die Steppennomaden mit Jin Herrschern gemeinsam in den Krieg. Weitere Völker wie die Khitan und die Uiguren wurden in das Mongolenbündnis eingegliedert. 17 1216 machte sich gefolgt von einem mächtigen Heer auf den Weg in den Westen zum Reich der Kara Kitai und besiegte dort Küclüg, der in einem instabilen Reich unbeliebt bei seinem Volk war. Damit nahmen die Mongolen einen strategisch günstigen Stützpunkt im Westen Zentralasiens ein und kamen dort mit dem Reich der Choresmier in Kontakt. Zum Reich des Choresm-Schah ´Ala` al-Din Muhammed gehörten der Iran und nahezu der gesamte Westen und Süden Zentralasiens, weshalb er als mächtigster Herrscher der islamischen Gebiete galt. Tschinggis Khan unterbreitete dem Schah ein Friedensangebot, sandte an die 450 muslimische Kaufleute nach Otrar, die jedoch von seinem Statthalter der Spionage bezichtigt, ausgeraubt und hingerichtet wurden. Jedoch gelang die Flucht zum Großkhan. In einem weiteren Versuch, Kontakt mit dem Schah aufzunehmen, wurden die Gesandtschaften erneut ermordet und die Mongolen beleidigt. Daher rief Tschinggis Khan den Krieg gegen den Schah aus.18 1219 erfolgte der Angriff. 1220 wurden Gebiete bis in die Mugansteppe in Aserbaidschan erobert und bis 1225 wurden die Choresmier schließlich bis in den Mittelmeerraum zurückgedrängt;19 Transoxanien und große Gebiete Persiens verwüstet. Die Generäle Jebe und Sübödei folgten dem Choresm-Schah über Nordpersien und den Kaukasus, verwüsten das Georgische Königreich, siegten gegen die kumanischen Nomaden in Polovtsian und Kiptschak und besiegten russische Fürsten an der Kalka 1223, ehe sie sich zurückzogen. Tschinggis Khan war hingegen ins Zentrum zurückgereist, um die Weichen für die Eroberung des nordchinesischen Jin-Reiches zu stellen. Unter Tschinggis Khans Sohn Ögödei sollte dieses Reich gänzlich in das mongolische eingegliedert werden. Die Eroberung des südlichen Reichs der Sung-Dynastie begann unter Ögödei und wurde unter seinem Neffen und späteren Nachfolger Kubilai 1271 zu Ende gebracht, 20 das als Teil des mongolischen Reiches bis 1368 bestehen sollte.21 Bis zu Tschinggis Khans Tod 1227 dehnte sich das mongolische Reich von den sibirischen Wäldern bis zum Hindukush in Zentralasien und vom Gelben Meer bis zum Kaspischen Meer aus.22

17 Vgl. Peter Jackson: The Mongols and Europe. In: The New Cambridge Medieval History. Hrsg. von David Abulafia. Cambridge University Press: Cambridge 1999. (= The New Cambridge Medieval History. 5.) S. 703. Im Folgenden zitiert als: Jackson, Mongols and Europe. 18 Vgl. Beckwith, Christopher I.. Empires of the Silk Road. A History of Central Eurasia from the Bronze Age to the Present. Princeton University Press: Oxford, Princeton 2009, S. 187f. Im Folgenden zitiert als: Beckwith, Silk Road. 19 Vgl. Brinken, Speculum Historiale, S. 119. 20 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 705. 21 Vgl. Dashdondog, Armenians, S. 40. 22 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 703.

11 2.2 Der mongolische Vormarsch nach Europa

Schon seit dem frühen Mittelalter beeinflussten Einfälle asiatischer Stämme das Gleichgewicht in Europa. Der Einfall der nomadischen Hunnen 375 n. Chr. löste in Europa die Völkerwanderung aus. Dabei drangen hunnische Heere wiederholt bis tief in Mitteleuropa ein. Das Reich brach erst mit dem Tod des Hunnenkönigs Attila 454 in sich zusammen. Im darauffolgenden Jahrhundert gelang es den Awaren in der pannonischen Tiefebene etliche Völker in ihren Dienst zu stellen. Erst 796 wurde die awarische Herrschaft, als Folge der Ausdehnung des Fränkischen Reichs unter Karl dem Großen, zerschlagen. Mit den unterschiedlichen Ereignissen im Frühmittelalter kam es in West- und Mitteleuropa schon bald zu einer Konsolidierung der Zuordnung des europäischen Raums. Anders gestaltete sich hier der Osten Europas, der dynamisch und kriegerisch geprägt blieb. Es herrschte ein stetiger Kampf zwischen sesshaften und eindringenden nomadischen Gruppen, die zumeist am byzantinischen Widerstand und dem christianisierten russischen Staatengebilde scheiterten. Auf Awaren drängten Chasaren, es folgten Petschenegen, Oghusen und Kumanen, welche zwar mehrere Gebiete entlang der dortigen Flüsse wie Ural, Wolga oder Dnjepr mit Streusiedlungen überzogen, aber ohne diese tatsächlich einzunehmen. Einzig die Madjaren vermischten sich in größerer Zahl mit örtlichen Slawen in der Donau-Theiß-Ebene und eigneten sich eine sesshafte Lebensweise an.23 Der Einbruch der Mongolen in der südrussischen Kiptschak-Steppe jedoch sollte eine weitreichende Veränderung des kulturellen Lebens im Osten Europas bewirken und die Beziehungen zwischen Ost- und Westeuropa für eine lange Periode nahezu gänzlich abschneiden.24 Den Ausgang für den Überfall auf Europa nahm der bereits erwähnte Krieg der Mongolen mit dem Choresm-Schah Mohammed II in Persien, der zu der damaligen Zeit als größter Feind der Mongolen betrachtet wurde. Dieser Schah erhielt im Krieg Hilfe von den Verbündeten aus der südrussischen Steppe. Nachdem Mohammed II. besiegt worden war, bewegte sich das Reiterheer 1222/23 unter der Führung der Feldherrn Gebe und Sübödäi – vermutlich aus Rache – Richtung Kaukasus, wo ein mongolischer Sturm zunächst über die Alanen und Kumanen fegte.25 Im Jahr 1223 wurde der Westen vorab von der Georgier-Königin

23 Vgl. Bertold Spuler: Die Goldene Horde und Rußlands Schicksal. In Saeculum 6 (1955), S. 398f. Im Folgenden zitiert als: Spuler, Rußlands Schicksal. 24 Vgl. Bertold Spuler: Die Außenpolitik der goldenen Horde. Die Horde als Großmacht in Osteuropa und Vorderasien. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 5 (1940), H. 1/2, S. 1f. Im Folgenden zitiert als: Spuler, Horde als Großmacht. 25 Vgl. J. J. Saunders: The History of the Mongol Conquests. Barnes & Noble: New York 1971, S. 57-59. Im Folgenden zitiert als: Saunders, Mongol Conquests.

12 Rusudan vor den Nomaden aus dem Fernen Osten gewarnt.26 Die Warnung verfehlte ihre Wirkung. Der Einfall kam für die ansässigen Herrscher völlig überraschend, dementsprechend trafen die fremden Reiter auf ein unvorbereitetes Volk. Der Vormarsch sollte weitergehen: Mongolische Gesandte brachten an russische Fürsten den Befehl der Unterwerfung. Diese jedoch hielten wenig davon und brachten die Gesandten kurzerhand um, was zur ersten Kriegshandlung zwischen russischen und mongolischen Kontingenten auf europäischem Boden führte.27 In der Schlacht an der Kalka – im Gebiet der heutigen Ostukraine – wurden die Russen in einem heftigen Kampf im Mai 1223 besiegt. Erst als sie bis Novgorod vordrangen, war der mongolische Kriegshunger gestillt. Trotz der verheerenden Niederlage hielten die Russen die Angriffe für eine einmalige Kriegserscheinung und gingen zur Tagesordnung über, als ob nichts geschehen wäre.28 Tschinggis Khan hatte den im Westen liegenden Teil des mongolischen Reiches seinem ältesten Sohn Dschötschi zugesprochen, der aber 1227 vor Machtantritt starb. 1229 bestieg der dritte Sohn Temüdschins, Ögedei, als Großkhan den Thron. Er bestätigte Dschötschis Sohn Batu als rechtmäßigen Nachfolger Dschötschis.29 Zeitgleich mit der Bestätigung der Reichswürde Ögedeis wurde Sübödäi wieder in den Krieg gegen die Kumanen und Wolga-Bulgaren geschickt.30 1235 wurde zur Hauptstadt des Mongolischen Reiches erhoben.31 Ein Jahr später, bei der Reichsversammlung 1236, fassten die Mongolen das Ziel ins Auge, Europa bis tief in den Westen zu erobern und in ihr Reich einzugliedern. Hierfür wurden Batu eine große Truppenzahl und einige hochrangige Begleiter, wie der spätere Großkhan Möngke, zur Verfügung gestellt. Auf ihrem Eroberungszug in Europa kam es als erstes zur kriegerischen Handlung mit den Wolga-Bulgaren, deren Hauptstadt sie im Herbst 1236 einnahmen und sie zur Flucht nach Russland zwangen.32 Batu folgte den Flüchtenden ins russische Gebiet. In der Stadt Riazan wurden russische Truppen im Dezember 1237 innerhalb von sieben Tage besiegt,33 der Fürst gefangen genommen und hingerichtet. Kolomna und Moskau waren die nächsten beiden Städte, die den Mongolen zum Opfer fielen. Es folgten Märsche Richtung Nordwesten, wo sich Rostov, Tver und andere Städte der mongolischen

26 Vgl. Brinken, Speculum Historiale, S. 118. 27 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 2-5. 28 Vgl. Wolfgang Geier: Rußland und Europa. Skizzen zu einem schwierigen Verhältnis. Harrasowitz: Wiesbaden 1996. (= Studien zur Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund. 20.), S. 53.Im Folgenden zitiert als: Geier, Rußland und Europa. 29 Vgl. Morgan, The Mongols, S. 99. 30 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 6. 31 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 704. 32 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 8. 33 Vgl. Franke, Geschichtschreibung, 69.

13 Gewalt nicht widersetzen konnten und verwüstet wurden.34 Jene Regenten, die sich weigerten in die tatarischen Reihen einzutreten, wurden unweigerlich umgebracht.35 Der gescheiterte Vorstoß der Mongolen bis ans Meer nord-westlich von Russland und eine damit einhergehende gänzliche Abschottung des nördlichen russischen Staatsraumes zum Süden war dem Widerstand der Stadt Torzok zu verdanken. Zwar fiel die Stadt nach zwei Wochen, jedoch machte das zeitgleich eintretende Tauwetter die zugefrorenen Sümpfe für ein weiteres Vordringen der Reiter nach Novgorod unmöglich, weshalb Novgorod von tatarischer Verwüstung und Herrschaft verschont blieb.36 Im Sommer 1238 wurde das gesamte Reich der Kumanen erobert und die Verbindung von Kiptschak zu Karakorum gesichert. Zudem wurde die Stadt Sudak erneut Opfer mongolischer Plünderungszüge. Mit dem Erfolg über die Kumanen stand der Weg Richtung Westen nach Kiev, dem damaligen russischen Zentrum und Residenz des Metropoliten, offen. Der Kiever Fürst Michael Chernigov lehnte 1240 die Forderung des mongolischen Herres unter Möngkes Führung ab, die Stadt kampflos zu übergeben. Weshalb die Mongolen Kiev angriffen, eroberten, und Michael zur Flucht zwangen.37 Nun rückte das Heer in zwei Teilen nach Südwesten vor, wo es 1241 jeweils vernichtende Siege gegen europäische Fürsten verbuchte. Auf der Wahlstatt bei Liegnitz wurde am 9. April zuerst ein deutsch-polnisches Heer unter der Führung des schlesischen Herzogs Heinrich II. geschlagen.38 Nach dem Sieg bei Liegnitz streifte das Heer über Mähren u. a. durch österreichisches Gebiet nach Ungarn, um den zweiten Heeresteil zu unterstützen.39 Am 12. April vernichteten die Mongolen das im Stich gelassene ungarische Heer von König Bela IV. in der Schlacht bei Mohi.40 Die Verhältnisse in Mitteluropa spielten auch hier den Mongolen in die Karten. Das Heilige Römische Reich unter Kaiser Friedrich II. war zu dieser Zeit in einer schweren Krise. Friedrich II., der seinen Herrschaftsschwerpunkt von Deutschland nach Sizilien verlegt hatte, stand mit Papst Gregor IX. auf Kriegsfuß. Die aufstrebenden Territorialherrscher sowie Bischöfe führten zudem unzählige Konflikte untereinander und mit Kaiser Friedrich II. Sowohl der König von Böhmen als auch der König von Ungarn wandten sich mit dem Einfall der Mongolen verzweifelt an den Kaiser. Dieser verfolgte aber strikt seinen

34 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 9. 35 Vgl. Charles J. Halperin: The Tatar Yoke. The Image of the Mongols in Medieval Russia. Korr. Ausg. Slavica: Bloomington, Indiana 2009, S. 35. Im Folgenden zitiert als: Halerpin, Tatar Yoke. 36 Vgl. Giessauf, Mongolengefahr von 1241/42, S. 176. 37 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 10f. 38 Vgl. Heinrich Euler: Die Begegnung Europas mit den Mongolen im Spiegel abendländischer Reiseberichte. In: Saeculum, Band 23 (1972), S. 47. Im Folgenden zitiert als: Euler, Reiseberichte. 39 Vgl. Jackson, Mongols, S. 706. 40 Vgl. Giessauf, Mongolengefahr von 1241/42, S. 183f.

14 Plan, Norditalien ins Heilige Römische Reich einzugliedern, und verwehrte jedwede Hilfe.41 Das zerrüttete Verhältnis zu den anderen benachbarten Herzogen führte dazu, dass Polen, Böhmen und Ungarn dem Mongolensturm schließlich alleine ausgesetzt waren.42 Bela floh nach Kroatien auf eine Insel in der Adria. Mongolische Kontingente zogen nach, verwüsteten das ungarische Reich und drangen bis nach Bosnien vor.43 Unmittelbar nach dem Tod des Großkhans Ögödei im Dezember 1241, beendeten die Mongolen ihre Eroberungszüge in Mitteleuropa und Batu kehrte nach Asien zurück. Groß- und Kleinrussland verblieben im mongolischen Weltreich, die militärisch besiegten Gebiete in Mitteleuropa konnten dagegen weder errungen noch gefestigt werden, auch wenn Polen und Ungarn in den Folgejahrzehnten des Öfteren angegriffen wurden.44 Den abendländischen Gelehrten fiel es von Anfang an schwer, dieses neue Reitervolk einzuordnen oder zu benennen. Die gläubigen mittelalterlichen Europäer waren davon überzeugt, dass die gesamte Schöpfung in der Bibel und den Überlieferungen beschrieben war, daher musste dieses fremde Kriegervolk auch in einer der Schriften erwähnt sein.45 Die wahrgenommene Andersartigkeit der Mongolen und ihre kriegerische Wucht konnten vom betroffenen Mitteleuropa nicht in einer topischen Weise erklärt werden. Ihr Eindringen wurde unter eschatologischem Aspekt gedeutet, sowohl negativ, als das Anbrechen der Apokalypse durch die Endzeitvölker Gog und Magog, wie sie in der Offenbarung des Johannes erwähnt werden, als auch positiv, als das Erscheinen des Endkaisers mit seinen getauften Hilfstruppen.46 Speziell vor dem erstem direkten Kontakt rankten sich Mythen. Jakob von Vitry, Bischof von Akkon, berichtete 1221 in seinem siebten Brief über den Fünften Kreuzzug in zwei Texten über ungeklärte Machtverschiebungen im Osten. Er missinterpretierte die Zeichen der Zeit und meinte in den Kriegshandlungen des mongolischen Heeres den christlichen König David von Indien zu erkennen. Dieser hatte Catay (Nordchina), die Choresmier und selbst die christlichen Georgier, die mit sich mit den Moslems verbündet hatten, besiegt und drang Richtung Bagdad vor. Das mongolische Falkenemblem verwechselte er mit dem christlichen Kreuz. Das Christenheer komme als Helfer der Kreuzfahrer – prophezeite er. Als Gewährsleute dafür

41 Vgl. Manfred Stimmig: Kaiser Friedrich II. und der Abfall der deutschen Fürsten. In Historische Zeitschrift 120 (1919), H. 2, S. 210-225. 42 Vgl. Giessauf, Mongolengefahr von 1241/42, S. 187. 43 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 706. 44 Vgl. Herbert Franke: Europa in der ostasiatischen Geschichtsschreibung des 13. und 14. Jahrhunderts. In: Saeculum 2 (1951), S. 65. Im Folgenden zitiert als: Franke, Geschichtschreibung. 45 Vgl. Felicitas Schmieder: Gogs und Magogs ‚natürliche Milde‘? Die Mongolen als Endzeitvölker im Wandel von Wissen und Wünschen. In: Peoples of the Apocalypse. Eschatological Beliefs and Political Scenarios. Hrsg. von Wolfram Brandes, Felicitas Schmieder und Rebekka. de Gruyter: Berlin und Boston 2016. (Millennium- Studien. 63.), S. 112. 46 Vgl. Felicitas Schmieder: Der mongolische Augenblick in der Weltgeschichte, oder: Als Europa aus der Wiege wuchs. In: Das Mittelalter 10 (2005), H. 2, S. 63. Im Folgenden zitiert als: Schmieder, Augenblick.

15 werden Kaufleute aus dem Orient benannt. Mit dem Fall der Stadt Damiette 1221 wurden die Kreuzfahrer aber schon bald von der Vorstellung der heilsbringenden Mongolen enttäuscht. Ab 1238 werden die Mongolen von vielen europäischen Schreibern in apokalyptischer Weise mit der Funktion der Ankündigung des Weltuntergangs beschrieben.47 Die zeitgenössischen Autoren in Europa und der islamischen Welt48 nannten den unbekannten Feind, der sich aus nomadischen mongolischen und sesshaften türkischen Gruppen gemischt hatte, Tataren. Sie glaubten, das Auftreten des Reitervolkes mit der Unterwelt der griechischen Mythologie Tartaros in Verbindung bringen zu können.49 Reiseberichte von Johannes von Plano Carpini, Wilhelm von Rubruk und weiteren Gesandten nahmen den Europäern aber die Furcht, dass es sich bei dem Reitervolk um die Vorreiter der Apokalypse handelte. Carpini gelangte über Südrussland und Mittelasien zur Residenz des Großkhans Güyük und erlebte dort dessen Thronbesteigung 1246. Rubruk residierte im Auftrag des französischen Königs Ludwig IX 1254 in Karakorum am Hofe Möngkes. Päpste und europäische Herrscher entwickelten als Folge großes Interesse, mit diesem fremden Kriegervolk in Kontakt zu treten, ihre Gunst für die eigenen Absichten zu gewinnen oder sie gar zum Christentum zu bekehren. Mit ihrer Hilfe sollte es möglich sein, den Islam zu besiegen und das Heilige Land für sich zu beanspruchen. Christianisierungsbestrebungen blieben in der Regel erfolglos, jedoch konnten Geistliche in mongolischem Herrschaftsgebiet residieren und dort ungehindert ihrer Berufung nachgehen, wie Johannes von Montecorvino, der Erzbischof von Khanbalik wurde. Die , die aus dem Expansionsbestreben der Mongolenherrscher wuchs, erlaubte einen nahezu freien Reiseverkehr, Güter- und Gedankenaustausch von der Krim bis nach Korea. Dies ermutigte christliche Europäer (Handels-)Verbindungen nach Indien und China zu knüpfen.50

2.3 Die Goldene Horde unter Batu Khan

Das mongolische Reich wurde schon zu Lebzeiten Tschinggis Khans unter seinen Nachkommen in Territorien bzw. , mit dem mongolischen Term ulus, aufgeteilt.51 Für das herrschaftlich nicht geeinte russische Staatengebilde brach mit der Gründung des westlichen mongolischen Teilreichs Ulus Dschötschi unter Tschinggis Khans Enkel Batu eine

47 Vgl. Brinken, Speculum Historiale, S. 119-124. 48 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 704f. 49 Vgl. Anna-Dorothee von den Brinken: Die Mongolen im Weltbild der Lateiner um die Mitte des 13. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung des „Speculum Historiale" des Vincenz von Beauvais OP. In: Archiv für Kulturgeschichte 57 (1975), H. 1, S. 117. Im Folgenden zitiert als: Brinken, Speculum Historiale. 50 Vgl. Euler, Reiseberichte, S. 48-55. 51 Vgl. Fragner, Hochkulturen, S. 43.

16 neue Zeitrechnung an. Dschötschi war der früh gestorbene Vater von Batu. Von den Russen und Lateineuropa wurde das Teilreich Goldene Horde genannt.52 Die Bezeichnung Goldene Horde, die sich bis in unsere Zeit durchsetzte, ist auf die mit vergoldeten Platten belegten Zelte des Khans zurückzuführen und war bei den Russen, ihren Nachbarn und später bei den Türken geläufig, wurde aber von den Nomaden selbst nie gebraucht. Selten findet sich auch die oftmals gleichbedeutende Bezeichnung Blaue Horde. Der unmittelbare Machtbereich der Goldenen Horde erstreckte sich im Raum längs der Wolga bis nach Kazan und Mitte des 14. Jahrhunderts bis an den Dnister. Bis Ende des 14. Jahrhunderts unterlagen die Kursk und Riazan an der Grenze und die Krim und das Gebiet südlich des Flusses Sejm direkter mongolischer Herrschaft.53 Innerhalb der Goldenen Horde gab es das autonome Gebiet der Weißen Horde unter , die sich im heutigen Zentral- und Ostkasachstan ansiedelte. Während Batus Horde den rechten Flügel bildete, bildete Batus älterer Bruder den linken Flügel. Die Orda- Linie starb in Folge der Pestseuche aus, aus den Erben der Weißen Horde entstanden im 15. und 16. Jahrhundert die Khanate der Tyumen in Westsibirien, Uzbeken und Kasachen.54 Durch die Souveränität der Goldenen Horde über die östliche Weiße Horde und den breiten Grenzsaum am Aralsee, gab es östlich der Goldenen Horde kaum feindliche Nachbarn. Das Verhältnis zum verwandten mongolischen Teilreich der Ilkhane bot hier die meisten Spannungen.55 Das südrussische Gebiet, auf dem sich die Horde um Batu niederließ - bereits in früherer Zeit unter den Namen Kiptschak bekannt – war weithin Steppenland und ihr Herrschaftsgebiet in eben diesem Raum von waldigen und vielfach sumpfigen Landschaften geprägt, wodurch die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt war und russische Fürstentümer nur mittelbar regiert werden konnten.56 Als mongolisch kann sich die Goldene Horde nur in einer Herrschaftsperiode im 13. Jahrhundert bezeichnen. Bereits vor dem Eintreffen von Batus Heer war u. a. der Raum an der Wolga, am Don und auf der Krim großteils türkisch-islamisch bewohnt. Die sprachliche Türkisierung mit mundartlicher Ausprägung und die sukzessive Islamisierung waren bereits früh erkennbare Veränderungen innerhalb der Horde. Aus der Symbiose der mongolischen Eroberer mit den islamischen Türken trat der Neustamm der Tataren hervor. Daher wird spätestens mit dem ausgehenden 13. Jahrhundert nicht mehr von Mongolen, sondern von

52 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 138f. Vgl. Spuler, Rußlands Schicksal, S. 400. 53 Vgl. Bertold Spuler: Der mongolische Nomadismus in einer sesshaften Gesellschaft. Die Goldene Horde. In: Bulletin d'études orientales 3 (1978), H. 2, S. 202. Im Folgenden zitiert als: Spuler, mongolische NomadismusSpuler, mongolische Nomadismus. 54 Vgl. Christopher P. Atwood: Encyclopedia of Mongolia and the . Facts on File: Bloomington 2004., S. 41f. 55 Vgl. Spuler, Rußlands Schicksal, S. 402. 56 Vgl. Spuler, der mongolische Nomadismus, S. 202.

17 Tataren gesprochen.57 Der Raum zwischen den Wolgazentren war ganz dünn bis hin zu kaum besiedelt, wodurch auch die Zahl der Mongolen und Türken überschaubar war. Jedoch gab es unzählige andere Siedler wie die Wolga-Bulgaren, Wolga-Finnen und aufgrund des florierenden Handels niedergelassene Slawen, Armenier, Juden, Iraner, Seldschuken, Byzantiner und zahlreiche italienische Kaufleute vor allem aus Genua, die Mitte des 13. Jahrhunderts mehrere Kolonien auf der Krim hatten. Kaffa, das heutige Feodossija im Süden der Krim, konnte sich bis 1475 als Mittelpunkt des Handels zwischen Europa und Asien etablieren.58 Den Mongolen war eine gleichrangige Stellung der besiegten und unterworfenen Völker wichtig, da ihre ‚Gleichstellung‘ erfahrungsgemäß zur Konvergenz politischer Interessen und zu einer höheren Bereitschaft der Zusammenarbeit führte. Mit Ausnahme der ersten Jahre der Eroberung bis in etwa Mitte des 13. Jahrhunderts, hatten die Mongolen die Unterworfenen zwar finanziell ausgebeutet, jedoch standen diese auch unter mongolischem Schutz vor Außenangriffen. Lokale Dynastien wurden belassen und administrative Tätigkeiten zumeist von diesen geführt.59 Batus Fokus lag auf der Konsolidierung der Wirtschaft und des Militärs. Hierzu gehörte eine alternativlose Eingliederung der ansässigen Herrscher, weshalb die Ehrung des Khans als ihr Oberherr einen bedeutenden Stellenwert hatte. Der Fürst von Kiev, Michael von Chernigov, wurde im September 1246 hingerichtet, weil er sich weigerte, der mongolischen Kultur und Religion zu huldigen. Vermutlich galt diese Weigerung als Vorwand, hatte sich Michael doch bereits 1240 den Mongolen widersetzt. Diese, den eroberten Herrschaften aufgezwungene Huldigung empfing Batu freudevoll persönlich – entgegen mongolischer Konventionen, die Beherrschten auf die Reise zum Großkhan nach Karakorum zu schicken. Die Handlungsweise von Batu war ein Indiz der allmählich einsetzenden Autonomie seines Teilreiches gegenüber dem Zentrum im Fernen Osten. Die langsam entstehenden Zerwürfnisse zwischen Teilreich und Zentralgewalt wurden mit der Ernennung Güjüks zum Großkhan offensichtlicher. Güjük rückte mit einem Heer gegen die Goldene Horde vor. Batu reagierte mit einem Marsch nach Mittelasien bis Alaqmaq. Die Eskalation des inneren Konflikts blieb durch den Tod Güjüks im April 1248 jedoch aus. Güjüks Nachfolger wurde mit Möngke ein Vertrauter Batus. Damit konnte der Khan die Botmäßigkeit der Goldenen Horde gegenüber dem Großkhan sicherstellen. Aufgrund der Machtstellung Batus in Kleinasien und im Kauskasus, wandte sich König Hethum I. von Kleinarmenien aus freien Stücken nach Sarai

57 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 25f. Vgl. Spuler, mongolische Nomadismus, S. 203. 58 Vgl. Spuler, Rußlands Schicksal, S. 400. 59 Vgl. Spuler, der mongolische Nomadismus, S. 201.

18 und später nach Karakorum, um auf friedlichem Weg ein Abkommen mit dem mongolischen Reich zu erzielen, das schließlich zustande kam.60 Nach dem Konflikt mit Güjük und der Thronfolge Möngke Khans richtete Batu sein Interesse verstärkt auf Russland. 1252 wurde Großfürst Andre Jaroslavich besiegt und zur Flucht gezwungen. Alexander Nevski erhielt die oberste Fürstenwürde Russlands, der die Treue zum Khan während eines Aufenthaltes am Hofe des Khans in Sarai bewiesen hatte.61 1253 ließ Batu durch den schreibkundigen – dem späteren Khan der Goldene Horde von 1257 bis 1267 – sämtliche Haushalte und Personen der Russen und Osseten zu Steuerzwecken registrierten. Dieser Erlass in Russland fand Aufnahme in die chinesischen Reichsaufzeichnungen Yüan-shi, was bezeugt, dass die Befehlsgebung des Großkhans Möngke 1253 von Karakorum bis Russland reichte.62 Von 1240 an standen die russischen Gebiete unter der Administration der Baskaken.63 Baskaken waren tatarische Statthalter, die zunächst für die Einberufung von benötigten Wehrdienern und Wahrung der öffentlichen Ordnung verantwortlich waren.64 Mit der Zählung der steuerpflichtigen männlichen Bewohner des Landes wurden sie zusätzlich mit der Steuereinhebung in ihren jeweiligen Gebieten beauftragt.65 Ausgenommen von der steuerlichen Regelung waren entsprechend mongolischer Gewohnheiten seit Tschinggis Khan die Funktionsträger der einzelnen Religionen. Für das Herrschaftsgebiet der Goldenen Horde waren somit die orthodoxen Geistlichen samt Bediensteten und Hörigen von der Steuerleistung befreit. Die Absicht war es, das Wohlwollen der Kirchen und der Religionen für sich zu gewinnen und die Herrschaft über neue Gebiete somit früh zu festigen.66 1255 starb Batu, dem es gelungen war, eine solide Grundlage des Reiches zu schaffen und ein Staatswesen in Kiptschak zu installieren. Den Tataren gelang es, ihr Reich selbstständig ohne Zuhilfenahme fremder Regenten aufzubauen. Anders verhielt es sich in den anderen Teilreichen wie dem benachbarten Ilkhanat, wo in der Region des heutigen Irans persische Herrscher in leitenden Stellen gehievt wurden, um mittels Knowhow der Unterworfenen eine stete Konsolidierung ihres expandierenden Reiches zu erreichen.67

60 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 16-20. 61 Vgl. Donald Ostrowski: The Tatar Campaign of 1252 In: Palaeoslavica 17 (2009), H. 2, S. 47. Im Folgenden zitiert als: Ostrowski, Tatar Campaign. 62 Vgl. Franke, Geschichtschreibung, 69. 63 Vgl. Donald Ostrowski: The Mongol Origins of Muscovite Political Institutions. In: Slavic Review 49 (1990), H. 4, S. 527. Im Folgenden zitiert als: Ostrowski, Muscovite. 64 Vgl. Charles J. Halperin: "Know Thy Enemy": Medieval Russian Familiarity with the Mongols of the Golden Horde. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 30 (1982), H. 2, S. 169. Im Folgenden zitiert als: Halperin, Enemy. 65 Vgl. Ostrowski, Muscovite, S. 527. 66 Vgl. Spuler, der mongolische Nomadismus, S. 206. 67 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 21.

19 2.4 Mongolische Überlegenheit

Die Gründe für den rasanten Aufstieg des Mongolischen Reiches, und damit auch für die Erfolge der Goldenen Horde, waren mannigfaltig. Ein erfolgsversprechender Grund war die ausgereifte Kriegsstrategie. Das mongolische Reich bereitete sich monatelang akribisch auf die Angriffe vor und plante jeden einzelnen Zug intensiv.68 Dabei spielten für die Kriegsvorbereitung die Getüsün, die oftmals als Kaufleute und Botschafter vorgeschickten und getarnten Spione, eine relevante Rolle. Demnach waren die Beschuldigungen seitens der Soldaten des Choresm-Schahs 1218, dass es sich bei den gesandten mongolischen Kaufleuten vor den Toren Otrars um Spione aus dem mongolische Reich handle, nicht aus der Luft gegriffen. Kaufleute als Spione hatten die Aufgabe, die Stimmung des Volkes einzufangen, die Mentalität und die militärischen Stärken und Schwächen des Gegners zu eruieren und die mongolischen Herrscher als unbezwingbare aber auch großmütige Kräfte vorzustellen. Für Gesandtschaften war die gebildete und kriegserprobte Schicht geeignet, die meist mehrere Sprachen beherrschte, über diplomatisches Geschick verfügte und militärische Zustände für eigene Kriegsinteressen einordnen konnte. (Jebe und Sübödei begannen als Kundschafter ehe sie als Heerführer aufstiegen.) Allein nach Ungarn wurden 1241 im Vorfeld rund dreißig Gesandte geschickt. Ein wesentlicher Faktor im Krieg war die Strategie des Terrors und die damit einhergehende Einschüchterung des Feindes. Zunächst wurde der Mut des Gegners auf die Probe gestellt, ehe Akte des barbarischen Terrors gepaart mit Überraschungsmomenten und ausgeprägter militärischer Disziplin den Widerstand des Gegners brachen.69 Das mongolische Heer war rigide nach dem Dezimalsystem organisiert, das aus Zehner- bis höchstens Zehntausenderschaften bestand und loyalen Herrschern unterschiedlicher Stammeszugehörigkeit unterstellt war.70 Fremde Herrscher, deren Gebiete ins Reich eingegliedert wurden, waren verpflichtet, ihre Truppen für mongolische Eroberungen abzustellen. Dadurch vermischte sich das mongolische Heer, das nur anfangs ‚mongolisch‘ war.71 Die loyalsten unter ihnen konnten zum Anführer der kaiserlichen Leibgarde aufsteigen. Die innere Verfassung vieler Reiche spielte den Mongolen in die Karten: China war zu der damaligen Zeit wegen Zerwürfnissen zwischen Jin- und Sung-Dynastie gespalten und geschwächt. Zentralasien bestand aus mehreren Khanaten und Hauptstädten. Ebenso war das

68 Vgl. Hansgerd Göckenja: Kundschafter und Späher. Ein Beitrag zur Strategie und Taktik reiternomadischer Kriegsführung. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 53 (2000), H. 3-4, S. 189. Im Folgenden zitiert als: Göckenja, Strategie. 69 Vgl. ebda., S. 190-195. 70 Vgl. Dashdondog, Armenians, S. 41. 71 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 704f.

20 später eroberte russische Gebiet von Uneinigkeit und mangelnder zentraler Kontrolle geprägt. Die Einheit, die das mongolische Reich verkörperte, fehlte allen eroberten Ländereien.72 Ein weiterer Grund für die Reichsgröße war der Spagat zwischen Tradition und Weiterentwicklung. Oft wurden die Mongolen der Goldenen Horde von zeitgenössischen Schreibern wegen ihres Lebens- und Kriegsstils als kulturell primitiv und barbarisch beschrieben, was nicht den Tatsachen entsprach. Seit Beginn der Eroberungen integrierten sie ständig fremde Kulturen und waren ob ihres Nomadentums, an dem sie entsprechend ihrer Traditionen aus freiem Willen festhielten, völlig im Klaren.73 Von den Kitan übernahm Tschinggis Khan administrative Praktiken und Begrifflichkeiten, von den Uiguren das Alphabet.74 Auch in Bezug auf den Nomadismus gab es einen nachweislichen Wandel. Waren Mongolen zu Beginn reine Reiternomaden, begannen sie unter dem Einfluss eingegliederter Kulturen Städte zu gründen und partiell sesshaft zu werden.75 Batu baute seine Hauptstadt Sarai zwischen 1242 und 125476 an der unteren Wolga und regierte vom Schwarzen Meer bis zum nördlichen Kaukasus, hinauf bis Moskau und östlich zur Wolga-Kama Region.77 Die Sommerresidenz hatte der Khan dagegen in Bulgar.78 Damit hielten Batu und die späteren Khane trotz Städtegründungen weiterhin an nomadischen Gepflogenheiten fest. Ibn Battuta beschreibt in seinen Berichten aus dem Jahr 1333 die Wanderung des damaligen Hofes mit einer großen Herdenschar in den warmen Sommerzeiten stromaufwärts und in den kalten Wintermonaten stromabwärts der Wolga. Sowohl traditionelle breite, von Ochsen gezogene Wagen mit aufgeladenen Jurten, reitende Männer und auch Frauen als auch fahrbare Moscheen und Schifffahrten auf Flüssen werden in den Berichten dargestellt.79 Einige Städte – speziell zu Beginn – wurden vermutlich von bulgarischer Technik und Lebensweise beeinflusst, zumal der bulgarische Adel unter tatarischer Herrschaft eine Renaissance erlebte. Den maßgebenden Einfluss des Stadtbildes und der Technik übten aber wohl die muslimischen Städte im Nahen Osten aus, da die meisten Städte der Goldenen Horde deren Typus aufweisen. Die unter dem späteren Khan Tokhta (1291-1313) gegründete Stadt Neu-Sarai verfügte über komplexe Wasserleitungsanlagen und eine Zentralheizung – die in Europa unbekannten sogenannten Kany. Archäologische Funde an der Mündung der Ternovka weisen darauf hin, dass Bewohner

72 Vgl. Dashdondog, Armenians, S. 39-41. 73 Vgl. Halperin, Comparative Perspective, S. 247. 74 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 704. 75 Vgl. Franz Balodis: Neuere Forschungen über die Kultur der Goldenen Horde. In: Zeitschrift für Slavische Philologie, 4 (1927), H. 1/2, S. 9. Im Folgenden zitiert als: Balodis, Forschungen S. 9. 76 Vgl. ebda. 77 Vgl. Beckwith, Silk Road, S. 189. 78 Vgl. Balodis, Forschungen, S. 6. 79 Vgl. Spuler, der mongolische Nomadismus, S. 205.

21 ländlicher Siedlungen teilweise immer noch in Zelten lebten, während der Herrscher in der Hauptstadt Sarai in einem Anwesen residierte, das von Mauern und Häusern umgeben war und über Märkte und zahlreiche Moscheen verfügte.80 Handwerk und Verwaltung ließen sich sehr bald an festen Orten nieder. Die Untertanen der Tartaren, also Ostslawen, Bulgaren, Rumänen, und Kolonien auf der Krim, waren und blieben dagegen unabhängig von den Jahreszeiten sesshaft.81 Die Horde konnte es sich erlauben, von der Steppe aus die russischen Gebiete zu lenken. Sie verfügte über derart ausgereifte Kriegsstrategien und fortgeschrittene Herangehensweisen in der Mobilität, dass sie selbst nach Abzug der Baskaken im 14. Jahrhundert bei Bedarf über die Gebiete hinwegfegte und bei der russischen Bevölkerung das Gefühl ständiger Tartarengefahr zurückblieb.82 Die Wahrung der mongolischen Tradition für die innere Sicherheit schien Tschinggis Khan essenziell zu sein und wurde in den Gesetzessammlungen der Jassa festgehalten. Dieses sollte die Konventionen der Mongolen für immer aufrecht halten, daher Fragen in Bezug auf Staatsführung, militärischer Administration, Gerichtsbarkeit und Teilung von Raubgut beantworten.83 Die traditionell auf Tschinggis Khan zurückgeführte Gesetzessammlung verpflichtete das Reich auch zu Religionstoleranz.84 Die Mongolen hatten einen einheitlichen Himmelsgott namens Tengeri mit einem Vertreter auf Erden – dem Großkhan – und pflegten eine schamanistische Kultpraxis. Aber schon früh etablierten sich andere Glaubensrichtungen innerhalb des Reiches, die geduldet wurden: Der Nestorianismus hatte sich bei den Kereit, den Naimanen und den Önggüden beispielsweise früh verbreitet und hielt über mehrere Jahrhunderte.85 Es ist allerdings ungewiss, ob es überhaupt eine verschriftlichte Form der Jassa zu Zeiten des Tschinggis Khans gab. Zumindest blieb das Original nicht erhalten, und lediglich von Nachfahren überarbeitete und niedergeschriebene Jassa-Gesetzesschriften blieben im Umlauf. Zu Ögödeis ersten Amtshandlungen – im Jahr seiner Thronbesteigung 1229 – gehörte der Überlieferung zufolge die Verkündung des Großen Gesetzbuches des Tschinggis Khan, einer editieren Fassung der ursprünglichen Jassa. Demnach hatte das Gesetz zu Anfangszeiten einen besonderen Stellenwert.86 Mit der späteren Zersplitterung des Reiches und zunehmender zeitlicher Distanz zum Gründer des Reiches verlor die Jassa an Bedeutung.87

80 Vgl. Balodis, Forschungen, S. 7-14. 81 Vgl. Spuler, der mongolische Nomadismus, S. 205. 82 Vgl. Halperin, Comparative Perspective, S. 250. 83 Vgl. Igor de Rachewiltz: Some Reflections on Cinggis Qan's Jasay. In: East Asian History 6 (1993), S. 91. 84 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 704. 85 Vgl. ebda. 86 Vgl. Igor de Rachewiltz, Reflections, S. 92-94. 87 Vgl. ebda., S. 103.

22 Unter den Mongolen sollte der freie Verkehr in Eurasien auf ein ungeahntes Niveau gehoben werden. Die sogenannte Pax Mongolica, der ‚mongolische Friede‘, war ein Resultat der mongolischen Expansion. Zu Tschinggis Khans Zeiten war der Mongolenverbund rund 700.000 Mann groß. Nun mussten aber die zusätzlich eroberten Gebiete administriert werden, und hierfür war die Mobilisation einer Vielzahl von Menschen notwendig – nicht nur aus militärischem sondern auch gesellschaftlichem Aspekt. Es fehlte in den Regionen oftmals an Spezialisten, weshalb Arbeitskräfte importiert wurden. 1221 wurden rund 100.000 Handwerker aus Transoxanien in die Mongolei und China gebracht.88 1330 ist eine russische Leibgarde für den chinesischen Kaiser verzeichnet, die Monate später zu einer eigenen Militärkolonie zusammengefasst wurde.89 Die Mongolen führten ein weitreichendes internationales Handels- und Steuersystem ein. 90 Bereits seit der Antike verband ein komplexes Verkehrsnetz die sesshaften Völker von China und Indien bis ans Schwarze und östliche Mittelmeer, bekannt als Seidenstraße.91 Die mongolische Herrschaft hatte eine Stabilisierung der Machtverhältnisse im innerasiatischen Raum und damit einen sicheren Handelsweg von Europa nach Asien ermöglicht.92 Die Seidenstraße wurde von Händlern und Kaufleuten nun stark frequentiert, Waren gelangen von Europa bis tief in den Fernen Osten und umgekehrt. Reisende und Entdecker, wie Wilhelm von Rubruk oder Marco Polo, erfuhren ein völlig neues Weltbild und Selbstbewusstsein fremder Gruppen und Mächte.93 Der Warenverkehr und Gedankenaustausch zwischen dem Lateineuropa und dem Fernen Osten hielt bis zum Jahr 1368 und fand mit dem Niedergang des Mongolenreiches in Vorderasien und dem Sturz der Yüan-Dynastie durch die chinesische Ming-Dynastie ein jähes Ende.94

2.5 Die Spaltung des Mongolischen Reiches

Die ersten beiden Nachfolger Batus regierten jeweils nur kurz. Sein Sohn Sartak starb bereits nach einem Jahr und über Ulagchi Khans Leben und Ableben gibt es kaum bis keine Informationen. Womöglich fiel er einem Machtkampf mit Berke zum Opfer. Somit kann Berke, Batus von Möngke als Herrscher eingesetzter Bruder, als erster regierender Nachfolger Batus

88 Vgl. Biran, Transformation, S. 348f. 89 Vgl. Franke, Geschichtschreibung, 70. 90 Vgl. Beckwith, Silk Road, S. 201. 91 Vgl. Bert G. Fragner: Hochkulturen und Steppenreiche: Der Kulturraum Zentralasien. In: Osteuropa 57 (2007), H. 8/9, S. 32. Im Folgenden zitiert als: Fragner, Hochkulturen. 92 Vgl. Zimmermann, Krankheit, S. 3. 93 Vgl. Beckwith, Silk Road, S. 201. 94 Vgl. Euler, Reiseberichte, S. 57.

23 gesehen werden95 und war zugleich der erste Khan der Goldenen Horde, der sich dem Islam anschloss.96 Der Tod Batus kam Hülegü Khan, dem Begründer des Reiches der Ilkhane, willkommen. Aus der neu entstanden Situation heraus, wollte dieser die Gebirgsgegend am Kaukasus für sich beanspruchen. Zwischen Berke und Hülegü sollte es zu weitreichenden Spannungen kommen. Das Reich Hülegüs befand sich zum Großteil auf dem Boden muslimischer Völker. Auf Befehl Möngkes musste Berkes Heer Hülegü im Vormarsch gegen Bagdad unterstützen. Intrigen im Hintergrund während der aufgezwungenen gemeinsamen Erstürmung Bagdads 1258 förderten das Misstrauen der beiden Khane. Berkes Soldaten flohen Monate nach der Einnahme der Stadt wegen Misshandlungen nach Ägypten. Der Tod Möngkes 1259 und der umstrittene Aufstieg Kubilais, dem Bruder Hülegüs, zum Großkhan, schwächte die Stellung der Goldenen Horde in Karakorum.97 Mit dem Aufstieg Kubilais zerbrach das mongolische Reich in vier weitgehend autonome Khanate (Teilreich oder Ulus): Im Westen Asiens und in Osteuropa das Khanat der Goldenen Horde unter Berke, das im Grunde ein eigenes Reich wurde, in Persien das Khanat der Ilkhane – gegründet von Hülegü und später von seiner Nachkommenschaft geführt –, das Khanat des Tschagatai in Zentralasien und das Machtgebiet des Großkhans in China und der Mongolei.98 Die mongolischen Eroberungszüge 1259-60 in Osteuropa und Syrien waren somit der letzte militärische Einsatz eines vereinten mongolischen Reiches im. 13. Jahrhundert.99

Abb. 1 Die mongolischen Teilreiche nach 1260

95 Vgl. Peter Jackson: The Mongols and the Islamic World. From Conquest to Conversion. Yale University: New Haven, London 2017, S. 122f. Im Folgenden zitiert: Jackson, Mongols and the Islamic World. 96 Vgl. David Christian: A History of Russia, and Mongolia. Inner Eurasia from the Mongol Empire to Today, 1260-2000. Wiley Blackwell: Hoboken, West Sussex 2018. (= The Blackwell History of the World. 2.) S. 41. Im Folgenden zitiert als: Christian, Inner Eurasia from the Mongol Empire. 97 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 23-26. 98 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 709f. 99 Vgl. Jackson, Mongols and the Islamic World, S. 189.

24 Mit dem Beginn der internen Feindseligkeiten begannen die einzelnen Khanate Allianzen mit fremden Mächten zu bilden, um gegen die anderen Reichsteile vorzugehen oder die eigene Stellung zu etablieren.100 1260 fand die mongolische Expansion ein Ende. Am 3. September 1260 unterlag das mongolische Heer des Ilkhanats einer mamlukischen Armee aus Ägypten bei `Ain Galut, im heutigen Palästina. Damit brachen die Mamluken den Nimbus der Unbesiegbarkeit des Mongolenreiches. Im selben Jahr hatten Mongolen Polen und Ungarn erneut überfallen, weshalb die Botschaft von der Niederlage gegen die Mamluken viele Christen jubeln ließ.101 Ebenso erfreute sich die Goldene Horde am Triumpf des Mamluken Baibar: Zum einen scheiterte eine südöstliche Expansion Hülegüs und zum anderen wandten sich die beiden muslimischen Herrscher Berke und Baibar einander zu, was für die Ilkhane eine Zangengefahr darstellte.102 Für den freien Warenverkehr zwischen Alexandrien und der Krim musste aber das Einverständnis des byzantinischen Kaiserreichs Konstantinopel eingeholt werden, was des Öfteren zu Spannungen führte und vom Kaiser Michael VIII. von Nikaia immenses politisches Geschick erforderte – musste er schließlich nicht nur den Interessen Berkes, sondern auch jenen seines Widersachers Hülegü in gleichem Maße nachkommen.103 Im Jahre 1262 entbrannte ein Krieg zwischen Berke und Hülegü um die Vorherrschaft am Kaukasus.104 Hülegü gelang es, mit Hilfe eines Heeres Kubilais einen wichtigen Teil des kaukasischen Gebirges zu erobern. Hülegü starb am 8. Februar 1265. Zuvor rüstete er ein Heer auf, dass das Gebiet im Kaukasus, speziell die fruchtbaren Regionen, beschützen sollte. Abaqa übernahm die Nachfolge seines Vaters und führte sein Erbe fort. Entlang der Kura kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Im Januar 1267 starb Berke in Tiflis, der gesamte Feldzug wurde abgebrochen und die Rückreise nach Sarai samt Leiche angetreten. Somit war die Rück- bzw. Wiedereroberung des Kauskasus und der angrenzenden Länder gescheitert. Der Streit der beiden Khanate hatte zur Folge, dass die Goldene Horde sich vom Gesamtreich gänzlich abwandte. Während der Regierungszeit Berkes blieb die tatarische Ausdehnung in Osteuropa, mit Ausnahme weniger Vorstöße und Verwüstungen, aus. Russland hatte mit Ausnahme Novgorods in der Zwischenzeit seine Hingabe und Unterwürfigkeit bezeugt. Der Tod des Großfürsten von Kiev Alexander Jaroslavich am 14. November 1263 führte zu einem

100 Vgl. Jackson, Mongols and Europe, S. 710. 101 Vgl. Schmieder, Augenblick, S. 65f. 102 Vgl. Reuven Amitai: The Resolution of the Mongol-Mamluk War. In: Mongols, Turks and Others. Eurasian Nomads and Sedentary World. Hrsg. von Reuven Amitai und Michal Biran. Brill: Boston, Leiden 2005. (=Brill’s Inner Asian Library. 11.) S. 359f. 103 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 25-32. 104 Vgl. Christian, Inner Eurasia from the Mongol Empire, S. 41.

25 großen Disput über die Einsetzung des neuen Großfürsten unter den russischen Teilherrschern.105 Die Nachfolge Berkes trat sein Großneffe Möngke Timur an. Möngke Timur nahm ebenso wieder Kontakt mit den Mamluken auf, mit dem Zweck, das Gebiet im Iran gemeinsam zu bekämpfen. Zudem verband er sich mit Qaidu, dem mongolischen Machthaber in Transoxanien. Das Bündnis mit Baibar sollte die Beziehung zwischen Horde und Michael VIII. wiederherstellen und so den Handel zwischen Ägypten und Kiptschak wieder zum Florieren zu bringen.106 Die russischen Fürsten bewiesen auch unter Möngke Timur wiederholt ihre grenzenlose Unterwürfigkeit, indem sie häufige Reisen in dessen Residenz in Sarai antraten. Ab den 1270er kam Emir Nogai im Hintergrund zu immer mehr Macht. Die militärischen Errungenschaften und sein couragiertes Auftreten führten zu großer Anerkennung bei Möngke Timur und zum Aufstieg als Kommandant mehrerer Zehntausendschaften. Im Juli 1280 verstarb Möngke Timur vermutlich in der Nähe des Flusses Achtuba an einer offenen Wunde.107 Sein Bruder Tuda Möngke folgte ihm auf seinen Thron, trat aber wenig in Erscheinung. Der eigentliche Herrscher der Goldenen Horde war zweifellos Nogai. Tuda Möngke war bis zu seinem freiwilligen Abtreten als Khan 1287 nicht viel mehr als ein Schein-Khan.108 Khane als bloße Platzhalter entsprachen durchaus tatarischen Traditionen, stellten somit keine Neuheit dar. Als faktisches Emirat plante die Horde 1289 einen Plünderungszug nach Russland. In Rostov hatten sich die Bewohner gegen die Tataren erhoben. Außerdem reichten russische Fürsten Beschwerde gegen den Großfürsten Dmitrij von Vladimir ein. 1293 zog ein tatarisches Heer nach Norden und plünderte, verwüstete und bedrohte viele Städte wie Vladimir, Moskau und Tver. Novgorod kaufte sich im Gegensatz dazu von Plünderungen und Verwüstungen los. Gleichzeitig wurden Byzanz und Bulgarien angegriffen. 1296 folgte Serbien und 1297 Ostrom. Nogai war am Höhepunkt seiner Macht. 1299 ermordete Nogais Sohn einige Emire hinterhältig, wodurch viele loyale Emire Nogais Heer verließen und zu Tokhta dem Khan des Reiches wechselten und dessen Macht erheblich stieg. Südlich vom Don in der Nähe des Terek kam es zur entscheidenden Schlacht, in der Nogai unterlag.109 Damit stieg Tokhta als alleiniger Herrscher der Goldenen Horde auf. Tokhta trat schon bald in erfolglose Verhandlungen mit dem persischen Khan Gazan, der bis 1304 im Khanat Ilkhan regierte.110 Mit seinem Nachfolger

105 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 27-38. 106 Vgl. Saunders, Mongol Conquests, S. 60. 107 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 40-44. 108 Vgl. John Fennell: The Crises of Medieval Russia. 1200-1304. Routledge: London, New York 1993. (= Longman History of Russia.) S. 144f. Im Folgenden zitiert als: Fennell, Crises of Medieval Russia. 109 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 44-57. 110 Vgl. Jackson, Mongols and the Islamic World, S. 192.

26 Öldscheitü verhandelte er bis zu seinem Tod ohne Ergebnisse liefern zu können. Das positive Verhältnis zu den Mamluken konnte auch Tokhta weiter fortführen, auch wenn der Mamluken- Sultan Al-Malik an-Nasir die Verbindung zur Goldenen Horde als rein formell betrachtete.111

2.6 Aufstieg der Moskauer Fürsten

In mittelalterlichen russischen Quellen werden Angehörige der Goldenen Horde einheitlich und undifferenziert als Tartaren bezeichnet, was die Tataren als Unbekannte für die russische Elite suggeriert. Obwohl die Mongolen als Eroberer in Steppen zu Hause blieben und unmittelbarer regelmäßiger Kontakt zwischen Tataren und Russen der Seltenheit angehörte, waren die Namen der mongolischen Machthaber und ihre Gewohnheiten der adeligen russischen Schicht durchaus bekannt.112 Anfang des 13. Jahrhunderts war die russische Fürstenwelt föderalistisch geprägt. Jeder Herrscher musste auf die Interessen des benachbarten Herrschers in seinen Entscheidungen Rücksicht nehmen. Des Weiteren hatten die Fürsten Berater, die Bojaren, welche durchaus Macht über den Fürsten ausüben konnten. Mit der Goldenen Horde entfielen zunehmend Streitigkeiten unter den Fürsten und der sogenannte orientalische Depotismus wurde zum Vorbild der Fürsten für den Umgang mit Bojaren und Untertanen.113 Moskau war, rund ein Jahrhundert vor mongolischer Herrschaft, im Vergleich zu den Handelsstädten Novgorod, Suzdal, Vladimir oder Rostov vergleichsweise klein und rückständig.114 Die Stadt konnte in der Folgezeit an politischer Bedeutung gewinnen und gehörte gemeinsam mit Novgorod und Riazan zu den russischen Hotspots. Mit dem Einfall der Mongolen, die zu Beginn Riazan mehrmals verwüsteten, konnte sich das Moskauer Fürstentum immer mehr etablieren. Die Fürsten der Stadt wussten die fremden Herrscher für sich zu nutzen. In der Blütezeit der Mongolen gewannen sie ihre Gunst mit Unterwürfigkeit, in den Zeiten des untergehenden Khanats jedoch wurden tatarische Herrscher bekämpft.115 Am 9. August 1312 starb Timur Khan in Sarai während eines Prinzen-Aufstandes. Sein Neffe Özbeg konnte mit List und der Hilfe Kutlug Timur seine Emir-Gegnerschaft besiegen und 1313 die Thronfolge antreten.116 Als neuer Khan der Goldenen Horde verhalf Uzbeg dem Reich mit der Etablierung des Islam als gemeinsame Religion, einer

111 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 6060. 112 Vgl. Halperin, Enemy, S. 168-171. 113 Vgl. Spuler, Rußlands Schicksal, S. 404. 114 Vgl. Gérard Chaliand: A Global History of War. From Assyria to the Twenty-First Century. Übers. von Michèle Mangin-Woods und David Woods. University of California Press: Oakland 2014, S. 195. Im Folgenden zitiert als: Chaliand, History of War. 115 Vgl. ebda., S. 196. 116 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 63f.

27 einhergehenden sprachlichen Türkisierung und den erfolgreichen Friedensbemühungen 1314 mit Ölgaitu, dem Herrscher des Ilkhanats, am Kaukasus noch einmal zur Blüte. Neben den Russen gehörten die Tscherkessen, Alanen und Osseten, Kiptschaker und die Bulgaren zu Uzbegs beherrschten Völkern.117 Die religiös-kulturelle Abgrenzung118 zu den Russen und das politische Vorgehen gegen russische Fürsten sollte zugleich ein starkes Moskauer Großfürstentums begünstigen.119 Zwischen Fürst Michail Jaroslavich von Tver, Großfürst von Vladimir, und Fürst Juri Danilovich von Moskau war ein Streit ausgebrochen. Während eines zweijährigen Aufenthaltes in Sarai am Hofe des Khan konnte Juri Danilovich die Gunst des Khans für sich gewinnen. Ebenso bekam er Uzbegs Schwester zur Frau. Diese starb 1318 während einer kriegerischen Auseinandersetzung der beiden russischen Herrschaften, was mit dem Tode Michails und einem Rachefeldzug in ganz Russland führte. Michails Sohn Dimitr wurde nach einer erfolgreichen Unterredung mit dem Khan 1322 Großfürst, brachte 1324 den geflohenen Juri um und wurde für diese Tat selbst hingerichtet. Das Großfürstentum kam für eine kurze Dauer in die Hände von Dimitris Bruder Alexander Michailovich. Als 1327 ein Vetter Uzbegs in Tver wütete, brachte ihn Alexander um. Die Tataren zogen ein Jahr darauf gemeinsam mit dem Moskauer Fürst Ivan Kalita gegen die Aufständischen. Ivan Kalita, Fürst von Moskau, wurde ob seiner Treue zum Khanat zum Großfürsten ernannt, und die Linie der Moskauer Rurikiden setzte sich im Wettkampf um die Herrschaft im Russland durch.120 Um unnötigen Aufwand einzusparen, wurde die Steuereintreibung zunehmend russischen Fürsten übertragen.121 Mit der Würde des Großfürsten durfte Ivan Kalita nun gänzlich für den Khan die Steuern eintreiben, was für die spätere Vereinigung der einzelnen Herrschaftsgebiete eine wichtige Rolle spielte.122 Zudem bekam er die Oberaufsicht über die russischen Fürsten.123 Die Baskaken wurden aus den einzelnen Gebieten abgezogen und von den Duragha ersetzt, die die administrativen Aufgaben der Horde von Sarai aus erledigten.124 Die Übertragung der Steuereintreibung hatte beiderseitige Vorteile: Den Tataren wurden fiskalische Tätigkeiten abgenommen, und die Großfürsten agierten als Vorkämpfer der

117 Vgl. Franke, Geschichtschreibung, 68. 118 Trotz der Wechselbeziehung zwischen Tartaren und Großfürsten gibt es kaum Berichte über die Konvertierung eines Khans zum christlichen Glauben oder eines orthodoxen russischen Fürsten zum Islam. Bis zum Zerfall der Goldenen und später der Großen Horden waren alles Missionierungsversuche durch abendländische Franziskaner längs der Wolga gescheitert. Eine Ausnahme bildeten einige wenige Hochzeiten von russischen Fürsten mit muslimischen Tartaren-Prinzessin, welchen um 1317 gestattet war den orthodoxen Glauben anzunehmen. Vgl. Spuler, mongolische Nomadismus, S. 207. 119 Vgl. Biran, Transformation, S. 365. 120 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 65-67. 121 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 39f. 122 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 67. 123 Vgl. Spuler, Rußlands Schicksal, S. 403. 124 Vgl. Halperin, Enemy, S. 169.

28 Goldenen Horde, während sich die Großfürsten durch die besondere Beziehung zur Horde eine Steigerung ihrer Macht und eine führende Stellung sichern konnten.125 Es liegt zudem nahe, dass russische Großfürsten Reichtum anhäuften, indem sie Teile der Steuern unterschlugen.126 Großfürsten und aufstrebende russische Fürsten begannen mit der Aufhebung des Baskaken- Systems, immer häufiger nach Sarai zu reisen und dort in längerem Aufenthalt dem Khan ihren guten Willen zu bezeugen. Aus dieser demonstrierten Unterwürfigkeit wurde Macht und das Erlangen der Würde des Großfürsten erhofft.127 Mit der Niederlassung des Kiever Metropoliten in Moskau 1328 wurde das Zentrum des Großfürstentums auch zum geistlichen Mittelpunkt Russlands.128 Der Weg in Russland vom Föderalismus zu einer Zentralisierung mit Moskau als Hauptstadt war geebnet.129 Die Russen hatten die Erfahrung gemacht, dass eine Flucht östlich der Volga oder ins freie Novgoroder Gebiet effektiver war, als den Tataren standhaft zu begegnen. Mit dem Beginn der fortschreitenden Sesshaftigkeit, der kulturellen Assimilation zwischen Horde und russischen Untertanen und die nun ähnlichen Lebensbedingungen verwischten sich immer mehr die Unterschiede zwischen Herrschern und Beherrschten. Nun wurde die zahlenmäßige Größe eines Volkes zum wesentlichen Faktor – und hier waren die Russen den Tataren bei weitem überlegen. Die ab 1359 zusätzlich steigenden und immer härter geführten internen Kämpfe unter den tatarischen Herrschern bedeuteten ein Ende der Gefahr, die von der Goldenen Horde ausging. Einzige Ausnahme sollten die Krimtataren bleiben, die dem Nomadismus und dem Reitertum treu geblieben waren und den ortsansässigen Bauern militärisch überlegen blieben.130

2.7 Wendepunkt einer Entwicklung

Uzbeg Khan bemühte sich um eine Verbesserung des Verhältnisses zum Mamluken-Sultan Malik an-Näsir. Eine Heirat zwischen Sultan und Prinzessin Tulunberg aus der Goldenen Horde wurde erzielt. 1318/19 kam es nach einigen friedvollen Jahren zu erneuten Kämpfen zwischen der Goldenen Horde und dem Ilkhanat am Kaukasus – die Mamluken blieb dem Treiben fern -, wodurch der Heeresführer der Ilkhane, Coban, bei Darband sein gesamtes persisches Heer aufbieten konnte und die Operation für Uzbegs Generäle Kutlug Timur und Isa Gurgan

125 Vgl. Spuler, der mongolische Nomadismus, S. 206. 126 Vgl. Charles J. Halperin: Russia in The Mongol Empire in Comparative Perspective. In: Harvard Journal of Asiatic Studies 43 (1983), H. 1, S. 245. Im Folgenden zitiert als: Halperin, Comparative Perspective. 127 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 528. 128 Vgl. Spuler, Rußlands Schicksal, S. 403. 129 Vgl. Gérard Chaliand: A Global History of War. From Assyria to the Twenty-First Century. Übers. von Michèle Mangin-Woods und David Woods. University of California Press: Oakland 2014, S. 195. Im Folgenden zitiert als: Chaliand, History of War. 130 Vgl. Spuler, Rußlands Schicksal, S. 405.

29 zum Scheitern verurteilt war. Der Mamluken-Sultan ging sogar weit und schloss 1323 Frieden mit dem Ilkhanat. Dieser Friede veranlasste 1324/25 Emir Coban, einen Vormarsch zu unternehmen und bis zum Terek vorzustoßen – hatten die persischen Mongolen schließlich keinen Mehrfrontenkrieg mehr zu befürchten. Erst 10 Jahre später 1335/36 ging Uzbeg zum Gegenangriff über und attackierte die Perser in Sirwan. Mit dem plötzlichen Tod des kinderlosen persischen Herrschers Abu Sa’id schien die Gelegenheit groß, den Sieg davonzutragen. Arpa, ein entfernter Verwandter, beerbte Abu Sa’id und konnte das Heer zusammenhalten, den Zerfall des Ilkhanats aber nicht stoppen.131 Obwohl das Ilkhanat 1335 mit dem Tod des letzten Khans Abu Sa’id zerfiel,132 gelang Uzbeg nicht mehr als die Eroberung des Teilgebietes Horasan 1340. Das Verhältnis zu den Mamluken war mittlerweile stark unterkühlt. Die Situation der Goldenen Horde verschlechterte sich auch auf europäischem Boden, was Uzbeg zu häufigeren Streifzügen gegen Litauen, Polen und Ungarn bewegte. Während der Kämpfe gegen Litauen 1341 starb Uzbeg in Neu-Sarai. Es folgte ein Brüderkampf um die Thronfolge, die sich Gambek mit dem Mord an Tinibeg und Hizrbeg sichern konnte. Mit Gambek hatte das Khanat im Osten seinen Zenit überschritten. Litauen und dessen Bündnispolitik mit Polen erhöhten die Gefahr eines ebenbürtigen Gegners. Zudem wurde Litauen zur Auffangstätte für Fahnenflüchtige.133

Abb. 2 Die Goldene Horde unter Khan Uzbeg

131 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 69f. 132 Vgl. Beckwith, Silk Road, S. 196. 133 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 70-74.

30 Ein unerwartetes Ereignis sollte das tatarische Gebiet in seinem Wirken zusätzlich schwächen: Mitte des 14. Jahrhunderts breitete sich die Pest auf dem gesamten eurasischen Kontinent aus und kostete Millionen Menschen das Leben. Wo die Krankheit ihren Ursprung hatte, ist nicht eindeutig geklärt. Gewiss ist, dass die Pest, oder Schwarzer Tod, bereits 1331 in Teilen Nordchinas ausgebrochen war und die dortige Bevölkerung auf ein Zehntel ihrer ursprünglichen Einwohnerzahl dezimiert hatte.134 Ratten und Flöhe dienten für den Krankheitserreger als Wirt, von diesen wurde der Erreger begünstigt durch die Pax Mongolica verbreitet und auf den Menschen übertragen.135 Die Pestepidemie sollte Europa 1347 erreichen und den gesamten europäischen Raum vom Atlantik bis zum Mittelmeer und zum Ural im Zeitraum 1347 bis 1352 heimsuchen.136 Aufgrund der zeitlichen Distanz von über anderthalb Jahrzehnten ist es unwahrscheinlich, dass sich die Krankheit in einem Akt von Nordchina aus nach Europa verbreitet hatte. Erstmalig trat die Pest in Europa auf der Krim auf. Genua besaß auf der Krim eine Handelskolonie mit dem Zentrum Kaffa, der heutigen Stadt Feodossija. Die Halbinsel überstand viele Belagerungen, auch die von 1346 durch die Tataren.137 1346/1347 trat hier die Krankheit während einer tatarischen Belagerung auf. Die Tataren hatte die Seuche vermutlich von Innerasien nach Osteuropa verschleppt. Die Belagerung scheiterte, da Tausende der Belagerer an der Krankheit starben. 138 Mit dem Ziel, den Gegner trotz des Scheiterns zu vernichten, sollen die tatarischen Belagerer Gerüchten zufolge Pestleichen in die Stadt hineinkatapultiert haben,139 wo sich die Krankheit unter den Kaufleuten verbreitete. Die Genuesen brachten die Seuche anschließend nach Konstantinopel, Messina, Sizilien und Marseille, von wo sich die Krankheit rasend schnell über ganz Europa verbreitete140 und etwa ein Drittel aller Europäer dahinraffte.141 Die Ausbreitung der Pest hatte nicht nur für die Goldene Horde negative Folgen: Sie diente als Katalysator für den Untergang des Ilkhanats 1335 und der Yüan-Dynastie 1368, die ohne Pandemie wohl länger bestanden hätten.142 Ein weiterer Umstand begünstigte den beginnenden Niedergang der Goldenen Horde: der Aufstieg des Osmanischen Reiches. Die osmanischen Türken hatten einige kleinasiatische Gebiete erobert und ihr Reich vergrößert. Mit dem Angriff auf die türkische Hafenstadt

134 Vgl. Beckwith, Silk Road, S. 195. 135 Vgl. ebda., S. 196. 136 Vgl. Zimmermann, Volker: Krankheit und Gesellschaft: Pest. In: Sudhoffs Archiv 72 (1988), H. 1, S. 1. Im Folgenden zitiert als: Zimmermann, Krankheit. 137 Vgl. Karl Bretau: Schrift –Macht – Heiligkeit in den Literaturen des jüdisch-christlich-muslimischen Mittelalters. De Gruyter: Berlin, New York 2005, S. 517. Im Folgenden zitiert als: Bretau, Heiligkeit. 138 Vgl. Zimmermann, Krankheit, S. 2. 139 Vgl. Bretau, Heiligkeit, S. 518. 140 Vgl. Zimmermann, Krankheit, S. 2. 141 Vgl. Bretau, Heiligkeit, S. 518. 142 Vgl. Beckwith, Silk Road, S. 196.

31 Gallipoli 1354, und der späteren Ausbreitung am Balkan, war der Weg zum Mittelmeer nahezu völlig in osmanischer Hand. Der oströmische Kaiser verlor die Macht über die Meerenge an die Osmanen. Für die Goldene Horde bedeutete dies, dass die Beziehungen zu Ägypten, Byzanz und Bulgarien ihre Bedeutung verloren.143 Die Türken versperrten in weiterer Folge die Meerenge und machten die kriselnde Goldene Horde zu einem Binnenstaat. Die Goldene Horde verlor nach und nach ihre Machtstellung an den polnisch-litauischen Doppelstaat und an das Großfürsten Moskau.144 Das Aufgeben des Nomadentums und die ausbrechenden Bürgerkriege erwiesen der Golden Horde einen Bärendienst. Das mongolische Reich hatte aufgehört ein solches zu sein: Die Goldene Horde war „zu einer Macht zweiten Ranges abgesunken“145, das Reich der Ilkhane ging mit dem Tod Abu Sa’ids 1335 unter und die Yüan-Dynastie wurde 1368 von Hongwu erobert und durch die Ming Herrschaft ersetzt. Das Tschagatai Khanat konnte sich zwar bis ins 16. Jahrhundert halten, war jedoch von Reichszersplitterungen, internen Machtkämpfen, ständigen Herrscherwechseln und genereller immerwährender Instabilität gekennzeichnet. Das mongolische Reich war am Ende.146

2.8 Die letzten Atemzüge

1362 konnte der litauische Großfürst Algirdas in der Schlacht an den Blauen Wassern drei tatarische Khane besiegen und Podolien von der Goldenen Horde lösen. Zeitgleich begann das Moskauer Großfürstentum weiter zu erstarken. Den Moskauern gelang es immer wieder, seine bedrückenden Kontrahenten zurückzuschlagen und die eigene Stellung zu festigen. Die Khane verloren zusehends an Ansehen, während Emire an ihrer Stelle emporstiegen. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts ging die Goldene Horde unter Khan in den Machtbereich des Militärführers Timur aus dem Ulus Tschagatai.147 Timur oder Tamerlan (Timur-i leng), wie er in einigen Quellen aufgrund seiner Lähmungen genannt wird,148 war kein leiblicher männlicher Nachkomme des Tschinggis Khan und führte deshalb nie den Titel Khan.149 Bis 1386 hatte er große Teile im Iran, in Aserbaidschan und Georgien erobert und war bis zum Kaukasus vorgedrungen. 1385/1386 verhalf er Khan Tokhtamysh, seinen Thron im Reich der Goldenen Horde zu erlangen. Tokhtamysh attackierte diesen 1387, um den Kaukasus zurückzueroben – verlor jedoch gegen Tamerlans Heer. In der Folge attackierte der Khan Transoxanien, das er

143 Vgl. Spuler, Horde als Großmacht, S. 74f. 144 Vgl. Spuler, Rußlands Schicksal, S. 402. 145 Spuler, Horde als Großmacht, S. 75. 146 Vgl. Beckwith, Silk Road, S. 196. 147 Vgl. Spuler, Bürgerkriege, S. 292-296. 148 Vgl. Beckwith, Silk Road, S. 198. 149 Vgl. Fragner, Hochkulturen, S. 45.

32 erfolgreich einnahm. Als Tamerlan von seinem Gebietsverlust 1388/1389 erfuhr, wurde zunächst Choresm unterworfen, das mit der Goldenen Horde kollaboriert hatte und ein Jahr darauf eine große Expedition vorbereitet, die 1391 begann. Tokhtamyshs Heer wurde vernichtet, Sarai geplündert und der Khan bis zur Wolga nordwärts gejagt. 1394 zog Tamerlan erneut gegen Tokhtamysh, der sich den Kaukasus zu eigen machen wollte. Tokhtamysh wurde trotz Hilfe des litauischen Königs Vytautas zum zweiten Mal besiegt. Die Mannen Timurs drangen bis Moskau vor. Auf ihrem Rückweg plünderten und verwüsteten sie zahlreiche Städte, sodass die Goldene Horde derart geschwächt war, dass sie für Timur keine Gefahr mehr darstellte. Es folgten Streifzüge nach Indien, zu den Mamluken und nach Ankara. Der Eroberungszug nach China sollte den Tod Timurs bedeuten. In Utrar erkrankte er und starb im Februar 1405. Unter Timur schaffte es das Khanat Tschagatai, erstmalig das Zentrum Eurasien zu werden. Mit seinem Tod zerfiel sein Reich infolge instabiler Regierungsstrukturen wieder. Das ehemals Mongolische Reich hatte einen neuen Rückschlag erlitten.150 Der wohl letzte Regent der Horde mit erwähnenswerten Errungenschaften war Emir Edigei. Edigei gelangen kleinere Erfolge gegen Moskauer Fürsten wie Vasilij von Moskau oder Ivan von Tver, die sich zu einer Reise in die Horde gezwungen sahen, um ihre Unterwürfigkeit zu demonstrieren. Mit dem Tod Edigeis kam Khan Ulug Mehmed auf den Thron, der aber dem litauischen König Vytautas als Spielball diente. Der Zerfall der Goldenen Horde war unter ihm unaufhaltsam.151 1438 splitterte sich Kasan von der Goldenen Horde ab. 1441 folgte Astrakhan als eigenständige Khanate.152 1449 gelang Haggi Girai rechtlich die Herrschaft über die Krim153, die nun ebenfalls zu einem autonomen Khanat wurde. Zu Haggis Tod 1466 war nicht einmal mehr von der Goldenen Horde die Rede: Das ‚Überbleibsel‘ wurde als Große Horde bezeichnet. Der Moskauer Großfürst Ivan III. kam 1462 an die Herrschaft und ging sogleich ein Bündnis mit Großfürst Michail von Tver gegen die Tataren ein. Mengli Girai I. trat 1468 – mit einigen erzwungenen Pausen aufgrund von Thronstreitigkeiten – die Nachfolge seines Vaters Haggi Girai auf der Krim an. Ivan III. konnte Mengli und damit die Krim auf seine Seite ziehen. Die Krimtataren wiederum hatten ein Bündnis mit dem starken osmanischen Sultan.154 1480/81 wurde Akhmat Khan von Ivak aus dem Nogai-Khanat im Auftrag des Moskauer

150 Vgl. Beckwith, Silk Road, S. 198-200. 151 Vgl. Spuler, Bürgerkriege, S. 315f. 152 Vgl. Morgan, The Mongols, S. 128. 153 Die Krim, konnte sich bis 1475 als Mittelpunkt des Handels zwischen Europa und Asien etablieren. Ab 1475 unterstanden die Krimtataren im Zuge der osmanischen Expansion dem osmanischen Sultan und konnten sich – im Gegensatz zu den Tataren an der unteren und mittleren Wolga, die im Zeitraum 1480 bis 1557 Slawen und innerer Zerrissenheit erlagen – noch einige Jahrhunderte bestehen, ehe auch hier die Herrschaft zugrunde ging. Vgl. Spuler, Rußlands Schicksal, S. 400-406. 154 Vgl. Spuler, Bürgerkriege, S. 333-354.

33 Großfürsten Iwan III. ermordet.155 1502 wurde dessen Sohn Khan Saih-Akhmat – der letzte Khan der ‚Goldenen Horde‘ - durch Menglis Truppen geschlagen.156 Mit dem Tod des letzten Khans Saih-Akhmat im Jahr 1505 hatte die Horde endgültig aufgehört zu bestehen. Im gleichen Jahr starb Ivan III., der damit sein Leben mit einem Erfolg krönen konnte. Während der Regentschaft von Ivan III. konnten die letzten tatarischen Herrscher in Russland besiegt sowie die litauischen Expansionsbewegungen unter Kasimir IV. eingedämmt werden. Die Nachwehen der Goldenen Horde – das Khanat Girai auf der Krim – sollte den Russen aber noch einige Jahrhunderte Probleme bereiten. Erst Ende des 18. Jahrhunderts sollte das Khanat Teil der russischen Zarenherrschaft werden – über 550 Jahre nach dem ersten mongolischen Vorstoß im Osten Europas.157

155 Vgl. Halperin, Enemy, S. 167. Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 182. 156 Vgl. Christian, Inner Eurasia from the Mongol Empire, S. 86. 157 Vgl. Spuler, Bürgerkriege, S. 364f.

34 3 Die ostslawischen Chroniken

3.1 Terminologie

Zuerst möchte ich die Entscheidung für den Terminus ‚ostslawisch‘ kurz erläutern. Die ostslawischen Chroniken firmieren hier als ‚ostslawisch‘ und nicht als ‚altrussisch‘, da die konventionelle Bezeichnung der altrussischen Literatur für den Zeitraum vom 10. bis 17. Jahrhundert durchaus problematisch ist. Es gab in den Anfängen der Chronistik kein gemeinsames ‚Russland‘.158 Die Kulturgeschichte Russlands begann gemäß der Mehrzahl der Forschenden nach der Christianisierung Ende des 10. Jahrhunderts unter Fürst Vladimir. Kiev wurde rasch eine wohlhabende und hoch frequentierte Stadt des europäischen Mittelalters. Christliche Literatur und byzantinische Werke wurden bereits zu der Zeit Vladimirs von Kiev aus dem Griechischen zunächst ins Kirchenslawische und erst später ins Russische übersetzt. Historische Chroniken und profane Erzählungen fanden in übersetzter Form alsbald den Weg von Byzanz in die Rus‘.159 In der Kiever Rus‘ spielte das Kirchenslawische zu Anfang trotz der vielen ostslawischen Sprachvarianten eine wesentliche Rolle. Viele frühe Werke hatten zudem ihren Ursprung nicht nur im heutigen Russland, sondern ebenso in der Ukraine oder in Weißrussland.160 Speziell aus diesen Gründen wird hier die Bezeichnung ‚ostslawische Chroniken‘ präferiert. Die ostslawischen Chroniken gehören nach der Kategorieneinteilung Riccardo Picchios zur Slavia Orthodoxa, die das ‚Gegenstück‘ zur westlichen Slavia Latina bildet.161 Die Bezeichnung der einzelnen ostslawischen historiographischen Quellen hat ebenso keine Einheitlichkeit.162 Im Russischen sind die üblichen Bezeichnungen letopis, svod oder spisok, im Deutschen Chronik, Handschrift oder Codex im Englischen überwiegend Chronicle

158 Vgl. Britannica. https://www.britannica.com/art/Russian-literature [gesehen am 02.03.2021]. Wortinformation: Russian Literature. Im Folgenden zitiert als: Britannica, Literature. 159 Vgl. Serge A. Zenkovsky: Medieval Russia‘s Epics, Chronicles, and Tales. 2. korr. und erw. Ausg. Meridian: New York [u. a.] 1974, S. 4-6 und S. 8. Im Folgenden zitiert als: Zenkovsky, Medieval Russia‘s Chronicles and Tales. 160 Vgl. Russian Literature. Im Folgenden zitiert als: Britannica, Literature. 161 Vgl. Font, Márta: Die Chronistik der Ostslawen. Übers. von Gabor Barabas. In: Handbuch der Chroniken des Mittelalters. Hrsg von Gerhard Wolff und Norbert H. Ott. De Gruyter: Berlin, Boston 2016, S. 806. Im Folgenden zitiert als: Font, Chronistik der Ostslawen. 162 Vgl. ebda., S. 807.

35 oder Codex.163 Letopis kann als Chronik übersetzt werden, svod als Kodex, Kompilation oder Handschrift und spisok als Handschrift oder Abschrift.164 Die Bezeichnung der Chroniken erfolgt zumeist: 1.) nach ihren Schreibern, Übersetzern oder Herausgebern (Laurentius-Chronik, Nestorchronik oder Chronik von Bischof Paul), 2.) nach dem Ort, an dem sie geschrieben wurden (Chroniken von Novgorod, von Pskov, Moskau oder die Galizien-Volynian-Chronik) 3.) nach dem Ort, an dem sie aufbewahrt wurden (Hypatius-Chronik oder Königsberger Chronik).165

3.2 Chroniken als Quellen

Die ostslawischen Chroniken gelten als wohl wichtigste Quelle zur Erforschung der frühen russischen Geschichte und des Moskauer Großfürstentums. 166 Die Chronik selbst ist eine der ältesten und wichtigsten Darstellungen nicht nur des Kiever Reiches, sondern insbesondere Moskaus, das im Verlauf der Erzählung mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt.167 Die verschiedenen, in über tausend Handschriften überlieferten Chroniken wurden überwiegend zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert kopiert bzw. verfasst und in Archiven und Bibliotheken der Russischen Föderation aufbewahrt. Es wird angenommen, dass die Quellenbasis weitgehend als abgeschlossen gilt. Die Chroniken sind zumeist Kompilationen aus Briefen, Reisebeschreibungen, Biografien, Verträgen, Predigten, mündlichen Erzählungen, Sagen, Legenden u. Ä., die annalistisch gegliedert und aufbereitet sind. Die Informationen fußen meistens auf wahren Gegebenheiten, sind aber z. T. auch fiktiven Ursprungs.168 Durch ständiges Überarbeiten, Abschreiben und Kopieren kam es dabei immer wieder zu Kontaminationen der Texte, die die philologische Analyse erschweren.169 Die frühesten historiographischen Schriften sind nach der Mitte des 11. Jahrhunderts verfasst worden, die älteste Chronik datiert erst mit Beginn des 12. Jahrhunderts und hatte Kiev

163 Vgl. Hans-Jürgen Grabmüller: Die russischen Chroniken des 11.-18. Jahrhunderts im Spiegel der Sowjetforschung (1917-1975). Allgemeine Probleme - Hilfsmittel – Methoden. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 24 (1976), H. 3, S. 397. Im Folgenden zitiert als: Grabmüller, Allgemeine Probleme. 164 Vgl. Paul Worster: Die ostslawischen Chroniken als Quellen zur Geschichte der Kiewer Rus'. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 60 (2012), Heft 2, S. 164. Im Folgenden zitiert als: Worster, Chroniken als Quellen. 165 Vgl. The Nikonian Chronicle. From the Beginning to the Year 1132. Hrsg. von Serge A. Zenkovsky. Übers. von Serge A. Zenkovsky und Betty Jean Zenkovsky. Kingston Press: Princeton und New Yersey 1984, S. xx. Im Folgenden zitiert als: Zenkovsky, Nikonian Chronicle Bd. 1. 166 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 161. 167 Vgl. Manfred Hellmann: Bemerkungen zu einigen neueren Ausgaben altrussischer Quellen. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 10 (1962), S. 311. Im Folgenden zitiert als: Hellmann, altrussische Quellen. 168 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 161f. 169 Vgl. Grabmüller, Allgemeine Probleme, S. 395.

36 und das Umland als kulturelles Zentrum.170 Neben der Nestorchronik, stammen die Kiever Chronik – eine Fortsetzung der Nestorchronik – und die Galizien-Volynian-Chronik aus der Zeit der Kiever Rus‘. Verfasser und Kopisten waren zumeist Mönche, vereinzelt auch weltliche Gefolgsleute der Fürsten, wie beispielsweise bei der Galizien-Volynian-Chronik.171 Mit dem Niedergang der Kiever Rus‘ bricht die Kiever Geschichtsschreibung ab und verlagert sich auf die von den übrigen Ostslawen bewohnten Gebiete. Die primären Handschriften und Chroniken werden bis ins 17. Jahrhundert tradiert. Ab dem 15. Jahrhundert kann man im Allgemeinen von Moskauer (‚Russischer‘) Chronistik sprechen.172 Nahezu alle Chronikhandschriften seit dem 15. Jahrhundert enthalten territorial zentrierte Kompilationen, denen die Nestorchronik bzw. PVL vorangestellt ist. Die Chroniken ab dem 15. Jahrhundert lassen sich in drei Gruppen unterscheiden: Die erste Gruppe besteht aus den Erzählungen und Ereignissen der südlichen und südwestlichen Rus‘. Hierzu gehört bspw. die Hypatius-Chronik. Die zweite Gruppe befasst sich mit der Novgoroder Geschichtsschreibung, zu der auch die Pskover Chroniken dazuzählen. Die dritte Gruppe umfasst alle möglichen Manuskripte, die sich auf Moskau fokussieren und die Geschichte Vladimir-Suzdals tradieren.173 Die Quellenedition ist überwiegend von sowjetischen Historikern besorgt und rekonstruiert worden. Zum Teil wurden gänzlich verlorene Schriften, wie die im Jahr 1812 verbrannte sogenannte Dreifaltigkeits-Chronik (Troickaja letopis‘) durch Michail D. Priselkov, wiederhergestellt.174 Die russische Archäographie war bemüht, die Chroniken für alle erreichbar, systematisch und umfassend herauszugeben. In den Jahren 1841 bis 1917 wurden 23 Bände der Vollständigen Sammlung russischer Chroniken (Polnoe sobranie russkich letopisej, kurz PSRL) hervorgebracht, die nicht zuletzt mit dem Aufkommen der Sowjetunion unvollständig blieb.175

3.3 Ausgewählte Chroniken

3.3.1 Nestorchronik

Die erste ostslawische Chronik war die Nestorchronik bzw. die Povest' vremennych let, abgek. PVL (engl. Primary Chronicle oder The Tale of Bygone Years). 176 Der Name der Chronik ist

170 Vgl. Font, Chronistik der Ostslawen, S. 807. 171 Vgl. Zenkovsky, Medieval Russia‘s Chronicles and Tales, S. 12. 172 Vgl. Font, Chronistik der Ostslawen, S. 807. 173 Vgl. ebda., S. 825. 174 Vgl. Hellmann, altrussische Quellen, S. 305. 175 Vgl. Grabmüller, Allgemeine Probleme, S. 402. 176 Vgl. Zenkovsky, Medieval Russia‘s Chronicles and Tales, S. 11.

37 auf einen Mönch Nestor zurückzuführen, der bis ins 19. Jahrhundert als Schreiber der Chronik galt.177 Nestor hat zwar die Viten der ersten russischen Heiligen verfasst, er ist aber unwahrscheinlich der Verfasser und/oder Herausgeber der ursprünglichen PVL.178 Von der PVL gibt es drei Redaktionen aus dem Zeitraum 1112 bis 1118: die erste Redaktion der ursprünglichen PVL, die Abschrift Silvesters 1116 und die des Schreibers aus den nahen Kreisen des Fürsten Mstislav Vladimirovich im Jahr 1118.179 Im Zeitraum 1040 bis 1118 wurde die PVL zumindest von sechs unterschiedlichen Annalisten verfasst bzw. fortgesetzt.180 Beim namentlich genannten Mönch Silvester der zweiten Redaktion, handelt es sich auch weniger um einen Verfasser, sondern um vielmehr um einen Redakteur oder Abschreiber. Als Verfasser gelten mit großer Wahrscheinlichkeit die Mönche des Kiever Höhlenklosters.181 Ein beträchtlicher Teil der historischen Informationen in der PVL wurde den byzantinischen Chroniken entnommen und sowohl stilistisch als auch ideologisch überarbeitet. Geschichten und Erzählungen sollten dabei zusätzlich Einklang finden. Die PVL ist damit kein Produkt eines einzelnen Schriftgelehrten, sondern ein komplexes, kontinuierlich erweitertes, kopiertes und editiertes Werk – was im Grunde auf alle späteren Chroniken ebenso zutrifft.182 Die Handschriften der Nestorchronik sind nicht in eine eigenständige Chronik erhalten geblieben, sondern sind immer als Abschriften in weiterführenden Chroniken integriert und bilden dort den Anfangsteil – daher auch die englische Bezeichnung Primary Chronicle.183 Kiev gilt als Ursprungsort der russischen Chronistik. Diese splittete sich im Laufe des 12. Jahrhunderts in zwei Richtungen auf, eine südliche Tradition in Kiev und eine nördliche Tradition in Suzdal und Vladimir.184 Die mongolische Invasion hatte zur Folge, dass die Abfassung von Annalenn in den vom Einfall stark betroffenen Regionen zum Erliegen kam. Aus der Zeit des 13. und 14. Jahrhunderts sind die primären Chroniken jene aus Novgorod, Tver und Rostov. Die Moskauer Chroniken des späten 14. Jahrhunderts und frühen 15. Jahrhunderts (Simeon- und Troitsky-Chroniken) beinhalten neben der PVL vorwiegend Annalen aus den Städten Novgorod, Smolensk, Riazan und Tver. Sie beinhalten die Idee der

177 Vgl. The Russian Primary Chronicle. Laurentian Text. Hrsg. und übers. von Samuel Hazzard Cross und Olgerd P. Sherbowitz-Wetzor. Medieval Academy of America: Cambridge, Massachusetts 1953, S. 3. Im Folgenden zitiert als: Cross, Laurentian Text. 178 Vgl. Handbuch zur Nestorchronik. Band 4. Hrsg. und übers. von Ludolf Müller. Willhelm Fink: München 2001. (= Forum Slavicum. 56.) S. VIII. Im Folgenden zitiert als: Müller, Handbuch zur Nestorchronik 4. 179 Vgl. Hans-Jürgen Grabmüller: Die russischen Chroniken des 11.-18. Jahrhunderts im Spiegel der Sowjetforschung (1917-1975). Die „Povest' vremennych let“. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 25 (1977), H. 1, S. 81. Im Folgenden zitiert als: Grabmüller, Povest. 180 Vgl. Zenkovsky, Medieval Russia‘s Chronicles and Tales, S. 11. 181 Vgl. Müller, Handbuch zur Nestorchronik 4, S. VIII. 182 Vgl. Zenkovsky, Medieval Russia‘s Chronicles and Tales, S. 11f. 183 Vgl. Müller, Handbuch zur Nestorchronik 4, S. X. 184 Vgl. ebda., S. XII.

38 russischen Einheit unter der Herrschaft Moskaus. Zu den bedeutendsten Kodizes bis zum 15. Jahrhundert zählen die Laurentius-Chronik von 1377, die Hypatius-Chronik im frühen 15. Jahrhunderts und die Radzivill-Chronik.185

3.3.2 Hypatius-Chronik

Im Südwesten ist für das 12. Jahrhundert die Kiever Chronik zu nennen. Diese enthält die Nestorchronik und geht mit dem Fehlen der Nachschrift Silvesters ohne Markierung direkt in eine „Kompilationen aus den verschiedenen chronikalischen Werken aus dem Süden Russlands“ des 12. Jahrhunderts über. 186 Kiev verlor mit seiner Zerstörung 1238 seine Stellung als Zentrum der Chronistik. Eine neue Art der Chronistik entstand nun in Galizien und Vladimir Volynski. Chronistische Quellen des 13. Jahrhunderts wurden gemeinsam mit der Nestor- und der Kiever Chronik vereinigt und sollten die Geschehnisse bis 1293 wiedergeben. Die Originalfassung dieser Galizien-Volynian- Chronik (GVC) ist nicht mehr erhalten.187 Eine Abschrift, angefertigt zu Beginn des 15. Jahrhunderts, wurde vom russischen Historiker Nikolai Karamzin im Kloster von St. Hypatius in Kostroma entdeckt. Die Chronik wird darum nach ihrem Entdeckungsort Hypatius-Chronik genannt. Diese Chronik ist in sieben Handschriften überliefert. Die letzte Handschrift Ipat’evskij spisok (abgek. Ipat.) stammt aus dem frühen 15. Jahrhundert und ist zugleich die drittälteste überlieferte Handschrift der Rus‘.188 Der Originaltext wird dem späten 13. Jahrhundert zugeschrieben.189 Die Hypatius-Chronik ist voraussichtlich aus dem Streit zwischen dem Großfürsten von Vladmir-Suzdal und dem Fürsten von Galizien-Volynian um die Kontrolle der Kirchenprovinz entstanden. Dabei war die Verlegung des Metropolitensitzes von Kiev nach Vladimir hauptausschlaggebend. Die Hypatius-Chronik sollte mit seinen drei Teilen einerseits die große Bedeutung der ehemaligen Hauptstadt Kiev als kulturelles, gesellschaftliches und politisches Zentrum im Alten Rus‘ beweisen und andererseits um einen Verbleib des Metropoliten im Süden werben.190 Der letzte Teil, die GVC, zählt zu den dekorativsten und poetischsten altrussischen Chroniken.191 Ein großes Problem der Chronik ist dagegen ihre Ungenauigkeit. Die GVC deckt in der Ipat. den Zeitraum von 1201-1292 ab, behandelte

185 Vgl. Zenkovsky, Medieval Russia‘s Chronicles and Tales, S. 21. 186 Müller, Handbuch zur Nestorchronik 4, S. XVII. 187 Vgl. ebda., S. XVIIf. 188 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 166. 189 Vgl. The Hypatian Codex II. The Galician-Volynian Chronicle. Übers. von George A. Perfecky. Wilhelm Fink: München 1973. (= Harvard Series in Ukrainian Studies. 16, II.), S. 11. Im Folgenden zitiert als: Perfecky, Hypatian Codex. 190 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 166. 191 Vgl. Perfecky, Hypatian Codex, S. 11.

39 ursprünglich aber die Zeitspanne 1205 bis 1289192 und besaß keine Jahresgliederung. Die annalistische Anordnung entstand erst durch die Chronisten. Die Kiewer Chronik endet mit den Ereignissen im Jahr 1200. Das erste Ereignis der GVC – der Tod des Fürsten Roman von Galizien-Volynian – setzt aber erst 1205 ein. Um die inhaltliche Lücke zu schließen, wurde die Datierung der Kiever Chronik kurzerhand unmittelbar fortgesetzt, mit der Folge, dass Fürst Roman nun fälschlicherweise 1201 verstorben war. Aufgrund dieser ‚adaptierten‘ Datierung weichen viele Ereignisse der GVC in der Hypatius-Chronik z. T. mehrere Jahre von ihrer ursprünglichen Fassung ab.193 Die GVC ist neben der Hypatius-Chronik auch in vier späteren Handschriften ebenso erhalten geblieben.194 Eine sehr verwandte Handschrift ist die Chelbnikov-Handschrift (Chlebnikovskij spisok), rund hundert Jahre jünger als die Hypatius- Chronik.195 Schachmatovs stellte bei seinen Untersuchungen eine enge Verwandtschaft zwischen der Hypatius-Chronik und der Laurentius-Chronik fest.196

3.3.3 Laurentius-Chronik

Die Laurentius-Chronik ist eine 1377 erstellte Kopie des Mönchs Laurentius im Auftrag des Fürsten Dmitri Konstantinovich von Suzdal und Nizhni Novgorod197 und „the oldest extant ‚dated‘ Russian chronicle“198. Ihre Quelle ist die Großfürstliche svod von 1305.199 Diese Quelle der Laurentius Chronik von 1305 wurde vom Tverer Fürst Michail Jaroslavich in Auftrag gegeben. Sie enthielt die Nestorchronik, Berichte der alten Chronik von Vladimir und zusätzlich Nachrichten über die russische Geschichte des 13. Jahrhunderts. Darin ist eine ausführliche Beschreibung der mongolischen Eroberung der Stadt Vladimir von 1238 enthalten.200 Jakov Solomonovich Lurʹe fiel die detailreiche, ausschmückende Darstellung der von den Tataren begangenen Grausamkeiten auf. Die svod von 1305 hat eine eindeutig antitatarische Tendenz. Durch die Stärke des Khans zu der Zeit, konnte die Feindseligkeit nicht direkt formuliert werden, sondern musste durch Wendungen und sonstige Euphemismen beschönigt werden.

192 Vgl. Perfecky, Hypatian Codex, S. 7. 193 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 167. 194 Vgl. Perfecky, Hypatian Codex, S. 11. 195 Vgl. Müller, Handbuch zur Nestorchronik 4, S. XVIII. 196 Vgl. Hans-Jürgen Grabmüller: Die russischen Chroniken des 11.-18. Jahrhunderts im Spiegel der Sowjetforschung (1917-1975). Die „Povest' vremennych let“. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 25 (1977), H. 1, S. 68. Im Folgenden zitiert als: Grabmüller, Povest, S. 68. 197 Vgl. Cross, Laurentian Text, S. 4. Vgl. Müller, Handbuch zur Nestorchronik 4, S. XIV. 198 The National Library of Russia, 2012. Introduction. URL: http://expositions.nlr.ru/LaurentianCodex/eng/manuscript1.html [gesehen am 02.03.2021] 199 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 177. 200 Vgl. Müller, Handbuch zur Nestorchronik 4, S. XIV.

40 Detaillierte Beschreibungen von heldenhaften Fürsten und barbarischen Invasoren sollten gegenüber dem Khan und der Goldenen Horde Missgunst hervorrufen.201 Die prorussische Sicht wird von der National Library of Russia wie folgt beschrieben: The leaves of the ancient manuscript sing hymns of Russian military glory. The profoundly humanistic theme of patriotism and spirited care for the destiny of the native land runs all through the story.202 Mit der Zerstörung Vladimirs wurde die Chronistik zunächst in Rostov und ab 1284 in Tver weitergeführt. Der Text von 1377 weist sechs Lücken auf, die auf die schlechte Qualität oder die fehlenden Blätter des Originals hinweisen.203

3.3.4 Radziwill-Chronik

Die Radziwill Chronik (Radzivilovskaja letopis‘) ist in zwei Handschriften, die im ausgehenden 15. Jahrhundert verfasst wurden, überliefert. Die erste Handschrift, die Radzivilovskij spisok, ist dem nordwestlichen Raum rund um Smolensk zuzuordnen.204 Sie enthält einerseits die Nestorchronik in der Silvesterfassung bis 1116 und andererseits Handschriften, die die Zeit bis zum Jahr 1206 behandeln und im nördlichen Vladimir oder Pereislavl-Zalesskij abgeschlossen wurden. 205 Das Besondere dieser Chronik sind die zahlreichen künstlerisch gestalteten Miniaturen. Sie enthält 618 farbige zumeist nicht-religiöse Illustrationen und Miniaturen aus der vortatarischen Zeit bis ins 15. Jahrhundert.206 Niedergeschrieben wurde sie wahrscheinlich gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Fürst Boguslaw Radziwill schenkte diese Handschrift Mitte des 17. Jahrhunderts der Königsberger Schlossbibliothek, weshalb die Chronik auch Königsberger Handschrift bezeichnet wird.207 Die Handschrift enthält sowohl fehlende als auch fehlerhafte Stellen. Im Zuge des 7-jährigen Krieges gelangte die Chronik von Königsberg nach St. Petersburg. Die Akademiceskij spisok bildet als zweite Handschrift den Anfang der Handschrift der Moskauer Geistlichen Akademie, Moskovskaja Akademiceskaja letopis‘. Sie enthält zwar keine Miniaturen, ist dafür im Gegensatz zur Radzivilovskij spisok inhaltlich vollständig erhalten.208

201 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 177. 202 The National Library of Russia, 2012. Introduction. URL: http://expositions.nlr.ru/LaurentianCodex/eng/manuscript1.html [gesehen am 02.03.2021] 203 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 176. 204 Vgl. ebda., S. 183. 205 Vgl. Müller, Handbuch zur Nestorchronik 4, S. XIII. 206 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 183. 207 Vgl. Müller, Handbuch zur Nestorchronik 4, S. XIII. 208 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 183.

41 3.3.5 Erste Novgoroder Chroniken

Die Chronistik begann in Novgorod recht früh. Bereits die Nestorchronik enthält einige Begriffe und Einzelheiten aus den Novgoroder Schriften. Die PVL beschreibt, dass 1067 Novgorod von Fürst Vsevlav von Polozk niedergebrannt wurde. Diese Information konnte nur durch Wissenstransfer mittels Niederschrift von Novgorod nach Kiev gelangt sein. Die Einträge und Kompositionen aus den Jahren 1136 und 1137 sind auf den Kleriker Kirik in St. Sophia zurückzuführen. 1167 wurde die Chronik vom ersten Erzbischof von Novgorod, Elias, vermutlich neu angeordnet und zu einer größeren erzbischöflichen Kompilation umstrukturiert. So wurden zu der Kiever Anfangschronik die zeitgleichen Geschehnisse in Novgorod zusätzlich eingetragen. Diese Chronik ist jedoch nicht mehr im Original enthalten.209 Die Novgoroder Chroniken zeichnen sich durch nüchterne, historische Berichte aus und vermeiden zumeist literarische oder ornamentale Stilmittel.210 Lediglich bei negativen Ereignissen, wie Hungersnöte, innere Konflikte oder verlorene Kriege, wird von einem nüchternen auf einen religiös-moralischen Schreibstil mit belehrendem Charakter gewechselt.211 Zu den bekannten Chroniken dieses Raumes gehört die Erster Novgoroder Chronik. Sie ist in zwei Redaktionen, einer älteren und einer jüngeren Fassung, überliefert. Die ältere Redaktion, die Synodalhandschrift – benannt nach der Synodalsammlung des Staatlichen Historischen Museums in Moskau212 –, besteht aus drei Teilen und sieben Handschriften, die den Zeitraum 1016 bis 1352 behandeln.213 Die ältere Novgoroder Chronik ist zugleich die älteste Handschrift der ostslawischen Chronikliteratur.214 Die Synodalhandschrift ist eine Kompilation, zu der u. a. die erzbischöfliche Chronik (Novgorodskij sofijskij svod) und die Vsevoloda svod aus dem Jahr 1167 des Priesters German Vojata im Auftrag des Novgoroder Bischofs215 gehören.216 Der älteren Redaktion fehlt die Zeit vor 1016. Zudem ist die Zeit zwischen 1273 und 1298 lückenhaft.217 Die letzten drei Jahreseintragungen in der Synodalhandschrift (1337, 1345 und 1352) werden einem

209 Vgl. The Chronicle of Novgorod. 1016-1471. Übers. von Robert Mitchell und Nevill Forbes. Offices of the Society: London 1914. (= Camden Third Series. 25.), S. XXXIX. Im Folgenden zitiert als: The Chronicle of Novgorod. 210 Vgl. Die Erste Novgoroder Chronik nach ihrer ältesten Redaktion (Synodalhandschrift) 1016-1333/1352. Edition des altrussischen Textes und Faksimile der Handschrift im Nachdruck. Hrsg. und übers. von Joachim Dietze. Otto Sagner: München 1971, S. 28. Im Folgenden zitiert als: Dietze, Novgoroder Chronik. 211 Vgl. Ebda, S. 11. 212 Vgl. The Chronicle of Novgorod, S. XXXIX. 213 Vgl. Dietze, Novgoroder Chronik, S. 29f. 214 Vgl. Ebda, S. 5. 215 Vgl. Ludolf Müller: Studien zur altrussischen Legende der Heiligen Boris und Gleb (6). In: Zeitschrift für Slavische Philologie 64 (2005/2006), Heft 2, S. 247. 216 Vgl. Dietze, Novgoroder Chronik, S. 35f. 217 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 187f.

42 Archimandrit des Georg-Klosters zugeordnet.218 Der Zeitraum aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts enthält Geschehnisse aus Kiev, Konstantinopel, Riazan und weiteren Orten. Die darauffolgende Zeit bis 1305 besteht zum Großteil aus Novgoroder Handschriften. 1329 wurde eine Kompilation von Chroniken vom Erzbischof Basileus niedergeschrieben. Von dieser ist jedoch nur eine Transkription, die für das St.-Georgs-Kloster bestimmt war, erhalten. Diese Kopie wurde in den folgenden Jahrzehnten ständig editiert. 1420-1430 wurde sie einer Überarbeitung unterzogen und durch zahlreiche neue Jahreseinträge erweitert.219 Die jüngere Redaktion der Ersten Novgoroder Chronik hat die Urschrift der Synodalhandschrift als Hauptquelle und wurde durch Handschriften (spisoks) erweitert: Hierbei kommt der Komissionnyj spisok, abgek. K, die am Anfang oder Mitte des 15. Jh. editiert wurde eine besondere Rolle zu. Ebenso sind in diesem Zusammenhang die späteren spisok Akademiceskij spisok (15. Jh., abgek. A), Troickij spisok (16. Jh., abgek. T), Tolstovskij spisok (18. Jh., abgek. T), Voroncovskij spisok (19. Jh.) und Rumjancevskij spisok (19. Jh.) zu nennen.220 Erstmalig wurde die Synodalhandschrift 1781 herausgegeben und in weiterer Folge immer wieder aufgelegt. Der gesamte Komplex der Novgoroder Chronik wurde 1841 im Zuge der PSRL als 3. Band veröffentlicht. Der Text der Ersten Novgoroder Chronik wurde bisher nur einmal und dies 1914 in englischer Sprache übersetzt und behandelt den Zeitraum 1016-1471. Die Grundlage der Übersetzung bildete die Textedition von P. I. Savvaitov aus dem Jahr 1888. Wesentlich für die englische Übersetzung ist die Synodalhandschrift. Der Chronikanfang ist dem Tolstovskij und dem Komissionnyj spisok entnommen. An der Synodalhandschrift schließt die Komissionnyj spisok an. Weiteres Bestandteil der Inhalte ist die Akademiceskij spisok.221

3.3.6 Moskauer Chronistik

Die Dreifaltigkeits-Chronik (Troickaja letopis‘) wurde am Hofe des Moskauer Metropoliten Kiprian zusammengestellt. 1812 ging sie bei einem Brand gänzlich verloren.222 Mitte des 20. Jahrhundert konnte sie u. a. durch Erwähnungen in N. M. Karamazins Schriften und der Simeonovskaja letopis‘, der er stark ähnelte, von Priselkov rekonstruiert werden. Die Dreifaltigkeits-Chronik thematisiert die Zeit bis 1408. Sie wurde Anfang des 15. Jahrhunderts überliefert und bestand aus lediglich einer Handschrift.223 Die Zeitspanne 906 bis 1177 ist aus

218 Vgl. Dietze, Novgoroder Chronik, S. 35f. 219 Vgl. The Chronicle of Novgorod, S. xxxix. 220 Vgl. Dietze, Novgoroder Chronik, S. 29 und 39f. 221 Vgl. ebda., S. 43-45. 222 Vgl. Hellmann, altrussische Quellen, S. 310. 223 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 182.

43 der Laurentius-Chronik rekonstruiert und für die letzten Jahre 1391 bis 1408 bildete die Moskauer Chronik von 1479 die Basis.224 Die Moskauer Chronik von 1479 (Moskovskij svod 1479) ist in einer Handschrift des 18. Jahrhunderts überliefert und bildet die Grundlage der Chronistik des Fürstentums Moskau bis spät ins 16. Jahrhundert. Ein wesentlicher Teil basiert auf der Handschrift von Feodosij und Filipp – einer Bearbeitung der Novgoroder-Sofien- Handschrift – mit dem Unterschied zur Hauptquelle, dass die Moskauer Chronik eindeutig prorussische Tendenzen aufweist.225 Die Moskauer Chronik – die als Band 25 in der PSRL veröffentlicht wurde – behandelt die Zeit der PVL bis zum Jahr 1492 und ist vermutlich unmittelbar nach der Angliederung Novgorods an Moskau entstanden. Sie war lange Zeit nur in einer lückenhaften Abschrift bekannt. 1928 fand N. N. Tichomov in einer Handschriftensammlung, die dem Grafen Uvarov einst gehörte, einen Codex aus dem 16. Jahrhunderts, der die Moskauer Chronik enthielt. Die Erzählung in dieser Chronik beginnt mit der PVL, die auf der Sophien-Chronik (Sofìjskaja pervaja letopis‘) beruht, jedoch erst 1071 mitten im Satz beginnt und schon bald durch Angaben aus dem Moskauer Codex von 1418 ‚ersetzt‘ wird, wodurch sich auch der Schwerpunkt auf Moskau verlagert. Die Jahre 1472 bis 1492 stuft Hellmann für die folgende Chronistik als wichtig ein, da hier Mitteilungen von Ivan III. gemacht werden, die sonst keine Primärquelle enthält.226 Die Moskauer Akademiehandschrift der Suzdaler Chronik (Moskovsko- Akademiceskaja letopis‘) ist ein Codex aus dem 15. Jahrhundert, bestehend aus drei Teilen: die Akademiceskij spisok am Anfang beschreibt die Zeit bis 1206, der Auszug der Sofijskaja 1 letopis‘ im Mittelteil den Zeitraum 1205 bis 1238 und der Endteil hat die Ereignisse von 1238 bis 1419 im Fürstentum Rostov als Schwerpunkt. Bei diesem letzten Teil handelt es vermutlich um Auszüge aus der Rostover Chronik.227 Nachdem Moskau über Tver gesiegt hatte, wurden Legendenerzählungen herausgearbeitet, die an byzantinischer und westlicher Mythologie angelehnt waren und den mächtigen Regenten als Garant für die Sicherheit der Fürstentümer propagieren sollten. Hierzu gehören the Legend of the Babylonian Kingdom und the Legend of the Princes of Vladimir. Nach der letzteren Legende, sind die Wurzeln des Moskauer Herrschergeschlechts bis auf Prus zurückzuführen – den Bruder des römischen Imperators Augustus.228

224 Vgl. Hellmann, altrussische Quellen, S. 310. 225 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 192. 226 Vgl. Hellmann, altrussische Quellen, S. 306-308. 227 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 185. 228 Vgl. Zenkovsky, Medieval Russia‘s Chronicles and Tales, S. 24.

44 Eine besondere prorussische Moskauer Chronik stellt die Nikon-Chronik, Nikonovskaja letopis, dar. Die Nikon-Chronik wurde in den Kanzleien des Metropoliten von Moskau und später in der Kanzlei von Ivan IV. erstellt. Es beinhaltet in zwei Teilen diverse z. T. in anderen Chroniken nicht mehr erhaltene, historische Informationen aus den unterschiedlichsten Fürstentümern. Der erste Teil wurde in den 1520ern und 30ern geschrieben, der zweite Teil in den 1550ern vervollständigt.229 „Die Nikonovskaja letopis ' […] ist eine Chronik par excellence“ tituliert Worster230 - sie erzählt die Geschichte der Rus' und des Moskauer Reiches von den Anfängen bis zu dem Jahr 1558. Die Chronik hat einen pathetischen Stil und eine klare ideologische Ausrichtung,231 welche die Stärke der russischen Fürstentümer und im Speziellen der Kirche demonstrieren soll. Mit dem Fall des byzantinischen Reiches soll die Rolle der russischen Kirche als Verteidiger des orthodoxen Glaubens und der Kultur hervorgehoben werden. Die Glorifizierung der russischen Kirche und des Metropoliten ist eine bewusste Absicht dieser Chronik. Starke Ähnlichkeit hat die Nikon Chronik mit der Ioasafovskaia letopis. Für den Zeitraum 1461 bis 1520 weisen diese beiden Chroniken in Inhalt und Interpretation der historischen Ereignisse Parallelen auf.232

3.4 Problemfelder

Die Chronisten tradierten die verfügbaren Texte und erweiterten diese mit weiteren Quellen oder mit Erlebnissen und Erfahrungen aus dem eigenen Lebensbereich. Politische und geistige Tendenzen können in den Abschriften durchaus abgelesen werden. Jedoch sollte mit der Interpretation solcher Tendenzen vorsichtig umgegangen werden, da diese sich nur langsam in schriftlicher Form niederschlagen. Dieses Verharren in bestimmten Grundhaltungen ist auf die ostslawische bzw. russische Kirche und die Metropoliten zurückzuführen, die auf das Geschichtsbewusstsein der Chronisten Einfluss nahmen.233 Die Chroniktexte wurden des Weiteren in ihrer schriftlichen Tradierung mehrfach z. T. stark bearbeitet, dass die Fragen nach dem Verfasser, seiner Intention, des Entstehungsortes und der Authentizität nicht immer hinreichend oder befriedigend beantwortet werden können.234 Die Chroniken stehen dem Leser weitgehend als Rohmaterial zur Verfügung, was ebenfalls durchaus problematisch sein kann, wenn dieser z. B. über kein entsprechendes Vorwissen über Bibel und Liturgie verfügt. Es fehlen nützliche Kommentare, die Orientierungshilfen bieten und ein tieferes Verständnis

229 Vgl. Zenkovsky, Nikonian Chronicle Bd. 1, S. xiiif. 230 Worster, Chroniken als Quellen, S. 194. 231 Vgl. ebda., S. 194f. 232 Vgl. Zenkovsky, Nikonian Chronicle Bd. 1, S. xix und S. xxviif. 233 Vgl. Hellmann, altrussische Quellen, S. 314f. 234 Vgl. Font, Chronistik der Ostslawen, S. 834.

45 fördern können. Zudem stellt die sprachliche Barriere ein großes Problem dar. Textpassagen können z. T. nicht bedeutungsgleich ins Deutsche übersetzt werden, sodass übersetzte Texte das Original nicht hundertprozentig abbilden.235 Die Novogoroder und Kiever Chroniken werden im Vergleich zur Moskauer Chronistik als weniger kompliziert eingestuft.236 Im 19. Jahrhundert wurden die Chroniken von den russischen Historikern noch kaum textkritisch analysiert und interpretiert. Erst mit den russischen Philologen und Historikern Alexei Shachmatov und in der Folgezeit u. a. mit Michail Priselkov, Dmitri Lichacev und Arseni Nasanov sollte die gesamte Überlieferungsgeschichte samt aller möglichen Auffälligkeiten berücksichtigt werden.237 Im deutschsprachigen Raum sind bis auf Ludolf Müller und Hans-Jürgen Grabmüller kaum Historiker zu nennen, die sich der russischen Chroniken und/oder der Übersetzung dieser annehmen oder annahmen. In englischer Sprache lassen sich dagegen einige Übersetzungen aus dem 20. Jahrhundert finden.238

235 Vgl. Hellmann, altrussische Quellen, S. 315. 236 Vgl. Font, Chronistik der Ostslawen, S. 834. 237 Vgl. Worster, Chroniken als Quellen, S. 163. 238 u. a.: The Russian Primary Chronicle. Laurentian Text. Hrsg. und übers. von Samuel Hazzard Cross und Olgerd P. Sherbowitz-Wetzor. Medieval Academy of America: Cambridge, Massachusetts 1953 The Hypatian Codex II. The Galician-Volynian Chronicle. Übers. von George A. Perfecky. Wilhelm Fink: München 1973. (= Harvard Series in Ukrainian Studies. 16, II.) The Chronicle of Novgorod. 1016-1471. Übers. von Robert Michell und Nevill Forbes. Offices of the Society: London 1914. (= Camden Third Series. 25.) The Nikonian Chronicle. Hrsg. von Serge A. Zenkovsky. Übers. von Serge A. Zenkovsky und Betty Jean Zenkovsky. Kingston Press: Princeton und New Yersey 1984. (5 Bände)

46 4 Sergei Soloviev

Sergei Michailovich Soloviev (auch Solov’ev, Solovyov oder Solowjow geschrieben) war ein russischer Historiker, geboren am 17. Mai 1820 in Moskau. 1847 wurde er Professor an der Universität in Moskau. Er gehörte ab 1872 der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg an. Sein Themenschwerpunkt war die russische Geschichte. Die größte Zeit widmete er seinem Hauptwerk der Istorija Rossii s drevnejšich vremen, das in 29 Teilen die Geschichte vom Ursprung der Kiever Rus‘ bis zu Katharina II., die Große, rekonstruiert und im Zeitraum 1851 bis zu seinem Tod 1879 geschrieben wurde. Besonders die Reformen Peters I., des Großen, hatten sein Interesse geweckt. Soloviev war es in all seinen Werken ein Anliegen, „die Gesetzmäßigkeit der historischen Entwicklung Russlands“ 239 zu betonen. „Solovyov’s work greatly influenced virtually all later Russian historians.“240 Eine anachronische, (immer) noch unvollständige englische Übersetzung der Istorija Rossii wurde von der Academic International Press in über 35 Bänder unter dem Titel History of Russia herausgegeben.241 Band 27 Peter the Great wurde als bisher letztes Band 2020 publiziert.242 Die Übersetzungen der AIP bilden die Grundlage dieses Kapitels. Im ersten Schritt erfolgt eine Komprimierung der wesentlichen Inhalte aus Solovievs History of Russia und im zweiten Schritt die Diskussion samt Resümee.

4.1 Aufstieg Moskaus in A History of Russia From Earliest Times

4.1.1 Russland im 13. Jahrhundert

Bereits 1229 werden die Tataren in den russischen Chroniken erwähnt. 1236 ritt ein riesiges Tatarenheer kommandiert von Batu in Richtung bulgarisches Gebiet. Sie schlachteten die Einwohner, brannten Häuser nieder und verwüsteten das Land. Ende 1237 belagerten und attackieren die Tataren die Stadt Riazan, zerstörten diese und zogen weiter nach Moskau, das sie ebenfalls bezwangen. Suzdal und Vladimir wurden in Brand gesteckt. Sie drangen bis nach Kliazma im Nordosten vor, nahmen die Polovetser Route Richtung südliche Rus‘, wo die Tataren 1239 die halbe Bevölkerung von Pereiaslavl massakrierten und 1240 unter der Führung

239 Brockhaus. URL: https://brockhaus.at/ecs/enzy/article/solowjow-sergei-michailowitsch [gesehen am 09.02.2021]. Wortinformation: Sergei Michailowitsch Solowjow. 240 Britannica. URL: https://www.britannica.com/biography/Sergey-Mikhaylovich-Solovyov [gesehen am 02.03.2021]. Wortinformation: Sergey Soloviev. 241 Vgl. Academic International Press. URL: https://www.ai-press.com/Soloviev.html [gesehen am 09.02.2021]. 242 Vgl. UB Katalog TU Braunschweig. URL: https://katalog.ub.tu- braunschweig.de/vufind/Search2Record/1702153827 [gesehen am 09.02.2021]. Wortinformation: History of Russia.

47 Möngkes, der Neffe Batus, Kiev belagerten und einnahmen.243 Die einzigen Menschen, die verschont wurden, waren jene, die die tatarische Souveränität anerkannten. Jaroslav II. Vsevolodovich, der Bruder Juris II. und der älteste überlebende russische Fürst, besuchte 1246 zunächst Batu Khan. Dann reiste er weiter nach Karakorum, wo man ihn vermutlich ermordete. Nach einem kurzen Intermezzo wurde Alexander als Fürst von Kiev und Novgorod bestätigt, Andrei II. als Großfürst von Vladimir. Beide waren zuvor nach Karakorum gereist. Andrei wandte sich schon früh von den Tataren ab, wurde in Nevriuy besiegt, floh nach Novgorod und weiter nach Schweden.244 Batu starb 1255. In den folgenden Jahren wurden die Tataren unter Berke Khan besonders in der Gegend um Suzdal, Riazan und Murom mit ihren Steuerleuten aktiv. Soloviev zufolge soll Großfürst Alexander Nevski mit tatarischen Gesandten nach Novgorod gereist sein, das von Nevskis Sohn Vasili geführt wurde, um dort Abgaben und Steuern einzuheben. Die Novgoroder Bevölkerung soll dies aber verweigert, die Gesandten mit Geschenken vertröstet und schließlich friedlich weggeschickt haben. Als Alexander erneut mit Tataren aufkreuzte, kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen. Die Tataren, die um ihr Leben fürchteten, wandten sich hilfesuchend an Alexander, der ihnen Schutz gewährte. Alexander starb 1263. Soloviev überhäuft ihn mit Lobeshymnen. In den folgenden Jahrzehnten blieb Novgorod ein Pulverfass. Zwischen Tver und Moskau häuften sich die Konflikte. Die Dynastien-Verbindungen wurden schwächer und Herrscher legten ihren Fokus auf die Verstärkung des eigenen Fürstentums. Berke Khan führte den Islam in der Goldenen Horde ein und mit dem Islam wurden die Steuereintreibungen vorangetrieben. Der Zeitraum 1276 bis 1304 war gekennzeichnet von Konflikten zwischen den Söhnen Alexander Nevskis und Auseinandersetzungen der Fürsten aus Moskau und Tver.245

4.1.2 Moskau wird zum Großfürstentum

1302 starb Fürst Ivan Dmitrievich von Pereiaslavl kinderlos. Er vererbte seinen Besitz Daniel von Moskau. Dadurch expandierte das Fürstentum Moskau ohne eigenes Zutun stark. 1303 starb Daniel von Moskau und sein Sohn Yuri I. Danilovich beerbte ihn als Fürst von Moskau. Andreis Tod 1304 führte zu intensiveren Machtkämpfen zwischen Moskau und Tver, bei denen es primär um das rechtmäßige Erbe und den Bezug von Apanagen ging. So attackierte Michail von Tver 1308 Moskau, verursachte einen erheblichen Schaden und verließ die Stadt, ohne sie

243 Vgl. Sergei M. Soloviev: Russia Under the Tatar Yoke. 1228-1389. Hrsg. und übers. von Helen Y. Prochazka. Academic International: Gulf Breeze 2000. (=History of Russia. 4.) S. 19-24. Im Folgenden zitiert als: Soloviev, Tatar Yoke. 244 Vgl. Soloviev, Tatar Yoke, S. 31-40. 245 Vgl. ebda., S. 42-50 und 81-86.

48 einzunehmen. Bis 1313 sollte Tver eine ständige Gefahr für Moskau spielen. Als der neue Khan Uzbeg Tokhtu folgte, eilte Michail von Tver nach Sarai, um seine Großfürstenwürde bestätigen zu lassen. Die Abwesenheit Michails in Russland wollte nun Novgorod, das unter Tverer Oppression stand, nutzen, um sich mit Hilfe Moskaus von Michail zu lösen. Juri I. erhielt in der Zwischenzeit eine Einladung vom Khan. Michail kehrte mit Tataren nach Russland zurückkehrt und zerstörte Novgorod gänzlich. Er konnte mit Geld besänftigt werden, zog zwar ab, nahm aber einen Bruder Juris und einige Bojaren gefangen. Juri I. hatte in der Zwischenzeit Kochaka, die Schwester des Khans, geheiratet, die zum Christentum konvertierte und den Namen Agafia führte. Mit tatarischen Truppen, geführt von Kavgady machte sich Juri auf den Weg zu Michail. Juris Frau wurden gefangen genommen, ohne dass es zum Krieg gekommen war. Der Konflikt sollte am Hof des Khans ausdiskutiert werden. Juris Frau starb jedoch zuvor in Tver. Gerüchte einer Vergiftung verbreiteten sich. In der Horde kam es zum Prozess Michails. Der tatarische Kläger Kavgady folterte und tötete Michail, der eine Flucht vermied und seinem Schicksal märtyrergleich entgegentrat.246 1320 kehrte Juri I. als Großfürst nach Moskau zurück. Dmitri Michailovich von Tver machte sich auf die Reise nach Sarai, unterrichtete den Khan darüber, dass Juri I. Danilovich in Tver Tribute unterschlug. Beide erschienen vor den Tataren, und Dmitri brachte Juri in Gegenwart der Tataren um. Dies missfiel dem Khan und er ließ Dmitri aufgrund seiner Selbstjustiz 1325 ermorden. Die Großfürstenwürde ging an Dmitris Bruder Alexander Michailovich von Tver über. Alexander hatte eine kurze Regierungszeit. 1327 tauchte der tatarische Botschafter Shelkhan vor den Toren Tvers auf. Das Gerücht ging um, dass er selbst Großfürst von Tver werden wollte. Die Tataren wurden bekriegt, zurückgedrängt und die alte Residenz Michaels samt Shelkhan, der darin Schutz suchte, niedergebrannt. Ivan I. Danilovitsch, genannt Kalita, marschierte mit einem tatarischen Heer von Suzdal nach Tver. Die vom wütenden Uzbeg gesandten Tataren machten Tver dem Erdboden gleich. Während Alexander nach Pskov floh, akzeptierten die Bürger Tvers den von Ivan Kalita gestellten Statthalter. Uzbeg ernannte Ivan Kalita zum Großfürsten Moskaus und Konstantin Michailovich zum Fürsten von Tver. Für die anderen Fürstentümer bedeutete der Aufstieg Ivan Kalitas eine Zeit der Schreckensherrschaft, in der Rostov, Riazan, Tver und andere Städte Gewalttaten ausgesetzt waren. Novgorod konnte seine Freiheit friedlich wahren, indem es Moskauer Großfürsten Schätze und teure Waren anboten.247 Militärische Eroberungen spielten insgesamt eine geringe Rolle für das Wachstum des Moskauer Fürstentums. Ab Ivan Kalita

246 Vgl. Soloviev, Tatar Yoke, S. 87-113. 247 Vgl. ebda., S. 118-133.

49 erfolgte die Expansion primär durch Kauf oder durch Erwerbung von Gebieten ohne Einsatz von physischer Gewalt, daher wurde die Schwäche anderer Fürstentümer für die eigenen Expansionsbestrebungen genutzt. Große Teile Rostovs wandten sich nach etlichen Angriffen durch Ivan Kalita Moskau zu. Eine höhere Bevölkerungszahl bedeutete größere Einnahmen für den Großfürsten. Mit dem angehäuften Reichtum war es Ivan Kalita möglich, ganze Fürstentümer wie Belozersk, Uglich oder Galich zu kaufen. Diese waren womöglich nicht fähig, Abgaben an die Horde zu leisten. Um für die ausbleibenden Zahlungen keine Vergeltungsschläge zu erleiden, entschloss man sich, sich in die Obhut Moskaus zu begeben. Der Großfürst häufte wiederum noch mehr finanzielle Mittel, um dem Khan und dessen Adeligen mit Geschenken und Reichtümer Tribut zu zollen. Das Freikaufen von Gefangenen der Goldenen Horde sollte Moskau weitere Untergebene bescheren, die im gesamten Land angesiedelt und denen Funktionen zugewiesen wurden.248

4.1.3 Sieg über die Goldene Horde

Ivan Kalita starb im März 1341. Sein ältester Sohn, Simeon, erhielt den größten Erbanteil und das Großfürstentum Vladimir. Der Versuch der anderen Fürsten, Simeon in Sarai zuvorzukommen, scheiterte ob der Macht und des Reichtums Moskaus. Schnell erkannten sie, dass die Balance in Russland abhängig von Moskau war und dass Simeon zusätzlich die Tataren auf seiner Seite hatte. Selbst Vsevolod Alexandrovich, Fürst von Tver, sah davon ab, seinen Vater zu rächen und legte den Konflikt zwischen Tver und Moskau mit der Hochzeit zwischen seiner Schwester Maria und Simeon 1346 bei. Simeon von Moskau reiste insgesamt fünf Mal nach Sarai und wurde jedes Mal mit besonderer Ehre ausgezeichnet. Simeon hatte alle Vorkehrungen für einen Frieden in Moskau getroffen und keinen Feind zu fürchten. Einzig das Schicksal sollte ihm einen Strich durch die Rechnung machen: 1353 erlagen Simeon, seine zwei Söhne, sein Bruder Andrei und der Metropolit Theognostos der Pest in Moskau. Seine Besitztümer gingen aufgrund des Todes seiner Frau direkt in den Besitz Ivans II. über. Vom Khan erhielt Ivan II die Großfürstenwürde.249 Mitte des 14. Jahrhunderts wurden die Khane häufig Opfer von internen Intrigen und wechselten entsprechend häufig. Währenddessen expandierte Litauen unter Algirdas bedrohlich weit Richtung Russland. Ivan II. starb 1359, und sein Fürstentum wurde unter seinen beiden Söhnen Dmitri und Ivan und seinem Neffen Vladimir Andreievich aufgeteilt. Dmitri Donskoi folgte auf den Thron. Die Pest forderte indes viele prominente Opfer, waren unter den Toten die Fürsten von Rostov, Tver und Suzdal. Entsprechend kam es zu Spannungen und

248 Vgl. Soloviev, Russian Society, S. 6. 249 Vgl. Soloviev, Tatar Yoke, S. 139-158.

50 Streitigkeiten in Fragen rund um Apanagen, um Erbe und Abfindungen. Dmitri Donskoi konnte seine Position unter Mithilfe des Metropoliten Alexis festigen. 1368 luden Großfürst Dmitri und der Metropolit Fürst Michail II. Alexandrovich von Tver nach Moskau ein und nahmen ihn gefangen. Michail II. konnte jedoch fliehen. Er bereitete Vergeltung vor und zog mit einem litauischen Heer, geführt von Algirdas, nach Moskau. Moskau wurde drei Tage belagert, ohne eingenommen zu werden. Nach drei Tagen mussten die Litauer abziehen, da die Deutschen im Westen Probleme bereiteten. Die erste Hälfte der 1370er war geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Tver und Moskau, die Dmitri Donskoi 1375 für sich entschied. 1377 starb Michails größter Verbündeter Algirdas, womit die Allianz mit Litauen an Bedeutung verlor und Tver einen schweren Rückschlag erhielt.250 1377 tauchte ein tatarisches Heer geführt von Emir Arapsha in der Sura-Region auf. Dmitri von Moskau eilte zu seinem Schwiegervater Dmitri von Nizhni Novgorod. In den folgenden Monaten überraschte Emir Arapsha die Fürstentruppen mit seinem Heer immer wieder unmittelbar außerhalb von Nizhni Novgorod und in Riazan mit plötzlichen, brutalen und intensiven Angriffen. Sie brannten Häuser nieder, plünderten, mordeten und einige Russen ertranken im Fluss Piana, als sie diesen in ihrer Panik überqueren wollten. 1378 erschienen die Tataren unter der Führung Begichs erneut ohne Vorwarnung vor den Toren Nizhni Novgorods. Dmitri, der diesmal auf den Gegner vorbereitet war, schlug die Tataren am Fluss Vozha – einem kleinen Nebenfluss der Oka. Ein Großteil der Tataren wurde getötet oder ertrank im Fluss, einem geringen Teil gelang die Flucht. Daraufhin marschierte Emir mit einem Trupp auf. Die folgende Schlacht zwischen Dmitri und Mamai sollte einen Wendepunkt für die Moskauer Großfürsten stellen. Das Tatarenheer wurde 1380 im battle of Snipe Field, in der Schlacht auf dem Kulikovo Pole, in der Nähe des Flusses Don besiegt. Der Sieg am Kulikovo Pole war ein Beweis der russischen Stärke und „a sign of Europe’s triumph over Asia“251. Mamai gelang die Flucht zur Horde, wurde dort aber von Khan Tokhtamysh besiegt und floh auf die Krim, wo er ermordet wurde. Tokhtamysh zog 1382 Richtung Moskau. Feuerpfeile wurden in die Stadt geschossen und die Mauern überwunden. Mit Lüge und List verschafften sich die Tataren durch die Tore Zugang, brannten die Kirchen nieder und mordeten ohne Ende. Die Russen hatten dem schnellen Einfall wenig entgegenzustellen. Dmitri musste die Hoheit des Khans anerkennen.252 Dmitri Donskoi starb am 1389, im Alter von 39 Jahren, und hinterließ sechs Söhne. Vasili I. wurde der nächste Großfürst. Dmitri hatte mit einem umfangreichen Testament seine Thronfolge und sein Erbe bis ins Detail geregelt. Diese klammerte die Tataren

250 Vgl. Soloviev, Tatar Yoke, S. 162-179. 251 Ebda., S. 190. 252 Vgl. ebda., S. 184-195.

51 aus, wodurch eine Reise zur Horde nicht mehr notwendig war – ein Indiz dafür, dass die Moskauer Großfürsten keine Bestätigung vom Khan mehr brauchten oder wollten, um über den anderen russischen Fürsten zu stehen.253

4.1.4 Moskau reformiert die Erbfolge

1390 wurde Vasili I. Dmitrievich vom tatarischen Botschafter als Großfürst bestätigt. Vom Khan erhielt er zudem Nizhni Novgorod, Gorodez, Murom und Meshchera. Ab 1393 verschlechterte sich das Verhältnis zwischen dem Großfürsten und Novgorod. 1408 wurde Vasilis Bruder Konstantin Statthalter Nvogorods. Riazan kam unter Moskauer Herrschaft und Tver war mit inneren Konflikten beschäftigt.254 Mit dem Vordringen Tamerlans aus dem Tschagatai Khanat häuften sich auch die Angriffe der Horde auf russische Fürstentümer. Besonders Riazan war davon betroffen. Die Stimmung in den russischen Gebieten kippte und äußerte sich in Spott und Hohn für tatarische Botschafter und Kaufleute. Emir Edigei suchte Rache für den mangelnden Respekt, der seinen Leuten entgegengebracht wurde, und startete einen Angriff auf Moskau und die russischen Gebiete. Das Tatarenheer teilte sich in allen Richtungen auf und zerstörte Pereislavl, Rostov, Dmitrov, Serpukho, Verei, Nizhni Novgorod, Gorodez und Klein. Nach dem Angriff durch Edigei dauerte es drei Jahre, bis Vasili Dmitrievich zur Horde reiste. Weder Verwandte noch Bojaren hatte er bis dahin zum Khan geschickt. Am 27. Februar 1425 starb Vasili I. Dmitrievich nach 36 Regierungsjahren an einer Krankheit.255 Sein Nachfolger wurde sein 10-jähriger Sohn Vasili II. Vasilievich. Dmitri Konstantinovich von Suzdal wollte mit Unterstützung des Khans Moskau einnehmen und den Thron besteigen. Trotz der Minderjährigkeit des Großfürsten war Moskau so mächtig, dass sich Vasili II. durchsetzen konnte. Der Sieg bedeutete zugleich, dass von den geschwächten Fürstentümern Nizhni Novgorod und Tver keine Gefahr ausgehen konnte und diese Vasili II. als Thronfolger anerkannten. Fürst Juri Dmitrievich von Zvenigorod, Bruder Vasilis I., wollte dagegen die Nachfolge seines Neffen Vasili II. nicht akzeptieren. Es sah sich nach dem traditionellen Sukzessionsprinzip als rechtmäßigen Erben seines Bruders und nicht seinen Neffen, der den Thron aufgrund des Testaments seines Vaters bestiegen hatte. Juri führte von Galich aus Auseinandersetzung mit dem Großfürsten. Juri stimmte einem Friedensangebot Vasilis II. unter der Voraussetzung zu, dass der Khan den Großfürsten ernennt. 1431 reisten

253 Vgl. Soloviev, Tatar Yoke, S. 214-218. 254 Vgl. Sergei M. Soloviev: From Clan to Crown. Hrsg. und übers. von G. Edward Orchard. Academic International Press: Gulf Breeze 1999. (=History of Russia. 5.) S. 1-18. Im Folgenden zitiert als: Soloviev, Clan to Crown. 255 Vgl. ebda., S. 21-24 und 43.

52 Vasili und Juri zu Ulug Mehmed, der Vasili II. als Großfürst bestätigte. Dass der Besuch und die Bestätigung beim Khan keine Rolle mehr spielte, zeigte sich sodann. Vladimirs Bojar Ivan Dmitrievich Vsevolozheski wechselte die Fronten und griff 1433 gemeinsam mit Juri Moskau an. Juri konnte in der kurzen Zeit nur ein kleines, unorganisiertes Heer zur Verteidigung stellen und floh nach Kolomna, wo er gefangen wurde. Als er freigelassen wurde, stellten sich unzählige Fürsten auf Vasilis Seite. Juri überreichte das Großfürstentum freiwillig an Vasili II. und kehrte nach Galich zurück.256 Ivan Dmitrievich Vsevolozheski wurde von Vasili ergriffen und geblendet. 1435 mobilisierte Juri Dmitrievich die Streitkräfte seiner Söhne Vasili Kosoi und Dmitri Shemiaka und besiegte Vasili II. Moskau und die Großfürstenwürde gingen auf Juri über. Dieser starb aber schon bald, und sein Sohn Vasili Kosoi folgte ihm auf den Thron. Vasili Kosois Brüder Dmitri Schemiaka und Dmitri der Gerechte sahen in dem Tod ihres Vaters den Willen Gottes, dass es ihnen nicht bestimmt war zu regieren. Sie verhalfen Vasili II. erneut zur Herrschaft über das Großfürstentum. Kosoi wurde aus Moskau verbannt und verlor seine Ländereien. Bei erneuten Streitigkeiten wurde Vasili Kosoi gefangen genommen und geblendet. Indes kam es zu Kämpfen mit dem Fürsten von Tver. Auf die Hilfe der Horde konnte der Großfürst sich nicht mehr verlassen, hatte der Khan an Bedeutung verloren. Mit Vasili Kosois Gefangenschaft und Blendung, gingen dessen Besitztümer an seinen Bruder Dmitri Shemiaka über. Von 1440 bis 1445 herrschte Frieden zwischen Vasili II. und Dmitri Shemiaka.257 Dmitri Shemiaka nutzte indes einen günstigen Augenblick, konnte einige Fürsten auf seine Seite gewinnen, verbreitete Gerüchte über Vasili II. und schürte Angst in der Bevölkerung. Er drang im Februar 1446 in Moskau ein, ließ Vasilis Mutter und dessen Frau gefangen nehmen, plünderte Vasilis Schatz, raubte Bojaren und viele Bürger aus. Vasili wurde durch einen Bojaren Shemiakas ergriffen, nach Moskau gebracht und für seine vermeintliche Treue zu den Tataren und seine Gräueltaten an seinen Brüdern geblendet wurde. Nahezu alle Bojaren und Untergebenen Vasilis verweigerten Dmitri die Treuepflicht und flüchteten nach Tver. Dmitri Shemiakas Intrigen stießen bei vielen Fürsten, Bojaren und dem Erzbischof Jonas auf Widerstand. Aufgrund wachsenden Drucks ließ er Dmitri Shemiaka Vasili II. frei. Vasili ging nach Belosersk und weiter nach Tver, wo ihm Fürst Boris Alexandrovich die Unterstützung gegen Shemiaka versprach. Vasili Jaroslavich und weitere Moskauer Geflüchtete aus Litauen marschierten gemeinsam mit den Söhnen von Ulug Mehmed, Kasimov und Yakub, und einem Tatarenheer gegen Shemiaka nach Moskau. Währenddessen gelang es loyalen Moskauer Bojaren, die

256 Vgl. Soloviev, Clan to Crown, S. 47-54. 257 Vgl. ebda., S. 54-60.

53 Stimmung des Volkes zu Gunsten des Großfürsten Vasili II. zu kippen. Unter den veränderten Bedingungen, dass Vasili II. nun von Tver unterstützt wurde, Vasili Jaroslavich mit Unterstützung der Tataren von der anderen Seite marschierte und Moskau zudem besetzt wurde, floh Shemiaka nach Galich. Der Triumpf Vasilis II. 1447 verdeutlichte zu sehr, dass in Russland kein Fürst gegen den Moskauer Großfürsten ankommen konnte. 1456 marschierte Vasili II. mit einem großen Heer nach Novgorod, besiegte ein kleines Heer des Bürgermeisters Michail Tucha und nahm diesen gefangen. Erzbischof Evfimy und hochrangige Persönlichkeiten Novgorods besuchten daraufhin Vasili und baten um Frieden. Damit hatte sich Vasili II. endgültig als Großfürst aller russischen Fürsten durchgesetzt, ein neues Erbrecht durchgesetzt und die Überreichung der Fürstentitel durch die Tataren wertlos gemacht.258 Nach der neuen Sukzessions-Ordnung folgte Vasilis II. ältester Sohn Ivan III., der Große, seinem Vater Vasili auf den Großfürstenthron. Das Großfürstentum Vladimir wurde nun unauflöslich mit Moskau vereint. Ivan erhielt den gesamten Osten, während die weiteren Söhne die anderen Gebiete erbten.259

4.1.5 Die Horde hört auf zu bestehen

Als Ivan III. 1462 als Großfürst auf den Thron kam, waren die Fürstentümer im nordöstlichen Russland bereits ins Großfürstentum Moskau integriert. Pskov stellte sich bald auf Ivans III. Seite. Das aufständische Novgorod bestätigte dem Großfürsten vertraglich die Treue und Loyalität, und dass der Novgoroder Erzbischof nur vom Moskauer Metropoliten geweiht werden kann – wenn im Gegenzug Stadt und Bürger von Ivan verschont bleiben. 260 Durch die Heirat 1472 mit der Prinzessin Sofia Palaiologa, der Enkelin des letzten byzantinischen Kaisers Konstantin XI, konnte Ivan III. byzantinische Reichstradition in seine Familie integrieren und sich damit von den anderen privilegierten Nachkommen der Rurikiden abheben.261 Indes brach die Horde aufgrund von Uneinigkeiten innerhalb der eigenen Divisionen und diversen internen selbstzerstörerischen Kriegen zusehends auseinander. Diese eigenständig agierenden tatarischen Teile waren als Spielball nützlich, vom Tatarenjoch war nichts mehr übriggeblieben. Den Tataren ging es selbst nur mehr um das Überleben. Wem sie als Söldner dienten, war zweitrangig. Damit waren die Nomaden auf dem Weg in die Versenkung, ohne aufwendiges Zutun Moskaus.262 1471 ging Ahmad Khan ein Bündnis mit Litauen gegen

258 Vgl. Soloviev, Clan to Crown, S. 65-77 und S. 91f. 259 Vgl. ebda., S. 115f. 260 Vgl. Sergei M. Soloviev: The Reign of Ivan III. the Great. Hrsg. und übers. von John D. Windhausen. Academic International Press: Gulf Breeze 1978. (= History of Russia. 7.) S. 1 und S. 20. Im Folgenden zitiert als: Soloviev, Reign of Ivan III. 261 Vgl. ebda., S. 67f. 262 Vgl. Soloviev, Reign of Ivan III., S. 1f.

54 Moskau ein. Der Khan marschierte das Jahr darauf mit einem Tatarenheer Richtung Moskau. Bereits die Schlacht gegen die Bürger Alexins forderte die Tataren dermaßen, dass der Großfürst Zeit hatte, ein riesiges Heer aufzustellen. Der teure Sieg über Alexin bedeutete für Ahmeds Truppen gleichzeitig den Abbruch des Marsches. 1474 wurde zwischen den beiden Parteien ein Friedensvertrag unterzeichnet. Zwei Jahre später sandte der Khan seine Botschafter, um vom Großfürsten Tribut einzufordern. Der Großfürst verweigerte dies und ließ bis auf einen Gesandten alle umbringen. Diese Entscheidung der Verweigerung von Tributen an den Khan war möglicherweise auf Sophia zurückzuführen, die solche Zahlungen aus dem byzantinischen Reich nicht kannte und angesichts der Macht Ivans III. kein Verständnis dafür aufbrachte. Ahmad rückte 1480 erneut gegen Moskau vor. Russische Truppen positionierten sich am Ufer der Oka, Ugra und Luscha. In Moskau bereitete man sich außerdem für eine etwaige Belagerung vor, sollte der Khan es schaffen, die Oka zu überqueren und bis Moskau vorzudringen. Dem Khan wurden durch einen russischen Gesandten Geschenke überbracht, um von einem Krieg abzusehen. Dieser wollte jedoch, dass der Großfürst oder einer seiner engen Verwandten ihm einen Besuch abstattet. Diesem Wunsch kam Ivan III. nicht nach. Stattdessen wurden einige Truppen zurückgezogen.263 Die Tataren, die die zugefrorenen Flüsse überquerten, fürchteten in der angetroffenen Verlassenheit eine Falle der Russen und kehrten umgehend in ihr Gebiet zurück. Außerdem hätte der harte Winter die teilweise nackten und bloßfüßigen Tataren einige Opfer gekostet. Ahmad kehrte in die Steppe zurück und wurde im Jänner 1481 völlig überraschend von Ivak, dem Khan von Sibir, an der Flussmündung des Donets im Schlaf getötet. Damit wurde der letzte Khan der Goldenen Horde, der für Moskau eine Bedrohung darstellte, von einem Nachfahren Tschinggis Khans ermordet. Als Dank sandte Ivan III. Geschenke an Ivak. Saih-Akhmat, der Sohn Ahmeds und letzte Khan der Horde, wurde 1502 vom Khan der Krimtataren Mengli-Girai, einem Verbündeten Moskaus, besiegt. Damit hörte die Goldene Horde endgültig auf zu bestehen.264

4.2. Diskussion

Aus den Schriften Solovievs kristallisieren sich einige bedeutende Ereignisse für den Aufstieg und die Konsolidierung des Moskauer Großfürstentums im Zusammenhang mit der Goldenen Horde heraus. Alexander Nevski gilt als ‚Ur‘-Ahne der Moskauer Großfürsten. Mit ihm wird die Grundlage des Großfürstentums gelegt. Aus Nevski gingen der Zweig der Suzdaler und der

263 Vgl. ebda., S. 89-92. 264 Vgl. ebda., S. 97f.

55 Zweig der Moskauer Fürsten hervor.265 Der Triumpf Moskaus über Tver bedeutete den Aufstieg Moskaus und der Sieg in der Schlacht am Kulikovo Pole 1380 dessen Loslösung von der Oppression der Tataren. Die Ernennung des Metropoliten in Russland sicherte ihnen die Unabhängigkeit der russischen Kirche.

4.2.1 Einfluss der Horde auf das gesellschaftliche Leben

Auch wenn die Russen weder vertrieben noch die Rus‘ eingenommen wurden, fühlten sie das schwere Joch der Eroberer. Verwüstung und finanzielle Abgaben standen an der Tagesordnung. Als die Belastung durch die Tataren zu groß wurde, begannen sie gegen den Khan und seine Vertreter aufzubegehren. Nach und nach übernahmen russische Fürsten von den Tataren die Aufgabe die Steuern einzutreiben und befreiten die Bewohner von deren Gewalttaten.266 Soloviev wertet den Einfluss der Tataren auf die russische Gesellschaft als äußerst gering. Nachdem die Baskaken, Volkszähler und Steuereintreiber, alsbald abgeschafft wurden, konnten russische Fürsten völlig frei von jeglichem tatarischen Einfluss handeln. [T]he princes were totally freed from Tatar influence in their domestic affairs. Even during the presence of baskaks there is no basis for assuming they had any great sway on domestic affairs, for there is not the slightest evidence of such influence.267 Zenkovsky sieht den Einfluss der Mongolen auf die ‚domestic affairs‘ ebenso unbedeutend: Russian spiritual, artistic, and literary development remained entirely immune to the culture of these illiterate horsemen. The Asian nomads – cattlemen and shepherds – did not settle in the Russian territories […] The tremendous differences in language, religion, and way of life […] prevented the Russians from indulging in any widespread contacts with their conquerors.268 Halperin behauptet dagegen, dass lediglich die gehobene russische Schicht vom Einfluss unangetastet blieb und begründet seine Feststellung mit der Religionszugehörigkeit: The area of Rus’ high culture remained almost totally immune to Tatar influence. While some decorative arts at the Horde may have made their way to the Rus’ forest zone, Rus’ high culture was Christian. The high culture of the Horde was Muslim, and therefore considered as tabu.269 Solovievs Äußerung, dass die Rus‘ im Inneren völlig unbeeinflusst vom tatarischen Einfluss gewesen und geblieben sind, kann schon durchaus den Tatsachen entsprechen. Die Tataren waren nicht daran interessiert, sesshaft zu werden und in die russischen Städte zu ziehen. Sie präferierten die unbewohnten ländlichen Gebiete, in denen sie in kaum einem Austausch mit Russen standen.270 Erhielten sie die vereinbarten Tribute von den russischen Fürsten, kam es zu gar keiner Interaktion mit den Bürgern. Die Angst vor plötzlichen Tatarenangriffen musste

265 Vgl. Soloviev, Tatar Yoke, S. 120. 266 Vgl. Platonov, History of Russia, S. 75. 267 Soloviev, Russian Society, S. 45. 268 Zenkovsky, Medieval Russia, S. 18. 269 Charles J. Halperin: Interrelations of Rus’ with the Jochid Ulus. In: The Golden Horde in World History. A Multi-Authored Monograph. Hrsg. von Rafael Khakimov und Marie Favereau. Sh. Marjani Institute: Kazan 2017, S. 197. Im Folgenden zitiert als: Halperin, Interrelations of Rus’. 270 Vgl. Zenkovsky, Medieval Russia, S. 18.

56 dennoch indirekt das Verhalten der Bewohner in einer Weise verändert haben. Zudem residierten Botschafter in russischen Städten, daher kam es hier zum Austausch. Ein weiterer Punkt sind Ehen zwischen Russen und Tataren. Diese können und haben vermutlich eine symbiotische Wirkung erzielt (haben). Waren die Russen den Tataren im Kampf ursprünglich unterlegen gewesen, änderte sich dies im Laufe des 14. Jahrhunderts. Die Russen mussten hierfür die Tataren ‚auswendig gelernt‘ und ihre Vorzüge adaptiert haben. Halperin bestätigt diese Sichtweise: By the late fourteenth century the Horde dealt more and more exclusively with Moscow, which probably began borrowing Tatar institutions. Certainly, Muscovy–and potentially other northeast Rus’ principalities, about which we have much less information—had already acquired from the Tatars such fiscal and administrative institutions and terminology as the kazna (the treasury), tamga (customs tax), and iam (postal service). Muscovite coinage imitated Tatar coinage, even to the extent of carrying fake Arabic inscriptions. The Muscovites could not have been victorious at the 1380 battle of Kulikovo Field if they had not become experts in Tatar warfare. Unfortunately, it is impossible to determine whether they had already acquired the skills and accouterments of Tatar mounted archers or structured their field armies in imitation of the five divisions of a Tatar field army.271 Alleine das plötzliche Abliefern von Steuern und Abgaben wirkt sich auf eine Gesellschaft aus. Steuern und Abgaben stellten einen wichtigen Teil der Einnahmen und des Reichtums der Fürsten dar, dennoch geht Soloviev kaum darauf ein. Eine Antwort, weshalb Soloviev den Einfluss der Tataren auf die Vermögenshäufung des Großfürstentums Moskau mittels Steuern und Abgaben, die sie eben von tatarischen Baskaken übernommen hatten, nicht nennt, liefert eine allgemeine Annahme Roman Pochekaevs: Thus, it is highly possible that such taxes and duties entered into the tax system of the Golden Horde not from Mongolia or China, but from its Western neighbours, with whom the Horde since its inception had maintained close contact. This idea is corroborated by the fact that taxes are not mentioned in the Great Yasa or in yarliqs of the Great Khans of the Mongol Empire. It is only in the yarliqs of the Golden Horde where they appear, and this could be due to influence from the West and not the East.272 Es ist nicht ausgeschlossen, dass den Russen Steuern durchaus bekannt waren und das Steuersystem der Horde ihren Ursprung in Europa und nicht in China hatte. Damit hätte Russland in diesem Sinne keine Tradition der Tataren übernommen. Die Tataren fungierten selbst in dieser Annahme dennoch als Botenstoff, der diese Praktik von Westen nach Osten transportierte. Daher erfüllten die Tataren hierfür eine wichtige Funktion und diese darf nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Die Goldene Horde nimmt nach den Schriften Solovievs daher speziell im 13. Jahrhundert keine große Rolle ein. Die Horde wird fast ausschließlich in Zusammenhang mit Ausschreitungen und Plünderungen erwähnt.

271 Halperin, Interrelations of Rus’, S. 197. 272 Roman Pochekaev: The Law of the Golden Horde. Taxation. In: The Golden Horde in World History. A Multi-Authored Monograph. Hrsg. von Rafael Khakimov und Marie Favereau. Sh. Marjani Institute: Kazan 2017, S. 179.

57 4.2.2 ‚Russen‘ und Tataren

In Solovievs Darstellung sind die russischen Fürsten Entscheidungsträger und Akteure. Die Rolle der Tataren besteht eher darin, Edikte auszuhändigen, zerstörerisch zu sein oder Hilfstruppen bereitzustellen. Selbst wenn diese Truppen in ihrer Größe und Brutalität entscheidend für den Ausgang einer Schlacht oder eines Krieges sein konnten oder waren, so wird die Entscheidung von Russen getroffen. Aktivitäten von Tataren werden zumeist nur dann genauer beschrieben, wenn ihre Handlung und Absicht negativ konnotiert ist. Kommandant Kavgady wird als lügender, intriganter Tatar dargestellt. Michail I. von Tver hatte die Möglichkeit, zu fliehen und damit sein eigenes Leben zu retten. Seine Entscheidung zu bleiben, ist aber von einer höheren Moral gelenkt: „If I save just my life […] and leave my people in distress, what name will that give me?“273 Er wurde nicht bloß getötet, sondern entschied sich für den Märtyrertod. Er wurde in der Horde zu Tode gefoltert.274 Die Basis Solovievs sind die Chroniken. Dabei muss aber festgehalten werden, dass „diese originären Informationen [nicht immer] aus verloren gegangen chronikalischen und anderen schriftlichen Quellen [stammen]“275 Sie sind manchmal Fiktion und Interpretation der Chronisten. Soloviev unterscheidet hierbei nicht, ob eine Information Wahrheitsanspruch hat oder nicht. Die russischsprachige Forschung im 19. Jahrhundert dominierte die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den ostslawischen Chroniken. Erst der Philologe Alexei Shachmatov (1864-1920) forderte eine kritischere Auseinandersetzung mit den Chroniken, ihren sprachlichen, historischen und anderen Auffälligkeiten, und eine Berücksichtigung von nichtchronikalen Quellen.276 Die Ansicht, sich sprachlich damit auseinanderzusetzen, trifft auf Soloviev zu. Der Großfürst von Litauen Algirdas beabsichtige, 1349 mit Hilfe seines Bruders Koriat den Khan anzustiften, Moskau anzugreifen und das Großfürstentum zu zerstören. Simeon, bekam aber Wind davon und berichtete dem Khan über das Vorhaben Algirdas. Soloviev beschreibt die Reaktion des Tataren mit den Worten „The khan was intelligent enough to understand Simeon’s argument.“277 Intelligent enough ist hierbei eine bewusste Herabstufung der geistigen Leistungsfähigkeit des Tatarenherrschers. Soloviev hätte ihn als ‚intelligent‘ beschreiben oder dieses Attribut gänzlich weglassen können, stattdessen zieht er ‚intelligent genug‘ vor. Während ‚intelligent‘ auf eine achtbare Hirnkapazität hindeutet, weist ‚intelligent genug‘ dagegen auf eine mögliche geistige Einschränkung hin.

273 Soloviev, Tatar Yoke, S. 116 274 Vgl. ebda., S. 117. 275 Worster, ostslawische Chroniken, S. 162. 276 Vgl. ebda., S. 162f. 277 Soloviev, Tatar Yoke, S. 150.

58 Wertungen, die sogar in Legendenbildungen münden, ziehen sich quer durch die gesamte Istorija Rossii. Die Grenze zwischen Historiographie und epischer Erzählung verwischt. Bevor Dmitri Donskoi in die Schlacht gegen Mamai zog, hatte er Zweifel. Dmitris Analyse und Bewertung der Situation sollte seine und die Einstellung seiner Mannen ändern. „[T]he prince of Moscow [was encouraged] not to pay too much attention to entitlements from the khan. Dmitry witnessed the weakening of the horde itself.“278 Diese Erkenntnis wirkt filmisch heldenhaft: Der Heros, der in der alles entscheidenden Schlacht, den Tod vor Augen, durch Zuspruch von außen, einen gedanklichen Paradigmenwechsel vollzieht und im finalen Moment, klaren Verstandes, die Schwachstelle des Gegners erkennt. „The extent of the self- confidence of the Russian officers and men before the battle on the Piana […] convinced the Russians once more of their ability to defeat the Tatars.“279 Eine solche Beschreibung rekonstruiert eine subjektiv gewünschte Wirklichkeit – ohne Wahrheitsanspruch. Es ist zu vermuten, dass Soloviev keineswegs eine objektive Annäherung anstrebte oder es nicht besser wusste. Der Sieg über Mamai in der Schlacht auf dem Kulikovo Pole, gilt in Russland als eines der wichtigsten Ereignisse und Dmitri Donskoi als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der russischen Geschichte. „The battle of Snipe Field was a harbinger of the end of barbarian rule over the great Eastern plateau and marked the rise of a European realm there.“280 Soloviev erscheint es nicht nur wichtig, den Triumpf in dieser Schlacht zu feiern, sondern auch die siegeswillige Mentalität und den Heldenmut Donskois und der Russen zu verdeutlichen. Soloviev bezeichnet den Sieg über Mamai als einen Triumpf Europas: „The victory on Snipe […] was a sign of Europe’s triumph over asia.“281 Der Sieg Donskois am Kulikovo verstärkte auch nach Miliukov Moskaus Bedeutung als Zentrum des politischen Lebens in Russland. Der Triumpf betonte den Mut der Russen und stufte zugleich die Stärke der Tataren ab. Miliukov wertet diesen Sieg aber nicht als einen bedeutenden in der europäischen Geschichte, sondern als einen wichtigen für die Russen und deren Selbstverständnis.282 Dass der Sieg über Mamai für Europa von Bedeutung gewesen wäre, dem schließt sich auch Crummey nicht an. Dieser führt zwar an, dass spätere Generationen „the battle of Kulikovo Pole as a triumph of the Cross over the Crescent or the Russian people over the Mongol conquerors“283 bewerteten. Er ist aber der gegensätzlichen Ansicht: „Certainly Kulikovo did not free the Russian principalities from

278 Soloviev, Tatar Yoke, S. 186. 279 Ebda., S. 186. 280 Soloviev, Russian Society, S. 236. 281 Soloviev, Tatar Yoke, S. 190. 282 Vgl. Miliukov, From the Beginnings, S. 118. 283 Crummey, Formation of Muscovy, S. 53.

59 the suzerainty of the Golden Horde.“284 Crummey sieht in dieser Auseinandersetzung lediglich einen Aufstand Donskois gegen Mamai, nicht aber gegen die Horde. Mit dem Sieg Tokhtamyshs gegen Mamai 1382 begannen erneut Einfälle in Russland. Dennoch hatte der Sieg Donskois einen Prestigegewinn der Moskauer Fürsten zur Folge. In diesem Punkt ist er mit Soloviev einer Meinung.285 Ähnlich wie Crummey relativiert auch Christian den Sieg der Russen: „Mamaq [sic!] represented just part of the khanate, and he was allied with Lithuania, though no Lithuanian armies turned up to support him.“286 Die Geschichte vom Metropolit Photius, der mit der Segnung der Bürger von Galich die Pest vertreibt, unterstreicht ebenso das Sagenhafte und die Vermischung von historischen Tatsachen und bewusster Legendenbildung in Solovievs Schriften. Bereits im ersten großen Aufeinandertreffen wirkt es, als ob Soloviev die Unterlegenheit der Russen nicht zu akzeptieren scheint und eine Aufwertung der Russen anstrebt. Er bestätigt zwar, dass die Russen gegen die Tataren am Fluss Kalka eine furchtbare Niederlage in großem Ausmaß erlitten hatten. Zuvor führt er aber an, dass die Russen den Kumanen auf deren Gesuch zu Hilfe kamen, von diesen aber im Stich gelassen und entscheidend geschwächt wurden. „Then the Polovetsians, as usual, fled from the enemy and trampled the units of the Rus princes […] who were not ready for battle. This decided the struggle for the tatars.“287 Damit relativiert Soloviev die Niederlage und schiebt die Schuld dafür auf die Kumanen, die sich scheinbar immer wieder durch ‚Flucht‘ auszeichneten. Eine ähnliche Darstellung lässt sich zwar in den Nikonian Chronicles und Chronicle of Novgorod finden, die Einschübe ‚as usual‘ und ‚decided the struggle‘ dagegen stammen aus Solovievs Feder.288 Eine solche Schuldzuweisung oder Wertung sind dagegen weder in den Galician- Volynian Chronicles noch in neueren Forschungen, wie bei Fennel289, zu finden.290

4.2.3 Religion und Kirche

Dass der Metropolit die Hauptstadt Moskau aufwertete und für den Großfürsten einen wichtigen Verbündeten bedeutete, dieser Ansicht ist Soloviev. Die Rolle der Tataren für diese Entwicklung lässt er aber weitestgehend außer Acht. Selbst wenn wir andere Historiker unberücksichtigt lassen und nur die Informationen, die uns Soloviev bereitstellt, interpretieren,

284 Crummey, Formation of Muscovy, S. 53. 285 Vgl. ebda., S. 53. 286 David Christian: A History of Russia, Central Asia and Mongolia. Inner Eurasia from the Mongol Empire to Today, 1260-2000. Bd. 2. : 2018 (= The Blackwell History of the World. 2.), S. 55. Im Folgenden zitiert als: Christian, Russia 1260-2000. 287 Soloviev, Kievan Rus, S. 157. 181 288 Vgl. Nikonian Chronicle, Vol. 2, S. 255. und Chronicle of Novgorod, S. 66. 289 Vgl. Fennell, Crises of Medieval Russia, S. 65-66. 290 Vgl. Hypatian Codex, S. 30-31.

60 können wir einen Einfluss der Tataren erkennen. Zwar hatte Ivan I. Kalita durch sein gutes Verhältnis zu Peter maßgeblichen Anteil am Residenzwechsel des Metropoliten von Vladimir nach Moskau. Mit dem Wechsel von Kiev nach Vladimir 1299 im Vorfeld, war aber bereits ein wichtiger Grundstein gelegt worden. Kiev wurde bereits unter Andrei Bogoljubski von Vladimir aus regiert, blieb aber Residenz des Metropoliten. Mit dem Mongolensturm wurde der gesamte Raum Kievs verwüstet. Einwohner verließen massenweise die Region. Die Mongolen trieben, egal ob gewollt oder ungewollt, die Verschiebung des russischen Zentrum von Kiev nach Vladimir durch ihre Verwüstung und durch die Omnipräsenz einer drohenden Gefahr voran. Die Goldene Horde sah vermutlich selbst in Vladimir das Zentrum der Rus‘. Während Alexander Nevski vom Großkhan in Karakorum bloß den Titel Fürst von Kiev erhielt, wurde Andrei Jaroslavich als Großfürst von Vladimir betitelt. Eines der Motive für den Sitzwechsel des Metropoliten war die Angst um die eigene Sicherheit, die von den Tataren ausging291, ein weiteres war das Vorbild Byzanz. Hier residierten Kaiser und hohe Geistlichkeit in der Hauptstadt. Seit dem Erscheinen der Mongolen besuchten russische Fürsten den Khan an dessen Hof, um die Legitimation für ihr Fürstentum zu erhalten. Zum Aufstieg Ivan I. Kalitas hatte die Horde ihren Teil beigetragen. Dass Ivan I. dem Metropoliten Moskau schmackhaft machen konnte, ist seinem diplomatischen Geschick zuzuschreiben. Jedoch haben die Tataren – wenn auch nur indirekt – auch an diesem Sitzwechsel einen Anteil. Für die Unabhängigkeit der russischen Kirche hat die Goldene Horde dagegen keine Rolle gespielt. Dieser Umstand ist mehr der Bevormundung durch Byzanz in der Einsetzung von Metropoliten und der Abneigung zu Bischof Isidor von Thessaloniki geschuldet. In der Zeit bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts sollte die Frage der Einsetzung des Metropoliten von Spannungen begleitet zu sein und sich zur Unzufriedenheit der Moskauer Elite entwickeln. Als Moskau mit Jonas von Riazan einen geeigneten Metropoliten gefunden hatte, hatte dieser bei der Metropoliten-Wahl gleich zweimal das Nachsehen. Auf den Tod von Photius folgte Gerasim, der von den Litauern unterstützt wurde. Nach kurzer Regierungszeit beerbte ihn Isidor. Der Metropolit Isidor, das Konzil von Florenz und der sukzessive Zerfall des byzantinischen Reiches sollten für Russland eine wichtige Rolle spielen.292 Isidor hatte den Titel des Metropoliten aller Russen inne, stimmte der Vereinbarung in Florenz zu, die eine Vereinigung der christlichen Kirchen beabsichtigte – eine Vereinigung die von Moskau missbilligt wurde. Der Streit zwischen Katholizismus und Moskauer Orthodoxie determinierte die Zukunft der Religion Osteuropas. Die christlich-orthodoxe Kirche mit einem Metropolit an

291 Vgl. Soloviev, Tatar Yoke, S. 125. 292 Vgl. Soloviev, Russian Society, S. 145 und 236.

61 der Spitze stand seit der Kiever Rus‘ in Abhängigkeit zu Konstantinopel und stellte die Basis für den russischen Glauben293. Loyalität des Großfürsten Vasilis II. von Moskau zum orthodoxen Glauben änderte diesen Umstand und sicherte dem nordöstlichen Russland die Unabhängigkeit. Für die endgültige Etablierung Moskaus als Großfürstentum waren nicht zuletzt die Beziehungen zur Geistlichkeit, zu den Gefolgsleuten, zum eigenen Volk und deren Beziehungen zueinander, wesentliche Faktoren.294 Martin sieht in dieser Errungenschaft für die Moskauer Fürsten ebenso einen wichtigen Sieg: „[A] unified metropolitanate of Kiev and all Rus’, nevertheless supplied the Muscovite princes with the legitimacy that had so long eluded them.“295 Soloviev macht die Goldene Horde zu heimatlosen Nomaden, zum Gegenstück des sesshaften Christen. Für ihn gibt es die Residenz Sarai nicht, stattdessen erfolgen die Reisen der Fürsten stets ‚to the horde‘. Ebenso wird nicht von Mongolen oder Mongolensturm gesprochen, sondern von ‚tatars‘ und ‚tatar invasion‘, ein mit dem Islam konnotierter Begriff. Andrei II. verweigerte des Khans gnädige Gesinnung zu erkaufen. „As long as we are quarelling amongst ourselves and directing the Tatars against each other, it would be better form to flee abroad than befriend the Tatars and serve them.“296 Andrei II. wird hier eine anti-Tatarenrede zugeschrieben, die in den Schriften Solovievs, aber auch bei Fennell, einfließt. Laut dieser Rede zieht Andrei lieber in ein fremdes Land, als Freund der Tataren zu sein und ihnen zu dienen. In den früheren Laurentius- und Simeonov-Chroniken lässt sich eine ähnliche Rede finden, in der aber Andrei II. lediglich dem Khan nicht dienen möchte. Die Rede in der Nikon-Chronik wechselt im Vergleich zur Laurentius-Chronik den Fokus von einer politischen Entscheidung, nämlich Batu nicht zu folgen, zu einer religiösen Entscheidung, den Tataren nicht zu dienen. Obwohl Batu kein Muslim war, waren Tataren zu dieser Zeit unabhängig ihrer tatsächlichen Religionszugehörigkeit mit Muslimen gleichgesetzt.297 Daher zieht Soloviev in puncto Religion eine strenge Linie zwischen Russen und Tataren.

4.2.4 Fazit

Die Tataren nehmen bei Soloviev zumeist die Rolle als zerstörerische Barbaren ein. Russische Fürsten werden als denkende Entitäten dargestellt, die mit Kalkül ihre Ziele erreichen wollen, während Tataren auf kriegerische Elemente reduziert werden. Die Tataren und der Khan dienen

293 Vgl. Dimnik, Rus‘ Principalities, S. 93. und Vgl. Martin, North-eastern Russia, S. 127 294 Vgl. Soloviev, Russian Society, S. 236. 295 Martin, North-eastern Russia, S. 186. 296 Soloviev, Tatar Yoke, S. 40. 297 Vgl. Ostrowski, Tatar Campaign, S. 50.

62 dabei als Machtmittel, um das eigene Fürstentum zu festigen oder zu erweitern. Es wird versucht, die Gunst des Khans zu gewinnen, um zusätzliche Hilfstruppen für kriegerische Auseinandersetzungen mit russischen Fürsten und fremden Herrschern zu generieren. Wer die Tataren besser als Spielball nutzen kann, erreicht einen Vorteil. Das Auftreten und die Aktivitäten der Goldenen Horde bis 1380 werden fast ausschließlich als Pein oder Joch geschildert. Soloviev geht nicht so weit wie Platonov, der den Tataren einen rückwärtsgewandten Einfluss attestiert: Die Isolation Russlands, die durch die tatarischen Eroberungen entstand, und auch die Abwehrhaltung des westlichen Europas gegen tatarische Oppressionen erklärt laut ihm „the cultural backwardness and stagnation of the Great Russians during the thirteenth and fourteenth centuries“. Auch wenn er sofort klarstellt, dass „[the] Tartar [sic!] influence may easily be exaggerated.“ 298 Soloviev beschreibt dagegen keine Degeneration Russlands, sehr wohl aber ein Tatarenjoch, das speziell im 13. Jahrhundert gegenwärtig war. Im zweiten Punkt sind Soloviev und Platonov d’accord: Der Einfluss der Tataren wird überschätzt. Für Moskau spielt er keine wesentliche Rolle. Der Aufstieg Nevskis erfolgt auf sein eigenes Bestreben hin. Die erste Expansion Moskaus während der Regierungszeit Daniels ist auf den Willen von Fürst Ivan Dmitrievich von Pereiaslavl zurückzuführen, der ihm sein Gebiet vererbte. Moskau setzt sich aufgrund eigener Führungsqualitäten durch, und der wegweisende Sieg gegen Mamai ist auf die Fähigkeiten Donskois, dessen Zusammenspiel mit den Fürsten und Bojaren und die russische Heeresstärke zurückzuführen. Die Änderung der Erbfolgebestimmungen fußt auf einen internen Disput der Rurikiden und endet mit einer Machtdemonstration Vasilis II. Mit dem Untergang des byzantinischen Reiches, der Ernennung des Metropoliten Jonas durch russische Bischöfe in Moskau, dem zusätzlichen Prestigegewinn durch die Hochzeit Ivans III. mit der byzantinischen Prinzessin und der sukzessiven territorialen Expansion hatten sich die Moskauer Großfürsten aus eigenen ‚russischen‘ Kräften durchgesetzt und ihren Machtstatus konsolidiert. Solovievs History of Russia ist mit ‚Vorsicht zu genießen‘ und seine Objektivität in jedem Absatz in Frage zu stellen. Während seiner Studienzeit bezeichnete sich Soloviev selbst als russischer Nationalist und ‚russophil‘. Mit dem Aufkommen des westeuropäischen Nationalismus, primär in Frankreich von 1842 bis 1844, entstand in ihm das Bedürfnis, die Geschichte Russlands – analog zu den westlichen Staaten – zu portraitieren. Seine Intention war es, einen Beitrag zur Entwicklung eines nationalen russischen Selbstbewusstseins zu leisten. Mit der History of Russia entstand ein Werk mit nationalistischer Tendenz, ein Werk, dass den unaufhaltsamen Fortschritt Russlands und dessen zentrale Rolle im gesellschaftlichen

298 Platonov, History of Russia, S. 76.

63 Prozess verdeutlichen soll.299 Dieses ‚Fördern des Selbstbewusstseins‘ finden wir in der Darstellung des Großfürstentum Moskaus zur Genüge.

299 Vgl. Carl M. Reddel: S. M. Solov’ev and Multi-National History. In: Russian History, 13 (1986), H. 4, S. 360-365.

64 5 Donald Ostrowski

Donald Ostrowski ist ein US-amerikanischer Historiker, der seinen Ph. D. in „Russische Geschichte“ an der Pennsylvania State University erwarb.300 Er lebt in Fitchburg, Massachusetts, wo er Teil der Fitchburg Historical Commission ist. Ostrowski ist Research Advisor in the Social Sciences und Dozent an der Harvard Extension School. Zudem ist er Vorsitzender am Davis Center for Russian and Eurasian Studies.301 Neben zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln, einer Textedition der Povest' vremennykh let (Nestorchronik), Publikationen gesammelter Artikel wie Portraits of Old Russia, gemeinsam mit Marshall T. Poe, oder Portraits of Medieval Eastern Europe, gemeinsam mit Christian Raffensperger, hat Ostrowski 1998 ein umfassendes Einzelwerk über den gegenseitigen Einfluss von Moskau und Mongolen unter dem Titel Muscovy and the Mongols: Cross-Cultural Influences on the Steppe Frontier, 1304-1589 publiziert. Muscovy and the Mongols und ausgewählte Artikel von Ostrowski bilden die Grundlage dieses Kapitels.302

5.1 Moskau zur Zeit der Goldenen Horde in Ostrowskis Schriften

5.1.1 Sarai und Jarlig

Großfürsten und aufstrebende russische Fürsten begannen bereits im 13. Jahrhundert, immer häufiger nach Sarai zu reisen, um dort dem Khan nicht nur ihren guten Willen zu erweisen. Aus einer demonstrierten Unterwürfigkeit wurde Macht und das Erlangen der Würde des Großfürsten erhofft.303 Vor der Regierungszeit Möngkes waren hierfür Reisen in die mongolische Hauptstadt notwendig. Batu schickte die beiden Brüder Alexander Nevski und Andrei II. Jaroslavich 1247 auf die Reise nach Karakorum, um dem Großkhan Respekt zu zollen. Andrei II. stieg in der Folge zum Großfürsten von Vladimir auf und Alexander zum Fürsten von Kiev. Mit der Einsetzung Möngkes als Großkhan, einem engen Vertrauten Batus, wurde der Machtbereich Batu Khans erweitert und die Reisen nach Karakorum wurden obsolet. Dadurch hatte der Besuch des Khans in Sarai für die Fürsten an Bedeutung gewonnen. In den Folgejahren erwies nur Alexander dem Khan in Sarai die Ehre, während Andrei dies

300 Vgl. Davis Center. URL: https://daviscenter.fas.harvard.edu/about-us/people/donald-ostrowski [gesehen am 15.02.2021]. 301 Vgl. Harvard Extension School. URL: https://www.extension.harvard.edu/faculty-directory/donald-ostrowski [gesehen am 15.02.2021]. 302 Vgl. Academia. Don Ostrowski. URL: https://harvard.academia.edu/DonOstrowski/CurriculumVitae [gesehen am: 15.02.2021], S. 1f. 303 Vgl. Donald Ostrowski: The Mongol Origins of Muscovite Political Institutions. In: Slavic Review 49 (1990), H. 4, S. 528. Im Folgenden zitiert als: Ostrowski, Muscovite.

65 verweigerte und sich immer mehr auf die Seite Daniels von Galizien, der den Tataren feindlich gegenüberstand, stellte. Andrei wurde 1252 in der Schlacht bei Pereislavl besiegt, floh nach Novograd und wurde durch Alexander ersetzt.304 Es kann durchaus sein, dass Andreis Abkehr und der Pakt mit anderen russischen Fürsten gegen den Khan die Schlacht bei Pereislavl maßgeblich herbeiführte. Ebenso ist es vorstellbar, dass Andrei es verabsäumte, sein Jarlig in Sarai zu bestätigen, und somit nicht die Genehmigung hatte, sich Fürst zu nennen – was die Bedeutung des unterstreichen würde.305 Moskauer Großfürsten erkannten früh, welche Privilegien sie sich mit der Huldigung zueigen machen konnten, und reisten darum häufig nach Sarai zu den Khanen. Sie ließen z. T. ihre Söhne – zukünftige Fürsten – in ihren Entwicklungsjahren in Sarai zurück, als Beweis und Garantie ihres guten Willens. Die Reisen der Moskauer Großfürsten waren fast ausschließlich im Zeitraum 1318 (Juri Danilovich) bis 1431 (Vasili II.) üblich, da sie vom Khan das Jarlig erhalten oder bestätigen lassen mussten, das sie wiederum als Großfürsten von Vladimir bzw. Großfürsten von Moskau legitimierte. Somit wurde die Legitimität eines jeden russischen Fürsten durch den Khan in Sarai erteilt. Neben den Moskauer Großfürsten bekamen auch Dmitri Michailovich von Tver, Alexander Michailovich von Tver und Dimitri Konstantinovich von Suzdal die Großfürstenwürde mittels Jarlig verliehen. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts tendierten die russischen Fürsten vielmehr dazu, den Großfürsten von Vladimir als primus inter pares zu sehen, und weniger als eine Obrigkeit, die allen Russen übergeordnet ist.306 Die Moskauer Großfürsten waren von der Unterstützung der anderen russischen Fürsten abhängig, solange diese vom Khan ihr Jarlig erhielten. Umso wichtiger wurde es, diese Positionen selbst bestimmen zu können und durch enge, loyale Freunde und Verwandte zu ersetzen. Hierfür spielte nicht nur das Jarlig, sondern auch die Erbfolge eine wichtige Rolle.307 Bis 1425 war eine sogenannte ‚laterale‘ Thronerbfolge, das Senioratsprinzip, gängig. Als Vasili I., der älteste Sohn Dmitri Donskois, 1425 starb, hätte eigentlich sein Bruder Juri Dmitirievich ihn beerben sollen. Stattdessen folgte ihm Vasili II. auf den Thron. Ein Erbrechtskrieg unter den Verwandten brach aus, und Juri nahm 1432 Moskau ein. Khan Ulug Mehmed urteilte gegen Juri und für Vasili II.308 Das Urteil erging weniger in Zusammenhang mit Erbfolgerechten, sondern viel mehr aus Mehmeds Furcht, dass Juri sich mit Litauen

304 Vgl. Donald Ostrowski: The Tatar Campaign of 1252 In: Palaeoslavica 17 (2009), H. 2, S. 47. Im Folgenden zitiert als: Ostrowski, Tatar Campaign. 305 Vgl. ebda., S. 52. 306 Vgl. Donald Ostrowski: Troop Mobilization by the Muscovite Grand Princes (1313–1533). URL: https://www.academia.edu/3597316/Troop_Mobilization_by_the_Muscovite_Grand_Princes_1313_1533_ [gesehen am 21.01.2021], S. 25. Im Folgenden zitiert als: Ostrowski, Troop Mobilization. 307 Vgl. ebda., S. 26. 308 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 539.

66 verbünden und damit eine gefährliche Allianz für die Mongolen bilden könnte. Es war das zweite Mal, dass sich die Tataren entscheidend in inner-‚russische‘ Erbfolgestreitigkeiten einmischten und eine Entscheidung für die Danilovichs herbeiführten. Beim ersten Mal ernannte Khan Uzbeg seinen Schwiegersohn Juri Danilovich zum Großfürsten, obwohl dessen Vater kein Großfürst gewesen war.309 Hatte der Vater keine Vergangenheit als Fürst, so handelte es sich beim Sohn um einen Izgoi, ohne Führungslegitimation. Dennoch erhielt Juri Danilovich mit Tatarenunterstützung den Titel.310 Des Weiteren hatten die Khane in der Vergangenheit entscheidend bei der Ernennung des Fürsten von Tver zum Großfürsten zu dessen Gunsten interveniert. Mit Unterstützung durch den Khan fand diese lang praktizierte Form der lateralen Erbfolge ein Ende. Vasili II. deklarierte seinen Sohn Ivan III. 1449 als Mitherrscher. Diese Entscheidung verdeutlichte das neue Machtfeld des Moskauer Großfürsten, den Nachfolger selbst bestimmen zu können. Die von Tumulten begleitete Erbfolge Ivans III. setzte die Abkehr vom Senioratsprinzip und eine Hinwendung zur Primogenitur auf Moskauer Großfürstenebene durch. Dieser Prinzipienwechsel auf höchster Elitenebene hatte zur Folge, dass die Macht der regierenden Familie stärker wurde, während die Bojaren an Macht verloren. Das steppen-nomadische laterale System der Erbfolge blieb in den nicht-regierenden Familienklans Moskaus bis 1682 bestehen, als die Mestnichestvo-Bücher verbrannt wurden.311 Unter Vasili II. und Ivan III. hatte das Moskauer Großfürstentum erfolgreich die Hoheit über die anderen Fürstentümer hergestellt. Den russischen Fürsten war es verboten, Kontakt zum Tatarenkhan herzustellen. Dadurch konnte dem Erhalt des Jarligs entgegengesteuert werden, wodurch den untergebenen Fürsten die Legitimation zu regieren verwehrt blieb. Alle Herrscher der russischen Fürstentümer waren damit endgültig vom Moskauer Großfürsten abhängig. Diese konnten nur mehr durch ihn den Thron besteigen. In weiterer Folge wurden vermehrt Positionen mit Mitgliedern aus Moskauer Familienkreisen besetzt.312

5.1.2 Duale Administration

Wesentlich für das Verständnis des Moskauer Verwaltungssystems ist die Übernahme der ‚Dualen Administrationsstruktur‘ aus der Goldenen Horde, die wiederum von den Mongolen

309 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 540. 310 Vgl. Donald Ostrowski: Was There a Riurikid Dynasty in Early Rus‘? In Canadian-American Slavic Studies 52 (2018), S. 32. Im Folgenden zitiert als: Ostrowski, Riurikid. 311 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 540. 312 Vgl. Ostrowski, Troop Mobilization, S. 31-34.

67 unter Tschinggis Khan vom Reich der Kara Kitai übernommen worden war und Anwendung fand.313 Das System der Dualen Administration ist keine Erfindung der Mongolen, sondern ursprünglich auf die chinesische Qin-Dynastie zurückzuführen. Jedem der damaligen 36 chinesischen Provinzen wurden jeweils ein Minister für Zivile (taishou) und einen Minister für Auswärtige Angelegenheiten (duwei), speziell für das Militär, zugeordnet. Die Minister wurden häufig in andere Provinzen versetzt, sodass keiner der eingesetzten Minister in einer Provinz lange verweilte und dadurch Macht aufbauen konnte. Bis zur Song-Dynastie (960-1279) wurde das Duale System für Zivil- und Militärangelegenheiten in jeder Provinz beibehalten. Zusätzlich wurden die Strukturen des Beamtentums formalisiert. Als die Mongolen von 1211 bis 1215 in Nordchina eindrangen, übernahmen sie das System der Dezentralisierung und der Dualen Administration der Jin-Dynasie.314 Von hier wurde es nach Osteuropa gebracht:

The Secret History of the Mongols (Yuanchao bishi) tells us that, after the invasion and conquest of Qipchaq and Rus' lands in 1237-40, Qagan Ögödei placed 'daruyačin and tammačin' over peoples whose main cities were Ornas, Saksčīn, Bulgar and Kiev.315

Tammači (mongolisch) und basqaq (türkisch) bedeuten, nach Ostrowski, übersetzt das Gleiche.316 Ostrowski ordnet den Statthaltern daruyači und basqaq, zivile (daruyači) bzw. militärische (basqaq) Funktionen zu. Wobei sich die Aufgabenbereiche u. a. in Bezug auf Rechtsprechung und Soldatenrekrutierung überlappten.317 Die russischen Fürsten um Moskau und Tver hatten hauptsächlich Kontakt mit Baskaken aus den umliegenden Provinzen. Mit kamen diese Fürsten nur bei Reisen zum Khan nach Sarai in Berührung. Um 1320 übernahmen lokale russische Fürsten, die den Khan von ihren Führungsqualitäten überzeugten, die Aufgaben der Baskaken, die von den jeweiligen Gebieten abgezogen wurden und den lokalen ‚einheimischen‘ Machthabern, die Einfuhr von Steuern und Abgaben und die Verantwortung über Recht und Ordnung übertrugen. Unter Ivan Kalita wurde das System der Dualen Administraiton eingeführt und die äquivalenten Funktionsträger Namestniki (russisches Äquivalent zu den daruyači), und Volosteli (gleichbedeutend mit basqaq) eingesetzt. Ende des 14. Jahrhunderts gab es schätzungsweise 15 Namestniki und etwa 100 Volosteli. Die Dvorski, Pendant zum Wesir, hatten die Staatskassa und den Bezirk zu verwalten. Die Kommunikation mit dem Khan erfolgte über Gesandte –

313 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 36. 314 Vgl. Ostrowski, tamma, S. 270 und S. 275. 315 Ebda., S. 262. 316 Vgl. ebda., S. 277. 317 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 48f.

68 sofern die Großfürsten nicht selbst in Sarai residierten.318 Nahezu alle wichtigen politischen und militärische Ämter des 14. Jahrhunderts weisen Ähnlichkeiten mit dem des Khanats auf.319

Abb. 3 Administrative Struktur der Goldenen Horde und Moskaus im 14. Jhdt. Das Ende der Baskaken in der nordöstlichen Rus‘ bedeutete einen signifikanten Machtzuwachs der dortigen Fürsten.320 Die Übernahme der Baskakenaufgaben eröffnete die Möglichkeit, dass alle steuerlichen Einnahmen zunächst vom Moskauer Großfürsten und seinem Hof überprüft werden, bevor diese an den Tataren nach Sarai abgeliefert wurden. Ein Teil der Steuern und Zollabgaben gelangten zum Khan, während ein weiterer Teil unterschlagen wurde. Die Moskauer Großfürsten und Metropoliten im 14. Jahrhundert profitierten primär hiervon. Einen Beweis für den ausgesprochenen Reichtum der Moskauer Großfürsten – die nicht ausschließlich auf die Baskakenaufgaben zurückzuführen sind – liefern die Hilfsgelder an die byzantinischen Kirchen auf Spendengesuch der byzantinischen Geistlichen und die finanzielle Unterstützung des Moskauer Großfürstentums an Konstantinopel. Zölle und Steuern auf ‚Premiumexportprodukte‘ wie Fell, Honig, Wachs und Kalisalz wurden und blieben lange Zeit Garant für den wirtschaftlichen Wohlstand der weltlichen und geistlichen Elite. Wesentlich war der Handel mit dem Baltikum und dem katholischen Europa.321 Poststraßensysteme wurden von den Moskauer Herrschern übernommen.322 Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sorgte die Moskauer Regierung auch für den nötigen Schutz der russischen Händler und Kaufleute auf diesen Routen.323 Bis zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde Moskau zu einer wirtschaftlichen Macht mit tausenden Händlern und Kaufleuten, die aus Sarai nach Moskau reisten.324

318 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 42-48. 319 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 537. 320 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 42. 321 Vgl. ebda., S. 120-123. 322 Vgl. ebda., S. 47. 323 Vgl. ebda., S. 109-112. 324 Vgl. ebda., S. 124

69 Begünstigt wurde dieser Handel u. a. durch die Mamluken. Ein wichtiger Knotenpunkt der Seidenstraße war die heutige Stadt Buxoro. Hier teilte sich der Weg in einen nördlichen und einen südlichen Teil. Die nördliche Abzweigung stand unter Kontrolle der Goldenen Horde. Dieser Weg führte von Buxoro nach Urganch, südlich am Aralsee und dann nördlich am Kaspischen Meer vorbei, weiter nach Sarai, durch die Krim bis nach Konstantinopel. In Sarai führten weitere Routen u. a. nach Moskau und nach Kiev. Die südliche Route führte zum Reich der Mamluken. Die Mamluken versperrten Ende des 13. Jahrhunderts den Handelsweg zur Mittelmeerküste, um sich gegen die Kreuzritter zu schützen. Damit blieb nur mehr der nördliche Handelsweg, was den Handel von Sarai in Richtung Moskau stark vorantrieb.325

5.1.3 Erbfolge und territoriale Erweiterung

Die Mongolen hatten einen wichtigen Einfluss auf das Mestnichestvo, das bis 1682 Geltung hatte und den Rang eines jeden Fürsten zusätzlich in Hinblick seiner Klanzugehörigkeit definierte.326 Mestnichestvo ist eine Verschmelzung des mongolischen Systems der Rangordnung nach Klans und dem vor-mongolischen ‚Kiev‘-System, der Einordnung des Adeligen als Individuum in das vorherrschende Regierungssystem. Die genealogische Zugehörigkeit hatte zur Folge, dass manche Fürsten nun nicht mehr aufsteigen konnten. So blieb den Nachfahren der Kiever Rus‘, unabhängig ihres individuellen Status, aufgrund ihrer Herkunft ein Platz in den Moskauer Eliten verwehrt. Eine solche Regelung der Thronfolge gab es zu dieser Zeit nur bei den Mongolen, wo ausschließlich die Nachfahren des Tschinggis Khan thronberechtigt waren. In Byzanz konnte in der Theorie jeder aufsteigen, bei den Kiever Rus‘ standen die einzelnen Klans in der Frage der Thronfolge in einem z. T. kriegerischen Verhältnis zueinander. In Moskau hingegen wuchs damit explizit die Macht der Moskauer Klans, im Speziellen der Danilovich-Linie. In der Folgezeit konnte in Moskau nur die Familie der Danilovich regieren. Alle anderen Rurikiden waren von einer möglichen Thronfolge ausgeschlossen.327 Selbst Sitzordnungen am Banketttisch des Großfürsten (und später Zaren) orientierten sich an Rang und Klan, was zu Spannungen innerhalb des Banketts führte. Von der Klanzugehörigkeit waren hauptsächlich die Bojaren betroffen. Für die Nachfolge des Moskauer Großfürsten galt ab Vasili II. das Prinzip der Primogenitur.328 Mit dem Tod Fedor Ivanovichs 1598 endete die Herrschaft der Danilovich-Linie – nicht aber der Rurikiden.329

325 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 109-112. 326 Vgl. ebda., S. 47. 327 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 538f. 328 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 48. 329 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 538.

70 Neben dem Dualen Administrations-System und dem Mestnichestvo, übernahmen die Moskauer Rus‘ auch die von den Mongolen tradierte Regel aus China, dass das gesamte regierte Land Besitz des Herrschers war – das die Mongolen jedoch selbst aufgrund ihres Nomadentums in dieser Form nicht praktizierten. Der Großfürst hatte ein ähnliches Verhältnis zu seinen Untertanen wie der Khan zu seinen. Im Gegensatz zu den Kiever Rus‘ gehörten alle Besitztümer seiner Untergebenen ihm. Er konnte ihnen das Land wegnehmen, oder ihnen, entgegen dem europäischem Feudalismus, auch für vergangene oder zukünftige Dienste Ländereien geben.330 Im 16. Jahrhundert wurden die Namestniki von den Inhabern der Pomestie und die Volosteli von den Voevody ersetzt. Obwohl aus genealogischer Sicht die Voevody als Nachfolger der Namestniki gesehen werden könnten, stellt Ostrowski in diesem Fall die Funktion als wichtigsten Aspekt der Nachfolge und nicht die Verwandtschaftsverhältnisse dar.331 Damit folgte die Pomestie im 16. Jahrhundert dem Kormlenie-System, mit der Intention, den Einfluss der von russischen Großfürsten eingesetzten tatarischen Fürsten in Russland zu vergrößern. Einer der eindeutigsten Indikatoren für diese Absicht ist die hohe Zahl der russischen Oberschicht mit tatarischer Herkunft. Tatsächlich wurden Tataren mit den Töchtern oder Schwestern hochrangiger Russen vermählt und selten auch christianisiert, wie der dokumentierte Fall des Kudai Kul belegt. Bis zum 17. Jahrhundert wurden etwa 60 Fürsten der Goldenen Horde samt ihren Familien und Bediensteten in den Dienst der Moskauer Großfürsten gestellt, was bedeutet, dass, je nach herangezogener Quelle, etwa 17% der Untergebenen des Zaren tatarischen Ursprungs waren. Ostrowski geht sogar davon aus, dass die ‚Dunkelziffer‘ der tatarischen Aristokraten im Dienst des russischen Zaren im Zeitraum 15.-17. Jahrhundert höher liegt. Pomestie löste das Problem, wie die riesigen gewonnen Ländereien verwaltet und wie mit dem Zutritt neuer Dienstmänner verfahren werden soll. Diese Fürsten hatten den Großfürsten bedingungslos zu dienen, ohne Gegenleistungen zu erwarten. Dieser einseitig geknüpfte Dienst sollte gewährleisten, dass die untergebenen Fürsten, wenn notwendig, in den Kriegsdienst eintraten – andernfalls konnte der Großfürst ihnen wieder die Ländereien entziehen und anders verteilen. Pomestie leitete sich von der islamischen Praktik iqta‘ ab und wurde durch die Goldene Horde nach Russland gebracht. Sie war und blieb die Basis der herrschenden Kräfte in Russland bis ins 19. Jahrhundert hinein.332 Moskaus Macht begann, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu wachsen, zu einer Zeit als der Nordosten der Rus‘ Teil des Mongolischen Reiches war. Die Moskauer Großfürsten mussten nicht nur innerhalb der russischen Fürstentümer diplomatisch und strategisch agieren,

330 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 537. 331 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 45. 332 Vgl. ebda., S. 54-61.

71 sondern auch die durch die Tataren eingeschränkten Aktionsmöglichkeiten einkalkulieren. Für die territoriale Erweiterung des Machtbereichs waren kriegerische Auseinandersetzungen unumgänglich.333 Feste Kriegsverbände und Truppengrößen scheinen für die damalige Zeit unwahrscheinlich. Dagegen lässt sich in Militärformationen, -waffen und -strategien System erkennen.334 Moskau konnte seine individuelle Kampfkraft durch die Übernahme mongolischer Praktiken verstärken. Richard Chancellor, ein englischer Reisender, der Moskau 1553 besuchte, stufte die russische Kavallerie stärker als ihre Infanterie ein – ein Merkmal der mongolischen Armee – und schildert Ähnlichkeiten in Waffenwahl und Kampfstil zwischen Moskau und Tartaren.335 Die Moskauer ersetzten ihre gewöhnlichen Bögen durch Reflex-Bögen und verkürzten die Länge der Steigbügel nach steppennomadischer Tradition. Diese Verkürzung in Kombination mit dem Reflex-Bogen hatte den Effekt, dass es wesentlich leichter wurde, während des Reitens im Sattel stehend genau zu zielen. Des Weiteren wissen wir von den Militärregister Razriadnye knigi, dass die Moskauer Armee in Fünfer- und manchmal Viererregiments agierte, analog zu den Formationen des Mongolenmilitärs. Die dienenden Fürsten der Pomestie primär die Hilfstruppen bei Militäreinsetzen.336 Moskau, das am Anfang des 14. Jahrhundert noch ein kleiner unbedeutender Teil des Mongolischen Reiches war, hatte sich durch die Übernahme tatarischer Methoden der Kriegsführung, der Herrscherernennung, der Institution des Pomestie und der Integration tatarischer Nachkommen ins Regierungssystem innerhalb zweier Jahrzehnte zur herrschenden Entität Russlands erhoben und eine weitreichende Expansion durchgesetzt.337

5.1.4 Kirche und Interpolation der Quellen

Von 1252 bis 1448 lässt sich in russischen Chroniken kaum eine negative Darstellung der Tataren finden. In den 1250er akzeptierten der Metropolit Kirill und Großfürst Aleksander Nevski die Mongolen als ‚Kooperationspartner‘ – nicht zuletzt, weil das Byzantinische Reich und die Goldene Horde ein diplomatisches Bündnis eingingen.338 Der orthodoxe Metropolit Maximos (1282-1305) verlegte samt seiner Gefolgschaft 1299 seinen Sitz von Kiev nach Vladimir.339 Der wahrscheinlichste Grund ist, dass das Oberhaupt der russischen Kirche und der Großfürst in der gleichen Stadt residieren sollten, ähnlich wie beim Patriarchen von

333 Vgl. Ostrowski, Troop Mobilization, S. 19. 334 Vgl. ebda., S. 21-24. 335 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 51f. 336 Vgl. Ostrowski, Troop Mobilization, S. 23f und S. 31. 337 Vgl. ebda., S. 39f. 338 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 144f 339 Vgl. Donald Ostrowski: The Move of the Metropolitan from Kiev in 1299, S. 1. Im Folgenden zitiert als: Ostrowski, Metropolitan.

72 Konstantinopel und dem byzantinischen Herrscher.340 Ebenso hat der Umstand der Tatarengewalt diese Überlegung forciert: Toktha und Nogai bekämpften sich von 1299 bis 1300 südlich von Kiev, welchen Tokhta für sich entschied. Für den Machtbereich des Metropoliten selbst war es unbedeutend, ob er seine Residenz in Kiev, Vladimir oder Moskau hatte – dieser erstreckte sich über ganz Russland.341 Im Gegensatz zu Halperin schenkt Ostrowski der ‚primären‘ Religion der Horde in diesem Zeitraum nicht große Aufmerksam, mit der Begründung, dass die Nachfolger Berkes, von 1266 bis zur Thronbesteigung Uzbegs 1313, dem Christentum zugewandt waren und sich erst mit Khan Uzbeg der Islam als ‚Staatsreligion‘ tatsächlich innerhalb der Horde durchsetzte. Mit den islamischen Tataren verschwanden Mitte des 14. bis Mitte des 15. Jahrhundert jegliche anti-islamische Bemerkungen aus der russischen Kirchenliteratur. Ostrowski sieht hierin einen zuverlässigen Beweis, dass die Moskauer Großfürsten und die geistliche russische Elite die Khane der Goldene Horde als rechtmäßige Herrscher über Russland und Verbündete Byzanz betrachteten.342 Laut Ostrowski war die weltliche Verwaltung überwiegend mongolisch beeinflusst, während die kirchliche Administration überwiegend kirchlich beeinflusst war. Aus diesem Grund scheint die Quellenlage oft widersprüchlich. Während der mongolische Einfluss durch die zahlreichen Reisen der Moskauer Großfürsten nach Sarai im 14. Jahrhundert bedeutend war und damit auch die zeitgenössischen Quellen entsprechende ‚Tatarenfreundlichkeit‘ aufweisen, nahm der Einfluss der Gelehrten der russischen Kirchen ab dem Zeitpunkt zu, als sie die Prälaten selbst auswählten und sich in diesem Punkt von der byzantinischen Kirche entfernten. Diese, von der russischen Kirche auserwählten Würdenträger, fühlten sich nicht verpflichtet, mit den Tataren in gutem Verhältnis zu stehen - wie es eigentlich das Byzantinische Reich wünschte.343 Der Zeitraum 1447 bis 1589 gilt als wesentlich für die Entstehung und Entwicklung einer unabhängigen Russischen Kirche.344 Ab hier ging die Russische Kirche ihren eigenen Weg, erkannte die Legitimität des byzantinischen kanonischen Rechts aber weiterhin an.345 Ab 1448 tauchen russische Schriften über die Schlacht zwischen Dmitri Donskoi und Emir Mamai auf dem Kulikovo Pole in der Nähe des Flusses Don auf, in denen der Emir als grausamer Barbar dargestellt wird, der von einem heroischen Moskauer Großfürsten besiegt

340 Vgl. Ostrowski, Metropolitan, S. 14. 341 Vgl. ebda., S. 23 und S. 26. 342 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 146f. 343 Vgl. ebda., S. 246. 344 Vgl. Donald Ostrowski: The Moscow Councils of 1447 to 1589 and the Conciliar Period in Russian Orthodox Church History. In: The Tapestry of Russian Christianity. Hrsg. von Nickolas Lupinin, Donald Ostrowski und Jennifer B. Spock. Ohio State University: Ohio 2016. (= Ohio Slavic Papers. 10, 2.), S. 122. Im Folgenden zitiert als: Ostrowski, Council. 345 Vgl. ebda., S. 148f.

73 wird. Für die Schlacht zwischen Ivan III. und Khan Ahmed 1480 am Fluss Ugra gibt es Belege – z. B. der Brief Vassian Rylos an Ivan III. – für die schwache Kriegsführung und das Scheitern Ivans. Ab dem 16. Jahrhundert verklärt die Moskauer Kirche das ‚Stehen an der Ugra‘ als Erfolg Moskaus und erhebt es zu einem der wichtigsten Ereignisse der Weltgeschichte. In russischen Erzählungen gegen Ende des 15. Jahrhunderts werden erstmals die Russen als Sklaven des Tatarenjochs bezeichnet und die Russen als unterdrücktes Volk dargestellt.346 Die Regierungsform in Moskau war eher einer konstitutionellen Monarchie zuzuordnen als einer absolutistischen Monarchie. Die Macht des weltlichen Regenten wurde sukzessive vom Metropoliten und den Patriarchen beschnitten.347 Die Praktiken und Formulierungen der Russischen Kirche während des 15. und 16. Jahrhunderts hielten sich an die in den Doktrinen der Ostkirche proklamierten ‚Spielregeln‘.348 Mit Ende des 16. Jahrhunderts hatte sich dennoch in kirchlichen Schriften die ‚Anti-Mongolen- Haltung‘ durchgesetzt: Tataren sind böse, haben Unheil nach Russland gebracht, den Russen Leben, Ländereien und Existenzen geraubt. Die Tataren wollten die Russen mit Gewalt zum Islam konvertieren und scheiterten. Moskau hat zudem nichts von den Tataren übernommen. Lediglich ein Jarlig, das von den Mongolen an den Metropoliten Peter übergeben wurde, ist überliefert. Mit dem Autor der Synopsis – vermutlich Innozenz Giesel, Hegumen des Kiever Höhlenklosters –, aus dem Jahr 1674, errang die Bezeichnung ‚Tatarenjoch‘ Popularität in der russischen Historiographie, auch wenn bereits ein Jahrhundert zuvor der Begriff in Moskau in Gebrauch war.349

5.2 Diskussion

Ostrowski thematisiert in seiner Monographie Muscovy and the Mongols und den ausgewählten Artikeln multiperspektivisch den Aufstieg des Moskauer Großfürstentums und dessen Etablierung während der Zeit der Goldenen Horde. Seine Einschätzung inwiefern die Mongolen Einfluss darauf genommen haben, liefert eine eindeutige Tendenz.

5.2.1 Duale Administration

Ostrowski ordnet der tatarischen Urkunde, dem Jarlig, in Zusammenhang mit dem Titel des Großfürsten und mit den übernommenen Funktionen der Baskaken eine hohe Wertigkeit zu. Einen Befürworter dieser Sichtweise findet er in Miliukov:

346 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 164. 347 Vgl. ebda., S. 199. 348 Vgl. Ostrowski, Council, S. 148f. 349 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 244f.

74 The Tartars, who had kept their hands off the political organization of Russia, issued a yarlyk conferring the title of grand prince […] who in turn was obligated to collect and turn over to the Horde the tribute of all the other princes. It was almost always Muscovite princes who obtained the privileges of the grand prince […] the prince of Moscow became the governor general for the khan of the Golden Horde in the administration of Russian territory, and this circumstance contributed […] to the political unification of the whole of Russia under Moscow’s domination.350 Ivan Kalita attackierte erfolgreich als Anführer eines Tatarenheeres das aufständische Novgorod, das sich weigerte, an den tatarischen Gesandten die Steuern abzuführen, und erhielt hierfür das Jarlig und stieg zum Großfürsten von Moskau auf. Damit triumphierte Moskau über Tver mit Hilfe der Tataren.351 Unter Ivan Kalita begann die Moskauer Verwaltung ‚mongolisch‘ zu werden. Großfürst Ivan I. Kalita und Simeon ‚der Stolze‘ Ivanovich übernahmen nicht nur die Aufgaben, sondern zur Gänze das System der Dualen Administration von den Mongolen als Werkzeug für Steuereintreibungen, Regierungstätigkeiten und Exekution. Sie setzten Namestniki und Volosteli als Äquivalente zu den tatarischen Darugha und Baskaken ein.352 Halperin wertet eine solche allgemeine Aussage jedoch als nicht haltbar: Administrative borrowing has been exaggerated. The number of Muscovite boyars was not fixed at four, so the Muscovite Council (duma) did not imitate the diwan of the four Horde karachi begs. Muscovite namestniki (governors) and volosteli (county administrators) were not divided between military and civilian offices in imitation of the Horde because Horde administrators were not divided between civilian and military functions. That the Russians borrowed some Tatar institutions does not entail that they borrowed all Tatar institutions.353 Ostrowski geht dagegen einen Schritt weiter. Nicht nur die Administration wurde von den Tataren übernommen. Die Großfürsten übernahmen auch jene chinesische Praktik, wonach das gesamte vom Großfürst regierte Land ihm nicht nur untertänig ist, sondern zu seinem Besitztum zählt. Damit wurde nicht nur die Verwaltung geändert, sondern auch das Selbstverständnis des Großfürsten auf eine höhere Stufe gehoben.354

5.2.2 Hof des Khans

Die Interpretation der Großfürstenrolle war von den Reisen zum Hof des Khans geprägt. Bei diesen Reisen nach Sarai eigneten sich die herrschenden Fürsten, und auch deren thronfolgende Söhne, tatarische Führungs- und Administrationsfähigkeiten an. Söhne wurden z. T. über Jahre am Hof zurückzugelassen, damit diese die Fähigkeiten und Verhaltensmuster in aller Ruhe erlernen konnten. Sie nutzten ihre neuen Kompetenzen, einerseits um ihre Machterweiterung voranzutreiben und andererseits um ihr Auftreten dem tatarischen anzupassen.355 Unter

350 Paul Miliukov, Charles Seignobos und L. Eisenmann: From the Beginnings to the Empire of Peter the Great. Übers. von Charles Lam Markmann. Funk & Wagnalls: New York 1968. (= History of Russia. 1.), S. 104. Im Folgenden zitiert als: Miliukov, From the Beginnings. 351 Vgl. ebda., S. 105. 352 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 44. 353 Halperin, Interrelations of Rus’, S. 197. 354 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 47. 355 Vgl. ebda., 525.

75 anderem verbrachte Dmitri Donskois Sohn Vasili I. seine Jugend am Hof des Khans.356 Kradin stimmt Ostrowski hinsichtlich der Auswirkungen des Aufenthalts in Bezug auf die Erziehung der Herrscher zu: The Mongols played a major role in Russian history. They mediated the borrowing of various Chinese practices by the Rus', such as prostrating oneself when talking to the ruler and punishing tax evaders by hitting their heels with sticks.357 Erst als die Reisen nach Sarai in den 1430ern gestoppt wurden, begannen die Moskauer Institutionen einen eigenen Charakter zu entwickeln.358 Mit dem Stopp der Reisen hörte dagegen der Machteinfluss der Khane nicht abrupt auf. Ostrowksi spricht dem Khan gegen Mitte des 15. Jahrhunderts immer noch entscheidenden Einfluss auf die Thronfolge der russischen Fürsten zu. Ihm zufolge konnte sich Vasili II. 1431 erst durch die Unterstützung des Khans gegen Juri durchsetzen. „Ulug-Mehmed's decision in favor of Vasilii represented the second time a Mongol khan had intervened to violate the steppe principle of lateral succession for the Daniilovichi.“359 Vadim Trepalov ist hier auch der Ansicht, dass das Urteil des Khans für die Fürsten Bedeutung hatte: „[The] Muscovites recognised the delicate balance of power in the steppes and the legality of the two neighbouring Khans.“360 Ostrowski vertritt in diesem Punkt somit eine völlig gegensätzliche Sichtweise zu Soloviev, der die Khanentscheidung als bedeutungslos wertet.361 Ostrowskis Schlussfolgerung lautet: „We could say that as late as the mid-fifteenth century lateral succession was alive but contested in the ruling family. It was brought to an end, in part, by a decision of the Kipchak khan.“362 Damit verhalf das Khanat dem Großfürstentum Moskau dabei, die alte Sukzessionsordnung zugunsten der Moskauer Fürsten zu reformieren.

5.2.3 Bojaren und Kleriker

Im Zusammenhang mit der Thronfolge der Moskauer Großfürsten wurde die Klanzugehörigkeit der Fürsten und damit ihrer Bojaren von großer Bedeutung. Die Idee und ihre Umsetzung basiert laut Ostrowski auf mongolischem Einfluss: One of the most important of Mongol influences was on the creation of the mestnichestvo system, which determined the ordering of the ruling class […] The importance of position based on mestnichestvo rank remained for the boyars and gentry through the seventeenth century.363

356 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 529. 357 Kradin, Mongol Role in World History, S. 66. 358 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 529. 359 Ebda., 539. 360 Trepalov, Great Horde, S. 740. 361 Vgl. Soloviev, Clan to Crown, S. 47-54. 362 Ostrowski, Muscovite, 539. 363 Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 48.

76 Das Mestnichestvo war eine Kombination aus mongolischem Klanstatus und steppen- nomadischen Prinzipien der lateralen Sukzession, die ab dem 15. Jahrhundert bis spät ins 17. Jahrhundert galt, das wesentlich für die Machtkonsolidierung und für die territoriale Erweiterung werden sollte.364 Die Klanzugehörigkeit war ein wichtiges ‚Instrument‘ der Großfürsten, die damit gegen mächtige Fürsten und Klans vorgehen konnte, wie Crummey erklärt: Mestnichestvo had an ambiguous effect on the fighting capacity of the army and the decorum of court life. […] When commanders of army units refused to cooperate or even to communicate with one another for reasons of precedence, the consequences could be devastating […] If individuals or clans fell under suspicion of disloyalty or simply became too powerful, they could be disgraced and exiled.365 Die Herkunft des Mestnichestvo ist unter Historikern nicht so eindeutig geklärt, wie Ostrowski behauptet. So widerspricht Halperin Ostrowski deutlich: „The complicated Muscovite system of mestnichesto allocating ranking and office based upon both genealogy and clan service record had no Tatar input.“366 Nichtsdestotrotz wertet Ostrowski den Einfluss der Mongolen auf das Mestnichestvo als maßgeblich. Diese Klanzugehörigkeit gilt als nicht vernachlässigbares Element der Moskauer Macht, bezog sich das Mestnichestvo auf die Genealogie der Bojaren, die wiederum den Moskauer Großfürsten stützten:367 „The Muscovite were powerfully assisted by two social forces: the boyars of Moscow […] and the clergy.“368 Neben den Bojaren waren die Geistlichen, allen voran der Metropolit, wichtige Alliierte Moskaus. Mit dem Residenzwechsel des Metropoliten von Kiev, über Vladimir, nach Moskau, genoss es Moskau, nicht nur politisches, sondern auch religiöses Zentrum zu werden. Auch hier hatten die Tataren – wenn auch vielleicht unbeabsichtigt – den Stein ins Rollen gebracht: Moscow’s political importance was also growing because the city became the religious capital of Russia at this time. […] Metroplitan Maxim had abandoned Kiev, laid waste by the Tartars […] Under Theognostos, who succeeded him [Peter], Moscow officially became the residence of the metropolitan.369 Kiev war durch die tatarischen Verwüstungen und den folgenden Spannungen für den Metropoliten schlichtweg nicht mehr attraktiv. Mit dem Sieg der Moskauer über Tver hatte Moskau für den Metropoliten in seiner Suche einer geeigneten Residenz die beste Ausgangslage geschaffen.

364 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 104. 365 Crummey, Formation of Muscovy, S. 13f. 366 Halperin, Interrelations of Rus’, S. 198. 367 Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 15. 368 Miliukov, From the Beginnings, S. 106. 369 Ebda., S. 105.

77 5.2.4 Wirtschaft und Handel

In Puncto Wirtschaft und Handel überwiegen auf lange Sicht die positiven Effekte. Der intensivierte Handel und die von den Tataren adaptierte Steuerpolitik stärkten die Moskauer Wirtschaft. Betrachtet man den Reichtum der Großfürsten und auch die finanziellen Mittel der Prälaten, so gibt es in Moskau keine wirtschaftliche Repression durch die Tataren – zumindest in Bezug auf Großfürsten und Metropoliten.370 Die mongolische Eroberung der Rus‘ hatte zu Beginn einen großen negativen wirtschaftlichen Einfluss. Diesem müssen die positiven Folgen ab dem frühen 14. Jahrhunderts gegenübergestellt werden. Das nordöstliche Russland erlebte eine wirtschaftliche Blüte aufgrund der Pax Mongolica und diese Blüte hatte maßgeblichen Anteil am Aufstieg Moskaus.371 Die Kombination aus Steuersystem, Pax Mongolica und der günstigen geographischen Lage Moskaus wirkten synergetisch. „Its location on the broad Moscow River—a tributary of the Oka, which in turn flows into the Volga—placed it on important trade routes and aided its economic growth.“372 Kradin führt den Einfluss im Zusammenhang mit dem Handel und der Wirtschaft wie folgt an: „It is beyond reasonable doubt that the Mongol Empire's most important contribution to world history consisted in linking chains of international trade to form a network of land and marine connections.“373 Die Handelswaren wurden über die Handelswege in die Zentren gebracht und dort mussten diese versteuert werden. Dies brachte nicht nur Geld ein, sondern ersparte zudem administrativen Aufwand, da der Handel dort stattfand, wo ohnehin ‚Steuerbeamte‘ waren.374

5.2.5 Bedeutung der Schlacht am Kulikovo Pole

Eine relativierende Ansicht vertritt Ostrowski in Bezug auf die Ereignisse am Kulikovo Pole 1380. Der Sieg ist hierbei nicht zuletzt der Übernahme militärischer Mittel von den Tataren geschuldet: „Evidence from archaeological digs in the field at Kulikovo from the end of the fourteenth century indicates that the Rus‘ and Tatar horse archers were similarly equipped.“375 Auch der Sieg als solcher sollte ihm zufolge hinterfragt werden. Dmitri wie auch Mamai hatten große Verluste zu verzeichnen. Mamai könnte sich durchaus zurückgezogen haben, um zusätzliche Krieger zu rekrutieren und Donskoi erneut zu attackieren. Donskois Heer hatte sein Limit erreicht. Tokhtamysh machte mit seinem Angriff auf Mamai dessen Plan zunichte. Ein Problem der Schlacht ist auch, so erklärt Ostrowski, dass die Darstellung nur in russischen

370 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 121f. 371 Vgl. ebda., S. 131. 372 Kort, Brief History of Russia, S. 18. 373 Kradin, Mongol Role in World History, S. 67. 374 Vgl. Poe, Russian Moment, S. 34. 375 Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 52.

78 Chroniken zu finden ist.376 Marshall Poe, der in der Vergangenheit gemeinsam mit Ostrowski publiziert hatte, sieht die Darstellung der Schlacht als richtungsweisenden Sieg über die Tataren als haltloses Produkt der orthodoxen russischen Chroniken und der nationalistischen russischen Historiographie. Tataren und Moskauer Fürsten waren aufeinander angewiesen, bekriegten sich häufig, vermieden es aber, sich gegenseitig zu zerstören, und Tribute wurden auch nach dieser Schlacht weiterhin gezahlt.377

5.2.6 Fazit

Ostrowski sieht einen ausgesprochen großen Einfluss der Mongolen im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Moskauer Großfürsten, der Konsolidierung und der territorialen Erweiterung des Großfürstentums. Es gibt kaum einen Bereich aus Administration, Wirtschaft, Handel oder Militär, in der mongolische Traditionen oder Traditionen aus China oder dem Islam, die durch Mongolen in die Rus‘ eingeführt wurden, nicht nachgewiesen werden können. Ostrowski spricht sich gegen die Darstellung des ‚orientalen Despotismus‘ oder des Tatarenjochs, das die Moskauer vermeintlich ertragen mussten, aus. Die Mongolen hätten per se keine Tradition des Despotismus, stattdessen vielmehr einen Charakter der Dezentralisation. Der Machtbereich des Khans innerhalb seines Herrschaftsbereichs war begrenzt. Ähnlich erging es der Moskauer Elite.378 Die Ansicht Platonovs, der den Tataren die Schuld an der Isolation Russlands und der russischen Distanzierung zum westlichen Europa gibt,379 teilt Ostrowski ebenfalls nicht. Ob der direkte Kontakt Moskaus zum westlichen Europa durch die Eroberung und Anwesenheit der Tataren behindert wurde, kann seiner Ansicht nach nicht belegt werden, da Russland auch vor dem Einfall wenig Kontakt zum Westen pflegte. Jedoch ebneten die Mongolen Moskau den Weg zu chinesischen Regierungspraktiken und dem Dar al- Islam, mit denen Moskau ohne tatarischem Zutun nicht in Kontakt geraten wäre.380 Das negative Bild der Mongolen und ihr vermeintlich negativer Einfluss sind auf die Interpolationen der orthodoxen Kirche zurückzuführen, die absichtlich die Wahrnehmung verzerren soll. Ostrowski behauptet, dass er selbst kein eigennütziges Interesse daran hat, ob Mongolen Moskau beeinflusst haben oder nicht. Sein Bemühen liegt stets darin, die dünne Quellenlage zu verdeutlichen, Unsicherheiten und mögliche Ungereimtheiten in seinen Ergebnissen offenzulegen und mögliche Gegenargumente zu entkräften.381 In der Tat lässt sich

376 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 155. 377 Vgl. Poe, Russian Moment, S. 31. 378 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 542. 379 Platonov, History of Russia, S. 76. 380 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 131f. 381 Vgl. Ostrowski, Muscovite, 542.

79 in den Schriften Ostrowskis eine mulitperspektivische wissenschaftliche Betrachtung erkennen. Jedoch wirkt es oftmals, als ob er mit aller Macht nach Argumenten und Interpretationen sucht, um den Einfluss der Mongolen – seine Sicht der Dinge – zu bestätigen, weshalb die Frage durchaus berechtigt ist, ob er bewusst ein bestimmtes Bild Moskaus vermitteln will. Seine Resümees zumindest lassen eindeutig die Tendenz erkennen, dass die Mongolen Wegbereiter und Stabilisatoren des Moskauer Großfürstentums – während der gesamten Periode der Goldenen Horde – waren.

80 6 George Vernadsky

George Vernadsky wurde am 20. August 1887 in St. Petersburg geboren. Er verbrachte seine frühen Jahre in Moskau, wo sein Vater Vladimir Ivanovich an der Universität in Moskau als Professor für Mineralogie und Biochemie tätig war. 1905 immatrikulierte er an der Universität Moskau Philosophie und Geschichte, ging aber schon bald nach Deutschland, wo er in Freiburg und Berlin zwei Jahre studierte. 1907 setzte er sein Studium in Moskau fort und wurde mit den Lehren seiner Professoren V. O. Kliuchevski, D. M. Petrushevski und A. N. Savin vertraut. Aufgrund von intensiv geführten Protesten gegen die Regierungsgewalt, wechselte Vernadsky an die Universität von St. Petersburg, an der S. F. Platonov unterrichtete.382 In seiner Dissertation von 1917 setzte er sich mit den russischen Freimaurern zur Zeit Katharinas II. auseinander (Russkoe masonstvo v tsarstvovanie Ekateriny II).383 In St. Petersburg blieb er insgesamt sieben Jahre. Er pflegte hier Freundschaften mit Michail Rostovtsev and Michail Karpovich.384 Aufgrund der Tumulte in Russland, floh er von Perm, wo er ein Jahr unterrichtete, nach Simferopol auf die Krim. Dort unterrichtete er für zwei Jahre an der Universität von Taurida – die heute den Namen V.I. Vernadsky Taurida National University (TNU)385 trägt.386 Nach der Niederlage der Weißen Armee unter Heeresführer Petr Vrangel 1920, verließen Vernadsky und seine Frau die Sowjetrepublik und zogen nach Prag, in die damalige Tschechoslawakei. Hier publizierte Vernadsky eine Reihe von Büchern über die russische Geschichte und die Verfassungsbestrebungen des Nikolai Novosiltsev aus dem Jahr 1820.387 Er arbeitete in Prag als Professor der Russian School of Law und stand mit anderen geflohenen Russen wie N. S. Trubetskoi and P. N. Savitsk in engem Kontakt.388 Durch diese Kontakte kam Vernadsky mit dem Eurasismus in Berührung. Dieser definierte Russland nicht als weniger entwickeltes Land Europas, sondern vielmehr als eigenständigen Kontinent zwischen Europa und Asien. Diese Theorie sollte sich in einigen seiner Werken, wie bspw. Opyt istorii Evrazii oder Zveniya russkoi kultury, wiederfinden.389

382 Vgl Alan D. Ferguson: George Vernadsky, 1887 – 1973. In: The Russian Review 32 (1973), Heft 4, S. 456. Im Folgenden zitiert als: Ferguson, George Vernadsky. 383 Vgl. Dimitri von Mohrenschildt: In Honor of George Vernadsky. In: The Russian Review 26 (1967), Heft 4, S. 421. Im Folgenden zitiert als: Mohrenschildt, in Honor of Vernadsky. 384 Vgl. Ferguson, George Vernadsky, S. 456. 385 Der neue Standort ist seit der Krim-Annexion 2016 in Kiev. Vgl. TUN. URL: https://tn.university/history [gesehen am 08.03.2021]. 386 Vgl. Ferguson, George Vernadsky, S. 457. 387 Vgl. Mohrenschildt, in Honor of Vernadsky, S. 421. 388 Vgl. Ferguson, George Vernadsky, S. 457. 389 Vgl. Mohrenschildt, in Honor of Vernadsky, S. 421.

81 Michail Rostovtsev, der mittlerweile Professor an der Universität in Yale war, gelang es 1927, Vernadsky als Research Associate in Russian history nach New Haven an die Yale Universität zu lotsen, die in der Folgezeit zu den Zentren der russischen Forschungen werden sollte. New Haven wurde indes Vernadskys Lebensmittelpunkt, wo er forschte und publizierte.390 Sein Opus Magnum A History of Russia wurde im Zeitraum 1943-1969 in fünf Bänden in Yale publiziert und deckt die Zeit von den Ancient Times bis zum Jahr 1682 ab. Es ist der größte Beitrag zur russischen Geschichte in nicht-russischer Sprache. Beachtlich ist dabei die immense Bibliografie, mit der sich Vernadsky auseinandergesetzt hat. Er gilt als Spezialist des mittelalterlichen Russlands, des Byzantinischen Reiches und der eurasischen Steppennomaden.391 1973 verstarb George Vernadsky in seinem Zuhause in New Haven, Connecticut.392 Vernadskys Karriere durchlief somit drei Phasen, in der sein Weltbild von unterschiedlichen Umständen und Persönlichkeiten geprägt wurde: Die erste Phase beginnt mit 1910 und reicht bis zu seiner Emigration 1920, die zweite Phase umfasst die Zeit von 1920 bis 1927 in Europa und die dritte Phase beginnt mit seiner Tätigkeit an der Yale Universität 1927 bis zu seinem Tod.393 In diesem Kapitel stellt Vernadskys dritter Band aus A History of Russia, The Mongols and Russia, die Grundlage.394 The Mongols and Russia wurde 1953 publiziert und behandelt in fünf Kapiteln die Zeit von Tschinggis Khans Aufstieg bis zu den Nachwirkungen der Goldenen Horde. Wesentlich sind für uns die Kapitel The Golden Horde, The Decline of the Golden Horde and the Resurgence of Russia und besonders The Mongol Impact on Russia.395

6.2 Ausgewählte historische Ereignisse in der Zeit der Fremdherrschaft in The Mongols and Russia

6.2.1 Die ersten Jahrzehnte unter der Goldenen Horde

Die Goldene Horde wurde nach Batus Rückkehr aus dem Ungarn-Feldzug 1242 als autonomes Herrschaftsgebiet innerhalb des Mongolischen Reiches etabliert. Kiev, Chernigov und Podolia standen unter direkter Herrschaft der Mongolen. Kiev verfügte 1246 zudem über keinen

390 Vgl. Mohrenschildt, in Honor of Vernadsky, S. 422. 391 Vgl. Ferguson, George Vernadsky, S. 457. 392 Vgl. ebda., S. 456. 393 Vgl. Charles J. Halperin: George Vernadsky, Eurasianism, the Mongols, and Russia. In: Slavic Review 41 (1982), H. 3, S. 477. 394 Vgl. Mohrenschildt, in Honor of Vernadsky, S. 422. 395 Vgl. George Vernadsky: The Mongols and Russia. Yale University: New Haven 1953. (= A History of Russia. 3.), S. ixf. Im Folgenden zitiert als: Vernadsky, Mongols and Russia.

82 Fürsten. Batu stand bereits zu Beginn vor zwei Problemen: zum einen wollte er die russischen Fürsten unter seine Herrschaft bringen und zum anderen die Eintreibung von Tributen und Steuern organisieren. Um seinen Herrschaftsbereich in die nördlichen Regionen auszudehnen, wo die Mongolen keine Truppen hatten, brauchte Batu die Kooperation mit den russischen Fürsten. Großfürst Jaroslav I. von Vladimir versprach Batu 1242 seine Loyalität. 1246 reist Jaroslav nach Karakorum, um sein fürstliches Patent bestätigen zu lassen, wo er aber an einer Krankheit starb oder auch von Großkhan Güyük vergiftet wurde. Seine Söhne Alexander Nevski und Andrei reisten ebenso nach Karakorum, um Großkhan Güyük Respekt zu zollen. Andrei erhielt die Großfürstenwürde von Vladimir. Alexander Nevski wurde Fürst von Kiev. 1249 kehrten die beiden zurück, Andrei ging nach Vladimir, Alexander nach Novgorod anstatt nach Kiev. Mit der Wahl Möngkes zum Großkhan 1251 mussten die fürstlichen Patente erneuert werden. Durch die enge Freundschaft zwischen Möngke und Batu genügte es nun, nach Sarai zur Residenz des Khans der Goldenen Horde zu reisen, anstatt zum Großkhan. Batu übertrug die Aufgabe zur Ernennung der Fürsten seinem Sohn Sartak. Alexander zögerte nicht, sich zu Sartak zu begeben. Andrei dagegen verweigerte die Reise. Seine Armee wurde von mongolischen Truppen in der Nähe von Pereislav besiegt und er war gezwungen zu fliehen. Alexander hatte sich für die Treue zu den Mongolen entschieden, da er zu dieser Zeit auf keine Hilfe hoffen konnte und eine (Auf-)Teilung der russischen Gebiete vermeiden wollte. Die Schweden und der Deutsche Orden waren alleine aufgrund ihres Glaubens die Feinde der Rus‘, dem Westen misstraute Alexander. Er sah sich für sein Land, seine Leute und den gemeinsamen Glauben verantwortlich. Eine Annäherung an den Westen hätte womöglich eine Annäherung an die römisch-katholische Kirche bedeutet, die als Repräsentantin der Kreuzritter galt und womöglich ihren orthodoxen Glauben bedroht hätte. Die Entscheidung Alexanders, den Mongolen zu dienen, war daher weniger einer ängstlichen Unterwürfigkeit, sondern mehr einer nüchternen Einschätzung geschuldet.396 Batu starb 1255. Eine kurze aber bedeutende Nachfolge trat Khan Ulagchi an, der eine obligatorische Volkszählung und die Wehrpflicht verkündete. 1257 tauchten mongolische Bedienstete in den Fürstentümern Riazan, Murom und dem Großfürstentum Vladimir auf und installierten hier die mongolische Administration ohne Gegenwehr. Mit diesem Erfolg im Osten wandte sich der mongolische Blick in Richtung Novgorod, wo der Zensus 1258 aufgrund von Aufständen nur mit Hilfe Alexander Nevskis möglich war. Ulagchi starb 1258. Mit dem Nachfolger Berke Khan wurde der Islam in der Goldenen Horde dominanter und damit auch die Beziehungen zu den Mamluken in Ägypten. Zu Berkes Zeit waren weniger die inner-

396 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 140-149.

83 russischen Belange von Bedeutung, sondern vielmehr das an Stärke gewinnende Litauen, das durch den Deutschen Orden immer weiter in den Osten gedrängt wurde. Dieser Expansion musste Einhalt geboten werden. Einerseits war der Zugang zum Baltischen Meer über Litauen für die islamischen Kaufleute der Horde eine Alternative zu Novgorod, andererseits konnte eine Allianz zwischen Westrussland und Litauen eine Gefahr für die Tataren darstellen. Der mongolische Heeresführer zog gegen Daniel von Galizien, schlug diesen vernichtend und stationierte Truppen in der mittleren Dnepr-Region. Alle westrussischen Fürsten mussten nun vom Khan das Patent erhalten, um den Thron im Fürstentum zu besteigen. 1262 wehrten sich Rostov, Vladimir, Suzdal und Jaroslavl mit Gewalt gegen die tatarischen Steuereintreiber. Alexander Nevski konnte einen Rachefeldzug Berkes abwenden, indem er bei ihm vorstellig wurde und um Verzeihung für das Verhalten seiner Leute bat. Berke kam seiner Bitte nach.397 Nach Berkes Tod 1267 wurde dessen Nachfolger vom gewählt. Dabei setzte sich Batus Enkel Möngke Timur gegen den Militärkommandanten Nogai durch. Möngke Timur war den Russen und der Orthodoxie wohler gesinnt als sein Vorgänger. Er erweiterte die Privilegien der Kirche, indem nicht nur die Kirchenleute, sondern auch deren Anwesen samt aller Bediensteten von steuerlichen und militärischen Pflichten befreit wurden. Mongolen war es verboten, sich an der Kirche finanziell zu bereichern, die Kirchenleute in ihren Dienst zu zwingen oder den orthodoxen Glauben zu schmähen. Ein Vergehen sollte mit dem Tod bestraft werden. Die Goldene Horde schaffte es innerhalb weniger Jahrzehnte, den Osten und den Westen Russlands zu unterjochen und zudem die russische Kirche auf ihre Seite zu bringen. Möngke Timur war es wichtig, aus den zahlreichen (bereits loyalen) russischen Fürsten eine Dynastie hervorzuheben, der er vertrauen und durch die er die mongolischen Regeln stärker in den russischen Gebieten durchsetzen konnte. Möngke wählte die Fürsten Rostovs, nicht zuletzt aus der Furcht heraus, es könnten sich hier erneut Revolten wie im Jahr 1262 ergeben. Die Privilegierung der Rostover Fürsten sollte eine Schmälerung der Macht der dortigen Veche bewirken.398

6.2.2 Wiederherstellung der Ordnung im Khanat

Nach Möngkes Tod 1280 wählte der Kurultai Tuda Möngke als seinen Nachfolger. Tuda blieb jedoch mehr im Hintergrund. Während Nogai als ‚inoffizieller Khan‘ tatsächlich die Macht innehatte, war Khan Tuda Möngke zunächst nur für die Erneuerungen der Patente zuständig. 1280 reisten alle russischen Fürsten mit Ausnahme des Großfürsten Dmitri von Pereislav zum neu gewählten Khan. Dies hatte zur Folge, dass das Patent Dmitris zurückgenommen und ein

397 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 149-161. 398 Vgl. ebda., S. 164-170.

84 neues an Andrei von Gorodez und Kostroma ausgehändigt wurde. Dmitri widersetzte sich seiner Thronenthebung. Daraufhin sandte der Khan ein mongolisches Heer zur Unterstützung von Andrei. Die Mongolen verbreiteten sich im gesamten Großfürstentum, ergriffen Dmitris Offiziere, machten das Großfürstentum dem Erdboden gleich und installierten Andrei als Großfürsten. Dmitri flüchtete zu Nogai, dem es missfiel, dass er zur Patentausgabe nicht eingeladen war. Er verhalf Dmitri wieder zurück auf den Großfürstenthron und gab ihm die Autorität, die Steuereinfuhr in seinem Gebiet zu beaufsichtigen. Mongolische Offizielle wurden zurückgerufen. 1283 konvertierte Tuda Möngke zum Islam und wurde stark vom Sufismus beeinflusst, weshalb er jegliches Interesse an Macht verlor und seine Khanspflichten vernachlässigte. Nogais Macht blieb auch während der folgenden Khane erhalten. Gemeinsam mit Khan Tulabugha griff er ungarische und polnische Gebiete an. Jedoch verschlechterte sich ihr Verhältnis, das eine Entartung der mongolischen Herrschaftsweise und Demoralisierung der russischen Fürsten zur Folge hatte. Tokhta, ein Sohn Möngke Timurs, stand im Streit mit Tulabugha und suchte Schutz bei Nogai. Dieser führte 1291 Tulabugha in einen Hinterhalt und ermordete ihn und dessen Gefolgschaft. Im Anschluss proklamierte Nogai Tokhta als neuen Khan. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern war Tokhta keineswegs bestrebt, Nogais Vasall zu werden. Als einige russische Fürsten, darunter Daniel von Moskau und Michail von Tver, für die Bestätigung des Throns Nogai aufsuchten, beabsichtige Tokhta, seine Autorität im Norden Russlands wiederherzustellen. Mongolische Truppen zerstörten und plünderten 1293 Vladimir, Moskau, Tver und weitere Städte schonungslos. Andrei von Gorodez wurde neuer Großfürst.399

6.2.3 Moskau und Tver in Konkurrenz

Tokhta setzte sich gegen Nogai 1299-1300 in der Schlacht in der Poltawa-Provinz durch. Mit Tokhtas Sieg und Nogais Tod nahm die Spaltung innerhalb der Goldenen Horde ein jähes Ende. Unter Tokhta Khan wurde die Ordnung in der Goldenen Horde wiederhergestellt.400 Russische Fürsten erkannten, dass sie die Unstimmigkeiten innerhalb der Horde für sich nutzen können. Es gab genügend mongolische Fürsten und Offiziere, die nicht mit dem Khan einer Meinung waren und Schutz bieten konnten. Für die russischen Fürsten, die die Etablierung und Ausdehnung des eigenen Fürstentums anstrebten, wurde die richtige Wahl eines mongolischen Schutzherrn für die eigenen Zwecke immer wichtiger. Im Ringen um die Apanagen und das Ziel, Souveränität über alle Fürstentümer zu erlangen, war ihnen jedes Mittel recht. Mit den veränderten Bedingungen traten nun die bis dato wenig berücksichtigten Moskauer Fürsten in Erscheinung. Fürst Daniel von Moskau konfiszierte 1301 die Stadt Kolomna, die zum

399 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 174-185. 400 Vgl. ebda., S. 188-190.

85 Fürstentum Riazan gehörte. Daniel besiegte sowohl Fürst Konstantin von Riazan als auch ein Mongolenheer. Konstantin wurde gefangen genommen und später von Juri Danilovich umgebracht. 1303 okkupierte er Mozhaisk aus dem Fürstentum Smolensk. Als Ivan von Pereislav kinderlos starb, beanspruchte Daniel das Fürstentum Pereislav für sich. Er begründete dies damit, dass er dem Willen Ivans folgte. Daniel starb im März 1304. Sein Sohn Juri folgte ihm. Da sich Großfürst Andrei von Daniel um Pereislav betrogen fühlte, beschwerte er sich beim Khan. Dieser berief Großfürst Andrei, Fürst Michail von Tver, Juri von Moskau sowie den Metropoliten Maxim bei sich ein. Der Khan erkannte, dass Tver und Moskau an Macht gewonnen hatte. Darum entschied sich Tokhta, die Fürsten von Moskau und Tver zu seinen direkten Vasallen zu machen und ihre Macht in Balance zu halten. Tokhta übertrug Pereislav an Juri von Moskau. Als Großfürst Andrei 1305 starb, erhielt Michail von Tver als Kompensation die Großfürstenwürde. Mit der Autorität als Großfürst und den Ressourcen, die Tver zur Verfügung standen, zielte Michail nun auf die Vorherrschaft in Russland ab.401 Uzbeg Khan folgte seinem Onkel Toktha auf den Thron. Uzbegs einziges Interesse in Russland lag darin, das Gleichgewicht zwischen den Fürsten, insbesondere zwischen Tver und Moskau, beizubehalten und damit der Bildung eines einheitlichen russischen Staates vorzubeugen. Er übertrug vielen Fürsten das Recht, in ihrem eigenen Herrschaftsraum Steuern einzuziehen, wofür bis dato die Baskaken zuständig waren. Mit der Ernennung Michails als Großfürst von Vladimir fiel auch Novgorod unter Michails Kontrolle. Novgorod weigerte sich jedoch, Michail zu akzeptieren, und wünschte sich Juri III. von Moskau. Dieser wurde auf Beschwerde Michails hin zum Khan eingeladen. Dort verbrachte Juri einige Jahre, heiratete Uzbegs Tochter Konchak, die sich als Agatha christianisieren ließ. Uzbeg entzog Michail die Großfürstenwürde und übergab das Patent Juri III. von Moskau, nun Großfürst von Vladimir. Gemeinsam mit Kavgadyi, einem der höchsten mongolischen Offiziere, machte sich Juri III. auf den Weg nach Tver, Michail von Tver zu unterwerfen. Michail schlug das Moskauer Heer und zwang Juri III. zur Flucht nach Novgorod. Auf der Flucht wurde seine Frau Agatha von Tverer Männern gefangengenommen und eingesperrt. Kavgadyi bestellte Juri III. und Michail von Tver zur Horde. In der Zwischenzeit war Agatha in Gefangenschaft gestorben. Kavgadyi machte Michail für ihren Tod verantwortlich. Schließlich wurde Michail zum Tode verurteilt und 1319 exekutiert. 1322 unterrichteten die Söhne Michails den Khan darüber, dass Juri III. die Steuern Novgorods für sich beanspruchte. Daraufhin entzog Uzbeg Juri III. die Großfürstenwürde und übertrug sie Fürst Dmitri Michailovich. Juri III. reiste mit Reichtümern aus Novgorod zum Khan, Großfürst Dmitri tat es ihm gleich. Als sich beide begegneten,

401 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 191-194.

86 ermordete Dmitri Juri. Für diese Tat ließ der Khan Dmitri 1325 exekutieren und dessen jüngeren Bruder Alexander Michailovich zum Großfürsten ernennen.402 In Tver richtete sich 1327 ein Aufstand gegen die dort stationierten Mongolen. Uzbeg sandte Juris Sohn Ivan I. gemeinsam mit Fürst Alexander von Suzdal nach Tver. Fürst Alexander floh, bevor die Schlacht überhaupt begonnen hatte. Ivan dagegen verwüstete mit seinen Truppen die Stadt und das Umland Tvers und nahm tausende Aufständische gefangen. Um Moskau nicht zusätzlich zu stärken, erhielt Fürst Alexander von Suzdal 1328 den Großfürstentitel. Erst mit dem Tod Alexanders 1332, wurde Ivan I. von Moskau Großfürst von Vladimir. Unter Großfürst Ivan I. konnte das Fürstentum Moskau Reichtümer anhäufen, sodass Ivan den Beinamen Kalita – der Geldsack – bekam. Aufgrund der guten Beziehung zum Khan – er reiste häufig nach Sarai – entwickelte sich Moskau zu einer sicheren Region. Der Metropolit Peter bevorzugte es ebenso, in Moskau zu residieren und auch begraben zu werden. In Anlehnung an den Titel des Metropoliten fügte Ivan Kalita auch seinem Titel den Zusatz ‚und ganz Russland‘ hinzu.403 Das anhaltende Wachstum Moskaus stellte für die Horde eine potenzielle Gefahr für die Zukunft dar. Jedoch war die Horde in ihrer Stärke dem Fürstentum Moskau immer noch weit überlegen. Des Weiteren war der Khan mehr um den Westen besorgt, wo Polen und Litauen der Goldenen Horde bedrohlich wurden. Khan Uzbeg starb 1341. Auf Uzbegs ältesten Sohn Tinibeg, der nur von 1341 bis 1342 regierte, folgte der jüngere Bruder Janibeg (1342 bis 1357). Unter Khan Janibeg änderte sich wenig. Nach dem Tod Ivan Kalitas 1341 bestätigte er dessen ältesten Sohn Fürst Simeon von Moskau als Großfürsten. Simeon besuchte häufig den Khan und konnte ihm auch seine Loyalität beweisen. 1353 starb Simeon an der Pest. Sein Sohn Ivan II. folgte ihm auf den Thron. Ivan II. war ein schwacher Herrscher. Zu seiner Zeit 1353- 1359 rückten die Bojaren, allen voran die Familie Pleshcheiev, stark in den Vordergrund. Bischof Alexei von Vladimir wurde nicht nur Metropolit von Kiev bzw. Moskau, sondern eine führende Persönlichkeit in der Moskauer Regierung. Indes nahmen Ausschreitungen im Großfürstentum zu.404

6.2.4 Dmitri Donskois Aufstieg

Mitte des 14. Jahrhunderts stand die Goldene Horde vor einer großen Krise. Interne Streitereien, Intrigen und Morde hatten die Moral der Dschötschi-Dynastie gesenkt. Die östlichen Ulus, angeführt von den Nachfahren von Orda, und Tuka-Timur, sahen die Gelegenheit

402 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 199f. 403 Vgl. ebda., S. 200f. 404 Vgl. ebda., S. 202-207.

87 gekommen, den angehäuften Reichtum der Goldenen Horde zu ihrem eigenen zu machen. In den entstandenen Wirren fehlte es jedoch allen potenziellen Khanen an Führungsqualität. Einzig Emir Mamai erwies sich als starker General. Er musste jedoch einen Scheinkhan installieren, da er aufgrund seiner Herkunft nicht als Khan in Frage kam.405 Die mongolischen Khane und die Goldene Horde hatten an Reputation eingebüßt, der Ruf nach Unabhängigkeit wurde in den russischen Fürstentümern lauter. Dmitri, genannt Donskoi, von Moskau wurde neuer Großfürst und setzte sich gegen Dmitri von Suzdal durch. Tver versuchte mit Hilfe von Litauen, Moskau die Vorherrschaft streitig zu machen. Dies scheiterte nicht zuletzt an den finanziellen Ressourcen Moskaus, das den Khan jederzeit mit großen Reichtümern beschenken konnte. Schließlich wurde Michail von Tver von Litauen und den Mongolen im Stich gelassen. Er war Dmitri Donskoi völlig unterlegen und musste um Frieden bitten. Im Friedensvertrag von 1375 akzeptierte es Michail, ein Vasall Dmitri Donskois zu werden und weder die Großfürstenwürde von Vladimir anzustreben noch Machtansprüche an Novgorod zu stellen. Zudem verpflichtete er sich, das Großfürstentum Moskau mit seinen Truppen zu unterstützen. Mit dem Sieg Dmitris über Tver fürchtete Mamai die wachsende Stärke Moskaus.406 Er beabsichtigte, Moskau zu schwächen. Die Suche nach Verbündeten gestaltete sich schwierig. Als alliierte Kraft kam für die Mongolen Tver nicht mehr in Frage, Großfürst Dmitri von Suzdal hatte sich 1374 gegen Mamai gestellt, in Nizhni Novgorod waren Mongolen einem Aufstand zum Opfer gefallen und Riazan war schlichtweg zu schwach. Damit blieb nur mehr eine Allianz mit Olgerd von Litauen, der aber starb 1377. 1378 drang Tokhtamysh in die Goldene Horde ein und okkupierte Sarai. Mamai plante, Moskau zu unterwerfen und mit den erbeuteten Ressourcen einen Feldzug gegen Tokhtamysh zu starten. Dmitri hatte ebenso die Absicht, gegen Mamai vorzugehen. Er sandte einen linken Flügel in die mittlere Wolgaregion, wo Fürst Dmitri Bobrok mit Hilfstruppen aus Suzdal die von Tataren kontrollierte Bulgarregion einnahm und die tatarischen Fürsten dem Großfürstentum Moskau ihre Unterstützung versprechen mussten. Die Bulgarregion gehörte, wie auch Sarai, dem Khan Arab-Shah, Sohn von Bulat-Timur. Mamai sah sich nun gezwungen, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Er sandte seinen fähigsten Leutnant Begich mit einem starken Heer nach Moskau. 1378 traf das russische Heer mit Großfürst Dmitri, dem okolnichi Timothy Veliaminov und Fürst Vladimir von Pronsk am Ufer der Vozha, im Fürstentum Riazan, auf das mongolische Heer und schlug das Heer vernichtend. Dabei hatte die russische Armee die Angriffstaktik der Mongolen übernommen und Begichs Heer über zwei Flügeln angegriffen. Mamai mobilisierte

405 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 245f. 406 Vgl. ebda., S. 250-255.

88 neue Truppen und setzte nun auf eine genuesische Infanterie. Er konnte außerdem Oleg von Riazan und Iagailo von Litauen für seine Absichten gewinnen. Als Gegenleistung sollten die beiden für ihre Unterstützung das Großfürstentum Moskau unter sich aufteilen. Moskau wurde vom Metropoliten Cyprian und zahlreichen lokalen Fürsten unterstützt, die ihre Truppen in Kolomna konzentrieren sollten. Tver verweigerte entgegen der Vereinbarung mit Moskau Truppen bereitzustellen. Ebenso hielt sich Novgorod aus dieser Schlacht heraus. Mamai wartete in der Nähe des Kulikovo Pole auf die litauische Unterstützung. Iagailos Brüder, Fürst Andrei von Polotsk und Fürst Dmitri von Briansk, wechselten überraschend die Fronten und stellten sich in Kolomna auf die Seite Dmitris. Die Brüder rieten Dmitri, Mamai anzugreifen, bevor Iagailo mit seinem Heer eintreffen sollte. So kam es am 8. September 1380 zur blutigen Schlacht am Kulikovo Pole. Aufgrund der zahlenmäßig überlegenen Kavallerie nahm Mamais Heer überhand. Das plötzliche Eintreffen eines frischen russischen Trupps von Dmitri Bobrok, der im Hinterhalt lauerte, bedeutete aber den Sieg Dmitris über Mamai. Die Verluste waren auf beiden Seiten verheerend. Zu Moskaus Glück hatte sich Iagailo, ohne an der Schlacht beteiligt gewesen zu sein, zum Rückzug entschieden. Oleg von Riazan war nach Litauen geflüchtet.407

6.2.5 Ende des Tatarenjochs

Die Schlacht am Don befeuerte Moskaus Bestreben nach Unabhängigkeit. Die Niederlage am Kulikovo Pole bedeutete für die Mongolen unter Mamai einen herben Rückschlag, aber die größere Gefahr wartete erst. In seiner Bemühung, ein neues Heer gegen Moskau zu formieren, stieß er auf Tokhtamysh. In zwei Schlachten an der Kalka setzte sich Tokhtamysh durch, und die Emire und Generäle Mamais schlossen sich Tokhtamysh an. Tokhtamysh Ziel war es nun, die tatarische Autorität im Osten Russlands wiederherzustellen. Die russischen Fürsten wurden bei Tokhtamysh für die Patente nicht vorstellig, stattdessen sandten sie lediglich Boten mit vielen Gaben. Als Gesandten von ihm die Durchreise in Nizhni Novgorod verwehrt blieb, entschied sich Tokhtamysh für einem schnellen und heimlich geplanten Krieg. Damit konnte er die Fürsten von Riazan, Suzdal und Nizhni Novgorod überwältigen. Dmitri Donskoi wurde von den Vorfällen unterrichtet, ging nach Kostroma, um Truppen zu mobilisieren, und ließ Moskau auf sich allein gestellt. Die Stadt wurde nach kurzen inneren Aufständen von der Veche kontrolliert, und lediglich der Metropolit durfte Moskau Richtung Tver verlassen. Im August 1382 erschienen mongolische Truppen vor den Mauern der Stadt. Die Mongolen belagerten und attackierten die Stadt drei Tage lang, ohne sie einnehmen zu können. Darum machte Tokhtamysh Moskau ein falsches Friedensangebot. Als Moskau seine Tore öffnete, fielen die

407 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 256-262.

89 Mongolen über die Bürger her und richteten ein Blutbad an. Die Stadt wurde geplündert und in Brand gesetzt. Die umliegenden Dörfern und das Fürstentum Riazan ereilte das gleiche Schicksal. Als Dmitri Donskoi und Fürst Vladimir in Moskau eintrafen, war Tokhtamysh fort und die Stadt mit Leichen übersät. Es liegt nahe, dass Dmitri den Metropoliten als Unterstützer verloren hatte. Als es im Anschluss zum Konflikt zwischen dem Großfürsten und dem Metropoliten kam, ging dieser nach Kiev, das unter der Herrschaft Litauens stand. Der Widerstand der Russen gegen die Mongolen hatte große Opfer gefordert. Das politische Klima in Russland um 1383 erinnerte an die frühen Zeiten der mongolischen Herrschaft. Die russischen Fürsten, allen voran jene aus Tver, eilten zur Horde, um ihre Patente zu erhalten. Tokhtamysh zog es vor, Dmitri Donskoi als Großfürst von Vladimir beizubehalten. Michail von Tver wurde als Großfürst von Tver bestätigt. Moskau war geschwächt und traumatisiert. Darum blieb Dmitri weiterhin Großfürst von Vladimir - die Balance zu den anderen Fürstentümern sollte gehalten werden. Die Söhne der beiden Großfürsten wurden indes als Geiseln in der Horde gehalten, Steuern und Abgaben wurden erhöht und mehr russische Soldaten in das Heer der Horde eingegliedert.408 Die Situation schien für Russland angesichts des übermächtigen Gegners hoffnungslos. Darum verwundert es nicht, dass nicht die Russen, sondern eine dritte Entität, Tamerlan, zum größten Gegner der Goldene Horde avancierte. Tokhtamysh und sein ehemaliger Herr prallten geopolitisch aufeinander. 1389 kam es zur ersten Schlacht am Fluss Syrdarja. Boris und Vasili, die ihn begleiten mussten, war es gestattet, in ihre Heimat zurückzukehren. Bereits drei Monate später wurde Vasili von Emir Shikhmat zum Großfürsten von Vladimir ernannt. Im Juni 1391 verlor Tokhtamysh gegen Tamerlan die Schlacht am Fluss Kondurtscha. Tamerlan folgte dem fliehenden Tokhtamysh nicht, stattdessen sandte er seine beiden Emire Timur-Kutlug und Edigei zur Horde. Tokhtamysh änderte seine Strategie, um die Stabilität der Goldenen Horde zu gewährleisten. Ein wesentlicher Punkt für die spätere Entwicklung Russlands war es, von einer russischen Balance abzukehren und die Macht einem Fürstentum zu geben, das mächtig genug war, ihm zu helfen. Hierbei fiel die Wahl auf Moskau. Großfürst Vasili sah die Chance, sein Großfürstentum über die anderen zu erheben, wurde bei Tokhtamysh vorstellig und beanspruchte Nizhni Novgorod für sich. Zusätzlich bekam er die Fürstentümer Gorodez, Meshchera und Tarusa zugesprochen. Im Gegenzug musste Moskau die Souveränität des Khans akzeptieren und ihn unterstützen. Erholt von der letzten Niederlage, startete Tokhtamysh 1395 einen erneuten Anlauf gegen Tamerlan. Er verlor wiederum. Nur diesmal folgte ihm Tamerlan mit der Absicht, die russischen Gebiete anzugreifen. Vasili I.

408 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 262-268.

90 mobilisierte Truppen am Fluss Oka. Tamerlan war sich der Stärke Moskaus bewusst und befürchtete, selbst große Verluste zu erleiden, und zog sich nach der Verwüstung Riazans zurück.409 Der Feldzug Tamerlane gegen die Horde hatte furchtbare wirtschaftliche und militärische Auswirkungen auf die Goldene Horde. Tamerlan hatte viele Städte zerstört, die für die Goldene Horde für Handwerk und Industrie wichtig waren. Die synergetischen Vorzüge aus Nomadismus und städtischer Kultur wurden eliminiert. Des Weiteren fehlten ihnen angemessene Waffenvorräte für den Krieg. In puncto Militärtechnik hinkte man nun ebenso Moskau und Litauen hinterher, die mit der Produktion von Schusswaffen begannen. Und zusätzlich hatte er Tokhtamysh dazu genötigt, das Großfürstentum Moskau deutlich zu stärken. Mit der Niederlage Tokhtamyshs 1395 waren die russischen Fürstenümer nahezu unabhängig.410 Es sollte aber noch etwas mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, bis sich Russland von der Fremdherrschaft befreit haben und Moskau seine Macht entfalten sollte. Vasili II. setzte sich im Streit um die Thronnachfolge gegen seinen Onkel Juri von Galich und dessen Sohn Dmitri Shemiaka durch. Dies hatte zur Folge, dass das genealogische Senioritätsprinzip vom Sukzessionsprinzip Vater-Sohn abgelöst wurde und die Moskauer Fürsten sich in der Nachfolge endgültig durchgesetzt hatten.411 Mit 1452 datiert Vernadsky das Ende des Tatarenjochs, als das Kasimov Khanat gegründet wird. Vasili II. machte in seinem Testament seinen ältesten Sohn Ivan III. zu seinem Nachfolger, ohne die Privilegien des Khans zu erwähnen. Formal sollte erst Ivan III. 1480 die russische Emanzipation von den übriggebliebenen Resten der Goldenen Horde ausrufen.412

6.3 Diskussion

Vernadskys Herangehensweise zur Eruierung des Einflusses der Goldenen Horde auf die Entstehung des Moskauer Großfürstentums bzw. die Unifizierung Russlands basiert auf dem Vergleich zwischen der Kiever Rus und dem Moskauer Zarentum nach dem Untergang der Goldenen Horde. Angesichts der Unterschiede, die sich ergeben, soll der Einfluss der Horde ermittelt werden. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen dabei die Zentralisierung der Macht, die Reglementierung der sozialen Klassen und der Verlust der Grundfreiheiten. Ein Problem der Methode, das sich schon oberflächlich ergibt, wird von Halperin wie folgt erläutert: “Both

409 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 269-276. 410 Vgl. ebda., S. 277-284. 411 Vgl. ebda., S. 295 und S. 318-320. 412 Vgl. ebda., S. 332.

91 serfdom and autocracy developed in Russia after the termination of Mongol rule.”413 Die mongolische Fremdherrschaft war ein wesentlicher Faktor, der die Weichen für die Moskauer Alleinherrschaft und das Lehenswesen gestellt hat. Deren Herausbildung vollzog sich jedoch nach dem Untergang der Horde. Der Einfluss der Goldenen Horde wird vielmals mittels Kausalität – aus dem Blickwinkel einer eurasistischen Ideologie – begründet.

6.3.1 Balanceakt

Die zwei wesentlichen Faktoren für den Machtzuwachs der Großfürsten sind für Vernadsky „the strengthening of each grand duke’s authority within his grand duchy and the expansion of the strongest grand duchy at the expense of its neighbors.“414 Erstarken und Expandieren waren eng mit dem Steuerwesen und der Wehrpflicht verbunden, welche die Horde einführte. Nur wenige Städte oder Fürstentümer hatten überhaupt die Voraussetzung, eine bedeutende Macht zu erlangen. In der Mongoleninvasion 1237-1240 wurden zahlreiche Städte zerstört. Kiev, Chernigov und Pereislav verloren ihre bedeutende Rolle. “Since the collapse of the Kievan state in 1240, we can only identify regional East Slavic political entities with the grand principality of Vladimir-Suzdal' […] and the republic of Novgorod as the main power centres.”415 Novgorod hatte nicht nur aufgrund seiner Distanz zu Sarai Nachteile gegenüber den geographisch günstig gelegenen Fürstentümer Moskau und Tver.416 Novgorod, zu dem ab 1348 auch die Gebiete Pskovs zählten, unterschied sich in seiner Regierungsform entscheidend von anderen Fürstentümern – der Fürst wurde gewählt. „Die feudale Herrschaft wird durch eine besondere, gewissermaßen frühdemokratische Institution, das [Veche], eine Versammlung von Vertretern aller freien Bürger der Stadt abgelöst.“417 Daher war es nahezu eine logische Konsequenz, dass – wenn, dann – Fürsten aus dem Großfürstentum Vladimir-Suzdal eine Unifikation schaffen könnten. Und am ehesten jene aus Moskau oder aus Tver. Die Mongolen unterwarfen die russischen Fürsten und setzten diese in ihre Ämter ein. Sie wurden zu den Tributeintreibern des Khans – waren jedoch selbst, wie auch der orthodoxe Klerus, von Tributzahlungen weitgehend befreit. Sie trieben die Tribute sowohl zu ihrer eigenen Sicherheit als auch zur Befüllung ihrer Schatzkammern ein. Von dem eingetriebenen Geld wurde zum

413 Charles J. Halperin: George Vernadsky, Eurasianism, the Mongols, and Russia. In: Slavic Review 41 (1982), H. 3, S. 491. Im Folgenden zitiert als: Halperin, Vernadsky and Euranism. 414 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 349. 415 Henrik Birnbaum: Did the 1478 Annexation of Novgorod by Muscovy Fundamentally Change the Course of Russian History? In: New Perspectives of Muscovite History. Hrsg. von Lindsey Hughes. Macmillan: Basingstoke, London 1993, S. 42. Im Folgenden zitiert als: Birnbaum, Annexation of Novgorod. 416 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 241. 417 Vgl. Wolfgang Geier: Rußland und Europa. Skizzen zu einem schwierigen Verhältnis. Harrasowitz: Wiesbaden 1996. (= Studien zur Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund. 20.), S. 50. Im Folgenden zitiert als: Geier, Rußland und Europa.

92 einen der Hof instandgehalten und zum anderen die Basis für die Herrschaftsausübung gelegt. Mit den auferlegten Aufgaben begannen die Fürsten, in Konkurrenz zueinander brutaler und rigoroser vorzugehen.418 Dabei wird in diesem Punkt Moskau in der Historiographie durchaus ein entscheidender Vorteil zugesprochen. “By 1325, following the sacking of Kiev and the imposition of the Mongol Yoke, Moscow’s princes obtained the sole right to rule over the Russian territories and collect tribute for the Golden Horde.”419 Vernadsky sieht eine solche Schlussfolgerung als falsch. Er wertet die Darstellung, „that the khan himself contributed to the unification by making the grand duke of Moscow his chief tax collector [as] erroneous or at least exaggerated“420, da dieser Umstand in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf alle vier Großfürstentümer in Ostrussland zutraf und nicht nur auf Moskau. Die Khane waren stets bestrebt, die Großfürstentümer in Balance zu halten. Diese Meinung teilt auch Fennel: “Whereas during the first three decades of the fourteenth century the policy of the khan was directed towards keeping Suzdalia relatively weak.”421 Er weist aber darauf hin, dass genau dieser Umstand Moskau dabei verhalf, gegen das übermächtige Fürstentum Tver zu bestehen. “It must be repeated again that a prince was strong only if the khan wanted him to be strong and was only as strong as the khan allowed him to be.”422 Wenn die Balance der Fürstentümer ein strenger Grundsatz in der mongolischen Politik war – von dem Vernadsky ausgeht –, ist davon auszugehen, dass Moskau als schwächer erachtet wurde und entsprechend ‚unterstützt‘ werden musste. Als die großfürstlichen Vertreter die Funktionen der mongolischen Baskaken übernahmen, waren die von den Steuerabgaben betroffenen Regionen mit den Umständen und den Prozessen vertraut, weshalb die Eintreibung von Beginn weg funktionierte. Zudem war dieses Steuersystem an die Größe der Fürstentümer gekoppelt, weshalb es Vorteile für Moskau brachte.423 The princes were again allowed to perform their administrative functions, even if they had to follow the Mongol pattern of administration which they had no authority to change. […] As the number of t’my of the Grand Duchy of Vladimir was greater than that of any other grand duchy, the Moscow rulers profited most from the situation.424 Der Moskauer Großfürst Ivan I. Kalita wusste es, den profitablen Umstand zu nutzen. Er etablierte sich als rücksichtsloser Steuereintreiber, schaffte es, das Vertrauen des Khans für sich zu gewinnen, während er mit den unterschlagenen Tributzahlungen ganze Ländereien, Dörfer,

418 Vgl. Geier, Rußland und Europa, S. 54. 419 Terry D. Clark: Moscow. In: Encyklopedia of Russian History. Bd 3. Hrsg. von James R. Miller. Macmillan: New York 2004, S. 964. 420 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 350. 421 John Fennell: The Emergence of Moscow 1304-1359. University of California: Berkeley, Los Angeles 1968, S. 195. Im Folgenden zitiert als: Fennell, Emergence of Moscow. 422 Ebda., S. 110. 423 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 358. 424 Vgl. ebda., S. 358.

93 Städte und Herrschaften aufkaufte. Unter ihm wechselte der Metropolit die Residenz nach Moskau, wodurch das Bündnis Aristokrat zu Staatskirche seinen Lauf nahm.425 Ähnlich sieht es Crummey, der den Moskauer Großfürsten eine besondere Eigenschaft attestiert. “The most striking evidence of the Moscow princes’ political dexterity was their remarkable ability to manipulate the rulers of the Golden Horde.”426 Dass Ivan Kalita derart handeln konnte, war dennoch dem Khan ‘geschuldet’. “Ivan’s [Kalita] throne ultimately rested on the support of the khan of the Golden Horde.”427 Der Khan blieb Moskau in erster Linie aus Furcht vor Litauen treu. Die Goldene Horde hatte die Expansion und den Machanstieg dieses Litauer Großfürstentums erkannt. Tver orientierte sich immer stärker and Litauen, während sich Moskau der Horde loyal präsentierte.428 Fennel sieht in Ivan Kalita keinen entscheidenden Regenten: “[The reign of Dmitri Donskoi marks a] new era in the history of the principality of Moscow and the grand principality of Vladimir. In the first place Moscow consolidated her position as indisputable leader of the north-east Russian principalities.”429 Für Vernadsky markiert jedoch das Jahr 1392 den Wendepunkt im Kampf der Großfürsten um die Vorherrschaft in Ostrussland. Tokhtamysh brauchte gegen Tamerlan die Unterstützung von Moskau. Im Gegenzug für seine zugesagte Unterstützung durfte Vasili I. das Großfürstentum Nizhny Novgorod annektierten. Moskau und Tver strebten nach einem ostrussischen einheitlichen Staat, frei von mongolischer Herrschaft. Mit der Annexion hatte sich die Situation zugunsten des Moskauer Großfürstentums gewandelt, das nun von allen sozialen Schichten als potenzieller Erlöser gesehen wurde. Mit dem gemeinsamen Streben nach Unabhängigkeit schlossen sich in der Folge Fürsten, Bojaren und die Veche Moskau an.430 Ob dieses Ereignis im Jahr 1392 tatsächlich einen derartigen Effekt hatte, ist zu bezweifeln. In der Schlacht am Kulikovo Pole 1380 führte Dmitri Donskoi erstmals ein vereinigtes russisches Heer in die Schlacht gegen die mongolisch-tatarische Armee Mamais. Dieses Ereignis deutet nicht nur auf den allmählichen Zerfall der mongolischen Fremdherrschaft, sondern auch auf eine Moskauer Hoheit hin. Als entscheidenden Faktor führt Geier neben dem Großfürstentum Moskau auch die russische Kirche an, von der die „politische, geistliche und geistige Führung“ ausging – und die ihr Zentrum in Moskau hatte.431 Vernadsky erkennt in dem Sieg Dmitri Donskois „an important step toward the growth of national

425 Vgl. Geier, Rußland und Europa, S. 55. 426 Crummey, Formation of Muscovy, S. 36. 427 Ebda., S. 41. 428 Fennell, Emergence of Moscow, S. 110 und S. 195. 429 Ebda., S. 305. 430 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 350. 431 Vgl. Geier, Rußland und Europa, S. 55.

94 consciousness“432, weniger ein Indiz für die bereits entstandene Dysbalance. Die Rolle der Steuer wird außerdem eher von Vernadsky unterschätzt. Anhand der erhobenen Zahlen wurden Bezirke und Stadtteile einheitlich in t’my geschätzt, die eine gewisse Abgabe leisten mussten. Eine t’ma bedeutete eine Einwohnerzahl von etwa 200.000. Das Großfürstentum von Vladimir umfasste 15 t’my (und unter Tokhtamysh 17 t’my), das Großfürstentum Tver 5 t’my, Nizhni Novgorod ebenso 5 t’my und Riazan lediglich 2 t’my – eine Dysbalance, die der Moskauer Schatzkammer deutlich in die Karten spielte.433

6.3.2 Militärwesen

Die von den Mongolen eingeführte Wehrpflicht für die gesamte ländliche Bevölkerung und der Rückgang der Veche ins Bedeutungslose hatten zur Folge, dass der höfische Teil (dvor) der fürstlichen Gefolgschaft (druzhina) nun den stärksten Part des Militärs ausmachte und die Bürgerwehr unter der Führung des Chiliarchen (tysiatsky) abgeschafft wurde. In Zusammenhang mit dem Aufkommen des dvor und dem Verschwinden der tysiatsky entstand das Büro des okolnichi – das Äquivalent des mongolischen bukaul. In Moskau wird das Büro 1350-1351 erstmals erwähnt. Moskau war fähig, jederzeit auf Basis der Wehrpflicht ein starkes Heer aufzustellen.434 Die administrativen Veränderungen in den Fürstentümern sollten noch als Werkzeug gegen die eigenen mongolischen Peiniger dienen. „It was on the basis of the Mongol system that Dmitri Donskoi succeeded in mobilizing the army with which he defeated Mamay at Kulikovo Pole.“435 Die mongolische Administration blieb nach den Siegen gegen Mamai und dem Tod von Tokhtamysh unverändert, wurde sie vom Großfürsten als praktisch und effizient geachtet. „So it was on the basis of the Mongol patterns that the grand ducal system of taxation and army organization was developed in the late 14th to 16th centuries.“436 Russische Krieger wurden immer wieder in die mongolische Armee einberufen. Russische Fürsten nahmen Seite an Seite mit mongolischen Truppen an Expeditionen teil und führten diese z. T. auch an. Jene Kriegsteilnehmer, die lebend in ihr Fürstentum zurückkehrten, konnten ihre Erfahrung weitergeben.437 Darum kommt Vernadsky zu dem Schluss „Hence it was unavoidable that the Russians should introduce some Mongol patterns into their own army.“438 Die Moskauer Armee des 15. und 16. Jahrhunderts bestand, analog zur mongolischen Aufstellung, aus fünf Divisionen, den polki. Ähnlich wie bei den Mongolen, bestand die

432 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 351. 433 Vgl. ebda., S. 216-219. 434 Vgl. ebda., S. 363-365. 435 Ebda., S. 365. 436 Ebda., S. 358. 437 Vgl. ebda., S. 362. 438 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 363.

95 russische Taktik ab dem 14. Jahrhundert darin, den Feind zu umschließen.439 Nicht nur mongolische Taktiken, „the equipment of the Muscovite troops of the 16th century also shows definite Mongol influence.“440 Richard Chancellor beschreibt wie folgt das russische Heer, das er während seiner Russlandreise beobachtet hatte: „They fight not on foot but altogether on horseback. […] They use bows and arrows as the Turks do; they carry lances also into the field. They ride with a short stirrup after the manner of the Turks;”441 Poe sieht im Militär eine nachhaltige Entwicklung. „Muscovy’s greatest achievements in the age of Ivan III. were military. Ivan managed to build a large and formidable cavalry, probably modelled on Tatar forces. Its men were highly trained horsemen armed with excellent composite bows of eastern manufacture.”442 Diese Reitersoldaten wurden zum Militärdienst verpflichtet und bekamen im Gegenzug einen Grundbesitz (pomestie), den sie vermieteten und aus dem sie für eigenes Überleben wirtschaften mussten. Each cavalryman had to provide his own horses and weapons and was expected to bring along his own supply of food. That meant that he needed an estate - land with peasants to work it - in order to provide his supplies as well as to feed his family. The right to own a manor had its price, however. By the mid-sixteenth century, the rulers of Muscovy had made clear that they expected every able- bodied man who held an estate - whether on allodial (votchina) or conditional (pomeste) tenure - to serve them in some capacity, usually in the army. Moreover, if nobles owned more than a minimal amount of land, they were responsible for bringing with them a number of other warriors corresponding to the size of their estates.443 Hierbei muss erwähnt werden, dass sich nur die Mittel- und Oberschicht um ihre eigene Rüstung kümmern musste. “The government in general provided materiel for the members of the lower service class, whereas members of the upper and middle service classes had to provide for themselves.”444 Grundsätzlich waren es die dvoriantstvo, also Heeresoffiziere, freie und service-gebundene Diener des dritten Duma-Ranges, die diese pomestie-‚Militärlehen‘ erhielten und diese Ländereien kontrollierten.445 Wurde der Militärdienst, aus welchem Grund auch immer, verweigert, hatte es den Verlust des Lehens zur Folge. A pomeshchik held his estate for as long as he gave service in the army of the grand prince of Moscow; as soon as he ceased to serve and could not provide a son to serve in his stead, the land was liable to redistribution. A pomest’e was not supposed to pass outside the circle of state servitors.446

439 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 363. 440 Ebda., S. 363. 441 Rude and Barbarous Kingdom. Russia in the Accounts of Sixteenth-Century English Voyagers. Hrsg. von Lloyd E. Berry und Robert O. Crummey. University of Wisconsin: Madison, Milwaukee und London 1968, S. 28. Im Folgenden zitiert als: Berry, Rude and Barbarous. 442 Poe, Russian Moment, S. 43f. 443 Crummey, Formation of Muscovy, S. 11. 444 Richard Hellie: The Costs of Muscovite Military Defense and Expansion. In: The Military and Society in Russia. 1450-1917. Hrsg. von Eric Lohr und Marshall Poe. Brill: Leiden, Boston, Köln 2002. (= History of Warfare. 14.), S. 44. Im Folgenden zitiert als: Hellie, Costs of Muscovite Military. 445 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 370-372. 446 Skrynnikov, Ruslan G.: Reign of Terror. Ivan IV. Übers. von Paul Williams. Brill: Leiden, Boston 2016. (= Eurasian Studies Library. 6.), S. 1. Im Folgenden zitiert als: Skrynnikov, Reign of Ivan.

96 Diese Militärlehen wurden laut Vernadsky eine wesentliche Komponente für das Heer. „Through the institution of military fiefs (pomestia) the tsars [grand duchy] controlled the gentry’s landed estates and the army. The necessity to provide the pomestia with labor resulted in the establishment of serfdorm.”447 Diese state servitor waren eine Gruppe, die sich nach dem Untergang der Goldenen Horde herausgebildet hat und für Vernadsky einen Teil einer bedeutenden Entwicklung für die russische Geschichte darstellt, die unter dem englischen Terminus serfdom behandelt wird.

6.3.3 Serfdom

Der Khan war die höchste Regierungsgewalt Russlands. Erst mit dessen Patent waren russische Fürsten berechtigt, über ihre Gebiete zu regieren.448 Dies hatte weitreichende Folgen. the khan issued yarliks or grants to the lesser nobility or , small landowners whose estates were exempt from taxation in return for military service by themselves and their tenants, but the freedom of the cultivator was replaced by peasant serfdom, an institution later borrowed and almost universalized by the Russians of Muscovy.449 Das politische Leben fand vor dem Mongoleneinfall in Städten und um diese herum statt. Zu dieser Zeit galt die Russkaia Pravda. “Most of the peasants and townsmen were [during the era of Kievan Rus’] legally free.”450 Mit dem Einfall änderte sich die Situation schlagartig. Mit der Zerstörung vieler Städte und der Eingliederung der Handwerker in den Dienst des Khans war die Stadtbevölkerung in ständiger Angst vor den Mongolen und leistete ihnen auch Widerstand. Nicht zuletzt, um diese Aufstände zu zerschlagen, war es für den Khan von Bedeutung, mit den russischen Fürsten zu kooperieren, die sich vor den revolutionären Tendenzen der Veche fürchteten. Der synergetische Zusammenschluss des Khans mit den Fürsten führte zur erfolgreichen Niederschlagung der bürgerlichen Aufstände, zur Isolation der Veche und zum Aufstieg der Fürsten als zentrale Mächte der Städte und der Fürstentümer. Mit der untergehenden Golden Horde sollte sich die Situation sogar verschlechtern, indem die Veche völlig zerschlagen werden und das großflächige Land aufgeteilt werden sollte. 451 Novgorod mit seinen freien Bürgern und seinen demokratischen Strukturen wurde dabei erstes Opfer. the 1478 annexation of Novgorod by Muscovy - or rather, the decisive victory of Grand Prince Ivan III (supported, incidentally, by Tatar auxiliary troops) over the Novgorodians in 1471, which set the stage for the events of the following years - did indeed fundamentally change the course of Russian history.452

447 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 337. 448 Vgl. ebda., S. 344. 449 J. J. Saunders: The History of the Mongol Conquests. Barnes & Noble: New York 1971, S. 161. Im Folgenden zitiert als: Saunders, Mongol Conquests. 450 Dukes, Paul: A History of Russia. 882-1996. 3. Ausg. Palgrave MacMillan: Basingstoke 1998, S. 15. Im Folgenden zitiert als: Dukes, Russia 882-1996. 451 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 344f. 452 Birnbaum, Annexation of Novgorod, S. 48.

97 Die Vertreter Moskaus konfiszierten 1,2 Millionen Hektar agrarwirtschaftliches Land und teilten dieses auf 2000 ausgewählte Männer als Lehen auf. 453 “the military ‘middle service class’ was created and based on the lands confiscated from Novgorod after its conquest in 1478.”454 Viele Novgoroder Bojaren wurden unter Ivan III. 1489 deportiert. Ivan IV. eliminierte mit seinem brutalen Eingreifen in Novgorod die letzten Spuren der Vergangenheit: “All these developments prevented any possibility of a more West-oriented and, potentially, more democratic course of Russia's history.”455 Ein ähnliches Schicksal ereilte Pskov drei Jahrzehnte später. “The Pskov veche (assembly) was abolished, three hundred families of townspeople were evicted from the city, and their homes were occupied by servicemen and merchants from Muscovy.”456 Mit der erfolgreichen Unterdrückung Pskovs und auch Viatkas war die Veche endgültig verschwunden. “After the absorption of Novgorod, Pskov, and Viatka, the veche disappeared from Russian politics. Competing princes were reduced to serving boyars. And the so-called boyar duma […] ultimately supported rather than circumscribed the authority of the ruler.”457 Als Ivan III. die Loslösung Russlands von mongolischer Herrschaft verkündete und Novgorod eroberte, war das System der service-bound society – wie es Vernadsky nennt – ausgereift. Die Bindung und Abhängigkeit zum Großfürsten erfolgte in der Oberschicht rascher als die Reglementierung und die Hörigkeit in den unteren Klassen. Um 1450 wurde die Stellung der Bojaren von einer neuen heterogeneren adligen Gruppe der servitor princes (sluzhilye kniazia) ‚bedroht‘.458 Diese Fürsten, die in den großfürstlichen Dienst traten, hatten die gleichen politischen und militärischen Funktionen wie die Bojaren.459 Eine der wichtigsten Hauptquellen der inneren Stärke der Moskauer Großfürsten war die Integration rivalisierender Fürsten als service princes und die anschließende Gleichstellung dieser service princes mit den Bojaren.460 Um 1500 wurden die Positionen der servitor princes und Bojaren auf der sozialen Leiter vom mestnichestvo bestimmt. Diese basierte auf dem genealogischen Verzeichnis, über das der Großfürst verfügte, und eine Liste von Staatsbeamten und Militäroffiziellen. Aus diesen

453 Vgl. Crummey, Formation of Muscovy, S. 90. 454 Richard Hellie: Slavery and Serfdom in Russia. In: A Companion to Russian History. Hrsg. von Abbott Gleason. Blackwell: Chichester 2009. (= Blackwell Companions to History.), S. 108. Im Folgenden zitiert als: Hellie, Slavery and Serfdom. 455 Birnbaum, Annexation of Novgorod, S. 48. 456 Mikhail M. Krom: Basil III. In: Encyklopedia of Russian History. Bd 1. Hrsg. von James R. Miller. Macmillan: New York 2004, S. 128. 457 Nicholas V. Riasanovsky, Mark D. Steinberg: A History of Russia. 8. Aufl. Oxford University: New York, Oxford 2011, S. 113. Im Folgenden zitiert als: Riasanovsky, History of Russia. 458 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 367f. 459 Vgl. ebda., S. 369. 460 Riasanovsky, History of Russia, S. 105.

98 Listen wurden die Mitglieder ersten Ranges der Duma bestimmt – die ‚Bojaren‘ – und die Mitglieder zweiten Ranges – die ‚Okolnichi‘461 Zeitgleich etablierten sich auch tatarische Adelige als ranghöchste Diener des Moskauer Zaren. Die unzufriedenen ostrussischen Bojaren standen vor der Wahl, zu dienen oder zu emigrieren. Um 1550 war der Entstehungsprozess der servitor princes abgeschlossen.462 “by the middle of the sixteenth century […] it had become impossible to remain a landlord, hereditary or otherwise, without owing service to the tsar.”463 1497 ersetzte das Gesetzbuch sudebnik das Russische Recht russkaja pravda. „Ein entscheidender Inhalt waren die Maßnahmen zur zwanghaften Seßhaftmachung und damit zur vollständigen Beherrschung der bis dahin zum Teil noch freien russischen Bauern und die damit verbundene Einführung der Zweiten Leibeigenschaft“.464 Verschuldete, die ihre Leistungen und Steuern nicht erbringen konnten, wurden nun Leibeigene ihrer Grundherren. Der Prozess der Leibeigenschaft verlief in den Städten wie auch am Land gleich. „The process of regimentation and enserfement of East Russian peasants was similar to that of the East Russian townspeople. The Mongol system of taxation and conscription was its starting point.“465 Während der Militärdienst zur Hauptpflicht der Aristokraten und der Oberklasse gehörte, waren die Stadtbewohner und Bauern verpflichtet, Steuern zu zahlen und dem Staat, wenn notwendig, Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Die Gruppe der Stadtbewohner und der Bauern bezeichnet Vernadsky als tiaglo-bound social class.466 Privilegien erhielten innerhalb der Städte die Kaufleute. Eine Vielzahl von ihnen war von Steuern und auch vom labor service befreit. Im Gegenzug für ihre Sonderrechte mussten sie in der Finanzverwaltung und bei der Einhebung indirekter Steuern den fürstlichen Vertretern helfen. Den Handwerkern und Künstlern dagegen wurden sukzessive die Freiheiten geraubt. In der Gesetzessammlung Ulozhenie von 1649 wurden die einzelnen Sparten zu Kommunen zusammengefasst und waren örtlich gebunden. Ein Verlassen der Kommune hatte die Deportation nach Sibirien zur Folge.467 Die Bauern, die Steuern abführen mussten, hatten zumindest die Sicherheit, dass ihnen niemand auf legalem Weg das Land wegnehmen konnte – solange sie ihren Pflichten nachkamen. Die Bewegungsfreiheiten der Bauern wurden schließlich mit der pomestie beendet und die Bauern an die pomestie-Länder gebunden.468 Am Ende des 16. Jahrhunderts hatte sich serfdom zu einem sklavenähnlichen Verhältnis entwickelt, “with the difference that the serf had to pay

461 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 369. 462 Vgl. ebda., S. 367f. 463 Riasanovsky, History of Russia, S. 143. 464 Geier, Rußland und Europa, S. 58. 465 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 374. 466 Vgl. ebda., S. 372. 467 Vgl. ebda., S. 373. 468 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 376.

99 crushing taxes while the slave did not”469. Die bereits erwähnte Gesetzessammlung von 1649 unterjochte endgültig die Bauern und Stadtbewohner. In the Law Code of 1649, the Muscovite government completed the creation of a caste society. The statute reiterated that peasants could not leave their registered place of residence and stipulated that those who fled in defiance of the law could be reclaimed by their lords without any time limit. The code also tied the taxpaying townsmen to their places of residence in perpetuity. […] Thus, in 1649, at the end of a long process, serfdom came to Russia. Thereafter, the majority of peasants were tied to the lord’s manor and thus, by extension, to his person. Over the course of time, the peasants’ status, legally and practically, declined until they became chattels to be bought, sold and exploited at their lord’s whim.470 Dukes sieht den Beginn der Reglementierung der sozialen Klassen in der Mongolenperiode. “the service obligations of the upper class and the enserfment of the lower stemmed partly from the centuries of the 'Tatar yoke'.”471 Vernadsky sieht ebenso den Zeitpunkt dieser Entwicklung in der Fremdherrschaft und wertet die Hintergründe mit dem nationalen Überleben. The creation of the new army based on the pomestie system raised the problem of supplying agricultural labor to the pomestia, and this, as have seen, led to serfdom. As a result of all this, the regimentation of the social classes which started during the Mongol period and was originally based on the Mongol principles of administration, was carried further and completed by the Muscovite government. Autocracy and serfdom were the price Russian people had to pay for national survival.472 Die Bewertung, dass Autokratie und Leibeigenschaft der Preis für das nationale Überleben sein sollen, wirkt mehr wie eine Ausrede, als eine alternativlose Entwicklung. Halperin sieht das ähnlich “He [Vernadsky] had presented Muscovite borrowing of Mongol institutions as a favorable development.”473 Er kritisiert zudem „[that] “Vernadsky did not present an internal history of Russia during the Mongol period which would demonstrate exactly how the Mongols caused the emergence of serfdom and autocracy.”474 Autocracy und serfdom waren ebenso ein Ergebnis einer anti-westeuropäischen Haltung. Als 1478 Novgorod unterworfen wurde, waren die Tataren in viele kleine Khanate zersplittert und die Bedrohung nicht mehr präsent. “Novgorod was unquestionably the city (and the territory) of Old Rus' most exposed and accessible to Western, notably German, influences.”475 Es wäre dem Moskauer Großfürsten freigestanden, westliche Elemente in seine Herrschaft und seinen Herrschaftsstil zu integrieren. Stattdessen wurde Novgorod aus eigenem Interesse unterjocht und es dominierte die Angst vor dem Westen. Mit dem Untergang der Goldene Horde und der sukzessiven Ostexpansion richtete sich nun der Hass gegen das Feindbild ‚Europa‘. Russland entschied sich ab Ivan III. bewusst für eine Abschottung Russlands und des Zarentums vor Europa.476 Liest man sich Reiseberichte

469 Hellie, Slavery and Serfdom, S. 109. 470 Crummey, Formation of Muscovy, S. 239. 471 Dukes, Russia 882-1996, S. 27. 472 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 390. 473 Halperin, Vernadsky and Euranism, S. 492. 474 Ebda., S. 491. 475 Birnbaum, Annexation of Novgorod, S. 47. 476 Vgl. Geier, Rußland und Europa, S. 58f.

100 von Europäern durch, klingt Vernadskys Resümee (vom nationalen Überleben) wenig glaubhaft. “[George Tuberville] viewed it [the Muscovite system of government in 1568/69] as a tyrannical state in which the ruler had arbitrary power over every detail of his subjects' lives. Neither law nor custom inhibited the prince into whose hands was gathered all the revenue of the country.”477 Skrynniakov sieht im Verhalten Ivans IV. Ähnlichkeiten mit dem Tatarenjoch. “In its demoralizing effect on Russian society, the terror [of Ivan IV.] can only be compared, perhaps, with the Mongol yoke.”478 Autocracy und serfdom sowie slavery waren das Ergebnis aus der Übernahme mongolischer Verwaltung und Praktiken. Diese Adaption der eigenen Verwaltung und Herrschaft war aber nicht alternativlos, sondern eine bewusste Entscheidung. “He had presented Muscovite borrowing of Mongol institutions as a favorable development.”479

6.3.4 Ende der Fremdherrschaft, Ostexpansion sowie Selbst- und Fremdbilder

Das Ende der Fremdherrschaft bzw. des Tatarenjochs und die Unabhängigkeit Russlands wird in der Historiographie unterschiedlich datiert. Es werden aber zumeist die gleichen Ereignisse genannt, zu denen die Schlacht am Kulikovo Pole 1380480 gehört, das Stehen an der Ugra 1480481 oder das Ende der Goldenen Horde an sich mit dem Tod des letzten Khans Saih Ahmed482. Vernadsky wählt hierfür ein unübliches Ereignis. The creation of a vassal Juchid khanate [Kasimov Khanate] under the authority of the grand duke of Moscow signalized the end of the era of Mongol domination over Russia and the beginning of a new epoch – that of Russia’s claim for leadership in the Eurasian world. The Mongol yoke was broken.483 Die Wahl dieses Ereignisses als Ende des Tatarenjochs lässt sich vermutlich an der Umkehr des Verhältnisses Fürst zu Khanat erklären. Waren die russischen Fürsten über Jahrhunderte dem Kiptschak Khanat untergeben gewesen, war mit dem Kasimov Khanat erstmals ein mongolisches Khanat dem russischen Fürsten dienlich. Halperin hat einen ganz anderen Erklärungsansatz. The ‘disorganized’ steppe nomads were not subject to a central authority which could control them; therefore, ‘organized’ Kievan Rus' could not hold the line against its nomadic neighbors. The Mongols organized the disorganized steppe, which in the long run facilitated Russian expansion eastward.484 Nach diesem Ansatz markiert das Kasimov Khanat nicht nur eine Herrschafts-‚Umkehr‘, sondern es verdeutlicht, dass sich das Verhältnis zu den Steppennomaden gänzlich verändert

477 Rude and Barbarous Kingdom. Russia in the Accounts of Sixteenth-Century English Voyagers. Hrsg. von Lloyd E. Berry und Robert O. Crummey. University of Wisconsin: Madison, Milwaukee und London 1968, S. 73. Im Folgenden zitiert als: Berry, Rude and Barbarous. 478 Skrynnikov, Reign of Ivan, S. 531. 479 Halperin, Vernadsky and Euranism, S. 492. 480 Vgl. Soloviev, Tatar Yoke, S. 190. 481 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 164. 482 Vgl. Spuler, Bürgerkriege, S. 364f. 483 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 332. 484 Halperin, Vernadsky and Euranism, S. 479.

101 hat und die Weichen für eine Ostexpansion Russlands gestellt waren. „ The Mongols were responsible for the ability of the East Slavs to resume their expansion eastward.”485 Ivan IV eroberte 1552 Kasan, 1556 Astrachan und schob die Grenze im Osten nach Sibirien und Transkaukasien.486 Die Vormachtstellung Russlands zwischen Westeuropa und Asien und die Expansion bis tief in den Osten entspricht der Ideologie des Eurasianismus. „Russia-Eurasia was neither European nor Asiatic and should be involved with neither Europe nor Asia. Its geopolitical destiny was to unite all of Eurasia under its authority, to recreate the empire of .”487 Wird dieses Bestreben, die russischen Gebiete wieder zusammenzuführen, von den Anhängern des Eurasianismus positiv bewertet, kann dieses ebenso negativ interpretiert werden. Mit der Beseitigung der mongolischen Herrschaft verschwand das Feindbild der barbarischen Steppennomaden. An ihre Stelle trat der heidnisch, ketzerische Westen.488 Mit der Eliminierung der Veche in Novgorod wurden jegliche demokratische Strukturen zerstört, wodurch die wenigen intakten Verbindungen ebenso darunter litten. Die seltenen diplomatischen Treffen zwischen Westen und Osten verliefen ebenso wenig optimal. Die Moskauer Monarchie übernahm die Etikette in diplomatischen Verhandlungen von den Mongolen. Diese unterschieden sich von den westlichen Gepflogenheiten deutlich. So sollte der Gastgeber seinen Gästen die Reise finanzieren und ihnen mit Leibgarden Sicherheit bieten. Im Gegenzug sollte der Gast mit Geschenken aufwarten und sich seiner Waffen während der Audienz entledigen. Dies wurde vom Westen anders gepflegt und führte nicht selten zu einem Fremdheitsgefühl.489 Die z. T. gegensätzlichen und asynchronen Entwicklungen sollten sich speziell im Übergang zur Neuzeit bemerkbar machen und die Beziehungen zwischen Ost- und Westeuropa bis in die Gegenwart hinein prägen.490 Herberstein stieß schon früh mit seiner negativen Einstellung zur Moskauer Autokratie als tyrannische Willkürherrschaft auf viel Resonanz in Westeuropa.491 Die Gegner der Russen sahen diese in Zeiten internationaler Spannung durchwegs als Barbaren und

485 Halperin, Vernadsky and Euranism, S. 479. 486 Vgl. Geier, Rußland und Europa, S. 63. 487 Halperin, Vernadsky and Euranism, S. 481. 488 Vgl. Geier, Rußland und Europa, S. 58f. 489 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 387. 490 Vgl. Geier, Rußland und Europa, S. 70f. 491 Vgl. Andreas Kappeler: Die deutschen Flugschriften über die Moskowiter und Iwan den Schrecklichen im Rahmen der Rußlandliteratur des 16. Jahrhunderts. In: Russen und Rußland aus deutscher Sicht 9.-17. Jahrhundert. 2. unv. Aufl. Hrsg. von Mechthild Keller. Wilhelm Fink: München 1988. (= West-Östliche Spiegelungen. A, 1.), S. 177. Im Folgenden zitiert als: Kappeler, Deutsche Flugschriften über die Moskowiter.

102 andersartige primitivere Kultur. Während des Livländischen Krieges wurde ihnen die Zugehörigkeit zu Europa und zur Christenheit entsagt.492 Trotz der wachsenden Kontakte werden Rußland und die Russen im 16. Jahrhundert meist nicht als Teile der eigenen europäischen Welt anerkannt. Die Moskowiter werden stattdessen mit dem biblischen Volk der Mesech in Verbindung gebracht oder gelten als Skythen und Tataren; jedenfalls stehen sie außerhalb des ‚christlichen Abendlandes‘, als dessen Bollwerke im Nordosten Polen- Litauen und Livland angesehen werden.493 Die Religion und damit die Kirche hatte eine „identitätsstiftende Funktion“ in der Frühen Neuzeit, das das Selbst- und Fremdbild entsprechend prägte. „So wurden die Russen (als Moskowiter das ganze 16. Jahrhundert hindurch mit den Türken verglichen und in weiten Teilen gleichgesetzt.“494 Das Stereotyp des Türken als ‚Bluthunde‘, ‚grausamer Tyrannen‘ und ‚Verderber der Christenheit‘ wurde in den deutschen Flugschriften bewusst auf den ‚Moskowiter‘495 übertragen, um die breite Öffentlichkeit dahingehend in Stimmung zu versetzen.496 Es werden weniger die Zustände geschildert, sondern der russische Charakter mit diversen pejorativen Attributen wie ‚treulos‘ und ‚vertragsbrüchig‘ beschrieben.497 Ein ähnlich negatives Bild zeichnete Adam Olearius im 17. Jahrhundert, der den Russen in seinen Reisebeschreibungen nicht nur Verwerflichkeit und Unsittlichkeit vorwirft, sondern einen ganzen Katalog mit abwertendem Charakter und negativen Beispielen füllt.498 In Berckenmeyers curieusem antiquarius 1731 werden die Moskowiter äußerst negativ als rülpsend, zankend, stehlend und mordend charakterisiert.499 Die meinungslenkenden Stereotype sollten im 20. Jahrhunderte im Besonderen bei den Rechten und Rechtsextremen Anklang finden und die Unterschiede und Überlegenheit des Westens zu ‚beweisen‘. Eduard Wlt stellt in der Zeitschrift ‚Aula‘ die Behauptung auf, dass die Tatarisierung der russischen Gesinnung in den Bolschewismus endete. Mit der Tatarenherrschaft wurde ‚Nomadenblut‘ aufgenommen, die zu Gewalt und Willkür führte. Die ‚Natur‘ von Nomaden braucht – im Gegensatz zu den ‚demokratischen und gleichberechtigten Kulturvölkern‘ – ‚einen Häuptling

492 Vgl. Antonina Zykova: Zaren, Bären und Barbaren. Das mediale deutsche Russlandbild am Anfang des 21. Jahrhunderts und seine historischen Wurzeln. Schäfer: Herne 2014. (= Studien zur Geschichte Ost- und Mitteleuropas. 11.), S. 71. Im Folgenden zitiert als: Zykova, Bären und Barbaren. 493 Kappeler, Deutsche Flugschriften über die Moskowiter, S. 178. 494 Zykova, Bären und Barbaren, S. 73. 495 Als die Völkertafeln erstellt wurden, wurde der Begriff von den den Erstellern wertneutral gebraucht. Im 16. und 17. Jahrhundert nannte sich die russische Staat selbst noch ‚Moskovskoe gosudarstvo‘. Vgl. Eismann, wilde Moskowit, S. 286f. Der Begriff ‚Moskowiter‘ war ab dem 18. Jahrhundert ein stark negativ konnotiertes Synonym des Westeuropäers für den Russen. Vgl. Zykova, Bären und Barbaren, S. 87. 496 Kappeler, Deutsche Flugschriften über die Moskowiter, S. 172f. 497 Ebda., S. 176. 498 Uwe Liszkowski: Adam Olearius' Beschreibung des Moskauer Reiches. In: Russen und Rußland aus deutscher Sicht 9.-17. Jahrhundert. 2. unv. Aufl. Hrsg. von Mechthild Keller. Wilhelm Fink: München 1988. (= West-Östliche Spiegelungen. A, 1.), S. 239f. 499 Vgl. Wolfgang Eismann: Der barbarische wilde Moskowit. Kontinuität und Wandel eines Stereotyps. In: Europäischer Völkerspiegel 1999. Hrsg. von Franz K. Stanzel. Winter: Heidelberg S. 294f.

103 mit unumschränkter Gewalt‘ und einen Grundbesitz, der als ‚Gemeingut‘ gesehen wird. Er negiert im Grunde alles Russische und deklariert diese als Steppennomadisch. Der größte Vertreter des Bolschewismus, Lenin, ist selbst tatarischer Abstammung und besitzt ein steppennomadisches Weltbild.500 Anhand dieser krassen Beispiele soll verdeutlicht werden, dass Russland nicht alleine für die Abkehr vom Westen verantwortlich war. Der Westen sah sich in seiner Entwicklung als Norm. Alles, was dieser widersprach, wurde als fremd und andersartig wahrgenommen und in weiterer Folge als rückständig gesehen. Der ausgeprägte westliche Ethnozentrismus trug daher ebenso zur Trennung Russlands bei.501

6.3.5 Fazit

Die Handlungen der mongolisch-tatarischen Herrscher begünstigten die Herausbildung Moskaus als Großfürstentum über alle Rus‘ und später als Zarentum. Die Unterdrückung und Angst vor der Horde führte zu einem sukzessiven Unifikationsbestreben aller sozialen Klassen. Die Zerstörung der Veche, Entmachtung der Bojaren und die Modifizierung des Militär- und Steuersystems auf Basis der mongolischen Verwaltung legten die Grundsteine für einen zentralisierten Staat, dessen Volk seiner Freiheiten beraubt wurde.. Die Autokratie und das Lehenswesen gediehen am Weg der russischen Befreiung aus der Fremdherrschaft. Für die religiös-traditionellen Russen brachte der Mongoleneinfluss Privilegien und Reichtum für die Kirche. Ihre Anhängerzahl stieg kontinuierlich. „Only in the Mongol period did the rural population of East Russia become more thoroughly Christianized.”502 Mit der Loslösung aus den steppennomadischen Fesseln und dem orthodoxen-katholischen Gegensatz schottete sich das Zarentum vom Westen ab und expandierte in den Osten. Für Vernadsky ist der starke Einfluss der Mongolen unbestreitbar. „It is logically possible to deny any positive influence of Mongol institutions on Russian ones and yet to recognize the importance of the Mongol impact on Russian development, even if it were merely negative.”503 Hier ist das Gros der Eurasier einer Meinung. „It was the Mongols who paved the way for the Muscovite state to rise as the successor of the Golden Horde, and the subsequent formation of Russia, which many Eurasianists have written about in their works.“504 Bei all der beachtlichen Bibliografie und des großen Zeitraums mit dem sich Vernadsky mit dem Einfluss

500 Vgl. Eduard Wlt: Das Nomadentum als Kriterium des Bolschewismus. Von den Polowzen über Dschingis- Khan zu Lenin. Die Aula 20 (1970), H. 9, S. 13-16. 501 Zykova, Bären und Barbaren, S. 80. 502 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 378. 503 Ebda., S. 334. 504 Kradin, Mongol Role in World History, S. 66.

104 der Mongolen beschäftigt hat, ist sein Ergebnis jedoch stets in seinem ideologischen Hintergrund zu betrachten. Günther Stöckl vertritt hierbei eine radikale Meinung: „Die Eurasier sind mit ihrer positiven Einschätzung des ‚Tatarenjochs‘ eine historiosophische Sekte geblieben.“505 Die Kritik ist zwar überzogen, demonstriert aber anschaulich, dass die Russlandsicht der Eurasisten durchaus kritisch gesehen wird. Die Moskauer Großfürsten hatten Erfolg damit, Souverän ihres Reiches zu werden, und sollten sich als Sieger im Prozess der Gründung eines nationalen Staates sehen. Der Prozess der Vereinigung der ostrussischen Fürstentümer zu einem russischen Zarentum unter Moskauer Herrschaft begann während der Mongolenherrschaft und wurde während der Regierungszeit Vasilis III. im frühen 16. Jahrhunderts abgeschlossen.506 Die viel-thematisierte Unterwerfung der sozialen Schichten im Dienst des zentralisierten Staates wurde schließlich in der Gesetzessammlung Ulozhenie von 1649 endgültig kodifiziert.507

505 Günther Stökl: Russische Geschichte von der Entstehung des Kiever Reiches bis zum Ende der Wirren (862- 1613) Ein Literaturbericht: 3. Vom Mongoleneinfall bis zum Ende der Wirren. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 6 (1958), H. 4, S. 479. Im Folgenden zitiert als: Stöckl, Russische Geschichte. 506 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 349. 507 Vgl. ebda., S. 373.

105 7 Charles J. Halperin

Charles J. Halperin wurde am 21. Juli 1946 in Brooklyn, New York City, geboren und besuchte von 1963 bis 1967 das Brooklyn College. Er setzte sein Studium an der Columbia University fort, wo er den Doktortitel in Russian History erlangte. Im Zuge seines Studiums verbrachte er die Zeit von 1971 bis 1972 in der Sowjetunion. Von 1972 bis 1980 unterrichtete Halperin an der Indiana University in Bloomington russische Geschichte. 1981 reiste er für eine kurze Zeit erneut in die Sowjetunion, bekam aber nach seiner Rückkehr keine Lehrstelle an einer Universität. Er finanzierte seinen Lebensunterhalt knapp 15 Jahre lang als Informatiklehrer, Computerprogrammierer und Systemanalyst. 1996 erhielt er in Bloomington eine Stelle als Gastdozent, eine Stelle – so beschreibt es Halperin – ohne übertragene Verantwortung, dafür mit Zugang zur Bücherei und zu Computern. Halperin definiert sich selbst als Privatgelehrter.508 Neben zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln von der Kiever Rus‘ bis zu Ivan VI., veröffentlichte er zwei Monographien. Das 1985 erschienene Werk Russia and the Golden Horde behandelt primär die russo-tatarischen Beziehungen unter Berücksichtigung der mittelalterlichen russischen Quellen. 2009 wurde sein Werk The Tatar Yoke publiziert, in dem er den Fokus auf die kritische Auseinandersetzung den mittelalterlichen Quellen und den Vergleich unterschiedlicher Redaktionen setzte.509

7.1 Die Goldene Horde und ihr Einfluss auf die Rus‘

7.1.1 Einfall der Mongolen

Der erste russisch-mongolische Kontakt erfolgte 1223 in der Schlacht am Fluss Kalka.510 Die desaströse Niederlage der Fürsten der Kiever Rus gegen die bis dato unbekannten Mongolen war das Vorspiel eines schlimmeren Schauspiels das Ende der 1230er folgen und zur Invasion führen sollte. Die Mongolen waren nach dieser ersten Schlacht so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Als die Mongolen unter ihrem Anführer Batu im Winter von 1237 auf 1238 zurückkehrten und bis 1240 in blitzartigen Feldzügen Russland angriffen, waren diese völlig unvorbereitet und den Mongolen hilflos ausgeliefert. Sie zerstörten die nördliche und südliche Rus, fegten über Galizien-Volhynien Richtung Südwesten nach Osteuropa und den

508 Vgl. Victor Spinei: Introduction. Übers. von Adrian Poruciuc. In: Russian and Mongols. Hrsg. von Victor Spinei and George Bilavschi. Editura Academia Române: Bukarest 2007, 8-9. 509 Vgl. Academia. Charles J. Halperin. URL: https://independent.academia.edu/HalperinCharles [gesehen am 10.4.2021]. 510 Vgl. Charles J. Halperin: The Tatar Yoke. The Image of the Mongols in Medieval Russia. Korr. Ausg. Slavica: Bloomington, Indiana 2009, S. 23. Im Folgenden zitiert als: Halperin, Tatar Yoke.

106 Balkan hinweg. Erst der Tod des Großkhans Ögedei beendete den Feldzug. Die mongolischen Anführer kehrten in ihr Reich zurück, um dort der Kurultai beizuwohnen – die Versammlungen, die den neuen Großkhan wählt.511 Der Einfall war der Beginn der mongolischen Herrschaft auf osteuropäischem Boden. Anders, als in den russischen Chroniken über 240 Jahre hinweg dargestellt wird, handelte es sich bei dieser Herrschaft um mehr als nur um vziati und pleniti, also um Nehmen und Plündern. Schon bald wurden russische Fürsten beim Khan vorstellig, um die Erlaubnis zu bekommen, weiter über ihr Gebiet zu regieren. Stationierte mongolische Beamte führten Volkszählungen durch und erhoben hohe Abgaben.512 Die russische Kirche war dagegen steuerbefreit und stand unter dem Schutz des Khans. Ihre geistlichen Vertreter mussten im Gegenzug lediglich für die Gesundheit des Khans und seiner Gefolgschaft beten.513 Weltliche Fürsten, die sich gegen die mongolische Herrschaft stemmten, fanden den sicheren Tod und wurden in der zeitgenössischen Literatur automatisch als Märtyrer tituliert. Mikhail [of Chernigov] died because he was a prince of Russia. As Cherniavsky has elucidated, this made his sainthood automatic, since to die pro patria, for the Holy Land of Christian Rus’, was by definition to die pro fide.514 Jene Fürsten, wie Alexander Nevski, die bereit waren, mit den Mongolen zu kollaborieren, konnten von der Horde profitieren und zu bedeutenden Persönlichkeiten aufsteigen. 1259 erhoben die Tataren unter Mithilfe Alexander Nevskis Steuern in Novgorod, wo die Volkszählung zwei Jahre zuvor durchgeführt wurde.515 Seine Unterwürfigkeit verursachte nicht nur, sondern bewahrte Russland auch vor Schäden. 1262 starb Nevski, als er von Sarai zurückkehrte, wo er stellvertretend für die nordöstlichen Städte der Rus‘, erfolgreich um Vergebung für den Umgang der Veche mit den muslimischen Steuereintreibern bat.516 Das Verhältnis der einzelnen Fürstentümer zur Horde veränderte sich in den folgenden Jahrzehnten ständig.517 Ende des 13. Jahrhunderts war die Horde in einer Krise, als sich die zwei größten tatarischen Rivalen, Telebuga und Nogai, in einer gespaltenen Goldenen Horde bekriegten. Die Fürsten von Vladimir-Suzdal schlugen sich auf die Gegenseite ihrer eigenen Rivalen. Großfürst Andrei Jaroslavovich, Fürst Fedor von Jaroslavl und Fürst Konstantin von Rostov unterstützen Telebuga, während Fürst Daniel von Moskau, Michail von Tver und Dmitri Aleksandrovich

511 Vgl. Charles J. Halperin: Russia and the Golden Horde. The Mongol Impact on Medieval Russian History. Indiana University: Bloomington, Indianapolis 1985, S. 46. Im Folgenden zitiert als: Halperin, Russia and the Golden Horde. 512 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 35f. 513 Vgl. ebda., S. 80. 514 Halperin, Tatar Yoke, S. 52. 515 Vgl. ebda., S. 75. 516 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 49f. 517 Vgl. ebda., S. 45.

107 von Pereislavl auf Nogais Seite standen.518 Moskau und Tver‘ sollten hier erst- und letztmalig auf der gleichen Seite stehen.519 Die weiterhin sichtbaren Spuren des Mongolensturms und nicht zuletzt der inner- mongolische Konflikt veranschaulichten die mangelnde Widerstandsfähigkeit der südlichen Rus‘ gegen invasive Eindringlinge und bewegten den Metropoliten dazu, seine Residenz 1299 von Kiev nach Vladimir zu verlegen. Der Großfürstenthron in Vladimir-Suzdal, zu dem nominell auch Novgorod gehörte, wurde zu einem noch begehrteren Thron.520 Die Städte in Vladimir-Suzdal, die unter dem starken Einfluss der Mongolen standen, profitierten ohnehin vom mongolischen Handelsnetzwerk. Dabei war die Profiteurin überwiegend die Oberschicht. In Kombination mit der Residenz des Metropoliten wurden die hegemonialen Bestrebungen um das Großfürstentum verstärkt.521 Als die Goldene Horde sich wieder vereinte, wurde das Baskaken-System im Nordosten der Rus‘ liquidiert. Nun waren tatarische Gesandte, die Posoly, für den Einfluss der Goldenen Horde in russischen Angelegenheiten verantwortlich, und die Macht der Fürsten stieg.522

7.1.2 Aufstieg Moskaus und Sieg gegen die Horde

Anfang des 14. Jahrhundert traten die Herrscher Moskaus und Tvers hervor, die um den Großfürstenthron in Vladimir-Suzdal feindselig rangen. Die Horde war darauf bedacht ein zu starkes Fürstentum zu vermeiden, und bevorzugte einen schwachen Fürst auf diesem Thron, sodass die Fürstentümer im Gleichgewicht bleiben sollten.523 Die Fürsten mussten nach Sarai reisen und den Khan mit reichlich Tribut um das Großfürstentum bitten.524 Der Großfürstenthron und der Titel Großfürst von Vladimir und der ganzen Rus‘ standen in Abhängigkeit zum Patent, das Jarlig, das sie vom tatarischen Khan erhielten.525 Im ersten Quartal des 14. Jahrhunderts war der Fürst von Tver die stärkste Macht in Vladimir-Suzdal und infolgedessen der Fürst von Moskau als Großfürst vorgesehen.526 Eine kurze Herrschaftsperiode von Tver nahm mit dem Martyrium Michails 1317- 1318 und schließlich mit dem Aufstand der Veche in Tver 1327 ein jähes Ende. Ein Tatarenheer, geführt von Fedochiuk und assistiert von Ivan Kalita von Moskau wurde nach Tver gesandt und der Aufstand niedergeschlagen. Ivan Kalita stieg wenige Jahre später zum

518 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 85. 519 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 53. 520 Vgl. ebda., S. 49 und S. 51. 521 Vgl. ebda., S. 85. 522 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 88. 523 Vgl. ebda., S. 14. 524 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 53. 525 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 88. 526 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 53.

108 Großfürsten auf. 527 Unter Kalita begann Moskaus Aufstieg. “Kalita’s was a wise policy which spared Moscow from Tatar raids during his reign.”528 Als Alliierter des Khans konnte der Großfürst seine Stellung in der nordöstlichen Rus‘ und den Thron festigen. Moskau stand unter dem Schutz der Goldenen Horde, während die Rivalen Überfälle zu befürchten hatten. Die Situation der Moskauer Bewohner war sicherer als in den anderen Fürstentümern. Die Moskauer Fürsten, die mit Vladimir-Suzdal über ein ohnehin bevölkerungsreiches Großfürstentum regierten, kamen zusätzlich in den Genuss einer hohen Immigration, die mit wachsendem Reichtum einher ging.529 Der Bürgerkrieg innerhalb der Horde Mitte des 14. Jahrhunderts zerstörte die Allianz mit Moskau. Aus den entstandenen Wirren erlangte Dmitri Donskoi, Fürst von Moskau, das Jarlig für den Thron von Vladimir.530 Der Bürgerkrieg kostete die Horde an Prestige und schwächte diese dermaßen, dass die Ereignisse am Kulikovo Pole erst stattfinden konnten.531 Als die Tataren erkannten, dass Moskaus Macht zu einem Ungleichgewicht geführt hatte, stellte sich die Horde auf die Seite Tvers, „but it was too late.“532 Aus der Horde schaffte es Emir Mamai, sich durchzusetzen und einen Scheinkhan zu installieren. Mamai widerrief 1375 das Edikt an Dmitri Donskoi und händigte es an Michail von Tver aus. Die Bewohner akzeptierten ihn nicht, Dmitri blieb Großfürst von Vladimir und Michail unterzeichnete einen Friedensvertrag. Der Konflikt führte zu der Schlacht an der Vozha 1378, in der eine Moskauer Allianz das Heer des Generals Begich schlug. 1380 kam es erneut zur Schlacht, diesmal unter Anwesenheit von Dmitri Donskoi und Mamai, in der Moskau am Kulikovo Pole erneut siegreich blieb – der erste Sieg gegen die Tataren in 140 Jahren mongolischer Fremdherrschaft.533 Der Sieg hatte aber das Tatarenjoch nicht zerrüttet. Nur zwei Jahre später restaurierte Kahn Tokthamysh die mongolische Hegemonie, indem er Tver, Riazan und Nizhni Novgorod zur Kollaboration zwang und Moskau heimtückisch überfiel. Dmitri Donskoi durfte Großfürst von Vladimir bleiben, musste nun aber noch höheren Tribut zahlen, und zudem wurde sein Sohn Vasili als Geisel genommen. Beide Maßnahmen wurden getroffen, um Moskau schwach zu halten.534 Der Khan musste aber von seinem ursprünglichen Plan abkommen. Das Eindringen des mächtigen Sultans Tamerlan nötigte Tokhtamysh, Moskau zum Verbündeten zu machen. Vasili Dmitrievich durfte 1393 Nizhni Novgorod annektieren. Im Gegenzug musste sein Vater Dmitri Donskoi Khan Tokhtamysh gegen Tamerlan 1395

527 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 92f. 528 Ebda., S. 101. 529 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 80. 530 Vgl. ebda., S. 54. 531 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 102. 532 Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 80. 533 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 55f. 534 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 133.

109 helfen. Die Schlacht verlief zugunsten Tamerlans und Tokhtamysh floh zu Vytautas nach Litauen. Tamerlan zog sich anschließend zurück, lagen sein Interesse an der Eroberung Pekings. Russland spielte für seinen Eroberungszug keine Rolle.535 Mit Hilfe Vytautas startete Tokhtamysh 1399 einen erneuten Feldzug gegen Tamerlans Heer. Dessen zwei Vasallen, Emir Edigei und Khan Timur-Kutlug, fügten der Allianz eine verheerende Niederlage zu. Tokhtamyshs Plan, die Goldene Horde wiederherzustellen und russische Fürstentümer womöglich an litauische Fürsten zu übergeben, scheiterte kläglich.536 Edigei indes beabsichtigte, die Macht der Horde widerherzustellen, scheiterte aber an der Eroberung Moskaus 1408 und konnte die langsam zerfallende Horde nicht zusammenhalten. Am Ende floh er gleich wie sein Gegner Tokthamysh zu Vytautas nach Litauen.537

7.1.3 Civil war in Moskau und Ende der Goldenen Horde

Dmitri Donskoi gilt als wesentlicher Faktor für den Moskauer Bürgerkrieg. Dmitri war bedacht, seinen Thron und sein Reich innerhalb seiner Familie weiterzugeben. In seinem Testament hielt er fest, dass seinem Sohn Vasili I. – der vor Dmitris Tod noch kinderlos war - dessen jüngerer Bruder Juri folgen sollte. Als Vasili I. einen Sohn bekam, war der Sukzessionskrieg im Falle des Todes von Vasili I. vorprogrammiert. Gewalttätige Auseinandersetzungen innerhalb des Hauses Moskaus prägten das zweite Quartal des 15. Jahrhunderts, in dem sich Vasili II. mit Juri Dmitrievich und seinen Söhnen Dmitri Krasni und Dmitri Shemiaka bekriegte. Vasili II. stand unter dem Schutz seines Großvaters Großfürst Vytautas von Litauen und des Metropoliten Photius. Nachdem beide gestorben waren, begann 1432 der Konflikt um die Thronfolge. Vasili II und Juri Dmitrievich reisten zur Horde, Vasili erhielt den Zuschlag.538 1445 kam es zur Auseinandersetzung zwischen Vasili II. und Ulug Mehmed in Nizhny Novgorod, in der Vasili gefangen genommen und gegen ein hohes Lösegeld freigelassen wurde.539 Juris Sohn Dmitri Shemiaka und andere Kontrahenten nahmen den Umstand zum Anlass, Gerüchte darüber zu verbreiten, dass Vasili Moskau an die Tataren verraten haben soll. Dmitri flüchtete in das Dreifaltigkeitskloster, wo er von Fürst Ivan von Mozhaisk geblendet, entthront und aus Moskau verbannt wurde. Während Vasilis Exil-Zeit war es u. a. den geflüchteten loyalen Tataren aus dem später gegründeten Khanat Kasimov und russischen Bojaren zu verdanken, dass Vasili auf

535 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 57. 536 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 147. 537 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 57. 538 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 157f. 539 Vgl. ebda., S. 164.

110 seinen Thron zurückkehren konnte. Die gleichen Tataren sollten Moskau später der Armee Vasilis als Hilfstrupp gegen Novgorod und Kazan dienen.540 In dieser inner-russischen Auseinandersetzung spielte die Horde nur mehr eine untergeordnete Rolle. Als Ivan III. ab etwa 1476 aufgehört hatte, Tribute an den Khan weiterzuleiten, war eine Konfrontation absehbar. 1480 kam es zum Aufeinandertreffen zwischen Moskau und der Großen Horde am Ufer der Ugra. Moskaus Alliierte waren das Krim Khanat und die Nogai Tataren. Auf der Seite der Großen Horde stand der Staatenbund Polen- Litauen. Als sich Vladimir III. und Khan Akhmat gegenüberstanden, wartete Akhmat vergeblich auf die Unterstützung von König Kasimir von Polen. Mengli Girai, der Khan der Krim, hatte Podolia attackiert und das polnische Heer abgelenkt.541 Selbst als der Fluss zufror, standen die beiden Truppen einander gegenüber, ohne aktiv zu werden, bis beide Seiten sich zurückzogen. Schließlich wurde Akhmat von Ivak von den Nogais und dessen Schwäger Murza und Jamgurchi angegriffen und erschlagen.542 Es sollte der letzte Angriff der Horde bleiben. „After 1480, the Great Horde never again launched an attack directed at Moscow, and the Stand on the Ugra had been a last-ditch attempt to restore its influence over Muscovy.”543 Moskaus Verbündeter Ivak aus der Nogai Horde hatte mit seiner Gefolgschaft die Volga überquert und Akhmat bis zum Don gejagt. Am Bela Vezha am Donets in der Nähe von Azov, überraschten sie Akhmat im Schlaf. Ivak tötete ihn. Seine Gesandten brachten die Nachricht an Ivan III., der sie mit Geschenken belohnte.544 Der Kontakt mit den Tataren sollte in der Folgezeit bestehen bleiben. “The Muscovites could not discard all elements of pragmatic relations with the Mongols after the overthrow of the ‘Tatar Yoke’ in 1480.”545 Von 1480 bis in die 1550er blieb der außenpolitische Kontakt mit den Nachfolgekhanaten der Goldenen Horde, speziell mit Kazan, am intensivsten. Russland hatte sich demnach zwar vom Joch der Tataren befreien können, aber blieb aber weiterhin Teil der innerasiatischen ‚Nomadenwelt‘. Die direkten Nachkommen Tschinggis Khans in den Khanaten wurden entsprechend respektiert und auf Ivan IV. folgte für eine kurze Regierungszeit der Khan aus dem Kasimov Khanat Simeon Bekbulatovich.546

540 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 165 und S. 168. 541 Vgl. ebda., S. 171-173 und S. 180. 542 Vgl. ebda., S. 147. 543 Ebda., S. 175. 544 Vgl. ebda., S. 182. 545 Charles J. Halperin: The Ideology of Silence. Prejudice and Pragmatism on the Medieval Religious Frontier. In: Comparative Studies in Society and History 26 (1984), H. 3, S. 462. Im Folgenden zitiert als: Halperin, Ideology of Silence. 546 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 195.

111 7.2 Diskussion

7.2.1 Mediävisten und die traditionelle Historiographie

Halperin kritisiert, dass die traditionelle Historiographie die Tataren als plündernde, gierige Barbaren ohne Kultur oder als Randerscheinung ohne Bedeutung darstellt. Historiker wie Platonov, Soloviev und Kliuchevski legen den Fokus auf das Negative oder verneinen den Einfluss der Goldene Horde nahezu gänzlich, sodass diese während ihres Bestehens keine nennenswerte Rolle in den einzelnen Perioden der russischen Geschichte spielt.547 Kliuchevski gehörte zu seiner Zeit und auch lange nach seinem Tod 1911 zu den „most influential historian[s] in Russia.“548 So begnadet Kliuchevski als Wirtschafts- und Sozialhistoriker war, so ignorant war er im Umgang mit der Goldenen Horde. In seinem Werk Course of Russia findet sich keine Diskussion zum Einfluss der Tataren. Die Goldene Horde wird kleingehalten.549 Halperin kritisiert diese Ausklammerung, da er den Einfluss der Horde als extrem hoch und nachhaltig sieht.550 „The Jochid Ulus was a state with a functioning administrative and fiscal apparatus and a Muslim urban civilization.”551 Es muss aber erwähnt werden, dass nicht alle russischen Historiker diese Ansicht vertraten. Paul Miliukov, der ebenso in die Zeit des Kaiserreichs und der Sowjetunion fällt, erwähnt sehr wohl, dass der Moskauer Aufstieg und die Unifikation Russlands auch mit der Goldenen Horde zusammenhing.552 Mit dem Aufkommen der Sowjetunion kamen auch Vertreter einer völlig gegensätzlichen Einschätzung zum Vorschein. Gumilev sieht in der Darstellung des ‚Jochs‘ eine Verdrehung der Tatsache, hatte es sich bei den Mongolen und Russen seiner Meinung nach schließlich um eine freundschaftliche Symbiose gehandelt.553 Solche Theorien wurden von russischen Nationalisten forciert.554 Halperin kann der Darstellung, dass die Mongolen eine Isolation Russlands von Westeuropa herbeigeführten hätten, Russland dadurch von der westlichen Renaissance und Reformation ausgeschlossen wurde, und stattdessen den Weg der Autokratie einschlagen

547 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 9. 548 Robert O. Crummey: Kliuchevskii’s Portrait of the Boyars. In: Canadian-American Slavic Studies 20 (1986), H. 3-4, S. 341. 549 Vgl. Marshall S. Shatz: Kliuchevskii’s Russia by George P. Fedotov. In: Canadian-American Slavic Studies 20 (1986), H. 3-4, S. 215. 550 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 9. 551 Vgl. Halperin, Interrelations of Rus’, S. 193. 552 Vgl. Miliukov, From the Beginnings, S. 104 553 Vgl. Dmitry Shlapentokh: Lev Gumilev: The Ideologist of the Soviet Empire. In: History of European Ideas. 38 (2012), H. 3, S. 488. 554 Vgl. Halperin, Interrelations of Rus’, S. 193.

112 musste, wenig abgewinnen.555 Dabei weist er speziell den Vorwurf Vernadskys an die mongolische Regentschaft entschieden zurück, dass “Autocracy and serfdom” der Preis war “den Russian people had to pay for national survival.”556 “The Muscovite autocracy that emerged after Mongol power had finally been broken was neither an imitation of nor a response to Mongol rule.”557 Die Mongolen erleichterten vielmehr der Rus den Weg in die Autokratie, als dass sie die Ursache hierfür war.558 Den Grund für das Entstehen sieht er vielmehr im byzantinischen Reich und dem generellen europäischen Trend der damaligen Zeit. The ideology and forms of Muscovite autocracy were in fact largely of Byzantine rather than Tatar provenance […] Nor did autocracy arise from the need to overthrow the Golden Horde. […] Autocracy was the norm in the early modern Europe, and Muscovy require a Mongol model to join in this widespread phenomenon.559 Im Bezug auf die internen politischen Veränderungen sieht Halperin keinen Bezug zur Horde. Die Veche war keine Gefahr für die Goldene Horde, und ihre Eliminierung auch kein Punkt auf der Tataren-Agenda. Ebenso mischte sich die Horde nicht in innere Angelegenheiten der russischen Aristokraten ein, weshalb der Machtverlust der Bojaren keine ‚Errungenschaft‘ der Mongolen ist. Daher sind die Eliminierung der Veche und Schwächung der Bojaren – die laut Vernadsky für die Autokratie entscheidende Punkte sind560 – zur Gänze auf innere Prozesse in der Rus‘ zurückzuführen. 561 Die orthodoxen Russen grenzten kulturelle Elemente rigoros aus dem katholischen Europa aus, weshalb die Renaissance Russland auch bei Ausbleiben einer mongolischen Herrschaft nicht beeinflusst hätte und die Horde als Grund für die europäische Isolation Russlands zu kurz gegriffen ist.562 In seiner Auseinandersetzung mit den mittelalterlichen Quellen kritisiert Halperin die durchgängig gebrauchten Verben ‚took‘ (a city) und ‚plunder‘, und betont die ideology of silence, die anstatt der konkreten Benennung der Eroberung der Rus‘ durch die Mongolen praktiziert wird.563 Keine der mittelalterlichen Quellen kommentiert oder erklärt die Ähnlichkeiten Russlands mit der Horde und die Integration mongolischen Wissens in die russische Politiklandschaft. Gemeinsame Expeditionen von Russen und Mongolen bleiben unerwähnt. Die pragmatische Kooperation mit den Tataren bleibt in Stille verschleiert.564 „The

555 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 7f. 556 Vernadsky, Mongols and Russia, S. 390. 557 Halperin, Tatar Yoke, S. 16. 558 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 88. 559 Halperin, Tatar Yoke, S. 17. 560 Vgl. Vernadsky, Mongols and Russia, S. 344f. 561 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 96. 562 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 18. 563 Halperin, Tatar Yoke, S. 36. 564 Vgl. Halperin, Ideology of Silence, S. 463f.

113 common resolution of the tension between belief and reality was the ideology of silence.”565 Russische Gelehrte verweigerten es anzuerkennen, dass die Mongolen Russland besiegt und erobert hatten. Diese Tatsache wurde von den russischen Intellektuellen zwar wahrgenommen, aber in geschriebenen Texten verschwiegen.566 In den zeitgenössischen Quellen lässt sich ein besonderer Widerspruch finden. Die orthodoxe Kirche erwartete von der Bevölkerung einen unaufhörlichen Widerstand gegen die tatarischen Ungläubigen. Gleichzeitig war die Kirche von dem Khan der Horde abhängig und genoss außerordentliche fiskale Vorteile, die der Kirche in großem Maße zum Anhäufen von Reichtum während der Mongolenperiode verhalf.567

7.2.2 Wirtschaftlicher Effekt

Der ökonomische Einfluss der Mongolen war regional unterschiedlich. Wurde die südliche Rus‘ wirtschaftlich erheblich geschwächt, blieben die nördlichen Regionen wie Novgorod und Pskov nahezu unangetastet. Etwa ein halbes Jahrhundert nach dem Mongoleneinfall, begann sich Russland wirtschaftlich zu erholen, und ab Mitte des 14. Jahrhunderts hatte die Rus‘ den Einfall wirtschaftlich überwunden. Kirchen und Klöster aus Stein wurden in Moskau, Novgorod und weiteren Städten gebaut. Nizhny Novgorod, das an der Handels-Hauptroute an der Volga lag, wurde innerhalb eines halben Jahrhunderts Hauptstadt eines eigenen Fürstentums. Die Mongolen waren selbst am wirtschaftlichen Aufbau der Rus‘ interessiert, waren noch die Steuern im Zusammenhang mit dem vernetzten Handel eine bedeutende Einnahmequelle.568 „The Golden Horde’s economy depended upon international commerce“569 und die „Russians participated in and profited from the expansion of international commerce under the Pax Mongolica.”570 Ostrowski sieht die Pax Mongolica als den eigentlichen Faktor für den wirtschaftlichen Aufschwung und „that economic revival had an enormous impact on the rise of Muscovy.“571 Das Profitieren bezieht sich jedoch überwiegend auf die Kaufleute und die Oberschicht. Der russische Bauernstand litt am stärksten unter den ökonomischen Bedingungen. Von 1240 bis rund 1300 war der Großteil der Rus‘ unter der direkten Administration der Goldenen Horde. Für diese waren die Baskaken zuständig. Ihre Hauptaufgaben waren die Aufrechterhaltung des freien Handels und die Steuereintreibung. Für

565 Halperin, Ideology of Silence, S. 443. 566 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 62. 567 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 21. 568 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 79-83. 569 Charles J.Halperin: The Place of Rus’ in the Golden Horde. In: Russian and Mongols. Hrsg. von Victor Spinei and George Bilavschi. Editura Academiei Romane: Bukarest 2007, S. 340. Im Folgenden zitiert als: Halperin, Place of Rus’, S. 340. 570 Halperin, Ideology of Silence, S. 461. 571 Ostrowski, Muscovy and Mongols, S.131.

114 die Wirtschaft stellten die verpflichtenden Tribute, vykhod und später die dan‘, und weitere direkte und indirekte Abgaben den größten Schaden dar. Die Russen mussten nicht nur die Steuern an die Baskaken abführen, sondern auch die Reisen, den Aufenthalt und die Verpflegung der mongolischen Gesandten finanzieren. Die russisch-orthodoxe Kirche genoss dagegen wichtige Privilegien. Sie galt als steuerbefreit, musste keine Warensteuer (tamga), Maut (myt‘) oder Poststeuer () zahlen. Ebenso sollten um die Jahrhundertwende die Großfürsten aus dem Baskakensystem Vorteile erzielen.572 Zeitgleich mit dem Aufstieg Moskaus in der nördlichen Rus‘, wurden die Baskaken durch die Darugha ersetzt, die in Sarai residierten und ihre Aktivität vor Ort ihren Vertretern – den Großfürsten – übergaben.573 Speziell die Moskauer Großfürsten wussten diese Situation auszunützen, unterschlugen Steuern und häuften Geld an.574 Die Institution ‚Baskak‘ ist jedoch weniger eindeutig, als Halperin sie beschreibt. Vasary sieht in den Termini Baskak und Darugha, anders als Halperin, keinen Bedeutungsunterschied. Er identifiziert diese als funktionsidentische Beamte, als Synonyme mit der Bedeutung ‚Gouverneur‘. Vasary zufolge ist Baskak ein Begriff, der im Westen des mongolischen Reiches gebraucht wurde, und Darugha im Osten. Im 14. Jahrhundert wurde demnach das ‚Baskaken‘system nicht vom Darughi-System verdrängt, sondern der Begriff Baskak wich im Westen nun auch dem Begriff Darugha. Das Baskakensystem blieb erhalten, die Baskaken agierten nun lediglich von Sarai aus.575 Für Ostrowski ist dagegen eindeutig, dass es Baskaken und Darughi gab und die Baskaken in den 1320er aus Moskau und Tver‘ und weiteren Gebieten in der nördlichen Rus‘ abgezogen werden konnten, weil diese Regionen die Hegemonie der Tataren anerkannten. An ihrer Stelle traten die Darughi und ihre Gesandten als neue Institution hervor.576 Halperin sieht Moskaus Aufblühen primär durch den Handel begünstigt. Moscow’s prosperity owed less to the immediate political and military advantages of her alliance with the Horde than to the economic and demographic results of a Mongol policy designed to systematically impoverish centers of anti-Tatar opposition.577 “Prosperity or depression depended upon the quantity and frequency of Horde payments.”578 Ivan Kalita besuchte den Khan mehrmals und blieb für eine lange Zeit am Hof. Sein Nachfolger Großfürst Simeon machte es ihm gleich.579 Eine solch opportunistische Denkweise unterschied

572 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 78f. 573 Vgl. Ostrowski, Muscovite, S. 527. 574 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 78. 575 Vgl. Istvan Vásáry: The origin of the institution of basqaqs. In: Acta Orientalia Hungarica 32 (1987), 205f. 576 Vgl. Ostrowski, Muscovy and Mongols, S. 40-43. 577 Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 80. 578 Halperin, Place of Rus’, S. 343. 579 Vgl. Ostrowski, Mongol Origins, S. 528.

115 die Moskauer von den anderen Herrschern. “Moscow came out on top not because its princes were more ruthless or craven but because they were shrewder politicians.”580 Ein weiterer Faktor für eine wirtschaftliche Stärke war die Bevölkerungszahl. Moskau stand in der ersten Hälfte des 14. Jahrhundert als Alliierter unter dem Schutz der Goldenen Horde. Die Tataren kollaborierten mit den Moskauer Großfürsten an ihrem Höhepunkt und schwächten Moskaus Rivalen. Dieser Umstand führte zur Flucht aus den Krisengebieten in das Großfürstentum Vladimir, und somit zu einem Bevölkerungswachstum in den Moskauer Gebieten. Die Fürstentümer waren von der Agrikultur in den ländlichen Regionen abhängig. Je mehr Männer dieses Umland besiedelten, umso mehr konnte produziert und besteuert werden. Daher stand die Macht der Fürsten in Abhängigkeit zur Arbeitskraft.581 While the overall impact of the Mongols on the Russian economy probably was negative, the damage was neither as uniform nor as long-lasting as has been supposed. Unquestionable, the conquest was a catastrophe, but a catastrophe need not have permanent effects. […] the Golden Horde fostered the resurgence of the Russian economy and the subsequent growth of Russian power.”582 Mit dem Untergang der Horde blieb das Steuerwesen gänzlich bestehen, von dem Moskau noch stärker wirtschaftlich profitierten sollte.583 Das Ende des Jochs datiert Halperin mit dem Stehen an der Ugra,584 auch wenn Ivan III. bereits Jahre zuvor aufgehört hatte, Steuern an die Große Horde abzuführen.585 Dieses Ende hatte zur Folge, dass die Handelsrouten frei wurden und infolgedessen heftige Konflikte mit den neuen Khanaten entbrannten – aus denen letztlich Moskau als Sieger hervortreten sollte.586

7.2.3 Mongolische Institutionen und Unifikation der nördlichen Rus‘

Halperin sieht einen Zusammenhang zwischen den mongolischen Institutionen und der Eingliederung zahlreicher russischer Fürstentümer in das Herrschaftsgebiet Moskaus. “The Mongols played a role in Moscow’s emergence as the unifying force in medieval Russia, provided some of the institutions that made Moscow strong, and influenced Moscow’s imperial vision.587 Jedoch hält er nichts davon, die Unifikation als ausschließliche Ursache einer mongolischen Administration zu interpretieren. “It would be misleading, however, to attribute Russian unification and Muscovite dominance entirely to Tatar policies and influences.”588 Vielmehr entstand die Unifikation aus den internen Prozessen in der russischen Geschichte.

580 Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 88. 581 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 79 und S. 89. 582 Ebda., S. 86. 583 Vgl. ebda., S. 78. 584 Halperin, Ideology of Silence, S. 462. 585 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 180. 586 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 60. 587 Ebda., S. 87. 588 Ebda., S. 90.

116 „Moscow triumphed over its rivals because it took better advantage of the Mongol presence and used Mongol administrative techniques more effectively than other power centers such as Tver’.”589 Crummey hebt “[the] remarkable ability [of Muscovite princes] to manipulate the rulers of the Golden Horde”590 im Besonderen hervor und sieht darin einen entscheidenden Vorteil für Moskau. Moskau modifizierte sein Verwaltungssystem auf Grundlage des mongolischen Modells erst nach dem Verschwinden der Horde.591 Damit vertritt er die gleiche Ansicht wie Vásáry. Russian autocracy and bureaucracy has […] emerged in a period immediately following the two- hundred-and-fifty-year period of the Tatar yoke. […] The Tatars, together with their institutions and their culture, increasingly became an organic part of Russia. […] Tatar and Russian became inseparable.592 Ostrowski erkennt das Aufkommen mongolischer Administration in der Rus‘ dagegen bereits im 14. Jahrhundert, als Ergebnis der Vergrößerung der lokalen Macht der Großfürsten.593 Halperin stimmt der Aussage nur im Fall des russischem Militärs zu, dessen Heer bereits 1380 in der Schlacht am Kulikovo Pole mongolische Bewaffnung und die mongolische Kampfstrategie angewendet hatte. Bis ins 16. Jahrhundert werden russische Reiter mit mongolischem Helm, einem Sattel mit Steigbügel, einem Reflexbogen und Köcher dargestellt.594 Mit Ausnahme des Militärs sieht Halperin die Adaption erst nach dem Untergang der Horde gegeben. Moskau übernahm von den Mongolen das System des Steuerwesens und der Staatskassa, installierte analog dazu die entsprechenden Ämter, übernahm teilweise die Bürokratensprache sowie die diplomatischen Umgangsformen, adaptierte das Postsystem nach mongolischem Vorbild, imitierte das mongolische Militär in Organisation und Ausrüstung, und führte einige Bereiche aus der Strafverfolgung in die Rus‘ ein.595 Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass die Entlehnungen stets selektiv blieben. So hatte Moskau nicht das Interesse am Zensus, da es seine administrativen Möglichkeiten überstieg. Ebenso lehnten die russischen Fürsten das diwan-System ab, das in seinen Wurzeln mit dem muslimischen Glauben verknüpft und damit nicht mit der russischen Orthodoxie vereinbar war.596 Trotz der vielen Aneignungen aus der mongolischen Administration, ähnelte der Moskauer Staat keineswegs jenem der Mongolen. Hierfür war die Gesellschaft der Hauptgrund, die christlich orthodox und sesshaft

589 Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 90. 590 Crummey, Formation of Muscovy, S. 36. 591 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 89. 592 Istvan Vásáry: Clans of Tatar descent in the Muscovite elite of the 14th-16th centuries. In: The Place of Russia in Eurasia. Hrsg. von Gyula Szvák. Magyar Ruszisztikai Intézet: Budapest 2001, S. 101.. 593 Vgl. Ostrowski, Muscovite, S. 529. 594 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 91. 595 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 15. Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 90. 596 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 16.

117 landwirtschaftlich war.597 Gerade die russische Kirche war nicht abgeneigt, mit Hilfe der ‚islamischen‘ Horde Vorteile zu erzielen. „Under Mongol patronage the Russian Orthodox Church grew immensely in wealth and influence.”598 Inwiefern die Horde am Moskauer Aufstieg und infolgedessen an der russischen Unifizierung aktiv beteiligt war, lässt sich nach Halperin nicht genau definieren. „The precise role the Horde played in the rise of Moscow and the unification of Russia is difficult to assess, but it is clear that Muscovy availed itself of a number of Tatar institutions as it consolidated its power and during its later expansion.”599 Fennell sieht den Grund für den Aufstieg im Willen der Khane. “[The] prince was strong only if the khan wanted him to be strong and was only as strong as the khan allowed him to be.”600 “Moscow alone was allowed to grow strong in order to provide an effective barrier to Lithuanian expansion.”601 Ähnlich sieht es Poe „The Kipchaks protected and promoted the Muscovite princes, making the powerful regional lords.” Für Halperin lagen Aufstieg, Konsolidation und Expansion des ‘Moskauer Staates’ primär an der internen Stärke, „but these strengths arose from Tatar influences.”602 „[The] Golden Horde’s effect on Russia’s development, though hard to measure, was clearly very great.”603 Was mit Sicherheit behauptet werden kann, ist, dass das Großfürstentum Moskau selektiv Institutionen für ihr expandierendes Gebiet ‚borgte‘ und diese mongolisch geprägten Institutionen lange tief verwurzelt blieben. Erst mit der Verwestlichung Russlands durch Peter den Großen, legte Russland seine mongolischen Institutionen ab.604

7.2.4 Fazit

Das Tatarenjoch begann mit dem Mongolensturm 1237 und endete mit dem Stehen an der Ugra 1480. Zu Beginn brachten die Tataren vorwiegend Unheil und Zerstörung über die Rus‘, die regional unterschiedlich ausgeprägt waren. Mit der Pax Mongolica sollte die Wirtschaft aber alsbald wiederbelebt werden. Moskau, das geografisch vorteilhaft lag, profitierte vom aufblühenden Handel. Die eingeführte Steuerpflicht, für die noch zu Beginn die Baskaken vor Ort zuständig waren und deren Funktionen auf die russischen Fürsten übertragen wurden, verhalf den Moskauer Großfürsten – nicht zuletzt durch unlautere Mittel –, ihr Vermögen zu steigern. Moskau verbündete sich mit den Tataren, als diese auf ihrem Höhepunkt standen, ging

597 Vgl. Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 95. 598 Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 129. 599 Ebda. 600 Fennell, Emergence of Moscow, S. 110. 601 Ebda., S. 195. 602 Halperin, Russia and the Golden Horde, S. 89. 603 Ebda., S. 129. 604 Vgl. Halperin, Ideology of Silence, S. 463.

118 als interner Sieger um die Vorherrschaft im Großfürstentum Vladimir-Suzdal hervor und sicherte sich in weiterer Folge die Position als wirtschaftsstärkstes Fürstentum.605 Die russische Kirche genoss steuerliche und judikative Vorteile, und ihre geistlichen Vertreter mussten im Gegenzug lediglich für die Gesundheit des Khans und seines Gefolges beten. Das Treiben der Goldenen Horde hatte einen maßgeblichen Anteil am Residenzwechsel des Metropoliten nach Vladimir – das ebenso Moskau in die Karten spielte. Auf sozialer Ebene war der Einfluss der Horde temporär begrenzt. Die Moskauer Hochkultur blieb völlig unangetastet, da diese den Islam in ihren Kreisen ablehnte. Der Hauptgrund für den Aufstieg der Moskauer Herrscher war in erster Linie die innere Stärke ihres Fürstentums, das den Umstand der Fremdherrschaft am besten für sich nutzen konnte. Mit dem Sieg am Kulikovo Pole war zwar der Nimbus der Unbesiegbarkeit der Tataren zerstört, das Joch aber noch aufrecht. Das Moskauer Heer kämpfte hier bereits mit mongolischem Equipment und nach mongolischer Strategie. Das Stehen an der Ugra sollte schließlich das Ende des Jochs markieren. Mit dem Zerfall der Horde begann Moskau, die Institutionen der Tataren in ihr Verwaltungssystem zu implementieren. Dabei erfolgte die Auswahl der übernommenen Institutionen selektiv, nach ihrem Nutzen und ihrer Vereinbarkeit mit dem orthodoxen Glauben. Der Aufstieg und die Expansion Moskaus sowie die Unifikation der Fürstentümer der nördlichen Rus‘ sind durchaus mit dem Einfluss der Goldenen Horde zu erklären, jedoch hatten ebenso andere konkurrierende Fürstentümer eine ähnliche Ausgangslage. Moskau wusste daher aber am besten, diese für sich zu nutzen. Für die Herausbildung der Aristokratie sieht Halperin weniger die Mongolen, sondern vielmehr den byzantinischen Einfluss sowie den Zeitgeist verantwortlich.

605 Vgl. Halperin, Tatar Yoke, S. 14f.

119 8 Conclusio

Die Bewertung des Einflusses der Mongolen bzw. Tataren in der nördlichen Rus‘ respektive auf das mittelalterliche Moskau steht in Abhängigkeit zum Historiker bzw. zur Historikerin, der bzw. die die zeitgenössischen ostslawischen Quellen interpretiert. Diese Quellen sind das Fundament einer jeden einzelnen in dieser Arbeit behandelten Monographie oder eines sonstigen wissenschaftlichen Textes. Mit Soloviev, Ostrowski, Vernadsky, und Halperin standen Forschungsergebnisse von Historikern mit unterschiedlichen Lebensläufen und unterschiedlichen Beweggründen im Mittelpunkt, die in Abhängigkeit ihrer Intention und ihres historisch-wissenschaftlichen Zugangs ebenso unterschiedliche oder auch ähnliche Ergebnisse in ihrer Forschung erziel(t)en – was zugleich verdeutlicht wie schwierig es ist, die „Wahrheit“ in Bezug auf den Einfluss der Goldenen Horde auf den Aufstieg des Fürstentums Moskau und dessen Machtsicherung zu ermitteln. ***** Soloviev, ein begnadeter Nationalist und während seiner Studienzeit selbsternannter ‚Russophil‘, sieht in der Schlacht am Fluss Kalka 1223 die erste Niederlage russischer Fürsten. Dieses ‚gottlose, steppennomadische Barbarenvolk‘ kehrte 1237 in das Kiptschak-Gebiet zurück und fiel im 13. Jahrhundert in Osteuropa immer wieder mit Verwüstungen, Plünderungen und Bränden auf. Alsbald begannen sie in der nördlichen Rus‘ mit dem Zensus und der Steuereintreibung. Damit die Khane ihre gewalttätigen Einfälle reduzierten, erhielten sie von den Fürsten Tribute zur Besänftigung. Mit dem Rückzug der Baskaken, konnten die russischen Fürsten völlig ungehindert in ihren Fürstentümern agieren. Am Aufstieg Moskaus ist kaum ein Einfluss der Tataren erkennbar. Große Herrscher wie Ivan Kalita und Dmitri Donskoi konnten aufgrund ihrer Führungsqualitäten und der inneren Stärke ihres Gebietes den Machtbereich ausweiten und Moskau an die Spitze innerhalb der nördlichen Rus‘ hieven – frei von mongolischer Zuhilfenahme. Soloviev erwähnt zwar die finanziellen Abgaben und auch die Reisen der Fürste zur ‚Horde‘, geht aber nicht näher auf die Hintergründe dafür ein. Der Einfluss der Tataren wird nahezu ausschließlich mit negativen Ereignissen erwähnt und in Verbindung gebracht, die das Heidnisch-Barbarische der Horde und die niedrige Moral ihrer Khane und Generäle unterstreichen sollen. Nicht selten sind sie intrigant und mit mangelndem Intellekt geschildert. Dagegen werden siegreiche russische Machthaber als taktierende Akteure mit hohen Moralansprüchen dargestellt und die im Kampf gegen die Tataren gefallene Fürsten zu Märtyrern erklärt, unabhängig ihrer tatsächlichen Gesinnung. In Solovievs Forschung zur

120 mittelalterlichen russischen Geschichte findet die Horde nur am Rande statt. Umso überraschender erscheint es, dass er den Sieg Dmitri Donskois am Kulikovo Pole 1380 sowohl als Zeichen der Überlegenheit Europas über Asien deutet, als auch als Wendepunkt Moskaus von einem Fürstentum zu einem europäischen Reich verkündet. Dass Moskau wenige Jahre darauf von Tokhtamysh völlig zerstört und die Hoheit der Goldenen Horde zugleich restauriert wurde, scheint Soloviev nicht davon abzubringen, den Sieg als Ende des Barbarenjochs zu deklarieren. Auf den orthodoxen Glauben und die russische Kirche hatten die Tataren laut Soloviev keinen Einfluss. Die Kirche und der Metropolit sind für Moskau ein wichtiger Alliierter. Der Wechsel des Metropolitensitzes sowie weitere wichtige Faktoren wie die Christianisierung und der steigende Reichtum stehen in keinem nennenswerten Zusammenhang mit der Goldenen Horde. Soloviev bezeichnet die ‚Mongolen‘ durchwegs als Tataren – ein Terminus der mit ‚muslimisch‘ konnotiert wird und als Gegenstück zur russischen Orthodoxie gesehen wird. Soloviev sieht in Alexander Nevski einen Herrscher par excellence, der im Sinne der Orthodoxie der Russen handelte und mit seiner selbstlosen Unterwerfung die Rus‘ vor dem katholischen Westen bewahrt hat. Der Sieg gegen Mamai war ebenso ein Sieg des Christentums gegen die Heiden und den Islam. Soloviev übernimmt die Informationen aus den Chroniken nahezu völlig unkritisch und hinterfragt ebenso wenig den Wahrheitsgehalt der z. T. fiktiven chronikalischen Schriftquellen. Sein Ergebnis liest sich wie eine Huldigung an seine Vorfahren. Er proklamiert ein neues Selbstbewusstsein des russischen Kaiserreiches, das als Pendant zum aufkommenden westeuropäischen Nationalismus verstanden werden soll. Auch wenn viele Passagen dieses Magnum opus von Soloviev für die heutige Zeit äußerst fragwürdig erscheinen, darf nicht vergessen werden, dass im 19. Jahrhundert die Zeit der Mongolen überwiegend von (pro- )russischen Historikern erforscht wurde, welche das Bild der nationalen Vergangenheit im Besonderen prägten und deren kreiertes Geschichtsverständnis z. T. bis heute hinein wirkt. ***** Ein völlig gegensätzliches Bild zu Soloviev zeichnet Don Ostrowski. Er sieht die Goldene Horde als wesentlichen Faktor für den Aufstieg des Moskauer Fürstentums, das den Weg zur Entstehung des späteren Zarentums ebnen sollte. Die Fürsten mussten die Genehmigung beim Khan einholen, um über ihre eigenen Gebiete regieren zu dürfen – ein Umstand der aufzeigt, dass die russischen Fürsten Vasallen des Khans waren und die Goldene Horde die Hoheit über die Rus‘ hatte. Die Mongolen verfügten über ein ausgereiftes Verwaltungssystem, das sie recht früh in den russischen Gebieten implementierten. Zwei wichtige, alsbald getätigte Änderungen

121 in der russischen Politiklandschaft sind die Einführung der Wehrpflicht, also die Modifizierung des Militärwesens, und ein weitläufiges Steuer- und Abgabensystem in den Fürstentümern in Relation zu ihrer Bevölkerungszahl. Ostrowski bezeichnet diese Verwaltung als ‚Duale Administration‘, die sich in zivile und militärische Angelegenheiten aufteilte, und sieht sie spätestens unter Großfürst Simeon in Moskau fest integriert. Die Mongolen blieben ihrem Nomadentum durchwegs treu. Sie ließen sich nicht in den Fürstentümern nieder, installierten stattdessen Vertreter vor Ort – die Baskaken. Diese waren primär für die Eintreibung der Steuern verantwortlich. Als die Baskaken um 1320 abgezogen und ihre Aufgaben den verantwortlichen Fürsten übertragen wurden, bedeutete dies ein Wetteifern um die begehrte Großfürstenwürde. War zu Beginn Michail von Tver im Vorteil, nutzten die Moskauer Fürsten die Tataren, um die eigenen Ziele zu erreichen. Reisen zum Khan, reichlich Schätze an diesen und eine demonstrierte Unterwürfigkeit begünstigten den Erhalt des Jarligs für das Großfürstentum Vladimir. Hierbei waren die Moskauer Großfürsten besonders geschickt und opportunistisch. Ivan Kalita schaffte es, mit Hilfe der Tataren seinen größten Widersacher in Tver zu besiegen und den Großfürstenthron zu besteigen. Das Großfürstentum Vladimir-Suzdal verfügte über eine vergleichsweise hohe Bevölkerungszahl. Dementsprechend waren die steuerlichen Einnahmen hier größer als in anderen Fürstentümern und der finanzielle Zuwachs ungleich größer. Ivan Kalita lieferte die eingehobenen Steuern nicht zur Gänze an den Khan. Ein nicht unerheblicher Teil landete in der eigenen Schatzkammer. Im Zusammenhang mit dem Steuerwesen muss der Handel und in weiterer Folge die Pax Mongolica erwähnt werden, die den Warenaustausch von China bis nach Moskau ermöglichte, ihre Besteuerung zusätzliche Steuereinnahmen lukrierte und die finanzielle Kluft der Moskauer Fürsten zu ihren Kontrahenten vergrößern ließ. Die gesamte nordöstliche Rus‘ von Sarai bis nach Novgorod profitierte von den Handelsrouten. Städte wie Moskau, die an einem Knotenpunkte lagen, verzeichneten einen vergleichsweise stärkeren Aufschwung. Die Adaption der mongolischen Militärformation und -ausstattung verschaffte Moskau einen Vorteil in kriegerischen Auseinandersetzungen, sodass selbst die Mongolen am Kulikovo Pole mit ihren eigenen Mitteln geschlagen wurden. Als Moskau die Vorherrschaft erlangt hatte, galt es, die Thronfolge neu zu regeln. Mitte des 15. Jahrhunderts schaffte es Vasili II. mit wichtiger Unterstützung des Khans, sich im Thronfolgestreit gegen seinen Onkel Juri und später gegen dessen Sohn Dmitri Shemiaka durchzusetzen und das Senioritätsprinzip in der Thronfolge zu beenden. Als nächster Schritt wurde das Mestnichestvo-System eingeführt, das die Macht der Moskauer-Linie als Herrscher der nördlichen Rus‘ sichern sollte. Der Rang eines jeden Fürsten wurde analog zum mongolischen System zusätzlich in Hinblick auf seine Klanzugehörigkeit definiert, um u. a.

122 freundlich gesinnten Fürsten einen rascheren Aufstieg als des Großfürsten rechte Hand zu ermöglichen. Nach dem Untergang der Goldenen Horde blieben Tataren als integrativer Bestandteil der Oberschicht im Zarentum weiterhin präsent. Für Ostrowski ist der Aufstieg der Moskauer Fürsten und ihre Etablierung als führende Kraft in der nördlichen Rus‘ hin zu einem Zarentum unter Moskauer Autokratie, stark von den Mongolen begünstigt und geprägt worden. Er wertet das Handeln der Goldenen Horde als eine Politik der Dezentralisierung. Anders als viele Historiker sieht er keine mongolische Tradition des orientalen Depotismus oder der Unterdrückung. Demnach gab es auch kein Tatarenjoch, von dem sich Russland befreien hätte müssen. Die Mongolen führten weniger eigene ‚Traditionen‘ in die nördliche Rus‘ ein, sondern sie dienten vielmehr als ‚Botenstoff‘, der die politischen und administrativen Institutionen aus China und dem Islam in die Rus‘ transportierte. Die überwiegend negative Darstellung der Mongolen in den zeitgenössischen Quellen ist seines Erachtens gänzlich auf die Interpolation der orthodoxen Kirche nach 1448, dem Beginn ihrer Unabhängigkeit von Byzanz, zurückzuführen. Grundsätzlich gibt es kaum einen Bereich, den Ostrowski nicht von den Mongolen beeinflusst sieht. Seine Interpretationen wirken überwiegend plausibel, an manchen Stellen dagegen in einer Weise, überspitzt gesagt, ‚anti-russisch‘. So betrachtet er die Ergebnisse der Schlacht am Kulikovo Pole recht nüchtern, stellt sogar Zweifel an, ob es sich überhaupt um einen Sieg handelte. Die Ansicht, dass Khan Ulug Mehmed Vasili II im Erbfolgestreit mit seinem Onkel entscheidend zum Sieg verhalf, darf stark angezweifelt werden. Die beiden Parteien reisten 1432 zum Khan. Bis zur endgültigen Beilegung des Streits vergingen etwa zwei von Spannungen geprägte Jahrzehnte, an deren Ereignissen die Goldene Horde und der Khan bestenfalls am Rande in Erscheinung traten. ***** Eine Mischung aus Joch und Vorteilen sieht Vernadsky in der Periode der Fremdherrschaft. Der Khan war das Oberhaupt der nördlichen Rus‘ und setzte die russischen Fürsten mittels Patent, dem Jarlig, nach seinem Gutdünken als Großfürst ein. Die Goldene Horde war bestrebt, die russischen Fürstentümer im Gleichgewicht und daher schwach zu halten. Weder der Geldeintreiber Ivan Kalita noch Dmitri Donskois – dessen Sieg Vernadsky als wichtigen für das nationale Bewusstsein wertet – entschieden den internen Machtkampf um die Hoheit in der nördlichen Rus‘ für Moskau, sondern es war Khan Tokhtamyshs Wille. Dieser beschloss 1392 im Kampf gegen Tamerlan auf die Hilfe Moskaus zu setzen und erlaubte dem Großfürsten Vasili von Moskau das Fürstentum Nizhni Novgorod zu annektieren, wenn dieser ihm die Unterstützung zusage. Erst mit diesem Ereignis kippte die ausgeglichene Machtverteilung in der Rus‘ zugunsten Moskaus. Diese Ansicht ist im Angesicht anderer von Vernadsky selbst

123 erläuterter Umstände schwer nachvollziehbar. Als die Großfürsten die Aufgaben der Baskaken übernahmen, waren sie für die Steuereintreibung verantwortlich, während sie selbst – wie auch die Kirche – von Steuern befreit waren. Je bevölkerungsreicher das Herrschaftsgebiet war, umso größer waren die steuerlichen Einnahmen. Khan Uzbeg übertrug die Herrschaft über Vladimir-Suzdal an Ivan Kalita, weshalb Moskau für ein Herrschaftsgebiet verantwortlich wurde, das alleine mehr an Steuern einbrachte als die Fürstentümer Tver, Nizhni Novgorod und Riazan gemeinsam. Da Ivan Kalita häufig nach Sarai reiste und zum Khan ein gutes Verhältnis pflegte, war sein Herrschaftsbereich vor tatarischen Übergriffen sicher und zudem für den Handel günstig gelegen. Mit den unterschlagenen Steuern häufte er Schätze an, dass er damit Ländereien, Städte und Dörfer kaufen konnte. Die eingeführte Wehrpflicht ermöglichte es Moskau ab der Mitte des 14. Jahrhunderts, jederzeit ein starkes Heer aufzustellen. Spätestens der Friedensvertrag von 1375 zwischen Moskau und dem kapitulierenden größten Widersacher Tver deutete auf eine bereits herrschende Dysbalance hin. Vernadsky wartet mit einer weiteren untypischen Datierung auf. Für ihn ist es eindeutig, dass es sich bei der Fremdherrschaft durch die Goldene Horde um ein Tatarenjoch handelt. Dieses begann mit dem Mongolensturm und endete mit der Gründung des Kasimov Khanats – das eine neue Ära einleitete. Angesichts anderer bedeutender Begebenheiten wie die Schlacht am Kulikovo Pole, das Stehen an der Ugra oder der Tod des letzten Khans der Großen Horde, überrascht es auf den ersten Blick, dass die ‚Wahl‘ auf dieses Ereignis fällt. Bis 1452 waren in der Regel russische Fürsten Vasallen mongolischer Khane. Mit der Gründung des Kasimov Khanats unter der Autorität des Großfürsten von Moskau hatten sich die Beziehungen umgekehrt. Die Tataren standen nun im Dienst der Russen und die Herrschaft der Mongolen endete somit. Das Verhältnis zu den Steppennomaden hatte sich gänzlich verändert. Die Mongolen hatten während ihres Wirkens die unorganisierten Steppen organsiert und damit die Grundlage für Russland gelegt, nach Osten zu expandieren. Im 16. Jahrhundert drang Russland unter Ivan IV. bis nach Sibirien vor. Zu den bedeutenden mongolischen Einflüssen zählen für Vernadsky – wie bereits bei Ostrowski erwähnt – die Einführung des Militär- und Steuerwesens, sowie deren Administration nach mongolischem Vorbild. Die mongolische Administration wurde von den Moskauer Großfürsten als effizient erachtet und über das 14. Jahrhundert hinaus bis ins 16. Jahrhundert hinein praktiziert. Die Zerstörung der Veche, Entmachtung der Bojaren und die Modifizierung des Militär- und Steuersystems auf Basis der mongolischen Verwaltung legten die Grundsteine für einen zentralisierten Staat. Die Angst vor mongolischen Einfällen sowie die inneren Zerwürfnisse der Horde in der Mitte des 14. Jahrhunderts warben für eine

124 Unifikation der nördlichen Rus‘. Die Reglementierung der sozialen Gruppen begann während der Mongolenherrschaft und wurde auf Basis der mongolischen Administration von der Moskauer Regierung nach dem Untergang der Horde abgeschlossen. Die entstandene Autokratie und Leibeigenschaft waren der Preis, den Russland zahlen musste, um sich aus den Fängen der Mongolen zu befreien und zu überleben. Die Goldene Horde war sowohl ein Peiniger der russischen Fürstentümer als auch Katalysator für den Aufstieg Moskaus. Die mongolischen Institutionen haben nicht nur zur Etablierung der Moskauer Macht beigesteuert, sondern auch zur Entwicklung der nördlichen Fürstentümer zu einem einheitlichen Zarentum unter der Herrschaft eines Moskauer Autokraten. Vernadsky ist besonders während seiner Zeit in Prag ein überzeugter Vertreter des Eurasianismus und steht in engem Kontakt mit gleichgesinnten in Exil lebenden russischen Historikern. Während seiner Zeit in Yale ändert sich zwar sein Weltbild, dennoch ist seine wissenschaftliche Einschätzung in Bezug auf den Einfluss der Goldenen Horde in Bezug auf seine Biografie zu deuten. ***** Halperin sieht ebenso wie Ostrowski die Darstellung der Mongolen in den mittelalterlichen Quellen als kritisch. Diese vermitteln bewusst das Bild der plündernden, barbarischen Steppennomaden und klammern die kultivierten, z. T. hochentwickelten und diplomatischen Aspekte aus. Historiker aus der Zeit der Kaiserreiche, wie Soloviev oder Kliuchevski, rügt dieser ebenso für ihre unkritische, tendenziöse Interpretation der ostslawischen Chroniken. Den Eurasianismus rund um Vernadsky betrachtet er ebenfalls mit Zweifel. Dessen Einschätzung von Autokratie und Leibeigenschaft als notwendige Konsequenz für das nationale Überleben korrigiert Halperin. Er sieht den Grund für das Entstehen der Autokratie vielmehr im Byzantinischen Reich. Zudem war im early modern Europe die Autokratie die Norm. Russland entschied sich bewusst für diese Herrschaftsform und nahm das mongolische Model als Vorbild für ihre Realisierung. Die Eliminierung der Veche und Schwächung der Bojaren sieht er in keinem Zusammenhang zur Horde. Halperin wertet die Fremdherrschaft als ‚Tatarenjoch‘, das mit dem Ende des Mongolensturms 1240 begann und sein Ende mit dem Stehen an der Ugra 1480 fand. Während dieser Periode von rund zweieinhalb Jahrhunderten hatten die Mongolen weitreichenden Einfluss, wobei das Ausmaß am Ende oftmals nicht exakt beziffert wird. Ebenso wie Ostrowski und Vernadsky sieht Halperin das mongolische Steuer- und Militärwesen und deren administratives Know-how als bedeutende Institutionen. Er weist aber darauf hin, dass ihre Einbettung in die russische Verwaltung selektiv vollzogen wurde. Das Steuersystem, mit dem die Russen vertraut waren und das sie als nutzbringend erachteten, blieb

125 z. B. selbst nach dem Untergang der Horde erhalten. Die aufwändige Volkszählung überstieg dagegen die administrativen Möglichkeiten, und das diwan-System, das in seinen Wurzeln mit dem muslimischen Glauben verknüpft war, konnte nicht mit dem orthodoxen Glauben vereinbart werden – beide blieben in der Selektion außen vor. Anders als Ostrowski datiert Halperin die ‚Übernahme‘ der mongolischen Administration nachdem diese zerfiel und nicht bereits im 14. Jahrhundert. Agierten die Khane zunächst zerstörerisch, profitierten die direkt in den Dienst der Mongolen gestandenen Fürstentümer vom wirtschaftlichen Aufschwung spätestens ab dem 14. Jahrhundert. Die Pax Mongolica förderte den Warentausch von der Hanse und dem Fernen Asien in die Rus’, und führte durch die Warensteuer, Maut und weitere Abgaben zu Reichtum in den Städten, die entlang der Handelsrouten lagen – zu denen Moskau gehörte. Mit dem Abzug der Baskaken aus den Fürstentümern, erlangten die Fürsten die Verantwortung für die Steuererhebung. Umso wichtiger wurde es für die Fürsten, vom Khan das Patent des Großfürstentums Vladimir zu erhalten. Hierfür waren die Häufigkeit der Besuche und der Wert der mitgebrachten Geschenke von Bedeutung. Ivan Kalita zeigte sich besonders spendabel und unterwürfig. Als die Horde unter Uzbeg an ihren Höhepunkt gelangt war, stand Moskau als Allianz zur Seite. Die Moskauer Großfürsten konnten im 14. Jahrhundert sukzessive an Macht gewinnen, während die Goldene Horde sich aufgrund innerer Streitereien schwächte und den Gedanken einer russischen Unifikation förderte. Als sich die Goldene Horde entschied, dem Fürst von Tver das Großfürstentum Vladimir zu übertragen, war Moskau bereits zu stark und die Bevölkerung Vladimirs den Moskauer Fürsten treu gesinnt. In der Schlacht am Kulikovo Pole gelang der erstmalige Sieg gegen einen tatarischen Herrscher, der aber das Joch nicht abwarf. Im Kampf um die Vorherrschaft in der nördlichen Rus hatten Moskau und Tver eine ähnliche Ausgangslage, Moskau aber mit dem Bündnis zu Khan Uzbeg das entscheidend bessere Timing. Die russisch-orthodoxe Kirche profitierte von den Mongolen in großem Maße. Sie war von Steuerpflichten befreit und genoss den Schutz des Khans, sodass Metropoliten und Bischöfe ohne Furcht in der nördlichen Rus reisen konnten und die Christianisierung vorangetrieben wurde. Der Residenzwechsel des Metropoliten nach Vladimir ist zudem auf Ereignisse in Verbindung mit der Horde zurückzuführen und führte zu einer Aufwertung des Großfürstentums, in welches nun hohe geistliche und weltliche Vertreter in Kirchenbelangen reisten. Die Moskauer Fürsten stiegen in erster Linie aufgrund der inneren Stärke ihres Fürstentums und durch das bessere Timing als Alliierter der Goldenen Horde auf. Dieses

126 Timing ist durchaus den Geschicken der Moskauer Fürsten zu verdanken, die wussten, wie sie den Khan für sich gewinnen konnten, während sie zeitgleich in ihre eigenen Taschen wirtschafteten. Die Pax Mongolica, der Handel und die Administration waren die wichtigsten Beiträge der Horde. Mit 1480 fand die Rus den Ausweg aus der Fremdherrschaft. Halperin sieht in der Mongolenherrschaft einen großen Impact auf die nördliche Rus, entzieht sich aber oft der Verantwortung, einen eindeutigen Standpunkt in der Relevanz der Goldenen Horde zum Aufstieg der Moskauer Fürsten zu unangefochtenen Herrschern in der Rus‘ einzunehmen. Einerseits war der Einfluss der Mongolen groß, andererseits war es die innere Stärke Moskaus, die den Unterschied ausmachte. ***** Die in der Arbeit diskutierten Ansichten und Einschätzungen der vier ‚Haupt‘-Historiker und die, zur Untermauerung oder Widerlegung dieser Behauptungen, herangezogenen Studien weiterer bedeutender Forscher der letzten anderthalb Jahrhunderte machen deutlich, welche z. T. eklatant gegensätzliche Ergebnisse die Auseinandersetzung mit ein- und derselben Materie bringt. In Zeiten des Web 2.0 und der vorangeschrittenen Digitalisierung ist es zudem im negativen Sinne ‚beachtlich‘, dass die im Zusammenhang mit der Goldenen Horde vielfach zitierten, renommierten ‚Mongolen‘-Forscher Donald Ostrowski und Charles J. Halperin weder im deutsch- oder im englischsprachigen Wikipedia noch in den Online-Enzyklopädien des Brockhaus oder der Britannica Erwähnung finden. Halperin musste sich lange Zeit als Computerspezialist über Wasser halten, ehe er eine wenig prestigeträchtige Position als Gastdozent bekam. Dies lässt erkennen, dass die Erforschung der Goldenen Horde auch heute noch auf kein breites Interesse stößt. Dennoch ist der Blick auf die Ereignisse in der nördlichen Rus‘ heute differenzierter als noch vor 150 Jahren. Der ‚Wahrheit‘ wird man sich aufgrund der spärlichen zeitgenössischen Datenlage und der niedrigen Zahl an Übersetzungen der Chroniken wohl aber auch in Zukunft nur eingeschränkt nähern können.

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Abbildungen

Abb. 1: Die mongolischen Teilreiche nach 1260 Jackson, Peter: The Mongols and the Islamic World. From Conquest to Conversion. Yale University: New Haven, London 2017, S. 152.

Abb. 2: Die Goldene Horde unter Khan Uzbeg Atwood, Christopher P.: Encyclopedia of Mongolia and the Mongol Empire. Facts on File: Bloomington 2004, S. 204.

Abb. 3: Administrative Struktur der Goldenen Horde und Moskaus im 14. Jhdt Ostrowski, Donald: The Mongol Origins of Muscovite Political Institutions. In: Slavic Review 49 (1990), H. 4, S. 531.

137 Anhang

Moskauer Linie von Ivan Kalita bis Ivan IV.

Ivan Danilovich, Kalita * 1304, † 1340 Großfürst von 1325-1340

Ivan Ivanovich Maria Ivanova Ivan II. Ivanovich Evdokia Ivanova Simeon Ivanovich, der Andrei Ivanovich Daniel Ivanovich * nach 1450 † 1365 *1326, †1359 † 1342 Stolze * 1327, † 1353 * und † 1320 Fürst von Zvenigorod 1359- ꝏ 1335 mit Fürst Konstantin regierte 1353-1359 ꝏ Großfürst Vasily Davydovich * 1318, † 1353 Fürst von Serpukhov 1340- Großfürst 1340-1353 1364 von Rostov von Yaroslavl 1353

Vladimir Andreevich Dmitri Ivanovich, Donskoi Anna Ivanova ꝏ Fürst Dmitri * 1353 * 1350, †1389 Fürst von Serpukhov 1353- Großfürst 1359-1389 Mikhailovich von Volhynia 1410

Vasily I. Dmitrievich Sophia Dmitrievna Maria Dmitrievna Yuri Dmitrievich Peter Dmitrievich Andrei Dmitrievich Konstantin Dmitrievich * 1371 ꝏ mit 1387 Fürst Fedor † vor 1399 * 1374, † 1434 * 1385 † 1428 * 1382 * 1389, † 1433 Großfürst 1389-1425 Olgovich von Rjazan ꝏ 1394 mit Lugveny, Fürst von Galitsch und Zvenigorod Fürst von Dmitrov 1389 Fürst von Mozhaisk und Fürst von Ulgich um 1432 Großfürst von Litauen 1389, Großfürst von Moskau 1434 und Ulgitsch 1389-1405 Vereia 1389, Belzersk 1389-1432

Dmitri Yurievich Shemiaka Vasili Yurievich Kosoi Dmitri Yurievich the Fair * vor 1433, † 1453 * vor 1433, † 1448 * vor 1433, † 1441 Ivan Andreevich Mikhael Andreevich Fürst von Galitsch, Großfürst von Großfürst von Moskau 1434, Fürst Fürst von Galitsch * vor 1430, † zwischen * vor 1432, † 1486 Moskau 1446-1447 von Galich 1435 1471-1483 Fürst von Vereia 1454 Flucht nach Litauen

Yuri Vasilievich Ivan Vasilievich Vasili II Vasilievich Daniel Vasilievich Anastasia Vasilievna Anastasia Vasilievna Vasilisa Vasilievna * 1395, † 1400 * 1396, † 1417 * 1415, † 1462, Großfürst von Moskau * 1401, † 1402 † 1470 † 1470 ꝏ 1418 mit Fürst Alexander ꝏ 1417 mit Alexander, Fürst ꝏ 1417 mit Alexander, Fürst Ivanovich von Suzdal 1425-1433, Fürst von Kolomna 1433, Anna Vasilievich Großfürst von Moskau 1433-1446 von Kiev von Kiev † 1414 (1446 erblindet) und 1447-1462

Ivan III Vasilievich, der Große Andrei Vasilievich der Ältere Yuri Vasilievich der Jüngere Andrei Vasilievich Boris Vasilievich * 1440, † 1505 * 1446, † 1494 * 1441 * 1452, † * 1449, † Großfürst von 1462-1505 Fürst von Uglitsch und Zvenigorod Fürst von Dmitrov, Mozhaisk und Fürst von Vologda 1462-1481 Fürst von Volok und Ruza 1462-1494 1462-1472, Fürst von Mozhaisk 1481- Serpukhob 1462-1472 1491

Ivan Ivanovich, der Junge Vasili III. Ivanovich Simeon Vasilievich Anna Vasilievna * 1458, † 1490 * 1479, † 1533 * 1447, † 1449 * 1451, † 1501 Großfürst von Moskau 1505-1533 ꝏ Großfürst Vasily von Rjazan ꝏ Helena Glinskaja † 1538 (regierte 1533- 1535 stellvertretend für ihren Sohn Ivan)

Dmitri Ivanovich, der Enkel * 1483, † 1509 Großfürst von Moskau 1498-1502 Ivan IV. Vasilievich, der Schreckliche Yuri Vasilievich * 1530, † 1584 * 1532, † 1563 Großfürst von Moskau 1533-1547 Fürst von Urlitsch 1505-1533 Zar von Russland 1547-1584

138 Khane der Goldenen Horde

Dschötschi † 1227

Orda Batu Berke 1359 † 1255 1257-1267

Sartak Weiße Horde 1256-1257 Tokakhan

Ulagchi 1257

Tartu Möngke Timur Tuda Möngke 1267-1280 1280-1287

Tulabugha 1287-1290

Tokhta Toghrilcha 1291-1312

Uzbeg 1313-1341

Tinibeg Janibeg 1341-1342 1342-1357

Berdibeg 1357-1359

139 Großkhane des Mongolischen Reiches

I Tschinggis Khan † 1227

Dschötschi Tschagatai II Ögedei † 1227 † 1242 1229-1241 † 1233

Tschagatai Khan III Güyük 1287-1290

Batu

Goldene Horde

IV Möngke Khan V Kubilai Hülegü Arik-böke 1251-1259 1260-1294

Yüan Herrscher Ilkhanat 1342-1357

140