W ieden im W iederaufbau

Nach der Befreiung Österreichs stand auch Wien unter alliierter Besatzung. Der erste Bezirk war unter der Verwaltung aller vier Signatarmächte des späteren Staatsvertrags, die restlichen Bezirke teilten sich Amerikaner, Engländer, Franzosen und Russen auf, wobei letzteren auch die Wieden zufiel. Den russischen Soldaten war eine Gräuelpropaganda voraus geeilt, die die Wiener, und vor allem die Wienerinnen veranlasste, sich zuhauf in die westlicheren Bundesländer abzusetzen. Tatsächlich plünderten, verschleppten und vergewaltigten zahlreiche Mitglieder der Roten Armee die EinwohnerInnen der Stadt. Gleichzeitig war es der Besatzungsmacht aber auch ein Anliegen, das städtische, insbesondere das kulturelle Leben wieder in Gang zu bringen. Wien war in den Kriegsjahren eine Stadt der Frauen geworden – viele der Wiener Männer waren tot oder in Kriegsgefangenschaft. Von den Wiener Jüdinnen und Juden hatten nur circa 1.000-2.000 in der Stadt – oft im Untergrund – überlebt.

Am 27. April 1945 trat eine provisorische Staatsregierung mit Karl Renner als Staatskanzler zusammen und proklamierte die Wiedererrichtung der (Zweiten) Republik. Die Besatzung des Landes durch seine Befreier wurde bald als Last empfunden. Nicht mehr wahrgenommen wurde dabei, dass der Wiederaufbau ohne sie weit langsamer voran gegangen wäre. Nicht mehr geschätzt wurde, dass Österreich immerhin durch die Alliierten vom Nationalsozialismus befreit wurde: Die Integration der „alten Nazis” in das politische System der Zweiten Republik wollte man lieber ohne Kontrollore durchführen.

Operngasse 9 den Amerika-Häusern und dem von Treitlstraße 2 121 Ehemaliges Porrhaus den Amerikanern bespielten Kos- 122 Kunsthalle Wien mos-Theater in der Siebensterngasse Der 1930/31 von Fritz Judtmann und geplant. Auf fünf Stockwerken prä- Als die Gemeinde Wien 1992 die von Egon Riss entworfene Stahlbetonbau sentierte man Sozialismus sowjeti- Architekt Adolf Krischanitz entwor- wurde durch die Allgemeine Bauge- scher Prägung. Das Porrhaus verfügte fene Kunsthalle auf der Brache neben sellschaft A. Porr AG, die im Nachbar- über eine Bibliothek, Vortrags- und der "Autobahn" über den Karlsplatz gebäude Nr. 11 ihre Zentrale hatte, Veranstaltungsräume, sowie einen errichten ließ, ging ein Aufschrei als Kino oder durch die Stadt. Die gelbe Halle mit Theater nutz- ihren markanten hellblauen Zargen baren Mehr- störte das ästhetische Empfinden zwecksaal für vieler WienerInnen (die "G'stetten", 600 Personen. die der Platz vorher war, störte nur Neben einem Wenige), doch war sie ohnehin nur regelmäßi- als Provisorium bis zur Eröffnung der gen Film- Kunsthalle Wien im Museums Quartier programm (MQ) geplant. Doch weiß der gelernte präsentierte Wiener und auch die Wienerin, dass ab Dezem- sich Provisorien in Wien gut halten ber 1950 Kurt und auch großer Beliebtheit erfreuen. Sobotka mit Kaum war die Kunsthalle im MQ fer- seinem Jun- tiggestellt, begann man um den unge- gen Ensemble liebten Bau zu trauern. Die Kunsthalle Wo heute die Kunsthalle Wien steht, war unmittelbar nach Kriegsende ein regelmäßig am Karlsplatz hatte sich mit ihren po- Trümmerfeld. Foto Arnold Samuel. politisches pulären Ausstellungen zu einem Fix- Kabarett. Die punkt der Wiener Kunstszene entwi- errichtet und war im Besitz des Ge- Sendereihe Wie geht’s, wie steht’s mit ckelt und das luftige Kunsthallen-Café werkschaftsbundes der österreichischen Fritz Muliar und Marcel Bernard zu einem ebenso beliebten Fixpunkt Arbeiter und Angestellten. Als dieser als Conférenciers sowie Karl Paryla, des Wiener Nachtlebens. Etwas klei- nach dem im März 1938 Ernst Waldbrunn, Peter Alexander, ner dimensioniert schuf wieder Adolf verboten wurde, beschlagnahmte die Cissy Kraner und Hugo Wiener wur- Krischanitz 2002 den "project space" Deutschen Arbeitsfront das Gebäu- de im Porrhaus aufgenommen und der Kunsthalle am Karlsplatz, diesmal de, später wurde es auch als Laza- im Rahmen der Russischen Stunde im aber nicht knallig sondern edel aus rett genutzt und nach der Befreiung Radio gesendet. 1978 trat Falco bei Glas und Stahl. im September 1950 als Sowjetisches einer legendären Show der Wiener Informationszentrum eröffnet. Zusam- Anarcho-Punkband Drahdiwaberl un- Die Kunsthalle steht übrigens seit 2005 men mit dem Scala-Theater war es als ter über dreissig Akteuren auf der im Rosa-Mayreder-Park, auch wenn propagandistisches Gegengewicht zu Porrhaus-Bühne auf. dieser nicht wirklich als Park zu er-

8 6 W ieden im W iederaufbau

122 Tr Ehemaliges Porrhaus ei 121 tls t e r. e Re 123 l s121s i se eF lg z au K a s a n l r e m l s i an g p Kunsthalle Wien g n l 122 WSchl l a t Scha z e r n urhofe 124 t ü h l e r hS M g Bru cknerstr e n p c e P T c if h a ec e z ß ni h h m a g n R K ü r lgas e ik i O p t ü Ho e k r. s s r Schleichhandel . s s h t e t a keplat g s y r. 123 lg enst l p l g i o n ret u e a H R F f s a ran e d rga p g e a k H e A M n s g ß e u e r r be a e rg r m M ü h l g r l n . g e a d s t hü P e s i K g

Wien Museum r a ß e 124 l ße W r P a u l g t ß c h w i n d g S g. G u ß h a u a Kammer f. Arbeiter u. er a n

n r g t e n s n e r g .

a

r

runn e t b t W a m 127

Angestellte für Wien u o h l l e b e n a rP s

125 a g g W S chön g -

S r F r Ne

a r eur n ß e M o n z a r e

M t g e i

g e g d g g e

l engass u n

g ß ß tumm

G ro ß e ö g E

a Funkhaus aubs i

o r a T -

126 ien l r

F t z

R t

S c h ä f f e r

128 s

n

F n i

l n

e r z e

e

N e i t e t s P

ß la i 126 125

c h r

r g u sp g ra S

Scala Theater g m m . o c r i t t e t h h gnerstr 127 R a n Til v g l

s s sü l a

129 a

n Br A P l ö ß g

g pt F

u l

e r g l

ei G g t e Ha rs .

te r l

t o f g o l Gerhard Fritsch Mi r r h ß e e Da

128 a y ö M g ne nhauserg

tz m N dpla s t Möllwal blickpunkt K l ed e

g t h c e r b m a L u c h a g -

M o g Wi cS s g S Wiedner Hauptstraße 40 n g e . b a r se u b h e umgas R u ian m 130 b m u a l t her es g a T . W

g . Heinz Conrads s t e 129 f r o 131 u s s n g a P r e

r d e . ng e i b e h our sg l v e L g r e g B e e n g blickpunkt h-Pl. s a r o l i n e Elisabet K

St. m 132 e

g

om Rienößlgasse 15 ß . r Gr g . e linen

Karo M

n a

i a g f r -Starhembe

T r e g R a t e g

a p ß d o r o l

r u b n ö h c S s G

a

p t

r

e n t

Freie Bühne Wieden l g J o h a k

e

i

130 . s

t

r

V

i rg e

n n

r i -

G

n - o

S . i W e y r i n g e r g v

t t

ar u ß G- g B n

Semperithaus a ts

131 h c e l e

s g F

e i g S . r

Kolschitzkyg n g r . l l e i A t c h e es m a gr u S

Die StraSSenbahnlinie 13 g Pl. 132 i n l l e h e Südtiroler S c 133 k c e d a R 133 Ernst Marischka g kennen ist. Es wäre eine schöne Wür- In der letzten Kriegszeit und den dete sich ein großer Schleich- und digung der Wiener Frauenrechtlerin, ersten Jahren nach der Befreiung Schwarzmarkt aus, bei dem alles ge- würde die Kunsthalle die Adresse "Im waren die StädterInnen gezwungen gen alles getauscht wurde, zumeist Rosa-Mayreder-Park 1" führen. aufs Land zu fahren, um dort direkt jedoch Wertsachen gegen Lebens- von den Bauern Nahrung zu bekom- mittel: Zentrum des Schleichs, wie Karlsplatz, Resselpark men, denn in der Stadt gab es nichts er in Wien genannt wurde, war der 123 Schleichhandel mehr zu kaufen. Oft tauschten sie Karlsplatz, und dort wiederum das Wintermäntel Café Resselpark. und Schmuck gegen kleine Karlsplatz 8 Rationen bäuer- 124 Wien Museum licher Lebens- mittel, die sie Lange Zeit, bis zur Eröffnung des geheim in die Museumsquartiers (MQ) 2001, blieb Stadt bringen das 1959 eröffnete Historische Muse- mussten, da der um der Stadt Wien der einzige Muse- Schwarzhandel umsneubau der Zweiten Republik in streng verbo- Wien. Oswald Haerdtl, ein ehemaliger ten war (wenn Mitarbeiter von Josef Hoffmann und auch nach 1945 Architekt von Österreich-Pavillons weit weniger auf Weltausstellungen der 30er Jahre, streng als vor- entwarf den eleganten, funktionalen her). Auch in Bau und schuf damit eines der bedeu- Der „Schleich” am Karlsplatz der Stadt bil- tendsten Beispiele für die Architektur

8 7 W ieden im W iederaufbau

seinen Betrieb auf. Radio Wien sen- dete in der russischen, die Sende- gruppe Rot-Weiß-Rot in der amerika- nischen, die Sendegruppe Alpenland in der britischen, die Sendergruppe West in der französischen Zone. Le- gendär wurden – auch nach Ende der Besatzungszeit - viele Übertragun- gen aus dem "Großen Sendesaal" des Funkhauses, von Heinz Conrads, der jahrzehntelang jeden Sonntag Mor- gen sein Publikum vor den Radioap- paraten unterhielt, bis zu Dr. Kurt Ostbahn, dem modernen Nachfolger von Conrads mit sozialkritischem Anspruch. Heute kommen aus dem Funkhaus die erfolgreichen Radio- "Soziale Sicherheit ist die verlässlichste Grundlage der Demokratie", wird im Foyer der AK Wien einer der "Gründungsväter" der Sozialpartnerschaft Johann Böhm zitiert. Ergänzt mit einer künstlerischen Installati- programme des ORF, vom Kultursen- on von Gabriele Lenz und Anja Mönkemöller stellt die Arbeiterkammer das Gedenken an die Naziverbre- der Ö1, bis zum Regionalsender Radio chen am Ort der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" unter den Aspekt sozialer Gerechtigkeit. Wien, vom massentauglichen Ö3 bis zum jungen Sender FM4. seiner Zeit in Wien. Heute Wien Museum kein größeres Theater mehr verfüg- genannt, bietet es neben Wechselaus- te. Außerdem machte die AK Wien die Favoritenstraße 8 stellungen mit einer breiten Themen- Grünanlagen für die Öffentlichkeit 127 Scala Theater vielfalt auf drei Stockwerken einen zugänglich, der Anton-Benya-Park lädt Rundgang durch die Geschichte der in der an Grünraum armen Wieden Bis zur Schließung des Scala Theaters Stadt von der Jungsteinzeit bis in die zum Entspannen ein. 1956 wurde auf der Wieden Kalter Krieg Mitte des 20. Jahrhunderts. Es bleibt In der AK Wien Zentrale an der Prinz- gespielt. Unter sowjetischem Schutz zu hoffen, dass der Museumsbau auch Eugen-Straße, die 2008 generalsaniert etablierte sich die Scala als eines der nach der derzeit diskutierten Übersied- wurde, werden jährlich mehr als anspruchsvollsten Theater der Stadt, lung des Wien Museums in einen größe- 50.000 ArbeitnehmerInnen beraten, das mit einem am Volkstheater orien- ren eine adäquate kulturelle die historisch-sozialwissenschaftli- tierten Spielplan kritische und Stücke, Nutzung erfährt. che Bibliothek der AK stellt mehr als die man damals als links bezeichnete, 450.000 Werke ihren BenützerInnen auf die Bühne brachte. Nestroy und Prinz Eugen Straße kostenlos zur Verfügung. Aber die Raimund standen neben Klassikern 125 22-24 Arbeiterkammer ist nicht nur die ge- von Grillparzer, Shakespeare oder Mo- Kammer für Arbeiter und setzliche Vertretung aller Arbeitneh- lière und Russen wie Gorki und Tsche- Angestellte für Wien merInnen sondern auch ein Macht- chow auf dem Spielplan. Heute ein faktor in der österreichischen Politik. Klassiker der österreichischen Drama- Die Kammer für Arbeiter und Angestellte Als Teil der Sozialpartnerschaft (zur tik wollte man 1948 nicht die Verkör- für Wien erwarb 1950 und 1954 nach WKÖ siehe Punkt 131) setzt sich die perung des Nazi-Opportunisten, den erfolgter Restitution an Clarice und Arbeiterkammer für die Rechte der Bockerer sehen, auch wenn Publikums- Louis Rothschild die Liegenschaften ArbeitnehmerInnen ein und widmet liebling Fritz Imhoff (siehe Seite 95) der zerstörten Rothschildpalais in der sich sozialen Fragen. die Titelrolle spielte. Die Scala hatte Theresianumgasse (Punkt 41) und der ein großartiges Ensemble, Karl Paryla Prinz-Eugen-Straße (Punkt 118). Letz- Argentinierstraße und Otto Taussig oder Therese Giehse teres wurde am 15. Jänner 1955 ge- 126 30-30a / Funkhaus zählten zu diesem. Dass auch plumpe sprengt. Es war der Tag, an dem Louis Propagandastücke auf dem Spielplan Rothschild seinem Wunsch entspre- Obwohl bereits in der Zeit des Aus- standen, erregte die Kritiker weniger chend in der Familiengruft auf dem trofaschismus zwischen 1935-1938 als der Erfolg, den die Inszenierun- Wiener Zentralfriedhof beigesetzt nach Plänen von Clemens Holzmeis- gen der Stücke des "Kommunisten" wurde - trotz aller Demütigungen, ter, Heinrich Schmid und Hermann hatten. Auf der Wieden die er in Wien hatte erfahren müs- Aichinger errichtet, wurde das neue gelang es den "Brecht-Hassern" Fried- sen. Die AK Wien errichtete auf dem Sendegebäude der 1924 gegründe- rich Torberg und Hans Weigel vorerst Grundstück in der Theresianumgasse ten Radio-Verkehrs-AG RAVAG erst nicht, Aufführungen von Brechts Mut- ihr Bildungszentrum und leistet mit nach dem "Anschluss" als Reichs- ter Courage und ihre Kinder oder Galileo dem Theater Akzent einen Beitrag zur sender Wien eröffnet. Bald nach der Galilei zu verhindern. Als die Russen kulturellen Vielfalt der Wieden, die Befreiung Wiens, am 29. April 1945, aber abzogen und auch die KPÖ das bis zu dessen Errichtung 1989 über nahm der Österreichische Rundfunk Theater nicht mehr weiter finanzie-

8 8 W ieden im W iederaufbau

ren wollte, siegte die konservative auch von sozialdemokratischer Seite blickpunkt Wiedner Hauptstraße 40 / Espresso Naber unterstützte Wiener Kulturelite. Das Ein Designjuwel aus den 1950er Jahren ist das 1958 eröffnete Espresso Theater, das wegen seiner niedrigen Naber auf der Wiedner Hauptstraße. Eintrittpreise vor allem bei ärmeren BesucherInnen beliebt war, musste 1956 schließen. Wenige Jahre später wurde das intakte Theater abgerissen, um dringend benötigten Wohnungen Platz zu machen, deren Bau dann doch erst eineinhalb Jahrzehnte später er- folgte.

Wiedner Hauptstraße 40 128 Gerhard Fritsch

Bis vor wenigen Jahren war Gerhard Fritsch nur LiebhaberInnen der ös- terreichischen Nachkriegsliteratur bekannt, obwohl er zu deren bedeu- tendsten Persönlichkeiten zählt. Die von ihm herausgegebenen Zeitschrif- ten wie Literatur und Kritik und Wort in der Zeit waren ein Sprungbrett für zahlreiche AutorInnen. Nach ersten rischen Erfolg. Sein zweiter Roman ner österreichischen Kleinstadt als geachteten Gedichtbänden schaffte Fasching wurde aber von der Kritik Dienstmädchen verkleidet überleb- er mit seinem Roman Moos in den Stei- mehrheitlich negativ aufgenommen: te, rettete durch seinen persönlichen nen, der 1956 erschien, einen litera- Ein Wehrmachtsdeserteur, der in ei- Einsatz die Stadt vor der Zerstörung

das Neue verdrängt hier das Traditionelle auf der Suche nach einem ganz bestimmten Das FreihausViertel nicht. Obwohl ein Paradebeispiel für Stadtent- Produkt sind oder beim Flanieren und Gus- ANZEIGE wicklung, hat sich das Freihausviertel seinen N.Y. hat den Meatpacking District, tieren kurz dem Alltag entfliehen möchten – London hat Hoxton, “dorfähnlichen” Charakter bewahrt. Auf Schritt im FreihausViertel sind Sie immer bestens Paris hat den Canal St.Martin. und Tritt läßt sich das kulturelle Erbe von aufgehoben. Die zeitgenössische Kunstszene Wiens ältester Vorstadt spüren: Gebäude, mit zahlreichen Galerien und Künstlern, die Und Wien hat das FreihausViertel – Straßen und Menschen – sie alle erzählen hier ihre Heimat gefunden haben, verleiht eine urbane Trendmeile davon. Nicht zuletzt wurde hier einst – im al- dem FreihausViertel sein typisches “Bohemi- von internationalem Zuschnitt. ten Freihaustheater – am 30.September 1791 en-Flair” , gepaart mit dem traditionellen Wie- Mozarts Zauberflöte uraufgeführt. ner Charme. Mit dem “Schikaneder” findet Ein Zeitungsbericht 1998 im Kurier “Das Ster- sich Wiens ältestes Kino (seit 1906) ebenso ben der Schleifmühlgasse” bedeutete den Auf historischen Grund findet sich heute ein im Freihausviertel wie das “Dritte Mann Mu- “Kick off” für das FreihausViertel. Tatsäch- beachtlicher Mix aus internationaler Gast- seum” und österreichs erstes Designhotel lich war zu diesem Zeitpunkt jedes zweite ronomie, Möbel, Antiquitäten, Blumenläden “Das Triest”. Geschäftslokal im Bereich Schleifmühlgasse, und eine Vielzahl von einzigartigen Spezial- Vergessen Sie Montmarte, Soho und Berlin- Operngasse, Margaretenstraße leerstehend. geschäften. Fashionistas flanieren zwischen Mitte. Entdecken Sie das FreihausViertel ! Der Initiative einiger Geschäftsleute ist es zu Top-Designer-Boutiquen und dem wohl danken, daß durch Veranstaltungen, wie das besten Vintage-Mode-Shop weltweit. Ein Essen & trinken, heute bereits legendäre FreihausViertel- Eldorado für anspruchsvolle Kunden, die das Kunst & Kultur, FEST, wieder neues Leben ins Grätzel ein- Besondere suchen und auf individuellen Ein- Mode & Lifestyle…..und vieles mehr…… zog. Rund um die Schleifmühlgasse hat sich kauf Wert legen. Gerade in einer Zeit, in der Ein zauberhaftes in den letzten Jahren eine beeindruckende unpersönliche Einkaufszentren – “Shopping Grätzel Reihe von Adressen etabliert, die es jederzeit Malls” – weltweit die Städte vereinnahmen, zum Shoppen – spielend mit all den hochgelobten In-Vierteln ist es wichtig Akzente zu setzen. Für Stil, Ausgehen – dieser Welt – von Notting Hill bis zur Lower Qualität und individuelle Beratung. Einkaufen und Verlieben. East Side – aufnehmen können. Heute gibt als Balsam für die Seele. Mit dem dazuge- es kein freies Geschäftslokal in der Gegend hörigen Lebensgefühl von Unbeschwertheit und auch der Wohnungsmarkt boomt – vor und Umwornbensein als wesentlicher Be- allem beim jungen, urbanen Klientel. Jedoch standteil des Kauferlebnisses. Egal, ob Sie

8 9 W ieden im W iederaufbau

durch die gegnerische Armee. Doch aus Oper, Operette, Film und TV, da- anstatt ihrem Retter zu danken, re- zwischen ein paar Lieder der meist blickpunkt agieren die EinwohnerInnen der leichten Muse oder ein Wiener Lied Rienößlgasse 15 Stadt mit Ablehnung und Aggression. vom Gastgeber selbst dar- Sie degradieren ihn zur Faschings- geboten - Fernsehunter- prinzessin. Diesen demaskierenden haltung der gediegenen Blick auf die noch junge Nazivergan- Art. Die leicht bekömm- genheit und den Umgang mit der liche Kost, von Heinz Beteiligung an den Verbrechen der Conrads serviert, war 30 Nationalsozialisten wollte man in Jahre lang beim Publikum den 1960er Jahren in Österreich nicht erfolgreich. Übertroffen lesen. Erst durch den Einsatz des hatte sich Conrads nur Schriftstellers Robert Menasse wurde mit seiner sonntäglichen Fritschs Roman wiederentdeckt. Nur Radiosendung, die erst- 45-Jährig starb Fritsch wahrschein- mals 1947 ausgestrahlt lich an den Folgen eines autoeroti- wurde: Aus dem großen schen Unfalls. Sendesaal des Funkhauses Wie auf vielen Häusern auf der Wie- Wien: 'Was gibt es Neues?' den erinnert auch auf dem späte- Rienößlgasse 15 ren Wohnhaus von Heinz Conrads 129 Heinz Conrads Wiedner Hauptstraße 60b eine Tafel an die Zerstörungen des 130 Freie Bühne Wieden Krieges und den Wiederaufbau. Irgendwann in den 1960er Jahren: Samstag früher Abend, die Familie Der barocke Charakter der aus der um den Schwarzweiß-Fernseher ver- zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts te, Furore gemacht. Auch als Theater- sammelt, auf Sendung Heinz Conrads: stammenden Villa Wiesenthal hat prinzipalin blieb sie gesellschaftskri- Küss' die Hand die Damen, guten Abend sich bis heute erhalten. Schon in der tischen Themen treu und engagierte die Herren, grüß' Euch die Madln, servas Zwischenkriegszeit hatten sich hier sich gegen den verlogenen Umgang die Buam! Über Jahrzehnte eröffne- die Räume der SP-Bezirksorganisati- der WienerInnen mit ihrer Naziver- te der Schauspieler und Wienerlied- on Wieden befunden, seit 1976 nutzte gangenheit, gegen Frauenfeindlich- Interpret Conrads seine halbstündige die Schauspielerin und Chansonette keit und Fremdenhass. In der Silves- Sendung mit dieser selten variier- Topsy Küppers den Festsaal für ihre ternacht 2000 übernahm der Autor ten Eröffnungsfloskel, um sich dann Freie Bühne Wieden. Gemeinsam mit und Regisseur Gerald Szyszkowitz die an sein Publikum zu wenden, nach ihrem damaligen Mann, dem Kaba- Geschicke der Freien Bühne Wieden, um dem werten Befinden zu fragen und rettisten Georg Kreisler, hatte sie mit sie ausschließlich mit Uraufführun- im Falle von Krankheit Genesung zu der Revue Heute Abend: Lola Blau, die gen junger AutorInnen zu program- wünschen. Plaudereien - heute wür- sich mit dem kulturellen Klima im mieren. Ein Konzept, das seine Nach- de man Talk sagen - mit mehr oder Wien der Zwischenkriegszeit und des folgerin Michaela Ehrenstein ab 2010 minder bekannten Persönlichkeiten Nationalsozialismus auseinandersetz- fortsetzte. ANZEIGE 800 JAHRE WIEDEN sind erst der Anfang – mit vollem Einsatz für den Bezirk!

GR Kurt Wagner Die Wieden blüht auf. Wieden BV Leo Plasch 800 Jahre Wieden sind erst der Anfang - mit vollem Einsatz für den Bezirk! 9 0

Die Wieden blüht auf. SPÖ Wieden (Logo) W ieden im W iederaufbau

Wiedner gerettet, um schließlich doch filetiert Marischka mit seinen drei Sissi-Fil- 131 Hauptstraße 63 zu werden. Die einst so erfolgreiche men, die Romy Schneider zum Star Semperithaus Reifenproduktion wurde an Conti- machten. Die vermeintliche gute alte nental verkauft. 1981 zog die Bundeswirtschaftskam- mer in den leerstehenden Büroturm. Als Antipodin zur ArbeitnehmerInnen- Vertretung, der AK (siehe Punkt 125), ist die Bun- deswirtschaftskammer Teil der von Manchen als Nebenregierung bezeichne- ten Sozialpartnerschaft, die lange Zeit als Garan- tin des sozialen Friedens in Österreich galt. In der österreichischen Politik betreibt die Wirtschafts- kammer Lobbying für eine unternehmerfreundliche Gestaltung der Steuer-, Arbeits- und Sozialgeset-

Der Semperitturm - ein Monument für die neue Zeit ze. Nach einem Umbau zeigt sich das Haus heute in einem moderneren Kleid. Zeit der Habsburgermonarchie wur- Der mächtige Turm des Reifenkon- de zum idealen Fluchtpunkt jener zerns Semperit kündete von einer Blechturmgasse 10 ÖsterreicherInnen, die die Schre- neuen Zeit. Jahrhundertelang stand 133 Ernst Marischka cken und Verbrechen der Nazizeit hier ein Adelspalais (siehe Punkte 16, schnellstmöglich unter den Teppich 35 und 80), nun die Konzernzentra- Es gibt kaum einen Regisseur, der kehren wollten. Das offizielle Öster- le eines Betriebs, der für den wirt- das Österreichbild der Nachkriegs- reich sah sich als "erstes Opfer" des schaftlichen Aufschwung und die zeit nachhaltiger prägte als Ernst nationalsozialistischen Terrors, erst Internationalisierung nach der Debatte um die der österreichischen Kriegsvergangenheit des Wirtschaft Beispiel Bundespräsidentschafts- war. Auch der Archi- kandidaten Kurt Wald- tekt des Turms Georg heim 1986 begann eine Lippert (hier zusam- kritische Öffentlichkeit men mit Otto Mayr) sich mit der österreichi- stand für diese neue schen Beteiligung an in Zeit und hinterließ der Nazizeit verübten zahlreiche architek- Verbrechen auseinander- tonische Spuren in zusetzen. Marischka, als Wien und auf der Meister der leichten Mu- Wieden, wo auch das se, hatte seine Karriere Winterthur-Haus ne- als Drehbuchautor und ben der Karlskirche Regisseur schon in der seine Schöpfung war. Stummfilmzeit begon- Semperit wurde aber nen und sich dabei schon bald auch ein Beispiel Ecke Wiedner Hauptstraße/ früh auf typisch wiene- für die Strukturprob- 132 Johann-Strauß-Gasse rische Stoffe (Operette, leme großer Teile der Die StraSSenbahnlinie 13 Schrammeln, Habsbur- österreichischen Wirt- Vermutlich aufgrund einer defekten Luftdruckbremse stieß am 19. Oktober 1956 ein ger) spezialisiert, seine Zug der Badner Bahn mit einem damals noch als Tramway verkehrenden Zug der Linie schaft. Nur mit Hilfe 13 zusammen. Der Fahrer des 13-er hatte an der Station Lambrechtgasse/Wiedner größten Erfolge verbuch- des Staates konnte Hauptstraße noch zahlreiche Fahrgäste aussteigen lassen, bevor er die Kreuzung te er aber mit seinen Richtung Johann-Strauß-Gasse überqueren wollte. In diesem Moment rammte der der Konzern nach der ungebremste Zug der Badner Bahn den Beiwagen der Straßenbahn, stieß ihn um und heute zu Kultfilmen ge- Ölkrise von 1973 un- hob den Triebwagen aus den Geleisen. Dreizehn Verletzte waren die Folge. wordenen Sissi-Filmen. ter großen Verlusten

9 1