Freitag, 24. Juli 2020 5

Hallo, neues Winterthur

Sommerserie Neuhegi-Grüze Vor gut zehn Jahren wurde Neuhegi zum künftigen zweiten Stadtzentrum erklärt. Was ist davon schon zu sehen? Eine Bestandesaufnahme in einem Stadtteil, wo es mehr Kräne als Beizen gibt.

Michael Graf bauliche Entwicklung einsetzen wird, daran habe ich nicht den Im Amerika der Pionierzeit zogen geringsten Zweifel. Dieser Ort die Goldgräber und Siedler nach wird derart gut erschlossen Westen.Winterthur hat einenWil- sein.» Inzwischen sprechen die den Osten. Im Spickel Richtung Stadtplaner nicht mehr von der Eulachtal, eingeklemmt zwischen «bipolaren », sondern von den Bahnlinien nach einem «urbanen Rückgrat», einer dynamischen Zone, die sich vom Rieter-Areal in Töss bis zum Neuhegi Technorama erstreckt. Die Idee eines starken zweiten Zentrums Sommerserie in Neuhegi sei damit aber nicht vom Tisch, sagt Zollinger. Dieses sei ein zentrales Element im und St. Gallen, liegt das Gebiet, wo Rückgrat. Politiker, Stadtplaner und eine grosse Baufirma die Zukunft von Die kritische Grösse Winterthur sehen. Hier baute einst Doch was braucht es, damit aus Sulzer seinen zweiten Standort, einem Quartier ein urbanes Zen- weil das Land billig war. Nachdem trum werden kann, das sich auch die Grossgiesserei 1993 schloss, so anfühlt? «Es braucht nebst passierte erst lange nichts und einer Mischnutzung auch eine kri- dann plötzlich sehr viel. Seit 2009 tische Grösse», sagt Zollinger. Die- heisst das Gebiet, das man Sulzer- se ist im Bau: Derzeit sind in Neu- park nannte, Neuhegi. Der Name Wohnungen für weitere sollte einen Aufbruch signalisie- knapp 1700 Neuhegemer projek- ren: Alles neu im alten Sulzerpark. tiert oder in Entstehung, in der Hier sollte Grosses entstehen. Beton, Glas und Holz: Blick auf die Baustelle von «Kim». Links im Bild der frühere Europasitz von DMG Mori, daneben die Holzhäuser Grüze hat es gemäss Gestaltungs- Der Stadtrat und seine Planer prä- Sue & Til (hellblau) und Giesserei (rot). Foto: Enzo Lopardo plan Raum für etwa 1500 neue sentierten die Idee der «bipolaren Einwohner. «Wir können als Stadt Stadt», mit einem neuen, zweiten nicht beschliessen, hier ist jetzt Stadtzentrum Neuhegi-Grüze, grundbesitzerin: die Baufirma über weitgehend tot, ein Arbeits- le Kim direkt vor der S-Bahn- Das macht 30 Stellen hier, 50 da. ein Zentrum», sagt Zollinger. «Wir doppelt so gross wie die Altstadt Implenia. Sie hatte im gleichen platzgebiet nach 18.30 Uhr.» Haltestelle Hegi, die bisher im Hunderte oder gar Tausende sind können nur günstige Vorausset- und das Sulzer-Areal Stadtmitte Jahr für 83 Millionen Franken die Von einem pulsierenden Zen- grünen Feld stand, werden zu- es trotz der grossen Flächen noch zungen schaffen.» Ein Glücksfall zusammen. Platz für 4000 Ein- Sulzer Immobilien AG mit ihren trum ist in Neuhegi noch wenig erst nur die Wohnblocks für etwa nicht. Das sei nicht weiter über- seien Projekte wie das Mehrgene- wohner und 5000 bis 10'000 neue 230'000 Quadratmetern Land im zu spüren. Östlich der Seener- 800 Bewohner gebaut, die Ge- raschend, sagt Zollinger. «Es war rationenhaus Giesserei, dessen Arbeitsplätze. Was ist, rund zehn Sulzer-Areal Stadtmitte und strasse dominieren die Wohn- werbebauten auf der gleichen eine bewusste Entscheidung, Genossenschafterinnen und Ge- Jahre später, aus diesen Ideen ge- übernommen blocks. Coole Cafés, Bars, Bou- Parzelle folgen später. Und das dass wir hier weiterhin auch In- nossenschafter sehrvernetzt und worden? In diesem und weiteren und baute entlang der Sulzer-Al- tiquen, Kultur, das gibt es hier nur private Pflegezentrum Vivale für dustriebetriebe halten und an- aktiv seien und diverse Kulturan- Artikeln unserer Sommerserie ge- lee die mächtigen Blockrandbau- in Ansätzen. Das liegt auch an 120 Bewohner ist auch fast fer- siedeln möchten.» Im gleichen gebote oder den Wochenmarkt in hen wir der Frage nach, wo Neu- ten Liz, Max, Roy und Sue & Til Fehlern bei der Planung privater tig – es zählt als Gewerbe. Gebäudevolumen einer einstö- der Halle 710 angerissen haben. hegi schon ein Zentrum ist und mit Hunderten von Wohnungen. Bauvorhaben. «Nichts ist weni- Wo sind sie, die erhofften ckigen Fabrikhalle könnte man «Ich sage immer: Wenn wir in wo noch eine Brache. Oder ande- «So eine Baudichte kennen ger urban als Erdgeschosswoh- 5000 bis 9000 neuen Arbeits- auch fünf Büroetagen mit einem Neuhegi drei oder vier Giesserei- res gefragt: Wo lebt Winterthurs wir in Winterthur ausserhalb des nungen mit Gartensitzplatz ent- plätze? Im Gleisdreieck zwischen Vielfachen an Mitarbeitenden er- en hätten, würden wir ganz an- Wilder Osten – und wo schläft er? Stadtzentrums nirgends», sagt lang der Hauptachse Sulzerallee», dem Bahnhof Grüze und der See- stellen. Diese dichten Büroflä- ders über die Entwicklung dieses Fritz Zollinger. Der Leiter ad in- sagt Zollinger. «All diese grossen nerstrasse ist weiterhin die In- chen sollen sich aber weniger Quartiers reden», sagt Zollinger. Stadt zieht die Notbremse terim der Fachstelle Stadtent- Wohnbauprojekte wurden aller- dustrie zu Hause, mit Zimmer hier, sondern primär um die Mit der grossen Freikirche GvC Eins ist unübersehbar, der Bau- wicklung gilt bis heute als «Mis- dings schon vor der Planungs- Biomet, Burckhardt Compressi- Bahnhöfe Hegi und Grüze kon- und der Quellenhofstiftung exis- boom geht ungebrochen weiter. ter Neuhegi». Als Gesamtprojekt- zone aufgegleist», sagt er. Nun on, Stadler und anderen. Einzel- zentrieren. Beim Letzterem gibt tiert unweit des Eulachparks ein Das war vor zehn Jahren ähnlich. leiter der Planungszone war es sind sie bezogen. Etwa 2000 Per- ne dieser Firmen, meist frühere es einen pfannenfertigen Gestal- weiterer eingeschworener Clus- Um nicht überrollt zu werden, be- damals seine Mission, die städ- sonen wohnen in Neuhegi aktu- Sulzer-Abteilungen, sind ge- tungsplan mit einem 80-Meter- ter. Sie haben ihr grosses Baupro- antragte Winterthur beim Kanton tebauliche Notbremse zu ziehen. ell. Die wenigsten arbeiten hier. wachsen und bauen aus. Die und einem 60-Meter-Hochhaus. jekt, das im August bezogen wird, 2010 ein seltenes Rechtsmittel, Winterthur sollte Zeit bekom- Schiffsmotoren-Entwickler von Grüze, der heute wohl schä- «Townvillage» getauft, Stadtdorf. die sogenannte Planungszone: men, eine eigene Vision zu prä- Wo sind die Arbeitsplätze? Winterthur Gas und Diesel bau- bigste Bahnhof der Stadt, soll Vielleicht ist das vorderhand eine Auf 100 Hektaren durften die 54 sentieren, wie der neue Stadtteil Die Bauten, bei denen die Stadt en eine Halle für einen zweiten bald der zweitwichtigste werden. realistischere Beschreibung die- privaten Grundbesitzer während daherkommen soll. Für Zollinger ein Wörtchen mitredete, werden Versuchsmotor, Stadler braucht Dann nämlich,wenn die Busbrü- ses jungen Stadtteils, dem die vier Jahren nur noch Projekte pla- ist bis heute klar: «Für ein leben- erst hochgezogen. Sie verlangte eine neue Halle, um mehr Dreh- cke gebaut ist. «Bevor das nicht zugeschriebene Rolle als Zent- nen, die im Einklang mit den diges Zentrumsgebiet braucht es gemischte Nutzung. Doch auch gestelle für Züge zu fertigen, und passiert, wird die Entwicklung rum noch mehrere Nummern zu städtischen Zielen standen. Be- zwingend eine Mischnutzung. hier entstehen erst mal nur Bet- oberhalb der Seemerstrasse ent- hier nicht zünden», sagt Zol- gross scheint. Aber da kann er ja troffen war auch eine Gross- Ein reines Wohngebiet ist tags- ten. Auf der gewaltigen Baustel- steht ein Grossrechenzentrum. linger. «Aber dass dann hier die noch hineinwachsen. Braucht Hegi einen eigenen Stadtkreis? Gemeinderat Weil Neuhegi stark wächst und die Hegemer sich nicht nach Oberwinterthur orientieren, schlägt Gemeinderat Andreas Geering (CVP) einen eigenen Stadtkreis Hegi vor.

Dass Neuhegi stark wächst, ist «Viele Hegemer häuser, einen Turnverein und so der fehlenden Sekundarschulen unbestritten. Allein in der Über- weiter.» Auch die Verkehrsver- Vorgeschlagener Stadtkreis Hegi wohl weiterhin zu Oberwinter- bauung «Kim», die derzeit ent- identifizieren bindungen in Hegi, Hegifeld und thur zählen. Das Gleiche gilt für 1 2 3 steht, ist Platz für etwa 800 neue Neuhegi führten direkt ins Zen- Der neue Kreis soll die Quartiere Hegi, , Grüze und die reformierte Kirche, die in eventuell 4 zusammenfassen Einwohner. Und das Potenzial sich nicht mit trum und nicht etwa nach Ober- Hegi gar kein Gotteshaus hat. für weiteres Wachstum ist gross. Oberwinterthur.» winterthur. Doch fühlen sich die alten Hege- Gemeinderat Andreas Geering mer und ihre neuen Nachbarn Ändern würde wenig (CVP), der selbst in Hegi wohnt, Neuer in Neuhegi wirklich schon als findet darum: Es ist Zeit, über Andreas Geering Die Totalrevision der Gemeinde- Kreis 2 Kreis Einheit? «Zusehends ja», findet Ober- Hegi einen eigenen Stadtkreis Hegi Gemeinderat (CVP) ordnung sei die perfekte Gele- winterthur Geering. «Anlässe wie die Ad- Kreis 5 nachzudenken. Gemeinsam mit genheit, diese Frage zu prüfen, Velt- ventsfenster sind längst gebiets- Kreis 6 heim 2 Unterzeichnenden von SP bis findet Geering. Doch was würde Wülflingen 1 übergreifend.» SVP hat er beim Stadtrat ange- ein Stadtkreis überhaupt än- Die Initianten würden dem Kreis 1 3 fragt, ob dieser sich das vorstel- dern? Nicht viel, gibt Geering zu. Stadt neuen Stadtkreis die Quartiere len könnte. Vorbild ist Matten- «Es dient in erster Linie der Hegi und Hegmatten zurechnen, Kreis 4 Kreis 7 4 bach, das in den Siebzigerjahren Identifikation.» Eine Bedeutung Töss Matten- wohl auch Hegi. Ein Grenzfall ist Kreis 3 bach zum eigenen Stadtkreis wurde. Das liege einerseits daran, dass als Verwaltungseinheiten haben Ricketwil, das ebenfalls zu Ober- Bisher gehören die Quartiere sie durch die Bahngleise geo- die Stadtkreise kaum noch – mit winterthur zählt, aber eigentlich Hegi und Hegmatten zum Kreis grafisch getrennt seien. «Ande- Ausnahme der Wahlbüros, die wenig Berührungspunkte mit Oberwinterthur. Mit Oberi iden- rerseits gibt es hier auch Ein- Stimmen auszählen. Was die Hegi hat. tifizierten sich viele Hegemer kaufsmöglichkeiten wie Migros Schule betrifft, würde der Kreis aber gar nicht, stellt Geering fest. und Coop, eigene Primarschul- Hegi aufgrund seiner Grösse und Grafik: db Michael Graf