Deutsche aus dem Osten

Zuwanderung und Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern im Vergleich

Von: Tobias Korte

Hardenbergstr. 22

49479 Ibbenbüren-Laggenbeck II

Inhalt

Vorwort ...... IV

1. Einführung ...... 1

1.1. Thema und Fragestellung...... 1

1.2. Stand der Forschung ...... 20

1.3. Aufbau der Arbeit ...... 32

2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern...... 36

2.1. Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit ...... 36

2.2. Aussiedler-/Spätaussiedlerzuwanderung und- zuwanderungspolitik ...... 46

2.3. Fazit: Vertriebenen- und Aussiedler-/Spätaussiedlerzuwanderung im Spannungsfeld von Zweitem Weltkrieg, Ost-West-Gegensatz und dem Ende des kalten Krieges...... 69

3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern...... 74

3.1. Unterbringung und Wohnsituation nach der Ankunft ...... 74

3.2. Staatliche Maßnahmen zur Förderung der wohnräumlichen Eingliederung...... 89

3.3. Die Veränderung der Wohnsituation im Eingliederungsprozess: Vertriebene und Aussiedler/Spätaussiedler als Mieter und Wohnungs- bzw. Hauseigentümer...... 104

3.4. Fazit: Die wohnräumliche Eingliederung von Deutschen aus dem Osten zwischen staatlicher Aufgabe und individuellem Migrationsrisiko...... 124

III

4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spät- aussiedlern in den Arbeitsmarkt ...... 135

4.1. Ökonomische Rahmenbedingungen: Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland in der Nachkriegszeit und im ausgehenden 20. Jahrhundert...... 136

4.2. Das sozioökonomische Profil von Vertriebenen und Aussied- lern/Spätaussiedlern ...... 159

4.3. Staatliche Maßnahmen zur Förderung der Eingliederung in den Arbeitsmarkt ...... 179

4.4. Die regionale Mobilität von Vertriebenen und Aussiedlern/Spät- aussiedlern ...... 187

4.5. Verlauf und Charakteristika der Arbeitsmarkteingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern ...... 207

4.6. Fazit: Die migrationsbedingten Auswirkungen auf die Erwerbs- biografien von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern...... 239

5. Schlussbetrachtung und Ausblick ...... 249

6. Anhang...... 280

6.1. Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder ...... 280

6.2. Abkürzungsverzeichnis...... 282

6.3. Literaturverzeichnis ...... 283 IV

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung einer Dissertation gleichen Titels, die im Wintersemester 2005/06 vom Fachbereich Kultur- und Geowissenschaften der Universität Osnabrück angenommen wurde. Ich möchte an dieser Stelle all denen meinen Dank aussprechen, die mir zunächst als Stu- dent und später als Doktorand mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben.

Hier sind zuallererst zu nennen die beiden Gutachter meiner Dissertation, Herr Apl. Prof. Dr. Jochen Oltmer und Herr Prof. Dr. Klaus J. Bade. Während Letzt- genannter die Arbeit angeregt und in ihrer Frühphase begleitet hat, übernahm schließlich Herr Oltmer, bedingt durch mehrere längere auswärtige For- schungsaufenthalte von Herrn Bade, die weitere Betreuung und begleitete die Arbeit bis zu ihrem Abschluss. Die Hilfe und die Unterstützung, die ich von Herrn Oltmer und Herrn Bade während meiner Zeit an der Universität Osna- brück erhielt, reichte weit über den rein fachlichen Rahmen hinaus. Ohne sie hätte ich sicherlich nicht manche schwierige Herausforderung, der ich mich während meines Studiums und der Phase der Promotion gegenübergestellt sah, bewältigen können. Hierfür gebührt ihnen mein herzlicher Dank.

Mein besonderer Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie studentischen Hilfskräften der Abteilung Neueste Geschichte bzw. des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück, namentlich Ingrid Sambeth, Jutta Tiemeyer, Sigrid Pusch, Simone Herzig, M.A., Christian Westerhoff, M.A., Gregor Jentzsch sowie Dennis Hei- nert.

Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für die großzügige Gewährung eines Stipendiums im Rahmen der Graduiertenförde- rung, welches es mir ermöglichte, mich voll und ganz auf die Bearbeitung mei- ner Dissertation zu konzentrieren und diese im vorgesehenen Zeitrahmen abzu- schließen.

Ibbenbüren, im Oktober 2005 Tobias Korte

1

1. Einführung

1.1. Thema und Fragestellung

Zuwanderung und Eingliederung haben die politische, wirtschaftliche, demo- graphische, soziale und kulturelle Entwicklung im westlichen Nachkriegs- deutschland und in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Ende des Zwei- ten Weltkriegs in unterschiedlicher Form entscheidend geprägt und nachhaltig verändert1. Deutschland wandelte sich seit 1945 von einem ehemals ‚klassi- schen‘ Auswanderungsland in ein Zuwanderungsland2. So alltäglich wie die großen Auswanderungsprozesse, vor allem des 19. Jahrhunderts, wurden schließlich auch die Einwanderungsprozesse und das Leben in einer sich stets wandelnden Eingliederungssituation.

Die größeren Migrationsbewegungen und die sich daran anschließenden Ein- gliederungsprozesse lassen sich wie folgt unterscheiden:

1. Zuwanderung und Eingliederung von Deutschen: Hier sind an erster Stelle die Flüchtlinge und Vertriebenen der Nachkriegszeit zu nennen3. Ihnen folgte die bis zum Mauerbau 1961 starke Zuwanderung von

1 Vgl. zum Beispiel Jan Motte / Rainer Ohliger / Anne von Oswald (Hrsg.): 50 Jahre Bundesrepublik – 50 Jahre Einwanderung. Nachkriegs- geschichte als Migrationsgeschichte. Frankfurt/M. 1999 sowie Rainer Münz / Wolfgang Seifert / Ralf Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland: Strukturen, Wirkungen, Perspektiven. Frankfurt/M., New York 21999. Für die Begriffe ‚Vertriebener‘, ‚Flüchtling‘, ‚Migrant‘ usw. wird im Hinblick auf bessere Lesbarkeit fortan im allgemeinen die männliche Form verwendet, die jedoch Frauen mit einschließt. Bezieht sich eine Aussage ausschließlich auf Frauen oder Männer, wird dies durch eine jeweils differenziertere Formulierung deutlich.

2 Vgl. Klaus J. Bade: Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland. Deutschland 1880-1980. Berlin 1983 und ders.: Homo migrans. Wande- rungen aus und nach Deutschland. Erfahrungen und Fragen. Essen 1994.

3 Vgl. Rainer Schulze / Doris von der Brelie-Lewien / Helga Grebing (Hrsg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsge- schichte. Bilanzierung der Forschung und Perspektiven für die künftige Forschungsarbeit. Hildesheim 1987 (Veröffentlichungen der Historischen Kommissionen für Niedersachsen und , Reihe XXXVIII, Bd. 4) und Wolfgang Benz (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen. Frankfurt/M. 1995. 1. Einführung 2

‚echten‘ Flüchtlingen bzw. ‚Übersiedlern‘ aus der DDR4, welche im Zuge der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 neu belebt wurde. Die dritte Gruppe in diesem Zusammenhang ist die der Aussiedler (seit 1993 Spätaussiedler), die seit 1950 in die Bundesrepublik kommen und deren Zuwandererzahlen ebenfalls gegen Ende der 1980er Jahre stark anstiegen5.

2. Zuwanderung und Eingliederung von Ausländern: Auf die seit Mitte der 1950er Jahre als Folge staatlicher Anwerbeverfahren einsetzende Zuwanderung von Arbeitsmigranten und ihren Familien und der damit verbundenen Entwicklung der ‚Gastarbeiterfrage‘ zu einem echten Einwanderungsphänomen6 folgte die seit Beginn der 1980er Jahre zeitweise stark angestiegene Zuwanderung von Asylsuchenden und an- deren ausländischen Flüchtlingen7. In den 1990er Jahren kamen noch weitere Gruppen von Ausländern hinzu, wie zum Beispiel die jüdischen Kontingentflüchtlinge aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion8 oder neue Arbeitsmigranten auf der Basis der ‚Green-Card‘-Regelung9.

4 Vgl. Helge Heidemeyer: Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945-1961. Düsseldorf 1994 und Volker Ackermann: Der ‚echte‘ Flüchtling. Deutsche Vertriebene und Flüchtlinge aus der DDR 1945- 1961. Osnabrück 1995 (Studien zur Historischen Migrationsforschung, Bd. 1).

5 Vgl. Klaus J. Bade / Jochen Oltmer (Hrsg.): Aussiedler: deutsche Ein- wanderer aus Osteuropa. Osnabrück 1999 (IMIS-Schriften, Bd. 8) und Rainer K. Silbereisen / Ernst-Dieter Lantermann / Eva Schmitt- Rodermund (Hrsg.): Aussiedler in Deutschland: Akkulturation von Per- sönlichkeit und Verhalten. Opladen 1999.

6 Vgl. Klaus J. Bade: Einheimische Ausländer: Gastarbeiter – Dauergäste – Einwanderer. In: Ders. (Hrsg.). Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München 31993, S. 393-401.

7 Vgl. Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 53 ff.

8 Vgl. Klaus J. Bade: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München 2000, S. 419 ff.

9 Vgl. Uwe Hunger / Holger Kolb (Hrsg.): Themenheft: Die deutsche ‚Green Card‘. Migration von Hochqualifizierten in theoretischer und em- pirischer Perspektive. Osnabrück 2003 (IMIS-Beiträge 22). 1. Einführung 3

In dieser Arbeit wird es darum gehen, die Eingliederung der beiden großen Wanderungsbewegungen von Deutschen aus Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa und ihre Folgen vergleichend zu untersuchen. Dabei handelt es sich zum einen um die aus dem Zweiten Weltkrieg resultierende Zwangsmigration der Ver- triebenen und zum anderen um die starke Zuwanderung der Aussiedler/Spät- aussiedler ab 1988, die sich zum damaligen Zeitpunkt in „seit der Nachkriegs- zeit nicht mehr erlebten Dimensionen“10 vollzog.

Die vorliegende Arbeit gilt der Frage, ob und in welchem Umfang bei Vertrie- benen und Aussiedlern/Spätaussiedlern und damit bei zwei Gruppen von Zu- wanderern, deren Geschichte durch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und deren Folgen eng miteinander verknüpft ist und die im Vergleich zu anderen Migranten im Hinblick auf die ihnen gewährten Eingliederungsleistungen deutlich privilegiert waren, deren Zuwanderung sich aber zu unterschiedlichen Zeiten vollzog, nämlich einmal am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit und einmal im ausgehenden 20. Jahrhundert, vergleichbare Eingliederungsprozesse zu beobachten sind. Die konkrete Frage- stellung lautet: Gibt es Unterschiede in den Eingliederungsprozessen von Ver- triebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern, und wenn es Unterschiede gibt, wie gestalten sie sich und woraus resultieren sie?

Der Untersuchungszeitraum konzentriert sich dabei hauptsächlich auf die er- sten zehn bis fünfzehn Jahre nach Beginn der Zuwanderung beider Gruppen in den Westen, bei den Vertriebenen also bis etwa zum Ende der 1950er Jahre, für die Aussiedler wurde als Ende des Untersuchungszeitraums das Jahr 2000 ge- wählt. Dieser Zeitraum von etwa anderthalb Jahrzehnten wurde ausgesucht, da über die ab 1988 zugewanderten Aussiedler zum jetzigen Zeitpunkt, im Unter- schied zu den Vertriebenen, noch keine Ergebnisse herangezogen werden kön- nen, die den Eingliederungsverlauf über einen Zeitraum von mehreren Jahr- zehnten widerspiegeln. Derartige Ergebnisse liegen jedoch, wie erwähnt, für die Vertriebenen vor, und trotz der Konzentration auf einen Zeitraum von zehn

10 Klaus J. Bade: Einwanderung und Eingliederung in Deutschland: Entwick- lungslinien und Probleme. In: Ders. / Ilan S. Troen (Hrsg.): Zuwanderung und Eingliederung von Deutschen und Juden aus der früheren Sowjetunion in Deutschland und Israel. Bonn 1993, S. 18-25, hier S. 20. 1. Einführung 4 bis fünfzehn Jahren nach der Ankunft im Westen erfolgt bei dieser Gruppe auch ein Ausblick auf entsprechende Langzeitergebnisse, um aus den histori- schen Erfahrungen bei der Eingliederung der Vertriebenen eine gewisse Pro- gnosekraft für den weiteren Verlauf der Aussiedlereingliederung gewinnen zu können11. Denn, um es mit Klaus J. Bade zu formulieren, „aktuelle Migra- tionsprozesse kann besser beurteilen, wer abgeschlossene – mithin historische – überblickt und die Entwicklungslinien kennt, an deren Ende die Probleme der Gegenwart stehen.“12

Bevor näher auf die Frage eingegangen werden soll, warum vor dem Hinter- grund der eingangs erwähnten verschiedenen Zuwanderergruppen gerade Ver- triebene und Aussiedler für einen Eingliederungsvergleich ausgewählt wurden, ist es notwendig, sich zunächst dem Begriff der ‚Eingliederung‘ zuzuwenden, der in dieser Arbeit von zentraler Bedeutung ist. Hierzu soll nicht zuletzt auf Literatur zurückgegriffen werden, die sich mit der Eingliederung von Vertrie- benen und Aussiedlern beschäftigt, da auch dort der Eingliederungsbegriff breiter diskutiert und durchaus differenziert angewendet wird.

Ganz allgemein bezeichnet ‚Eingliederung‘ bzw. auch der oftmals alternativ verwendete Begriff ‚Integration‘ den Zustand oder den Prozeß der Aufnahme von Zuwanderern in ein bestehendes soziales und kulturelles System, das sich vom Herkunftssystem der Zuwanderer soziokulturell unterscheidet. Dabei fal- len die Antworten auf Fragen, wie sich zum Beispiel das ‚Gelingen‘ von Ein- gliederung festmachen läßt, wem sie gelingen muß bzw. wer dafür verantwort- lich ist – die Zuwanderer oder die Aufnahmegesellschaft oder beide Seiten – nicht nur in der politischen Diskussion höchst unterschiedlich aus. Auch in der Wissenschaft gibt es keine einheitliche Begriffsdefinition. So finden sich so- zialstrukturelle Ansätze, die Eingliederung als Verwirklichung der ‚klassischen

11 Vgl. Paul Lüttinger: Integration der Vertriebenen. Eine empirische Ana- lyse. Frankfurt/M., New York 1989, S. 16. Er betont dort: „Soziale Pro- bleme kehren oft und unvermutet wieder, und die Soziologie tut gut dar- an, wie Lepsius es formuliert, sich an alte Probleme und Lösungsversu- che zu erinnern, denn eben diese erhalten zuweilen wieder Aktualität und können sogar Prognosekraft gewinnen.“

12 Bade: Europa in Bewegung, S. 11. 1. Einführung 5

Trias‘ Kommerzium, Kommensalität und Konnubium13 begreifen ebenso wie personenorientierte Betrachtungen, die Eingliederung als einen Prozeß be- zeichnen, der zu einem Zustand von Verhaltensstabilität und Rollensicherheit führt. Integration ist demnach erreicht, wenn der Zuwanderer sich in der neuen Umgebung geborgen fühlt und sich im persönlichen Gleichgewicht befindet14. Eingliederung wird also oftmals abhängig vom theoretischen Hintergrund auf unterschiedlichen Ebenen gemessen (etwa beruflich, wohnräumlich, sozial, kulturell, mental, politisch), und es werden unterschiedliche Indikatoren für eine erfolgreiche Eingliederung angesetzt.

Die verschiedenen Definitionen des Eingliederungsbegriffs widersprechen ein- ander nicht, vielmehr gehen sie, je nach Forschungsinteresse, von einem unter- schiedlichen Anspruchs- und Zeithorizont aus. Unabhängig von Ansatz und Fragestellung lassen sich in der Literatur aber auch übereinstimmende Aspekte feststellen:

Eingliederung wird zunehmend als ein „Sozialprozeß auf Gegenseitigkeit“15 gesehen, bei dem sich nicht nur die Lebensgewohnheiten und Einstellungen der Zuwanderer verändern, sondern der auch, was in der Forschung lange Zeit nicht berücksichtigt wurde, verändernd auf die Aufnahmegesellschaft einwirkt.

Eingliederung umfaßt grundsätzlich alle Bereiche des gesellschaftlichen Le- bens. „Integration encompasses all areas of everyday life and aims at providing migrants with equal opportunities to access economic, social, political, and

13 Vgl. zum Beispiel Marion Frantzioch: Die Vertriebenen: Hemmnisse, Antriebskräfte und Wege ihrer Integration in die Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1987 (Schriften zur Kultursoziologie, Bd. 9), S. 17.

14 Vgl. zum Beispiel Kurt Horstmann: Sozialwissenschaftliche Standard- terminologie für die Erforschung des Flüchtlingsproblems. In: AWR- Bulletin 24 (1986), S. 19-30, hier S. 24 f.

15 Klaus J. Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung und ‚Flüchtlings- integration‘. In: Schulze/Brelie-Lewien/Grebing (Hrsg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, S. 126-162, hier S. 156. 1. Einführung 6 cultural resources in their new host-society.“16 Ferner hat Eingliederung eine zeitliche Dimension. Es ist immer wieder deutlich geworden, daß Eingliede- rung in den meisten Fällen einen Prozeß über Generationen hinweg darstellt. Dabei kann die Dauer des Aufenthaltes den Integrationsprozeß allerdings nicht erklären, und es ist nicht gesichert, ob Eingliederungsprobleme im zeitlichen Vorlauf gelöst werden17. Des weiteren wird Eingliederung häufig als phasen- hafter Ablauf beschrieben, beginnend von der existentiellen Grundsicherung bis zur ‚inneren Eingliederung‘. Diese Phasen bauen allerdings nicht zwingend in chronologischer Reihenfolge aufeinander auf18.

Nach diesem kurzen Überblick über den Begriff der ‚Eingliederung‘ soll im folgenden näher auf die beiden Zuwanderergruppen, die in dieser Arbeit im Mittelpunkt des Interesses stehen, also Vertriebene und Aussiedler/Spätaus- siedler, eingegangen werden:

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs lebten in den Ostgebieten des Deut- schen Reiches und in den deutschen Siedlungsgebieten jenseits der Grenzen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa rund 18 Millionen Reichsdeutsche und so- genannte ‚Volksdeutsche‘19. Etwa 14 Millionen von ihnen, der weitaus über-

16 Andreas Heinrich: The integration of ethnic from the Soviet Union. In: David Rock / Stefan Wolff (Hrsg.): Coming home to Ger- many? The integration of ethnic Germans from central and eastern europe in the Federal Republic. New York, Oxford 2002, S. 77-86, hier S. 77.

17 Vgl. Barbara Dietz / Peter Hilkes: Integriert oder isoliert? Zur Situation rußlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. Mün- chen 1994 (Geschichte und Staat, Bd. 299), S. 16.

18 Vgl. Barbara Koller: In einem andern Land. Die soziale und berufliche Integration von Aussiedlern in Deutschland. In: Materialien aus der Ar- beitsmarkt- und Berufsforschung 2/1995, S. 3-14, hier S. 6.

19 Der Begriff ‚Volksdeutsche‘ wird hier klassifikatorisch im Sinne ‚ethni- scher Deutscher‘ (im Gegensatz zu deutscher Staatsbürger) verwendet, um damit die Bevölkerung außerhalb des deutschen Staatsgebietes zu kennzeichnen, die sich zwar über Sprache, Kultur oder Abstammung zur deutschen Nation zählte, die aber nicht über die deutsche Staatsangehö- rigkeit verfügte. Seit den 1920er Jahren erfuhr der Begriff ‚Volksdeut- scher‘ eine ideologische Aufladung, die bei der Verwendung des Wortes ausdrücklich nicht impliziert werden soll. 1. Einführung 7 wiegende Teil also, flüchtete in der Endphase des Krieges in Richtung Westen oder wurde nach Kriegsende vertrieben bzw. deportiert. Bis 1950 – nach dem Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen – hatten knapp 12,5 Mil- lionen Flüchtlinge und Vertriebene in den beiden neu entstandenen deutschen Staaten Aufnahme gefunden, davon allein knapp acht Millionen in der Bundes- republik20. Ihre Eingliederung war angesichts der großen materiellen, aber auch immateriellen Kriegsfolgeschäden eine der größten gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen für die junge Bundesrepublik.

In den ersten Nachkriegsjahren galt für die Opfer von Flucht und Vertreibung offiziell und inoffiziell zunächst nur der Begriff ‚Flüchtlinge‘. Erst mit dem Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) vom Mai 1953 wurde der Begriff ‚Vertriebene‘ einheitlich für diejenigen Personengruppen festgelegt, die vor Ende des Zweiten Weltkriegs nach Westen flüchteten bzw. unmittelbar nach der deutschen Kapitulation und in den ersten Nachkriegsjahren vertrieben wurden21. Die juristisch korrekte Definition lautet: „Vertriebener ist, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger seinen Wohnsitz in den ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in den Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Gebietsstande vom 31. Dezember 1937 hatte und diesen im Zusammenhang mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs infolge Vertreibung, insbesondere

20 Auf die DDR entfielen 4,065 Millionen und auf Österreich etwa 400.000 Vertriebene, vgl. Marion Frantzioch-Immenkeppel: Die Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland. Flucht, Vertreibung, Aufnahme und Integration. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 28 (1996), S. 3-13, hier S. 5. Etwa zwei Millionen Menschen kamen im Zusammenhang von Flucht und Vertreibung ums Leben, vgl. betrifft: Eingliederung der Ver- triebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. Bundesministerium des Innern. Bonn 1982, S. 18.

21 Vgl. hierzu etwa Hellmut Körner: Der Zustrom von Arbeitskräften in die Bundesrepublik Deutschland 1950-1972: Auswirkungen auf die Funkti- onsweise des Arbeitsmarktes. Frankfurt/M., München 1976, S. 119 ff. sowie Siegfried Bethlehem: Heimatvertreibung, DDR-Flucht, Gastarbei- terzuwanderung: Wanderungsströme und Wanderungspolitik in der Bun- desrepublik Deutschland. Stuttgart 1982, S. 21 ff. 1. Einführung 8 durch Ausweisung und Flucht, verloren hat.“22 In Anlehnung an diese Defini- tion und im Sinne dieser Arbeit wird im folgenden nur noch der Begriff ‚Ver- triebene‘ verwendet23.

Die Zuwanderung der Vertriebenen endete rechtlich gesehen 1950; diese Ost- West-Bewegung brach damit aber keineswegs ab: Die Bundesrepublik schuf in den 1950er Jahren die rechtlichen Rahmenbedingungen, um den in den nun ehemaligen deutschen Reichsgebieten und in den deutschen Siedlungsgebieten verbliebenen schätzungsweise vier Millionen Reichsdeutschen und ‚Volksdeut- schen‘ und ihren Nachkommen als ‚Aussiedler‘ die erleichterte und damit (im

22 Zit. nach Hannelore Oberpenning: Zuwanderung, Integration und kom- munale Gesellschaft in historischer Perspektive. In: Jochen Oltmer (Hrsg.): Migrationsforschung und Interkulturelle Studien: Zehn Jahre IMIS. Osnabrück 2001 (IMIS-Schriften, Bd. 11), S. 261-286, hier S. 262, Anm. 2. Der Vertriebenenstatus wurde im übrigen auf die Nachgebore- nen übertragen, so daß mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Zeit- punkt der Vertreibung die Zahl derjenigen zunahm, die diese Ereignisse nicht mehr als persönliches Schicksal erlebten. So waren zum Beispiel 1974 31,4 % der Vertriebenen nach 1949 geboren, vgl. Paul Lüttinger: Der Mythos der schnellen Integration. Eine empirische Untersuchung zur Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland bis 1971. In: Zeitschrift für Soziologie 15 (1986), S. 20-36, hier S. 22.

23 Allerdings werden sowohl im allgemeinen, aber zum Teil auch im wis- senschaftlichen Sprachgebrauch beide Begriffe, nämlich sowohl ‚Flücht- linge‘ als auch ‚Vertriebene‘, synonym verwendet. Gemäß BVFG bezieht sich der Begriff ‚Flüchtling‘ aber allein auf die Flüchtlinge aus der ‚So- wjetzone‘ bzw. der DDR. Als ein solcher wurde definiert, wer als deut- scher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger seinen Wohn- sitz in der SBZ oder im sowjetischen Sektor von Berlin hatte oder gehabt hatte und von dort flüchten mußte, um sich einer von ihm nicht zu ver- tretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen. „Das BVFG verwandelte also die ‚echten‘ Flüchtlinge der Nachkriegszeit in ‚Vertriebene‘ und die bislang diesen nachgeordneten oder aus der Gesetzgebung gerade ausgeklammerten Per- sonen in ‚echte‘ politische Flüchtlinge“, vgl. Ackermann: Der ‚echte‘ Flüchtling, S. 74 f. Zu den Begriffen ‚Flüchtlinge‘ und ‚Vertriebene‘ so- wie deren Wandlungen sowohl im allgemeinen als auch im amtlichen Sprachgebrauch vgl. auch Karin Böke: Flüchtlinge und Vertriebene zwi- schen dem Recht auf die alte Heimat und der Eingliederung in die neue Heimat. Leitvokabeln der Flüchtlingspolitik. In: Dies.: Politische Leitvo- kabeln in der Adenauer-Ära. Berlin, New York 1996, S. 131-210, hier S. 148 ff. 1. Einführung 9

Gegensatz zu anderen Migranten) privilegierte Zuwanderung zu ermöglichen. Als Aussiedler gelten deutsche Staatsangehörige oder deutsche Volkszugehöri- ge, die vor dem 8. Mai 1945 einen Wohnsitz in den ehemaligen deutschen Ost- gebieten bzw. den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten hatten und diesen nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen verließen24.

Die Aussiedler erhielten aber nicht nur die Möglichkeit der privilegierten Zu- wanderung in die Bundesrepublik Deutschland; privilegiert wurden sie, genau wie die Vertriebenen, auch und nicht zuletzt im Hinblick auf ihre Eingliede- rung. Vertriebene und Aussiedler wurden zunächst aufgrund ethnonationaler Traditionen im deutschen Nations- und Staatsbürgerschaftsrecht25 sofort bzw. unter erleichterten Bedingungen eingebürgert. Abgesehen davon, daß die Ein- bürgerung und damit die staatsbürgerliche Gleichstellung mit der einheimi- schen Bevölkerung im Rahmen des Eingliederungsprozesses von Migranten ein formal wichtiger Schritt ist, leiteten sich daraus zahlreiche Rechtsfolgen ab, die über jene von Wohnbürgern ausländischer Staatsangehörigkeit hinausge- hen. Hierzu gehören zum Beispiel soziale Sicherheit und Bildung sowie das Recht auf politische Teilnahme26. Neben einem erleichterten Zugang zu sozi- alstaatlichen Leistungen erhielten Vertriebene und Aussiedler aber vor allem zahlreiche spezielle materielle Eingliederungshilfen. Mehrere Gesetze, die die

24 Vgl. Oberpenning: Zuwanderung, Integration und kommunale Gesell- schaft, S. 262, Anm. 2. Obschon der Begriff ‚Aussiedler‘ am 1.1.1993 im Rahmen des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes (KfbG) durch ‚Spätaus- siedler‘ ersetzt wurde, wird im folgenden, gemäß dem allgemeinen Trend in Wissenschaft und Öffentlichkeit, nur noch der Begriff Aussiedler ver- wendet, es sei denn, es soll sich explizit auf ‚Aussiedler‘ bzw. ‚Spätaus- siedler‘ bezogen werden.

25 Vgl. hierzu im Überblick Dieter Gosewinkel: Einbürgern und Ausschlie- ßen: Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland. Göttingen 2001 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 150) sowie Klaus J. Bade: Immigration, naturalization, and ethno-cultural traditions in Germany. From the Citi- zenship Law of 1913 to the Law of 1999. In: Larry Eugene Jones (Hrsg.): Crossing boundaries. The exclusion and inclusion of minorities in Ger- many and the United States. New York, Oxford 2001, S. 29-49.

26 Vgl. im Überblick Astrid Wallrabenstein: Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit. Baden-Baden 1999, S. 21 ff. 1. Einführung 10 den Aussiedlern zustehende Eingliederungsleistungen regelten, knüpften direkt an vergleichbare Eingliederungsleistungen für die Vertriebenen der Nach- kriegszeit an. Im Vergleich zu anderen Zuwanderergruppen in der Bundesre- publik (zum Beispiel Arbeitsmigranten und Asylbewerber) waren bzw. sind Vertriebene und Aussiedler deutlich privilegiert.

Im Gegensatz zu den Vertriebenen verlief die Zuwanderung und Eingliederung der Aussiedler über viele Jahrzehnte unspektakulär und dementsprechend wei- testgehend abseits des öffentlichen Interesses. Ihre Migration in die Bundesre- publik hing während des Kalten Krieges in erster Linie von den diplomatischen und politischen Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks ab27. Von 1950 bis 1987 reisten pro Jahr durchschnittlich etwa 37.000, insgesamt ca. 1,4 Millionen Aussiedler in das Bundesgebiet ein28. Als sich der Eiserne Vorhang als Folge von ‚Glasnost‘ und ‚Perestroika‘ öffnete, die administrativen Reisebeschrän- kungen in Ostmittel- und Osteuropa aufgehoben wurden und somit Ende der 1980er Jahre auch die Migrationsbarrieren für Aussiedler verschwanden, stie- gen die Zuwanderungszahlen jedoch rasch an. So wurden 1988 bereits knapp 200.000 Aussiedler gezählt, im darauffolgenden Jahr waren es 377.055. Den absoluten Höhepunkt in der Aussiedlerzuwanderung bildete das Jahr 1990, als fast 400.000 (397.073) Menschen in die Bundesrepublik kamen. Aufgrund er- ster gesetzlicher Beschränkungen des Aussiedlerzuzuges seitens des Bundes gingen die Zuwanderungen ab 1991 zwar zurück, sie blieben aber bis 1995 mit jährlich weit über 200.000 auf einem hohen Niveau. Seither sanken die Zahlen Jahr für Jahr stetig und deutlich ab (1996: 177.751, 2000: 95.615), lagen im Jahresdurchschnitt aber immer noch um ein Vielfaches höher als in der Zeit von 1950 bis 1987. Insgesamt kamen von 1988 bis 1993 knapp 1,6 Millionen Aussiedler, von 1994 bis 2000 noch einmal ca. 1,1 Millionen, in der Summe also nahezu 2,7 Millionen.

27 Vgl. Rainer Münz / Ralf Ulrich: Changing patterns of immigration to Germany, 1945-1995. Ethnic origins, demographic structure, future pros- pects. In: Klaus J. Bade / Myron Weiner (Hrsg.): Migration Past, Migra- tion Future. Germany and the United States. Providence, Oxford 1997, S. 65-119, hier S. 69 f.

28 Vgl. Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 30. 1. Einführung 11

Der Beginn der Massenzuwanderung von Aussiedlern Ende der 1980er Jahre rief bei vielen Deutschen Erinnerungen an die bis dahin größte Ost-West- Wanderung in der (Vor-)Geschichte der Bundesrepublik, nämlich die Zuwan- derung der Vertriebenen, hervor29. Erneut kam es in einem kurzen Zeitraum zu einer starken, bald die Millionengrenze überschreitenden Einwanderung von Deutschen aus Osteuropa – wenn auch die Zuwanderung der Aussiedler die der Vertriebenen in absoluten Zahlen nicht erreichte. Die Aussiedler kamen zum Teil wiederum aus den ehemaligen Vertreibungsgebieten (insbesondere Polen und Rumänien), zum Teil aber auch, wie die Rußlanddeutschen, aus Regionen, in die sie während des Zweiten Weltkriegs deportiert worden waren (Kasach- stan, Kirgisien usw.). Erinnerungen an die Nachkriegszeit wurden sicherlich auch dadurch geweckt, daß 1989/90 eine neben den Aussiedlern zweite große Migrationsbewegung in der Bundesrepublik eintraf, nämlich erneut die von Deutschen aus der DDR (‚Übersiedler‘). Im Unterschied zu denen, die die SBZ/DDR von 1945 bis 1961 in großer Zahl verließen, kamen die Übersiedler nun allerdings nicht mehr im Vorfeld der sich vor dem Hintergrund des Kalten Krieges manifestierenden deutschen Teilung, sondern, unter nachgerade umge- kehrten politischen Vorzeichen, im Zuge des deutsch-deutschen Vereinigungs- prozesses. Festzuhalten bleibt daher auch, daß sich Zuwanderung und Einglie- derung sowohl der Vertriebenen als auch der Aussiedler in Zeiten massiver politischer und gesellschaftlicher Umbrüche vollzog.

Der starke Anstieg der Aussiedlerzahlen ab 1988 weckte aber nicht nur Erinne- rungen an die Zuwanderung der Vertriebenen, sondern auch an deren Einglie- derung. Sogleich waren Vergleiche mit diesem vermeintlich schnell und erfolg- reich verlaufenen Eingliederungsprozeß zur Hand30, der auch für die bevorste- hende Eingliederung der Aussiedler prognostiziert wurde. „Es kann […] er-

29 Vgl. Hans-Werner Rautenberg: Die Wahrnehmung von Flucht und Ver- treibung in der deutschen Nachkriegsgeschichte bis heute. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 53 (1997), S. 34-46, hier S. 41.

30 Vgl. etwa Norbert Walter: Keine Gefahr für den Arbeitsmarkt durch Aus- und Übersiedler. In: Info-Dienst Deutsche Aussiedler 8 (1989), S. 7-11, hier S. 11 und Klaus Leciejewski: Zur wirtschaftlichen Eingliederung der Aussiedler. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 3 (1990), S. 52-62, hier S. 52. 1. Einführung 12 wartet werden, daß die Aussiedler sogar in nennenswert kürzerer Zeit als die Vertriebenen in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland integriert werden.“31 Oder auch anders ausgedrückt: Was im wirtschaftlich zerrütteten und verarmten Nachkriegsdeutschland möglich war, müsse doch in der nun reichen Bundesrepublik um so leichter gelingen.

Die negativen Erfahrungen der Vertriebeneneingliederung, die mitnichten eine reine ‚success story‘ war, sondern von Rückschlägen, Brüchen und für Zuwan- derer und Einheimische schmerzhaften Erfahrungen geprägt wurde, wurden dabei rückblickend jedoch oftmals vergessen oder verdrängt. Und die Erfah- rungen der 1990er Jahre sollten dann zeigen, daß die optimistischen Aussagen zur Aussiedlereingliederung offensichtlich verfrüht waren. Trotz staatsbürger- licher Gleichstellung und, wenn auch im Verlauf der 1990er Jahre reduzierter, aber immer noch erheblicher Eingliederungshilfen, die ihnen weiterhin den Status der „most privileged immigration group in Germany“32 sicherten, wur- de schnell deutlich, daß sich die Eingliederung der Aussiedler keineswegs so schnell und erfolgreich gestaltete, wie ursprünglich vorausgesagt, sondern daß sie in der Tat ebenfalls zu einer großen Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik avancierte und bis heute geblieben ist.

Sowohl in der Vertriebenen- als auch in der Aussiedlerforschung ist eine starke Konzentration auf nur eine Zuwanderergruppe zu beobachten. Trotz vielfälti- ger Zusammenhänge und Überschneidungen dieser komplexen Zuwanderungs- prozesse fehlt es bisher an größeren Vergleichen zwischen Vertriebenen und Aussiedlern ebenso wie an Vergleichen zwischen diesen Gruppen und anderen Migranten. So stellen dann auch Silbereisen/Lantermann/Schmitt-Rodermund in bezug auf die Aussiedlerforschung zu Recht fest: „Die vergangene For- schung in Deutschland hat Aussiedler eher als singuläres Phänomen betrachtet

31 Paul Rauch: Die berufliche Eingliederung der Vertriebenen. In: Marion Frantzioch / Odo Ratza / Günter Reichert (Hrsg.): 40 Jahre Arbeit für Deutschland – die Vertriebenen und Flüchtlinge. Frankfurt/M., Berlin 1990, S. 116-127, hier S. 122.

32 Barbara Dietz: German and Jewish migrations from the former Soviet Union to Germany: background, trends and implications. In: Journal of Ethnic and Migration Studies 26 (2000), S. 635-652, hier S. 643. 1. Einführung 13 und sich dabei der Möglichkeit entledigt, durch systematische Vergleiche mit anderen Immigranten innerhalb wie außerhalb des Landes spezifische von ge- nerellen Zügen der Akkulturation und Adaption auseinanderzuhalten.“33 An- stelle einer Parzellierung der Migrationsgeschichte(n) sind also integrierte An- sätze notwendig, die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Zusammenhänge unterschiedlicher Eingliederungsprozesse deutlich machen34.

Die vorliegende Studie zur Migration und Eingliederung von privilegierten Zuwanderern, die zu unterschiedlichen Zeiten nach Westdeutschland bzw. in die Bundesrepublik kamen, wurde in ihrer Konzeption stark angeregt durch eine sehr kontroverse Diskussion in der amerikanischen Migrationsforschung in den 1990er Jahren. Hierbei ging es vor allem um die Frage nach der Ver- gleichbarkeit zwischen der starken neuen Zuwanderung in die USA seit Mitte der 1960er Jahre mit der Einwanderung aus Süd- und Osteuropa zwischen 1880 und 1920, die ähnliche Dimensionen hatte, und wie Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei der Eingliederung dieser Migrationsbewegungen zu er-

33 Rainer K. Silbereisen / Ernst-Dieter Lantermann / Eva Schmitt-Roder- mund: Akkulturation von Aussiedlern: Viel gelernt – noch mehr zu tun. In: Silbereisen/Lantermann/Schmitt-Rodermund (Hrsg.): Aussiedler in Deutschland, S. 367-381, hier S. 377. Ähnlich argumentieren auch Wil- fried Heller / Hans-Joachim Bürkner / Hans-Jürgen Hofmann: Migration, Segregation und Integration von Aussiedlern. Ursachen, Zusammenhän- ge und Probleme. In: Hartmut Heller (Hrsg.): Neue Heimat Deutschland: Aspekte der Zuwanderung, Akkulturation und emotionalen Bindung. Er- langen 2002 (Erlanger Forschungen: Reihe A, Geisteswissenschaften; Bd. 95), S. 79-108, hier S. 105. Für die Vertriebenenforschung betonen Hoffmann/Krauss/ Schwartz, daß diese sich bereits von einer isolierten Perspektive nur auf das Vertreibungsgeschehen gelöst habe und stattdes- sen auch die breitere Vorgeschichte, insbesondere in den Jahren des Zweiten Weltkriegs von 1939 an, auf die Lage der späteren Vertriebenen einbeziehe. „In entsprechender Weise weist die Folgegeschichte der Vertreibung, der Integrationsprozeß der Vertriebenen, weitreichende Analogien zu sonstigen, auf Migrationen folgenden Integrationsprozes- sen auf, daß auf den Nutzen einer vergleichenden Perspektive ebenfalls nicht verzichtet werden sollte“, vgl. Dierk Hoffmann / Marita Krauss / Michael Schwartz: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Vertriebene in Deutsch- land. Interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven. München 2000 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernr.), S. 9-25, hier S. 9 f.

34 Vgl. Oberpenning: Zuwanderung, Integration und kommunale Gesell- schaft, S. 267. 1. Einführung 14 klären sind35. Letztlich wurden drei Faktoren angeführt, die beim Vergleich der gegenwärtigen Eingliederung mit den Erfahrungen der Vergangenheit be- sonders zu berücksichtigen seien: 1) Das Profil der Migranten (vor allem in soziokultureller und -ökonomischer Hinsicht); 2) die Kommunikation zwischen Herkunfts- und Zielgesellschaft (als Resultat verbesserter Reise- und Kommu- nikationsmittel) und 3) die Struktur des Arbeitsmarktes der Aufnahmegesell- schaft (hier insbesondere der Wandel von einer Industrie- in eine post- industrielle Dienstleistungsgesellschaft). Gleichsam als Zusammenfassung die- ser Debatte entstand die bemerkenswerte Arbeit ‚From Ellis Island to JFK‘ von Nancy Foner, in der sie die beiden großen Migrationswellen in die Stadt New York (von 1880 bis 1920 und von 1965 ff.) vergleichend untersuchte36. Diese Studie läßt sich durchaus als eine Pionierstudie im Hinblick auf einen Ver- gleich von Migranten, die zu unterschiedlichen Zeiten zuwanderten, betrachten und lieferte auch für die vorliegende Arbeit wertvolle Anregungen.

Die Kontroverse über die Vergleichbarkeit von Zuwanderungs- und Eingliede- rungsprozessen in unterschiedlichen historischen Situationen hatte in Europa zunächst keine bemerkenswerte Resonanz gefunden. Erst in jüngster Zeit wird verstärkt nach der Übertragbarkeit zentraler Forschungsansätze und -fragen der amerikanischen Diskussion um die Eingliederung von ‚alten‘ und ‚neuen‘ Mi- granten auf die europäische Situation gefragt37. Leo Lucassen gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, daß, neben den drei genannten Faktoren bezüg-

35 Vgl. Leo Lucassen: Paths of integration: Similarities and differences in the settlement process of immigrants in Europe, 1880-2000. Position pa- per. o. O. 2002 (Ms.).

36 Nancy Foner: From Ellis Island to JFK. New York’s two great waves of immigration. New Haven u. a. 2000.

37 In diesem Zusammenhang fand im Juni 2003 am Institut für Migrations- forschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück ein Workshop unter dem Titel ‚Paths of integration – Similarities and dif- ferences in the settlement process of immigrants in Europe, 1880-2000‘ statt, der von Leo Lucassen (Center for the History of Migrants -CGM-/ Amsterdam) und Jochen Oltmer (IMIS) organisiert wurde, vgl. hierzu Leo Lucassen: Report of the IMIS-Workshop ‚Paths of integration: Similarities and differences in the settlement process of immigrants in Europe, 1880-2000‘, Osnabrück 21/22 June 2003. In: Hunger/Kolb (Hrsg.): Themenheft: Die deutsche ‚Green Card‘, S. 117-125 1. Einführung 15 lich unterschiedlicher Eingliederungserfahrungen in Vergangenheit und Ge- genwart im Rahmen der Debatte in den USA, für Europa noch ein weiterer Faktor hinzukommen müsse, nämlich die Rolle des Staates. „In the European case […] the state is much more prominent.“38 Insbesondere in den vollent- wickelten Wohlfahrtsstaaten habe dies Konsequenzen für 1) die Migra- tionskontrolle und -steuerung und 2) den Einfluß des Staates bei der Eingliede- rung von Migranten39.

Allerdings schränkt Leo Lucassen ein, daß trotz mancher gemeinsamer Ein- gliederungserfahrungen von Migranten in Geschichte und Gegenwart nicht davon ausgegangen werden sollte, daß sich Geschichte in gleicher Weise wie- derhole. Dafür hätten sich im Laufe der Zeit zu viele Variablen geändert, ins- besondere diejenigen, die die Migranten selbst und die Struktur der Aufnahme- gesellschaften betreffen. Aber um zu bewerten, in welchem Umfang sich die Wege der Eingliederung in der Vergangenheit von denen in der Gegenwart unterscheiden, seien strukturelle Vergleiche von Eingliederungsprozessen ent- scheidend40.

In Anlehnung an die Diskussion innerhalb der amerikanischen Migrationsfor- schung und die von Leo Lucassen betonten besonderen Entwicklungen im eu-

38 Ebd., S. 120.

39 Vgl. ebd. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die staatlichen Eingliede- rungshilfen für Migranten auch im europäischen Vergleich unterschied- lich ausgeprägt sind. So sind sie zum Beispiel in England, ähnlich wie in den USA und im Gegensatz etwa zu Deutschland oder den Niederlanden, sehr begrenzt. In den USA und in England gelten nicht sozialstaatliche Hilfen, sondern vielmehr die ethnischen Netzwerke und die Unterstüt- zung durch die Familie und den Bekanntenkreis als bedeutende Einglie- derungsmechanismen, vgl. hierzu Alejandro Portes / Ruben Rumbaut: Immigrant America. Berkeley 1996; Bernhard Santel: Auf dem Weg zur Konvergenz? Einwanderungspolitik in Deutschland und den Vereinigten Staaten im Vergleich. In: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländer- politik 18 (1998), S. 14-20; Dietrich Thränhardt: Marginalisierung, Kli- entelisierung, Bürgerrechte. Die Unterschiede des Sozialstatus und der Vereinigungen Neuer Minderheiten in Europa. In: Rudolph Bauer (Hrsg.): Intermediäre Nonprofit-Organisationen in einem Neuen Europa. Berlin 1993, S. 155-163, hier S. 158.

40 Vgl. Lucassen: Paths of integration, S. 17. 1. Einführung 16 ropäischen Kontext, werden drei der oben genannten Faktoren, die es beim Vergleich von aktuellen mit historischen Eingliederungsprozessen zu berück- sichtigen gilt, mit Blick auf Vertriebene und Aussiedler herangezogen41:

Hier ist zum ersten das zu nennen, was im allgemeinen mit dem Profil oder dem „unsichtbaren Gepäck“42 von Zuwanderern bezeichnet wird, also das, was sie an immateriellen Gütern in das Aufnahmeland mitbringen. Dazu zählen zum Beispiel die Herkunftsberufe und Qualifikationen, Sprachverständnis, kulturelle Eigenschaften usw. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Herkunftsgebiete von Vertriebenen und Aussiedlern einzugehen sein.

Um die Frage nach der Eingliederung von Migranten zu beantworten, gilt es ferner, die Minimalbedingungen für ihre Eingliederung festzuhalten, zu denen der Einwanderungszeitraum zählt. Die Unterscheidung verschiedener Einwan- derungszeiträume ist deshalb bei Migranten, die über einen längeren Zeitraum oder zu unterschiedlichen Zeiten zuwanderten, unabdingbar43. Darum geht es

41 Der Faktor ‚Kommunikation zwischen Herkunfts- und Zielgesellschaft‘ ist im Zusammenhang dieser Arbeit nicht von Bedeutung. Er kommt in erster Linie bei der sog. ‚freiwilligen Migration‘ zum Tragen, die zumeist aus ökonomischen, sozialen und kulturellen Beweggründen resultiert, die darauf ausgerichtet sind, eine Verbesserung der Situation im Zielgebiet oder – nach erfolgter Rückwanderung – in der Herkunftsgesellschaft zu erreichen. Die Kontakte in das Herkunftsgebiet konnten in der Vergan- genheit über Briefe, heute verstärkt über Reisen, oder, in Sekunden- schnelle, über elektronische Kommunikationsmittel nahezu uneinge- schränkt erfolgen. Bei der gewaltsamen Flucht und Vertreibung der Deutschen am Kriegsende und in der Nachkriegszeit handelte es sich da- gegen um eine Zwangsmigration, welche die Verbindung zur ‚alten Hei- mat‘ oftmals abrupt abreißen ließ. Verwandte und Freunde, mitunter so- gar ganze Dorfgemeinschaften wurden ebenfalls vertrieben, so daß im Herkunftsgebiet vielfach niemand mehr zurückblieb. Zudem resultierten aus dem politischen Klima des Kalten Krieges lange Zeit erhebliche Rei- se- und Kommunikationsbeschränkungen zwischen Ost und West, wes- halb ‚Kommunikation zwischen Herkunfts- und Zielgesellschaft‘ als Vergleichsebene zwischen alter und neuer Migration im Hinblick auf die Vertriebenen nicht geeignet erscheint.

42 Vgl. Koller: In einem andern Land, S. 7.

43 Vgl. Leonie Herwartz-Emden / Manuela Westphal: Die fremden Deut- schen: Einwanderung und Eingliederung von Aussiedlern in Niedersach- sen. In: Klaus J. Bade (Hrsg.): Fremde im Land: Zuwanderung und Ein- 1. Einführung 17 zum zweiten um die Charakterisierung der Zuwanderungs- und Eingliede- rungszeiträume und -bedingungen von Vertriebenen und Aussiedlern, also der Nachkriegszeit und des ausgehenden 20. Jahrhunderts, in bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitsmarkt.

Ein dritter Faktor ist die Rolle des Staates bei der Aufnahme und Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern. Die deutschen Erfahrungen in der staatli- chen Steuerung und Verwaltung von Migration reichen dabei bis in das ausge- hende 19. Jahrhundert zurück44. Hier ist unter anderem von Interesse, wie der Staat auf die Zuwanderung von zwei großen Migrationsbewegungen von Deut- schen aus Osteuropa in unterschiedlichen historischen Situationen reagiert hat, welche Maßnahmen zur Eingliederung beider Gruppen ergriffen wurden, wel- chen Veränderungen diese, vor allem hinsichtlich der Aussiedlerpolitik nach 1990, unterzogen wurden und warum. Letztlich wird es also auch um staatliche Problemperzeptionen, Lösungskonzepte und Steuerungsversuche und somit insgesamt um Aspekte der Geschichte der bundesdeutschen Eingliederungspo- litik mit Blick auf Vertriebene und Aussiedler gehen.

Wie wir eingangs gesehen haben, ist Eingliederung ein umfassender Prozeß. Eine Unterscheidung in Teilbereiche wie zum Beispiel ‚berufliche‘, ‚soziale‘, ‚kulturelle‘ oder ‚kirchlich-religiöse‘ Eingliederung wird den wechselseitigen Beziehungen dieser Vorgänge nicht gerecht. Im Interesse der Übersichtlichkeit ist sie jedoch kaum zu umgehen45. Überdies ist zu bedenken, daß eine Arbeit, die sich mit der Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern beschäftigt, keine flächendeckende, alle Dimensionen des komplexen Eingliederungsbe- griffs und der ebenso vielschichtigen Eingliederungsprozesse gleichmäßig be- handelnde Untersuchung liefern kann. Deshalb werden einige Bereiche der Eingliederung ausgewählt und verdichtet behandelt.

gliederung im Raum Niedersachsen seit dem Zweiten Weltkrieg. Osna- brück 1997 (IMIS-Schriften, Bd. 3), S. 167-212, hier S. 197.

44 Vgl. hierzu Jochen Oltmer (Hrsg.): Migration steuern und verwalten. Deutschland vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Göttingen 2003 (IMIS-Schriften, Bd. 12).

45 Vgl. Barbara Koller: Aussiedler in Deutschland. Aspekte ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 48 (1993), S. 12-22, hier S. 14. 1. Einführung 18

Für einen Vergleich zwischen der Vertriebenen- und der Aussiedlereingliede- rung erscheinen zwei Bereiche in besonderer Weise geeignet, nämlich die wohnräumliche und die berufliche Eingliederung. Die Versorgung von Ver- triebenen und Aussiedlern mit Wohnraum und die Förderung ihrer Eingliede- rung in den Arbeitsmarkt gehörte zu den zentralen Interventionsbereichen des bundesrepublikanischen Sozialstaates, und ihre Privilegierung gegenüber ande- ren Migranten wird gerade in diesen Bereichen besonders deutlich46. Im Ge- gensatz etwa zur kulturellen Eingliederung, die vielschichtig und quantitativ kaum faßbar ist, bieten die Stichworte ‚Wohnung‘ und ‚Arbeit‘ ferner anhand einiger Indikatoren, die über den Stand der Eingliederung informieren (zum Beispiel Bildung von Wohneigentum, Erwerbsbeteiligung, berufliche Position usw.), bei Vertriebenen und Aussiedlern angemessene Vergleichsmöglichkei- ten. Ferner begegnen uns mit der wohnräumlichen und der Arbeitsmarktein- gliederung nicht nur zwei zentrale Bereiche des gesamten Eingliederungsge- schehens. Sie haben auch eine direkte wechselseitige Beziehung, denn jenseits aller staatlichen Förderung wird die Wohnsituation nicht zuletzt durch Lohn und Gehalt aus dem Erwerbsleben bestimmt.

Der Vergleich dieser beiden ausgewählten Bereiche der Vertriebenen- und Aussiedlereingliederung erfolgt auf Makroebene von einem strukturgeschicht- lichen Ansatz aus mit Interesse an empirisch gesicherten Ergebnissen. Die hier wie dort vorhandene Literatur- und Datengrundlage wird mittels einer Re- analyse unter der Fragestellung dieser Arbeit ausgewertet. Dabei ist im Hin- blick auf die Datensituation allerdings festzustellen, daß die statistische Erfas- sung von Vertriebenen und Aussiedlern völlig unterschiedlich erfolgte, was einen Vergleich der Eingliederungswege beider Gruppen zumindest erschwert.

46 Vgl. Werner Abelshauser: Der Lastenausgleich und die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge – eine Skizze. In: Schulze/Brelie-Le- wien/Grebing (Hrsg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, S. 229-238; Reinhold Schillinger: Der Lastenaus- gleich. In: Benz (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, S. 231-243; Amanda Klekowski von Koppenfels: Willkommene Deut- sche oder tolerierte Fremde? Aussiedlerpolitik und -verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1950er Jahren. In: Oltmer (Hrsg.): Migration steuern und verwalten, S. 399-419. 1. Einführung 19

So wurden die Vertriebenen bis Anfang der 1960er Jahre in amtsstatistischen Daten wie etwa den Arbeitslosenzahlen eigens ausgewiesen. Das ausgeprägte Interesse an statistischem Material über die Vertriebenen resultierte in erster Linie aus den pragmatischen Herausforderungen der Nachkriegszeit im Hin- blick auf diese Gruppe, nämlich deren Unterbringung und die anschließende Versorgung mit Wohnung und Arbeit. Die Bewältigung dieser Herausforde- rungen fiel in der Hauptsache in den administrativen Bereich, und als Voraus- setzung für effektives Verwaltungshandeln wurden umfangreiche Kenntnisse über die Zahl und vor allem die Struktur der Vertriebenenbevölkerung angese- hen. Bereits in der im Oktober 1946 durchgeführten ersten Volks- und Berufs- zählung nach dem Krieg wurden die Vertriebenen als eigene Kategorie erfaßt, bald darauf wurden in den Ländern sogenannte ‚Flüchtlingssondererhebungen‘ vorgenommen (in Niedersachsen zum Beispiel 1948), deren Ergebnisse in die kommentierten statistischen Einführungen zur Vertriebenenproblematik der jeweiligen Länder flossen47. Die Statistik wurde mithin zum Ausgangspunkt der empirischen Vertriebenenforschung. Als Anfang der 1960er Jahre die Ver- sorgung der Vertriebenen mit Wohnraum und Arbeit und damit zentrale Ein- gliederungsziele erreicht schienen, wurde keine Notwendigkeit mehr gesehen, diese Gruppe weiterhin gesondert statistisch zu führen. Dennoch konnten sie auch weiterhin von der einheimischen Bevölkerung unterschieden werden. Lüttinger zum Beispiel gelang dies im Rahmen seiner Auswertung der Mikro- zensus-Zusatzbefragung von 1971 über die Angaben der Personen zum Besitz eines Vertriebenenausweises48.

Dagegen wurde die statistische Erfassung des Aussiedlerstatus in der Politik bis in die Gegenwart hinein als ‚Diskriminierung‘ angesehen49. Auch gibt es

47 Vgl. Doris von der Brelie-Lewien: Zur Rolle der Flüchtlinge und Vertrie- benen in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte – Ein Forschungs- bericht. In: Schulze/Brelie-Lewien/Grebing (Hrsg.): Flüchtlinge und Ver- triebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, S. 24-45, hier S. 26.

48 Vgl. Lüttinger: Der Mythos, S. 21 f.

49 Vgl. Kurt Salentin / Frank Wilkening: Ausländer, Eingebürgerte und das Problem einer realistischen Zuwanderer-Integrationsbilanz. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 55 (2003), S. 278-298, hier S. 296. 1. Einführung 20 kein amtliches Dokument, über das Aussiedler etwa in einer Mikrozensus- erhebung von der einheimischen Bevölkerung unterschieden werden könnten, und selbst wenn es so ein Dokument gäbe, würde nicht danach gefragt werden. Dieses Vorgehen mag bis 1988, als sich die Zuwanderung und vor allem die Eingliederung der, gemessen an späteren Zuwandererzahlen, verhältnismäßig wenigen in die Bundesrepublik einreisenden Aussiedler gleichsam geräuschlos vollzog, ohne negative Konsequenzen geblieben sein. Mit dem starken Anstieg der Aussiedlerzahlen und den vor allem in den 1990er Jahren zu beobachten- den zunehmenden Eingliederungsproblemen dieser Gruppe erschwerte jedoch ihre mangelnde statistische Erfassung die kritische Beurteilung des Eingliede- rungsgeschehens und somit gleichzeitig die Ausgestaltung der entsprechenden Eingliederungspolitik. Insgesamt zeigt sich die Datensituation im Hinblick auf die Aussiedlereingliederung unbefriedigend, weshalb in dieser Arbeit verstärkt auf Mikrostudien zurückgegriffen werden muß, welche ihr Datenmaterial aus Stichprobenerhebungen, Zusatzbefragungen usw. beziehen.

Die vorliegende Untersuchung erstrebt mit der Eingliederung der Vertriebenen der Nachkriegszeit und der Aussiedler ab 1988 zwei zentrale Arbeitsfelder der Migrationsforschung zusammenzuführen, die, trotz vielfacher Gemeinsamkei- ten und Berührungspunkte, bisher kaum unter einer gemeinsamen Fragestel- lung bearbeitet worden sind. Ein Vergleich zentraler Aspekte des Eingliede- rungsgeschehens beider Gruppen ist dabei in größerem Umfang bisher noch nicht geleistet worden. Die Arbeit will darüber hinaus Anregung bieten zu weiteren Vergleichen zwischen anderen Zuwanderungsprozessen in Geschichte und Gegenwart; erste Ansätze hierzu sind bereits zu beobachten50.

1.2. Stand der Forschung

Eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Geschehen und den Folgen der millionenfachen Flucht und Vertreibung setzte in Westdeutschland bereits Ende der 1940er Jahre ein, und in den darauffolgenden Jahrzehnten brachte die deutsche Vertriebenenforschung eine Vielzahl an kaum noch über-

50 Vgl. hierzu beispielsweise Jörg Roesler: „Abgehauen“. Innerdeutsche Wanderungen in den fünfziger und neunziger Jahren und deren Motive. In: Deutschland Archiv 4/2003, S. 562-574. 1. Einführung 21 blickbaren Publikationen heraus, die allerdings mittlerweile bibliographisch gut erschlossen sind51. Insgesamt lassen sich bis zum heutigen Zeitpunkt grob drei Forschungsphasen unterscheiden: In der ersten Phase vom Ende der 1940er bis zum Ende der 1950er Jahre dominierte die intensive Beschäftigung mit den leidvollen Geschehnissen von Flucht und Vertreibung, zu der oftmals auch eindrückliche Erlebnisberichte der Vertriebenen selbst beitrugen52. In den vom Kalten Krieg und dem Gegensatz zur Sowjetunion geprägten Wahrnehmungs- kategorien wurden Flucht und Vertreibung als Konsequenz des aggressiven sowjetischen Expansionismus gesehen und nur selten auch als eine Folge der nationalsozialistischen Kriegspolitik gerade im Osten. So konnte man über die Absprachen (zum Beispiel das Potsdamer Abkommen), an denen auch die Westalliierten (mit Ausnahme Frankreichs) beteiligt waren, hinwegsehen. All- gemein wurde die Vertreibung der Deutschen als weltgeschichtlich einmaliges Unrecht, die Sowjetunion bzw. die Rote Armee als Hauptverursacher dieses Unrechts dargestellt und die Vertriebenen galten als Hauptleidtragende der Kriegsfolgen. „Dementsprechend wurden die Flüchtlinge damals neben den Zivilopfern der Bombardierungen der Großstädte zumindest implizit als der ‚deutsche Beweis‘ für die eigenen Opfer angesehen, häufig in Aufrechnung gegen die ausländischen Opfer des Krieges oder die der Vernichtung europäi- scher Juden.“53

51 Vgl. etwa die nahezu 5.000 Titel umfassende Spezialbibliographie von Gertrud Krallert-Sattler: Kommentierte Bibliographie zum Flüchtlings- und Vertriebenenproblem in der Bundesrepublik Deutschland, in Öster- reich und in der Schweiz. Wien 1989, oder, mit landesgeschichtlicher Ausrichtung, Johannes-Dieter Steinert: Flüchtlinge, Vertriebene und Aussiedler in Niedersachsen. Eine annotierte Bibliographie. Osnabrück 1986 (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen, Bd. XXVI) so- wie Michael Reinhart: Die Entwicklung Bayerns durch die Integration der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge. Abschlußbericht der Doku- mentationsstelle Bayreuth. Bayreuth 1994.

52 Vgl. hierzu zum Beispiel Bundesministerium für Vertriebene (Hrsg.): Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, be- arb. von Theodor Schieder. Bonn 1953 ff.

53 Alexander von Plato: Vergangene Perspektiven? Schwerpunkte, Fragen und Probleme der Flüchtlingsforschung vor und nach der Wende. In: Hoffmann/ Krauss/Schwartz (Hrsg.): Vertriebene in Deutschland, S. 87- 107, hier S. 88. 1. Einführung 22

Neben Flucht und Vertreibung stand nicht zuletzt auch die Situation der Ver- triebenen in Westdeutschland und der späteren Bundesrepublik, mithin ihre Eingliederung, im Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Von der Volkskunde bis hin zur Volkswirtschaft erfolgte eine multidisziplinäre Erfor- schung des Vertriebenenproblems, oftmals unterstützt durch die statistische Forschungsarbeit. Im Mittelpunkt standen hier, wie bereits angesprochen, viel- fach die Herausforderungen, die für die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft im Hinblick auf die Zwangszuwanderer am drängendsten erschienen, nämlich ihre Versorgung mit Wohnraum und Arbeit. Die Autoren begnügten sich je- doch vielfach nur mit der Darstellung einer ‚Erfolgsgeschichte‘ aus der Sicht der Bundesrepublik, d. h., daß zum Beispiel in der beiderseitigen Partizipation am ‚Wirtschaftswunder‘, in der sozialen Befriedung (kein ‚Fünfter Stand‘, kei- ne Radikalisierung) oder auch in dem gemeinsamen ‚Wir-Gefühl‘ gegenüber neuen Zuwanderern wie etwa den Gastarbeitern, Anpassung und Eingliederung im Wechselspiel zwischen Einheimischen und Vertriebenen ersichtlich werden sollte54.

Insgesamt dominiert in der entsprechenden Literatur der Erkenntnisstand, daß die Eingliederung der Vertriebenen bereits Ende der 1950er Jahre schnell und erfolgreich abgeschlossen war. Ihren Höhepunkt, aber zugleich auch ihren er- sten Abschluß fand diese erste Phase der Forschung über die Eingliederung der Flüchtlinge mit dem von Friedrich Edding und Eugen Lemberg 1959 heraus- gegebenen dreibändigen Werk über ‚Die Vertriebenen in Westdeutschland‘, in welchem in zahlreichen Beiträgen eine erste Bilanz gezogen wurde55.

Standen ‚Die Vertriebenen in Westdeutschland‘ noch für die produktiven 1950er Jahre in der Vertriebenenforschung, so waren die beiden darauffolgen- den Jahrzehnte relativ wenig ertragreich. In dieser auch mit dem Begriff der

54 Vgl. Brelie-Lewien: Zur Rolle der Flüchtlinge und Vertriebenen, S. 25.

55 Eugen Lemberg / Friedrich Edding (Hrsg.): Die Vertriebenen in West- deutschland. Ihre Eingliederung und Einfluß auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Geistesleben. 3 Bände. Kiel 1959; der 3. Band enthält eine Bibliographie von Gertrud Krallert, die einen Überblick über die bis da- hin zur Flüchtlingsthematik erschienene Literatur bietet. 1. Einführung 23

„Stagnation“56 charakterisierten zweiten Forschungsphase trat auch qualitativ eine Änderung ein, denn das Bild der vorherrschenden Vertriebenenliteratur wurde nicht mehr von der Auseinandersetzung mit deren ökonomisch-sozialer Lage bestimmt, die sich kaum noch von der Normalität westdeutscher Lebens- verhältnisse abzuweichen schien. Vielmehr wurde nun versucht, über eine stär- ker theoretische Durchdringung des Problems die gesellschaftliche Rolle und den politischen Stellenwert der Deutschen aus dem Osten im System der Bun- desrepublik zu erfassen. Für eine distanziertere Sicht innerhalb der Bundesre- publik ist auch die Tatsache symptomatisch, daß sich in den 1960er und 1970er Jahren verstärkt ausländische Forscher mit der Flüchtlingsproblematik aus- einanderzusetzen begannen57.

Zudem schien die Beschäftigung mit der Thematik nicht in das politische Kli- ma dieser Zeit zu passen (Stichwort ‚Neue Ostpolitik‘), da die Gefahr bestand, alte Wunden könnten wieder aufgerissen werden. Verbunden mit einem ge- schichtswissenschaftlichen Paradigmenwechsel, der nunmehr die deutschen Angriffskriege als Ursache des Vertreibungsgeschehens erkannte, trug dies dazu bei, „daß die Vertreibung den Stellenwert eines selbständigen historischen Gegenstandes teilweise verlor oder die Flüchtlingsforschung in den Geruch des Revisionismus geriet.“58 Das Interesse der Wissenschaft konzentrierte sich vornehmlich auf sekundäre Phänomene wie die Vertriebenenverbände, die vor dem Hintergrund von Ostpolitik und Entspannung politisch suspekt erschienen und zunehmend als Belastung empfunden wurden59. Am Ende dieser zweiten

56 Brelie-Lewien: Zur Rolle der Flüchtlinge und Vertriebenen, S. 30.

57 Als Beispiel sei hier nur genannt die Arbeit des niederländischen Sozio- logen Hiddo M. Jolles: Zur Soziologie der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge. Köln, Berlin 1965.

58 Edgar Wolfrum: Zwischen Geschichtsschreibung und Geschichtspolitik. Forschungen zu Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Archiv für Sozialgeschichte 36 (1996), S. 500-522, hier S. 503.

59 Vgl. zu den Vertriebenenverbänden etwa Matthias M. Wambach: Ver- bändestaat und Parteienoligopol. Macht und Ohnmacht der Vertriebe- nenverbände. Stuttgart 1971 und Franz Neumann: Der Block der Hei- matvertriebenen und Entrechteten 1950-1960. Meisenheim am Glan 1968. 1. Einführung 24

Phase der Flüchtlingsforschung stand wiederum ein viele Bereiche der Einglie- derung – etwa Arbeits- und Wohnraumbeschaffung, Lastenausgleich, kulturelle und kirchliche Bewältigung – behandelnder Sammelband, der allerdings in keiner Weise eine solche Fülle an neuen wissenschaftlichen Ergebnissen er- brachte wie das zwanzig Jahre zuvor von Lemberg/Edding herausgegebene Werk60.

Seit den 1980er Jahren – der dritten Forschungsphase – ist in der Bundesrepu- blik wieder ein verstärktes wissenschaftliches Interesse an der Eingliederung der Vertriebenen zu verzeichnen. Dies wurde durch verschiedene Entwick- lungen entscheidend begünstigt: Zum einen rückte eine Forschergeneration nach, die sich der Thematik unbelasteter von politischen Vorbehalten und Be- rührungsängsten, wie sie noch in den 1960er und 1970er Jahren zu beobachten waren, widmen konnte. Hinzu kam, daß im Zuge der durch Migration hervor- gerufenen Herausforderungen für die Gesellschaft der Gegenwart (‚Gastarbei- ter‘/Arbeitsmigration, Asyl- und Aussiedlerproblematik) der Blick auch auf vergangene Entwicklungen offensichtlich zusätzlich angeregt wurde. „An die Stelle der nachvollziehenden Aufarbeitung einer ohnehin mit dem Odium po- sitiver Legendenbildung umwobenen Wirkungsgeschichte vergangener und scheinbar weitgehend neutralisierter Problemfelder trat die Perspektive einer kritischen Untersuchung der Vorgeschichte aktueller, durchaus verwandter und keineswegs bewältigter Problemlagen.“61

Zum Aufleben der Vertriebenenforschung trug sicherlich auch der Ablauf der 30-Jahre-Sperrfristen bei, der es ermöglichte, nicht nur alliiertes Überliefe- rungsgut, sondern auch die in den deutschen Landesarchiven verwahrten Ar-

60 Hans-Joachim von Merkatz (Hrsg.): Aus Trümmern wurden Fundamente. Vertriebene – Flüchtlinge – Aussiedler. Drei Jahrzehnte Integration. Düs- seldorf 1979. Der arbeitstechnische Wert dieser Publikation wird aller- dings durch den Verzicht auf einen Nachweisapparat erheblich einge- schränkt.

61 Thomas Grosser: Von der freiwilligen Solidar- zur verordneten Kon- fliktgemeinschaft. Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft im Spiegel neuerer zeitgeschichtli- cher Untersuchungen. In: Hoffmann/Krauss/Schwartz (Hrsg.): Vertriebe- ne in Deutschland, S. 65-85, hier S. 67. 1. Einführung 25 chivalien zu sichten62. Die neuere Forschung zur Eingliederung der Zwangs- zuwanderer des Kriegsendes und der Nachkriegszeit ist dadurch quellenorien- tierter geworden, und angesichts eines steigenden Bedürfnisses nach einer „Neudefinition von Zeitgeschichte über die Sozialgeschichte“63 ist gegen Ende der 1980er Jahre dementsprechend ein stärkeres Vordringen sozialhistorischer Ansätze zu verzeichnen. In den 1990er Jahren, als ein nochmaliger For- schungsschub einsetzte, erfolgte dann zunehmend die Einbettung der Vertrie- benenforschung in den weiteren Kontext der in anderen Bereichen bereits er- probten Historischen bzw. Sozialhistorischen Migrationsforschung einschließ- lich der entsprechenden Ansätze64.

In neueren Studien wurde – anhand von zum Teil auf umfassenden empiri- schen Erhebungen basierenden Untersuchungsergebnissen – die lange Zeit hartnäckig vertretene Vorstellung von der vermeintlich ‚schnellen Integration‘ oder jene vom ‚Schmelztiegel‘ als Mythos entlarvt65. Vor allem gegen Ende der 1980er Jahre traten weiter zu differenzierende Fragen nach Formen und Verlauf insbesondere der kulturellen und mentalitätsgeschichtlichen Dimensio- nen des Eingliederungsprozesses in den Vordergrund, auf die der Blick in den Jahrzehnten vorher durch die Perspektive der nahezu ‚abgeschlossenen‘ Ein- gliederung verstellt war. Der Begriff ‚Eingliederung‘ wurde dabei im allgemei- nen Sprachgebrauch lange Zeit nur mit der Versorgung mit Wohnraum und Arbeitsplätzen gleichgesetzt. Doch der Prozeß des Sich-Einfindens und des Miteinanders im neuen Umfeld, die gegenseitige Anpassung zwischen Einhei- mischen und ‚Fremden‘, wurde nicht nur oftmals von erheblichen beiderseiti-

62 Vgl. Brelie-Lewien: Zur Rolle der Flüchtlinge und Vertriebenen, S. 35.

63 Zit. nach Grosser: Von der freiwilligen Solidar- zur verordneten Kon- fliktgemeinschaft, S. 67.

64 Vgl. Klaus J. Bade: Historische Migrationsforschung. In: Oltmer (Hrsg.): Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, S. 55-74; ders.: Sozial- historische Migrationsforschung. In: Ernst Hinrichs / Henk van Zon (Hrsg.): Bevölkerungsgeschichte im Vergleich. Studien zu den Nieder- landen und Nordwestdeutschland. Aurich 1988, S. 63-74; ders.: Sozialhi- storische Migrationsforschung und ‚Flüchtlingsintegration‘.

65 So zum Beispiel bei Lüttinger: Der Mythos und ders.: Integration der Vertriebenen. 1. Einführung 26 gen Fremdheitserfahrungen begleitet, sondern brauchte tatsächlich nicht selten weit länger als die bloße Versorgung mit Wohnraum und Arbeitsplätzen. Hier war es vor allem die Methode der ‚Oral History‘, die entsprechende Ergebnisse lieferte66.

Wenngleich in dieser Arbeit bei den Betrachtungen zur Eingliederung der Ver- triebenen die Entwicklung in den Westzonen bzw. der Bundesrepublik im Mittelpunkt des Interesses steht, soll zur Komplettierung dieses Forschungsbe- richts noch kurz der Blick auf die Forschungssituation bezüglich der Eingliede- rung der Deutschen aus dem Osten in der SBZ/DDR erfolgen. Diese Thematik fand im Westen lange Zeit kaum wissenschaftliches Interesse67. Die Einglie- derung der Vertriebenen galt als eine der Hauptleistungen der Adenauer-Ära, und das Bewußtsein über diese Leistung bildete eines der Konsenselemente der Bundesrepublik. Doch die SBZ bzw. die DDR, die nach dem Krieg im Ver- gleich aller vier Besatzungszonen zunächst die größte Zahl an Zwangszuwan- derern aufgenommen hatte, wurde dabei zumeist vergessen. So konnte Helga Grebing noch 1986 zu Recht feststellen: „[…] über die Integration der 3,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen in der sowjetisch besetzten Zone bzw. in der DDR wissen wir fast nichts.“68 In der DDR selbst wurde die Eingliede- rung der dort mit Rücksicht auf die östlichen Nachbarn euphemistisch ‚Um- siedler‘ genannten Zwangszuwanderer aus dem Osten nach einem straffen Konzept der SED durchgesetzt und bereits Anfang der 1950er Jahre offiziell für ‚abgeschlossen‘ erklärt. Solange die DDR existierte, war diese Thematik

66 Zur Methodik der ‚Oral History‘ vgl. Lutz Niethammer: Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der ‚Oral History‘. Frankfurt/M. 1980 sowie ders.: Fragen – Antworten – Fragen. Methodische Erfahrun- gen und Erwägungen zur Oral History. In: Ders. / Alexander von Plato (Hrsg.): „Wir kriegen jetzt andere Zeiten.“ Auf der Suche nach der Erfah- rung des Volkes in nachfaschistischen Ländern. Berlin, Bonn 1985 (Le- bensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960, Bd. 3).

67 Eine Ausnahme bildete lange Zeit die, allerdings auch schon aus dem Jahr 1954 datierende Untersuchung von Peter Heinz Seraphim: Heimat- vertriebene in der Sowjetzone. Berlin 1954.

68 Helga Grebing: Begrüßung und Einführung in das Symposium. In: Schulze/Brelie-Lewien/Grebing (Hrsg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, S. 1-5, hier S. 4. 1. Einführung 27 fortan von der dortigen politischen Führung sowohl in der öffentlichen als auch in der wissenschaftlichen Diskussion weitestgehend tabuisiert worden69.

Erst nach 1989/90 ist die Frage nach Aufnahme und Eingliederung der Vertrie- benen in der SBZ/DDR verstärkt in den Blickpunkt der Forschung geraten und bereits zu Beginn der 1990er Jahre sind hierzu erste Veröffentlichungen er- schienen70. Seit der deutschen Vereinigung bietet sich aber nicht nur die Mög- lichkeit, die Eingliederung der Vertriebenen in der SBZ/DDR näher bzw. jen- seits politischer Tabuisierungen zu untersuchen, sondern diese Eingliederung auch mit der in den Westzonen bzw. der Bundesrepublik zu vergleichen und nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in beiden deutschen Staaten zu fra- gen71.

Obwohl Aussiedler seit 1950 in die Bundesrepublik kamen, setzte eine um- fangreiche wissenschaftliche Beschäftigung mit der Eingliederung dieser Gruppe erst mit Beginn ihrer starken Zuwanderung Ende der 1980er Jahre ein. Entsprechend der zwischen 1950 und 1987 fast gänzlich geräuschlos verlaufe- nen Aufnahme und Eingliederung der Aussiedler war auch das wissenschaftli- che Interesse an diesem Personenkreis nur gering. Und auch innerhalb dieses Zeitraums ist eine nennenswerte Beschäftigung mit den ethnischen Zuwande- rern aus dem Osten erst ab Mitte der 1970er Jahre zu beobachten, als die Aus-

69 Vgl. Manfred Wille: Die ‚Umsiedler‘-Problematik im Spiegel der SBZ-/ DDR-Geschichtsschreibung. In: Ders. / Johannes Hoffmann / Wolfgang Meinicke (Hrsg.): Sie hatten alles verloren. Flüchtlinge und Vertriebene in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Wiesbaden 1993, S. 3-11.

70 So etwa der Sammelband von Wille/Hoffmann/Meinicke (Hrsg.): Sie hatten alles verloren.

71 Vgl. hierzu zum Beispiel Manfred Wille (Hrsg.): 50 Jahre Flucht und Vertreibung. Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Aufnahme und Integration der Vertriebenen in die Gesellschaften der Westzonen/Bun- desrepublik und SBZ/DDR. Magdeburg 1997; Dierk Hoffmann / Michael Schwarz (Hrsg.): Geglückte Integration? Spezifika und Vergleichbarkei- ten der Vertriebenen-Eingliederung in der SBZ/DDR. München 1999 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernr.); Hoffmann/Krauss/ Schwartz (Hrsg.): Vertriebene in Deutschland. 1. Einführung 28 siedlerzahlen im Vergleich zu den Vorjahren vorübergehend stärker anstie- gen72.

Mit dem Eintreffen der großen Aussiedlerzuwanderungswellen ab 1988 ver- stärkte sich dann jedoch das wissenschaftliche Interesse an dieser Gruppe im- mens. Vertriebenen- und Aussiedlerforschung erlebten also nahezu gleichzeitig einen Aufschwung. Im Hinblick auf die Forschungskonjunktur bezüglich der Aussiedlereingliederung im Beobachtungszeitraum, also zwischen 1988 und 2000, ist festzustellen, daß sie fast gleichbleibend hoch angesiedelt war, wenn- gleich der Publikationsausstoß bis ca. 1995 etwas intensiver war als in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Mit dem Absinken der Zuwandererzahlen und dem auch dadurch bedingten Verlust des Sensationswertes dieser Zuwanderer- gruppe, die bald zum Alltag im Wanderungsgeschehen des wiedervereinigten Deutschlands gehörte, reduzierte sich offenbar auch das wissenschaftliche In- teresse an den Aussiedlern. Ende der 1990er Jahre erschienen dann zwei größe- re Sammelbände, in denen die Ergebnisse verschiedener Forschungsschwer- punkte, wie beispielsweise die Eingliederung in den Arbeitsmarkt und die Ein- gliederung jugendlicher Aussiedler, vorgestellt wurden73.

Wenngleich die Eingliederung der Vertriebenen und die der ab 1988 zuwan- dernden Aussiedler jeweils für sich ein Feld für intensive wissenschaftliche Betätigung darstellten, so ist festzustellen, daß ein gemeinsamer Forschungs- stand nicht existiert. Wie bereits weiter oben erwähnt, erfolgte eine Aufteilung der jeweiligen Migrations- und Eingliederungsgeschichte(n), der Blick für Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser komplexen Zuwanderungsphäno- mene blieb bis heute weitestgehend verschlossen. Gegenwärtig liegen im Hin-

72 Arbeitsergebnisse sind zusammengefaßt bei Hans Harmsen (Hrsg.): Die Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland – Anpassung, Umstellung, Eingliederung. 2. Ergebnisbericht. Wien 1983 (AWR-Forschungsgesell- schaft für das Weltflüchtlingsproblem, Abhandlungen zu Flüchtlingsfra- gen, Bd. XII/2). Für weitere bibliographische Hinweise vgl. Wolfgang Lanquillon: Auswahlbibliographie zum Thema Eingliederung der Aus- siedler, Umsiedler, Spätaussiedler, hrsg. von der Bundesarbeitsgemein- schaft der Freien Wohlfahrtspflege. Bonn 1981.

73 Bade/Oltmer (Hrsg.): Aussiedler: deutsche Einwanderer aus Osteuropa und Silbereisen/Lantermann/Schmitt-Rodermund (Hrsg.): Aussiedler in Deutschland. 1. Einführung 29 blick auf einen Vergleich zwischen Vertriebenen- und Aussiedlereingliederung nur eine Magisterarbeit sowie zwei kleinere Aufsätze vor. Auf diese wenigen, mittlerweile schon etwas älteren Untersuchungen soll im folgenden eingegan- gen werden.

Die angesprochene Magisterarbeit wurde Anfang 1995 von Doris Zweck an der Universität Erlangen-Nürnberg eingereicht und stellt damit zugleich die jüngste der hier besprochenen Arbeiten dar74. Die Autorin interessierten „vor allem die strukturellen, kulturellen und personellen Unterschiede und Parallelen in den Integrationsverläufen der Vertriebenen und der Aussiedler“.75 Diese Un- terschiede und Parallelen sind Gegenstand des Hauptkapitels der Arbeit, des Kapitels IV. In dem chronologisch aufgebauten Kapitel steht zunächst die Inte- gration der Vertriebenen im Mittelpunkt des Interesses, bevor diejenige der Aussiedler näher beleuchtet wird. Für einen Vergleich der Integrationswege beider Gruppen wurden die Bereiche „räumlich-soziale“, „berufliche und schulische“ sowie „psycho-soziale“ Integration ausgewählt.

Abgesehen davon, daß durch eine systematische Gliederung des Kapitels der Vergleich der Eingliederungsverläufe von Vertriebenen und Aussiedlern über eine möglichst direkte Gegenüberstellung der in der Untersuchung herangezo- gen Eingliederungsbereiche sicherlich erleichtert worden wäre, weist die Ar- beit hier zwei wesentliche Defizite auf: Zum einen kommen die vielgestaltigen staatlichen Eingliederungsmaßnahmen zugunsten beider Gruppen und die Ver- änderungen bzw. Reduzierungen, den diese Maßnahmen seit Ende der 1980er und insbesondere in den 1990er Jahren unterlagen, kaum zur Sprache. Somit wird nach der unterschiedlichen staatlichen Eingliederungspolitik gegenüber Vertriebenen und Aussiedlern und den Ursachen für diese Unterschiede ebenso wenig gefragt wie nach ihrem Rückbezug auf die jeweiligen Eingliederungs- verläufe. Diese Fragen sind aber vor allem in zwei Bereichen wichtig, nämlich bei der räumlich-sozialen Eingliederung, unter der Zweck die Wohnungsver-

74 Doris Zweck: Zwei Migrationsbewegungen im Vergleich: Die deutschen Vertriebenen des Zweiten Weltkriegs und die Aussiedler der späten 80er Jahre. Magisterarbeit Universität Erlangen-Nürnberg 1995 (Ms.).

75 Ebd., S. 3 1. Einführung 30 sorgung von Vertriebenen und Aussiedlern versteht, und bei der beruflichen Eingliederung; zwei Bereichen also, die, wie an anderer Stelle bereits festge- stellt wurde, in der staatlichen Eingliederungspolitik gegenüber den Deutschen aus dem Osten durch besondere Aktivität gekennzeichnet waren. Nicht zuletzt für einen Vergleich der beruflichen Eingliederung von Vertriebenen und Aus- siedlern wäre es darüber hinaus angezeigt gewesen, und damit soll auf das zweite der oben angesprochenen Defizite verwiesen werden, sich deutlich in- tensiver mit der Lage in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt in den je- weiligen Zuwanderungs- bzw. Eingliederungszeiträumen auseinanderzusetzen. Denn jenseits aller staatlichen Eingliederungsgesetzgebung sind bei der beruf- lichen Eingliederung die wirtschaftliche Lage und die Arbeitsmarktssituation im Aufnahmeland von entscheidender Bedeutung.

Von den beiden Aufsätzen, die sich mit einem Vergleich der Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern beschäftigen, ist derjenige von Ralf E. Ulrich am ertragreichsten76. Ihm geht es ausschließlich um die Eingliederung beider Gruppen in den Arbeitsmarkt. Anschließend an die Feststellung, daß diese durch die strukturellen Charakteristika der Zuwanderer und die ökonomische Situation im Aufnahmeland bedingt sei, fragt er danach, wie ähnlich die Aus- siedler den Vertriebenen sind und ob im Hinblick auf die Aussiedlereingliede- rung auf die Faktoren gezählt werden kann, die die Eingliederung der Vertrie- benen in den 1950er Jahren begünstigt haben. Um diese Fragen zu beantwor- ten, vergleicht er demographische und ökonomische Merkmale von Aussied- lern und Vertriebenen sowie die allgemeinen Bedingungen für ihre Eingliede- rung damals und heute.

Ulrich kommt zu dem Schluß, daß beide Gruppen über eine im Vergleich zur Aufnahmegesellschaft jüngere Altersstruktur verfügten. Allerdings befänden sich die Aussiedler in einer weniger vorteilhaften Ausgangsposition, da sie, im Unterschied zu den Vertriebenen, über geringere Kompetenzen in der deut- schen Sprache verfügten und für die Bedürfnisse des deutschen Arbeitsmarktes nur schwer verwertbare berufliche Qualifikation mitbrächten. Deshalb komme

76 Ralf E. Ulrich: Vertriebene and Aussiedler – The Immigration of Ethnic Germans. In: Gunter Steinmann / Ralf E. Ulrich (Hrsg.): The Economic Consequences of Immigration to Germany. Heidelberg 1994, S. 155-177. 1. Einführung 31 sprachlichen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen eine besondere Be- deutung zu, und für solcherlei Eingliederungsmaßnahmen stünden in der Bun- desrepublik nun mehr finanzielle Mittel zur Verfügung als für Eingliederungs- maßnahmen zugunsten der Vertriebenen nach dem Krieg. „The public welfare system is more developed today and gives instant security for the resettlers.“77 Im Hinblick auf die jeweilige Lage in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt stellt Ulrich fest, daß die schnelle Versorgung der Vertriebenen mit Arbeits- plätzen entscheidend durch das sogenannte ‚Wirtschaftswunder‘ in den 1950er Jahren begünstigt wurde; zwar könne durch die strukturellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt nicht davon ausgegangen werden, daß die Aussiedler dort sofort Aufnahme finden würden, doch durch das Zusammentreffen von Aussiedlermigration und deutscher Einheit wären vorteilhafte Bedingungen für ihre Arbeitsmarkteingliederung geschaffen worden.

Der Beobachtungszeitraum von Ulrich endet allerdings schon mit dem Jahr 1991, so daß zentrale, danach einsetzende Entwicklungen sowohl in der Ein- gliederungsgesetzgebung gegenüber den Aussiedlern, die in seinem Aufsatz genau wie diejenige gegenüber den Vertriebenen nur am Rande angesprochen wird, als auch in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt zwangsläufig nicht berücksichtigt werden konnten, aber in der vorliegenden Arbeit thematisiert werden können. So war, davon wird später noch die Rede sein, von dem 1991 noch grassierenden wirtschaftlichen Einheitsboom schon bald nurmehr wenig zu spüren und Leistungen zur Arbeitsmarkteingliederung der Aussiedler, deren Bedeutung von Ulrich aufgrund ihrer Defizite in Ausbildung und Sprache zu Recht betont worden ist, wurden nicht zuletzt auch mit dem Hinweis auf die finanziellen Belastungen der deutschen Einheit gekürzt bzw. gestrichen. Eben- sowenig aufnehmen konnte Ulrich die in den 1990er Jahren zahlreich erschie- nene und aufschlußreiche Literatur zur Arbeitsmarkteingliederung der Aus- siedler, die für diese Arbeit herangezogen werden konnte.

Der kurze Aufsatz von Ernst Schremmer beschäftigt sich mit psychologischen und soziologischen Vergleichen von Flucht und Vertreibung nach 1945 und

77 Ebd., S. 172. 1. Einführung 32

Asyl- und Aussiedlerzuwanderung in den 1980er Jahren78. Er verweist dort auf die zunächst zu beobachtenden teils massiven Vorurteile und Abwehrhal- tungen, denen der millionenfache Vertriebenenzustrom nach dem Krieg auf Seiten der Einheimischen auslöste. Sie resultierten einerseits aus der Unkennt- nis der Hintergründe der (Zwangs-)Zuwanderung der Deutschen aus dem Osten und andererseits daraus, daß diese als bedrohlich für den eigenen „Wohl- stand“79 und, aufgrund der Unterschiede in Kultur und Mentalität, auch der eigenen kulturellen Identität angesehen wurden. Eine ähnliche Entwicklung sieht Schremmer für das Ende der 1980er Jahre, als die Aussiedler, deren Zu- wanderung von der Bundesrepublik über Jahrzehnte ohne große Komplikatio- nen verkraftet worden und von der Bevölkerung akzeptiert gewesen sei, im Zuge ihrer stark ansteigenden Zuwandererzahlen und in der oft vollzogenen Überschneidung mit Ausländer- und Asylbewerberfragen mit den aus der Nachkriegszeit bekannten Vorurteilen und Abwehrhaltungen konfrontiert wor- den seien. Mit Blick auf die Entwicklung bei den Vertriebenen, als aus dem anfänglichen Gegeneinander zwischen Einheimischen und Zuwanderern zu- nehmend ein Miteinander wurde und die Neubürger schließlich sogar als ein Gewinn für Kultur- und Geistesleben betrachtet wurden, stellt Schremmer her- aus, daß die Aussiedler ähnlich gewinnbringend für die Aufnahmegesellschaft sein könnten. Jedoch beschränkt sich Schremmer insgesamt auf die psychologi- sche und soziologische Vergleichsebene, die nicht im Mittelpunkt des Interes- ses dieser Arbeit steht.

1.3. Aufbau der Arbeit

Bevor die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern miteinander vergli- chen wird, wird es in dem auf diese Einführung folgenden Kapitel 2. zunächst um die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern gehen. Es soll danach gefragt werden, warum beide Gruppen in den Westen kamen, wo die jeweili- gen Migrationshintergründe und -motive lagen und ob und inwieweit von

78 Ernst Schremmer: Vertreibung und Flucht nach 1945 – Asyl und Aus- siedlung in den 80er Jahren – psychologische und soziologische Verglei- che. In: AWR-Bulletin 28 (1990), S. 86-90.

79 Ebd., S. 88 1. Einführung 33 staatlicher Seite auf das jeweilige Migrationsgeschehen Einfluß genommen werden konnte. Genau wie bei dem in den Kapiteln 3. und 4. erfolgenden Blick auf das Eingliederungsgeschehen wird auch hier für die Aussiedler der Unter- suchungszeitraum 1988 bis 2000 gewählt. Obwohl in dieser Arbeit die Vertrie- benen mit ab 1988 zuwandernden Aussiedlern verglichen werden sollen, wird in Punkt 2.2. auch etwas ausführlicher auf die Aussiedlerzuwanderung und – zuwanderungspolitik zwischen 1950 und 1987 eingegangen. Dies geschieht ein- mal, um die Hintergründe der Aussiedlerzuwanderung in die Bundesrepublik zu verdeutlichen, es geschieht vor allem aber auch deshalb, um die mit dem Ende des Kalten Krieges einsetzenden Brüche und Verwerfungen in der bun- desdeutschen Zuwanderungspolitik gegenüber den Aussiedlern herauszustel- len.

Im sich daran anschließenden Kapitel 3. steht die wohnräumliche Eingliede- rung der beiden großen Zuwanderungswellen von Deutschen aus dem Osten im Mittelpunkt. Denn das größte Problem nach ihrer Ankunft war zunächst die Frage nach ihrer Unterbringung und Versorgung. Das gilt zuallererst für die Vertriebenen, die in das zerstörte Nachkriegsdeutschland kamen, aber, wenn- gleich auch mit einigen Abstrichen, auch für die Aussiedler der großen Zuwan- derungswellen zwischen 1988 und etwa 1991; allerdings ist zu betonen, daß sich die Situation mit dem Rückgang der Aussiedlerzahlen rasch entspannte. Es soll zunächst danach gefragt werden, wie die Aufnahme und die Unterbringung von Vertriebenen und Aussiedlern nach ihrer Ankunft im Westen geregelt wurden und wie sich ihre Wohnsituation darstellte. Dann wird aufgezeigt, wel- che Maßnahmen seitens des Bundes getroffen wurden, um durch öffentliche Mittel den Wohnungsbau für und den Eigenheimbau durch Vertriebene und Aussiedler zu fördern, und welchen Veränderungen diese Maßnahmen insbe- sondere in den 1990er Jahren unterlagen.

Nachdem der Blick auf die Vor- und Rahmenbedingungen erfolgt ist, wird schließlich in Punkt 3.3. die wohnräumliche Eingliederung der beiden großen Wellen von Deutschen aus dem Osten miteinander verglichen. Der Vergleich orientiert sich dabei an der Frage, ob und inwieweit es Vertriebenen und Aus- siedlern gelingen konnte, den durchschnittlichen Wohnungsstandard der ein- heimischen Bevölkerung zu erreichen. Dies soll anhand einiger Indikatoren wie etwa der Wohnungsgröße oder den pro Person zur Verfügung stehenden m2 1. Einführung 34

überprüft werden. Eine Zusammenfassung des Erarbeiteten schließt das Kapitel ab, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Eingliederungsverläufen noch einmal herausgestellt werden.

Das Kapitel 4. beschäftigt sich mit der Arbeitsmarkteingliederung von Vertrie- benen und Aussiedlern. Bevor jedoch auf diesen Prozeß eingegangen wird, gilt es, selbigen zunächst einzubetten in das Wirkungsgeflecht von: 1) den jeweili- gen Rahmenbedingungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt, 2) den jeweiligen gruppenspezifischen, sozioökonomischen Profilen, also den ‚mitge- brachten‘ (Berufs-)Abschlüssen und Qualifikationen, 3) der jeweiligen Ausge- staltung von Eingliederungsmaßnahmen im beruflichen Bereich sowie 4) der jeweiligen regionalen Mobilität von Vertriebenen und Aussiedlern. Diese ist bei der Arbeitsplatzsuche oder der Verbesserung der beruflichen Position von besonderer Bedeutung und auf sie wurde jeweils auch durch den Bund ver- sucht, wenngleich mit unterschiedlichen Motivationen, über eine entsprechen- de Gesetzgebung Einfluß zu nehmen. Diese vier Bestandteile des Geflechts, welches zentral auf die Arbeitsmarkteingliederung sowohl der Vertriebenen als auch der Aussiedler eingewirkt hat, werden im Kapitel 4. in der gerade ge- nannten Reihenfolge zuerst beleuchtet.

Im Punkt 4.5. erfolgt dann der Vergleich der Arbeitsmarkteingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern. Ähnlich wie bei der wohnräumlichen Eingliede- rung geht es hier um die Frage, ob die beiden großen Wellen von Deutschen aus dem Osten nach den durch ihre Migration zwangsläufig erlittenen Brüchen in den Erwerbsbiographien in beruflicher Hinsicht zu den durchschnittlichen Werten der einheimischen Bevölkerung aufschließen konnten. Als Vergleich- sindikatoren werden zum Beispiel Arbeitslosenquoten, Einkommensverhältnis- se und berufliche Positionen herangezogen. Zudem soll auch angesprochen werden, ob Vertriebene und Aussiedler weiterhin den beruflichen Tätigkeiten nachgehen konnten, die sie bereits in ihren Herkunftsregionen ausübten. Hier erfolgt dann teilweise ein Rückbezug auf den Punkt 4.2., der sich mit dem so- zioökonomischen Profil beider Gruppen beschäftigt. Auch am Schluß des 4. Kapitels erfolgt mit nochmaligem Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschie- de in den Eingliederungsverläufen beider Gruppen eine Zusammenfassung. 1. Einführung 35

Den Abschluß der Arbeit bildet das Kapitel 5. Dort werden Bereiche des kul- tur- und mentalitätsgeschichtlichen Eingliederungsgeschehens von Vertriebe- nen und Aussiedlern, die in den Kapiteln 3. und 4. nicht oder nur am Rande behandelt werden, etwas ausführlicher thematisiert. Am Ende des Kapitels werden schließlich, unter Hinweis auf die völlig unterschiedliche Erfassung von Vertriebenen und Aussiedlern in amtsstatistischen Daten, Möglichkeiten zur Verbesserung der Datensituation mit Blick auf die Aussiedler diskutiert. 36

2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern

2.1. Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit

Ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Migrationsgeschehens im 20. Jahrhundert waren neben ‚freien‘ Wanderungen politisch bedingte Zwangs- wanderungen in Form von Flucht, Deportation, Umsiedlung und Vertreibung. Sie wurden stets begleitet von Brutalität, Schikanen, Leid, Furcht, Terror, Ver- gewaltigung, Totschlag und Mord1. Bereits während des Ersten Weltkriegs, vor allem aber mit dessen Ende und den anschließenden Staatenbildungspro- zessen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa erreichten Massenfluchtbewegun- gen und Deportationen einen ersten Höhepunkt2. Durch die Ergebnisse der nationalsozialistischen Rassenpolitik, im Kontext des Zweiten Weltkriegs und der nachfolgenden weltpolitischen Konfrontation von Ost und West wurde diese Entwicklung noch einmal deutlich verschärft3. Nicht zuletzt deshalb wurde das 20. Jahrhundert mit Recht auch als das „Jahrhundert der Flüchtlin- ge“4 bezeichnet. Die vor allem aus den Ergebnissen des Ersten und Zweiten Weltkriegs resultierenden politischen Ereignisse führten aber nicht nur zu

1 Vgl. Johannes-Dieter Steinert: Das Jahrhundert der Zwangswanderungen. In: Rainer Schulze / Reinhard Rode / Rainer Voss (Hrsg.): Zwischen Heimat und Zuhause. Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene in (West-) Deutschland 1945-2000. Osnabrück 2001, S. 19-28, hier S. 19.

2 Zu Flucht, Vertreibung und Deportation während und nach dem Ersten Weltkrieg vgl. Bade: Europa in Bewegung, S. 246 ff. und S. 275 ff.

3 Allein bis zum Kriegsende im Mai 1945 waren wahrscheinlich minde- stens 50-60 Millionen Menschen und damit mehr als 10 % der europäi- schen Gesamtbevölkerung von den Zwangswanderungen des Zweiten Weltkriegs betroffen. Auch nach dessen Ende kam es noch zu millionen- fachen Zwangswanderungen und daraus resultierenden Folgewanderun- gen, vgl. ebd., S. 285.

4 Franz Nuscheler: Das Jahrhundert der Flüchtlinge. In: Schulze/Brelie- Lewien/Grebing (Hrsg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeut- schen Nachkriegsgeschichte, S. 6-23. Ein letzter negativer Höhepunkt in diesem Zusammenhang waren die Flüchtlingsströme aus dem Südosten Europas seit Anfang der 1990er Jahre, die das zerfallene und von Bür- gerkrieg gezeichnete Jugoslawien sowie Albanien als wichtigste Aus- gangsräume hatten, vgl. Bade: Europa in Bewegung, S. 428 ff. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 37

Zwangswanderungen, sondern sie veränderten auch das gesamte europäische Wanderungsgeschehen: „Viele Binnenwanderung etwa waren nunmehr grenz- überschreitende Wanderungen, manche alte Wanderungstradition hörte ganz auf, weil allfällige Grenzsperren und politische Konflikte zwischen den neuen Staaten oder den anderen Bündnissystemen zugeordneten Ländern sie nicht mehr zuließen.“5

Migration als Folge politischer Neuordnungen in Europa war im 20. Jahrhun- dert eine Erscheinung, die Deutschland in besonderem Maße betraf. Wie Klaus J. Bade treffend pointierte, setzten sich in der Geschichte der Deutschen näm- lich nicht nur Menschen über Grenzen, sondern vor allem auch Grenzen über Menschen hinweg6. Das galt insbesondere für die Deutschen und Deutsch- stämmigen jenseits von Oder und Neiße und in den traditionellen deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa. Ihre Vorfahren verließen den deutschsprachigen Raum vor Generationen, vor Jahrhunderten oder sogar – wie im Falle der ‚Siebenbürger Sachsen‘ – schon im Spätmittelalter und siedelten vornehmlich im heutigen Polen, Rußland, Rumänien und Tschechien7.

Bereits das Ende des Ersten Weltkriegs brachte starke Veränderungen für die gerade genannten Gruppen. Auf der Basis des Friedensverträge von Versailles, Saint-Germain und Trianon 1919/20, die die politische Geographie Europas neu gestalteten, hatte das Deutsche Reich große Gebiete an andere, zum Teil

5 Jochen Oltmer: Einführung: Steuerung und Verwaltung von Migration in Deutschland seit dem späten 19. Jahrhundert. In: Ders. (Hrsg.): Migration steuern und verwalten, S. 9-56, hier S. 13.

6 Vgl. Klaus J. Bade: Die neue Einwanderungssituation in Deutschland. Geschichtserfahrung und Zukunftsangst. In: Geschäftsstelle der Arbeits- gemeinschaft Kath. Flüchtlings- und Aussiedlerhilfe (KLD) (Hrsg.): Das neue Europa. Aussiedler und Flüchtlinge als Teil der Migrationsbewe- gungen. Ettenheim o. J., S. 89-96, hier S. 91 f.

7 Zur deutschen Siedlungsgeschichte in Ostmittel-, Südost- und Osteuropa vgl. die Beiträge von Volker Press, Holm Sundhaussen, Günter Schödl und Detlef Brandes in: Bade (Hrsg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Einen Überblick bietet auch Eva Schmitt-Rodermund: Zur Geschichte der Deutschen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks. In: Silbereisen/Lantermann/Schmitt-Rodermund (Hrsg.): Aussiedler in Deutschland, S. 49-66. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 38 neu entstehende Staaten (zum Beispiel Polen und die Tschechoslowakei) ab- zutreten, was zum Ausschluß mehrerer Millionen Personen deutscher Nationa- lität bzw. Volkszugehörigkeit aus der Weimarer Republik führte. Unmittelbare Folge hiervon waren, neben der Entstehung größerer deutschsprachiger Min- derheiten in Ost-, Ostmittel und Südosteuropa starke, mitunter bereits mit dem Waffenstillstand 1918 einsetzende Flucht- und Umsiedlungsbewegungen. Die- se ethnische Zuwanderung in das Deutsche Reich nach dem Ersten Weltkrieg hatte eine Größenordnung von ca. 1 Millionen Personen8.

Mit dem Zweiten Weltkrieg begann dann im Herbst 1939 eine der größten Um- siedlungs-, Emigrations- und Vertreibungswellen der Geschichte. Während in der Weimarer Republik aus innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Erwä- gungen die Erhaltung von Minderheiten deutscher Abstammung in ihren Sied- lungsgebieten besonders betont wurde9, zielte die nationalsozialistische Politik darauf, große Teile dieser Gruppen ‚heim ins Reich‘ zu holen und in dem neu- en ‚Lebensraum‘ im Osten, d. h. insbesondere in von Polen eroberten und von der Tschechoslowakei annektierten Gebieten anzusiedeln, die dem Reich ein- gegliedert worden waren. Von 1939 bis 1944 wurden vor diesem Hintergrund

8 Diese Zuwanderung betraf vor allem ehemalige Beamte aus Justiz und Verwaltung, Militärs, Lehrer, Bedienstete von Bahn und Post sowie an- dere Angehörige der bis 1918 staatstragenden Eliten des Deutschen Rei- ches, vgl. Rainer Münz / Rainer Ohliger: Deutsche Minderheiten in Ost- mittel- und Osteuropa, Aussiedler in Deutschland. Eine Analyse ethnisch privilegierter Migration. Berlin 31998 (Demographie aktuell 9), S. 4. Die größte Gruppe unter ihnen kam mit ca. 850.000 Deutschen aus den an Polen abgetretenen Ostgebieten des Reiches. Aus Elsaß-Lothringen stammten ca. 150.000, aus den ehemaligen deutschen Kolonien ca. 16.000. In den Wirren des russischen Bürgerkriegs verließen ferner noch etwa 120.000 Rußlanddeutsche ihre Siedlungsgebiete in Richtung Deutschland, vgl. Bade: Europa in Bewegung, S. 278. Zur transnationa- len Migration in der Weimarer Republik vgl. allgemein neuerdings Jo- chen Oltmer: Migration und Politik in der Weimarer Republik. Göttingen 2005.

9 Vgl. Jochen Oltmer: Deutsche Migrationsverhältnisse. Neuere For- schungsergebnisse zur Wanderungsgeschichte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. In: Historisches Jahrbuch 122 (2002), S. 483-520, hier S. 508 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 39 etwa eine Million ‚Volksdeutsche‘ aus ihren traditionellen Siedlungsgebieten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa in das Deutsche Reich umgesiedelt10.

Nach der Devise „Platzschaffen für Volksdeutsche“11 wurde als Vorausset- zung für deren Ansiedlung 1939/40 die großangelegte und euphemistisch be- zeichnete ‚Umsiedlung‘ der in den entsprechenden Gebieten ansässigen Bevöl- kerung eingeleitet, die in Wirklichkeit eine brutale Vertreibung bzw. Deporta- tion dieser Menschen war, welche schließlich im Völkermord kulminierte12. Auf der Basis des sogenannten ‚Generalplanes Ost‘ sollten nach dem ‚Endsieg’ 45 Millionen Menschen ‚umgesiedelt’ werden. Die hierfür vorgesehenen Ge- biete reichten bis zum Ural. Bleiben sollten lediglich zu Arbeitssklaven degra- dierte und damit nach NS-Ideologie noch nützlich erscheinende Menschen13. Wie sich ‚Reichsführer SS‘ Heinrich Himmler die künftige Ordnung in Ost- europa vorstellte, verdeutlicht folgende Anweisung von ihm aus dem Jahr 1940: „Für die nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule. Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich und fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforder- lich.“14

10 Von dieser Umsiedlung betroffen waren Angehörige deutscher Minder- heiten aus dem Baltikum, Bessarabien, der Bukowina, der Gottschee, der Krain, Südtirol und Wolhynien. „Etliche von ihnen wurden damals gegen ihren Willen umgesiedelt“, vgl. Münz/Ohliger: Deutsche Minderheiten in Ostmittel- und Osteuropa, S. 4.

11 Götz Aly: ‚Endlösung‘. Völkerverschiebung und der Mord an den euro- päischen Juden. Frankfurt/M. 1995, S. 59 ff.

12 Vgl. hierzu neben der Studie von Götz Aly auch Michael G. Esch: Mi- grationssteuerung im totalen Staat: die Umwandererzentralstelle im be- setzten Polen 1939-1944. In: Oltmer (Hrsg.): Migration steuern und ver- walten, S. 177-206.

13 Vgl. Wolfgang Benz: Der Generalplan Ost. Zur Germanisierungspolitik des NS-Regimes in den besetzten Ostgebieten 1939-1945. In: Ders. (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, S. 45-57.

14 Zit. nach Thomas Urban: Deutsche in Polen. Geschichte und Gegenwart einer Minderheit. München 42000, S. 48. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 40

Insgesamt war die Besatzungspolitik der Deutschen gegenüber den ‚slawischen Untermenschen‘ in Ost- und Südosteuropa durch besondere Brutalität gekenn- zeichnet15, die im industrialisierten Massenmord an den europäischen Juden in den Vernichtungslagern im besetzten Polen gipfelte (‚Endlösung‘)16. „Der nationalsozialistische Drang nach Osten und die Methoden, mit denen er für kurze Zeit verwirklicht wurde, zerstörten […] die Grundlagen des Zusammen- lebens der deutschen Volksgruppen in Rumänien, in Ungarn, in der Tschecho- slowakei, in Jugoslawien und in Rußland mit ihrer Umgebung. Die nationalso- zialistische Politik war Ursache des Unglücks, das am Ende des Zweiten Welt- kriegs über die Opfer von Flucht und Vertreibung hereinbrach.“17

Diese Flucht begann im Sommer 1944, als sowjetische Truppen in Nord- siebenbürgen und im Memelgebiet auf geschlossenes deutsches Siedlungsge- biet trafen, und setzte sich fort, nachdem die Rote Armee im Oktober 1944 die ostpreußische Grenze überschritt und schnell vorrückte. Vor allem Frauen, Kinder und Greise flüchteten auf dem Landwege oder über die Ostsee, oftmals von der jeweiligen NSDAP-Kreisleitung viel zu spät in Marsch gesetzt und damit nicht nur der besonderen Strenge des Winters 1944/45 ausgesetzt, son- dern auch den unmittelbaren Auswirkungen der Kampfhandlungen sowie der ‚Rache‘ der sowjetischen Soldaten. Diese gingen zum Teil mit äußerster Bru- talität gegen die deutsche Zivilbevölkerung vor, die ihnen bei der Besetzung einer Ortschaft oder dem Überrollen eines Flüchtlingstrecks in die Hände fiel18. Die vielfach zu spät eingeleitete Evakuierung der Bevölkerung resul- tierte auch aus der Kriegsführung der Wehrmacht, nach der Flüchtlinge und einheimische Bevölkerung in Ost- und Südosteuropa als ‚antibolschewistischer

15 Vgl. etwa Helmut Krausnick: Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 1938-1942. Frankfurt/M. 1993.

16 Vgl. insgesamt hierzu Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. 3 Bände. Frankfurt/M. 1991.

17 Benz: Der Generalplan Ost , S. 55.

18 Vgl. hierzu unter anderem die Erlebnisberichte bei Alfred-M. de Zayas: Anmerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Stuttgart u. a. 1986, S. 60 ff. und Josef Henke: Exodus aus Ostpreußen und Schle- sien. Vier Erlebnisberichte. In: Benz (Hrsg.): Die Vertreibung der Deut- schen aus dem Osten, S. 114-131. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 41

Menschenwall‘ zur Stabilisierung der Rückzugsfront beitragen sollten19. Auf der Flucht vor der Roten Armee spielten sich unzählige Dramen gab, zu deren Sinnbild bis heute der Untergang des mit tausenden Flüchtlingen überfüllten Passagierdampfers ‚Wilhelm Gustloff‘ in der Ostsee Ende Januar 1945 zählt.

1939 hatten in den östlichen Provinzen des Reiches ca. zehn Millionen Deut- sche gelebt20. Bei Kriegsende im Mai 1945 lag die deutsche Bevölkerung in den nunmehr von sowjetischen und polnischen Truppen eroberten Ostgebieten des Reiches noch bei über vier Millionen21. Genau wie der Erste Weltkrieg hatte auch der Zweite Weltkrieg massive Veränderungen auf der politischen Landkarte insbesondere Ost- und Ostmitteleuropas zur Folge. Polen beispiels- weise erhielt als Ausgleich für den Verlust seiner östlichen Territorien an die Sowjetunion22 große Teile der ehemaligen deutschen Ostgebiete23. In diesen nunmehr neuen polnischen Westgebieten und der Tschechoslowakei kam es im Sommer 1945 zu den sogenannten ‚wilden‘ Vertreibungen, die bis zu 800.000 Sudetendeutsche in der Tschechoslowakei und bis zu 300.000 Deutsche ent- lang der polnischen Westgrenze an Oder und Neiße betrafen24. Ihren Ursprung

19 Vgl. Rolf-Dieter Müller: Es begann am Kuban … Flucht- und Deportati- onsbewegungen in Osteuropa während des Rückzugs der deutschen Wehrmacht 1943/44. In: Robert Streibl (Hrsg.): Flucht und Vertreibung. Zwischen Aufrechnung und Verdrängung. Wien 1994, S. 42-76, hier S. 44.

20 Über 8 Millionen ‚Volksdeutsche‘ lebten 1939 jenseits der deutschen Grenzen. Davon entfielen als größte Gruppe 3,5 Millionen auf die Tsche- choslowakei, 1,4 Millionen auf die Sowjetunion, 1,2 Millionen auf Polen, 780.000 auf Rumänien, 600.000 auf Ungarn und 500.000 auf Jugoslawi- en, vgl. Daniel Levy: Integrating ethnic germans in West Germany. In: Rock/Wolff (Hrsg.): Coming home to Germany?, S. 19-37, hier S. 19 f.

21 Vgl. Klaus J. Bade / Jochen Oltmer: Einführung. In: Dies. (Hrsg.): Aus- siedler: deutsche Einwanderer aus Osteuropa, S. 7-51, hier S. 19.

22 Der Sowjetunion wurden jene Gebiete zuerkannt, die sie schon nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 als Einflußzone erhalten hatte, also die drei balti- schen Staaten und Teile Ostpolens. Hinzu kam noch der nördliche Teil Ostpreußens.

23 Hierzu zählten Schlesien, Pommern, Teile Brandenburgs und der südli- che Teil Ostpreußens.

24 Vgl. Steinert: Das Jahrhundert der Zwangswanderungen, S. 22. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 42 hatten die ‚wilden‘ Vertreibungen des Sommers 1945 aber nicht in alleinigen politischen Entscheidungen der Tschechoslowakei und Polens, die Vertreibung der Deutschen war vielmehr von den alliierten Großmächten schon auf den Kriegskonferenzen in Teheran (1943) und Jalta (1945) beschlossen worden. Basierend auf den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit sollte der deutschen Seite die Möglichkeit genommen werden, erneut deutsche Minderheiten außer- halb der Landesgrenzen politisch zu instrumentalisieren. Bereits im Dezember 1944 hatte es der britische Premierminister Winston Churchill so formuliert: „Die Vertreibung ist, soweit wir in der Lage sind, es zu überschauen, das be- friedigendste und dauerhafteste Mittel. Es wird keine Mischung der Bevölke- rung geben, wodurch endlose Unannehmlichkeiten entstehen, wie zum Beispiel im Fall Elsaß-Lothringen. Reiner Tisch wird gemacht werden.“25

Endgültig besiegelt wurde der Transfer großer deutscher Bevölkerungsteile aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa auf der Konferenz von Potsdam (17. Juli bis 2. August 1945). Als Siegermächte des Zweiten Weltkriegs beschlossen Groß- britannien, die UdSSR und die USA, daß „die Überführung der deutschen Be- völkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden“ solle, und zwar in „ordnungsgemäßer und humaner Weise.“26 Doch auch die nun

25 Zit. nach Wolfgang Benz: Fremde in der Heimat. Flucht – Vertreibung – Integration. In: Bade (Hrsg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland, S. 374-386, hier S. 381. Die restlose Austreibung der 3,5 Millionen Sudetendeutschen hatte für die Tschechoslowakei Staatspräsi- dent Benesch bereits 1941 im Londoner Exil gefordert, vgl. ebd. Zu den verschiedenen Plänen und Intentionen der Alliierten hinsichtlich der Ausweisung der Deutschen vgl. Klaus-Dietmar Henke: Der Weg nach Potsdam. Die Alliierten und die Vertreibung. In: Benz (Hrsg.): Die Ver- treibung der Deutschen aus dem Osten, S. 58-85 und de Zayas: Anmer- kungen zur Vertreibung, S. 112 ff.

26 Zit. nach Frantzioch-Immenkeppel: Die Vertriebenen in der Bundesrepu- blik Deutschland, S. 3-13, hier S. 4. Das Potsdamer Abkommen war kei- neswegs das erste Vertragswerk, das die Zwangsumsiedlung großer Be- völkerungsteile regelte. Bereits 1923 war im Lausanner Vertrag zwischen Griechenland und der Türkei vereinbart worden, rund 400.000 Türken und 1,5 Millionen Griechen umzusiedeln, was in den folgenden Jahren unter Aufsicht des Völkerbundes durchgeführt wurde. Die Zwangsum- siedlung von ethnischen Minderheiten auch in großen Dimensionen zur Vermeidung künftiger Konflikte wurde damit erstmals sogar völker- 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 43 beginnenden ‚organisierten‘ Vertreibungen liefen alles andere als ordnungsge- mäß oder human ab. „Massentransporte unter katastrophalen Versorgungsbe- dingungen, brutaler Bewachung und ständigen Ausplünderungen führten auch hier zu ungezählten Opfern.“27 Zudem beschränkte sich diese ‚Überführung‘ nicht nur auf die in den Potsdamer Beschlüssen genannten Länder Polen, Tschechoslowakei und Ungarn, was schließlich zu einem erzwungenen Mas- senexodus der Deutschen und Deutschstämmigen aus gesamt Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa führte28. Betroffen waren von der Umsetzung der Potsda- mer Beschlüsse alle Deutschen, unabhängig von ihrer Involvierung in die na- tionalsozialistische Gewaltherrschaft. Auch deutsche Juden, die den Holocaust überlebt hatten, und ehemalige deutsche Widerstandskämpfer wurden vertrie- ben29.

Einen Eindruck über das Ausmaß von Flucht und Vertreibung bieten die Er- gebnisse der ersten Volkszählung vom 29. Oktober 1946, nach der sich in den vier Besatzungszonen über 9,5 Millionen aus ihrer Heimat vertriebene Deut- sche befanden, die wie folgt aufgeteilt waren: In der sowjetischen Zone 3,6 Millionen, in der britischen 3,1 Millionen, in der amerikanischen 2,7 Mil-

rechtlich sanktioniert. Das Beispiel des Lausanner Vertrages war den während und nach dem Zweiten Weltkrieg auf alliierter Seite politisch Handelnden durchaus bewußt, weshalb er durchaus auch zur Vorge- schichte des Potsdamer Abkommens zu zählen ist, vgl. Nuscheler: Das Jahrhundert der Flüchtlinge, S. 10 f.

27 Bade: Europa in Bewegung, S. 298. Vgl. hierzu auch die Erlebnisberichte etwa bei Utta Müller-Handl: „Die Gedanken laufen oft zurück …“: Flüchtlingsfrauen erinnern sich an ihr Leben in Böhmen und Mähren und an den Neuanfang in Hessen nach 1945. Wiesbaden 1993 und Klaus J. Bade / Hans-Bernd Meier / Bernhard Parisius (Hrsg.): Zeitzeugen im In- terview. Flüchtlinge und Vertriebene im Raum Osnabrück nach 1945. Osnabrück 21998.

28 Zur Vertreibung und Ausweisung der deutschen Bevölkerung aus Polen, Ungarn, Rumänien, der Tschechoslowakei und Jugoslawien nach 1945 vgl. auch die vom Bundesministerium für Vertriebene herausgegebene ‚Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa‘.

29 Vgl. Adolf Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen: Vergangenheitsorientierung und Strukturwandel. In: Bade (Hrsg.): Frem- de im Land, S. 77-124, hier S. 78. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 44 lionen, in Berlin 100.000 und 60.000 in der französischen Besatzungszone30. Bis zum Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen 1950 erhöhte sich die absolute Zahl der Vertriebenen noch einmal um drei Millionen auf insge- samt ca. 12,5 Millionen. Etwa 2 bis 2,5 Millionen Menschen deutscher Natio- nalität oder Herkunft haben Flucht und Vertreibung nicht überlebt. Von den 12,5 Millionen Vertriebenen in der Bundesrepublik und der DDR des Jahres 1950 kam mit sieben Millionen der größte Teil aus den vormals deutschen Ost- gebieten jenseits von Oder und Neiße, die nach 1945 polnisches Staatsgebiet geworden waren, mit Ausnahme von der an die UdSSR gefallenen Nordhälfte Ostpreußens. Als nächstgrößte Gruppen folgten knapp drei Millionen Flücht- linge und Vertriebene aus der Tschechoslowakei, ca. 1,4 Millionen aus dem Polen der Vorkriegsgrenzen, ca. 300.000 aus der bis 1939 unter Verwaltung des Völkerbunds stehenden ‚Freien Stadt‘ Danzig, knapp 300.000 aus Jugo- slawien, ca. 200.000 aus Ungarn und ca. 130.000 aus Rumänien31.

Nachdem 1946 bereits mit knapp sechs Millionen zwei Drittel aller Vertriebe- nen auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik registriert wurden, stieg die Zahl dort bis 1950 noch einmal auf knapp acht Millionen an. Den Hintergrund für diesen Zuwachs bildeten der weitere direkte Zustrom aus den Vertrei- bungsgebieten, die Zuwanderung von Vertriebenen, die zunächst in die sowje- tische Besatzungszone gelangt waren, die Rückkehr von Kriegsgefangenen aus

30 Vgl. Wolfgang Benz: Fünfzig Jahre nach der Vertreibung. Einleitende Bemerkungen. In: Ders. (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, S. 8-15, hier S. 10. Die nur geringe Anzahl von Vertriebenen in der französischen Besatzungszone resultierte weniger daraus, daß Frank- reich an der Konferenz von Potsdam nicht teilnehmen durfte, sondern vielmehr aus sicherheitspolitischen Überlegungen und der Furcht vor Un- ruhen im Grenzgebiet. Die durch Flucht und Vertreibung bewirkte Ver- dichtung der deutschen Bevölkerung mußte aus französischer Sicht um so mehr eine Bedrohung darstellen, weil der östliche Nachbar während der nationalsozialistischen Herrschaft insbesondere die Eroberung von mehr ‚Lebensraum‘ propagiert hatte. Die französische Regierung setzte sich in diesem Zusammenhang in den folgenden Jahren für eine interna- tional organisierte Auswanderung aus Deutschland ein, und Außenmini- ster Bidault signalisierte ferner die Bereitschaft, unter Umständen einige Millionen Deutsche nach Frankreich einwandern zu lassen, vgl. Steinert: Das Jahrhundert der Zwangswanderungen, S. 26.

31 Vgl. Bade: Europa in Bewegung, S. 297 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 45 den Vertreibungsgebieten und der Geburtenüberschuß der Vertriebenen32. Wenn von ‚den Vertriebenen‘ als einer einheitlichen Gruppe gesprochen wird, ist zu bedenken, daß sie sich in ihrer Zusammensetzung sehr heterogen zeigte. So unterschieden sich allein die Vertriebenen, die aus den ehemaligen deut- schen Ostgebieten nach Westdeutschland gelangt waren, ihren Herkunftsge- bieten nach in Ostpreußen, Brandenburger, Pommern, Nieder- und Oberschle- sier. Sie stellten 1950 zusammen mit insgesamt knapp 4,5 Millionen den größ- ten Teil der Vertriebenen in der Bundesrepublik. Die zweitgrößte Gruppe wa- ren mit ca. 2 Millionen Vertriebene aus der Tschechoslowakei, gefolgt von etwa 800.000 aus Mittel- und Osteuropa (Polen, Sowjetunion, Baltikum, Freie Stadt Danzig) sowie ca. 500.000 aus den südosteuropäischen Ländern (Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien) und rund 200.000 aus dem übrigen Aus- land33.

Schaubild 1: Vertriebene nach Herkunftsländern 1950 (in %)

6% 3% 10% Deutsche Ostgebiete Tschechoslowakei Mittel- und Osteuropa 57% Südosteurop. Länder 24% Übriges Ausland

Quelle: Reichling: Die deutschen Vertriebenen in Zahlen. Teil II, S. 30 f.

32 Vgl. Franz J. Bauer: Aufnahme und Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen. Das Beispiel Bayern 1945-1950. In: Benz (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, S. 199-217, hier S. 199.

33 Zu den genauen Zahlen vgl. Gerhard Reichling: Die deutschen Vertrie- benen in Zahlen. Teil II: 40 Jahre Eingliederung in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1989, S. 30 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 46

Die Flucht und die Vertreibung der Deutschen aus Ostmittel- und Südosteuropa zogen ihrerseits millionenfache Folgewanderungen in die Vertreibungsgebiete nach sich34. „Nach Bevölkerungsverschiebungen und Genozid während des Zweiten Weltkriegs, nach Grenzverschiebungen, Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung trugen sie bei zu einer völligen Umgestaltung der Na- tionalitätenkarte im Osten Europas.“35

2.2. Aussiedler-/Spätaussiedlerzuwanderung und -zuwanderungspolitik

Umsiedlungen, Flucht, Evakuierung und Vertreibung nach 1945 betrafen we- der alle Deutschen, die auf ehemals deutschem Territorium gelebt hatten, noch betrafen sie alle deutschen Minderheiten in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa. Die dort, vor allem in der Sowjetunion, in Polen und Rumänien36 noch ver- bliebenen ca. vier Millionen Personen deutscher Abstammung bildeten den Ursprung des Migrationspotentials der Personengruppe, die seit 1950 als Aus- siedler in die Bundesrepublik Deutschland kamen. Allerdings lebten viele von ihnen Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre nicht mehr in den alten Sied- lungsgebieten, sondern waren durch Zwangsumsiedlung und Deportation weit verstreut in fremder Umgebung, isoliert, entrechtet und als ‚Faschisten‘ dis- kriminiert. Arbeitszwang, kollektive Erniedrigung, politische Ächtung, sprach- liche und kulturelle Unterdrückung überdauerten die Deportationen und das Ende des Zweiten Weltkriegs37.

34 Vgl. John J. Kulczycki: Rural Transformation in Poland after 1945: The Polonization of the ‚Recovered Lands‘. In: Shingo Minamizuka (Hrsg.): The Transformation of the Systems of East-Central Europe. Rural Socie- ties before and after 1989. Kecskemét 1996, S. 83-93 sowie Philipp Ther: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpoli- tik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956. Göttingen 1998 (Kritische Studien zu Geschichtswissenschaft, Bd. 127), S. 50-87.

35 Bade/Oltmer: Einführung, S. 20.

36 Zur fast vollständigen Vertreibung der deutschen Minderheiten kam es in der Tschechoslowakei und in Jugoslawien.

37 Vgl. hierzu zum Beispiel Alfred Eisfeld / Victor Held (Hrsg.): Deportati- on, Sondersiedlung, Arbeitsarmee. Deutsche in der Sowjetunion 1941- 1956. Köln 1996; Dittmar Dahlmann: „Operation erfolgreich durchge- führt.“ Die Deportation der Wolgadeutschen 1941. In: Streibl (Hrsg.): 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 47

Zur Lockerung, mitunter sogar zur Aufhebung von Restriktionen gegenüber den deutschen Minderheiten kam es zwar mit zunehmend größerem zeitlichem Abstand zu den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs sowohl in Rumänien, als auch in der Sowjetunion und Polen. Die grundverschiedenen und doch in vieler Hinsicht verwandten kollektiven Schicksale dieser Gruppen zeigen aber, daß sich der Assimilationsdruck gegenüber Deutschstämmigen dort vor allem ge- gen deren Sprachkultur richtete. Auf die daraus resultierenden Folgen insbe- sondere für diejenigen, die nach dem Krieg geboren wurden und als Aussiedler in die Bundesrepublik einreisten, wird später einzugehen sein. Deutlich wird auch, daß die deutschen Minderheiten, die nicht im Zuge von Flucht und Ver- treibung nach Westen gelangten, sondern in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa verblieben, für die dort von Deutschen oder in deutschem Namen begangenen Verbrechen bis weit nach Kriegsende kollektiv haftbar gemacht wurden. Sie hatten somit unter den Folgen des Krieges weitaus länger zu leiden als die an- gestammte Bevölkerung in Westdeutschland, aber auch als die Vertriebenen.

Als die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegründet wurde, betrachtete sie sich, im Gegensatz zur DDR, historisch und juristisch als Nachfolgestaat des untergegangenen Deutschen Reiches. Sie übernahm somit auch die politische und moralische Verantwortung für die deutsche Bevölkerung im Osten Euro- pas. Mit dem Grundgesetz wurde nicht nur den vertriebenen deutschen Be- wohnern der ehemaligen deutschen Ostgebiete verfassungsrechtlich die deut- sche Staatsbürgerschaft garantiert. Ihnen staatsbürgerlich gleichgestellt wurden auch die Vertriebenen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft hatten oder diese im Zuge der nationalsozialistischen ‚Germanisierungspolitik‘ erhalten hat- ten38.

Flucht und Vertreibung, S. 201-226; Klaus J. Bade: Einführung. In: Ders. (Hrsg.): Ausländer, Aussiedler, Asyl in der Bundesrepublik Deutschland. Hannover 31994 (Aktuell/Kontrovers, hrsg. von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung), S. 9-74, S. 44-46. Zur Situation der deutschen Minderheiten in der Sowjetunion, in Polen und in Rumäni- en nach 1945 s. im Überblick auch Bade/Oltmer: Einführung,S. 20 ff.

38 Vgl. Hans von Mangoldt: Die Vertriebenen im Staatsangehörigkeitsrecht. In: Dieter Blumenwitz (Hrsg.): Flucht und Vertreibung. Vorträge eines Symposiums, veranstaltet vom Institut für Völkerrecht der Universität Würzburg, 19.-22. November 1985. Köln u. a. 1987, S. 161-183. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 48

Verantwortung wollte die junge Bundesrepublik aber auch für diejenigen Deut- schen und Deutschstämmigen übernehmen, die in Ost-, Ostmittel- und Südost- europa, wie oben dargelegt, weiterhin unter fortgesetzter ethnischer Diskrimi- nierung litten sowie für die Deutschen in der SBZ/DDR. Deutlich wurde dies schon in den Äußerungen westdeutscher Parlamentarier in den Debatten über den Entwurf des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat39.

Mit dem Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) wurde dann 1953 nicht nur eine wesentliche Rechtsgrundlage für die Integration der Vertriebe- nen gelegt, sondern vor allem auch für die fortdauernde Aufnahme von Deut- schen und Deutschstämmigen aus Osteuropa, die die Bezeichnung ‚Aussiedler‘ erhielten. Die Bundesrepublik reagierte mit diesem Gesetz auf Vertreibung und Diskriminierung der Deutschen in Osteuropa. „As the expulsions were based upon ethnicity, it seemed only logical that the reacting German law should be based upon ethnicity as well.“40 Von zentraler Bedeutung für die Aufnahme derer, die keine Reichsbürger gewesen waren, war vor diesem Hintergrund der Begriff der ‚deutschen Volkszugehörigkeit‘ (§ 6): Um diese ‚Volkszugehörig- keit‘ zu belegen und als Aussiedler anerkannt zu werden, mußte der Nachweis deutscher Abstammung und ein lebensgeschichtliches ‚Bekenntnis zum Deutschtum‘ erbracht werden. Als ein solches ‚Bekenntnis zum Deutschtum‘ wurden neben deutschen Sprachtraditionen, der erkennbaren Pflege ‚deutschen Brauchtums‘ in der Familie und der Eintragung der deutschen Nationalität in die sowjetischen Papiere lange Zeit auch die Mitgliedschaft in den Verbänden der Waffen-SS gewertet sowie die Aufnahme in die berüchtigte Volksliste III, in der die nationalsozialistischen Besatzer alles erfaßten, was ihnen in Polen ‚eindeutschungsfähig‘ erschien41. Die auf diese Weise anerkannten Aussiedler konnten dann problemlos die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, obwohl es

39 Vgl. Klekowski von Koppenfels: Willkommene Deutsche oder tolerierte Fremde?, S. 402 f.

40 Amanda Klekowski von Koppenfels: The decline of privilege: The legal background to the migration of ethnic germans. In: Rock/Wolff (Hrsg.): Coming home to Germany? S. 102-118, hier S. 105.

41 Vgl. Klaus J. Bade: Fremde Deutsche: ‚Republikflüchtlinge‘ – Über- siedler – Aussiedler. In: Ders. (Hrsg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland, S. 401-410, hier S. 407. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 49 durchaus möglich war, daß ihre Vorfahren bereits vor Jahrhunderten aus dem deutschsprachigen Raum nach Osteuropa ausgewandert waren. „Hier gibt es eine klare Kontinuität ethno-kulturellen und ethno-nationalen Selbstverständ- nisses in der ius sanguinis-Tradition.“42

Das BVFG fungierte bis 1993, als es durch das Kriegsfolgenbereinigungsge- setz (KfbG) modifiziert wurde, gleichsam als Scharnier zwischen Vertriebenen und Aussiedlern. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG wurden Aussiedler und Aus- siedlung Vertriebenen und Vertreibung gleichgestellt. Da die Aussiedler aber de facto nicht vertrieben wurden, wurde dies durch die Bundesregierung, die Behörden und Gerichte in Auslegung des BVFG schlicht unterstellt und ein mit der deutschen Herkunft der Aussiedler zusammenhängender ‚Vertreibungs- druck‘ in ihren Herkunftsräumen noch bis in die 1980er Jahre vorausgesetzt43.

Maßgeblich für die Aufnahme und die Anerkennung von Aussiedlern als Deut- sche war also die ‚deutsche Volkszugehörigkeit‘ über Merkmale wie Abstam- mung und ‚Bekenntnis zum Deutschtum‘ sowie die Rechtsfiktion eines in den Herkunftsgebieten weiterhin wirkenden ‚Vertreibungsdrucks‘, dem die Mehr- heit der deutschstämmigen Bevölkerung dort nach herrschender Rechtsauf- fassung nur nicht nachgeben konnte, weil ihr die Ausreise verwehrt wurde.

Anders als bei der Zwangszuwanderung der Vertriebenen konnte die Bundes- republik mit dem BVFG Einfluß auf die Zuwanderung der Aussiedler nehmen. Hatte nach dem Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik noch eine restrik- tive Auslegung der seinerzeitigen Prinzipien zur Aufnahme und Einbürgerung von Deutschstämmigen aus Osteuropa vorgeherrscht, verfolgte die Bundesre- publik von Beginn an eine großzügige Aufnahmepolitik gegenüber dieser Per-

42 Klaus J. Bade: Transnationale Migration, ethnonationale Diskussion und staatliche Migrationspolitik im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Ders. (Hrsg.): Migration – Ethnizität – Konflikt: Systemfragen und Fallstudien. Osnabrück 1996 (IMIS-Schriften, Bd. 1), S. 403-430, hier S. 420.

43 Vgl. Karl A. Otto: Aussiedler und Aussiedler-Politik im Spannungsfeld von Menschenrechten und Kaltem Krieg. Historische, politisch-morali- sche und rechtliche Aspekte der Aussiedler-Politik. In: Ders. (Hrsg.): Westwärts – Heimwärts?, Aussiedlerpolitik zwischen ‚Deutschtümelei und ‚Verfassungsauftrag‘. Bielefeld 1990, S. 11-68, hier S. 49. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 50 sonengruppe44. Um relativ problemlos aufgenommen zu werden, genügte es bis in die späten 1970er Jahre hinein, wenn ein Deutscher aus Osteuropa einem Grenzposten der Bundesrepublik erklärte, Deutscher zu sein. Danach mußte er sich zunächst in einem der zentralen Grenzdurchgangslager melden, um sich dort als Aussiedler registrieren zu lassen. Dies wurde unter Aufsicht des Bun- desverwaltungsamtes überwiegend ohne weitere Komplikationen durchgeführt. Im Regelfall genügten Dokumente, die die deutsche Abstammung belegten, während die ethnische Diskriminierung und damit der ‚Vertreibungsdruck‘ im Herkunftsgebiet als gegeben vorausgesetzt und Kenntnisse der deutschen Spra- che nicht verlangt wurden45.

Die Grundlagen der bundesdeutschen Aussiedlerpolitik hingen nach eigenem Verständnis von Anfang an zwar primär mit der Situation der deutschen Min- derheiten in Osteuropa zusammen und hatten damit eine humanitäre Intention, sehr früh ist aber auch ein hiervon unabhängiger „System- und Ideologiebe- zug“46 festzustellen, der sich aus der Blockkonfrontation des Kalten Krieges ergab und sich allgemein gegen die kommunistisch regierten Länder richtete. So wurde die Liste der ‚Vertreibungsgebiete‘, zu denen gemäß BVFG aus- schließlich die Staaten des ‚Ostblocks‘ zählten, unabhängig von jedem Bezug zur Vertreibungsgeschichte im Zusammenhang mit den Ereignissen des Zwei- ten Weltkriegs 1957 noch um die VR China ergänzt. Deutlich wird die anti- kommunistische Stoßrichtung der bundesdeutschen Aussiedlerpolitik auch da- durch, daß einem Antragsteller der Aussiedlerstatus verweigert werden konnte, wenn ihm eine ‚Abwendung vom deutschen Volkstum‘ nachgewiesen werden konnte. Hierzu zählte zum Beispiel eine herausgehobene politische Stellung im Herkunftsstaat und somit der Verdacht einer kommunistischen Gesinnung, die

44 Der Unterschied in der Aufnahmepraxis von ‚Volksdeutschen‘ zwischen Weimarer Republik und Bundesrepublik wird betont bei Oltmer: Deut- sche Migrationsverhältnisse, S. 517 f. sowie Bade: Immigration, natura- lization, and ethno-cultural traditions in Germany, S. 39.

45 Vgl. Ulrike Ruhrmann: Reformen zum Recht des Aussiedlerzuzugs. Ber- lin 1994 (Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 662), S. 108.

46 Otto: Aussiedler und Aussiedler-Politik, S. 50. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 51 als ‚undeutsch‘ galt47. Karl A. Otto kommt vor diesem Hintergrund zu folgen- dem Schluß: „Hätte es keinen Kalten Krieg gegeben, wäre auch die Aussiedler- Politik so, wie sie rechtlich konzipiert wurde, nicht erfunden worden.“48

So großzügig die Aufnahmepolitik der Bundesrepublik gegenüber den Aus- siedlern, wie oben dargelegt, in der Regel war, so hoch waren die Ausreisebe- schränkungen in den osteuropäischen Staaten. „For decades, members of Ger- man minorities living in socialist countries were not able to emigrate freely, but their immigration was not restricted by Germany.“49 Die Zuwanderung der Aussiedler war während des Ost-West-Gegensatzes abhängig von den Bezie- hungen der Bundesrepublik insbesondere zu Polen, der Sowjetunion und Ru- mänien und basierte in erster Linie auf bilateralen Abkommen. Die Aussiedler- zahlen blieben insgesamt auf einem niedrigen Niveau; ihre Fluktuation und variierende herkunftsspezifische Zusammensetzung spiegelten auch Phasen innenpolitischer Liberalisierung in den jeweiligen Staaten des Warschauer Paktes wider50. Mitte der 1970er Jahre etwa führte der Abschluß des KSZE- Prozesses zur Verbesserung der Ausreisemöglichkeiten von Deutschen aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa und zog einen Anstieg der Aussiedlerzahlen nach sich51.

47 Vgl. ebd., S. 47 f.

48 Ebd., S. 51. Der Einfluß der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West bezüglich der bundesdeutschen Aussiedlerpolitik wird ferner herausge- stellt bei Klekowski von Koppenfels: Willkommene Deutsche oder tole- rierte Fremde? sowie Volker Ronge: German policies toward ethnic ger- man minorities. In: Rainer Münz / Myron Weiner (Hrsg): Migrants, Refugees, and Foreign Policy. U.S. and german policies toward countries of origin. Providence, Oxford 1997, S. 117-140, insbes. S. 124 f.

49 Münz/Ulrich: Changing patterns of immigration to Germany, S. 71.

50 Vgl. Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 31.

51 Zu den Zuwandererzahlen und den Herkunftsstaaten der Aussiedler in den einzelnen Jahren seit 1950 s. im Überblick Info-Dienst Deutsche Aussiedler Nr. 110 (2001), S. 7 ff. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 52

Schaubild 2: Entwicklung der Aussiedlerzuwanderung 1950-1987

150000

125000

100000

75000

50000

25000

0

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 8 8 8 8 8 8 8 8 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Quelle: Info-Dienst Deutsche Aussiedler Nr. 116 (2003), S. 6 ff.

Dementsprechend traf ein Großteil der ca. 1,4 Millionen Aussiedler, die von 1950 bis 1987 in die Bundesrepublik kamen, erst seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ein. Dabei handelte es sich nur zum geringeren Teil um Personen, die vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, sondern zum größten Teil um ‚Volksdeutsche‘ ausländischer Staats- angehörigkeit52. Bis 1987 war Polen das Hauptherkunftsland der Aussiedler. Von dort kamen 848.000 Menschen, mithin 62 %. An zweiter Stelle folgte Rumänien mit 206.000 Aussiedlern (15 %). Hingegen kamen aus der Sowjet- union mit ihrer restriktiven Ausreisepolitik nur 110.000 Aussiedler (8 %), ob- wohl es auch dort eine starke deutsche Minderheit gab.

52 Vgl. Bade: Europa in Bewegung, S. 412. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 53

Schaubild 3: Aussiedler nach Herkunftsländern 1950-1987 (in %)

15%

8% Polen Rumänien UdSSR 15% 62% Andere

Quelle: Info-Dienst Deutsche Aussiedler Nr. 110 (2001), S. 7 ff., eigene Be- rechnung.

Im Unterschied zu den Vertriebenen, deren Weg nach Westen wie bei allen Flucht- und Zwangswanderungen auf schierer Nötigung zur Migration basierte, handelte es sich bei der Aussiedlerzuwanderung um eine freiwillige Form der Migration. Und wie bei jeder freiwilligen Migration ist auch bei den Aussied- lern nach den Wanderungsmotiven zu fragen. In den 1950er Jahren dominierte der Wunsch nach der Zusammenführung der durch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und von Flucht und Vertreibung zerrissenen Familien, die durch Vermittlung des Internationalen Roten Kreuzes geschah. Auch später ist hierin ein wichtiges Migrationsmotiv zu sehen, dominiert wurden die Ausreisebestre- bungen vieler Aussiedler aber von dem nicht zuletzt durch die Diskriminierun- gen in den Herkunftsgebieten ausgelösten Wunsch, als ‚Deutsche unter Deut- schen‘ zu leben. Wirtschaftliche Gründe spielten lange Zeit nur eine unterge- ordnete Rolle53.

Vor diesem hier nur knapp skizzierten Hintergrund vollzog sich die Aussied- lerzuwanderung in die Bundesrepublik54 bis Ende der 1980er Jahre. Sie trat

53 Vgl. Otto: Aussiedler und Aussiedler-Politik, S. 41 ff.

54 Die Zuwanderung von Deutschen und Deutschstämmigen aus Osteuropa gab es während des Kalten Krieges im übrigen auch in der DDR, aller- dings in viel geringerem Umfang als in der Bundesrepublik. Zwar wurde etwa in der Sowjetunion gelegentlich die Ausreise in das ‚sozialistische Bruderland‘ DDR für diejenigen Antragsteller auf eine Aussiedlung vor- geschlagen, die sich als besonders hartnäckig erwiesen hatten. Von 1965 bis 1979 etwa kamen aber nur 1.600 Aussiedler in die DDR, von denen 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 54 nur selten ins Licht der Öffentlichkeit, etwa wenn ein osteuropäischer Staat finanzielle Gegenleistungen für die Gewährung der Ausreise von Aussiedlern verlangte55. Erst die politischen Umwälzungen in Osteuropa und der Fall des Eisernen Vorhangs sollten sich dramatisch auf die Zuwandererzahlen der Aus- siedler und die bundesdeutsche Aussiedlerpolitik auswirken.

Nachdem mit der Einführung des Kriegsrechts in Polen 1981 die Aussiedler- zahlen bis Mitte der 1980er Jahre gesunken waren56, stiegen sie mit der Er- nennung Michail Gorbatschows zum Generalsekretär des ZK der KPdSU 1985 wieder an. Die mit seinem Amtsantritt zusammenhängende Entspannungspoli- tik in der Sowjetunion griff auf die anderen Staaten des Warschauer Paktes über. Die zunehmend eingeleiteten Demokratisierungsprozesse und die da- durch veränderten politischen Rahmenbedingungen wirkten sich auch auf die Situation der Deutschstämmigen in Ostmittel- und Osteuropa aus. Zunächst konnten sie von einer großzügigeren Ausreisepolitik ihnen gegenüber profitie- ren und schließlich von der Einführung der Reisefreiheit für alle Bürger in den Staaten des zerfallenden ‚Ostblocks‘. Bereits 1987 stieg die Zahl der Aussied- ler vor diesem Hintergrund auf 78.523 an (1986: 42.788).

Mit dem Jahr 1988 begann dann eine neue Phase der Aussiedlerzuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland: War bis dahin im Jahr 1958 mit knapp 130.000 Aussiedlern die größte jährliche Zahl registriert worden, so wurden 1988 202.673 Aussiedler gezählt und damit 158 % mehr als im Jahr zuvor. Die

einige zudem später in die Bundesrepublik weiterreisen konnten. Im glei- chen Zeitraum verzeichnete die BRD dagegen einen Zuzug von 60.150 Aussiedlern aus der Sowjetunion, vgl. Bade/Oltmer: Einführung, S. 27 f. Zur Zuwanderung von Personen deutscher Herkunft aus der UdSSR in die DDR vgl. auch Nicole Hirschler-Horáková: ‚Neue Arbeitskräfte aus dem Osten‘. ‚Repatriierung‘ und Familienzusammenführung von Perso- nen deutscher Herkunft aus der UdSSR in die DDR 1957. In: Oltmer (Hrsg.): Migration steuern und verwalten, S. 377-397.

55 Die Bundesrepublik vereinbarte zum Beispiel 1978 mit Rumänien ein Kopfgeld in Höhe von 12.000 DM, das pro Aussiedler bezahlt wurde; Polen erhielt 1976 als Gegenleistung für die erleichterte Ausreise von Aussiedlern einen Kredit über 1 Mrd. DM, vgl. Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 32.

56 Wurden 1981 noch knapp 70.000 Aussiedler gezählt, so waren es 1982 nur noch ca. 50.000 und 1984 etwa 36.000. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 55

Zuwanderung der Aussiedler erreichte auch in folgenden Jahren Dimensionen, die während des Kalten Krieges nicht für möglich gehalten worden waren: 1989 kamen 377.055, 1990 wurde mit 397.073 der absolute Höhepunkt er- reicht. Trotz hoher Antragszahlen ging die Zahl der Aussiedler 1991 zwar auf 221.995 zurück, stabilisierte sich aber von 1992 (230.565) bis 1995 (217.898) auf diesem hochliegenden Niveau. Die Zahlen sanken danach jährlich stetig und deutlich ab (1996: 177.751, 1998: 103.080, 2000 war mit 95.615 zum er- sten Mal seit 1987 wieder eine fünfstellige Aussiedlerzahl zu verzeichnen).

Schaubild 4: Entwicklung der Aussiedlerzuwanderung 1988-2000

450000

400000

350000

300000

250000

200000

150000

100000

50000

0

89 90 91 93 94 95 97 98 99 1988 19 19 19 1992 19 19 19 1996 19 19 19 2000

Quelle: Info-Dienst Deutsche Aussiedler Nr. 116 (2003), S. 8 f.

Die Konsolidierung der Zuwandererzahlen auf hohem Niveau und ihr langsa- mes Sinken hatte verschiedene direkte und indirekte Gründe; zum einen Ver- träge zwischen Deutschland und den Herkunftsstaaten zur Besserung der Lage in den östlichen Ausgangsräumen mit massiver deutscher materieller Unter- stützung57, zum anderen reagierte der Bund auf den dramatischen Anstieg der Aussiedlerzahlen und die veränderten politischen Rahmenbedingungen in Ost- europa bereits Anfang der 1990er Jahre mit verschiedenen Gesetzen, die die

57 Vgl. Bade/Oltmer: Einführung, S. 25 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 56

Aufnahme von Aussiedlern zunehmend restriktiver handhabten. Im Kalten Krieg gehörte die geradezu beschwörende Erinnerung an die scheinbar uner- füllbaren Ausreisewünsche der ‚Brüder und Schwestern im Osten‘ zum festen Repertoire westdeutscher Ostpolitik. Bis zur Mitte der 1980er Jahre konnte jeder Aussiedler in einer Art ‚Abstimmung mit den Füßen‘ noch als Votum für das westliche politische und gesellschaftliche System gefeiert werden. „Jeder Aussiedler war […] ein lebender Beweis für die menschenverachtende Politik der kommunistischen Staaten, deren Opfer im Westen Schutz fanden.“58 Mit den politischen Umbrüchen in den Ländern Osteuropas verlor die Ost-West- Wanderung allerdings diesen Nebeneffekt und damit verstärkt auch ihre gesell- schaftliche Akzeptanz. So zeigte bereits 1988 eine vom Institut für Demosko- pie Allensbach durchgeführte Studie, daß etliche der befragten Deutschen einer Einwanderung von Aussiedlern kritisch gegenüberstanden. Etwa ein Drittel der Interviewpartner setzte Aussiedler mit Asylbewerbern gleich, deren Zuwan- dererzahlen ebenfalls Ende der 1980er Jahre stark angestiegen waren59.

Während angesichts dieser Entwicklung seitens der Bundesregierung mit einer Medienkampagne um gesellschaftliche Akzeptanz und Sympathie für die zu- wandernden fremden Deutschen aus dem Osten geworben wurde, wurden schon bald einschränkende Kontrollmechanismen hinsichtlich ihrer Migration in die Bundesrepublik erlassen. Mit dem Aussiedleraufnahmegesetz (AAG) wurde 1990 das Aufnahmeverfahren komplett neu geregelt. Bis dahin konnten Aussiedler vor allem aus Polen und Rumänien einfach mit einem Besuchs- oder Touristenvisum in die Bundesrepublik einreisen, um sich dann dem weite- ren Aufnahmeverfahren zu unterziehen. Seit dem 1. Juli 1990 mußten potenti- elle Aussiedler ihre Einreise nach Deutschland bereits von ihrem Herkunfts- land aus beantragen. Um die deutsche Volkszugehörigkeit zu prüfen, mußte

58 Silke Delfs: Heimatvertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler. Rechtliche und politische Aspekte der Aufnahme von Deutschstämmigen aus Osteu- ropa in der Bundesrepublik Deutschland. In: Aus Politik und Zeitge- schichte 48 (1993), S. 3-11, hier S. 5.

59 Vgl. Rainer K. Silbereisen / Ernst-Dieter Lantermann / Eva Schmitt-Ro- dermund: Hintergrund, theoretische Perspektiven, Anlage und Themen der Aussiedlerstudie. In: Dies. (Hrsg.): Aussiedler in Deutschland, S. 13- 45, hier S. 16. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 57 zudem ein ca. 50 Seiten langer Fragebogen ausfüllt werden60; darüber hinaus wurde, entgegen der bis dahin vorherrschenden Verwaltungspraxis, über einen Antrag nicht mehr sofort und unbürokratisch entschieden, was zu einer deutli- chen Verlangsamung der Aufnahmeverfahren und sogar zu einem Rückstau von noch nicht entschiedenen Anträgen führte61.

Die gravierendsten Veränderungen für die weitere Aufnahme von Aussiedlern brachte das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG), welches Ende 1992 im Rahmen des ‚Asylkompromisses‘ verabschiedet wurde und am 01.01.1993 in Kraft trat. Vor dem Hintergrund steigender Asylbewerberzahlen (1991: 256.000, 1992: 438.000) und einer dadurch in Politik und Medien emotional geführten Asyldebatte sowie der offenkundigen politischen Perspektivlosigkeit in bezug auf Migration, Integration und Minderheiten war es zu Beginn der 1990er Jahre innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft zu zunehmenden xenophoben Abwehrhaltungen gekommen, die in zum Teil massiven fremden- feindlichen Ausschreitungen gipfelten62. Insbesondere von seiten der CDU/CSU wurde argumentiert, daß die Situation, von Bundeskanzler Helmut Kohl sogar als „Staatsnotstand“ bezeichnet, nur entschärft werden könne, wenn der Zustrom von Asylbewerbern über die Einschränkung des Rechts auf Asyl deutlich verringert und damit dem „hunderttausendfachen Asylmißbrauch“ entgegengetreten werde63. Dagegen betonte die SPD, daß das liberale deutsche Asylrecht angesichts der Erfahrung der Verfolgungen des nationalsozialisti- schen Regimes und damit aus historischer Verantwortung heraus erhalten blei- ben müsse. Stattdessen solle danach gefragt werden, ob die Grundlagen des Aussiedlerrechts über 45 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und ange-

60 Vgl. Klekowski von Koppenfels: The decline of privilege, S. 111 f.

61 Zur Begründung und parlamentarischen Diskussion um das AAG vgl. auch Rudolf Kraus: Die neuen Gesetze zur Aufnahme und Eingliederung von Aussiedlern/Spätaussiedlern. Eine Dokumentation der wesentlichen Argumente im Gesetzgebungsverfahren. Köln 1994, S. 13 ff.

62 Vgl. Bade: Einführung. In: Ders. (Hrsg.): Ausländer, Aussiedler, Asyl, S. 9-74, hier insbes. 30 ff.

63 Edmund Stoiber: Wer verzögert, wird schuldig. Abgedruckt in: Bade (Hrsg.): Ausländer, Aussiedler, Asyl, S. 105. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 58 sichts der politischen Transformationsprozesse in Osteuropa noch zeitgemäß seien64. Letztlich einigten sich die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP und die oppositionelle SPD mit dem ‚Asylkompromiß‘, der nichts anderes als ein weitreichender „Migrationskompromiß“65 war, nicht nur auf die Ein- schränkung des Asylrechts und eine Änderung des entsprechenden Artikels 16 GG, sondern auch auf Beschränkungen des Aussiedlerzuzugs66.

Das KfbG enthielt eine Neufassung des BVFG und trat somit an die Stelle aller früheren Fassungen. Die Bundesregierung vertrat in ihren Begründungen bei der Vorlage des Gesetzentwurfs die Auffassung, daß die Nachkriegszeit mit der Verwirklichung der deutschen Einheit, der völkerrechtlichen Festlegung der deutsch-polnischen Grenze und den Verträgen mit den vier Mächten und Polen als beendet anzusehen sei. Dies erfordere auch eine Anpassung des BVFG, um die Aufnahme von deutschen Staatsangehörigen und deutschen Volkszugehörigen aus Polen, den Nachfolgestaaten der UdSSR und den Staa- ten Ost- und Südosteuropas auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, die den veränderten Verhältnissen Rechnung trage67. Diese veränderten Verhältnisse fanden sich zunächst einmal in einer veränderten Semantik bezüglich der Deut- schen aus dem Osten wieder, denn aus ‚Aussiedlern‘ wurden nunmehr ‚Spätaussiedler‘, was sie gemäß KfbG als „Nachzügler der allgemein Vertrei- bung“ kennzeichnen sollte. Viel wichtiger als diese begriffliche Neuerung war allerdings die Tatsache, daß die Spätaussiedler ausdrücklich nicht mehr den Vertriebenen gleichgestellt waren, was sich wiederum auf Eingliederungslei- stungen für alle diejenigen auswirken sollte, die nach dem 1. Januar 1993 in die Bundesrepublik einreisten. Hierauf wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch einzugehen sein.

Um die bis dahin nahezu unkontrollierbare Zuwanderung von Aussiedlern zu steuern, wurde im KfbG eine jährliche Quote festgelegt, was im Schatten des

64 Hierauf hatte Oskar Lafontaine bereits 1990 hingewiesen, vgl. ders.: Zu diesem Buch. In: Otto (Hrsg.): Westwärts – Heimwärts?, S. 1.

65 Bade: Einführung, S. 37.

66 Vgl. ebd., S. 37 ff.

67 Vgl. Kraus: Die neuen Gesetze, S. 27 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 59

Kalten Krieges noch für undenkbar gehalten worden wäre. Sie orientierte sich am Durchschnitt der Jahre 1991/92 und lag bei maximal 220.000 (± 10 %). Die Einführung einer Quote für die Aussiedlerzuwanderung ging vor allem auf die Initiative der SPD-Fraktion im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zurück: Der Zuzug der Aussiedler müsse, wurde von den Sozialdemokraten argumentiert, als ein wesentlicher Teil der Gesamtzuwanderung in die Bundes- republik Deutschland gesehen werden, und Kontingentierungen bestimmter Gruppen sollten ein Mittel dazu sein, die Zugänge administrativ planbar und die einzelnen Kontingente human und sozialverträglich zu gestalten68.

Das KfbG reagierte zudem auf den Prozeß der politischen Transformation in Osteuropa, der verstärkt die Frage nach einer der Grundannahmen der Aus- siedleraufnahme – der Fortdauer des ‚Vertreibungsdrucks‘ – nach sich zog. Dieser wurde gemäß KfbG, wenn auch eingeschränkt, kollektiv nur noch für Antragsteller aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion als gegeben ange- sehen. Zu ihren Gunsten wurde argumentiert, daß sie unter den Diskriminie- rungen und vor allem den Deportationen nach Sibirien und Kasachstan und damit unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs am meisten und am längsten zu leiden hatten. Vor diesem Hintergrund könne bei den Rußlanddeutschen das gestörte Vertrauen auf eine Zukunft in den Staaten der ehemaligen Sowjetuni- on nur allmählich wiederhergestellt werden, betonte der Abgeordnete Erwin Marschewski von der CDU/CSU-Fraktion während der Beratungen des Bun- destags69. Die Deutschstämmigen aus allen anderen Staaten Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas mußten dagegen mit Einführung des KfbG individuell nachweisen, daß sie ob ihrer deutschen Herkunft benachteiligt werden oder

68 Neben der Kontingentierung des weiteren Aussiedlerzuzugs sprach sich die SPD-Fraktion auch für eine Stichtagsregelung aus. Die Deutsch- stämmigen sollten zu diesem Stichtag in ihren Herkunftsländern ihr Vo- tum abgeben, ob sie in die Bundesrepublik zuziehen wollen oder nicht, vgl. die Stellungnahme der Abgeordneten Gerlinde Hämmerle, SPD, vom 5.11.1992, wiedergegeben in Kraus: Die neuen Gesetze, S. 36 f. Die Stichtagsregelung wurde von seiten der CDU/CSU abgelehnt, da sie nach ihrer Ansicht zu einer Erhöhung der Zuwandererzahlen führen werde, und fand letztlich auch keine Aufnahme im KfbG.

69 Vgl. die Stellungnahme des Abgeordneten Erwin Marschewski, CDU/CSU, vom 5.11.1992, wiedergegeben in ebd., S. 35 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 60 noch unter den Folgen früherer Benachteiligung leiden. Die Beweislast wurde damit gleichsam umgekehrt, denn bis dahin mußten die deutschen Behörden nachweisen, daß kein Vertreibungsschicksal vorliegt, um einen Aussiedle- ranerkennungsantrag ablehnen zu können70. „Diese Regelung führt faktisch zu einer Beschränkung des Aussiedlerstatus auf Deutsche aus der ehemaligen UdSSR, weil die Rechte nationaler Minderheiten in den anderen ost-, ostmittel- und südosteuropäischen Ländern mittlerweile erheblich verbessert worden sind.“71

Aber nicht einmal alle Deutschstämmigen aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion hatten gemäß KfbG Anspruch auf den Aussiedlerstatus. Eine kla- re verfahrensmäßige Änderung gegenüber der bisherigen Regelung stellte vor diesem Hintergrund der § 5 dar, welcher spezifische Ausschlußgründe für die Anerkennung als Aussiedler auflistet. Hierzu zählen etwa die Unterstützung der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewaltherrschaft, der Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit oder die Be- kleidung einer herausgehobenen politischen oder beruflichen Stellung, die nur durch eine besondere Bindung an das totalitäre System erreicht werden konnte.

Darüber hinaus schränkte das KfbG die Anerkennung als Aussiedler auf die bis zum 31. Dezember 1992 Geborenen (‚Spätaussiedler‘72) ein. Personen, die danach geboren wurden und werden, können keinen eigenständigen Antrag auf Aufnahme in Deutschland mehr stellen, sondern nur noch im Rahmen der Fa- milienzusammenführung nach Deutschland kommen. Allerdings greift diese

70 Vgl. Delfs: Heimatvertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler, S. 9.

71 Klekowski von Koppenfels: Willkommene Deutsche oder tolerierte Fremde?, S. 411.

72 Der Begriff ‚Spätaussiedler‘ ist gelegentlich schon in der Literatur der 1960er und 1970er Jahre verwendet worden, war aber rechtlich nicht nä- her fixiert. Er bezog sich auf die deutschstämmigen Zuwanderer, die spät kamen, und zwar nicht in den Jahren nach dem Krieg, sondern eben erst seit den 1960er Jahren. Der Begriff wurde offenbar in Anlehnung an den Begriff ‚Spätheimkehrer‘ geprägt, vgl. Heller/Bürkner/Hofmann: Migra- tion, Segregation und Integration von Aussiedlern, S. 81 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 61

Bestimmung erst nach dem Jahr 2010, wenn dieser Personenkreis volljährig wird73.

Zu den im AAG und KfbG festgelegten restriktiven Bedingungen für die wei- tere Anerkennung und Aufnahme von Aussiedlern kam im Sommer 1996 noch die deutlich abschreckend wirkende Barriere der Sprachprüfung hinzu, die im Herkunftsland abgelegt werden muß. Während die Antragsteller bis dahin le- diglich ihre Deutschkenntnisse angeben mußten, mußten sie diese und damit ihre deutsche Volkszugehörigkeit seither mit dieser Prüfung nachweisen. Der Sprachtest unterschied sich dabei in zwei Formen; zum einen in den einfachen Sprachtest, den jeder Antragsteller zu absolvieren hatte und zum anderen in den qualifizierten Sprachtest, der von allen, auch den nicht deutschstämmigen Familienangehörigen, abzulegen war. Wenn der qualifizierte Sprachtest be- standen wurde, wurde der Ausreiseantrag beschleunigt behandelt74.

Für die Anerkennung als Aussiedler bildete das Bestehen der Sprachprüfung zwar keine Garantie, war aber eine unerläßliche Voraussetzung. „Sie wirkt auch gegenüber Antragstellern deutscher Abstammung, die aufgrund der kultu- rellen Repression in ihren Deportationsgebieten keine Chance hatten, die deut- sche Sprache zu erlernen oder aber schlicht dem psychischen Druck der letzt- lich über den Lebensweg entscheidenden Prüfung nicht gewachsen sind.“75 Das Bundesverwaltungsamt kann darüber hinaus Aufnahmebescheide zurück- nehmen, wenn nach der Einreise festgestellt wird, daß die Sprachkenntnisse gegenüber den Angaben, die im Antragsformular vor der Einführung der Sprachprüfungen gemacht wurden, negativ abweichen. Die Betroffenen wer- den dann dem deutschen Ausländerrecht unterworfen und verlieren damit nicht

73 Vgl. Münz/Ulrich: Changing patterns of immigration to Germany, S. 72. Zu den Ergebnissen der gesetzlichen Neuordnungen im KfbG vgl. insge- samt Kraus: Die neuen Gesetze, S. 45 ff.

74 Vgl. Barbara Dietz: Migrationspolitik unter ethnischen Vorzeichen: Aus- siedleraufnahme und die Politik der Aussiedlerintegration. In: Klaus J. Bade / Hans H. Reich: Migrations- und Integrationspolitik gegenüber ‚gleichstämmigen‘ Zuwanderern. Osnabrück 1999 (Beiträge der Akade- mie für Migration und Integration, hrsg. von der Otto-Bennecke-Stiftung, Heft 3), S. 10-29, hier S. 12.

75 Bade/Oltmer: Einführung, S. 29. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 62 nur den Anspruch auf Eingliederungsleistungen, sondern mitunter auch das Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik76.

Das KfbG hatte die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, den Aussiedler- status fast ausschließlich auf Antragsteller aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion zu beschränken und diese damit gegenüber den anderen Deutsch- stämmigen in ihren osteuropäischen Herkunftsgebieten bei der Möglichkeit zur Migration in die Bundesrepublik deutlich besser gestellt. Der Einführung der Sprachprüfungen dagegen stellte kaum drei Jahre später faktisch eine Einreise- barriere für eben diese Deutschstämmigen aus der ehemaligen Sowjetunion dar, die insgesamt nurmehr über eine geringe deutsche Sprachkompetenz ver- fügen. Denn der Assimilationsdruck und die Diskriminierungen, die sich, wie oben bereits angesprochen, in den Staaten des Warschauer Paktes vor allem gegen die deutsche Sprachkultur richteten, waren in der Sowjetunion besonders ausgeprägt77.

Welch hohe Hürde die Sprachprüfung für die potentiellen Aussiedler darstellte, verdeutlichen folgende Zahlen: Von den über 130.000 Ausreisewilligen, die in ihren jeweiligen Herkunftsländern zwischen Juli 1996 und April 1999 einen Sprachtest ablegten, bestanden insgesamt 62,6 % aller Antragsteller den Sprachtest nicht. Davon scheiterten 39 % beim einfachen und 64 % beim quali-

76 Vgl. ebd.

77 Bis in die 1960er Jahre hinein war es dort den Angehörigen der deut- schen Minderheit gebietsweise verboten, die deutsche Sprache zu spre- chen. Die in der Zeit der Diskriminierung gemachten Erfahrungen haben das Verhältnis zur deutschen Sprache entscheidend geprägt. Um nicht als ‚Deutsche‘ identifiziert und beschimpft zu werden, wurde es von vor- neherein vermieden, Deutsch zu sprechen, und stattdessen wurde nur noch Russisch gesprochen. Die deutsche Sprache verlor daraufhin als Familiensprache stark an Bedeutung und spielt nur noch bei den Angehö- rigen der Großelterngeneration eine größere Rolle, vgl. ausf. hierzu Bar- bara Dietz / Peter Hilkes: Rußlanddeutsche: Unbekannte im Osten. Ge- schichte, Situation, Zukunftsperspektiven. München 1992 (Geschichte und Staat, Bd. 292), S. 47 ff. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 63 fizierten78. Allerdings reisten viele, die die Prüfung nicht bestanden, später als Familienangehörige von Aussiedlern in die Bundesrepublik ein.

Begründet wurde die Einführung der Sprachprüfung von seiten der Bundesre- gierung einerseits mit dem Hinweis auf die Erschwerung der Eingliederung bei mangelnden Sprachkenntnissen und zum anderen damit, daß die abnehmenden Sprachkenntnisse der Aussiedler Akzeptanzverluste in der einheimischen Be- völkerung zur Folge hätten79. In einer Entscheidung des Bundesverwaltungs- gerichts vom November 1996 wurde die Einführung der Sprachprüfung mit der Begründung gerechtfertigt, daß der Aussiedlerstatus nicht allein über Nationa- lität oder Abstammung beansprucht werden könne, sondern daß Grundkennt- nisse der deutschen Sprache hinzukommen müßten. Ein Antragsteller, der nur unzulängliche Deutschkenntnisse hat und russisch als Muttersprache oder be- vorzugte Umgangssprache spricht, gehöre in der Regel dem russischen Kultur- kreis an und könne deshalb nicht Aussiedler sein80.

78 Vgl. Dietz: Migrationspolitik unter ethnischen Vorzeichen, S. 13. Inwie- weit die in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion vom Bundesinnen- ministerium und vom Auswärtigen Amt angebotenen Sprachkurse zur erheblichen Verbesserung der deutschen Sprachkenntnisse der deutschen Minderheit beitragen und ob dies positive Auswirkungen auf die Zahl der Ausreisen hat, ist bisher wenig erforscht. Hierzu läuft zur Zeit im Rah- men des DFG-Graduiertenkollegs ‚Migration im modernen Europa‘ am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück ein Forschungsprojekt von Marina Seveker. Sie untersucht die Auswirkungen des deutschen Sprachunterrichts auf die Sprachsituation der deutschstämmigen Minderheit in der sibirischen Al- tai-Region, vgl. http://www.imis.uos.de/KOLLEG/aktuelleprojekte/html.

79 Vgl. Bade/Oltmer: Einführung, S. 29.

80 Vgl. Klekowski von Koppenfels: Willkommene Deutsche oder tolerierte Fremde?, S. 414. Bemerkenswert ist, daß in bezug auf Sprachprüfungen für potentielle Aussiedler von den Verwaltungsgerichten lange Zeit ge- nau gegenteilig argumentiert wurde: Da ein Merkmal der ethnischen Dis- kriminierung und erzwungenen Assimilationspolitik der Regierungen jenseits des ‚Eisernen Vorhangs‘ in Ost-, Südost- und Ostmitteleuropa das Verbot für die dortigen Deutschstämmigen gewesen sei, Deutsch sprechen zu dürfen, könnten die deutschen Behörden daher auch konse- quenterweise keine Deutschkenntnisse als Voraussetzung für die Aus- siedleraufnahme fordern, vgl. ebd., S. 405 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 64

Zum 01.01.2000 wurde die ursprünglich auf 220.000 festgelegte Quote für die jährliche Aufnahme von Aussiedlern auf 100.000 (± 10 %) reduziert. Diese Zuzugszahl war bereits in den Jahren 1998 (103.080) und 1999 (104.916) oh- nehin tatsächlich erreicht worden Der ehemalige Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Jochen Welt, stellte dazu fest: „Gleichwohl ist aus der Sicht der Bundesregierung eine Anpassung der Rechtslage an die tatsächliche Ent- wicklung zweckmäßig und erforderlich, um auf diese Weise allen mit der Auf- nahme und Integration von Spätaussiedlern befaßten staatlichen und sonstigen Stellen Planungssicherheit für die kommenden Jahre zu verschaffen.“81

Die verschiedenen, seit 1990 eingeführten Beschränkungen des Aussiedlerzu- zuges in die Bundesrepublik führten nicht nur zu einem Absinken der jährli- chen Aussiedlerzahlen, sondern hatten auch Einfluß auf die Zusammensetzung der zuwandernden Aussiedlerbevölkerung nach Herkunftsländern. Der Blick auf die Herkunftsländer seit 1988 zeigt, daß die Zuwanderer dieser zweiten großen Migrationsbewegung von Deutschen aus Osteuropa, ebenso wie die Vertriebenen, eine keineswegs homogene Gruppe darstellen. Wie in den Jahr- zehnten zuvor kamen auch mit Beginn der Massenzuwanderung 1988 die mit deutlichem Abstand meisten Aussiedler zunächst noch aus Polen (69 %). Doch schon ab 1990 läßt sich eine Verlagerung der Ausgangsräume feststellen: Die Zuwanderer aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion stellten in dem Jahr erstmals mit 37 % (Polen: 34 %, Rumänien: 28 %) den größten Aussiedleran- teil, und dieser schnellte 1991 auf über 66 % hoch. Seit 1993 kommen Aus- siedler fast ausschließlich aus der Nachfolgestaaten der UdSSR in die Bundes- republik. 1993 zum Beispiel waren es von insgesamt 218.881 aufgenommenen Aussiedlern 207.347 (95 %), 1996 172.181 von insgesamt 177.751 (97 %) und 2000 von 95.615 Aussiedlern 94.558 (99 %). Davon kam die Mehrheit aus Kasachstan, gefolgt von der Russischen Föderation und Kirgisistan82. Von den

81 Jochen Welt: Die Aussiedlerpolitik der Bundesregierung. Zwischenbilanz und Ausblick. Vortrag anläßlich der Fachkonferenz des Gesprächskreises ‚Arbeit und Soziales‘ der Friedrich-Ebert-Stiftung ‚Neue Wege der Aus- siedlerintegration. Vom politischen Konzept zur Praxis‘. Abgedruckt in: Info-Dienst Deutsche Aussiedler Nr. 107 (2000), S. 1-11, hier S. 6 f.

82 Seit der Auflösung der UdSSR belegt eine gesonderte Statistik, aus wel- chen ihrer Nachfolgestaaten Aussiedler in die Bundesrepublik einreisen. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 65 insgesamt 2.704.519 Aussiedlern zwischen 1988 und 2000 kamen 1.870.355 und damit 69 % aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion, 595.737 (22 %) aus Polen und 217.946 (8 %) aus Rumänien. Hinzu kamen noch 6.431 Aus- siedler aus der ehemaligen Tschechoslowakei, 5.185 aus Ungarn, 3.926 aus dem ehemaligen Jugoslawien und 226 aus sonstigen Gebieten (etwa Albanien und Bulgarien), die aber prozentual nicht ins Gewicht fallen.

Schaubild 5: Aussiedler nach Herkunftsländern 1988-2000 (in %)

8% 1%

22% Ehem. UdSSR Polen Rumänien Andere 69%

Quelle: Info-Dienst Deutsche Aussiedler Nr. 110 (2001), S. 7 ff., eigene Be- rechnung.

So unterschiedlich wie die Herkunftsländer sind auch die Bedingungen, die die Aussiedler dort geprägt haben. Sie differenzieren sich etwa danach, wann ihre Vorfahren dort eingewandert sind oder wie stark ihr ‚Deutschtum‘ nach dem Zweiten Weltkrieg unterdrückt wurde. Aus letzterem resultieren dann wieder- um unterschiedliche Deutschkenntnisse der Aussiedler. Unterschiedlich ist auch das, was sie nach Generationen noch unter ‚Deutschtum‘ verstehen, wie sie es ausdrücken und welche Vorstellungen sie von Deutschland haben83. Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn von ‚den Aussiedlern‘ als einer einheitli- chen Gruppe gesprochen wird.

Eine Auflistung der Jahre 1992 bis 2000 ist zu finden im Info-Dienst Deutsche Aussiedler Nr. 110 (2001), S. 15 ff.

83 Vgl. Zweck: Zwei Migrationsbewegungen im Vergleich, S. 57. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 66

Trotz unterschiedlicher Herkunftsländer und den sich darin widerspiegelnden unterschiedlichen Biographien ist den Aussiedlern eines gemein: der Wunsch eines dauerhaften Aufenthaltes und einer Lebensplanung in Deutschland. Wo- rin aber begründet sich dieser Wunsch? Wie wir oben gesehen haben, war ein zentrales Migrationsmotiv der Aussiedler, die während des Kalten Krieges ein- reisten, die durch die wegen ihrer deutschen Herkunft bedingten Diskriminie- rungen in den Staaten jenseits des ‚Eisernen Vorhangs‘ ausgelöste Hoffnung, in der Bundesrepublik endlich als ‚Deutsche unter Deutschen‘ leben zu kön- nen. Im Zuge der Demokratisierung und Liberalisierung in Osteuropa hat sich aber in dieser Hinsicht für die dort lebenden Deutschstämmigen nachhaltig vieles verbessert. Die Bundesrepublik hat Anfang der 1990er Jahre mit allen osteuropäischen Staaten, in denen deutsche Minderheiten lebten, Verträge ab- geschlossen, die nicht nur zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen dien- ten, sondern die auch nahezu gleichlautende Bestimmungen über Minderhei- tenrechte enthielten. So heißt es zum Beispiel im Art. 20 des deutsch-polni- schen Nachbarschaftsvertrages von 199184, daß „Personen […] die sich zur deutschen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen“ das Recht zugestanden wird, „einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen Mitgliedern der Gruppe ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln, frei von jeglichen Versuchen, gegen ihren Willen assimiliert zu werden. Sie haben das Recht, ihre Menschen- rechte und Grundfreiheiten ohne jegliche Diskriminierung und in voller Gleichheit vor dem Gesetz voll und wirksam auszuüben.“ Dementsprechend sind im Bericht der Bundesregierung zur ‚Situation der Deutschen in den Staaten Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas‘ von 1992 keinerlei Hinweise auf eine gezielte Unterdrückung oder gar Vertreibung der Deutschstämmigen in den damaligen Reformstaaten zu finden. Es wird vielmehr nur von Schwierig- keiten bezüglich der Wirtschaftslage berichtet85. Um diese zu verbessern und Anreize für die Deutschstämmigen zu schaffen, in ihren Herkunftsgebieten zu bleiben, leistete die Bundesrepublik seit den 1990er Jahren vor allem in Ruß-

84 Abgedruckt in: Albrecht Randelzhofer (Hrsg.): Völkerrechtliche Verträ- ge. Nördlingen 81999, S. 63-74.

85 Vgl. Delfs: Heimatvertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler, S. 8. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 67 land und Kasachstan gezielte Wirtschaftshilfe86. Sie kommt nicht nur den An- gehörigen der deutschen Minderheiten zugute, sondern es werden ebenfalls Projekte finanziert, von deren Produkten und Erträgen auch die anderen Natio- nalitäten in den betreffenden Regionen profitieren. Über einen insgesamt ge- steigerten Wohlstand sollen so Konflikte zwischen den Deutschstämmigen und andersethnischen Bevölkerungsgruppen entschärft werden87.

Klaus J. Bade hat darauf hingewiesen, daß, wie bei allen Wanderungsbewe- gungen, auch die wanderungsbestimmenden Faktoren bei der Aussiedlerbewe- gung besser verdeutlicht werden können, „wenn man nach dem Zusammenwir- ken zweier großer Motivationskomplexe fragt: nach den Schubkräften (‚Push‘- Faktoren) im Ausgangsraum und den Anziehungskräften (‚Pull‘-Faktoren) im Zielraum.“88 Wichtigste Schubkräfte in den Ausgangsräumen waren auch bei den Aussiedlern, die ab 1988 in großer Zahl in die Bundesrepublik strömten, die aus dem Zweiten Weltkrieg resultierende, zum Teil jahrzehntelange, Un- terdrückung der deutschstämmigen Minderheiten in den Staaten des Warschau- er Paktes, die als Trauma an die nächste Generation weitergegeben wurde. Hinzu kamen die desolate wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage in den GUS-Staaten, zunehmende ethnische Spannungen und Nationalitätenkonflikte sowie erleichterte Ausreisemodalitäten. Bei den Anziehungskräften, die die auf das Wanderungsziel Deutschland gerichteten Absichten und Hoffnungen ver- deutlichen, dominierten zunächst, wie auch bei den Aussiedlern von 1950 bis 1987, der Wunsch nach Familienzusammenführung und von einem Leben als ‚Deutsche unter Deutschen‘.

Doch bereits in den frühen 1990er Jahren wurden die ethno-kulturellen Träume vom Leben als ‚Deutsche unter Deutschen‘ abgelöst von der wirtschaftlichen und sozialen Anziehungskraft der Bundesrepublik Deutschland und einem da- raus folgenden zunehmend ökonomisch-spekulativen Wanderungsverhalten.

86 Vgl. hierzu auch Ronge: German policies, S. 134 ff.

87 Vgl. Konzept der Hilfsmaßnahmen für die Deutschen in der Gemein- schaft Unabhängiger Staaten (GUS). Abgedruckt in: Info-Dienst Deut- sche Aussiedler Nr. 32 (1992), S. 6-10.

88 Vgl. hierzu und zum folgenden Bade: Einführung, S. 46. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 68

Vor dem Hintergrund der allgemeinen Verschlechterung der materiellen Lage und zunehmender Perspektivlosigkeit in den Aussiedlungsgebieten spielten wirtschaftlich begründete Ausreisemotivationen (bessere berufliche Zukunft, Zukunftssicherung der Kinder) eine immer bedeutsamere Rolle89. „Wer im fernen Kasachstan in seiner Satellitenschüssel ‚made in Germany‘ bunte Träu- me von Deutschland einfängt, der läßt es nicht beim stillen Träumen vom so erreichbaren Glück. Er besorgt sich, wenn der Abstammungsnachweis stimmt, mit dem Aufnahmebescheid die Eintrittskarte ins ferne Land der Träume.“90

Es änderten sich aber nicht nur die Migrationsmotive: Ab 1992/93 ist auch ein deutlicher Wandel innerhalb der aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zuwandernden Aussiedlerbevölkerung festzustellen, die seit 1990 die Mehrheit der Aussiedler stellten. Waren Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre noch die zumeist hochmotivierten Pioniermigranten in großer Zahl zugewan- dert, die sich, zum Teil unter schweren persönlichen Einbußen, schon seit Jah- ren bzw. Jahrzehnten um eine Ausreisegenehmigung bemüht hatten, so trat an ihre Stelle eine Massenbewegung, die viele in bloßem Anschlußhandeln mit sich riß91. Die Folge waren Kettenwanderungen, denen sich zahlreiche nicht oder nicht ausreichend motivierte Menschen anschlossen. Es entstanden neue Migrationsnetzwerke, welche sowohl auf verwandtschaftliche als auch auf re- ligiöse Verflechtungen zurückgingen und mitunter zur Umsiedlung ganzer Dörfer mit Familiengroßverbänden und lokalen Nachbarschaften führten92.

Wie in Punkt 2.1. dargestellt ist, waren Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit zwar in ihrer Di- mension einmalig, aber letztlich nur eine von vielen Flucht- und Zwangswan- derungen im europäischen Wanderungsgeschehen des 20. Jahrhunderts. Ähnli-

89 Vgl. Herwartz-Emden/Westphal: Die fremden Deutschen, S. 176.

90 Bade/Oltmer: Einführung, S. 30 f.

91 Vgl. Bade: Europa in Bewegung, S. 416.

92 Vgl. Hannelore Oberpenning: Das ‚Modell Espelkamp‘. Zur Geschichte der sozialen und kulturellen Eingliederung von Flüchtlingen, Vertriebe- nen und Aussiedlern. In: Motte/Ohliger/Oswald (Hrsg.): 50 Jahre Bun- desrepublik – 50 Jahre Einwanderung, S. 48 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 69 ches gilt für die Aussiedlerzuwanderung in die Bundesrepublik ab 1988 vor dem Hintergrund des zerfallenen ‚Eisernen Vorhangs‘ und dem Ende der Blockkonfrontation. Auch andere Staaten erlebten die ‚Rückwanderung‘ von ‚gleichstämmigen‘ Zuwanderern aus den Nachfolgerepubliken der Sowjetunion sowie aus und zwischen Anrainerstaaten des sich auflösenden ‚Ostblocks‘, wenn auch im Gesamtumfang erheblich geringer oder aber mit einer deutlich anderen Struktur als die Aussiedlermigration. Als Beispiele seien hier nur Finnland (Karelier), Griechenland (Makedonier), die Tschechische Republik (aus Wolhynien und Serbien) und Ungarn (Slowakei, Siebenbürgen, Karpato- Ukraine) genannt93. Vor dem Hintergrund der religiös-kulturellen Vorstellung von ‚Alijah‘ (‚Rückkehr nach Zion‘) und damit mehr als ‚Rückwanderung‘ im übertragenen Sinne ist, außerhalb von Europa, die starke Einwanderung von Juden aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion nach Israel zu verstehen94.

2.3. Fazit: Vertriebenen- und Aussiedler-/Spätaussiedlerzuwanderung im Spannungsfeld von Zweitem Weltkrieg, Ost-West-Gegensatz und dem Ende des Kalten Krieges

Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern nach Westdeutschland bzw. in die Bundesrepublik resultierte aus dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen. Das nationalsozialistische Deutschland hatte am 1. September 1939 einen Krieg begonnen, dessen wesentliches Ziel darin lag, neuen ‚Lebensraum im Osten‘ zu erobern. Die Verwirklichung dieses Kriegszieles ging in den er- oberten bzw. schon vor dem Krieg annektierten Gebieten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa einher mit Vertreibung, Deportation und Genozid gegenüber der dort ansässigen, gemäß NS-Ideologie ‚rassisch minderwertigen‘ Bevölke- rung. Vor diesem Hintergrund wurden in knapp einem Jahrfünft die Grundla- gen des seit Jahrhunderten gewachsenen Zusammenlebens der ebenfalls dort

93 Vgl. Bade/Oltmer: Einführung, S. 31 und die dortigen Anmerkungen so- wie Bade/Reich (Hrsg.): Migrations- und Integrationspolitik gegenüber ‚gleichstämmigen‘ Zuwanderern.

94 Vgl. Bade/Troen (Hrsg.): Zuwanderung und Eingliederung von Deut- schen und Juden sowie Tamar Horowitz: Von Zugewanderten zu Mit- gliedern der Gemeinschaft: Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in Is- rael. In: Bade/Reich (Hrsg.): Migrations- und Integrationspolitik gegen- über ‚gleichstämmigen‘ Zuwanderern, S. 51-73. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 70 ansässigen deutschen Volksgruppen mit ihrer Umgebung zerstört. Was den Völkern Osteuropas von Deutschen oder in deutschem Namen angetan wurde, fiel schließlich auf die Opfer von Flucht und Vertreibung zurück.

Auf die im Sommer 1944 beginnende und bis zum Kriegsende im Mai 1945 andauernde Flucht vor der heranrückenden Roten Armee folgten die zunächst ‚wilden‘, später organisierten Vertreibungen der Nachkriegszeit. Neben der Ziehung neuer Grenzen vor allem in Ostmitteleuropa hatten Großbritannien, die USA und die Sowjetunion den Transfer großer deutscher Bevölkerungsteile nach Westen bereits auf ihren Kriegskonferenzen beschlossen und schließlich auf der Konferenz von Potsdam im Sommer 1945 besiegelt. Eine Instrumenta- lisierung von deutschen Minderheiten in Osteuropa, die vom Deutschen Reich in der Zwischenkriegszeit betrieben wurde und einer expansiven Ostpolitik Vorschub leistete, sollte so verhindert werden. Die Zwangszuwanderung der Vertriebenen auf das Gebiet der späteren Bundesrepublik war also das Ergeb- nis von alliierten Beschlüssen, an denen deutsche Stellen nicht beteiligt waren. Auf die Vertriebenenmigration konnte von deutscher Seite, zumal es in den ersten Nachkriegsjahren an einer Zentraleinstanz fehlte, dementsprechend kein Einfluß genommen werden.

Ein anderes Bild bietet hingegen die Aussiedlermigration. Mit dem Bundes- vertriebenen- und Flüchtlingsgesetz schuf die junge Bundesrepublik die recht- liche Grundlage für die weitere Aufnahme von Angehörigen deutscher Min- derheiten aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa. Der Wille zur Aufnahme re- sultierte zum einen aus der Situation der dort noch verbliebenen Deutschstäm- migen, die für die nationalsozialistischen Verbrechen im Osten nach 1945 in vielen Staaten Osteuropas oftmals kollektiv haftbar gemacht, unterdrückt und diskriminiert wurden. Neben dieser humanitären Intention bildete von Beginn an die Ost-West-Konfrontation die zweite zentrale Grundlage bei der Gestal- tung der bundesdeutschen Aussiedlerpolitik. Im Sinne einer politischen De- monstration gegenüber dem Systemgegner hieß die Bundesrepublik Deutsch- land konsequenterweise alle Deutschstämmigen aus Osteuropa, ebenso wie alle Bürger der DDR, willkommen.

In den Jahrzehnten des Kalten Krieges wurden die Bestimmungen des BVFG bezüglich der Aussiedleraufnahme dementsprechend insgesamt großzügig aus- 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 71 gelegt. Aufgrund der restriktiven Ausreisepolitik in den Staaten des Ostblocks blieb die Zuwanderung von Aussiedlern in die Bundesrepublik allerdings auf niedrigem Niveau. Diejenigen, die den Eisernen Vorhang hinter sich lassen und in die Bundesrepublik einreisen konnten, hatten ihr zentrales Migrationsmotiv – vor dem Hintergrund der Diskriminierungen in den Herkunftsstaaten – in der Hoffnung, endlich als ‚Deutsche unter Deutschen‘ leben zu können.

Die zentralen Bezugspunkte von Aussiedlerzuwanderung und der Zuwande- rungspolitik gegenüber dieser Gruppe von 1950 bis 1987, also ethnisch be- dingte Diskriminierung von deutschen Minderheiten in Osteuropa, Kalter Krieg und großzügige Aufnahmepolitik bei gleichzeitig niedriger Zuwande- rung, sollten mit dem Ende der Blockkonfrontation nachhaltige Veränderungen erfahren. Der Beginn der Demokratisierungsprozesse in den Staaten des zer- fallenden Ostblocks ermöglichte den Menschen dort auch die Überschreitung von Grenz- und damit Migrationsbarrieren, die in Zeiten des Ost-West- Gegensatzes schier unüberwindlich schienen. Ab 1988 und weit bis in die 1990er Jahre hinein erreichte die Zuwanderung von Deutschen aus Osteuropa vor diesem Hintergrund Größenordnungen, die während des Kalten Krieges nicht für möglich gehalten und seit der Nachkriegszeit nicht mehr erreicht worden waren. Zugleich führten die politischen Veränderungen in Osteuropa zur Erosion des während des Kalten Krieges jahrzehntelang bestehenden Legi- timationshorizontes der Aussiedlerzuwanderung. Diese verlor ihren politisch- moralischen Bezugsrahmen und wurde vielfach nur noch im Kontext von gleichzeitig ansteigenden Migrationsbewegungen in die Bundesrepublik, wie etwa der Asylbewerberzuwanderung, wahrgenommen, was wiederum zu ver- stärkten Abwehrhaltungen der Bundesbürger gegenüber ‚den Fremden‘ führ- te95.

Die Bundesrepublik reagierte auf den starken Anstieg der Aussiedlerzahlen und die politischen Veränderungen in den Staaten Osteuropas mit einer zu- nehmend defensiv ausgerichteten Zuwanderungspolitik. Ab 1990 wurden ge- setzliche Neuregelungen eingeführt, die im Kern folgende Veränderungen be- züglich der Aussiedleraufnahme und -anerkennung mit sich brachten: 1) Auf-

95 Vgl. Bade: Einführung, S. 49. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 72 nahmeverfahren vom Ausland her; 2) zahlenmäßige Festlegung der jährlichen Aufnahmebescheide; 3) Unterstellung einer der Grundannahmen der Aussied- leraufnahme seit 1950, nämlich der Fortdauer des ‚Vertreibungsdrucks‘, prak- tisch nur noch für Antragsteller aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion; 4) im Herkunftsland abzulegende Sprachprüfungen für Antragsteller, um deut- sche Sprachkenntnisse nachzuweisen. Damit erinnerten die seit 1990 einge- führten gesetzlichen Neuregelungen zur Aussiedleraufnahme, abgesehen von der ethnischen Komponente des ‚Vertreibungsdrucks‘, bemerkenswert an eine formelle Einwanderungsgesetzgebung96. Vor allem vor dem Hintergrund die- ser rechtlichen Veränderungen kam es seit Mitte der 1990er Jahre zu einem deutlichen und kontinuierlichen Absinken der jährlichen Aussiedlerzuwande- rung in die Bundesrepublik Deutschland.

Neben deutlich geringeren Aussiedlerzahlen hatten die gesetzlichen Neurege- lungen auch Veränderungen im Hinblick auf die Herkunftsländer der zuwan- dernden Aussiedlerbevölkerung zur Folge. Wie in den Jahrzehnten zuvor rei- sten 1988 und 1989 die mit Abstand meisten Aussiedler noch aus Polen, ge- folgt von Rumänien, in die Bundesrepublik ein. Doch bereits 1990 stellten Aussiedler aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion den größten Anteil. Seit 1993 kamen Aussiedler fast ausschließlich nur noch aus den Nachfolge- staaten der Sowjetunion, hier insbesondere aus Kasachstan, der Russischen Föderation und Kirgisistan.

Dem Charakter einer Zwangswanderung entsprechend hatten die Opfer von Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der Nach- kriegszeit zum Verlassen ihrer Heimat keine realistische Handlungsalternative. Insofern stellt sich für diese Gruppe die Frage nach den Migrationsmotiven nicht. Dagegen lassen sich bei der Aussiedlerzuwanderung ab 1988 als einer freiwilligen Form der Migration einige wanderungsbestimmende Faktoren er- kennen. Hier ist gerade in den ersten Jahren der Massenzuwanderung von Aus-

96 Wollenschläger sah in den Neuregelungen bereits Mitte der 1990er Jahre ein „Vorbild für die Konzeption einer Zuwanderungsgesetzgebung“, vgl. Michael Wollenschläger: Nationalstaat, Ethnizität und Einwanderungs- gesetzgebung in Deutschland. In: Bade (Hrsg.): Migration – Ethnizität – Konflikt, S. 431-450, hier S. 432 f. 2. Wege nach Westen: Die Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 73 siedlern die Hoffnung zu nennen, in der Bundesrepublik als ‚Deutsche unter Deutschen‘ zu leben. Diese ethno-kulturelle Motivation wurde, nachdem sich die Situation von Angehörigen deutscher Minderheiten in den Staaten Osteuro- pas im Zuge der dortigen Demokratisierungsprozesse verbesserte, Anfang der 1990er Jahre abgelöst von einem zunehmend ökonomisch-spekulativen Wan- derungsverhalten, welches aus der wirtschaftlichen und sozialen Anziehungs- kraft der Bundesrepublik resultierte. Wirtschaftliche Gründe spielten also bei dem Wunsch vieler Deutschstämmiger, als Aussiedler anerkannt zu werden und somit in die Bundesrepublik einreisen zu können, eine immer gewichtigere Rolle. Letztlich wandelte sich die Aussiedlermigration von einer durch ethni- sche Diskriminierung von Angehörigen deutscher Minderheiten jenseits des Eisernen Vorhangs und den politischen Rahmenbedingungen des Kalten Kriegs geprägten privilegierten Zuwanderung in die Bundesrepublik zu einer Migra- tionsbewegung, die sich in ihrem zentralen Migrationsmotiv – der Hoffnung auf eine in Deutschland bessere ökonomische Lebensperspektive – kaum mehr von anderen Zuwanderergruppen in die Bundesrepublik unterschied. 74

3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aus- siedlern/Spätaussiedlern

Nachdem wir uns im vorausgegangenen Kapitel 2. mit der Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern beschäftigt haben, soll es nunmehr darum gehen, wie sich die Eingliederungswege beider Gruppen gestalteten. Für Zuwanderer wird dabei die Bedeutung der wohnräumlichen Eingliederung, die im folgen- den ausführlich beleuchtet werden soll, herausgestellt. „Integration beginnt mit der Herstellung bedürfnisgerechter Wohnverhältnisse.“1 Nach der Ankunft der beiden großen Migrationsbewegungen von Deutschen aus dem Osten ging es aber zunächst nicht um die Herstellung bedürfnisgerechter Wohnverhältnisse oder gar um eine Angleichung der Wohnverhältnisse zwischen Einheimischen und Zuwanderern. Vielmehr ging es vor allem darum, die Menschen überhaupt erst einmal irgendwo unterzubringen und ihnen, vor allem mit Blick auf die Vertriebenen und die Situation der Nachkriegszeit, im wahrsten Sinne des Wortes ein Dach über dem Kopf zur Verfügung zu stellen. Hierauf soll zu- nächst eingegangen werden.

3.1. Unterbringung und Wohnsituation nach der Ankunft

Die Aufnahme von Millionen von Menschen in einem kurzen Zeitraum hätte zu jedem Zeitpunkt ein gravierendes Problem dargestellt, doch die Vertriebe- nen kamen schlechterdings in einem Augenblick, in dem die deutsche Gesell- schaft dieser Herausforderung weniger denn je gewachsen war. Eine Frau aus dem Sudetenland, das vom Kriegsgeschehen weitgehend verschont geblieben war, schildert ihre Eindrücke, die sie nach der Vertreibung auf der Fahrt im überfüllten Viehwaggon Richtung Westen hatte, folgendermaßen. „Und dann bald danach der erste Schock, als wir durch Deutschland fuhren. Die Bomben […] in Nürnberg, in Fürth. Da haben wir aus dem Zug die zerbombten Städte gesehen. Mein Gott, haben wir gedacht, Deutschland ist so zerbombt und wir

1 Gudrun Friderichs / Rolf Eichholz: Integration von Ausländer- und Aus- siedlerkindern unter besonderer Berücksichtigung der polnischen Aus- siedlerkinder: theoretische Grundlagen und praxisorientierte Konzepte. Frankfurt/M. u. a. 1992, S. 38. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 75 sollen da auch noch rein, ganze Waggons, ganze Züge voller Menschen.“2 Damit wird anschaulich eines der wesentlichsten Probleme im Nachkriegs- deutschland beschrieben: Einem durch die Kriegszerstörungen reduzierten Wohnraumbestand stand die Aufgabe gegenüber, zusätzlich Millionen von Menschen und damit eine gegenüber der Vorkriegszeit angewachsene Bevölke- rung unterzubringen.

Der kriegsbedingte Wohnraumverlust resultierte dabei in erster Linie aus den ab 1942/43 forcierten Luftangriffen der Briten und US-Amerikaner, die mehr und mehr über die Luftherrschaft über dem Reich verfügten. Gegen Ende des Krieges kamen, vor allem im Westen Deutschlands, auch Zerstörungen durch Bodenkämpfe hinzu. Besonders schwer von den Luftangriffen betroffen waren die norddeutschen Küstenstädte, das Ruhrgebiet und das weitere rheinisch- westfälische Industriegebiet sowie der Rhein-Main-Raum3. Was die deutsche Luftwaffe 1939/40 mit Angriffen gegen Städte wie Warschau, Rotterdam oder Coventry, die umfangreiche Zerstörungen nach sich zogen und Tausenden das Leben kostete4, begonnen hatte, wurde von den alliierten Bomberflotten in bis dahin beispielloser Weise beantwortet.

Das verdeutlicht die Bilanz des Bombenkriegs gegen Deutschland, wenngleich hierzu durchaus unterschiedliche Angaben vorliegen: So schwankt die Zahl derjenigen, die bei den Luftangriffen ihr Leben verloren, zwischen 300.000 und weit über 500.0005. Auch bei der Wohnraumzerstörung liegen keine ein-

2 Müller-Handl: „Die Gedanken laufen oft zurück …“, S. 74.

3 Vgl. Helga Grebing / Peter Pozorski / Rainer Schulze: Die Nachkriegs- entwicklung in Westdeutschland 1945-1949: Die wirtschaftlichen Grundlagen. Stuttgart 1980 (Studienreihe Politik, Bd. 7), S. 13 f.

4 Vgl. zum Beispiel Francis K. Mason: Battle over Britain. London 1969; Norman Longmate: Air Raid. The Bombing of Coventry 1940. London 1976; Hans-Adolf Jacobsen: Der deutsche Luftangriff auf Rotterdam (14. Mai 1940). Versuch einer Klärung. In: Wehrwissenschaftliche Rund- schau 8 (1958), S. 257-284. Vgl. allgemein zum Bombenkrieg im Zwei- ten Weltkrieg neuerdings Rolf-Dieter Müller: Der Bombenkrieg 1939- 1945. Berlin 2004.

5 Vgl. Hans Sperling: Deutsche Bevölkerungsbilanz des 2. Weltkriegs. In: Wirtschaft und Statistik 1956, S. 493-500, hier S. 499. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 76 heitlichen Angaben vor; Schulz hat hier einige Ergebnisse zusammengefaßt6: Demnach waren 4,05 Millionen Wohnungen, mithin mehr als ein Fünftel des Vorkriegsbestandes im Reichsgebiet, verloren, entweder durch Totalzerstörung oder durch so schwere Beschädigung, daß eine weitere Wohnnutzung nicht mehr in Frage kam. Anderen Berechnungen zufolge waren in den vier Besat- zungszonen 25 % der Wohnungen mehr oder weniger stark beschädigt und 16 % total zerstört. Unter Einbeziehung der schwer beschädigten Wohnungen waren auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik 22 bis 25 % des Bestandes von 1939/43 nicht oder kaum mehr bewohnbar. Das Bundeswohnungsbaumini- sterium gab für das Gebiet der Bundesrepublik (ohne Saarland und Berlin) die Zahl der nicht mehr bewohnbaren, weil total zerstörten oder schwer beschä- digten Wohnungen mit 2,34 Millionen an. Das entsprach 22 % des Vorkriegs- bestandes.

Neben Großstädten wie Hamburg, Berlin, Köln oder Frankfurt am Main waren es insbesondere die mittelgroßen Städte West- und Nordwestdeutschlands, die erhebliche Zerstörungen erlitten. Prozentual lag hier der Zerstörungsgrad sogar oftmals noch über dem der Großstädte. So verlor Köln 70 % seiner Wohnun- gen, Dortmund 65,8 % und Kassel 63,9 %, während dagegen Düren (99,2 %) Paderborn (96,9 %) und Bocholt (89 %) fast vollständig zerstört wurden. Die größten Wohnungsverluste in absoluten Zahlen hatten Berlin (556.550 zer- störte Wohnungen), Hamburg (295.654) und Köln (176.600)7. Etwa 400 Mil- lionen Kubikmeter Schutt lagen auf Deutschland, und beim Anblick der stark zerstörten Städte griffen einige Augenzeugen zu antiken Metaphern. Nach ei- nem Gang durch die gänzlich zerstörte Innenstadt von Münster erklärte ein amerikanischer Offizier: „It looks like Pompeji“, während wiederum ein Ame- rikaner befand, daß die ehemalige ‚Reichshauptstadt‘ Berlin im Mai 1945 jener Trümmerstätte glich, die die Römer bei der gänzlichen Zerstörung Karthagos

6 Vgl. Günther Schulz: Wiederaufbau in Deutschland: Die Wohnungsbau- politik in den Westzonen und der Bundesrepublik von 1945 bis 1957. Düsseldorf 1994 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 20), S. 33.

7 Vgl. Friedrich Kästner: Kriegsschäden, Trümmermengen, Wohnungsver- luste, Grundsteuerausfall und Vermögenssteuerausfall. In: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden 37 (1949), S. 361-391, hier S. 369. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 77

146 v. Chr. hinterlassen hatten8. Der ohnehin gravierende Wohnungsmangel der Nachkriegszeit wurde zusätzlich verstärkt durch Requirierungen der Besat- zungsmächte in ihren Zonen. Noch im Frühjahr 1948 belegten die britischen Truppen insgesamt 196.682 Wohnräume, die Amerikaner ihrerseits 119.9189.

Der oben angesprochene Bevölkerungszuwachs resultierte nahezu ausschließ- lich aus der Zuwanderung der Vertriebenen. Diese hatte bereits am Kriegsende und in der unmittelbaren Nachkriegszeit eingesetzt und erreichte mit der ‚Ak- tion Schwalbe‘, wie die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus den unter polnische Verwaltung gestellten Reichsgebieten jenseits von Oder und Neiße von britischen Militärregierung genannt wurde, ab Frühjahr 1946 ihren Höhe- punkt. Hatte die Bevölkerung 1939 auf dem Gebiet der späteren britischen Be- satzungszone noch bei 19,775 Millionen gelegen, so betrug sie dort Ende Ok- tober 1946 ca. 21,887 Millionen. Das entspricht einem Zuwachs von fast 11 %. In der US-Zone vergrößerte sich die Bevölkerung sogar um über 17 %, und zwar von 14,297 Millionen im Jahr 1939 auf nunmehr knapp 16,780 Millio- nen10. Bis 1950 wurden in der Bundesrepublik insgesamt rund 8,4 Millionen Menschen mehr gezählt, als auf demselben Gebiet 1939 gelebt hatten. Die Be- völkerung erhöhte sich um 21 % von ca. 39,338 Millionen auf ca. 47,698 Mil- lionen11.

Kriegszerstörungen und Bevölkerungswachstum führten nach Kriegsende zu einer allgemeinen Wohnungsnot, die Menschen mußten gezwungenermaßen enger zusammenrücken. So gab es Ende 1946 in der britischen Zone pro Kopf

8 Vgl. Michael Overesch: Deutschland 1945-1949: Vorgeschichte und Gründung der Bundesrepublik. Ein Leitfaden in Darstellung und Doku- menten. Königstein/Ts., Düsseldorf 1979, S. 48 f.

9 Vgl. Karl Christian Führer: Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungs- markt: Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft in Deutsch- land 1914-1960. Stuttgart 1995 (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirt- schaftsgeschichte, Beihefte, Bd. 119), S. 351.

10 Vgl. Georg Müller / Heinz Simon: Aufnahme und Unterbringung. In: Lemberg/Edding (Hrsg.): Die Vertriebenen in Westdeutschland, S. 300- 446, hier S. 310.

11 Vgl. Bethlehem: Heimatvertreibung, S. 28. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 78 im Durchschnitt 6,2 m2 Wohnraum, in der amerikanischen Zone 7,6 m212. Dort mußten sich beispielsweise in Hessen bereits im Herbst 1945 rein sta- tistisch 1,46 Personen einen Raum teilen, ein Jahr später waren es schon 1,75 Personen13. Allerdings war ‚Wohnraum‘ in der Nachkriegszeit ein relativer Begriff. Angesichts der dramatisch reduzierten Wohnungsversorgung zählten hierzu auch Ruinen, Keller und leicht beschädigte Teile von Gebäuden, in de- nen sich die Menschen notdürftig einrichteten. Selbst Wohnungen bis zu einem Schadensgrad von 40 % wurden, wie Schätzungen des Kölner Statistischen Amtes ergaben, noch bewohnt14.

Das Bevölkerungswachstum ging zwar fast ausschließlich auf die Zuwande- rung der Vertriebenen zurück, sie waren allerdings bei weitem nicht die einzige Gruppe, die in der Nachkriegszeit nach Unterbringung verlangte. Vielmehr konkurrierten die Angehörigen auch anderer, zum Teil schon vor Flucht und Vertreibung einsetzender Migrationsbewegungen mit ihnen um den ohnehin mangelnden Wohnraum. Hierbei sind zuallererst die etwa 10 Millionen Men- schen zu nennen, die während des Krieges vor den Bombenangriffen aus den städtischen Regionen geflohen oder evakuiert worden waren und sich bei Kriegsende auf alle vier Besatzungszonen verteilten. Sie konnten zum Teil erst nach Jahren in ihre Heimatorte zurückkehren15. Des weiteren sind zu nennen die neun Millionen kriegsgefangenen Deutschen, die in 20 verschiedenen

12 Vgl. Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 43 f.

13 Vgl. Wolf-Arno Kropat: Hessen in der Stunde Null 1945/1947. Politik, Wirtschaft und Bildungswesen in Dokumenten. Wiesbaden 1979, S. 211.

14 Vgl. Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 43.

15 Vgl. Michael Krause: Flucht vor dem Bombenkrieg. ‚Umquartierungen‘ im Zweiten Weltkrieg und die Wiedereingliederung der Evakuierten in Deutschland 1943-1963. Düsseldorf 1997 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 199); ders.: Evakuie- rung im Bombenkrieg. Staatliche Interventionen zur Steuerung der Flucht aus deutschen Städten 1943-1963. In: Oltmer (Hrsg.): Migration steuern und verwalten, S. 207-226; Katja Klee: Im ‚Luftschutzkeller des Rei- ches‘. Evakuierte in Bayern 1939-1953: Politik, soziale Lage, Erfahrun- gen. München 1999 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitge- schichte, Bd. 78). 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 79

Staaten interniert waren und von denen bereits 5 Millionen innerhalb eines Jahres nach Kriegsende 1945 entlassen wurden16.

Untergebracht und versorgt werden mußten auch die Angehörigen der nach den Vertriebenen zahlenmäßig zweitgrößten Gruppe von Zwangszuwanderern im Nachkriegsdeutschland, die 11 Millionen ‚Displaced Persons‘ (DP‘s), von de- nen der Großteil Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft gewesen war. Ihre Repatriierung, die insbesondere bei den DP‘s aus osteuropäischen Herkunftsländern oftmals zwangsweise durchgeführt werden mußte, aber auch ihre Weiterwanderung dauerte mitunter Jahre. Im März 1949 wurden in den drei Westzonen immerhin noch über 400.000 DP‘s gezählt17. „Insgesamt war Deutschland“, wie Bade angesichts dieses ausgeprägten Wanderungsgesche- hens betont, „in der Nachkriegszeit eine Drehscheibe gewaltiger transnationa- ler und interner Migrationen.“18

Neben ihrer Unterbringung war die Frage nach der ernährungsmäßigen Ver- sorgung der Vertriebenen von höchster Priorität. Beides schien am ehesten in den ländlichen Regionen gewährleistet, die von den Verheerungen des Bom- benkrieges bei weitem nicht so betroffen waren wie die Räume gewerblich- urbaner Verdichtung. Dies läßt sich an einigen Zahlen erläutern: Den mit Ab- stand größten Verlust an Wohnungen hatten die Stadtstaaten Hamburg (49,1 %) und Bremen (41 %) zu beklagen, gefolgt von Nordrhein-Westfalen

16 Vgl. Arthur L. Smith: Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Entlas- sung der deutschen Kriegsgefangenen. Stuttgart 1985; ders.: ‚Die ver- mißte Million‘. Zum Schicksal deutscher Kriegsgefangener nach dem Zweiten Weltkrieg. München 1992; Wolfgang Benz: Einleitung. In: ders. / Angelika Schardt: Deutsche Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg. Frankfurt/M. 1995, S. 7-33.

17 Vgl. Wolfgang Jacobmeyer: Vom Zwangsarbeiter zum heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945-1951. Göt- tingen 1985 (Kritische Studien zu Geschichtswissenschaft, Bd. 65); ders.: Ortlos am Ende des Grauens: ‚Displaced Persons‘ in der Nachkriegszeit. In: Bade (Hrsg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland, S. 367- 373. Zur Weiterwanderung der DP’s vgl. Henriette von Holleufer: Zwi- schen Fremde und Fremde. Displaced Persons in Australien, den USA und Kanada 1946-1952. Osnabrück 2001 (Studien zur Historischen Mi- grationsforschung, Bd. 9).

18 Bade: Europa in Bewegung, S. 299. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 80 mit 19,8 %. In den überwiegend agrarisch strukturierten Ländern Bayern (12,5 %), Niedersachsen (12 %) und Schleswig-Holstein (10,5 %) war der Wohnraumverlust hingegen weniger stark19.

Vor diesem Hintergrund mußten vor allem die zuletzt genannten Länder einen Großteil der Vertriebenen aufnehmen. Die absolut größte Zahl der Zwangszu- wanderer wies die Volkszählung vom Oktober 1946 mit 1.657.800 für Bayern aus, was 18,4 % der Bevölkerung entsprach. In Niedersachsen wurden 1.475.500 Vertriebene gezählt (22,9 % der Bevölkerung) und in Schleswig- Holstein 837.500, gemessen am Bevölkerungsanteil dieser Gruppe war hier mit 31,6 % der höchste Wert zu verzeichnen20. Diese drei sogenannten ‚Hauptflüchtlingsländer‘ behielten ihre Stellung bis 1950 bei. Dort befanden sich noch weit über die Hälfte (ca. 4,6 Millionen) der zu diesem Zeitpunkt ins- gesamt knapp 7,9 Millionen Vertriebenen in der Bundesrepublik. In Schleswig- Holstein stellten sie 33 % der Wohnbevölkerung, in Niedersachsen 27,2 % und in Bayern 21,1 %21.

Während die Alliierten die Vertreibungen organisierten und auch auf die Ver- teilung der Zwangszuwanderer auf die und innerhalb der Länder Einfluß nah- men, waren für ihre Versorgung und Unterbringung lokale deutsche Behörden verantwortlich. Dabei führte der Weg vieler Deutschen aus dem Osten von einem zentralen Aufnahme- bzw. Durchgangslager, in Niedersachsen zum Bei- spiel waren dies die Lager Friedland und Mariental bei Helmstedt, über die nachfolgende Weiterleitung in den Aufnahmeort bis schließlich zur dortigen Unterbringung.

Aus Furcht vor einer politischen Radikalisierung der Vertriebenen war dabei beabsichtigt, ihren Aufenthalt in Lagern oder Sammelunterkünften möglichst

19 Vgl. Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 349, Tabelle 1.

20 Vgl. Klaus J. Bade / Jochen Oltmer: Normalfall Migration, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2004, S. 60.

21 Vgl. Bethlehem: Heimatvertreibung, S. 30. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 81 kurz zu halten22. Im Interesse der alliierten Militärbehörden, die eine rasche Angleichung der (Wohn-)Lebensverhältnisse von Einheimischen und Zuwan- derern anstrebten, sollten letztere in erster Linie in dem bereits vorhandenen Wohnraumbestand untergebracht werden. Gewährleistet werden sollte dies über das Prinzip der Wohnraumbewirtschaftung, also der Erfassung, Beschlag- nahme und Zuweisung von Wohnraum. Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 18 vom 8. März 1946, dem sogenannten ‚Wohnungsgesetz‘, wurde diese Materie rechtlich in allen vier Besatzungszonen gleich geregelt23. Das Gesetz sicherte den Gemeinden die unumstrittene Verfügungsgewalt bei der Wohnraumverga- be, was allerdings nichts wirklich Neues war. Bei den Einquartierungen der ausgebombten und vor den Luftangriffen evakuierten Personen während des Krieges war bereits ähnlich verfahren worden24.

Für die Unterbringung im vorhandenen Wohnraumbestand schienen Klein- städte und ländliche Regionen, die, wie bereits erwähnt, von den Kriegszerstö- rungen weitestgehend verschont geblieben waren, am ehesten geeignet, zumal sie weniger dicht besiedelt waren als urbane Verdichtungsräume. So orientierte sich zum Beispiel der Schlüssel, mit denen die Vertriebenen auf die Länder der amerikanischen Besatzungszone verteilt wurden, einerseits an den jeweils vor- handenen Wohnräumen; andererseits wurden aber auch die jeweiligen Bevöl- kerungszahlen von 1939 zugrunde gelegt25. Allerdings erfuhren Kleinstädte und ländliche Regionen während des Krieges eine erhebliche Zuwanderung durch die Luftkriegsevakuierten, was sich dort bereits vor Kriegsende zu einer

22 Vgl. Johannes-Dieter Steinert: Organisierte Flüchtlingsinteressen und parlamentarische Demokratie: Westdeutschland 1945-1949. In: Klaus J. Bade (Hrsg.): Neue Heimat im Westen. Vertriebene, Flüchtlinge, Aussied- ler. Münster 1990, S. 61-80, hier S. 62.

23 Vgl. Führer: Mieter, S. 350 ff.

24 Vgl. ebd., S. 344 ff. Auf die entsprechende gesetzliche Richtlinie aus dem Jahr 1939, das ‚Reichsleistungsgesetz‘, beriefen sich die Behörden auch nach der Kapitulation weiterhin, um nunmehr die Wohnraumversor- gung der Vertriebenen sicherzustellen, vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 341.

25 Vgl. ebd., S. 316. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 82 ausgeprägten Belastung der Wohnraumsituation entwickelte26. Schon vor Be- ginn der Vertriebenenzuwanderung waren also die Unterkunftsmöglichkeiten auf dem Lande stark beschränkt.

Zwar boten die Siedlungsstrukturen der ländlichen Gemeinden mit ihren viel- räumigen Bauernhäusern und Wirtschaftsgebäuden sehr wohl Wohnraumreser- ven, als die zuletzt Gekommenen mußten sich die Vertriebenen aber mit den Unterbringungsmöglichkeiten abfinden, die bislang niemand hatte akzeptieren wollen. Hierzu zählten zum Beispiel Keller, fensterlose Abstellräume, Ställe, Dachböden usw.27 Dabei machten die Vertriebenen durchaus auch die Erfah- rung, daß sie schrittweise nachrückten: Von eigentlich kaum bewohnbaren Wirtschaftsräumen in die Kammern, Nebenräume und auch Zimmer, in denen zuvor Fremdarbeiter und Ausgebombte gelebt hatten28.

Insgesamt war die Wohnsituation der Vertriebenen schlecht; sie hatten zwar zunächst ein Dach über dem Kopf, durch die Einquartierungen waren aber viel- fältige Mißstände geschaffen worden. So entstanden beispielsweise in den ländlichen Randgebieten Niedersachsens oder Bayerns, die, wie dargestellt, häufig noch mit Evakuierten belegt waren und nun von heute auf morgen vor der Aufgabe standen, zusätzlich ganze Vertriebenentransporte einzuquartieren, erhebliche Überfüllungsprobleme, die sich auf die Wohnungshygiene nieder- schlugen. „Manchen mochte die Situation vor allem ‚sittlich und moralisch‘ unhaltbar erscheinen, weil die Menschen ohne Rücksicht auf Alter und Ge-

26 Vgl. etwa Martina Krug: Das Flüchtlingsproblem im Raum Hannover (Die Altkreise Burgdorf, Hannover, Neustadt a. Rbge. und Springe) 1945-1950. In: Dies. / Karin Mundhenke: Flüchtlinge im Raum Hanno- ver und in der Stadt Hameln 1945-1952. Hildesheim 1988 (Veröffentli- chungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Reihe 38, Bd. 2), S. 3-81, hier S. 16 f.

27 Vgl. Peter Waldmann: Die Eingliederung der ostdeutschen Vertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft. In: Josef Becker / Theo Stammen / Pe- ter Waldmann (Hrsg.): Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Kapitulation und Grundgesetz. München 1979,163-192, hier S. 176.

28 Vgl. Bernhard Parisius: Flüchtlinge und Vertriebene in Osnabrück und im Osnabrücker Land. In: Bade/Meier/Parisius (Hrsg.): Zeitzeugen im Interview, S. 13-91, hier S. 41 f. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 83 schlecht zusammengedrängt wurden. Aber wenn TBC-Kranke mit Gesunden gemischt wurden und die in Bauernhäusern meist wenig luxuriöse Sanitärver- sorgung dem Menschenandrang nicht mehr standhalten konnte, dann war auch von medizinisch-hygienischen Bedrohungen zu sprechen.“29 Von einer Gleichstellung der Wohnsituation zwischen Eingesessenen und Neuankömm- lingen durch die Einquartierungen konnte zudem keine Rede sein, wie eine der ersten statistischen Erhebungen hierzu aus dem Jahr 1947 belegt. Demnach wiesen die Einheimischen eine durchschnittliche Wohnraumbelegung von 1,4 Personen pro Raum auf, bei den Vertriebenen wurden dagegen für jeden Raum 2,8 Personen gezählt30.

Die Reaktionen der Einheimischen auf die Einquartierungen der Neuankömm- linge schwankten zwischen dem, was in der Nachkriegsliteratur als „tätige Nächstenliebe“31 bezeichnet wurde und womit die bereitwillige Gewährung von Wohnraum aus einem Gefühl der Solidarität heraus gemeint war, und ve- hementem Widerspruch gegen die verwaltungsmäßig oktroyierte Pflicht zur Wohnraumabgabe. Insbesondere als deutlich wurde, daß die Vertriebenen nicht in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren konnten, was aber von den Einheimi- schen als Lösung des ‚Vertriebenenproblems‘ betrachtet wurde und worauf die Deutschen aus dem Osten in Erinnerung an vergangene, bessere Zeiten gehofft

29 Ulrike Haerendel: Die Politik der ‚Eingliederung‘ in den Westzonen und der Bundesrepublik Deutschland. Das Flüchtlingsproblem zwischen Grundsatzentscheidungen und Verwaltungspraxis. In: Hoffmann/Krauss/ Schwartz (Hrsg.): Vertriebene in Deutschland, S. 109-133, hier S. 128.

30 Die Ergebnisse entstammen einer Repräsentativerhebung in neun hessi- schen Gemeinden. Die Vertriebenen waren im übrigen in bezug auf die Wohnraumbelegung nicht nur schlechtergestellt als die Einheimischen, sondern auch als die Evakuierten, bei denen ‚nur‘ 2,2 Personen pro Raum gezählt wurden, vgl. Führer: Mieter, Tabelle 28, S. 416. Die Alliierten hatten im Wohnungsgesetz von 1946 als Zielvorgabe eine durchschnittli- che Belegungsziffer von etwa zwei Personen je Wohnraum festgelegt. Mit exakt diesem Wert hatten die deutschen Wohnungspolitiker bis dahin die ‚Überfüllung‘ von Wohnungen verbunden, vgl. ebd, S. 357.

31 Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 307. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 84 hatten32, und sich somit eine längere Zeit des erzwungenen Zusammenlebens abzeichnete, verstärkte sich ab 1946/47 der Widerstand gegen die Einquartie- rungen. Immer öfter war die Amtsgewalt, mitunter sogar in Gestalt der Polizei, unverzichtbar, wenn es darum ging, den Vertriebenen das Unterkommen in den Häusern und Wohnungen der Einheimischen sichern33. Viele Einheimische entwickelten geradezu eine Art „Wissenschaft der Abwehr“34 gegen die Ein- quartierungen, wie es ein württembergischer Bürgermeister 1947 formulierte. Mitunter wurde dabei auch zu drastischen Maßnahmen gegriffen. Ein Bauer aus dem Schwäbischen zum Beispiel ließ, obwohl ihm und seinen im Hause wohnenden Schwestern weiterhin jeweils ein Schlafraum zur Verfügung ge- standen hätte, die Fußböden aus zwei Zimmern seines Hauses herausreißen, um so eine Belegung dieser Räume durch eine siebenköpfige Familie zu verhin- dern35.

Mit dem Eintreffen der großen Vertriebenentransporte des Jahres 194636 er- wies es sich als zunehmend schwieriger, die Zwangszuwanderer in privaten Haushalten unterzubringen. Um eine Massenobdachlosigkeit zu vermeiden, zogen die deutschen Behörden nunmehr verstärkt sämtliche noch verfügbaren Unterbringungsmöglichkeiten heran. Zu solchen sogenannten ‚Notwohnungen‘ zählten etwa Tanzsäle, Kegelbahnen, Wirtshäuser, Boots- und Gartenhäuser, Schulräume, Bunker, Fabrikgebäude. Mitunter wurden sogar Krankenhäuser geräumt, um den Vertriebenen Platz bieten zu können37. Auch die vom NS-

32 Vgl. Rainer Schulze: Zuwanderung und Modernisierung – Flüchtlinge und Vertriebene im ländlichen Raum. In: Bade (Hrsg.): Neue Heimat im Westen, S. 81-105, hier S. 86 f.

33 Vgl. Bade/Meier/Parisius (Hrsg.): Zeitzeugen im Interview, S. 133 f. sowie S. 139 ff.

34 Zit. nach Führer: Mieter, S. 358.

35 Daraufhin beschlagnahmte der zuständige Flüchtlingskommissar die Schlafräume der Schwestern, vgl. ebd., S. 359.

36 So zählte beispielsweise im Jahr 1946 allein Bayern 764 Vertriebenen- transporte mit insgesamt mehr als 750.000 Personen, vgl. Bauer: Auf- nahme und Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen, S. 207.

37 Vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 105. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 85

Regime zahlreich hinterlassenen Barackenlager für Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene wurden häufig mit Vertriebenen belegt, und selbst in ehema- ligen Konzentrationslagern wie beispielsweise dem Lager Dachau wurden sie untergebracht38. Symbolisch für die Wohnverhältnisse der Vertriebenen nach ihrer Ankunft im Westen waren die ‚Nissenhütten‘ genannten Wellblechhütten, die über keine Kanalisationsanschlüsse verfügten und jeweils von mehreren Familien bewohnt wurden, so daß an eine Privatsphäre nicht zu denken war39. Das Leben in der Sammelunterkunft bzw. dem Lager sollte für zahlreiche Ver- triebene noch über viele Jahre hinaus bestimmend bleiben40.

Die beengten Wohnverhältnisse sowohl der privat untergekommenen als auch der sich in Lagern befindlichen Zwangszuwanderer und die nach dem Krieg allgemein schlechte Ernährungssituation der Bevölkerung, die wiederum die Deutschen aus dem Osten besonders hart betraf41, erhöhten bei ihnen die An- fälligkeit für Krankheiten. Bis Mitte 1947 wurden in Niedersachsen knapp 490.000 Vertriebene ärztlich untersucht. Davon waren 8.856 an Rachitis er- krankt, 11.024 an Tuberkulose und 11.685 an Krätze, während 43.593 Ernäh-

38 Vgl. Bade/Oltmer: Normalfall Migration, S. 61 f.

39 Vgl. Karl Christian Führer: Aufnahme und Eingliederung der Vertriebe- nen in Deutschland nach 1945. In: Informationen zur modernen Stadtge- schichte 1 (2001), S. 3-13, hier S. 4.

40 Zur Lagerunterkunft der Vertriebenen und den dortigen Lebensumstän- den vgl. etwa Helmut Grieser: Die ausgebliebene Radikalisierung. Zur Sozialgeschichte der Kieler Flüchtlingslager im Spannungsfeld von so- zialdemokratischer Landespolitik und Stadtverwaltung 1945-1950. Wies- baden 1980 (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 69) sowie Edgar Pscheidt: Die Flüchtlingslager. In: Friedrich Prinz (Hrsg.): Integration und Neubeginn. Dokumentation über die Leis- tungen des Freistaates Bayern und des Bundes zur Eingliederung der Wirtschaftsbetriebe der Vertriebenen und Flüchtlinge und deren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. München 1984, S. 197- 270.

41 Vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 104 f. Zur Ernährungssituation der Bevölkerung nach dem Krieg vgl. auch Kapitel 4.1. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 86 rungsschäden aufwiesen. Der Anteil der Tuberkulose-Erkrankten war doppelt so hoch wie bei den Einheimischen42.

Nicht nur die Umstände ihrer Migration, sondern auch die Wohnbedingungen, auf die sie in Deutschland trafen, gestalteten sich bei den Aussiedlern deutlich unterschiedlicher und im Ganzen wesentlich unspektakulärer als bei den Ver- triebenen. Die zweite große Welle von Deutschen aus dem Osten gelangte En- de der 1980er Jahre nicht nach wochenlangem Fußmarsch, auf Pferdefuhrwer- ken oder in überfüllten Viehwaggons in den Westen. Die Aussiedler reisten vielmehr im Rahmen einer ganz regulären Bahnfahrt an oder mit dem Flug- zeug. Auch kamen sie dabei nicht in ein Land, das durch Kriegszerstörungen einen beträchtlichen Teil seines Wohnraumbestandes eingebüßt hatte und in dem sich die Menschen zunächst mit beengten und notdürftigen Wohnverhält- nissen abzufinden hatten. Die Bundesrepublik verfügte nunmehr über einen hohen Wohnungsstandard. Anfang der 1990er Jahre betrug die durchschnittli- che Wohnfläche pro Person 36 m2, 95,8 % der Wohnungen waren mit Bad oder Dusche und WC ausgestattet, 73,3 % hatten Sammelheizung und Bad/Dusche mit WC43.

Doch der Weg der Aussiedler führte in der Regel nicht zur direkten Anmietung oder gar zum Erwerb von Wohnraum unmittelbar nach der Ankunft. Aufnahme und erste Unterbringung wurden seit den 1950er Jahren vielmehr ähnlich gere- gelt wie bei den Vertriebenen, d.h., sie wurden zunächst einmal in einer zen- tralen Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht. Hierzu zählte zum Beispiel nach wie vor das Grenzdurchgangslager Friedland, das somit nicht nur für viele Vertriebene, sondern auch für zahlreiche Aussiedler zu ersten Station im We- sten wurde44. Nach einer ersten Registrierung erfolgte dann über ein Quoten-

42 Vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 105.

43 Vgl. Christel Bals: Zur Wohnungsversorgung von Aussiedlern in der Bundesrepublik. In: Bade/Troen (Hrsg.): Zuwanderung und Eingliede- rung von Deutschen und Juden, S. 76-80, hier S. 76.

44 Vgl. Grenzdurchgangslager Friedland 1945-1995, hrsg. vom niedersäch- sischen Innenministerium. Hannover 1995 sowie Dagmar Kleineke: Das Grenzdurchgangslager Friedland: Heimkehrer, Flüchtlinge und Vertrie- bene, Um- und Aussiedler. In: Klaus J. Bade / Jochen Oltmer (Hrsg.): 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 87 verfahren und unter Berücksichtigung der engsten familiären und persönlichen Bindungen die möglichst rasche weitere Verteilung auf die Länder45. In der Regel über ein Landesaufnahmelager ging es danach weiter zur Verteilung auf die Kommunen, wo die Aussiedler oftmals in Übergangswohnheimen unterge- bracht wurden. Das Übergangswohnheim war die letzte Station, bevor eigener Wohnraum bezogen werden konnte.

Durch die Ende der 1980er Jahre einsetzende starke Zuwanderung der Aus- siedler wurde diese jahrzehntelang bestehende Infrastruktur zu ihrer Aufnahme und Unterbringung allerdings schlagartig überlastet. Die Aufnahmekapazitäten der Durchgangslager wurden erweitert, weitere Aufnahmestellen des Bundes und der Länder wurden eingerichtet46. Weiter verschärft wurde die Frage nach der Unterbringung der Aussiedler allerdings noch durch den nahezu gleichzei- tigen starken Anstieg einer anderen Ost-West-Wanderung, nämlich die der Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR. Sie nutzten nach dem Fall des ‚Ei- sernen Vorhangs‘ die Möglichkeit, den taumelnden ostdeutschen Staat, zu- nächst noch über das ‚sozialistische Ausland‘, Richtung Westen zu verlassen. Die Bundesrepublik zählte 1989, im Jahr der europäischen Revolutionen, 343.854 Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR. Damit stellten sie in diesem Jahr zusammen mit den Aussiedlern (377.005) fast eine dreiviertel Million Zuwanderer. Angesichts der sich abzeichnenden deutsch-deutschen Vereini- gung gingen die Zuwandererzahlen ab Anfang 1990 zwar kontinuierlich zu- rück. Bis zum 1. Juli 1990, als die Notaufnahme für Übersiedler endete und damit auch die gesonderte Aufnahmestatistik, wurden jedoch noch insgesamt 238.384 registriert47.

Zuwanderung und Integration in Niedersachsen seit dem Zweiten Welt- krieg. Osnabrück 2002, S. 131-165.

45 Zur Verteilung der Aussiedler auf die Bundesländer und zu den rechtli- chen Grundlagen dazu vgl. Kapitel 4.4.

46 Vgl. Bernhard Hallermann: Rahmenbedingungen der Unterbringung, Erstberatung und -unterkunft von Aussiedlern. In: Bade/Troen (Hrsg.): Zuwanderung und Eingliederung von Deutschen und Juden, S. 85-93, hier S. 86.

47 Vgl. Bade: Einführung, S. 50. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 88

Die Kapazitäten von Durchgangslagern und Übergangswohnheimen reichten 1989/90 nicht mehr aus, so daß zur Unterbringung der Aussiedler nunmehr Turnhallen, Containerdörfer, ehemalige Arbeiterunterkünfte, Kasernen, Ge- meindesäle, Schulen und Schiffe, leergeräumte Lagerhallen und „zwielichtige Hotels“ herangezogen wurden48. Somit mußten auch die Angehörigen der zweiten großen Welle von Deutschen aus dem Osten in Notunterkünften unter- gebracht werden, wenngleich zu betonen ist, daß die Verhältnisse in keinster Weise so primitiv und elendig waren wie jene in der Nachkriegszeit. Zudem entspannte sich die Situation mit der Neuregelung des Aufnahmeverfahrens durch das AAG und dem damit verbundenen deutlichen Absinken der Aus- siedlerzahlen ab 1991 recht schnell49. Die Unterbringung in Notunterkünften war also überwiegend eine Erfahrung derjenigen Aussiedler, die 1989 und 1990 in die Bundesrepublik kamen.

Neben Aus- und Übersiedlern sahen sich Bund, Länder und Gemeinden im übrigen vor die Notwendigkeit gestellt, zusätzlich die Angehörigen einer ande- ren Migrationsbewegung, die nahezu zeitgleich einen ebenfalls starken Anstieg erfuhr, aufzunehmen und unterzubringen. Gemeint sind hier die Asylbewerber, deren Zahl 1988, also in dem Jahr, in dem auch die starke Aussiedlerzuwande- rung begann, nach Jahren erstmals wieder die Marke von 100.000 überstieg. In den darauffolgenden Jahren zogen die Asylbewerberzahlen scharf an (1989: 121.000; 1990:193.000; 1991:256.000), um 1992 mit fast 440.000 einen abso- luten Höhepunkt zu erreichen. Hintergründe für das starke Anwachsen der Flüchtlingsströme nach Deutschland waren zum Beispiel die Unterdrückung der Kurden in der Türkei, im Iran und im Irak sowie Bürgerkriege und ‚ethni- sche Säuberungen‘ im ehemaligen Jugoslawien. Durch die starke Zuwanderung in einem kurzen Zeitraum mußten auch für diese Gruppe Notunterkünfte und Massenquartiere bereitgestellt werden. Mit dem ‚Asylkompromiß‘ von 1993 gingen die Zahlen der Asylbewerber allerdings wieder deutlich zurück50.

48 Vgl. Hallermann: Rahmenbedingungen der Unterbringung, S. 89.

49 Vgl. Thomas Conrad: Schwerpunkte der Aussiedlerpolitik in Deutsch- land. In: Bade/Troen (Hrsg.): Zuwanderung und Eingliederung von Deut- schen und Juden, S. 39-43, hier S. 41.

50 Vgl. Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 53 ff. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 89

3.2. Staatliche Maßnahmen zur Förderung der wohnräumlichen Einglie- derung

Die Überwindung der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen allgemeinen Wohnungsnot durch die Schaffung von neuem Wohnraum war eine der größten politischen Herausforderungen für die junge Bundesrepublik. Bundeskanzler Adenauer erklärte im Februar 1950 vor dem : „Der Wohnungsbau ist für uns auf Jahre hinaus das wesentlichste Erfordernis, um das deutsche Volk einer politischen, wirtschaftlichen, ethnischen und kulturellen Genesung entge- genzuführen.“51 Um einen Eindruck von der bevorstehenden Aufgabe zu er- halten, wurde die erste Volkszählung in der Bundesrepublik im September 1950 mit einer Wohnungszählung verknüpft. Sie lieferte folgende Ergebnisse: Über 14,6 Millionen Haushaltungen wurden in Normalwohnungen einschließ- lich 136.200 Behelfsheimen von 30 m2 und mehr sowie 23.400 Wohnungen in einsturzgefährdeten Gebäuden gezählt, 626.800 Haushaltungen in Notwohnun- gen (zum Beispiel Behelfsheime unter 30 m2, Wohnbaracken, Nissenhütten, Bretterbuden, Wohnwagen, Kellerwohnungen) und 762.000 Haushaltungen in Unterkünften wie Lagern, Fremdenheimen, Gasthäuser usw. Insgesamt ergab sich ein Defizit von über 4,7 Millionen Wohnungen52.

Vor diesem Hintergrund stellte die Wohnraumversorgung der Vertriebenen nur einen, wenngleich wichtigen, Bestandteil bei den Bemühungen um den Abbau der kriegsbedingten Wohnungsnot dar. „Zu den Adressaten dieser Politik zählten eben nicht nur die Vertriebenen, sondern auch die Kriegsopfer, Bom- bengeschädigten, Evakuierten, Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft und zunehmend auch die DDR-Flüchtlinge.“53 Deshalb sollen die Maßnahmen zur wohnräumlichen Eingliederung der Vertriebenen im folgenden immer auch mit Blick auf die staatlichen Aktivitäten zur Verbesserung der allgemeinen Wohn- situation betrachtet werden, zumal sich beides vielfach ergänzte.

51 Zit. nach Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 315.

52 Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Bonn 51991, S. 52.

53 Haerendel: Die Politik der ‚Eingliederung‘, S. 121 f. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 90

Bemühungen zur Verbesserung der Wohnsituation der Vertriebenen gab es aber freilich schon während des alliierten Interregnums 1945 bis 1949. In der unmittelbaren Nachkriegszeit blieben sie zunächst auf die Städte- und Gemein- deebene beschränkt, wo sich das politische Leben in Deutschland zuerst reor- ganisierte. Neben den kommunalen Fürsorgeeinrichtungen beteiligten sich dort auch Wohlfahrtsverbände, Kirchen und nicht zuletzt hilfsbereite Privatperso- nen. Doch auch die Vertriebenen beteiligten sich aktiv und zeigten ein hohes Maß an Selbsthilfe, wenn es darum ging, die eigene Wohnsituation zu verbes- sern54. Die Maßnahmen dienten allerdings überwiegend nur der Instandset- zung von im Krieg zerstörtem oder bisher noch nicht genutztem Wohnraum. Hierauf beschränkte sich auch die allgemeine Bautätigkeit in den ersten Nach- kriegsjahren, zu einer nennenswerten Errichtung von Neubauten kam es nicht55. Das hatte vor allem mit dem Mangel an Baumaterial zu tun, das der Bewirtschaftung unterlag und deshalb dort eingesetzt werden sollte, wo mit knappen Mitteln möglichst schnell viel Wohnraum gewonnen werden konnte. Und das schien nun einmal am ehesten bei der Wiederherstellung von beschä- digten Wohnungen und dem Um- und Ausbau von Räumen für zusätzlichen Wohnraum gewährleistet. Einzelne Sonderprogramme zur Förderung von Neu- bauten, wie etwa von der britischen Militärregierung für ihr Besatzungsgebiet initiiert, beschränkten sich darauf, Wohnungen für Arbeitskräfte zu errichten, die aus volkswirtschaftlichen Gründen vordringlich untergebracht werden sollten. Hierzu zählten zum Beispiel Bergleute und Industriearbeiter.

Nach ihrer schrittweise erfolgten Konstituierung waren es die Länder, die sich der wichtigen Wohnungsbaufrage annahmen. Sie versuchten, die Errichtung von dringend benötigtem zusätzlichem Wohnraum durch den Einsatz öffentli- cher Mittel zu fördern, zumal es der breiten Masse der Bevölkerung nach der im Juni 1948 durchgeführten Währungsreform56 zunächst am nötigen Kapital mangelte. In den entsprechenden Richtlinien wurde nun auch die Wohnungsnot

54 Vgl. betrifft: Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsge- schädigten, S. 24.

55 Vgl. hierzu und zu folgendem Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 132-145.

56 Vgl. hierzu etwas ausführlicher Kapitel 4.1. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 91 der Vertriebenen besonders berücksichtigt57. Strittig war allerdings zunächst noch die Frage nach der Finanzierung von entsprechenden öffentlichen Sub- ventionen. Schließlich wurde sich darauf geeinigt, „die Mobilisierung von Mitteln für den Wohnungsbau mit der Regelung des Lastenausgleichs“ 58 zu verknüpfen.

Vor diesem Hintergrund war – auch für die künftige – Förderung des Woh- nungsbaus für die Vertriebenen mit öffentlichen Mitteln das ‚Gesetz zur Siche- rung von Forderungen für den Lastenausgleich‘ (Hypothekensicherungsgesetz) vom September 1948 von zentraler Bedeutung. Die Währungsreform hatte den Hauseigentümern durch die Abwertung der Hypotheken einen Umstellungsge- winn gegenüber den Geldeigentümern gebracht. Dieser Gewinn wurde nun über ‚Umstellungsgrundschulden‘ durch die öffentliche Hand in Form der Länder abgeschöpft59.

Ergänzend hierzu verabschiedete der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirt- schaftsgebietes, so der offizielle Name des Resultats der zum 1.1.1947 erfolg- ten Vereinigung von britischer und amerikanischer Besatzungszone, im No- vember 1948 das ‚Gesetz zur Milderung dringender sozialer Notstände‘ (So- forthilfegesetz), welches im August 1949 in Kraft trat. Dieses auch als ‚erstes Lastenausgleichgesetz‘ bezeichnete Gesetz erschloß sich mit der Soforthilfe- abgabe und der Soforthilfesonderabgabe zwei weitere Einnahmequellen und brachte im Hinblick auf Eingliederungsleistungen zugunsten der Vertriebenen erstmals einheitliche Regelungen für den im Mai 1949 gegründeten neuen deutschen Weststaat. Bezüglich der wohnräumlichen Eingliederung gehörten hierzu etwa die Förderung des Wohnungsbaus über die Aufbauhilfe und die Gemeinschaftshilfe (§§ 44 und 46). Da die Vertriebenen durch die Umstände ihrer Zwangsmigration in der Regel fast den gesamten Hausrat zurücklassen mußten, wurde ihnen zusätzlich eine Hausrathilfe gewährt. Allerdings waren die jeweils ausgezahlten Beträge oftmals so gering, daß sie keine wirksame oder angemessene Hilfe bieten konnten. So betrug beispielsweise die Hausra-

57 Vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 353 f.

58 Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 149.

59 Vgl. ebd., S. 149 f. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 92 thilfe zwischen 100 DM und 200 DM. Um Leistungen in Anspruch nehmen zu können, mußten zudem, aufgrund der großen Zahl von Anspruchsberechtigten, zunächst stark einschränkende Voraussetzungen verlangt werden, welche erst nach und nach gelockert werden konnten60.

Im Hinblick auf die Förderung des Wohnungsbaus für Geschädigte im Sinne des Soforthilfegesetzes, zu denen neben den Vertriebenen auch Kriegssach- und Währungsgeschädigte gehörten, konnte jedoch das Zusammenspiel von Hypothekensicherungsgesetz und Soforthilfegesetz durchaus Erfolge vorwei- sen. Bis zum September 1952, als das Soforthilfegesetz durch das Lastenaus- gleichsgesetz abgelöst wurden, wurden insgesamt 520.000 Wohnungen geför- dert. Davon entfielen knapp die Hälfte auf die Vertriebenen61. Allgemein nahm die Bautätigkeit Ende der 1940er Jahre zu. Hatte der Jahresdurchschnitt der Bauproduktion 1946 und 1947, gemessen am Wert von 1936, nur 29 % bzw. 35 % betragen, so lag er 1948 immerhin schon bei 64 %. Anfang 1949 wurden 70 % des Wertes von 1936 erreicht, und im Herbst schließlich 100 %62.

Verharrten Wohnungspolitik und Wohnungsbau während der Besatzungszeit, trotz einiger richtungweisender Ansätze, in einer Art „Schwebezustand“ (Schulz), da es insbesondere an einer handlungsfähigen Zentralgewalt fehlte, die den Aufbau hätte koordinieren und forcieren können, brachte die Konsti- tuierung der Bundesrepublik im Mai 1949 hier grundlegende Veränderungen. Der Bund übernahm nun eine Vorreiterrolle bei der Koordination und Mobili- sation von Mitteln für den Wohnungsbau. Gleichsam um die Bedeutung dieses Politikfeldes herauszustellen, wurde ein eigenes Wohnungsbauministerium

60 Vgl. zum Soforthilfegesetz Müller/Simon: Aufnahme und Unterbrin- gung, S. 376 ff. sowie Lutz Wiegand: Kriegsfolgengesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Archiv für Sozialgeschichte 35 (1995), S. 71-90, hier S. 83 f.

61 Vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 378.

62 Vgl. Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 155. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 93 geschaffen. Eine vergleichbare Behörde hatte es in der Verwaltungsgeschichte Deutschlands bis dahin nicht gegeben63.

Durch das Erste Wohnungsbaugesetz vom April 1950 wurden die rechtlichen Grundlagen für eine staatliche Wohnungsbauförderung, den Sozialen Woh- nungsbau, geschaffen. Dieses Gesetz legte seinen Schwerpunkt, entsprechend der als vordringlich gesehenen Aufgabe, möglichst schnell möglichst viele Wohnungen zu errichten, eindeutig auf den Massenwohnungsbau. Innerhalb von sechs Jahren sollten 1,8 Millionen Wohnungen, also etwa 300.000 jährlich, mit einfacher Ausstattung und geringen Größen errichtet werden. Staatliche Maßnahmen wie Zuschüsse und Darlehen sollten die private Bautätigkeit akti- vieren und deren soziale Tragbarkeit durch ein Belegungsrecht der jeweiligen Wohnungsämter, Mietobergrenzen und Ausstattungsstandards sicherstellen, jedoch auf Dauer nicht den freien Markt ersetzen64. Die Ziele des Ersten Wohnungsbaugesetzes wurden weit übertroffen. Ca. 60 % der mehr als fünf Millionen Wohnungen, die bis Ende der 1950er Jahre gebaut wurden, waren Sozialwohnungen. 1960 waren ein Drittel aller vorhandenen Wohnungen Neu- bauwohnungen65.

Das Erste Wohnungsbaugesetz verknüpfte die allgemeine Förderung des Woh- nungsbaus mit der Absicht, gezielt die Verbesserung der Wohnsituation für Vertriebene und andere Kriegssachgeschädigte zu fördern. Bereits in §1 war die Grundsatzbestimmung festgelegt, daß der Wohnungsbau namentlich der Wohnraumbeschaffung für Vertriebene und anderen Bevölkerungsgruppen dienen sollte, die ihre Wohnungen durch Kriegsfolgen verloren hatten. Die zu den Bundesmittel zählenden Soforthilfemittel für den Wohnungsbau sollten nach § 15 ausschließlich zugunsten des Wohnungsbaus für Geschädigte einge-

63 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Wohnungsbauministeriums ausf. ebd., S. 175 ff.

64 Marlo Riege: Der soziale Wohnungsbau. Sein Beitrag und seine Grenzen für eine soziale Wohnungspolitik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 8- 9/1993, S. 32-42, hier S. 33.

65 Vgl. Axel Schild: Moderne Zeiten: Freizeit, Massenmedien und ‚Zeit- geist‘ in der Bundesrepublik der 50er Jahre. Hamburg 1995 (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 31), S. 50. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 94 setzt werden. Zudem wurden die Länder, die die Bundesmittel erhielten, durch eigene ergänzten und für die weitere Vergabe der Gelder zuständig waren, an- gewiesen, die mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnungen bevorzugt an Vertriebene und andere Geschädigte zu vergeben. Dies sollte dadurch sicherge- stellt werden, daß sich Bauherren, die öffentliche Gelder erhalten wollten, ver- pflichteten, die entstehenden Sozialwohnungen nach einem bindenden Quoten- system an geschädigte Familien zu vergeben66. Auf diese Weise gingen etwa 1952 46,4 % der erstmals bezogenen Neubauten nur an die Gruppe der Ver- triebenen67.

Während im Ersten Wohnungsbaugesetz der Schwerpunkt auf die Förderung des Massenwohnungsbaus gelegt wurde, verschoben sich mit dem Zweiten Wohnungsbaugesetz vom Juni 1956 diese Prioritäten zugunsten des privaten Eigenheimbaus. Nachdem es zunächst darum ging, daß überhaupt Wohnungen gebaut wurden, sollte nun also die Förderung von Wohneigentum verstärkt werden. Das entsprach auch dem Empfinden vieler Bundesbürger. So be- schrieben Anfang der 1950er Jahre die Allensbacher Demoskopen, die die bundesdeutsche Bevölkerung nach ihren Lebenswünschen befragt hatten, das ‚Haus, Wohnung, Garten‘ noch vor ‚Sicherheit‘, ‚Frieden‘ und ‚Liebe, Ehe, Kinder‘ an erster Stelle stehe68. Der Wunsch nach Verbesserung der Wohn- verhältnisse war also vielfach mit dem eigenen Haus verbunden. Auch das Zweite Wohnungsbaugesetz brachte im übrigen eine Privilegierung der Ver- triebenen, sollten doch ihre Bauvorhaben bevorzugt gefördert werden69.

66 Vgl. Georg Wagner: Sozialstaat gegen Wohnungsnot. Wohnraumbewirt- schaftung und Sozialer Wohnungsbau im Bund und in Nordrhein-West- falen 1950-1970. Paderborn 1995 (Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 11).

67 Eine Privilegierung der Vertriebenen erfolgte aber nicht nur beim Erstbe- zug von Neubau-, sondern auch bei der Vergabe von freiwerdenden Alt- bauwohnungen. 1952 wurden hiervon 33,1 % an diesen Personenkreis vergeben, vgl. Führer: Mieter, S. 417.

68 Vgl. Elisabeth Noelle / Erich Peter Neumann: Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1947-1955. Allensbach 1956.

69 Vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 372 f. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 95

Die Bevorzugung der Vertriebenen bei der Versorgung mit neuem Wohnraum bzw. die Förderung ihres individuellen Eigenheimbaus wurde auch in einem Gesetz festgeschrieben, das zwischen dem Ersten und dem Zweiten Woh- nungsbaugesetz verabschiedet wurde. Gemeint ist hier das Lastenausgleichsge- setz (LAG), welches im September 1952 in Kraft trat. Da der Lastenausgleich bis heute weithin als „Symbol für die geglückte Integration der Vertriebenen“ gilt, der – jenseits aller wirtschaftlichen Bedeutung – „kräftig zur Konstituie- rung einer sozialpolitischen Legitimation im Nachkriegsdeutschland beigetra- gen“70 habe, soll im folgenden näher auf das LAG eingegangen werden.

Die materiellen Folgen des Zweiten Weltkriegs hatten die Deutschen höchst unterschiedlich getroffen. So wurde etwa allein der private Vermögensverlust durch die Vertreibung auf 62 Milliarden Reichsmark geschätzt und der durch den Luftkrieg verursachte private Sachschaden im Reich auf 27 Milliarden Reichsmark. Dem standen große Vermögenswerte gegenüber, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten71. Vor diesem Hintergrund setzten Diskussio- nen über die gleichmäßige Verteilung der kriegsbedingten Lasten zwischen denen, die materiell durch den Krieg viel, manchmal sogar alles verloren hatten und denen, die weniger oder gar nicht betroffen waren, bereits unmittelbar nach Kriegsende ein und wurden durch die Währungsreform, die viele auch noch um ihr Erspartes gebracht hatte, noch verstärkt.

Zwischen den an der Diskussion beteiligten Parteien und Interessenverbänden, zu denen sich nach der Aufhebung des Koalitionsverbotes, das umfassend or- ganisierte politische Zusammenschlüsse der Vertriebenen in den ersten Jahren nach dem Krieg unmöglich gemacht hatte, im Sommer 1948 nunmehr auch diejenigen der Neubürger gesellten, herrschte grundsätzliche Einigung über die Notwendigkeit eines Lastenausgleichs. Mit dem bereits angesprochenen So- forthilfegesetz gab es zwar eine erste Regelung, sie sollte aber von vornherein

70 Schillinger: Der Lastenausgleich, S. 240. Zur besonderen Eingliede- rungs- und Legitimationsleistung des Lastenausgleichs vgl. etwa auch Michael Schwartz: Vertreibung und Vergangenheitspolitik. Ein Versuch über geteilte deutsche Nachkriegsidentitäten. In: Deutschland Archiv 30 (1997), S. 177-195, hier S. 179-182.

71 Vgl. Abelshauser: Der Lastenausgleich, S. 231 f. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 96 nur einen provisorischen Charakter haben, bis eine endgültige Lastenausgleichslösung gefunden war72. Daß ein Lastenausgleich kommen sollte, darüber bestand Übereinstimmung, gleichwohl entbrannten Grundsatz- debatten um die Frage, wie dieser durchzuführen sei. Die entgegengesetzten Positionen lassen sich mit den Begriffen sozialer Lastenausgleich, der sich an der aktuellen Bedürftigkeit der Geschädigten orientierte und der einen Beitrag zu größerer sozialer Gerechtigkeit und Egalität leisten sollte und quotaler La- stenausgleich, der auf eine Entschädigung des verlorenen Besitzes zielte und restaurativen Charakter hatte, umschreiben73.

Schließlich einigte man sich auf eine Kompromißlösung zwischen beiden Prin- zipien, wobei allerdings im Ergebnis das quotale Prinzip deutlich überwog. Das im April 1952 verabschiedete ‚Gesetz über die Feststellung von Vertreibungs- schäden und Kriegssachschäden‘ (Feststellungsgesetz) war ein erster Schritt zur Ermittlung der individuell erlittenen Schäden. Es sollte die unterschiedli- chen Schadensformen (Vertreibungsschaden, Kriegssachschaden, Ostschaden) erfassen und gleichzeitig als genaue Grundlage für zukünftige individuelle An- sprüche dienen74.

Im LAG selbst stand dementsprechend auch die Hauptentschädigung im Mit- telpunkt, die in erster Linie die Abgeltung von Schäden und Verlusten an

72 Vgl. Schillinger: Der Lastenausgleich, S. 233.

73 Sehr anschaulich beschreiben die beiden folgenden Zitate aus einer De- batte im in Frankfurt/M. ansässigen Wirtschaftsrat der Bizone die unter- schiedlichen Positionen. Walter Seuffert (SPD) forderte den sozialen La- stenausgleich: „Wir können nicht an eine Wiederherstellung früherer Vermögensverhältnisse denken, auch nicht in verkleinertem Maßstabe, und wir wollen es nicht. Wir wollen aber, daß alle Geschädigten, so weit nur irgend möglich, einen Rechtsanspruch auf Versorgung und Beihilfe zu einer Neueingliederung in die Wirtschaft bekommen.“ Der Abgeord- nete Holzapfel von der CDU erklärte dagegen: „Es soll aber in erster Li- nie so sein, daß der individuell erlittene Schaden ersetzt wird. Wer sein eigenes Haus, sein eigenes Geschäft gehabt hat, soll wieder auf eigenen Füßen stehen können, damit er wieder eine neue Existenz hat.“ Zit. nach Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 241 (Hervorh. im Original).

74 Vgl. ebd., S. 242. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 97

Sachvermögen regelte75. Ferner wurde eine Hausratentschädigung gewährt, die sich an den früheren Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie am gegenwärtigen Familienstand orientierte. Sie konnte für ein Ehepaar bis zu 2.000 DM betragen, wobei für jeden weiteren Familienangehörigen jeweils noch weitere 150 DM hinzukamen und die Hausratentschädigung damit die Hausrathilfe des Soforthilfegesetzes von 1949 um ein Vielfaches überstieg. Kriegsschadensrenten wurden an Alte und Erwerbsunfähige ausbezahlt, die keinen Vermögensverlust nachweisen konnten. Des weiteren beinhaltete das LAG auch Eingliederungsleistungen. Hierzu gehörten vor allem Zuschüsse und Darlehen zur Finanzierung von Unternehmensgründungen und der Arbeits- markteingliederung von abhängig Beschäftigten sowie der Förderung des Wohnungsbaus76.

Bei der Finanzierung des LAG wurden die Regelungen des Soforthilfegesetzes unter Verwertung der bis dahin gesammelten Erfahrungen modifiziert und er- gänzt. So trat die Vermögensabgabe, deren Bemessungsgrundlage die Hälfte des zu Einheitswerten bewerteten Bestands an Grund- und Betriebsvermögen sowie land- und forstwirtschaftlichem und sonstigem Vermögen mit Stichtag der Währungsreform bildete und die die aufkommensstärkste Einnahmequelle war, an die Stelle der Soforthilfeabgabe, während die Erträge aus den Umstel- lungsgrundschulden nach dem Hypothekensicherungsgesetz durch die Hypo- thekengewinnabgabe ersetzt wurden. Mit der Kreditgewinnabgabe wurde zu- dem eine weitere Einnahmequelle erschlossen. Schlußendlich standen auch Zuschüsse von Bund und Ländern zur Verfügung77. Die Erträge, die dem La- stenausgleich zufließen sollten, mußten aber erst erwirtschaftet werden; gleich- zeitig sollte der sich in den 1950er Jahren vollziehende ökonomische Wieder-

75 Dagegen fand die Entschädigung von Geldvermögensverlusten Aufnah- me insbesondere im Altsparergesetz vom Juli 1953 (‚Gesetz zur Milde- rung von Härten der Währungsreform‘) sowie im Währungsausgleichsge- setz vom März 1952 (‚Gesetz über einen Währungsausgleich für Spargut- haben Vertriebener‘), vgl. Wiegand: Kriegsfolgengesetzgebung, S. 87 f.

76 Zu den Entschädigungs- und Eingliederungsleistungen des LAG vgl. ausf. auch Karl Heinz Schaefer: Der Lastenausgleich. In: Frantzioch/Rat- za/Reichert: 40 Jahre Arbeit für Deutschland, S. 169-176, hier S. 173 ff.

77 Vgl. Wiegand: Kriegsfolgengesetzgebung, S. 84 f. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 98 aufbau der Bundesrepublik nicht durch eine zu starke Belastung der Abgeber gefährdet werden. Hinzu kam ein verwaltungstechnisch aufwendiges Verfahren der Schadensfeststellung, so daß bis 1959 keine Hauptentschädigung ausge- zahlt wurde und sich das LAG bis dahin überwiegend auf die Gewährung von Eingliederungshilfen beschränkte. Deshalb erreichte die Hauptentschädigung vielfach nur noch die Erben der ursprünglich Anspruchsberechtigten78.

Von den bereits weiter oben angesprochenen Eingliederungsleistungen des Lastenausgleichs sollen uns hier nur diejenigen interessieren, die direkt auf eine Förderung der wohnräumlichen Eingliederung zielten. Dabei handelte es sich insbesondere um die Wohnraumhilfe (§§ 298-300 LAG) und die Aufbau- darlehen für den Wohnungsbau (§§ 254-258 LAG). Die Wohnraumhilfe sollte über die Vergabe von Darlehen aus öffentlichen Mitteln gewährleisten, daß zusätzlicher Wohnraum zugunsten der Adressaten des Lastenausgleichs, zu denen vor allem die Vertriebenen, aber auch die Bombengeschädigten gehör- ten, errichtet werden konnte. Die Mittel der Wohnraumhilfe wurden nicht nur unmittelbar an die Geschädigten ausbezahlt, sondern kamen ihnen auch mittel- bar zugute, d. h., auch Personen, die nicht zum Kreis der Geschädigten zählten, konnten Darlehen gemäß dem LAG erhalten. Im Gegenzug mußten sie sich verpflichten, den geförderten Wohnraum den Geschädigten zur Verfügung zu stellen. Die Wohnraumhilfe orientierte sich damit an den Zielsetzungen des Ersten Wohnungsbaugesetzes und war ein zusätzlicher Beitrag zum Sozialen Wohnungsbau79.

Die Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau dienten dagegen als Ersatz oder Ergänzung für fehlende eigene Mittel zur Bildung von Wohneigentum der Ge- schädigten, insbesondere zum Eigenheimbau. Sie konnten nicht nur im sozia- len, sondern auch im steuerbegünstigten sowie im frei finanzierten Wohnungs- bau eingesetzt werden. Das Volumen der Aufbaudarlehen blieb zunächst bei den insgesamt verwendeten Lastenausgleichsmitteln für Wohnungsbauzwecke hinter dem der Wohnraumhilfe zurück, überstieg dieses aber, analog zur Neu-

78 Vgl. Abelshauser: Der Lastenausgleich, S. 232 f.

79 Vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 380 ff. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 99 justierung der Wohnungsbaupolitik mit dem Zweiten Wohnungsbaugesetz, bereits Mitte der 1950er Jahre80.

Bis 1960 investierte der Lastenausgleichsfonds insgesamt 9 Milliarden DM, mithin etwa 30 % seiner gesamten Ausgaben, in die Wohnungswirtschaft. „Auf diese Weise verkehrte sich die ursprüngliche Benachteiligung der bei ihrer An- kunft im Westen fast völlig mittellosen Vertriebenen gegenüber alteingeses- senen Familien vielfach in soziale Privilegierung: Die Zahlungen des Lasten- ausgleichs ermöglichten ihnen den Bezug von Neubauwohnungen, während andere, nicht direkt durch den Krieg geschädigte Haushalte dauerhaft an der Aufgabe scheiterten, den in der Regel mehrere tausend DM betragenden indi- viduellen Baukostenzuschuß aufzubringen, der seinerzeit im Interesse einer möglichst weitgehenden Streckung der öffentlichen Wohnungsbausubventio- nen von der großen Mehrheit der Mieter der Neubauwohnungen verlangt wur- de.“81

Insgesamt wurden in den 1950er Jahren beträchtliche Summen aufgebracht, um die Wohnsituation der Bevölkerung im allgemeinen und die der Vertriebenen im besonderen zu verbessern und die wohnräumliche Eingliederung der Deut- schen aus dem Osten zu fördern. So beteiligte sich der Bund zum Beispiel an den öffentlichen Mitteln zur Förderung des Sozialen Wohnungsbaus nach dem Ersten Wohnungsbaugesetz einschließlich des Rechnungsjahres 1956 mit jähr- lich 500 Millionen DM82. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß nicht zuletzt der enorme Wirtschaftsboom der 1950er Jahre in der Bundesrepublik das Bereitstellen von umfangreichen finanziellen Mitteln zur Vertriebenenein- gliederung überhaupt erst möglich gemacht hat. Auf die wirtschaftliche Ent- wicklung Westdeutschlands zwischen 1945 und 1960 wird in dieser Arbeit noch an anderer Stelle ausführlich eingegangen83.

80 Vgl. ebd., S. 383 ff.

81 Führer: Aufnahme und Eingliederung, S. 7.

82 Vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 372.

83 Vgl. Kapitel 4.1. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 100

Anzumerken ist auch, daß die seit der Gründung der Bundesrepublik beschlos- senen und hier vorgestellten gesetzlichen Regelungen zur wohnräumlichen Eingliederung der Vertriebenen immer auch die Frage nach ihrer Eingliederung in den Arbeitsmarkt beinhalteten, für die eine Umsiedlung großer Teile der Vertriebenenbevölkerung innerhalb der Bundesrepublik und ihrer Länder als unumgänglich schien. Da das in dieser Untersuchung ebenfalls andernorts noch breiter diskutiert wird84, sollen an dieser Stelle nur einige wenige Hinweise darauf genügen.

Viele Vertriebene befanden sich in der ersten Nachkriegsjahren, wie zu Beginn dieses Kapitels 3. dargestellt, in den eher ländlicher geprägten Regionen, die ihnen zwar zunächst Unterkunft und Ernährung bieten konnten, auf Dauer aber kaum ausreichende Möglichkeiten zur Arbeitsmarkteingliederung besaßen. Von 1949 bis 1956 wurden vor diesem Hintergrund vier Umsiedlungspro- gramme verabschiedet, die im Kern folgendes bewirken sollten: 1) Finanzielle Entlastung der drei ‚Hauptflüchtlingsländer‘ Schleswig-Holstein, Niedersach- sen und Bayern durch eine gleichmäßigere Verteilung der Vertriebenen im gesamten Bundesgebiet; 2) Heranführung der Vertriebenen an die hauptsäch- lich in den alten industriellen Zentren neu entstehenden Arbeitsplätze, die al- lerdings die stärksten Zerstörungen durch den Bombenkrieg aufwiesen, wes- halb dort 3) zusätzlicher Wohnraum für die umgesiedelten Neubürger zu schaf- fen war. Lastenausgleichsmittel für den Wohnungsbau sollten deshalb vor al- lem dort eingesetzt werden, wo sich Arbeitsmöglichkeiten für die Vertriebenen boten. Mit dieser Verknüpfung wurde ihre wohnräumliche Eingliederung zu- gleich auch auf „einen langfristigen, volkswirtschaftlich positiven Effekt aus- gerichtet.“85

Die in den 1950er Jahren abgesteckten Rahmenbedingungen für die Wohn- raumversorgung der Vertriebenen waren in den folgenden Jahrzehnten auch für die Angehörigen der ihnen nachfolgenden Wanderungsbewegung, die Aus- siedler, gültig. Das heißt, auch für diese Gruppe wurde die Wohnungsversor- gung zum Beispiel durch günstige Darlehen für den Wohnungs- bzw. Hausbau

84 Vgl. Kapitel 4.4.

85 Haerendel: Die Politik der ‚Eingliederung‘, S. 122. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 101 und Einrichtung besonders gefördert und auch sie erhielten Unterstützungslei- stungen und Entschädigungen im Rahmen des Lastenausgleichs (Hauptent- schädigung, Aufbaudarlehen, Hausratentschädigungen). „Die Aussiedler galten als Teil der nationalen – wenn auch räumlich distanzierten – ‚Schicksalsge- meinschaft‘ mit Blick auf die Folgelasten des Zweiten Weltkriegs.“86 Der Einbezug in diese ‚Schicksalsgemeinschaft‘ erfolgte eben nicht nur dadurch, daß man ihnen Aufnahme gewährte, sondern insbesondere auch durch die In- klusion der Aussiedler in die wohlfahrtsstaatlichen Systeme der Bundesrepu- blik, was, genau wie bei den Vertriebenen, als eine Frage der nationalen bzw. der ethno-nationalen Solidarität betrachtet wurde.

Besonders deutlich wurde diese Solidarität im Lastenausgleich, der zu einer gleichmäßigeren Verteilung der materiellen Kriegsfolgen zwischen stark und weniger stark Betroffenen beitragen sollte und der angesichts des Umfangs und der Mittel, die es aufzubringen und zu verteilen galt, „zu den größten Wirt- schafts- und Finanztransaktionen der deutschen Geschichte“87 gehörte. Anzu- merken ist allerdings auch, daß solche und ähnliche Gesetze vor dem Hinter- grund des Kalten Krieges entstanden und damit zweierlei Intentionen gerecht wurden, nämlich einmal der Hilfestellung und gleichzeitig dem politischen Signal88. Das gilt im übrigen auch für das ‚Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden‘ (Häftlingshilfegesetz) von 1955, nach welchem Aussiedler aus der Sowjetunion für die Zeit ihrer Ver- schleppung und Internierung während des Zweiten Weltkriegs und danach Ent- schädigungsbeiträge zustanden. Diese keineswegs geringen Beträge wurden vielfach als zusätzlicher Eigenanteil in Eigentumsmaßnahmen eingebracht.

86 Klaus J. Bade / Michael Bommes: Migration und politische Kultur im ‚Nicht-Einwanderungsland‘. In: Klaus J. Bade: Sozialhistorische Migra- tionsforschung, hrsg. von Michael Bommes und Jochen Oltmer. Göttin- gen 2004 (Studien zur Historischen Migrationsforschung, Bd. 13), S. 437-471, hier S. 458.

87 Abelshauser: Der Lastenausgleich, S. 233.

88 Vgl. Delfs: Heimatvertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler, S. 5. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 102

Zweimal reagierte der Bundestag auf ansteigende Zuwandererzahlen der Aus- siedler. Das 1976 vor dem Hintergrund der ab Mitte der 1970er Jahre verbes- serten Ausreisemöglichkeiten von Deutschen aus Ost-, Ostmittel- und Südost- europa und dem damit verbundenen Anstieg der Aussiedlerzahlen verabschie- dete Sonderprogramm zu ihrer Eingliederung beinhaltete, neben der Förderung von Maßnahmen zur Arbeitsmarkteingliederung, als einen weiteren Schwer- punkt die Schaffung von Wohnraum und die zusätzliche Gewährung von Ein- richtungsdarlehen89. 1988/89 wurde ein Wohnungsbauprogramm speziell für Aussiedler aufgelegt. Es sah, entgegen der Praxis bei allen Wohnungsbaupro- grammen, vor, nicht nur zinsgünstige Darlehen zu vergeben, sondern außerdem noch Zuschüsse zu gewähren. Insgesamt handelte es sich um äußerst günstige Konditionen90.

Doch schon bald nach Beginn der starken Aussiedlerzuwanderung 1988 wur- den derartige Maßnahmen und andere Eingliederungsleistungen von der politi- schen Öffentlichkeit als offensichtliche Besserstellungen gegenüber der ein- heimischen Bevölkerung kritisch diskutiert und von den Bundesbürgern in Meinungsumfragen abgelehnt91. Das Ende des Ost-West-Konfliktes und der gleichzeitige Anstieg der Aussiedlerzahlen in bis dahin nicht gekannten Di- mensionen führten also nicht nur zu einem gesellschaftlichen Akzeptanzverlust der Aussiedlerzuwanderung im allgemeinen, sondern auch der sozialstaatlichen Leistungen gegenüber dieser Gruppe im besonderen. Deshalb wurde von regie- rungsamtlicher Seite beim Werben um Sympathie für bzw. Solidarität mit den

89 Vgl. Jürgen Haberland: Eingliederung von Aussiedlern. Sammlung von Texten, die für die Eingliederung von Aussiedlern aus den osteuropäi- schen Staaten von Bedeutung sind. Leverkusen 1994, S. 28.

90 Vgl. Bals: Zur Wohnungsversorgung von Aussiedlern, S. 78.

91 Puskeppeleit verweist darauf, daß insbesondere die CSU in dieser Dis- kussion eine Vorreiterrolle übernahm, vgl. Jürgen Puskeppeleit: Von der Politik der ‚nationalen Aufgabe‘ zur Politik der ‚Eindämmung der Zu- und Einwanderung und der Konkurrenz- und Neidbewältigung‘. In: Ders. (Hrsg.): Migration und Bildungswesen: Aussiedler in der Bundesrepublik – deutsche Minderheit in Osteuropa. Münster 1992, S. 1-30. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 103

Aussiedlern stets mit herausgestellt, daß diese beim Zugang zu sozialstaat- lichen Leistungen nicht bessergestellt sein sollten als andere Deutsche92.

Eine erste gesetzgeberische Konsequenz in dieser Hinsicht war das Eingliede- rungsanpassungsgesetz vom Dezember 1989. Mit ihm wurde die bevorzugte Vergabe von Sozialwohnungen an Aussiedler gestrichen. Abgeschafft wurden auch die bis 1989 höheren Einkommensgrenzen zur Erlangung eines Wohnbe- rechtigungsscheins, die bei den Aussiedlern im Vergleich zu den Einheimi- schen in den ersten fünf Jahren um 500 DM höher lagen, sowie die höheren Einkommensgrenzen für Aussiedler bei der Berechnung des Wohngeldes93.

Die 1990er Jahre waren dann von weitreichenden Leistungskürzungen im ge- samten Eingliederungsbereich gekennzeichnet. Im Zusammenhang mit den insgesamt gestiegenen Belastungen und Anforderungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, die unter anderem aus der deutschen Wiedervereinigung resultierten, sah sich die Bundesregierung generell nicht mehr in der Lage, die Fördermaßnahmen im bis dahin gültigen Umfang aufrechtzuerhalten94. Die Bewältigung der Zuwanderung von Deutschen aus dem Osten wurde lange Zeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen, bei der insbesondere der Bund bei der entsprechenden Gesetzgebung und Finanzierung eine zentrale Position einnahm. Dagegen war in den 1990er Jahren, sicherlich auch eingedenk der Desintegration des ‚Ostblocks‘, von staatlicher Seite offenbar nicht mehr die-

92 Vgl. Bade/Bommes: Migration und politische Kultur, S. 458.

93 Vgl. Friedrich Blahusch: Zuwanderer und Fremde in Deutschland. Eine Einführung für soziale Berufe. Freiburg 1992, S. 173 sowie Willi Albers: Die soziale und wirtschaftliche Eingliederung von Aussiedlern und Über- siedlern. In: Wirtschaftsdienst 3/1990, S. 139-145, hier S. 140 f. Das Eingliederungsanpassungsgesetz führte auch zur Neuregelung von Ren- tenzahlungen für Aussiedler. Bis dahin wurden die im Fremdrentengesetz geregelten Renten für Aussiedler auf der Grundlage einer in Deutschland vergleichbaren Erwerbstätigkeit berechnet. Beispielsweise erhielt ein Aussiedler, der in Polen 30 Jahre lang als Installateur gearbeitet hatte, ei- ne ebenso hohe Rente wie ein Installateur, der 30 Jahre lang in Deutsch- land erwerbstätig gewesen war. Diese Leistung wurde von den Renten- versicherungsträgern erbracht. Die Gleichstellung, wie sie bei den Renten praktiziert wurde, galt auch für die Krankenversicherung und Arbeitslo- sengeld und -hilfe.

94 Vgl. Dietz: Migrationspolitik unter ethnischen Vorzeichen, S. 21. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 104 selbe Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung für die Eingliederung der Aussiedler vorhanden.

Bei der Reduzierung von Leistungen zur Wohnraumversorgung der Aussiedler wog besonders schwer die Abschaffung des Lastenausgleichs, der vielfach als Basisfinanzierung für Wohnungseigentum diente, mit dem KfbG95. Alle ab dem 01.01.1993 eingereisten Deutschen aus dem Osten erhielten die Bezeich- nung ‚Spätaussiedler‘, und diese waren gemäß KfbG in ihrem rechtlichen Sta- tus den Vertriebenen nicht länger gleichgestellt, weshalb ihnen Mittel aus dem Lastenausgleich nicht gewährt wurden. Somit bildete das KfbG die eindeutige rechtliche Bruchstelle zwischen Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern im Hinblick auf gemeinsame Entschädigungs- und Eingliederungsleistungen. Für Zuwanderer aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion wirkte sich mit dem Inkrafttreten des KfbG zusätzlich negativ aus, daß Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz nunmehr mit anderen finanziellen Zuwendungen verrech- net wurden, womit eine wichtige Eigenkapitalstütze für den Eigentumserwerb wegbrach.

3.3. Die Veränderung der Wohnsituation im Eingliederungsprozeß: Ver- triebene und Aussiedler/Spätaussiedler als Mieter und Wohnungs- bzw. Hauseigentümer

Wie zu Beginn des Kapitels 3.2. erwähnt, wurde mit der ersten Nachkriegs- volkszählung in der Bundesrepublik im September 1950 zugleich eine Woh- nungszählung durchführt. Sie brachte nicht nur allgemeine Ergebnisse über die Wohnsituation der Bundesbürger, sondern speziell auch über diejenige der Vertriebenen, die statistisch gesondert erfaßt wurden. Genaue Angaben über die Wohnverhältnisse der Deutschen aus dem Osten sowohl auf der Ebene der drei westlichen Besatzungszonen als auch, nach Mai 1949, auf der Ebene der Bundesrepublik liegen bis zu dieser statistischen Erhebung nicht vor96. An ihren Ergebnissen97 wollen wir uns im folgenden zunächst orientieren.

95 Vgl. Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 97 f.

96 Vgl. Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 204.

97 Sämtliche der hier vorgestellten Ergebnisse der Wohnungszählung von 1950 wurden entnommen bei Müller/Simon: Aufnahme und Unterbrin- 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 105

Im September 1950 waren 11 % der vertriebenen Wohnparteien (= Haushalte) mit 917.400 Personen in Notwohnungen oder Behelfsunterkünften unterge- bracht. 89 % mit über 6,6 Millionen Personen lebten dagegen bereits in einer Normalwohnung98. Davon waren 22,4 % Hauptmieter, 66,6 % wohnten zur Untermiete. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt noch herrschenden allgemei- nen Wohnungsnot und der Tatsache, daß sich die öffentlichen Wohnungsbau- programme zugunsten der Vertriebenen erst im Anfangsstadium befanden, erscheint dies zunächst als ein bemerkenswert positives Ergebnis. Reichling sieht darin zuvorderst „eine beachtliche Leistung der in den ersten Nach- kriegsjahren für die Verteilung des vorhandenen Wohnraums zuständigen Be- hörden.“99 Hinsichtlich der Wohndichte ist festzustellen, daß sich im Herbst 1950 bei den Vertriebenen durchschnittlich 1,75 Personen einen Raum teil- ten100. Gemessen an der weiter oben referierten statistischen Erhebung aus dem Jahr 1947 gestaltete sich die Situation der Vertriebenen hier nun also et- was günstiger.

Relativiert wird die vermeintlich günstige Entwicklung hinsichtlich der Woh- nungsversorgung der Vertriebenen durch den Blick auf die Ergebnisse, die die Wohnungszählung vom September 1950 für die übrige Bevölkerung lieferte. Von den 96,3 % der Wohnparteien der übrigen Bevölkerung, die in Normal- wohnungen lebten, waren 69 % Wohnungsinhaber und nur 27,3 % Untermie- ter. Der Untermieteranteil bei den Wohnparteien der übrigen Bevölkerung lag damit um 39,3 Prozentpunkte niedriger als der der Vertriebenen. Deshalb kann die Untermieterexistenz in den ersten Jahren Nachkriegsjahren als typisch vor

gung, S. 357 ff. sowie Gerhard Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik. Berlin 1958 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Neue Folge, Bd. 6/III), S. 107 ff.

98 Zu den in der Statistik verwendeten Begriffen ‚Wohnpartei‘; ‚Wohnung‘ und ‚Raum‘ vgl. ebd.

99 Ebd., S. 110.

100 Dieser Wert bezog sich allerdings nur auf die Vertriebenen, die in Nor- malwohnungen lebten. Diejenigen, die in Notwohnungen und Behelfs- unterkünften untergebracht waren, wiesen dagegen eine höhere Wohn- dichte aus. Diese variierte also nach der Art der Unterbringung, vgl. Waldmann: Die Eingliederung der ostdeutschen Vertriebenen, S. 176 f. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 106 allem für die Vertriebenen gelten101. Die Wohndichte betrug bei der übrigen Bevölkerung 1,18 Personen pro Raum, lediglich 3,7 % der Wohnparteien wa- ren in Notwohnungen und Behelfsunterkünften untergebracht.

Angesichts der außergewöhnlichen Probleme, die die Unterbringung der in einem kurzen Zeitraum millionenfach einströmenden Vertriebenenbevölkerung in der besonderen Situation der Nachkriegszeit hervorrief, sollte allerdings nicht davon ausgegangen werden, daß sich die Wohnverhältnisse zwischen Einheimischen und Zuwanderern zu dem frühen Zeitpunkt der ersten Woh- nungszählung, also 1950, in irgendeiner Form angeglichen haben konnten. So resultierte beispielsweise der hohe Anteil von Untermietern unter den Vertrie- benen aus den Einquartierungen in den vorhandenen Wohnraumbestand. Zu- dem liefen die Förderungsmaßnahmen des Sozialen Wohnungsbaus erst an. Aber auch die Wohnverhältnisse der einheimischen Bevölkerung waren wegen der vielen ausgebombten Personen keineswegs normal102. Deshalb sollen die hier vorgestellten Ergebnisse der Wohnungszählung vom September 1950 auch weniger der Frage nach der Angleichung der Wohnverhältnisse zwischen den Deutschen aus dem Osten und der übrigen Bevölkerung dienen, sondern viel- mehr das Ausmaß der wohnungsbezogenen Unterprivilegierung der Neubürger kurz nach der Gründung der Bundesrepublik verdeutlichen.

Über die Entwicklung der wohnräumlichen Eingliederung der Vertriebenen nach 1950 gibt die Wohnungsstatistik vom September 1956 Auskunft. Sie zeigt anschaulich die Veränderungen, die nach sechs Jahren in den Wohnverhältnis- sen der Vertriebenen eingetreten sind. Diese Veränderungen sind auch Gegens- tand der nachstehenden Tabelle 1:

101 Vgl. Führer: Aufnahme und Eingliederung, S. 5.

102 Hierauf verweist Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Sta- tistik, S. 107. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 107

Tabelle 1: Wohnsituation von Vertriebenen und übriger Bevölkerung nach der Art der Unterbringung 1950 und 1956 (in % der Wohnpartei- en)

Art der Unterbringung Vertriebene Übrige Bevölkerung 1950 1956 1950 1956 In Normalwohnungen als … Wohnungsinhaber 22,4 62,9 69,0 79,3 Untermieter 66,6 30,5 27,3 17,7 In Notwohnungen oder Behelfsunterkünften 11,0 6,6 3,7 3,0

Quelle: Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 440.

Wie Tabelle 1 ausweist, hatte sich die Wohnsituation der Vertriebenen nach der Unterbringungsart zwischen 1950 und 1956 bereits deutlich verbessert. Zunächst einmal waren nur noch 6,6 % aller Wohnparteien (1950: 11,0 %) in Notwohnungen oder Behelfsunterkünften untergebracht. Bezogen auf die au- ßerhalb von Normalwohnungen untergebrachten Personen verringerte sich der Anteil von 12,2 % auf 6,7 %103. Unter den 93,4 % der Wohnparteien, die 1956 in Normalwohnungen lebten (1950: 89 %), hatte sich der Untermieteran- teil gegenüber 1950 um mehr als die Hälfte auf 30,5 % reduziert. Um über 40 Prozentpunkte gestiegen war dagegen der Anteil von Wohnparteien, die Inha- ber von Normalwohnungen waren. Hatte der entsprechende Wert 1950 noch bei 22,4 % gelegen, so betrug er 1956 63,0 %.

Im Vergleich zu den übrigen Wohnparteien hatten die Vertriebenen innerhalb von nur sechs Jahren im Hinblick auf die Art der Unterbringung zwar stark aufgeholt, allerdings kommt auch 1956 ein weiterhin bestehendes Wohnungs- defizit deutlich zum Ausdruck. So hatte beispielsweise der Anteil der Woh- nungsinhaber von Normalwohnungen bei den Vertriebenen den Anteil dieser Gruppe bei den übrigen Wohnparteien des Jahres 1950 noch nicht erreicht. Dagegen überstieg bei den Vertriebenen 1956 der Anteil der Untermieter- wohnparteien (30,5 %) den der übrigen Bevölkerung (17,7 %) immer noch um fast 14 Prozentpunkte.

103 Vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 440. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 108

Die Wohnungsstatistik vom Herbst 1956 erfaßte erstmalig statistisch auch die Wohneigentumsbildung von Vertriebenen und übriger Bevölkerung. Dem Er- werb von Wohneigentum, insbesondere in Gestalt eines eigenen Hauses, kam dabei im gesamten Eingliederungsprozeß der Vertriebenen eine besondere Be- deutung zu. Für die nach ihrer Ankunft im Westen oftmals völlig mittellosen Deutschen aus dem Osten sollte ein eigenes Haus einerseits einen Beitrag dazu leisten, durch Flucht und Vertreibung verlorenes Sozialprestige wiederzuge- winnen. So klagte beispielsweise eine Vertriebene: „Weil wir Heimatvertriebe- nen nicht viel Besitz haben, sind wir nicht hoch angesehen. Wir stehen mit leeren Händen da.“104 Nach Zwangsmigration und danach noch oftmals er- folgter Weiterwanderung war Wohneigentum und der damit verbundene Grund und Boden andererseits aber auch eine Form des Seßhaftwerdens und der Ver- wurzelung mit der neuen Heimat. „Das auf die Vergangenheit ausgerichtete Motto des ‚Man ist wieder wer‘ verband sich dabei mit dem Willen, dauerhaft […] heimisch zu werden.“105 Gerade letzteres wurde dadurch verstärkt, daß sich in den 1950er Jahren die wirtschaftliche Situation der Vertriebenen merk- lich verbesserte, während gleichzeitig die Hoffnungen auf eine Rückkehr in die alte Heimat aufgrund der politischen Entwicklungen zwischen Ost und West zunehmend keine realistische Handlungsoption mehr darstellten106. Der Wille zur Wohneigentumsbildung zeigte sich unter anderem auch dadurch, daß die Häuser der Vertriebenen vielfach in familiärer und verwandtschaftlicher Ei- genleistung entstanden107 und die Neubürger unter den Bundesbürgern, die

104 Zit. nach Paul Erker: Revolution des Dorfes? Ländliche Bevölkerung zwischen Flüchtlingszustrom und landwirtschaftlichem Strukturwandel. In: Martin Broszat / Klaus Dietmar Henke / Hans Woller (Hrsg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbaus in Deutschland. München 1988 (Quellen und Darstellungen zur Zeitge- schichte, Bd. 26), S. 367-425, hier S. 384.

105 Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 113.

106 Vgl. Karin Mundhenke: Hameln: Eine Fallstudie zur Eingliederung von Flüchtlingen 1945-1952. In: Krug/Mundhenke: Flüchtlinge im Raum Hannover und in der Stadt Hameln, S. 85-206, hier S. 182.

107 Vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 122. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 109 einen Bausparvertrag abgeschlossen hatten, gemessen an ihrem Bevölkerungs- anteil deutlich überrepräsentiert waren108.

Den Ergebnissen der Wohnungsstatistik von 1956 zufolge besaßen zu diesem Zeitpunkt wieder 12 % aller vertriebenen Mehrpersonenhaushalte Haus- oder Wohnungseigentum. Müller/Simon stellen hierzu fest: „Gegenüber den Jahren 1945 und 1946, in denen die Vertriebenen nahezu ausnahmslos ohne Eigentum an Grund und Boden in der Bundesrepublik Aufnahme fanden, mag das ein erfreulicher Fortschritt sein, im Vergleich zu den anderen Bevölkerungsgrup- pen kann das Ergebnis jedoch nicht befriedigen“, da, wie die Autoren fortfah- ren, die Wohnungsstatistik von 1956 ausweist, daß 31,1 % aller Mehrperso- nenhaushalte über Wohneigentum verfügten109.

Weil im Hinblick auf die Bildung von Wohneigentum nicht zwischen Haus- und Wohnungseigentum unterschieden wurde, läßt sich aus den Ergebnissen der Wohnungsstatistik von 1956 jedoch leider kein Rückschluß darauf ziehen, wie viele Vertriebene zu diesem Zeitpunkt tatsächlich über ein eigenes Haus verfügten. Hierüber gibt eine Ende der 1950er Jahre vom Kölner Institut für Selbsthilfe durchgeführte repräsentative Erhebung Auskunft. Demnach be- saßen 1958 19 % der Vertriebenen ein eigenes Haus, weitere 11 % verfügten über Grundbesitz, Land und Garten. Die entsprechenden Werte der Einheimi- schen lagen dagegen deutlich höher. Von ihnen hatten 36 % ein eigenes Haus und 25 % Grundbesitz, Land und Garten110.

108 Nach Frantzioch waren unter denen, die einen Bausparvertrag bei den privaten Bausparkassen gezeichnet hatten, ca. 40 % Vertriebene, vgl. Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 206.

109 Bei den nichtwohnungsgeschädigten Familien betrug der Eigentümeran- teil sogar 39,6 %, bei den Ausgebombten 17,6 %. Nur die DDR-Zuwan- derer verfügten mit 8,5 % über einen niedrigeren Anteil an Wohneigen- tumsinhabern als die Vertriebenen, vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 439.

110 Vgl. Friedrich Edding / Eugen Lemberg: Eingliederung und Gesellschafts- wandel. In: Lemberg/Edding (Hrsg.): Die Vertriebenen in West- deutschland, Bd. 1, S. 156-173, hier S. 171. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 110

1960 wurde eine Mikrozensuserhebung durchführt, die, anknüpfend an die in Tabelle 2 aufgeführten Ergebnisse der Wohnungsstatistik von 1956, Aufschluß über den weiteren Verlauf der wohnräumlichen Eingliederung der Vertriebenen gibt. Die zwischen 1956 und 1960 eingetretenen Veränderungen werden in der folgenden Tabelle dargestellt:

Tabelle 2: Wohnsituation von Vertriebenen und übriger Bevölkerung nach der Art der Unterbringung 1956 und 1960 (in % der Wohnpartei- en)

Art der Unterbringung Vertriebene Übrige Bevölkerung 1956 1960 1956 1960 In Normalwohnungen als … Wohnungsinhaber 62,9 70,1 79,3 78,8 Untermieter 30,5 22,1 17,7 14,9 In Notwohnungen oder Behelfsunterkünften 6,6 7,8 3,0 6,3

Quelle: Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 204.

Gemessen an der Art der Unterbringung hatte sich die Wohnsituation der Ver- triebenen im Zeitraum von 1956 bis 1960 der der übrigen Bevölkerung weiter angenähert, blieb jedoch insgesamt noch hinter dieser zurück. Der Anteil der Wohnungsinhaber von Normalwohnungen hatte sich bei den vertriebenen Wohnparteien von 62,9 % auf 70,1 % erhöht, lag damit aber noch knapp 9 % unter dem entsprechenden Wert der übrigen Bevölkerung (78,8 %). Dagegen überstieg der Anteil der Untermieterwohnparteien der Vertriebenen, trotz eines Rückganges von 30,5 % auf 22,1 %, den der übrigen Bevölkerung (14,9 %) um über 7 %111. Der Mikrozensus von 1960 bietet auch Ergebnisse zur weiteren Entwicklung der Wohneigentumsbildung der Vertriebenen. Unter ihnen war der Anteil derjenigen, die über Haus- und Wohnungseigentum verfügten, im Vergleich zu 1956 von 12 % auf nunmehr 17 % angestiegen. Der entsprechen-

111 Erstaunlich ist bei den Ergebnissen des Mikrozensus von 1960, daß der Anteil der Wohnparteien, die außerhalb von Normalwohnungen unterge- bracht waren, sowohl bei den Vertriebenen als auch bei der übrigen Be- völkerung im Vergleich zu 1956 angestiegen ist. Leider liefert die Studie von Frantzioch, der die Zahlen entnommen sind, hierfür keine Erklärung. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 111 de Wert bei der übrigen Bevölkerung war allerdings mit 35,5 % mehr als dop- pelt so hoch112.

Angesichts der durch den Mikrozensus für das Jahr 1960 ermittelten statisti- schen Werte ist festzustellen, daß es bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu einer Angleichung in den Wohnverhältnissen zwischen Vertriebenen und übriger Bevölkerung gekommen war. Gleichwohl ist aber ebenso festzustellen, daß sich die Wohnverhältnisse der Deutschen aus dem Osten zwischen 1950 und 1960 stetig verbesserten und sie in einen Zeitraum von nur zehn Jahren gewal- tig an Boden gegenüber der übrigen Bevölkerung gut machen konnten. Das ist aufgrund der extrem schwierigen Verhältnisse, denen sie sich in bezug auf Unterbringung und Wohnverhältnisse nach ihrer Ankunft im Westen ausgesetzt sahen, äußerst bemerkenswert. So verringerte sich beispielsweise zwischen den Wohnparteien der Vertriebenen und der übrigen Bevölkerung der prozentuale Unterschied bei den Wohnungsinhabern von Normalwohnungen von 46,6 % im Jahr 1950 auf knapp 9 % im Jahr 1960.

Beim Blick auf die in den 1950er Jahren zu beobachtende Verbesserung und schrittweise Angleichung der Wohnverhältnisse der Vertriebenen an die übrige Bevölkerung sollte allerdings nicht übersehen werden, daß Mitte der 1950er Jahre noch über 185.000 Vertriebene in Lagern untergebracht waren. Davon entfiel der überwiegende Teil mit zusammen knapp 146.000 Personen auf die ‚Flüchtlingsländer‘ Schleswig-Holstein (53.776), Niedersachsen (62.564) und Bayern (29.906)113. Bei den sich noch in Lagern befindlichen Vertriebenen handelte es sich vornehmlich um einen Personenkreis, der aus verschiedenen Gründen (zum Beispiel Alter, Krankheit usw.) nicht mehr aktiv am Eingliede- rungsprozeß teilnahm und bei der Bestreitung des Lebensunterhalts auf öffent- liche Unterstützung angewiesen war. Ein Siebungsprozeß innerhalb der Ver- triebenenbevölkerung in den Lagern führte die Aktiven unter ihnen dort schnell

112 Vgl. Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 206.

113 Damit stellten diese drei Länder über drei Viertel aller in Lagern befind- lichen Vertriebenen, der Anteil an der Gesamtzahl der Vertriebenen im Bundesgebiet betrug in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern zusammen hingegen nur 46,5 %, vgl. Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik, S. 131 ff. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 112 hinaus, während die inaktiven, einer „sozialen Nachhut“114 gleich, zurück- blieben.

Die Wohnraumversorgung der Zwangszuwanderer des Kriegsendes und der Nachkriegszeit war also Mitte der 1950er Jahre noch keineswegs abgeschlos- sen, als mit den ‚Gastarbeitern‘ bereits eine neue Migrationsbewegung eintraf, deren Angehörige ebenfalls untergebracht werden mußten. Und hier sind durchaus Folgebezüge festzustellen, denn im Wohnungs- und Siedlungsbereich rückten die Arbeitsmigranten aus Süd- und Südosteuropa den Vertriebenen nach. In den 1950er und auch noch in den 1960er Jahren zogen ‚Gastarbeiter‘ mitunter in Barackenlager ein, in denen zuvor Vertriebene gelebt hatten und die in einzelnen Fällen zuvor auch ‚Fremdarbeiterlager‘ gewesen waren. Spä- ter, als der Eigenheimbau unter den Vertriebenen weiter zunahm, rückten die ‚Gastarbeiter‘ in die nun frei werdenden ‚Flüchtlingsblocks‘ nach, die in den 1950er Jahren im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus entstanden waren115.

Eine im Vergleich zur Gesamtbevölkerung weiter voranschreitende Anglei- chung in den statistischen Werten bezüglich der Wohnverhältnisse der Vertrie- benen finden wir in den Ergebnissen der Gebäude- und Wohnungszählung vom Oktober 1968. Demnach waren 92,2 % der vertriebenen Wohnparteien Woh- nungsinhaber, die Wohndichte betrug insgesamt 0,74 Personen pro Raum. Bei der Gesamtbevölkerung lagen die entsprechenden Werte bei 92,7 % bzw. 0,71 Personen pro Raum. Allerdings blieb der Anteil der Wohnungseigentümer un- ter den Vertriebenen mit 27,8 % noch immer um 6 Prozentpunkte hinter dem der Gesamtbevölkerung zurück (33,8 %), dagegen war der Untermieteranteil bei den Vertriebenenwohnparteien mit 3,5 % niedriger als der der Gesamtbe- völkerung, der bei 4,4 % lag116.

Die Frage nach der Wohnungsversorgung bzw. nach der wohnräumlichen Ein- gliederung der Vertriebenen war im übrigen oftmals eng mit der (Wohn-)Sied-

114 Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 414.

115 Vgl. Klaus J. Bade: Einführung: Wege in die Bundesrepublik. In: Ders. (Hrsg.): Neue Heimat im Westen, S. 5-13, hier S. 8.

116 Vgl. Gerhard Reichling: Die deutschen Vertriebenen in Zahlen. Teil II, S. 46 f. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 113 lungsfrage verbunden. So entstanden beispielsweise mit dem Anlaufen der fi- nanziellen Hilfsprogramme zugunsten des Eigenheimbaus von Vertriebenen in den 1950er Jahren im ländlichen Raum Siedlungen, die zum Teil an bestehende Dörfer angefügt wurden. Sie erhielten im Volksmund mitunter Namen wie ‚Schlesisches‘ oder ‚Pommersches Viertel‘, womit auf die Herkunft ihrer Be- wohner angespielt wurde oder auch ‚Korea‘ bzw. ‚Klein-Korea‘, was wieder- um auf die Entstehungszeit dieser Siedlungen in dem durch den Korea-Krieg entfachten Wirtschaftsaufschwung verwies117.

Unabhängig von dieser Entwicklung gab es bereits in der unmittelbaren Nach- kriegszeit das Konzept, geschlossene Vertriebenensiedlungen zu errichten. Sie sollten den Deutschen aus dem Osten „Arbeit, Wohnung und eine neue Hei- mat“ geben, wie Hannelore Oberpenning im Titel ihrer Monographie über die wohl bekannteste Vertriebenensiedlung und spätere Stadt Espelkamp in Ost- westfalen herausgestellt hat118. Ausgangspunkt für diese Siedlungen waren ehemalige Militäranlagen, insbesondere Munitionsanstalten der Wehrmacht, die sogenannten ‚Munas‘. Sie verfügten sowohl über ein großes bauliches Po- tential als auch über bestehende Energie- und Versorgungsanlagen und damit über infrastrukturelle Voraussetzungen, die in der Notsituation der Nachkriegs- zeit äußerst gefragt waren. Auf dem Gelände der jeweiligen ‚Munas‘ sollten nicht nur die Vertriebenen, sondern auch Industriebetriebe angesiedelt werden, wobei sich die Unternehmer in der Regel selbst aus dem Kreis der Deutschen aus dem Osten rekrutierten und nicht selten bereits vor ihrer Zwangsmigration Gewerbetreibende waren. Sahen ursprüngliche Planungen 50-100 derartiger industriegewerblicher Gemeinwesen vor, so wurden durch unterschiedliche staatliche, private und kirchliche Initiativen schließlich über ein Dutzend eige- ner Vertriebenensiedlungen gegründet, aus denen später Städte und Gemeinden hervorgingen. Neben Espelkamp zählen hierzu etwa die in Bayern gelegenen Gemeinden Neugablonz bei Kaufbeuren, in der sich die alte sudetendeutsche Gablonzer Glas- und Schmuckwarenindustrie geschlossen niederließ; Buben- reuth bei Erlangen als neuer Standort von großen Teilen der ehemals sudeten-

117 Vgl. Schulze: Zuwanderung und Modernisierung, S. 96.

118 Hannelore Oberpenning: ‚Arbeit, Wohnung und eine neue Heimat …‘ Espelkamp – Geschichte einer Idee. Essen 2002. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 114 deutschen Schönbacher Musikinstrumenten-Industrie sowie Geretsried, Traun- reut, Waldkraiburg (alle in Bayern) und Allendorf in Hessen119.

Im Hinblick auf die wohnräumliche Eingliederung der Aussiedler ist zunächst einmal festzustellen, daß dieser Personenkreis im Unterschied zu den Vertrie- benen von der amtlichen Statistik nicht gesondert erfaßt wurde. Während die- jenigen, die am Kriegsende und in der Nachkriegszeit in den Westen kamen, bis Anfang der 1960er Jahren in den Volks- und oftmals gleichzeitig durchge- führten Berufs- und Wohnungszählungen eine eigenständige statistische Kate- gorie bildeten, war dies bei den Aussiedlern nicht der Fall. Sie wurden in den amtlichen Statistiken nicht gesondert geführt und sind deshalb als Deutsche nicht von der einheimischen Bevölkerung zu unterscheiden. Wegen dieser Mängel in den offiziellen Statistiken muß daher, wie bereits andernorts er- wähnt, ausschließlich auf Studien zurückgegriffen werden, deren Datenmate- rial vornehmlich durch Stichprobenuntersuchungen, Zusatzbefragungen usw. gespeist wurde.

Einen Überblick über die Wohnsituation der Aussiedler gibt ein unter der Lei- tung des Sozialgeographen Wilfried Heller im Auftrag des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vorgelegtes Gutachten aus dem Jahr 1993 zur ‚Integration von Aussiedlern und anderen Zuwanderern in den deutschen Wohnungsmarkt‘120. Es bildete die erste breit angelegte Studie, die den Zusammenhang ‚Aussiedler/Wohnungsmarkt‘ empirisch untersuchte. Da- rin wird die Wohnsituation der Mieter- und Eigentümerhaushalte vom Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre in die Bundesrepublik eingereisten Aussied- lern als „zumindest unterdurchschnittlich“121 beschrieben. Ein Indikator hier- für ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Person. Sie betrug, wie weiter

119 Vgl. dies.: Flüchtlingsverwaltung und -integration im kommunalen Raum – zum Konzept der Vertriebenen- und Flüchtlingssiedlungen in Deutschland. In: Oltmer (Hrsg.): Migration steuern und verwalten, S. 269-293.

120 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.): Integration von Aussiedlern und anderen Zuwanderern in den deutschen Wohnungsmarkt. Bonn 1993.

121 Ebd., S. 84. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 115 oben beschrieben wurde, in der Bundesrepublik Anfang der 1990er Jahre durchschnittlich 36 m2. Diesem Wohnstandard am nächsten kamen dem Gut- achten zufolge die Besitzer von Eigenheimen und Eigentumswohnungen unter den Aussiedlern mit durchschnittlich 27,3 m2 pro Person. Allerdings gehörten zu dieser Gruppe nur 3,2 % aller befragten Aussiedlerhaushalte122. Aussiedler in Mietwohnungen des freien Wohnungsmarktes verfügten über durchschnitt- lich 22,4 m2 pro Person, diejenigen in Sozialwohnungen über 24,3 m2. Diese beiden Mietergruppen stellten mit über 52 % den größten Teil der befragten Aussiedlerhaushalte.

Die Untersuchung fand zu Hochzeiten der starken Aussiedlerzuwanderung statt, was sich darin niederschlägt, daß sich noch 44 % der befragten Haushalte in Notunterkünften, Übergangswohnheimen usw. befanden. Die Wohnsituation der dort untergebrachten Personen war wesentlich ungünstiger. Pro Person standen dort im Schnitt nur 5,9 m2 zur Verfügung, die durchschnittliche Raum- zahl pro Person betrug 0,34. Bei den Mietern von Sozialwohnungen und Woh- nungen des freien Marktes lag sie dagegen bei 0,94 bzw. 0,91, bei den, aller- dings wenigen, Aussiedlerhaushalten in Wohneigentum sogar bei 1,15. Einge- denk der Wohnsituation der Aussiedlerhaushalte in Notunterkünften und Über- gangswohnheimen kommt das Gutachten zu folgendem Schluß: „Insgesamt bleibt festzuhalten, daß der Wohnstandard der befragten Aussiedlerhaushalte durchweg weit unterhalb des Standards der einheimischen Bevölkerung liegt. Während die Wohnsituation der Mieter- und Eigentümerhaushalte als in der Regel akzeptabel bezeichnet werden kann, so muß doch die in den Notunter- künften als zumindest bedenklich bezeichnet werden.“123 Ausgewählte Merkmale des Wohnstandards von Aussiedlerhaushalten nach dem vom Bun- desbauministerium publizierten Gutachten werden auch in der folgenden Ta- belle 3 wiedergegeben:

122 Vgl. hierzu und zum folgenden ebd., S. 77, Tabelle 27.

123 Ebd., S. 87. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 116

Tabelle 3: Ausgewählte Merkmale des Wohnstandards von Aussiedlerhaus- halten nach der Wohnform 1992

Notunter- Sozialwoh- Mietwoh- Wohneigen- kunft o. ä. nung nung tum Anteil an den Haus- 44,0 % 23,2 % 29,0 % 3,2 % halten Größe der Wohnein- 21,7 m2 64,3 m2 69,2 m2 103,6 m2 heiten m2 pro Person 5,9 24,3 22,4 27,3 Räume pro Person: Weniger als 0,5 96,0 % 5,4 % 6,3 % - 0,5 bis unter 1 2,3 % 35,6 % 41,4 % 31,7 1 oder mehr 1,6 % 59,0 % 52,2 % 68,3 Raumzahl pro Per- 0,34 0,94 0,91 1,15 son

Quelle: Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.): Integration von Aussiedlern, S. 77.

Eine im Vergleich zu den Einheimischen schlechtere Wohnungssituation der Aussiedler betont auch Fuchs124. Er verweist auf die kleineren Wohnungen der Aussiedler und die dadurch bedingten beengteren Wohnverhältnisse125. Ähnliche Ergebnisse liefern die Statistiken der Deutschen Caritas-Armutsun- tersuchung aus dem Jahr 1991. Sie zeigen, daß die Ausstattung der Wohnungen von Aussiedlern zu diesem Zeitpunkt weit unter dem Standard von ver- gleichbaren einheimischen Caritas-Klienten lag. Das galt insbesondere in be- zug auf die Anzahl der Wohnräume pro Person, der Wohnfläche pro Kopf, die sanitäre Ausstattung bzw. die Ausstattung der Wohnung mit Zentralhei- zung126.

124 Vgl. Marek Fuchs: Wohnungsversorgung bei Aussiedlern. Ergebnisse einer Panel-Studie zur Situation nach der Einreise. In: Sozialwissenschaf- ten und Berufspraxis 2 (1995), S. 147-165 sowie ders.: Die Wohnungs- situation der Aussiedler. In: Silbereisen/Schmitt-Rodermund/Lantermann (Hrsg.): Aussiedler in Deutschland, S. 91-104.

125 Vgl. ebd., S. 99.

126 Vgl. Richard Hauser / Hans-Joachim Kinstler: Zuwanderer unter den Caritas-Klienten. Sonderauswertung der Caritas-Armutsuntersuchung. In: 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 117

Der Osnabrücker Sozialgeograph Hans-Joachim Wenzel (IMIS) untersuchte die Wohnungssituation der Aussiedler zu Beginn der 1990er Jahre im Land- kreis Osnabrück, der seit Ende der 1980er Jahre einen Zuwanderungsschwer- punkt bildete. Hier waren insbesondere seit 1992 die Auswirkungen der Lei- stungskürzungen festzustellen. Sie zeigten sich einerseits in der deutlichen Überbelegung vieler Aussiedlerwohnungen sowie andererseits in der hohen Belegung der 16 Übergangswohnheime des Landkreises, in denen zudem zu- nehmend längere Aufenthaltszeiten zu beobachten waren. Ferner waren auf- grund der kurzfristig erhöhten Wohnungsnachfrage in allen größeren Orten des Landkreises die Mieten abrupt angestiegen; nur eine geringe Problementschär- fung konnten hier staatliche Wohngeldzahlungen bewirken127.

Ergebnisse zur Veränderung der Wohnsituation von Aussiedlern im Eingliede- rungsprozeß bis 1992 bietet wiederum Fuchs. Demnach haben sich die Fami- lien der von ihm untersuchten Aussiedlerpopulation nach der Einreise durch- schnittlich zweieinhalb Wochen (17,6 Tage) in einem Grenzdurchgangslager aufgehalten, der anschließende Aufenthalt in einem Übergangswohnheim dau- erte durchschnittlich 24,1 Monate, bevor eine Mietwohnung oder Wohneigen- tum bezogen werden konnte128. Über die Wohnungsversorgung im Zeitverlauf nach den Ergebnissen von Fuchs gibt die folgende Tabelle 4 Auskunft:

Zeitschrift für Caritasarbeit und Caritaswissenschaft 1 (1994), S. 4-20, hier S. 4 f.

127 Vgl. Hans-Joachim Wenzel (Hrsg.): Zuwanderung und Integrations- probleme. Ergebnisse eines Studienprojektes mit Beispielen aus den Nie- derlanden und aus Westniedersachsen. (Ms.) Osnabrück 1995 (Osna- brücker Studien zur Geographie – Materialien, Nr. 27).

128 Vgl. Fuchs: Die Wohnungssituation der Aussiedler, S. 98. Auch andere Autoren geben einen ähnlichen Wert für die Dauer des Aufenthalts in Übergangswohnheimen für den Anfang der 1990er Jahre an. Beispiels- weise spricht Bals von maximal zwei Jahren, Mammey/Schiener weisen eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 23 Monaten aus, vgl. Bals: Zur Wohnungsversorgung von Aussiedlern, S. 79 bzw. Ulrich Mammey / Rolf Schiener: Zur Eingliederung der Aussiedler in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse einer Panelstudie des Bundes- instituts für Bevölkerungsforschung. Opladen 1998 (Schriftenreihe des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, Bd. 25), S. 41. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 118

Tabelle 4: Zeitverlauf der Wohnungsversorgung von Ende der 1980er/ Anfang der 1990er Jahre eingereisten Aussiedlerfamilien

Wohnform nach nach nach nach 1 Jahr 2 Jahren 3 Jahren 4 Jahren Wohnheim 65,1 % 33,8 % 18,0 % 4,3 % In regulärem Wohnrauma 33,6 % 65,3 % 79,2 % 93,5 % Davon Eigentum 0,5 % 1,4 % 2,2 % 8,7 % a: zur Miete oder in Eigentum

Quelle: Fuchs: Die Wohnungssituation der Aussiedler, S. 97.

Ein Jahr nach der Einreise in die Bundesrepublik wohnten 65,1 % der Aus- siedlerfamilien, die Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre zuwanderten, noch im Übergangswohnheim, nach zwei Jahren waren es 33,8 % und nach vier Jahren 4,3 %. Korrespondierend zu der Abnahme der Wohnheimbewohner nahm der prozentuale Wert derjenigen kontinuierlich zu, die regulären Wohn- raum bewohnten. Er stieg innerhalb von vier Jahren von 34,1 % über 65,8 % und 79,9 % schließlich auf 93,5 %. Die deutliche Mehrheit der Aussiedlerfa- milien in regulärem Wohnraum wohnte zur Miete. Insbesondere in den ersten drei Jahren verlief die Bildung von Wohneigentum schleppend; hier kam es nur zu einem Anstieg von 0,5 % auf 2,2 %. Erst im vierten Jahr nach der Einreise stieg der Anteil der Aussiedlerfamilien, die Wohneigentum bilden konnten, sprunghaft auf 8,7 % an.

Dabei kam, ähnlich wie bei den Vertriebenen, auch bei den Aussiedlern der Bildung von Wohneigentum, insbesondere in Form eines eigenen Hauses, eine besondere Bedeutung zu. Das gilt vor allem für die Aussiedler aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion, für die ein Haus weit mehr als nur ein äußeres Zeichen für Besitz darstellte. Sie waren „wegen ihrer großen Familien und we- gen ihrer noch an bäuerlichen Traditionen orientierten Einstellung – wonach das Eigenheim im Zentrum des familiären Lebens steht – besonders daran in- teressiert, ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung zu besitzen. Selbst in der vormaligen Sowjetunion lebte ein relativ großer Teil unter ihnen bereits in einem eigenen Haus oder bewirtschaftete ein Grundstück zur Selbstversor- 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 119 gung.“129 Neben einem ausgeprägten Bezug zur (Groß-)Familie bildete im übrigen die Religion einen wichtigen Bestandteil der kulturellen Identität die- ser Gruppe130. Der verstärkt bei Aussiedlern aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion festzustellende Wunsch nach Wohneigentum ist sicherlich auch im Zusammenhang mit ihrer wechselvollen Siedlungs- und Umsiedlungsge- schichte im Osten zu sehen, die Errichtung eines Eigenheims in der Bundesre- publik konstituierte daher für viele von ihnen Heimatansprüche131.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten alle Kräfte auf den Bau oder den Er- werb eines eigenen Hauses konzentrierten. Oftmals wurde dafür sogar von der nur den notwendigsten Bedarf deckenden Sozialhilfe gespart132. Zudem ver- fügten Aussiedler aus Kasachstan und Rußland über starke Selbsthilfepoten- tiale. „Viele von ihnen oder ihre Vorfahren wurden während der Stalinschen Deportationen 1941 ohne alles in der Steppe ausgesetzt und haben gelernt, ge- meinschaftlich für sich zu sorgen. Die engen familiären Bindungen, der religiös bedingte Zusammenhalt und das Arbeitsethos vor allem der baptistischen und methodistischen Gruppen erleichtern den Bau von Häusern in der Kooperation von Großfamilien und Gemeinden.“133

Das spiegelt sich in der Differenzierung der Wohneigentumsbildung von Aus- siedlern nach Herkunftsländern wider134. Mammey/Schiener konnten in ihrer

129 Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 95.

130 Vgl. ebd., S. 103 ff. sowie dies.: Rußlanddeutsche, S. 87 ff.

131 Vgl. Klaus Boll: Kulturwandel der Deutschen aus der Sowjetunion. Eine empirische Studie zur Lebenswelt rußlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik. Marburg 1993, S. 157.

132 Vgl. Bals: Zur Wohnungsversorgung von Aussiedlern, S. 79.

133 Dietrich Thränhardt: Integration und Partizipation von Einwanderergrup- pen im lokalen Kontext. In: Bade/Oltmer (Hrsg.): Aussiedler: deutsche Einwanderer aus Osteuropa, S. 229-246, hier S. 239.

134 Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied in der wissenschaftlichen Literatur zwischen Vertriebenen und Aussiedlern. Über die Zwangszu- wanderer des Kriegsendes und der Nachkriegszeit existieren keine Unter- suchungen, die die wohnräumliche Eingliederung mit Blick auf die Aus- 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 120

Untersuchung feststellen, daß von Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetuni- on drei bis fünf Jahre nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik 7,1 % ein ei- genes Haus besaßen und 4,6 % eine Eigentumswohnung. Insgesamt waren also annähernd 12 % in Besitz von Wohneigentum. Der entsprechende Wert betrug dagegen bei Aussiedlern aus Polen nur 2,1 %, bei denen aus Rumänien sogar nur 1,1 %135.

Insgesamt zeigt sich, daß auch die Aussiedler in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft im Westen mit unterprivilegierten Wohnverhältnissen vorlieb nehmen mußten. Allerdings ist bei den hier referierten Untersuchungen zu ihrer wohn- räumlichen Eingliederung eine deutliche zeitliche Schwerpunktsetzung vom Beginn ihrer starken Zuwanderung 1988 bis etwa Mitte der 1990er Jahre fest- zustellen. Mit dem Rückgang der Aussiedlerzahlen scheint dann offenbar auch das wissenschaftliche Interesse nach Unterbringung und Wohnsituation der Menschen nachgelassen zu haben. Somit kann hier nicht die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit sich die Wohnsituation der in den vorgestellten Stu- dien untersuchten Aussiedlerhaushalte über den jeweiligen Unter- suchungszeitraum hinaus verbesserte und wann etwa im Hinblick auf die pro Person zur Verfügung stehenden Quadratmeter zu den Einheimischen bzw. zum Bundesdurchschnitt aufgeschlossen werden konnte. Zwar verbesserte sich die Wohnsituation mit der Länge des Aufenthalts in der Bundesrepublik136, in den Untersuchungszeiträumen der jeweiligen Studien, die sich zwischen drei und fünf Jahren nach der Ankunft bewegten, blieb sie jedoch unterdurch- schnittlich. Unbeantwortet bleiben muß auch die Frage nach Unterschieden im Zeitverlauf der Wohnungsversorgung zwischen den untersuchten Aussiedler- populationen und derjenigen von später eingereisten Aussiedlern, vor allem bezüglich der Verweildauer in Übergangswohnheimen, der Wohneigentums- bildung usw.

gangsräume ihrer Zwangsmigration beleuchten und danach fragen, ob beispielsweise die Wohneigentumsbildung von Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten anders verlief als die der Sudeten- deutschen oder der Deutschstämmigen aus Südosteuropa.

135 Vgl. Mammey/Schiener: Zur Eingliederung der Aussiedler, S. 51.

136 Vgl. zum Beispiel Fuchs: Die Wohnungssituation der Aussiedler, S. 98. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 121

Vergleichbare Befunde liegen dagegen für früher eingereiste Aussiedler vor. Gemessen an den Eingliederungsverläufen von Mitte der 1970er Jahre einge- reisten Aussiedlern ist in der Entwicklung der Wohnungsversorgung der Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre eingereisten Aussiedler eine deutliche Verzögerung festzustellen. So ging der Anteil von Haushalten, die in einem Übergangswohnheim untergebracht waren, bei 1976 in der Bundesrepublik eingetroffenen Aussiedlern von 19,1 % nach einem Jahr über 8,1 % nach zwei Jahren auf 0,6 % nach drei Jahren zurück137. Doch nicht nur die Wohnungs- versorgung vollzog sich zügiger, sondern auch die Wohneigentumsbildung, auf deren besondere Bedeutung bereits hingewiesen wurde. Von den 1976 einge- reisten Aussiedlerhaushalten war es nach drei Jahren bereits 8,2 % gelungen, Wohneigentum zu bilden138.

Die, gemessen an diesen Ergebnissen, längere Verweildauer der Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre in die Bundesrepublik gekommenen Aussied- ler in Übergangswohnheimen hatte neben dem starken Anstieg ihrer Zuwan- dererzahlen vor allem auch damit zu tun, daß die Wohnungsmarktsituation in den Städten zu diesem Zeitpunkt stark angespannt war. Die Wohnungsnachfra- ge der Aussiedler traf zusammen mit den Wohnraumbedürfnissen von anderen Gruppen wie etwa Übersiedlern, anerkannten Flüchtlingen und nachziehenden Familienangehörigen von ausländischen Arbeiternehmern sowie den Angehö- rigen der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre, die nun ebenfalls auf den Wohnungsmarkt drängten, was zu Wohnraumknappheit führte und „bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu Mietsteigerungen.“139 Als (anfänglich) einkommensschwache Gruppe hatten die Aussiedler daher nur geringe Chan- cen, eine angemessene Wohnung auf dem freien privaten Wohnungsmarkt zu

137 Vgl. Gertrud Watrinet: Die Wohnungsversorgung der Aussiedler. Unter- bringung, Familienzusammenführung, Eigentumsbildung. In: Harmsen (Hrsg.): Die Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland, S. 187-201, hier S. 190.

138 Vgl. ebd., S. 192, Tabelle 2.

139 Hallermann: Rahmenbedingungen der Unterbringung, S. 90. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 122 finden, an dem sie im Übergang von den 1980er zu den 1990er Jahren kaum noch teilhatten140.

Vor diesem Hintergrund waren die Aussiedler bei der Wohnungssuche vor- nehmlich auf Sozialwohnungen angewiesen, von denen wiederum der Anteil in urbanen Verdichtungsgebieten höher ist als im ländlichen Raum. Während aber Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften in den 1970er Jahren in Erwar- tung eines großen Zustroms von polendeutschen Aussiedlern, der dann aller- dings ausblieb, über Wohnungsreserven verfügten, von denen die Mitte der 1970er Jahre zuwandernden Aussiedler profitieren konnten141, gab es Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahren auch bei den Sozialwohnungen Engpäs- se. Hinzu kam, daß die in den 1970er und 1980er Jahren im Rahmen des So- zialen Wohnungsbaus errichteten Wohnungen durch hohe Baukosten und die Anhebung der Standards ein Preisniveau erreicht hatten, welches kaum noch unter dem des freien Marktes lag142. Preiswerter Wohnraum war also selbst im Sozialen Wohnungsbau knapp, und auch hier traten die obengenannten Gruppen mit und ohne Migrationshintergrund zu den Aussiedlern in Konkur- renz. Im Gegensatz zu früheren Zeiten konnten die Deutschen aus dem Osten nun nicht mehr von einer bevorzugten Vergabe der Sozialwohnungen an sie profitieren. Im Hinblick auf ihre Wohnungsversorgung waren sie nurmehr eine von vielen anderen Gruppen143.

140 Weitere Ursachen für Probleme von Aussiedlern bei der Wohnungssuche waren beispielsweise Diskriminierungen aufgrund mangelnder Sprach- kenntnisse, geringe Marktkenntnisse sowie fehlendes alltagsempirisches Wissen, vgl. Hans-Jürgen Hofmann / Hans-Joachim Bürkner / Wilfried Heller: Aussiedler – eine neue Minorität. Forschungsergebnisse zum räumlichen Verhalten sowie zur ökonomischen und sozialen Integration. Göttingen 1992 (Praxis Kultur- und Sozialgeographie 9), S. 62 f.

141 Vgl. Watrinet: Die Wohnungsversorgung, S. 190.

142 Vgl. Bals: Zur Wohnungsversorgung von Aussiedlern, S. 80.

143 Zwar wurde, wie oben dargelegt, im Winter 1988/89 ein Wohnungspro- gramm speziell für Aussiedler verabschiedet. Diese offensichtliche Be- günstigung der Aussiedler hatte allerdings zu Unmutsäußerungen unter den einheimischen Wohnungssuchenden geführt. „Um unnötige Kon- frontationen zu vermeiden, wurde deshalb beschlossen, künftig keine Sonderprogramme für Aussiedler mehr aufzulegen“, ebd., S. 78. Von diesem Zeitpunkt an ging es bei den von der öffentlichen Hand geförder- 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 123

Genau wie bei den Vertriebenen soll uns beim Blick auf die wohnräumliche Eingliederung der Aussiedler abschließend noch die Frage nach Siedlungskon- zentrationen interessieren. Zwar wurden während der großen Zuwanderungs- wellen Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre keine eigenen Gemeinwesen für sie errichtet, wie es in der Nachkriegszeit bei den Vertriebenen zu beob- achten war. Dazu waren sowohl der zahlenmäßige Umfang der Aussiedlermi- gration als auch das Ausmaß der wohnungsmäßigen Unterversorgung im Ver- gleich zur Situation nach 1945 zu gering. Die Vertriebenenstädte verdanken ihre Existenz der spezifischen Ausnahmesituation der Nachkriegszeit. Gleich- wohl verzeichneten Vertriebenenstädte wie etwa Espelkamp auch eine starke Zuwanderung von Aussiedlern und wurden damit nicht nur zu Zentren der Vertriebenen-, sondern auch der Aussiedlermigration144.

Doch Siedlungskonzentrationen von Aussiedlern hatten noch vielerlei andere Hintergründe. So betrieben beispielsweise mit Beginn der starken Aussiedler- zuwanderung Ende der 1980er Jahre vor allem in ländlichen Räumen gelegene Landkreise, Städte und Gemeinden aus Gründen der Bevölkerungsentwicklung und im Hinblick auf das Arbeitskräftepotential eine offensive Ansiedlungspo- litik. Sie wiesen zusätzliches Bauland aus und stellten Wohnungen und Über- gangswohnheime bereit145. Die auf diese Weise entfachte Zuwanderungsdy- namik wurde weiter verstärkt durch das auch aus anderen Wanderungsbewe- gungen hinlänglich bekannte Phänomen der Kettenmigrationen, welche auf verwandtschaftliche, glaubensgemeinschaftliche und Herkunftsverflechtungen zurückgehen. Bestimmend hierfür waren und sind festgefügte Wanderungstra- ditionen und eine sich über dichte Netzwerke vollziehende intensive Kommu- nikation zwischen Ausgangsräumen und Zielgebieten. „Nicht selten kannten

ten Wohnungsbaumaßnahmen um die Erstellung von erschwinglichem Wohnraum für alle Wohnungssuchenden, nicht aber für einen speziellen Personenkreis.

144 Vgl. Hannelore Oberpenning: Zuwanderung und Eingliederung von Flüchtlingen, Vertriebenen und Aussiedlern im lokalen Kontext – das Beispiel Espelkamp. In: Bade/Oltmer (Hrsg.): Aussiedler: deutsche Ein- wanderer aus Osteuropa, S. 283-313.

145 Vgl. Hans-Joachim Wenzel: Aussiedlerzuwanderung als Strukturproblem in ländlichen Räumen. In: Bade/Oltmer (Hrsg.): Aussiedler: deutsche Einwanderer aus Osteuropa, S. 265-281, hier S. 266. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 124

Aussiedler in den frühen 1990er Jahren von Deutschland kaum mehr als den Namen des Ortes, in dem sie sich ansiedeln wollten, weil sich vorausgewan- derte Verwandte und Bekannte von dort gemeldet hatten.“146 Begünstigt wur- de der regionale Zuzug von Aussiedlern auch durch das Vorhandensein von Durchgangslagern.

Kettenmigrationen spielten bei den auf kommunaler Ebene zu beobachtenden Siedlungskolonien von Aussiedlern ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Bildung von Aussiedlerkolonien ging dabei aber keinesfalls nur auf die individuellen Wohnwünsche der Zuwanderer zurück. Sie resultierte vielfach aus der von administrativer Seite gesteuerten Zuweisung von Sozialwohnungen147. Schließlich entstanden kommunale Siedlungsdistrikte von Aussiedlern auch vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Interessen von Immobilienspekulanten, „die ganze Straßenzüge aufkauften und sie als Eigentumswohnungen anboten, hohe Aussiedlermieten inbegriffen.“148 Unabhängig von ihrem Entstehungs- prozeß hatte der Volksmund, ähnlich wie bei den Vertriebenen, auch bei den Aussiedlervierteln schnell eigene Bezeichnungen parat. In Anspielung auf die Herkunftsregionen der zweiten großen Welle von Deutschen aus dem Osten wurden sie beispielsweise ‚Kleinkasachstan‘ genannt149.

3.4. Fazit: Die wohnräumliche Eingliederung von Deutschen aus dem Osten zwischen staatlicher Aufgabe und individuellem Migrationsri- siko

Der Zweite Weltkrieg hinterließ in Deutschland Zerstörungen von bis dahin nicht gekanntem Ausmaß, von denen vor allem der Wohnraumbestand betrof- fen war. Insbesondere durch die Folgen des alliierten Bombenkrieges war auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik bis zu einem Viertel des Vorkriegs- wohnraumbestandes durch totale Zerstörung oder schwere Beschädigung nicht

146 Bade/Oltmer: Einführung, S. 37.

147 Vgl. Heller/Bürkner/Hofmann: Migration, Segregation und Integration von Aussiedlern, S. 96.

148 Bade/Oltmer: Einführung, S. 37.

149 Vgl. ebd., S. 35. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 125 mehr bewohnbar. „Weder im Dreißigjährigen Krieg noch in den Reunionskrie- gen hatte es ein ähnliches Maß an Zerstörungen gegeben. Lediglich einige lo- kale Katastrophen wie der Brand von Magdeburg 1632, von Mannheim 1689 und von Hamburg 1842 waren in engen Grenzen vergleichbar.“150

Die durch die Kriegszerstörungen hervorgerufene allgemeine Wohnungsnot wurde weiter verschärft durch den Zustrom von Millionen Vertriebener, die es zusätzlich im dezimierten Gebäudebestand unterzubringen galt. Hierfür wurde zum einen der vorhandene Wohnraum der einheimischen Bevölkerung heran- gezogen, in den die Vertriebenen von Amts wegen einquartiert wurden. Dies geschah oftmals gegen den zum Teil massiven Widerstand der Haus- bzw. Wohnungsinhaber und konnte nicht selten nur mit Hilfe der Polizei durchge- setzt werden. Die These von der deutschen Nachkriegsgesellschaft als ‚Schick- salsgemeinschaft‘ mit einer schichtenübergreifenden Solidarität spiegelt sich in diesen Erfahrungen keineswegs wider151. Die Vertriebenen wurden ferner in Notwohnungen untergebracht, die etwa in Bunkern, Schulgebäuden und Wirts- haussälen eingerichtet worden waren sowie auch in den zahlreichen Baracken- lagern für NS-Zwangsarbeiter und in ehemaligen Konzentrationslagern. Die in der Nachkriegszeit geläufige Rede vom Vertriebenen als ‚Homo Barackensis‘ hatte hier ihren realen Hintergrund. Die dringende Frage nach der Unter- bringung der Vertriebenen wurde in der Nachkriegszeit zusätzlich dadurch verschärft, daß die Angehörigen anderer, mitunter schon vor Flucht und Ver- treibung einsetzender Migrationsbewegungen (Ausgebombte und Luftkriegse- vakuierte, Heimkehrer, Displaced Persons, zunehmend auch SBZ-Zuwanderer) mit ihnen um den ohnehin mangelnden Wohnraum konkurrierten.

Von dem in Westdeutschland nach dem Krieg existierenden Defizit von mehre- ren Millionen Wohnungen waren vor allem die Groß- und Mittelstädte betrof- fen, die von den Verheerungen des Bombenkrieges weitaus stärker in Mitlei- denschaft gezogen worden waren als Kleinstädte und ländliche Regionen. So- mit mußten die Menschen in den Städten, aber auch auf dem Lande, wo der Großteil der knapp acht Millionen Vertriebenen untergebracht bzw. einquar-

150 Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 336.

151 Hierauf verweist Führer: Mieter, S. 358. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 126 tiert worden war, gezwungenermaßen enger zusammenrücken. Hieraus resul- tierte eine deutliche Überbelegung des vorhandenen Wohnraums mit den ent- sprechenden medizinisch-hygienischen Folgen, wovon die Vertriebenen wie- derum am stärksten betroffen waren, zumal sich auch an der unzulänglichen Unterbringung in den Barackenlagern aus der NS-Zeit meist nichts Entschei- dendes geändert hatte152.

Nachdem es während das alliierten Interregnums 1945-1949 an einer hand- lungsfähigen Zentralgewalt fehlte, die den Bau des dringend benötigten Wohn- raums hätte koordinieren und forcieren können, änderten sich die Rahmenbe- dingungen mit der Konstituierung der Bundesrepublik grundlegend. Der Bund übernahm nun eine Vorreiterrolle bei der Finanzierung und Koordinierung des Wohnungsbaus, dem oberste Priorität zukam. Auf der Grundlage des Ersten Wohnungsbaugesetzes von 1950, welches den Sozialen Wohnungsbau in der Bundesrepublik begründete, sollten, um das Wohnungselend rasch zu beseiti- gen, über den Massenwohnungsbau möglichst schnell möglichst viele Woh- nungen errichtet werden. Das Zweite Wohnungsbaugesetz von 1956 zielte dann darauf, die Schaffung von individuellem Wohneigentum zu fördern. Die- se gesetzlichen Regelungen dienten der allgemeinen Förderung des Woh- nungsbaus und trugen entscheidend dazu bei, daß das Wohnungsdefizit nach dem Krieg, für dessen Überwindung in den späten 1940er Jahren ein Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten prognostiziert wurde, spätestens bis Ende der 1950er Jahre überraschend schnell abgebaut wurde und von einem Notstand in bezug auf die Wohnlage der Bevölkerung nicht mehr gesprochen werden konnte153. Angesichts der Enge und des Mangels an Privatheit in den Wohn- verhältnissen der Nachkriegszeit – 1950 lebten 62 % aller Haushalte zusammen mit anderen Haushalten in einer Wohnung154 – erinnerten sich ehemalige Untermieter noch Jahrzehnte nach dem Ereignis intensiv an die Glücksgefühle,

152 Vgl. Führer: Aufnahme und Eingliederung, S. 4

153 Vgl. Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 337.

154 Vgl. Christoph Kleßmann / Georg Wagner (Hrsg.): Das gespaltene Land: Leben in Deutschland 1945-1990. Texte und Dokumente zur Sozialge- schichte. München 1993, S. 317. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 127 die der Bezug einer abgeschlossenen Neubauwohnung in den 1950er Jahren in ihnen ausgelöst hatte. „Das Wort vom ‚Paradies‘ fiel häufig.“155

Letzteres mag besonders für die Vertriebenen gegolten haben, war doch die Untermieterexistenz gerade für ihre Wohnverhältnisse in den ersten Nach- kriegsjahren typisch. Parallel zur allgemeinen Entwicklung verbesserten sich auch ihre Wohnverhältnisse zusehends, denn mit den beiden Wohnungsbauge- setzen wurde gleichzeitig die Absicht verknüpft, gezielt die Verbesserung der Wohnsituation für Vertriebene und andere Kriegssachgeschädigte voranzutrei- ben. Die erheblichen finanziellen Mittel, die von der öffentlichen Hand aufge- bracht wurden, kamen den Deutschen aus dem Osten dabei direkt und auch indirekt zugute. Öffentlich finanzierter Wohnraum wurde nämlich, auch ge- genüber anderen Geschädigtengruppen wie beispielsweise den Ausgebombten und Luftkriegsevakuierten, bevorzugt an die Vertriebenen vergeben156.

Von besonderer Bedeutung bei den von der öffentlichen Hand getragenen Maßnahmen zur wohnräumlichen Eingliederung der Vertriebenen war der Lastenausgleich. Nicht zuletzt dessen vor allem von seiten des Bundes aufge- brachten finanziellen Mittel ermöglichten den Vertriebenen über die Vergabe von Darlehen den Eigenheimbau157. Die Bildung von Wohneigentum, insbe- sondere Form eines eigenen Hauses, spielte im gesamten Eingliederungsprozeß der Vertriebenen eine zentrale Rolle: Einmal als äußeres Zeichen von Besitz, zu dem man nach der anfänglichen sozialen Deklassierung infolge von Flucht und Vertreibung wieder gekommen war; einmal aber auch als Beleg dafür, daß man nach Zwangsmigration und anschließend noch oftmals erfolgter Weiter- wanderung endlich seßhaft geworden war und gewillt, dauerhaft im Westen

155 Führer: Mieter, S. 361.

156 So kritisierte der Zentralverband der Fliegergeschädigten, Evakuierten und Währungsgeschädigten (ZVF) die Vergabepraxis bei Neubauwoh- nungen, die aus seiner Sicht nicht gerecht war. Demnach hätten in der er- sten Jahreshälfte 1953 392.000 Menschen eine neue Wohnung bezogen, von denen 46,2 % Vertriebene gewesen seien, 15,2 % Kriegssachge- schädigte und lediglich 2,7 % Evakuierte, vgl. Krause: Evakuierung im Bombenkrieg, S. 223.

157 Vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 113. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 128 heimisch zu werden. Um ihre gewohnte Lebensweise auch im Westen beizu- behalten, erwarben oder bauten die überwiegend aus ländlichen Herkunftsge- bieten stammenden Vertriebenen nicht nur Eigenheime, sondern waren auch bestrebt, bäuerliche Nebenerwerbsstellen zu schaffen158.

In den verschiedenen und mit umfangreichen finanziellen Mitteln geförderten Maßnahmen bezüglich der wohnräumlichen Eingliederung der Vertriebenen spiegelt sich das verstärkte staatliche Interesse an dieser Aufgabe wider. Die ursprüngliche Benachteiligung der Vertriebenen gegenüber den Einheimischen wandelte sich schließlich in eine soziale Privilegierung. Vor diesem Hinter- grund konnte es, vor allem auch mit Blick auf die katastrophale Wohnsituation der Vertriebenen in den ersten Nachkriegsjahren, in den 1950er Jahren bemer- kenswert rasch gelingen, die Wohnverhältnisse der Vertriebenen zu verbessern und sie schrittweise denen der einheimischen Bevölkerung anzugleichen, was im wesentlichen Ende der 1960er Jahre erreicht war. Diese weitgehend positive Bilanz wurde allerdings dadurch getrübt, daß auch Ende der 1960er Jahre noch immer Vertriebene in Notwohnungen oder Übergangswohnheimen unterge- bracht waren159, die letzten Vertriebenenlager sind erst im Jahr 1971 aufgelöst worden160.

Die Wohnbedingungen, auf die die ab 1988 zuwandernden Aussiedler in Deutschland trafen, gestalteten sich gänzlich anders als diejenigen, mit denen die Vertriebenen konfrontiert wurden. Die zweite Welle von Deutschen aus dem Osten kam nicht in ein Land, in dem der Wohnraumbestand durch Kriegs- zerstörungen stark dezimiert war und die Wohnbedingungen beengt und not- dürftig. Die Aussiedler kamen vielmehr „in ein Land mit einem hohen Wohn- standard, der in ihrem Herkunftsgebiet kaum vorstellbar war.“161

158 Vgl. ebd., S. 122.

159 Nach der Gebäude- und Wohnungszählung vom Oktober 1968 lebten dort zu diesem Zeitpunkt 4,3 % aller Vertriebenenhaushalte, bei der Ge- samtbevölkerung waren es immerhin auch noch 2,9 %, vgl. Reichling: Die deutschen Vertriebenen in Zahlen. Teil II, S. 46 f.

160 Vgl. Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 205.

161 Bals: Zur Wohnungsversorgung von Aussiedlern, S. 76. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 129

Dennoch mußten auch die Aussiedler in Notunterkünften (zum Beispiel Turn- hallen, Containerdörfer, leergeräumte Lagerhallen) untergebracht werden, was vorwiegend für die Jahre 1989 und 1990 galt. Die über Jahrzehnte bestehende Infrastruktur zu ihrer Aufnahme und Unterbringung, die nach einem kurzen Aufenthalt im zentralen Bundesaufnahmelager die Weiterleitung in kommu- nale Übergangswohnheime vorsah, bevor eigener Wohnraum bezogen werden konnte, wurde mit dem starken Anstieg der Aussiedlerzahlen abrupt überlastet. Die Situation wurde weiter verschärft durch den fast zeitgleichen starken An- stieg von anderen Migrationsbewegungen in die Bundesrepublik wie etwa Übersiedler bzw. Flüchtlinge aus der DDR und Asylbewerber, die ebenfalls untergebracht werden mußten. Zusätzlicher provisorischer Wohnraum mußte also bereitgestellt werden. Vor diesem Hintergrund stellt die Unterbringung in Notunterkünften eine Gemeinsamkeit zwischen Vertriebenen und Aussiedlern dar, obschon betont werden muß, daß die Verhältnisse in den Notunterkünften der Aussiedler in keiner Weise so primitiv und elendig waren wie bei den Ver- triebenen. Zudem trat mit dem Absinken der Aussiedlerzahlen ab 1991 schnell eine deutliche Entspannung ein.

Allerdings sollte nicht übersehen werden, daß notdürftige und provisorische Wohnverhältnisse in der Nachkriegszeit durchaus nicht ungewöhnlich waren. Auch viele – weil ausgebombte – Einheimische mußten sich hiermit begnügen. Notdürftige und provisorische Wohnverhältnisse auch für die Einheimischen gab es in Deutschland im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht, so daß von diesen die in Not- und Massenquartieren untergebrachten Aussiedler sicherlich mit größerem Befremden wahrgenommen wurden und die dortigen Lebensverhält- nisse für die Einheimischen weit weniger nachvollziehbar waren, als es bei den Vertriebenen im Nachkriegsdeutschland der Fall war.

Neben dem nahezu zeitgleichen Eintreffen verschiedener Migrationsbewegun- gen und den daraus resultierenden Unterbringungsschwierigkeiten war Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre in der Bundesrepublik auch eine Wohn- raumknappheit zu verzeichnen, wenngleich diese nicht mit der eklatanten Wohnungsnot der Nachkriegszeit zu vergleichen ist. Nach den großen woh- nungsbaupolitischen Anstrengungen in den 1950er und auch 1960er Jahren schien der Wohnungsmarkt ab Mitte der 1970er Jahre gesättigt und der Bund verlagerte die Bauförderung überwiegend auf die Bundesländer. Als nun im 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 130

Übergang von den 1980er zu den 1990er Jahren die Wohnungsnachfrage der jährlich zu Hunderttausenden zuwandernden Aussiedler zusammentraf mit den Wohnraumbedürfnissen von anderen Gruppen wie etwa Übersiedlern, aner- kannten Flüchtlingen und nachziehenden Familienangehörigen von ausländi- schen Arbeiternehmern sowie den Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre, die nun ebenfalls auf den Wohnungsmarkt drängten, konnte die so gestiegene starke Nachfrage nach aus dem vorhandenen Bestand kaum noch gedeckt werden. Der Wohnungsmarkt war bis Mitte 1991 „leerge- fegt“162, und da die steigende Wohnungsnachfrage steigende Mieten nach sich zog, mangelte es vor allem an preiswertem Wohnraum.

Wie reagierte nun der Bund, vor allem mit Blick auf die Aussiedler, auf diese angespannte Wohnungssituation? Im Winter 1988/89 wurde zwar ein Wohnungsbauprogramm speziell für Aussiedler aufgelegt, seitdem ging es aber bei den Wohnungsbaumaßnahmen, die von der öffentlichen Hand gefördert wurden, um die Erstellung von erschwinglichem Wohnraum für alle Woh- nungssuchenden, nicht aber für einen speziellen Personenkreis. Ein Vertreter des Bundesinnenministeriums begründete dies Anfang der 1990er Jahre fol- gendermaßen: „Sonderprogramme für Aussiedler sind nicht angezeigt, sie würden vor allem bei der ebenfalls von der Wohnungsknappheit betroffenen, sozialschwachen einheimischen Bevölkerung auf wenig Verständnis sto- ßen.“163 Hier wird nun eine im Vergleich zu den Vertriebenen völlig andere Zielsetzung deutlich: Während es bei letzteren darum ging, sie bei den vor al- lem von staatlicher Seite getragenen Bemühungen zur Verbesserung der Wohnsituation der Bevölkerung zu bevorzugen, sollte dies bei den Aussiedlern vermieden werden.

Erste gesetzgeberische Konsequenzen dieser veränderten Zielsetzung schlugen sich im Eingliederungsanpassungsgesetz vom Dezember 1989 nieder, mit dem die bevorzugte Vergabe von Sozialwohnungen an Aussiedler ebenso gestrichen wurde wie die höheren Einkommensgrenzen für Aussiedler bei der Berechnung des Wohngeldes. Besonders schwer bei der Reduzierung von Leistungen zur

162 Hallermann: Rahmenbedingungen der Unterbringung, S. 89.

163 Conrad: Schwerpunkte der Aussiedlerpolitik, S. 41. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 131

Wohnraumversorgung der Aussiedler wog die Abschaffung des Lastenaus- gleichs mit dem KfbG zum 1.1.1993. Denn die zentrale Bedeutung der entspre- chenden finanziellen Mittel aus dem LAG gerade für den Eigenheimbau wird nicht nur bei den Vertriebenen, sondern auch bei den Aussiedlern nachdrück- lich betont164. Alle ab Januar 1993 eingereisten Aussiedler konnten nun nicht mehr auf diese Mittel zurückgreifen.

Dabei war Wohneigentum in Form eines eigenen Hauses für viele Aussiedler, insbesondere für die aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion, nicht we- niger wichtig als für die Vertriebenen, und zwar aus nahezu deckungsgleichen Motiven heraus: Zum einen als äußeres Zeichen von Besitz und der Konstituie- rung von Heimatansprüchen in der neuen Heimat Bundesrepublik, zum ande- ren, weil viele Aussiedler aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion dort be- reits ein eigenes Haus besaßen oder ein Grundstück zur Selbstversorgung und in der Bundesrepublik wieder nach ihrer früheren Wohnform strebten. In die- sem Streben wurden die Aussiedler, im Unterschied zu den Vertriebenen, mit der Abschaffung des Lastenausgleichs nicht mehr von dieser besonderen Form einer staatlichen Hilfsmaßnahme unterstützt. Insgesamt zeigt sich, daß die wohnräumliche Eingliederung der Vertriebenen vor allem als eine staatliche Aufgabe definiert und von einer entsprechenden Gesetzgebung flankiert wurde, während sich der Staat aus der Förderung der wohnräumlichen Eingliederung der Aussiedler seit Ende der 1980er Jahre mehr und mehr zurückzog. Somit wurden die durch ihre Migration hervorgerufenen Veränderungen in ihrer Wohnsituation für die zweite Welle von Deutschen aus dem Osten zunehmend zu einem individuellen Migrationsrisiko.

Im Gegensatz zu den Vertriebenen erfolgte bei den Aussiedlern keine eigene statistische Erfassung. Um den Verlauf der wohnräumlichen Eingliederung letzterer dennoch nachzeichnen zu können, muß auf Mikrostudien zurückge- griffen werden, die ihr Datenmaterial aus Stichprobenuntersuchungen, Zusatz- befragungen usw. bezogen. Hier ist eine deutliche Schwerpunktsetzung bei

164 Vgl. etwa Heinrich: The integration of ethnic germans, S. 83 f.; Gerhard Reichling: Staatliche Eingliederungshilfen für Aussiedler. In: Harmsen (Hrsg.): Die Aussiedler, S. 91-110, hier S. 96; Watrinet: Die Wohnungs- versorgung, S. 201; Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 97. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 132

Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre in die Bundesrepublik zugewander- ten Aussiedlern festzustellen, deren Eingliederungsverläufe über Beobach- tungszeiträume von drei bis fünf Jahren nach der Ankunft untersucht wurden, so daß gesicherte Ergebnisse für diese Gruppe bis etwa Mitte der 1990er Jahre vorliegen.

Wie diese Ergebnisse zeigen, war auch die Wohnsituation der Aussiedler in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft im Westen unterdurchschnittlich. So lag beispielsweise die ihnen pro Person zur Verfügung stehende Quadratmeterzahl klar unter dem Bundesdurchschnitt. Verglichen mit der Entwicklung der Woh- nungsversorgung von früher eingereisten Aussiedlern ist bei denen, die im Übergang von den 1980er zu den 1990er Jahren in die Bundesrepublik kamen, eine deutliche Verzögerung zu beobachten. Das gilt für die Länge der Verweil- dauer in Übergangswohnheimen ebenso wie für die Bildung von Wohneigen- tum. Letzteres konnte am ehesten noch sich auf dem Land und in kleineren Städten niedergelassenen Aussiedlern aus den Nachfolgestaaten der ehemali- gen Sowjetunion gelingen, die über große Selbsthilfepotentiale verfügten und sich so bei den Baumaßnahmen gegenseitig unterstützen konnten.

Anders gestaltete sich dagegen die Wohnsituation von Aussiedlern, die in Großstädte zogen. Sie ähnelte derjenigen von Ausländern, was vor allem aus dem Verhältnis von Einkommen und Miete resultierte165. Bei der Wohnungs- suche waren die Aussiedler deshalb, auch längerfristig, vorwiegend auf Sozialwohnungen angewiesen. „Die noch zu Beginn der neunziger Jahre fest- zustellende Mobilität der Aussiedler von Sozialwohnungen hin zu frei finan- zierten Wohnungen infolge ihrer sich verbessernden sozialen Situation läßt sich für die Mitte der neunziger Jahre nicht mehr nachweisen.“166

165 Vgl. Thränhardt: Integration und Partizipation von Einwanderergruppen, S. 239. Eine anhand der Wohnungsgröße (Räume pro Person) eher mit Ausländern – hier Arbeitsmigranten – als mit Einheimischen vergleich- bare Wohnsituation der von ihm befragten Aussiedlerfamilien wird auch betont von Fuchs: Die Wohnungssituation der Aussiedler, S. 99.

166 Dietz: Migrationspolitik, S. 25 f. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 133

Ob und inwieweit sich die Wohnungssituation der untersuchten Aussiedlerpo- pulationen über den drei- bis fünfjährigen Untersuchungszeitraum der jeweili- gen Studien verbesserte, kann hier ebenso wenig beantwortet werden wie die Frage, ob und inwieweit sich ihre Eingliederungsverläufe von denen später zugewanderter Aussiedler unterschieden, etwa im Hinblick auf die Verweil- dauer in Übergangswohnheimen und die Bildung von Wohneigentum. Das hat in erster Linie damit zu tun, daß die Aussiedler, wie bereits angemerkt, stati- stisch nicht gesondert erfaßt worden sind und daher nur schwerlich aus amts- statistischen Daten herausgefiltert werden können.

Aufgrund dieser statistischen Mängel wird es kaum möglich sein, den Lang- zeitverlauf der wohnräumlichen Eingliederung der Aussiedler mit dem der Vertriebenen zu vergleichen. Bei den Zwangszuwanderern des Kriegsendes und der Nachkriegszeit dauerte es in etwa zwei Jahrzehnte, bis die statistischen Werte ihrer Wohnverhältnisse denen der Gesamtbevölkerung weitgehend an- geglichen waren. Wie lange dieser Prozeß bei den nach 1988 zugewanderten Aussiedlern dauern wird, darüber können allenfalls nur sehr eingeschränkte Prognosen getätigt werden. Zu berücksichtigen wäre dabei, daß sie zwar in ein Land ohne eklatante Wohnungsnot und mit einem sehr hohen Wohnstandard kamen, staatliche Eingliederungshilfen aber zunehmend reduziert wurden bzw. ganz entfielen. Der von Bade/Oltmer gegebene Hinweis, daß die allgemeinen Einschränkungen der Aussiedlereingliederungsmaßnahmen deren Lage „ten- denziell derjenigen anderer Migrantengruppen annäherten“167, läßt sich für den Bereich der wohnräumlichen Eingliederung durchaus nachweisen. Deshalb ist zu vermuten, daß die wohnräumliche Eingliederung zumindest eines Teils der Aussiedler über die unteren Segmente des Wohnungsmarktes verläuft, wie es beispielsweise auch für die Arbeitsmigranten belegt ist168.

167 Klaus J. Bade / Jochen Oltmer: Zwischen Aus- und Einwanderungsland: Deutschland und die Migration seit der Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung, S. 501-546, hier S. 542.

168 Vgl. Uwe Keßler / Anna Ross: Ausländer auf dem Wohnungsmarkt einer Großstadt: Das Beispiel Köln. In: Informationen zur Raumentwicklung 1991, S. 429-438. 3. Die wohnräumliche Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern 134

Hinweise darauf kann sicherlich der Blick auf die Arbeitsmarkteingliederung bieten, die Gegenstand des folgenden Kapitels 4. ist. Dabei geht es nicht nur um den engen Zusammenhang zwischen beruflicher Situation/Einkommen und Wohnsituation und, mit Blick auf die wohnräumliche Eingliederung, um die Frage, wie die Deutschen aus dem Osten staatliche Eingliederungshilfen durch eigene Mittel ergänzen konnten (Vertriebene) bzw. inwieweit es gelingen konnte, die Reduzierung oder das gänzliche Wegfallen von Eingliederungs- maßnahmen durch eigene Mittel zu kompensieren (Aussiedler). Ganz allge- mein handelt es sich bei der Arbeitsmarkteingliederung um einen weiteren Zentralbereich im gesamten Eingliederungsprozeß von Zuwanderern. Vor die- sem Hintergrund soll nunmehr die Arbeitsmarkteingliederung von Vertriebe- nen und Aussiedlern im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen stehen. 135

4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spät- aussiedlern in den Arbeitsmarkt

Für die gesamte Persönlichkeit eines Menschen ist die berufliche Tätigkeit von zentraler Bedeutung. Durch den Eintritt in das Arbeitsleben wird die ökonomi- sche Selbständigkeit sichergestellt. Die gesellschaftliche Wertschätzung und die materielle Existenzbedingung des Menschen werden nicht zuletzt durch seine Stellung im Berufs- und Arbeitsleben bestimmt. Mittels der Berufstätig- keit werden ferner soziale Kontakte hergestellt und der Mensch somit in sein gesellschaftliches Umfeld einbezogen1.

Dementsprechend kommt der Eingliederung von Migranten in den Arbeits- markt des Aufnahmelandes eine besondere Bedeutung zu. Dies wird auch mit Blick auf Vertriebene und Aussiedler betont2. Anders als beispielsweise für die im Herkunftsland angeworbenen und bereits mit einem Arbeitsvertrag einrei- senden ‚Gastarbeiter‘ der 1950er und 1960er Jahre und die neuen, hochqualifi- zierten Arbeitsmigranten der jüngsten Vergangenheit bedeutete der Weg in den Westen für die Deutschen aus dem Osten Arbeitsplatzverlust und beruflichen Neubeginn. Eine neue berufliche Existenzgrundlage mußte also erst gefunden werden.

Dabei spielten einerseits spezielle individuelle, die Zuwanderergruppen cha- rakterisierende Faktoren eine wichtige Rolle. Hierzu zählen zum Beispiel die Alters-, Berufs- und Qualifikationsstruktur sowie die Mobilität3. Ebenso wie die wohnräumliche wurde auch die Arbeitsmarkteingliederung von Vertriebe- nen und Aussiedlern darüber hinaus von der staatlichen Eingliederungspolitik beeinflußt. Sie umfaßt ein Spektrum von öffentlich finanzierten Hilfsmaßnah- men (unter anderem Sprachkurse, Ausbildungsförderung, Förderung von Exi- stenzgründungen), an dem beide Gruppen im Vergleich zu anderen Migranten-

1 Vgl. Rainer Metz: Sekundäre Trends der deutschen Wirtschaft. In: Mi- chael North (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsgeschichte: ein Jahrtausend im Überblick. München 2000, S. 421-474, hier S. 446.

2 Als Beispiele seien hier nur genannt Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 213 und Heinrich: The integration of ethnic Germans, S. 82.

3 Vgl. Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 64. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 136 gruppen in Deutschland in besonderem Maße partizipieren konnten. Aber die- ses Förderungsangebot bei der Arbeitsmarkteingliederung erhöht nicht zwangsläufig die Aussichten auf einen Arbeitsplatz. „Entscheidend und condi- tio sine qua non ist in jedem Fall die Arbeitsmarktsituation.“4 Was Dietz/Hilkes für die Arbeitsmarkteingliederung der Aussiedler festgestellt ha- ben, galt selbstverständlich auch für die Vertriebenen 40-50 Jahre vorher. Des- halb soll es im folgenden zunächst um die Frage gehen, auf welche Bedingun- gen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt Vertriebene und Aussiedler trafen. Die wirtschaftliche Entwicklung ist bereits im vorausgegangenen Kapi- tel 3. kurz angesprochen worden, sie soll hier aber breiter diskutiert werden.

4.1. Ökonomische Rahmenbedingungen: Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland in der Nachkriegszeit und im ausgehenden 20. Jahrhun- dert

Als die Vertriebenen am Kriegsende und in der Nachkriegszeit im Westen ein- trafen, schien unter den Trümmern der deutschen Städte auch die Wirtschaft verschüttet. Das Dritte Reich war im Mai 1945 nicht allein in einem militäri- schen und politischen, sondern auch in einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und einem vollständigen Kollaps der Produktion untergegangen. Das um gut ein Viertel seiner Fläche reduzierte Rumpfdeutschland verlor zwei seiner gro- ßen Industriegebiete, nämlich das oberschlesische und (zunächst) das saarlän- dische Revier mitsamt den dort vorhandenen Energieressourcen, Kohlegruben und Stahlwerken. Nicht nur der Waren- und Dienstleistungsaustausch zwischen Deutschland und dem Weltmarkt war unterbrochen; die Aufteilung in Besat- zungszonen, deren Grenzen nur mit umständlichen bürokratischen Verfahren überwunden werden konnten, schränkte den Waren- und Dienstleistungsver- kehr auch innerhalb Deutschlands erheblich ein. Einen zusammenhängenden deutschen Wirtschaftsraum gab es nicht mehr, vielmehr wurden seine ver- schiedenen Teile durch die Zonengrenzen voneinander abgeschottet5.

Weniger als 30 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war Deutschland finanziell erneut ruiniert. Als Resultat der nationalsozialistischen Kriegsfinan-

4 Ebd., S. 62.

5 Vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 46. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 137 zierung blieb ein gewaltiger Schuldenberg zurück. Einem enormen Geldüber- hang bei Unternehmen und privaten Haushalten stand ein auch nicht nur annä- hernd adäquates Güterangebot gegenüber. Deshalb behielten die Alliierten in bruchloser Kontinuität zunächst die wichtigsten wirtschaftlichen Ord- nungsprinzipien der NS-Kriegswirtschaft bei. Hierzu gehörten der Lohn- und Preisstop sowie die Bewirtschaftung von Lebensmitteln, Kleidung, Wohnraum, Grund-, Roh- und Betriebsstoffen, ferner auch die Ablieferungspflicht für be- wirtschaftete Waren6.

Nahezu alle knappen und vermißten Güter waren dagegen, trotz verschärfter Kontrollen und Razzien, auf dem überall florierenden Schwarzmarkt zu finden. Hier mußten entweder abstrus hohe Preise gezahlt werden, oder es fand, gleichsam in einer Art Rückkehr zur primitivsten Form der Naturalwirtschaft, Warentausch statt. Da die Vertriebenen bei ihrer Zwangsmigration oftmals Hab und Gut verloren hatten oder nur einen ganz geringen Teil davon mit in den Westen hinüberretten konnten, waren sie als eine Gruppe, die keine oder nur wenige Sachwerte besaß, vom Handel auf dem Schwarzmarkt weitestgehend ausgeschlossen7. Der Schwarzmarkt diente nicht nur der Befriedigung der Nachfrage nach zeitgenössischen ‚Luxusartikeln‘ wie etwa Kaffee, Kakao, Spirituosen und Zigaretten; insbesondere für die Bewohner der Städte war er oftmals die einzige Möglichkeit, ihre allein durch die Zuteilungen der Lebens- mittelkarten und Bezugsscheine vielfach nicht ausreichende Ernährungssituati- on zu verbessern. Denn mit der deutschen Niederlage verschlechterte sich die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln dramatisch. Obwohl mit Kriegsbeginn 1939 vom Weltmarkt mehr und mehr abgeschnitten, hatte das Deutsche Reich, das in der Vorkriegszeit ca. 20 % seiner Nahrungsmittel im- portierte, durch die systematische Ausplünderung der besetzten Gebiete selbst bis ins Frühjahr 1945 hinein eine halbwegs ausreichende Nahrungsmittelver- sorgung seiner Bevölkerung sicherstellen können. Zu ihrer Überraschung stie-

6 Vgl. Richard Detje: Von der Westzone zum Kalten Krieg. Restauration und Gewerkschaftspolitik im Nachkriegsdeutschland. Hamburg 1982, S. 19 f.

7 Vgl. Parisius: Flüchtlinge und Vertriebene in Osnabrück und im Osna- brücker Land, S. 42. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 138

ßen die alliierten Truppen beim Vormarsch innerhalb Deutschlands vielerorts sogar auf wohlgefüllte Magazine. „Diese privilegierte Herrenmenschenexistenz änderte sich über Nacht, als die Lieferungen nach Deutschland abrupt aufhör- ten, die Vorratsspeicher – nicht zuletzt zur Versorgung der Millionen von DP – im Nu geleert worden waren und die Eigenversorgung völlig ins Stocken ge- riet.“8 Negativ auf die Ernährungslage der Bevölkerung wirkte sich auch die Abtrennung der Gebiete östlich von Oder und Neiße aus. Sie stellten etwa ein Viertel der landwirtschaftlich genutzten Fläche des Deutschen Reiches und waren landwirtschaftliche Überschußgebiete, die mit ihrer Produktion neben der eigenen Bevölkerung 5 bis 7 Millionen Menschen zusätzlich ernähren konnten9. Die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung verschlechterte sich derart, daß die Deutschen anstelle der von Experten der Vereinten Nationen für nötig gehaltenen 2.650 Kalorien und der offiziellen Zuteilung laut Lebensmit- telkarte, die sich bei 1.500 Kalorien bewegte, oftmals weniger als 1.000 Kalo- rien pro Tag bekamen10. Somit war allein die physische Reproduktion der Be- völkerung nicht mehr gewährleistet. Eine ausreichende Versorgung mit Le- bensmitteln konnte nur über Importe und ausländische Hilfslieferungen (Care- Pakete) sichergestellt werden.

Nicht vergessen werden sollte an dieser Stelle auch, daß mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges alle Machtbefugnisse und damit auch die Gestaltung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in den Händen der Besatzungsmächte lag. Trotz des Zusammenschlusses in der Anti-Hitler-Koalition herrschte bei den Alliierten in der Frage der wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands Einigkeit nur allgemein in der Frage, eine wirtschaftliche Stärkung Deutschlands um jeden Preis zu verhindern, um ihm die Führung eines neuen Krieges unmöglich zu machen. Die einzelnen Vorstellungen und wirtschaftspolitischen Pläne der Sie-

8 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 4: Vom Be- ginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staa- ten 1914-1949. München 22003, S. 951.

9 Vgl. Grebing/Pozorski/Schulze: Die Nachkriegsentwicklung in West- deutschland, S. 2.

10 Vgl. Helmut Kistler: Die Bundesrepublik Deutschland. Vorgeschichte und Geschichte 1945-1983. Bonn 1991, S. 48. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 139 germächte unterschieden sich dabei erheblich. Ihren radikalsten Ausdruck fan- den sie in dem von Amerikanern und Briten während des Krieges zunächst favorisierten ‚Morgenthau-Plan‘, der die Umwandlung Deutschlands in ein Agrarland vorsah11. Die Rolle der Alliierten für den wirtschaftlichen Wieder- aufbau Deutschlands wird auch deutlich in einem anderen Punkt, der Frage nach Reparationen. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg sollte Deutschland Reparationen nicht nur in Form von Geldleistungen erbringen, sondern aus- drücklich auch in Form von Sachleistungen, so daß es zu Demontagen ganzer Betriebe und Entnahmen aus der laufenden Produktion kam. Die Demontagen wurden von den Besatzungsmächten in ihren Zonen zwar unterschiedlich in- tensiv durchgeführt, gleichwohl entzogen sie dem Wiederaufbau zunächst lei- stungsfähige Anlagen12.

Gegenüber dieser Auflistung von negativen Begleitumständen und Ausgangs- bedingungen für den Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkriegs fiel „die kühle ökonomische Betrachtung“, wie es Ambro- sius ausgedrückt hat, „positiver aus.“13 Die 1946 von den Verfassern des Det- molder Memorandums der Vertreter der Länder und Provinzen der britischen Besatzungszone vertretene Auffassung, Deutschland sei angesichts der Zerstö- rungen in die Anfänge die Industrialisierung zurückgeworfen und ein neuerli- cher Aufstieg im Unterschied zu üblichen Nachkriegskonjunkturen würde sehr lange dauern, entsprach mehr der zeitgenössischen Wahrnehmung als der Rea-

11 Vgl. John Morton Blum: Deutschland ein Ackerland? Morgenthau und die amerikanische Kriegspolitik 1941-45. Düsseldorf 1968; Hans G. Gel- ber: Der Morgenthau-Plan. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), S. 372-402.

12 Vgl. Jörg Fisch: Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg. München 1999; Hanns D. Ahrens: Demontage: Nachkriegspolitik der Alliierten. München 1982. Auf lokalgeschichtlicher Ebene vgl. Marion Heister- mann: Demontage und Wiederaufbau. Industriepolitische Entwicklung in der ‚Kruppstadt‘ Essen nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1956). Essen 2004.

13 Gerold Ambrosius: Von Kriegswirtschaft zu Kriegswirtschaft 1914-1945. In: North (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 282-350, hier S. 350. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 140 lität14. Tatsächlich waren die Zerstörungen in der Industrie bei weitem nicht so groß, wie zunächst befürchtet. Selbst auf dem Höhepunkt der alliierten Luftan- griffe, dem Jahr 1944, wurden nur 6,5 % aller Werkzeugmaschinen beschädigt, von denen wiederum nur 10 % unbrauchbar wurden. In der Kugellagerindustrie wurden nur 16 % aller Werkzeugmaschinen beschädigt, während die Stahlin- dustrie den Verlust nur weniger Hochöfen und wichtiger Maschinen beklagte. In den Ruhrbergwerken entstanden kaum Schäden, ein Großteil der Produktion konnte dort nach wenigen Monaten wieder aufgenommen werden15.

Wegen der zwischen 1936 und 1945 erfolgten umfangreichen Investitionen lag der Kapitalstock, also das industrielle Anlagevermögen in Form von gewerbli- che Bauten und Ausrüstungen bzw. Inventar, am Kriegsende um 21 % über dem Stand, den es drei Jahre vor dem Krieg gehabt hatte. Der industrielle Ka- pitalstock ging zwischen 1945 und 1948 wegen Rückerstattungen, Demontagen und fehlender Neuinvestitionen um etwa 8 % zurück, er lag damit aber immer noch um knapp 13 % über dem Niveau von 193616. Darüber hinaus hatte der nationalsozialistische Rüstungsboom zu einem Modernisierungsschub der ma- schinellen Ausrüstung in den Betrieben geführt. Es wurde dort mit Mehr- zweck-Werkzeugmaschinen gearbeitet, die den neuesten Stand der technischen Entwicklung verkörperten und die sich wegen ihrer Multifunktionalität auch nach 1945 als überaus verwendungsfähig erwiesen. Andere moderne Ferti- gungsmethoden wie zum Beispiel die Fließbandarbeit hatten sich zumindest in einigen Bereichen endgültig durchgesetzt, zukunftsorientierte Branchen wie die Elektrotechnik und Chemie hatten sich stark entwickelt. Das Dritte Reich hin- terließ also nicht nur einen mengenmäßig gewachsenen Kapitalstock, „sondern zugleich auch eine Qualität der Produktionsstruktur, die gemessen an den Er- fordernissen des Wiederaufbaus im Innern und der Nachfrage des Weltmarkts

14 Vgl. Uwe Uffelmann: Der Weg zur Bundesrepublik. Wirtschaftliche, ge- sellschaftliche und staatliche Weichenstellungen 1945-1949. Düsseldorf 1988 (Historisches Seminar, Bd. 12), S. 19.

15 Vgl. Werner Abelshauser: Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980. Frankfurt/M. 1983, S. 20.

16 Vgl. Grebing/Pozorski/Schulze: Die Nachkriegsentwicklung in West- deutschland, S. 62 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 141 ausgesprochen günstig genannt werden muß.“17 Durch den Zustrom der Ver- triebenen – bis 1946 waren schon 7 Millionen von ihnen in den Westen gelangt – war zudem das Arbeitskräftepotential in Westdeutschland, trotz der kriegsbe- dingten Menschenverluste, angewachsen.

Bereits unmittelbar nach Kriegsende setzte wieder eine erste industrielle Pro- duktion ein, und schon im Sommer/Herbst 1945 ist im britisch-amerikanischen Besatzungsgebiet eine spürbare wirtschaftliche Erholung festzustellen, die bis in das vierte Quartal 1946 hineinreichte. Die industrielle Produktion erreichte in der britischen Zone im November 1946 35 % des Standes von 1936; in der ein erheblich höheres Wachstumstempo ohne Unterbrechung oder stärkere Ab- schwächungen aufweisenden amerikanischen Zone erreichte sie knapp 45 % des Standes von 193618. Die positive Entwicklung wurde im extrem kalten Winter 1946/47 unterbrochen durch einen massiven wirtschaftlichen Einbruch. Er resultierte aus den zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht beseitigten Aus- wirkungen der massiven Kriegszerstörungen im Transportsystem19. Hier war der Rekonstruktionsprozeß bei weitem noch nicht so schnell vorangeschritten

17 Werner Abelshauser / Dietmar Petzina: Krise und Rekonstruktion. Zur Interpretation der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im 20. Jahrhun- dert. In: Dies. (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsgeschichte im Industriezeit- alter: Konjunktur, Krise, Wachstum. Düsseldorf 1981, S. 47-93, hier S. 75.

18 Vgl. hierzu insgesamt Werner Abelshauser: Wirtschaft in Westdeutsch- land 1945-1948. Rekonstruktion und Wachstumsbedingungen in der amerikanischen und britischen Zone. Stuttgart 1975 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Nr. 30), S. 32 ff.

19 Im Unterschied zum industriellen Anlagevermögen hatten alliierte Bom- benangriffe, Bodenkämpfe und von der deutschen Wehrmacht auf ihrem Rückzug verursachte Zerstörungen die Verkehrsinfrastruktur Deutsch- lands in ungleich höherem Maße getroffen. Im britisch-amerikanischen Besatzungsgebiet waren bei Kriegsende zerstört: 3.482 km Gleisanlagen, 2.395 Eisenbahnbrücken, 14 Tunnels, 10.111 Lokomotiven, 112.281 Güterwagen, 12.828 Weichen und Kreuzungen. Von 15.700 noch erhal- tenen Dampflokomotiven waren Ende 1945 noch 38,6 % betriebsbereit, 31 % des übrigen rollenden Materials war schadhaft. In der britischen Zone waren im Mai 1945 vom 13.000 Streckenkilometern nur 1.000 be- fahrbar, der Rhein war mittels Brücken nicht zu überqueren und alle Wasserwege durch Wracks und Brückentrümmer unpassierbar, vgl. Uf- felmann: Der Weg zur Bundesrepublik, S. 21. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 142 wie im industriellen Bereich. Als infolge der Kälte kurz vor Weihnachten 1946 auch noch die Wasserwege zufroren, kam die Zwischenproduktversorgung der Industrie praktisch zum Erliegen und die industrielle Produktion ging bis zum Februar 1947 erheblich zurück. „Im Winter 1946/47 hatte der Krieg die deut- sche Wirtschaft wieder eingeholt.“20 Der Zusammenbruch des Transport- systems führte darüber hinaus auch zu einer dramatischen Verschlechterung der Ernährungslage der Bevölkerung, worauf es bis in das Frühjahr 1947 hinein zu Unruhen und Streiks kam21.

Angesichts der zugespitzten ökonomischen und sozialen Probleme sollte das Jahr 1947 zum „Entscheidungsjahr“22 der Nachkriegsentwicklung werden. Dies traf tatsächlich in mehrfacher Hinsicht zu. Nachdem der Tiefpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung zu Beginn des Jahres 1947 erreicht worden und im Frühjahr überwunden war, begann im Herbst 1947 ein neuer Aufschwung, der auch über den Winter 1947/48 hin anhielt. Im zweiten Quartal 1948, also nur drei Jahre nach Kriegsende, erreichte die Industrieproduktion immerhin schon wieder fast 50 % des Standes von 193623. Diese Entwicklung wurde erst im Frühsommer 1948 im Vorfeld der Währungsreform gestört. In Erwartung des neuen Zahlungsmittels wurden viele Waren gehortet und die Zwischenpro- duktversorgung der Industrie gebremst. Im Verlauf des Jahres 1947 verbesserte sich auch die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln spürbar24.

Mit der Vereinigung der britischen und amerikanischen Besatzungszone zur sogenannten ‚Bizone‘ ab dem 1.1.1947 wurde ferner der Prototyp für einen westdeutschen Teilstaat geschaffen. Hier wurden nunmehr alle verfügbaren

20 Werner Abelshauser: Probleme des Wiederaufbaus der westdeutschen Wirtschaft 1945-1953. In: Heinrich August Winkler (Hrsg.): Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953. Göttingen 1979 (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 5), S. 208-253, hier S. 229.

21 Vgl. Detje: Von der Westzone zum Kalten Krieg, S. 160 ff.

22 Abelshauser: Probleme des Wiederaufbaus, S. 232.

23 Vgl. Abelshauser: Wirtschaft in Westdeutschland, S. 42 ff.

24 Vgl. Uffelmann: Der Weg zur Bundesrepublik, S. 22. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 143

Ressourcen auf die neuralgischen Schwachpunkte konzentriert, wie etwa das Verkehrssystem, die Infrastruktur, der Bergbau sowie die Stahl- und Eisen- industrie, was mit zur obengenannten positiven Entwicklung beitrug25. Das Jahr 1947 brachte zudem einen tiefgreifenden Wandel in der amerikanischen Deutschlandpolitik. Im Zuge der von US-Präsident Truman mit seiner ‚Dok- trin‘ (März 1947) verfolgten Stabilisierungspolitik sollte, um die ‚Eindäm- mung‘ der sowjetischen Expansion zu erreichen, auch Westeuropa gegen ein Vordringen des Kommunismus stabilisiert werden. US-Außenminister Mar- shall kündigte im Juni 1947 ein europäisches Hilfsprogramm an (‚European Recovery Programm‘ – ERP), mit dessen Hilfe die internationale Kooperation in Europa gefördert und nicht zuletzt kapitalistische Institutionen gestärkt wer- den sollten. Der ‚Marshall-Plan‘, aus wohlverstandenem amerikanischen Ei- geninteresse entstanden, sollte die europäischen Länder konkret bei der Über- windung der Kriegsfolgen großzügig unterstützen und schloß ausdrücklich auch die Westzonen Deutschlands ein, da ohne die Einbeziehung der deutschen Wirtschaft ein ökonomischer Wiederaufbau in Westeuropa als unmöglich an- gesehen wurde. Somit wurde der Öffentlichkeit nicht nur der Verzicht auf die ursprünglich angedachte Schwächung des deutschen Potentials deutlich, son- dern vielmehr sogar eine neue Priorität, nämlich den westdeutschen Wieder- aufbau direkt zu fördern. Zwar trafen die ersten Lieferungen des ERP erst Ende 1948 in Westdeutschland ein und ihr Wert lag im europäischen Vergleich auf eher unterdurchschnittlichem Niveau, woran sich auch in den folgenden Jahren wenig ändern sollte. Psychologisch gesehen jedoch entfachte der mit dem ‚Marshall-Plan‘ verbundene Anschluss an die amerikanische Wirtschaftsmacht großen Optimismus und belebte nicht zuletzt auch die unternehmerische Akti- vität in deutlich stärkerem Maße als zuvor26.

25 Vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 185 ff.

26 Vgl. Wilfried Mausbach: Zwischen Morgenthau und Marshall. Das wirt- schaftspolitische Deutschlandkonzept der USA 1944-1947. Düsseldorf 1994 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 30); Werner Abelshauser: Hilfe und Selbsthilfe. Zur Funktion des Marshallplans beim westdeutschen Wiederaufbau. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989), S. 85-111; Gerd Hardach: Der Marshall-Plan: Auslandshilfe und Wiederaufbau 1948-1952. München 1994; Axel Lehmann: Der Marshall- Plan und das neue Deutschland: die Folgen amerikanischer Besatzungs- 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 144

Wie weiter oben beschrieben wurde, setzte der konjunkturelle Aufschwung bzw. „Durchbruch“ (Abelshauser) in der westdeutschen Wirtschaft im Herbst 1947 ein und damit zu einem Zeitpunkt, als die finanziellen und materiellen Hilfen des ‚Marshall-Plans‘ noch nicht griffen, und auch deutlich vor der im Juni 1948 durchgeführten Währungsreform. Sie brachte ein wieder funktions- fähiges Geldwesen, der Schwarzmarkt wurde praktisch bedeutungslos. Gleich- sam über Nacht füllten sich die Schaufenster mit einer Vielzahl begehrter, langvermißter Waren und die Wirtschaft bekam mit der neuen Währung zu- sätzliche Impulse. Ökonomisch stimulierend wirkten auch die mit der Einfüh- rung der D-Mark verknüpften Wirtschaftsreformen, die die Handschrift des Direktors der westzonalen Wirtschaftsverwaltung, , trugen. 90 % aller Preiskontrollen und Bewirtschaftungsvorschriften wurden schlagar- tig aufgehoben und marktwirtschaftliche Grundsätze wieder in Kraft gesetzt. Der Lohnstop fiel Anfang November; allerdings blieben die Preise für Grund- nahrungsmittel, Mieten, Gas und Elektrizität noch eine Zeitlang eingefroren27.

Die Neuordnung des Geldwesens und die damit verbundene sukzessive Besei- tigung amtlicher Güterbewirtschaftung wirkten wie eine wirtschaftliche Initial- zündung mit verblüffend schnell belebenden Auswirkungen. Bereits Ende 1948 erreichte die Industrieproduktion in Westdeutschland schon wieder vier Fünftel des Standes von 1936. Doch der auf die Wirtschafts- und Währungsreform folgende kurze Aufschwung war fragil und mündete schon bald in eine anhal- tende Rezession ein. Die Zahl der Arbeitslosen stieg von Ende 1948 bis Juni 1949 von 760.000 auf 1,3 Millionen. Im Februar 1950 wurden sogar knapp 1,9 Millionen Arbeitslose gezählt, was eine Arbeitslosenquote von fast 15 % be-

politik in den Westzonen. Münster 2000 (Internationale Hochschulschrif- ten, Bd. 335).

27 Vgl. Christoph Buchheim: Die Währungsreform 1948 in Westdeutsch- land. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 36 (1988), S. 189-231; ders.: Einige wirtschaftspolitische Maßnahmen Westdeutschlands von 1945 bis zur Gegenwart. In: Hans Pohl (Hrsg.): Wettbewerbsbeschrän- kungen auf internationalen Märkten. Stuttgart 1988, S. 211-226; Volker Hentschel: Ludwig Erhard. München 1996. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 145 deutete. „Während die Bundesrepublik ihr politisches Fundament erhielt, schien in der Wirtschaft erst einmal vieles aus den Fugen zu geraten.“28

Nachdem der wirtschaftliche Wiederaufbau Westdeutschlands im ersten Nach- kriegsjahrfünft von Turbulenzen und Rückschlägen gekennzeichnet war, ent- fachte der mit der Korea-Krise ab Mitte 1950 ausgelöste Boom eine Phase sta- bilen, langanhaltenden Wachstums. Mehr noch: Zwischen 1950 und 1960 er- lebte die Bundesrepublik eine ökonomische Prosperität, wie sie davor und da- nach nicht mehr gekannt wurde. Das Phänomen dieses ‚Wirtschaftswunders‘ ist zu bekannt und zu stark kommentiert worden, um hier weiter ausgebreitet werden zu müssen. Dennoch sollen einige Zahlen herangezogen werden, die diese bisher einmalige Entwicklung in Deutschland verdeutlichen. Von 1950 bis 1960 verdreifachte sich das Bruttosozialprodukt bei einer durchschnittli- chen jährlichen Wachstumsrate von fast 8 % von 97,9 Milliarden DM auf 296,8 Milliarden DM. Die Bundesrepublik setzte sich damit an die Spitze der westeuropäischen Volkswirtschaften und wurde wachstumsmäßig nur noch von Japan übertroffen. Die Industrieproduktion wuchs um 150 %, die Investiti- onsgüterindustrie verzeichnete einen Zuwachs von 220 %. Die Zahl der Er- werbstätigen erhöhte sich von 19.997.000 auf 24.792.000, während die durch- schnittliche jährliche Arbeitslosenquote stetig sank, bis 1960 mit einer Quote von 0,6 % quasi Vollbeschäftigung erreicht wurde29. Die wirtschaftliche Ent- wicklung der Bundesrepublik zwischen 1950 und 1960 ist auch Gegenstand der folgenden Tabelle 5.

28 Wolfram Weimer: Deutsche Wirtschaftsgeschichte: Von der Währungsre- form bis zum Euro. Hamburg 1998, S. 79.

29 Vgl. Robert Hettlage: Wirtschaft als Mythos: Wirtschaftsordnung, Wirt- schaftsstruktur und Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik. In: Ders. (Hrsg.): Die Bundesrepublik: Eine historische Bilanz. München 1990. S. 57-87, hier S. 63 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 146

Tabelle 5: Zentrale Wirtschaftsindikatoren der Bundesrepublik Deutschland 1950-1960

1950 1955 1960 Bruttosozialprodukt (in Mrd. DM) 97,9 180,4 296,8 Erwerbstätige (in 1.000) 19,997 22,830 24,792 Arbeitslosigkeit (in %) 8,2 2,7 0,6

Quelle: Hettlage: Wirtschaft als Mythos, S. 65.

Welches waren die Gründe für diesen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung, der nicht nur in der Retrospektive, sondern auch bereits von den Zeitgenossen als ‚Wunder‘ bezeichnet wurde? Sie sind nicht jenseits allen menschlichen Verstandes zu suchen, wie der Begriff ‚Wunder‘ suggeriert, sondern oben be- reits genannt worden. Zum einen waren es die endogenen Kräfte, die die deut- sche Wirtschaft auch nach dem Krieg noch immer besaß, zum anderen wurden durch die Wirtschafts- und Währungsreform, die schließlich in die Soziale Marktwirtschaft30 mündete, zusätzliche Kräfte und Leistungsanreize freige- setzt. Hinzu kommt, daß das Arbeitskräftepotential in Westdeutschland durch den Zustrom von Vertriebenen und Zuwanderern aus der SBZ/DDR im Ver- gleich zur Situation vor dem Krieg nicht nur gleich geblieben, sondern viel- mehr angewachsen war. Die Qualifikationsstruktur des Arbeitskräftepotentials hatte sich nach dem Krieg kaum verschlechtert, als Folge der hohen Mobilisie- rung und Beanspruchung während der Kriegsjahre war sie eventuell sogar noch höher31.

Als besonders gewinnbringend für die Bundesrepublik erwies sich vor diesem Hintergrund die Zuwanderung von Deutschen aus der DDR, die in den 1950er Jahren stark zunahm und deren Zahl bis zum Mauerbau 1961 jährlich in die hunderttausende ging. Unter ihnen befand sich ein hoher Prozentsatz von 18- bis unter 25jährigen und damit von Personen, deren Mobilität besonders hoch und deren Ausbildung in der Regel abgeschlossen war und die dementspre-

30 Vgl. Alfred Müller-Armack: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft. Bern 1969; Gerold Ambrosius: Die Durchsetzung der Sozialen Markt- wirtschaft in Westdeutschland. Stuttgart 1977.

31 Vgl. Abelshauser/Petzina: Krise und Rekonstruktion, S. 75 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 147 chend über ausgesprochen hohe Erwerbsquoten verfügten. Auf sie übte der wirtschaftliche Aufschwung in der Bundesrepublik, „wo man besser verdiente und Waren aus einem größeren Sortiment auswählen konnte“32, eine beson- ders hohe Anziehungskraft aus. Abelshauser/Petzina veranschlagen den Wert dieses Ost-West-Transfers an Arbeitskräften auf etwa 30 Milliarden DM. Al- lerdings, so schränken sie ein, wird dieser Ansatz nur den einfacheren Qualifi- kationen unter den Zugewanderten gerecht. „Tatsächlich sind aber gerade überdurchschnittlich viele Ingenieure, Ärzte und sonstiges hochqualifiziertes Personal in die Bundesrepublik Deutschland herübergewechselt.“33 Unter die- sen Voraussetzungen konnte es sich die Bundesrepublik in den 1950er Jahren erlauben, die öffentlichen Ausgaben für Ausbildung noch unter den relativen Standard der Weimarer Republik sinken zu lassen, ohne daraus negative Kon- sequenzen für den Arbeitsmarkt erfahren zu müssen34.

Die Menschen in der Bundesrepublik waren in den 1950er Jahren aber nicht nur qualifiziert, sondern auch „von einem intensiven Arbeitswillen erfüllt. Ar- beit bedeutete zunächst – und dieser Aspekt war nach den ‚verlorenen Jahren‘ des Soldaten-, Gefangenen- und Hungerlebens nicht hoch genug zu veran- schlagen – friedliches Tätigseindürfen; und sie ermöglichte Verdienst, der in den Konsum notwendiger und lang entbehrter Waren umgesetzt werden konn- te.“35 Es ist daher nicht verwunderlich, daß der in den 1950er Jahren entste- hende Massenkonsum, neben dem Export36, zum Hauptträger des wirtschaftli- chen Booms wurde. Der während des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren erzwungene Nachfragerückstau der Bevölkerung löste sich in verschiedenen ‚Wellen‘, die nun durch das Land rollten, wie etwa die

32 Roesler: „Abgehauen“, S. 563.

33 Abelshauser/Petzina: Krise und Rekonstruktion, S. 79.

34 Vgl. ebd.

35 Kistler: Die Bundesrepublik Deutschland, S. 148.

36 Der Jahreswert der deutschen Ausfuhren stieg von 8,4 Milliarden DM im Jahr 1950 bis zum Ende der 1950er Jahre auf 41,2 Milliarden DM, vgl. Weimer: Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 107 und dazu auch die Ta- belle auf S. 108. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 148

‚Freßwelle‘ gleich nach der Währungsreform, auf die die Bekleidungs- und danach die Einrichtungswelle – mit den zeittypischen Kleinmöbeln wie Nie- rentischen und Phonoschränkchen – folgte.

Das Wachstum der 1950er Jahre war mit einem erheblichen Strukturwandel verbunden. Der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft ging zwischen 1950 und 1960 jährlich um durchschnittlich 2,7 % zurück, insgesamt verlor dieser Bereich 1,4 Millionen Arbeitskräfte. Dagegen nahm die Zahl der Ar- beitskräfte im sekundären Sektor um 3,4 Millionen zu, was einer durchschnitt- lichen jährlichen Steigerung der Beschäftigten von 3,4 % entspricht. Einen derart rapiden Wandel der Beschäftigungsstruktur hatte es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte nie zuvor gegeben37. Der industriell-gewerbliche Sektor der Wirtschaft wuchs in der Dekade des unbegrenzten westdeutschen Wirt- schaftswachstums im Durchschnitt jährlich um 9,5 %, während der Tertiär- sektor um 6,3 % und der Primärsektor nur um 3,9 % zunahm. „Tatsächlich ist das Wirtschaftswunder eigentlich als ‚Industriewunder‘ zu bezeichnen.“38

Im Bereich der Großindustrie waren vor allem die Eisen- und Stahlerzeugung sowie die Automobilindustrie am wachstumsintensivsten. Unternehmen wie Thyssen oder auch Volkswagen standen für diese Entwicklung; so lief zum Beispiel im August 1955 der VW-Käfer zu millionsten Mal vom Band. Aber nicht nur die großen Unternehmen, sondern in erster Linie die vielen mittel- ständischen und kleinen Firmen trugen zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Sie konnten sich schnell an veränderte Nachfrage- und Marktbedingungen anpas- sen, was besonders im Maschinenbau deutlich wurde. Ähnliches gilt für das Handwerk, welches nicht nur zum wesentlichen Teil das Arbeitsmarktangebot trug, sondern auch die Facharbeiterausbildung. Sie bildete einen Grundstein der bundesdeutschen Wettbewerbsfähigkeit weit über die 1950er Jahre hin- aus39.

37 Vgl. hierzu auch Kapitel 4.5.

38 Hettlage: Wirtschaft als Mythos, S. 68.

39 Vgl. Harm G. Schröter: Von der Teilung zur Wiedervereinigung 1945- 2000. In: North (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 351-420, hier S. 366 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 149

Die Aussiedler trafen Ende der 1980er und in den 1990er Jahren dagegen auch im wirtschaftlichen Bereich auf Eingliederungsbedingungen, die sich von de- nen der Vertriebenen zwischen 1945 und 1960 stark unterschieden. Sie kamen nicht in ein vom Krieg zerstörtes Deutschland, dessen wirtschaftliche Zukunft zunächst ungewiß war und dessen Einwohner Hunger leiden mußten. Die zweite Welle von Deutschen aus dem Osten traf vielmehr zu einem Zeitpunkt ein, als die Bundesrepublik auf eine knapp 40jährige Geschichte zurückblicken konnte, die sich vor allem als eine Geschichte des ökonomischen Erfolges prä- sentiert hatte40. Im Gleichschritt mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung verzeichnete etwa die Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer einen star- ken Aufwärtstrend. In Industrie und Handwerk zum Beispiel erhöhte sich die jährliche durchschnittliche Bruttolohn- und -gehaltssumme von 3.162 DM im Jahr 1950 auf 55.770 DM zu Beginn der 1990er Jahre41.

Auf dem Arbeitsmarkt und in der sektoralen Beschäftigung hatte sich zwischen den ersten 10-15 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und dem ausgehenden 20. Jahrhundert ein tiefgreifender struktureller Wandel vollzogen. Der Anteil von Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung stieg zwischen 1950 und 1990 auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik von 46,2 % auf 49,8 %, bei einem gleichzeitigen Bevölkerungsanstieg von knapp 13 Mio. (1950: 50,6 Mio.; 1990: 63,3 Mio.). Im Gegensatz zu den Anfangsjahren der Bundesrepublik drängten nun deutlich mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt. Betrug die Frauen- erwerbsquote 1950 insgesamt 31,3 %, so war sie bis 1990 auf 39,2 % angestie- gen42.

Begleitet wurde diese Entwicklung von einem seit Mitte der 1970er und in den 1980er Jahren vielfältig stattfindenden Strukturwandel, der sich, bedingt die steigende Arbeitsproduktivität, vor allem in der fortgesetzten Deindustrialisie-

40 Vgl. im Überblick Werner Glastetter / Günter Högemann / Ralf Mar- quardt: Die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutsch- land 1950-1989. Frankfurt/M., New York 1991.

41 Vgl. Wilfried Feldenkirchen: Die deutsche Wirtschaft im 20. Jahrhun- dert. München 1998 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 47), S. 38 f.

42 Vgl. Weimer: Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 444 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 150 rung zeigte. Während der Anteil des sekundären Sektors an der Gesamtzahl der Beschäftigten von 1950 bis 1970 von 43 % auf 49 % angestiegen war, redu- zierte er sich bis 1996 bis auf 35 %. Innerhalb des sekundären Sektors verän- derten sich gleichzeitig die Anforderungen in Ausbildung und Qualifikation für die Arbeitnehmer. Zahlreiche manuelle Tätigkeiten fielen hier fort, weil sich aufgrund von Rationalisierung und Automatisierung der Arbeitsablauf in vielen Fällen von der Handarbeit an Maschinen zur Überwachung maschineller Ab- läufe verschob. Im warenproduzierenden Gewerbe nahmen dagegen die Tätig- keiten zu, die der Produktion vor- und nachgelagert sind, wie etwa Forschung und Entwicklung, Erforschung neuer Absatzpotentiale und -wege, Bereitstellen finanzieller Mittel, markterschließende Schritte usw. Die am unmittelbaren Produktionsprozeß nicht beteiligten, deswegen aber nicht weniger erforderli- chen Tätigkeiten nahmen infolge dieser Entwicklung zu, so daß die Zahl der Angestellten im sekundären Sektor schließlich jene der Arbeiter überstieg. Im Jahr 1995 beispielsweise waren nur noch 17,4 % der Erwerbstätigen mit Ge- winnung, Herstellung und Bau beschäftigt, Dienstleistungen wurden dagegen von 82,6 % erbracht43.

Der Trend zur Tertiärisierung läßt sich aber nicht nur bei den strukturellen Ver- änderungen innerhalb des zwischen den Anfangsjahren der Bundesrepublik und dem ausgehenden 20. Jahrhundert insgesamt schrumpfenden sekundären Sektors beobachten, sondern nicht zuletzt beim Blick auf die Gesamtentwick- lung der sektoralen Beschäftigung in diesem Zeitraum. Hier ist eine starke Zu- nahme des tertiären Sektors zu verzeichnen, der sich von 33 % (1950) auf 62 % (1996) nahezu verdoppelte. Dies kommt auch in der folgenden Tabelle 6 zum Ausdruck:

43 Vgl. Schröter: Von der Teilung zur Wiedervereinigung, S. 393. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 151

Tabelle 6: Sektoraler Beschäftigungswandel in der Bundesrepublik Deutschland 1950-1996 (in %)

Primärer Sektor Sekundärer Sektor Tertiärer Sektor 1950 24 43 33 1970 8 49 43 1996 3 35 62

Quelle: Weimer: Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 448.

Die Bundesrepublik entwickelte sich also mehr und mehr zu einer Dienstlei- stungsgesellschaft, und dieser Trend erreichte in den 1990er Jahren seinen bis dahin vorläufigen Höhepunkt. Eine nurmehr marginale Rolle in der sektoralen Beschäftigung spielte dagegen der primäre Sektor, also Land- und Forstwirt- schaft. Rationalisierung und Mechanisierung veränderten die Produktionsme- thoden hier noch weit grundlegender als etwa in Industrie und Handwerk, zu- dem boten sich im Vergleich zu anderen Berufsgruppen nur geringe Verdienst- möglichkeiten. Zwischen 1960 und 1995 reduzierte sich die Zahl der Erwerbs- tätigen im primären Sektor daraufhin von 3,5 Millionen auf 1,02 Millionen44.

Die verstärkt rationelle, mechanisierte und automatisierte Arbeitsweise im pri- mären und sekundären Sektor erforderte deutlich weniger Personal. Zahlreiche Arbeitskräfte wurden freigesetzt, die nicht im entsprechenden Maße Beschäfti- gung im tertiären Sektor fanden. Deshalb verzeichnete die Bundesrepublik, wie fast alle westeuropäischen Staaten, ab Mitte der 1970er Jahre eine strukturell bedingte, persistente Arbeitslosigkeit45. Die strukturellen Veränderungen brachten gleichzeitig immer größere Anforderungen an Berufsausbildung und Qualifikation der Arbeitnehmer mit sich. Zwischen beruflicher Qualifikation und Arbeitslosigkeit ist ein enger Zusammenhang feststellbar, denn die Ar- beitslosenquote ist im höchsten für Personen ohne Berufsausbildung. Auch innerhalb der Personen, die eine Berufsausbildung haben, ist die Arbeitslosig- keit bei denen, die geringer qualifiziert sind, höher als bei denen mit formal

44 Zu den Auswirkungen des Strukturwandels zwischen den frühen Jahren der Bundesrepublik und dem ausgehenden 20. Jahrhundert auf den pri- mären Sektor vgl. Feldenkirchen: Die deutsche Wirtschaft, S. 36 ff.

45 Vgl. Metz: Säkulare Trends der deutschen Wirtschaft, S. 454 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 152 besserer Qualifizierung. Im Jahresdurchschnitt 1993 zum Beispiel lag die Ar- beitslosenquote in Westdeutschland für Erwerbspersonen ohne Ausbildung bei 17,7 %, dagegen lag sie für jene mit Ausbildung zwischen 6 % (Lehre, Berufs- fachschule) und 2,8 % (Fachschule)46. Spezielle Anforderungen an die Arbeit- nehmer wurden zunehmend in allen Bereichen erwartet, so auch im stark an- gewachsenen Dienstleistungssektor. Das gilt insbesondere für Zuwanderer wie die Aussiedler, weil sich Dienstleistungsberufe stärker an nationalen Spezifika und Sprachfähigkeiten orientieren als manuelle Berufe47.

Eine nachgerade umgekehrte Entwicklung in den Eingliederungsbedingungen von Vertriebenen und Aussiedlern zeigt sich beim Blick auf Konjunktur und Arbeitslosigkeit. Die Bedingungen, die die Vertriebenen nach ihrer Zwangsmi- gration in den Westen vorfanden, erschienen zunächst äußerst deprimierend, besserten sich aber dann rasch und fanden im Wirtschaftsboom der 1950er Jah- re ihren positiven Kulminationspunkt. Dagegen waren sowohl die konjunktu- relle Situation als auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in den ersten Jahren der starken Aussiedlerzuwanderung günstig für ihre Eingliederung in den deut- schen Arbeitsmarkt. Diese Bedingungen verschlechterten sich aber zusehends.

Nach einem Börsencrash im Oktober 1987, Währungsturbulenzen und außen- wirtschaftlichen Spannungen profitierte die Bundesrepublik genau in dem Jahr, das den Beginn der Massenzuwanderung von Aussiedlern markiert, also 1988, von einem deutlichen Anstieg der Weltkonjunktur. Die Industrieländer ver- zeichneten ein reales Wachstum von 4 % und damit ein ausnehmend gutes Er- gebnis. In Deutschland wurde eine Wachstumsrate von 3,4 % (1987: 1,8 %) erreicht, die damit so hoch war wie seit dem Ende der 1970er Jahre nicht mehr. Auch die Zahl der Beschäftigten nahm kräftig zu, sie stieg von 27.163.000

46 Vgl. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Hrsg.): Zahlenfibel. Nürnberg 1995 (Beiträge aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Bd. 101), S. 233.

47 Vgl. Münz/Ohliger: Deutsche Minderheiten in Ostmittel- und Osteuropa, S. 18. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 153

(1987) über 27.372.000 auf 27.766.000 im Jahr 198948. Es war also ein deutli- cher Bedarf an Arbeitskräften vorhanden.

Die Ende der 1980er Jahre einsetzende positive konjunkturelle Entwicklung in Deutschland wurde zu Beginn der 1990er Jahre noch einmal verstärkt durch die Auswirkungen der Wiedervereinigung. Das frischvereinte Deutschland startete zu einer Sonderkonjunktur durch und koppelte sich für einige Zeit von der weltwirtschaftlichen Entwicklung ab, denn in den wichtigsten anderen In- dustrieländern ging der Aufschwung zu Ende, drückte der erste Golfkrieg die Stimmung und machten sich erste rezessive Tendenzen bemerkbar. In der Bundesrepublik dagegen nahm das reale Bruttosozialprodukt 1990 so stark zu wie seit Mitte der 1970er Jahre nicht mehr, nämlich um 4,5 %. Getragen wurde der Vereinigungsboom nahezu gänzlich von heimischen Triebkräften. Allein aus den öffentlichen Kassen flossen in den ersten drei Jahren nach der Wieder- vereinigung mehr als 450 Milliarden DM in die neuen Bundesländer – ein Aufbauprogramm von bis dahin welthistorisch einmaliger Dimension. Mit der Umstellung der Ost-Mark auf D-Mark49 erhöhte sich faktisch das Geldvermö- gen der Ostdeutschen um das Fünffache. Von der raschen Währungsumstellung in Ostdeutschland wurden ähnlich positive Effekte erhofft wie seinerzeit mit der Einführung der D-Mark im Zuge der Währungsreform 1948. Und tatsäch- lich begannen die neuen Bundesbürger nun damit, ihren über 40 Jahre aufge- stauten Konsumbedarf nach westlichen Gütern – sei es ein Auto, ein Video- gerät oder eine Spanienreise – zu befriedigen. Schon im zweiten Halbjahr 1990 lagen die Einzelhandelsumsätze Westdeutschlands um 13 % höher als ein Jahr zuvor50.

Vom Vereinigungsboom profitierte auch der Arbeitsmarkt, zumindest der in Westdeutschland. Hier kam es zu einer Einstellungswelle wie seit den 1950er

48 Zum 1988 einsetzenden Aufschwung vgl. Weimer: Deutsche Wirt- schaftsgeschichte, S. 351 ff.

49 Der Außenwert der DDR-Mark war gegenüber der D-Mark auf unter 1:4 abgerutscht. Trotzdem legte die Bonner Regierung den Umtauschkurs für einen Pro-Kopf-Sockel bis 2.000 DM auf 1:1 und darüber hinaus auf 1:2 fest.

50 Vgl. Weimer: Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 384 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 154

Jahren nicht mehr. Allein 1990 nahm die Beschäftigung in der alten Bundesre- publik gegenüber dem Vorjahr um knapp 700.000 Personen zu und erreichte mit 28,4 Millionen Erwerbspersonen einen ersten Nachkriegshöchststand. Die- ser wurde 1991 noch einmal übertroffen, als 29,2 Millionen Beschäftigte und damit noch einmal 750.000 mehr gezählt wurden als im Jahr zuvor. Die Ar- beitslosenquoten sackten nun deutlich ab. Während die Arbeitslosenquote in den strukturellen Umbrüchen der 1970er Jahre auf über 4 % angestiegen war und 1985 mit 9,3 % ein erstes Nachkriegshoch erreicht hatte, sank sie im Ende der 1980er Jahre einsetzenden und Anfang der 1990er Jahre noch einmal for- cierten Aufschwung von 8,7 % (1988) auf 6,3 % (1991). Die Zahl der Arbeits- losen reduzierte sich im selben Zeitraum von 2.242.000 auf 1.689.000. Schon wurde von einem ‚zweiten Wirtschaftswunder‘ gesprochen: In Anlehnung an den enormen Wirtschaftsboom, der die Gründerjahre der alten Bundesrepublik begleitet hatte, wurde für die Gründerjahre der neuen, nunmehr wiederverei- nigten Bundesrepublik eine den 1950er Jahren ähnliche Phase langanhaltenden Aufschwungs erwartet51.

Von dieser positiven Entwicklung in unmittelbarer Folge der Einheit blieben die neuen Bundesländer allerdings weitestgehend ausgeschlossen, und mehr noch: Mit der deutsch-deutschen Vereinigung änderten sich die ökonomischen Kräfteverhältnisse innerhalb des neuen Staates. Aus der alten Nord-Süd- Spaltung in leistungsfähige und weniger leistungsfähige Bundesländer wurde eine Ost-West-Spaltung. Sie resultierte aus den Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung im ‚real existierenden Sozialismus‘ der DDR, die sich gänzlich anders vollzogen hatte als in der Bundesrepublik52. Die ob ihres Potentials

51 Vgl. Feldenkirchen: Die deutsche Wirtschaft, S. 31.

52 Vgl. Herwig E. Haase: Das Wirtschaftssystem der DDR. Eine Einfüh- rung. 2Berlin 1990 (Staatliche Planungen, Bd. 5); Siegfried Wenzel: Wirtschaftsplanung in der DDR. Struktur, Funktion, Defizite. Berlin 1992 (Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Nr. 75); Albrecht Ritschl: Aufstieg und Niedergang der Wirt- schaft der DDR. Ein Zahlenbild 1945-1989. In: Jahrbuch für Wirtschafts- geschichte 2 (1995), S. 11-46; Christoph Buchheim: Die Wirtschafts- ordnung als Barriere des gesamtwirtschaftlichen Wachstums der DDR. In: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 82 (1995), S. 194-210; Johannes Bähr / Dietmar Petzina: Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen. Vergleichende Studien zur wirtschaftlichen 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 155 auch im Westen überschätzten und in ihrem Kern maroden Industriebetriebe der ehemaligen DDR gerieten schlagartig unter den vollen Druck der westli- chen Konkurrenz, die sowohl im technischen Bereich als auch im Rationalisie- ren und Differenzieren von Produktionsprozessen hoch überlegen und zudem wettbewerbserprobt war. Diesem Druck konnten viele Betriebe nicht standhal- ten, zumal auch noch die traditionellen Absatzmärkte für ostdeutsche Produkte in Osteuropa und damit der Export zusammenbrachen. Im Westen waren Ost- produkte ohnehin schwer zu verkaufen, und nun verlangten auch die Menschen in Ostdeutschland mehr und mehr nach neuen, westlichen Waren. So war es bis Mitte der 1990er Jahre schwer, selbst Produkte der ostdeutschen Nahrungs- mittelindustrie wie Konserven abzusetzen53.

Vor diesem Hintergrund brach die ostdeutsche Industrie schließlich zusammen. Trotz erheblicher Subventionen erwies sich die Mehrheit der von der Treu- handanstalt privatisierten Unternehmen als nicht überlebensfähig. Hinzu kam, daß die Volkswirtschaft der DDR überindustrialisiert war. Die neuen Länder mußten den Deindustrialisierungsprozeß, der in Westdeutschland schon seit knapp 20 Jahren anhielt, nun schlagartig und von einem höheren Ausgangs- niveau ausgehend durchführen. Allein 1991 reduzierte sich die Zahl der Indu- striebeschäftigten in Ostdeutschland um knapp 600.00054. Hieraus resultierte ein großer Anstieg der Arbeitslosigkeit, und die Arbeitslosenquoten im Osten lagen in der Folgezeit mitunter doppelt so hoch wie im Westen. Anstelle der vom damaligen Bundeskanzler Kohl versprochenen ‚blühenden Landschaften‘ entwickelten sich in den neuen Ländern extrem schwierige wirtschaftliche Be- dingungen, die dauerhaft hohe finanzielle Transferleistungen aus dem Westen erforderten.

Trotz Währungsunion und Wiedervereinigung begann angesichts dieser Ent- wicklung in den 1990er Jahren, ähnlich wie in den 1950er Jahren, wiederum eine starke Ost-West-Migration. Aus der ehemals transnationalen Migration

Entwicklung im geteilten Deutschland 1945-1990. Berlin 1996 (Schriften zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 48).

53 Vgl. Schröter: Von der Teilung zur Wiedervereinigung, S. 412.

54 Vgl. Weimer: Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 382. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 156 war aber nunmehr eine Binnenwanderung geworden55. Und wieder waren es in erster Linie wirtschaftliche Motive, die die Menschen veranlaßten, Ost- deutschland in Richtung alte Bundesrepublik zu verlassen. Anfang der 1990er Jahre wurden zwar noch schlechte Wohnverhältnisse und Umweltverschmut- zung sowie das politische Motiv der Furcht vor Benachteiligung durch ‚alte Seilschaften‘ im Osten als relativ häufige Migrationsgründe genannt. Doch schon bald traten an ihre Stelle fehlende Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie bessere Lebensbedingungen, eingedenk eines höheren Einkommens und besse- rer Zukunftschancen56.

Nach dem Höhepunkt der Abwanderung von Ost- nach Westdeutschland mit fast 400.000 Menschen im Jahr 1990 ging diese Zahl bis 1992 auf knapp die Hälfte zurück. In den Jahren 1992 bis 1997 bewegte sie sich zwischen 72.000 und 166.000 jährlich. Seit 1997 stieg die Zahl der Fortzüge aus Ostdeutschland stark an und überschritt 2000 erstmals seit 1992 wieder die Marke von 200.000. Wie in den 1950er Jahren erfolgte die Abwanderung erneut sehr se- lektiv, das heißt unter denjenigen, die Ostdeutschland verließen, waren über- durchschnittlich viele junge und gut ausgebildete Personen57. Sie drängten in den 1990er Jahren verstärkt auf den westdeutschen Arbeitsmarkt und erhöhten dort die Konkurrenz unter den Arbeitnehmern.

Nicht nur die besondere Situation in Ostdeutschland, sondern auch die welt- konjunkturellen Bedingungen sorgten dafür, daß das Anfang der 1990er Jahre für die Bundesrepublik prognostizierte ‚zweite Wirtschaftswunder‘ nicht ein- trat. Im Gegenteil: Bereits ab 1992/93 machte sich eine Rezession bemerkbar, die zu einem starken Nachfragerückgang und steigenden Arbeitslosenzahlen beitrug; die (west-)deutsche Sonderkonjunktur war somit ausgelaufen. Im Jahr 1994 überschritt die Arbeitslosenquote in Ost und West mit insgesamt rund 3,7

55 Vgl. Hartmut Wendt: Von der Massenflucht zu Binnenwanderung: Die deutsch-deutschen Wanderungen vor und nach der Vereinigung. In: Geo- graphische Rundschau 46 (1994), S. 136-140.

56 Vgl. Roesler: „Abgehauen“, S. 568 f.

57 Zu den Zahlen der jährlichen Ost-West-Wanderung in den 1990er Jahren sowie zur Altersstruktur und zum Qualifikationsniveau dieser Binnenmi- granten vgl. ebd., S. 568-570. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 157

Millionen Personen ohne Beschäftigung die 10 %-Marke und lag damit erst- mals seit über 40 Jahren wieder im zweistelligen Bereich. Auch in den folgen- den Jahren sollte sich die Quote um diesen Wert herum bewegen. Einen Über- blick über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik von 1988-2000 gibt auch das folgende Schaubild 6.

Schaubild 6: Arbeitslosenquoten in der Bundesrepublik Deutschland 1988- 2000

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Insgesamt 10 Deutschland West Deutschland Ost 5

0

8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 8 8 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 0 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2

Quelle: Bundesagentur für Arbeit.

Schaubild 6 gibt deutlich den ab 1992/93 in der Bundesrepublik immer gerin- geren Bedarf an Arbeitskräften wieder. Die Abnahme der Beschäftigung er- folgte dabei allerdings sehr ungleich. So war zum Beispiel das Gesundheits- wesen der Bereich, der im oben dargestellten Zeitraum beschäftigungsmäßig am stärksten expandiert hatte. Dagegen gingen die meisten Arbeitsplätze verlo- ren bei der Bundesbahn, im Bekleidungsgewerbe sowie in der Eisen- und Stahlerzeugung. Dieser Beschäftigungsabbau ist allerdings nicht ausschließlich mit Nachfrageschwäche zu erklären. Auch Branchen, die sich gemessen am realen Umsatzwachstum sehr expansiv zeigten, wie etwa die Chemie oder die Elektrotechnik, setzten Arbeitskräfte frei. Der Grund hier lag in dem sich im- 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 158 mer stärker entwickelnden technischen Fortschritt und ständig verbesserten rationalisierten und automatisierten Produktionstechniken58.

Negativ auf den deutschen Arbeitsmarkt wirkte sich auch die in den 1990er Jahren durch das Ende des Kalten Krieges und den Wegfall von Handels- und Wirtschaftsbarrieren immer rasanter fortschreitende Globalisierung aus. Zahl- reiche Unternehmen kehrten Deutschland aufgrund der hohen Löhne und Lohnzusatzkosten den Rücken, um in anderen Ländern (Ost-)Europas und der Welt kostengünstiger zu produzieren. Dies entfachte in Politik und Wirtschaft eine kontrovers geführte Debatte über die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Letzlich sahen sich die Bundesrepublik und die hier ansässigen Unternehmen in den 1990er Jahren einer verstärkten internationalen Konkur- renz ausgesetzt und mußten sich im globalen Wettbewerb neu positionieren59.

Insgesamt war die konjunkturelle Situation in Deutschland ab 1992/93 durch – im Vergleich zum Zeitraum zwischen 1988 und 1991 – geringes Wirtschafts- wachstum und Mitte der 1990er Jahre sogar durch Rezession gekennzeichnet. Aber auch wenn in dem einen oder anderen Jahr die Wirtschaft stärker wuchs als durchschnittlich zwischen 1992 und 2000 und Unternehmen und einzelne Wirtschaftszweige positive Bilanzen vorlegten, hatte das keinen oder nur ge- ringen Einfluß auf die Arbeitslosigkeit. Hier kommt – neben Rationalisierung, Mechanisierung und Automatisierung – auch ein verändertes Konzept der Un- ternehmensführung zum Tragen, das sich in den 1990er Jahren in Deutschland große Firmen wie Hoechst oder Bayer offiziell zu eigen machten und das auch Politiker bedenkenlos vertraten. Das neue Konzept des ‚shareholder value‘ definiert als Unternehmensziel ausschließlich das Interesse der Eigner, also der Aktionäre. Die möglichst hohe Notierung des Unternehmens an der Börse ge- nießt Priorität. „Während in den 1950er Jahren noch mit Namen und Zeichen der ausgeglichenen Waage bei Arbeitnehmern Werbung für die soziale Markt- wirtschaft und gegen sozialistische Tendenzen gemacht wurde, erscheint dieser Gedanke aus der Perspektive der 1990er Jahren geradezu absurd.“60

58 Vgl. Feldenkirchen: Die deutsche Wirtschaft, S. 33.

59 Vgl. Weimer: Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 428 f.

60 Schröter: Von der Teilung zur Wiedervereinigung, S. 417. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 159

Die Börse ihrerseits reflektierte nicht mehr wie in früheren Jahren die Erwar- tung eines langfristig angelegten Unternehmenserfolges, sondern vielmehr kurzfristige finanzielle Ergebnisse. Hierzu sei an dieser Stelle ein Beispiel ge- nannt: Das Softwareunternehmen SAP verkündete im März 1998 die eigentlich positive Nachricht, daß es beabsichtige, sowohl im Jahresverlauf 5.000 neue Mitarbeiter einzustellen als auch, zwecks Motivierung der Mitarbeiter, diese direkt am Erfolg des Unternehmens zu beteiligen. Der SAP-Börsenkurs stieg daraufhin nicht etwa, sondern brach um 3 % ein61.

4.2. Das sozioökonomische Profil von Vertriebenen und Aussiedlern/ Spätaussiedlern

Die nähere Untersuchung des sozioökonomischen Profils von Vertriebenen und Aussiedlern gliedert sich im folgenden in zwei Bereiche: Zunächst wird der Blick auf die Altersstruktur beider Gruppen gerichtet, um sich anschließend der Erwerbstätigkeit und beruflichen Gliederung der Deutschen aus dem Osten in ihren Herkunftsgebieten zuzuwenden.

Die Altersstruktur von Migranten ist für ihre berufliche Eingliederung insofern von Bedeutung, als sie deren Beteiligung am Erwerbsleben und ihre Produkti- vität beeinflußt. In der Regel sind die jüngeren Jahrgänge bei Migranten stärker besetzt als bei der Bevölkerung im Zielgebiet. Die meisten der aus sozioöko- nomischen Motiven resultierenden internationalen Migrationsbewegungen er- folgten aus Herkunftsländern mit einem höheren Anteil an junger Bevölkerung in Länder mit einem höheren Anteil an älterer Bevölkerung. Dies wird ver- stärkt durch einen Auswahlprozeß innerhalb der zuwandernden Bevölkerung, denn die Bereitschaft zur Migration ist in jüngeren Altersgruppen stärker aus- geprägt62.

Die Zwangszuwanderung der Vertriebenen stellte hingegen keine solche Aus- wahl dar. Dabei suggeriert die Erinnerung an die Flüchtlingstrecks aus dem Osten am Kriegsende und in der Nachkriegszeit leicht den Eindruck, daß es sich bei der zuwandernden Vertriebenenbevölkerung in der überwiegenden

61 Vgl. ebd., S. 416.

62 Vgl. Ulrich: Vertriebene and Aussiedler, S. 159. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 160

Mehrzahl um junge Frauen mit kleinen Kindern und alte Menschen gehandelt habe. Es gilt aber zu berücksichtigen, daß die Vertreibung auch die erwachse- ne, im Erwerbsleben stehende männliche Bevölkerung der Vertreibungsgebiete betraf. Im Gegensatz zu den obengenannten Gruppen war für sie das Flucht- und Vertreibungsgeschehen aber in der Regel keine direkte Erfahrung. Vertrie- ben wurden sie, sozusagen indirekt, erst nach der Rückkehr aus Krieg und Ge- fangenschaft, als sie aufgrund der nach 1945 neugezogenen Grenzen in Osteu- ropa nicht mehr die Möglichkeit hatten, in die Heimat zu gelangen63. Auch sie wurden statistisch erfaßt und der Vertriebenenbevölkerung zugerechnet.

Obwohl bei den Vertriebenen der aus ‚freien‘ Wanderungen bekannte Aus- wahlprozeß zugunsten der jüngeren Jahrgänge nicht greifen konnte, waren die jüngeren und mittleren Jahrgänge bis 45 Jahre unter ihnen zahlenmäßig stärker vertreten als in der einheimischen Bevölkerung, während die älteren Jahrgänge schwächer besetzt waren. Dies verdeutlicht folgende Tabelle 7, der die Zahlen der Volkszählung vom 13.9.1950 zugrunde liegen:

Tabelle 7: Altersgruppen bei Vertriebenen und übriger Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland 1950 (in %)

Altersgruppen Vertriebene Bevölkerung Stand 13.09.1950 bis unter 6 8,5 8,2 6 bis unter 14 14,8 13,5 14 bis unter 18 6,4 6,1 18 bis unter 21 4,6 4,2 21 bis unter 25 6,7 5,8 25 bis unter 45 30,0 27,9 45 bis unter 65 21,8 24,6 65 und älter 7,2 9,7

Quelle: Bethlehem: Heimatvertreibung, S. 35.

63 Vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 307. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 161

Während 1950 bei den Vertriebenen 69,5 % im erwerbsfähigen Alter zwischen 14 und 65 Jahren lagen, erreichte die einheimische Bevölkerung hier 68,6 %. Werden die von Bethlehem als besonders produktiv eingestuften Altersgruppen zwischen 14 und 45 Jahren zugrunde gelegt64, ergibt sich sogar ein Verhältnis von 47,7 % zu 44 %. Der sich nicht nur hierin, sondern insgesamt zeigende etwas jüngere Altersdurchschnitt der Vertriebenen resultierte teilweise daraus, daß zum Beispiel die ostelbischen Gebiete des Deutschen Reiches schon vor dem Zweiten Weltkrieg über einen jüngeren Altersaufbau verfügten als die restlichen Gebiete65. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch, daß der Weg in den Westen, d. h. in die spätere Bundesrepublik, für viele Vertriebene zumeist über das Gebiet der SBZ führte. Für die körperlich und sozial Schwächsten unter ihnen endete hier zunächst die Wanderung. Weiter zogen vor allem diejenigen, die wirtschaftlich mobiler waren. „Die sowjetische Besatzungszone wirkte in dieser Hinsicht wie ein Filter.“66

Wie gestaltete sich nun der Altersaufbau der zweiten großen Welle von Deut- schen aus dem Osten? Da es sich bei der Aussiedlerzuwanderung ab 1988 um eine freiwillige Form der Migration handelte, ist anzunehmen, daß ihre Struk- tur zugunsten der jüngeren Jahrgänge deutlich von der der einheimischen Be- völkerung abweicht. Tabelle 8 bestätigt diese Annahme:

64 Vgl. Bethlehem: Heimatvertreibung, S. 36. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in der Literatur unterschiedliche Einteilungen von ‚produktivsten‘ oder ‚leistungsfähigsten‘ Altersgruppen zu finden sind. Während es zum Beispiel für Grebing/Pozorski/Schulze die 20- bis 35jährigen sind, sind es für Nellner die 14- bis 50jährigen, vgl. Grebing/Pozorski/Schulze: Die Nachkriegsentwicklung in Westdeutschland, S. 19 und Werner Nellner: Grundlagen und Hauptergebnisse der Statistik. In: Lemberg/Edding (Hrsg.): Die Vertriebenen in Westdeutschland, Bd. 1, S. 61-144, hier S. 87.

65 Vgl. Friedrich Edding: Bevölkerung und Wirtschaft. In: Lemberg/Edding (Hrsg.): Die Vertriebenen in Westdeutschland, Bd. 2, S. 1-52, hier S. 15.

66 Abelshauser: Der Lastenausgleich, S. 235. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 162

Tabelle 8: Aussiedler im Zuwanderungszeitraum 1988-2000 und übrige Bevölkerung nach Altersgruppen (in %)

Altersgruppen Aussiedler Bevölkerung Stand 31.12.2000 bis unter 6 9,76 5,73 6 bis unter 18 22,56 13,11 18 bis unter 20 3,29 2,30 20 bis unter 25 8,14 5,65 25 bis unter 45 34,08 30,70 45 bis unter 60 12,11 18,90 60 bis unter 65 3,94 6,95 65 und älter 6,15 16,65

Quelle: Jahresstatistik Aussiedler, eigene Berechnung; Statistisches Bundes- amt.

In allen Altersgruppen bis unter 45 Jahren waren die Aussiedler stärker besetzt als die einheimische Bevölkerung. Dies gilt insbesondere für die Altersgruppen bis unter 25 Jahren: Deren Anteil betrug bei den Aussiedlern knapp 44 %, bei der Bevölkerung in der Bundesrepublik dagegen nur etwa 27 %. Nachgerade umgekehrt gestaltete sich dagegen das Bild für die Altersgruppen ab 45 Jahren: Während bei den Aussiedlern von 1988 bis 2000 insgesamt 22 % älter als 45 Jahre waren, waren es in der Bundesrepublik am 31.12.2000 42 %. Deutlich wird in Tabelle 3 auch, daß insbesondere der Anteil der über 65jährigen bei den Aussiedlern (6,15 %) klar hinter dem der einheimischen Bevölkerung (16,65 %) zurückblieb.

Im Gegensatz zu den Vertriebenen, deren Zustrom sich in nur knapp einem Jahrfünft vollzog, erstreckte sich die Aussiedlerzuwanderung im Untersu- chungszeitraum 1988-2000, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt, konti- nuierlich über 12 Jahre, also in einer deutlich längeren Zeitspanne. Deshalb gilt für Letztere im besonderen, was bei einem Vergleich zwischen Vertriebenen und Aussiedlern im allgemeinen gilt, nämlich die Unterscheidung nach dem Zuwanderungszeitpunkt. So läßt sich im Hinblick auf die Altersstruktur der zweiten großen Migrationsbewegung von Deutschen aus dem Osten beispiels- weise feststellen, daß in den ersten Jahren nach 1988 vor allem der Anteil der 20- bis unter 45jährigen noch stärker besetzt war als insgesamt zwischen 1988 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 163 und 2000, während die älteren Jahrgänge über 65 einen geringeren prozentua- len Anteil ausmachten, wie Tabelle 9 zeigt:

Tabelle 9: Aussiedler im Zuwanderungszeitraum 1988-1990 und übrige Bevölkerung nach Altersgruppen (in %)

Altersgruppen Aussiedler Bevölkerung Stand 31.12.1989 bis unter 6 11,73 6,3 6 bis unter 18 18,67 11,9 18 bis unter 20 3,25 2,7 20 bis unter 25 9,25 8,5 25 bis unter 45 35,26 29,4 45 bis unter 60 12,93 20,4 60 bis unter 65 4,15 5,5 65 und älter 4,47 15,3

Quelle: Jahresstatistik Aussiedler, eigene Berechnung; Statistisches Bundes- amt.

In den ersten drei Jahren ihrer starken Zuwanderung waren 44,5 % der einrei- senden Aussiedler zwischen 20 und 45 Jahren alt, im Gesamtzuwanderungs- zeitraum 1988-2000 waren es 42,2 %. Dagegen blieb der Anteil der über 65jährigen von 1988 bis 1990 mit 4,47 % unter dem von 1988 bis 2000 (6,15 %). Ulrich begründete diese Unterschiede folgendermaßen: „During the first years of the current wave of resettlement the youngest and most mobile Germans came first. If resettlement continues, an increasing number of older people will follow their relatives who are already in Germany“.67 Im weiteren Verlauf der 1990er Jahre stieg der Anteil der 65jährigen und Älteren an der jährlich zuwandernden Aussiedlerbevölkerung in der Tat an (zum Beispiel 1997: 7,28 %), blieb aber dabei immer noch klar unter dem der übrigen Bevöl- kerung (1997: 17,00 %).

Tabelle 9 zeigt neben der altersmäßigen Gliederung der Aussiedlerzuwande- rung von 1988 bis 1990 auch diejenige der bundesdeutschen Bevölkerung zu

67 Ulrich: Vertriebene and Aussiedler, S. 161. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 164 einem Zeitpunkt kurz nach Beginn der seit der Nachkriegszeit in diesen Di- mensionen nicht mehr erlebten Migration von Deutschen aus dem Osten. Nicht zuletzt in diesen deutlichen Unterschieden hinsichtlich der Altersstruktur be- gründeten sich, neben einer vermeintlich nur geringen kulturellen Distanz zur einheimischen Bevölkerung68, die günstigen Prognosen, die am Anfang der Massenzuwanderung der Aussiedler Ende der 1980er bezüglich ihrer Einglie- derung gestellt wurden69. Damit würden die Aussiedler, ebenso wie die Über- siedler aus der DDR, einen wichtigen Beitrag leisten, um der zunehmenden Geriatrisierung der Bevölkerung und den entsprechenden negativen Folgen für die sozialen Sicherungssysteme entgegenzuwirken, betonte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, im November 1989. „Vor allem bringen die Aus- und Übersiedler viele Kinder mit. Die in der Bundesrepublik nur schwach besetzte nachwachsende Generation, die zu Beginn des nächsten Jahrhunderts die Lasten der sozialen Sicherung tragen muß, erhält somit eine merkliche Verstärkung.“70 Ähnlich argumentierten auch die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft. Neben einer generellen ‚Verjüngungskur‘ für Wirt- schaft und Bevölkerung sahen sie zu Beginn der 1990er Jahre in der Einreise der deutlich jüngeren Aussiedlerbevölkerung aufgrund der Neigung jüngerer Personen, eher eine berufliche Ausbildung zu durchlaufen, auch eine Bereiche- rung für das zukünftige Facharbeiterpotential. Da in der deutschen Wirtschaft ein Facharbeitermangel insbesondere im industriellen und gewerblichen Be- reich herrsche, könnten die deutschen Einwanderer aus Osteuropa diesen auf- grund ihrer Ausbildungsstruktur und Arbeitsmotivation ausgleichen71.

68 In einem Gutachten des Instituts der Deutschen Wirtschaft zum Thema ‚Die Integration deutscher Aussiedler‘ von 1989 wurde zum Beispiel an- gemerkt, daß „wegen der ethnischen Herkunft und kulturellen Identität der Aussiedler […] praktisch keine soziokulturellen Integrationsproble- me und -folgen entstehen“ werden, vgl. Die Integration deutscher Aus- siedler: Perspektiven für die Bundesrepublik Deutschland. Gutachten, In- stitut der Deutschen Wirtschaft, Köln 1989, S. 216.

69 Vgl. Kapitel 1.1.

70 Walter: Keine Gefahr für den Arbeitsmarkt durch Aus- und Übersiedler, S. 7.

71 Vgl. Hartmut Reese / Irmgard Weyrather: ‚Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft begrüßten vorbehaltlos den Aussiedler-Zustrom‘. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 165

Der Blick auf die Altersgliederung von Vertriebenen und Aussiedlern hat ge- zeigt, daß sie in diesem Punkt recht günstige Voraussetzungen für ihre berufli- che Eingliederung mitbrachten. Insbesondere die jüngeren und mittleren Jahr- gänge, die in der Regel zu den mobilsten und leistungsfähigsten gehören, wa- ren stärker, bei den Aussiedlern sogar deutlich stärker besetzt als die älteren Jahrgänge, die entweder am Ende ihres Erwerbslebens oder nicht mehr im Er- werbsleben standen. Neben diesen demographischen spielen, wie eingangs des Kapitels erwähnt, bei der beruflichen Eingliederung nicht zuletzt auch die zu- wandernde Bevölkerung charakterisierende ökonomische Merkmale eine wichtige Rolle. Im folgenden geht es deshalb um die Fragen, wie die Erwerbs- beteiligung von Vertriebenen und Aussiedlern in ihren Herkunftsgebieten war, welche Berufsstruktur sie hatten und inwieweit diese sich von den Bedingun- gen des jeweiligen Arbeitsmarktes, auf den sie trafen, unterschied. Je geringer diese Differenz ausfällt, desto größere Eingliederungschancen lassen sich er- warten.

Dabei ergibt sich bei den Vertriebenen das methodische Problem, daß über das Erwerbsleben vor Flucht und Vertreibung von denjenigen, die tatsächlich in das Bundesgebiet gelangten, keine Zahlen vorliegen. Zahlen liegen nur vor für alle Deutschen und Deutschstämmigen in den späteren Vertreibungsgebieten vor dem Zweiten Weltkrieg; Kriegs- und Vertreibungsverluste usw. müssen somit unberücksichtigt bleiben. Um dennoch einen Eindruck vom Erwerbsle- ben der späteren Zwangszuwanderer zu vermitteln, werden von einigen Auto- ren die Ergebnisse der Volks- und Berufszählung vom Mai 1939 für die deut- schen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße und den ‚Reichsgau Sudeten- land‘ herangezogen. Obwohl aus diesen Gebieten der Großteil der Vertriebe- nen kam, können die Zahlen nicht stellvertretend für die gesamte Gruppe der Vertriebenen stehen, da die anderen Vertreibungsgebiete (etwa der südosteuro- päische Raum) unberücksichtigt bleiben. Aus diesem Grund greift es zu kurz, bei der Darstellung des Erwerbslebens der Vertriebenen vor dem Zweiten Weltkrieg nur auf die Zahlen der Volks- und Berufszählung von 1939 zurück-

Anmerkungen zur Haltung der westdeutschen Wirtschaft zur Aussiedler- Frage. In: Otto (Hrsg.): Westwärts – Heimwärts?, S. 133-150. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 166 zugreifen und dann einheitlich von ‚Vertreibungsgebieten‘ oder ‚Vertriebenen‘ zu sprechen, ohne hier näher zu differenzieren72.

Reichling ergänzt deshalb in seinem Überblick über die Veränderung in der beruflichen und sozialen Gliederung der Vertriebenen zwischen 1939 und 195073 für den Zeitpunkt vor dem Zweiten Weltkrieg die Ergebnisse der Volks- und Berufszählung von 1939 durch Schätzungen für die übrigen Ver- treibungsgebiete. Auf der Basis seines methodischen Vorgehens kommt er zu dem Schluß, daß seine Berechnungen einen einigermaßen zutreffenden Ein- druck davon vermitteln können, „wie die berufliche und soziale Gliederung der im Bundesgebiet aufgenommenen Heimatvertriebenen vor dem Kriege ausge- sehen haben mag.“74 An den Ergebnissen dieses in Fragen betreffend die Ver- triebenen ausgewiesenen Statistikers wollen wir uns im folgenden zunächst orientieren.

Demnach betrug der Anteil der Erwerbspersonen bei den Vertriebenen im Jahr 1939 49,5 %, bei der übrigen Bevölkerung (im späteren Bundesgebiet) 50,9 %75. Die Erwerbsbeteiligung bei den späteren Zwangszuwanderern war somit also etwas niedriger als im Westen. Die Ursache hierfür ist für die Ge- samtgruppe der Vertriebenen nicht eindeutig zu benennen. Für die vor dem Krieg im Vergleich zur späteren Bundesrepublik niedrigere Erwerbsbeteiligung in den deutschen Ostgebieten, aus denen mit 57 % die Mehrzahl der Vertriebe- nen kam, sieht Nellner zwei Gründe: zum einen die stärkere Besetzung der jüngeren Altersgruppen im noch nicht erwerbsfähigen Alter. Ein zweiter Grund ist für ihn die Abwanderung vieler Ostdeutscher im erwerbsfähigen Alter in die Industriezentren Mittel- und Westdeutschlands sowie nach Berlin, um sich dort Arbeit zu suchen. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben kehrten sie

72 Wie etwa bei Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 207 ff., ähnlich auch Rauch: Die berufliche Eingliederung der Vertriebenen.

73 Vgl. Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik, S. 204 ff.

74 Ebd., S. 204; zu seiner Methodik vgl. ausführlich S. 204 f.

75 Vgl. ebd., S. 207. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 167 teilweise wieder in ihre Herkunftsregionen zurück und vergrößerten so den dortigen Anteil der Personen, die nicht (mehr) im Erwerbsleben standen76.

Im Gegensatz dazu lag die Erwerbsbeteiligung der einreisenden Aussiedler in ihren Herkunftsgebieten zum Teil deutlich über der der einheimischen Bevöl- kerung in der Bundesrepublik. Das läßt sich insbesondere in den ersten Jahren nach Beginn ihrer starken Zuwanderung ab 1988 feststellen. So lag zum Bei- spiel der Anteil der Erwerbspersonen bei den einreisenden Aussiedlern von 1988 bis 1991 mit 56,1 % um 8 % höher als bei der einheimischen Bevölke- rung (1989: 48,3 %). Auch zu späteren Zeitpunkten ist bei den Aussiedlern eine höhere Erwerbsbeteiligung als bei den Einheimischen zu beobachten (zum Beispiel 1996: Aussiedler 53,6 %, Einheimische dagegen 48,8 %).

Die stärkere Erwerbsbeteiligung der zuwandernden Aussiedlerbevölkerung im Vergleich zur Bevölkerung in der Bundesrepublik begründet sich einerseits in ihrer jüngeren Altersstruktur. Dadurch, daß bei den Aussiedlern gerade die Altersgruppen zwischen 18 und 45 Jahren deutlich stärker besetzt waren, war dementsprechend auch der Anteil derjenigen größer, die in ihren Herkunftsge- bieten am Erwerbsleben beteiligt waren. Die höhere Erwerbsquote der Aus- siedler vor ihrer Zuwanderung in die Bundesrepublik resultierte aber nicht zu- letzt auch aus der höheren Frauenerwerbstätigkeit in den Herkunftsländern. Dort war die Berufstätigkeit von Frauen und Männern annähernd gleich häufig, während in Westdeutschland Frauen signifikant seltener berufstätig waren als Männer. Die Gründe hierfür sind in der Zeit vor den politischen Umbrüchen in Osteuropa Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre zu suchen: In den soziali- stischen Staaten jenseits des Eisernen Vorhangs resultierte die stärkere Er- werbsbeteiligung von Frauen aus dem ideologischen Anspruch, eine möglichst weitreichende Emanzipation auch im Berufsleben zu gewährleisten. Frauener- werbstätigkeit wurde dementsprechend staatlich besonders gefördert77. Der volle Einbezug von Frauen in das Beschäftigungssystem hatte darüber hinaus aber auch rein pragmatische Ursachen. In der Sowjetunion zum Beispiel, aus

76 Vgl. Nellner: Grundlagen und Hauptergebnisse der Statistik, S. 68.

77 Dies geschah beispielsweise mit einer umfangreichen staatlichen Kinder- betreuung sowie Regelungen von Mutterschaftsschutz und -urlaub. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 168 deren ehemaligem Staatsgebiet seit Anfang der 1990er Jahre der Großteil der Aussiedlerinnen und Aussiedler einreiste, orientierte er sich an den Erforder- nissen der in den 1920er Jahren einsetzenden Industrialisierung. In der Folge von Bürgerkrieg, Deportationen, Kollektivierung der Landwirtschaft und Zweitem Weltkrieg herrschte dort ein Mangel an männlichen Arbeitskräften für die aufstrebende industrielle Produktion78. Diese Entwicklung hatte Fol- gen, die in den Herkunftsländern der Aussiedler bis in die postkommunistische Ära hineinreichten.

Der Blick auf die Erwerbsbeteiligung von Vertriebenen und Aussiedlern kann nur einen ersten Eindruck vom Erwerbsleben beider Gruppen in ihren Her- kunftsregionen vermitteln. Genauere Ergebnisse bietet hier die Frage nach der Berufsstruktur. Welche Berufe übten die Zuwanderer der beiden großen Wel- len von Deutschen aus dem Osten vor Vertreibung und Aussiedlung aus und inwieweit unterscheidet sich ihre berufliche Gliederung von der der jeweils einheimischen Bevölkerung?

In der Berufsstruktur der Vertriebenen vor ihrer erzwungenen Migration spie- gelte sich die überwiegend agrarische Prägung ihrer Herkunftsregionen wider. Die späteren Zwangszuwanderer arbeiteten vornehmlich in land- und forstwirt- schaftlichen Berufen und unterschieden sich damit von der beruflichen Gliede- rung in Westdeutschland. Aufgrund des höheren Industrialisierungsgrades ar- beitete die Mehrzahl der dortigen Erwerbspersonen vor dem Zweiten Weltkrieg in industriellen und handwerklichen sowie technischen Berufen.

78 Vgl. Manuela Westphal: Familiäre und berufliche Orientierungen von Aussiedlerinnen. In: Bade/Oltmer (Hrsg.): Aussiedler: deutsche Einwan- derer aus Osteuropa, S. 127-149, hier S. 128 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 169

Tabelle 10: Berufliche Gliederung von Vertriebenen und übriger Bevölke- rung 1939 (in % der Erwerbspersonen)

Berufe Vertriebene Übrige Bevölkerung Land- und forstwirtschaftliche 39,6 25,2 Berufe Industrielle, handwerkliche 33,2 37,8 und technische Berufe Handels- und Verkehrsberufe 17,4 17,9 Sonstige Berufea 9,8 19,1

Quelle: Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik, S. 208. a Berufe des Verwaltungs- und Rechtswesens, der Volks-, Haushalts- und Gesundheitspflege sowie des Geistes- und Kunstlebens.

Der Anteil der Vertriebenen, die vor dem Zweiten Weltkrieg in land- und forst- wirtschaftlichen Berufen tätig waren, übertraf den der Erwerbspersonen der übrigen Bevölkerung in diesem Berufssektor um fast 15 Prozentpunkte. Dage- gen arbeiteten bei den späteren Zwangszuwanderern weniger Menschen in in- dustriellen, handwerklichen und technischen Berufen (33,2 %) als bei der übri- gen Bevölkerung (37,8 %). Insgesamt bleibt festzuhalten, daß am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit Personen zuwanderten, deren Erwerbsstruktur von der überwiegend landwirtschaftlichen Wirtschaftsstruktur ihrer Herkunftsregionen geprägt war79 und die sich somit vom stärker indu- strialisierten Aufnahmegebiet unterschieden.

Wie war dagegen die Erwerbsstruktur der zweiten großen Migrationsbewegung von Deutschen aus dem Osten? Hier ist zunächst festzustellen, daß Daten über die Verteilung der Aussiedler nach Herkunftsberufen bei der Einreise weder auf Bundesebene noch länder- oder regionenspezifisch vorliegen. Zwar wurden die Aussiedler bei ihrer Registrierung in den Landesaufnahmestellen nach ih- rem Beruf bzw. ihrer zuletzt ausgeführten Tätigkeit befragt, eine genaue stati- stische Erfassung dieser Berufe wurde jedoch nicht betrieben. Somit liegen auf der einen Seite zwar genaue Angaben über die Zahl der Erwerbspersonen und

79 Zu den stärker industrialisierten Herkunftsregionen der Vertriebenen zählten das oberschlesische Industrierevier sowie das Sudetenland. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 170

Nicht-Erwerbspersonen (Hausfrauen, Schüler usw.) vor, jedoch keine verwert- baren Informationen zur Berufsstruktur80. Einen Überblick hierüber bietet nur die regelmäßig vom Bundesverwaltungsamt in Köln herausgegebene Statistik zur Verteilung nach Berufen der in die Bundesrepublik einreisenden Aussied- ler, die unter anderem auch in der Zeitschrift ‚Info-Dienst Deutsche Aussied- ler‘ veröffentlicht wird. Diese Statistik unterscheidet allerdings zum einen nicht – wie die offizielle Statistik der Bundesagentur für Arbeit – nach zweistelligen Berufsgruppen81, sondern nach Berufsabteilungen und bietet keine weiterge- hende Aufschlüsselung. Zum anderen beruht sie auf den Angaben, die von den ausreisewilligen Aussiedlern in ihrem Aufnahmeantrag selbst vorgenommen werden. Die Verteilung der sich daraus ergebenden Berufsstruktur ist nach Informationen der zuständigen Stelle im Bundesverwaltungsamt nur äußerst vorsichtig zu interpretieren82. Offensichtlich existieren bestimmte Berufsgrup- pen wie etwa Reinigungskräfte, die in den selbstgemachten Angaben der Aus- siedler nicht zu finden sind, in der hier üblichen Bezeichnung in den Her- kunftsländern der Aussiedler in dieser Form nicht. Das gilt insbesondere für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion. So berichtet etwa ein Mitarbeiter der Per- sonalabteilung eines Großunternehmens: „Also ich hatte einen Fall, die hat in der Nähstube gearbeitet und da bin ich davon ausgegangen, daß die näht. Und nach einer Stunde Unterhaltung kriege ich dann heraus, daß die diese Nähstube aufgeräumt hat, gesäubert hat. Also diese Bestimmung der Berufe, das ist ganz schwer.“83

80 Vgl. Manuela Michel / Jutta Steinke: Arbeitsmarktintegration von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern in NRW, hrsg. vom Ministeri- um für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein- Westfalen. o. O. 1996, S. 25.

81 Die Unterscheidung der Berufsgruppen erfolgt in zwei- bis vierstellige Berufsordnungen- und klassen. Dabei geben die zweistelligen Kennzif- fern die relativ groben Berufsordnungen an, während die weiteren Kenn- ziffern nach speziellen Inhalten unterscheiden. So bezeichnet beispiels- weise die zweistellige Berufsordnung 27 die Berufsgruppe ‚Schlosser‘ allgemein, während hingegen die Berufskennziffer 271 ‚Bauschlosser‘ umfaßt, die vierstellige Kennziffer 2714 ‚Modellschlosser‘.

82 Vgl. Michel/Steinke: Arbeitsmarktintegration, S. 25.

83 Zit. nach ebd., S. 26. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 171

Obwohl, wie erwähnt, der Aussagewert relativ gering ist, soll im folgenden Schaubild 7 die berufliche Gliederung der im Untersuchungszeitraum 1988- 2000 eingereisten Aussiedler dargestellt werden:

Schaubild 7: Berufliche Gliederung der zwischen 1988 und 2000 eingereisten Aussiedler (in % der Erwerbspersonen)

60

50 Industr., handwerkl. u. 40 techn. Berufe Dienstleistungsberufe 30 Bergbauberufe

20 Land- u. forstwirtsch. Berufe 10

0

8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 8 8 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 0 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2

Quelle: Info-Dienst Deutsche Aussiedler, versch. Ausgaben.

Ähnlich wie ihre Altersgliederung variierte auch die berufliche Gliederung der Aussiedler abhängig vom Migrationszeitpunkt. Vor allem in den ersten Jahren nach Beginn der starken Zuwanderung hatten die industriellen, handwerklichen und technischen Berufe die deutlich stärksten Anteilswerte (zum Beispiel 1988: 57 %). Hierin spiegelt sich der nach dem Zweiten Weltkrieg in den ehe- maligen Vertreibungsgebieten und in gesamt Osteuropa forcierte Industrialisie- rungsprozeß wider. Ab 1991/92 ist in diesem Sektor aber ein signifikanter Rückgang zu beobachten (1992: 46 %). Dieser Rückgang vollzog sich in erster Linie bei den industriellen und handwerklichen Berufen (1988: 49 %, 1992: 37,3 %), während sich der Anteil der Aussiedler, die in technischen Berufen gearbeitet hatten, konstant zwischen 7 und 9 % bewegte. Im gesamten Unter- suchungszeitraum 1988-2000 blieben die Anteilswerte derjenigen einreisenden Aussiedler, die in ihren Herkunftsregionen einer Tätigkeit in Land- und Forst- wirtschaft nachgingen, im einstelligen Bereich. Allerdings stiegen sie von 1,5 % (1988) über 6,7 % (1992) auf 9,9 % (2000) stark an. Einen starken An- stieg hatten auch die Dienstleistungsberufe zu verzeichnen. Dort waren im Jahr 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 172

1988 39,5 % der Aussiedler beschäftigt, 1991 waren es schon 43,3 % und 1994 sogar 51,3 %. Einen nur sehr geringen Anteil (1-3 %) machten die Bergbaube- rufe aus.

Angesichts der Schwierigkeiten bei der Gewinnung genauer Angaben zu den Herkunftsberufen läßt sich die berufliche Gliederung der zweiten großen Mi- grationsbewegung von Deutschen aus dem Osten nicht ohne weiteres mit der- jenigen der Bevölkerung in der Bundesrepublik vergleichen. Eine verläßliche statistische Grundlage, die, wie bei den Vertriebenen in Tabelle 10 dargestellt, die berufliche Gliederung der Zuwanderer mit der der einheimischen Bevölke- rung vergleichbar machen könnte, ist bei den Aussiedlern vor diesem Hinter- grund nicht gegeben84. Dennoch kann ein Vergleich zumindest aufzeigen, inwieweit die berufliche Gliederung der einreisenden Aussiedler mit der der hiesigen Arbeitnehmer identisch ist oder aber sich davon unterscheidet. Be- rücksichtigt werden muß dabei stets – hierauf sei an dieser Stelle noch einmal verwiesen – die bereits erwähnte Problematik bei der Zuordnung der Aussied- ler.

In Tabelle 11 werden exemplarisch Angaben zu einem frühen und zu einem späteren Zeitpunkt nach Beginn der starken Aussiedlermigration 1988 vorge- stellt, die auch den Wandel innerhalb der Erwerbsstruktur der Einheimischen wiedergeben.

84 Hier zeigt sich das vorhandene statistische Material zu Vertriebenen und Aussiedlern durchaus disparat: Bei den Zwangszuwanderern der Nach- kriegszeit wurde beispielsweise als ein Kriterium zur Untersuchung der Berufsstruktur im Ausgangsraum und im späteren Zielgebiet die bereits erwähnte, 1939 im Deutschen Reich und im ‚Reichsgau Sudetenland‘ durchgeführte Volks- und Berufszählung herangezogen. Die Datenerfas- sung für die späteren Vertriebenen und die Bevölkerung in West- deutschland erfolgte für beide Gruppen somit im gleichen statistischen Rahmen; zudem spielten bei der Datenerfassung weder Sprach- und Ver- ständnisprobleme eine Rolle, noch unterschieden sich die in den Aus- gangsgebieten in den einzelnen Berufen erworbenen Qualifikationen mitunter so nachhaltig von denen der Bevölkerung im Zielgebiet, wie es 45 bis 50 Jahre später bei den Aussiedlern der Fall war. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 173

Tabelle 11: Berufliche Gliederung in der Bundesrepublik Deutschland 1989 und 1998 (in % Erwerbstätigen)

Berufe 1989 1998 Industrielle, handwerkliche und technische 39,1 30,2 Berufe Dienstleistungsberufe 56,4 66,8 Land- und forstwirtschaftliche Berufe 3,7 2,6 Bergbauberufe 0,7 0,4

Quelle: Statistisches Bundesamt.

Wie die Tabelle zeigt, kam es auch bei der beruflichen Gliederung der einhei- mischen Bevölkerung zu Veränderungen. Während der Anteil derjenigen, die in industriellen, handwerklichen und technischen Berufen arbeiteten, von 1989 bis 1998 um 9 % abnahm, verzeichneten die Dienstleistungsberufe einen An- stieg von 10 %. Beim Vergleich der in Schaubild 7 dargestellten beruflichen Gliederung der Aussiedler ist hier also so eine ganz ähnliche Entwicklung zu verzeichnen, wenngleich in unterschiedlichen prozentualen Größenordnungen. Stark unterrepräsentiert waren in der beruflichen Gliederung der Bundesrepu- blik die land- und forstwirtschaftlichen Berufe, die von 3,7 % (1989) auf 2,6 % (1998) weiter zurückgingen, während hier bei den Aussiedlern im Verlauf der 1990er Jahre ein Anstieg auf knapp 10 % zu verzeichnen ist. Bergbauberufe spielten im Erwerbsleben der bundesdeutschen Bevölkerung eine noch margi- nalere Rolle als bei den Aussiedlern.

Die mit aller gebotenen Vorsicht zu interpretierende Gegenüberstellung der beruflichen Gliederung der einreisenden Aussiedler und der einheimischen Bevölkerung läßt allerdings keine Rückschlüsse darüber zu, inwieweit sich die von den Deutschen aus dem Osten in den einzelnen Berufen erworbenen Ab- schlüsse und Qualifikationen von denen in der Bundesrepublik unterscheiden. Dies ist aber angesichts der unterschiedlichen Wirtschafts-, Gesellschafts- und Bildungssysteme in der Bundesrepublik und den Herkunftsländern der Aus- siedler von besonderer Bedeutung. Erhebliche Unterschiede gab es auch im 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 174 technologischen Niveau, zudem wichen die arbeitsorganisatorischen Strukturen in den Herkunftsländern erheblich von den Bedingungen in Deutschland ab85.

Genau wie die Vertriebenen hatten auch die Aussiedler nach ihrer Einreise einen Rechtsanspruch darauf, ihre im Herkunftsland abgelegten Prüfungen und Befähigungsnachweise anerkannt zu bekommen, wenn sie den entsprechenden deutschen Prüfungen und Befähigungsnachweisen gleichwertig waren86. Ob- wohl in der Regel eine großzügige Vorgehensweise bei der Anerkennung be- trieben wurde, konnte bei den Aussiedlern eine pauschale Anerkennung kaum durchgeführt werden. Dabei sind Unterschiede zwischen den Herkunftsländern zu beobachten: Während sich die Anerkennung bei den Aussiedlern, die aus Polen kamen, deutlich einfacher gestaltete, da die dort erworbenen Qualifika- tionen viel eher mit den Anforderungen in der Bundesrepublik vergleichbar waren, war das Anerkennungsverfahren von Aussiedlern aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion sehr viel schwieriger.

Besonders anschaulich wird diese Problematik in der bereits zitierten Studie von Michel/Steinke dargestellt. Im Bereich Gesundheit/Soziales etwa, in dem vor allem viele Aussiedlerinnen vor ihrer Migration gearbeitet hatten, wurde im Verfahren der Anerkennung ihrer erworbenen Abschlüsse und Befähi- gungsnachweise von diesen oftmals auf eine in der ehemaligen UdSSR durch- laufene Lehrerausbildung verwiesen. Sie wurde hier allerdings in der Regel nicht anerkannt, weshalb diese Frauen dann die Empfehlung erhielten, sich um eine Gleichstellung zur Erzieherin zu bemühen. Das Problem bestand in diesen Fällen darin, daß in den Arbeitsbüchern wohl erzieherische Tätigkeiten nach- gewiesen wurden, diese jedoch weder von der Intention noch vom Inhalt her mit den hier üblichen Anforderungen vergleichbar waren. Michel/Steinke füh- ren zur Unterstreichung dieser Problematik das folgende Zitat von einer Ta- gung des Aussiedlerbeauftragten der evangelischen Kirche in Unna-Massen an: „Wir haben hier Briefe bekommen, wo abgewiesene Lehrerinnen seitenlang

85 Vgl. Koller: Aussiedler in Deutschland, S. 18. Zu den Unterschieden in Berufsausbildung und Qualifikation s. auch Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 65 f.

86 Vgl. hierzu ausf. Kapitel 4.3. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 175 beschreiben, was sie in der ehemaligen UdSSR als Lehrer sprich Erzieher ge- leistet haben. Wenn Sie das lesen, dann ist das ein Verwahren von Kindern oder ein Beaufsichtigen von Kindern, aber eben kein Erziehen. Die haben dann im Schulraum die Blumen gegossen und haben die Kinder frisiert und gewa- schen und gepflegt, also eben verwahrt und versorgt. Aber das ist mit unseren Ansprüchen nicht genug.“87

Große Unterschiede in Ausbildung und Qualifikation zwischen der Bundesre- publik und insbesondere den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gab es nicht zuletzt auch im handwerklich-industriellen Bereich. Auch das unterstreichen Michel/Steinke mit einem sehr anschaulichen Zitat, dieses Mal aus einem Ex- perteninterview: „Und da gibt es dann Leute, die haben dann mal gemauert oder geschlossert, aber das ist nicht viel und wenn man dann fragt, wie lange hast du das denn gelernt, ja, drei oder vier Monate. Und die haben dann so Zertifikate Schlosser für die Reparatur von Waschmaschinen, Schlosser für die Reparatur von Bohrmaschinen. Das heißt also im Grunde genommen nur ganz selektive Miniqualifikationen, mit denen sie überhaupt nichts anfangen kön- nen.“88

Zudem betonen Michel/Steinke, daß insbesondere die von Aussiedlern aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion teilweise über Jahre ausgeübten Tätig- keiten in keiner Weise den ursprünglich erlernten Berufen entsprechen. Bei- spielsweise konnte ein gelernter Schlosser jahrelang als Kraftfahrer gearbeitet haben oder im landwirtschaftlichen Bereich. Gerade in ländlichen Bereichen war dies oftmals die einzige Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu sichern. „Die Verwertbarkeit einer solchen Qualifikation liegt auf der Hand. Auch ein(e) einheimische(r) Arbeitnehmer(in) muß als unqualifiziert gelten, wenn er/sie das Doppelte seiner/ihrer Ausbildungszeit nicht mehr im erlernten Beruf gear- beitet hat.“89

87 Zit. nach Michel/Steinke: Arbeitsmarktintegration, S. 30.

88 Zit. nach ebd., S. 31 f.

89 Ebd., S. 31. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 176

Offizielle Statistiken über das Ausbildungs- und Qualifikationsniveau der zu- wandernden Aussiedler existieren nicht. Informationen hierzu bieten in erster Linie Mikrostudien. Um die mitunter sehr unterschiedlichen Angaben zu den Herkunftsberufen und Qualifikationen überhaupt genau klassifizieren zu kön- nen, werden verschiedene Ansätze verfolgt, die die möglichst exakte Einord- nung in bestimmte Berufs- und Qualifikationsgruppen gewährleisten sollen. Mammey/Schiener stützen ihre Stichprobenuntersuchung dabei beispielsweise auf das Schema postindustrieller Berufs- und Klassenstrukturen nach Esping- Andersen. Das Klassenschema gliedert sich demnach in den primären, den for- distischen und den postindustriellen Sektor mit den entsprechenden beruflichen Unterteilungen90. Greif/Gediga/Janikowski hingegen klassifizieren nach den drei Qualifikationsgruppen ‚Universität oder Fachhochschule‘, ‚Techniker oder Facharbeiter‘ und ‚Ungelernte‘; als vierte Gruppe kommt noch ‚Erwerbslose‘ hinzu91. Greif/Gediga/Janikowski stellen auch die Schwierigkeiten bei der Datenerhebung heraus, vor allem die bekannten Sprach- und Verständnispro- bleme. Interviews wurden deshalb in die Muttersprache übersetzt, und um zu überprüfen, ob die Fragen zu den beruflichen Anforderungen verstanden wor- den sind, wurden anschauliche Zeichnungen typischer Arbeitsplätze ergänzt und Kontrollfragen konstruiert92.

Letztlich bleibt festzustellen, daß die Kenntnisse und Fähigkeiten der Zuwan- derer aus Osteuropa in vielen Berufsfeldern nicht den Arbeitsplatzanforderun- gen in Deutschland entsprachen93. Mangels einer gemeinsamen statistischen Grundlage sowie der großen Differenzen bei den Daten über die von den Aus-

90 Vgl. Mammey/Schiener: Zur Eingliederung der Aussiedler, insbes. S. 100 ff.

91 Vgl. Siegfried Greif / Günter Gediga / Andreas Janikowski: Erwerbslo- sigkeit und beruflicher Abstieg von Aussiedlerinnen und Aussiedlern. In: Bade/Oltmer (Hrsg.): Aussiedler: deutsche Einwanderer aus Osteuropa, S. 81-106, hier S. 88 ff.

92 Vgl. ebd., S. 86.

93 Vgl. Jürgen Puskeppeleit: Die Minderheit der (Spät)Aussiedler und (Spät)Aussiedlerinnen. In: Cornelia Schmalz-Jacobsen / Georg Hansen (Hrsg.): Ethnische Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland. München 1995, S. 75-89. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 177 siedlern in den unterschiedlichen Berufen erworbenen Qualifikationen und ihrer Übertragbarkeit auf die Anforderungen in der Bundesrepublik sind Ver- gleiche mit den Einheimischen nur mit aller Vorsicht zu interpretieren. Festzu- stellen bleibt an dieser Stelle auch, daß die Unterschiede zwischen den Aus- gangsräumen und dem Zielraum vor allem in Bezug auf Ausbildung und Quali- fikation, aber auch auf Technik bei den Aussiedlern ungleich stärker ausge- prägt waren als bei den Vertriebenen94.

Bei der näheren Untersuchung des sozioökonomischen Profils von Vertriebe- nen und Aussiedlern muß auch ein Aspekt im Fokus des Interesses stehen, der für die berufliche Integration neben der Alters-, Berufs- und Qualifikations- struktur von besonderer Bedeutung ist und in dem sich beide Gruppen stark unterscheiden, nämlich die deutsche Sprache. Denn die Verwertbarkeit von durch Migranten mitgebrachtem Humankapital hängt nicht zuletzt damit zu- sammen, ob sie Kenntnisse und Fähigkeiten in der im Zielland gesprochenen Sprache haben. Das gilt insbesondere für Berufe, in denen qualifizierte Kom- munikation die Grundlage darstellt, wie es beispielsweise in großen Teilen des Dienstleistungssektors der Fall ist95.

Die Beherrschung der deutschen Sprache stellte dabei für die am Kriegsende und in der Nachkriegszeit nach Westen strömenden Zwangszuwanderer kein Problem dar. Der Großteil von ihnen war ohnehin Reichsbürger gewesen, und in den Siedlungsgebieten der ‚Volksdeutschen‘ war die deutsche Sprache zum damaligen Zeitpunkt noch weit verbreitet. Völlig anders gestaltete sich dage- gen das Bild für die Aussiedler. Wie bereits in Kapitel 2. erwähnt, richteten sich der Assimilationsdruck und die Diskriminierungen gegenüber den nach Flucht und Vertreibung in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa verbliebenen Deutschstämmigen vor allem gegen deren Sprachkultur. Die Generationen überlebte nur eine altertümliche deutsche Mundart, die zudem vornehmlich von den älteren Aussiedlern gesprochen wurde. Die jüngeren, die in der Alters- struktur der Aussiedlerbevölkerung klar überwogen und in der Bundesrepublik am Anfang oder in der Fortführung ihres schulischen und beruflichen Lebens-

94 Vgl. Ulrich: Vertriebene and Aussiedler, S. 165.

95 Vgl. ebd. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 178 wegs standen, mußten nach ihrer Einreise vielfach das Deutsche als Fremd- sprache erst erlernen96.

Ähnlich wie bei der beruflichen Gliederung lassen sich aber auch bei den Sprachkenntnissen der einreisenden Aussiedler Veränderungen im Untersu- chungszeitraum 1988-2000 feststellen. So waren bei den in den 1990er Jahren einreisenden Aussiedlern zunehmend mangelnde Deutschkenntnisse zu beob- achten97. Das hatte mit der 1990 einsetzenden Verlagerung der Ausgangsräu- me der Aussiedlerzuwanderung auf den Bereich der ehemaligen UdSSR zu tun. Da in der Sowjetunion die Diskriminierung der deutschen Sprachkultur nach dem Zweiten Weltkrieg besonders ausgeprägt war, verfügten die Deutschstäm- migen, die Unterdrückung, Deportation und Verbannung noch als Kinder erlebt hatten oder zu einem späteren Zeitpunkt geboren wurden, dort über dement- sprechend rudimentäre Deutschkenntnisse98.

Der Blick auf das sozioökonomische Profil der beiden großen Migrationsbewe- gungen von Deutschen aus dem Osten erfolgte bis hierher unter der Frage nach ihrem ‚unsichtbaren Gepäck‘ bzw. nach dem, was sie an immateriellen Gütern mitbrachten. Berücksichtigt werden müssen aber im Hinblick auf ihre indivi- duellen Ausgangsbedingungen auch die unterschiedlichen Umstände ihrer Zu- wanderung. Die Migration der Vertriebenen vollzog sich im besten Fall kurz- fristig vorbereitbar oder abrupt, für die Betroffenen gleichwohl unfreiwillig und nicht auf der Basis einer starken Motivation für den Einwanderungsprozeß; viele von ihnen sahen ihren Verbleib im Westen zudem als nur vorübergehend an. An die Stelle integrationsfördernder Einwanderungsmotivationen trat daher mitunter lange Zeit die Hoffnung auf eine Rückkehr in die alte Heimat, die aber wegen der geopolitischen Konstellationen nach 1945 nurmehr illusorisch blieb99.

96 Vgl. Bade: Einwanderung und Eingliederung in Deutschland, S. 21.

97 Vgl. Dietz: Migrationspolitik unter ethnischen Vorzeichen, S. 12.

98 Vgl. Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 49 ff.

99 Vgl. Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung und ‚Flüchtlingsinte- gration‘, S. 149. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 179

Dagegen ging es bei der Migration der Aussiedler nach Deutschland um „eine selbstgewählte Veränderung der persönlichen Entwicklungschancen.“100 Bes- sere persönliche Entwicklungschancen wurden in der Bundesrepublik gesehen und nicht in den Herkunftsregionen. Die Zuwanderung erfolgte sorgsam und langfristig vorbereitet mit dem Ziel, sich dauerhaft und endgültig hier niederzu- lassen. Deswegen trafen viele Aussiedler – und das ist der große Unterschied zu den Vertriebenen – in Erwartung einer besseren Zukunft „voller Hoff- nung“101 im Westen ein. Aus diesem Grund gehören, neben ihrer Altersstruk- tur, ihrer beruflichen Gliederung und Qualifikation sowie ihren Sprachkennt- nissen auch die verschiedenen Migrationshintergründe und -motivationen zu den individuellen Ausgangsbedingungen, die Vertriebene und Aussiedler für ihre berufliche Eingliederung mitbrachten.

4.3. Staatliche Maßnahmen zur Förderung der Eingliederung in den Arbeitsmarkt

Neben der Situation in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt des Aufnah- melandes und ihrem sozioökonomischen Profil wird die Eingliederung von Migranten in den Arbeitsmarkt des Ziellandes, wie eingangs dieses Kapitels erwähnt, auch beeinflußt von der Ausgestaltung einer speziellen staatlichen Eingliederungspolitik. Wie bei der Frage nach der Versorgung mit Wohnraum konnten Vertriebene und Aussiedler dabei an speziell auf sie zugeschnittenen öffentlichen Förderungsmaßnahmen teilhaben. Im folgenden soll ein Überblick hierüber gegeben werden.

Neben den zunächst zu bewältigenden Notmaßnahmen wie der Unterbringung und Versorgung der Vertriebenen bemühten sich die Gemeinden und andere Stellen schon in den ersten Monaten nach Kriegsende auch um Hilfeleistung bei ihrer Suche nach Arbeit. Vorwiegend handelte es sich dabei um Arbeitsbe- schaffung in abhängigen Tätigkeiten. Aber es wurden daneben auch gewerbli- che Aktivitäten der Vertriebenen unterstützt, indem man ihnen zum Beispiel ehemalige Bunker, Kasernen und Munitionsfabriken überließ und individuelle

100 Silbereisen/Schmitt-Rodermund/Lantermann: Hintergrund, S. 17.

101 Siegfried Kosubek: Asylbewerber und Aussiedler: Rechte, Leistungen, Hilfen. Handbuch für Helfer. Weinheim, Basel 1998, S. 38. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 180

Hilfen bereitstellte. Nach ihrer sukzessiv erfolgten Konstituierung schalteten sich in den folgenden Jahren zunehmend auch die Länder in die Bemühungen um die Eingliederung der Vertriebenen in den Arbeitsmarkt ein102.

Einheitliche Regelungen auch im Hinblick auf die Förderung der Arbeitsmarkt- eingliederung der Vertriebenen brachte dann das im August 1949 in Kraft ge- tretene Soforthilfegesetz. Zu seinen Leistungen zählten Darlehen für den Auf- bau selbständiger Existenzen in der Landwirtschaft, der gewerblichen Wirt- schaft und den freien Berufen, Darlehen zur Schaffung von Dauerarbeitsplät- zen sowie Hilfen zugunsten jüngerer Zwangszuwanderer, um ihnen den Ab- schluß einer Berufsausbildung zu ermöglichen. Wie bereits erwähnt, waren die im Einzelfall gezahlten Beträge allerdings noch recht gering und stellten keine wirksame oder angemessene Hilfe dar. Ein Darlehen zum selbständigen Exi- stenzaufbau zum Beispiel belief sich auf maximal 12.000 DM.

Die mit der staatsrechtlichen Zäsur des Jahres 1949 einsetzende bundeseinheit- liche Gesetzgebung zur Eingliederung der Vertriebenen, die in den 1950er Jah- ren mit dem Lastenausgleichsgesetz und dem Bundesvertriebenen- und Flücht- lingsgesetz ihren Höhepunkt fand, zielte in beruflicher Hinsicht auf die Förde- rung verschiedener Erwerbspersonengruppen. Diese sind im wesentlichen be- reits in den Ausführungen des Soforthilfegesetzes genannt worden. Hierzu zählten zum einen die ehemals Selbständigen in Industrie und Handwerk, wo- bei bei den Vertriebenen die kleineren Betriebe des Handwerks und des Han- dels zahlenmäßig weit stärker vertreten waren als große industrielle Betriebe, sowie die Angehörigen freier Berufe wie etwa Ärzte oder Rechtsanwälte. Eine Sondergruppe bei der Förderung ehemals Selbständiger stellten diejenigen dar, die vor Flucht und Vertreibung ein selbständiges Auskommen in der Landwirt- schaft hatten. Aufgrund der agrarischen Struktur der Herkunftsgebiete der er- sten großen Welle von Deutschen aus dem Osten bildeten sie unter denen, die einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen waren, die größte Gruppe. Geför- dert werden sollte weiterhin die Eingliederung abhängig bzw. nicht selbständig Beschäftigter, also Arbeiter und Angestellte oder Beamte. In der Gesamtzahl

102 Vgl. betrifft: Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsge- schädigten, S. 61 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 181 der vertriebenen Erwerbspersonen bildeten sie die deutliche Mehrheit. Als letzte Gruppe sind hier zu nennen Jugendliche und junge Erwachsene, deren Ausbildung durch die erzwungene Migration unterbrochen wurde oder deren Eltern nach Flucht und Vertreibung nicht mehr die Möglichkeit hatten, die Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren.

Von den vielen im LAG und BVFG festgelegten Leistungen103 seien an dieser Stelle exemplarisch nur einige genannt: Die ehemals selbständigen Vertriebe- nen in Industrie und Handwerk und die Angehörigen freier Berufe hatten in der Regel nicht nur ihr gesamtes gewerbliches Inventar verloren, sondern darüber hinaus auch ihre Geschäfts- und Bankverbindungen und verfügten daher über wenig oder gar kein Eigenkapital. Wenn sie wieder einen Betrieb oder ein Ge- schäft bzw. eine Praxis einrichten wollten, stand ihnen nunmehr ein zinsverbil- ligtes Existenzaufbaudarlehen von maximal 50.000 DM zur Verfügung, also ein deutlich höherer Betrag als der im Soforthilfegesetz festgelegte. Darüber hinaus konnten selbständige Vertriebene auf weitere Kredite, Zinsverbilligun- gen, Bürgschaften und Teilhaberschaften zurückgreifen. Sie erhielten steuerli- che Vergünstigungen und Beihilfen sowie privilegierte Behandlungen bei Ein- tragungen in die Handwerksrollen und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Für die früheren selbständigen Bauern bestand dagegen angesichts des Man- gels an Grund und Boden in der dichtbesiedelten Bundesrepublik kaum die Möglichkeit, an die vorherige Erwerbsbiographie anzuknüpfen und den Le- bensunterhalt allein durch die Landwirtschaft zu bestreiten. Der Schwerpunkt lag daher nicht in der Förderung von Vollbauernstellen, sondern von Nebener- werbsstellen. Der hier in Betracht kommende Höchstbetrag lag bei 10.000 DM, die ebenfalls als zinsverbilligtes Darlehen gewährt wurden.

103 Vgl. hierzu 20 Jahre Lastenausgleich: Der Stand des Lastenausgleichs im Jahr 1969, hrsg. vom Präsidenten des Bundesausgleichsamts. Bad Hon- nef 1969, S. 24 ff; Hans-Heinrich Herlemann: Vertriebene Bauern im Strukturwandel der Landwirtschaft. In: Lemberg/Edding (Hrsg.): Die Vertriebenen in Westdeutschland, Bd. 2, S. 53-165, hier S. 59 ff.; Her- mann Baier: Maßnahmen zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft. In: Lemberg/Edding (Hrsg.): Die Vertriebenen in Westdeutschland, Bd. 2, S. 375-395; betrifft: Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten, S. 27 ff. und 61 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 182

Die Frage nach der Eingliederung der vormals nichtselbständig bzw. abhängig Beschäftigten stellte sich insofern einfacher dar, als im Regelfall die Übernah- me eines Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer weder besonderen Kapitalauf- wand noch andere größere finanzielle Belastungen für ihn mit sich bringt. Dennoch wurden auch hier vom Gesetzgeber finanzielle Mittel eingesetzt. Ge- werbliche Betriebe konnten zinsverbilligte Darlehen erhalten, wenn sie im Ge- genzug eine entsprechende Anzahl von Arbeitsplätzen für Vertriebene bzw. andere Kriegsgeschädigte schufen. Da diese Darlehen fast ausschließlich an ihrerseits geschädigte Betriebe gegeben wurden, sorgten sie damit gleichzeitig für deren wirtschaftliche Festigung. Der wirtschaftliche Aufschwung und die Entwicklung des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik in den 1950er Jahren machten die Bereitstellung von Mitteln für Arbeitsplatzdarlehen recht bald unnötig. Sie wurden praktisch letztmals 1955 gewährt. Insgesamt wurden, ein- schließlich der Darlehen nach dem Soforthilfegesetz, knapp 300 Millionen DM dafür eingesetzt. Die Eingliederung der ehemaligen Beamten unter den Ver- triebenen sollte durch eine Quotenregelung für ihre Einstellung in der öffentli- chen Verwaltung sichergestellt werden.

Um einen sozialen Abstieg von vertriebenen Jugendlichen und jungen Erwach- senen zu vermeiden, konnten diese Ausbildungshilfe beantragen. Vorausset- zung für ihre Gewährung war der Bedarf, der durch die wirtschaftlichen Ver- hältnisse des Auszubildenden selbst oder dessen Eltern bestimmt wurde. Die Ausbildungshilfe sollte die Lücke zwischen den verfügbaren eigenen Mitteln, deren Verwendung für die Ausbildung als zumutbar galt, und dem tatsächli- chen Bedarf schließen. Sie wurde in der Regel jeweils für einen Zeitraum von einem Jahr bewilligt und monatlich ausgezahlt und war nicht nur für die Aus- bildung von Lehrlingen und Praktikanten bestimmt sowie für den Besuch von mittleren und höheren Schulen oder Fachschulen, sondern auch für das Hoch- schulstudium und die anschließende praktische Ausbildung der Akademiker. In Betracht kam die Ausbildungshilfe vom 14. Lebensjahr an, dem damaligen Ende der Schulpflicht und dem damit möglichen Eintritt ins Erwerbsleben, bis über das 30. Lebensjahr hinaus.

Auffällig bei der Betrachtung der Gesetzgebung für die Eingliederung der Vertriebenen in Wirtschaft und Arbeitsmarkt ist, daß Eingliederungsmaßnah- men wie Sprachkurse oder Umschulungen nicht besonders hervorgehoben 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 183 wurden. Sie schienen damals nicht vordringlich zu sein, was sicherlich auch mit dem sozioökonomischen Profil der Vertriebenen zu tun hatte. Deshalb wa- ren die staatlichen Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, ähnlich wie diejenigen zur wohnräumlichen Eingliederung, in erster Linie angedacht, die durch Flucht und Vertreibung erlittene materielle Deklassierung der Zwangszuwanderer auszugleichen. Diese Leistungen wurden im übrigen einer- seits finanziert über eine Vermögensabgabe. Darüber hinaus mußten Bund und Länder aber aus Haushaltsmitteln bzw. aus den Steuereinnahmen auch erhebli- che Zuschüsse leisten104.

Trotz der umfangreichen Maßnahmen zur Förderung der Eingliederung der Vertriebenen in den Arbeitsmarkt verfolgte die Bundesregierung in dieser Fra- ge eine andere Schwerpunktsetzung. Die berufliche Situation der Deutschen aus dem Osten sollte sich nicht in erster Linie durch entsprechende, an diese Gruppe gerichtete finanzielle Leistungen und andere Vergünstigungen verbes- sern, sondern vor allem durch und im Rahmen des Wiederaufbaus der west- deutschen Wirtschaft. Den Stellenwert von sozialen Ausgleichsmaßnahmen wie etwa dem Lastenausgleich gegenüber den Prioritäten des Wiederaufbaus definierte in der ersten Regierungserklärung im Herbst 1949 folgendermaßen: „Der Wiederaufbau unserer Wirtschaft ist die vornehmste, ja einzige Grundlage für jede Sozialpolitik und für die Eingliederung der Vertrie- benen. Nur eine blühende Wirtschaft kann die Belastung aus dem Lastenaus- gleich auf die Dauer tragen.“105

Auch in bezug auf ihre Arbeitsmarkteingliederung blieben die in den 1950er Jahren im Hinblick auf die Vertriebenen eingeleiteten Maßnahmen auch für die die Aussiedler gültig. Das 1976 noch einmal eigens aufgelegte Eingliederungs- programm brachte zur Förderung der Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu- sätzliche Schwerpunkte bei Sprachfördermaßnahmen, der beschleunigten An- erkennung von Ausbildungsgängen und Befähigungsnachweisen, der qualifika-

104 Vgl. Gerhard Reichling: Der Beitrag der deutschen Vertriebenen zum staatlichen und wirtschaftlichen Aufbau Nachkriegsdeutschlands. In: AWR-Bulletin 26 (1988), S. 85-91, hier S. 89.

105 Zit. nach Schillinger: Der Lastenausgleich, S. 234. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 184 tionsgerechten Vermittlung von Arbeit und der Beratung durch Fachkräfte so- wie bei Hilfen zur Gründung selbständiger Existenzen.

Wegen der großen Unterschiede in Ausbildung und Qualifikation der Aussied- ler zu den Anforderungen auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt wurde beson- derer Wert auf berufliche Fortbildung und Umschulung gelegt. „Der Sonder- status der Aussiedler war in der Vergangenheit Anlaß für besondere Qualifizie- rungsanstrengungen seitens der Arbeitsverwaltung und stellt insofern einen wichtigen Unterschied zu anderen Zuwanderungsgruppen dar.“106 Ergänzend dazu sollte ein umfassendes Programm von finanziellen Hilfen die berufliche Eingliederung in Deutschland erleichtern. Aussiedler, die vorher berufstätig waren, hatten bei Arbeitslosigkeit für längstens 312 Tage Anspruch auf ‚Ein- gliederungsgeld‘, ein in der Höhe pauschaliertes Arbeitslosengeld (§§ 62a ff. Arbeitsförderungsgesetz). War die Teilnahme an einem Deutschkurs und/oder einer beruflichen Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme erforderlich, erhöhte sich die Anspruchsdauer um die Kurszeiten – allein für Umschulungen konnten das zwei Jahre sein. Nach Ausschöpfen des Anspruchs auf Eingliede- rungsgeld konnte bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Arbeits- losenhilfe bezogen werden. Ab 1989/90 ist aber auch hier eine deutliche Zäsur zu verzeichnen107.

Auf die Hintergründe der Leistungskürzungen bei der Aussiedlereingliederung ist bereits in Kapitel 3. ausführlicher eingegangen worden, und auch der Be- reich der Arbeitsmarkteingliederung war von diesen Kürzungen betroffen. Da- bei ist festzustellen, daß Leistungen nicht nur deutlich reduziert wurden, son- dern daß die Kosten nicht zuletzt über die Sozialhilfe auch zunehmend an die

106 Hans-Peter Klös: Integration der Einwanderer aus Ost-/Südosteuropa in den deutschen Arbeitsmarkt. In: Sozialer Fortschritt 41 (1992), S. 261- 270, hier S. 264.

107 Zu Art und Umfang der Leistungen, die Aussiedler erhalten konnten, bevor Ende der 1980er und in den 1990er Jahren umfangreiche Reduzie- rungen vorgenommen wurden, vgl. auch Bundesminister des Innern: Lei- stungen an Aussiedler (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG) nach dem Stand vom 1.1.1988 (Aufstellung des Bundesministers des Innern: VtK 16 – 934 170/3). Nachgedruckt in: Ernst Liesner: Aussiedler – Die Voraussetzun- gen zur Anerkennung als Vertriebener: Arbeitshandbuch für Behörden, Gerichte und Verbände. Herford 1988. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 185

Kommunen delegiert wurden108. Der Bund zog sich, zumindest partiell, aus der Finanzierung der Folgekosten der Aussiedlerzuwanderung zurück. Damit unterscheidet sich auch hier die Rolle des Staates bei der Eingliederung der zweiten großen Welle von Deutschen aus dem Osten nachhaltig von der, die er in der Phase der Grundlegung der die Eingliederung der Vertriebenen betref- fenden gesetzlichen Regelungen in den 1950er Jahren und auch danach einge- nommen hat. So wurden Maßnahmen wie das BVFG nicht zuletzt auch deswe- gen eingeführt, um die Städte und Gemeinden zu entlasten und sie von den unmittelbaren durch die Vertriebenen entstandenen Kosten zu befreien109. Die in den 1990er Jahren mit Blick auf die Aussiedler verabschiedeten Regelungen brachten dagegen genau den gegenteiligen Effekt.

Konkret gestalteten sich die wichtigsten Leistungskürzungen für die Eingliede- rung der Aussiedler in den deutschen Arbeitsmarkt folgendermaßen: Zwischen 1990 und 1992 wurden die im Rahmen des Eingliederungsgeldes gewährten Geldleistungen reduziert und die Förderung der Deutsch-Sprachlehrkurse zu- nächst auf 8 Monate gesenkt; ursprünglich waren es einmal 12 Monate gewe- sen. Wie bei den gesetzlichen Regelungen zur Aussiedlerzuwanderung brachte das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz auch im Hinblick auf die Arbeitsmarktein- gliederungsleistungen für diese Gruppe einschneidende Veränderungen. Das bis dahin pauschalisierte Eingliederungsgeld wurde durch die Eingliederungs- hilfe ersetzt, die sich an den Regelungen der Arbeitslosenhilfe orientiert und nur bei Bedürftigkeit greift. Der Bezug der Eingliederungshilfe wurde auf 9 Monate gekürzt, die Deutsch-Sprachkurse nur noch maximal 6 Monate geför- dert. Anschließend daran legt das Gesetz zur Umsetzung des 1. Spar-, Konsoli- dierungs- und Wachstumsprogramms (1.1.1994) Leistungskürzungen im ge- samten Sozialbereich fest, auch die Eingliederungsmaßnahmen für Aussiedler blieben hiervon nicht verschont. So wurde die Dauer des Bezugs von Einglie- derungshilfe auf nur noch 6 Monate begrenzt. Aussiedler können diese Zeit für

108 Zur Kostenverlagerung auf die Seite der Kommunen vgl. Michael Bom- mes: Migration, Nationalstaat und Wohlfahrtsstaat – kommunale Pro- bleme in föderalen Systemen. In: Bade (Hrsg.): Migration – Ethnizität – Konflikt, S. 213-248.

109 Vgl. Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 201. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 186 einen Sprachkurs und/oder einen beruflichen Fortbildungs- und Umschulungs- kurs nutzen. Diese Maßnahmen beginnen allerdings nicht unmittelbar nach der Einreise, sondern in der Regel frühestens nach 1-2 Monaten. Wenn sie einen Kurs bis zum Ende besuchen wollen und den Lebensunterhalt noch nicht selbst finanzieren können, sind Aussiedler somit auf Sozialhilfe angewiesen, die von den Kommunen ausgezahlt wird110.

An dieser Stelle sollte aber nicht unerwähnt bleiben, daß die Aussiedlereinglie- derung in den 1990er Jahren trotz der starken finanziellen Kürzungen noch immer von einer umfangreichen sozialstaatlichen Unterstützung begleitet wur- de. Im Haushaltsjahr 1997 etwa wurden hierfür insgesamt 3 Mrd. DM bereitge- stellt, 1998 waren es 2,5 Mrd. DM. Die Hälfte dieser Summen floß jeweils in die Sprachförderung. Ferner standen 255 Mio. DM im Jahre 1997 und 240 Mio. DM im Jahre 1998 zur Eingliederung jugendlicher Aussiedler zur Verfü- gung111. Insgesamt standen den Aussiedlern zwar im Umfang der Leistungen stark reduzierte, aber, vor allem im Vergleich zu anderen Migrantengruppen, noch immer beträchtliche Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung.

Allerdings ist auch zu betonen, daß die massive Reduzierung der staatlichen Eingliederungshilfen für Aussiedler schlechterdings zu einem Zeitpunkt ein- setzte, als sich die Bedingungen für ihre Eingliederung mehr und mehr ver- schlechterten. Dies hatte zum einen mit soziostrukturellen Veränderungen in- nerhalb der zuwandernden Aussiedlerbevölkerung zu tun, die zum Beispiel in immer schlechteren Deutschkenntnissen deutlich wurden. Andererseits bot die seit Beginn der 1990er Jahre angespannte Arbeitsmarktlage in der Bundes- republik bei technologischer Rückständigkeit und mangelnder Sprachfertigkeit der Zuwanderer, trotz allen Fleißes, immer weniger berufliche Chancen.

110 Zu den seit Ende der 1980er Jahre und insbesondere in den 1990er Jahren veränderten Leistungen zur Aussiedlereingliederung vgl. Antje Hacker: Als Deutsche unter Deutschen leben. Rechtliche Grundlagen für die Ein- gliederung russischer Aussiedler und die besondere Rolle der Sozialar- beit. Neubrandenburg 1995 sowie Wolfgang Weiß: Eingliederungshilfen für Spätaussiedler. Rechte und Leistungen auf gesetzlicher Grundlage. Berlin 1997 (Schriftenreihe Aussiedlerintegration, Bd. 4).

111 Vgl. hierzu Info-Dienst Deutsche Aussiedler Nr. 94 (1997), S. 14 und Nr. 96 (1998), S. 4. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 187

4.4. Die regionale Mobilität von Vertriebenen und Aussiedlern/Spät- aussiedlern

Abschließend zu den Betrachtungen über die Vor- und Rahmenbedingungen der Arbeitsmarkteingliederung der beiden großen Wellen von Deutschen aus dem Osten soll hier noch ein weiterer Aspekt erörtert werden, der in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig erscheint. Eine erfolgreiche Arbeitsplatz- suche oder gar eine Verbesserung der beruflichen Position hängt vielfach da- von ab, inwieweit die Bereitschaft vorhanden ist, durch Umzug in Gebiete mit besserer Arbeitsmarktlage auf örtlich schlechtere Arbeitsmarktchancen zu rea- gieren. Die allgemeine Erfahrung dabei ist, daß Zuwanderer besonders mobil sind112. Deshalb soll nunmehr mit Blick auf Vertriebene und Aussiedler fol- genden Fragen nachgegangen werden: Wie ausgeprägt war ihre Neigung zur Binnenmigration und inwiefern wurde von staatlicher Seite darauf Einfluß ge- nommen? Woran orientierte sich ihre Wohnstandortwahl? Zunächst einmal soll aber beleuchtet werden, wie sich Vertriebene und Aussiedler unmittelbar nach ihrer Ankunft im Westen verteilten und nach welchen Kriterien und auf der Basis welcher Grundlagen diese Verteilung vorgenommen wurde.

Die Verteilung des Vertriebenenzustroms hatte sich vornehmlich an dem in den verschiedenen Regionen vorhandenen Wohnungs- und vor allem Ernährungs- potential orientiert, während die Frage, ob dort auch ausreichende Erwerbs- möglichkeiten zur Verfügung standen, zunächst kaum eine Rolle spielte113.

112 Vgl. Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 68. 113 Dabei dominierte lange Zeit das Bild von der grauen Masse der Vertrie- benen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht für sich selbst sorgen konnte und überallhin, auch in die entferntesten Flecken des Lan- des verbracht wurde. Neuere Forschungsergebnisse für Niedersachsen zeigen jedoch, daß sich vielen von ihnen, vor allem jüngeren, auch Wahlmöglichkeiten boten und sie sich bewußt für eine bestimmte Region entschieden. Versorgungsgründe spielten bei dieser Entscheidung die zentrale Rolle, einige Vertriebene aus dem Arbeitermilieu bevorzugten auch Industriegebiete in der Hoffnung, dort am ehesten wieder Arbeit zu finden. Wiederum andere bevorzugten eine Zielregion, deren landschaft- liche Gegebenheiten oder Religionsverhältnisse denen ihrer Herkunftsre- gion ähnelten, vgl. Bernhard Parisius: Viele suchten sich ihre neue Hei- mat selbst. Flüchtlinge und Vertriebene im westlichen Niedersachsen. Aurich 2004 (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, hrsg. von der Ostfriesischen Landschaft in Verbindung mit dem Nieder- sächsischen Staatsarchiv Aurich, Bd. 79), S. 215 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 188

Die so entstandene Problematik spiegelt sich in der Situation in Bayern wider, das neben den anderen überwiegend agrarisch strukturierten Flächenländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu den ‚Hauptflüchtlingsländern‘ zähl- te, die mit Abstand die meisten Vertriebenen aufzunehmen hatten. Der kriegs- bedingte Wohnraumverlust hatte sich auch in Bayern in erster Linie auf die Städte konzentriert, womit die sowieso nur spärlich vorhandenen urbanen In- dustriezentren für die Aufnahme der Vertriebenen nicht in Frage kamen und die ländlichen Regionen stärker herangezogen werden mußten. Somit befanden sich 60 % der Vertriebenen in Landgemeinden und Dörfern mit einer unter 2.000 liegenden Einwohnerzahl, die kaum die Rahmenbedingungen für eine dauerhafte produktive Eingliederung stellen konnten. Die höchsten Vertriebe- nenanteile an der Gesamtbevölkerung wiesen dabei ausgerechnet Niederbay- ern, die Oberpfalz und Oberfranken auf und damit, wie Bauer feststellt, „Ge- biete von strukturbedingt schwacher Wirtschaftskraft, die sich in niedrigem Steueraufkommen und notorisch hohen Arbeitslosigkeits- und Fürsorgequoten dokumentierte.“114 Solche oder ähnliche strukturelle Probleme gab es auch im Nordosten Niedersachsens115 und in weiten Teilen Schleswig-Holsteins. Es verwundert daher nicht, daß in den drei ‚Flüchtlingsländern‘ nicht nur der An- teil der Vertriebenen an der jeweiligen Gesamtarbeitslosenzahl beträchtlich über dem Bundesdurchschnitt lag. Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern wiesen, neben Rheinland-Pfalz, auch die höchsten Arbeitslosenanteile innerhalb der Vertriebenenbevölkerung auf116.

114 Bauer: Aufnahme und Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen, S. 207 f.

115 Obwohl die britische Besatzungsmacht beabsichtigt hatte, die Vertriebe- nen in den Westen Niedersachsens und auch nach Nordrhein-Westfalen weiterzuleiten, konzentrierten sich die Zwangszuwanderer schlechter- dings ausgerechnet auf die östlichen niedersächsischen Kreise. Viele von ihnen verließen die Züge, die sie weiter in Richtung Aurich oder Osna- brück hätten bringen sollen, frühzeitig, da sie von den Reisestrapazen er- schöpft waren oder auf eine baldige Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete hofften, vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 82.

116 Vgl. Bethlehem: Heimatvertreibung, S. 46 ff. In dieser Hinsicht am gün- stigsten gestaltete sich die Situation in Nordrhein-Westfalen und Ham- burg. Sowohl die industriellen Zentren an Rhein und Ruhr als auch die 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 189

Neben wirtschaftspolitischen Maßnahmen stellt sich die Frage, welche wande- rungspolitischen Handlungsmöglichkeiten bestanden, um das nach dem Krieg in zahlreichen Regionen Westdeutschlands entstandene Ungleichgewicht zwi- schen Arbeitskräftepotential und Arbeitskräftenachfrage zu korrigieren. In den ersten Jahren nach 1945 argumentierten nicht wenige, daß sich die durch den massiven Bevölkerungszustrom ausgelösten Probleme nicht nur in bezug auf Arbeit, sondern vor allem auch auf Ernährung und Unterkunft nur bewältigen ließen, wenn ein Großteil der Vertriebenen auswandere. Noch 1950 stellte der sogenannte ‚Walter-Bericht‘ fest, das Problem der Erwerbslosigkeit unter den Vertriebenen könne nur gelöst werden, wenn eine Million von ihnen auswan- derte117. Im selben Jahr wurde der ECA-Kommission für die Eingliederung der Neubürger (Sonne-Kommission), der Sachverständige aus den USA und der Bundesrepublik angehörten, ein Memorandum des ‚Bundes für Deutsche Auswanderung‘ vorgelegt, welches die Auswanderung des größten Teils der Vertriebenen als „Endlösung“ darstellte118. Allerdings wurde sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen Diskussion eine umfangreiche Auswanderung überwiegend abgelehnt119.

stark zerstörte Hansestadt waren nach dem Krieg zunächst mit Zuzugs- sperren belegt worden; die Zuwanderung der Vertriebenen konnte so nach arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten gesteuert werden. In Ham- burg war die Lage auf dem Arbeitsmarkt bei den Vertriebenen sogar gün- stiger als die der einheimischen Bevölkerung. Ende 1951 beispielsweise waren 15,4 % der hamburgischen Erwerbsbevölkerung arbeitslos gemel- det, während der Anteil unter den Vertriebenen nur 3,1 % betrug, vgl. Evelyn Glensk: Großstädtischer Arbeitsmarkt und Vertriebenenintegrati- on. Das Beispiel Hamburg. In: Hoffmann/Krauss/Schwartz (Hrsg.): Ver- triebene in Deutschland, S. 261.

117 Vgl. Ian Connor: Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in den Arbeitsprozeß nach 1945. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 32 (1989), S. 185-205, hier S. 185. Beim ‚Walter-Bericht‘ handelte es sich um ein Gutachten eines vom US-Kongreß eingesetzten Untersuchungs- ausschusses zur Eingliederung der Vertriebenen. Der Bericht wurde be- nannt nach dem Ausschußvorsitzenden Francis E. Walter. Dazu nähere Ausführungen bei Franz J. Bauer: Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern 1945-1950. Stuttgart 1982, S. 278 f.

118 Zit. nach Edding: Bevölkerung und Wirtschaft, S. 32.

119 Vgl. hierzu insgesamt Steinert: Migration und Politik. Gleichwohl fanden sich dann unter denen, die in den 1950er Jahren die Bundesrepublik, oft- 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 190

Um die Chancen für die Eingliederung der Vertriebenen in den Arbeitsmarkt zu verbessern, wurde von regierungsamtlicher Seite nicht ihre Migration über die Staatsgrenzen der Bundesrepublik hinweg angestrebt, sondern vielmehr die Förderung ihrer Migration über die (Bundes-)Ländergrenzen. Die Neubürger sollten dort angesiedelt werden, wo Arbeitsplätze geschaffen wurden. Nach der Überwindung der mit der Währungsreform einsetzenden Stabilisierungskrise und der nach 1950 zunehmenden Dynamik in der westdeutschen Wirtschaft herrschte insbesondere in den nun schnell prosperierenden alten Zentren der In- dustrieproduktion ein entsprechender Arbeitskräftebedarf120. Der planmäßigen Umsiedlung von Vertriebenen in die Räume wirtschaftlicher Aktivität wurde eindeutiger Vorrang eingeräumt vor anderen Alternativen wie etwa der, die erforderlichen Arbeitsmöglichkeiten dort zu schaffen, wo sich die Vertriebenen befanden121. Diese Option wurde zwar nicht verworfen, sie spielte aber nur eine untergeordnete Rolle. Das hatte zum einen mit den fehlenden öffentlichen Mitteln für die Finanzierung großangelegter gewerblicher Umsiedlungen zu tun, mehr noch aber mit dem Faktor Zeit, denn solche Maßnahmen hätten einen längeren Zeitraum benötigt. Nicht zuletzt auch aus politischen Gründen wurde aber eine möglichst rasche Lösung der drängendsten Eingliederungsprobleme der Vertriebenen angestrebt, zu denen die Aufnahme einer beruflichen Tätig- keit zweifellos gehörte122.

mals mit dem Ziel Nordamerika, verließen, gemessen an ihrem Bevölke- rungsanteil überproportional viele Vertriebene. Sie stellten beispielsweise knapp über 37 % (80.823) der insgesamt 217.355 deutschen Auswande- rer der Jahre 1953-1956, vgl. Edding: Bevölkerung und Wirtschaft, S. 35. Zur deutschen Auswanderung nach Nordamerika nach 1945 vgl. neuer- dings Alexander Freund: Aufbrüche nach dem Zusammenbruch. Die deutsche Nordamerika-Auswanderung nach dem Zweiten Weltkrieg. Göttingen 2004 (Studien zur Historischen Migrationsforschung, Bd. 12).

120 Vgl. Führer: Aufnahme und Eingliederung, S. 8 f.

121 Vgl. Bethlehem: Heimatvertreibung, S. 48 ff.

122 Vgl. Georg Klemt: Organisatorische Aspekte der Aufnahme und Unter- bringung der Vertriebenen. In: Frantzioch/Ratza/Reichert: 40 Jahre Ar- beit für Deutschland, S. 66-85, hier S. 72. Zu den Maßnahmen, Arbeits- plätze an den Wohnorten der Vertriebenen zu schaffen vgl. Willi Albers: Die Eingliederung in volkswirtschaftlicher Sicht. In: Lemberg/Edding (Hrsg.): Die Vertriebenen in Westdeutschland, Bd. 2, S. 418-557, hier S. 440 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 191

Überlegungen und Erfahrungen, mittels einer behördlich gelenkten Wande- rungsbewegung die in Westdeutschland in erheblichem Maße ungleiche Ver- teilung der Zwangszuwanderer aus dem Osten zu korrigieren, hatte es schon vor der Gründung der Bundesrepublik gegeben. Dabei ging es auch hier zu- nächst weniger um Aspekte der Eingliederung in dem Arbeitsmarkt, sondern vielmehr um Fragen nach der Unterbringung und Versorgung der Vertriebenen und die möglichst gleichmäßige Verteilung der dadurch hervorgerufenen Bela- stungen. Die Debatte, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf die jeweili- gen Besatzungszonen begrenzt blieb, erhielt mit der Gründung der Bizone eine neue Qualität. Auf der Zusammenkunft der Flüchtlingsminister des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 24./25. Juli 1947 in Bad Segeberg wurden einige rich- tungsweisende Beschlüsse getroffen. Sie beinhalteten unter anderem Maßnah- men, die insbesondere eine Entlastung des mit Vertriebenen überbevölkerten Schleswig-Holstein anstrebten. Gemäß den Ergebnissen der Münchener Mini- sterpräsidentenkonferenz (6.-8.6.1947) sollten Umsiedlungen auf der Grundla- ge gleicher statistischer Unterlagen erfolgen und sich zunächst primär an der Wohnraumlage orientieren, aber auch eine Berücksichtigung der Arbeits- marktlage war vorgesehen123. Obschon im Sommer 1948 mit der Umsiedlung aus Schleswig-Holstein, wenn auch nur in einem sehr geringem Maße124, be- gonnen wurde und die westdeutschen Ministerpräsidenten einen Verordnungs- entwurf ausarbeiten, der den Bevölkerungsausgleich regeln sollte, wurden bin-

123 Zur Umsiedlungsdiskussion vor der Gründung der Bundesrepublik vgl. Dierk Hoffmann: Binnenwanderung und Arbeitsmarkt. Beschäftigungs- politik unter dem Eindruck der Bevölkerungsverschiebung in Deutsch- land nach 1945. In: Hoffmann/Krauss/Schwartz (Hrsg.): Vertriebene in Deutschland, S. 219-235. Aus Ländersicht vgl. zum Beispiel Michael Sommer: Flüchtlinge und Vertriebene in Rheinland-Pfalz. Aufnahme, Unterbringung und Eingliederung. Mainz 1990 (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland- Pfalz, Bd. 15), S. 84 ff. sowie Uwe Kleinert: Die Flüchtlinge als Arbeits- kräfte – zur Eingliederung der Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen nach 1945. In: Bade (Hrsg.): Neue Heimat im Westen, S. 37-60.

124 Dabei wurde eine Umsiedlung von 541 Vertriebenen aus Schleswig-Hol- stein nach Niedersachsen von deren massiven Protesten begleitet. Ihnen konnten an ihren Zielorten, anders als zugesagt, weder abgeschlossene Wohnungen noch sofortige Arbeit zur Verfügung gestellt werden, vgl. Müller/Simon: Aufnahme und Unterbringung, S. 393. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 192 dende Beschlüsse und eine umfassende Umsiedlungsprogrammatik erst mit der Konstituierung der Bundesrepublik gefaßt.

Im Zuge der neuentstehenden administrativen Strukturen nahm sich vor allem das im September 1949 gegründete Bundesministerium für Vertriebene125 der immer dringender werdenden Frage nach der Verteilung der Neubürger in der Bundesrepublik an. Eine von ihm ausgearbeitete ‚Verordnung über die Um- siedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein‘ trat am 29.11.1949 als erstes der sogenannten ‚Umsied- lungsprogramme‘ in Kraft, dem bis Mitte 1956 noch drei weitere folgen soll- ten. Diese Programme sahen die Umsiedlung von insgesamt 1.050.000 Vertrie- benen innerhalb der Bundesrepublik vor126. Gemäß festgelegter Quoten soll- ten die drei ‚Hauptflüchtlingsländer‘ eine deutliche Entlastung erfahren, als Zielgebiete dieser gelenkten Wanderung waren in erster Linie vorgesehen die Länder der ehemaligen französischen Besatzungszone (Rheinland-Pfalz, Ba- den-Württemberg), die bis dahin nur wenige Vertriebene aufgenommen hatten, sowie Nordrhein-Westfalen. Die rechtliche Grundlage der Umsiedlungen bil- dete zunächst Art. 119 GG127, nach der Verabschiedung des Bundesvertriebe- nengesetzes vom 19.5.1953 dessen §§ 26-34.

Mit den Umsiedlungsprogrammen sollten mehrere ineinandergreifende Ziele realisiert werden. Als erstes ging es wie angesprochen darum, eine bevölke- rungsmäßige Entlastung der Länder, die den höchsten Anteil an Vertriebenen aufwiesen, also Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, zu erreichen.

125 Vgl. Matthias Beer: Symbolische Politik? Entstehung, Aufgaben und Funktion des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. In: Oltmer (Hrsg.): Migration steuern und verwalten, S. 295-322.

126 Vgl. zu den Umsiedlungsprogrammen betrifft: Eingliederung der Ver- triebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten, S. 75 ff.

127 Im Wortlaut: „In Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen, insbesondere zu ihrer Verteilung auf die Länder, kann bis zu einer bun- desgesetzlichen Regelung die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen. Für besondere Fälle kann dabei die Bundesregierung ermächtigt werden, Einzelweisun- gen zu erteilen. Die Weisungen sind außer bei Gefahr im Verzuge an die obersten Landesbehörden zu richten.“ 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 193

Mit der Abwanderung der Vertriebenen wurde zugleich eine Entlastung der öffentlichen Kassen angestrebt. Die Versorgung der Gruppe der Vertriebenen verursachte Kosten, von denen die jeweiligen Haushalte der drei ‚Hauptflücht- lingsländer‘ mit dem nördlichsten Bundesland an der Spitze am stärksten be- troffen waren. Im Rechnungsjahr 1947/48 zum Beispiel hatten sich die Auf- wendungen für alle Vertriebenen in Schleswig-Holstein auf 12,2 % des Steuer- aufkommens des Landes belaufen; die nächsthöchsten Anteile wiesen Nieder- sachsen (7,0 %) und Bayern (5,7 %) auf, während er in Nordrhein-Westfalen nur bei 2,4 % lag128. Mit einer gleichmäßigeren Verteilung der Vertriebenen- bevölkerung innerhalb der Bundesrepublik war also auch die gleichmäßigere Verteilung der mit ihr verbundenen finanziellen Belastungen beabsichtigt.

Zur Verringerung dieser Belastungen sollte auch und nicht zuletzt die mög- lichst rasche Eingliederung der Deutschen aus dem Osten in den Arbeitsmarkt beitragen. Ein weiteres wichtiges Motiv der Umsiedlungsprogramme lag des- halb darin, die Vertriebenen dort anzusiedeln, wo Arbeitskräfte benötigt wur- den. Hiermit eng verknüpft war die Frage nach der Unterbringung der Um- siedler in den Zielgebieten. Denn die wirtschaftlichen Zentren verzeichneten die größten Kriegszerstörungen, so daß zusätzlicher Wohnraum zur Verfügung gestellt werden mußte. Im Vorfeld der Beratungen zum zweiten Umsiedlerpro- gramm stellte der CDU-Abgeordnete Pfender im Bundestag fest, „daß es in erster Linie darum geht, die Umzusiedelnden da anzusetzen, wo ihnen Arbeit gegeben werden kann. Aber gerade an diesen Orten ist Wohnraum nicht vor- handen. […] Es werden somit Wohnungen bei den Arbeitsplätzen geschaffen werden müssen.“129 Neben der Förderung der Eingliederung der Vertriebenen in den Arbeitsmarkt ging es bei den Umsiedlungen also auch um die Förderung ihrer wohnräumlichen Eingliederung. Zwischen 1949 und 1962 wurden seitens des Bundes 4 Milliarden DM aufgewendet für die Umzugs- und Reisekosten der Umsiedler und die Errichtung von Neubauwohnungen dort, wo ihnen zwar Arbeitsplätze angeboten wurden, es aber an Wohnraum mangelte130.

128 Vgl. Bethlehem: Heimatvertreibung, S. 57 f.

129 Zit. nach ebd., S. 62.

130 Vgl. Gerhard Reichling: Der Beitrag der deutschen Vertriebenen, S. 90. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 194

Reichling kommentiert das in der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte einmalige Projekt folgendermaßen: „Während der fortschreitenden Industriali- sierung Deutschlands im 19. Jahrhundert mußten sich die Betriebe selbst um die Anwerbung von Arbeitskräften und ihre wohnungsmäßige Unterbringung kümmern. Die Unternehmen haben dafür enorme Summen aufbringen müssen. Nun wurden die Arbeitskräfte den Betrieben frei Haus geliefert und die benö- tigten Wohnungen als Zugabe gleich mit bereitgestellt. Die Unternehmen ha- ben dadurch Milliardenbeträge eingespart, die sie zu Investitionen für die Stei- gerung und Verbesserung der Produktion verwenden konnten. So zog die Wirt- schaft aus der bloßen Gegenwart der Vertriebenen Nutzen.“131

Als mit dem 31.12.1965 die gelenkten Umsiedlungsmaßnahmen zwischen den Bundesländern offiziell als abgeschlossen erklärt wurden, hatten sich an ihnen 1.032.000 Personen beteiligt; hinzu kamen noch rund 400.000 Vertriebene, die innerhalb der Länder umgesiedelt wurden132. Die Teilnahme an den Umsied- lungen erfolgte dabei grundsätzlich freiwillig: Zunächst konnte an der gelenk- ten Binnenwanderung nur teilnehmen, wer sich bei der Landesflüchtlingsver- waltung des Abgabelandes freiwillig meldete und einen Antrag stellte. Die Antragsteller wurden ausgewählt nach Merkmalen wie Alter, Geschlecht und Beruf, später spielte auch die Familienzusammenführung eine Rolle. Damit an den Umsiedlungen nicht nur die wirtschaftlich aktiven Vertriebenen teilnah- men und nur noch diejenigen, die nicht oder nicht mehr nach Arbeit verlangten

131 Ebd.

132 Vgl. Körner: Der Zustrom von Arbeitskräften, S. 137 ff. Umsiedlungen gab es innerhalb eines jeden Bundeslandes. Einzigartig in der bundes- republikanischen Geschichte ist dabei der sogenannte ‚Hessenplan‘ von 1950, der eine Art Landesentwicklungsplan darstellte. Auf seiner Grund- lage wurden in Hessen von 1951 bis 1961 nicht nur annähernd 87.000 Vertriebene aus ihren ursprünglichen Aufnahmegebieten an Arbeitsplätze herangebracht und gleichzeitig weit über 1.000 Flüchtlings- industriebetriebe gegründet. Im Laufe der Zeit wurde der Plan mit Ideen einer allgemeinen Landesplanung verknüpft, mündete 1957 in einen vorläufigen Raumordnungsplan und 1965 in einen mittel- bis langfristig angelegten ‚Großen Hessenplan‘, vgl. Rolf Messerschmidt: Aufnahme und Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in Hessen 1945-1950. Zur Geschichte der hessischen Flüchtlingsverwaltung. Wiesbaden 1994, S. 261-283 und S. 300 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 195

(zum Beispiel Renten-, Pensions- und Fürsorgeempfänger) in den Abgabelän- dern verblieben, wurden Quoten festgelegt, um den letztgenannten Personen- kreis mitsamt dessen in Familien-, Haushalts- oder Lebensgemeinschaft leben- den Angehörigen in die Wanderung einzubeziehen133.

Während 1949 noch alle Umsiedler in organisierten Transporten die Aufnah- meländer erreichten, wurde diese Form der gelenkten Wanderung im Zuge des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs und des steigenden Arbeitskräfte- bedarfs in den Aufnahmeländern zu Beginn der 1950er Jahre zunehmend durch die freien und ungelenkten Wanderungen der Vertriebenen innerhalb der Bun- desrepublik verdrängt. Bereits 1950 vollzogen nur noch 64,8 % aller Umsiedler ihre Binnenmigration in Transporten, im Jahr darauf waren es nurmehr 38,9 % und 1952 35,2 %; ab 1953 wurden Umsiedlungstransporte nur noch in Schles- wig-Holstein zusammengestellt134. Zu den organisierten Umsiedlungen ka- men auf diese Weise noch einmal 2,4 Millionen Umzüge hinzu135. Aufschluß- reich ist in diesem Zusammenhang der Blick auf die Struktur der gelenkten und der ungelenkten Wanderungen, der zeigt, daß sich die freien Wanderungen zum Nachteil der Abgabeländer entwickelten. So wanderten bei der ungelenk- ten Umsiedlung unverhältnismäßig mehr Erwerbspersonen ab, während bei der Zusammenstellung der Transporte, um eine tatsächliche Entlastung der Volks- wirtschaft des Abgabelandes zu erreichen, das Verhältnis von Erwerbspersonen zu Nichterwerbspersonen entsprechend dem des Abgabelandes festgesetzt wurde. Dies verdeutlicht die folgende Tabelle 12:

133 Die Einbeziehung dieses ‚Sozialgepäcks‘ in die Wanderungen hatte ver- schiedene Ziele. Hierbei ging es zum einen um die gerechte Verteilung von Soziallasten. Zum anderen sollte diesen in der freien Wanderung be- nachteiligten, da schwer einzugliedernden Personen die Möglichkeit ge- geben werden, mit einer gelenkten Umsiedlung an einen Arbeitsplatz herangeführt zu werden, um so die eigene soziale Stellung verbessern zu können, vgl. Bethlehem: Heimatvertreibung, S. 63 ff.

134 Vgl. Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik, S. 45.

135 Vgl. Ulrich: Vertriebene and Aussiedler, S. 166. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 196

Tabelle 12: Erwerbsquoten von Umsiedlern in Transporten und außerhalb davon in den Jahren 1950-1952 und Vertriebenen am 13.9.1950 (in %)

Umsiedler in Umsiedler außer- Vertriebene am Land Transporten halb von Trans- 13.9.1950 porten Schleswig- 37,2 61,6 37,6 Holstein Niedersachsen 39,2 61,7 40,4 Bayern 46,8 57,8 42,3 Zusammen 39,3 60,6 40,7

Quelle: Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik, S. 47

Wie die Tabelle zeigt, lagen die Erwerbsquoten bei den Umsiedlern außerhalb von Transporten nicht nur deutlich über denjenigen der Umsiedler in Transpor- ten, sondern sie überstiegen auch mit Abstand die Erwerbsquoten der Vertrie- benenbevölkerung in den jeweiligen Abgabeländern. Auch bei dieser freien nationalen Binnenwanderung war, ähnlich wie bei freien transnationalen Wan- derungsbewegungen, die Bereitschaft zur Migration also am stärksten bei de- nen ausgeprägt, die wirtschaftlich am mobilsten waren. Der Auswahlprozeß innerhalb der ungelenkten Umsiedler zeigt sich auch in ihrer Altersstruktur. Bei ihnen waren im Vergleich zu den Umsiedlungstransporten und der Vertrie- benenbevölkerung in den Abgabeländern die 15- bis 25jährigen deutlich, in abgeschwächter Form auch die 25- bis unter 45jährigen überrepräsentiert136.

Gemäß der Zielsetzung der Umsiedlungsprogramme verzeichneten alle Bun- desländer mit Ausnahme der drei Abgabeländer Schleswig-Holstein, Nieder- sachsen und Bayern eine negative Wanderungsbilanz, d. h., in alle anderen Bundesländer erfolgte die Zuwanderung von Vertriebenen. Knapp die Hälfte (491.000) der planmäßig Umgesiedelten hatte dabei Nordrhein-Westfalen auf- genommen, gefolgt von Baden-Württemberg (470.400). Die stärkste Abwande- rung erfolgte mit 408.300 Umsiedlern aus Schleswig-Holstein, aus Niedersach-

136 Vgl. Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik, S. 46. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 197 sen wanderten 324.400 und aus Bayern 256.900 Personen ab137. Insgesamt zeichneten sich die Vertriebenen in den 1950er Jahren durch eine hohe Wande- rungsaktivität aus. Dies geschah zum einen vor dem Hintergrund der staatli- chen Umsiedlungsprogramme, zum anderen vor allem aber auch aufgrund ei- nes hohen Maßes an Eigeninitiative. Die (Weiter-)Wanderung der Vertriebenen zur Arbeitsplatzsuche hatte in den Westzonen zwar schon mit der Gewährung der Freizügigkeit 1948 eingesetzt, der wirtschaftliche Aufschwung und der starke Arbeitskräftebedarf der 1950er Jahre stimulierten ihre regionale Mobili- tät noch einmal nachhaltig. Rein statistisch gesehen verlegte jeder Vertriebene in der Zeit von 1949 bis 1960 mindestens einmal seinen Wohnsitz innerhalb des Bundesgebietes138. Die ausgeprägte Mobilität der Vertriebenen drückt sich auch in den sogenannten ‚Mobilitätsziffern‘ aus, also der Anzahl der Wanderungsfälle innerhalb des Bundesgebietes pro 1.000 Personen. Sie lagen nicht nur zu Beginn, sondern auch gegen Ende der 1950er Jahre, trotz sinken- der Tendenz, deutlich über denen der übrigen Bevölkerung139.

Im Rahmen ihrer inneren Umsiedlung in den 1950er Jahren und dem damit oftmals verbundenen Umzug vom Land in die Stadt siedelten sich die Vertrie- benen, abgesehen von der Sogwirkung großstädtischer industrieller Zentren, vor allem in Klein- und Mittelstädten an. Auf die Frage, warum sie diese be-

137 Die Angaben beziehen sich auf den Zeitraum von 1949-1960, vgl. Beth- lehem: Heimatvertreibung, S. 73 ff.

138 Vgl. Frantzioch-Immenkeppel: Die Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 7. Bei der Binnenmigration der Vertriebenen spielte nicht nur ihre Abwanderung aus den Hauptflüchtlingsländern eine Rolle, sondern auch ihre Wanderung innerhalb dieser. Für Niedersachsen waren die Binnenwanderungen innerhalb des Landes im Hinblick auf die Entla- stung der anfangs stark mit den Zwangszuwanderern belegten kleinen Gemeinden unter 1.000 Einwohnern sogar wesentlich bedeutender als die Wanderungen über die Landesgrenze, vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 89.

139 Vgl. Gerold Ambrosius: Der Beitrag der Vertriebenen und Flüchtlinge zum Wachstum der westdeutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Welt- krieg. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2 (1996), S. 39-71, hier S. 50. Der Autor verweist zudem auf den, im Vergleich zur übrigen Be- völkerung, größeren Anteil der Berufspendler unter den Vertriebenen, deren Arbeitsstelle sich außerhalb ihrer Wohngemeinde befand, vgl. ebd. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 198 vorzugten, gibt es allerdings keine eindeutige Antwort. Während die zeitgenös- sische Soziologin Elisabeth Pfeil darin in zivilisationskritischer Argumentation einen „gesunden Kern“ der vertriebenen Landbevölkerung zu erkennen glaubte, der sich „Verstädterung“ und „Vermassung“ widersetzt habe140, wei- sen neuere Ergebnisse in eine andere Richtung. Parisius stellt die beruflichen Chancen heraus, die sich zum damaligen Zeitpunkt noch am ehesten in Klein- und Mittelstädten boten, „hatten doch in den Großstädten die mobilsten und leistungsfähigsten Flüchtlinge [Vertriebene, der Verf.] schon längst Fuß gefaßt und wohl auch bereits die meisten Nischen besetzt.“141 Für die Vertriebenen spielte die Aussicht auf Arbeitsplätze bei ihrer Entscheidung zur Binnenmigra- tion eine wichtige, aber nicht die alleinige Rolle. Hinzu kamen auch Kriterien wie etwa die Religion oder die landsmannschaftliche Herkunft142.

Schon zu Beginn der Aussiedlerzuwanderung in den 1950er Jahren war die Aufnahme und Verteilung über das Bundesgebiet mit Hilfe einer länderspezifi- schen Quotierung festgelegt. Maßgeblich war hier § 8 BVFG. Der Verteilungs- schlüssel orientierte sich an Bevölkerungszahl und Flächengröße der einzelnen Bundesländer. Damit sollte eine starke Dislokation der Zuwanderer, wie sie in der besonderen Situation in der Nachkriegszeit bei den Vertriebenen geschehen war, verhindert und ihre gleichmäßige Verteilung innerhalb der Bundesrepu- blik sichergestellt werden. Das Prinzip der Quotierung wurde ab 1990 auch auf die neuen Bundesländer übertragen, die zusammen 20 % der zuwandernden Aussiedler aufzunehmen hatten. Die größte Sollanteile hatten weiterhin Nord- rhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg143. Die weitere Verteilung

140 Vgl. Elisabeth Pfeil: Die berufliche und soziale Eingliederung der Hei- matvertriebenen in Niedersachsen. In: Niedersachsen und das Flücht- lingsproblem, Heft 3: Aufbau aus eigener Kraft. Hannover 1951, S. 7-23, hier S. 7 f.

141 Parisius: Flüchtlinge und Vertriebene in Osnabrück und im Osnabrücker Land, S. 66.

142 Vgl. Parisius: Viele suchten sich ihre neue Heimat selbst, S. 218.

143 Zu den einzelnen Verteilungsquoten der 16 Bundesländer gemäß dem in den 1990er Jahren neu gefaßten § 8 BVFG vgl. Info-Dienst Deutsche Aussiedler Nr. 104 (1999), S. 18 f. Zu den Verteilungsquoten vor 1990 vgl. Hallermann: Rahmenbedingungen der Unterbringung, S. 87, Anm. 2. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 199 der Aussiedler innerhalb der einzelnen Bundesländer war nicht einheitlich ge- regelt. So bevorzugten die meisten Länder (Bayern, Brandenburg, Mecklen- burg-Vorpommern, Saarland, Schleswig-Holstein) allein die Einwohnerzahl als Verteilungsmaßstab, während in anderen Ländern (zum Beispiel Baden- Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen) der Zuteilungsschlüssel auch auf die Fläche bezogen wurde. In Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz gab es keinen festgelegten Zuweisungsschlüssel144.

Bis zum Jahr 1989 wurden die Quoten für die Verteilung der Aussiedler aller- dings nicht immer streng eingehalten145. Persönliche Wünsche für die Erstan- siedlung in der Bundesrepublik, wie etwa familiäre Kontakte an einem be- stimmten Ort, wurden nach Möglichkeit berücksichtigt. Das führte einmal da- zu, daß sich bestimmte Siedlungsschwerpunkte bilden konnten. Die Rumänien- aussiedler etwa, namentlich die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, präferierten dabei eindeutig die südlichen Bundesländer. Neben dort bereits wohnenden vorausgewanderten Verwandten und Bekannten kam als Faktor für ihre räumliche Verteilung auch die sogenannte ‚Urheimat‘-Vorstellung in Be- tracht, d. h., sie wanderten in Gebiete zurück, aus denen ihre Vorfahren vor Generationen gen Osten aufgebrochen waren146. Darüber hinaus gab es zwi- schen den Bundesländern erhebliche Unterschiede in den Soll-Anteilen und der

144 Vgl. Wenzel: Aussiedlerzuwanderung als Strukturproblem in ländlichen Räumen, S. 265 f. Wenzel betont dort auch die sich aus den unterschied- lichen Verteilungsschlüsseln ergebenden Konsequenzen. In den Bundes- ländern, in denen allein die Einwohnerzahl als Verteilungsmaßstab gilt, führt die Aussiedlerzuwanderung zu einer Verstärkung der Ballungs- effekte in den Verdichtungsräumen. Dagegen kommt es in den Ländern, in denen der Zuteilungsschlüssel auch auf die Fläche bezogen wird, von vornherein zu einer stärkeren räumlichen Streuung der Aussiedlerwohn- standorte.

145 Vgl. Heller/Bürkner/Hofmann: Migration, Segregation und Integration von Aussiedlern, S. 90.

146 Vgl. Wilfried Heller / Friedhelm Koch: Deutsche Aussiedler aus Rumä- nien – Landsleute oder eine Minorität? Zur räumlichen Mobilität einer Einwanderergruppe. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 30 (1987), S. 21-55; Friedhelm Koch: Deutsche Aussiedler aus Rumänien. Analyse ihres räumlichen Verhaltens. Köln, Wien 1991 (Studia Transylvanica, Bd. 20). 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 200 tatsächlichen Ist-Aufnahme im Hinblick auf die Aussiedlerzuwanderung. Bei- spielsweise hatte sich 1987/88 in Nordrhein-Westfalen und Berlin die Ist- Aufnahme verdreifacht und die vereinbarten Aufnahmequoten waren dort weit überschritten worden. Dagegen blieben andere Bundesländer, wie etwa Nieder- sachsen, unter ihren Soll-Anteilen147. Daraufhin drängten die von Zuwande- rung besonders betroffenen Länder auf neue Steuerungsmaßnahmen durch Neuordnung der Länderverteilung, blieben mit ihren Bestrebungen aber zu- nächst ohne Erfolg.

Erst mit einem weiteren starken Anstieg der Aussiedlerzahlen 1989, die zu- sammenfiel mit der verstärkten Zuwanderung von DDR-Übersiedlern, die zum damaligen Zeitpunkt noch unter Vermittlung der bundesdeutschen Botschaften in Prag und Budapest ihren Weg in die Bundesrepublik antraten, schuf der Bund ein rechtliches Instrumentarium, um der wachsenden Dichte von Sied- lungskonzentrationen der Aussiedlerbevölkerung und den damit verbundenen Belastungen, die auf Landes- und vor allem auf kommunaler Ebene ganz unter- schiedlich verteilt waren, zu begegnen. Mit dem ‚Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Aussiedler und Übersiedler‘ vom Juli 1989, kurz und im folgenden Wohnortzuweisungsgesetz (WoZuG) genannt, konnten die Länder nunmehr Aussiedlern, die ihrem Status entsprechende Leistungen in Anspruch nehmen wollten, für drei Jahre einen bestimmten Wohnort zuweisen. Eine Ausnahme wurde gewährt, wenn in einer anderen Gemeinde ein Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz nachgewiesen werden konnte. In der Folge dieses Gesetzes mußten Aussiedler zwecks ihrer gleichmäßigen Verteilung auch an Orte ziehen, für die sie sich nicht freiwillig entschieden hatten. Hierin ist ein wesentlicher Unterschied in Gesetzgebung und Verwaltungspraxis zwi- schen Vertriebenen und Aussiedlern festzustellen, denn bei den Erstgenannten erfolgte die Teilnahme an den gelenkten Umsiedlungsverfahren in den 1950er Jahren, die ihre gleichmäßige Verteilung und die Entlastung einzelner Länder sicherstellen sollten, grundsätzlich nur auf freiwilliger Basis148.

147 Vgl. Herwartz-Emden/Westphal: Die fremden Deutschen, S. 179.

148 Vgl. Klekowski von Koppenfels: The decline of privilege, S. 111. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 201

Das WoZuG wurde zwar 1992 für weitere drei Jahre verlängert, zeigte aller- dings nicht die erhoffte Wirkung. Zwar wurden die Aussiedler einem be- stimmten Bundesland zugewiesen, viele von ihnen zogen aber schon nach kur- zer Zeit wieder um149. Mit der starken Zunahme der Aussiedlerzuwanderung verstärkte sich bei dieser Gruppe sogar der Trend, bestimmte Regionen bei der Wohnstandortwahl zu bevorzugen. In den 1990er Jahren war dabei zu beob- achten, daß Aussiedler verstärkt in ländliche Räume zogen150. Zu Siedlungs- schwerpunkten entwickelten sich unter anderem Ostwestfalen, der Oberbergi- sche Kreis sowieso die niedersächsischen Landkreise Emsland und Osnabrück. Die Hintergründe für die räumliche Verdichtung von Siedlungskonzentrationen wurden in Kapitel 3. bereits ausführlich diskutiert und sollen deshalb hier nur kurz zusammengefaßt werden: Zuallererst sind Kettenmigrationen zu nennen, welche auf verwandtschaftliche, glaubensgemeinschaftliche und Herkunftsver- flechtungen zurückgehen. Insbesondere für die Aussiedler aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion war die räumliche Nähe zu Familie und/oder Glau- bensgemeinschaft von besonderer Bedeutung. Weitere Gründe waren unter anderem die mit Beginn der starken Aussiedlerzuwanderung nach Deutschland von einzelnen Landkreisen, Städten und Gemeinden durchgeführte gezielte Ansiedlungspolitik sowie das Vorhandensein von Durchgangslagern in der näheren Umgebung. Wie Wenzel151 und auch Henkel152 festgestellt haben, spielte die Arbeitssuche bzw. am gewählten Wohnort vorhandene Arbeitsplätze bei der Wohnstandortwahl der Aussiedler nur eine untergeordnete Rolle. Wen- zel konnte in diesem Zusammenhang sogar eine direkte negative Verknüpfung von Siedlungsverhalten und Arbeitslosigkeit anhand der bereits erwähnten

149 In Erwartung dauerhaft schlechterer Lebensverhältnisse als in West- deutschland wanderten die Aussiedler besonders stark aus den ostdeut- schen Bundesländern ab, vgl. Hofmann/Bürkner/Heller: Aussiedler – ei- ne neue Minorität, S. 20 f.

150 Vgl. Wenzel: Aussiedlerzuwanderung als Strukturproblem in ländlichen Räumen, S. 265.

151 Vgl. ebd., S. 280.

152 Vgl. Reinhard Henkel: Religionsgemeinschaften als Institutionen der Binnenintegration: Das Beispiel rußlanddeutscher Aussiedler in Rhein- hessen. In: Heller (Hrsg.): Neue Heimat Deutschland, S. 109-125, hier S. 118. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 202

Landkreise Emsland und Osnabrück zeigen. Die Aussiedlerzuwanderung setzte hier 1989 ein und verharrte bis über die Mitte der 1990er Jahre hinaus auf ho- hem Niveau. Im Landkreis Osnabrück verzeichnete dabei ausgerechnet der strukturschwache nördliche Teil die höchsten Zuzugsquoten. Die Aussiedler stellten in mehreren Gemeinden bis 1995 über 12 % der Bevölkerung, womit der Wert damit deutlich über dem des gesamten Landkreises lag. „Parallel zu dieser ungleichgewichtigen räumlichen Verteilung stiegen die Erwerbs- losenziffern im Nordkreis, wo die Aussiedler stark vertreten sind. In einigen Gemeinden machen die Aussiedler bis zu 50 % der Erwerbslosen aus […]“153

Die in der ersten Hälfte der 1990er Jahre forcierte ungleiche Verteilung der Aussiedler in der Bundesrepublik führte nicht nur zu ungleichen Belastungen für die Länder, sondern vor allem auch für die Kommunen. Für sie kam er- schwerend hinzu, daß sich die Arbeitsmarkteingliederung der Aussiedler, auf die noch einzugehen sein wird, zunehmend schwieriger gestaltete und sie nun über die Sozialhilfe die entsprechenden Folgekosten zu tragen hatten. Bei- spielsweise stiegen die Sozialhilfe-Ausgaben für Aussiedler im Landkreis Os- nabrück sprunghaft von 700.000 DM im Jahr 1992 über 3,1 Millionen DM im Jahr 1993 auf 14 Millionen DM im Jahr 1994 an154. Der Bund sah sich ange- sichts solcher und ähnlicher Entwicklungen gezwungen, erneut gesetzgeberisch tätig zu werden, und im März 1996 trat daraufhin eine veränderte Fassung des WoZuG in Kraft, welche für die Aussiedler nicht unerhebliche Konsequenzen nach sich zog. Sie verloren demnach, sofern sie nicht die ersten zwei Jahre an dem ihnen zugewiesenen Wohnort verblieben, nicht nur sämtliche Ansprüche auf Eingliederungsmaßnahmen, sondern auch auf Arbeitslosenunterstützung,

153 Wenzel: Aussiedlerzuwanderung als Strukturproblem in ländlichen Räumen, S. 277. Auch Herwartz-Emden/Westphal betonen die starken Unterschiede zwischen den Gemeinden und Städten des Landkreises Os- nabrück in bezug auf die Aussiedlerarbeitslosigkeit. Für das Jahr 1996 geben sie den Arbeitslosenanteil in der Gruppe der Aussiedler in Bersen- brück auf mehr als 50 % an, in Neuenkirchen auf knapp 50 % und in Belm auf über 30 %. In den im mittleren und südlichen Teil des Land- kreises gelegenen Gemeinden Bad Rothenfelde, Bissendorf und Melle lag er hingegen bei unter 5 %, vgl. Herwartz-Emden/Westphal: Die fremden Deutschen, S. 203.

154 Vgl. Thränhardt: Integration und Partizipation von Einwanderergruppen, S. 233. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 203

Sozialhilfe usw.155 Da die Aussiedler vor allem in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik auf öffentliche Unterstützungsmaßnahmen an- gewiesen waren, stellte dieses Gesetz eine gravierende Mobilitätsbeschränkung dar. Ende 1999 wurde das WoZuG bis zum Jahr 2009 verlängert und die Wohnortbindung auf drei Jahre ausgedehnt. Vier Jahre nach der Einführung des WoZuG von 1996 hatte es sich nach Einschätzung des damaligen Aus- siedlerbeauftragten der Bundesregierung, Jochen Welt, bewährt, eine gleich- mäßige Verteilung der Aussiedler im Bundesgebiet konnte erreicht werden156.

Um die gleichmäßigere Verteilung der Aussiedler in der Bundesrepublik zu gewährleisten und einzelne Länder und insbesondere Kommunen finanziell zu entlasten, sollte ihre Binnenmigration, zumindest für einen gewissen Zeitraum, also erschwert werden. Entschlossen sie sich innerhalb dieses Zeitraumes doch zu einem Wohnortwechsel, drohten ihnen massive finanzielle Sanktionen. Die- se Mobilitätsbeschränkung war in mehrerlei Hinsicht problematisch. Zunächst einmal stellt sich die Frage, inwieweit die Bestimmungen des WoZuG mit dem grundgesetzlich verbürgten Recht auf Freizügigkeit kollidierten157. Ferner bestand die Gefahr, daß traditionelle soziale Netze zerstört und nicht durch geeignete Eingliederungsmaßnahmen an den zugewiesenen Wohnorten ergänzt wurden. Das galt insbesondere für die neuen Bundesländer, wo Aussiedler oftmals in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und zum Teil in alten Miets- haus- und Kasernenanlagen untergebracht wurden und es an spezifischen Ein- gliederungsangeboten mangelte158.

Im Vergleich zu den administrativen Lösungskonzepten, die zur gleichmäßige- ren Verteilung der Vertriebenen im Bundesgebiet und der damit verbundenen

155 Ausnahmen waren auch hier wiederum nur gestattet, wenn andernorts eine Wohnung sowie ein Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz nach- gewiesen werden konnte.

156 Vgl. Welt: Die Aussiedlerpolitik der Bundesregierung, S. 9.

157 Vgl. zu dieser Diskussion Klekowski von Koppenfels: Willkommene Deutsche oder tolerierte Fremde?, S. 416 f.

158 Vgl. Wenzel: Aussiedlerzuwanderung als Strukturproblem in ländlichen Räumen, S. 266. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 204 finanziellen Entlastung der Hauptflüchtlingsländer angewendet wurden, fällt auf, daß bei den Aussiedlern genau gegenteilige Konzepte präferiert wurden. Während die regionale Mobilität der Vertriebenen, beispielsweise durch die Umsiedlungsprogramme, gefördert und damit nicht zuletzt auch ein wichtiger Beitrag zu ihrer Eingliederung in den Arbeitsmarkt geleistet werden sollte, wurde die Mobilität der Aussiedler eingeschränkt. Die regionale Arbeitsmarkt- situation und damit verbundene Eingliederungschancen schienen bei ihrer Verteilung auf die Bundesländer offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben, wie anhand der oben dargestellten Ansiedlungspraxis in den neuen Bundesländern zu sehen war. Es wurde bei der Verteilung der Aussied- ler vor allem die Notwendigkeit gesehen, neue regionale und lokale Siedlungs- schwerpunkte zu vermeiden und alte nicht weiter zu belasten159, offenbar auch auf Kosten ihrer Eingliederungschancen auf dem Arbeitsmarkt. In diesen Siedlungsschwerpunkten der Aussiedler, ihren Wirkungen, aber auch ihrer öf- fentlichen Perzeption scheint ein Schlüssel für das Verständnis der unter- schiedlichen administrativen Lösungskonzepte in bezug auf die Verteilung von Vertriebenen und Aussiedlern und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für ihre Binnenmigration zu liegen.

Zwar hatte es auch bei der Ende der 1940er Jahre einsetzenden und in den 1950er Jahren verstärkten Weiterwanderung der Vertriebenen regional und lokal verdichtete Siedlungskonzentrationen gegeben, und Orte wie Espelkamp, Waldkraiburg oder Neugablonz wurden nicht nur national sogar als regelrechte ‚Vertriebenenstädte‘ bekannt. Trotz der anfänglichen Skepsis vieler Zeitgenos- sen prosperierten sie auch wirtschaftlich rasch und gelten heute allgemein als gelungener Bestandteil der Vertriebeneneingliederung160. Hilfreich war hier sicherlich auch, daß die soziokulturellen und sprachlichen Unterschiede zwi- schen Einheimischen und Zuwanderern letztlich nicht sonderlich ausgeprägt waren. Ungleich negativer fällt dagegen die Beurteilung von Siedlungskon- zentrationen der Aussiedler aus. Für Bade/Oltmer etwa sind sie „eines der

159 Vgl. Welt: Die Aussiedlerpolitik der Bundesregierung, S. 9.

160 Vgl. Mathias Weifert: Zur Soziologie der deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedler. In: AWR-Bulletin 33 (1996), S. 44-51, hier S. 47 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 205 sichtbarsten Probleme bei der Aussiedlereingliederung.“161 Neben unter- schiedlichen finanziellen Belastungen für Länder und vor allem Kommunen wurden in diesem Zusammenhang die großen soziokulturellen und insbesonde- re sprachlichen Differenzen zwischen den Aussiedlern und der einheimischen Bevölkerung genannt mit einem immanenten sozialen Konfliktpotential. Statt mittelfristig integrative Auswirkungen wurden von geschlossenen Aussiedler- kolonien deshalb dauerhaft segregative Auswirkungen befürchtet162.

Mit dem WoZuG wurde 1996 die regionale Mobilität der Aussiedler stark ein- geschränkt. Aber auch schon vorher konnte festgestellt werden, daß Aussiedler – ein für Zuwanderer eher untypischer Befund – keine besonders mobile Grup- pe sind163. Dabei ergibt sich auch hier wieder ein methodisches Problem: Über das weitere Wanderungsverhalten von Aussiedlern nach ihrer Verteilung auf Länder und Kommunen existieren keine offiziellen statistischen Unterla- gen. Als deutsche Staatsangehörige wurden sie, im Gegensatz zu den Vertrie- benen, in den Wanderungsstatistiken nicht gesondert erfaßt. Auch hier muß also wieder auf Studien zurückgegriffen werden, die ihr Datenmaterial aus Zu- satzbefragungen, Stichprobenuntersuchungen usw. bezogen.

Nach den Ergebnissen von Mammey, der die regionale Mobilität von Aussied- lern zwischen 1991 und 1994 untersuchte, unterschieden sich die Deutschen aus dem Osten diesbezüglich kaum von den Einheimischen und wanderten etwa gleich häufig164. Auch bezogen auf soziodemographische Merkmale näherten sich die Aussiedler in ihrem Wanderungsverhalten der einheimischen Bevölkerung an. Langdistanzielle Wanderungen (Wanderungen über die Gren-

161 Bade/Oltmer: Einführung, S. 35.

162 Vgl. Heller/Bürkner/Hofmann: Migration, Segregation und Integration von Aussiedlern, S. 97.

163 Vgl. etwa Koch: Deutsche Aussiedler aus Rumänien; R. Sinz: Die Aus- siedlerfrage als Herausforderung für das Land Nordrhein-Westfalen und seine Kommunen. In: Informationen zur Raumentwicklung 1989, S. 369- 375; Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 68.

164 Vgl. Ulrich Mammey: Segregation, regionale Mobilität und soziale Inte- gration. In: Bade/Oltmer (Hrsg.): Aussiedler: deutsche Einwanderer aus Osteuropa, S. 107-126, hier S. 114 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 206 zen des Bundeslandes) legten bei Einheimischen und Aussiedlern vor allem die Jungen und Alten zurück. Während es sich bei den Jungen vorwiegend um Ausbildungs- und Arbeitswanderer handelte, orientierten sich die älteren Wan- derer an den Wohn- und Freizeitangeboten ihrer Zielregionen. Darüber hinaus korrelierten auch bei den Aussiedlern Wanderungshäufigkeit und Wanderungs- distanz mit dem Bildungsgrad: „Aussiedler ohne Bildungsabschluß kommen unter den langdistanziellen Wanderungen nicht vor, Hochschulabsolventen erreichen einen Anteil von ca. 7 %, und auch insgesamt haben Personen mit Hochschulabschluß die höchsten Wanderungshäufigkeiten.“165

Mit ihrer insgesamt nur geringen Neigung zur regionalen Mobilität unterschei- den sich die Aussiedler nachhaltig von den Vertriebenen. Letztere zeigten sich hochmobil und waren bereit, im Zuge des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und starken Arbeitskräftebedarfs durch mitunter mehrfachen Wohnortwechsel ei- nen aktiven Beitrag zu ihrer Arbeitsmarkteingliederung zu leisten. Obschon es in Deutschland in den 1990er Jahren strukturell und konjunkturell bedingt nurmehr eine geringe Nachfrage nach Arbeitskräften gab, waren doch durchaus regionale Unterschiede festzustellen166. Die Aussiedler orientierten sich bei ihrer Wohnstandortwahl allerdings vornehmlich an der Nähe von Verwandten, Freunden oder wenigstens anderen Aussiedlern ihres Herkunftsgebietes und nahmen dafür auch in Kauf, sich in strukturschwachen Regionen anzusiedeln. Hatten sie einen nach ihren bevorzugten Kriterien ausgesuchten Wohnort ge- funden, waren viele von ihnen nicht mehr bereit, diesen zugunsten anderswo vorhandener besserer Erwerbschancen zu verlassen.

165 Ebd., S. 115.

166 Koller begründet in ihrer Studie zur Arbeitsmarkteingliederung von Aus- siedlern die verhältnismäßig gute Eingliederungssituation von Aussied- lern aus Rumänien damit, daß sich diese vornehmlich in den süddeut- schen Bundesländern niederließen, die ihnen in ihrem Befragungszeit- raum günstigere Arbeitsmarktchancen boten als andere Regionen, vgl. Barbara Koller: Aussiedler nach dem Deutschkurs: Welche Gruppen kommen rasch in Arbeit? In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Be- rufsforschung 2/1993, S. 207-221, hier S. 212 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 207

4.5. Verlauf und Charakteristika der Arbeitsmarkteingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern

Bisher sind in diesem Kapitel die Vor- und Rahmenbedingungen der berufli- chen Eingliederung der beiden großen Zuwanderungswellen von Deutschen aus dem Osten näher untersucht worden. Im folgenden wird es um die Frage gehen, wie sich die Eingliederung beider Gruppen in die jeweils unterschiedli- chen Arbeitsmärkte konkret vollzog. Ähnlich wie in Kapitel 3. werden dabei aber nicht nur ausschließlich Vertriebene und Aussiedler miteinander vergli- chen, sondern, um den Stand der Eingliederung besser beurteilen zu können, beide Gruppen, soweit möglich, auch mit der jeweils einheimischen Bevölke- rung. Nach bewährtem Muster soll zunächst der Eingliederungsweg der Ver- triebenen im Mittelpunkt des Interesses stehen. Für sie, deren Weg in den We- sten durch die Umstände von Flucht und Vertreibung nicht selten mit „materi- ellem Totalverlust“167 einherging und die folglich zum Aufbau einer neuen Existenz nur ihre eigene Arbeitskraft mitbrachten, war eine berufliche Be- schäftigung von essentieller Bedeutung.

Genau wie bei der Frage nach der Unterbringung des millionenfachen Bevölke- rungszustroms schien auch ihre Versorgung mit Arbeitsplätzen aufgrund der besonderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Nach- kriegszeit zunächst so gut wie unlösbar. Die daraus resultierende Skepsis vieler Zeitgenossen für den bevorstehenden Prozeß der beruflichen Eingliederung spiegelt eine von der ‚Information Control Division‘ (ICD) im Auftrag der amerikanischen Militärregierung im Frühjahr 1946 durchgeführte repräsentati- ve Befragung von Einheimischen und Vertriebenen in der US-Zone wider. Sie ergab nicht nur, daß zwei Drittel der Befragten sich nicht vorstellen konnten, daß zur Verfügung stehender Wohnraum und Nahrung überhaupt jemals auch für die Zwangszuwanderer reichen könnte; ein Drittel der Befragten sagte der- artiges auch über vorhandene Arbeitsplätze168. Die folgenden Sätze aus einer

167 Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung und ‚Flüchtlingsintegra- tion‘, S. 149.

168 Vgl. Uta Gerhardt / Birgitta Hohenester: Zum gesellschaftstheoretischen Verständnis der Integration von Vertriebenen/Flüchtlingen in West- deutschland nach 1945. In: Soziale Welt 18 (1997), S. 253-276, hier S. 262. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 208 der ersten wissenschaftlichen Darstellungen zum deutschen Vertriebenenpro- blem schienen daher keineswegs übertrieben, sondern verliehen lediglich zeit- typischen Befürchtungen Ausdruck: „Furchtbar ist der Gedanke, wir könnten der Flüchtlingsfrage ebensowenig Herr werden, wie das England des 15. und 16. Jahrhunderts der Not und Plage der beggars Herr wurde, und unsere Flüchtlinge würden das generationenlange Elend der Industriearbeiterschaft aus den Anfängen der modernen Industrie durchleiden. Schon fiel – sehr be- zeichnend! – das Wort von einem fünften Stande, der sich aus den Flüchtlingen und Ausgesiedelten bilden könnte.“169

Angesichts dieser Befürchtungen suggeriert der Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit unter den Vertriebenen, der im beruflichen Bereich das ein- fachste, wenngleich auch roheste Kriterium für die Eingliederung darstellt, eine überraschend schnelle und positive Entwicklung. Bereits 1961, dem Jahr, in dem die separate statistische Erfassung von arbeitslosen Vertriebenen endete, war bei ihnen quasi Vollbeschäftigung zu verzeichnen, ihre durchschnittliche Arbeitslosenquote lag mit 0,6 % ebenso niedrig wie diejenige in der Bundes- republik insgesamt170. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß die- se Entwicklung keinesfalls geradlinig verlief. Vielmehr lassen sich verschiede- ne Phasen erkennen, die auch durch massive Rückschläge gekennzeichnet wa- ren.

In den Jahren 1945-1948 gestaltete sich die Beschäftigungslage der Vertriebe- nen weniger ungünstig, als sich vielleicht zunächst vermuten ließe. Das hatte einerseits mit der allgemeinen wirtschaftlichen Situation zu tun, die noch von dem während des Krieges angehäuften erheblichen Geldüberhang geprägt war. Da zudem durch den Abzug der ausländischen Kriegsgefangenen und Fremd- arbeiter nach Kriegsende in hohem Maße Arbeitskräfte fehlten, die durch die nur allmählich heimkehrenden deutschen Kriegsgefangenen nicht ersetzt wer- den konnten, wurden die Vertriebenen sogar dringend benötigt. Dies war im industriellen Bereich und im Baugewerbe der Fall, viel mehr aber noch in der

169 Elisabeth Pfeil: Der Flüchtling. Gestalt einer Zeitenwende. Hamburg 1948, S. 49.

170 Vgl. Reichling: Die deutschen Vertriebenen in Zahlen. Teil II, S. 74 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 209

Landwirtschaft171. Zuverlässige Angaben über den tatsächlichen Umfang der Arbeitslosigkeit unter den Vertriebenen lassen sich für die Zeit vor der Wäh- rungsreform kaum ermitteln. Viele von ihnen hatten sich unmittelbar nach dem Krieg gar nicht arbeitslos gemeldet oder standen in zahlreichen Scheinarbeits- verhältnissen, die die tatsächliche Arbeitslosigkeit überdeckten172.

Mit der am 20. Juni 1948 in den Westzonen durchgeführten Währungsreform und der dadurch ausgelösten schlagartigen Veränderung aller wichtigen wirt- schaftlichen Rahmenbedingungen wandelte sich die Beschäftigungslage zuun- gunsten der Vertriebenen173. Auftretender Geldmangel führte zur Auflösung der nun unrentabel gewordenen Scheinarbeitsverhältnisse, womit auch viele saisonale Arbeitsmöglichkeiten für die Neubürger wegfielen174. Mit der Geld- umstellung wurden die Betriebe aber auch zu realistischen Kalkulationen ge- zwungen und der Konkurrenzkampf zwischen ihnen verschärft. Als zuletzt eingestellte und oft auch nur unzureichend oder doch nach den Bedürfnissen des jeweiligen Betriebes ‚falsch‘ ausgebildete Arbeitnehmer wurden die Zwangszuwanderer von Unternehmen, in denen sie zunächst eine Beschäfti- gung gefunden hatten, die aber nun in Schwierigkeiten geraten waren, als erste entlassen175. Darüber hinaus befanden sich unter den Betrieben, die im Zuge des härteren Konkurrenzkampfes Konkurs anmelden mußten, viele der soge- nannten ‚Flüchtlingsbetriebe‘. Sie verfügten oftmals nur über eine dünne Kapi-

171 Vgl. zum Beispiel Doris von der Brelie-Lewien: ‚Dann kamen die Flüchtlinge‘. Der Wandel des Landkreises Fallingbostel vom Rüstungs- zentrum im ‚Dritten Reich‘ zur Flüchtlingshochburg nach dem Zweiten Weltkrieg. Hildesheim 1990, S. 148 ff.

172 Vgl. Albers: Die Eingliederung in volkswirtschaftlicher Sicht, S. 436.

173 Hierauf verweist insbesondere Connor: Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen.

174 In dem im Raum Hannover gelegenen Kreis Neustadt waren das zum Beispiel Ziegeleien, Torfverwertungsfirmen, Baubetriebe und die Verar- beitung von Gemüse für die Tiefkühlkost, vgl. Krug: Das Flüchtlingspro- blem im Raum Hannover, S. 39.

175 Vgl. etwa Andreas von Seggern: ‚Großstadt wider Willen‘. Zur Ge- schichte der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Vertriebe- nen in der Stadt Oldenburg nach 1944. Münster 1997, S. 330. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 210 taldecke, die durch die Währungsreform die entsprechende Entwertung erfuhr, und konnten nicht weiter existieren. In der bei Kaufbeuren gelegenen Flücht- lingsstadt Neugablonz zum Beispiel ging die Zahl der Flüchtlingsbetriebe zwi- schen dem 20. Juni und dem 31. August 1948 von 312 auf 142 zurück176. So- mit mußten sich nun auch viele erwerbslos melden, die nach Flucht und Ver- treibung (wieder) den Schritt in die Selbständigkeit gewagt hatten.

Vor diesem Hintergrund waren die Vertriebenen von dem ab Mitte 1948 ein- setzenden allgemeinen starken Anstieg der Arbeitslosenzahlen in den westli- chen Zonen Deutschlands und dann in der im Mai 1949 gegründeten Bundes- republik in besonderer Weise betroffen. Sie stellten von den am 31. Dezember 1949 insgesamt gezählten 1.505.349 Arbeitslosen 546.663. Ihr Anteil an der Gesamtgruppe der Arbeitslosen lag bei 35,1 % und damit deutlich über ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung (16,1 %). Im Februar 1950 war der Prozent- satz der erwerbslosen Vertriebenen, die ein Jahr oder länger arbeitslos waren, fast doppelt so hoch wie bei der einheimischen Bevölkerung177. Dafür lag die Erwerbsquote bei den erstgenannten im September 1950 mit 42,5 % deutlich unter der der Einheimischen (47,0 %)178.

Genau wie bei der Versorgung mit Wohnraum in der unmittelbaren Nach- kriegszeit traten auch um die knappen Ressourcen auf dem westdeutschen Ar- beitsmarkt im Übergang von den 1940er zu den 1950er Jahren wiederum die Angehörigen anderer Migrationsbewegungen in Konkurrenz zu den Vertriebe- nen, was deren ohnehin prekäre Beschäftigungslage weiter verschärfte. Neben

176 Vgl. Bärbel Dusik: Die Gablonzer Schmuckwarenindustrie. In: Prinz (Hrsg.): Integration und Neubeginn, S. 482-513, hier S. 496. Die Einfüh- rung der deutschen Mark wirkte sich aber auch in anderen Bereichen ne- gativ für die Vertriebenen aus. Als Folge hoher Preissteigerungen konn- ten sie sich es als Angehörige einer finanziell besonders minderbemittel- ten Bevölkerungsgruppe nicht mehr leisten, alle Lebensmittel, die auf ih- ren Lebensmittelkarten aufgerufen waren, zu kaufen. Zudem war es vie- len nicht mehr möglich, ihre Mieten, die ebenfalls zum Teil stark erhöht wurden, zu bezahlen, vgl. Connor: Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen, S. 186.

177 Vgl. ebd., S. 190.

178 Vgl. Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik, S. 210 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 211 den zurückkehrenden Kriegsgefangenen – allein im Jahr 1949 waren es 470.000-500.000179 – galt das vor allem für die zunehmende Zahl der Zuwan- derer aus der SBZ/DDR. Auf die mitgebrachten soziostrukturellen Vorausset- zungen dieser Ost-West-Migranten, die sich im Vergleich mit denen der Ver- triebenen wesentlich positiver zeigten, ist andernorts bereits eingegangen wor- den. Ambrosius kommt zu folgender Einschätzung: „Insgesamt hatten es die Flüchtlinge [aus der DDR, der Verf.] von ihrer ursprünglichen Ausbildung, beruflichen Qualifikation und sozialen Stellung leichter, in den westdeutschen Arbeitsprozeß integriert zu werden als die Vertriebenen.“180 Die Daten der Volkszählung vom 6.6.1961 bestätigen diese Einschätzung: Mit 50,9 % über- traf die Erwerbsquote der Deutschen aus der DDR nicht nur diejenige der Ver- triebenen (44,2 %), sondern sie lag sogar höher als die der übrigen Bevölke- rung (47,6 %)181. Diese Zahlen zeigen auch, daß die Vertriebenen am Ende des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit, also in den ersten 10 bis 15 Jahren nach ihrer Zwangsmigration in den Westen, ihre Erwerbsquote vor Flucht und Vertreibung (1939: 49,5 %) nicht erreicht hatten. Sie blieben vielmehr durch dauerhaft geringere Erwerbsquoten gekennzeichnet.

Als großes Hindernis für die Eingliederung der Vertriebenen in den Arbeitspro- zeß erwies sich schließlich auch ihre ungünstige räumliche Verteilung. Wie im vorangegangenen Kapitel 4.4. dargestellt wurde, konnte diese aber im Rahmen von öffentlich organisierten und finanzierten Umsiedlungsprogrammen und eingedenk eines hohen Maßes an Eigeninitiative und -motivation zur Binnen- migration seitens der Vertriebenen weitestgehend korrigiert werden. In Zusam- menwirkung mit dem Anfang der 1950er Jahre einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik trug die besondere Mobilität der Vertriebe- nen zum stetigen Abbau der Arbeitslosigkeit dieser Gruppe bei. Darüber hinaus bildeten die Vertriebenen mit ihrer hohen Mobilität in den 1950er Jahren eine Art bewegliches Arbeitskräftereservoir, ohne das, wie Ambrosius argumentiert,

179 Vgl. Johannes-Dieter Steinert: Migration und Politik. Westdeutschland- Europa-Übersee 1945-1961. Osnabrück 1995, S. 132.

180 Ambrosius: Der Beitrag, S. 52.

181 Vgl. Körner: Der Zustrom von Arbeitskräften, S. 159. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 212 der ökonomische Aufschwung wohl kaum die Dimensionen erreicht hätte, die er in den Boomjahren der frühen Bundesrepublik annahm182.

Dieses Reservoir war überraschend schnell erschöpft, denn bereits im Jahr 1954 begannen in einzelnen Branchen die Anwerbungen ausländischer ‚Gast- arbeiter‘ zur Deckung des drängenden Bedarfs an Arbeitskräften. Die seit Mitte der 1950er und insbesondere seit Beginn der 1960er Jahre in der Bundesrepu- blik beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer übernahmen am Arbeitsmarkt Ersatz- und Pufferfunktionen, die in der Nachkriegszeit zunächst die Deutschen aus dem Osten innegehabt hatten. In Verbindung mit ihrer eigenen Produkti- onskraft und eingedenk der wirtschaftlichen Entwicklung ermöglichte den Zwangszuwanderern ihre Unterschichtung durch die europäischen Arbeitsmi- granten sekundäre beruflich-soziale Aufstiegsbewegungen183. Dieser Folge- bezug zwischen der Eingliederung der Vertriebenen und der Zuwanderung ausländischer Arbeitnehmer war um so bedeutender, weil der Prozeß der Ein- gliederung erstgenannter in den Arbeitsmarkt selbst von einer gewaltigen so- zialen Umschichtung zu ihren Ungunsten gekennzeichnet war. Wenngleich der Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen der Vertriebenen in den 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre eine vermeintlich schnelle und pro- blemlose Entwicklung suggeriert, so ist festzustellen, daß die Eingliederung der Neubürger in den Arbeitsmarkt für viele von ihnen zunächst mit berufli- chem Abstieg und sozialer Deklassierung einherging. Hierauf soll im folgen- den näher eingegangen werden.

Ein erster Hinweis auf den beruflichen Umschichtungsprozeß bei den Vertrie- benen bietet der Blick auf die Veränderung ihrer beruflichen Gliederung vor und nach ihrer Zwangswanderung. Wie wir bei der Untersuchung ihres sozio- ökonomischen Profils gesehen haben, waren die Herkunftsregionen der Ver- triebenen überwiegend agrarisch geprägt, was sich in ihrer beruflichen Gliede- rung im Jahr 1939 ausdrückt (Tabelle 10). Die Ergebnisse der Volks- und Be- rufszählung vom 13.9.1950 zeigen eine nunmehr stark veränderte berufliche

182 Vgl. hierzu insgesamt Ambrosius: Der Beitrag.

183 Vgl. Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung und ‚Flüchtlingsinte- gration‘, S. 151. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 213

Gliederung, wie die folgende Tabelle 13 verdeutlicht. Als Vergleichsgröße die- nen auch hier wieder die Angaben zur übrigen Bevölkerung.

Tabelle 13: Berufliche Gliederung von Vertriebenen und übriger Bevölke- rung 1950 (in % der Erwerbspersonen)

Berufe Vertriebene Übrige Bevölkerung Land- und forstwirtschaftliche 14,5 25,7 Berufe Industrielle, handwerkliche 52,4 40,7 und technische Berufe Handels- und Verkehrsberufe 14,0 18,4 Sonstige Berufea 19,1 15,2

Quelle: Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik, S. 208. a Berufe des Verwaltungs- und Rechtswesens, der Volks-, Haushalts- und Gesundheitspflege sowie des Geistes- und Kunstlebens

Im Gegensatz zu 1939 zählte die Mehrheit der Erwerbspersonen der Vertriebe- nen 1950 zu den industriellen, handwerklichen und technischen Berufen. Der entsprechende Wert stieg hier von 33,2 % (1939) auf 52,4 %. Er übertraf damit deutlich den Anteil bei der übrigen Bevölkerung mit 40,7 % (1939: 37,8 %). Dagegen waren nur 14,5 % der vertriebenen Erwerbspersonen im Land- und Forstwirtschaft tätig, 1939 waren es noch 39,6 % gewesen. Auf diese Berufs- gruppe entfielen 1950 bei der übrigen Bevölkerung 25,7 % der Erwerbsperso- nen (1939: 25,2 %). Die Vertriebenen verzeichneten im Prozeß ihrer berufli- chen Eingliederung nach ihrer Zwangsmigration in den Westen also eine aus- geprägte berufliche Umschichtung von den land- und forstwirtschaftlichen zu den industriellen, handwerklichen und technischen Berufen. Wie keine andere Gruppe unter den Vertriebenen waren die ehemaligen Landwirte von der Not- wendigkeit betroffen, eine berufsfremde Arbeit auszuüben. Deshalb hatten Per- sonen mit Anzeigen wie der folgenden aus dem Amtsblatt des im Hannover- schen gelegenen Kreises Neustadt nur geringe Aussichten auf Erfolg: „Ost- flüchtling sucht pachtweise mit Vorkaufsrecht, kleine Landwirtschaft (wenn 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 214 auch baufällig oder bombengeschädigt) bis 10 Morgen im Kreis Neustadt a. Rbge., Wohnraum für 4-5 Personen erforderlich.“184

Ein schwerwiegendes Hindernis für eine Wiederaufnahme landwirtschaftlicher Betätigung lag darin, daß nur wenig geeignetes Land vorhanden war und nur wenig durch Kultivierung hinzugewonnen werden konnte. Da in den Westzo- nen, anders als in der SBZ, auf eine grundlegende Bodenreform verzichtet wurde, blieb den vertriebenen Bauern nur der Weg über langwierige Sied- lungsverfahren185. In den industriell geprägten Räumen Nordrhein-Westfalens beispielsweise konnten die Vertriebenen allerdings in der Regel nur mit Ne- benerwerbssiedlungen rechnen. Von den bis Ende 1957 neugeschaffenen 16.000 Siedlerstellen gingen zwar gut ein Drittel an die Deutschen aus dem Osten, doch darunter befanden sich nur knapp 7 % Vollbauernstellen186. Der primäre Sektor bot den Vertriebenen daher weder schnelle noch ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten. Diese fanden sie dagegen überwiegend im se- kundären Sektor. Mit ihrem Angebot an Arbeitskraft trugen sie sogar nachhal- tig bei zur Forcierung des Industrialisierungsprozesses in Westdeutschland nach 1945. Sie beschleunigten damit den schon lange vorher einsetzenden so- zialstrukturellen Wandel, der sich in einer Abnahme des primären und einer Zunahme des sekundären Sektors ausdrückte. Dieser Wandel vollzog sich nach dem Krieg für alle Bevölkerungsgruppen schneller, am ausgeprägtesten jedoch und nahezu einseitig aber in der Gruppe der Vertriebenen187.

Besonders deutlich wird dies vor dem Hintergrund der sozialen Umschichtung, die mit der beruflichen Umschichtung der Zwangsmigranten einherging. So veränderte sich ihre Stellung im Beruf vor und nach dem gewaltsamen Verlas- sen ihrer Herkunftsregionen dramatisch. Die Zahl der Selbständigen und mit-

184 Zit. nach Krug: Das Flüchtlingsproblem im Raum Hannover, S. 37.

185 Zu den Auswirkungen der Bodenreform für die vertriebenen Bauern in Ostdeutschland vgl. Wolfgang Meinicke: Die Bodenreform und die Ver- triebenen in der SBZ und in den Anfangsjahren in der DDR. In: Wil- le/Hoffmann/Meinicke (Hrsg.): Sie hatten alles verloren, S. 55-85.

186 Vgl. Kleinert: Die Flüchtlinge als Arbeitskräfte, S. 55.

187 Vgl. Edding/Lemberg: Eingliederung und Gesellschaftswandel, S. 165. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 215 helfenden Familienangehörigen reduzierte sich stark, während der Anteil der Angestellten und Arbeiter ausgeprägt anstieg. Das weist die folgende Tabelle 14 aus; den Angaben zum Jahr 1950 liegen wiederum die Daten der Volks- und Berufszählung vom 13.9.1950 zugrunde:

Tabelle 14: Vertriebene und übrige Bevölkerung nach ihrer Stellung im Be- ruf 1939 und 1950 (in % der Erwerbspersonen)

Stellung im Beruf Vertriebene Übrige Bevölkerung 1939 1950 1939 1950 Selbständige 16,0 5,2 14,9 16,5 Mithelfende Familien- 20,6 1,8 18,4 16,7 angehörige Beamte 4,3 3,7 5,2 4,0 Angestellte 9,5 14,3 13,2 16,3 Arbeiter 49,6 75,0 48,3 46,5

Quelle: Reichling: Die Heimatvertriebenen im Spiegel der Statistik, S. 210.

Vor dem Krieg hatte der Anteil der Selbständigen unter den vertriebenen Er- werbspersonen bei 16,0 % gelegen, 1950 war er auf 5,2 % zurückgegangen, während sich der entsprechende Wert bei der übrigen Bevölkerung leicht er- höhte. Drastisch zurück ging bei den Vertriebenen der Anteil der mithelfenden Familienangehörigen. Als gegenläufige Entwicklung stieg der Anteil der Ar- beiter unter den vertriebenen Erwerbspersonen von 49,6 % auf 75,0 % stark an, geringfügig nahm auch die Zahl der Angestellten zu. Der Anteilswert der Be- amten näherte sich dem Ausgangswert. Angesichts dieser Zahlen bleibt festzu- stellen, daß die in der Wirtschaft benötigten Arbeitskräfte in abhängiger sozia- ler Position überwiegend aus dem Kreis der Vertriebenen bereitgestellt worden sind. Allerdings ist anzumerken, daß sich zum Zeitpunkt der Erhebung der der Tabelle 14 zugrunde liegenden Statistik, also 1950, die Eingliederung der Ver- triebenen ins Berufsleben noch in einem frühen Stadium befand und die Ar- beitslosigkeit unter ihnen noch hoch war. Bis Anfang der 1960er Jahre glichen sich die Strukturen zwischen Vertriebenen und Nicht-Vertriebenen zwar an. Zu diesem Zeitpunkt lag der Anteil der Selbständigen unter den Zwangszuwande- rern mit 6 % immer noch deutlich unter dem der übrigen Bevölkerung (13,3 %). Dagegen überstieg der Anteil der Arbeiter bei den Deutschen aus 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 216 dem Osten mit jetzt 60,6 % den entsprechenden Wert bei der übrigen Bevölke- rung immerhin noch um 14 Prozentpunkte188.

Die in der Tabelle 14 ausgewiesene berufliche und soziale Umschichtung unter den Vertriebenen betraf diejenigen, die vorher in der Landwirtschaft tätig wa- ren, zwar am stärksten, bei weitem aber nicht alleine. Auch die Angehörigen anderer Berufsgruppen mußten die Erfahrung machen, nicht nur in der ersten Phase ihrer beruflichen Eingliederung, sondern auch noch zu späteren Zeit- punkten berufsfremde Tätigkeiten ausüben und einen Verlust an Sozialprestige hinnehmen zu müssen. Noch Ende der 1950er Jahre waren von den im Kreis Bad Kreuznach lebenden Vertriebenen 40 % der Ansicht, daß die aktuelle Tä- tigkeit weder nach Art noch Bezahlung dem Vorkriegsstand entsprach; nur 50 % befanden sich ihrer Selbsteinschätzung nach in einer gesicherten Exi- stenz189. Zwar blieben auch die Einheimischen nach dem Krieg von Berufs- wechseln nicht verschont, es waren bei ihnen prozentual aber bei weitem nicht so viele wie bei den Neubürgern190.

Bis ein berufsbezogener oder adäquater Arbeitsplatz die Existenzsicherung auch der Familie gewährleisten konnte, mußten viele Vertriebene oftmals nicht nur den Wohnort mehrmals wechseln, sondern sie erlebten auch verschiedene berufliche Zwischenstationen. „Die Umschichtungsprozesse im beruflichen Werdegang der Vertriebenen“, stellt Rauch vor diesem Hintergrund fest, „sind zugleich Stationen der Integration von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz.“191 Die größten Chancen, wieder an die frühere Erwerbsbiographie anknüpfen zu kön- nen, hatten dabei Akademiker und die Angehörigen freier Berufe, Angestellte des öffentlichen Dienstes, Beamte und Handwerker; die geringsten, neben

188 Vgl. Rauch: Die berufliche Eingliederung, S. 121.

189 Vgl. Sommer: Flüchtlinge und Vertriebene in Rheinland-Pfalz, S. 182.

190 So ergab eine 1953 in Schleswig-Holstein vorgenommene Stichpro- benerhebung, daß bei den Vertriebenen 72 % der befragten Männer im erwerbsfähigen Alter nicht mehr in dem 1939 ausgeübten Beruf tätig wa- ren, während dieser Anteil bei den Einheimischen hingegen 48 % betrug, vgl. Edding/Lemberg: Eingliederung und Gesellschaftswandel, S. 167.

191 Rauch: Die berufliche Eingliederung, S. 117. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 217 selbständigen Landwirten, kaufmännische Hilfskräfte sowie Verkäufer und sonstige Warenkaufleute192.

Kennzeichnend für den Prozeß der beruflichen Eingliederung der Vertriebenen war neben ihrer beruflichen Umschichtung und Proletarisierung auch, daß ihr Neubeginn in der westdeutschen Arbeitswelt oftmals auf der untersten Ebene startete. Sie mußten „die undankbarsten und am schlechtesten bezahlten Stellen annehmen“193, für die die Einheimischen kein Interesse zeigten; in der ersten Nachkriegszeit waren sie zum Beispiel als billige Landarbeiter und Trümmer- beseitiger beschäftigt gewesen, unter den Saisonarbeitern waren sie überpro- portional vertreten und unter denen, die un- oder angelernte Tätigkeiten ver- richten. In dem das Handwerk mitumfassenden Bereich Hoch-, Tief- und Spe- zialbau wies die Gruppe der Hilfsarbeiter in den 1950er Jahren eine überdurch- schnittliche Vertriebenenquote aus194. Allerdings muß hier auch betont wer- den, daß die Vertriebenen von sich aus bereit waren, nahezu jede ihnen gebote- ne Arbeit anzunehmen. Aus ihrer sozialen Not heraus stellten sie nur geringe Ansprüche an Beruf und Einkommen195. Ähnlich wie bei den Wohnverhält- nissen nach ihrer Ankunft im Westen dürfte hierbei sicherlich auch eine Rolle gespielt haben, daß – zumindest in den ersten Nachkriegsjahren – viele Vertrie- bene ihren beruflichen Abstieg nur als vorübergehend betrachteten und hofften, in die alte Heimat und damit in die alten Berufe zurückkehren zu können.

Insgesamt wurde die im Verlauf der 1950er Jahre festzustellende rasche Ver- sorgung der Vertriebenen mit Arbeit wesentlich auf Kosten ihrer sozialen

192 Vgl. Nellner: Grundlagen und Hauptergebnisse der Statistik, S. 116. Im Hinblick auf die Eingliederung vertriebener Akademiker sind in jüngster Zeit zu einer Gruppe, die lange kaum wissenschaftliche Beachtung fand, nämlich den sogenannten ‚Flüchtlingsprofessoren‘, neuere Forschungs- ergebnisse veröffentlicht worden, vgl. Markus Mößlang: Elitenintegrati- on im Bildungssektor: Das Beispiel der ‚Flüchtlingsprofessoren‘ 1945- 1961. In: Hoffmann/Krauss/Schwartz (Hrsg.): Vertriebene in Deutsch- land, S. 371-393.

193 Waldmann: Die Eingliederung der ostdeutschen Vertriebenen, S. 180.

194 Vgl. Ambrosius: Der Beitrag, S. 53.

195 Vgl. Kleinert: Die Flüchtlinge als Arbeitskräfte, S. 48. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 218

Stellung errungen. Sie mußten vielfach einen beruflichen und damit verbunde- nen sozialen Abstieg hinnehmen. Da sie in der Regel nicht die Arbeitsplätze fanden, für die sie ausgebildet worden waren und die sie in ihren Herkunftsge- bieten eingenommen hatten, blieben ihnen nur geringer qualifizierte und schlechter bezahlte Erwerbsmöglichkeiten. Der Preis für Arbeit war bei den Deutschen aus dem Osten, die in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjah- ren in den Westen kamen, also der Verzicht auf sozialen Status. Am ertrag- reichsten sind in diesem Zusammenhang noch immer die mit umfangreichem Datenmaterial gespeisten Sekundäranalysen von Lüttinger196. Auf der Basis der Mikrozensus-Zusatzbefragung (MZU) von 1971197 konnte er nachweisen, daß die Vertriebenen im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Krieg überwie- gend als unqualifizierte Arbeiter eine Beschäftigung fanden. Im primären Sek- tor beispielsweise erhöhte sich bei ihnen zwischen 1939 und 1950 die Zahl der Arbeiter auf fast vier Fünftel der Beschäftigten, bei gleichzeitiger Abnahme des Anteils der selbständigen Landwirte von 36,2 % (1939) auf 13,4 % (1950). Von den Arbeitern befanden sich nahezu zwei Drittel in un- oder angelernten Positionen. „D. h., daß die ohnehin geringe Zahl der Zuwanderer, die erneut eine Beschäftigung in der Landwirtschaft gefunden hatten, überwiegend als Landarbeiter tätig waren.“198 Im sekundären Sektor war die Berufsstruktur der Vertriebenen vor ihrer Zwangsmigration durch einen im Vergleich zu den Ein- heimischen höheren Anteil an qualifizierten Arbeitskräften gekennzeichnet. Nach dem Krieg kehrte sich das Verhältnis jedoch deutlich um. Bei den

196 Lüttinger: Der Mythos; sowie ders.: Integration der Vertriebenen.

197 Die im April 1971 durchgeführte MZU trägt den Titel „Berufliche und soziale Umschichtung der Bevölkerung.“ Diese repräsentative 1 %-Stich- probe erfaßte Personen der deutschen Wohnbevölkerung, die 1956 und früher geboren waren und zum Erhebungszeitpunkt also 15 Jahre und äl- ter waren. Diese Mikrozensus-Erhebung führte das Statistische Bundes- amt eigens zur Erforschung des Integrationsergebnisses der Zeit bis Ende der 1960er Jahre in der deutschen Bevölkerung durch. Neben der einhei- mischen Bevölkerung und den Vertriebenen wurden auch die ‚echten‘ Flüchtlinge aus der DDR erfaßt, vgl. Lüttinger: Der Mythos, S. 22. Lüt- tingers Auswertung dieser Daten differenziert nach verschiedenen Ge- burtskohorten der Vertriebenen/Flüchtlinge und Einheimischen, und nach vier Zeitpunkten der Bestandsaufnahme: 1939, 1950, 1960 und 1971.

198 Lüttinger: Integration der Vertriebenen, S. 96. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 219

Zwangszuwanderern nahmen die Werte bei den Selbständigen und den höheren Positionen (Angestellte, Meister, Facharbeiter usw.) ab, während sie bei den Einheimischen anstiegen. Dagegen verzeichneten die Vertriebenen zwischen 1939 und 1950 einen starken Anstieg von un- und angelernten Arbeitern (1939: 26,2 %, 1950: 43,3 %), der bis 1960 zwar leicht zurückging (38,6 %), aber da- mit immer noch deutlich über dem Ausgangswert lag und über dem der Ein- heimischen. Bei diesen war der Anteil von un- und angelernten Arbeitern von 31,7 % (1939) über 29,9 % (1950) auf 28,6 % (1960) stetig zurückgegan- gen199.

Die Deprivation der Vertriebenen bei der Arbeitsaufnahme zeigt sich auch in ihren Einkommensverhältnissen. Einer repräsentativen Erhebung aus dem Jahr 1957 über das monatliche Nettoeinkommen von vertriebenen und nichtvertrie- benen Haushaltsvorständen zufolge verzeichneten die Zwangszuwanderer in den unteren Einkommensgruppen höhere Prozentsätze, während sie in den obe- ren hinter den Einheimischen zurückblieben200.

Im Hinblick auf die langfristigen Folgen der sich in Dequalifizierung und so- zialem Statusverlust ausdrückenden Veränderungen in den Erwerbsbiographien der Deutschen aus dem Osten sind wiederum die Ergebnisse von Lüttinger weiterhin wegweisend. Er betont, daß die Vertriebenen ihre Stellung als un- qualifizierte Arbeiter im wesentlichen beibehielten: „1971 sind 45,5 % der er- werbstätigen Vertriebenen, die 1950 arbeitslos waren, als unqualifizierte Ar- beiter tätig, bei den Einheimischen sind es nur 37,3 %.“201 Neben Landwirten und Selbständigen waren es für Lüttinger vor allem die älteren Vertriebenen, die die anfänglich erlittenen Statusverluste bis zur Erhebung der von ihm un-

199 Vgl. ebd., S. 100 ff. Die genauen Werte sind der sich im Anhang von Lüttingers Monographie befindlichen Tabelle 4.24. entnommen. Zur be- ruflichen Dequalifikation der Vertriebenen vgl. auch Ulrike Haerendel: Berufliche Mobilität von Flüchtlingen im Nachkriegsbayern. Frank- furt/M. 1994, sowie, als Spezialstudie, Monika Ulczika: Berufsbiogra- phie und Flüchtlingsschicksal: VW-Arbeiter in der Nachkriegszeit. Han- nover 1993.

200 Vgl. Edding/Lemberg: Eingliederung und Gesellschaftswandel, S. 170.

201 Lüttinger: Der Mythos, S. 23 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 220 tersuchten Daten nie vollständig kompensieren konnten. Sie schieden früher als die Einheimischen aus dem Erwerbsleben aus und verfügten über geringere Renten202. Erst die jüngeren Generationen näherten sich in den sozialen Strukturen und Chancen der einheimischen Bevölkerung ein. Lüttinger wendet sich gegen den aufgrund der sich im Verlauf der 1950er Jahre stetig reduzie- renden Arbeitslosigkeit unter den Vertriebenen bereits Ende der 1950er Jahre aufgekommenen Topos von der ‚schnellen‘ Integration, der für ihn nur ein „Mythos“ ist. Sein Fazit lautet vielmehr: „Die globale Aussage einer bereits Ende der fünfziger Jahre geglückten Integration ist […] angesichts erheblicher Strukturunterschiede und auch angesichts erheblicher (absoluter) Chancen- nachteile sicherlich nicht aufrechtzuerhalten.“203

Die Nachzeichnung der beruflichen Eingliederung der Vertriebenen unter- schied bis hierhin nicht nach weiblichen und männlichen Erwerbstätigen, son- dern nahm stets die Gesamtgruppe in den Blick. Da auf dem Arbeitsmarkt der Nachkriegszeit sowohl bei den Vertriebenen als auch bei den Einheimischen die Männer über deutlich höhere Erwerbsquoten verfügten als die Frauen, ist davon auszugehen, daß die bisher referierten Statistiken, die alle keine ge- schlechtsspezifische Unterscheidung vornehmen, hauptsächlich die Situation der auf dem Arbeitsmarkt überrepräsentierten männlichen Bevölkerung wie- dergeben. Es gibt nur wenige wissenschaftliche Literatur, die nach den ge- schlechtsspezifischen Chancen der Zwangszuwanderer im beruflichen Sektor fragt oder die Folgen von Flucht und Vertreibung für die Erwerbstätigkeit der Frauen in den Vordergrund stellt204. Das verwundert aus mehreren Gründen:

202 Vgl. ebd., S. 24.

203 Lüttinger: Integration der Vertriebenen, S. 240.

204 Der Aspekt der Geschlechtszugehörigkeit wurde von Lüttinger nur in seiner 1989 erschienenen Monographie aufgegriffen; in dem drei Jahre zuvor erschienenen Aufsatz wurde er überhaupt nicht angesprochen. Al- lerdings diskutiert Lüttinger die berufliche Eingliederung der weiblichen Vertriebenen nur unter ergänzenden, die Analyse der männlichen Popu- lation abrundenden Gesichtspunkten. Auf der Makroebene der Bundesre- publik bietet er dennoch einige interessante Ergebnisse, vgl. Lüttinger: Integration der Vertriebenen, S. 129 ff. Im Gegensatz zu Lüttinger rich- tete eine in Anknüpfung an seine Arbeiten in Bayern durchgeführte Se- kundäranalyse der MZU von 1971 den Blick explizit auch auf die weibli- 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 221

Wie wir in Kapitel 2. gesehen haben, war das direkte Erleben von Flucht und Vertreibung eine überwiegend weibliche Erfahrung. Auch den Neubeginn im Westen mußten viele Frauen zunächst allein mit ihren Kindern bestehen, da die Männer gefallen waren oder sich noch in Kriegsgefangenschaft befanden205. Neben dieser sozialen Situation ist zu bedenken, daß Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit auf dem Arbeitsmarkt strukturellen Benachteiligun- gen unterliegen. Als Zuwanderer und damit als Angehörige einer, zumindest anfänglich, gesellschaftlich randständigen Bevölkerungsgruppe unterlagen die weiblichen Vertriebenen damit einer doppelten Benachteiligung in ihren Le- benschancen206. Im folgenden soll es deshalb darum gehen, ob ihr Weg der Arbeitsmarkteingliederung vor diesem Hintergrund Besonderheiten zur allge- meinen Entwicklung bei den Vertriebenen aufwies.

Begonnen werden soll auch hier zunächst mit einem Blick auf Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit. 1950 war die Erwerbsquote der vertriebenen Frauen von 36,1 % (1939) auf 25,7 % zurückgegangen, die der übrigen weiblichen Bevöl- kerung dagegen nur auf 32,5 %207. Besonders die älteren vertriebenen Frauen hatten kaum noch Aussicht auf Erwerbstätigkeit, bei ihnen nahm die mit zu- nehmendem Alter sinkende Frauenerwerbsquote deutlicher ab als bei den Ein- heimischen. In nahezu allen Altersgruppen überstieg 1950 der Anteil der ver- triebenen Frauen unter den Arbeitslosen den der übrigen weiblichen Bevölke- rung um das Doppelte. Die Vertriebenen stellten ein Drittel aller arbeitslosen

chen Vertriebenen. Die vor diesem Hintergrund gewonnenen wichtigsten Ergebnisse sind zusammengefaßt bei Johann Handl / Christa Herrmann: Sozialstruktureller Wandel und Flüchtlingsintegration. Empirische Be- funde zur beruflichen Integration der weiblichen Vertriebenen und Flüchtlinge des Zweiten Weltkrieges in Bayern. In: Zeitschrift für So- ziologie 22 (1993), S. 125-140, sowie Christa Herrmann: Wandel der So- zialstruktur und geschlechtsspezifische Integrationschancen – Zur Ein- gliederung der weiblichen und männlichen Vertriebenen und Flüchtlinge des Zweiten Weltkrieges in das Bildungs- und Erwerbssystem Bayerns. In: Hoffmann/Krauss/Schwartz (Hrsg.): Vertriebene in Deutschland, S. 313-330.

205 Vgl. Lüttinger: Integration der Vertriebenen, S. 129.

206 Vgl. Herrmann: Wandel der Sozialstruktur, S. 315.

207 Vgl. hierzu und zu folgendem Lüttinger: Integration der Vertriebenen, S. 135 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 222

Frauen, das waren 10 % mehr, als es ihrem Anteil an der weiblichen Bevölke- rung entsprach. Insgesamt war die Situation der weiblichen Vertriebenen auf dem Arbeitsmarkt der Nachkriegszeit gekennzeichnet durch eine hohe stati- stisch erfaßte Arbeitslosigkeit und eine ähnlich hohe verdeckte Arbeitslosig- keit208; mit dem wirtschaftlichen Aufschwung ging aber auch bei ihnen die Arbeitslosigkeit zurück.

Wie die vertriebenen Männer hatten auch die Frauen die Auswirkungen der für die Zwangszuwanderer im Westen im Vergleich zu ihren Herkunftsgebieten nurmehr in sehr geringem Umfang vorhandenen Haupterwerbsmöglichkeiten im primären Sektor zu verkraften, wenngleich unter anderen Voraussetzungen. Im Gegensatz zu den Männern waren die Frauen in der Landwirtschaft weniger als Selbständige tätig gewesen, sondern hauptsächlich als mithelfende Fami- lienangehörige. Die familiale bzw. familienbezogene Tätigkeit als mithelfende Familienangehörige in, aber auch außerhalb des Agrarbereichs war ein spezifi- sches Element der Erwerbsbeteiligung von Frauen, welches erst in der Nach- kriegszeit viel von seiner traditionellen Bedeutung verloren hat209.

Trotz der überwiegend landwirtschaftlichen Prägung ihrer Herkunftsregionen hatten die vertriebenen Frauen den Ergebnissen Lüttingers zufolge 1939 mit 22,2 % mithelfenden Familienangehörigen bzw. 17 % in der Landwirtschaft tä- tigen identische Strukturen wie die weiblichen Einheimischen210. Nach dem Krieg aber lassen sich gravierende Unterschiede zwischen den beiden Bevölke- rungsgruppen feststellen. Während 1950 nur eine geringfügige Abnahme der Anteile an mithelfenden Familienangehörigen bei den einheimischen Frauen zu

208 Die verdeckte Arbeitslosigkeit bei den vertriebenen Frauen resultierte zum einen daraus, daß sich zahlreiche arbeitssuchende unter ihnen wegen der ungünstigen Arbeitsmarktlage erst gar nicht arbeitslos gemeldet hat- ten und sich nach einer längeren Phase der Arbeitslosigkeit in die ‚stille Reserve‘ zurückzogen. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit wurde ebenso verdeckt durch die zahlreichen Aushilfs- und Saisonbeschäftigungen, in denen die weiblichen Vertriebenen zunächst oftmals überhaupt nur eine Tätigkeit finden konnten.

209 Vgl. Handl/Herrmann: Sozialstruktureller Wandel und Flüchtlingsinte- gration, S. 132.

210 Vgl. Lüttinger: Integration der Vertriebenen, S. 138. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 223 verzeichnen ist (16, 6 %), standen dem massive Einbrüche bei den vertriebenen Frauen gegenüber, die zusammen mit ihren Ehemännern und Vätern durch Flucht und Vertreibung ihre Höfe und Betriebe verloren hatten. Da es von letztgenannten nur wenigen gelang, in der Bundesrepublik wieder eine selb- ständige landwirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, reduzierte sich der Anteil der mithelfenden Familienangehörigen bei den weiblichen Vertriebenen auf 2,8 % und ging bis 1960 weiter auf 2,1 % zurück (Einheimische: 13,7 %)211.

Die insbesondere durch den weitgehenden Rückgang von selbständigen Er- werbsmöglichkeiten in der Landwirtschaft nach dem Krieg bei den Vertriebe- nen kaum mehr vorhandenen familialen Erwerbsmöglichkeiten wurden bei den weiblichen Zwangszuwanderern, analog zur allgemeinen Entwicklung, abge- löst durch marktbezogene Erwerbsmöglichkeiten. Auch bei den Frauen war damit ein erheblicher Anstieg der abhängig Beschäftigten verbunden. Im pri- mären Sektor blieb ihnen in erster Linie nur die Position der Landarbeiterin. Hatten die Vertriebenen 1939 mit 9,8 % schon über einen doppelt so hohen Anteil an Landarbeiterinnen verfügt wie die Einheimischen, so stieg dieser nach Flucht und Vertreibung zunächst noch an, während er sich bei den Ein- heimischen reduzierte212. Zunehmende Mechanisierungs- und Rationalisie- rungsmaßnahmen in der Landwirtschaft ließen den Bedarf an Landarbeitern allerdings in den 1950er Jahren stark zurückgehen, darüber hinaus verlor diese Art der Beschäftigung aufgrund des nur geringen zu erzielenden Einkommens gegenüber anderen Wirtschaftszweigen an Attraktivität. Bis zu ihrem Aus- scheiden aus dem Erwerbsleben waren lediglich die ältesten vertriebenen Frau- en überdurchschnittlich als Landarbeiterin tätig.

211 Vgl. ebd; aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang vor allem die dort erwähnte Tabelle 4.30. Zurück ging bei den vertriebenen Frauen auch der Anteil der mithelfenden Familienangehörigen außerhalb der Landwirt- schaft. Das hatte nicht zuletzt mit der Struktur der von den Deutschen aus dem Osten nach dem Krieg aufgebauten Betriebe zu tun, die durch eine Konzentration auf Kleinstbetriebe gekennzeichnet war, die oftmals keine Möglichkeit zur Beschäftigung mithelfender Familienangehöriger boten, vgl. ebd., S. 142.

212 Vgl. ebd., S. 145 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 224

Da der primäre Sektor den weiblichen Vertriebenen weder ausreichende fami- liale und schließlich auch keine marktbezogenen Erwerbsmöglichkeiten mehr bot, stellt sich die Frage, inwieweit sich eine Umschichtung in andere Berufs- bereiche vollzog und ob dabei auch für sie vor allem eine Verlagerung in den sekundären Sektor festzustellen ist. In Handel und Verkehr wurde die Zunahme des Beschäftigtenanteils nach 1945 zwar nahezu gänzlich von Frauen getragen, die hier ihren Anteil deutlich erhöhen konnten, während der der Männer kon- stant blieb, doch bei den vertriebenen Frauen zeigte sich zunächst eine gegen- läufige Entwicklung213. Auch im Dienstleistungsbereich verzeichneten die Frauen einen stärkeren Zuwachs als die Männer. Es gelang den weiblichen Vertriebenen, ihren Anteil hier bis 1950 um mehr als 3 % im Vergleich zu 1939 zu steigern, gegenüber nur 1 % Steigerung bei den Einheimischen. Aller- dings waren erstgenannte in der für Frauen größten Kategorie im Dienstleis- tungsbereich, den einfachen Angestellten und Beamten, überwiegend als Putz- frauen und untertariflich bezahlte Schreibkräfte beschäftigt, also in Berufen mit geringem sozialen Status214. Insgesamt konnten die vertriebenen Frauen ihren vor dem Krieg zu verzeichnenden Vorsprung gegenüber den Einheimischen in Angestellten- und Beamtenpositionen behaupten bzw. weiter ausbauen. Für Lüttinger ist dies „angesichts der erheblichen Schwierigkeiten bei der Integra- tion der Zuwanderer in ein bereits bestehendes Wirtschafts- und Sozialgefüge ein in dieser Deutlichkeit überraschendes Ergebnis. Zweifellos haben die Ge- meinsamkeiten zwischen den Zuwanderern und der einheimischen Bevölke- rung (gleiche Sprache, Kultur und Wertvorstellungen, ähnliche Sozialstruktur) mit dazu beigetragen, daß die zugewanderten Frauen von der Expansion der tertiären Berufe profitierten.“215

Die entscheidenden beruflichen Umschichtungen erfolgten bei den vertriebe- nen Frauen aber nicht vom primären zum tertiären, sondern zum sekundären Sektor. Hier waren sie 1939 noch unterdurchschnittlich beschäftigt gewesen, bis 1950 ist ein starker Anstieg zu verzeichnen, der leicht abgeschwächt bis

213 Vgl. ebd., S. 151 ff.

214 Vgl. ebd., S. 153 f.

215 Ebd., S. 157. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 225

1960 seine Fortsetzung fand. Bei den einheimischen Frauen zeigte der Zu- wachs an Beschäftigten im sekundären Sektor dagegen kaum Auswirkungen. Noch 1971 lag der Prozentsatz der weiblichen Vertriebenen in Industrie und Handwerk 10 % über dem der Einheimischen und 15 % über dem Vorkriegs- wert216. Auf der Ebene der beruflichen Positionen ist in Industrie und Hand- werk ein starker Anstieg der un- und angelernten Arbeiterinnen bei den Ver- triebenen zu beobachten. Zwischen 1939 und 1950 erhöhte sich ihr Anteil um 20 % auf 47,7 %, und auch 1971 waren sie noch zu 40 % als unqualifizierte Arbeiterinnen beschäftigt217. Dagegen haben sich die einheimischen Frauen seit 1939 nach und nach aus den unqualifizierten Arbeiterpositionen zurückge- zogen.

Die Ergebnisse, die Lüttinger auf der Untersuchungsebene der Bundesrepublik vorgestellt hat, finden sich weitestgehend deckungsgleich in der für Bayern vorgenommenen Auswertung der MZU von 1971 wieder. Auch in Bayern ist bei den vertriebenen Frauen eine umfassendere und schnellere Loslösung aus familialen Erwerbsformen zu beobachten als bei der einheimischen weiblichen Bevölkerung. Die familialen wurden durch marktbezogene Beschäftigungsver- hältnisse abgelöst, was von einem erheblichen Statusverlust begleitet wur- de218. Allerdings konnte ein großer Teil der älteren weiblichen Vertriebenen an diesem beruflichen Umschichtungsprozeß nicht partizipieren, so daß viele von ihnen nach dem Krieg nurmehr als Hausfrauen tätig waren. Die älteren vertriebenen Frauen erfuhren somit eine mehrfache Benachteiligung in ihren Lebenschancen. „Als Vertriebene waren sie durch den massiven Strukturwan- del betroffen, der den Verlust ihrer Erwerbsmöglichkeiten bedeutete, als Frau- en hatten sie einen eingeschränkteren Zugang zum Erwerbssystem als die Männer und als Angehörige einer älteren Kohorte konnten sie in ihrer Biogra-

216 Vgl. ebd., S. 159.

217 Vgl. ebd., S. 162.

218 Vgl. Handl/Herrmann: Sozialstruktureller Wandel und Flüchtlingsinte- gration, S. 129 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 226 phie die notwendigen Anpassungsprozesse nicht mehr leisten bzw. wurden ausgegrenzt.“219

Nach der Zuwanderung in die Bundesrepublik drängten die Aussiedler in aller Regel nicht sofort auf den deutschen Arbeitsmarkt. Ihre Eingliederung vollzog sich vielmehr in mehreren Schritten, die sich aus ihrem sozioökonomischen Profil ergaben. Hierzu zählen die Prüfung auf Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen, Sprachausbildung, Anpassungsqualifizierungen in Form von Umschulungen oder berufspraktischen Weiterbildungen und schließlich Ar- beitsplatzvermittlung bzw. -suche. Allerdings liegen darüber, wie erfolgreich sich diese Arbeitplatzvermittlung bzw. -suche von Aussiedlern gestaltete, auf Bundesebene, im Gegensatz zu den Vertriebenen, nur spärliche oder unzurei- chende Informationen vor. Das hat in erster Linie damit zu tun, daß die beiden großen Wellen von Deutschen aus dem Osten auch in dieser Frage von amtli- cher Seite statistisch unterschiedlich kategorisiert wurden.

So wurden bei denen, die am Kriegsende und in der Nachkriegszeit kamen, beispielsweise die Arbeitslosen und die Beschäftigten bis Anfang der 1960er Jahre, etwa bei den Volks- und Berufszählungen, eigens statistisch erfaßt. Dies ist bei den Aussiedlern nicht der Fall: Die offiziellen Statistiken der damaligen Bundesanstalt für Arbeit weisen für den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit nur diejenigen aus, die sich in einem Sprachkurs bzw. in einer Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahme befanden oder sich unmittelbar danach arbeitslos gemeldet hatten. Allerdings können aus diesen Statistiken keine Schlußfolge- rungen über die Dauer der Arbeitslosigkeit abgeleitet werden. Arbeitslose Aus- siedler wurden nur in den ersten fünf Jahren nach ihrer Zuwanderung als solche erfaßt und danach der übrigen Bevölkerung zugerechnet. Das bedeutet, daß sich die Statistiken in jedem Jahr auf andere Zuwanderungsjahrgänge beziehen. So läßt sich etwa, trotz reduzierter Eingliederungshilfen und einer zunehmend verschärften Situation auf dem Arbeitsmarkt, der Rückgang der Arbeitslosen- zahlen der Aussiedler zwischen 1994 und 1996 damit erklären, daß diejenigen aus den starken Zuwanderungsjahren 1989 und 1990, die noch immer keine Arbeit gefunden hatten, nicht mehr bei den Aussiedlern, sondern bei den Ein-

219 Herrmann: Wandel der Sozialstruktur, S. 329. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 227 heimischen erschienen220. Über die sozialversicherungspflichtige Beschäfti- gung von Aussiedlern fehlen auf Makroebene jedwede Angaben, da diese Gruppe bei der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses von den übrigen Arbeit- nehmern nicht mehr separat unterschieden wird. Somit kann zum Beispiel für die Aussiedler, im Gegensatz zu den Vertriebenen, auf der Ebene der Bundes- republik keine Arbeitslosenquote errechnet werden221.

Trotz dieser statistischen Mängel von amtlicher Seite läßt sich der berufliche Weg der Aussiedler zumindest für die ersten Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland gut verfolgen. Hierzu sind zahlreiche Studien erschienen, deren Datenmaterial vornehmlich aus Stichprobenuntersuchungen, Zusatzbefragun- gen usw. gespeist wurde222. Diese Studien nehmen in der Mehrzahl von vorn- herein eine geschlechtsspezifische Unterscheidung vor; darüber hinaus wurden

220 Vgl. Barbara Koller: Aussiedlerinnen auf dem Arbeitsmarkt in Deutsch- land. Eingliederungsbedingungen und -erfolg der Aussiedlerfrauen im Vergleich zur Situation der Männer. In: Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit 8 (1998), S. 557- 578, hier S. 561.

221 Vgl. Michel/Steinke: Arbeitsmarktintegration, S. 47; Koller: Aussiedler in Deutschland, S. 17.

222 Neben den bereits zitierten Studien von Koller: Aussiedlerinnen auf dem Arbeitsmarkt und dies.: Aussiedler in Deutschland sowie Michel/Steinke: Arbeitsmarktintegration sind an dieser Stelle beispielsweise zu nennen: Marianne Assenmacher: Integrationsprozesse von Zuwanderern am Ar- beitsmarkt: Aussiedler und Übersiedler. In: Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen (Hrsg.), ZeS-Arbeitspapier Nr. 3. Bremen 1993, S. 4- 19; Sigrid Quack: „Da muß man sich durch einen langen, dunklen Tunnel tasten …“ Zur beruflichen Eingliederung von Aussiedlerinnen und Aus- siedlern in Deutschland. In: Marjana Morokvasic / Hedwig Rudolph (Hrsg.): Wanderungsraum Europa: Menschen und Grenzen in Bewegung. Berlin 1994, S. 250-269; Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 61 ff.; Barbara Koller: Aussiedler der großen Zuwanderungswellen – was ist aus ihnen geworden? Die Eingliederungssituation von Aussiedlerinnen und Aussiedlern auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 4 (1997), S. 766-789; Mammey/ Schiener: Zur Eingliederung der Aussiedler, S. 87 ff.; Greif/Gediga/Jani- kowski: Erwerbslosigkeit und beruflicher Abstieg; Andreas Janikowski: Berufliche Integration von Aussiedlern und Aussiedlerinnen. In: Silber- eisen/Schmitt-Rodermund/Lantermann (Hrsg.): Aussiedler in Deutsch- land, S. 113-142; Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 139 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 228 auch einige Arbeiten veröffentlicht, die sich in erster Linie mit der Eingliede- rung der Aussiedlerinnen in den deutschen Arbeitsmarkt beschäftigen223. So- mit läßt sich die berufliche Situation der weiblichen Angehörigen der zweiten großen Welle von Deutschen aus dem Osten viel genauer nachzeichnen als die der vertriebenen Frauen. Ferner differenzieren die Veröffentlichungen oftmals nicht nur nach Geschlecht, sondern auch nach Herkunftsländern der Aussiedler (Rumänien, Polen, ehemalige Sowjetunion). Auch hierin ist ein großer Unter- schied zu der wissenschaftlichen Literatur bezüglich der Vertriebenen festzu- stellen. Über die Zwangszuwanderer des Kriegsendes und der Nachkriegszeit existieren keine Untersuchungen, die ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt mit Blick auf die Ausgangsräume ihrer Zwangswanderung beleuchten und da- nach fragen, ob beispielsweise die Eingliederung von Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten anders verlief als die der Sudetendeutschen oder der Deutschstämmigen aus Südosteuropa. Im folgenden sollen Ergebnisse der Studien über die Arbeitsmarktintegration von Aussiedlern vorgestellt und diskutiert werden.

Dabei ist zunächst festzustellen, daß sich das Verhältnis der Erwerbspersonen zuungunsten der Aussiedlerinnen verschoben hat. War bei den einreisenden Aussiedlern der prozentuale Anteil von Männern und Frauen an den Erwerbs- personen noch nahezu gleich gewesen, so blieb der der Frauen im Eingliede- rungsprozeß deutlich hinter dem der Männer zurück. Mammey/Schiener geben den Anteil der männlichen Aussiedler an den Erwerbspersonen ihrer Untersu- chungspopulation mit 56,8 % an, während er bei den Aussiedlerinnen nur 43,2 % betrug224. Damit nähern sich die Werte denen der einheimischen Be- völkerung an. Auffällig viele Frauen befanden sich nicht mehr auf Arbeitssu- che. Bei Koller strebten nur etwa die Hälfte der untersuchten Frauen wieder

223 Vgl. Edith Gawlik: Berufliche und soziale Integration von Aussiedler- frauen. In: Berufsausbildung in Wissenschaft und Praxis 22 (1993), S. 26-31; Manuela Westphal: Aussiedlerinnen – Geschlecht, Beruf und Bildung unter Einwanderungsbedingungen. Bielefeld 1997 (Theorie und Praxis der Frauenforschung, Bd. 26); Dies.: Familiäre und berufliche Orientierungen von Aussiedlerinnen. In: Bade/Oltmer (Hrsg.): Aussied- ler: deutsche Einwanderer aus Osteuropa, S. 127-149; Koller: Aussiedle- rinnen auf dem Arbeitsmarkt.

224 Vgl. Mammey/Schiener: Zur Eingliederung der Aussiedler, S. 96. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 229 nach Arbeit, während diejenigen, die keine Arbeit mehr suchten, mehrheitlich angaben, ‚Hausfrauen‘ zu sein225. Angesichts der starken Erwerbsbeteiligung der Aussiedlerinnen vor ihrer Migration erscheint ihr verstärkter Rückzug aus dem Erwerbsleben nach ihrer Migration besonders erwähnenswert.

Auf die Frage, inwieweit der Rückzug aus dem Erwerbsleben von den Aussied- lerinnen freiwillig gewählt wurde oder durch vergebliche Arbeitssuche und daran anschließende Resignation aufgezwungen war, könnte der Blick auf die Arbeitslosigkeit eine Antwort geben. Koller errechnet bei der von ihr unter- suchten Aussiedlerpopulation für die Männer eine Arbeitslosenquote von 14 % und für die Frauen von 25,6 %. Sie lag damit zum Zeitpunkt der Datenerhe- bung (Herbst 1993) bei den Aussiedlern um 5 %, bei den Aussiedlerinnen je- doch um 16,5 % über der jeweiligen Arbeitslosenquote für Männer und Frauen in Westdeutschland (9,0 % bzw. 9,1 %)226. Abgesehen davon, daß die Gesamt- gruppe der Deutschen aus dem Osten einem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko unterlag wie die Gesamtbevölkerung, waren Aussiedlerinnen in deutlich stär- kerem Umfang als die Männer von Arbeitslosigkeit betroffen. Es ist deshalb zu vermuten, daß sich die Frauen aufgrund ihrer offensichtlich schlechteren Eingliederungschancen stärker vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben.

225 Vgl. Koller: Aussiedler der großen Zuwanderungswellen, S. 774. Die Studie beleuchtet die Situation von Aussiedlern gut zwei Jahre nach Be- endigung des Deutschkurses. In einer ersten Erhebungswelle waren diese Personen während des Deutschkurses im Mai 1991 befragt worden. Ein halbes Jahr später, nach Beendigung des Deutschkurses, fand eine zwei- te, und im vierten Quartal 1993 schließlich eine dritte Befragung statt, deren Ergebnisse die Autorin vorstellt. Zu den Ergebnissen der ersten beiden Erhebungswellen (Mai 1991 und Herbst 1991) vgl. Barbara Kol- ler: Aussiedler nach dem Deutschkurs: Welche Gruppen kommen rasch in Arbeit? In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2 (1993), S. 207-221 sowie dies.: In einem andern Land.

226 Vgl. Koller: Aussiedler der großen Zuwanderungswellen, S. 774; der Vergleich mit der einheimischen Bevölkerung in Westdeutschland er- folgte von der Autorin vor dem Hintergrund, daß ausschließlich Aussied- ler untersucht wurden, die sich in den alten Bundesländern nieder- gelassen hatten. In den neuen Bundesländern lebten zum damaligen Zeit- punkt kaum Aussiedler, vgl. ebd., S. 769. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 230

Anschließend an diese Feststellung stellt sich die Frage, worin sich die schlech- teren Eingliederungschancen der Aussiedlerinnen auf dem deutschen Arbeits- markt begründen. Neben im Vergleich zu den Männern unterschiedlichen Fa- milienpflichten und Verantwortungsbereichen wie etwa der Kindererziehung, denen allerdings auch die einheimischen Frauen ausgesetzt sind, spielen vor allem die mitgebrachten beruflichen Voraussetzungen eine große Rolle. Hier zeigt sich, daß insbesondere die Aussiedlerinnen in ihren Herkunftsländern in Berufen des Dienstleistungssektors gearbeitet hatten, die in der Bundesrepublik ohne Zusatzqualifikation kaum zugänglich sind. Sie waren weit überdurch- schnittlich vertreten in Organisations- und Verwaltungsberufen sowie in Sozi- al- und Erziehungsberufen227. Gerade bei diesen Tätigkeiten kam es verstärkt auf die Sprachbeherrschung und die Ausbildung für das bundesdeutsche Wirt- schafts- und Sozialsystem an. Dementsprechend kam der größte Teil der ar- beitslos gemeldeten Frauen aus dem Dienstleistungsbereich und dort besonders aus Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufen228. Erschwerend kam hin- zu, daß nicht wenige Aussiedlerinnen in ihrem Herkunftsland in Berufen ar- beiteten, die hier als sogenannte ‚Männerberufe‘ gelten229. Auf dem ge- schlechtssegregierten Arbeitsmarkt der Bundesrepublik waren sie mit diesen Qualifikationen nur schwer vermittelbar.

Gerade Aussiedlerinnen wären also verstärkt auf berufliche Eingliederungs- maßnahmen angewiesen gewesen. Allerdings weist Quack auf systematische Ausgrenzungsprozesse gegenüber dieser Gruppe im gesamten beruflichen Ein- gliederungsbereich hin230. Das gilt für die Teilnahme an Sprachkursen, die Bewilligungspraxis bei Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung und zur

227 Vgl. Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 68.

228 Vgl. Westphal: Aussiedlerinnen, S. 114.

229 Im Jahr 1991 waren von den zugewanderten Aussiedlerinnen 28 % in gewerblichen Berufen und 6 % in Ingenieur- bzw. technischen Berufen tätig gewesen. Die entsprechenden Werte der weiblichen Erwerbstätigen in der Bundesrepublik betrugen im selben Jahr dagegen nur 15 % bzw. 2 %, vgl. Quack: „Da muß man sich durch einen langen, dunklen Tunnel tasten …“, S. 258.

230 Vgl. ebd., S. 258 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 231

Qualifikationsanpassung, bei der Anerkennung beruflicher Qualifikationen und Abschlüsse, aber auch bei der Stellenvermittlung durch das Arbeitsamt. So fielen Frauen aus bestimmten Eingliederungsprogrammen wie zum Beispiel den Sprachkursen heraus, wenn sie keine Kinderbetreuung vorweisen konnten. Angesichts des Fehlens von öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten dürf- ten viele Frauen Schwierigkeiten gehabt haben, einen entsprechenden Nach- weis zu erbringen. Auch sind Aussiedlerinnen von den in den 1990er Jahren beschlossenen Kürzungen der Eingliederungshilfen besonders betroffen231. Im Rahmen dieser Kürzungsmaßnahmen wurden berufliche Weiterbildungen für die Aussiedler meist nur noch einem Elternteil gewährt. Dabei handelte es sich vorwiegend um den Mann, aufgrund seiner ihm zugeschriebenen Funktion als Familienernährer232. Anträge von Frauen wurden oftmals mit der Begründung abgelehnt, sie hätten in ihrem Beruf ‚sowieso‘ keine Chance, einen Arbeits- platz zu finden233.

Im Gegensatz zu den Frauen konnten die männlichen Aussiedler stärker von ihren mitgebrachten beruflichen Qualifikationen und von den in Deutschland absolvierten Qualifizierungsmaßnahmen profitieren. Ihre in den Herkunftslän- dern erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten waren offenbar einer weniger starken Entwertung ausgesetzt wie die der Frauen. Die Herkunftsberufe der männlichen Aussiedler waren vornehmlich im manuell ausführenden gewerbli- chen Bereich angesiedelt, und nach ihrer Migration konnten sie zum Beispiel wieder als Kraftfahrer, Schlosser oder Elektriker tätig werden. Auch Aussiedler mit Bauberufen hatten bessere Einstellungsaussichten. Im Metall- und Elektro- bereich sowie in der Baubranche war zumindest Anfang der 1990er Jahre noch eine Nachfrage nach Arbeitskräften vorhanden234. Deutlich ungünstigere

231 Vgl. Monika Hülsekemper: Integrationschancen von Aussiedlern. Eine Einschätzung ihrer sozialen Situation in der Bundesrepublik. In: Infor- mationsdienst zur Ausländerarbeit 3-4/1994, S. 48-53, hier S. 50.

232 Vgl. Gawlik: Berufliche und soziale Integration von Aussiedlerfrauen, S. 27.

233 Vgl. Quack: „Da muß man sich durch einen langen, dunklen Tunnel ta- sten …“, S. 260.

234 Vgl. Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 66. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 232

Vermittlungschancen hatten aber auch bei den männlichen Aussiedlern die – allerdings wenigen – vorher in Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufen Beschäftigten sowie Techniker235.

Neben Geschlecht und Qualifikation ist im Hinblick auf die Eingliederungs- chancen der zweiten großen Welle von Deutschen aus dem Osten in den Ar- beitsmarkt vor allem der Zuwanderungszeitpunkt zu nennen. Eine eher günsti- ge Bilanz kann hier für jene Aussiedler gezogen werden, die bis Anfang der 1990er Jahre in die Bundesrepublik kamen. So wurde zwischen 1988 und 1990 zum Beispiel jeder fünfte neu geschaffene Arbeitsplatz mit einem Aussiedler besetzt236. Doch analog zur ungünstigen Entwicklung in der Wirtschaft, sin- kendem Arbeitskräftebedarf und steigenden Arbeitslosenzahlen in der Bundes- republik verschlechterte sich auch die Situation der Aussiedler auf dem Ar- beitsmarkt. Münz/Seifert/Ulrich zeigen anhand ihrer Daten, die sie aus der Zu- wandererstichprobe des Sozio-Ökonomischen Panels Mitte der 1990er Jahre gewinnen konnten, daß bei den Aussiedlern, die nach 1991 zuwanderten, grö- ßere Probleme bei der Arbeitsmarkteingliederung zu beobachten sind als bei denen, die vorher einreisten. Die Arbeitslosenquote bei den Aussiedlern der Zuwanderungsperiode 1989-1990 betrug im Jahr 1995 20 %, 54 % von ihnen waren erwerbstätig. Dagegen lag die Arbeitslosenquote bei den Angehörigen der Zuwanderungsperiode 1991-1995 bei 44 %, während nur 39 % erwerbstä- tig waren237.

Erschwerend dürfte sich für die Arbeitsmarkteingliederung der in den 1990er Jahren zuwandernden Aussiedler, die sich fast ausschließlich auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik niederließen, ausgewirkt haben, daß die dorti-

235 Vgl. Koller: Aussiedler der großen Zuwanderungswellen, S. 777 f.

236 Vgl. Klös: Integration der Einwanderer aus Ost-/Südosteuropa, S. 263. Eine weitgehend positive Bilanz für die Periode vor dem Fall des Eiser- nen Vorhangs zieht auch Leciejewski. Er benennt jedoch auch zum da- maligen Zeitpunkt schon Schwierigkeiten bei einzelnen Berufsgruppen, insbesondere aus Angestelltenberufen, eine adäquate Beschäftigung zu finden, vgl. Leciejewski: Zur wirtschaftlichen Eingliederung der Aus- siedler.

237 Vgl. Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 140. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 233 ge Konkurrenz unter den Arbeitnehmern um die immer knapper werdenden Beschäftigungsressourcen durch viele Ostdeutsche, die nun ebenfalls auf den westdeutschen Arbeitsmarkt drängten, verschärft wurde. Gegenüber dieser Gruppe besaßen die Aussiedler klare Wettbewerbsnachteile. Als Konsequenz hieraus verfügten letztere über mitunter mehr als doppelt so hohe Arbeitslosen- quoten wie die ostdeutschen Zuwanderer, die Erwerbsbeteiligung der Aussied- ler blieb hingegen deutlich hinter der der innerdeutschen Migranten zurück238.

Im Hinblick auf die Aussichten der Aussiedler bezüglich ihrer Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt soll noch ein weiterer Aspekt genannt werden, nämlich die Unterscheidung nach Herkunftsländern. Hier zeigt sich, daß Aus- siedler aus Rumänien günstigere Erwerbschancen hatten. Greif/Gediga/Jani- kowski beziffern in ihrer Untersuchung den Anteil der erwerbslos gemeldeten Personen dieser Gruppe auf 24 % bei den Frauen und 15 % bei den Männern. Die entsprechenden Werte lagen bei den Aussiedlern aus Polen dagegen bei 45 % bzw. 14 %, bei denen aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion so- gar bei 49 % bzw. 38 %239. Mit Blick auf die Gesamtgruppe der Aussiedler relativiert sich allerdings die günstigere Situation der Rumäniendeutschen, da sie von den 2,7 Millionen Aussiedlern, die zwischen 1988 und 2000 zuwan- derten, nur 8 % stellten. Die klare Mehrheit waren mit knapp 70 % hingegen Aussiedler aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion, und diese hatten bei der Arbeitsmarkteingliederung offensichtlich weitaus größere Schwierigkeiten.

Die bis hierher vorgestellten Ergebnisse zur Arbeitsmarkteingliederung der zweiten großen Welle von Deutschen aus dem Osten lassen sich folgenderma-

238 Vgl. hierzu Erika Schulz / Kerstin Seiring: Analyse der beruflichen Ein- gliederung deutscher Zuwanderer – Ein Beispiel für die logistische Re- gressionsanalyse mit SPSS. Berlin 1994 (DIW-Diskussionspapiere 102); Thomas Bauer / Klaus F. Zimmermann: Arbeitslosigkeit und Löhne von Aus- und Übersiedlern. In: Viktor Steiner / Lutz Bellmann: Mikroöko- nomik des Arbeitsmarktes. Nürnberg 1995 (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 192), S. 89-113; Wolfgang Seifert: Neue Zuwan- derergruppen auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt. Eine Analyse der Arbeitsmarktchancen von Aussiedlern, ausländischen Zuwanderern und ostdeutschen Übersiedlern. In: Soziale Welt 47 (1996), S. 180-201.

239 Vgl. Greif/Gediga/Janikowski: Erwerbslosigkeit und beruflicher Abstieg, S. 95 ff. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 234

ßen zusammenfassen: Die Aussiedler hatten größere Arbeitslosigkeitsrisiken als die einheimische Bevölkerung und waren dementsprechend stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Das galt für Aussiedlerinnen in deutlich stärkerem Maße als für die männlichen Aussiedler. „Strukturelle Eingliederungsmerk- male wie Ausbildungsstand, Berufsausbildung und Sprachdefizite treten bei weiblichen Aussiedlern als Problembereiche kumulativ auf.“240 Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen und reduzierter Eingliederungshilfen hatten die Aussiedler im Verlauf der 1990er Jahre zunehmend Schwierigkeiten, in Deutschland eine Beschäftigung zu finden. Dies drückt sich nicht nur in über dem Bundesdurchschnitt liegenden Arbeitslosenquoten aus, sondern zeigt sich etwa auch im Vergleich mit der Aussiedlerarbeitslosigkeit in den 1970er Jah- ren. So war die Arbeitslosenquote von Aussiedlermännern, die 1976 in die Bundesrepublik gekommen waren, drei Jahre später mit 2,2 % sogar niedriger als der männliche Bundesdurchschnitt (3,9 %). Auch die Aussiedlerinnen lagen mit einer Arbeitslosenquote von 4,4 % unter der der weiblichen Erwerbsperso- nen in der Bundesrepublik (5,8 %)241. Die zunehmend schlechtere Arbeits- marktsituation der Aussiedler in den 1990er führte dazu, daß ihre Haushalte deutlich häufiger von Sozialhilfe abhängig waren als die einheimischen Haus- halte242. Bei den Chancen, eine Arbeit zu finden, wurden Zuwanderern aus Rumänien noch die besseren, Aussiedlern aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion dagegen weniger gute Chancen attestiert. Nachdem die Frage nach der Arbeitslosigkeit unter den Aussiedlern bisher im Vordergrund der Untersuchung stand, soll es nunmehr um diejenigen unter ihnen gehen, die eine Beschäftigung gefunden haben. Welche Tätigkeiten übten sie aus und welche Arbeitsmarktpositionen nahmen sie ein?

240 Herwartz-Emden/Westphal: Die fremden Deutschen, S. 202.

241 Vgl. Gertrud Watrinet: Die wirtschaftliche Eingliederung. In: Harmsen (Hrsg.): Die Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland, S. 203-224, hier S. 216.

242 Nach einer Untersuchung zum Sozialhilfebezug privater Haushalte in Westdeutschland bezogen 15 % aller Aussiedlerhaushalte im Jahre 1995 Sozialhilfe, aber nur 3 % aller einheimischen Haushalte, vgl. Joachim Frick / Felix Buechel / Wolfgang Voges: Sozialhilfe als Integrationshilfe für Zuwanderer in Deutschland. DIW Wochenberichte 48 (1997), S. 765- 775. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 235

Genau wie bei den Vertriebenen war eines der wesentlichsten Kennzeichen bei der Arbeitsaufnahme von Aussiedlern in Deutschland, daß sie, um überhaupt eine Arbeit zu bekommen, oftmals berufsfremde Tätigkeiten ausführen muß- ten, was in der Regel mit Dequalifikationsprozessen verbunden war. Aber auch wenn sie eine Beschäftigung im mitgebrachten Berufsfeld gefunden hatten, waren sie nicht selten unterqualifiziert eingesetzt. Mammey/Schiener fassen die Situation der erwerbstätigen Aussiedler folgendermaßen zusammen: „Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland wird von Aussiedlern um den Preis des be- ruflichen Abstiegs erkauft.“243

Nach Janikowski hatten insbesondere die höher qualifizierten Aussiedler gerin- ge Chancen, in Deutschland wieder eine ihrer Ausbildung adäquate Beschäfti- gung aufzunehmen. Am ungünstigsten gestaltete sich dabei die Situation für die Angehörigen akademischer Berufe. Dagegen hatten die Akademiker bei den Vertriebenen noch zu einer der Gruppen gehört, die am ehesten wieder an ihre vorherige Erwerbsbiographie anknüpfen konnten. Bei den Aussiedlern kamen hier wieder die großen Unterschiede in den Bildungssystemen zwischen den Herkunftsregionen und der Bundesrepublik zum Tragen. Nur wenige Aus- siedler mit akademischer Ausbildung konnten in Deutschland wieder eine ver- gleichbar qualifizierte Tätigkeit finden. Darüber hinaus waren Frauen stärker von beruflichem Abstieg betroffen als die Männer. Während bei letzteren nur bei den Akademikern ein genereller beruflicher Abstieg zu beobachten war, vollzog er sich bei den Aussiedlerinnen bei allen höher qualifizierten Gruppen. Insgesamt mußten 70 % der weiblichen Aussiedler durch die Migration einen beruflichen Abstieg hinnehmen, während es bei den Männern 44 % waren. „Es sind somit die Frauen, die durch die Aussiedlung beruflich am meisten verlie- ren.“244 Trotz eines hohen Anteils von Personen mit hoher beruflicher Quali- fikation befanden sich die Arbeitsplätze der meisten Aussiedlerinnen und Aus-

243 Mammey/Schiener: Zur Eingliederung der Aussiedler, S. 119.

244 Janikowski: Berufliche Integration von Aussiedlern und Aussiedlerinnen, S. 138. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 236 siedler verstärkt in den unteren beruflichen Segmenten des Arbeitsmarktes. 77 % der Frauen und 52 % der Männer arbeiteten als Ungelernte245.

Auf Berufe mit niedrigen formalen Qualifikationsanforderungen als Auffang- berufe für Aussiedler, die außerhalb ihres Herkunftsberufsfeldes arbeiteten, verweist Koller. Bei den Aussiedlerinnen waren es vor allem die Berufe ‚Putz- frau‘ und ‚Arbeiterin‘ bzw. ‚Hilfsarbeiterin‘. 15 % aller befragten Frauen ga- ben an, ‚Putzfrau‘ oder ‚Raumpflegerin‘ zu sein. Aber nur zu einem geringen Teil übten sie diesen Beruf bereits im Herkunftsland aus, vielmehr kamen die meisten aus allen Berufen und Qualifikationsebenen. Sie waren vorher insbe- sondere in Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufen oder als Kindergärt- nerin tätig gewesen. Ein ähnliches Bild boten die knapp 7 % der Frauen mit Arbeitsplatz, die als ‚Arbeiterinnen‘ oder ‚Hilfsarbeiterinnen‘ beschäftigt wa- ren. Keine von ihnen war im Herkunftsland Hilfsarbeiterin gewesen, sondern auch sie setzen sich aus Angehörigen zahlreicher anderer Berufsfeld zusam- men. „Relativ viele waren vorher Verkäuferin gewesen, es waren jedoch auch ehemalige Ingenieurinnen, Buchhalterinnen oder Lehrerinnen in Deutschland Arbeiterin.“246 Tätigkeiten in der Altenpflege oder Beschäftigungen als ‚Pak- kerin‘ und ‚Küchenhilfe‘ waren weitere Auffangtätigkeiten für viele Aussiedle- rinnen. Bei den Aussiedlermännern dominierte als Auffangberuf der des ‚Hilfsarbeiters‘. Allerdings hatte auch von ihnen niemand eine Tätigkeit im Herkunftsland angegeben, die dieser Kategorie zuzuordnen war. Vielmehr hatten sie in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet, die meisten von ihnen als Kraftfahrer oder Facharbeiter, einige auch als Ingenieure bzw. Techniker.

245 Vgl. ebd., S. 139. Zur problematischen Arbeitsmarkteingliederung von Akademikern vgl. auch Raimund Pfundner: Der schwierige Weg zum Arbeitsmarkt. Probleme der beruflichen Nachqualifikation ausgesiedelter Akademiker. Münster/New York 1995.

246 Koller: Aussiedlerinnen auf dem Arbeitsmarkt, S. 566. Die Dequalifizie- rung insbesondere von Aussiedlerinnen betont auch Quack, die dieses Phänomen anschaulich erläutert: „Eine ehemalige Büroangestellte arbei- tet als Fließbandarbeiterin, eine andere setzt in Heimarbeit Lampenfas- sungen zusammen, mehrere Lehrerinnen arbeiten als Babysitter oder Putzfrauen. Nur eine einzige Frau, eine Bibliothekarin, fand eine Be- schäftigung, die ihrer Qualifikation und vorherigen Tätigkeit entsprach, vgl. Quack: „Da muß man sich durch einen langen, dunklen Tunnel ta- sten …“, S. 263. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 237

Weitere Auffangtätigkeiten waren für die Männer mit Arbeitsplatz, die als Hilfsarbeiter beschäftigt waren, ‚Lagerarbeiter‘, ‚Bauarbeiter‘, ‚Fahrer‘ oder ‚Wachmann‘247. Für die Aussiedlerinnen und Aussiedler, die ihr Herkunfts- berufsfeld wechseln mußten, blieben also nur un- oder angelernte Tätigkeiten in Dienstleistungs- und Arbeiterberufen. Einzig diese boten Beschäftigung auch ohne langdauernde Umschulung.

Allerdings blieben auch diejenigen Aussiedler, die weiterhin in ihrem mitge- brachten Berufsfeld tätig waren, von einer Entwertung ihrer in den Herkunfts- ländern erworbenen Qualifikation nicht verschont. Auch das betont Koller, und sie gibt das Berufsfeld ‚Sozial- und Erziehungsberufe‘ als Beispiel248. Viele Angehörige dieses Berufsfeldes waren in ihren Herkunftsländern Lehrerinnen oder Lehrer gewesen, konnten diesen Beruf aber allesamt nach der Migration nicht mehr ausführen. Während die Männer, die eine Arbeit finden konnten, aus diesem Berufsfeld abwanderten, war bei den Frauen eine relativ hohe Ver- bleibsquote zu verzeichnen. Ein Teil von ihnen wurde als Kindergärtnerinnen eingesetzt oder zu Altenpflegerinnen umgeschult und blieb somit in Berufen, die auch zum Berufsabschnitt ‚Sozial- und Erziehungsberufe‘ gehören. Jedoch betrachteten das vor allem Frauen, die in der Altenpflege arbeiteten, als Berufs- wechsel. Hinzu kommt, daß beim Übergang von einer Tätigkeit als Lehrerin zur Kindergärtnerin oder Altenpflegerin soziale Statusverluste hinzunehmen waren.

Genau wie bei der Entwicklung der Arbeitslosigkeit unter den Aussiedlern le- gen Münz/Seifert/Ulrich auch bei deren Arbeitsmarktpositionen ein besonderes Augenmerk auf den Zuwanderungszeitpunkt. Neben der allgemeinen Feststel- lung, daß Aussiedler in Deutschland überproportional in Arbeiterberufen tätig und davon fast die Hälfte als un- oder angelernte Arbeiter beschäftigt wa- ren249, verweisen sie vor allem auf die besseren Arbeitsmarktpositionen von Aussiedlern, die vor 1991 zugewandert sind. Beispielsweise waren von den Aussiedlern der Zuwanderungsperiode 1989-90 48 % im erlernten Beruf tätig,

247 Vgl. Koller: Aussiedlerinnen auf dem Arbeitsmarkt, S. 566.

248 Vgl. Koller: Aussiedler der großen Zuwanderungswellen, S. 783 f.

249 Vgl. Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 142. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 238

47 % hatten einen Arbeitsplatz mit Qualifikationsanforderungen. Bei den Aus- siedlern der Zuwanderungsperiode 1991-95 lagen die entsprechenden Werte dagegen bei 38 % bzw. 18 %. Dafür war bei letzteren der Prozentsatz derjeni- gen höher, die keine qualifizierte Tätigkeit ausübten (50 % zu 39 %)250.

In der Summe der hier vorgestellten Ergebnisse läßt sich feststellen, daß viele Aussiedler, die in Deutschland einen Arbeitsplatz gefunden hatten, in berufli- cher Hinsicht zahlreiche Abstriche machen mußten. Um nach der Ankunft in der Bundesrepublik möglichst rasch wieder eine berufliche Tätigkeit ausführen zu können, waren viele Aussiedler allerdings auch von sich aus bereit, Arbeit anzunehmen, die unterhalb der eigenen Qualifikation lag251. „Im Interview beschreiben sich die Aussiedlerinnen und Aussiedler selbst als eine Gruppe, die sich nicht scheut, auch besonders belastende oder schmutzige Arbeitstätig- keiten zu übernehmen, die von den in Deutschland geborenen Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmern gemieden werden. Sie betonen, daß sie diese ungelieb- ten Arbeiten, im Unterschied zu den ‚verwöhnten Deutschen‘, übernehmen können.“252 Die von vornherein vorhandene Bereitschaft vieler Aussiedler, in Deutschland Tätigkeiten in den unteren Segmenten des Arbeitsmarktes auszu- führen, könnte dazu beitragen, daß sie ihre eigene berufliche Situation weniger negativ sahen, als es zunächst vermuten ließe. Eigenen Aussagen zufolge war jedenfalls nur die Minderheit der Ansicht, sie hätten sich beruflich eher oder deutlich verschlechtert. Vielmehr überwogen unter dem Hinweis auf eine leich- te oder deutliche Verbesserung die positiven Aspekte bei der eigenen Beurtei- lung der beruflichen Situation253.

Diese positive Einschätzung könnte damit zusammenhängen, so argumentiert Koller, daß sich fast dreiviertel der von ihr untersuchten Aussiedler mit Ar-

250 Vgl. ebd., S. 142 ff., insbes. die Tabelle 29.

251 Wenzel spricht in diesem Zusammenhang von einer „überstürzte[n] Ar- beitsaufnahme“, vgl. Wenzel: Aussiedlerzuwanderung als Strukturpro- blem in ländlichen Räumen, S. 280.

252 Janikowski: Berufliche Integration von Aussiedlern und Aussiedlerinnen, S. 139.

253 Vgl. Koller: Aussiedler der großen Zuwanderungswellen, S. 784. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 239 beitsplatz – auch wenn sie sich dem eigenen Empfindungen nach beruflich ver- schlechtert hatten – nach ihrer Migration zumindest in einer Hinsicht verbessert hatten, nämlich was das Einkommen betrifft. Allerdings lassen sich auch hier wieder geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen. „Vergleicht man die Einkommen von Frauen und Männern, zeigt sich, daß Aussiedlerinnen in einer Hinsicht jedenfalls integriert sind: Genau wie einheimische Frauen verdienen sie deutlich weniger als die Männer.“254 Wenngleich viele Aussiedler ein hö- heres Einkommen bezogen als in ihren Herkunftsländern, so ist doch festzu- stellen, daß ihr Verdienst hinter dem der übrigen Arbeitnehmer in der Bundes- republik zurückblieb. Koller errechnet bei den Aussiedlermännern, die als Ar- beiter tätig waren, ein um etwa 13 Prozentpunkte niedrigeres Durchschnittsein- kommen als bei den übrigen Beschäftigten, bei den Aussiedlerinnen blieb der entsprechende Wert um 16 Prozentpunkte hinter dem der weiblichen Arbeit- nehmer zurück. Bei den Aussiedlern in Angestelltenpositionen betrug der Ab- stand für die Frauen zur Vergleichsgruppe 17 %, für die Männer dagegen 25 %255.

4.6. Fazit: Die migrationsbedingten Auswirkungen auf die Erwerbsbio- graphien von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern

Die Migration in den Westen brachte für Vertriebene und Aussiedler gravieren- de Veränderungen in ihren Erwerbsbiographien. Nach Flucht und Vertreibung fanden viele der Zwangszuwanderer des Kriegsendes und der Nachkriegszeit keine Beschäftigung in ihrem ursprünglichen Beruf und/oder entsprechend ihrer Qualifikation und mußten bei der Aufnahme anderer Tätigkeiten zum Teil

254 Ebd., S. 785. Nach den Ergebnissen der Autorin verdienten bei den Aus- siedlern in Arbeiterpositionen in den Wirtschaftszweigen Industrie und Bau die Frauen 68 % dessen, was die Männer verdienten, während bei allen Arbeitern in Industrie und Bau in Westdeutschland die Frauen im Jahr 1993 71 % des Einkommens der Männer hatten. Ein wenig günstiger gestaltete sich die Situation bei den Aussiedlerinnen in Angestelltenposi- tionen, die knapp 74 % des Männereinkommens verdienten. Dagegen betrug das Fraueneinkommen für alle Angestellten in Westdeutschland knapp 67 % von dem, was die Männer erhielten, vgl. ebd.

255 Vgl. ebd. Auf das im Vergleich zum Bundesdurchschnitt niedrigere Ein- kommen der Aussiedler verweisen auch Mammey/Schiener: Zur Einglei- derung der Aussiedler, S. 33. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 240 gravierende Abstiegserfahrungen machen. Ihr Weg in den Arbeitsmarkt begann nicht selten auf den untersten beruflichen Positionen. Gleiches ist in den 1990er Jahren bei den Aussiedlern zu beobachten. Bade/Oltmer stellen deshalb mit Blick auf die Aussiedlereingliederung zu Recht fest, daß die migrations- und integrationsbedingten Dequalifikationsprozesse am Arbeitsmarkt und die daraus resultierenden beruflich-sozialen Folgen für diese Gruppe von Deut- schen aus dem Osten „an die Fehlallokationen bei Flüchtlingen und Vertriebe- nen im Nachkriegsdeutschland erinnern.“256

Erschwerend wirkte sich für Vertriebene und Aussiedler bei der Suche nach berufs- und ausbildungsadäquaten Beschäftigungsmöglichkeiten aus, daß sich ihre mitgebrachten beruflichen und qualifikatorischen Voraussetzungen mit- unter erheblich von denen der Einheimischen bzw. von den Anforderungen der jeweiligen Arbeitsmärkte, auf die sie trafen, unterschieden. Dabei kamen die Vertriebenen aus eher agrarisch geprägten Herkunftsgebieten in ein stärker industrialisiertes Zielgebiet257. Bei den Aussiedlern wurde vor allem die über Jahrzehnte völlig unterschiedliche Entwicklung in den Wirtschafts-, Gesell- schafts- und Bildungssystemen zwischen den Herkunftsgebieten und dem Zielland Bundesrepublik betont. Formal gleiche Abschlüsse konnten völlig andere Ausbildungsinhalte haben, bei gleichzeitiger technologischer Rückstän- digkeit der Herkunftsregionen. Hinzu kam, daß die Aussiedler zunehmend über keine oder nurmehr schlechte Deutschkenntnisse verfügten. Negativ machte sich bei den Aussiedlern zusätzlich bemerkbar, daß staatliche Eingliederungs- hilfen wie Sprachkurse und Umschulungsmaßnahmen im Verlauf der 1990er Jahre reduziert wurden.

256 Bade/Oltmer: Einführung, S. 35 f.

257 Bei dieser Aussage über die Gesamtgruppe der Vertriebenen gilt es aber auch zu differenzieren. So stammten beispielsweise die überwiegend in Bayern angesiedelten Sudetendeutschen aus Gebieten mit einem deutlich höheren Industrialisierungsgrad, als ihn das Agrarland Bayern zu Anfang der 1950er Jahre erreicht hatte. Hieraus konnten zumindest bezüglich der handwerklich-industriellen Berufsausbildungen spezifische Differenzen zwischen Vertriebenen und Einheimischen erwartet werden, vgl. Handl/- Herrmann: Sozialstruktureller Wandel und Flüchtlingsintegration, S. 129. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 241

In ihren gemeinsamen Erfahrungen bei der Arbeitsmarkteingliederung (berufli- cher Abstieg, Ausübung von vorwiegend un- und angelernten Tätigkeiten) un- terschieden sich Vertriebene und Aussiedler kaum von Migranten, denen Pri- vilegien wie etwa sofortiger bzw. erleichterter Zugang zur deutschen Staatsan- gehörigkeit und spezielle Eingliederungshilfen nicht zugestanden wurden. Auch die theoretische Einbettung und Interpretation ihrer Eingliederung orien- tiert sich vornehmlich an den bekannten Konzepten, die auch bei anderen Mi- grantengruppen, wie etwa den ‚Gastarbeitern‘, Anwendung fanden.

Lüttinger zum Beispiel sieht in der Arbeitsmarkteingliederung der Vertriebe- nen einen aus der Migrations- und Integrationsforschung hinlänglich bekannten Prozeß der Unterschichtung, d. h., durch den Eintritt vieler Vertriebener in die unteren Positionen der Erwerbsstruktur ergaben sich für die Einheimischen positive berufliche Mobilitätschancen. Diese konnten sich nun betrieblich wei- terbilden und in stärkerem Maße qualifizierte Facharbeiter- und Angestellten- tätigkeiten ausüben; die freiwerdenden, für den Produktionsprozeß aber not- wendigen Basistätigkeiten wurden von den Vertriebenen übernommen. Da sich die Deutschen aus dem Osten und die Einheimischen in ihren sozialstrukturel- len Voraussetzungen aber sehr ähnelten, setzt Lüttinger nicht voraus, daß die Zuwanderer eine neue soziale Schicht bildeten, die sich unterhalb des einhei- mischen Schichtungsgefüges ansiedelten. Deshalb vertritt er für die Vertriebe- nen eine „modifizierte Unterschichtungsthese“: „Die globale Unterschichtungs- annahme wird folglich insofern modifiziert, daß wir, entsprechend der früheren Position, ein deutliches Gefälle in der Stärke des Unterschichtungsprozesses erwarten. D. h. je näher die soziale Stellung der Zuwanderer den unteren Posi- tionen kommt, desto stärker dürften die Unterschichtungstendenzen werden. Wir können also nicht davon ausgehen, daß bestimmte Positionen nur von Zu- wanderern eingenommen werden, wie eine streng ausgelegte Unterschichts- annahme implizieren würde.“258

Greif/Gediga/Janikowski ziehen zur Erklärung ihrer Ergebnisse zu Erwerbs- losigkeit und beruflichem Abstieg bei Aussiedlern die Segmentierungstheorie des Arbeitsmarktes heran. „Danach sind ausländische Arbeitnehmerinnen und

258 Lüttinger: Integration der Vertriebenen, S. 52. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 242

Arbeitnehmer sowie Migrantinnen und Migranten im Wirtschaftssystem der Bundesrepublik als ‚Lückenbüßer‘ nötig. Für relativ geringen Lohn werden sie als Ungelernte oder Angelernte für besonders belastende Tätigkeiten eingesetzt oder temporär als Aushilfe. Im Unterschied zu Marktsegmenten, auf den Be- schäftigte mit hohen oder speziellen fachlichen Qualifikationsanforderungen gesucht sind, bleiben in diesem Segment, das von anderen Beschäftigten nach Möglichkeit gemieden wird, die gegenseitigen Bindungen und Verpflichtungen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten gering. Dies erklärt ein dauerhaft hohes oder zunehmendes Erwerbslosigkeitsrisiko in diesem Segment und eine geringe Bedeutung hoher schulischer und beruflicher Qualifikationen, die vor der Migration erworben wurden.“259

Angesichts der Ergebnisse, die die Untersuchung der Arbeitsmarkteingliede- rung von Vertriebenen und Aussiedlern ergeben hat und auch der an den zwei genannten Beispielen kurz erläuterten theoretischen Herangehensweise an die- se Problematik ist nachdrücklich Bade zuzustimmen, für den die Eingliederung der Vertriebenen Konturen eines „echten, bereichsweise sogar intergenerativen Einwanderungsprozesses im gleichen Nationalverband“260 trug und der auch mit Blick auf die Aussiedler betont hat, daß diese „kulturell, mental und sozial in eine echte Einwanderungssituation“261 kamen.

Obschon Berufswechsel und Dequalifikation für den einzelnen Betroffenen sicherlich als eine Belastung empfunden wurden: Für die Vertriebenen als Gruppe gestaltete sich die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, zumindest was ihre Versorgung mit Arbeitsplätzen angeht, im Rahmen der expandierenden Wirtschaft in den 1950er Jahren über die unqualifizierten Arbeiterberufe „ver- hältnismäßig unproblematisch“, wie Lüttinger es ausgedrückt hat262. Dabei war es insbesondere das relativ starke Wachstum von arbeitsextensiven Bran-

259 Greif/Gediga/Janikowski: Erwerbslosigkeit und beruflicher Abstieg, S. 82.

260 Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung und ‚Flüchtlingsintegrati- on‘, S. 145.

261 Bade: Europa in Bewegung, S. 415.

262 Lüttinger: Integration der Vertriebenen, S. 162 f. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 243 chen wie etwa dem Bausektor, welche mit hohem Arbeitskräfteeinsatz bei ge- ringem Kapitalbedarf produzierten, das die Versorgung der Vertriebenen mit Arbeitsplätzen erleichterte263. Produktionssteigerungen konnten dort vor al- lem durch eine Ausdehnung der Beschäftigtenzahlen erzielt werden. Auch der im forcierten Strukturwandel nach dem Zweiten Weltkrieg stark zunehmende industrielle Bereich bot den Vertriebenen zahlreiche, wenn auch oftmals un- und angelernte Beschäftigungsmöglichkeiten. Mit diesen strukturellen Voraus- setzungen und der Bereitschaft vieler Vertriebener, auch unqualifizierte Arbeit anzunehmen, konnte die anfangs hohe Arbeitslosigkeit für diese Gruppe über- raschend schnell reduziert werden. Hinzu kommt, daß sich die Vertriebenen nicht nur beruflich, sondern auch im Hinblick auf ihre Binnenmigration äußerst flexibel zeigten und mit ihrer ausgeprägten regionalen Mobilität einen weiteren wichtigen Beitrag dazu leisteten, wieder in Arbeit zu kommen.

Entsprechend dieser Entwicklung veränderte sich zwischen 1945 und 1960 die Wahrnehmung und Beurteilung der Vertriebenen vom Negativen ins Positive. Während sie in den ersten Nachkriegsjahren noch als eine Gruppe gesehen wurden, deren Versorgung mit Arbeitsplätzen das Land und die Wirtschaft vor schier unlösbare Probleme stellte, überwog schon Ende der 1950er Jahre die Auffassung, daß sie den Wiederaufbau und Wachstumsprozeß, nach anfängli- cher Belastung, schließlich gefördert hätten264.

Die Bereitschaft zur beruflichen Flexibilität und zur Ausführung unqualifizier- ter Tätigkeiten zeigten auch die Aussiedler. Anders als bei den Vertriebenen konnte das aber nicht dazu beitragen, sie in großem Umfang mit Arbeitsplätzen zu versorgen. Während sich die Lage am Arbeitsmarkt bei den Vertriebenen nach und nach besserte, gestaltete sich die der Aussiedler – in genau entgegen- gesetzter Entwicklung – zunehmend schwieriger. Im Gegensatz zu den 1950er Jahren waren in der Bundesrepublik in den 1990er Jahren einerseits bei einer insgesamt schwachen konjunkturellen Entwicklung ein deutlich sinkender Ar- beitskräftebedarf und stark ansteigende Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen. Andererseits hatte sich der Umfang der ungelernten Arbeit von der Nachkriegs-

263 Vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 116.

264 Vgl. Ambrosius: Der Beitrag, S. 45. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 244 zeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts erheblich reduziert265. Dies galt insbe- sondere für den manuell-gewerblichen Bereich, der den Vertriebenen noch vielfache Beschäftigungsmöglichkeiten geboten hatte. Insgesamt wurden die Aussiedler mit ungleich höheren Anforderungen an Ausbildung und Qualifika- tion für die Arbeitnehmer konfrontiert als die Vertriebenen. Erschwerend kam hinzu, daß die Aussiedler, im Gegensatz zu den Vertriebenen, nur eine geringe Neigung zur regionalen Mobilität hatten266.

Im Zuge dieser Entwicklungen veränderte sich auch bei den Aussiedlern ihre Beurteilung und Wahrnehmung; im Vergleich zu den Vertriebenen wiederum in entgegengesetzter Weise, nämlich vom Positiven ins Negative. Wurden die Aussiedler zu Beginn ihrer starken Zuwanderung Ende der 1980er Jahre noch als Bereicherung für den deutschen Arbeitsmarkt betrachtet und günstige Pro- gnosen hinsichtlich ihrer Eingliederung gestellt, so war Ende der 1990er Jahre bei der Aussiedlereingliederung von einem „sozialen Problem erster Ord- nung“267 die Rede.

Wenn Bade, wie wir oben gesehen haben, bei Vertriebenen- und Aussiedlerein- gliederung von echten und mitunter sogar generationenübergreifenden Einwan- derungsprozessen spricht, so stellt sich die Frage nach der zeitlichen Dimen- sion der im Eingliederungsprozeß erlittenen Brüche in den Erwerbsbiogra- phien. Zwar konnten viele Vertriebene die unteren beruflichen Positionen nach und nach verlassen. Hilfreich war hier, neben dem allgemeinen wirtschaftli- chen Aufschwung, sicherlich auch das Nachrücken der ‚Gastarbeiter‘ auf die unteren Ebenen des Arbeitsmarktes, was den Vertriebenen in den 1950er Jah- ren und darüber hinaus den Aufstieg aus diesen Positionen ermöglichte. Zu- gleich rückten Einheimische und Fremde der Nachkriegszeit gegenüber den neuen Fremden aus dem Süden und Südosten Europas näher zusammen268. Dennoch gelang es vielen Vertriebenen nicht, die beruflichen Fehlallokationen

265 Vgl. Schröter: Von der Teilung zur Wiedervereinigung, S. 418.

266 Vgl. Ulrich: Vertriebene and Aussiedler, S. 172.

267 Bade: Europa in Bewegung, S. 417.

268 Vgl. Klaus J. Bade: Einführung. In: Bade/Meier/Parisius (Hrsg.): Zeit- zeugen im Interview, S. 7-12, hier S. 7. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 245 der Nachkriegszeit im späteren Erwerbsverlauf aufzuheben269. Dabei man- gelte es ihnen nicht an Fleiß und Arbeitswillen, im Gegenteil, nach anfängli- cher Zurückhaltung erfreuten sie sich wachsender Beliebtheit bei den Betrie- ben. Im Vergleich zu den Einheimischen wurde ihnen häufig sogar höhere Lei- stungsbereitschaft attestiert270. Wie Lüttinger feststellen konnte, konnten die Umstrukturierungsprozesse in den Erwerbsbiographien der Vertriebenen auch durch die nächste Generation nicht ausgeglichen werden. Aber zumindest war für sie die gleiche Offenheit der Gesellschaftsstruktur – und damit die gleichen Chancen für Aufstiegsprozesse – wie für die Einheimischen gegeben271. Bei der jüngeren Vertriebenengeneration ist sogar eine im Vergleich zu den Ein- heimischen höhere Teilnahme an sozialen Aufstiegsprozessen festzustellen272. Das konnte unter anderem dadurch gelingen, weil ihre Eltern ihnen verstärkt den Besuch höherer Schulen ermöglichten; eine in den 1950er/60er Jahren nicht unerhebliche Bildungsinvestition, die von vielen Familien sicherlich manches finanzielle Opfer erforderte. Im Gegenzug standen die Angehörigen der zweiten Vertriebenengeneration aber nicht selten auch unter besonderem Leistungsdruck, „um den sozialen Wiederaufstieg zu schaffen, den die Eltern nicht erreichen konnten oder doch nicht mehr erreichen zu können glaub- ten.“273

Inwieweit die Aussiedler die berufliche Dequalifikation im Laufe ihrer Er- werbsbiographien korrigieren konnten, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht be- antwortet werden, da zu dieser Gruppe natürlich noch keine Langzeitstudien wie etwa die von Lüttinger vorliegen. In bezug auf ihre Leistungsbereitschaft sollte den Aussiedlern aber grundsätzlich eine gleiche Motivation unterstellt werden wie den Vertriebenen. Janikowski vergleicht die Aussiedler sogar mit

269 Vgl. Lüttinger: Integration der Vertriebenen, S. 238 f.

270 Vgl. Kleinert: Die Flüchtlinge als Arbeitskräfte, S. 44.

271 Lüttinger untersuchte dabei die Mobilitätsprozesse der Söhne, vgl. Lüt- tinger: Integration der Vertriebenen, S. 238 f.

272 Vgl. Weifert: Zur Soziologie der deutschen Heimatvertriebenen und Aus- siedler, S. 47.

273 Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 114. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 246 den deutschen Arbeitnehmern der Wirtschaftswunderzeit: „Wichtige Ziele sind: schnell eine Stelle zu finden um Geld zu verdienen, ein Auto, Video und Fernseher zu kaufen.“274 Auch bei den Aussiedlern ist festzustellen, daß sie sich, je länger ihre Migration zurücklag, beruflich durchaus verbessern konn- ten275. Wenn aber selbst die bereits vor Flucht und Vertreibung erwerbstätigen Vertriebenen, die sich in sprachlicher und kultureller Hinsicht kaum von der einheimischen Bevölkerung unterschieden, ihre nach der Zuwanderung erlitte- nen Dequalifikationsprozesse und Statusverluste trotz Hochkonjunktur nicht mehr ausgleichen konnten, so ist kaum davon auszugehen, daß dies den Aus- siedlern gelingen wird. Im Gegenteil: Ihre kulturelle und sprachliche Differenz zur einheimischen Bevölkerung ist größer, und seit den 1990er Jahren ist in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt eine zunehmend schlechtere Lage zu beobachten. Gleichzeitig wurden Eingliederungshilfen wie Sprachkurse und Umschulungsmaßnahmen gekürzt276. Auch ist keine neue Zuwanderergruppe in Sicht, die, wie die ‚Gastarbeiter‘ bei den Vertriebenen, die unteren Arbeits- marktpositionen, auf denen sich die Aussiedler befinden, einnehmen und ihnen so beruflich-soziale Aufstiegsbewegungen ermöglichen könnte. Hinzu kommt, daß viele Aussiedler, auch wenn sie sich beruflich verschlechtert hatten, ihren Arbeitsplatz als Dauerlösung betrachteten277. Das lag sicherlich auch daran, weil sie trotz Dequalifikation deutlich mehr verdienten als in ihren Herkunfts- gebieten. Hier ist ein wesentlicher Unterschied zu den Vertriebenen zu sehen, denn bei diesen bedeutete Dequalifikation immer auch ein mitunter deutlich niedrigeres Einkommen als vor ihrer erzwungenen Migration.

274 Janikowski: Berufliche Integration von Aussiedlern und Aussiedlerinnen, S. 118.

275 Vgl. etwa Koller: Aussiedler der großen Zuwanderungswellen, S. 788; Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 140.

276 Westphal kommt vor diesem Hintergrund zu dem Schluß, daß sich die Aussiedler in ihren migrationsbedingten Risiken und Benachteiligungen oftmals nicht mehr von anderen Zuwanderungsgruppen wie etwa Ar- beitsmigranten und Flüchtlingen unterscheiden, vgl. Westphal: Aussied- lerinnen, S. 108.

277 Vgl. Koller: Aussiedler der großen Zuwanderungswellen, S. 788. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 247

Ob und inwieweit die Aussiedler der jüngeren Generation die gleichen Chan- cen für Aufstiegsprozesse wie die Einheimischen haben werden, ist mehr als fraglich. Dabei hatte für die Aussiedler die junge Generation eine ganz eigene Bedeutung, und zu den Hauptaussiedlungsmotiven zählte auch, eine bessere Zukunft für die Kinder zu erreichen. „Die Akkulturationsanstrengungen der Aussiedlerfamilien bauen auf der besonderen Problematik der zweiten Genera- tion auf – ohne die Ausbildung und Qualifikation dieser Generation und letzt- lich ihrer erfolgreichen Teilnahme an der bundesdeutschen Gesellschaft hätte die Migration nach Deutschland nicht den Erfolg, der von den älteren Genera- tionen erhofft wurde […].“278 Es kann also davon ausgegangen werden, daß die Aussiedler, wie die Vertriebenen, besondere Investitionen in die Bildungs- und Berufswege ihrer Kinder tätigten.

Allerdings kristallisierten sich die jugendlichen Aussiedler bei der Arbeits- markteingliederung als besondere Problemgruppe heraus. Sie hatten im Prinzip dieselben Probleme zu bewältigen wie die Angehörigen der älteren Aussiedler- generation, also fehlende oder mangelnde Deutschkenntnisse, reduzierte Ein- gliederungshilfen, abnehmende Arbeitskräftenachfrage, ein anderer Ausbil- dungsstand usw. Viele, die schon im Herkunftsland erwerbstätig waren, konn- ten nicht mehr an ihre bisherige Berufsausbildung oder -erfahrung anknüpfen. Seit Beginn der 1990er Jahre konnten Aussiedlerjugendliche immer weniger in der Konkurrenz mit einheimischen Jugendlichen um einen Ausbildungs- oder qualifizierten Arbeitsplatz bestehen. Zudem wollten oder konnten die jugendli- chen Aussiedler bzw. ihre Familien sich den Einkommensverzicht während der Ausbildungszeit nicht leisten, weshalb die Jugendlichen auf eine unmittelbare Arbeitsaufnahme drängten, durchaus auch in einer un- oder angelernten Positi- on. „Es deutet sich also an, daß jugendliche Aussiedler vermehrt unqualifizierte und ungesicherte Arbeitsverhältnisse eingehen.“279

278 Leonie Herwartz-Emden / Manuela Westphal: Integration junger Aus- siedler: Entwicklungsbedingungen und Akkulturationsprozesse. In: Olt- mer (Hrsg.): Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, S. 229- 259, hier S. 229.

279 Barbara Dietz: Jugendliche Aussiedler in Deutschland: Risiken und Chancen ihrer Integration. In: Bade/Oltmer (Hrsg.): Aussiedler: deutsche Einwanderer aus Osteuropa, S. 153-176, hier S. 166. 4. Die Eingliederung von Vertriebenen und Aussiedlern/Spätaussiedlern in den Arbeitsmarkt 248

Rückwirkungen auf ihre Arbeitsmarktsituation hatte sicherlich auch die Bil- dungsbeteiligung der Aussiedlerjugendlichen. Für Nordrhein-Westfalen wurde beispielsweise nachgewiesen, daß die jugendlichen Aussiedler zu einem weit- aus höheren Anteil eine Hauptschule besuchten als die bundesdeutschen Schü- ler. Im Schuljahr 1996/97 besuchten dort insgesamt 27,6 % der Aussiedler- schüler eine Hauptschule, während der Anteil der Hauptschüler unter allen anderen Schülern dagegen nur bei 12,6 % lag. Dagegen erhielten 22,9 % aller Schüler eine gymnasiale Ausbildung, von den Aussiedlerschülern waren es aber nur 7,1 %280. Insgesamt ist also, anders als bei den Vertriebenen, bei den Aussiedlern davon auszugehen, daß auch die zweite Generation hinter den Er- werbschancen der Einheimischen zurückbleibt. Genauere Ergebnisse könnten hier aber, wie bereits erwähnt, nur Langzeitstudien liefern, die allerdings auf- grund der genannten statistischen Mängel in der Erfassung der Aussiedler als kaum realisierbar erscheinen.

280 Vgl. ebd., S. 163 f. 249

5. Schlußbetrachtung und Ausblick

Die vorliegende Untersuchung konzentrierte sich neben einem Vergleich der Zuwanderung von Vertriebenen und Aussiedlern auf den Vergleich ihrer wohnräumlichen Eingliederung und der Arbeitsmarkteingliederung sowie der jeweiligen Umstände, die darauf eingewirkt haben. Bei dieser Fokussierung auf wirtschaftliche und beruflich-soziale Aspekte des Eingliederungsgeschehens blieben kultur- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte weitgehend unberück- sichtigt, bei denen jedoch zumindest teilweise ein Rückbezug auch zur Wohn- und Arbeitsmarktsituation von Vertriebenen und Aussiedlern festzustellen ist. Auf einige dieser Aspekte soll im folgenden ausführlicher eingegangen wer- den.

Hierzu gehört etwa das Verhältnis von Einheimischen und ‚Fremden‘ in der Nachkriegszeit und im ausgehenden 20. Jahrhundert, also das Sich-Einfinden und das Miteinander im neuen Umfeld. Dabei ist bei den Vertriebenen festzu- stellen, daß in der ersten Nachkriegszeit gerade aus ihrer Wohnsituation Kon- flikte mit den Einheimischen entstanden. Die Einquartierungen der Deutschen aus dem Osten führten, wie wir in Kapitel 3. gesehen haben, zum Teil zu mas- siven Abwehrhaltungen der Alteingesessenen. Insbesondere in den Klein- städten und Dörfern auf dem Lande, in denen der Großteil der Vertriebenen zu- nächst untergebracht worden war1, beschränkten sich solche Abwehrhaltungen und daraus resultierende Konflikte nicht mehr nur auf den häuslichen Bereich. Sie übertrugen sich auch auf Gemeinschaftsleben und Politik der Gemeinde. Hier spielte nicht nur der Besitzegoismus der Einheimischen gegenüber den Neuankömmlingen eine Rolle, „mit denen nun alles zu teilen war – Arbeit, Brot, Wohnungen, ja sogar die Dorftöchter.“2 In den traditionell festgefügten Sozialmilieus der ländlichen Regionen verliefen die Trennungslinien zwischen Einheimischen und ‚Fremden‘ auch entlang traditions-, mentalitäts- und nicht zuletzt konfessionsbedingter Barrieren3. Denn die Schlesier, Ostpreußen oder

1 1950 wohnten 47,2 % der Vertriebenen in Gemeinden mit weniger als 3.000 Einwohnern, vgl. Bethlehem: Heimatvertreibung, S. 31.

2 Brelie-Lewien: Zur Rolle der Flüchtlinge und Vertriebenen, S. 37.

3 Vgl. Haerendel: Die Politik der ‚Eingliederung‘, S. 128. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 250

Sudetendeutschen waren den Alteingesessenen in vielfältiger Art und Weise oft völlig fremd.

Vor diesem Hintergrund wurde der Zuzug so vieler Vertriebener nicht nur als Bedrohung der eigenen materiellen Situation, sondern auch der eigenen kultu- rellen Identität betrachtet. So heißt es etwa in dem Bericht eines bayerischen Flüchtlingskommissars vom Februar 1946: „Es geht bereits soweit, daß in ver- schiedenen Städten und Dörfern Flugblätter, die auf Vervielfältigungsmaschi- nen gedruckt werden, verbreitet werden und zum Hinauswurf der Preußen, Schlesier usw. auffordern. Die bayerische Bevölkerung steht eben auf dem Standpunkt, daß sie unbedingt Herr im eigenen Haus bleiben will und sich zu- nächst einmal gegen jede Verschmelzung mit den aufgezwungenen Flüchtlin- gen ablehnt. Es ist dies eine Haltung, die wohl allgemein auch aus früheren Jahren her bekannt sein dürfte, da der Bayer äußerst konservativ ist und jeden Neuzureisenden und -zuziehenden mindestens für 1-2 Generationen als Frem- den betrachtet.“4

Abwehrhaltungen gegenüber den Vertriebenen entstanden also einerseits dar- aus, daß sie ‚Fremde‘ waren. Ressentiments resultierten aber vor allem auch aus ihrer Herkunft aus dem Osten, so daß sich allgemeine Vorbehalte gegen- über ‚Fremden‘ mit rassistischen Denkweisen vermischten5. Denn während der Kriegsjahre waren in Deutschland die Wahrnehmung und das Verhalten gegen- über ‚Fremden‘ durch die Beschäftigung von Millionen rechtloser Arbeitskräf- te geprägt worden, von denen der Großteil aus Ostmittel- und Osteuropa kam und damit gemäß NS-Ideologie als ‚slawische Untermenschen‘ zu den ‚ras- sisch Minderwertigen‘ gehörte. Als nun am Kriegsende und danach mit den Vertriebenen neue ‚Fremde aus dem Osten‘ eintrafen, die zudem den Zwangs-

4 Zit. nach Marita Krauss: Das ‚Wir‘ und das ‚Ihr‘. Ausgrenzung, Abgren- zung, Identitätsstiftung bei Einheimischen und Flüchtlingen nach 1945. In: Hoffmann/Krauss/Schwartz (Hrsg.): Vertriebene in Deutschland, S. 27-39, hier S. 31.

5 Vgl. etwa Manfred Jessen-Klingenberg: „In allem widerstrebt uns dieses Volk“. Rassistische und fremdenfeindliche Urteile über die Heimatver- triebenen und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein 1945-1946. In: Karl Heinrich Pohl (Hrsg.): Regionalgeschichte heute. Das Flüchtlingspro- blem in Schleswig-Holstein nach 1945. Bielefeld 1997, S. 81-98. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 251 arbeitern im Hinblick auf Unterkunft und Tätigkeit nachfolgten, empfanden die Einheimischen diesen Übergang oftmals nur als einen bloßen Austausch6. Aufgrund ihres ärmlichen äußeren Erscheinungsbildes und ihrer Dialekte wur- den so aus den Vertriebenen in der Wahrnehmung und dem Sprachgebrauch der Einheimischen kurzerhand die ‚Polacken‘. Wegen ihrer Mobilität wurden die Deutschen aus dem Osten nicht selten auch als ‚Zigeuner‘ diffamiert7. Als Folge daraus sahen sie sich dann auch den entsprechenden Vorurteilen ausge- setzt, etwa daß sie weniger ordentlich, sauber und fleißig seien als die Einhei- mischen und jede Gelegenheit nutzen würden, um zu stehlen8. „Wenn irgend- wo was gestohlen worden ist, dann hieß es: ‚Das waren die Flüchtlingskinder‘, so wie es heute heißt: ‚Das sind die Ausländerkinder‘.“9 Solche und ähnliche Abwehr- und Ausgrenzungshaltungen gegenüber den Vertriebenen sind viel- fach belegt, mitunter gingen sie sogar über den Tod von Einheimischen und Neuankömmlingen hinaus10.

Aus dem Bild der Einheimischen von den Vertriebenen leitete sich zwar auf der einen Seite ein Überlegenheitsgefühl ab, andererseits verstärkte es aber auch die Angst vor ‚Überfremdung‘ durch „die Habenichtse und Felddiebe, die ‚Horden‘, die Restdeutschland ‚überschwemmten‘.“11 Hierbei spielte sicher- lich auch die Unkenntnis der einfachen Landbevölkerung eine wichtige Rolle, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen herrschte meist keine klare Vorstel-

6 Vgl. Ulrich Herbert: Zwangsarbeiter – Vertriebene – Gastarbeiter: Konti- nuitätsaspekte des Wanderungsgeschehens in Deutschland. In: Schul- ze/Brelie-Lewien/Grebing (Hrsg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, S. 171-174.

7 Vgl. Bade/Meier/Parisius (Hrsg.): Zeitzeugen im Interview, S. 124.

8 Vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 120.

9 Müller-Handl: „Die Gedanken laufen oft zurück …“, S. 91.

10 Vgl. Anja Krippner / Silke Wiechmann: Diskriminierung und Ausgren- zung bis ins Grab. Flüchtlinge auf dem Friedhof Eichhof. In: Tobias Herrmann / Karl Heinrich Pohl (Hrsg.): Flüchtlinge in Schleswig- Holstein nach 1945: Zwischen Ausgrenzung und Integration. Bielefeld 1999, S. 127-148.

11 Krauss: Das ‚Wir‘ und das ‚Ihr‘, S. 29. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 252 lung davon, wo die Herkunftsgebiete der Vertriebenen genau lagen. Sie kamen ‚aus dem Osten‘, wie es allgemein hieß, und die während des Dritten Reiches geschürten Vorurteile gegenüber von dort stammenden Menschen wurden, wie bereits erwähnt, auf die Vertriebenen übertragen. Zum anderen konnten die Einheimischen mitunter gar nicht nachvollziehen, warum die Vertriebenen überhaupt ihre Heimat verlassen mußten. So wurde beispielsweise vermutet, daß sie dort wohl etwas angestellt haben müßten, weil sie sonst niemand von Haus und Hof hätte vertreiben können12.

Allerdings ist auch anzumerken, daß die Fremdheitserfahrungen zwischen Alt- und Neubürgern beiderseitig waren, daß also nicht nur die Deutschen aus dem Osten den Einheimischen fremd waren, sondern daß auch für die Zuwanderer selbst die neue Umgebung und die Menschen dort in ihrer Mentalität, Sprache, Religion und ihren kulturellen Traditionen ebenso fremd wirkten13. Zu den in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft im Westen äußerst schwierigen Lebens- verhältnissen der Vertriebenen kam also auch noch ein ausgeprägtes Fremd- heitsgefühl. Beides zusammen verstärkte den Wunsch und die Hoffnung auf eine Rückkehr in die alte Heimat im Osten und wirkte sich negativ auf die Ein- gliederungsbereitschaft aus. Zudem waren es nicht nur einseitig die Einheimi- schen, die durch ihre Einstellung und ihr Verhalten das Zusammenleben zwi- schen Alt- und Neubürgern auf dem Lande in den ersten Jahren schwierig ge- stalteten. Auch die Vertriebenen leisteten ihren Beitrag zu dieser „Konflikt- geschichte“14, verweigerten sie sich doch aus der Sicht ihrer Gastgeber zu oft der Mitarbeit auf dem Hof, hoben ihren sozialen Status hervor oder brüsteten sich mit ihren Lebensverhältnissen vor Flucht und Vertreibung. „Es hätte au- ßerordentlicher Einsicht und Feinfühligkeit auf beiden Seiten bedurft, das Ver- hältnis so zu gestalten, wie es nach den Kriterien einer abstrakten Ethik wün- schenswert erscheinen mochte.“15

12 Vgl. Müller-Handl: „Die Gedanken laufen oft zurück …“, S. 84 f.

13 Vgl. Oberpenning: Zuwanderung, Integration und kommunale Gesell- schaft, S. 266.

14 Erker: Revolution des Dorfes?, S. 386.

15 Bauer: Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern, S. 368. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 253

Während sich die Eingliederung der Vertriebenen auf dem Lande durch die konfliktreiche Gegenüberstellung von Alt- und Neubürgern verzögerte, war die Situation in urbanen Aufnahmeräumen bald wesentlich entspannter, wie etwa für das Ruhrgebiet nachgewiesen werden konnte16. Dies hatte mehrere Grün- de: Aufgrund der starken Zerstörungen und dadurch zunächst verhängter Zu- zugssperren waren dort die Aufnahmequoten deutlich geringer als auf dem Lande. Über diese Zerstörungen und ihre Auswirkungen für die Bevölkerung (Verlust der Wohnung, Evakuierung) verbanden Einheimische und Zuwanderer zudem gemeinsame Verlust- und Entwurzelungserfahrungen. Somit besaßen die Stadtbewohner durch eigene Kriegserlebnisse mehr Verständnis für die Vertriebenen als die Dörfler, die vom Krieg weitgehend verschont geblieben waren. Darüber hinaus war die gesellschaftliche Geschlossenheit in den Städ- ten weit weniger stark ausgeprägt als auf den Dörfern. Dennoch war das Auf- nahmeklima in den Städten, wie neuere Studien zeigen, keineswegs generell günstiger als in den ländlichen Räumen. Zu berücksichtigen sind hier unter- schiedliche Belastungsgrade, Steuerungsmöglichkeiten und Aufbauressour- cen17.

In den 1950er Jahren verbesserte sich allmählich das Verhältnis zwischen Ein- heimischen und Vertriebenen sowohl auf dem Land als auch in den Städten. Von entscheidender Bedeutung für diese gegenseitige Annäherung war der wirtschaftliche Aufschwung, in dessen Folge sich auch die materielle Lage der Vertriebenen deutlich verbesserte. Aus dem Gegeneinander der ersten Nach- kriegsjahre wurde allmählich ein Miteinander, worauf beispielsweise die Ent- wicklung der von der soziologischen Forschung als ‚Kommensalität‘ und ‚Konnubium‘ bezeichneten Eingliederungsstufen schließen läßt18. Als in den

16 Vgl. Alexander von Plato: Fremde Heimat. Zur Integration von Flücht- lingen und Einheimischen in die Neue Zeit. In: Niethammer/Plato (Hrsg.): „Wir kriegen jetzt andere Zeiten.“, S. 172-219.

17 Vgl. Grosser: Von der freiwilligen Solidar- zur verordneten Konfliktge- meinschaft, S. 77.

18 Nach Frantzioch gelten der gesellige Verkehr und die Verschwäge- rungsintensität vor allem als Maßstab für die emotionale oder subjektive, also selbst empfundene Eingliederung der Vertriebenen, vgl. Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 235-242. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 254

1950er und verstärkt in den 1960er Jahren mit den ‚Gastarbeitern‘ neue ‚Frem- de‘ in die Bundesrepublik kamen, vollzog sich schließlich „eine Art negative Integration“19, die sich darin ausdrückte, daß sich Einheimische und Vertrie- bene gemeinsam gegenüber den ‚Neuen‘ abgrenzten. Das Verhältnis zwischen Einheimischen und Vertriebenen war aber auch nun noch lange nicht unbelas- tet, denn die staatliche Eingliederungspolitik zugunsten der Deutschen aus dem Osten, die diese den Altbürgern gegenüber nicht selten besserstellte, schuf bei letzteren neue Ressentiments, und Maßnahmen wie der Lastenausgleich wur- den mit Skepsis und Sozialneid betrachtet20.

Letztlich brauchte „die gegenseitige Anpassung und die Einebnung der sozia- len Barrieren und Verständnisprobleme“21 weitaus länger als die Versorgung mit Wohnraum und Arbeitsplätzen, die, wie wir gesehen haben, Ende der 1950er Jahre abgeschlossen war. Die Aufnahmegesellschaft hatte den inneren Eingliederungsdruck, der sich in Konflikten ebenso zeigte wie in der schweig- samen Überanpassung vieler Vertriebener, erst in den 1970er und 1980er Jah- ren so weit abgebaut, daß eine Reflexion über die tiefgreifenden und für die Betroffenen vielfach, wenn überhaupt, nur lebensgeschichtlich zu bewältigen- den Probleme dieses Eingliederungsprozesses – von den oft traumatischen Flucht- und Vertreibungserfahrungen und dem Verlust der Heimat ganz abge- sehen – möglich wurde22.

Ähnlich wie den Vertriebenen resultierten auch bei den Aussiedlern Abwehr- haltungen der Einheimischen gegenüber den ‚Fremden‘ und mitunter auch Konflikte aus der Wohnsituation der Deutschen aus dem Osten. Das läßt sich einmal beobachten während ihrer starken Zuwanderung Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre, als Aussiedler in Not- und Massenunterkünf- ten untergebracht werden mußten, genau wie beispielsweise Asylbewerber,

19 Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 124.

20 Vgl. etwa Andreas Lüttig: Fremde im Dorf. Flüchtlingsintegration im westfälischen Wefelsburg 1945-1958. Essen 1993, S. 112.

21 Brelie-Lewien: „Dann kamen die Flüchtlinge“, S. 241.

22 Vgl. Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung und ‚Flüchtlingsinte- gration‘, S. 148. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 255 deren Zuwandererzahlen zu diesem Zeitpunkt ebenfalls stark anstiegen. Den Aussiedlern schlugen ob dieser Art der Unterbringung erhebliche Vorbehalte entgegen: „Die kannte keiner, aber das waren alles Faulenzer, die klauten alle. Die wurden natürlich gleichgesetzt mit Asylbewerbern und anderen Personen- gruppen und die waren unsauber und die stinken ja alle und die beschmutzen unsere Häuser und trampeln unsere Vorgärten nieder.“23 Mißtrauen und Ab- lehnung gegenüber den Aussiedlern entstanden aber nicht nur aus diesen sicht- bar schlechten und notdürftigen Wohnverhältnissen, sondern auch, wenn sie mit dem erfolgreichen Fortschreiten der wohnräumlichen Eingliederung eigene Wohnungen bzw. eigene Häuser bezogen. Als Ablehnungsgrund wurde näm- lich gerade die Errichtung schmucker Häuser oder ganzer Straßenzüge, die von Aussiedlern bewohnt wurden, genannt. Das erinnert an ein Stereotyp aus den 1950er Jahren, als die Vertriebenen ähnlich erfolgreich waren24.

Abwehrhaltungen gegenüber den Aussiedlern entstanden jedoch in erster Linie daraus, daß auch sie von den Einheimischen als ‚Fremde‘ wahrgenommen wur- den. Zwar warb die Bundesregierung mit Beginn der dramatisch ansteigenden Aussiedlerzahlen Ende der 1980er Jahre in einer Medienkampagne unter der „Spaltformel“25 ‚Aussiedler sind keine Ausländer‘ um Sympathie für die Deutschen aus dem Osten, und die Bundeszentrale für politische Bildung gab beispielsweise ein Heft mit dem Titel ‚Aussiedler … deutscher als wir …‘26 heraus. Doch jenseits aller Aufklärungsarbeit und der Hoffnung auf ethno- nationale Bindewirkungen wirkte das ‚Deutschtum‘ der Aussiedler auf die Ein- heimischen befremdlich. Es war gekennzeichnet durch eine über Generationen weitergegebene Mundart, die mit dem Hochdeutschen nurmehr wenig gemein hatte – ganz abgesehen von den in den 1990er Jahren zunehmend einreisenden Aussiedlern ohne jegliche Deutschkenntnisse – sowie eine ausgeprägte Reli-

23 Michel/Steinke: Arbeitsmarktintegration, S. 87.

24 Vgl. Thränhardt: Integration und Partizipation von Einwanderergruppen, S. 239.

25 Bade/Bommes: Migration und politische Kultur, S. 456.

26 Aussiedler … deutscher als wir …, hrsg. von der Bundeszentrale für po- litische Bildung. Bonn 1989. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 256 giosität und einen starken familiären Bezug. Mit den Aussiedlern kamen „Men- schen mit hierzulande oft vergessenen oder aufgegebenen Orientierungsnor- men und Wertvorstellungen – von der Glaubenswelt über Erziehungsfragen bis hin zur Stellung von Mann und Frau in Familie und Gesellschaft.“27 Die mit- gebrachten Werte und Normen wurden von den Einheimischen als ‚altmo- disch‘ und ‚überholt‘ empfunden28. Wegen ihres Akzents und ihrer fremd wir- kenden Lebensformen wurden die Aussiedler häufig für ‚Polen‘ oder ‚Russen‘ gehalten oder aber gar abschätzig als ‚Polacken‘ und ‚Rußkis‘ tituliert29. Es fand also eine ganz ähnliche Entwicklung wie bei den Vertriebenen statt, zu- dem war die Einstellung der Einheimischen auch gegenüber den Aussiedlern ganz wesentlich von der Beurteilung ihrer östlichen Herkunftsländer geprägt. Diese hatten bei vielen Bundesbürgern noch immer ein eher geringes Ansehen, so daß auch die Aussiedler mit entsprechenden Vorurteilen konfrontiert wur- den30.

Ein wesentlicher Aspekt bei den Abwehrhaltungen auch gegenüber den Aus- siedlern waren Sozialangst und Sozialneid. Das läßt sich insbesondere Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre beobachten, als gleich mehrere Migra- tionsbewegungen in die Bundesrepublik – nämlich Asylbewerber, Übersiedler und Aussiedler – einen starken Anstieg verzeichneten. All diese Menschen waren „nicht übermäßig willkommen.“31 In einem Gemisch aus Mißtrauen, Mißverständnis und unzureichender Kenntnis entstand die Angst vor einer Be- vorzugung der ‚Fremden‘, die als Konkurrenten bei der Suche nach einem Aus- bildungs- oder Arbeitsplatz oder einer Wohnung betrachtet wurden und damit nicht zuletzt als Bedrohung des eigenen Wohlstands. Mit Blick auf ähnliche

27 Bade: Fremde Deutsche, S. 410.

28 Vgl. Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 98.

29 Vgl. Bade: Einführung, S. 47.

30 Vgl. Staatliches Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung des Landes Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Eingliederung junger Aussiedler. Bd. 2: Ein- gliederungsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland. Speyer 1992, S. 33 f.

31 Klekowski von Koppenfels: Willkommene Deutsche oder tolerierte Fremde?, S. 400. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 257

Erfahrungen während der Eingliederung der Vertriebenen sah mancher Kon- flikte aufbrechen, „die man nicht mehr für möglich gehalten hätte, nach alldem was von den 40er Jahren noch in Erinnerung war und längst bewältigt schien.“32 Mediale Aufmacher wie „Flüchtlinge · Aussiedler · Asylanten: An- sturm der Armen“33 trugen dabei wenig zum Abbau von Ängsten und daraus entstehenden Abwehrhaltungen bei. Solche „Flut- und Deichgrafmetapho- rik“34, die Migrationen als Naturkatastrophen erscheinen läßt, konnten wir schon bei den Vertriebenen beobachten.

Vor diesem Hintergrund wurde in der öffentlichen und veröffentlichten Wahr- nehmung kaum zwischen den einzelnen Zuwanderergruppen und den jeweili- gen Migrationsmotiven differenziert, wobei diese auch innerhalb der Gruppen durchaus unterschiedlich waren. Flüchtlinge, Asylbewerber, Ausländer, Über- und Aussiedler verschmolzen zu ‚den Fremden‘, denen zunehmend diffuse Abwehrhaltungen entgegengesetzt wurden aus einem Gefühl heraus, von eben diesen ‚Fremden‘ „im eigenen Land an die Wand gedrückt zu werden.“35 Ver- stärkt wurden xenophobe Abwehrhaltungen, die ihren Höhepunkt in ausländer- feindlichen Exzessen zu Beginn der 1990er Jahre hatten (Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen), zusätzlich durch die mit dem starken Anstieg der Flucht- und Asylzuwanderungen und dem Fall des ‚Eisernen Vorhangs‘ als Migrationsbarriere ausgelöste Angst vor ‚neuen Völkerwanderungen‘ aus dem Süden und Osten36.

32 Schremmer: Vertreibung und Flucht nach 1945, S. 87.

33 So titelte in seiner Ausgabe Nr. 37 vom September 1991.

34 Vgl. dazu Martin Wengeler: Multikulturelle Gesellschaft oder Ausländer raus. Der sprachliche Umgang mit der Einwanderung seit 1945. In: Ge- org Stötzel / Martin Wengeler (Hrsg.): Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, New York 1995, S. 710-745, sowie Klaus J. Bade: „Politisch Ver- folgte genießen …“: Asyl bei den Deutschen – Idee und Wirklichkeit. In: Ders. (Hrsg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland, S. 411- 422, hier S. 413 f.

35 Bade: Einführung, S. 49.

36 Diese Ängste durchzogen nahezu alle Staaten Westeuropas, wobei die Befürchtungen vor einer ‚Flut‘ aus dem Osten besonders in Deutschland 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 258

Doch nicht nur diese Entwicklungen gestalteten das Verhältnis zwischen Ein- heimischen und Aussiedlern schwierig. Genau wie bei den Vertriebenen traten auch bei den Aussiedlern Probleme im Prozeß des Sich-Einfindens und des Miteinanders zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern auf, weil die Zu- wanderer selbst im neuen Umfeld von Fremdheitserfahrungen geprägt wurden. Das galt bei den Aussiedlern beispielsweise für ihr ‚Deutschtum‘, was in ihren Herkunftsgebieten entscheidend zur ihrer Gruppenidentität beitrug, sie gleich- zeitig aber auch von der Mehrheitskultur abgrenzte und Anlaß war für Unterdrü- ckung, Verfolgung und Vertreibung. Nicht zuletzt daraus entsprang, allerdings vor dem Hintergrund eines tradierten, kaum der Wirklichkeit entsprechenden Deutschlandbildes, der Wunsch, in die Bundesrepublik auszureisen, um dort endlich als ‚Deutsche unter Deutschen‘ leben zu können. Doch die Erwartun- gen und Hoffnungen der Aussiedler wurden beim Einleben in die oftmals an- ders vorgestellte neue Heimat Deutschland enttäuscht, so etwa in Bezug auf die von vielen rußlanddeutschen Aussiedlern empfundene ‚Ungläubigkeit‘ der Deutschen37. Hinzu kam, daß das ‚Deutschtum‘ der Aussiedler, wie schon angesprochen, auf die Einheimischen befremdlich wirkte oder von diesen erst gar nicht als solches anerkannt wurde. Ihre Sprache und ihr Brauchtum grenzten sie auch in Deutschland von der Mehrheitskultur ab. Somit waren die Aussiedler als ‚Deutsche‘ nicht nur Fremde im Osten, sondern als ‚Polen‘ oder ‚Russen‘ auch Fremde im Westen38. „Dort waren wir Faschisten und hier sind wir Russen“39, so beschreibt eine Frau aus Sibirien die bittere Erfahrung, hier wie dort nicht dazuzugehören.

Zusätzlich verschärft wurde die Spannung zwischen alter und neuer Welt noch durch die Gegensätze zwischen zwei völlig unterschiedlichen politisch-ökono-

vorhanden waren, wobei sich neue Aspekte mit zum Teil schon sehr alten mischten, die bis ins späte 19. Jahrhundert zurückreichten, vgl. Klaus J. Bade: Einwanderungskontinent Europa: Migration und Integration am Ende des 20. Jahrhunderts. In: Ders.: Sozialhistorische Migrationsfor- schung, S. 473-500.

37 Vgl. Henkel: Religionsgemeinschaften, S. 113.

38 Vgl. Bade: Fremde Deutsche, S. 405 ff.

39 Zit. nach Silbereisen/Lantermann/Schmitt-Rodermund: Hintergrund, S. 16. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 259 mischen Systemen. Die Aussiedler der großen Zuwanderungswellen ab 1988 kamen zunächst aus sozialistischen Gesellschaften, und auch diejenigen, die nach den politischen Umbrüchen in Osteuropa in die Bundesrepublik ein- reisten, waren in ihrer Mentalität und ihrem Sozialverhalten vielfach noch von den früheren gesellschaftspolitischen Verhältnissen ihrer Herkunftsregionen geprägt. Ihre Werthaltungen waren eher als kollektivistisch einzustufen, was sich in der bereits angesprochenen starken Orientierung an Familie und Ge- meinschaft widerspiegelt. Das Denken und Handeln in der hochkapitalistischen und zunehmend individualisierten westlichen ‚Ellenbogengesellschaft‘, die von vielen Aussiedlern als ‚kalt‘ und ‚materialistisch‘ empfunden wurde, war ihnen fremd. In seiner Aussiedler-Erzählung ‚Begrüßungsgeld‘ schreibt der rumä- niendeutsche Schriftsteller R. Wagner: „Erst durch den Weggang zeigte sich überdeutlich auch die Heimatlosigkeit im Deutschen. […] Das Deutsche war bloß aus der Entfernung eine Sicherheit gewesen. Sich am Deutschen festhal- tend, lebte er in der rumänischen Fremde. Und jetzt, in Deutschland?“40

Wie wir gesehen haben, gab es manche Parallelen im Verhältnis zwischen Ein- heimischen und Deutschen aus dem Osten in der Nachkriegszeit und im ausge- henden 20. Jahrhundert. Hierzu gehörten etwa Skepsis und Sozialneid der Alt- eingesessenen gegenüber den Zuwanderern, Abwehrhaltungen bis hin zu offe- ner, sich nicht zuletzt aus den östlichen Herkunftsgebieten von Vertriebenen und Aussiedlern ableitender Fremdenfeindlichkeit, beiderseitige soziokulturelle Fremdheitserfahrungen zwischen Alt- und Neubürgern. „Dennoch“, so schränkt Bade ein, „ist die ‚Integration‘ von Aussiedlern heute nicht ohne wei- teres zu vergleichen mit derjenigen von Vertriebenen und Flüchtlingen damals. […] Damals gab es, von den ländlichen Bereichen mit ihren deutlich verspäte- ten Integrationsprozessen einmal abgesehen, eine Art Integration auf Gegensei- tigkeit in einem unter dem Druck der Umstände auf Zeit mobil gewordenen Sozialgefüge. Darin waren viele buchstäblich in Bewegung – nicht nur Vertrie- bene und Flüchtlinge, sondern auch Evakuierte und Ausgebombte, Wohnungs- lose, Heimkehrer bzw. Spätheimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft und viele

40 Zit. nach Klaus J. Bade: Aussiedler – Rückwanderer über Generationen hinweg. In: Ders. (Hrsg.): Neue Heimat im Westen, S. 128-149, hier S. 138. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 260 andere auch im übertragenen Sinne Ortlose und Entwurzelte. Außerdem lagen die Umstände, deren Opfer auf unterschiedliche Weise alle waren, erst kurz zurück und stellten alle vor noch mehr oder minder unbewältigte, gemeinsam zu gestaltende Gegenwartsaufgaben.“41

Die Aussiedler trafen hingegen auf ein weitgehend immobiles Sozialgefüge, eine ‚Integration auf Gegenseitigkeit‘ zwischen Einheimischen und Zuwande- rern in eine „Neue Zeit“ (von Plato) auf der Basis gemeinsamer Verlust- und Entwurzelungserfahrungen kann daher nicht erwartet werden. Das Verständnis für die Probleme der Aussiedler, die sich nicht zuletzt aus ihrer ganz besonde- ren Einwanderungssituation ergaben, war auf Seiten der Aufnahmebevölke- rung, zu der mit den Vertriebenen nunmehr auch die längst etablierten ehemali- gen ‚Fremden‘ der Nachkriegszeit gehörten, nur wenig ausgeprägt. Letztere waren zwar aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen eher für die Aussiedlerproble- matik sensibilisiert, doch selbst Spitzenfunktionäre von Vertriebenenorganisa- tionen fällten nicht immer ein richtiges Urteil über die neuen fremden Deut- schen aus dem Osten42, und es wird sogar von Spannungen zwischen Vertrie- benen von damals und Aussiedlern aus dem heutigen Polen berichtet („Die haben geklatscht, als wir damals vertrieben wurden!“)43. Insgesamt ist davon auszugehen, daß die Aussiedler lange ‚Fremde‘ bleiben werden, „als ‚Deutsche unter Deutschen‘ im Besitz aller staatsbürgerlichen Rechte, aber dennoch an einer echten und in vieler Hinsicht sogar besonders komplizierten Einwande- rungssituation.“44

Wenn im vorherigen Absatz von staatsbürgerlichen Rechten die Rede ist, so soll uns das als Überleitung dienen zu einem weiteren Aspekt des kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Eingliederungsgeschehens von Vertriebenen und Aussiedlern, namentlich ihrem Organisationswesen und ihrer politischen Parti- zipation, was gemeinhin auch unter dem Begriff der ‚politischen Eingliede-

41 Bade: Fremde Deutsche, S. 410.

42 Vgl. Schremmer: Vertreibung und Flucht nach 1945, S. 89.

43 Vgl. Bade: Aussiedler – Rückwanderer über Generationen hinweg, S. 139.

44 Bade: Fremde Deutsche, S. 410. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 261 rung‘ subsumiert wird. Aus dem Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft, die Vertriebenen und Aussiedlern mit der Gründung der Bundesrepublik sofort bzw. erleichtert gewährt wurde, leitet sich für Migranten das Recht ab, auf al- len Ebenen gleichberechtigt mit den Einheimischen am politischen Prozeß zu partizipieren (aktives und passives Wahlrecht, Recht auf Gründung von Partei- en und Organisationen usw.) „Der Neubürger wird somit Teil des Souveräns und besitzt dadurch alle politischen Teilhabe- und Mitwirkungsrechte im de- mokratischen Staat.“45 Diese Rechte werden Zuwanderern, die nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen, nur sehr begrenzt zugestanden, bei- spielsweise auf kommunaler Ebene. Im folgenden soll ein Überblick darüber geben werden, wie Vertriebene und Aussiedler ihre politischen Teilhabe- und Mitwirkungsrechte umgesetzt haben, wie sich mithin ihre politische Eingliede- rung vollzog.

Dabei ist im Hinblick auf die Vertriebenen zunächst festzustellen, daß ihnen in bezug auf ihre politische Betätigung in den ersten Jahren nach dem Krieg nicht die gleichen Rechte gewährt wurden wie den Einheimischen. Briten und Ame- rikaner verhängten Anfang bzw. im Frühjahr 1946 in ihren Zonen Koalitions- verbote, die den Deutschen aus dem Osten lediglich die Gründung von nicht- politischen, sich auf kulturelle und wirtschaftliche Zwecke beschränkenden Vereinigungen erlaubten. Dies geschah angesichts der Befürchtung, die Millio- nen entwurzelter und verarmter Menschen könnten sich politisch radikalisieren und den demokratischen Neubeginn in Westdeutschland gefährden. Für die politische Betätigung blieben den Vertriebenen nur zwei Wege: Einmal über die lizenzierten, das heißt von den Besatzungsmächten zugelassenen Parteien, zum anderen über die sogenannten ‚Flüchtlingsausschüsse‘, die auf den Ebenen der Regierungsbezirke, Kreise und Gemeinden eingerichtet wurden und deren Funktion darin bestand, Politik und Verwaltung und bei Entscheidungen, die

45 Andreas M. Wüst: Wie wählen Neubürger? Politische Einstellungen und Wahlverhalten eingebürgerter Personen in Deutschland. Opladen 2002, S. 23. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 262 die Vertriebenen betrafen, zu beraten. Somit sollte gewährleistet werden, daß die politische Partizipation der Zuwanderer jederzeit kontrollierbar war46.

Schon vor, vor allen Dingen aber während der Koalitionsverbote führte der Weg zu Vertriebenenorganisationen häufig über die Kirchen. Hier kam das landsmannschaftliche Organisationsprinzip zum Tragen, welches später die Vertriebenenvereinigungen maßgeblich prägen sollte47. Kirchliche ‚Hilfs- komitees‘ leisteten vielfältige Unterstützung, etwa bei der Betreuung sozialer Notfälle, der Pflege alter Menschen und der Sorge für verwaiste und alleinste- hende Jugendliche. Ferner boten sie auch Dienste wie Rechtsberatung an und halfen bei der Arbeitsbeschaffung. Die Anziehungskraft, die Vereinigungen wie das ‚Hilfskomitee evangelischer Sudetendeutscher‘ auf die Vertriebenen ausübten, resultierte nicht nur aus dem erzwungenen Verzicht auf allgemein- bzw. parteipolitische Aktivitäten. Ein ganz wesentlicher Bestimmungspunkt war die gemeinsame Herkunft sowie das gemeinsam erlittene Vertreibungs- schicksal, was wiederum die gegenseitige Solidarität stärkte48.

Von entscheidender Bedeutung für das Organisationswesen der Vertriebenen war die 1948 erfolgte schrittweise Lockerung und schließlich Aufhebung der

46 Vgl. Steinert: Organisierte Flüchtlingsinteressen, S. 65 ff. Die von den Alliierten verhängten Restriktionen in bezug auf die politische Betäti- gung der Vertriebenen entsprachen den Empfindungen zumindest eines Teils der einheimischen Bevölkerung. Nach den Ergebnissen der ander- norts bereits zitierten Studie der amerikanischen ICD aus dem Jahr 1946 wollten, und dies ist ein weiterer bezeichnender Befund für das Verhält- nis von Einheimischen und ‚Fremden‘ in der ersten Nachkriegszeit, etwa ein Fünftel der befragten einheimischen Deutschen in der US-Zone die politischen Rechte der Vertriebenen einschränken, vgl. Gerhardt/Hohene- ster: Zum gesellschaftstheoretischen Verständnis, S. 262. Auch einheimi- sche Politiker, vor allem auf kommunaler Ebene und in Gemeinden mit sehr hohen Vertriebenenanteilen, forderten mitunter Sonderregelungen wie etwa die Garantie einer Ratsmehrheit, da sie eine Schwächung ihrer politischen Positionen befürchteten, vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen, S. 97.

47 Vgl. Hermann Weiß: Die Organisationen der Vertriebenen und ihre Pres- se. In: Benz (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, S. 244-264, hier S. 245 ff.

48 Vgl. Waldmann: Die Eingliederung der ostdeutschen Vertriebenen, S. 172. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 263

Koalitionsverbote durch Briten und Amerikaner. Erste Tendenzen in diese Richtung waren schon 1947 zu beobachten, als der sich verschärfende Ost- West-Konflikt bei ihnen die Scheu abbaute, osteuropäische Staaten, die in die- ser Frage massiven Druck ausübten, durch die Zulassung von Vertriebenenor- ganisationen zu provozieren. Die Westalliierten betonten nun zudem verstärkt die Frage nach der Westgrenze Polens, die seit der Potsdamer Konferenz offen geblieben war. Dies geschah einerseits als Druckmittel gegen die Sowjetunion, andererseits aber auch, um die Interessen westdeutscher Politiker vor dem Hin- tergrund vermehrter Anzeichen für eine deutsche Teilung zu befriedigen. Beispielsweise argumentierten die Briten, daß die eigene Militärregierung die Frage der deutschen Ostgrenze als nicht endgültig entschieden betrachte und man deshalb ein öffentliches Eintreten für eine Rückkehr in die Ostgebiete durch ein Verbot von Flüchtlingsorganisationen nicht mehr verhindern könne. „Man könne nicht deutschen Politikern wie erlauben, die Rückgabe verlorener Gebiete zu fordern und gleichzeitig den Flüchtlingen die- ses Recht verweigern. In der Praxis sei es zudem unmöglich, eine Grenze zwi- schen irredentistischer Propaganda und legitimen Bitten um Rückkehr in die ehemalige Wohngebiete zu ziehen.“49

Das Ende der Koalitionsverbote brachte eine Vielzahl von schnell entstehenden Zusammenschlüssen. Diese Entwicklung wurde weiter stimuliert durch die Ende der 1940er Jahre verstärkt einsetzende Diskussion um einen endgültigen Lastenausgleich. Sie verstärkte wiederum in der in viele Grüppchen zersplitter- ten Vertriebenenbewegung gleichzeitig das Bewußtsein für eine autonome und zentrale Organisation zur Durchsetzung der eigenen Interessen, um den Ent- scheidungsprozeß beeinflussen zu können, war doch schon die Einflußnahme auf das Soforthilfegesetz gescheitert, welches von Vertriebenenvertretern kri- tisch beurteilt wurde, da es keinerlei Entschädigungsleistungen erhielt50. Im Oktober 1948 wurde deshalb als gemeinsames Expertengremium der ‚Kriegs- lastenausgleichsausschuß der Landesverbände der Heimatvertriebenen und der Gesamtvertretung der Ostvertriebenen‘ gegründet. Er entwickelte sich gleich-

49 Steinert: Organisierte Flüchtlingsinteressen, S. 70.

50 Vgl. Schillinger: Der Lastenausgleich, S. 233 f. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 264 sam zum Katalysator des sich im April 1949 konstituierenden ‚Zentralver- bandes der vertriebenen Deutschen‘ (ZvD), in dem sich mehrere, auch über- regionale Interessengemeinschaften der Vertriebenen zusammenschlossen. Der ZvD sah seine Aufgabe in der Vertretung der sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen der Vertriebenen und verzeichnete wachsende Mitgliederzahlen51, was ihm ein entsprechendes politisches Gewicht verlieh. Hinzu kam, daß sein mittlerweile hauptamtlicher Apparat mit Beginn des Jahres 1950 als eine Art Hilfs- oder Ergänzungsverwaltung in die staatliche Verwaltung eingebaut wur- de52.

Die Forderung der Vertriebenen nach staatlichen Entschädigungs- und Einglie- derungsleistungen und ihr Einfluß auf die entsprechende Gesetzgebung redu- zierte sich jedoch nicht nur auf die verbandspolitische Ebene. Sie waren auch und nicht zuletzt in der Lage, nachhaltigen politisch-parlamentarischen Druck zu erzeugen. Dies gelang ihnen in zweifacher Form: Einmal über ihre soge- nannte ‚Flüchtlingspartei‘, den ‚Bund der Heimatvertriebenen und Entrechte- ten‘ (BHE). Er wurde 1950 gegründet, als der Lizenzierungszwang für Parteien aufgehoben wurde. Durch den Zusatz ‚und Entrechteten‘ sollten zwar auch Nicht-Vertriebene angesprochen werden, doch der BHE blieb „zu 95 % eine Vertriebenenpartei.“53 Bevor ausführlicher auf den BHE eingegangen wird, soll nun zunächst die Frage interessieren, warum von Seiten der Vertriebenen überhaupt die Notwendigkeit gesehen wurde, ihre politischen Interessen nicht nur durch den ZvD, sondern auch durch eine ‚eigene‘ Partei zu artikulieren.

In den ersten Nachkriegsjahren hatten viele Vertriebene zunächst, insbesondere diejenigen, die ihre hergebrachten, konfessionellen oder auch schon richtungs- politisch vorgeprägten Milieubindungen in die neue Heimat hinübernahmen und im Westen wieder aufleben lassen konnten, allerdings sicherlich auch vor dem Hintergrund des Lizenzierungszwangs für Parteien und der Koalitionsver-

51 Vgl. Wambach: Verbändestaat und Parteienoligopol, S. 43.

52 Vgl. Weiß: Die Organisationen der Vertriebenen, S. 248.

53 Zit. nach. Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 150. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 265 bote54, den Weg in die zugelassenen Parteien wie CDU und SPD gefunden55. Diese wiederum umwarben die Deutschen aus dem Osten, nicht zuletzt in dem Bewußtsein, ohne deren Stimmen keine Wahlen gewinnen zu können56, grün- deten, um sie in die politische Arbeit einzubinden, parteiinterne sogenannte ‚Flüchtlingsausschüsse‘ und stellten ihnen bei Wahlen auch Listenplätze zur Verfügung57. Dennoch gab es seitens der Vertriebenen Klagen über die man- gelnde Berücksichtigung durch Parteiinstanzen, zudem standen die großen Volksparteien vor der schwierigen Aufgabe, zwischen den Interessen der Alt- eingesessenen nach Besitzstandswahrung und denen der Neubürger nach Teil- habe zu vermitteln, was sie schlichtweg überforderte. Vielen Vertriebenen er- schienen die sogenannten ‚Altparteien‘ deshalb zunehmend „wie politische Agenturen der Einheimischen.“58 Diese Auffassung wurde im wesentlichen auch von alliierter Seite bestätigt, wie etwa aus dem ‚Walter-Bericht‘ hervor- geht59.

54 Nach der Verhängung des Koalitionsverbots in der britischen Zone trat , einer der bekanntesten Vertriebenenpolitiker der Nach- kriegszeit, von dem auch später noch die Rede sein wird, umgehend der CDU bei und rief weitere Vertriebene dazu auf, Mitglied einer Partei zu werden, vgl. Steinert: Organisierte Flüchtlingsinteressen, S. 68.

55 Beispielsweise gab die schleswig-holsteinische SPD 1948 bei insgesamt rund 80.000 Mitgliedern einen Anteil von 65 % Vertriebenen an, vgl. Neumann: Der Block der Heimatvertriebenen, S. 16, Anm. 36.

56 Vgl. Helga Grebing: Flüchtlinge und Parteien in Niedersachsen. Eine Untersuchung der politischen Meinungs- und Willensbildungsprozesse während der ersten Nachkriegsjahre 1945-1952/53. Hannover 1990, S. 117.

57 So zogen 61 Vertriebene über Listenplätze der Lizenzparteien in den ersten Deutschen Bundestag ein, vgl. Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 150.

58 Everhard Holtmann: Politische Interessenvertretung von Vertriebenen: Handlungsmuster, Organisationsvarianten und Folgen für das politische System der Bundesrepublik. In: Hoffmann/Krauss/Schwartz (Hrsg.): Vertriebene in Deutschland, S. 187-202, hier S. 193.

59 Darin mußten sich die Lizenzparteien unter anderem den Vorwurf gefal- len lassen, ihre organisatorischen Anstrengungen und Programmbekun- dungen auf dem Flüchtlingssektor hätten „allenfalls Alibi- oder Placebo- Funktion“, zit. nach Jutta Beyer / Everhard Holtmann: Verspätete Politi- 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 266

Doch es war nicht nur die wachsende Unzufriedenheit der Vertriebenen mit den existierenden Parteien und ihr Minderheitenstatus, den sie im Verteilungs- und, wie wir beim Blick auf das Verhältnis zwischen Alt- und Neubürgern in den ersten Nachkriegsjahren gesehen haben, auch Assimilierungskonflikt ein- nahmen, und damit ein seit Kriegsende kontinuierlich angestautes Protest- potential, was sich in einer Abkehr von den großen Parteien entlud und gleich- zeitig den Wunsch zur Konstituierung einer eigenen Vertriebenenpartei laut werden ließ. Diese Entwicklung resultierte mindestens ebensosehr aus der auf die Währungsreform folgenden „Integrationskrise“60, die sich in einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit unter den Vertriebenen zeigte. Unter diesen war, insbesondere in den ‚Hauptflüchtlingsländern‘, nun eine deutliche politische Radikalisierung zu beobachten, und zwar nach rechts. Bei der Bun- destagswahl 1949 kamen regional beachtliche Wahlerfolge für teil- und radi- kaloppositionelle Kräfte wie die konservativ-nationalistische Deutsche Partei (DP) in Schleswig-Holstein oder die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) in Bayern unter der Führung von Alfred Loritz, den ein politischer Beobachter aufgrund seiner demagogischen Redeauftritte auch als „den blon- den Hitler“61 bezeichnete, in erster Linie durch die Stimmen der Vertriebenen zustande. Dabei stimmten die Vertriebenen in Bayern nicht zuletzt auch des- wegen für die WAV, die dort einen Stimmenanteil von 14,4 % erreichte, weil die größte bayerische Vertriebenenorganisation, der Neubürgerbund, mit der WAV für die Bundestagswahl eine gemeinsame, paritätisch besetzte Liste aus- gehandelt hatte62. Der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit unter den Vertriebe- nen nach der Währungsreform verstärkte unter ihnen gleichzeitig Forderungen nach einem Lastenausgleich, die im Ton immer verschärfter ausfielen. So soll etwa der Vorsitzende des eben erwähnten Neubürgerbundes bemerkt haben,

sierung des ‚Fünften Standes‘. Anmerkungen aus regional vergleichender Perspektive zu einigen Aspekten der politisch-kulturellen Integration von Flüchtlingen in der frühen Nachkriegszeit. In: Schulze/Brelie-Lewien/ Grebing (Hrsg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nach- kriegsgeschichte, S. 282-287, hier S. 282.

60 Ebd., S. 286.

61 Zit. nach Connor: Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen, S. 197.

62 Vgl. Holtmann: Politische Interessenvertretung, S. 196. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 267

„daß der Lastenausgleich erzwungen werden solle, notwendigenfalls mit bren- nenden Häusern.“63

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wurde seitens der Vertriebenen die Notwendigkeit einer eigenen Partei herausgestellt, die schließlich, wie bereits erwähnt, 1950 mit dem BHE gegründet wurde. Gleich bei der ersten Wahl, zu der er antrat, nämlich der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, erreichte er spektakuläre 23,4 % der Stimmen. Dieser Wahlerfolg des BHE setzte sich, wenngleich auch nicht in dieser Größenordnung, auch in anderen Bundeslän- dern fort, insbesondere in denen mit starkem Vertriebenenanteil. Der BHE avancierte sowohl bei SPD als auch CDU zum vielgefragten Koalitionspartner und ‚Mehrheitsbeschaffer‘. Zwar gab sich die neue Partei ausgesprochen so- zialkämpferisch, doch zeigte sich bald, daß sie bereit war, ideologische Positio- nen hinter einer pragmatisch orientierten Vertriebenenpolitik zurückzulassen. Der BHE bemühte sich um die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Deutschen aus dem Osten und hatte über die Regierungsbeteiligung in verschiedenen Bundesländern maßgeblichen Anteil an der Gestaltung der jeweiligen länderspezifischen Vertriebenengesetzgebung64.

Politisch-parlamentarischer Druck konnte von Seiten der Vertriebenen jedoch nicht nur über ihre „politische Interessenpartei“65, den BHE, aufgebaut wer- den, sondern auch dadurch, daß sie die Vernetzung mit den etablierten Parteien suchten und geschickt im System pluralistischer Interessenvermittlung agier- ten. Bestes Beispiel hierfür war der bereits erwähnte Linus Kather, seines Zei- chens Vorsitzender des ZvD. Er war Bundestagsabgeordneter der Regierungs- partei CDU und konnte gerade auf diese Weise Einfluß zugunsten der Vertrie- beneninteressen nehmen, insbesondere im Hinblick auf den dringend gefor- derten Lastenausgleich und dessen Ausgestaltung. Kather baute sich eine di-

63 Zit. nach Connor: Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen, S. 197.

64 Vgl. zum Beispiel für Niedersachsen Wennemann: Flüchtlinge und Ver- triebene in Niedersachsen, S. 101 f.

65 Zur Anwendung dieses Begriffs auf den BHE vgl. Neumann: Der Block der Heimatvertriebenen, insbes. S. 378-380. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 268 rekte Verbindung zu Adenauer auf und drohte zudem damit, den Vertriebenen- flügel der CDU/CSU in den BHE zu überführen66. Damit wäre der Fortbe- stand der Regierung gefährdet gewesen. Doch Vertriebenenfunktionäre wie Kather setzten nicht nur auf ihre Rolle als Parlamentsabgeordnete, sie kalku- lierten ganz bewußt auch mit außerparlamentarischem Druck. So organisierten sie zur Durchsetzung des Feststellungsgesetzes, das spätere Entschädigungen in quotalem Sinn präjudizieren sollte, im Februar 1951 eine Demonstration von 60.000 Vertriebenen in Bonn. Schließlich waren es nicht zuletzt die Vertriebe- nenfunktionäre und der von ihnen erzeugte parlamentarische und außerparla- mentarische Druck, der dazu führte, daß Adenauer tatsächlich für eine stärkere Akzentuierung quotaler Elemente im LAG sorgte67. Vor dem Hintergrund der politischen Aktivitäten der Vertriebenen sowohl auf verbandspolitischer als auch auf parlamentarischer Ebene und durch die enge Verknüpfung von bei- dem muß – jenseits aller humanen Intentionen oder der Bedeutung als politi- sches Signal im Kalten Krieg – dann auch die staatliche Entschädigungs- und Eingliederungsgesetzgebung zugunsten dieser Gruppe, die Anfang der 1950er Jahre mit dem LAG (1952) und dem BVFG (1953) ihren Höhepunkt erreichte, gesehen werden: Die Vertriebenen waren eine gewichtige ‚pressure group‘, deren Vertreter ihre Interessen vehement artikulierten und die aktiv in die Ge- setzgebungsprozesse eingebunden waren.

Mit der Verabschiedung des LAG und des BVFG und der kontinuierlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Vertriebenen büßten sowohl der ZvD als auch der BHE ihr politisches Mobilisierungspotential und ihre organisatorische Schlagfertigkeit konstant ein. Die im November 1952 in ‚Ge- samtdeutscher Block/BHE‘ (GB/BHE) umbenannte Vertriebenenpartei erhielt zwar bei der Bundestagswahl 1953 einen Stimmenanteil von 5,9 % und

66 Außerdem verstand es Kather, die eigene Forderung nach einem Lasten- ausgleich mit anderen wichtigen innen- und außenpolitischen Fragen zu verknüpfen, wie etwa der Wiederbewaffnung und den Westverträgen. „Wir werden zu den Kanonen und den Divisionen erst ja sagen, wenn die Herstellung des sozialen Friedens gewährleistet ist“, zit. nach Schillinger: Der Lastenausgleich, S. 237.

67 Vgl. insgesamt hierzu Reinhold Schillinger: Der Entscheidungsprozeß beim Lastenausgleich 1945-1952. St. Katharinen 1985, S. 230-282. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 269 schaffte als einzige der neuen, erstmals zur Bundestagswahl angetretenen Par- teien die Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde. Sie wurde Koalitionspartner im 2. Kabinett Adenauer und stellte mit dem Parteivorsitzenden Waldemar Kraft (Bundesminister für besondere Aufgaben) und seinem Stellvertreter Theodor Oberländer (Bundesvertriebenenminister) zwei Minister. Bei einem Wählerpotential von über 10 Millionen Bundesbürgern mit Vertriebenen- oder Flüchtlingsstatus konnte sie letztlich aber nur 1,6 Millionen Zweitstimmen auf sich vereinen68.

Bei der Bundestagswahl 1957 erreichte der GB/BHE, auch geschwächt durch innerparteiliche Auseinandersetzungen, die dazu geführt hatten, daß er schon 1955 in die Opposition ging, nur noch 4,6 % aller abgegebenen Stimmen und schied damit aus dem Bundestag aus, und in den folgenden Jahren setzte sich sein Abstieg auch auf Landesebene fort. Der GB/BHE vermochte es nicht, über die engere Vertriebenenproblematik hinaus weitere Themen zu besetzen. Seine Forderungen nach einer Forcierung der Eingliederung der Vertriebenen wurden mit der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zunehmend obsolet. Um den- noch Wählerstimmen gewinnen zu können, setzte die Partei auf nationalisti- sche und radikal revisionistische Töne, über die die Erinnerung an Kriegsleiden und gemeinsames Schicksal belebt werden sollten, und verfolgte ab Ende der 1950er Jahre einen rechtsradikalen Kurs69. Um die Fünf-Prozent-Hürde über- springen zu können, verband sich der GB/BHE im Vorfeld der Bundestagswahl 1961 mit der DP zur ‚Gesamtdeutschen Partei‘ (GDP), doch auch jetzt konnten nur 2,8 % aller Stimmen erreicht werden. Kurzer Zeit später löste sich die Par- tei auf. Die meisten ihrer Mitglieder wanderten zu den Unionsparteien ab70.

68 Weiß: Die Organisationen der Vertriebenen, S. 252.

69 Vgl. Richard Stöss: Der Gesamtdeutsche Block/BHE. In: Ders. (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Bd. 2. Opladen 1984, S. 1424-1459, hier S. 1437.

70 Insbesondere die CDU betrieb eine aktive Eingliederungspolitik gegen- über BHE-Wählern, aber auch Politikern. Sie versuchte etwa, einzelne Symbolfiguren aus der Vertriebenenpartei herauszulösen, was ihr auch gelang. Prominenteste Beispiele hierfür waren die schon angesprochenen Waldemar Kraft und Theodor Oberländer, die Mitte 1955 aus dem GB/BHE aus-und später in die CDU eintraten, vgl. Frank Bösch: Die po- litische Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen und ihre Einbin- 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 270

An der Entwicklung des BHE wird anschaulich die „Janusköpfigkeit von Inter- essenparteien“71 deutlich. Durch ihre anfänglichen Erfolge konnte sich die Vertriebenenpartei erfolgreich für verbesserte Lebensbedingungen ihrer Kli- entel einsetzen. Doch letztlich wurde sie Opfer ihrer eigenen Politik, gerade weil sie aufgrund ihrer Erfolge bei der Beschleunigung der sozialen und öko- nomischen Eingliederung der Vertriebenen selbst zur Aufhebung ihrer eigenen politischen Grundlage beitrug. Wie Wahlanalysen zeigen, wurde der GB/BHE vorwiegend von älteren und verarmten Schichten der Bevölkerung im Wahl- kreisen mit einem hohen Vertriebenanteil gewählt. Als sich die wirtschaftliche Lage dieser ‚Protestwähler‘ verbesserte, verlor der GB/BHE seine Wähler an die großen Parteien, und zwar, entsprechend der Herkunft vieler Vertriebener, vor allem an die bürgerliche CDU72. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, daß die SPD auf Bundesebene einen deutlich höheren Anteil von Ab- geordneten aus Vertriebenenkreisen hatte als die CDU73. Die SPD wurde in erster Linie von denjenigen Deutschen aus dem Osten gewählt, die sich bereits vor Flucht und Vertreibung als Sozialdemokraten betrachteten bzw. aus dem Arbeitermilieu stammten74.

dung in die CDU. In: Schulze/Rode/Voss (Hrsg.): Zwischen Heimat und Zuhause, S. 107-123, hier S. 116 ff.

71 Holtmann: Politische Interessenvertretung, S. 187.

72 Vgl. Weiß: Die Organisationen der Vertriebenen, S. 252 f.

73 Noch Anfang der 1980er Jahre gehörte die Hälfte aller im Bundestag vertretenen Vertriebenen der SPD an, vgl. Frantzioch: Die Vertriebenen, S. 150. Einen ausführlichen Überblick über vertriebene Mandatsträger im Bundestag und in den Länderparlamenten bis Ende der 1980er Jahre bietet Helmut Neubach: Anteil der Vertriebenen in den Parlamenten und Regierungen. In: Frantzioch/Ratza/Reichert: 40 Jahre Arbeit für Deutschland, S. 153-165.

74 Vgl. Grebing: Flüchtlinge und Parteien in Niedersachsen, S. 167, S. 171. Aufgrund der überwiegend ländlich und agrarisch geprägten Herkunfts- regionen der Vertriebenen zählte vor Flucht und Vertreibung allerdings nur ein geringer Teil von ihnen zum Arbeitermilieu. Ausgeprägtere sozi- aldemokratische Traditionen gab es vor allem in den wenigen stärker in- dustrialisierten Herkunftsregionen, wie etwa dem oberschlesischen Indu- strierevier und Teilen des Sudetenlandes, vgl. Frantzioch: Die Vertriebe- nen, S. 154. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 271

In diesem Zusammenhang soll noch ein anderer Faktor für den Machtverlust und den schnellen politischen Niedergang des GB/BHE genannt werden. Wie bereits erwähnt wurde, kam es wegen des Lizenzierungszwangs zu einer um Jahre verzögerten Gründung der Partei. Durch diese „verspätete Politisierung“ (Beyer/Holtmann) hatte der weitaus größte Teil der Vertriebenen bereits in den bestehenden Parteien eine politische Heimat gefunden, noch bevor eine eigent- liche Vertriebenenpartei gegründet worden war und sich für die Interessen die- ser Gruppe einsetzen konnte. Deshalb mußte der GB/BHE auf die schon ange- sprochene ‚Protestwählerschaft‘ unter den Vertriebenen zurückgreifen und konnte selbst bei seinen größten Wahlerfolgen auf Bundesebene nur etwa ein Fünftel aller Vertriebenen zu seiner Anhängerschaft zählen75. Trotz ihrer poli- tischen Kurzlebigkeit trug die Vertriebenenpartei jedoch dazu bei, Unmut zu kanalisieren und radikale Tendenzen zu neutralisieren, und zwar indem sie ihre Anhängerschaft „für eine schnelle Eingliederung mobilisierte, und dieses Ziel durch verantwortliche Mitarbeit auch erreichte.“76

Eine ähnliche Entwicklung wie der BHE nahm auch der ZvD, der 1954 den Namen ‚Bund vertriebener Deutscher‘ (BvD) angenommen hatte. Er hatte schon deutlich an Einfluß verloren, als er sich 1958 mit dem ‚Verband der Landsmannschaften‘ (VdL), der 1952 den 1949 gegründeten und sich vor- nehmlich auf die Bewahrung der Heimatkultur konzentrierenden ‚Vereinigten Ostdeutschen Landsmannschaften‘ (VOL) nachfolgte, zum ‚Bund der Vertrie- benen – Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände‘ (BdV) und damit zum einzigen Dachverband der Vertriebenen in der Bundesrepublik vereinig- te77. Nachdem mit der fortschreitenden wirtschaftlichen Eingliederung der Deutschen aus dem Osten und vor allem mit der Verabschiedung der diesen Prozeß flankierenden Gesetzgebung zentrale innenpolitische Anliegen erreicht

75 Vgl. ebd.

76 Zit. nach ebd.

77 Eine Übersicht über die verschiedenen, nahezu alle Herkunftsregionen der Vertriebenen abdeckenden Landsmannschaften, angefangen von der ‚Deutsch-Baltischen Landsmannschaft im Bundesgebiet‘ über die ‚Landsmannschaft der Donauschwaben aus Jugoslawien‘ bis hin zur ‚Landsmannschaft der Dobrudscha- und Bulgariendeutschen‘ bietet Weiß: Die Organisationen der Vertriebenen, S. 250. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 272 worden waren, bemühten sich der BdV und die ihm angeschlossenen Verbände um eine verstärkte Einflußnahme auf die Außen- und Deutschlandpolitik von Bundesregierung und Parteien, und das durchaus erfolgreich78. Zum gemein- samen Orientierungswert wurde dabei das ‚Recht auf Heimat‘, welches, ab- hängig davon, in welchem Kontext und mit welcher Konnotation es vorgetra- gen wurde, mitunter die Aufmerksamkeit von bundesdeutscher Politik und Öf- fentlichkeit auf sich ziehen konnte79. Das Heimatbewußtsein wurde aber in erster Linie Antrieb für ein sehr aktives Kulturleben sowie die innerverbandli- che Kommunikation80. Als Identifikationsbasis für eine politische Interessen- partei wie den BHE konnte die Vergangenheitsorientierung allerdings nicht genügen, „nachdem der Gegenwartszweck zur politischen Organisation – die wirtschaftlich-soziale Gleichstellung der Vertriebenen – erreicht schien.“81

Während die politische Eingliederung der Vertriebenen im Prozeß des politi- schen Neuaufbaus in Westdeutschland anfangs durch restriktive Rahmenbe- dingungen (Koalitionsverbote, Lizenzierungszwang) begleitet wurde, konnten die Aussiedler sofort auf die gleichen politischen Teilhabe- und Mitwirkungs- rechte, von denen schon die Rede war, wie die Einheimischen zurückgreifen. Im Gegensatz zu den Vertriebenen sind die Aussiedler aber eine politisch kaum

78 Das zeigte sich zum Beispiel in der Verhinderung einer flexibleren Ost- politik, die in der Bundesregierung Ende der 1950er Jahre diskutiert wur- de, und in der Beibehaltung der sogenannten ‚Hallstein-Doktrin‘. Diese besagte, daß diplomatische Beziehungen zu einem anderen Staat erst aufgenommen werden können, wenn dieser die DDR nicht anerkennt. In- nerhalb der SPD konnte der Vertriebenenflügel Positionen, die eine Normalisierung des deutsch-polnischen Verhältnisses vorsahen, bis zur Mitte der 1960er Jahre torpedieren. Mit der Regierungsübernahme der sozial-liberalen Koalition schwanden die Einflußmöglichkeiten der Ver- triebenenpolitiker jedoch, was sich sowohl in der Auflösung des Vertrie- benenministeriums ausdrückt wie auch in der Ratifizierung der Ostver- träge durch die Bundesrepublik, vgl. Wennemann: Flüchtlinge und Ver- triebene in Niedersachsen, S. 103.

79 Vgl. Rautenberg: Die Wahrnehmung, S. 38 ff. sowie Dietrich Strothmann: „Schlesien bleibt unser“: Vertriebenenpolitiker und das Rad der Geschichte. In: Benz (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, S. 265-276.

80 Vgl. Weiß: Die Organisationen der Vertriebenen, S. 257 ff.

81 Haerendel: Die Politik der ‚Eingliederung‘, S. 118. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 273 wahrnehmbare Gruppe. Dementsprechend liegen leider auch nur sehr spärliche Informationen über ihre politischen Aktivitäten vor.

Die wenigen empirischen Untersuchungen zu ihrer Parteienorientierung und zu ihrem Wahlverhalten zeigen Aussiedler als eine politisch zurückhaltende und vorwiegend konservativ orientierte Gruppierung. Sie organisierten sich in er- ster Linie in Kirchengemeinden und Landsmannschaften. So gaben bei einer 1990 durchgeführten Befragungsstudie unter Aussiedlern aus der Sowjetunion 56 % der Befragten Aktivitäten in einer Kirchengemeinde und 27,1 % eine Mitgliedschaft in der Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland an. 10,7 % waren einem Verein (zum Beispiel Sport- oder Musikverein), 9,7 % einer Ge- werkschaft und nur 1,6 % einer politischen Partei beigetreten82. Die Neigung der Aussiedler, sich neben dem religiösen Bereich in Landsmannschaften zu engagieren und zu organisieren, zeigen die Mitgliederzahlen der rußlanddeut- schen Landsmannschaft in Niedersachsen. Sie verzeichnete zwischen 1989 und 1995 einen Mitgliederzuwachs von 1.000 auf 3.000 und zählte damit neben den rußlanddeutschen Landsmannschaften in Baden-Württemberg und Bayern zu den mitgliederstärksten83.

Der geringe parteipolitische Organisationsgrad unter den Aussiedlern bedeutete gleichzeitig aber nicht politisches Desinteresse. Wie die bereits angesprochene Befragungsstudie aus dem Jahr 1990 zeigte, waren immerhin 30 % der Be- fragten sehr stark oder stark politikinteressiert; 90 % gaben an, daß sie regel- mäßig zur Bundestagswahl gehen würden. Zwar war die Wahlteilnahme bei Landtags- und Kommunalwahlen etwas geringer, sie war mit 83 % bzw. 79 % Beteiligung aber noch immer bemerkenswert und lag damit sogar höher als die Wahlbeteiligung der bundesdeutschen Bevölkerung bei der Bundestagswahl im Dezember 1990, die 76,3 % betrug. Dietz/Hilkes bemerken hierzu: „Bei der

82 Vgl. Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 68. Auch bei einer Befra- gungsstudie unter Aussiedlern in niedersächsischen Städten vom Ende der 1980er Jahre gaben die meisten der Befragten (10,3 %) an, Mitglied in einer Landsmannschaft bzw. dem BdV zu sein. 9 % waren in einem kirchlichen Verein, 7,4 % in einer Gewerkschaft oder einem Berufsver- band und ebenfalls nur 1,6 % in einer politischen Gruppierung Mitglied, vgl. Hofmann/Bürkner/Heller: Aussiedler – eine neue Minorität, S. 71.

83 Vgl. Herwartz-Emden/Westphal: Die fremden Deutschen, S. 195. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 274

Einschätzung des Wahlverhaltens rußlanddeutscher Aussiedler darf nicht ver- nachlässigt werden, daß auch ihre ‚Wahlbeteiligung‘ in der vormaligen So- wjetunion – dort allerdings unter anderen ‚demokratischen‘ Spielregeln als in der westlichen Welt – hoch war. Im sowjetischen Kontext signalisierte dies in erster Linie eine gewisse Konformität. Rußlanddeutsche dürften Wahlen in erster Linie als politische Verpflichtung auffassen [sic!] haben, die es auch nach der Ausreise in der Bundesrepublik zu erfüllen gilt.“84

Im Hinblick auf die Parteienorientierung der Aussiedler ist, ähnlich wie bei den Vertriebenen, eine deutliche Präferenz für das christlich-konservative Lager, insbesondere für die CDU, festzustellen. Der Befragungsstudie von 1990 zu- folge wollten 70 % der Aussiedler auf die Frage, welche Partei sie wählen würden, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, ihre Stimme der CDU geben, für die SPD wollten 13,4 % votieren85. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Münz/Ohliger auf der Basis der Auswertung des Sozio- Ökonomischen Panels für das Jahr 1995. Demnach unterstützten knapp drei Viertel aller Aussiedler (74 %), die eine politische Präferenz angaben, die Uni- onsparteien, aber nur 17 % die SPD86. Für die eindeutige Parteiorientierung der Aussiedler zugunsten der CDU werden verschiedene Gründe diskutiert, zum Beispiel die ländlich-argrarische Herkunft etlicher von ihnen, ihre Orien- tierung an christlichen und traditionellen Wertvorstellungen sowie ein von den Erfahrungen in den Herkunftsländern geprägter Antisozialismus, der sich in einer Abneigung gegen Linksparteien ausdrückt87.

Zudem symbolisierte die CDU für viele Aussiedler die Partei, die es ihnen er- möglichte, in die Bundesrepublik einzureisen. Bei dieser Einschätzung spielte auch das Verhalten von SPD und CDU während der großen Aussiedlerzuwan-

84 Dietz/Hilkes: Integriert oder isoliert?, S. 88.

85 Vgl. ebd., S. 89. Zu den politischen Aktivitäten der Deutschstämmigen in der Sowjetunion vgl. dies.: Rußlanddeutsche, S. 75 ff.

86 Vgl. Münz/Ohliger: Deutsche Minderheiten in Ostmittel- und Osteuropa, S. 22 f.

87 Vgl. ebd. sowie Herwartz-Emden/Westphal: Die fremden Deutschen, S. 192 f. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 275 derungswellen Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre eine wichtige Rolle: So erklärte etwa Oskar Lafontaine, der SPD-Kanzlerkandidat von 1990, daß ein Asylsuchender ein stärkeres moralisches Recht auf Aufnahme in Deutsch- land habe als ein nicht verfolgter Aussiedler, und er bezeichnete die Aufnahme der ethnischen Zuwanderer aus dem Osten als „Deutschtümelei“88. Dagegen umwarb Bundeskanzler Kohl mit Unterstützung des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung, Waffenschmidt, die Aussiedler mit Verlautbarungen gemäß dem Motto ‚Das Tor bleibt offen‘, und obwohl seitens der Bundesregierung gleichzeitig damit begonnen wurde, die Aussiedleraufnahme zu begrenzen und Eingliederungsleistungen abzubauen, war dieses Werben erfolgreich, denn viele Aussiedler sahen in Kohl „den Moses, der ihnen geholfen hatte, Rußland oder Kasachstan zu verlassen“, und sie verhalfen mit ihren Stimmen der CDU/CSU zum Sieg bei den Bundestagswahlen 199489.

Die weiter oben erwähnte politische Zurückhaltung der Aussiedler wird weni- ger in ihrer Wahlbeteiligung oder ihrem Wahlverhalten deutlich, sondern viel- mehr in der mangelnden Artikulation gruppenspezifischer Interessen, denn innerhalb des bestehenden Parteiensystems waren sie nur sehr begrenzt poli- tisch aktiv. Münz/Seifert/Ulrich stellten hierzu in den 1990er Jahren fest: „Es gibt derzeit in keiner der etablierten Parteien eigene Sprecher der Aussiedler, während die Vertriebenen der Nachkriegsära, aber auch die Arbeitsmigranten und ihre Nachkommen über eigene Abgeordnete im Bundestag und in einigen Landes- bzw. Kommunalparlamenten verfügen. Unter den neu eingewanderten Aussiedlern überwiegt der Rückzug ins Private und in den Bereich der Fami- lie.“90 Im Gegensatz zu den Vertriebenen waren – und sind bis heute – unter den Aussiedlern in der Tat keine Personen wie Linus Kather und andere zu finden, die sich innerhalb der großen Parteien vehement für die Interessen der eigenen Gruppe einsetzten, vor allem in Fragen der Eingliederungsgesetzge-

88 So beispielsweise in seinem bereits an anderer Stelle zitierten Editorial in Otto (Hrsg.): Westwärts – Heimwärts?.

89 Vgl. Dietrich Thränhardt: Einwanderungs- und Integrationspolitik in Deutschland und den Niederlanden. In: Leviathan 3/2002, S. 220-249, hier S. 227; zit. ebd.

90 Münz/Seifert/Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland, S. 145. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 276 bung. Während die Vertriebenen hier zusätzlichen politisch-parlamentarischen Druck über ihre Interessenpartei, den BHE, ausüben konnten, ist eine ähnliche Entwicklung bei den Aussiedlern nicht zu beobachten. Zwar wurde im No- vember 1997 eine Bundesvereinigung von Rußlanddeutschen gegründet, die ihr wichtigstes Ziel in der Vertretung der Aussiedlerinteressen im Eingliede- rungsbereich ansah und sich auch als politische Partei profilieren wollte91. Dabei kam man jedoch, trotz des beachtlichen Wählerpotentials, das diese Gruppe stellt, offensichtlich über Ansätze nicht hinaus, denn eine eigenständi- ge ‚Aussiedlerpartei‘ existiert bis heute nicht. Ferner waren zum damaligen Zeitpunkt, also 1997, zentrale politische Entscheidungen über den Wegfall bzw. die Kürzung von Aussiedlereingliederungsleistungen bereits gefallen. „Die Aussiedler selbst stellten“, wie Bade/Bommes betont haben, „in diesen Prozessen der Entscheidungsfindung keine zu berücksichtigende ‚pressure group‘.“92

Und genau hierin besteht der gravierende Unterschied zwischen Vertriebenen und Aussiedlern: Erstgenannte erzeugten massiven parlamentarischen und au- ßerparlamentarischen Druck, gestalteten die Tagespolitik aktiv mit und stellten in den Prozessen der Entscheidungsfindung bezüglich der sie betreffenden Eingliederungsgesetzgebung in den 1950er Jahren eben überaus gewichtige ‚pressure groups‘, und über Politiker aus ihren Reihen und Interessensverbände konnten sie, wie etwa beim Lastenausgleich, maßgeblichen Einfluß auf die entsprechende Gesetzgebung gewinnen. All dies traf für die Aussiedler nicht zu, und daran anschließend stellt sich die, wohlgemerkt hypothetische, Frage, ob von Seiten der Bundesregierung in bezug auf Leistungen für Aussiedler anders verfahren worden wäre, wenn, wie 60.000 Vertriebene 1951 während der Diskussionen um die Ausgestaltung des Lastenausgleichs, 60.000 Aus- siedler zu Beginn der 1990er Jahre in der Bundeshauptstadt für den Erhalt des Lastenausgleichs und gegen seine Abschaffung im Rahmen des KfbG prote- stiert hätten. Letztlich liegt die Schlußfolgerung nahe, die die Aussiedler be- treffenden und insbesondere in den 1990er Jahren beschlossenen Kürzungen

91 Vgl. Dietz: Migrationspolitik unter ethnischen Vorzeichen, S. 19 f.

92 Bade/Bommes: Migration und politische Kultur, S. 458. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 277 im gesamten Eingliederungsbereich nicht nur vor dem Hintergrund des Endes des Kalten Krieges, mit dem die politische Signalwirkung für besondere Ein- gliederungsleistungen für Deutsche aus dem Osten verschwand, und knapper öffentlicher Kassen zu beurteilen, sondern diese Kürzungen auch als ein Re- sultat der politischen Inaktivität dieser Gruppe zu sehen.

Wie wir gesehen haben, bieten sich bei Vertriebenen und Aussiedlern auch jenseits der Fokussierung auf das wirtschaftliche und das beruflich-soziale Eingliederungsgeschehen, welches im Mittelpunkt dieser Arbeit stand, durch- aus interessante Ansätze für weitere Vergleiche. Als zusätzliches Stichwort ist hier beispielsweise nur ‚Migration und Gesundheit/Krankheit‘93 zu nennen.

93 Vgl. allg. hierzu Peter Marschalck / Karl Heinz Wiedl: Migration und Krankheit. Osnabrück 2001 (IMIS-Schriften, Bd. 10). Allerdings wurden die gesundheitlichen Folgen von Flucht, Vertreibung und Eingliederung von der Wissenschaft kaum aufgegriffen und bilden auch gegenwärtig noch ein Forschungsdesiderat. Einen Überblick über die neueste For- schungsliteratur bietet jetzt Ulfried Geuter: Der Krieg, die Kinder und das Leid. In: Psychologie heute 5/2005, S. 52-56. Diese Studien be- schränken sich aber hauptsächlich auf die Frage nach der psychischen Verarbeitung von Zwangsmigration und Eingliederung, während der all- gemeine Gesundheitszustand der Vertriebenen, mithin ihre körperliche Verfassung bei der Ankunft und im weiteren Eingliederungsverlauf, weitgehend ebenso unberücksichtigt blieb wie die Reaktionen von Ad- ministration und Politik auf kranke oder vermeintlich kranke Vertriebene. Hierzu wurde jüngst eine am IMIS entstandene Studie vorgelegt von An- drea Riecken: Krank und fern der Heimat: Gesundheitspolitik, öffentli- ches Gesundheitswesen und die Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen nach Niedersachsen 1945-1953. Phil. Diss. Universität Os- nabrück 2003 (Ms.); s. auch den dortigen Forschungsbericht, der auch die ältere Literatur zum Thema ‚Migration und Krankheit/Gesundheit‘ mit Blick auf die Vertriebenen berücksichtigt. Für die Aussiedler gestaltet sich die Forschungslage in dieser Hinsicht etwas ertragreicher. Zwar blieben sie, im Gegensatz zu den Vertriebenen, aufgrund der Umstände ihrer Migration von traumatischen Erfahrungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen verschont, doch offenbarten sich in ihrer schwierigen und, wie wir gesehen haben, in mancher Hinsicht sogar besonders kom- plizierten Eingliederungssituation gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen psychische Auffälligkeiten und erhebliche Suchtgefähr- dungspotentiale. Vgl. hierzu etwa Jürgen Kornischka: Psychische Stö- rungen und psychosoziale Probleme von Spätaussiedlern. In: Volker Faust (Hrsg.): Psychiatrie. Stuttgart u. a. 1995, S. 509-517; Rudolf Giest- Warsewa: Junge Aussiedler: Problemlagen und Sozialisationserfahrun- gen. In: Dietmar Czycholl (Hrsg.): Sucht und Migration. Berlin 1998, S. 74-90; Andrea Riecken: Psychiatrische Erkrankungen im Migrations- 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 278

Dabei wäre, unabhängig davon, welcher Eingliederungsaspekt näher beleuchtet werden soll, vor allem ein Vergleich der Langzeitperspektive von Interesse und damit die Frage, inwieweit bei der Eingliederung der ab 1988 zugewanderten Aussiedler auf lange Sicht, also über einen Zeitraum von 30 oder 40 Jahren und nicht zuletzt auch generationenübergreifend, Unterschiede und Gemeinsam- keiten zu der Eingliederung der Vertriebenen festzustellen sind. Diese Frage läßt sich zum jetzigen Zeitpunkt selbstverständlich nicht beantworten, und sie dürfte im Rahmen etwaiger zukünftiger Forschungsvorhaben nur schwerlich zu beantworten sein. Das hat mit der schon mehrfach angesprochenen völlig unzu- reichenden statistischen Erfassung der Aussiedler zu tun, die in deutlichem Unterschied zu der statistischen Erfassung der Vertriebenen steht.

Die unzureichende statistische Erfassung der Aussiedler wird, mit Blick auch auf andere Zuwanderergruppen, ebenfalls in dem Jahresgutachten 2004 des mit Beginn des Jahres 2005 aufgelösten Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration der Bundesregierung herausgestellt94. Darin heißt es, daß sich die Migrations- und Integrationspolitik in Deutschland aufgrund der Datensi- tuation „im Blindflug“95 befinde. Im Hinblick auf die Verbesserung der Ana- lyse des Eingliederungsgeschehens von Migranten werden verschiedene Vor- schläge vorgelegt. Als einer der wichtigsten Vorschläge erscheint hier die Ein- führung eines ‚Foreign-born‘-Konzepts, über das die Messung des gesell- schaftlichen Migrantenbestandes in einschlägigen amtlichen Erhebungen wie dem Mikrozensus sowie Einkommens- und Verbrauchserhebungen vorge- nommen werden kann. Den Hintergrund für die Forderung zur Einführung die- ses Konzepts bildet die Tatsache, daß Immigranten in der deutschen Statistik zwar über das Merkmal ‚Ausländer‘ bestimmt werden, aber nicht über den tat- sächlichen Migrationsstatus. Da der Begriff ‚Ausländer‘ allerdings nur alle Personen bezeichnet, die in Deutschland leben, ohne die deutsche Staatsbür-

und Integrationsprozeß. Aussiedler im Niedersächsischen Landeskran- kenhaus Osnabrück. In: Marschalck/Wiedl (Hrsg.): Migration und Krankheit, S. 147-169.

94 Migration und Integration – Erfahrungen nutzen, Neues wagen. Jahres- gutachten 2004 des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integra- tion. Berlin 2004.

95 Vgl. ebd., S. 414. 5. Schlußbetrachtung und Ausblick 279 gerschaft zu besitzen, bietet die amtliche Statistik keine Hinweise auf die Be- völkerung mit Migrationshintergrund (eingebürgerte Zuwanderer, Angehörige der Zweiten und Dritten Generation und eben auch die Aussiedler).

Gemäß dem im Gutachten vorgeschlagenen ‚Foreign-born‘-Konzept sind Mi- granten dagegen nur Personen, die selbst zuwandert sind, d. h. die Erste Gene- ration. Durch die Erhebung des eigenen Migrationsstatus und demder Eltern soll auch die bereits im Zielland geborene Zweite Generation statistisch er- kennbar werden. Über den Generationenvergleich kann dann dazu beigetragen werden, Entwicklungsprozesse im Eingliederungsbereich zu messen und dar- über auch Eingliederungsmaßnahmen zu optimieren. Zusammenfassend heißt es hierzu in dem Gutachten des Sachverständigenrates für Migration und Inte- gration: „In möglichst allen amtlichen Statistiken, die Merkmale von Personen und Arbeitskräften erfassen, sollte der Migrationsstatus so erhoben werden, dass er eine Unterscheidung erlaubt zwischen Ausländern, die ‚im Ausland geboren‘ wurden, Personen, die ‚im Inland mit Migrationshintergrund geboren‘ und ‚Deutschen, im Ausland geboren‘ wurden, erlaubt.“96 Diese Forderung kann nach den Erfahrungen dieser Arbeit und dem Vergleich der Eingliederung von Deutschen aus dem Osten, die einmal gut bis sehr gut statistisch erfaßt wurden und einmal nur sehr mangelhaft, nur unterstrichen werden.

96 Ebd., S. 420. Als ein erster erfreulicher Schritt in diese Richtung ist zu werten, daß der Migrantenstatus der Befragten mit dem neuen Mikrozen- susgesetz ab 2005 jährlich erhoben wird und jener der Eltern von Be- fragten alle vier Jahre. 280

6. Anhang

6.1. Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

Tabelle 1: Wohnsituation von Vertriebenen und übriger Bevölkerung nach der Art der Unterbringung 1950 und 1956 (in % der Wohnparteien) ...... 107

Tabelle 2: Wohnsituation von Vertriebenen und übriger Bevölkerung nach der Art der Unterbringung 1956 und 1960 (in % der Wohnparteien) ...... 110

Tabelle 3: Ausgewählte Merkmale des Wohnstandards von Aussiedler- haushalten nach der Wohnform 1992...... 116

Tabelle 4: Zeitverlauf der Wohnungsversorgung von Ende der 1980er/ Anfang der 1990er Jahre eingereisten Aussiedler- familien...... 118

Tabelle 5: Zentrale Wirtschaftsindikatoren der Bundesrepublik Deutschland 1950-1960...... 146

Tabelle 6: Sektoraler Beschäftigungswandel in der Bundesrepublik Deutschland 1950-1996 (in %)...... 151

Tabelle 7: Altersgruppen bei Vertriebenen und übriger Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland 1950 (in %)...... 160

Tabelle 8: Aussiedler im Zuwanderungszeitraum 1988-2000 und übrige Bevölkerung nach Altersgruppen...... 162

Tabelle 9: Aussiedler im Zuwanderungszeitraum 1988-1990 und übrige Bevölkerung nach Altersgruppen...... 163

Tabelle 10: Berufliche Gliederung von Vertriebenen und übriger Bevölkerung 1939 (in % der Erwerbspersonen)...... 169

Tabelle 11: Berufliche Gliederung in der Bundesrepublik Deutschland 1989 und 1998 (in % der Erwerbstätigen)...... 173

Tabelle 12: Erwerbsquoten von Umsiedlern in Transporten und außer- halb davon in den Jahren 1950 und 1952 und Vertriebenen am 13.9.1950 (in %) ...... 196

Tabelle 13: Berufliche Gliederung von Vertriebenen und übriger Bevölkerung 1950 (in % der Erwerbspersonen)...... 213

Tabelle 14: Vertriebene und übrige Bevölkerung nach ihrer Stellung im Beruf 1939 und 1950 (in % der Erwerbspersonen)...... 215 6. Anhang 281

Schaubild 1: Vertriebene nach Herkunftsländern 1950 (in %)...... 45

Schaubild 2: Entwicklung der Aussiedlerzuwanderung 1950-1987...... 52

Schaubild 3: Aussiedler nach Herkunftsländern 1950-1987 (in %) ...... 53

Schaubild 4: Entwicklung der Aussiedlerzuwanderung 1988-2000...... 55

Schaubild 5: Aussiedler nach Herkunftsländern 1988-2000 (in %) ...... 65

Schaubild 6: Arbeitslosenquoten in der Bundesrepublik Deutschland 1988-2000...... 157

Schaubild 7: Berufliche Gliederung der zwischen 1988 und 2000 ein- gereisten Aussiedler (in % der Erwerbspersonen)...... 171 6. Anhang 282

6.2. Abkürzungsverzeichnis

AAG Aussiedleraufnahmegesetz BdV Bund der Vertriebenen BHE Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten BRD Bundesrepublik Deutschland BvD Bund vertriebener Deutscher BVFG Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz CDU Christlich Demokratische Union CSU Christlich Soziale Union DDR Deutsche Demokratische Republik DP Deutsche Partei DP’s Displaced Persons FDP Freie Demokratische Partei GB Gesamtdeutscher Block GDP Gesamtdeutsche Partei GG Grundgesetz KfbG Kriegsfolgenbereinigungsgesetz KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa LAG Lastenausgleichsgesetz MZU Mikrozensus-Zusatzbefragung NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei SBZ Sowjetische Besatzungszone SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken USA United States of America VdL Verband der Landsmannschaften VOL Vereinigte Ostdeutsche Landsmannschaften VR Volksrepublik WAV Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung WoZuG Wohnortzuweisungsgesetz ZK Zentralkommitee ZvD Zentralverband der vertriebenen Deutschen 6. Anhang 283

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