Sitzung von Landesgruppe und Landtagsfraktion in München 19. 8. 1949 1.

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19. August 1949: Sitzung von Landesgruppe und Landtagsfraktion in München

ACSP, LTF, 1. WP. Zeit: 10.15–13.15 Uhr. Erstellt am: 24. 8. 1949. Vorsitz: Hundhammer. – Anwesend: Die Mitglieder der Landtagsfraktion außer den Abg. Ankermüller, Schmid, Stinglwagner, Trettenbach, Wittmann, Zehner; Mitglieder der Landes- gruppe.1

Behandelte Themen: – Analyse der Bundestagswahl – Auflösung des Bayerischen Landtages – Zusammensetzung der Bundesversammlung, Nominierung von Wahlmännern – Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Bundesregierung

Dr. Hundhammer eröffnet die Sitzung um 10.15 Uhr und begrüßt die neugewählten an der Sitzung teilnehmenden Bundestagsabgeordneten. Entschuldigt: Dr. Ankermüller (Ausland), Schmid Karl (Urlaub), Trettenbach (Dienstreise), Stinglwagner, Zehner, Dr. Wittmann (Verhandlungstermin). Der Fraktionsvorsitzende gibt das Gerichtsurteil gegen den Abgeordneten Höllerer wegen Beleidigung des Landtags der Fraktion be- kannt. Rückblick auf die Wahlen: Fraktionsvorsitzender: Es ist gelungen, das entscheidende Ziel, das wir bei dieser Wahl angestrebt haben, zu erreichen: Die Führung im Bund ist in den Händen der CDU/ CSU. Dieser Erfolg müßte viel mehr gewürdigt werden. Wir hoffen, daß dann diese Führung in Bonn auch klar und eindeutig sein wird. Zum Wahlergebnis in Bayern: Die CSU hat nicht nur Stimmen verloren, sondern sie hat sich teilweise auch so gut gehal- ten, daß es viele Gegner schwer enttäuscht hat. Die Konsequenz für die Zukunft: Wir hätten auch dieses Wahlergebnis nicht erreicht, wenn wir seit Straubing nicht die CSU wieder mit vielmehr Mark erfüllt hätten; auch die Organisation hat wieder gut gear- beitet.2 Zu den anderen Parteien: Die SPD hat wesentlich verloren, dagegen müssen wir beson- dere Aufmerksamkeit richten auf die Bayernpartei und die WAV. Die Bayernpartei hat ihre Möglichkeiten teils weiter ausgeschöpft, teils ihren Höhepunkt überschritten, das besonders in den Städten. Die WAV hat interessanterweise auch einen katholischen Geistlichen, den Flüchtlingspfarrer Konrad Wittmann, nach Bonn geschickt. Die WAV hat sich in einigen Plätzen an die Spitze arbeiten können. Dazu haben wesentlich zwei Umstände beigetragen, erstens das Bündnis mit Goetzendorff3 und zweitens die mas- senpsychologisch völlig verkehrte Behandlung des Falles Loritz, Militärregierung ein- geschlossen. Man kann Loritz nicht zuerst einsperren und ihn hernach in einem Urteil fast rechtfertigen. Man darf ihn auf keinen Fall zum Märtyrer machen. Wichtig ist überhaupt eine ruhige und sachliche Haltung.4 Nun zum Vorwurf, ich kämpfe nicht gegen die Bayernpartei: Ich habe durch die Reor- ganisationsarbeit in Straubing der Bayernpartei viel mehr Stimmen abgenommen als die, die bis jetzt nur gegen den Baumgartner geschimpft haben. Zur Landtagsauflösung: Schon rein taktisch wäre jetzt bestimmt kein günstiger Mo- ment. Jetzt ist vielmehr eine große Pause notwendig, innerhalb derer wir mit allem Nachdruck den Ausbau des Parteiapparates durchführen. Wir müssen zuerst wieder

1 Es ist unklar, ob alle in den gewählten CSU-Abgeordneten an der Sitzung teilnahmen. 2 In der Landesversammlung der CSU in Straubing vom 27. bis 29. Mai 1949 hatte sich bei der Wahl zum Landesvorsitzenden in einer Kampfabstimmung gegen Josef Müller durchgesetzt. Die Wahl Ehards versöhnte zunächst die verschiedenen Flügel der CSU. Vgl. SCHLEMMER, Auf- bruch, Krise und Erneuerung, S. 321–330. 3 Vgl. Einleitung, S. XXI. 4 Vgl. auch WENGST (Bearb.), Auftakt, Dok. 71, S. 403–407. Der in München gebürtige Jurist Alfred Loritz hatte im Herbst 1945 die »Wirtschaftliche Aufbau Vereinigung« (WAV) gegründet. Loritz, Mitglied des Bayerischen Landtages und von Dezember 1946 bis Juni 1947 Bayerischer Staatsmini- ster für Entnazifizierung, wurde wegen angeblicher Anstiftung zum Meineid angeklagt, im Oktober 1948 aber freigesprochen. Loritz gehörte auch dem ersten Deutschen Bundestag an. Er wurde aber wegen seiner Bestrebungen einer Fusion mit der rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei aus der WAV ausgeschlossen.

œ«ÞÀˆ} ÌÊ^ÊÓä£ÇÊ*>ÀÊ iÀˆ˜ 1 Sitzung von Landesgruppe und Landtagsfraktion in München 19. 8. 1949 1. einmal ganz fest auf die Beine kommen. Im Landtag müssen wir als Fraktion geschlos- sen und zielsicher auftreten und dürfen bei keiner Abstimmung mehr ein Bild der abso- luten Schwäche geben. Der Loritz-Bewegung wäre das Wasser abzugraben dadurch, daß jetzt bei den Prozessen endlich einmal etwas herauskommt. Der SPD gegenüber müssen wir festhalten, daß die Wähler in Bayern ihrer Front, die weltanschaulich gegen uns steht, eine klare Absage erteilt haben. Zur Auseinandersetzung in der Presse: Haußleiter hat in einem Interview sehr abfällig geurteilt über Bajuwaren, die jetzt zusammentechteln-mechteln möchten. Mit diesem Interview kam die Presse zu mir. Ich habe gesagt: in Bayern ist es ganz ausgeschlossen, daß wir jetzt mit der SPD und FDP eine Koalition eingehen. Diese Bemerkung wurde in der Presse dann nur ganz allgemein erwähnt. Haußleiter hat sich nun neuerdings ge- äußert unter dem Thema »Koalition des Partikularismus«.5 Ich lasse keinen Zweifel, daß, wenn eine Landtagsneuwahl sein wird, man an der Bayernpartei nicht vorüberge- hen kann. Vorher aber kommt eine Koalition von beiden Seiten her nicht in Frage. Es wird auch behauptet, daß Kabinettssitze angeboten worden seien. Ich weiß davon nichts. Ich erkläre aber: Die Frage einer Regierungsbildung wird erst spruchreif nach einer Landtagsneuwahl und die Frage einer Landtagsneuwahl erscheint gegenwärtig als nicht notwendig. Wir müssen uns zunächst innerlich kräftigen und stark machen für einen späteren Wahlkampf. Ich schlage nun vor, die Frage der Bundesversammlung zu behandeln. Das Problem ist, soll das Wahlergebnis von 1946 oder von 1949 zum Schlüssel für die Zusammensetzung der Bundesversammlung genommen werden. Das Kabinett ist für den neuen Schlüssel.6 Dr. Ehard: Diese Frage ist weniger eine Rechtsfrage als eine hochpolitische Frage. Dr. Laforet: Die Meinung in Bonn war, der damalige Zustand der Landtage soll ausschlag- gebend sein. Man kann aber auch den neuen Schlüssel vertreten. Ich weise auch darauf hin, daß die Wahlmänner keineswegs Parlamentarier sein müssen. Dr. Lacherbauer: Die andere Auffassung (Schlüssel 1946) könnte sehr wohl auch erwogen werden. Die Wahl soll im Zusammenwirken von Bundestag und Ländern von sich gehen. Dr. Ehard: Die Rechtsfrage kann so und anders entschieden werden, aber die politische Frage ist hier wohl am wichtigsten. Dr. Horlacher: Es darf bei dieser Gelegenheit keine Debatte entstehen, die auf Landtagsauflösung hinausgeht. Deshalb ist Großzügigkeit notwendig. Die Auflösung wäre das dümmste, was man tun könnte. Dr. Hundhammer: Wir lassen die Fraktion abstimmen. Die Fraktion stimmt einstim- mig (ohne Enthaltung) dafür, daß die Wahl von 1949 als Grundlage für den Schlüssel der Wahlmännerverteilung genommen werden soll. Zur Nominierung der CSU-Wahlmänner: Fraktionsvorsitzender: Ein Vorschlag ist, man nimmt die nicht zum Zuge gekomme- nen Kandidaten, dann wird angeregt, es möchten auch Landtagsfraktionsmitglieder da- bei sein, dann werden vorgeschlagen die Vorsitzenden der Bezirksverbände und schließlich junge Leute und Frauen. Dr. Lacherbauer: Hier müssen regionale Gesichtspunkte in erster Linie berücksichtigt werden. (Bezirksverbände). Hagn: Wir im Süden haben vielleicht einen härteren Kampf geführt, wir dürfen jetzt nicht benachteiligt werden. Haußleiter: Die Bezirksvorsitzenden sollen die einzelnen Bereiche vertreten, und dann müssen doch auch die Männer auf der Landesliste berücksichtigt werden (Oho-Rufe der Fraktion). Zu meiner eigenen Sache spreche ich später, jetzt nur eine Bemerkung über Pfarrer Wittmann von der WAV. Er hat in Neustadt/Aisch das Christentum an- gegriffen, daß die anwesenden Geistlichen gegen ihn Stellung nehmen mußten. Er schimpft auf die Christen, bezeichnet sie als Besitzbürger und spricht von unsozialen Pfaffen. Fraktionsvorsitzender: Dieser Flüchtlingspfarrer ist zweifelsohne ein Einzel- gänger besonderer Art. Abzuwarten ist, was der für die Flüchtlinge zuständige nord- deutsche Bischof unternimmt.

5 August Haußleitner hatte im Juni 1949 sein Amt als stellvertretender Landesvorsitzender der CSU niedergelegt, am 20. September 1949 trat er endgültig aus der CSU aus. Vgl. BALCAR/SCHLEMMER (Hrsg.), An der Spitze der CSU, Dok. 23, S. 195 f., und Dok. 25, S. 198 ff. 6 Am 17. August 1949 sprach sich der bayerische Ministerrat dafür aus, bei der Wahl der von Bayern in die Bundesversammlung zu entsendenden Mitglieder nicht von der gegenwärtigen Zusammenset- zung des Landtags auszugehen, sondern die Schlüsselzahlen der Bundestagswahl von 1949 zugrunde zu legen. Dies sollte mit Rücksicht auf die gewachsene Bedeutung der Bayernpartei erfolgen, die 1946 noch nicht an den Landtagswahlen teilgenommen hatte und mit nur einem von der CSU übergelau- fenen Abgeordneten im damaligen Landtag vertreten war. Der Landtag wählte am 26. August 1949 17 Vertreter der Bayernpartei in die Delegation für die Bundesversammlung. Vgl. GELBERG (Bearb.), Das Kabinett Ehard II, Dok. 76, S. 235 f.

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Gehring: Die 7 Regierungsbezirke sollen je 3 Wahlmänner erhalten, die restlichen 3 Sitze können von der Landesliste her besetzt werden. Michel: Den Niederbayern und Oberbayern muß man etwas dazu geben. Dr. Lacherbauer: Wir dürfen nicht das Mehrheitsprinzip der Wahl für die Nominierung der Bundestagsmitglieder anwenden, denn sonst wäre es praktisch so, daß die Kreise Oberbayern und Niederbayern über- haupt nicht zum Zuge kämen. Wir können nicht mit dem Mehrheitsprinzip die Leute einfach ausschalten. Ich bin der Auffassung, wir müssen eine Aufgliederung so vor- nehmen, daß sämtliche Regierungsbezirke gleichmäßig vertreten sind. Krehle: Ich meine, man solle jetzt diejenigen, die nicht zum Zuge gekommen sind, zur Bundesversammlung entsenden. Kraus: Die Kreise, die ihre Kandidaten durchgebracht haben, müssen unbedingt ihren Anteil von 3 Wahlmännern bekommen. Man hat uns früher ja auch keine Konzessionen gemacht. Fischer: Die Schwaben hätten gemeint, sieben Wahlmänner nach Bonn schicken zu können, aber wir lassen etwas mit uns re- den. Gröber: Die Wähler der CSU sind die Frauen, also müssen Frauen in die Bundes- versammlung. Dr. Laforet: Diese Sache ist wirklich keinen Streit wert. Meixner: Man muß diese Frage vom Standpunkt der Union her lösen und keine Prestigefrage daraus machen. Pfeiffer: Die Bedeutung dieser Angelegenheit ist sehr groß. Sie soll denen, die aus ver- schiedenen Gründen Unglück hatten, ja gerade ein besonderes Gewicht geben; so zei- gen Sie unseren schönen Zusammenhalt. Es würde von großer politischer Einsicht zeu- gen, wenn man offenbar macht, daß man die Schwachen nicht preisgibt, sondern sie stark macht und so einen ersten Schritt zur Wiedereroberung geht. Hauck: Die Vertei- lung muß nach dem genauen Verhältnis vorgenommen werden. Dr. Lacherbauer: Wir tun genauso, als ob wir Gegner wären. Es wäre ein hervorragender politischer Schach- zug, wenn man bei der Verteilung von der doppelten Anzahl (48) ausginge und die zum Zuge gekommenen Abgeordneten abzöge. Fraktionsvorsitzender: Es liegt also eine Reihe von Anträgen vor. Im Kern sind es zwei Vorschläge, erstens Verteilung der Wahlmänner nach dem genauen Proporz (Antrag Hauck), zweitens Verteilung nach Regierungsbezirken je 3 und 3 Mann Ergänzung. Die Fraktion stimmt ab: Die große Mehrheit entscheidet sich für den Antrag Hauck. Die Sitze werden somit wie folgt verteilt: Oberbayern 5, Niederbayern 3, Oberpfalz 3, Oberfranken 2, Mittelfranken 3, Unterfranken 4, Schwaben 4. Die Namen der Persön- lichkeiten sollen bezirksverbandsweise zur nächsten Fraktionssitzung der Fraktion be- kanntgegeben werden. Dr. Seidel: Abschließend noch eine Bitte: Benutzen Sie die einmalige Chance, junge Menschen in die Bundesversammlung nach Bonn zu schicken. Dr. Ehard: Zur Frage der Koalitionsbildung in Bonn: Der Wahlkampf in Bayern wur- de mit völlig falscher Sicht geführt. Wir haben eine starke Position auf der Bundesebe- ne gehabt, ob wir sie weiter haben werden hängt davon ab, was wir in Bonn machen, nicht etwa von dem, was wir hier in Bayern machen. Eine Landtagsauflösung hier ist unmöglich und ein vollendeter Unsinn. Sollen doch die anderen zeigen, was sie in Bonn können. Wir dürfen auf keinen Fall mehr in die Situation von Weimar zurückfallen. Hauck: Besonders bedauerlich ist die Stärkung von Loritz. Im übrigen ist der Wahl- kampf von uns gegen eine Partei geführt worden, die nicht mehr weiter zu zersplittern ist. Wir hätten aber kämpfen müssen gegen die Parteien, die uns das Gros der Stimmen abgenommen haben. Man hat den Kampf auf einer falschen Ebene geführt. Dr. Strathmann: Für mich erscheint das Ergebnis der Bundestagswahl geradezu er- schütternd, und zwar darum, weil wir im Blick auf die Zukunft genau vor denselben Schwierigkeiten stehen, an denen die Weimarer Republik gescheitert ist. Eine Koalition zwischen CDU/CSU und SPD erscheint mir heute völlig unmöglich. Dies würde nichts anderes bedeuten, als daß wir die Wirtschaftspolitik Dr. Erhards aufgäben. Zur Koalition CDU/FDP: Durch eine solche anti-sozialistische Koalition würden wir einer Radikalisierung der SPD das Wort reden. Zudem sind die Freien Demokraten für uns kulturpolitisch überhaupt unmöglich. Andererseits bräuchten wir absolut eine stabile Mehrheit, sonst wählen wir schon übers Jahr den Bundestag neu. Eine Lösung weiß ich nicht, aber ich weise auf den furchtbaren Ernst der Situation hin. Kaifer: Richtig wäre CDU/CSU, DP, BP und Zentrum zur Koalition zusammenzuschließen. Fischer: Ein Zusammengehen mit der SPD wäre in Schwaben äußerst unerwünscht. Dr. Müller: Koalitionen müssen immer im Hinblick auf die Zukunftspolitik gebildet werden. Ich habe Erfahrungen von Frankfurt. Festlegen kann man hier im Augenblick noch nichts. Mein Standpunkt: Wir können der SPD nicht die ganze deutsche Wirt- schaft überlassen, schon nicht im Hinblick auf die Kreditfrage. Dazu kommt, daß in

œ«ÞÀˆ} ÌÊ^ÊÓä£ÇÊ*>ÀÊ iÀˆ˜ 3 Sitzung von Landesgruppe und Landtagsfraktion in München 19. 8. 1949 1. den Wahlen klar für Erhard die Entscheidung gefallen ist. Man muß daraus die Konse- quenzen ziehen und darf diese Wirtschaftspolitik nicht abrupt abbrechen. Wenn das die SPD einsehen würde, könnte man mit ihr verhandeln; es müßte eben die sozial verpflichtete Marktwirtschaft durchgehalten werden. Andererseits müssen sie beden- ken: Einmal wird man uns Rechnungen vorlegen und wenn wir dann allein die Verant- wortung tragen, dann kann die SPD für sich die ganzen Nationalpropaganda-Wellen auslösen. Zur Frage einer christlichen Koalition sage ich, daß man eine Partei wie die Bayernpartei wirklich nicht so ohne weiteres hineinnehmen kann. Im übrigen haben wir allein die Entscheidung nicht in der Hand, denn wenn sich die Freien Demokraten für eine große Koalition entscheiden, was können wir dann machen? In diesen Jahren wird die Außenpolitik eine große Rolle spielen, wenn Deutschland in den vollen Kon- takt mit dem Ausland treten wird; Sie können dann nicht mit einigen wenigen Stimmen Mehrheit Politik machen. Sie müssen bis zum Letzten prüfen, ob nicht eine Bereit- schaft zum Zusammengehen der großen Parteien besteht. Michel: Die SPD wird immer eigene Wege gehen, ganz besonders auch im Bezug auf die Ostpolitik, und vom Osten her wird ein furchtbares Dumping versucht. Dr. Lafo- ret: Die Entscheidung wird werden sozial und sozialverpflichtete Marktwirtschaft. Zu- verlässig in Bonn war bisher immer die Fraktion der Deutschen Partei, das Zentrum dagegen war in Wirtschaftsfragen absolut unzuverlässig. Haußleiter: Wir können heute keine Generallinie als bindenden Befehl mitgeben. Wichtig ist aber, daß wir jetzt in der öffentlichen Diskussion nicht zu sehr die Frage einer Zusammenarbeit mit der Bayernpartei in den Vordergrund stellen. Die Erklärung Hundhammers, Ehard sei in Straubing auch deshalb gewählt worden, weil das die Koalition mit der Bayernpartei erleichtere, hat sehr gegen uns gewirkt. Beide Gruppen werden gemeinsam einmal auf 33 % der Wählerstimmen herabgesunken sein. Im übri- gen habe ich in der Abendzeitung nie von »Bajuwaren« oder so etwas Ähnlichem ge- sprochen. Zu Bonn: Die Politik Erhard war gleich am Anfang nach der Währungsre- form richtig. Jetzt kommen jedoch Schwierigkeiten, besonders die Arbeitslosigkeit. Man muß daher weiter denken. Ich wundere mich, daß man hier jetzt so gegen die SPD Stellung nimmt. Hier ist eine eigenartige Wendung gegenüber 1946 eingetreten. Ich kann nur sagen, welch ein Wunder durch Gottes Fügung und welch zunehmende Ein- sicht. Auf der anderen Seite ist festgehalten, daß man eine liberale Wirtschaftspolitik nicht von vornherein mit dem Wort christlich decken kann. Hundhammer soll die Parallele [zwischen] Loritz und dem frühen7 Hitler nicht zu leicht nehmen.8 (Zwischenruf Dr. Hundhammer: Hoffentlich kommen nicht noch weitere Figuren dieser Art auf.) Loritz ist groß geworden dadurch, daß man diesen Lügner feierlich zum Minister gemacht hat. Diese WAV kommt in Bonn für eine Ko- alition aber nicht in Frage. Ob sie mit der SPD oder mit der FDP zusammengehen ist gleichgültig, nur warne ich Sie, sich auf den Kurs Erhard in einem Augenblick zu ver- steifen, wo er dringend der Revision bedarf. Fraktionsvorsitzender: Der Loritz war noch nie so klein gemacht worden als am Ende seiner Ministerlaufbahn. Donsberger: Jetzt gilt es in Bonn eine 2. Machtposition zu erringen, nämlich die Macht in der Verwaltung. Zur Neubildung der Bundesregierung muß auf jeden Fall mit der FDP allein gegangen werden. Wenn die Bundesverwaltung dann steht, unsere Leute also drinnen sind, dann kann man die Politik ändern und die Koalition erweitern. Be- sonders wichtig ist die Frage, sollen wir nicht von Bayern aus unsere Ansprüche be- sonders geltend machen. Richtig wäre Adenauer als Präsident und ein Bayer als Bun- deskanzler. Karpf: Die Frage ist für uns unabdingbar, daß die Wirtschaftsführung in unserer Hand ist. Was Donsberger bezüglich der Personalpolitik sagt, unterstreiche ich vollkommen. Wenn ich an die Politik in Frankfurt denke, dann erscheint mir eine Zersplitterung der Zentrumspartei bei guter Politik möglich. Was Loritz betrifft möchte ich sagen, daß ich nicht glaube, daß er die Leute auf die Dauer zusammenhalten kann in Bonn. Mit Be- sorgnis sehe ich die Frage: Wer wird Arbeitsminister? Schöner: Die große Koalition kann nicht in Frage kommen, da wir erstens die Wahl- propaganda sehr gegen die SPD geführt haben und zweitens die SPD nicht auf unsere wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen eingehen wird. Bei einer Koalition mit der SPD besteht aber auch die große Gefahr, daß sich die Masse dann radikalisieren würde.

7 Vom Bearbeiter korrigiert aus »früheren«. 8 Zu diesem zeitgenössischen Vergleich vgl. Peter Jakob KOCK, Alfred Loritz – Mischung aus Karl Valentin und , in: Maximilianeum. Aus dem Bayerischen Landtag, 1999, S. 27 ff.

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Strauß: Ich halte es für unbedingt erforderlich, daß das was in Bonn gemacht wird, von unseren Landtagsabgeordneten auch vertreten und gebilligt wird. Unsere Stellung ist in Bonn entscheidend geschwächt worden. Ob große oder kleine Koalition, darüber kön- nen wir heute noch nicht endgültig entscheiden. Eine Frage muß heute berührt werden: Wird die CSU dann, wenn die CDU mit der SPD Koalition macht, auf jeden Fall mit der CDU zusammenbleiben?9 Wenn nämlich die CDU mit den Sozialdemokraten zu- sammen sich in den nächsten Jahren verbrauchen, wer hat dann, so frage ich, den Pro- fit: Die Opposition aus KPD, Loritz-Partei, Deutscher Partei und Bayern-Partei! Aus einer Koalition mit der SPD wird im übrigen die Bayernpartei auch einen großen Pro- pagandawirbel entfachen. Mit der Bayernpartei selbst zusammenzugehen hat dagegen auch keinen Wert, denn diese betreibt lediglich eine Politik der politischen Erpressung. Zur Besetzung des Bundeskanzleramtes durch einen Bayern: Auf keinen Fall dürfen wir unseren Ministerpräsidenten Dr. Ehard verlieren. Diesen Fels können wir uns aus Bayern nicht fortnehmen lassen. Weinzierl, Alois: In der Not haben sich immer alle großen Parteien zusammenge- schlossen. Dr. Horlacher: Der Presse darf niemand eine Auskunft erteilen. In Bonn dürfen wir von uns aus keine Sonderstellung einnehmen. Im übrigen will ich einer Ent- scheidung nicht vorgreifen. Wenn wir etwas vertreten in Bonn, dann müssen wir es gemeinsam vertreten und keiner darf aus der Reihe tanzen. Das ist unsere Aufgabe. Der Fraktionsvorsitzende schließt die Sitzung um 13.15 Uhr. Nachmittags ist keine Fraktionssitzung, da die Regierungsmitglieder nach Ellwangen fahren.10

9 Wenige Tage später berichtete den Spitzen der CDU, Franz Josef Strauß habe ihm mitgeteilt, »daß aus inneren Gründen in Bayern heraus die CSU-Abgeordneten, wenn wir eine Ko- alition mit der SPD abschlössen, nicht einer gemeinsamen Fraktion beitreten würden«. Vgl. Sitzung der Landesvorsitzenden, Ministerpräsidenten, Minister, Landtagspräsidenten der CDU/CSU in Bonn, 31. August 1949, abgedruckt in: UNIONSPARTEIEN 1946–1950, Dok. 28, S. 638–686, Zitat S. 645. 10 Im bayerisch-württembergischen Grenzort Ellwangen wurde am 19./20. August 1949 eine Konfe- renz süddeutscher Vertreter der CDU und der CSU abgehalten, deren Ziel es war den föderativen Gedanke n innerhalb der Union zu stärken. Vgl. Aufzeichnung von Ministerialrat Karl Schwend über die Sitzung des Ellwanger Freundeskreises der CDU/CSU; abgedruckt in: WENGST (Bearb.), Auf- takt, Dok. 16, S. 24–30.

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