ISSN 0940-3256 Oktober 2009

Inhalt – Contents

Originalarbeiten – Original articles Zehetmair, T.: Vergleichende Untersuchung von Revieren des Mittelspechts Dendrocopos medius im ORNITHOLOGISCHER „Nördlichen Feilenforst“ - Comparative investigation of territories of the middle spotted woodpecker Dendrocopos medius in the forest area “Nördlicher Feilenforst”...... 97 Weber, M., H. Utschick & W. Heitland: Einfluss eines Fichtenwaldrands auf den Bruterfolg von höh- lenbrütenden Kleinvögeln - Influence of forest margins on the reproductive success of small hole- nesting birds ...... 111 Pfeifer, R., J. Müller, J. Stadler & R. Brandl: Welchen Einfluss haben urbane Lebensräume auf die Artenvielfalt? Eine quantitative Analyse am Beispiel der Vogelwelt Bayerns - The importance of Anzeiger urban habitats for biodiversity. A quantitative study on the birds of ...... Anzeiger 126 Valdés-Velásquez, A. & K.-L. Schuchmann: A new species of hummingbird (Thalurania; Trochilidae, Trochilinae) from the western Colombian Andes - Eine neue Kolibriart (Thalurania; Trochilidae, Trochilinae) aus den westkolumbianischen Anden ...... 143 Tietze, D. Th. & U. Klodwig: Tannenmeisen Parus ater ziehen Waldbaumläufer Certhia familiaris mit auf - Coal Tit Parus ater rears a Eurasian Treecreeper Certhia familiaris ...... 150

Kurze Mitteilungen Hölzinger, J.: Die Pechquellen auf Zakynthos (Griechenland) als Todesfallen für Vögel - The pitch springs on Zakynthos (Greece) as death traps for birds ...... 155 Pfeifer, R.: Neuansiedlungen des Weißsternigen Blaukehlchens Luscinia svecica cyanecula im unteren

Rotmaintal, Oberfranken - New establishment of the White-spotted Bluethroat Luscinia svecica ORNITHOLOGISCHER ANZEIGER, Band 48 Heft 2 cyanecula in the valley of the Roter Main, Upper Franconia´...... 159 Leibl, F.: Bruten des Purpurreihers Ardea purpurea in Bayern in den Jahren 2007 und 2008 - Breeding of the Purple Heron Ardea purpurea in Bavaria in 2007 and 2008 ...... 164

OG persönlich Günter Nitsche zum 80. Geburtstag ...... 168 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland 2009 an Manfred Siering ...... 171 Schriftenschau ...... 172

Band Heft 2

Ornithologische Gesellschaft in Bayern e. V. 48. ORNITHOLOGISCHE GESELLSCHAFT IN BAYERN e.V. (gegr. 1897) Ornithologischer Anzeiger Manuskript-Richtlinien – Instructions for authors

Redaktion Der Ornithologische Anzeiger veröffentlicht Beiträge aus dem Gesamtbereich der Ornithologie. Bevorzugt Schriftleiter: Robert Pfeifer, Dilchertstr. 8, D-95444 Bayreuth, werden faunistische Langzeituntersuchungen, Arbeiten zu Ökologie, Brutbiologie, Morphologie, Biogeo- Tel. +49-(0)921/515278, E-Mail: [email protected] graphie, Systematik und Verhalten von Vögeln, außerdem Grundlagenarbeiten für den Naturschutz. Grafik: Dietmar E. Seiler, München Neben Originalarbeiten sind auch Übersichtsarbeiten (reviews) sehr erwünscht. Originalarbeiten Englische Bearbeitung: Jonathan Guest, Kronach sollten unveröffentlichte Ergebnisse eigener Untersuchungen enthalten, Übersichtsarbeiten ein Thema unter umfassender Literaturauswertung kritisch referieren. The Journal is covered by BioSciences Information Service of Biological Abstracts Außerdem besteht die Möglichkeit zur Veröffentlichung von Kurzen Mitteilungen. Sie dienen der raschen Information über neue Erkenntnisse von überregionaler Bedeutung. Faunistische Einzelbeob- ISSN 0940-3256 achtungen sind hierfür in der Regel nicht geeignet. Möglich ist auch der Abdruck von sachlichen Diskussionsbeiträgen über vorangegangene Arbeiten Copyright © 2009 by Ornithologische Gesellschaft in Bayern e.V., München im Ornithol. Anz. Die Entscheidung über ihre Veröffentlichung liegt allein beim Schriftleiter. Diskussionsbeiträge werden immer dem Autor zur Stellungnahme vorgelegt. Diskussionsbeitrag und Printed in Germany – Alle Rechte vorbehalten – All rights reserved Stellungnahme erscheinen gleichzeitig. No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying or otherwise, without the prior permission of the copyright owner. Manuskripte sind in deutscher oder englischer Sprache abzufassen. Als Richtschnur für die Textgestaltung dienen die ab Bd. 45 erschienenen Arbeiten. Englische Arbeiten erhalten eine ausführliche deutsche Zusammenfassung am Anfang der Arbeit; deutschsprachige an dieser Stelle ein englisches Summary. Diese Ornithologische Gesellschaft in Bayern e.V. (gegr. 1897) Zusammenfassungen sind so abzufassen, dass auch ein jeweils anderssprachiger Leser den Kern der Arbeit erfassen kann. Im Anschluss an das Summary sind maximal 5 aussagekräftige Key words anzufügen. Zoologische Staatssammlung, Münchhausenstr. 21, D-81247 München Auf bekannte Methodik ist lediglich zu verweisen. Neue Methodik ist so genau zu beschreiben, E-Mail: [email protected] – Internet: www.og-bayern.de dass auch andere sie anwenden und beurteilen können. Von Protokollen können grundsätzlich nur einzel- VR Bank Nürnberg, Kto.-Nr. 2905060 (BLZ 760 606 18) ne als Beispiel angeführt werden. Alle Aussagen sind zu belegen und – wenn möglich und sinnvoll – statistisch zu prüfen. 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Printed in Germany Ellwanger Bayreuth ORNITHOLOGISCHER ANZEIGER

Zeitschrift bayerischer und baden-württembergischer Ornithologen

Band 48 – Heft 2 Oktober 2009

Ornithol. Anz., 48: 97–110

Vergleichende Untersuchung von Revieren des Mittelspechts Dendrocopos medius im „Nördlichen Feilenforst“

Tobias Zehetmair

Comparative investigation of territories of the middle spotted woodpecker Dendrocopos medius in the forest area “Nördlicher Feilenforst”

In spring 2007, forest inventory parameters were investigated in territories of the middle spotted woodpecker Dendrocopos medius in the northern part of the forest area “Feilenforst” near Ingolstadt, Bavaria. For the evaluation the breeding territories – which were mapped each year from 2001 to 2005 – were divided into the categories „permanently occupied “ (KAT 3) and „irregularly occu- pied“ (KAT 2). In addition „control areas“ (KAT 1) were examined, in which breeding of middle spotted woodpecker was never recorded. Altogether, 168 randomly selected sample plots of each 1000 m2 were examined, spread over the 24 territories and the control areas. Data were analyzed with different statistic methods for strength of influence on middle spotted woodpecker frequency. The results show that the occurrence of the middle spotted woodpecker depends not only on the presence of oaks Quercus robur but significantly on the quantity of hardwood surface area, especial- ly of rough-barked deciduous tree species. Tree species composition played only a subordinate role. Moreover, the positive influence of lime trees Tilia spec. was shown, a tree generally considered to be less important for the middle spotted woodpecker. Finally a list of proposals for forestry man- agement of mixed-deciduous woodlands was developed to improve the habitat quality of potential middle spotted woodpecker territories. Many other threatened species with similar habitat require- ments might also profit. Key words: Middle spotted woodpecker, habitat parameter, minimum adequate model, threshold value

Tobias Zehetmair, Parkstraße 25, D-85356 Freising E-Mail: [email protected]

Einleitung schen Brutpaare (Bauer et al. 2005) stellt Deutschland hierbei einen Verbreitungsschwer- Das weltweite Brutareal des Mittelspechts punkt dar. Daraus leitet sich die Verpflichtung Dendrocopos medius beschränkt sich außer einem ab, den Mittelspecht als eine prioritäre Art des Vorkommen im Iran (Cramp 1985) ausschließ- Anhangs I der Europäischen Vogelschutzricht- lich auf die westpaläarktische Laubwaldzone. linie (EU-VSRL) in seinem Lebensraum zu Mit einem Anteil von ca. 35 % der mitteleuropäi- schützen. Viele Autoren beschreiben die enge 98 Ornithol. Anz., 48, 2009

Bindung dieser Art an Eichenwälder (Glutz & die als Richtgrößen für eine angepasste forstli- Bauer 1980, Blume & Tiefenbach 1997, che Bewirtschaftung dienen können. Dazu wur- Bachmann & Pasinelli 2002). Es konnten aber den folgende Nullhypothesen entwickelt: auch andere Laubwaldgesellschaften als geeig- Hypothesen. H1: In einem artenreichen Laub- nete Lebensraumtypen nachgewiesen werden, mischwald ist die Eiche die entscheidende sofern die entscheidenden Bestandesstrukturen Baumart für den Mittelspecht. H2: Es gibt neben mit bestimmten Ausprägungen vorhanden sind den Baumarten keine weiteren, relevanten Para- (Hertel 2003, Weiß 2003). Für die derzeit laufen- meter für Mittelspechtreviere. H3: Es gibt keine de Kartierung des Mittelspechts in allen bayeri- Mindestwerte (Schwellenwerte) von Bestandes- schen SPA-Gebieten durch die Bayerische strukturquantitäten, mit denen sich die Besat- Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft zungskonstanz von Mittelspechtrevieren erklä- (LWF) werden bereits Habitatmodelle verwen- ren lässt. det, in denen neben Eichen-, auch Buchen-, Er- len- und Edellaubbestände mit berücksichtigt Untersuchungsgebiet werden (Lauterbach, pers. Mitt. 2007), sofern diese ein bestimmtes Alter oder bestimmte Der „Nördliche Feilenforst“ liegt ca. 10 Kilo- Kronenraumanteile aufweisen. meter südöstlich von Ingolstadt auf etwa 360 m Ziel dieser Arbeit war es nun, quantitative Meereshöhe (Koordinaten: Länge 11°35’37’’ Aussagen zu einzelnen Bestandesparametern in Breite 48°43’2’’’). Das 581,9 ha große Waldstück baumartenreichen Beständen zu treffen, um zwischen Ernsgaden im Norden und Aussagen hinsichtlich der Einnischung des Mit- im Süden ist Teil des eigentlichen Feilenforsts, telspechts in bewirtschafteten Wäldern treffen der mit 2400 ha das größte zusammenhängende zu können. Hierfür wurde im Rahmen einer Waldgebiet im Landkreises dar- Diplomarbeit der „Nördliche Feilenforst“ im stellt. Der Staatswald wird vom Forstbetrieb Landkreis Pfaffenhofen bezüglich Waldstruk- Freising der Bayerischen Staatsforsten (BaySF) turen in den dort vorhandenen Mittelspechtre- verwaltet (Forstdienststelle Ernsgaden). Natur- vieren untersucht. Gerade mit Hinblick auf die räumlich gehört es zum Donaumoos (Unter- Gefährdungssituation des Mittelspechts durch nummer 063-D – Donautrassen). Änderung der forstlichen Bewirtschaftung, Mit einer Jahresmitteltemperatur von 8,1° C Zersplitterung der Populationen und des und Niederschlagsmengen von 701 mm pro Klimawandels ist es nötig, Beziehungen zwi- Jahr (Bundesanstalt für Landwirtschaft und Er- schen Mittelspechtvorkommen und den gege- nährung [BLE] 2007) gehört das Gebiet zur benen Bestandesstrukturen aufzudecken. Da- warm-gemäßigten Klimazone mit subkontinen- durch können gezielte Erhaltungsmaßnahmen taler Klimatönung (BayFORKLIM 1996). Die und Managementpläne formuliert werden, bei Anzahl der Tage mit Temperaturen von mindes- denen der Mittelspecht als Leitart für Arten- tens 5° C (= Vegetationsperiode) beträgt ca. 230. gruppen mit ähnlichen Habitatansprüchen die- Aufgrund der kleinräumigen und oft wech- nen kann. Im Feilenforst bestand durch die flä- selnden Bodenverhältnisse mit teilweise oberflä- chendeckende Revierkartierung von 2001 – 2005 chennah anstehendem Grundwasser zeichnet sich die Möglichkeit, die Bedeutung der vorhande- das Gebiet des „Nördlichen Feilenforsts“ durch nen Bestandesstrukturen für die Besetzungs- eine abwechslungsreiche Baumartenzusammen- konstanz von Mittelspechtrevieren zu prüfen setzung aus. Neben den Hauptbaumarten und signifikante Einflüsse einzelner Parameter Stieleiche Quercus robur und Schwarzerle Alnus zu bestimmen. Die Revierzahlen nahmen in die- glutinosa mit den beigemischten Nebenbaumar- sen fünf Jahren von 16 auf acht ab. Diese ten Esche Fraxinus excelsior, Hainbuche Carpinus Abnahme gab den Anstoß für diese Arbeit. betulus, Linde Tilia spec. und Bergahorn Acer Die Hauptziele dieser Arbeit waren es, die pseudoplatanus gibt es auch Teilbereiche mit ho- mittelspechtspezifische Bedeutung der Eiche in hen Nadelbaum-Anteilen (Picea abies, Pinus syl- Beziehung zu anderen Baumarten zu analysie- vestris). Der im Untersuchungsgebiet noch in ren, zu klären, ob es neben der Baumartenzu- größeren Beständen anzutreffende Sternmieren- sammensetzung noch weitere, für den Mittel- Eichen-Hainbuchenwald (Stellario holostea-Car- specht entscheidende Bestandesparameter gibt, pinetum) wurde früher aufgrund der Stock- und Schwellenwerte der Parameter zu finden, ausschlagfähigkeit der gesellschaftsprägenden T. Zehetmair: Vergleichende Untersuchung von Revieren des Mittelspechts Dendrocopos medius im „Nördlichen Feilenforst“ 99

Baumarten sehr häufig im Nieder- und Mittel- halten (vgl. Just 2005). Der Entscheidung, wel- waldbetrieb bewirtschaftet (Walentowski et al. che Variablen aufgenommen werden sollten, 2004). Rund 11 % der Bestände zählen zu den ging eine Literaturrecherche zur Ökologie des alten Wäldern (> 120 Jahre). Etwa ein Viertel ist Mittelspechts voraus, um statistische „Schein- jung oder nachwachsend, ein weiteres Viertel korrelationen“ zwischen dem Vorkommen der befindet sich in der optimalen Zuwachsphase. Art und den erhobenen Faktoren zu vermeiden Der Rest (ca. 1/3) kann als reifender, mittelalter (vgl. Mühlenberg 1993). Wald angesehen werden. Im Fall des Mittelspechts sind das vor allem Parameter, die die Bestandesstruktur der Probe- flächen beschreiben, um damit Rückschlüsse Material und Methoden auf konkrete Ansprüche ziehen zu können. Aus den bisherigen Untersuchungen zum Mittel- Statistische Habitatmodelle und Auswahl der specht hinsichtlich seiner Habitatansprüche Parameter. Diese in den letzten Jahren immer wurden folgende Parameter für die Aufnahme wichtiger gewordenen statistischen Modelle zur im Gelände ausgewählt: räumlichen Verteilung von Arten und Artenge- Baumartenzusammensetzung; BHD-Verteilung meinschaften tragen einen wichtigen Teil zur (Brusthöhendurchmesser in 1,3 m Baumhöhe); modernen naturschutzbiologischen Forschung Bestandesstruktur; Totholz. bei (Schröder & Reineking 2004). Sie beschrei- ben die statistische Beziehung zwischen dem Stichprobendesign. Bei der Festlegung des Vorkommen von Organismen und ihrem Stichprobenumfangs wurde vor allem darauf Lebensraum, der durch abiotische und biotische geachtet, dass die Anzahl der Probepunkte groß Umweltparameter charakterisiert ist (Kleyer et genug ist, um die jeweilige Waldstruktur ausrei- al. 1999/2000). Mithilfe dieser meist in Gelände- chend zu repräsentieren und die statistische untersuchungen erhobenen Umweltparameter Auswertung abzusichern. können Aussagen über Vorkommen bzw. Grundlage für die Verteilung der Stichpro- Nichtvorkommen der untersuchten Art(en) und ben im „Nördlichen Feilenforst“ war die flä- damit Prognosen zur räumlichen Verteilung chendeckende Kartierung der Mittelspecht-Re- getroffen werden. Oder man analysiert einzelne viere im Zeitraum von 2001 bis 2005 durch Wil- Habitatparameter, durch die man Habitatpräfe- fried Langer. Insgesamt konnten hierdurch 16 renzen und Schlüsselparameter ableiten kann, „Papierreviere“ (vgl. Südbeck et al. 2005) des was zu einem besseren Verständnis der jeweili- Mittelspechts als Polygone über das Gebiet des gen Art-Umwelt-Beziehung führt (vgl. Just „Nördlichen Feilenforsts“ gelegt werden. Diese 2005, Schröder 2002). Die ermittelten Schlüssel- Papierreviere waren über den Kartierungs- parameter können dazu dienen, Optimalhabi- zeitraum von fünf Jahren nicht gleichmäßig und tate zu beschreiben, die bei der Entwicklung dauerhaft besetzt, womit die Möglichkeit einer von Schutzmaßnahmen oder Monitoring-Kon- Einteilung in zwei Klassen gegeben war, die zepten verwendet werden können. Für eine sich hinsichtlich ihrer Nutzungshäufigkeit gute Prognosegüte der Modelle sind besonders durch den Mittelspecht unterschieden. Insge- Ziel- und Leitarten mit spezifischen Habitatan- samt konnten jeweils acht Papierreviere den sprüchen geeignet, die hohe ökologische zwei Klassen zugeordnet werden, was eine gute Ansprüche an bestimmte Lebensraumtypen Grundlage für die statistische Auswertung dar- stellen (was z. B. auch beim Mittelspecht der stellte. Die Klasse der über den Kartierungs- Fall ist) und damit wichtige Orientierungshilfen zeitraum dauerhaft besetzten Reviere stellt die für den Naturschutz liefern. Revierkategorie 3 (KAT 3) dar, die unregelmä- Grundsätzlich geht man bei der Auswahl ßig besetzten Reviere die Revierkategorie 2 der zu erhebenden Habitatparameter davon (KAT 2). Zusätzlich wurden acht mittelspecht- aus, dass sie den Lebensraum der zu untersu- freie „Referenzflächen“ (KAT 1), die mit jeweils chenden Art ausreichend gut charakterisieren einer Größe von 6,3 ha dem Mittelwert der 16 und wichtig für die Art hinsichtlich der Ausgangsreviere entsprachen, im Zufallsprin- Habitatwahl sind (Schröder 2002). Das heißt, zip über den Rest des Untersuchungsgebiets entscheidende Faktoren für die Habitateignung verteilt, um eine zusätzliche Komponente für sind bei der Auswahl zumindest indirekt ent- die statistische Auswertung zu erhalten (Abb. 1). 100 Ornithol. Anz., 48, 2009

Abb. 1. Lage der drei Revierka- tegorien im „Nördlichen Feilenforst“. – Location of the three territory catego- ries in the northern Feilen- forst.

Anschließend wurde ein flächendeckendes welche die Mittelpunkte der Inventurkreise Punktenetz (Gauss-Krüger-Koordinatensystem, darstellten. Für die Aufnahme wurde ein Ra- Abstand: 75 m) über das Untersuchungsgebiet dius von 17,84 m gewählt, was einer Kreisfläche gelegt und mit den insgesamt 24 Revieren ver- von 1000 m2 entspricht (Aufnahmefläche pro schnitten. Aus den so erzeugten Punkten wur- Revier: 0,7 ha, gesamt: 16,8 ha). den im Zufallsprinzip jeweils sieben Inventur- In jedem Probekreis wurden die Bäume mit punkte pro Revier ausgewählt, was zusammen Art und BHD aufgenommen. Aufgrund der von einen Stichprobenumfang von 56 Aufnahme- Weiß (2003) beschriebenen Methodik seiner punkten pro Revierkategorie (total: 168) im durchgeführten Revierkartierung, in der sehr „Nördlichen Feilenforst“ ergab. junge Bestände mit einem BHD < 20 cm nur stichprobenartig kartiert wurden, weil dort Datenaufnahme. Nach der Festlegung der Auf- keine Mittelspechte zu erwarten waren, wurden nahmepunkte in den GIS-Karten wurden die für die vorliegende Arbeit nur die Bäume aufge- einzelnen Gauss-Krüger-Koordinaten (Rechts- nommen, die mindestens einen BHD von 20 cm und Hochwerte) der Punkte über eine Schnitt- aufwiesen. Die Überlegung war, dass der Mit- stelle auf ein GPS-Gerät übertragen. Damit war telspecht sehr junge Bäume selten zur Nah- es möglich, die Punkte im Gelände zu ermitteln, rungssuche nutzt, und diese damit bei der Be- T. Zehetmair: Vergleichende Untersuchung von Revieren des Mittelspechts Dendrocopos medius im „Nördlichen Feilenforst“ 101 urteilung der Habitatqualität nur eine geringe kommenshäufigkeiten (besetzte Reviere pro Rolle spielen würden. Jahr) in Bezug zu den Habitatparametern des Für eine möglichst aussagekräftige Be- jeweiligen Reviers zu setzen. Jedem der acht schreibung der Bestandesstruktur wurden fol- „Reviere“ der drei Revierkategorien (KAT 1 – 3) gende Parameter vom Mittelpunkt jedes Inven- wurde der Abundanzwert (Dm) der besetzten turkreises aus aufgenommen: Jahre durch den Mittelspecht zugeordnet. Da es • Mittelhöhe des Hauptbestandes in m; sich bei den Revieren der KAT 1 um Vergleichs- • Überschirmungsgrad des Hauptbestandes flächen ohne Mittelspechtvorkommen 2001– in %; 2005 handelt, wurde ihnen ein Dm-Wert von 0 • Summe der Baumquerschnittsflächen in 1,3 m zugeordnet, im Gegenzug den acht Revieren Höhe, bezogen auf einen Hektar, als ein Maß der KAT 3 einen Dm-Wert von 5, da sie alle fünf für die Verfügbarkeit von Bäumen zur Nah- Jahre hintereinander regelmäßig besetzt waren. rungssuche (Grundfläche); Bei den KAT 2-Revieren wurde mithilfe der • Höhenstruktur des Bestandes (Schichtig- Papierreviere ermittelt, wie oft das jeweilige keit) – ein Maß für die Heterogenität des Revier von 2001 bis 2005 besetzt war, woraus Bestandes. sich die Dm-Werte ermitteln ließen. • Totholz (stehend) Mit den 15 nach der Variablenauswahl übrig gebliebenen Parametern (Tab. 1) wurden nun Statistische Methoden. Insgesamt wurden in mithilfe der Multiplen lineare Regression ver- den 168 Probekreisen 4 281 Bäume und die Be- schiedene Modelle gebildet, die den Zusam- standesparametern, Mittelhöhe, Überschir- menhang zwischen dem Vorkommen (Dm- mungsgrad, Grundfläche und Schichtigkeit auf- Wert, s.o.) des Mittelspechts und den Habitat- genommen. Für die weitere Analyse wurden parametern beschreiben. Hierbei wurde das die daraus ursprünglich berechneten 47 Para- Verfahren der „Forward Selection“ verwendet meter mittels parameterfreier Korrelationsana- (vgl. Brannath 2006/2007), bei dem, beginnend lyse (Spearman) und anschließendem univaria- mit dem „Null-Modell“, schrittweise Prädiktor- ten Signifikanztest auf 15 reduziert (Tab. 1). variablen in das Regressionsmodell eingefügt Aufgrund der Mittelspecht-Revierkartie- wurden. Wenn die zugefügte Variable bei einer rung über den Zeitraum von fünf Jahren (2001 – Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % (p-Wert) 2005) war es möglich, die so ermittelten Vor- einen zusätzlichen signifikanten Varianzanteil

Tab. 1. Liste der nach der Variablenselektion übrig gebliebenen Habitatparameter – list of remaining habitat-para- meters after selection.

Habitatparameter Erläuterung Grundfläche Laubholz m2 pro ha GFLH (= Summe der Grundflächen aller aufgenommen Laubhölzer) Grundfläche grobborkiges Laubholz m2 pro ha GFLHgr (= Summe GF Eiche + GF Esche + GF Flatterulme + GF Schwarzerle) Grundfläche glattrindiges Laubholz (Berga….) m2 pro ha GFLHgl (= Summe GF Bergahorn + GF Birke + GF Buche + GF Hainbuche + GF Linde) GFNH Grundfläche Nadelholz m2 pro ha TGFLH Grundfläche Laubtotholz m2 pro ha Schi Bestandes-Schichtigkeit (Mittelwert pro Revier) GFBAh Grundfläche Bergahorn m2 pro ha GFBu Grundfläche Buche m2 pro ha GFEi Grundfläche Eiche m2 pro ha GFEs Grundfläche Esche m2 pro ha GFFi Grundfläche Fichte m2 pro ha GFFlU Grundfläche Flatterulme m2 pro ha GFKie Grundfläche Kiefer m2 pro ha GFLi Grundfläche Linde m2 pro ha GFSE Grundfläche Schwarzerle m2 pro ha 102 Ornithol. Anz., 48, 2009

Tab. 2. Grundflächen-Anteile der Baumarten in den drei Revierkategorien. – Rates of surface areas of tree species in the three territory-categories.

KAT 1: KAT 2: KAT 3: Baumart Referenzflächen unregelmäßig besetzt dauerhaft besetzt Fichte Picea abies 23 % 11 % 3 % Kiefer Pinus sylvestris 32 % 8 % 0 % Flatterulme Ulmus laevis 1 % 2 % 4 % Bergahorn 2 % 2 % 5 % Acer pseudoplatanus Buche Fagus sylvatica 2 % 0 % 0 % Birke Betula spec. 5 % 4 % 3 % Hainbuche Carpinus betulus 2 % 1 % 1 % Esche Fraxinus excelsior 3 % 4 % 7 % Linde Tilia spec. 3 % 3 % 18 % Eiche Quercus robur 9 % 24 % 24 % Schwarzerle Alnus glutinosa 18 % 38 % 36 % erklärte, wurde sie im Modell belassen, ansons- Ergebnisse ten wieder herausgenommen. Die hierfür 2 2 herangezogenen Gütekriterien waren R , R adj, Grundflächenanteile. Beim Vergleich der drei Q2 und AIC. Dadurch wurden Variablen, die Revierkategorien im „Nördlichen Feilenforst“ keinen eigenen Erklärungsanteil lieferten, her- bezüglich der Grundflächen-Anteile pro Hektar ausgefiltert. Als Ergebnis erhält man ein und Baumart zeigen sich deutliche Unterschie- Regressionsmodell, bei dem jedes Herausneh- de (Tab. 2). Besonders auffällig ist die Abnahme men einer Variablen zu einem signifikanten der Nadelholzgrundfläche (= Summe der Anstieg der unerklärten Varianz führt. Dieses Grundflächen Fichte und Kiefer) von KAT 1 mit Modell wird als „Minimales Angemessenes 55 % über KAT 2 mit 19 % hin zu KAT 3 mit Modell“ (minimum adequate model) bezeich- gerade noch 3 %. Hinzu kommt der mit 18 % net (vgl. Leyer & Wesche 2007). sechsmal so hohe Lindenanteil in KAT 3 im Ver- Ein weiteres Ziel dieser Arbeit war es, neben gleich zu KAT 1 und KAT 2 mit jeweils nur 3 %. den Habitatmodellen konkrete Werte für dieje- Die Eiche besitzt mit identischen Anteilen von nigen Parameter zu finden, die entscheidend 24 % in KAT 2 und KAT 3 im Gegensatz zu 9 % für die Eignung eines Bestandes als Mittel- in KAT 1 einen wesentlich größeren Anteil an spechtrevier sind. Hierfür wurde das Verfahren der Gesamtgrundfläche pro ha. Ebenso die des „Rekursiven Partitionierens“ (Erstellung Schwarzerle, die mit nur 18 % in KAT 1 deutlich von Klassifikations- und Regressionsbäumen) seltener ist als in den beiden anderen verwendet, womit es möglich ist, sog. Kategorien, wo sie mit 38 % (KAT 2) bzw. 36 % Bruchpunkte für einzelne Variablen zu finden (KAT 3) praktisch gleich häufig ist. Der Eschen- (siehe Müller & Hothorn 2004a, Müller 2006). anteil ist mit 7 % in KAT 3 etwa doppelt so hoch Für die Auswertungen wurden die zuvor für wie in KAT 1 (3 %) und KAT 2 (4 %). die Regressionsanalyse ausgewählten Parameter verwendet (Tab. 1), da diese bereits Habitatmodell. Das Modell M – F 1 (Tab. 3) 2 2 2 auf ihren univariaten signifikanten Einfluss in stellt mit den Werten R = 90,1; R adj = 0,858; Q Bezug zur Vorkommenshäufigkeit Dm getestet = 0,822; AIC = 66,578 das beste aus den Bestan- wurden. desparametern zu bildende Modell hinsichtlich In den Baumdiagrammen werden bei den Gesamtgüte und signifikantem Einfluss der ein- Knotenpunkten (Bruchpunkte) die p-Werte zelnen Variablen auf die Zielvariable Dm (Vor- angegeben. Die dazugehörigen Schwellenwerte kommenshäufigkeit des Mittelspechts) dar (= sind in die Äste eingezeichnet. Die Dm-Werte minimum adequate model). Dabei ergibt sich (Vorkommenshäufigkeiten) werden als Box- folgende Regressionsgleichung: plots dargestellt. Dm = 0,9289 + 0,7211 · GFLH + 0,9138 · GFLHgr T. Zehetmair: Vergleichende Untersuchung von Revieren des Mittelspechts Dendrocopos medius im „Nördlichen Feilenforst“ 103

Tab. 3. Habitatmodell M – F 1 (Parameternamen vgl. Tab 1). – Habitatmodell M – F 1 (names of parameters compare table 1).

Variable Wert Std. Fehler t - Wert p - Wert Signifikanz (Intercept) 0,93 1,07 0,87 0,397 GFLH 0,72 0,14 5,13 0,000101 *** GFLHgr 0,91 0,19 4,88 0,000166 *** GFEi 0,42 0,15 2,79 0,0131 * GFLi 0,53 0,18 2,90 0,0105 * GFSE 0,38 0,17 2,32 0,0337 * GFEs 0,39 0,18 2,16 0,0465 * Schi -1,75 0,49 -3,59 0,00245 ** Signifikanzen: 0 '***' 0.001 '**' 0.01 '*'

+ 0,4186 · GFEi + 0,5276 · GFLi + 0,3834 · GFSE eines Bestandes als Mittelspechtrevier haben, + 0,3939 · GFEs -1,7465 · Schi. wurden hinsichtlich möglicher Bruchpunkte Mit dem Modell M – F 1 werden durch die untersucht. Die Darstellung erfolgt als Baum- einfließenden Variabeln 90,1 % (= RÇ) der Resi- diagramm, in der Reihenfolge der Habitatpara- duden erklärt, was einen sehr guten Wert für meter mit abnehmender Signifikanz der Bruch- eine freilandökologische Aufnahme darstellt. punkte. Der erste Bruchpunkt mit der höchsten Zwar ist der R2-Wert bei einigen Konkurrenz- Signifikanz wurde bei dem Parameter Grund- modellen noch höher, die Hinzunahme weiterer fläche Laubholz (GFLH) gefunden. Die Vor- (nicht signifikanter) Variablen, wie z. B. der kommenshäufigkeit des Mittelspechts im Grundfläche des stehenden Totholzes pro ha, „Nördlichen Feilenforst“ ist ab 21,32 m2 GFLH führte aber bei diesen stets zu einer Ver- pro ha hochsignifikant größer (p=0,001; Abb. 2). schlechterung des AIC-Werts von 66,578, der im Der zweite Bruchpunkt wurde bei der Grund- direkten Modellvergleich die entscheidende fläche Nadelholz (GFNH) gefunden. Bei mehr Rolle spielt. als 2,8 m2 Nadelholzgrundfläche sind Waldbe- stände für den Mittelspecht nicht mehr für eine Schwellenwerte. Die Bestandesparameter, die dauerhafte Nutzung geeignet, allenfalls noch in einen signifikanten Einfluss auf die Eignung Einzeljahren. Die Häufigkeit nimmt deutlich ab

Grundfläche Grundfläche Laubholz [m2/ha] Nadelholz [m2/ha] < 21,32 p=0,001 > 21,32 < 2,8 p=0,012 > 2,8

Knoten 2() (n=14) Knoten 3() (n=14) Knoten 2() (n=10) Knoten 3() (n=14)

5 5 5 5

4 4 4 4

3 3 3 3

2 2 2 2 Dm-Wert Dm-Wert

1 1 1 1

0 0 0 0

Abb. 2. Regressionsbaum 1 mit Habitatparameter Abb. 3. Regressionsbaum 2 mit Habitatparameter „Grundfläche Laubholz“ (GFLH). – Regression-tree 1 „Grundfläche Nadelholz“ (GFNH). – Regression-tree 2 with the habitat parameter ‘proportion of broad-leaved with the habitat parameter ‘proportion of coniferous trees’ trees’ (GFLH). (GFNH). 104 Ornithol. Anz., 48, 2009

Grundfläche Grundfläche grobborkiges Linde [m2/ha] Laubholz [m2/ha] < 1,31 p=0,015 > 1,31 < 15,71 p=0,013 > 15,71

Knoten ()2 (n=15) Knoten 3() (n=19) Knoten 2 (n=12) Knoten 3 (n=12) () () 5 5 5 5 4 4 4 4 3 3 3 3 2 2 Dm-Wert 2 2 Dm-Wert 1 1 1 1 0 0 0 0

Abb. 4. Regressionsbaum 3 mit Habitatparameter Abb. 5. Regressionsbaum 4 mit Habitatparameter „Grundfläche grobborkiges Laubholz“ (GFLHgr). – „Grundfläche Linde”. – Regression-tree 4 with the habi- Regression-tree 3 with the habitat parameter ‘proportion of tat parameter ‘proportion of lime trees’ (GFLi). rough-barked broad-leaved trees’ (GFLHgr).

(p=0,012; Abb. 3). Der Parameter mit der dritt- Nahrungssuche und Höhlenanlage sind in aus- höchsten Signifikanz (p=0,013) ist das grobbor- reichender Anzahl vorhanden (Pasinelli 2000a). kige Laubholz (GFLHgr). Der Mittelspecht hat Die Ergebnisse der Untersuchungen im baum- eine deutlich höhere Präferenz für Bestände, artenreichen „Nördlichen Feilenforst“ bestäti- deren Grundfläche grobborkigen Laubholzes gen diese Erkenntnisse. Sie lassen aber noch (Eiche, Esche, Flatterulme, Schwarzerle) mehr weitere Schlüsse hinsichtlich der für den als 15,72 m2 pro ha beträgt (Abb. 4). Wie schon Mittelspecht entscheidenden Bestandespara- durch das Habitatmodell M – F 1 verdeutlicht, meter zu. Die Laubholzgrundfläche (GFLH) ist spielt die Linde eine entscheidende Rolle bei der der Parameter, der die stärkste positive Korrela- Habitateignung für den Mittelspecht im Feilen- tion mit der Mittelspechthäufigkeit aufweist. forst. Ab 1,31 m2 Grundfläche pro ha kommt er Alleine dadurch werden 66,9 % der Varianz dort signifikant (p=0,015) häufiger vor als bei erklärt (p = 0,0001). Ähnliche Ergebnisse fand geringeren Werten (Abb. 5). auch Kosi´nski (2005). In seinen Untersuchungen korrelierte der Laubholzanteil stark positiv mit Diskussion der Mittelspechtdichte (r = 0,605, p = 0,006). Das bedeutet, dass es vermutlich nicht eine einzelne Plausibilität des entwickelten Modells für die Baumart wie die Eiche, Buche oder Erle ist, von Bewertung von Mittelspechtrevieren. Durch der die Eignung eines Waldbestandes für den seine Spezialisierung auf insektivore Nahrung, Mittelspecht abhängt, sondern ob und vor allem die er durch Stochern findet, ist der Mittelspecht wie viel Laubholz vorhanden ist. Hierzu konnte eng an grobborkige Baumarten mit hohem ein hochsignifikanter Bruchpunkt von 21,32 m2 Arthropodenreichtum gebunden. Daraus ergibt pro ha (p = 0,001) für die Laubholzgrundfläche sich seine von vielen Autoren beschriebene Be- gefunden werden (vgl. Abb. 2). Auch die vorzugung von Eichenwäldern (Glutz & Bauer Grundfläche des grobborkigen Laubholzes 1980, Blume & Tiefenbach 1997, Bachmann & (GFLHgr) korrelierte stark positiv mit der Pasinelli 2002). Aber auch andere Laubwald- Mittelspechthäufigkeit. Dieser positive Einfluss gesellschaften können dem Mittelspecht einen grobborkiger Bäume wird von den meisten geeigneten Lebensraum bieten (vgl. Hertel 2003, Autoren bestätigt (Günther & Hellmann 1997, Weiß 2003), vorausgesetzt, die entscheidenden Liesen 1997, Jobges & König 2001, Hertel 2003, Habitatparameter (Schlüsselparameter) für Weiss, 2003, Kosi´nski 2005). Pasinelli (2000) hin- T. Zehetmair: Vergleichende Untersuchung von Revieren des Mittelspechts Dendrocopos medius im „Nördlichen Feilenforst“ 105 gegen hält diesen Parameter für unwichtig ten bzw. multiplen Regressionsanalyse ließen (Eichen ausgenommen), weil Baumarten wie allerdings keinen signifikanten Zusammenhang Weiden oder Erlen erst in sehr großen zwischen der Menge des stehenden Totholzes Dimensionen und Dichten auch hohe Arthro- und der Mittelspechthäufigkeit erkennen. Zu podendichten als Nahrungsquelle ermöglichen. einem ähnlichen Ergebnis kommt Pasinelli In meinen Untersuchungen ist ein ganz klarer (2000), der bei seinen Untersuchungen keine Zusammenhang zwischen Mittelspechtvor- Korrelation zwischen der Dichte des stehenden kommen und der Grundfläche grobborkiger Totholzes und der Reviergröße (home range Laubhölzer zu erkennen. Dies zeigt schon der size) erkennen konnte. Ähnlich Pasinelli (2000) Signifikanzwert der univariaten Korrelations- vermuten auch Kosi´nski & Winiecki (2004), dass analyse (R2 = 0,4711; p = 0,002), sowie der Ein- stehendes Totholz eine eher untergeordnete fluss auf das Habitatmodell MF – 1 (vgl. Tab. 2). Rolle bei der Nahrungssuche des Mittelspechtes Der gefundene Bruchpunkt liegt bei 15,71 m2 spielt, solange genügend lebende, grobborkige pro ha (p = 0,013; vgl. Abb. 4). Mit 12 m2 pro ha Bäume zur Verfügung stehen. kam Coch (1997) zu einem ähnlichen Wert. Allerdings handelt es sich hierbei um ehemalige Bedeutung der Baumarten. Die Grundflächen- Mittelwälder mit fast reiner Eichenbestockung. parameter GFLH, GFLHgr und GFNH, in die Auf der anderen Seite konnte, wie auch von die Werte der einzelnen Baumartengrundflä- Kosi´nski (2005) beschrieben, keine negative chen einfließen, haben die stärksten Einflüsse Korrelation zwischen der Mittelspechthäufig- auf die Mittelspechthäufigkeit. Um Aussagen keit und der Grundfläche glattrindiger Laub- bezüglich einzelner Baumarten treffen zu kön- baumarten festgestellt werden, im Gegensatz nen, muss man deren jeweilige Einzelkorrelatio- zur Nadelholzgrundfläche (GFNH), bei der sich nen bewerten. Am auffälligsten ist dabei die bereits bei 2,8 m2 pro ha (p = 0,012; vgl. Abb. 3) Lindengrundfläche (GFLi) pro ha. Der signifi- ein hoch signifikanter Bruchpunkt bezüglich kante Bruchpunkt (p = 0,015; vgl. Abb. 5) lässt der Mittelspechthäufigkeit findet, die ab diesem die Vermutung zu, dass die Linde eine mit ent- Wert deutlich abnimmt. Mit diesem Parameter scheidende Rolle bei der Bestandeseignung für lässen sich 48 % der Varianz erklären, was fast den Mittelspecht im Feilenforst spielt. genau dem Wert von 50 % entspricht, den Obwohl bislang sehr wenig über den Kosi´nski (2005) für den Nadelholzanteil gefun- Einfluss der Linde bekannt ist (vgl. Hertel 2003, den hat. Der Bestandesparameter mit dem größ- Pasinelli 2003), kann man davon ausgehen, dass ten, signifikanten Einfluss auf das Modell MF-1 die Linde mit ihrem weichen Holz gut für die (vgl. Tab. 3), neben GFLH und GFLHgr, ist die Höhlenanlage geeignet ist. Außerdem bietet sie Bestandesschichtigkeit (Schi). Diese Variable ist mit ihren Blüten im Frühjahr vielen Insekten negativ korreliert mit der Häufigkeit des Nahrung, von denen auch der Mittelspecht pro- Mittelspechts (vgl. Tab. 1). Das bedeutet, dass fitieren könnte. ein Bestand umso geeigneter für den Mittel- Die Eiche, die von den meisten Autoren als specht erscheint, je weniger ausgeprägt seine die wichtigste Baumart für den Mittelspecht vertikale Schichtung ist. Aus der Literatur ist beschrieben wird (Glutz & Bauer 1980, Hoch- bekannt, dass er sich gerne in offenen Wald- ebner 1993, Spitznagel 2001, Pasinelli 2000, strukturen wie Mittelwäldern (vgl. Bachmann & Pasinelli et al. 2001, Pasinelli 2003, Kosi´nski Pasinelli 2002), Lichtwäldern und großen Parks 2005), spielt auch im Untersuchungsgebiet eine (Glutz & Bauer 1980) aufhält, was schon einen entscheidende Rolle. Der univariate Einfluss ist, Hinweis auf die bevorzugte Bestandesschich- genau wie der auf das „minimum adequate tigkeit liefert. Müller (2004) kommt zu dem model“ (Tab. 3), signifikant hoch. Auch die ho- Schluss, dass Bestände mit unverjüngtem Wald- hen Grundflächenanteile von 24 % in den Re- boden bevorzugt werden. vierkategorien KAT 2 und 3, im Gegensatz zu Die meisten Autoren weisen auf die große nur 9 % in den mittelspechtfreien Referenzflä- Bedeutung des Totholzangebotes hin (Glutz & chen (vgl. Tab. 2), bestätigen die begünstigende Bauer 1980, Günther & Hellmann 1997, Hertel Wirkung der Eiche. Allerdings ist es nicht die 2003, Weiß 2003). Meine Aufnahmen beschränk- Eiche allein, die ein stabiles Mittelspechtrevier ten sich lediglich auf das stehende Totholz. Die ausmacht (vgl. auch Hansbauer & Langer 2001). daraus resultierenden Ergebnisse der univaria- Erst die Kombination mit anderen – bis auf die 106 Ornithol. Anz., 48, 2009

Linde – grobborkigen Baumarten wie Esche gibt es Unterschiede zwischen Privatwäldern und vor allem Schwarzerle, die auch für sich und dem Staatswald, was die Bewirtschaf- alleine schon signifikante Auswirkungen auf tungsweise und damit den Waldvogelschutz be- die Häufigkeit des Mittelspechts haben, erklä- trifft. ren die Verteilung und Abundanz der Mittel- Mit dem Totholzkonzept der Bayerischen spechtreviere im „Nördlichen Feilenforst“. Weiß Staatsforsten wurde z. B. ein Schritt in die rich- (2003) vermutet, dass besonders die Borke der tige Richtung getan. Entscheidender ist aber Schwarzerle sehr attraktiv oder mindestens eine angepasste, verträgliche Bewirtschaftung, ebenso ergiebig zur Nahrungssuche wie die speziell dort, wo entsprechende Voraussetzun- Eichenborke ist. gen hinsichtlich Waldstrukturen und Artenin- Alle Einzelsignifikanzen der Baumarten lie- ventar gegeben sind, wie dies im Untersu- gen unter denen der „kombinierten“ Bestandes- chungsgebiet „Nördlicher Feilenforst“ der Fall parameter wie etwa die der gesamten Laub- ist. Betrachtet man dort die Verteilung der holzgrundfläche (GFLH) oder die der gesamten Mittelspechtreviere, fällt auf, dass sich 86 % der Grundfläche des grobborkigen Laubholzes. Das Fläche der stabilen Reviere (KAT 3) mit Bestän- bedeutet, dass es nicht entscheidend darauf den decken, die nach der Forsteinrichtung der ankommt, welche Baumarten bestandesbildend „Langfristigen Behandlung“ (LB) zugeordnet sind. Wichtiger ist, dass eine gewisse Anzahl sind, dagegen nur 50 % der Fläche der unregel- vorhanden ist, die über die Grundfläche pro ha mäßig besetzten Reviere (KAT 2). Diese Bestän- quantifiziert wird, wie dies der hochsignifikan- de zeichnen sich, aufgrund der vorangegange- te Bruchpunkt der Laubholzgrundfläche ver- nen forstlichen Behandlung, durch ein hohes deutlicht (vgl. Abb. 2). Allerdings reicht es nicht Bestandesalter und damit große Durchmesser- aus, wenn diese Laubholzgrundfläche nur klassen der verschiedenen Baumarten aus. durch glattrindige Baumarten zustande kommt. Speziell die Linde und die Erle erreichen hier Aus den ermittelten Bruchpunkten bezüglich hohe Durchmesser und unterliegen zudem GFLH und GFLHgr lässt sich ableiten, dass ein einer sehr extensiven Nutzung, was sich positiv Anteil von ca. 70 % grobborkigen Laubholzes an auf das Mittelspechtvorkommen auswirkt. Erst der gesamten Laubholzgrundfläche als ein Maß in solch alten Beständen können sich auch die, für stabile Mittelspechtreviere angesehen wer- für den Mittelspecht wichtigen Strukturelemen- den kann. te wie z. B. raue Rindenstrukturen bzw. Rin- denstörstellen, Kronentotholz, lichte und weit Einfluss der forstlichen Nutzungsintensität. ausladende Kronen etc. ausbilden (vgl. Hertel Der Forstwirtschaft wird oft unterstellt, für den 2003). Der Einfluss des Bestandesalters zeigt Rückgang von Wald bewohnenden Tierarten sich auch bei dem flächenmäßigen Anteil junger verantwortlich zu sein (vgl. Rote Liste Bayern Bestände in den Revierkategorien 2 und 3. Wäh- 2005). Allerdings existieren kaum Daten zur rend von den dauerhaft besetzten Flächen der langfristigen Bestandesentwicklung von Wald- KAT 3 lediglich 12 % den Nutzungsarten Jung- vogelarten (Gatter 2000). Mit den Daten des bestandspflege (JP) und Jungdurchforstung (JD) „Monitorings häufiger Waldvogelarten im zugeordnet sind, sind es in der KAT 2 bereits Bayerischen Staatswald (1999–2004)“ wurde 27 %. Auch Kosi´nski (2005) fand einen negati- zum ersten Mal versucht, kurzfristige Bestan- ven Zusammenhang zwischen dem Anteil jun- desentwicklungen speziell von Waldvogelarten ger Bestände und der Mittelspechtdichte und zu analysieren. Dabei zeigte sich, dass die Popu- vermutet, dass junge Laubhölzer (≤ 40 Jahre) lationsdynamik stark von klimatischen Bedin- dem Mittelspecht sowohl keine Höhlenstand- gungen abhängig ist, Aussagen zu langfristigen orte bieten als auch wenig für die Nahrungs- Entwicklungen setzten dagegen auch ein lang- suche geeignet sind (siehe auch Bühlmann & fristig angelegtes Monitoringprogramm voraus Pasinelli 1996). Diese beiden Beispiele zeigen, (vgl. Moning et al. 2007). Es ist daher nicht dass die Eignung von Waldbeständen für den zulässig, generell der forstlichen Bewirtschaf- Mittelspecht stark von Bewirtschaftungsweise tung die Schuld für den Artenrückgang im und Nutzungsintensität abhängt. Wald zu geben. Es kommt auch entscheidend Auch Siedlungsdichten und Reviergrößen darauf an, die jeweiligen Voraussetzungen der des Mittelspechts sind stark mit der forstlichen Forstbetriebe mit zu berücksichtigen. Sicherlich Bewirtschaftung verknüpft. Nach Pasinelli T. Zehetmair: Vergleichende Untersuchung von Revieren des Mittelspechts Dendrocopos medius im „Nördlichen Feilenforst“ 107

(2003) sind der Bestandestyp und das Bestan- • Bestände, die aufgrund der vorhandenen desalter die entscheidenden ökologischen Fak- Strukturen der „Langfristigen Behandlung“ toren. Sie hängen von der forstlichen Behand- zugeordnet sind, erhalten und nicht verjün- lung ab. Die Siedlungsdichten liegen dabei zwi- gen; schen 0,01 bis 3,9 Brutpaare pro 10 ha, wobei • Strukturreichtum in reifenden, mittelalten sich die Angaben für typische Waldbestände Beständen fördern; des Flachlands zwischen (0,2-) 0,4 – 1,4 (-1,6) • junge Laubholzbestände so behandeln, da- bewegen (vgl. auch Bühlmann & Pasinelli 1996, mit sich die Strukturen herausbilden kön- Günther & Hellmann 1997). Dabei unterschei- nen, die Bestände der „Langfristigen Be- det man zwischen der „Rohdichte“ (crude den- handlung“ auszeichnen; sity), die die gesamte Waldfläche berücksichtigt, • junge Bestände mit ungeeigneter Bestandes- und der „ökologischen Dichte“ (ecological den- struktur frühzeitig umwandeln; sity; vgl. Kosi´nski 2005), die auf der Fläche des • Absenkung des Nadelholzanteils (unter 3 m2/ potenziell geeigneten Habitats basiert. Die ha) auf dafür geeigneten Flächen; Rohdichte liegt im Nordteil des Feilenforstes bei • kontinuierliche Durchforstung mit Entnah- 0,2 BP/10 ha, die ökologische Dichte bei 0,7 me des Unterstandes zumindest auf Teil- BP/10 ha. fläche; • Verjüngungsmaßnahmen nur auf Teilfläche; Strategien zur Förderung des • konsequente Förderung der Verjüngung Mittelspechts im Wirtschaftswald grobborkiger, konkurrenzschwacher Baum- arten (vor allem Eiche) durch forstliche Optimale Lebensräume des Mittelspechts, die Maßnahmen; alle Bedürfnisse für Bruthöhlenanlage, Nest- • Erhöhung der Umtriebszeiten glattrindiger lingsnahrung, Winternahrung und Schlafhöhlen Baumarten wie Bergahorn, Buche oder erfüllen, zeichnen sich nach Bühlmann & Hainbuche (Ausbildung rauer Oberflächen- Pasinelli (1996) durch das Vorhandensein von strukturen erst im höheren Alter); mindestens 26 Alteichen pro ha mit einem BHD • Förderung von Baumarten wie Linde oder von 50 – 90 cm aus, was einem Eichenvolumen Ulme als zusätzliche, sich positiv auswir- von ca. 110 m2/ha entspricht. Die gleichen Richt- kende Strukturelemente; werte bezüglich der Eichedichte werden auch • Erhaltung und Förderung alter Laubbäume von Hahn et al. (2005) beschrieben, wobei bereits mit weit ausladenden Kronen (bzw. hohen Eichen mit einem BHD von 35 cm genügen sol- Kronentotholz-Anteilen) durch Entnahme len. Ähnlich geben Michalek et al. (2001) für von Bedrängern aus der Unterschicht; Mittelspechtreviere in Eichen-Buchen-Wäldern • Erhöhung des Totholzangebotes durch eine notwendige Dichte von ca. 80 Eichen/ha Verzicht auf Entnahme geschädigter oder mit einem Durchschnitts-BHD von 43 cm (ent- schlechtwüchsiger Bäume; spricht ca. 155 m2/ha) an. Diese Richtwerte • Belassen von Bäumen mit bereits vorhande- wurden in den Katalog der „Naturschutzfach- nen Rindenstörstellen, wie Blitzrinnen, lich prioritären Maßnahmen“ der SPA-Gebiete Frostrissen, Krebsgeschwüren oder Rinden- in Bayern (Natura 2000) für den Mittelspecht brand; übernommen (M. Lauterbach, pers. Mitt. 2007). • Schonung aller bestehenden und potenziel- Aus den Ergebnissen dieser Arbeit lassen sich len Höhlenbäume bei der Durchforstung; nun folgende waldbaulichen Konsequenzen zur • Vernetzung potenzieller Mittelspechtreviere Förderung des Mittelspechts im bewirtschafte- (auch innerhalb von Waldflächen) durch ten Laubmischwald ableiten, von denen auch Entfernung von „Barrieren“ (z. B. Nadel- viele andere Arten mit ähnlichen Lebensraum- holzkomplexe) und Belassen von „Trittstei- ansprüchen profitieren würden: nen“ (z. B. alter Eichen entlang von Forst- straßen oder Waldrändern). • eine Laubholzgrundfläche von mindestens 21 m2/ha; Der für den Mittelspecht wichtige Struktur- • davon ca. 15 m2 Grundfläche grobborkiger reichtum lässt sich dauerhaft nur durch eine Baumarten, wie Eiche, Esche oder Schwarz- angepasste Forstwirtschaft erreichen. Die erle (entspricht ca. 70 %); Dauerwald-Bewirtschaftung mit einzelstamm- 108 Ornithol. Anz., 48, 2009 weiser Plenterung in Mischwäldern stellt ein gende Thema zu bearbeiten sowie für die gut geeignetes Instrument für die Förderung Unterstützung der Freilandaufnahmen. und Stabilisierung des Habitatangebots nicht Mein Dank gilt genauso Dr. Hans Utschick nur für den Mittelspecht dar, sondern auch für vom Lehrstuhl für Tierökologie an der TU viele andere Arten der Biozönose, die auf alt- München, der für meine Anliegen stets ein offe- holzreiche Waldbestände angewiesen sind. nes Ohr hatte. Seine Hinweise und Ratschläge Hingegen scheint eine Nutzungsaufgabe in in zahlreichen Diskussionen waren mir eine Waldbeständen wie dem „Nördlichen Feilen- große Hilfe bei der Erstellung des Konzepts die- forst“ nicht zielführend zu sein. ser Arbeit, besonders aber auch bei der Daten- auswertung und Interpretation der Ergebnisse. Zusammenfassung Ein besonderer Dank geht an Wilfried Langer, ohne dessen jahrelange Kartierung der Mittel- Im Frühjahr 2007 wurden in Revieren des Mit- spechtreviere im „Nördlichen Feilenforst“ es telspechts Dendrocopos medius im Nordteil des nicht möglich gewesen wäre, diese Untersu- Feilenforstes (Landkreis Pfaffenhofen a. d. Ilm) chung durchzuführen. Weiter möchte ich mich Waldparameter erfasst. Für die Auswertung bei Peter Donabauer, Leiter der Forstdienststelle wurden die über einen Zeitraum von fünf Jahren Ernsgaden, für die sehr angenehme und kon- kartierten Brutreviere in die Revierkategorien struktive Zusammenarbeit bedanken sowie bei „dauerhaft besetzt“ und „unregelmäßig besetzt“ Dr. Axel Gruppe vom Lehrstuhl für Tierökolo- eingeteilt. In die Analyse flossen zusätzlich gie an der TU München für die kritische „Referenzflächen“ ein, in denen noch nie ein Durchsicht der Arbeit, die vielen Anregungen Mittelspechtrevier nachgewiesen wurde. Insge- und Diskussionen, ebenso wie Sebastian Wer- samt wurden Bestandesparameter von 168 zufäl- ner, Leiter der LBV-Kreisgeschäftsstelle Starn- lig über die 24 Reviere und Referenzflächen ver- berg, und dem Ramsarbüro Ammersee. teilten Stichproben (á 1000 m2) aufgenommen und hinsichtlich ihrer Einflussstärke auf die Literatur Mittelspechthäufigkeit analysiert. Mit der mul- tiplen linearen Regression wurden Habitatmo- Bachmann, S. & G. Pasinelli (2002): Raum- delle erstellt, und das binäre rekursive Partitio- nutzung syntop vorkommender Bunt- nieren lieferte konkrete Schwellenwerte. spechte Dendrocopos major und Mittelspechte Dabei wurde die signifikante Abhängigkeit D. medius und Bemerkungen zur Konkur- der Mittelspechtabundanz von der vorhande- renzsituation. Ornithol. Beob. 99: 33 – 488. nen Laubholzgrundfläche, im Speziellen von Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das der Grundfläche grobborkiger Baumarten deut- Kompendium der Vögel Mitteleuropas. lich. Die Baumartenzusammensetzung spielte Alles über Biologie, Gefährdung und hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Es konn- Schutz. Nonpasseriformes – Nichtsperlings- te nachgewiesen werden, dass der Mittelspecht vögel. Aula-Verlag, Wiebelsheim. Bestände bevorzugt, die eine geringe vertikale Blume, D. & J. Tiefenbach (1997): Die Bunt- Schichtung aufweisen und die der „Langfristi- spechte. Neue Brehm–Bücherei Vol. 315, gen Behandlung“ als forstlicher Nutzungsart Wittenberg. unterliegen. Die Einzelbaumanalyse ergab, dass Brannath, W. (2006/2007): Multiple Regression Mittelspechtvorkommen nicht nur vom Vorhan- II. VO Biostatistik, Universität Wien. densein von Eichen abhängen. Es konnte auch Bühlmann, J. & G. Pasinell (1996): Beein- der positive Einfluss der Linde als bisher wenig flussen kleinflächige Waldnutzung und beachtete Baumart für den Mittelspecht nachge- Wetter die Siedlungsdichte des Mittel- wiesen werden. Nach den Analysen im „Nörd- spechts Dendrocopos medius. Ornithol. Beob. lichen Feilenforst“ können auch alte, sehr 93: 267 – 276. baumartenreiche Laubholzbestände gute Mit- Coch, T. (1997): Spechte (Gattung Picoides) und telspechthabitate darstellen. Strukturmerkmale als Wegweiser einer Eigenart bewahrender Pflege- und Entwick- Dank. Zuallererst gilt mein Dank Prof. Dr. lung ehemaliger Mittelwälder, 240 pp. + Hans-Joachim Leppelsack von der TU München appendix. Ph.D. thesis. Albert-Ludwigs- für die mir gegebene Möglichkeit, das vorlie- Universität, Freiburg im Breisgau. T. Zehetmair: Vergleichende Untersuchung von Revieren des Mittelspechts Dendrocopos medius im „Nördlichen Feilenforst“ 109

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Tobias Zehetmair, Jg. 1980, Diplom-Ingenieur der Forstwissenschaften. Zurzeit am Lehrstuhl für Tierökologie der TU München, Studien- fakultät für Forstwissenschaft & Ressourcenmanagement, Weihen- stephan. Diese Arbeit war die Diplomarbeit. Interessen: Waldökologie, Struktureinflüsse, Waldnaturschutz, ornithologische Kartierungen. M. Weber, H. Utschick u. W. Heitland: Einfluss eines Fichtenwaldrands auf den Bruterfolg von höhlenbrütenden Kleinvögeln 111

Ornithol. Anz., 48: 111–125

Einfluss eines Fichtenwaldrands auf den Bruterfolg von höhlenbrütenden Kleinvögeln

Martin Weber, Hans Utschick und Werner Heitland

Influence of forest margins on the reproductive success of small hole-nesting birds

In 2007, 60 nest-boxes were placed in spruce stands of the Ebersberger Forst, 30 km east of Munich. The boxes were installed in clusters of five along transects at varying distances (20 m, 100 – 150 m, 700 – 1200 m) from the woodland margin and with spacing of either 10 m or 50 m between boxes within the clusters. Boxes were checked between April and July for occupancy and breeding suc- cess. This was supplemented by recording of birds along the transects. Boxes were occupied by five bird species: Great Tits and Blue Tit (together 26 boxes), with Coal Tit, Nuthatch and Pied Flycatcher each in one box. The distribution of the dominant species, the Great Tit, was not influenced by dis- tance from the woodland edge. The Blue Tit was however most frequent at the edge and was absent from central locations. Comparison of closely and widely spaced groups of boxes indicate that the closely spaced boxes were occupied by especially strong, dominant individuals. This occurred twice as often at the woodland edge as along the more central transects. Boxes near the edge also showed the highest occupancy, clutch and brood sizes and were occupied sooner than those in the centre. Recording of birds along the transects showed a similar pattern. In all months of the nesting sea- son, the highest density of birds was recorded at the woodland margin, this being particularly pro- nounced for the Chaffinch, Blue Tit, Willow Warbler and Greenfinch. It is concluded that the wood- land edge is more attractive than the centre. From the literature may be gathered that better habitat qualities at the margins are responsible. On the other hand, mortality rates at the woodland margin are higher as a consequence of higher predation and competition here. All nestlings in centrally placed boxes fledged successfully. Therefore, the reproductive contributions of woodland edge and central locations at the population level are similar. Key words: breeding phenology, hole nesting birds, fitness, forest margin, nest box, reproductive success

Martin Weber, Grund 6, 85570 Ottenhofen E-Mail: [email protected] Dr. Hans Utschick, Dr. Werner Heitland, Lehrstuhl für Tierökologie der TUM, Am Hochanger 13, 83354 Freising E-Mail: [email protected]

Zielsetzung tingham 2002, Vergara & Simonetti 2003). Dazu kommen häufig an Waldrändern vorteilhaftere Viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass Habitatstrukturen, vor allem, wenn diese Wald- für die meisten Vogelarten Waldränder attrakti- ränder südexponiert, breit, mehrstufig und na- ver sind als geschlossene Waldkomplexe. Als turnah aufgebaut sind (zu optimalen Waldrand- Ursachen werden meist höhere Lichtenergie strukturen siehe z. B. Bergstedt 1992). Experi- durch Seitenlicht, Nährstoffeinträge aus dem mentelle Nachweise für höhere Brutvogeldich- Offenland, Leitlinienwirkung oder Vorteile für ten an Waldrändern sind allerdings eher selten Habitatwechsler vermutet (Harwood & Mac- (Batary & Baldi 2004, Harwood & MacNally Nally 2005, Paquet et al. 2006, Rodewald & Brit- 2005, Ibarzabal & Desrochers 2004), obwohl sich 112 Ornithol. Anz., 48, 2009

Tests mit künstlichen Nistgeräten vor allem bei höhlenbrütenden Kleinvogelarten geradezu Unterasbach anbieten (vgl. hohe Indikationsleistung u.a. im Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawan- dels z. B. in Moning et al. 2007 sowie Gaedecke & Winkel 2005). d Ziel dieser Arbeit war es, mittels eines Nist- c kastenexperiments folgende Fragestellungen zu A b prüfen: a c d B 1. Existieren Waldrandeffekte auch bei pessi- a b malen Habitatqualitäten, wie sie nordexpo- nierte, harte Waldränder in Fichtenforsten darstellen und die an vielen Waldrändern Ebersberger Forst vogelfreundlicheren Waldhabitatstrukturen als Erklärung für höhere Vogeldichten am Waldrand ausscheiden. Nimmt auch hier C die Brutvogeldichte vom Waldrand zum d Waldinneren hin ab? Waldrand 2. Werden an einem solchen Waldrand mehr Kastenabstand 10 m c Kästen bezogen als in zentraleren Wald- Kastenabstand 50 m teilen? Welche Höhlenbrüter bevorzugen Waldrandsituationen besonders stark? N b 3. Erfolgen Revier- bzw. Kastenbezug (intensi- 500 m ve Kasteninspektion, Eintrag erster Nistma- a terialien), Nestfertigstellung und Eiablage am Waldrand früher als im Waldinneren? Abb. 1. Lage der Untersuchungsflächen und Nist- 4. Sind die Gelegestärken, die Nestlingszahlen kastenlinien A (Waldrand), B (Mitte) und C (Zentrum) und die Anzahl der ausfliegenden Jung- sowie Abschnitte mit unterschiedlichen Kastenver- vögel am Waldrand größer? Sind Eiverluste dichtungen (je 5 Kästen mit 10-m- bzw. 50-m-Abstän- und Nestlingsmortalität geringer? Leisten den). – Site, nest box lines (A, B, C) and 5-box-units with somit Waldränder im Hinblick auf Vogelpo- an interspace of 10 m (a, c) and 50 m (b, d). pulationen einen höheren Reproduktions- beitrag als zentrale Waldflächen? 5. Gilt dies alles auch noch, wenn das Höh- menhängenden Waldgebieten Bayerns. Die lenangebot infolge dicht hängender Nist- dominierende Baumart ist die Fichte Picea abies, geräte nicht mehr limitierender Faktor des wobei zunehmend neben Tanne Abies alba und Revieraufbaus ist und verstärkt Konkurrenz Douglasie Pseudotsuga menziesii auch Buche (aggressive Revierverteidigung) greift? Ist Fagus sylvatica und andere Laubbaumarten bei- die Besetzungsquote daher in dicht hängen- gemischt werden. Mit einer Jahresmitteltempe- den Kastengruppen geringer als in weit hän- ratur von 7 – 8 °C und einem durchschnittlichen genden? Werden dabei am Waldrand dicht Jahresniederschlag von 950 – 1100 mm weisen hängende Kästen häufiger, früher und die Bestände für weite Teile Bayerns repräsenta- erfolgreicher genutzt als im Waldesinneren? tive Werte auf. Trotz vergleichsweise homoge- nem Klima (Geofachdatenatlas Bayern 2008) Untersuchungsgebiet und Methode besteht jedoch stellenweise Früh- und Spätfrost- gefahr. Abb. 2 zeigt Daten der Waldklimastation Lage, Klimaverhältnisse und Struktur der Ebersberg für den Untersuchungszeitraum Untersuchungsflächen. Die Testflächen lagen (freigegeben von der Bayerischen Landesanstalt im Ebersberger Forst etwa 30 km östlich von für Wald- und Forstwirtschaft). In der Brutsai- München im Distrikt Schwaberwegen (Abt. 9, son 2007 weisen Tagestemperaturen- und Nie- 10, 12 und 19) nahe Unterasbach, ca. 1 km öst- derschlagsverlauf trotz einiger Nachtfröste und lich von Anzing (Abb. 1). Der rund 90 km2 3 Tagen mit Maximaltemperaturen unter 10 °C umfassende Forst zählt zu den größten zusam- auf konstant gute Wetterbedingungen hin. M. Weber, H. Utschick u. W. Heitland: Einfluss eines Fichtenwaldrands auf den Bruterfolg von höhlenbrütenden Kleinvögeln 113

20 Abb. 2. Durchschnittstagestempe- 18 ratur (°C, Rauten) und -tagesnieder- schlag (mm, Dreiecke) pro Kalen- 16 derwoche an der Waldklimastation 14 Ebersberg von April bis Juni 2007. – Average temperature (rhombes) and 12 precipitation (triangles) from April till 10 June 2007 recorded at the forest climate station Ebersberg. 8 6 4 2 mm (Dreiecke) bzw. °C (Rauten) 0 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 Kalenderwoche

Auch die kurze Schlechtwetterphase Ende Mai Vögel nicht relevant ist. In allen Abschnitten hatte keine gravierenden Auswirkungen. waren die Bestände vital (Kronenbenadelung Die Testflächen wurden mithilfe forstlicher 80 – 100 %), einschichtig und totholzarm. Der Bestandskarten und über Google Earth verfüg- Deckungsgrad der Bodenvegetation lag meist barer Waldbilder vorausgewählt und nach zwischen 5 und 25 % (Aa 55 %). Naturhöhlen Begang in drei möglichst homogene Sektionen und Altbäume, die das Ergebnis hätten beein- (A–C) mit unterschiedlichem Abstand zum trächtigen können, fehlten. Der Erschließungs- Waldrand organisiert. Jede Sektion wurde dann grad wurde in einem 10 m breiten Transekt ent- in vier Abschnitte (Abteilungen a – d) mit alter- lang der Kastenlinie aufgenommen (Fläche nierend unterschiedlich dicht hängenden Käs- kreuzender Rückegassen oder Wege) und ten unterteilt (Abb. 1). In Sektion A befanden erreichte in fast allen Abschnitten 50 – 100 m2 sich die Kästen rund 20 m vom Waldrand ent- pro ha. Nur in Ba und Ca (150 – 160 m2 pro ha) fernt, in Sektion B 100 – 150 m und in Sektion C war verstärkt mit für Waldinnenränder typi- 700 – 1200 m. In den Abteilungen a und c be- schen Konsequenzen wie Leitlinien- (u. a. höhe- trugen die Abstände zwischen den Kästen nur re Prädationsraten) oder Lichtschachteffekten 10 m, in den Abteilungen b und d 50 m. Abtei- (Utschick 1991, Kanold et al. 2008) zu rechnen. lungen mit nicht vergleichbarer Waldstruktur (Baumartenzusammensetzung, Alter, vertikale Nistkästen. Als Nistkastenmaterial fanden Schichtung etc.) blieben unberücksichtigt. Dies 60 Holznistkästen der Marke „Berlin“ der Firma betraf zwei rund 150 m lange, relativ naturnahe „Vivara“ mit den Maßen 16,5 x 23 x 30 cm bei und auch etwas ältere Waldbestandsteile mit einer Einflugöffnung von 32 mm Verwendung. üppiger Bodenvegetation beiderseits Abteilung Sie wurden vom 13. bis 15. März 2007 in 5er- c in Sektion A (Abb. 1). Gruppen gemäß der für die Abteilungen vorge- Die Waldstruktur (Fichtenanteil, Alter, Be- sehen Abstände in Höhen von 2,50 m bis 3,00 m schirmungsgrad, vertikale Schichtung, Deckungs- ost- oder südostexponiert ausgebracht. Beein- grad der Bodenvegetation, Überhälter, Totholz- trächtigungen der Brutergebnisse durch starke reichtum, Vitalität und Erschließungsgrad durch Sonneneinstrahlung oder zu feuchte Bedingun- Wege und Rückegassen) war in allen Abschnitten gen (vgl. Henze 1949, Gaedecke & Winkel 2005) relativ gut vergleichbar. So lag der Fichtenanteil konnten somit ausgeschlossen werden. Um die bei fast allen Abteilungen zwischen 97 und 100 % Bäume nicht zu beschädigen, wurden die Nist- (Ausnahme Bb mit 25 % Buche und Douglasie). kästen mit einer Drahtschlinge befestigt. Sektion C war zwar mit 55 Jahren und einem Beschirmungsgrad von 65 – 70 % um 10 Jahre Vogelbestandsaufnahmen. In 11 Kontrollgän- älter und etwas offener als die beiden anderen gen vom 02.04. bis 01.07.2007 wurden alle Nist- Sektionen, was aber in dieser Altersphase für kästen in ca. wöchentlichen Abständen kontrol- 114 Ornithol. Anz., 48, 2009 liert und dabei folgende Daten erhoben: chung der Mortalitätsdaten (Anzahl ausgefloge- Erstbezug des Kastens, Vogelart, Vollendung ner Vögel im Verhältnis zur Zahl abgelegter des Nestes, Eizahl, Anzahl lebender bzw. toter Eier) erfolgte mit dem General Linear Modelling Jungvögel. Aus diesen Daten wurden dann die (GLM) korrigiert für Binominalfehler. Bei der Parameter „Legebeginn“ (Rückrechnung unter Zahl der Eier je Nest in Abhängigkeit von der Annahme täglicher Eiablage), Gelegegröße, Sektion und Nistkastenabstand handelt es sich Schlupfrate und Ausflugrate ermittelt (vgl. u.a. um Zählwerte. Aus diesem Grund erfolgte hier Oberleitner 2003). die statistische Untersuchung mithilfe von GLM Ergänzend hierzu wurden einmal monatlich korrigiert für Poissonfehler. Bei beiden Frage- von April bis Juni entlang der Sektionslinien in stellungen wurde zunächst das maximale Mo- 50 m breiten Transekten Linientaxierungen dell aufgerufen (d. h. Einbindung der Faktoren durchgeführt. Sektion, Kastendichte und die Interaktion der beiden Faktoren) und dieses Modell dann Statistische Auswertung. Die statistische Aus- schrittweise vereinfacht, indem nicht signifi- wertung der Daten erfolgte mit dem Statistik- kante Terme entfernt wurden (Crawley 2007). Paket R Version 2.6.2 (Cran Software). Bei der Wenn notwendig, wurde auf Überdispersion statistischen Untersuchung der Daten musste hin korrigiert. Zur Abhängigkeit von Standort- berücksichtigt werden, dass die Datensätze faktoren auf die Nistkastenbelegung wurden nicht normalverteilt waren. Aus diesem Grund die Eizahlen je Nistkasten einer Abteilung wurden parameterfreie Tests (Chi2-Test und gemittelt. Diese Werte wurden dann gegen den Spearman-Rank-Korrelation) bzw. angepasste jeweiligen Standortfaktor mithilfe der Rangkor- multivariate Tests verwendet. Die Untersu- relation nach Spearman überprüft.

Tab. 1. GLM der Mortalitätsraten in Abhängigkeit von Waldrandnähe und Kastendichte. – General Linear Modelling for egg- and chick-mortality depending on distance to forest margin and nestbox density. M. Weber, H. Utschick u. W. Heitland: Einfluss eines Fichtenwaldrands auf den Bruterfolg von höhlenbrütenden Kleinvögeln 115

Ergebnisse In drei Nistkästen kam es zu Zweitbruten, wovon jedoch nur eine mit 7 ausgeflogenen Gelegegröße und Mortalität in Abhängigkeit Jungen erfolgreich war. Die folgenden Auswer- von Waldrandnähe und Kastendichte (GLM). tungen beziehen sich daher nur auf Kästen mit Legt man nur die Datensätze zu bezogenen Erstbruten. Zweitbruten von Revierinhabern Nistkästen (zumindest Nestbau, meist Eiablage) mit Wechsel in einen bisher unbelegten Nist- zugrunde, dann ergeben sich im GLM keine kasten wurden wie Erstbruten gewertet. signifikanten Beziehungen zwischen Waldrand- Die drei Sektionen unterschieden sich in der nähe (Sektion) bzw. Kastendichte und Gelege- Artenverteilung (Abb. 3): Die Blaumeise nutzte größe. Bezieht man auch die nicht belegten vor allem Kästen der Sektion A und fehlte in Kästen mit ein, dann hängt die Gelegegröße Sektion C. Die Kohlmeise war dagegen in allen signifikant (p = 0,005) von der Kastendichte ab 3 Sektionen relativ gleichmäßig vertreten. (vgl. Diskussion). Insgesamt nahm die Anzahl der belegten Im Gegensatz dazu wirkt sich im GLM die Kästen vom Waldrand (11 Kästen) zur Wald- Waldrandnähe stark negativ auf die Ei- und mitte hin ab (je 9 in den Sektionen B und C). Nestlingsmortalität aus (Tab. 1), wobei nur bei Diese Tendenz zeigt sich auch, wenn Kästen der Eimortalität auch die Kastendichte eine bereits bei Eintrag von Nistmaterial als belegt untergeordnete Rolle spielen könnte (vgl. gewertet werden (Nestbaubeginn). Die Unter- Diskussion). Hohe Kastendichte scheint in schiede zwischen den Sektionen waren aber in Waldrandnähe tendenziell Eiverluste zu redu- keinem Fall signifikant (Chi2-Tests). zieren, im Waldinneren Eiverluste zu induzie- Je dichter Nistkästen hängen, umso größer ren (vgl. Diskussion). ist der Konkurrenzdruck durch Reviernach- barn, was wiederum niedrigere Besatzquoten Waldrandnähe, Besatz und Artenspektrum. In bedingt. Erwartungsgemäß wiesen daher die den 60 Kästen fanden sich 29 Gelege, wovon 20 10-m-Abteilungen (a, c) einen signifikant gerin- auf die Kohlmeise, 6 auf die Blaumeise und geren Besatz auf als die 50-m-Abteilungen jeweils eines auf Kleiber, Tannenmeise bzw. (Abb. 4; Chi2-Test: c2= 9.72, df = 1, p = 0.0018**). Trauerschnäpper entfielen (Abb. 3). 31 Kästen Einem Belegungsquotienten von 27% (8 Kästen wiesen keine Eiablage auf, wurden aber zum mit Gelegen) in den 10-m-Abteilungen stehen Teil intensiv inspiziert, enthielten Einträge von 70% (21 Kästen) in den 50-m-Abteilungen ge- Nistmaterial oder waren von Wespen besetzt. genüber.

12

10

8

6

4

2 Anzahl belegter Kästen

0 Trauerschnäpper Blaumeise Kleiber Kohlmeise Tannenmeise keine Eiablage

Abb. 3. Nistkastenbelegung von 20 Kohlmeisen, 6 Blaumeisen und 3 weiteren Arten in den 3 Sektionen A (Waldrand, schwarz), B (Übergang, grau) und C (Zentrum, weiß). 31 Nistkästen blieben ohne Eiablage. – Use of nest boxes by Great Tits (20), Blue Tits (6), and 3 other species at: A the woodland margin (filled); B the transition area (light); and C in the centre of the forest (open). 116 Ornithol. Anz., 48, 2009

8 20

7 15 6

5 10 4

3

Anzahl Nistkästen 5 2

Anzahl besetzter Nistkästen 1 0 0 14 15 16 Sektion A Sektion B Sektion C Kalenderwoche Abb. 4. Nistkastenbesatz innerhalb der Sektionen A Abb. 5. Kastenbezugsdatum mit Eintrag von Nist- (Waldrand), B (Übergang) und C (Zentrum) bei Nist- material in den 3 Sektionen A (Waldrand, schwarz), B kastenabständen von 10 m (schwarz) bzw. 50 m (Übergang, grau) und C (Zentrum, weiß) im April (14. (weiß). – Occupancy of box units with spacings of 10 m – 16. KW). – Week of first box occupation (placing nest (filled) and 50 m (open) at the forest margin (A), in the materials) at the forest margin (A, filled), in the transition transition area (B) and in the centre of the forest (C). area (B, light) and in the centre of the forest (C, open).

Geht man davon aus, dass Waldränder in der 15. KW. Diese Zeitverschiebung ist aller- hochwertigere Lebensräume für höhlenbrüten- dings nicht signifikant (Chi2-Test: c2 = 0.0576, de Kleinvögel darstellen als das Waldinnere, df = 1, p = 0.8103). In den Sektionen A und B dann sollten dort auch kleinere Reviere und kam es in der 22. bzw. 23. KW noch zu Zweit- damit höhere Besatzquoten bei geringen Nist- bruten in bis dahin ungenutzten Nistkästen. kastenabständen möglich sein. Vergleicht man Auch beim Eiablagebeginn sind trotz fehlen- die drei Sektionen, so erreicht die „Waldrand- der Signifikanz Unterschiede zwischen den sektion“ A bei den 10-m-Abteilungen mit einer Sektionen zu erkennen (Abb. 6; Chi2-Test: c2 = Kastenbelegung (Eiablage) von 40% doppelt so 0.8076, df = 2, p = 0.6678). So erfolgte die Ablage hohe Werte als die Sektionen B und C mit je 20% des ersten Eies in Sektion A zu fast 80 % wäh- (Abb. 4). In den beiden inneren Sektionen wur- den zudem nur Kästen der randlich gelegenen Abteilung a besetzt (vgl. Abb. 1), während die Abteilungen c anscheinend komplett im Revier- bereich der in den Abteilungen b oder d brüten- den, konkurrenzstarken Vögel lagen. In den 50- m-Abteilungen, in denen das Höhlenangebot zum limitierenden Faktor wird, spielt dann die Waldrandnähe zumindest bei der Kastenbele- gung keine Rolle mehr. Der „Waldrandeffekt“ beruht offenbar auf besonders attraktiven Le- bensraumbedingungen, wodurch hoher Kon- kurrenzdruck durch eng gruppierte Reviere eher akzeptiert wird als im Waldinneren. Kalenderwoche

Brutphänologie und Waldrandnähe. Der Be- Abb. 6. Eiablagebeginn in Nistkästen der 3 Sektionen zug der meisten Kästen erfolgte in der 14. bis 16. A (Waldrand, Rauten), B (Übergang, Quadrate) und C Kalenderwoche (Anfang April) mit Eintragung (Zentrum, Dreiecke) zwischen Anfang April (14. KW) von Nistmaterial (Abb. 5). In den waldrandna- und Anfang Juni (22. KW). – Number of nest boxes at the hen Sektionen A und B geschah dies überwie- forest margin (A, rhombes), in the transition area (B, squa- gend in der 14. KW, während sich dies in Sek- res) and in the centre of the forest (C, triangles) with first tion C über 3 Wochen hinzog, mit Schwerpunkt egg dates in weeks 14 to 25 (April to June). M. Weber, H. Utschick u. W. Heitland: Einfluss eines Fichtenwaldrands auf den Bruterfolg von höhlenbrütenden Kleinvögeln 117

8 bei der Blaumeise bei 9,3 (7 – 13) Eiern. Am Wald- rand streuten die Eizahlen mit bis zu 13 Eiern stark, während sie sich zur Waldmitte hin 6 zunehmend auf sechs bis acht Eier zentrierten (Abb. 8). Ein Trauerschnäppergelege (6 Eier; 4 Sektion A) ging verloren, während Tannenmei- se (Sektion C; 9 Eier, 8 flügge Jungvögel) und Kleiber (Sektion B; 5 flügge Jungvögel) erfolg- Anzahl Nistkästen 2 reich reproduzierten. Auf die Gesamtzahl der Kästen umgerech-

0 net, ergibt sich eine Durchschnittszahl von 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 4,35 Eiern je Kasten für Sektion A bzw. 3,40 Kalenderwoche für Sektion B und 3,15 für Sektion C. Dieser An- stieg zum Waldrand hin ist signifikant (GLM, Abb. 7. Eiablagebeginn in eng (Rauten) bzw. weit hän- p < 0,001). Dass die Gelegegröße ein gutes Kri- genden (Dreiecke) Nistkastengruppen (Anfang April terium für die Revierqualität (Habitatqualität, bis Anfang Juni). Quadrate veranschaulichen die Lege- Konkurrenzverhältnisse) darstellt, zeigt auch dynamik bei Ausblendung von Raumkonkurrenzeffek- ein Vergleich der Gelegegrößen in den Abtei- ten. – Number of closely (10 m, rhombes) and widely (50 m, lungen. Die mittlere Eizahl je Kasten ist in den triangles) spaced nest boxes with first egg dates in weeks 14 to 25. Squares show the laying dynamics without territory 50-m-Abteilungen mit 5,10 deutlich und signifi- effects. kant (GLM, p < 0,001) höher als der mittlere Wert von 2,17 in den 10-m-Abteilungen, ein deutliches Zeichen für zunehmenden Stress durch Konkurrenz (kleinere Reviere und damit rend nur einer Woche (16. KW), während sie in höherer Aufwand bei der Revierverteidigung den Sektionen B und C drei Wochen überspann- etc.). Vergleicht man nur die besetzten Kästen, te und vor allem in Sektion C ab der 20. Kalen- dann liegen die mittleren Eizahlen bei 7,14 derwoche erneut kulminierte. (50-m-Abteilungen) bzw. 8,13 (10-m-Abteilun- In den 10-m-Abteilungen begann die Eiab- gen). In Sektion A ist dabei das Verhältnis mit lage tendenziell früher und es dauerte nur drei 7,71 zu 9,25 Eiern pro besetzten Kasten stark zu- Kalenderwochen, bis so gut wie alle brutwilli- gunsten der 10-m-Abteilungen verschoben, gen Paare ihr erstes Ei abgelegt hatten, während während in Sektion B (7,57 zu 7,50) und C (7,14 die Eiablagedaten in den 50-m-Abteilungen deutlich stärker streuten (Abb. 7). Auch diese 2 Zeitverschiebung ist im Chi -Test nicht signifi- 9 2 kant (c = 2.7688, df = 1, p = 0.09612). Sie deutet 8 aber darauf hin, dass dichte Höhlenkonzen- 7 trationen für frühe Revierbesetzer besonders attraktiv sind, während späte Besetzer der 6 zunehmenden Konkurrenz aus dem Weg zu 5 gehen versuchen und eher weit auseinander 4 hängende Kastenlinien bevorzugen. Macht man 3 für die 2,5-fach höheren Besetzungsquoten in Anzahl Nistkästen 2 den 50-m-Abteilungen ausschließlich diesen 1 Konkurrenzfaktor verantwortlich und normiert die Werte zu den 10-m-Abteilungen entspre- 0 5678910111213 chend, dann läge die Besatzquote in den 10-m- Gelegegrößen Abteilungen in der 14. Kalenderwoche um das Fünffache und in der 15. Kalenderwoche um Abb. 8. Verteilung der Gelegegrößen in den 3 Sektionen das 1,5-fache über der Quote der 50-m-Abtei- A (Waldrand, schwarz), B (Übergang, grau) und C lungen (Abb. 7). (Zentrum, weiß). – Clutch size distribution at the forest Gelegegrößen und Waldrandnähe. Die Gelege- margin (A, filled), in the transition area (B, light) and in the größen lagen bei der Kohlmeise bei 6,8 (5 – 11), centre of the forest (C, open). 118 Ornithol. Anz., 48, 2009

100 120

100 80

80 60

60 40 40

20 Vogelsummen April - Juni 20 Anzahl Eier, Nestlinge, Jungvögel 0 0 Sektion A Sektion B Sektion C Sektion A Sektion B Sektion C Abb. 9. Bruterfolg (schwarz: Eizahlen, grau: Nest- Abb. 10. Vogelsummen (April, schwarz; Mai, grau; linge, weiß: ausgeflogene Jungvögel) in den Sektio- Juni, weiß) aus Linientaxierungen am Waldrand nen A (Waldrand), B (Übergang) und C (Zentrum). (Sektion A), im Übergangsbereich (Sektion B) und im – Breeding success (filled: number of eggs, light: nestlings, Waldzentrum (Sektion C). – Cumulative bird counts open: fledglings) at the forest margin (A), in the transition (April, filled; May, light; June, open) along transects at the area (B) and in the centre of the forest (C). forest margin (A), in the transition area (B) and in the cen- tre of the forest (C). zu 6,50) kaum Unterschiede auftreten. Ein Er- reich aufgezogen, während deren Mortalität in klärungsmodell hierfür könnte sein, dass für die Sektion A bei 18 % und in Sektion B bei 24 % lag Vögel hohe Höhlenkonzentrationen besonders (Abb. 9). attraktiv sind, sich dort aber nur die fittesten Hohe Nistkastendichten führen allerdings Exemplare gegen starke Konkurrenz durchset- nicht zu höheren Verlustquoten. Bei den Eiver- zen können. Solche starken und erfahrenen lusten waren die Werte mit 21,5 % in den 10 m- Vögel garantieren in der Regel einen hohen Abteilungen und 20,7 % in den 50-m-Abteilun- Bruterfolg. gen vergleichbar, während bei den Nestlingen mit Ausfallquoten von nur 7,9 % in den 10-m- Bruterfolg. Mit 29 % waren die Eiverluste am Abteilungen die Mortalität erheblich geringer Waldrand (Sektion A) erheblich höher als in war als in den 50-m-Abteilungen (17,7 %). Für Sektion B (15 %) oder Sektion C (21 %). Noch Sektion A ist dieses Ergebnis signifikant (GLM, deutlicher wird der Waldrandeinfluss bei den p = 0.0281). Wie bei den Gelegegrößen dürfte Nestlingsverlusten. Im Waldzentrum wurden auch hier der Grund in der Fitness der Einzel- dagegen alle geschlüpften Jungvögel erfolg- vögel zu suchen sein.

30 14 12 25 10 20 8 15 6

10 4 5 2

0 0 Individuensummen April - Juni Individuensummen April - Juni Sektion Sektion Sektion Sektion Sektion Sektion Sektion Sektion Sektion Sektion Sektion Sektion A B C A B C A B C A B C

Buchfink Kohlmeise Blaumeise Fitis Abb. 11. Antreffhäufigkeit von Buchfink, Kohlmeise, Blaumeise und Fitis im April (schwarz), Mai (grau) und Juni (weiß) am Waldrand (Sektion A), im Übergangsbereich (Sektion B) und im Waldzentrum (Sektion C). – Cumulative counts of Chaffinch, Great Tit, Blue Tit, and Willow Warbler at the forest margin (A), in the transition area (B) and in the centre of the forest (C) in April (filled), May (light) and June (open). M. Weber, H. Utschick u. W. Heitland: Einfluss eines Fichtenwaldrands auf den Bruterfolg von höhlenbrütenden Kleinvögeln 119

Linientaxierung der Vogelzönosen. Auch die Artenspektrum und Waldrandbezug. Auf- Ergebnisse der Linientaxierung weisen bei allen grund der Lage der Versuchsflächen in einem Zählungen (April – Juni) auf zum Waldrand hin fast reinen Fichtenforst war eine vergleichswei- steigende Vogeldichten hin (Abb. 10). Im Mittel se geringe Artenvielfalt zu erwarten (Steverding sanken die Dichten in Sektion B auf 87 % und in & Leuschner 2002). Nach Moning et al. (2007) Sektion C auf 80 % der am Waldrand erreichten sind in solchen Beständen am ehesten Kohl- Werte. Auffällig war dies v. a. beim Buchfink, meise Parus major, Blaumeise Cyanistes caeruleus während die Kohlmeise allenfalls im April den und Kleiber Sitta europaea anzutreffen, bei star- Waldrand bevorzugte und bis Juni immer höhe- ker Dominanz der Kohlmeise (Kiziroglu 1984, re Anteile in Sektion C verlagerte. Auch bei der Löhrl 1973). Die Ergebnisse im Ebersberger Blaumeise verringerte sich im Verlauf der Forst bestätigen dies. Brutsaison die enge Bindung an den Waldrand Die waldrandnahen Kästen der Sektion A etwas (Abb. 11). Fitis und Grünling zogen sich wurden von der Blaumeise bevorzugt ange- dagegen mit zunehmender Jahreszeit in wald- nommen, einer Art, die dunkle, geschlossene randnahe Bereiche zurück. Keinen Reaktions- Nadelwälder meidet (Löhrl 1976, Perrins 1979) mustern zugeordnet werden konnten Kleiber, und in Sektion C komplett fehlte. Die Kohl- Amsel, Rotkehlchen, Zilpzalp, Mönchsgras- meise war dagegen in allen 3 Sektionen relativ mücke und Zaunkönig. gleichmäßig vertreten. Die Ergebnisse der Li- nientaxierung bestätigen für diese beiden Diskussion Meisenarten Dominanzverhältnisse und Sek- tionsbezug. Insgesamt deuten die Ergebnisse Fehlerdiskussion. Durch die bodennahe An- an, dass sowohl die Artenvielfalt als auch die bringung der Nistkästen und das relativ große Belegung der Kästen am Waldrand höher ist als Einflugloch wurde die Kohlmeise vermutlich im Inneren. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen stark bevorzugt (vgl. Löhrl 1984). bereits Paquet et al. (2006). Bei der Nestlingsmortalität wurden nur sol- che Jungvögel berücksichtigt, die tot im Nest Brutphänologie und Witterungsverlauf. Der zurückblieben oder, bei Totalverlusten, auf- Witterungsverlauf hat die Brutphänologie grund ihres Alters noch nicht ausgeflogen sein kaum beeinflusst, worauf u. a. die Eiablagen konnten. Aktiv von den Eltern aus dem Nest während des einzigen Schlechtwettereinbruchs entfernte Leichen (vgl. Henze 1935) konnten in der 22. Kalenderwoche hinweisen. Auffällig nicht erfasst werden. Des Weiteren ist nicht aus- ist allerdings, dass der Besatz um ca. zwei zuschließen, dass bei einigen Nistkästen nicht Wochen früher stattfand als von Kiziroglu von der Waldrandnähe abhängige Lagebezie- (1984) für den Ebersberger Forst beschrieben. hungen das Ergebnis beeinträchtigt haben. So Leider ist aus dieser Arbeit nicht abzulesen, ob mussten zu Erhaltung gleicher Nistkastenab- die Untersuchungsflächen v. a. im Inneren gro- stände v. a. in den 10-m-Abteilungen 4 Kästen ßer Waldkomplexe lagen, oder ob es sich nur relativ nahe an Rückegassen aufgehängt wer- um eine Folge des Klimawandels handelt (vgl. den. In einem davon kam es zu einem Total- z. B. Hüppop & Hüppop 2005). verlust (Blaumeise), eventuell eine Folge des an Waldinnenrändern steigenden Prädations- und Gelegegrößen und Bruterfolg. Die vorgefunde- Konkurrenzdrucks. ne Verteilung der Gelegegrößen entspricht der Die in Sektion A beiderseits Abteilung c aus- in vergleichbaren Arbeiten (Kiziroglu 1984). gesparten, naturnäheren Bestandesteile (vgl. Auffällig sind die starken Blaumeisengelege in Abb. 1) hatten dagegen keinen Einfluss auf das Waldrandnähe. Vor allem bei dieser Art ist Brutgeschehen in den angrenzenden Abteilun- bekannt, dass die Gelegegröße mit der Habitat- gen. Gelegegröße, geschlüpfte Jungvögel oder qualität steigt (Baldi & Csörgö 1993, Lambrechts Ausflugsrate zwischen den direkt vergleichba- & Caro 2004). Eventuell führen Waldrandsitua- ren Abteilungen Aa und Ac unterschieden sich tionen aufgrund höherer Nischendiversität, kaum. Ähnliches gilt unter Berücksichtigung Lichtschacht- und Refugialeffekten zu einer der 50-m-Kastenabstände auch für Vergleiche größeren Zahl an Beutetieren und damit günsti- mit Ab und Ad. gen Nahrungsbedingungen. 120 Ornithol. Anz., 48, 2009

Allerdings sind auch die Verlustquoten in werden im Ebersberger Forst Waldrandsituatio- Waldrandnähe höher, laut Literatur meist so- nen stark bevorzugt, was sich positiv auf Lege- wohl die Folge einer intensiveren Prädation als beginn und Ausflugstermin auswirkt. auch – infolge höherer Vogeldichten – stärkerer Andererseits sind die Prädationsraten an Konkurrenz (Chalfoun et al. 2002, Brand & Waldrändern deutlich höher als im Waldinne- George 2000, Deng & Gao 2005). In Sektion B ren, was vor allem unerfahrenen Brutpaaren (Distanz zum Waldrand 100 – 150 m) überlagern hohe Verluste einbringt, während Leistungsträ- sich eventuell noch starke Prädation mit bereits ger wie im Ebersberger Forst ihre Brut mit über- deutlich gesunkener Lebensraumqualität und durchschnittlich gutem Erfolg abschließen. führen so zu besonders großen Verlusten. Dass die hohen Brutvogeldichten an Waldrän- dern starke Verluste durch Prädation nach sich Bruthöhlendichte. Bei hohen Kastendichten ziehen, vor allem bei zunehmender Fragmen- spricht vieles dafür, dass sie vor allem sehr kon- tierung von Waldlandschaften, belegen zahlrei- kurrenzstarke Vögel anlocken, die dann einen che experimentelle Untersuchungen vor allem Kasten besetzen und dafür sorgen, dass alle mit Kunstgelegen, aber auch bei Bruten im Nachbarkästen leer bleiben (inner- plus zwi- Nestlingsstadium (Brand & George 2000, Chal- schenartliche Konkurrenz). Der Besatz der 50 m foun et al. 2002, Donovan et al. 1997, Ford et al. auseinander hängenden Kästen war deshalb um 2001, Major et al. 1999, Piper & Catterall 2004, das 2,5-fache höher als der in nur 10 m vonein- Sandström 1991). Letztendlich tragen aber ander entfernten Kastengruppen, in der wald- Brutvögel, die Waldränder bevorzugen, nicht randfernen Sektion sogar um das 3,5-fache. Nur mehr zu Erhaltung einer Population bei als den am Waldrand wurden vermehrt auch dicht hän- Waldrand meidende Vogelindividuen, die häu- gende Kästen besetzt. Dass es sich dabei über- fig älter und erfolgreicher sind als ihre „Lotto wiegend um Konkurrenzeffekte handelt und spielenden“ Artgenossen am nahrungsreiche- nicht um höhere Habitatqualitäten in den 50-m- ren Waldrand (Harris & Reed 2002, With & King Abteilungen zeigen vor allem die Verhältnisse 2001). Auch im Ebersberger Forst unterscheiden am Waldrand. Hier stehen durchschnittlich 9,3 sich die reproduktiven Nettobeiträge (ausgeflo- Eier in 4 dicht hängenden Kästen 7,7 Eiern in 7 gene Jungvögel) von Sektion A und Sektion C weit hängenden Kästen gegenüber, während in nicht. den Sektionen B und C die durchschnittlichen Besonders intensiv betroffen ist der äußerste Gelegegrößen in den 50-m-Abteilungen tenden- Waldrand auf rund 15 – 30 m Breite, wobei dich- ziell höher sind. te Waldrandvegetation die Prädationsraten ver- ringert. Negative Effekte sind aber, exponentiell Abhängigkeit des Bruterfolgs von der Wald- abnehmend, noch bis 200 m ins Waldinnere randnähe. Vogelweibchen mit hoher Fitness spürbar (Andrén & Angelstam 1988, Brand & sind bei reichhaltigem Nahrungsangebot in der George 2000, Hatchwell et al. 1996, Keyser Lage, große Eizahlen zu produzieren, wohinge- 2002). Am äußersten Waldrand suchen v. a. Vo- gen Weibchen mit schwächerer körperlicher gelprädatoren (häufig Rabenvögel) Baum- und Verfassung bzw. unter hohem Konkurrenz- Strauchnester heim, in zentraleren Bereichen druck nur wenige Eier legen (Baldi & Csörgö Kleinsäuger Bodennester (Andrén 1992, De 1993). Wenn dies gilt, dann bevorzugen im Graaf et al. 1999, Ibarzabal & Desrochers 2004, Ebersberger Forst zumindest bei Kohl- und Kurzmann & Winkler 1994, Marini 1995). Bei Blaumeise die fittesten Vögel die meist stark Höhlennutzern (nicht bei Höhlenbauern) gehen umkämpften Reviere an Waldrändern, beson- zudem am Waldrand vermehrt Bruten durch ders bei hoher Höhlendichte. In tiefer im Wald die dort zahlreicheren Konkurrenten verloren liegenden Bereichen scheint zumindest bei nie- (Deng & Gao 2005). drigem Konkurrenzdruck (50-m-Abteilungen) Die produktiven Vorteile waldrandnaher die Fitness gleichmäßig verteilt zu sein (meist Lebensräume werden durch geringere Präda- Gelegestärken von 5 bis 9 Eiern). Leistungsstark tion (Altvögel mit Totalverlust, Eier, Nestlinge) sind in der Regel auch alle Vögel, die in der im Waldinneren ausgeglichen. Da Waldränder Lage sind, Reviere sehr früh zu besetzen, meist auch dichter und früher besiedelt werden als solche mit den regional und lokal besten das Waldinnere, müssen deren qualitativ hoch- Habitatqualitäten. Auch von diesen Vögeln wertigeren Habitatstrukturen für die Attrak- M. Weber, H. Utschick u. W. Heitland: Einfluss eines Fichtenwaldrands auf den Bruterfolg von höhlenbrütenden Kleinvögeln 121 tivität eines Vogelreviers entscheidender oder über dem Waldinneren höheren Brutvogeldich- leichter erkennbar sein als Feindvermeidung. ten ähnliche Ursachen greifen. Sehr viel größere Invertebratendichten und -spektren zumindest Abhängigkeit von Waldrandnähe und Kasten- bei Käfern, Wanzen und Hautflüglern belegen dichte (GLM). Die Einbeziehung von Höhlen- für den unmittelbaren Waldrand sowie für die dichten (hier Kastendichten) in Abhängigkeits- angrenzenden Offenlandstrukturen Müller et al. modelle ist nur für Wertebereiche sinnvoll, die (2007), wobei dies sowohl im bodennahen als von Vögeln nutzbar sind. Kastenabstände von auch im Kronenbereich, an Außenwaldrändern 10 m bewirken ein nicht mehr nutzbares Über- und in Waldlichtungen gilt. In zentralen Wald- angebot, mit dem Einzelkasten bezogen die Kon- flächen oder im unmittelbaren Nestbereich ent- kurrenz zwischen Brutvogelpaaren verschärft scheiden dagegen eher lebensraumtypische wurde, um die Effekte der Waldrandnähe bei Habitatstrukturen über die Vogeldichten, be- unterschiedlich hohen Konkurrenzlevels verglei- sonders bei auf Waldrandsituationen reagieren- chen zu können. den Arten (Burkhardt et al. 1998, Watson et al. Wie erwartet ergab das GLM daher nur, dass 2004). unter Einbeziehung auch der nicht belegten Diese an Waldrändern, in Waldvorsprün- Kästen die durchschnittlichen Gelegegrößen bei gen, in kleinen Waldinseln oder linearen Wald- großen Kastenabständen höher sind. strukturen höheren Vogeldichten behandeln Bezüglich der Mortalitätsraten wird vor Kontinent übergreifend eine Vielzahl von Arbei- allem die kombinierte Ei- und Nestlingsmortali- ten (z. B. Bollinger & Switzer 2002, Grunwald tät und damit die Ausflugsrate fast ausschließ- 1997, Harwood & MacNally 2005, Lentner 1997, lich von der Nähe zum Waldrand bestimmt Paquet et al. 2006, Tubelis et al. 2004, Watson et (nachhaltige Abnahme zum Waldinneren hin; al. 2004). Untersucht wurden meist Außenwald- vgl. Tab. 1). Lediglich bei der Eimortalität ränder mit durch die Randlage induzierten scheint auch die Kastendichte in Verbindung Gradienten der Vogeldichten auf bis zu 140 m mit der Waldrandnähe (Sektion) Einfluss zu Tiefe (Brand & George 2001, Dunford & Free- besitzen. Das Material hierzu ist aber so gering, mark 2005). In eher grob strukturierten Wald- dass dieses Ergebnis nur auf einen Trend hin- landschaften werden vergleichbare Effekte aber weist. auch für Innenwaldränder beschrieben, wobei hier dem Altersklassenwechsel eine gewisse Lebensraumqualität von Waldrändern. In opti- Bedeutung zukommt (Hawrot & Niemi 1996, malen Waldlebensräumen wie reifen Laubwäl- Muller 1999). Auch außerhalb der Brutzeit dern erreichen v. a. Kohlmeisen, Blaumeisen zeichnen sich Waldränder durch größere Vogel- und Kleiber als die diesbezüglich am besten trupps mit längeren Aufenthalten aus, in Spa- untersuchten Arten höhere Dichten als in nien u. a. als Folge eines höheren Zapfenan- Misch- und Nadelwäldern, Hecken oder Gär- gebots (Brotons & Herrando 2003, Rodewald & ten. Auch starten sie früher in die Brutsaison Brittingham 2002). Hinweise auf in großen und weisen größere Gelege, schwerere Nestlin- Waldflächen abnehmende Vogeldichten auch ge sowie höhere Ausflugsquoten auf (Burkhardt für typische Arten des Waldesinneren (Lee et al. et al. 1998, Riddington & Gosler 1995). Gleiches 2002) werden allerdings von Chan & Rangan- passiert bei künstlicher Zufütterung vor allem athan (2005) infrage gestellt. in suboptimalen Habitaten, bei starkem Über- angebot unter Verzicht auf Revierverteidigung Waldrandvögel. In Deutschland gibt es eigent- (Kraft 1988, 1995, Nilsson & Svensson 1993, lich außer der Heidelerche Lullula arborea keine Svensson & Nilsson 1995). Verursacht wird dies „typischen“ Waldrandarten (Jedicke 1995, durch unterschiedliches Nahrungsangebot mit Schäfer &Vogel 2000). Allerdings erreichen be- Schmetterlingsraupen als Schlüsselgruppe, das sonders Arten mit Nestanlage in Gehölzen und in suboptimalen Habitaten besonders gegen bevorzugtem Nahrungsraum in offenen Le- Ende der Nestlingszeit limitierend wirkt und bensräumen an Waldrändern ihre höchsten sogar zur Reduzierung der Eigrößen in Nach- Brutdichten (Berg 1997, Erlinger 1982, Peach et gelegen führen kann (Mänd et al. 2007, Stauss & al. 2004). Auch in unter Waldrandgesichtspunk- Glück 1995, Svensson & Nilsson 1995). Es ist zu ten publizierten kleinräumigen Revierkartie- erwarten, dass für die an Waldrändern gegen- rungen ist eine deutliche Bevorzugung von 122 Ornithol. Anz., 48, 2009 waldrandnahen Bereichen erkennbar, beson- ren Prädation und Konkurrenz. In den zentral ders in eher suboptimalen Lebensräumen liegenden Nistkästen wurden dagegen alle (Bonkwald 1984, Burkhardt et al. 1998, Erlinger Nestlinge flügge. Von ihren reproduktiven Bei- 1982, Jedicke 1995). Dabei können vor allem trägen zu den Populationen unterscheiden sich „weiche“ Übergänge und Pufferstreifen (z. B. daher Waldrand und Waldinneres nicht. Strauch-, Kraut-, Brachen-, Röhrichtsäume etc.) die Vogelzönosen verschiedener Lebensräume Dank. Zu Dank verpflichtet sind wir Dr. Heinz verbinden und so zu höherem Artenreichtum Utschig und dem Forstbetrieb Wasserburg der und höheren Gesamtdichten bei oft intermediä- Bayerischen Staatsforsten für die Erlaubnis, ihre ren Dichten der Einzelarten führen (Elle 2003, Waldflächen für diese Untersuchung nutzen zu Weißgerber 2000, Paquet et al. 2006). dürfen, sowie für die unbürokratische und großzügige Unterstützung mit Karten- und Bildmaterial. Die Bayerische Landesanstalt für Zusammenfassung Wald- und Forstwirtschaft stellte dankenswer- terweise lokale Klimadaten zur Verfügung. Von April bis Juni 2007 wurden in Fichtenbe- ständen des 30 km östlich von München gelege- nen Ebersberger Forstes in verschiedenen Ent- Literatur fernungen zum Waldrand (20 m, 100 – 150 m, 700 – 1200 m) unterschiedlich verdichtet (Kas- Andrén, H. & P. Angelstam (1988): Elevated pre- tenabstände 10 m bzw. 50 m) 60 Nistkästen dation rates as an edge effect in habitat exponiert und auf Besatz und Bruterfolg kon- islands: experimental evidence. Ecol. 69: trolliert. Ergänzt wurde dies durch Linientaxie- 544-547. rung entlang der Kastenlinien. Die Kästen wur- Andrén, H. (1992): Corvid density and nest pre- den von 5 Vogelarten (Kohlmeise, Blaumeise, dation in relation to forest fragmentation: a Tannenmeise, Kleiber, Trauerschnäpper) ange- landscape perspective. Ecol. 73: 794-804. nommen, wobei die dominierende Kohlmeise in Baldi, A. & T. Csörgö (1993): Effect of habitat on ihrer Verteilung nicht auf den Waldrandgra- the clutch size and egg dimensions of the dienten reagierte. Die Blaumeise war dagegen Great Tit (Parus major). Aquila 100: 201- 209. am Waldrand am häufigsten und fehlte in zen- Batary, P. & A. Baldi (2004): Evidence of an edge tralen Waldflächen. Die übrigen 3 Arten waren effect on avian nest success. Conserv. Biol. nur in einem Brutpaar vertreten. 18: 389- 400. Vergleiche von dicht und weit hängenden Bergstedt, J. (1992): Handbuch angewandter Kastengruppen zeigen, dass die dicht hängen- Biotopschutz. Ecomed, Landsberg. den vor allem von besonders leistungsstarken, Bollinger, E.K. & P.V. Switzer (2002): Modeling dominanten Vögeln besetzt wurden, und dies the impact of edge avoidance on avian nest am unmittelbaren Waldrand doppelt so oft wie densities in habitat fragments. Ecol.Appl. 12: in den zentraleren Kastenlinien. In den wald- 1567-1575. randnahen Kästen waren auch Belegungsquote Brand, L.A. & T.L. George (2000): Predation sowie Gelege- und Nestlingszahlen am höch- risks for nesting birds in fragmented coast sten und sie wurden früher besetzt als die im Redwood forest. J. Wildl. Manage. 64: 42-51. Waldzentrum liegenden. Ähnliches ergab die Brand, L.A. & T.L. George (2001): Response of Linientaxierung. So wurden in allen Monaten passerine birds to forest edge in Coast red- der Brutsaison die höchsten Vogeldichten am wood forest fragments. Auk 118: 678-686. Waldrand erreicht, besonders auffällig bei Brotons, L. & S. Herrando (2003): Effect of in- Buchfink, Blaumeise, Fitis und Grünling. Dies creased food abundance near forest edges lässt auf eine größere Attraktivität des Wald- on flocking patterns of Coal Tit Parus ater randes im Vergleich zum Waldinneren schlie- winter groups in mountain coniferous ßen. Aus der Literatur ist abzuleiten, dass hier- forests: Individuals concentrated near forest für höhere Habitatqualitäten verantwortlich edges in bigger social groups than in forest sind. interiors and foraged more on pine cones Andererseits sind auch die Mortalitätsraten which were more abundant there. Bird am Waldrand höher, eine Folge der dort höhe- Study 50: 106-111. M. Weber, H. Utschick u. W. Heitland: Einfluss eines Fichtenwaldrands auf den Bruterfolg von höhlenbrütenden Kleinvögeln 123

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Eingereicht am 28. Oktober 2008 Revidierte Fassung eingereicht am 29. April 2009 Angenommen am 10. Mai 2009

Martin Weber, Jg. 1984, B.Sc. „Forstwissenschaften und Ressourcen- management“ 2008 an der TU München; derzeit M.Sc.-Studium „Wild- tierökologie und Wildtiermanagement“ an der Univ. für Bodenkultur in Wien; ornithologische Schwerpunkte: Fotografie, Konfliktbereich Mensch-Wildtier.

Dr. Hans Utschick, Jg. 1949, Diplombiologe; seit 1980 wissenschaftli- cher Mitarbeiter an der LMU München, ab 1999 an der TU München (Forstwissenschaften); ornithologische Schwerpunkte: Graureiher, Inn- stauseen, Einsatz von Vogeldaten in Landschaftsplanung und Natur- schutz.

Dr. Werner Heitland, Jg. 1956, Biologe; seit 1991 wissenschaftlicher Mit- arbeiter an der LMU München, ab 1999 an der TU München; Schwer- punkte: Phytophage und ihre natürlichen Gegenspieler, invasive Arten. 126 Ornithol. Anz., 48, 2009

Ornithol. Anz., 48: 126–142

Welchen Einfluss haben urbane Lebensräume auf die Artenvielfalt? Eine quantitative Analyse am Beispiel der Vogelwelt Bayerns

Robert Pfeifer, Jörg Müller, Jutta Stadler und Roland Brandl

Gartenrotschwanz Zeichnung: Werner Dittrich

The importance of urban habitats for avian biodiversity in Bavaria

Using the data from the breeding bird atlas of Bavaria (1996-1999) and land cover data from the European wide project CORINE, we correlated species richness of breeding birds (altogether 208 species) to ten types of landcover using 1927 grids (average area 33.9 km2). Many of the landcover types important for birds occured in only small proportions in the quadrants. Furthermore, the pro- portion of settlements/cities and traffic and industrial areas within grids had a positive influence on species richness, even for threatened birds. In urban areas even species of scrublands and forests occur. This influence could be demonstrated for threatened and not threatened species in a similar way. However, species richness of urban area provides no information about habitat quality, the individual fitness and the potential for long term survival of populations. Key words: biodiversity, birds, urban habitats, species richness, grid maps.

Robert Pfeifer, Dilchertstr. 8, D-95444 Bayreuth E-Mail: [email protected] Jörg Müller, Nationalpark Bayerischer Wald, Freyunger Str. 2, D-94481 Grafenau E-Mail: [email protected] Jutta Stadler, Helmholtz-Centre for Environmental Research, Department of Community Ecology, Theodor-Lieser-Str. 4, D-06120 Halle/Saale E-Mail: [email protected] Roland Brandl, Animal Ecology, Department of Ecology, Philipps-University Marburg, Karl-von- Frisch-Str., D-35043 Marburg E-Mail: [email protected] R. Pfeifer, J. Müller, J. Stadler und R. Brandl: Welchen Einfluss haben urbane Lebensräume auf die Artenvielfalt? 127

Einleitung Bayerns Gebiete mit Konzentrationen beson- ders artenreicher sowie artenarmer Rasterfelder Die bayerische Landschaft wird praktisch flä- heraus. Dabei hoben sie, wie schon Bezzel et al. chendeckend vom Menschen genutzt, so dass (1980), den Artenreichtum der großen Flusstäler hier – wie in ganz Mitteleuropa – „buchstäblich (Main, Donau) besonders hervor. Auch die kein Fleckchen seinen Naturzustand bewahren nordbayerischen Teichgebiete mit vielfältigen konnte“ (Ellenberg 1986). Über 90 % der Lebensräumen verursachen hohe Artenzahlen Brutvogelarten Bayerns sind heute über ihren in den entsprechenden Quadranten. Urbane Le- Brutplatz und/oder ihre Nahrungsquellen von bensräume werden hingegen kaum erwähnt. der Landwirtschaft abhängig, 54 % von der Die gesamte Naturschutzbiologie hat sich bis- Forstwirtschaft (Bezzel & Ranftl 1996). Land- her wenig um solche Lebensräume gekümmert wirtschaftliche Flächen und Forste machen zu- (McKinney 2002, Miller & Hobbs 2002). In der sammen über 86 % der Landesfläche aus (Bez- vorliegenden Arbeit wollen wir mit den verfüg- zel et al. 2005), den Rest bilden kleinflächigere, baren Daten versuchen, in einer flächendecken- aber für die Vogelwelt nicht unbedeutende den, quantitativen Auswertung einige Faktoren Lebensräume wie Feuchtgebiete und Felsregio- der Landnutzung und Bodenbedeckung her- nen aber auch Siedlungen und Verkehrsflächen. auszuarbeiten, die den Artenreichtum der Brut- Diese wenigen Angaben machen bereits deut- vögel in Bayern beeinflussen. Insbesondere soll lich, dass unsere Landschaften vom Menschen dabei die Bedeutung von Städten für den Arten- beeinflusst sind und auch künftig geprägt sein reichtum im Vordergrund stehen und Antwor- werden. Damit bestimmt letztlich der Mensch ten auf folgende Fragen gesucht werden: den Artenreichtum von Organismen. 1. Wie beeinflussen auf der gegebenen Maß- Während die Bedeutung der Feuchtgebiete stabsskala Landnutzungsformen die Arten- für den Artenreichtum größerer Gebiete seit vielfalt der Vögel? langem unstrittig ist (z. B. Haarmann & Pret- 2. Welchen Beitrag leisten urbane Lebens- scher 1981), wird auf die Bedeutung der Städte räume zur Artenvielfalt von nicht gefährde- für die Artenvielfalt erst in neuerer Zeit hinge- ten und gefährdeten Arten? wiesen (z. B. Stadler et al. 2000, Otto & Witt 2002, Kühn et al. 2004, Kelcey & Rheinwald 2005, Reichholf 2007). In der Naturschutzszene Material und Methode wird dies durchaus kontrovers diskutiert und der Artenreichtum von Städten häufig auf Brutvogeldaten. Die Daten zur Verbreitung Neobiota bzw. „Allerwelts“-Arten zurückge- bayerischer Brutvögel stammen aus der führt (Blaire 1996, Savard et al. 2000; siehe auch Kartierung 1996–1999, die vom Bayerischen Brunzel et al. 2009). Bislang gibt es für Vögel Landesamt für Umwelt, Staatliche Vogelschutz- wenige flächendeckende Analysen des Zusam- warte Garmisch-Partenkirchen, in EDV-ver- menhangs zwischen Landnutzungsform und wertbarer Form zur Verfügung gestellt wurden Artenreichtum für ein größeres Gebiet (für (Bezzel et al. 2005). Kartierungsgrundlage sind Pflanzen siehe z. B. Kühn et al. 2004). die Quadranten der topographischen Karte Mit der Einführung der Rasterkartierung 1:25000 (TK-Viertel) für Bayern mit einer mittle- liegen heute flächendeckend Informationen ren Flächengröße von 33,9 km2 (Minimum 32,9 über das Auftreten oder Fehlen aller Vogelarten km2; Maximum 35,1 km2). Nicht ausreichend Mitteleuropas auf definierten Flächeneinheiten erfasste Quadranten (vgl. Bezzel et al. 2005) vor (z. B. Hagemeijer & Blair 1998). Solche Kar- wurden in den Auswertungen nicht berücksich- ten bieten hervorragende Informationsquellen tigt. Abweichend vom Brutvogelatlas fanden in für die Analyse räumlicher Muster der Arten- unserer Untersuchung Randquadranten, deren vielfalt (z.B. Arbeiten in Storch et al. 2007). Fläche nicht zu 100 % auf bayerischem Gebiet Entsprechende Karten des Artenreichtums defi- liegt, keine Berücksichtigung. Insgesamt erga- nierter Rasterflächen enthalten die Brutvogelat- ben sich dabei Verbreitungsdaten für 208 Vogel- lanten für Bayern von Nitsche & Plachter (1987) arten auf 1927 Quadranten. Ebenfalls im Gegen- und Bezzel et al. (2005). Bereits Nitsche & satz zu den Darstellungen im Brutvogelatlas Plachter (1987) arbeiteten aus dem Material der wurden für die vorliegenden Analyse A-, B-, C- ersten flächendeckenden Brutvogelkartierung und D-Nachweise verwendet. Die Unterschei- 128 Ornithol. Anz., 48, 2009

Tab. 1. Zusammenfassung der in CORINE verfügbaren Bodenbedeckungen und Landnutzungen, die für die Analyse der Artenvielfalt bayerischer Brutvögel verwendet wurden. Die Flächenanteile der einzelnen in CORI- NE aufgeführten Landnutzungsklassen wurden für die vorliegende Arbeit zu „Landnutzungsformen“ zusam- mengefasst. Die Zusammenfassung erfolgte so, dass für ornithologische Belange sinnvolle Einheiten gebildet wurden. Lediglich die Landnutzungsform „Sonstiges“ ist ein Sammelbecken von schwer zuordenbaren CORI- NE-Landnutzungsklassen. Benennung der CORINE-Landnutzungsklassen nach http://www.corine.dfd.- dlr.de/media/download/clc_lut_de.pdf.– Summary of CORINE land cover types, used in this analysis. For simplif- cation several CORINE types were summed to types related to ornithological data.

CORINE Landnutzungsformen Code Landnutzungsklassen Acker 211 Nicht bewässertes Ackerland Grünland 231 Wiesen und Weiden 243 Landwirtschaft mit natürlicher Bodenbedeckung 321 Natürliches Grünland Feuchtgebiete 322 Heiden und Moorheiden 411 Sümpfe 412 Torfmoore 511 Gewässerläufe 331 Strände, Dünen und Sandflächen 512 Wasserflächen Nadelwald 312 Nadelwald Mischwald 313 Mischwald Laubwald 311 Laubwald

Abbau und Industrie 121 Industrie- und Gewerbeflächen 124 Flughäfen 131 Abbauflächen 132 Deponien und Abraumhalden Stadt und Verkehr 111 Flächen durchgängig städtischer Prägung 112 Flächen nicht-durchgängig städtischer Prägung 123 Hafengebiete 133 Baustellen 141 Städtische Grünflächen 142 Sport und Freizeitanlagen 122 Straßen und Eisenbahn Sonstiges 332 Felsflächen ohne Vegetation 333 Flächen mit spärlicher Vegetation 335 Gletscher und Dauerschneegebiete 242 Komplexe Parzellenstrukturen 222 Obst- und Beerenobstbestände 324 Wald-Strauch-Übergangsstadien 221 Weinbauflächen R. Pfeifer, J. Müller, J. Stadler und R. Brandl: Welchen Einfluss haben urbane Lebensräume auf die Artenvielfalt? 129 dung in gefährdete und nicht gefährdete Brut- Ackerland hohe Flächenanteile einnimmt, muss vögel erfolgte anhand der Roten Liste Bayerns der Grünlandanteil gleichzeitig gering sein. (BayStMLU 2005): als gefährdet wurden alle Ar- Solche Abhängigkeiten der Daten stören die sta- ten der Kategorien 0 (ausgestorben oder ver- tistische Analyse. Daher haben wir alle Analy- schollen), 1 (vom Aussterben bedroht), 2 (stark sen auch unter Weglassung von Grünland bzw. gefährdet), 3 (gefährdet) und R (Arten mit Acker durchgeführt, wobei sich keine grund- geografischer Restriktion) gewertet; alle ande- sätzlich unterschiedlichen Resultate ergaben. ren Arten als nicht gefährdet. Andere Korrelationen zwischen Landnutzungs- formen (z.B. Stadt und Verkehr versus Abbau Daten zur Landnutzung. Im Projekt CORINE und Industrie: r = 0,65) sind dagegen keine (Coordinated Information of the European mathematischen Notwendigkeiten und spie- Environment) der Europäischen Union erfolgte geln wirtschaftsgeografische Prozesse wieder. europaweit eine flächendeckende Kartierung der Bodenbedeckung und Landnutzung auf der Statistik. Alle Auswertungen erfolgten mit Basis von LANDSAT-7-Satellitenbildern im Funktionen, die die entsprechenden Verfahren Maßstab 1 : 100.000 aus dem Jahr 2000. Die Er- für das frei zugänglichen Statistiksoftwarepaket fassung erfolgte nach 44 Landnutzungsklassen, R implementieren (R Development Core Team von denen 37 in Deutschland relevant sind. Für 2004). So erfolgte die Berechnung der räumliche die nachfolgenden Auswertungen wurden die Autokorrelationsmuster einzelner Variablen mit Anteile einzelner Klassen zu Formen der Bo- der Funktion correlog im Paket ncf (Bjornstad & denbedeckung und Landnutzung zusammen- Falck 2001). Die Autokorrelation misst die Ähn- gefasst, die wir weiterhin zur Vereinfachung als lichkeit von Werten einer Variabeln von räum- Landnutzungsformen bezeichnen (Tab. 1). Na- lich nahe beieinander liegenden Orten. Grund- türlich sind zwangsläufig häufige Landnut- sätzlich kann man in einem geographischen zungsformen negativ miteinander korreliert Kontext davon ausgehen, dass benachbarte (z.B. Acker versus Grünland: r = -0,53): Wenn Orte für eine Variable ähnliche Werte annehmen

Abb. 1. Häufigkeitsverteilung der Artenzahlen pro Rasterfeld (Artendichte) für alle bayerischen Brutvögel (A,B,C und D-Nachweise) auf 1927 Quadranten (1/4 TK 25) sowie die zughörige Karte des Artenreichtums auf Rasterbasis. Die Intensität der Rotfärbung gibt die Artendichte wieder, weiß: unzureichend kartierte Quadranten. – Histogram of species richness within grids of 33.9 km2 (1929 grids across Bavaria) and the corresponding map of species richness. The bar above the histogram gives the code for species richness. 130 Ornithol. Anz., 48, 2009

(positive Autokorrelation). Waldo Tobler formu- ist auch die übersichtliche Darstellbarkeit der lierte bereits 1970 dieses Faktum als Gesetz: Unterteilung der Daten und damit der Bedeu- „The first law of geography is that everything is tung einzelner unabhängiger Variablen für den related to everything else, but near things are Artenreichtum. Zur Ermittlung der Bedeutung more related than distant things.” (Tobler 1970). der Flächenanteile unterschiedlicher Landnut- Zur Quantifizierung nutzt man häufig den zungsformen für gefährdete und nicht gefähr- Koeffizienten nach Moran, der sich wie der all- dete Arten wurden die Regressionsbäume ge- gemein bekannte Korrelationskoeffizient inter- trennt für beide Artengruppen berechnet. Die pretieren lässt. Moderne Verfahren berechnen Autokorrelation ist ein Problem für alle statisti- nun die Autokorrelation für Werte zwischen schen Analysen. Streng genommen sollten bei Objekten mit unterschiedlicher räumlicher Dis- einer formalen statistischen Überprüfung die tanz. Solche Autokorrelationsprofile geben ei- Residuen statistisch unabhängig sein. Räumli- nen Eindruck über die räumliche Struktur einer che Autokorrelationen können aber zu einer Landschaft. So zeigen sich klinale Verände- Abhängigkeit führen. Bei unserer Analyse zei- rungen, also stetige Veränderungen des Wertes gen die Residuen der Artenzahlen aus den Re- einer Variablen in eine Raumrichtung, in einer gressionsbäumen eine gewisse räumliche Ab- Abnahme der Autokorrelation von positiven zu hängigkeit. Zum besseren Verständnis haben negativen Werten. Die meisten Variablen dage- wir auf komplexere Auswertverfahren verzich- gen fallen von positiven Werten auf Werte um 0. tet, so dass die in den Abbildungen angegebe- Die Distanz bis zu der noch positive Autokorre- nen statistischen Tests nur nährungsweise Gül- lationswerte auftreten vermittelt einen Ein- tigkeit haben. druck über die räumliche Strukturierung dieser Variablen. Die Vorhersagbarkeit der Artenzahl nicht Ergebnisse gefährdeter und gefährdeter Vogelarten mit Hilfe der Landnutzungsformen wurde mit Re- Artenreichtum der Brutvögel. Die Artenzahlen gressionsbäumen untersucht. Prinzipiell funk- pro Raster bewegen sich zwischen 13 und 132 tionieren diese Bäume nach folgendem Schema: (Abb. 1), Median und Mittelwert liegen bei 73 Zuerst wird die Variable aus den zur Verfügung Arten pro Quadrant (nicht gefährdete Arten stehenden Datensätzen (in unserem Fall Land- Mittelwert = 64 [12 - 98]; gefährdete Arten: 9,2 [0 nutzungsformen) gesucht, mit der die Daten - 36]). Dabei steigt der Prozentsatz gefährdeter (Artenzahlen der Raster) am besten in zwei Arten mit dem Artenreichtum nicht gefährdeter Gruppen unterteilt werden können. Für jede Arten (Abb. 2). Offensichtlich sind Raster mit Untergruppe wird dieser Prozess wiederholt bis einem hohen Artenreichtum nicht gefährdeter grundsätzlich jede Gruppe nur noch aus einer Arten auch überdurchschnittlich von gefährde- Beobachtung besteht. Damit wäre die Variabili- ten Arten bewohnt. Bereiche mit überdurch- tät der unabhängigen Variablen (in unserem schnittlich hohen Gesamtartenzahlen lassen Fall Artenzahl pro Raster) vollständig erklärt. sich als zusammenhängende Bänder vor allem Ziel muss es aber wie bei allen schrittweisen in den Tälern von Donau und Isar sowie des Verfahren sein, den Prozess an geeigneter Stelle Obermains erkennen. Daneben zeigen sich „anzuhalten“, so dass man mit möglichst weni- punktförmige „hot spots“ in Quadranten mit gen Gruppen (das sind die Endpunkte eines größeren Feuchtgebieten. Man erkennt auf der Regressionsbaumes) möglichst viel der Variabi- Karte z. B. das Fränkische Weihergebiet, lität der unabhängigen Variablen erklären kann. Rötelseeweihergebiet, den Chiemsee, das Dazu gibt es eine Reihe von Verfahren. Wir Ammersee-Südende und das Gebiet der benutzten das in der Funktion ctree im Paket Murnau-Kochelseemoore, die seit langem für party implementierte Verfahren (Hothorn et al. ihre vielfältige Vogelwelt bekannt sind (vgl. 2006, siehe auch Müller & Hothorn 2004). Moning & Wagner 2005). Die Karte zeigt aber Gegenüber multiplen Regressionsanalysen sind auch eine Zunahme artenreicher Raster von solche Verfahren unempfindlich gegen die Südosten nach Nordwesten. Dieser klinale Abweichungen von der Normalverteilung (vgl. Trend findet sich klar im Autokorrelationsprofil Abb. 3) und Interaktionen zwischen Variablen wieder (Abb. 3). Stellt man die fünf artenreich- werden implizit berücksichtigt. Hervorzuheben sten Quadranten den fünf artenärmsten gegen- R. Pfeifer, J. Müller, J. Stadler und R. Brandl: Welchen Einfluss haben urbane Lebensräume auf die Artenvielfalt? 131

40 0,3 = 0,22

30 0,0

20 -0,3 Koeffizient nach Moran

-0,6

Gefährdete Arten (%) 10 0 100 200 300 400 Distanz [km] 0 Abb. 3. Räumliches Autokorrelationsprofil der Arten- 20 40 60 80 100 zahlen von gefährdeten (Rot) und nicht gefährdeten Arten (Grün; vgl. Material und Methode). – Spatial Anzahl nicht gefärdeter Arten autocorrelation profiles of the number of threatened (red) and not threatened (green) bird species across Bavaria (x- Abb. 2. Beziehung zwischen Anzahl nicht gefährdeter axis: distance between grids in km; y-axis: autocorrelation Arten in einem Raster gegen den Prozentsatz gefähr- coefficient according to Moran). deter Arten in Bezug zu allen in einem Raster nachge- wiesenen Arten (A,B,C & D-Nachweise; r = 0,47; n = selten übersteigen (Feuchtgebiete, Stadt und 1927). Wegen Abhängigkeit der beiden Variabeln und Verkehr, Abbau und Industrie) fallen die Auto- wegen durch Autokorrelation verursachter Pseudo- replikation, wurde keine formale statistische Analyse korrelationskoeffizienten bereits bei einer Dis- durchgeführt. – Scatterplot of percentage of threatened tanz von < 25 km auf Werte nahe 0 (Abb. 5). species (y-axis) versus all other breeding birds (x-axis). Derartige Landnutzungsformen zeigen eine Because the two data sets are not really independent, we kleinräumigere Struktur als Grünlandwirtschaft provide no formal statistical test. oder Waldnutzung. Wie erwartet, zeigen Son- derformen der Landnutzung eher ein „Salz- über (Tab. 2), so liegen letztere in nadelwaldrei- und-Pfeffer-Muster“ als die Hauptnutzungska- chen Landschaften, von den fünf artenreichsten tegorien. weisen zumindest vier nennenswerte Anteile an Feuchtgebieten auf. Die großen Ballungszentren Landnutzungsformen und Artenreichtum. Bayerns (München und Großraum Fürth-Erlan- Über alle Landnutzungsformen (Tab. 1) hinweg gen-Nürnberg) fallen in der Karte hingegen ist die Vorhersagbarkeit der Artenzahl aus der nicht weiter auf. Lebensraumausstattung der Raster für gefähr- dete und nicht gefährdete Arten insgesamt ge- Häufigkeit und Verteilung der Landnutzungs- ring. Dennoch existieren beträchtliche Unter- formen. Nur wenige Raster werden von einer schiede zwischen nicht gefährdeten und gefähr- Landnutzungsformen dominiert und wenn, deten Arten. So ergibt sich zwischen den aus dann handelt es sich dabei meist um Acker, den Regressionsbäumen (Abb. 6a und b) ge- Grünland oder Nadelwald (Abb. 4). Feuchtge- schätzten und der gefunden Artenzahl ein R2 biete machen immer nur kleine Anteile einzel- von 0,17 für nicht gefährdete, dagegen von 0,28 ner Rasterflächen aus. Ähnliches gilt für die für die gefährdeten Arten. Gefährdete Arten Kategorien Laubwald, Abbau und Industrie sind also anscheinend eher von Landnutzungs- sowie Stadt und Verkehr. Die räumliche Auto- formen abhängig als nicht gefährdete Arten. Bei korrelationsanalyse der Anteile von Landnut- den nicht gefährdeten Arten teilt der Anteil an zungsformen zeigt, dass positive Koeffizienten Stadt- und Verkehrsflächen bereits am ersten in vielen Kategorien bei räumlichen Distanzen Verzweigungspunkt in artenreiche und artenar- von < 100 km auftreten (Abb. 5). Dies deutet auf me Flächen, wobei der Unterschied durch- eine Strukturierung der bayerischen Landschaft schnittlich gut 5 Arten ausmacht, wenn der etwa auf dieser Raumskala. Für die Landnut- Anteil an Stadt und Verkehrsflächen mehr als zungsformen, deren Flächenanteile 10 % nur 3% beträgt. Der Anteil von Stadt- und Verkehrs- 132 Ornithol. Anz., 48, 2009 in 1,63 Stadt und Verkehr Sonstiges Feuchtgebiete 10,39 3,93 Abbau und Industrie 17,00 0,70 5,10 11,00 1,20 16,05 1,56 31,91 30,00 – Percentage of cover of the land cover types (see Tab. 1) within the of cover the land types (see Tab. – Percentage Misch- 0,00 3,00 26,00 11,00 0,00 3,00 7,70 0,00 3,80 7,60 Laub- 6,28 7,986,20 6,30 0,00 53,04 0,00 3,91 4,43 12,72 37,45 7,46 3,47 8,07 8,16 2,54 28,31 3,69 33,1948,9464,37 2,9356,85 0,0060,62 0,0019,00 0,00 0,00 1,28 0,00 7,11 24,82 0,00 10,40 17,01 0,00 0,00 7,43 0,14 15,81 26,70 0,00 0,00 8,31 0,00 9,90 36,74 0,00 6,74 0,00 12,00 1,82 4,05 23,55 0,00 2,65 0,00 10,80 1,65 0,00 0,00 0,00 0,00 27,99 1,15 5,20 22,00 45,73 0,00 15,95 25,45 4,17 0,00 0,85 5,88 1,97 Nadel- 3 1 4 0 1 33 Rote Liste wald35 wald35 36 wald Acker Wiesen 73 9,2 Arten- zahl 131 33 0,00 16,26 20,81 43,46 2,54 0,00 9,54 7,39 0,00 Nord Flächenanteile (%) der einzelnen Landnutzungsformen (siehe Tab. 1) an den jeweils 5 artenreichsten und artenärmsten Quadranten 1) an den jeweils 5 artenreichsten Flächenanteile (%) der einzelnen Landnutzungsformen (siehe Tab. Artenärmste Quadranten 5939 1 Waldsassen 19 67396944 28035 17045 2Median 1 Bruck i. d. Opf.Mittelwert Bodenmais 18 Sauerlach Frauenau 16 16 13 73 8 5726 45832 Bad Kissingen 2 Lichtenfels 127 MTB-Nr. QuadrantArtenreichste Quadranten Blatt 6232 162316741 4 Forchheim 4 132 Adelsdorf Cham West 130 129 Tab. 2. Tab. Bayern. Median und Mittelwert beziehen sich auf alle 1927 untersuchten Raster. Bayern. Median und Mittelwert beziehen sich auf alle 1927 untersuchten Raster. based on 1927 grids. five grids with the highest and lowest species richness in Bavaria. Median arithmetic mean value are R. Pfeifer, J. Müller, J. Stadler und R. Brandl: Welchen Einfluss haben urbane Lebensräume auf die Artenvielfalt? 133

Acker Grünland Feuchtgebiete 200 500 Häufigkeit 0 0 400 800 01000

0 20406080 020406080 020406080

Nadelwald Mischwald Laubwald 1000 200 500 Häufigkeit 0 0 600 1400 0

0 20406080 020406080 020406080

Sonstige Stadt und Verkehr Abbau und Industrie 1000 1000 400 Häufigkeit 0 01000 0

0 20406080 020406080 020406080

Flächenanteil Flächenanteil Flächenanteil

Abb. 4. Verteilungen der Flächenanteile von 9 Landnutzungsformen (siehe Tab. 1) in den 1927 Quadranten. Abszisse: Prozentuale Flächendeckung der jeweiligen Landnutzungsform in Intervallen von 10 %; Ordinate: Anzahl Rasterfelder. – Distribution of 9 landcover types (see Table 1. x-axis: percentage of cover; y-axis: number of grids). flächen sowie von Abbau und Industrie führen geprägter Landnutzungsformen an der Gesamt- im weiteren Verlauf des „Baumes“ an zwei wei- fläche eines Quadranten hat eindeutig positive teren Verzweigungspunkten zu artenreicheren Auswirkungen auf die Artenzahl. Verhältnissen. Ein höherer Anteil an Laubwald, Ackerflächen und Feuchtgebieten führt eben- Diskussion falls zu mehr Artenreichtum, während höhere Nadelwaldanteile artenärmere Quadranten Städte als „Hot-spots“ der Artenvielfalt? Städ- kennzeichnen (vgl. auch Tab. 2). Selbst wenn te beinhalten innerhalb ihrer Verwaltungsgren- man den Reichtum an gefährdeten Arten be- zen eine Vielfalt von Strukturen und Lebensräu- trachtet, führen an zwei Stellen des Regressions- men: von der nahezu vegetationslosen City baumes höhere Anteile von menschlicher Nut- über die Gartenstadt bis hin zu großflächigen zung bestimmten Landnutzungsformen zu ei- Parks und Stadtwäldern. Jede Stadt stellt ein ner Erhöhung der Vielfalt dieser Arten (Abb. Mosaik aus derartigen Strukturen dar, das in 6b). Ein gewisser Anteil urban und industriell seiner Gesamtheit vielen Arten Existenzmög- 134 Ornithol. Anz., 48, 2009

Abb. 5. Autokorrelationsprofile für die neun Landnutzungsformen aus Tab. 1 (siehe auch Abb. 3). Abszisse: Distanzklassen in km, Ordinate: Autokorrelationskoeffizient Moran’s I. – Spatial autocorrelation profiles of 9 land cover types (see Table 1) across Bavaria (x-axis: distance between grids in km; y-axis: autocorrelation coefficient according to Moran; see also Fig. 3). lichkeiten bietet. Darunter befinden sich auch (Wichmann et al. 2009). Stadt- und Erholungs- solche, die man nicht unbedingt Stadtlebens- wälder und waldartige Parkanlagen unterliegen räumen zuordnen würde, etwa Kolbenenten häufig nicht dem wirtschaftlichen Druck, der Netta rufina (z. B. in München, Pelchen 1998) stadtfernere Forste beeinflusst. Deswegen gibt und Zwergdommeln Ixobrychus minutus (z. B. in es in vielen Städten sogar attraktive Beobach- Wien, Sabathy 1998) an Parkgewässern oder an tungsmöglichkeiten für „Birder“ (Milne 2006). Fernsehtürmen oder Heizkraftwerken brütende Zu beachten bleibt aber, dass nur ein begrenzter Wanderfalken. Teilweise stillgelegte Bahnanla- Satz an Arten in Städten Fuß fassen kann. Vor gen, Industriebrachen und andere Ruderalflä- allem Arten mit großem Raumsanspruch sind in chen sind häufig besonders artenreiche Lebens- Städten unterrepräsentiert. Die typischen Stadt- räume mit selteneren Arten wie Rebhuhn Perdix arten kommen aber nahezu in allen europäi- perdix, Dorngrasmücke Sylvia communis oder schen Städten vor, so dass mit zunehmender Bluthänfling Carduelis cannabina. Allerdings ist Ausdehnung städtischer Siedlungsräume bio- in großflächigen Industriegebieten die Sied- geografische Unterschiede eventuell nivelliert lungsdichte vieler Arten nur sehr gering oder werden. Detailuntersuchungen dazu fehlen beschränkt sich auf punktuelle Vorkommen aber bisher. R. Pfeifer, J. Müller, J. Stadler und R. Brandl: Welchen Einfluss haben urbane Lebensräume auf die Artenvielfalt? 135

Tab. 3. Artenzahlen (S) sowie Zahl der gefährdeten Arten (R) auf den 10 Rasterflächen (mittlerer Fläche 33,9 km2) mit dem höchsten prozentualen Flächenanteilen der Kategorien Stadt und Verkehr sowie Abbau und Industrie. 0,14 S/S1: Quotient aus dem Befund (S) und dem Erwartungswert aus der Arten-Areal-Beziehung (S1=42,8 A = 70,1, vgl. Reichholf 1980 mit A = 33,9 km2) sowie im Bezug zur mittleren Artenzahl bzw. mittlerer Zahl gefähr- deter Arten über alle 1927 Rasterflächen (S2 = 73; R2 = 9,2). – Number of species (S) and number of threatened species (R) of the ten grids (mean area 33.9 sqkm) with the highest percentage of the land cover categories “Stadt und Verkehr” and

“Abbau und Industrie”. S/S1: quotient between findings (S) and the calculated value from the species area relationship 0,14 2 (S1=42,8 A = 70,1, see Reichholf 1980 with A = 33.9 km ) and and in relation to the mean number of species and the mean number of threatened species based on all 1927 grids (S2 = 73; R2 = 9,2).

Urban und industriell geprägte Landnut- Stadtplanung auch im bebauten Bereich in der zungsformen treten fast immer mit nur gerin- Regel großzügige Eingrünungen vorsieht (z. B. gen Flächenanteilen an den jeweiligen Qua- Richter 1981), was auch den menschlichen dranten auf (Abb. 4). Nur in einem einzigen Bedürfnissen hinsichtlich eines hochwertigen Quadrant (3. Quadrant, 7835 München) werden Wohn- und Berufsumfeldes entgegenkommt 100 % der beiden in Tab. 1 definierten Land- (Korkisch 1992). So hat die Zahl der Stadtbäume nutzungsformen „Stadt und Verkehr“ sowie in München von 1995 bis 2005 um ca. 33.000 auf „Abbau und Industrie“ erreicht, in nur 65 Qua- 750.000 zugenommen (Mitteilung des Baurefe- dranten (= 3,4% der Quadranten) übersteigt rates, Münchner Samstagsblatt, Artikel vom deren Anteil 25%. Dennoch sind auch die zehn 12.05.2005). Der reale Gehölzanteil am Stadtge- Quadranten mit den höchsten Anteilen urban biet von München liegt bei ca. 17 % (http://- und industriell geprägter Nutzungsformen www.muenchen.de/Stadtleben/Gesundheit_U nicht auffallend artenarm (Tab. 3), sondern lie- mwelt/Umweltinfos/Flora_Fauna/ gehoelzbe- gen sogar über dem Erwartungswert, der sich deckungsgrad/125866/index.html). Im wesent- aus der Arten-Areal-Beziehung für die Vögel lich kleineren Stadtgebiet von Bayreuth kamen Mitteleuropas (Reichholf 1980) ergibt. Ähnliche von 1998–2007 pro Jahr allein durch Neupflan- Werte wurden für eine Reihe weiterer mitteleu- zungen durchschnittlich ca. 170 Bäume und ropäischer Städte gefunden (Bezzel 1982). Selbst 3400 Sträucher auf rund 200 ha städtischer Arten der Roten Liste (gefährdete Arten) sind in Grünfläche hinzu (Umweltschutzberichte der der Mehrzahl der Raster vergleichsweise gut Stadt Bayreuth, www.bayreuth.de). vertreten! Diese Zunahme des Vegetationsvolumens im Bei der Einschätzung dieser Werte ist jedoch Siedlungsraum wirkt sich auf einige wenige zu beachten, dass der gegebene Maßstab der Arten negativ aus (z. B. Haubenlerche Galerida Vielfalt der städtebaulichen Nutzung nur mit cristata), begünstigt aber die Ansiedlung von Einschränkungen gerecht wird. Insbesondere ist Gebüsch- und Baumvögeln (vgl. Gatter 2000). hier zu erwähnen, dass die Landnutzungsform Für das Stadtgebiet von Wien konnten Wich- „Stadt und Verkehr“ sowohl städtische Grünan- mann et al. (2009) im dicht verbauten Siedlungs- lagen als auch Sport- und Freizeitanlagen mit gebiet einen Anstieg der Brutvogel-Artenzahl einschließt (Tab. 1) und dass die moderne mit zunehmender Baumkronenfläche nachwei- 136 Ornithol. Anz., 48, 2009

Abb. 6a. Regressionsbaum für nicht gefährdete Arten (Arten, die nicht auf der Roten Liste stehen). Kennwerte für den jeweiligen „Ast“: kursiv: Anzahl Quadranten, fett: mittlere Artenzahl. Für jede Verzweigung wird das Signifikanzniveau (p-Wert), der Schwellenwert (prozentualer Anteil der Landnutzungsform an der Quadran- tenfläche), für jeden abzweigenden „Ast“ die Anzahl der Quadranten (kursiv) und die mittlere Artenzahl (fett) angegeben. – Classification tree for not threatened bird species (not listed in the Red data book of Bavaria). At each node the cutpoint and p-value are given. Additionally, we give at each branch the number of grids (cursive) and the mean spe- cies richness (bold).

Nicht gefährdete Arten

Stadt u. Verkehr p < 0,001

< 3% > 988 939 61,1 66,5

Laubwald Laubwald p < 0,001 p < 0,001

750 < 2% > 238 570 < 0,3 % > 389 59,8 65,3 64,0 70,4

Stadt u. Verkehr Mischwald Äcker Nadelwald p < 0,003 p < 0,001 p < 0,001 p < 0,012

< 2 % > < 11 % > 441 < 51% > < 6 % > 184 65,6 68,1

475 275 100 138 Abbau 129 185 58,4 62,0 69,4 62,4 und 58,4 72,7 Feucht- Industrie gebiete p < 0,021 p < 0,034

< 2 % > 64 < 2 % > 71,2

377 Feucht- 127 57 64,7 gebiete 66,3 72,3 p < 0,037 < 1 % >

46 18 68,3 78,6 R. Pfeifer, J. Müller, J. Stadler und R. Brandl: Welchen Einfluss haben urbane Lebensräume auf die Artenvielfalt? 137

Abb. 6b. Regressionsbaum für gefährdete Arten (vgl. Abb. 6a). – Classification tree for threatened bird species.

Gefährdete Arten

Nadelwald p < 0,001

<8%> 491 1436 12,3 8,2

Mischwald Feuchtgebiete p < 0,001 p < 0,001

379 < 14 % > 94 1241 <2%> 195 13,1 9,0 7,6 12,0

Feuchtgebiete Äcker Laubwald Äcker p < 0,001 p < 0,015 p < 0,001 p < 0,012

253 < 0,6 % > 144 < 27 % > 1012 < 1% > < 15 % > 11,3 16,3 7,2

Sonstiges Äcker 42 52 Abbau 229 132 63 p < 0,001 p < 0,015 7,1 10,5 und 9,3 10,7 14,6 Industrie < 15 % > < 24 % > p < 0,001 106 17,6 932 < 2 % > 203 50 Feucht- 7,0 12,1 8,2 gebiete 38 Feucht- 80 p < 0,001 12,5 gebiete 9,2 < 3 % > p < 0,001 < 0,7 % > 74 32 16,0 21,3 870 62 6,8 9,2 Stadt und Verkehr Äcker p < 0,001 p < 0,002 < 2 % > < 21 % >

678 192 47 15 6,5 8,0 7,8 13,6 138 Ornithol. Anz., 48, 2009 sen. Von 97 Brutvogelarten im Stadtgebiet von etwa 130 Brutpaaren und beim Kranich mit bis Nürnberg (Veitengruber 1995) sind 42 Arten als zu 1900 Brutpaaren in einer Größenordnung des Waldvögel und weitere 20 als Arten mit Bin- 100- bis 1000-fachen liegen (Ryslavy & Mädlow dung an Gebüsch oder zumindest einzelne Bäu- 2008). me einzustufen (zusammen 64 % des Arten- Zwangsläufig schließt sich hier die Frage an, spektrums). Typische „Siedlungsvögel“ (z. B. ob die in Städten lebenden Populationen auf- Mauersegler Apus apus, Hausrotschwanz Phoeni- grund ihrer eigenen Nettoreproduktionsrate curus ochruros, Haussperling Passer domesticus) allein überlebensfähig sind (die dann > 1 sein machen hier nur gut 10 % des Artenspektrums müsste; siehe auch Brandl & Pfeifer 1993). aus. Innerhalb der Brutvögel Bayerns halten die Hinweise, dass Stadtgebiete ungünstigere Le- beiden Gilden Anteile von 44 % (Wald- und bensräume bieten, ergeben sich aus den Befun- Gebüschvögel) bzw. 5 % (Siedlungsvögel). Der den zu geringeren Gelegegrößen, erhöhter Unterschied dieser Anteile zwischen Stadt und Nestlingsmortalität und vor allem deutlich ge- Land ist nicht signifikant (Chi2 = 0,3). Für das ringeren Nestlingsgewichten bei Kohlmeisen Stadtgebiet von Eisenach (Thüringen) konnte Parus major in Stadtbiotopen in Frankfurt am Mey (2005) von 1950 bis 2000 64 Brutvogelarten Main im Vergleich zu Kontrollflächen im nachweisen, das waren 45 % des Artbestandes Umland (Berressem et al. 1983). Die isolierte des Umlandes. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts Stadtpopulation war allerdings dennoch in der lag dieser Wert noch bei rund 28 %. 24 Arten Lage, sich selbst zu erhalten. Voraussetzung unterschiedlichster ökologischer Gilden sind dazu ist aber, dass günstige Lebensräume (z. B. seitdem in den urbanen Bereich von Eisenach Stadtwälder) vorhanden sind, deren Popula- eingewandert, davon sind mit Ausnahme der tionsüberschuss benachbarte pessimale Stadt- Stockente Anas plathyrhynchos alle zu Ende des biotope auffüllt (z. B. innerstädtische Parks; Ber- 20. Jahrhunderts eingewanderten Arten Wald- ressem et al. 1983). Die Meta-Analyse von und Gebüschvögel (Ringeltaube Columba palum- Chamberlain et al. (2009) zeigt für Singvögel als bus, Elster Pica pica, Eichelhäher Garrulus glanda- häufigste Unterschiede zwischen städtischen rius, Rabenkrähe Corvus corone, Tannenmeise und ländlichen Lebensräumen einen früheren Parus ater, Sommergoldhähnchen Regulus ignica- Legebeginn, geringere Gelegegröße, geringere pillus, Wacholderdrossel Turdus pilaris, Feld- Nestlingsgewichte und eine niedrigere Produk- sperling Passer montanus, Erlenzeisig Carduelis tivität pro Brutversuch in städtischen Lebens- spinus, Birkenzeisig Carduelis flammea). Offen- räumen. Der häufig erwähnte Unterschied des sichtlich bieten unsere modernen Städte selbst Räubereinflusses (z.B. Gering & Blair 1999, für Waldvögel günstige Strukturen. Jedenfalls Jokimäki et al. 2005) zeigt dagegen keine konsi- zeigen auch andere Untersuchungen dass die stenten Unterschiede zwischen städtischen und Dynamik der Vogelgemeinschaften in urbanen ländlichen Lebensräumen (Chamberlain et al. und ländlichen Lebensräumen sich wenig unter- 2009). Als Schlüsselfaktor für den früheren scheiden (Barrett et al. 2008). Brutbeginn wird die Verfügbarkeit geeigneter Nahrung vermutet. Gute Futterversorgung der Populationsdynamik in Städten. Unsere Ana- Altvögel im Winter und die höheren Tempera- lyse des Artenreichtums hat gezeigt, dass Städte turen in der Stadt könnten den früheren mit ihrem vielfältigen Strukturangebot eine ar- Legebeginn verursachen. Die Gründe für die tenreiche Vogelwelt beherbergen können. Den- geringere Gelegegröße, das niedrigere Nest- noch muss klar sein, dass insbesondere für grö- lingsgewicht und die geringere Produktivität ßere Nichtsingvogelarten mit hohem Rauman- sind weniger klar. Die überwiegend im Sied- spruch die Stadt nur in Ausnahmefällen Le- lungsraum betriebene Winterfütterung verbes- bensraum für eine überlebensfähige Population sert zwar die Überlebensrate überwinternder bietet. So bereichern etwa Seeadler Haliaetus Altvögel, stellt aber bei erhöhtem Infektions- albicilla und Kranich Grus grus mit jeweils 1–2 druck (z. B. Salmonella typhimerium, Übersicht Brutpaaren die Avifauna des Stadtgebietes von in Friend et al. 2001) höhere Anforderungen an Berlin (Otto & Witt 2002), sind aber als die Immunkompetenz der Altvögel und zieht Einzelbrutpaare an die Anbindung an weitere unter Umständen eine geringere individuelle Vorkommen im Umland angewiesen, die im Fitness nach sich. Für Amseln Turdus merula angrenzenden Brandenburg beim Seeadler mit wurde auch eine erhöhte Parasitenbelastung in R. Pfeifer, J. Müller, J. Stadler und R. Brandl: Welchen Einfluss haben urbane Lebensräume auf die Artenvielfalt? 139 städtischen Lebensräumen im Vergleich zum Vogelschutz auf der Fläche nicht ersetzen, ihn Umland nachgewiesen (Gregoire et al. 2002). aber durchaus ergänzen. Ferner könnte das Fehlen an energetisch hoch- wertiger Nahrung, etwa durch eine Desynchro- Zusammenfassung nisation von Schlupfzeitpunkt der Jungvögel und der Entwicklung von Insektenlarven, mög- Unter Verwendung des Datenmaterials aus der licherweise auch der erhöhte Anteil an Erst- Kartierung der Brutvögel Bayerns 1996–1999 brütern und Vögeln mit geringerer individuel- und den Daten aus dem Projekt CORINE konn- ler Fitness an den Stadtpopulationen eine Rolle ten auf 1927 Quadranten von durchschnittlich spielen (Chamberlain et al. 2009). 33,9 km2 die Vorkommen von 208 Brutvogelar- ten (alle Nachweiskategorien) mit 9 Landnut- Resumee. Über Kontinente hinweg gibt es er- zungsformen in Zusammenhang gebracht wer- staunlicherweise eine Korrelation zwischen der den. Viele für Vögel bedeutsame Lebensräume Bevölkerungsdichte und der Artenvielfalt (Balm- machen nur kleine Flächenanteile der Quadran- ford et al. 2001, Araújo 2003, Gaston & Evans 2004, ten aus. Zudem zeigt sich, dass der Anteil von Evans et al. 2007). Solche Beziehungen haben aber Stadt- und Verkehrsflächen sowie von Abbau zunächst nichts mit Urbanisierung zu tun, son- und Industrie einen positiven Einfluss auf die dern zeigen nur, dass die räumlichen Muster der Artenvielfalt nicht gefährdeter aber auch ge- Artenvielfalt und Bevölkerungsverteilung durch fährdeter Arten hat. In urban und industriell einem gemeinsamen Faktor gesteuert werden geprägten Lebensräumen sind auch baum- und (evtl. Produktivität, Balmford et al. 2001). Dabei strauchbewohnende Vogelarten mit zahlreichen liegen Städte häufig in begünstigten Gebieten, die Arten vertreten. Dies sagt jedoch noch nichts von Natur aus artenreich sind (Kühn et al. 2002). über die Qualität der Lebensräume, die indivi- Darüber hinaus bieten Stadtlandschaften aber duelle Fitness der Individuen und die langfristi- auch oft mehr Raum für extensiv oder nicht ge Überlebensfähigkeit der Populationen aus. genutzte Areale als die Agrarlandschaft. Städte sind damit aber nicht per se eine Komponente des Dank. Wir danken der Staatlichen Vogelschutz- Artenreichtums, sondern indirekt über die warte Garmisch-Partenkirchen am Bayerischen Verfügbarkeit verschiedener Lebensräume auf Landesamt für Umwelt, namentlich Günter von kleinem Raum mit einer Strukturvielfalt oft nähr- Lossow und Ingrid Geiersberger für die unkom- stoffarmer Flächen. Außerdem ist zu beachten, plizierte Art und Weise, in der uns die digitalen dass bei vielen Kartierungen (z. B. Veitengruber Daten zur Verfügung gestellt wurden, Bernhard 1995, Otto & Witt 2002, Kelcey & Rheinwald 2005, Förster für Hilfe bei der GIS Analyse. Dr. Ein- Wichmann et al. 2009) die politischen Stadt- hard Bezzel (Garmisch-Partenkirchen) und Dr. grenzen zu Grunde liegen, nicht die Grenze des Fränzi Korner-Nievergelt (Sempach) haben die bebauten Raumes. Somit schließen die Unter- Arbeit kritisch gelesen. Nicht zuletzt gilt unser suchungen meist auch sehr naturnahe Bereiche Dank den vielen Kartierern am Brutvogelatlas wie Feuchtgebiete oder Wälder und damit Bayern, ohne deren Tätigkeit die flächendek- Lebensräume für Arten, die nicht unmittelbar der kenden Daten nicht vorhanden und diese bebauten Stadt zuzuordnen sind, mit ein. Noch Analyse nicht möglich gewesen wäre. recht wenig bekannt sind Nettoreproduk- tionsraten von Stadtpopulationen im Vergleich zu Literatur solchen des Umlandes und damit die Frage nach den Source- oder Sinkhabitaten einzelner Arten Araújo, M.B. (2003): The coincidence of people (Chamberlain et al. 2009). Hinzu kommt, dass die and biodiversity in Europe. Global Ecol. Bio- verschiedenen Vogelarten mit ihren unterschiedli- geogr. 12: 5-12. chen ökologischen Strategien in äußerst unter- Balmford, A., J. L. Moore, T. Brooks, N. Burgess, schiedlichem Ausmaß von der städtischen L. A. Hansen, P. Wikkiams & C. Rahbek Situation profitieren können. Zumindest für (2001): Conservation conflicts across Africa. Großvögel steht fest, dass die städtischen Science 291: 2616-2619. Populationen für eine dauerhafte Erhaltung der Barrett, K., C. M. Romagosa & M. I. Williams Bestände zu klein sind und von den Populationen (2008) Long-term bird assemblage trands in des Umlandes abhängen. Stadtnatur kann daher areas of high and low human population 140 Ornithol. Anz., 48, 2009

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Robert Pfeifer, Jg. 1963, Dipl.-Ing. (FH) Landespflege, Generalsekretär der OG, Ornithologische Interessensschwerpunkte: Biogeografie, Avifaunistik, Vogel-Umwelt-Beziehungen.

Dr. Jörg Müller, Jg. 1973, Diplomforstwirt, Zoologe im Nationalpark Bayerischer Wald, Beirat der OG, Forschungsschwerpunkt: Artenvielfalt im Wald, Landnutzung und Naturschutz.

Dr. Jutta Stadler, Jg. 1964, Diplombiologin, Mitarbeiterin Helmholtz- Zentrum für Umweltforschung UFZ, Department Biozönoseforschung, Forschungsschwerpunkt: Artenvielfalt und Landnutzung.

Prof. Dr. Roland Brandl, Jg. 1956, Diplombiologe, Professor für Allgemeine Ökologie und Tierökologie an der Universität Marburg, Beirat der OG, Forschungsschwerpunkt: Ökologie und Biogeografie. A. Valdés-Velásquez a. K.-L. Schuchmann: A new species of hummingbird from the western Colombian Andes 143

Ornithol. Anz., 48: 143–149

A new species of hummingbird (Thalurania; Trochilidae, Trochilinae) from the western Colombian Andes

Armando Valdés-Velásquez and Karl-L. Schuchmann

Eine neue Kolibriart (Thalurania; Trochilidae, Trochilinae) aus den westkolumbianischen Anden

Die Kolibrigattung Thalurania umfasst sechs Arten, die von Mexiko bis ins südliche Brasilien ver- breitet sind. Alle Taxa dieses Genus sind mittelgroß (ca. 5 g) und bewohnen tropische bis subtropi- sche Wälder einschließlich halboffener Sekundärvegetationen vom Meeresspiegel bis 2000 m NN. Charakteristisch ist der Geschlechtsdimorphismus. Männchen sind meist irisierend grün an Kehle und/oder Oberkopf. Darüber hinaus fallen sie durch ein grünes bzw. blaugrünes Ventral- und Dorsalgefieder auf. Demgegenüber sind Weibchen gering kontrastiert, mit meist grauer bis grau- weißlicher Unterseite. Hier beschreiben wir eine neue Thalurania-Art aus den Westanden Kolumbiens, bei der sich die Männchen deutlich durch ihren nicht irisierenden Oberkopf von allen bisher bekannten Arten der Gattung unterscheiden. Key words: New hummingbird species; Thalurania nigricapilla, sp. nov.; Black-capped Woodnymph; Lake Calima, Valle del Cauca, Colombia.

Dr. Armando Valdés-Velásquez, Research Group: Biology and Phylogeny of Tropical Birds, Ornithology, A. Koenig Zoological Research Institute and Museum of Zoology (ZFMK), Adenauerallee 160, 53113 Bonn, Germany and Conservation Biology Unit, Cayetano Heredia University (UPCH), Av. Armendáriz 445, Miraflores, Lima 18, Peru

Prof. Dr. Karl-L. Schuchmann, Research Group: Biology and Phylogeny of Tropical Birds, Ornithology, A. Koenig Zoological Research Institute and Museum of Zoology (ZFMK), Adenauerallee 160, 53113 Bonn, Germany E-Mail: [email protected]

Introduction Thalurania species exhibit a pronounced sexual dimorphism: males are generally characterized The hummingbird genus Thalurania Gould, by iridescent green throats, and green to bluish- 1848 comprises six species, distributed from green or purple crowns; breast, lower abdomen, Mexico to southeastern Brazil (Escalante-Pliego and back are either contrasting blue or glittering & Peterson 1992, Schuchmann 1999, Valdés- green. Females are ventrally gray or whitish, Velásquez 2003). These medium-sized hum- dorsally green, sometimes with a bronze tinge mingbirds (4.2 – 6.0 g; Dunning 1993) inhabit (Schuchmann 1999). tropical to subtropical forests, woodlands, and At species level the taxonomy of this genus adjacent clearings, as well as semi-open areas. is widely accepted (Peters 1945, Escalante- They are found from sea level to altitudes of Pliego & Peterson 1992, Schuchmann 1999) due around 2,000 m. Members of the genus have a to similar plumage coloration patterns on slightly decurved black bill a little longer than crown, abdominal region, and under tail- the head, short wings, long black-blue tails coverts. During a biogeographical study of the more or less deeply forked, and feathered tarsi genus Thalurania, our attention was drawn to (Elliot 1878, Hartert 1900, Schuchmann 1999). two unusually colored specimens collected by 144 Ornithol. Anz., 48, 2009

Fig. 1. Localities of T. nigricapilla (red circles) and adjacent ranges of congeners. Blue line indicates the distribu- tion of T. c. colombica along the Magdalena Valley; black line and open circles indicate the distribution of T. f. subtropicalis along the Cauca Valley; yellow line indicates the distribution of T. f. fannyi along the Pacific slopes of the Western Cordillera. In addition, the closest confirmed locality is indicated for T. f. subtropicalis by the town of Lomitas about 35 km south of the range of T. nigricapilla. Circles with an inlused dot indicate major cities. – Nachweise von T. nigricapilla (rote Punkte) und Verbreitungsgebiete der Thalurani- Taxa im Magdalena Tal (T. c. colombica), blaue Linie; im Cauca Tal (T. f. subtropicalis), schwarze Linie und weiße Punkte, sowie im Bereich der kolum- bianischen Westanden (Pazifikseite, T. f. fannyi), gelbe Linie. In Lomitas liegen die Verbreitungsgebiete von T. f. subtropi- calis und T. nigricapilla nur 35 km auseinander. Weiße Kreise mit schwarzem Punkt verweisen auf größere Städte. one of us (KLS) in 1978 in the vicinity of Lake 76º30’W), 50 km north of Cali, Valle del Cauca, Calima, 50 km north of Cali, Valle del Cauca, in Colombia, elevation 1,300 m; coll. KLS, 16 April the western Andes of Colombia (Fig. 1). Both 1978. skins exhibit a unique combination of plumage patterns, clearly identifying them as representa- Diagnosis. This taxon is assignable to the genus tives of Thalurania but sufficiently different to Thalurania based on the combination of features consider them a new taxon, herein named as consisting of a slightly decurved black bill, an Thalurania nigricapilla, sp. nov. iridescent green throat patch, a purple chest, purple abdominal regions, the presence of a Thalurania nigricapilla, sp. nov. dorsal purple band, and a purple-blue forked English: Black-capped Woodnymph tail. It is separable from other trans-Andean Spanish: Zaphiro Capirotado congeners, namely the members of Thalurania German: Schwarzkopfnymphe fannyi and T. colombica, as well as monotypic T. ridgwayi, by the combination of two plumage Holotype. Alexander Koenig Research Institute characters: (1) the lack of an iridescent crown and Museum of Zoology (ZFMK) No. 81.384, patch and (2) a black forehead and crown when adult male, Lake Calima, also known as Laguna viewed frontally (Fig. 2). de Calima or Embalse de Calima (03º50’N, A. Valdés-Velásquez a. K.-L. Schuchmann: A new species of hummingbird from the western Colombian Andes 145

Fig. 2. Crowns of adult male speci- mens. Note coloration of crown and forehead: black in holotype of T. nigricapilla sp. nov. (center), bluish- purple in T. colombica (left), and green in T. fannyi (right). – Vergleich der Oberkopffärbung (Krone) von adulten Thalurania-Männchen der kolumbianischen Anden. Schwarzer Oberkopf (Mitte) Holotyp von T. nigri- capilla sp. nov., blau-violetter Oberkopf (links) T. colombica, grüner Oberkopf (rechts) von T. fannyi. Photograph by F. Kouett.

Description of holotype. Adult male has green- Paratype. Adult male, ZFMK No. 81.383, collected bronze forehead and crown, with bronze tinge in the forest northwest of Yotoco on road to Puente at the edge of forehead, these parts showing a Tierra at Lake Calima, vicinity of Alto de los Toros, black sheen when viewed frontally; rear crown 03º53’N, 76º27’W, Valle del Cauca, Colombia, ele- and nape dark bronze-green; upper back and vation c. 1,500 m, leg. KLS, 21 April 1978. wing coverts separated by purple-bluish band. In contrast to the holotype, the specimen The lower back, rump, and upper tail-coverts exhibits a bronze-greenish forehead and bronze- green-bronze mingled with some green-bluish colored crown and nape. The lower back and feathers; innermost tail feather (rectrix 1) cen- rump are bluish-green with purplish-blue feath- trally rich purple with purple-blue edges; rest of ers along the midline. Ventrally, this specimen the tail dark purple-blue; chin, throat, and does not differ from the holotype. Its measure- throat sides iridescent green; chest, chest sides, ments are included in the data for T. nigricapilla abdomen, and flanks iridescent purple; lower in Table 2. The specimen was lacking rectrix 5; abdomen gray with some feathers purple-bluish measurements could not be taken. towards the edge; under tail-coverts centrally mostly gray, white at base, some with distally Distribution. The Black-capped Woodnymph is restricted green patch (Table 1). probably restricted to the region surrounding Lake Calima, perhaps even extending over the Colors used for comparison and standardiza- whole plateau surrounding the lake. As a gener- tion were extracted from NCS-Index, page 129, alist capable of using human-made and altered colors: S1060-B, S1555-B100, S1565-B NCS vegetation types, it is most probable that this (2001). species profits from the gardens and small park- like areas used for tourism. Measurements of holotype. Bill length (tip to posterior base of nasal operculum) 20.9 mm, Habitat. At the time of discovery T. nigricapillus wing chord 53.0 mm, innermost tail feather (rec- was abundant throughout the valleys and trix 1) 22.3 mm, outermost tail feather (rectrix 5) slopes around Lake Calima. Lake Calima is sit- 43.9 mm, tail fork depth 21.6 mm. The iridescent uated on a plateau north of Cali surrounded by green throat patch measured 22.1 mm from tip steep hills, which, along with narrow ravines, of feathered lower mandible to border between isolate the plateau from the neighboring valleys. green throat and purple chest. To the east, the Western Cordillera (Cordillera 146 Ornithol. Anz., 48, 2009

Table 1. Summary of plumage features on adult male specimens of Thalurania nigricapilla (holotype), T. fannyi subtropicalis (n = 11), and T. colombica (n = 37). Arrows indicate color variations. – Übersicht Gefiederfärbung adulter Männchen von Thalurania nigricapilla, T. fannyi subtropicalis und T. colombica. Pfeile beziehen sich auf Farbvaria- tionen.

Occidental) is lower (c. 2,000 m) and connects with semi-open to rather bushy vegetation via the Alto de los Toros (c. 1,500 m) to the town structures. The most common plant species be- of Yotoco in the Cauca Valley. long to the Ericaceae (e.g., Cavendishia, Psam- The vegetation around Lake Calima is typi- misia, and Macleania spp.). During the flowering cal for a heavily anthropogenic environment, season (November to early June) the territorial A. Valdés-Velásquez a. K.-L. Schuchmann: A new species of hummingbird from the western Colombian Andes 147

Fig. 3. Discriminant Analysis plot showing separation between taxa: T. nigricapilla (red), T. f. subtropicalis (green), T. c. colom- bica (blue). Function 1 explains 93.8 % of the variance and is strongly correlated with fore- head, crown, and rump coloration; Function 2 explains 6.2 % of the variance and is corre- lated with all other variables. The variables upper back and lower back coloration, main upper throat and lower throat coloration, and flank coloration were not included in the analysis (failed tolerance test; minimum tolerance level = 0.001). Larger squares indi- cate centroids. – Die Diskriminanzanalyse indi- ziert die deutliche Separation zwischen T. nigri- capilla (rote Quadrate), T. f. subtropicalis (grün) und T. c. colombica (blau). Funktion 1 erklärt 93,8 % der Varianz. Diese ist korreliert mit Stirn-, Kronen- und Unterseitenfärbung. Funktion 2 erklärt 6.2 % der Varianz und korreliert mit allen anderen Variablen. Größere Quadrate: Zentroide.

White-tailed Hillstar Urochroa bougueri is the Etymology. The scientific name and the English most common and dominant hummingbird vernacular name are intended to emphasize the species around these potential nectar sources, prominent diagnostic character shown by this leaving a subdominant status for Thalurania taxon, a black crown patch (nigri = black, capilla nigricapilla. = head or crown).

Courtship behavior. Males of the Black-capped Woodnymph were observed attending females Biogeographical, morphological, perched near the ground, performing a repeated and taxonomical considerations arc-like flight maneuver two to three meters above the females. One male approached a The species of the genus Thalurania are mostly female with a fanned tail and rapid sideward allopatrically distributed along a geographical hovering flight. The female followed the move- continuum from southwestern Mexico to south- ments with her head, afterwards lowering her eastern Brazil. Two situations of sympatry occur upright sitting position and triggering the male along this distribution, (1) T. glaucopis and T. fur- to alight on her back. cata eriphile in the Paraná watershed of Brazil

Table 2. Body measurements of specimens of T. nigricapilla and T. fannyi subtropicalis, showing mean values ± standard deviation (upper line) with ranges and sample sizes. * = significant difference (Mann-Whitney U-test; P < 0.05) between T. nigricapilla and T. f. subtropicalis. – Biometrische Daten (Mittelwerte ± Standartabweichung sowie Stichprobenumfang) von Schnabel- und Flügellängen, sowie Steuerfedern und Schwanzgabelungstiefen. * = Signifikanzunterschied (Mann-Whitney U-Test; P < 0.05) zwischen T. nigricapilla und T. f. subtropicalis. 148 Ornithol. Anz., 48, 2009 and (2) T. glaucopis and T. watertonii in Salvador to obtain female specimens of this taxon for de Bahia, Brazil. In the case of T. nigricapilla, description. sympatry with T. fannyi subtropicalis cannot be completely rejected. However the nearest con- Acknowledgments. We thank Yvonne Kru- firmed locality (one adult male) for T. f. subtrop- schinski, Kimberly Green, Walter Bock, Brian icalis is in Lomitas (03º39’N, 76º41’W; altitude Hillcoat, and André-A. Weller for their help 1,600 m), department of Valle del Cauca, c. 35 during various stages of the manuscript prepa- km south of Lake Calima (Fig. 1). ration. There are clear differences between the involved taxa concerning the coloration of the References forehead and crown. In T. f. subtropicalis, the Dunning, J. B. J. (1993): CRC Handbook of Avian crown patch exhibits an iridescent green color Body Masses. CRC Press, Boca Ratón. contrasting with the black of T. nigricapilla (Fig. 2). Elliot, D. G. (1878): A classification and synopsis The taxonomic separation at the species level on of the Trochilidae. Smithsonian Institution, the basis of differences in crown coloration of T. Washington, D.C. nigricapilla is supported by the other two cases of Escalante-Pliego, P. & A. T. Peterson (1992): sympatry within the genus, where this plumage Geographic variation and species limits in character is most differentiating : (1) T. furcata Middle American woodnymphs eriphile (green-bluish semi-iridescent crown) and (Thalurania). Wils. Bull. 104: 205-219. T. glaucopis (purple iridescent crown); (2) T. glau- Gould, J. (1848): Drafts for a new arrangement copis and T. watertonii (green iridescent crown) of the Trochilidae. Proc. Zool. Soc. London, (Escalante-Pliego & Peterson 1992). pp. 11-14. Interestingly, the nearest subspecies Hartert, E. (1900): Trochilidae. R. Friedländer (Magdalena Valley, Fig. 1) of the other Thalurania und Sohn, Berlin. taxon found in Colombia, T. colombica, has an iri- NCS. 2001. Index: Natural Colour System. descent purple crown patch, contrasting with Scandinavian Colour Institute AB, both T. nigricapilla and T. fannyi (Fig. 2). Stockholm. A discriminant analysis was carried out on Peters, J. L. (1945): Check-list of the birds of the these three taxa (T. nigricapilla, n = 2; T. f. subtrop- world. Vol. 5. Harvard Univ. Press, icalis, n = 11; T. c. colombica, n = 37) using Cambridge. plumage coloration data (Table 1, Fig. 3). All Schuchmann, K.-L. (1999): Family Trochilidae specimens are clearly separated according to (Hummingbirds). Pp. 468-680 in: del Hoyo, their taxonomic group. J., A. Elliott & J. Sargatal eds. (1999) Morphometric differences were found Handbook of the Birds of the World. Vol. 5. between T. nigricapilla and T. f. subtropicalis in Lynx Edicions, Barcelona. the length of the wing (unflattened) and the Valdés-Velásquez, A. (2003): Taxonomy, phy- length of the innermost tail feather (rectrix 1), logeny, and biogeography of the humming- both being shorter in the former taxon (Table 2; bird genus Thalurania Gould, 1848 (Aves: Mann-Whitney U-test; P < 0.05). There is an Trochilidae). PhD Thesis, Alexander Koenig indication of differences in the length of the out- Research Institute and Museum of Zoology ermost tail feather (rectrix 5) and the tail fork (ZFMK), Rheinische Friedrich-Wilhelms depth, but the small sample size of T. nigricapil- Universität, Bonn. la allowed no statistical comparison (Table 2). In conclusion, the Black-capped Eingereicht am 21. August 2009 Woodnymph is a valid biological species, mor- Revidierte Fassung eingereicht am 25. August 2009 phologically distinct from the other trans- Angenommen am 26. August 2009 Andean Thalurania taxa. The reproductive isola- tion of T. nigricapilla from T. f. subtropicalis is inferred from the current knowledge of male plumage dimorphism contributing to species recognition (Escalante-Pliego & Peterson 1992, Valdés-Velásquez 2003). Further collecting is needed in the area around Lake Calima in order A. Valdés-Velásquez a. K.-L. Schuchmann: A new species of hummingbird from the western Colombian Andes 149

Appendix T. colombica colombica: Don Amo (11º16’N, 73º58’W); Las Vegas (11º13’N, 73º54’W); Las Localities used in this study for morphological Nubes (11º12’N, 73º57’W); El Líbano (11º11’N, comparison between taxa (Discriminant 74º00’W); Onaca (11º11’N, 74º04’W); Minca Analysis and Mann-Whitney U-test). All locali- (11º09’N, 74º07’W); Cincinati (11º06’N, ties are in Colombia. 74º04’W); La Concepción (11º03’N, 73º27’W); San Francisco/Guajira (10º59’N, 73º25’W); San T. fannyi subtropicalis: La Frijolera (07º07’N, José / Cesar (10º45’N, 73º24’W); La Palmita 75º25’W); Santa Cecilia/Caldas (05º19’N, (08º14’N, 73º24’W); Paime (05º22’N, 74º10’W); 76º13’W); Pueblorrico (05º12’N, 76º08’W); El Consuelo (05º04’N, 74º36’W); Bogotá Quindío (04º30’N, 75º40’W); Lomitas (03º39’N, (04º36’N, 74º05’W); Ibagué (04º27’N, 75º14’W); 76º41’W); Río Mechengue (02º40’N, 77º12’W); El Fusagasuga (04º21’N, 74º21’W); Andalucía Tambo/alto (02º28’N, 76º58’W); Popayán (01º54’N, 75º40’W); San Agustín (01º53’N, (02º27’N, 76º36’W); El Tambo/bajo (02º24’N, 76º16’W); La Candela (01º50’N, 76º20’W). 76º51’W).

Dr. Armando Valdés-Velásquez, Jg. 1973, Zoologe, Ornithologe, seit 2004 Dozent an der Cayetano Heredia Universität, Lima, Peru. Von 1998 bis 2003 Doktorand in der Arbeitsgruppe Biologie und Phylogenie tro- pischer Vögel, Zoologisches Forschungsmuseum A. Koenig, Bonn. Promotion 2003 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn.

Prof. Dr. Karl-L. Schuchmann, Jg. 1948, Zoologe, Arbeitsschwerpunkte neotropische Ornithologie und Tropenökologie. Leiter der Arbeitsgrup- pe Biologie und Phylogenie tropischer Vögel, Zoologisches Forschungs- museum A. Koenig, Bonn. Mitglied der Mathematisch-Naturwissen- schaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn. 150 Ornithol. Anz., 48, 2009

Ornithol. Anz., 48: 150–154

Tannenmeisen Parus ater ziehen Waldbaumläufer Certhia familiaris mit auf

Dieter Thomas Tietze und Utz Klodwig

Coal Tit Parus ater rears a Eurasian Treecreeper Certhia familiaris

In spring 2007 a pair of Coal Tits reared a Eurasian Treecreeper alongside its own six young in the Black Forest (SW Germany). It is assumed that the egg had been laid by the female of a pair of Eurasian treecreepers, which had already started its brood in the same box. This is the first observed mixed brood involving a Eurasian Treecreeper and the first one between Coal Tit and a treecreeper.

Dr. Dieter Thomas Tietze, Museum für Tierkunde, Königsbrücker Landstraße 159, D-01109 Dresden E-Mail: [email protected]

Utz Klodwig, Im Zinken 23, D-79777 Ühlingen-Birkendorf

Einleitung um den Schlüchtsee bei Grafenhausen im Schwarzwald (Baden-Württemberg, Deutsch- Außerhalb der Brutzeit begegnen uns heimi- land, 47,787° N, 8,260° E, 900–930 m ü. NN) sche Singvögel der Gattungen Aegithalos durch. Auf einer Fläche von ca. 8,5 ha werden 43 (Schwanzmeisen), Certhia (Baumläufer), Parus Vogelnistkästen (davon sieben Spezialkästen für (Meisen) und Regulus (Goldhähnchen) des Baumläufer) und 20 Fledermauskästen der Öfteren in gemischten Trupps (Bauer et al. Firma Schwegler über die gesamte Brutsaison 2005). Während der Brutzeit im Frühjahr jedoch hinweg beobachtet. Gemäß den Projektvorga- teilen sich diese Tiere normalerweise nur mit ben der Vogelwarte wird jede Nisthilfe so oft einem Partner des anderen Geschlechts, aber aufgesucht, dass die brutbiologischen Kenn- derselben Art zu Zwecken der Fortpflanzung werte wie Gelegegröße, Anzahl der geschlüpf- ihr Revier und verteidigen es gegenüber allen ten und der ausgeflogenen Jungvögel angege- anderen Individuen der eigenen Art. ben und zumindest alle Jungvögel beringt wer- Zumindest im eigenen Nest selbst werden auch den können. Die Bestimmung der Eier und Vertreter anderer Vogelarten nicht geduldet Nester erfolgte nach Harrison & Castell (2004). und – wenn möglich – vertrieben. Angehörige der stärkeren Art können selbst angefangene Ergebnisse Bruten stören, um den auch für sie geeigneten Nistplatz zu übernehmen. Das Nistmaterial der Als Nistkasten Nr. 56 (Typ 2B für Baumläufer) Vorgänger wird entfernt oder einfach überbaut. zum ersten Male innerhalb des Jahres 2007 am Schon vorhandene Eier oder Jungvögel werden 26. April kontrolliert wurde, kletterte gerade ein beseitigt oder sterben ab. Im Folgenden stellen Waldbaumläufer Certhia familiaris den Baum- wir einen Fall dar, in dem das Ei der Vorgänger stamm hinauf. Im Nistkasten selbst befand sich mit ausgebrütet und der Jungvogel sogar mit jedoch ein Nest aus Moos, auf dem eine Tannen- aufgezogen wurde. meise Parus ater saß und fauchend ihr Gelege verteidigte. Auch am 30. April wurde die fau- Material und Methode chende Tannenmeise auf dem Nest angetroffen. Am 5. Mai flog der Altvogel bei der Nistkasten- Seit 2005 führt U. Klodwig im Rahmen des kontrolle auf und gab den Blick auf sieben Eier Höhlenbrüter-Projekts der Vogelwarte Radolfzell frei. Am Folgetag verließ der Altvogel das Nest brutbiologische Untersuchungen in den Wäldern nicht. Am 10. Mai wurde kein Altvogel angetrof- Dieter Thomas Tietze und Utz Klodwig: Tannenmeisen Parus ater ziehen Waldbaumläufer Certhia familiaris mit auf 151

Abb. 1. Junger Waldbaumläufer Certhia familiaris Abb. 2. Waldbaumläufer aus Abb. 1 mit Radolfzell- auf seinen sechs „Nestgeschwistern“ der Tan- Ring ZA 5751. – Eurasian Treecreeper from Fig. 1 with nenmeise Parus ater in Nistkasten 56. – Nestling of ring ZA 5751 of ringing scheme Radolfzell, Germany. Eurasian Treecreeper Certhia familiaris on top of its six “nest siblings” of Coal Tit Parus ater in nest box 56. fen, dafür jedoch sieben ein bis drei Tage alte konnte leider nicht beobachtet werden, auch lie- Jungvögel. Als diese am 20. Mai beringt werden ßen sich die Jungvögel weder finden noch das sollten, saß ein fast ausgewachsener Waldbaum- Füttern – insbesondere des Waldbaumläufers – läufer auf den sechs jungen Tannenmeisen, die außerhalb der Bruthöhle beobachten. sich tief ins Nest duckten (Abb. 1). Die Tannen- Baumläufer konnten an Nistkasten 56 nach meisen erhielten die Ringe BY 96969 bis BY dem 26. April nicht mehr beobachtet werden. 96974 und der Waldbaumläufer (Abb. 2) den Aber in einer Entfernung von 200 m brütete im Ring ZA 5751 (Vogelwarte Radolfzell). Am 22. Baumläufer-Nistkasten Nr. 52 ein Waldbaum- Mai beobachtete U. Klodwig 65 min lang, wer läufer-Paar. Diese Brut schlüpfte am 22. Mai, die Brut eigentlich füttert. Die Jungen wurden 18 also zwölf Tage später als die in Nistkasten 56, mal von einer Tannenmeise gefüttert (Abb. 3). und flog am 9. Juni, also 14 Tage später, aus. Der mittlere Abstand zwischen zwei Fütterun- Nach dem Ausfliegen konnten beide Nester gen betrug also 3,6 min. Am 26. Mai waren alle untersucht werden, ohne Vögel zu stören: In Jungen ausgeflogen. Das eigentliche Ausfliegen beiden Nestern bestand das markanteste Bau-

Abb. 3. Adulte Tannenmeise trägt Futter in Nistkasten 56. – Adult Coal Tit carries food to nest box 56. 152 Ornithol. Anz., 48, 2009

ab

Abb. 4. a) Waldbaumläufer-Nest in Nistkasten 52, b) Tannenmeisen-Nest über Waldbaumläufer-Nest in Nistkasten 56. –Treecreeper nest in box 52, b) Coal Tit nest above treecreeper nest in box 56. material aus dürren Fichtenästchen ohne Na- chen, etwa gleich großen Baumläufer-Ei neben deln. Die übrigen Baumaterialien beider Gelege den sechs eigenen. Die Tannenmeisen tolerierten waren Moos, Federn und Pferdehaare. Das reine auf Grund ihres Bruttriebs sowohl das andere Waldbaumläufer-Nest aus Nistkasten 52 (Abb. 4 a) Aussehen wie auch das andere Verhalten des jun- war nicht so weich ausgepolstert wie das Nest aus gen Waldbaumläufers und fütterten ihn wie die Nistkasten 56 (Abb. 4 b), in dem auch der Moos- eigenen Jungen – zumindest bis zum Ausfliegen. anteil deutlich überwog. Im unteren Teil der Das beobachtete Mischgelege ist nicht zielge- Moosschicht befanden sich zwei nicht ausge- richtet entstanden, es handelt sich also nicht um brütete Waldbaumläufer-Eier. Brutparasitismus des Waldbaumläufers bei der Tannenmeise. Im Handbuch der Vögel Mittel- Diskussion europas (Glutz von Blotzheim & Bauer 1993) sind Beispiele für Mischbruten von je zwei Mei- Die Brutsaison 2007 könnte in Nistkasten 56 fol- sen-Arten in fast allen Kombinationen heimi- gendermaßen abgelaufen sein: Ein Waldbaum- scher Arten aufgeführt. Mischbruten über Gat- läufer-Pärchen baute sich ein Nest und das Weib- tungsgrenzen hinweg wurden nur zwischen chen legte zwei Eier. Darauf vertrieb ein Blaumeise Parus caeruleus einerseits und Schnäp- Tannenmeisen-Pärchen die schwächeren Baum- pern Ficedula sp., Gartenrotschwanz Phoenicurus läufer von ihrem Brutplatz und baute über das phoenicurus, Rotkehlchen Erithacus rubecula, vorhandene Nest sein eigenes Nest. Das Wald- Feldsperling Passer montanus, Zaunkönig baumläufer-Weibchen legte sein drittes Ei in das Troglodytes troglodytes und Gartenbaumläufer gerade unbewachte Tannenmeisen-Nest. Von da Certhia brachydactyla registriert. Generell wurde an wurden die Baumläufer endgültig nicht mehr innerartlicher Nestparasitismus häufiger beob- in Nestnähe geduldet und begannen, in 200 m achtet als zwischenartlicher (234 gegenüber Entfernung in Nistkasten 52 ein weiteres Nest zu etwas 80 Arten; Yom-Tov 2001). bauen. Eiablage und Brut der Tannenmeisen ver- Die beiden Mischbruten zwischen Blaumei- liefen ganz normal, nur eben mit einem zusätzli- se und Gartenbaumläufer sind die einzigen Dieter Thomas Tietze und Utz Klodwig: Tannenmeisen Parus ater ziehen Waldbaumläufer Certhia familiaris mit auf 153 berichteten zwischen einer Meise und einem Literatur Baumläufer, jedoch ist nur in einem der beiden Fälle der Baumläufer der Jungvogel (Antoine Antoine, N. J. (1959): Blue Tit feeding young 1959, Briggs 1983). Die hier beschriebene Misch- Treecreepers. British Birds 52: 432-433 brut stellt also in zweierlei Hinsicht ein Novum Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (Hg.) (2005): dar. Einerseits ist sie das erste bekannte Beispiel Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. für eine Mischbrut zwischen der Tannenmeise Alles über Biologie, Gefährdung und und einem Baumläufer. Andererseits handelt es Schutz. Bd. 2: Passeriformes – Sperlingsvö- sich um die erste dokumentierte Mischbrut, an gel. Aula-Verlag, Wiebelsheim. der ein Waldbaumläufer beteiligt ist. Briggs, K. B. (1983): Treecreepers rearing Blue Mischbruten mit nur ein bis zwei artfrem- Tit. British Birds 76: 457. den Eiern kann sich Löhrl (1964) auch durch Glutz von Blotzheim, U. N., & K. M. Bauer versehentliches Verlegen einzelner Eier erklä- (1993): Handbuch der Vögel Mitteleuropas. ren, z. B. dadurch, dass die Eiablage in ein eige- Bd. 13. Passeriformes. Teil 4. Aula-Verlag, nes Nest zum gegebenen Zeitpunkt nicht mög- Wiesbaden. lich ist (wie im hier dargestellten Fall vermutet). Löhrl, H. (1964): Doppelgelege und verlegte Solche Fälle treten wohl so selten auf, dass im Eier bei Höhlenbrütern (Gattung Parus, Laufe der Evolution keine Mechanismen ent- Ficedula ). Vogelwelt 85: 182-188. wickelt wurden, die ein Investieren in fremdes Harrison, C. J. O., & P. Castell (2004): Jungvögel, Erbgut verhindern. Dies ermöglicht auch geziel- Eier und Nester der Vögel Europas, Nord- te Versuche, im Rahmen derer artfremde Eier afrikas und des Mittleren Ostens. Aula-Ver- ausgebrütet und die Jungvögel aufgezogen lag, Wiebelsheim. wurden. Dieser simulierte interspezifische Slagsvold, T. (1998): On the origin and rarity of Brutparasitismus führt teilweise zu so großer interspecific nest parasitism in birds. The Fitnesssteigerung, dass man sich wundert, American Naturalist 152: 264–272. warum er nicht natürlicherweise stattfindet Slagsvold, T., B. T. Hansen, L. E. Johannessen & (Slagsvold 1998). Meisen, die von artfremden J. T. Lifjeld (2002): Mate choice and imprint- Meisen aufgezogen wurden, wollten sich auch ing in birds studied by cross-fostering in the heterospezifisch verpaaren; sind die „Wirtsel- wild. Proceedings of the Royal Society of tern“ weniger nah mit dem Nestling verwandt – London B 269: 1449–1455. wie im hier dargestellten Falle –, so ist eine der- Yom-Tov, Y. (2001): An updated list and some artige Fehlprägung nicht zu erwarten (Slags- comments on the occurrence of intraspecific vold et al. 2002). nest parasitism in birds. The Ibis 143: 133–143.

Zusammenfassung Eingereicht am 22. Januar 2009 Revidierte Fassung eingereicht am 5. März 2009 Im Frühjahr 2007 zog ein Pärchen Tannenmei- Angenommen am 8. März 2009 sen im Schwarzwald (SW-Deutschland) neben sechs eigenen Jungen einen Waldbaumläufer auf. Vermutlich war das Ei vom Weibchen des- jenigen Waldbaumläufer-Paares abgelegt wor- den, das bereits mit seiner Brut in demselben Nistkasten begonnen hatte. Dies ist die erste beobachtete Mischbrut unter Beteiligung des Waldbaumläufers und zwischen der Tannen- meise und einem Baumläufer.

Dank. Wir danken einem anonymen Gutachter für Literaturhinweise. 154 Ornithol. Anz., 48, 2009

Dr. Dieter Thomas Tietze, geb. 1975, interessiert sich von klein auf für Vögel und erforscht heute die Vielfalt meist altweltlicher Vögel in syste- matischer, lautlicher, morphologischer und räumlicher Hinsicht. Mit Baumläufern und Tannenmeisen hat er sich bislang am intensivsten be- fasst.

Utz Klodwig, geb. 1938, Diplom-Ingenieur, war sein ganzes Berufs- leben in der Forschung der chemischen Industrie tätig und widmet sich seit der Pensionierung dem Umweltschutz mit Schwerpunkt Ornitho- logie, Vogelberingung, Fledermausschutz und Öffentlichkeitsarbeit durch Vorträge. Jochen Hölzinger: Die Pechquellen auf Zakynthos (Griechenland) als Todesfallen für Vögel 155

Kurze Mitteilungen Ornithol. Anz., 48: 155–158

Die Pechquellen auf Zakynthos (Griechenland) als Todesfallen für Vögel

Jochen Hölzinger

The pitch springs on Zakynthos (Greece) as death traps for birds

In the south of the Greek island of Zakynthos in the Ionian Sea, close to the coast by the town of Kerí, lies a wetland area with reed beds and shallow water zones. Several pitch springs in the area have been known since antiquity. The consistency of the crude oil seepages vary from very fluid to viscous. A small lake of relatively viscous pitch in the reed bed area is a death trap for birds. Altogether 12 individuals of the following species were found on the surface of the spring: Collared Dove, Turtle Dove, European Greenfinch, Wood Sandpiper, Common Sandpiper, Great Reed Warbler, Cetti’s Warbler and European Goldfinch. No trapped birds were found in the shallow water zones with very fluid pitch inflow. The natural pitch springs at Keri present only a locally restricted danger to small numbers of birds, which can- not be compared with coastal oil pollution from human sources, such as oil spills resulting from tanker accidents. Key words: Zakynthos (Greece), pitch springs, death traps for birds

Dr. Jochen Hölzinger, Wasenstr. 7/1, D-71686 Remseck (Neckargröningen) E-Mail: [email protected]

Abb. 1. Feuchtgebiet bei Kerí auf Zakynthos mit Flachwasser- und Schilfzonen. Im Flachwasserbereich sind Erdölflächen und Erdölverklumpungen deutlich zu sehen. – Wetland near Kerí on the island of Zakynthos with its shallow water zones and reed beds. Patches and clumps of oil are clearly visible in the shallow water zone. 156 Ornithol. Anz., 48, 2009

besonderes Interesse galt auch den Pechquellen. In der zentralen Flachwasserzone waren mehre- re Quellen zu sehen, aus denen schlierenförmi- ges relativ dünnflüssiges Erdöl austrat (Abb. 1 und 2). Im Schilfgebiet fand ich eine Pechquelle mit dickflüssigem Erdöl, das sich in einem klei- nen See staute (Abb. 3). Zu meiner Überra- schung lagen auf der Oberfläche des etwa 3 m breiten und 30 m langen Erdölsees mehrere tote Vögel. Sie hatten sich dort zur vermeintlichen Wasseraufnahme oder Nahrungssuche nieder- gelassen und blieben dann in der zähflüssigen Abb. 2. Nahaufnahme von in Schlieren austretendem klebrigen Erdölmasse hängen und konnten sich Erdöl in der Flachwasserzone. – Close-up of seeping oil nicht mehr befreien. Je stärker sich die Vögel slicks in the shallow water zone. mit den Füßen tretend und flügelschlagend zu befreien suchten, desto aussichtsloser wurde Zakynthos ist die südlichste der größeren west- ihre Lage, da sie sich ständig tiefer in die zäh- griechischen Inseln im Ionischen Meer. Im flüssige Erdöl-Masse strampelten und die Fe- Süden der Insel befindet sich bei Kerí etwa 500 dern zwangsläufig immer mehr mit dem Erdöl m von der Küste entfernt ein großes, etwa 800 m verklebten. Insgesamt konnte ich 12 tote Vögel langes und 400 m breites Feuchtgebiet mit finden, die auf der Oberfläche des Erdöltümpels Schilf- und Flachwasserzonen. In diesem lagen. Betroffen waren folgende Arten: Feuchtgebiet liegen mehrere Pechquellen mitten im Schilfröhricht und in der offenen Flachwas- serzone. Das Erdöl tritt hier in verschiedener Konsistenz aus. In der Flachwasserzone gibt es Quellen mit mehr oder weniger dünnflüssigem Erdöl, das dort auf dem Seegrund schließlich Knollen oder am Ufer Verklumpungen ausbil- det. Es gibt aber auch Pechquellen mit relativ zähflüssigem Erdöl, die im Schilfgebiet liegen und regelrechte Erdöltümpel bilden. Die Pechseen von Zakynthos waren schon in der Antike bekannt. Herodot berichtet im 5. Jh. v. Chr. von mehreren Pechseen und beschreibt, wie die Menschen damals mit an Stangen befe- stigten Myrtenzweigen das Pech abschöpften und in Amphoren sammelten (Herodot IV 195; Bursian 1862-1872, II: 381, Mitzopulos 1896, Philippson 1958). Das Pech war einst wertvoller Rohstoff für Schiffsbauer zum Abdichten von Schiffsplanken. Auf Zakynthos spielt heute die Erdölgewinnung keine wesentliche Rolle mehr, obwohl auch jetzt noch vereinzelt und außer- halb des Feuchtgebiets Erdöl aus Pechquellen in kleinen Staubecken gesammelt und genutzt wird. Bohrungen, die zu Beginn der 1930er Jahre durchgeführt wurden, brachten nur ver- hältnismäßig wenig Erdöl zu Tage (Wade 1932). Abb. 3. Erdölquelle im Schilfgebiet des Feuchtgebiets Die Bohrungen wurden wieder eingestellt. bei Kerí. Das Erdöl tritt hier relativ zähflüssig aus und Das Feuchtgebiet bei Kerí besuchte ich am bildet einen kleinen See. – Oil spring within the Keri 12. Mai 2007 im Rahmen der systematischen reed beds. The pitch here is relatively viscous and forms a Kartierung der Brutvögel von Zakynthos. Mein small lake. Jochen Hölzinger: Die Pechquellen auf Zakynthos (Griechenland) als Todesfallen für Vögel 157

Abb. 5. Auf dem Erdölsee (vgl. Abb. 3) verunglückte Turteltaube. – A Turtle Dove victim on the pitch lake (see Fig. 3). Fotos J. Hölzinger.

schon vor 2300 Jahren bei den Babyloniern übli- che Bezeichnung „naptu“ = Erdöl zurückfüh- ren. Heute steht Naphtha z.B. für cycloalkani- sches Erdöl oder für bestimmte Fraktionen bei Abb. 4. Auf dem Erdölsee (vgl. Abb. 3) verunglückte der Erdöl-Destillation. Der Wasserläufer dürfte Türkentaube. – A Collared Dove victim on the pitch lake sich an den Erdpechquellen aufgehalten und (see Fig. 3). sich dort das Gefieder der Unterseite mit Erdöl verschmutzt haben. Türkentaube Streptopelia decaocto (3 Individuen, In der offenen Flachwasserzone konnte ich Abb. 4), Turteltaube Streptopelia turtur (2, Abb. beim Absuchen der Ufer keine toten Vögel fin- 5), Grünfink Carduelis chloris (2), Bruchwasser- den, die durch Erdöl-Verschmutzungen umge- läufer Tringa glareola (1), Flussuferläufer Actitis kommen waren. In der Flachwasserzone hielten hypoleucos (1), Drosselrohrsänger Acrocephalus sich 3 Seidenreiher Egretta garzetta, 1 Graureiher arundinaceus (1), Seidensänger Cettia cetti (1) Ardea cinerea, 2 Rallenreiher Ardeola ralloides, und Stieglitz Carduelis carduelis (1). Bis auf 8 Bruchwasserläufer Tringa glareola und 2 Fluß- Bruchwasserläufer und Flussuferläufer handelt uferläufer Actitis hypoleucos auf, die dort Nah- es sich bei den umgekommenen Vögeln um dort rung suchten. Die Vögel kommen hier mit dem brütende Arten. Feststellbar waren vor allem die austretenden Erdöl kaum in Kontakt. auf der Oberfläche liegenden oder die knapp Das aus den Pechquellen bei Kerí natürli- unterhalb der Oberfläche in Erdöl eingebetteten cherweise austretende Erdöl stellt zwar in Vögel. Weitere Vögel waren in tieferen Schichten einem räumlich ganz eng begrenzten Gebiet versunken, die nicht zu bergen waren. eine seit jeher bestehende Gefahr für wenige Schon aus geringer Entfernung sah der Vögel dar, die aber nicht mit den anthropogen Erdöltümpel beim flüchtigen Betrachten wie ein verursachten Ölverschmutzungen an Meeres- kleiner Süßwassersee aus, der Vögel zum Trin- küsten, z.B. bei Tankerunfällen, vergleichbar ken und zur Nahrungssuche einlud. Die Gefahr sind, wo zum Teil Tausende von Vögeln und der Erdölquellen von Kerí für Vögel ist nicht darüber hinaus ganze aquatische Ökosysteme neu, blieb aber zunächst unerkannt. Reiser von der Vernichtung betroffen sind (vgl. z.B. (1905) berichtet bei seinem Besuch dieser Günther 1998, Hartwig et al. 1990). Gegend: „Merkwürdig erschien es mir, dass Wuttke [ein Reisebegleiter von Otmar Reiser] in Zusammenfassung der Nähe von Kerí einen Wasserläufer schoss, dessen ganze Unterseite mit Naphtha förmlich Im Süden der griechischen Insel Zakynthos im getränkt war.“ Naphtha bezieht sich hier auf Ionischen Meer befindet sich in der Nähe der Erdöl. Der Name Naphtha lässt sich auf die Küste bei Kerí ein Feuchtgebiet mit Schilf- und 158 Ornithol. Anz., 48, 2009

Flachwasserzonen. In diesem Feuchtgebiet lie- Hartwig, E., T. Köth, J. Prüter, E. Schrey, G. Vauk gen mehrere Pechquellen, die bereits seit der & E. Vauk-Hentzelt (1990): Seevögel. In: Antike bekannt sind. Das Erdöl tritt hier in ver- Lozan, J., W. Lenz, B. Watermann, H. von schiedener Konsistenz von dünnflüssigem bis Westernhagen: Warnsignale aus der Nord- zähflüssigem Erdöl aus. Ein im Schilfgebiet ge- see: 234-240. Parey, Berlin. legener kleiner See mit dickflüssigem Erdöl Hude, K. (Hrsg., 1962-1963): Historiae (Hero- wurde zur Todesfalle für Vögel. Insgesamt dot). 2 Bde. Neuausgabe 1962-1963. konnten 12 Individuen von folgenden Vogelar- Mitzopulos, K. (1896): Die Eruption der Pech- ten auf der Erdöl-Oberfläche gefunden werden: quellen von Keri in Zante und ihre vulkani- Türkentaube, Turteltaube, Grünfink, Bruchwas- sche Natur. Petermanns Mitteilungen 1896: serläufer, Flussuferläufer, Drosselrohrsänger, 156-160. Seidensänger und Stieglitz. In den Flachwas- Philippson, A. (1958): Die Griechischen Land- serzonen mit dünnflüssigem Erdöl-Zufluss sind schaften. Bd. II: Der Nordwesten der Grie- keine Vögel verunglückt. Die Pechquellen bei chischen Halbinsel, Teil II: Das westliche Kerí mit natürlicherweise austretendem Erdöl Mittelgriechenland und die westgriechi- stellen eine räumlich begrenzte Gefahr für schen Inseln. Nach den Tode des Verfassers wenige Vögel dar, die nicht mit den vom herausgegeben von E. Kirsten. Kloster- Menschen verursachten Ölverschmutzungen an mann, Frankfurt am Main. Meeresküsten, z.B. bei Tankerunfällen, zu ver- Reiser, O. (1905): Materialien einer Ornis Bal- gleichen sind. canica. Bd. III: Griechenland und die grie- chischen Inseln (mit Ausnahme von Kreta). Holzhausen, Wien. Literatur Wade, A. (1932): Geology of Zante and its an- cient oilfields. J. Inst. Petrol. Technol. Lond. Bursian, C. (1862-1872): Geographie von Grie- 18: 1-36. chenland. II: 381. Leipzig. Günther, K. (1998): Pallas-Bilanz für die Vögel: Eingereicht am 21. März 2009 Ölpest im Wattenmeer. Ber. Vogelschutz 36: Revidierte Fassung eingereicht am 26. März 2009 127. Angenommen am 29. März 2009 Robert Pfeifer: Neuansiedlungen des Weißsternigen Blaukehlchens im unteren Rotmaintal, Oberfranken 159

Ornithol. Anz., 48: 159–163

Neuansiedlungen des Weißsternigen Blaukehlchens Luscinia svecica cyanecula im unteren Rotmaintal, Oberfranken

Robert Pfeifer

New establishment of the White-spotted Bluethroat Luscinia svecica cyanecula in the valley of the Roter Main, Upper Franconia.

In 2009, the occurrence of Bluethroats was studied over an area of 52 sqkm in the valley of the Roter Main (Upper Franconia, Bavaria, Germany). Singing males were found at 21 sites, 17 territories being occupied for a longer time during spring. These sites were concentrated in an area of 5.1 sqkm, the density being 0,33 territories per 10 hectares. Colonisation of the study area started in the mid- 1990s. Key words: Bluethroat, Breeding density, Upper Franconia.

Robert Pfeifer, Dilchertstr. 8, D-95444 Bayreuth E-mail: [email protected]

Einleitung gegenwärtige Entwicklung fortsetzt“. Die vor- liegende Mitteilung soll ein solches Aktualisie- Vom Blaukehlchen sind seit längerer Zeit aus rungsblatt für das Rotmaintal sein. Nordbayern, insbesondere im Obermaintal, Bestandszunahmen und Arealausweitungen be- Untersuchungsgebiet, kannt (Theiß 1997, Franz 1998), denen der Material und Methode Wandel in der Habitatwahl (Laussmann 1992) und starke Hochwässer (Franz 1988) zusätzlich Unterhalb von Bayreuth durchfließt der Rote Vorschub leisteten. Ein weiterer Bestands- Main stark mäandrierend eine 500 – 800 m brei- anstieg war auf die Besiedelung des unmittelba- te Talaue, die im Abschnitt von Heinersreuth ren Mainufers zurückzuführen (Franz 1998). (Cottenbacher Brücke; 11°32’24’’E, 49°58’07’’N; Eine Ausbreitung in flussaufwärts gelegene Ge- 325 m ü. NN) bis zum Zusammenfluss mit dem biete war demnach zu erwarten. Für das Tal des Weißen Main bei Steinenhausen (11°24’0’’E, Roten Mains – eines der beiden Quellflüsse des 50°05’14’’N; 293 m ü. NN) im Überschwem- Mains – weist das Blaukehlchen-Kapitel im mungsbereich überwiegend als Grünland ge- bayerischen Brutvogelatlas (Franz & Schlemmer nutzt wird. Hochwässer treten vor allem im 2005) die Art nur im 2. Quadranten des MTB Spätwinter auf und führen dann zur weiträumi- 5934 als „wahrscheinlich brütend“ aus. Neuere gen Überschwemmung der Aue. Im Unter- Beobachtungen lieferten aber ab 2006 Hinweise suchungsjahr fielen die Winterhochwässer eher auf die Besiedlung neuer Brutplätze (z. B. 2 sing. gering aus, während der Anwesenheit der Blau- am 15. Mai 2006 bei Rothenhügel, Lkr. Kulm- kehlchen kam es zu keiner Überflutung (max. bach, A. Hahn, R. Pfeifer) und waren Anlass für ca. 30 m3/s am Pegel Unterzettlitz nach Stark- eine flächendeckende Kartierung des Blaukehl- regen Ende April), insgesamt blieb der Abfluss chens im Rotmaintal zwischen Heinersreuth ab Ende April unter dem mittleren Abfluss von und Kulmbach im Jahre 2009. Im Abschnitt über 4,51 m3/s (Hochwassernachrichtendienst Bay- die Brutbestandsentwicklung des Blaukehl- ern, http://www.hnd.bayern.de). chens merkte Franz (1998) an: „Eigentlich müss- Der in Abb. 1 gezeigte Kartenausschnitt umfasst te dieses Kapitel auf austauschbare Seiten ca. 106 km2. Als potenziell für das Blaukehlchen geschrieben werden, mit Aktualisierungsblät- besiedelbarer Raum verbleiben nach Abzug von tern etwa alle zwei bis drei Jahre, sofern sich die Waldflächen (>0,1 ha) und geschlossenen Orts- 160 Ornithol. Anz., 48, 2009

Abb. 1. Verbreitung des Blaukehlchens Luscinia svecica cyanecula im unteren Rotmaintal zwischen Heinersreuth und dem Zusammenfluss mit dem Weißen Main bei Kulmbach. Dunkelblaue Punkte: Reviere, hellblaue Punkte: einmalige Gesangsfeststellung im April. Die gestrichelte Linie umgrenzt den ± geschlossen besiedelten Talabschnitt – Distribution of the Bluethroat Luscinia svecica cyanecula in the lower valley of the Roter Main between Heinersreuth and its confluence with the Weißer Main near Kulmbach. Dark blue dots: territories, light blue dots: only one observation of singing male in April. The dotted line encircles the completely colonizied part of the valley. Blaukehlchen-Zeichnung: Werner Dittrich Robert Pfeifer: Neuansiedlungen des Weißsternigen Blaukehlchens im unteren Rotmaintal, Oberfranken 161

10 Abb. 2. Siedlungsdichte des Blau- kehlchens vs. Größe des Untersu- Rötelsee Donautal chungsgebietes für 13 Probeflächen >50 ha im östlichen Süddeutsch- land und Österreich. Blaue Punkte: 1 Ergebnisse für das Rotmaintal Hansag (Kerngebiet und UG). – Breeding density of Bluethroats versus size of Altmühlsee study area shown for 13 sites >50 ha in south-eastern Germany and Austria. Sonneberg Blue dots: Results for the Roter Main 0,1 Seewinkel valley (completely colonised area and study area). Quellen/sources: Schlem- Coburger mer (1988), Grüll (2001), Zach (2002), Land Ranftl et al. (1994), Reiter (1994), Theiß (1997), Püwert (2002). 0,01 Dichte [sing. Männchen/10 ha] y = 54,2x-0,75 R2 = 0,85 0,001 1 10 100 1000 10000 100000 1000000 Gebietsgröße [ha] lagen rund 52 km2. Dieses Untersuchungsgebiet existieren, wenn auch in geringerer Ausdeh- (UG) wurde von Mitte April bis Anfang Juni nung und Dichte als im nördlichen Teil. Die systematisch nach singenden Blaukehlchen gestrichelte Linie in Abb. 1 umgrenzt ein Gebiet abgesucht, vorzugsweise eine Stunde bis vier von 5,1 km2. Für dieses Kerngebiet lässt sich Stunden nach Sonnenaufgang, oder ca. 1 Stunde eine Siedlungsdichte von 0,33 Revieren/10 ha um den Sonnenuntergang. Als besetztes Revier ermitteln, für das gesamte UG liegt die Sied- wurden Gebiete mit zweimaliger Feststellung lungsdichte um eine Zehnerpotenz niedriger. eines singenden oder schaufliegenden Männ- Bekanntlich nimmt die Siedlungsdichte von chens im Abstand von mindestens 7 Tagen, da- Vogelarten mit der Größe des Untersuchungs- von eine von Ende April bis Mitte Mai oder ein- gebietes exponentiell ab (Bezzel 1982). Die Ab- maliger Gesangsfeststellung und weitere Fest- nahme der Abundanz mit zunehmender Flä- stellung eines Altvogels im Abstand von >7 chengröße fällt um so stärker aus, je mehr die Tagen, davon eine von Ende April bis Mitte Mai Vogelart kleinräumig hohe Dichten erreichen gewertet (Andretzke et al. 2005). Die Kartie- kann, die Habitate aber selten und inselartig rungsarbeiten wurden von Frank Breiner, An- verteilt sind (z.B. Schilfsingvögel). Die für das dreas Hahn, Ursula Mertens, Almut Wieding Rotmaintal ermittelten Siedlungsdichten des und dem Verfasser durchgeführt. Blaukehlchens fügen sich in das Bild, das sich aus Vergleichsuntersuchungen in Gebieten ver- Ergebnisse und Diskussion schiedener Flächengröße ergibt (Abb. 2).

Verbreitung und Siedlungsdichte. Im April Lebensraum. Die Blaukehlchen-Reviere lagen und Mai 2009 konnten insgesamt an 21 Stellen entweder unmittelbar am Mainufer (n=4), am singende Blaukehlchen festgestellt werden Rand der Talaue in Schilfgebieten an der mitt- (Abb. 1). An vier Stellen ließen sich die im April leren Hochwasserlinie (Abb. 3, n=4), an Teichen aufgetretenen singenden in der Folgezeit mit Schilfbestand (n=2) oder außerhalb der ei- nicht mehr bestätigen, so dass von 17 Revieren gentlichen Talaue auf den Niederterrassen in ausgegangen wird, die sich im nördlichen Landschilfbeständen, oder in schmalen Schilf- Bereich des UG konzentrieren. Flussaufwärts streifen entlang von Gräben im Dauergrünland fehlt das Blaukehlchen (noch), obwohl örtlich (n=7). An allen kartierten Standorten kommt größere zusammenhängende Schilfbestände das Schilfrohr Phragmites australis vor, Singwar- 162 Ornithol. Anz., 48, 2009

Abb. 3. Typischer Blaukehlchen-Lebensraum im Rotmaintal (Affalterhof, Lkr. Kulmbach, April 2009). – Typical habitat of the Bluethroat in the valley of the Roter Main near Kulmbach, Upper Franconia. Foto: R. Pfeifer. ten sind häufig Strauchweiden Salix spec. Die nachweis durch fütternde Altvögel am 21. Mai Schilfbestände sind maximal ca. 1 ha groß, mini- 2009, U. Mertens). mal können jedoch auch wenige Meter breite Schilfstreifen entlang von Gräben als Brutrevier Besiedlungsgeschichte. Es steht außer Zweifel, besiedelt werden (vgl. Schlemmer 1988, Theiß dass es sich bei den Blaukehlchen-Vorkommen 1997). In 11 Fällen grenzten ackerbaulich genut- im Rotmaintal um eine echte Neuansiedelung zte Flächen, zumeist Rapsfelder, an die Reviere. handelt. Edelmann (1932), zweifellos ein hervor- Reviere in Rapsfeldern ohne Schilf-Vorkommen ragender Kenner des Gebietes, führt das Blau- (Theiß 1991) wurden jedoch nicht festgestellt. kehlchen nur als Durchzügler auf. Daran dürfte sich bis in die späten 1990er Jahre nicht viel geän- Phänologie und Gesangsaktivität. Wenige dert haben, denn zum Zeitpunkt der Kartierung Tage nach erstmaligem Einsetzen frühlingshaf- für den bayerischen Brutvogelatlas (1996-1999) ten Wetters (Blühbeginn der Strauchweiden) wurde die Art nur sehr lokal brutverdächtig fest- wurden am 3. April bei einer stichprobenhaften gestellt. In einem vom geschlossenen Verbrei- Kontrolle von 16.00 bis 17.00 Uhr 3 intensiv sin- tungsgebiet ca. 13 km, vom Südende des UG gende festgestellt. Während des warmen und allerdings nur ca. 4 km entfernten Kiesgruben- trockenen April war jedoch die geringe Ge- gelände bei Bindlach, Lkr. Bayreuth, bestand sangsaktivität vieler Individuen auffallend. In allerdings bereits 1984 erstmals Brutverdacht einem ca. 1 ha großen Schilfgebiet wurden am (Gubitz & Pfeifer 1993), auch 2009 waren dort 13. April, nach zunächst nur zaghaftem Gesang, wieder zwei Reviere besetzt. Die Besiedlung des gegen 10.00 Uhr 3-4 sing. registriert. Eine Fol- UG erfolgte aber sicher in weiten Teilen erst ab gekontrolle am 25. April um 9.00 Uhr brachte der Jahrtausendwende. Als Quellpopulationen zunächst keinen Gesangsnachweis, erst einein- sind die ca. 20 km entfernten, individuenstarken halb Stunden später konnte dann doch noch Populationen am Obermain im Landkreis Lich- schwacher und kaum feststellbarer Gesang regi- tenfels anzunehmen (Franz 1998). Ringfunde da- striert werden. Am 28. April wurde dann wie- zu fehlen allerdings. Die auf etwa halber Strecke der kräftiger Gesang festgestellt. Es bestätigte zwischen den beiden Gebieten liegenden Bag- sich der Eindruck von Schmidt-Koenig (1956), gerseen bei Maineck sind inzwischen ebenfalls dass stundenweise die Population von „Singbe- besiedelt (2009: 4 Brutpaare, D. Franz briefl.). trieb“ erfasst war, während andererseits zeit- weise der Eindruck entstand, es gäbe in dem Zusammenfassung Gebiet überhaupt keine Blaukehlchen (vgl. hier- zu Franz 1998). Ende Mai und Anfang Juni war 2009 wurde im Rotmaintal zwischen Heiners- die Gesangsaktivität fast erloschen, obwohl die reuth und dem Zusammenfluss mit dem Wei- Blaukehlchen noch im Gebiet waren (z.B. Brut- ßen Main bei Kulmbach (Landkreise Bayreuth Robert Pfeifer: Neuansiedlungen des Weißsternigen Blaukehlchens im unteren Rotmaintal, Oberfranken 163 und Kulmbach, Oberfranken, Bayern) das Vor- Laussmann, H. (1992): Zum Wandel der Habi- kommen des Blaukehlchens Luscinia svecica cya- tatwahl des Weißsternigen Blaukehlchens necula auf 52 km2 flächendeckend kartiert. An 21 Luscinia svecica cyanecula im Maintal. Anz. Stellen wurden singende Männchen nachgewie- ornithol. Ges. Bayern 31: 171-172. sen, 17 Reviere waren dauerhaft besetzt, die sich Püwert, A. (2002): Bestandsentwicklung und auf 5,08 km2 des Untersuchungsgebietes kon- Habitat des Weißsternigen Blaukehlchens zentrierten. Die Siedlungsdichte betrug dort Luscinia svecica cyanecula bei Sonneberg 0,33 Reviere/10 ha. Dieser Befund liegt im Rah- (Thüringen). Anz. Ver. Thüring. Ornithol. 4: men der bei anderen Untersuchungen ermittel- 329-335. ten Werte. Die Neubesiedlung des Gebietes Ranftl, H., M. Bachmann, W. Dornberger, J. erfolgte etwa ab Mitte der 1990er Jahre. Günther, F. Schurr, N. Ullrich & Ch. Wegst (1994): Die Vogelwelt des Altmühlsees 1992- Dank. Dem Landratsamt Bayreuth sei für die 1993. AIB 1: 32-43. Genehmigung zum Betreten gesperrter Bereiche Reiter, A. S. (1994): Bestand und Habitatwahl in den Spiegelwiesen bei Heinersreuth gedankt, des Weißsternigen Blaukehlchens (Luscinia Dr. Dieter Franz und Andreas Hahn für eine kri- svecica cyanecula) im österreichischen Teil tische Durchsicht und Verbesserungen früherer des Hanság in den Jahren 1988 – 1990 sowie Fassungen des Manuskriptes. Jonathan Guest Vorschläge zum Schutz der Art. Egretta 37: verbesserte das Englisch. Und ohne den Einsatz 45-59. der Kartiererinnen und Kartierer wäre die Schlemmer, R. (1988): Untersuchungen zur Untersuchung nicht möglich gewesen. Habitatstruktur des Weißsternigen Blau- kehlchens Luscinia svecica cyanecula, Wolf Literatur 1810, im unteren Isartal. Verh. ornithol. Ges. Bayern 24: 607-650. Andretzke, H., T. Schikore & K. Schröder (2005): Schmidt-Koenig, K. (1956): Über Rückkehr, Artsteckbriefe. In: Südbeck, P. et al., Hrsg.: Revierbesetzung und Durchzug des Weiß- Methodenstandards zur Erfassung der Brut- sternigen Blaukehlchens (Luscinia svecica vögel Deutschlands. Radolfzell. cyanecula) im Frühjahr. Vogelwarte 18: 185- Bezzel, E. (1982): Vögel in der Kulturlandschaft. 197. Verlag E. Ulmer, Stuttgart. Theiß, N. (1991): Weißsterniges Blaukehlchen Edelmann, H. (1932): Die Vögel Kulmbachs und Luscinia svecica cyanecula brütet erstmals in seiner Umgebung. Verein Natur und Hei- einem Rapsfeld. Ornithol. Anz. 30: 80-82. mat, Kulmbach. Theiß, N. (1997): Bestandsentwicklung und Franz, D. & R. Schlemmer (2005): Blaukehlchen Habitatwahl des Weißsternigen Blaukehl- Luscinia svecica. In: E. Bezzel, I. Geiersberger, chens Luscinia svecica cyanecula im Coburger G. v. Lossow & R. Pfeifer: Brutvögel in Land von 1971 bis 1996. Ornithol. Anz. 36: Bayern. Verbreitung 1996 – 1999. Verlag E. 105-124. Ulmer, Stuttgart. Zach, P. (2002): Die Vogelwelt des Rötelsee- Franz, D. (1988): Starke Bestandszunahme des weihergebietes bei Cham/Oberpfalz 2001. Blaukehlchens Luscinia svecica nach dem AIB 9: 18-31. Jahrhunderthochwasser 1988 in Nord- bayern. Anz. ornithol. Ges. Bayern 27: 285- Eingereicht am 2. Juli 2009 286. Revidierte Fassung eingereicht am 8. Juli 2009 Franz, D. (1998): Das Blaukehlchen – von der Angenommen am 23. Juli 2009 Rarität zum Allerweltsvogel? Sammlung Vogelkunde, Aula-Verlag, Wiesbaden. Grüll, A. (2001): Populationsuntersuchungen am Weißsternigen Blaukehlchen (Luscinia svecica cyanecula) im Neusiedler See-Gebiet. Egretta 44: 1-44. Gubitz, C. & R. Pfeifer (1993): Die Vogelwelt Ost-Oberfrankens. Grundlage für eine Avi- fauna. Beih. Ber. Naturwiss. Ges. Bayreuth 3. 164 Ornithol. Anz., 48, 2009

Ornithol. Anz., 48: 164–167

Bruten des Purpurreihers Ardea purpurea in Bayern in den Jahren 2007 und 2008

Franz Leibl

Breeding of Purple Heron Ardea purpurea in Bavaria in 2007 and 2008

In 2007 and 2008 Purple Herons bred at three different locations in Bavaria (Main/Lower Franconia, Aischgrund/Middle Franconia, Danube valley/East Bavaria). In 2007 4 pairs were successful. For 2 other pairs, no breeding success was recorded. A further pair’s breeding attempt was interrupted. In 2008 a minimum of 10 breeding pairs was recorded with suspected breeding by a further 3 pairs. The average number of fledged young per succsessful brood was 3,45 (n=12). The number of fledged young varied between 1 and 5 per nest, altogether 12 young Purple Herons flew in 2007 and 29 in 2009. Key words: Purple Heron, Ardea purpurea, Bavaria, breeding success

Dr. Franz Leibl, Sandweg 6b, D-94365 Parkstetten

Einleitung Brüten aufgesucht. Nach Wüst (1981) wurden an diesem Altwasser erstmals 1963 2 Brutpaare Der Purpurreiher gilt in Bayern als äußerst sel- des Purpurreihers entdeckt. Eine andere, etwa 1 tener Brutvogel. Anlässlich der letzten Brut- km westwärts gelegene Örtlichkeit wird seit vogelkartierung in den Jahren 1996 bis 1999 1997 fast regelmäßig zum Brüten aufgesucht, wurde ein bayerischer Brutbestand von max. 5 letztmals 2007. Auch im Aischgrund ist für eine Paaren ermittelt (Bezzel et al. 2005). Im Fol- Karpfenteichanlage eine Brutplatztradition von genden wird für die Jahre 2007 und 2008 eine drei Jahrzehnten belegt. Hier brüten Purpur- Zusammenschau über den aktuellen bayeri- reiher mit Unterbrechungen seit 1979 (Kraus & schen Brutbestand gegeben. Daneben werden Krauss 2001). Daten zum Bruterfolg festgehalten.

Brutbestand und Brutplatzwahl Aktuelle Brutverbreitung und Brutplatztradition Brütende Purpurreiher wurden 2007 und 2008 aus diesen drei Regionen Bayerns gemeldet. Nach wie vor besitzt der Purpurreiher in Bayern In Unterfranken brüteten 2007 3 Paare er- drei traditionell besetzte Brutgebiete. Diese lie- folgreich (NSG Altsee 2 Paare und NSG Gar- gen räumlich weit voneinander entfernt am stadter Seen 1 Paar). 2008 konnten im NSG Alt- Main in Unterfranken, im mittelfränkischen see erneut 2 erfolgreich brütende Paare bestätigt Aischgrund und an der ostbayerischen Donau werden, während es bei den Garstadter Seen bei zwischen Pfatter und Straubing. Das Verbrei- starkem Brutverdacht eines Paares blieb (F. tungsbild des Purpurreihers hat sich somit in Heiser schriftl. Mitt.). den vergangenen 10 Jahren nicht verändert. Aus dem Aischgrund werden für 2007 2 Auffallend hierbei ist die bemerkenswerte Brutpaare und ein weiteres brutverdächtiges Brutplatztradition dieser Art. So wird beispiels- Purpurreiherpaar gemeldet. 2008 konnten in weise ein an der ostbayerischen Donau gelege- diesem Brutareal 5 Purpurreiherbruten festge- nes Altwasser seit nunmehr 45 Jahren immer stellt werden. Aus 3 Nestern flogen Jungvögel wieder punktgenau vom Purpurreiher zum aus. Der Bruterfolg von zwei weiteren Paaren Franz Leibl: Bruten des Purpurreihers Ardea purpurea in Bayern in den Jahren 2007 und 2008 165

Im ostbayerischen Donautal zwischen Pfatter und Straubing brüteten 2007 2 Paare, eines da- von erfolgreich. Das zweite Paar brach die Brut ab. Die Brutstandorte waren ein nicht angebun- denes Donaualtwasser (Abb. 1, 2) sowie der Mündungsbereich eines Baches. Letztgenannter Brutplatz blieb 2008 verwaist, während im glei- chen Altwasser 2008 3 Purpurreihernester ent- deckt wurden. Die Nester befanden sich am wasserseitigen Rand einer lang gezogenen Schilfverlandungszone und waren nur wenige Meter voneinander entfernt (Mindestabstand ca. 4 Meter). Damit ist seit den Beobachtungen von Hohlt (1957) erstmals wieder ein koloniear- tiges Brüten des Purpurreihers in Bayern belegt. Ähnliche Neststandorte wählt der Purpurreiher auch in den anderen Brutgebieten Bayerns. Im Altseegebiet wird im Wasser stehendes Schilf- röhricht zum Brüten ausgewählt (F. Heiser Abb. 1. Brutstandort des Purpurreihers Ardea purpu- schriftl.). Im Aischgrund befanden sich die Pur- rea im ostbayerischen Donautal 2007. – Breeding site of purreihernester 2008 in der Schilfverlandung Purple Heron Ardea purpurea in the Danube valley / East eines Karpfenteiches sowie in einem, nahe Bavaria 2007. neben einem Schilfnest gelegenen Weiden- blieb ungewiss (Gelegefund, Nest mit 4 Eiern, busch, ca. 1 m über dem Wasser. Weitere, in ei- M. Kraus, schriftl. Mitt.). An mindestens einer ner anderen Teichanlage des Aischgrundes er- weiteren Weihergruppe bestand darüber hin- richtete Brutnester waren am inneren Schilfrand aus Brutverdacht für ein weiteres Paar (B. eines knie- bis hüfthoch im Wasser stehenden Goldmann, T. Wunder schriftl. Mitt.). Weiherschilfffeldes errichtet (B. Goldmann, M.

Abb. 2. Erfolgreiche Purpurreiherbrut an einem ostbayerischen Donaualtwasser 2008. – Successful brood of Purple Heron in a former channel of the Danube, East Bavaria, 2008. 166 Ornithol. Anz., 48, 2009

Tab. 1. Bruterfolg des Purpurreihers Ardea purpurea in Bayern in den Jahren 2007 und 2008 – Breeding success of Purple Heron Ardea purpurea in Bavaria in 2007 and 2008.

Kraus schriftl.). Die Beschreibung aktueller Flugreife großgezogen. Das entspricht einem bayerischer Neststandorte zeigt, dass auch hier, durchschnittlichen Bruterfolg von 3,0 Jungen wie in der Literatur vielfach dargelegt (z. B. pro erfolgreich brütendes Paar. 2008 flogen ins- Bauer et al. 2005), der Purpurreiher seine Brut- gesamt 29 Junge aus neun Nestern aus, was nester bevorzugt in Schilfröhricht, welches im einem durchschnittlichen Bruterfolg von 3,2 Wasser steht, errichtet. Jungvögeln je Nest entspricht. Insgesamt ergibt sich für 2007 ein gesamt- Für die einzelnen bayerischen Brutregionen bayerischer Bestand von sieben nachgewiese- ergibt sich, 2007 und 2008 zusammengefasst, nen Brutpaaren. Für ein weiteres Paar bestand folgendes Bild: darüber hinaus Brutverdacht. 2008 stieg der Purpurreiherbrutbestand auf zehn brütende Main/Unterfranken. 4 erfolgreiche Paare zogen Paare und auf mind. drei weitere brutverdäch- mind. 11 Junge bis zur Flugreife groß. Das tige Paare (Garstadter Seen, Aischgrund, Isma- bedeutet einen durchschnittlichen Bruterfolg ninger Speichersee) an (F. Heiser, T. Wunder von 2,75 Jungvögel je erfolgreich brütendem schriftl., M. Siering mdl.). 2008 war damit das Paar entspricht. seit Jahrzehnten erfolgreichste Brutjahr des Purpurreihers in Bayern. Aischgrund/Mittelfranken. Hier brüteten in der Summe ebenfalls 4 Paare mit Erfolg. Mind. 13 Junge wurden flügge, was einem Bruterfolg Daten zur Brutbiologie von 3,33 Jungen pro erfolgreichem Paar gleich- kommt. Anhand der von Wüst (1981) festgehaltenen brutbiologischen Daten ist erkennbar, dass Pur- Ostbayerisches Donautal. Ebenfalls 4 erfolgrei- purreiher, sobald sie in Bayern brüten, dies che Brutpaare brachten insgesamt 17 Junge zum regelmäßig auch mit gutem Erfolg tun. Aus den Ausfliegen. D. h., jedes erfolgreich brütende sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wer- Paar zog im Durchschnitt 4,25 Junge groß. den zwischen 3 und 5 Junge je erfolgreich brü- tendes Paar angegeben. Diese Feststellung trifft Die bayerische Spannbreite liegt somit zwischen auch für die Brutjahre 2007 und 2008 zu (Tab. 1). minimal 2,75 und maximal 4,25 ausgeflogenen 2007 wurden in Bayern von vier erfolgreich brü- Jungvögeln pro erfolgreich brütendes Purpur- tenden Paaren insgesamt 12 Jungvögel bis zur reiherpaar. Für die 12 erfolgreichen Brutpaare Franz Leibl: Bruten des Purpurreihers Ardea purpurea in Bayern in den Jahren 2007 und 2008 167 der Jahre 2007 und 2008 errechnet sich ein Dank. Für das Überlassen ihrer Beobachtungs- Durchschnitt von 3,45 flüggen Jungvögeln. Das daten bedanke ich mich herzlich bei Frau B. sind Werte, die den historischen Bruterfolgsan- Goldmann sowie den Herren F. Heiser, M. gaben von Wüst (1980) entsprechen. Kraus und Th. Wunder.

Ausblick Literatur

Der Purpurreiher hat in den Jahren 2007 und Bauer, H.-G., E. Bezzel, W. Fiedler (2005): Das 2008 an drei verschiedenen Stellen Bayerns wie- Kompendium der Vögel Mitteleuropas. – der erfolgreich gebrütet. Die Brutpopulation hat Nonpasseriformes. Aula-Verlag, Wiebels- dabei 2008 mit mindestens 10 Brutpaaren einen heim. Höchstwert erreicht. Der Purpurreiher zeichnet Bezzel, E., I. Geiersberger, G. v. Lossow & R. sich in Europa durch starke Populations- Pfeifer (2005): Brutvögel in Bayern. schwankungen aus (Bauer et al. 2005). Bayern Verbreitung 1996 bis 1999. Verlag Eugen erlebt derzeit eine Hochphase, während andere Ulmer, Stuttgart. Bundesländer wie Rheinland-Pfalz oder Baden- Hohlt, G. (1957): Eine Purpurreiher-Brutkolonie Württemberg zeitgleich Bestandsrückgänge in Bayern. Vogelwelt 78: 181-183. bzw. eine Stagnation verzeichnen (Sudfeldt et Kraus, M. & W. Krauss (2001): Das Vorkommen al. 2008). Ob die positive Entwicklung in Bayern der Reiher und Rohrdommeln Ardeidae im Bestand hat, bleibt den Beobachtungen der „Fränkischen Weihergebiet“ von 1950 bis nächsten Jahre vorbehalten. Wichtig für ein 2000. Ornithol. Anz. 40: 1-29. erfolgreiches Brüten des Purpurreihers sind Sudtfeldt, C., R. Dröschmeister, C. Grüneberg, S. nach wie vor absolut störungsfreie, im Wasser Jaehne, A. Mitschke & J. Wahl (2008): Vögel stehende Schilfzonen. Brutplätze dieser Art sind in Deutschland – 2008. DDA, BfN, LAG auf wenige Gebiete Bayerns beschränkt. Diese VSW, Münster. stehen zudem unter menschlichem Freizeit- Wüst, W. (1981): Avifauna Bavariae. Bd. 1. und Nutzungsdruck, was den limitierenden Ornithol. Ges. Bayern, München. Faktor für die Brutansiedlung bzw. für weitere Brutansiedlungen des Purpurreihers darstellen Eingereicht am 12. August 2009 kann. Angenommen am 17. August 2009

Zusammenfassung Nachtrag. Auch 2009 brüteten Purpurreiher 2007 und 2008 brüteten Purpurreiher in drei wieder erfolgreich in Bayern, so an einem tradi- verschiedenen Regionen Bayerns erfolgreich tionellen Brutstandort im ostbayerischen Do- (Maintal/Unterfranken, Aischgrund/- nautal. Hier konnten erneut 3 Brutnester gefun- Mittelfranken, ostbayerisches Donautal/Nie- den werden, aus denen einmal 2 und einmal 5 derbayern, Oberpfalz). 2007 wurden 4 Paare mit Junge flügge wurden. Im dritten Nest wurde Bruterfolg registriert. Bei 2 weiteren Paaren nicht erfolgreich gebrütet. Im Fränkischen konnte der Bruterfolg nicht ermittelt werden, Weihergebiet brüteten mindestens 3 Paare (M. ein weiteres Paar unterbrach das Brüten. 2008 Kraus, briefl. an R. Pfeifer), am Altsee minde- wurde ein Mindestbestand von 10 Brutpaaren stens 2 Paare, jedoch nicht an den Garstädter ermittelt, von denen 8 Paare erfolgreich waren. Seen (F. Heiser, briefl. an R. Pfeifer). Bei weiteren 3 Paaren bestand Brutverdacht. 2008 war somit seit Jahrzehnten eines der besten Brutjahre des Purpurreihers in Bayern. Im Durchschnitt (2007 und 2008) wurden 3,45 Junge (n = 12) je erfolgreich brütendem Paar flügge. Die Zahl ausgeflogener Jungvögel vari- ierte dabei von einem bis maximal 5 Individuen. 2007 flogen insgesamt mindestens 12 Junge aus, 2008 waren es mindestens 29. 168 Ornithol. Anz., 48, 2009

OG persönlich

Günther Nitsche zum 80. Geburtstag

Foto: privat

Günther Nitsche zählt zu einem leider immer vielleicht aber auch schon früher, wurde seine seltener werdenden und – in den Kategorien Freude und sein Interesse an der Vogelwelt ge- der Roten Liste gesprochen – mittlerweile stark weckt: Möglicherweise ausgelöst durch einen gefährdeten Typus Mensch: er ist ein Vollblut- zugeflogenen Kanarienvogel, vielleicht aber Ornithologe und -Vogelschützer von Kindes- auch aufgrund der vielfältigen Vogelwelt im beinen an. Ungefähr im Alter von zehn Jahren, großen, heimischen Garten in Buchelsdorf, OG persönlich 169

Kreis Neustadt, Oberschlesien. Ein Sammelal- touren und Wanderungen durch diese Moor- bum für Vogelbilder aus Zigarettenschachteln landschaften wurde der Grundstein für seine diente als erstes Bestimmungsbuch, und die bis heute anhaltende Faszination für die süd- Grundlage für sein tiefes Gespür für das Ver- bayerischen Nieder- und Hochmoore, die sich halten der Vögel entwickelte er als Kind bei sei- in mehreren Publikationen niederschlug, gelegt. nen Versuchen, Stieglitze mit Schlagnetzen an Er erlebte noch die Birkhuhnbalz im Aiblinger Disteln im Garten und Gimpel mit Lockvögeln Weidmoos – heute eine Landschaft aus Intensiv- und getrockneten Vogelbeeren am Futterhaus grünland, Umgehungsstraßen und Fichtenfors- zu fangen, um sie als Stubenvögel zu halten. ten –, im Auer Weidmoos, das wenigstens in sei- Damals war die Vogelwelt noch entsprechend nem Kern als Naturschutzgebiet geschützt reichhaltig. wurde, und in den Hochrunst- und Kollerfilzen, Geboren wurde Günther Nitsche am 5. Sep- die nach jahrzehntelangem teilweise industriel- tember 1929. Die Volksschule besuchte er im lem Torfabbau nun mühsam wieder renaturiert Heimatort, die staatlichen Oberschule in Ober- und wieder vernässt werden. glogau. Kriegsbedingt musste die Heimat im Dem Studium folgten mehrere befristete März 1945 mit Mutter und Schwester (der Vater Tätigkeiten in München und am Bodensee, von war im Dezember 1944 gefallen) verlassen wer- 1957 bis 1972 schließlich eine Anstellung bei der den. Zurück blieben seine gefiederten Freunde Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Mün- zuhause und im Garten und auch die Eier- chen. Seine wahre Berufung lag woanders: Ins- sammlung, die er bereits als Kind angelegt gesamt 25 avifaunistische, populärwissen- hatte. Eine spätere Rückkehr war aufgrund der schaftliche und praktische Arbeiten zur Vogel- Nachkriegssituation nicht mehr möglich, Bad welt im Zeitraum 1950 bis 1972 belegen Günther Aibling in Oberbayern wurde zur neuen Nitsches unerlässliche Tätigkeit auf dem Gebiet Heimat. Auch das Ziel, später Forstwirtschaft der Vogelkunde und des Vogelschutzes: Seien zu studieren, war durch die Kriegswirren und es praktische Hinweise zum Vogelschutz in die Flucht unerreichbar geworden. So begann Zeitschriften des Obst- und Gartenbaus, der er, 1946 in einem Gärtnereibetrieb zu arbeiten, Jagd oder im Bauernblatt, seien es Mitteilungen machte eine Gärtnerlehre und nach mehreren von Reisebeobachtungen, von Besonderheiten Praxisjahren ein Gartenbau-Studium an der da- der bayerischen Vogelwelt oder seine erste Ge- maligen Staatlichen Lehr- und Forschungsan- bietsmonographie über „Die Vogelwelt des stalt für Gartenbau Weihenstephan (heute Eggstätter Seengebiets“ (1968). Diese Arbeit ent- Fachhochschule Freising-Weihenstephan). Nach stand dank einer guten Freundin seiner Frau in der zweiten staatlichen Fachprüfung war der Pittenhart, denn die vielen Besuche dort konnte Studiengang als diplomierter Gartenbauinspek- Nitsche stets mit einer Exkursion in die benach- tor abgeschlossen. Aufgrund des Bayerischen barte Seen- und Moorlandschaft um Eggstätt Hochschulgesetzes wurde später von der Fach- verbinden. Die rege Publikationstätigkeit Gün- hochschule Weihenstephan die Bezeichnung ther Nitsches belegt zweierlei: Zum einen den Dipl.- Ing. (FH) verliehen. Wunsch, praktisches Wissen zum Vogelschutz 1952 trat Günther Nitsche der Ornitholo- an andere Menschen weiter zu geben, zum gischen Gesellschaft Bayern bei, darüber hinaus andern seine genaue Beobachtungsgabe (die er wurde er frühzeitig Mitglied in der Deutschen bereits als Kind gelernt hatte) und die Sorgfalt, Ornithologengesellschaft und anderen Natur- alles aufzuschreiben. Dank dieser historischen und Vogelschutzorganisationen. 1956 heiratete Daten in seinen Tagebüchern waren bis heute er seine Frau Leandra Maria. Beide haben eine drei vergleichende Arbeiten über die Verände- Tochter. rungen der Vogelwelt über lange Zeiträume Der neue Wohnort Bad Aibling erwies sich – möglich. allen widrigen Umständen der Kriegs- und Immer stärker wurde sein Wunsch, auch Nachkriegszeit zum Trotz – wenigstens aus beruflich im Natur- und Vogelschutz tätig zu vogelkundlicher Sicht als Glücksumstand, la- sein. Die Chance dazu ergab sich Anfang der gen doch die ausgedehnten Moore des Rosen- 1970er Jahre: Das Europäische Naturschutzjahr heimer Beckens zwischen Bad Feilnbach, 1970 führte nicht nur zur Gründung des bayeri- Raubling, Bad Aibling und Au direkt vor seiner schen Umweltministeriums und des damaligen Haustür. In zahlreichen, ausgedehnten Fahrrad- Landesamtes für Umweltschutz (LfU), sondern 170 Ornithol. Anz., 48, 2009 in ganz Bayern zu einer personell besseren Aus- bachtungen am Rotkehlpieper in den 1970er stattung der Naturschutzbehörden. Aufgrund Jahre, die Beobachtung von Populationen des dieser neuen Situation kam es 1973 zur An- Neuntöters oder der Hohltaube in den Schlier- stellung bei der Bayerischen Landesstelle für seer Alpen und nicht zuletzt die Entwicklung der Naturschutz, die sehr bald in das LfU eingeglie- Vogelwelt der Moore südlich Bad Aibling im dert wurde. Sein Ziel, beruflich im Naturschutz Verlauf mehrerer Jahrzehnte zeugen davon. wirken zu können war, wenn auch auf großem Dass diese Arbeiten schon abgeschlossen Umwege, erreicht. Neben den vielfältigen sind, glaubt man genauso wenig wie sein Alter, Fachaufgaben im LfU (z. B. die Vorbereitung wenn man ihn in jedem Frühjahr und Sommer der Ausweisung von Naturschutzgebieten) war querfeldein durch die weite Heidelandschaft Günther Nitsche zuständig für Vogelkunde und der Abgebrannten und Hochrunstfilze oder die Vogelschutz und somit auch der Mittelsmann Sümpfe der Kollerfilzen marschieren sieht, auf zwischen dem behördlichen und dem Ver- der Suche nach Schwarzkehlchenrevieren, Was- bandsnaturschutz. In dieser Funktion war er serrallen, Blaukehlchen und Entenfamilien. langjähriger Vertreter Bayerns in der Länderar- Mindestens einmal pro Exkursion versinkt man beitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten. Be- bis über die Gummistiefel in einem der zahlrei- rufliche Meilensteine in dieser Zeit sind zweifel- chen Schlitzgräben, aber unbeeindruckt kämpft los die Bearbeitung der ersten und zweiten G. Nitsche sich weiter. Die Sorgfalt seiner Beo- Roten Liste der gefährdeten Vogelarten (1976, bachtungstätigkeit kann man aus erster Hand 1992) sowie der Beginn der Artenhilfspro- studieren, wenn man das Glück hat, ihn beglei- gramme „Weißstorch“ und „Wiesenbrüter“ in ten zu können: vor und zurück geht es, um Bayern in den 1980er Jahren nach der Ein- Fragen zu lösen wie: „Gehört dieses Männchen führung des gesetzlichen Schutzes für Feucht- zu dem Schwarzkehlchenpaar, das wir eben wiesen. Auch am Aufbau des Bayerischen Ar- beobachtet haben oder ist es bereits ein neuer ten- und Biotopschutzprogramms und der Ar- Revierinhaber?“ Oder: „Dort drüben ist ein tenschutzkartierung war Nitsche beteiligt. flügges Junges – kann es sein, dass die Familie Sein ehrenamtliches Engagement blieb der- so weit verstreut ist oder gehört es zu einem weil ungebrochen. 1966 bis 1983 war er an der neuen Brutpaar?“. Internationalen Wasservogelzählung am Chiem- Seit 1973 folgten (ohne die Artkapitel in der Avi- see beteiligt, 20 Jahre lang – 1975 bis 1995 – war fauna Bavariae) insgesamt weitere 23 ornitholo- Günther Nitsche Fachausschussmitglied der gische Arbeiten. Kennt man Günther Nitsches Ornithologischen Gesellschaft, 23 Artbear- Eifer, der ihn in jedem Frühjahr hinaus aus beitungen der Avifauna Bavariae von Walter München in die Schlierseer Berge, die Moore Wüst entstanden durch oder mit ihm. Die Or- oder etwas näher an die Heimat seiner Kind- ganisation und Bearbeitung des ersten bayeri- heit, in die Oberlausitz in Sachsen zieht, so mag schen Brutvogelatlasses 1979-1983 (Nitsche & man nicht glauben, dass dies schon das Ende Plachter 1983) erfolgte weitgehend außerhalb seiner Publikationstätigkeit war. Seine Tagebü- des Dienstes in Zusammenarbeit mit der Orni- cher dürften jedenfalls noch manchen Schatz thologischen Gesellschaft in Bayern. Mit der beherbergen. Verleihung der Umweltmedaille des Bayerischen Die Ornithologische Gesellschaft in Bayern Staatsministeriums für Landesentwicklung und dankt Günther Nitsche für seine langjährige Umweltfragen im Jahre 1989 durch Staats- Treue und sein Engagement, für seinen Einsatz minister Albert Dick wurden Nitsches besonde- für den Schutz der Vogelwelt und ihrer Lebens- ren Verdienste gewürdigt, die er weit über die räume. Sie gratuliert dem Jubilar ganz herzlich dienstlichen Verpflichtungen hinaus im Natur- zum 80. Geburtstag. Ihr Dank gilt aber auch sei- schutz und in der Ornithologie erworben hat. ner Frau und Familie, die ihn stets mit viel Ein wesentliches Kennzeichnen vieler der Verständnis begleitet haben. Möge Günther Nit- avifaunistischen Arbeiten Nitsches ist die Lang- sche noch lange Jahre die Kraft und Gesundheit fristigkeit – das machte es ihm nicht nur möglich, haben, seiner Leidenschaft, der Vogelkunde, Entwicklungstendenzen über mehrere Jahre hin nachzugehen und sein Wissen mit anderen zu festzustellen, sondern auch, wie bereits ange- teilen. sprochen, Veränderungen der Vogelwelt nach längeren Zeiträumen zu bilanzieren. Zugbeo- Bernd-Ulrich Rudolph OG persönlich 171

Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland 2009 an Manfred Siering

Manfred Siering (rechts) nach der Ehrung im Ge- spräch mit unserem Ehren- mitglied Dr. Manfred Kraus. Foto: R. Pfeifer

Am 2. September 2009 wurde in einer Feier- Untere Naturschutzbehörde des Landratsamtes stunde im Königssaal des Justizgebäudes in München bei speziellen ornithologischen Fach- Nürnberg unserem 1. Vorsitzenden Manfred fragen gegeben. Ferner haben Sie zahlreiche Siering das Bundesverdienstkreuz am Bande Gutachten und Stellungnahmen im Rahmen der verliehen. In der Laudatio betonte der Baye- Beteiligung der Träger öffentlicher Belange bei rische Staatsminister für Umwelt und Gesund- naturschutzrechtlichen Inschutznahmeverfah- heit, Dr. Markus Söder, die große persönliche ren sowie Bauleitplanverfahren erstellt. Aber Einsatzbereitschaft, mit der sich der Geehrte als auch der Weitergabe naturkundlichen Wissens ehrenamtlich tätiger Ornithologe mit Leib und an Jugendliche nehmen Sie sich mit großem Seele in vielseitiger Weise um unseren Lebens- pädagogischem Geschick an. Neben vielen raum verdient gemacht hat. praktischen Einsätzen sorgen Sie bei zahlrei- Weiter heißt es: „Ihr hohes ornithologisches chen Aktivitäten dafür, Umweltwissen und Fachwissen vermitteln Sie in zahlreichen Exkur- Umweltbewusstsein einer breiten Öffentlichkeit sionen und bei diversen Fernreisen. Seit 1994 nahe zu bringen. Dank Ihres umfassenden sind Sie Vorsitzender der Ornithologischen Wissens in der Vogelkunde wie auch in der Gesellschaft Bayern (OGB). In Zusammenarbeit Botanik, Insektenkunde und in vielen anderen mit dem LBV wurde der Brutvogelatlas 2000 für Gebieten sind Sie ein gefragter Experte für öko- Bayern erstellt. Aber auch bei der Betreuung des logische Fragen. Ihr Wirken hat durch die Ismaninger Speichersees als Brutvogelgebiet Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am und als Zugvogelrastgebiet arbeiten der LBV Bande die verdiente öffentliche Würdigung und die OGB eng zusammen. erfahren. Zu dieser hohen Ehrung gratuliere ich Sie haben Kurse und Führungen in und um Ihnen und wünsche für die Zukunft alles München mit speziellen ornithologischen Fach- Gute.“. fragen durchgeführt. In Vogelzählungen, Vor- Die Ornithologische Gesellschaft in Bayern e.V. trägen und Exkursionen sind Sie sowohl praxis- gratuliert ihrem 1. Vorsitzenden zu der verdien- orientiert wie wissenschaftlich tätig. Sie haben ten Ehrung ganz herzlich! wiederholte und umfangreiche Hilfen für die Robert Pfeifer 172 Ornithol. Anz., 48, 2009

Schriftenschau

Wichmann, G., M. Dvorak, N. Teufelbauer & H.- Lebensräume ergibt den Gesamtbestand. Aller- M. Berg, 2009. Die Vogelwelt Wiens – Atlas der dings ist man nur für 46 (40%) der Brutvögel so Brutvögel. 382 S., 119 Verbreitungskarten, zahl- vorgegangen, für weiter 39 waren spezifische reiche Graphiken und Fotos. ISBN 978-3-902421- Erfassungsprogramme zur Ermittlung des 37.1. Bezug: Verlag des Naturhistorischen Gesamtbestandes nötig. Schließlich blieben Museums Wien, Burgring 7, A-1010 Wien.1 noch einige Arten für übliche Bestandsschät- Kleider machen Leute – der Brutvogelatlas von zungen nach vorliegendem Datenmaterial aus Wien kommt in einem elegant gestylten Outfit Archiven und Literatur usw. übrig. Die unter- daher. Das ist für eine Weltmetropole der schiedlichen Ansätze für Bestandschätzung Künste und Wissenschaften, in der auch Orni- sind sinnvoll und ihr Ergebnis in den Arttexten thologie und Naturschutz Gehör finden wollen, jeweils im Detail zu ersehen. Die Spannweite alles andere als nebensächlich. Zu einer profes- der Schätzungen bei Arten mit großen Bestän- sionellen modernen Präsentation zählt auch, den wurde richtigerweise sehr groß angesetzt. dass das Unternehmen in moderatem Format Man hat also manchen methodischen Bo- und Umfang angeboten wird und man der dennebel so genannter quantitativer und halb- Gigantomanie mancher regionalen Avifaunen quantitativer Kartierungen vermieden und vor und Vogelatlanten ausgewichen ist. Allein darin allem auch das emsige Sammeln wenig aussa- steckt ohne Zweifel viel Planung und Arbeit, gekräftiger, von Flächengröße, Methodik und daher Gratulation dem Team der Herausgeber individueller Entscheidung abhängiger klein- und Bearbeiter! flächiger „Siedlungsdichten“, die so manche re- Allerdings hat man vielleicht Manches gionale Bearbeitung zieren. Das Kapitel Mate- etwas auf die Spitze getrieben. Der Druck ist um rial und Methoden ist erfreulich konzis und 2 Punkte zu klein, daher laden die Textblöcke übersichtlich wie auch die anderen einleitenden trotz straffer Gliederung und gefälligem Layout Abschnitte zu Lebensräumen der Stadt, Klima, vor allem weniger motivierte Leser nicht gerade Geschichte der ornithologischen Erforschung, zu sorgfältigem Studium ein. Die hellgrauen, Artenreichtum usw. Freilich lösen die Ansätze winzigen Drucktypen in Tabellen, Grafiken und lange nicht alle Probleme der Erfassung und Legenden sind regelrechtes Augenpulver, man- Bestandsschätzung und nicht immer ist es chen Bildern fehlt eine ausreichende Legende. gelungen, alles gut verständlich an den Leser zu Auch die Verbreitungskarten sehen hübsch aus, bringen. So liest man von „Sextanten“, die sind aber in der Abstimmung der Grau- und sicher nicht das Winkelmessgerät der Seefahrer Farbtöne nicht immer besonders informations- bedeuten, schon mehrere Seiten bevor der hier freundlich. Da hat man der Optik auf den ersten in einer nicht im Duden erklärten Form verwen- Blick und dem handlichem Umfang wohl etwas dete Ausdruck definiert wird. Die karg kom- zu viel geopfert. mentierte Grafik des Distance Samplings der Das Konzept der Datenerhebung und -aus- Mönchsgrasmücke (S. 74) und auch der dazu wertung ist klar, konsequent und modern. gehörige Text lassen offen, wie man das statisti- Kartiert wurde qualitativ in den Jahren 2000- sche Modell rechnerisch in die Praxis umgesetzt 2003 (mit Nacharbeiten 2004–2006) auf 1083 hat. Kleine Stolpersteine sind mitunter unschö- Gitternetzfeldern von ca. 38 ha. Die Karten ge- ner Nominalstil und manche Ungereimtheit im ben also nur Codes des Brutvorkommens wider. Detail. Bestands- und Abundanzschätzungen basieren Doch bieten die allgemeinen Kapitel wie die auf einer Taxierung an 787 Punkten, die nach übersichtlich angelegten Arttexte (jeweils mit einer auf die Fläche der Großlebensräume Vogel- und oft einem informativen Habitatfoto) Wiens abgestimmten geschichteten Zufallsaus- viele Anregungen und Informationen nicht nur wahl gewählt wurden. Von ihnen aus wurden für den Wiener, dem seine Stadt etwas bedeutet, die Daten im Distance Sampling erhoben. Mit sondern auch für Ornithologen und Vogelbeob- dem Programm „Distance“ lässt sich dann die achter in ganz Europa. Man kann aus einem Dichte abschätzen. Die Summe der Dichten aller schönen Buch eine Menge lernen und sich Schriftenschau 173

Anregung für eigene Projekte holen. Allerdings keine so langfristige und intensive Studie aus ist auch wieder einmal bewiesen, dass enormer unserem größten Bundesland die Liste der Personal- und Arbeitsaufwand nötig sind, um behandelten Regionen abrunden konnte. Dann eine gute Erfassung selbst eines regionalen hätte sich der Hinweis, dass die Zahl der flüg- Artenspektrums zu erreichen. Die Mühen gen Jungen pro Horst mit zunehmender Höhen- haben sich gelohnt! lage abnimmt, vermutlich erhärten lassen. Die Einhard Bezzel Fichte wird als häufigster Brutbaum unter mehr als zwei Dutzend nachgewiesenen Brutbaumar- Interessensgemeinschaft Sperber (IGS), 2008. ten erwartungsgemäß bestätigt, aber überall Der Sperber in Deutschland. Eine Übersicht zeichnet sich eine bevorzugte Sonderrolle der mit Beiträgen aus 15 Regionen. 333 S., 47 Farb-, Lärche ab. Im Vergleich zu anderen Greifvogel- zahlr. schwarz-weiß-Abb. und Tabellen. ISBN arten liegen beim Sperber Brutverlust- und 978-3-8370-3271-0, BoD Books on Demand, Mortalitätsrate recht hoch. Sperber zu sein, ist Norderstedt. 2 nicht leicht. Mit welchem Mittel im Einzelfall 18 Autoren legen hier ihre Erfahrungen vor, die die Verlustursache zu ergründen war, das her- sie in nebenberuflicher Tätigkeit in Zeiträumen auszufinden bleibe dem interessierten Leser von 4 bis 30 Jahren auf ihren Untersuchungs- überlassen (S. 270). flächen von 60-700 km2 zur Brutzeit des Sper- Die beiden Kapitel über (a) Mauserfedern bers gesammelt haben. Jedes Kapitel ist für sich und (b) Rupfungen verdienen wegen ihrer allein genommen eine unabhängig lesbare Pub- generellen Bedeutung eine ausführlichere Be- likation. Aber, trotz der Vielzahl der Autoren ist trachtung. (a) Der Auswertung von im Brut- es der IGS-Redaktion gelungen, dass nicht Bei- revier gesammelten Sperber-Mauserfedern wer- träge wie in einem Tagungsband angehäuft den zwanzig Seiten einschließlich farbiger Ab- wurden sondern dass ein Buch entstand, bei bildungen gewidmet. Natürlich sind einander dem in den einzelnen Regionalkapiteln die entsprechende Federn etwa vom linken und wichtigsten Grundlagen in gleicher Weise abge- rechten Flügel nicht exakt spiegelsymmetrisch, handelt werden und dann erst die Zusätze ent- oder, in demselben Follikel beim adulten Vogel sprechend der Individualität der Autoren zuge- gewachsene Federn sind von Jahr zu Jahr nicht fügt sind. Drei Einführungskapitel (Sperber- musteridentisch gleich. Deshalb enthält das mit- Biologie, Nestersuche, Bestandsangaben in den geteilte Rezept zur Geschlechts-, Alters- und europäischen Ländern und den einzelnen Bun- Individuenbestimmung so viel Redundanz, desländern) und eine zusammenfassende dass trotz lückenhafter Federfunde und trotz Schlussdiskussion bilden die Klammer um die vorhandener Streuung in den Merkmalswerten Einzelbeiträge. Offenbar standen die Autoren ein Revier- oder Partnerwechsel festgestellt seit Jahren miteinander im Gespräch, so dass werden kann. Jede zukünftige Freilandstudie sich ein weitgehend einheitliches Vorgehen ein- über Territorialverhalten und Mortalität des schließlich des Muts zur Lücke herausbilden Sperbers kann, ohne dieses Rezept zu nutzen, konnte. Das Buch besticht infolgedessen durch kaum ernst genommen werden. (b) Auf vierzig seine klaren Texte und übersichtliche Gestal- Seiten wird anhand von > 50000 Rupfungen die tung. Lediglich ein lapidarer Irrtum ist unter- Sperbernahrung zur Brutzeit analysiert. Der laufen, bei der Ordinatenbeschriftung S. 237. Sperber folgt seiner Nahrung, das sind alle Das Buch hält sich an die Überschrift Arten von Kleinvögeln, und er jagt wiederholt „Sperber in Deutschland“ und will nicht die dort, wo Kleinvögel häufig sind und bei seiner Biologie der Art mit all ihren Detailfragen Jagdmethode eine Erfolgschance besteht. Da- abhandeln. Trotzdem kommt der Leser mit sei- raus folgt, wenn sich im Zuge von landwirt- nem Wunsch zum besseren Verständnis nach schaftlichen Reformen die Landschaftsstruktur biologischen Hintergründen nicht zu kurz. ändert und der Kleinvogelbestand im Agrar- Erfreulich ist die Bestandserholung nach dem land abnimmt, dann ist auch der Sperber dort Ende der DDT-Ära, was für westliche und östli- kaum anzutreffen, ganz gleich ob nun zur Brut- che Bundesländer getrennt dokumentiert wird. zeit oder im Winter. Wenn bei der Expansion Anhand von > 4000 Nestfunden wird der Brut- der Städte mit ihren Grünanlagen, gezeigt am erfolg sowohl regional aufgeschlüsselt als auch Beispiel von Bochum, die dort siedelnden Klein- über die Jahre verteilt angegeben. Schade, dass vogelarten in ihrem Bestand zunehmen, dann 174 Ornithol. Anz., 48, 2009 siedelt auch der Sperber in der Großstadt, eine dichrous oder Chinasingdrossel Turdus mupinen- noch nicht abgeschlossene Entwicklung! Weiter, sis. Ihr Vergleich mit den europäischen Vertre- eben weil der Sperber nicht spezialisiert ist, ließ tern birgt noch viele offene Fragen. Neben die- sich eine durch ihn verursachte Änderung der sen Arten werden auch viele weitere endemi- Kleinvogelwelt nicht nachweisen (wohl aber sche und/oder seltene Vogelarten in teilweise seine Umstellung im Nahrungsspektrum infol- hervorragenden Farbfotos vorgestellt, so z. B. ge von landwirtschaftlicher Flurbereinigung). – das Schopfhähnchen Leptopoecile elegans, mehre- Umgekehrt genauso, obwohl der Habicht den re Häherlinge aus der Gattung Garrulax, Laub- Sperber schlägt, ließ sich nicht nachweisen, dass sänger Phylloscopus, der Blutfasan Ithaginis cru- dieser größere Greif die Sperberbestände nach- entus oder das dort isoliert von seinem sibiri- haltig reduziert. schen Brutgebiet vorkommende Rubinkehlchen Wiederholte Rasterkartierungen aller Brut- Luscinia calliope. Das Studium des Buches macht vogelarten verfolgen ihr eigenes Konzept be- Lust auf eine Exkursion in die Bergwelt Chinas, züglich Bestandszahlen und Bioindikatoren. hilft aber auch, unsere heimischen Waldvögel Eine auf die Lebensweise des Sperbers ausge- mit etwas anderen Augen zu sehen. Und nicht richtete Methodik gelangt natürlich zu gründli- zuletzt soll es dazu beitragen, die artenreiche cheren Sperberbestandszahlen, aber zu ganz Natur der Wälder Chinas vor der immer weiter ähnlichen bioindikatorischen Folgerungen be- fortschreitenden Zerstörung zu bewahren. züglich des Status unserer Umwelt. Ein schönes Robert Pfeifer Buch, das ohne belehrenden Ton das Wirkungs- gefüge in der Natur am Beispiel eines bewun- Schulze, A., 2009. „Belehrung und Unterhal- dernswerten Greifvogels schildert. tung“. Brehms Tierleben im Spannungsfeld Dietrich Ristow von Empirie und Fiktion. Münchner Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft Bd. 4, Sun Yue-Hua, Fang Yun, S. Klaus, J. Martens, W. Herbert Utz Verlag, München, 403 S. ISBN 978- Scherzinger & J. E. Swenson, 2008. Nature of 3-8316-0454-8. 4 the Lianhuashan Natural Reserve. Liaoning Andreas Schulze, der den Naturinteressier- science and technology publishing house, ten in Bayern bislang als Autor hervorragend Gansu. 100 S., zahlreiche Farbfotos. Bezug: recherchierter Filme und Vorträge über Vögel, Christ Media Natur, Postfach 110205, 32405 Tiere und natürliche Lebensgemeinschaften Minden, E-mail: [email protected] oder die bekannt war, hat sich in einer umfangreiche Buchhandlung Klingenthal, Markneukirchener Studie an das bedeutendste tierkundliche Über- Str. 3, 08248 Klingenthal, E-mail: info@buch- sichtswerk des 19. Jh. herangewagt und wurde handlung-klingenthal.de. 3 mit diesem Thema promoviert. Von Haus aus Das reich bebilderte, zweisprachig in chine- Geisteswissenschaftler, hat er in seiner Doktor- sischer und englischer Sprache abgefasste Buch arbeit in erster Linie dessen sprachliche Struk- über die Natur des Lianhuashan-Schutzgebietes tur analysiert und bewertet es aus diesem Blick- in der chinesischen Provinz Gansu entstand winkel ganz anders, als uns dies aus den bishe- unter der Beteiligung mehrerer bekannter deut- rigen Darstellungen vertraut war. scher Ornithologen. Es stellt in vier Kapiteln das Brehms Tierleben, bislang bekannt als popu- Schutzgebiet selbst, seine Pflanzen- und Tier- lärwissenschaftliches Werk mit hohem literari- welt sowie seine Bedeutung als „hotspot“ inter- schen Wert, dessen Textverfahren als völlig neu, nationaler Forschung dar. Die Landschaft und bahnbrechend, epochal usw. gerühmt wurde, die Pflanzenwelt sind eindrucksvoll, die Wald- wird erstmals von einem Sprachwissenschaftler vogelwelt am „anderen Ende“ der Paläarktis mit fundiertem naturkundlichen Hintergrund- spannend, denn sie erscheint uns als Mittel- wissen gründlich beleuchtet und von der Wolke europäer fremdartig und doch vertraut. Neben der Illusionen auf einen verdienten Sockel Bekanntem wie Weidenmeise, Buntspecht, „gehoben“. Nein, Brehms Tierleben war zwar Tannenhäher und Zaunkönig sind insbesondere populär, doch nicht durchgehend populärwis- die nahe verwandten Vertreter europäischer senschaftlich; sein literarischer Rang kann nur Taxa von Interesse, so z. B. China-Haselhuhn bedingt als hoch gelten. Als vollkommen falsch Bonasa severzovi, Davidskauz Strix davidi, Mas- erweist sich die bislang vorherrschende Mei- kengimpel Pyrrhula erythaca, Schopfmeise Parus nung, Brehms Ansatz sei neuartig gewesen: ver- Schriftenschau 175 menschlichende Tierbeschreibungen gab es unterhaltend wirkt. Mitunter ignoriert er sogar schon in der Antike; genaue Schilderungen des bewusst zoologisches Wissen. Tierverhaltens wurden bereits im 18. Jh. veröf- Interessant und neu an Schulzes Ausarbei- fentlicht. Als Wurzel dieses grundlegenden tung ist auch eine breite Übersicht darüber, wie Fehlers im Meinungsbild über Brehms Tierleben Brehms Tierleben auf viele bekannte Nachgebo- konnte Schulze die reißerische Verlagswerbung rene gewirkt hat, wie sie sich damit auseinander des Bibliographischen Instituts, bei dem das gesetzt haben und wie die Namen Brehm und Werk erschien, ausmachen. Tierleben Gruppen bildend für eine ganze Reihe Warum wurde Brehms Tierleben ein so gro- von späteren Publikationseinheiten wirkten. ßer Erfolg? Es verbindet Information und Un- Schulzes Analyse schildert uns einen „Tier- terhaltung in äußerst gelungener Weise. Dieser vater“ Brehm, der erhebliche Schwächen in der Vorteil überragt deutlich die offensichtlichen Kenntnis seines Themas erkennen lässt. Seine Schwächen des Werks, z.B. die oft wenig flüssi- blumenreiche, emotionale Sprache verschleiert ge Aneinanderreihung von Informationsstü- oft eine mangelnde Beobachtungs-, Einsichts- cken, oder die oft willkürliche Einordnung der und Analysefähigkeit; vorurteilsfreie Dar- Tierarten und -gruppen nach vermenschlichten stellung war ihm nicht gegeben. Diese Bespre- Kriterien. Die erzählenden Textelemente und chung will wesentliche Aussagen von Schulzes der suggestive Schreibstil sind eine besondere kritischer Ausarbeitung darstellen und den Stärke des Werkes, geben aber nicht unbedingt Leser ermuntern, sich die 403 Seiten umfassen- stets die zoologischen Tatsachen wieder. Popu- de Studie selbst zu erschließen, die trotz ihrer lärwissenschaftliches und Literarisches gehen literatur- und sprachwissenschaftlichen Aus- oft kaum trennbar ineinander über. Faszinie- richtung auch für Interessierte mit zoologischen rend ist zu sehen, wie oft Brehm von der zoolo- Hintergrundkenntnissen eine interessante, mit- gischen Sachinformation abweicht und ins Fik- unter sogar kurzweilige und amüsante Lektüre tive wechselt, ohne diese Pause in der wissen- darstellt, die ich nur empfehlen kann. schaftlichen Information zu benennen. Er ver- Christoph Hinkelmann bindet wirkungsvoll Empirie und Fiktion und scheut auch nicht die Grenze zur Triviallitera- Sigrist, T., 2007 (1. Aufl.). Guia de Campos – tur. Auch waren seine z. T. versteckten, z. T. je- Aves do Brasil Oriental – Birds of Eastern doch sehr offen vorgetragenen negativen Stel- Brasil. Illustriert von E. Brettas und T. Sigrist. lungnahmen gegen den Klerus, die Homöopa- 448 S., 181 Tafeln, Softback. ISBN 85-60120-01-7. thie und den Aberglauben ein Element, das ihm Verlag Avis Brasilis, Sao Paulo. in seiner Zeit breite Zustimmung einbrachte. Dieser handliche kleine Führer enthält alle Vögel Diese Diskrepanzen herausgearbeitet zu haben Brasiliens mit Ausnahme von Amazonien, ein ist eine besondere Stärke in Schulzes Analyse. Feldführer, der ohne Text auskommt. Gegenüber Selbstverständlich hatte Brehm nicht alles einer Farbtafel steht stets der Vogelname in brasi- Wissen in seinem Werk selbst zusammentragen lianisch/englisch/lateinisch, darunter ein Habitat- können; er benannte ein gewaltiges Mosaik von schlüssel, gegeben als Abkürzung von zwei Buch- Zitaten und Quellen Tausender in mündlichen staben. Symbole (z.B. für Araukarienwald oder Berichten, aus Briefen, Büchern und Zeit- Caatinga) wären besser gewesen, da man nichts schriften. Häufig stützt er sich auf Reisebe- einlernen müsste. Dazu gibt es eine Mini-Schat- richte, die im 19. Jh. besonders beliebt waren. tenskizze desselben Vogels mit Markierungen, die Doch erweist sich Brehm auch stets als kon- auf Differentialdiagnosepunkte weisen; zuletzt die servatives Kind seiner Zeit, stellt gesellschaft- Verbreitungskarte für ganz Südamerika. liche Realitäten als unveränderlich oder allge- Die Vogelfamilien werden langatmig (S. 16– mein akzeptiert dar, orientiert sich an Tier- 47) zweisprachig eingeführt – entbehrlich für seelenkunde und Naturphilosophie, bewertet Ornithologen. Der Index ist dreisprachig. Zum Tiere nach Schaden und Nutzen anhand von Englischen muss man aber den exakten Art- Ähnlichkeiten zum menschlichen Verhalten, namen wissen, z.B. „Mottle-cheeked“; unter greift weit in den klassischen Schatz von Mär- „Tyrannulet“ steht nichts, man kann also mit chen, Mythen, Sprichwörtern und Fabeln hin- der Gattung nicht einengen. ein, was vom naturwissenschaftlichen Wissen Reicht ein Bilderbuch? Die Tafeln, stets beide her schlichte Unwahrheit ist, auf Leser aber Geschlechter zeigend, sind nicht überladen. Die 176 Ornithol. Anz., 48, 2009

Farbqualität befriedigt, Ausnahme Kleintyran- etwa 8 Zeilen Text bekommen. Dieser hebt nen, die übertrieben koloriert wirken. Die Far- Schlüsselmerkmale hervor, die zur Unterschei- ben sind oft besser – aber nicht immer – als im dung von den nächstähnlichen Arten führen. nächst abdeckenden de la Peña & Rumboll Auf die Lautumschreibung der Gesänge wurde (1998) „Birds of Southern South America and großer Wert gelegt. Hinter dem englischen und Antarctica“, der leider nur bis Südbrasilien wissenschaftlichen Namen folgt die Größenan- reicht, also schon mehr als die Hälfte der Mata gabe in cm und Inch , bei den Kolibris auch die Atlantica-Endemiten nicht mehr zeigt. In der so entscheidende Schnabellänge. Mit Abkür- Praxis war ein Vergleich beider Führer hilfreich. zungen wird angegeben, ob der Vogel auch in Beide reichen nicht ganz in der Qualität an Erize den Nachbarländern rings um Peru verbreitet et al. (2006) „Birds of South America“ heran, der ist. Die Verbreitungskarte zeigt genauer das wiederum nur die Non-Passeriformes aufführt Vorkommen in den Provinzen (unterlegt); bei (s. Besprechung Ornithol. Anz. 46: 145). Für lokaler Verbreitung ist nur der betreffende Brasiliens Amazonien könnte man mit dem Sektor Perus vergrößert wiedergegeben – ange- neuen Peru-Führer (Besprechung siehe dieses nehm und genauer! Höhengrenzen und Status- Heft) 90% aller Vögel ermitteln. Also lohnt sich angaben finden sich ebenfalls im Text. der vorliegende Führer schon für die Bestim- Die Tafeln geben die Vögel ansprechend mung der zahllosen Endemiten der Küstenge- wieder; andere Subspezies innerhalb Perus sind birge Südostbrasiliens, da er dazu der einzige illustriert, die Tyrannen und Zaunkönige in komplette ist. Er lässt sich ohne Kenntnis des übergroßem Maßstab. Dies hat manchmal Portugiesischen gewinnbringend einsetzen. Nachteile: bei nur 6 Arten pro Tafel finden sich Tino Mischler nächstähnliche auf Folgeseiten, was den Ver- gleich erschwert. Andererseits hat man sich Schulenberg, T., Stotz, D., Lane, D., O´Neill, J. & übermäßig bemüht, farbähnliche Arten zusam- T. Parker III, 2007. Field Guide to the Birds of men darzustellen, so dass Arten vom gleichen Peru. 656 S., 304 Farbtafeln, 5 Perukarten, über Genus manchmal auseinander gerissen sind. Es 1750 Verbreitungskärtchen. ISBN 978-0-7136- werden auch überhaupt keine Familientitel 8673-9. Christopher Helm, London. 5 oder –merkmale angegeben, sondern nur ein Inzwischen über 1800 Arten kann das zweit- Titel, was auf der Doppelseite abgehandelt ist, reichste Vogelland der Welt, Peru, sein eigen nen- z.B. „Zimmerius and Yellow Tyrannulets“ oder nen. Eine weitere vom Rezensenten neu für Peru „Large, streaked Flycatchers“. Man muss sich publizierte Art, Nystalus radiatus, konnte leider also schon auskennen! Trotzdem: die Kurzcha- knapp nach Redaktionsschluss nicht mehr rakteristika der gezeigten Gattungsgruppen Eingang finden. An diesem Buch wurde über 40 nach dem Titel (2–5 Zeilen) sind sehr lehrreich Jahre von Ornithologen erster Güte aus dem und ermöglichen die Einarbeitung (z.B. was Louisiana State Museum gearbeitet. Es verdrängt sind Attilas, Antthrushes?). daher sofort den „provisorischen“ Field Guide Schulenberg setzt aber alle Arten, die nur von J. Clements (†) (Besprechung s. Ornithol. durch Sichtnachweis gemeldet wurden, in ecki- Anz. 42: 81f), der nie ganz befriedigen konnte. ge Klammern; sie bekommen keine Nummer. Um es direkt zu sagen: Es entstand ein orni- Darunter fallen viele durch Zeugen abgesicher- thologischer Naturführer der Superlative, der te. Einige fast ausgerottete oder sehr lange nicht Maßstäbe wie auch „Birds of Ecuador“ setzen nachgewiesene bekommen auch keine Verbrei- wird. Endlich sind alle (1792) Vogelarten Perus in tungskarte. allen ihren Kleidern exzellent und großformatig Wer also 98 endemischen Vogelarten, feucht- abgebildet. John O´Neill, der über 10 Arten neu tropischen oder kälteliebenden, neu entdeckten für Peru beschrieb, ist begabter Maler mancher der Weisssandflüsse um Iquitos oder gar noch Tafeln. Die Tagebücher von Ted Parker (†), der unbeschriebenen Subspezies der zentralen alle Vogelstimmen Perus spontan ansprechen Ostandenhänge nachspüren möchte, für den ist konnte, haben Eingang gefunden. Der Text ist dieser umfassende Feldführer Perus die richtige mehrfach, wie bei Princeton University Press Lektüre. Tino Mischler üblich, kritisch überprüft. Wie ist er aufgebaut? Jede der Tafel gegenüberliegende Seite führt 1) € 46,20 plus Versand; 2) € 30,–; 3) € 19,80; bis zu 6 durchnummerierte Arten auf, die je 4) € 39,–; 5) £ 29,99;