Chamiss n- o o -P v - r t e r i s e

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Viele Kulturen – eine Sprache * * *

März 2015 – Nr. 12

:: Die neuen Preisträger Sherko Fatah, Olga Grjasnowa und Martin Kordić :: Radek Knapp stellt die polnische Sprache vor :: Gratulationen für Ota Filip und Yüksel Pazarkaya ARTE GRATULIERT DEN PREISTRÄGERN 2015

ADELBERT-VON- CHAMISSO-PREIS Viele Kulturen – eine Sprache 4 In der Mitte der Gegenwart angekommen Eine Begegnung mit Sherko Fatah Liebe Leserinnen und Leser, Von Gregor Dotzauer hinter uns liegt das Jubiläum zur 30. Chamisso-Preis- verleihung 2014 mit zahlreichen Lesungen, Diskus- sionen und Schreibwerkstätten. Für den Erfolg dieser Veranstaltungen ist vor allem Ihnen, den Besuchern, zu danken. Mit Ihrer Neugierde, die Chamisso-Preisträger 10 Starke Frauen der vergangenen 30 Jahre und ihre Literatur kennen- Olga Grjasnowa und ihre Protagonistinnen lernen zu wollen, haben Sie uns einmal mehr gezeigt, Von Meike Feßmann dass wir mit dem Chamisso-Preis mitten im literari- schen Leben stehen. Mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ehren wir herausragende auf Deutsch schreibende Autoren, deren Werk von einem Kulturwechsel geprägt ist. Die Preisträger verbindet zudem ein außergewöhnlicher, 14 Sein Stoff war immer schon da die deutsche Literatur bereichernder Umgang mit Martin Kordić erzählt vom Krieg Sprache. Damit haben wir unsere Motivation für den Von Richard Kämmerlings Preis, literarische Sprachwechsel ins Deutsche zu fördern, den gesellschaftlichen Realitäten angepasst. 18 Fahren Sie nach Polen, Der Preis will heute auf Autoren aufmerksam machen, Ihre Zunge ist schon da deren herausragende Werke durch die eigene Migra- Porträt der polnischen Sprache tionsgeschichte oder die ihrer Familien sprachlich Von Radek Knapp und inhaltlich geprägt wurden. Den Lesern werden so Einblicke in die vielfältige deutschsprachige Literatur 20 Schlemihl im arabischen Frühling ermöglicht, die immer wieder Horizonterweiterungen Die ägyptische Philologin und Übersetzerin sind. Lobna Fouad Ein eindrückliches Beispiel für diese durch Kultur- Von Michael Bienert wechsel bereicherte Literatur ist auch das Werk des diesjährigen Preisträgers des Adelbert-von-Chamisso- 23 Tschechische Fabulierlust Preises. Mit Sherko Fatah wird ein Schriftsteller aus- Ota Filip zum 85. Geburtstag gezeichnet, dessen Vatersprache das Kurdische und Von Lerke von Saalfeld dessen erste Heimat ist. Er vermittelt uns in seinem Roman Der letzte Ort eindringliche und be- 26 Zu Hause im Mensch sein klemmende Innenansichten des Iraks und nimmt dabei Yüksel Pazarkaya zum 75. Geburtstag Ereignisse vorweg, die inzwischen grausame Realität Von Selim Özdogan wurden. Lernen Sie bei der Lektüre dieser zwölften Ausgabe 29 Neue Bücher von Adelbert-von- des Chamisso zudem die beiden Förderpreisträger Chamisso-Preisträgern Olga Grjasnowa und Martin Kordić kennen. Feiern Sie Von Klaus Hübner Geburtstag mit Ota Filip und Yüksel Pazarkaya, lassen Sie sich von einer Ägypterin erzählen, die Chamissos 32 Viele Kulturen – eine Sprache Peter Schlemihl ins Arabische übersetzt und staunen Sie über Radek Knapps Blick auf seine Muttersprache 34 Neuigkeiten, Auszeichnungen Polnisch. 35 Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter Impressum

Adelbert-von-Chamisso-Preisträger 2015 :: 5

In der Mitte der Gegenwart angekommen

Eine Begegnung mit Sherko Fatah

Von Gregor Dotzauer

Unter all den literarischen Großstadtmelancholi- öffentliche Verarbeitung werden sich künftig höchs- kern, Provinzchronisten und Innerlichkeitsforschern tens anders mischen. »Es war für mich immer schwer, ist er einer der wenigen Abenteurer. Sherko Fatah, über Dinge zu schreiben, zu denen ich nur einen priva- 1964 in Ost-Berlin geboren, erkundet seit über zehn ten Zugang zu haben glaubte«, sagt er. »Daraus Litera- Jahren die unruhigen Welten des Nahen Ostens: mit ei- tur zu machen, erforderte Abstand. Anfangs habe ich ner Ausdauer und Akribie, die von der Neugier für die das durch das Parabelhafte meiner Texte getan, aber Kultur seines Vaters, eines irakischen Kurden, genährt das lockerte sich dann. Erst gab es Ortsnamen, dann und zugleich von einer Fantasie beflügelt werden, die Dialoge, es floss ständig mehr Wirklichkeit ein.« alles Gehörte und Gesehene ins Fiktionale wendet. Im Lauf von sechs Büchern ist er seinen Grundstof- So zerzaust, wie er im Kreuzberger Kunstquartier fen dabei ebenso treu geblieben, wie sich seine Mittel Bethanien auftaucht, wo sich im ehemaligen Speise- gewandelt haben. Fatahs Debüt Im Grenzland (2001), saal eines Diakonissenkrankenhauses eines seiner ein Roman aus dem verminten Dreiländereck von Iran, Stammlokale befindet, haftet ihm auch erst einmal Irak und Türkei, war noch ganz allegorisch angelegt. etwas Abenteuerliches an – auch wenn er sich nur mit Die topografische Verankerung blieb vage. Vom Rah- seinem Fahrrad durchs nasse Schwarz eines Berliner men her historisch zuverlässig ging es in seinem Dezemberabends gekämpft hat. Eine sehr viel grö- Bagdad-Roman Ein weißes Land (2011) zu. Er führt ßere Anstrengung liegt hinter ihm. Erst vor wenigen zurück in die 1930er Jahre und frühe arabisch-jüdische Tagen ist er von seiner jüngsten Reise aus dem Irak Konflikte, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg zu Un- zurückgekehrt, mit einer Erfahrung, über die sich nicht versöhnlichkeit und Hass auswuchsen. Ein handfest ohne Weiteres sprechen lässt und die ihm doch sein realistischer Ton prägt den neuesten Roman Der letzte quecksilbriges Berlinern keineswegs verschlägt: Er hat Ort (2014). Er entzieht seinen Protagonisten, einem aus gerade seinen Vater zu Grabe getragen. der DDR stammenden Aussteiger namens Albert und seinem arabischen Übersetzer Osama, den Boden Die Verbindung mit der Region, da ist er sicher, unter den Füßen, indem er sie von islamistischen wird deshalb nicht abreißen – im Gegenteil. Ein großer Milizen in ein unbestimmtes irakisches Niemandsland Teil der Familie lebt dort weiterhin; privater Stoff und entführen lässt. 6 :: Sherko Fatah

»Die Figur von Shahid, der an einer Gruppe von Schiiten entlangfährt und sich mit dem Auto als Selbstmordattentäter in die Luft sprengt, lebt von der Idee, dass auch dieser Mann, ohne dass ich Mitleid erzeugen will, eine Geschichte hat.«

Der letzte Ort passt wie die visionäre Faust zur po- ihr aus. Ich will in einem ästhetischen Sinn Fremde litischen Blauäugigkeit, die im Westen herrschte, als er vermitteln, ohne sie zu dämonisieren.« Dazu gehört sich auf einmal waffenstarrenden Heerscharen radika- auch die dunkle Ahnung, dass es für die Schrecken lisierter Muslime gegenüber sah, mit denen nach den dieser Welt Grenzen der psychologischen Einfühlung kurzlebigen Wohlgefühlen des Arabischen Frühlings gibt. Noch aber hält er daran fest, seine Charaktere niemand gerechnet haben wollte. Das Buch ist bei aller mit einem Innenleben auszustatten. »Die Figur von zeitgeschichtlichen Treffsicherheit dennoch ein Stück Shahid, der an einer Gruppe von Schiiten entlangfährt Imagination, das sich weder an tagesaktuellen Ge- und sich mit dem Auto als Selbstmordattentäter in die schehnissen messen lässt noch messen lassen will. Der Luft sprengt, lebt von der Idee, dass auch dieser Mann, Plan dazu ist fast ein Jahrzehnt alt – der Roman wollte ohne dass ich Mitleid erzeugen will, eine Geschichte sich nur lange nicht erzählen lassen. Und er ist bei aller hat«, erklärt er zum letzten Kapitel des Romans. »Alles Spannung erstaunlich leise, sowohl durch seine laby- andere wäre eine Logik des Krieges. Ich würde Papp- rinthische Struktur als auch durch die Gespräche über kameraden aufbauen und sie abschießen. Indem ich die Fremdheit von Orient und Okzident, die Albert und der Literatur also die Funktion zuweise, diese Ge- Osama in der Gefangenschaft miteinander führen. schichten mit zu erzählen, tue ich erst einmal etwas »Ich will Literatur aus etwas machen, das mir nahe Humanistisches.« ist«, sagt Fatah. »Nur wenn daraus eine Vertrautheit entsteht, die ich gar nicht vermitteln will, weiche ich Adelbert-von-Chamisso-Preisträger 2015 :: 7

trotzdem immer wieder. »Von der klassischen Aben- Die Familiengeschichte als wichtiger teuerliteratur habe ich gelernt, dass es gut ist, wenn Teil der Identität der Protagonist in Bewegung bleibt. Er könnte auch über sich selbst nachdenken, aber das ist nicht mein Gebiet.« Mittlerweile hat er im Umschalten sogar Eine gesunde Mischung aus Nähe und Distanz ist Routine erworben – allerdings nur bis zu einem gewis- für ihn als »Tourist mit Hintergrund«, wie er sich sen Grad: »Es ist wie mit dem Lampenfieber. Man wird bezeichnet, natürlich leichter zu haben als für alle, die es nie richtig los. Da baut sich etwas auf, das die Wahr- der Gewalt jeden Tag ins Auge starren müssen. Fatah nehmungsfähigkeit und Sensibilität steigert, vielleicht weiß genau, wie privilegiert er ist, sich von seinem gehört das schon zu meinem Arbeitsprozess.« Berliner Schreibtisch aus mit dem Irak befassen zu können – wobei die Gravitationskräfte schon dadurch In der Figur von Albert und dessen Erinnerun- bestimmt sind, dass er nur einige Brocken Kurdisch gen nimmt Der letzte Ort auch erstmals offensiv seine spricht. »Ich muss immer wieder den so genannten ostdeutsche Herkunft auf. »Alle fragen immer nur nach Kulturschock verarbeiten. Man dezentriert sich ja, vor meinem exotischen Vater«, klagt er, obwohl er seiner allem, wenn man länger bleibt, und plötzlich spielen nach wie vor in Berlin lebenden Mutter und deren die Dinge in Deutschland keine Rolle mehr«, sagt er Teil der Familie nicht weniger verdanke. »Auch ihre über seine Reisen und sucht die kulturelle Drift Geschichten sind ein wichtiger Teil meiner Identität. 8 :: Sherko Fatah

Ich fühle mich noch immer durch die DDR sozialisiert, obwohl ich in mir nie die Spannungen derer austragen musste, die zur Armee gingen und studieren wollten.«

Auf die sozialistische Kindheit folgte, ebenso prä- gend, der Bruch mit ihr. Sherko Fatah war zwölf, als er Ost-Berlin mit seinen Eltern in Richtung Wien verließ. »Dort folgte eine andere Variante der Geschichte. Sie war ähnlich besessen vom Zweiten Weltkrieg, nur genau anders herum. In der DDR wurde man ja zur totalen Anpassung erzogen. Niemand fragte nach der Legitimation von Autorität. Als ich in den Westen kam, gab es auf einmal sehr viel mehr Abweichendes und Verwirrendes. Ich wollte aber auch im Westen sein wie alle anderen und habe darum gerungen, mich wieder anpassen zu können. Das Kollektive im Osten war etwas im Verborgenen, im Westen war es ein offenes Meinungs- und Konsumkollektiv.« Die Eltern trennten sich schließlich, und der Vater kehrte in den Irak zurück. Auch wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und alle zwei Jahre Berlin besuchte, blieb er in seiner kurdischen Kultur verwur- zelt. »Er war ein Migrant mit allen Schwierigkeiten, die das mit sich bringt«, sagt Sherko Fatah. »Denn Migra- tion hat ihren Preis. Wir sehen das immer nur von unserer deutschen Seite. Mein Vater wollte in Deutsch- land nie alt werden.«

Verbindung zwischen dem Tages- aktuellen und dem Universalen

Mit dem Schreiben von Gedichten und kurzen Texten begann er früh und tat sich mit dem Schritt zum epischen Erzählen dann doch schwer, auch weil er sich bereits als Leser ständig überfordert hatte. Immer wie- der, sagt er, ließ er sich auf Bücher »über dem eigenen Niveau« ein. Noch in der DDR kämpfte er mit der Düs- ternis von Robert Louis Stevensons Schatzinsel. Später, in der Pubertät, wurde Joseph Conrad für ihn wichtig, bis ihn wie so viele der Lateinamerika-Boom erfasste und nicht nur zum magischen Realismus von Gabriel García Márquez führte, sondern auch zu den psycho- logischen Gewaltstudien des Argentiniers Roberto Arlt und dem Unheimlichkeitsuniversum von Juan Carlos Onetti. Von Mario Vargas Llosa beeinflusste ihn vor allem Der Krieg am Ende der Welt über den Aufstand im brasilianischen Sertão: »Es hat mich sehr beschäftigt, weil es in seiner moralischen Indifferenz am Ende offen :: Der letzte Ort. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2014 :: Ein weißes Land. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2011 :: Das dunkle Schiff. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2008 :: Onkelchen. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2004 :: Donnie. Erzählung. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2002 :: Im Grenzland. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2001

lässt, ob nun Demokratie oder Aberglaube wichtiger ist. Heute wäre das wieder aktuell.« Auch Fatahs Themen besitzen heute eine andere Strahlkraft als zur Zeit seiner Anfänge. Noch 1999, als er zusammen mit Rainer Merkel und David Wagner, Mitten im »Wrangelkiez« im Berliner Bezirk Kreuzberg bereits Mitte 30, an der zweiten Schreibwerkstatt des Literarischen Colloquiums am Wannsee teilgenommen hatte, fühlte er sich als Außenseiter. »In den Neunzi- gern interessierte man sich nicht für Schmuggler- geschichten aus Grenzgebieten. Damals beschäftigte man sich mit Pop und Stadt, da hatte ich nichts zu bie- ten«, erinnert er sich. Über alle Widerstände hinweg – sein Debüt landete nach einer verlegerischen Odyssee bei Jung und Jung in Salzburg – hielt er jedoch an seiner Vorstellung von Literatur fest und ist heute noch froh, eine Dissertation über Heideggers Technikphilosophie, mit der er sein Hermeneutik-Studium an der Freien Universität beenden wollte, zugunsten des ersten Ro- mans abgebrochen zu haben. befindet sich eines seiner Stammlokale, das Restaurant Alisna Vom Gegensatz zwischen engagierter und sich selbst genügender Literatur will er ohnehin nichts wissen: »Mit Ernesto Sabato bin ich überzeugt, dass der Roman eine Universalform ist, die alles in sich aufsau- gen kann: Lyrisches, Dramatisches und Analytisches. Ich glaube auch, dass man eine Verbindung zwischen dem Tagesaktuellen und dem Universalen herstellen muss. Wir leben zwar nicht mehr in so politisierten Zeiten wie in den Siebzigern und Achtzigern, aber die erschreckende Polarisierung, die gerade stattfindet, das Auseinanderfallen der Welt in Kalifate, ob sie nun geistig sind oder materiell, ist ein Problem der nächs- ten Jahre.« Der ewig verspätete Schriftsteller, als der sich Sherko Fatah bis heute empfindet, ist in der Mitte der Gegenwart angekommen. :: Von Meike Feßmann gen, und dass sie das selbst gar nicht wollte und die Rolle nur widerwillig spielt, macht das Ganze umso Sie ist längst nicht so stachelig wie ihre weiblichen charmanter. Hauptfiguren, eher auf leicht ruppige Weise galant. Eine ähnliche Mischung von Ruppigkeit und Wer immer der 1984 in geborenen Olga Grjas- Charme zeichnet auch ihre beiden Romane aus. Dem nowa mit einer Zuschreibung beizukommen versucht Debütroman folgte 2014 ihr zweites Buch mit dem zu – und sei es in Form eines Kompliments –, der kann vielfältigen Interpretationen einladenden Titel Die sicher sein, dass sie ihm freundlich lächelnd in die Pa- juristische Unschärfe einer Ehe. Beide Romane sind rade fährt. Ein feines Kräuseln der Stirn deutet zartfüh- voller Energie unterwegs, die sich sofort auf den Leser lend an, dass diese Freundlichkeit eine Gnade ist. Denn überträgt und ihn in neugierige Anspannung versetzt. die Stirnbesitzerin könnte auch anders, wenn sie sich nicht so gut zu beherrschen wüsste. Dichte Szenen von großer Anschaulichkeit wech- seln sich mit stets zum Sprung bereiten Passagen ab, Seit Olga Grjasnowa 2012 mit ihrem Roman Der in denen die Autorin die Herkunftsgeschichte ihrer Russe ist einer, der Birken liebt debütierte, gehört sie Figuren schnoddrig rapportiert – wie ein Pokerspieler, zum festen Ensemble der deutschen Literaturszene. der vorgibt, alles, was er tut, sei kein großes Ding, und Schnell ist sie von der Debütantin zur Diva aufgestie- dabei einen Trumpf nach dem anderen aus dem Ärmel Ol Adelbert-von-Chamisso-Förderpreisträgerin 2015 :: 11 ga Starke Frauen Grj Olga Grjasnowa und ihre Protagonistinnen as no wa »Leyla ging ins Bad, zog sich aus und betrachtete sich im Spiegel. Anerkennung hatte sie stets für ihren Körper bekommen, für den Körper einer Ballerina. Den gesunden, wohlgeformten und

ideal-weiblichen.« aus Die juristische Unschärfe einer Ehe

zieht. Weil ihre Figuren von vielfältiger Herkunft sind, Moskau und Praktika in Brüssel, Wien und Warschau muss das eben gesagt sein, aber es soll nichts bedeu- absolviert. Sie will Erfolg und hätte ihn wahrlich ver- ten. Eindruck macht es natürlich trotzdem. dient. Doch dann geschieht ein Unglück: Ihr in Thürin- Das gibt ihren Romanen eine spezielle Dynamik, gen aufgewachsener Freund, mit dem sie in eine Mischung zwischen atemloser Aufzählung dessen, am Main zusammenlebt, verletzt sich beim Fußball- was man über ihre Figuren wissen muss, um ihre Kom- spiel und stirbt an den Folgen einer Sepsis. Sein Tod pliziertheiten wenigstens annähernd zu verstehen, und reaktiviert ein Trauma aus Maschas Kindheit in Baku, Augenblicken relativer Ruhe, in denen sie sich sze- die mit einem Schlag zu Ende war, als neben dem nisch entfalten dürfen. Dabei stellt Olga Grjasnowa ihre sechsjährigen Mädchen eine junge Frau auf offener Heldinnen stets mitten hinein in einen Konflikt, der das Straße erschossen wurde. Zeug zur Katastrophe hat. Und dann schaut sie zu, was Als explosives Gemisch von Panik und ständiger mit ihnen passiert. Selbstüberschätzung stapft Mascha, ihre Trauer mit So ergeht es Maria Kogan, genannt Mascha, der Wut kaschierend, durch den Roman. Der führt sie von Heldin von Der Russe ist einer, der Birken liebt. Mascha Frankfurt nach Israel, wo sie überall aneckt. Grenz- spricht fünf Sprachen fließend, hat ein Doppelstudium ziehungen findet sie lächerlich, und Regeln sind dazu der Arabistik und Dolmetscherwissenschaften mit da, übertreten zu werden. Religiöse und nationale Bestnote abgeschlossen sowie Auslandssemester in Zuschreibungen nimmt sie nicht ernst, sondern als das, 12 :: Olga Grjasnowa

sich mal wieder ein Journalist über Literaturinstitute lustig macht und die Fadheit der deutschen Gegen- wartsliteratur mit der bürgerlichen Abstammung der Autoren erklärt, fährt ihm Olga Grjasnowa kenntnis- reich in die Parade. Erst recht, wenn er, wie Florian Kessler in der Zeit, den Fehler begeht, Migranten mit freundlicher Herablassung von seinem Verdikt auszu- nehmen. In ihrer Familie seien alle Akademiker, selbst die Urgroßmutter, konterte Olga Grjasnowa in der Welt.

Im zweiten Roman von Olga Grjasnowa, Die juris- tische Unschärfe einer Ehe, ist die Katastrophe schon geschehen, wenn der Roman beginnt. In einer be- klemmenden Ouvertüre, gewissermaßen dem Prolog was sie pragmatisch betrachtet sind: manchmal dien- des Romans, sehen wir Leyla, die in Baku geborene, lich, manchmal hinderlich. Erregt sie Verdacht, weil mittlerweile in Berlin lebende, in einer Krise an ihren sie Arabisch, aber kein Hebräisch spricht, verweist sie Geburtsort zurückgekehrte Heldin, in einer Gefängnis- kokett auf die Tatsache, dass es sich kaum lohne, eine zelle der aserbaidschanischen Hauptstadt. Aus Über- so kleine Sprache zu lernen. Ob sie beim nach Israel druss und Langeweile hat sie an illegalen Autorennen emigrierten Zweig ihrer Verwandtschaft im Westjor- der einheimischen Jeunesse dorée teilgenommen. Nun danland ist oder bei einer Hochzeit in Ramallah: sobald liegt sie gefesselt, misshandelt und missbraucht in der sie sich langweilt, zieht sie alleine los, ohne sich von Gefängniszelle. Doch ihr Widerstand ist ungebrochen. Gefahren abschrecken zu lassen. Mascha leidet an einem posttraumatischen Belas- Auch Leyla ist eine starke Figur, höchst diszipli- tungssyndrom. Aber die Autorin identifiziert sie nicht niert und mit eisernem Willen, eine Ballerina, die am mit ihrer Erkrankung. Die Heldin mit einem Namen wie Bolschoi-Theater in Moskau das harte Regime im aus Tschechows Novellen ist eine ungeheuer starke Umgang mit dem eigenen Körper gelernt hat. Sie ist mit Figur: eine Art weiblicher Don Quijote des postideolo- Altay verheiratet, einem Arzt, der ebenfalls aus Baku gischen Zeitalters. stammt. Beide sind homosexuell und haben nur ihren Familien zuliebe geheiratet. Ihre Ehe funktioniert Der zynische Hedonismus des großen trotzdem, sogar ziemlich gut. Bis Jonoun, eine in Indien geborene, in Israel aufgewachsene New Yorker Perfor- Geldes mance-Künstlerin nach Berlin zieht und sich in Leyla verliebt. Aus dem gut eingespielten Paar wird ein wack- Wie Mascha kam auch Olga Grjasnowa als »jüdi- liges Dreieck, das an allen Ecken vor Konflikten sprüht. scher Kontingentflüchtling« 1996 mit ihrer Familie Wie im Debütroman eine Reise nach Israel führt, so nach Deutschland. Sie hat erst hier die Sprache gelernt, reisen wir hier durch den Kaukasus: Leyla und Jonoun in der sie inzwischen so virtuos schreibt. Auch wenn unternehmen die lange Fahrt gemeinsam, nachdem ihre Heldinnen biografische Eckdaten mit ihr teilen, Altay seine Frau aus dem Gefängnis freigekauft hat. handelt es sich natürlich um erfundene Figuren. So ge- Während die beiden auf den Spuren altpersischer Epen schickt erfunden, dass die Authentizitätsunterstellung nach ihrer verlorenen Liebe suchen, entsteht zugleich beim Leser zunächst einmal greift, bevor ihm klar wird, ein an vielen Stellen schäbiges, von autoritären Struk- dass die Qualität ihrer Romane auch mit gründlicher turen gegeißeltes, bei den Landschaftsschilderungen Recherche zu tun hat. oft zauberhaftes Gemälde der in die Unabhängigkeit Olga Grjasnowa beherrscht ihr Handwerk, das sie entlassenen ehemaligen Sowjetrepubliken. an Literaturinstituten in , Moskau und Berlin gelernt hat. Die akademische Form der Schriftsteller- Um das Verhältnis von Ordnung und Chaos, Bin- Ausbildung, sozial durchlässiger als an anderen Hoch- dung und Autonomie geht es in diesem Roman nicht schulen, verteidigt sie mit guten Argumenten. Wenn nur in Hinsicht auf die moderne Ehe. Die Gewalttätig- :: Die juristische Unschärfe einer Ehe. Roman. C. Hanser Verlag, München 2014 :: Der Russe ist einer, der Birken liebt. Roman. C. Hanser Verlag, München 2012

keit autoritärer Strukturen, angefüttert mit dem zyni- verschiedenen Klaviaturen. Sie hat nicht nur zwei sehr schen Hedonismus des großen Geldes, bildet gewis- eigenwillige Romane vorgelegt, sondern schaltet sich sermaßen die Leinwand, die Olga Grjasnowa bemalt. auch in öffentliche Diskussionen ein, sobald es um Lite- Die juristische Unschärfe einer Ehe ist eine Recherche ratur, falsche Maßstäbe und missglückte Zuordnungen nach individuellen geht. Möglichkeiten der Erst kürzlich hat sie sich, zusammen mit Nino Balance und zu- Haratischwili und Lena Gorelik, gegen die Bemerkun- gleich ein Abgesang gen ihres Kollegen Feridun Zaimoglu gewehrt. In der auf überkommene »Freitext«-Kolumne der Zeit, in der dann auch die drei Formen der Stabilität. Autorinnen konterten, behauptete der auf einer Lese- Vor allem aber ist es reise von einer Grippe übermannte Autor, »wer fremd- eine literarisch kühne stämmig und weiblich ist, motzt sein Poesiealbum auf« Mischung aus Tragi- und produziert »Pseudo-Romane«. Auf die Frage der komödie, Road-Novel Kritikerin, ob sich da unter deutschen Schriftstellern und Elegie. mit Migrationshintergrund ein Verteilungskonflikt um die rare Ressource Aufmerksamkeit anbahne, antwor- Olga Grjasnowa tete Olga Grjasnowa mit einem entschiedenen »Nein«. spielt mit gerade Hoffen wir, dass die Antwort nicht ihrem Wider- dreißig Jahren schon spruchsgeist entsprungen ist. :: ziemlich virtuos auf

Adelbert-von-Chamisso-Förderpreisträger 2015 :: 15

Sein Stoff war immer schon da

Martin Kordić erzählt vom Krieg

Von Richard Kämmerlings

Bald wird Martin Kordić in bester Gesellschaft beiters aus Bosnien-Herzegowina. Aufgewachsen ist sein. Vom Kölner Dumont Verlag wechselt er in diesem er in der Rhein-Neckar-Region. Die Familie hatte ihren Frühjahr zu Hanser nach München, und sein neuer Umzug nach Bosnien schon geplant, als im zerfallen- Chef ist ein alter Bekannter. Jo Lendle, lange Jahre bei den Jugoslawien die Kriege ausbrechen. Nicht der Va- Dumont, ist auch so eine Doppelbegabung: Romane ter kehrt mit seiner Familie heim, sondern umgekehrt schreiben und Verlagsarbeit gehen bei Lendle Hand kommen jetzt viele Kroaten nach Mannheim und nach in Hand, und auch für Kordić scheint es das Normalste Ludwigshafen. Vor allem die Mütter fliehen mit ihren von der Welt zu sein. Kindern und kommen bei den in Deutschland lebenden Verwandten unter, jahrelang lebt man mit ihnen unter Als ich Martin Kordić im vergangenen Jahr beim einem Dach. Auch mit ihren Ängsten und Sorgen. Um Erscheinen seines Debüt-Romans zum Interview traf, die Zurückgebliebenen. Um die, die dort kämpfen. Um fand er schon die Frage seltsam. Vereinbarkeit von Be- die Zukunft. »Als Kind«, sagt Kordić, »versteht man rufung und Beruf? Warum sollte das ein Problem sein? nicht so viel, aber der Krieg war immer da, weil die Im Hiphop sei es völlig selbstverständlich, gleichzeitig Leute da waren.« Künstler, Produzent oder Kopfhörer-Hersteller zu sein, ohne dass jemand auf Grenzen pocht. Kunst versus Die Eindrücke haben ihn nie losgelassen, auch Handwerk, genialische Inspiration versus Brotberuf? nach dem Ende der Kämpfe nicht, als er endlich wieder Das sind Gegensätze von gestern. selbst in die Heimat des Vaters reisen und die Fernseh- Vielleicht hat es aber auch mit Martin Kordićs bilder mit der Wirklichkeit abgleichen konnte. Selbstverständnis als Autor zu tun. Er gehört nicht zu Schon die ersten Prosaversuche, die er mit sieb- jenem gar nicht so seltenen Typus, der sich abstrakt als zehn, achtzehn unternommen habe, seien um seine Schriftsteller definiert, einen Künstlerhabitus pflegt Erfahrungen gekreist. Das Thema war schon da, bevor und erst dann anfängt, nach passenden Anwendungs- er überhaupt gewusst habe, was deutsche Gegenwarts- fällen und Themen zu suchen. Bei Kordić war es umge- literatur ist, sagt Kordić. kehrt. Der Stoff, sein Stoff, war immer schon da. 2004 bis 2008 studiert er in Hildesheim Kreatives Schreiben, und auch hier versucht er, sich dem immer Sein Debütroman Wie ich mir das Glück vorstelle noch glühend heißen Stoff zu nähern. Er beschäftigt erzählt vom Krieg. Er tut dies mit der Stimme eines sich mit den politischen Hintergründen des Konflikts. Jungen, Viktor, der in den Balkan-Kriegen seine Fami- Direkt nach seinem Studium zieht er für ein gutes hal- lie verliert und versucht, sein Leben trotzdem auf die bes Jahr nach Zagreb, danach beginnt er seine Arbeit Reihe zu bekommen. Der weiterlebt, indem er erzählt. im Dumont Verlag in Köln. Doch bis er die richtige Von den glücklichen Tagen, von den schrecklichen und Form für sein Buch gefunden hat, dauert es seine Zeit. von all denen, die ein bisschen von beidem sind. Er versucht es zunächst autobiografisch, eng an seiner Erfahrung als Gastarbeiterkind, das in die eigentlich Martin Kordić wurde 1983 geboren, in Celle, als fremde Heimat zurückkehrt. Dann als Familienroman Sohn einer Deutschen und eines kroatischen Gastar- entlang der Biografien seiner Eltern. Doch erst als er 16 :: Martin Kordić

Am Rheinufer oder im Kölner Zoo geht Martin Kordić gern spazieren seinen Erzähler Viktor gefunden hat, gelingt es, die ben, sagt er, dann werde er regelrecht asozial. Erst die vielen Bruchstücke zu einer Geschichte zu fügen. Struktur eines festen Jobs gibt ihm die Freiheit, für wenige Stunden in der Arbeit am Buch zu versinken. Im Roman gibt es eine ländliche Idylle, das »Dorf Literatur ist für Martin Kordić eine existenzielle Not- der Glücklichen«, dessen selbstverständliche Multi- wendigkeit, der man sich eben darum nicht komplett kulturalität durch die Rückkehr der Nationalismen verschreiben kann, ohne verschluckt zu werden. zersprengt wird. Es gibt die »Stadt der Brücken«, wo sich Viktor gemeinsam mit einem anderen Waisenkind, Und dann gerät er doch ins Schwärmen über den dem »einbeinigen Dschib«, ein provisorisches Zuhau- wunderbarsten Literaturort, den er kenne, das »Book- se im Niemandsland einrichtet. Und es gibt ein von sa« in Zagreb, das Buchhandlung, Wohnzimmer, Bar, katholischen Schwestern geführtes Heim für kriegs- Internet-Café, Literaturinstitut und Lesebühne in traumatisierte Kinder im »Sehergebirge«. Zwischen einem sei. Als sei hier doch ein Ort, an dem man einfach diesen Orten springt die Erzählung hin und her, und in nur Schriftsteller und sonst nichts sein könne. Fließend den Zwischenräumen verbergen sich Vertreibung und kroatisch spreche er nicht, höchstens für eine halbe Tod und eben das Glück, das nie direkt zu fassen und Stunde Small-Talk reiche es, sein Wortschatz sei zu ge- zu erzählen ist. ring für tiefer gehende Gespräche. Auch die kroatische Gegenwartsliteratur kann er meist nur in Übersetzun- Viktor, der selbst in einem Zustand totaler Anar- gen wahrnehmen. chie lebt, muss sich beim Erzählen nicht an Regeln halten. »Ich erzähle alles so, wie der Zopf von der Oma unterm Kopftuch aussieht«, erklärt er einmal, und Ein Schutzraum der Einbildungskraft damit ist gemeint: Erinnerung und Einbildungskraft ge- um das verletzte Ich ben Viktor die Ordnung der Erzählung vor, nicht Logik und Chronologie. Kordić sagt, er habe es als eine Befreiung emp- Im Alter zwischen sieben und zwölf war er nie in funden, nicht mehr dem Druck des Realismus ausge- der Heimat des Vaters, vorher und nachher aber so gut setzt zu sein, sondern in einen »naiven Urzustand des wie jedes Jahr. Die Familie kommt aus einem kleinen Schreibens« zurückgefunden zu haben. Dorf in der Nähe von Mostar, auf halbem Weg nach Medjugorje, einem bekannten Marienwallfahrtsort. Wie lange kann man sich in einem solchen Zustand Wenn Kordić heute dorthin fährt, lebt er auf dem Hof aufhalten? Martin Kordić schreibt im Urlaub, am Wo- eines Onkels am Dorfrand. Am Ende des Romans gibt chenende, mal zwischendurch. Einen festen Rhythmus es ein Schwarz-Weiß-Foto von diesem so idyllisch hat er für seinen Roman nicht gefunden. Länger als erscheinenden Ort – als Symbol eines magischen Kraft- zwei Wochen am Stück könne er sowieso nicht schrei- zentrums, aus dem der Schriftsteller seine Energie ge- :: Wie ich mir das Glück vorstelle. Roman. C. Hanser Verlag, München 2014

winnt. Auch wenn der Roman überhaupt nicht autobio- Einzelne nur die Abbreviatur einer ganzen Geschichte grafisch ist, so wäre er nicht denkbar ohne die Verwur- ist. Andere Autoren hätten aus diesem Stoff wohl ein zelung des Autors in seiner Familiengeschichte. mehrhundertseitiges Epos gemacht. Kordić hat ihn immer weiter verdichtet und konzentriert, bis kein Der entscheidende narrative Kniff liegt darin, dass überflüssiger Satz mehr drinsteht. Viktor alles im Präsens berichtet: Nur so könne er mit seinem Material klarkommen, erläutet Kordić. Verlässt Wenn man will, kann man darin auch die Neigung man die Binnensicht, wird deutlich, dass dieses Erzäh- Kordićs zu klassischer Musik erkennen. Ein traumhaft len auch eine Traumabewältigung ist. Die Schrecken sicheres Gespür für Themen und Variationen schlägt des Krieges, der Verlust der Familie, seiner Heimat, sich in der quasimusikalischen Komposition nieder. all das ist immer da, aber genau so ist nichts wirklich Durch die Wiederholung werden einzelne Motive so verloren und auch das Glück bleibt gegenwärtig: eben mit Bedeutung aufgeladen, dass sie den Leser am Ende in der Vorstellung. So legt die Einbildungskraft einen mit der ganzen Wucht der Trauer aus dem Gleich- Schutzraum um das verletzte Ich. gewicht bringen.

Leitmotivisch tauchen darin Figuren und Namen, »Dinge ins Jetzt zu holen, das zu können, wäre eine Dinge und Bilder auf, die jeweils konkreten Menschen schöne Gabe«, sagt Martin Kordić einmal beiläufig, und und Situationen zugeordnet werden können. Viktor es klingt, als ginge es um Übersinnliches wie Telepathie aber versammelt sie alle zugleich um sich, als eine oder Geisterbeschwörung. Dabei aber ist genau das, Miniaturwelt voller Ersatzobjekte, von denen jedes was ein echter Erzähler vermag. :: 18 :: Polnisch

Fahren Sie nach Polen, Ihre Zunge ist schon dort

»Die Sprache wurde dem Menschen gegeben, um die Wahrheit zu verschleiern.« (Voltaire)

Von Radek Knapp

In unserer bewegten und ach so überhitzten Epo- Wer hätte also gedacht, dass Polnisch trotzdem che wimmelt es von eigenartigen Individuen. Es gibt genauso wie Deutsch oder Französisch zur Indogerma- Leute, die leidenschaftlich Tabus brechen und solche, nischen Sprachfamilie gehört, und hier wiederum in die nicht minder rücksichtlos Herzen brechen. Es den slawischen Sprachzweig. Falls Sie jedoch zu jenen gibt aber auch solche, die Gesetze und sogar Knochen seltenen Deutschen gehören, die Russisch sprechen brechen. Die sicherste Methode, sich die Zunge zu und damit hoffen, in Polen durchzukommen, muss brechen, besteht darin, Polnisch zu erlernen. Dieses man Sie enttäuschen. Russisch verhält sich zu Polnisch Kunststück kann man auf vielfältige Weise erreichen. wie Englisch zu Deutsch. Die Chancen, einen Tsche- Zum Beispiel in einer Volkshochschule um die Ecke chen zu verstehen, liegen aber schon aber bei fünfzig einen Kurs belegen. Oder in einen Zug steigen, nach zu fünfzig. Darüber hinaus hat das Tschechische für Polen fahren und in der erstbesten Stadt aussteigen. einen Polen (und umgekehrt) eine einzigartige Komik. Ich persönlich würde zu der zweiten Möglichkeit raten, Schon allein deshalb müssten polnisch-tschechische denn wo bekommt man die ganze Wucht der polni- Ehepaare zu den bestgelaunten der Welt gehören. Am schen Sprache besser zu spüren als in meinem Heimat- einfachsten klappt die Verständigung jedoch mit den land, das nebenbei gesagt, genauso viele große Persön- Slowaken, in dem Fall ist nicht einmal ein Wörterbuch lichkeiten wie Schnurrbartträger hevorgebracht hat. notwendig. Schon mit der harmlosen Frage nach dem Hotel Abgesehen von seiner rauen Schale ist Polnisch oder dem Wetter landet der ahnungslose Fremdling in eine sehr weiche und plastische Sprache. Wenn man sie einem linguistischen Minenfeld. Und das ist erst der mit einem Bild vergleichen würde, käme sie Chagall am Anfang. In wenigen Sekunden stellt sich heraus, dass nächsten. Diese »Plastizität« verdankt es seiner über- das Polnische obendrein auch kein Ohrwurm für ein durchschnittlichen Bereitschaft, Wörter aus anderen fremdes Gehör ist. Als kürzlich eine Umfrage in West- Sprachen zu übernehmen. Einige Beispiele: Das aus europa durchgeführt wurde, gaben neunzig Prozent dem Jiddischen stammende Wort »Schickse« hat sich an, Polnisch klinge deshalb so rau und sogar unfreund- im Polnischen in eine »Sikse« verwandelt, bedeutet lich, weil es über eine überdurchschnittlich große jedoch nahezu dasselbe: Eine junge Frau, die als unbe- Anzahl an Zischlauten verfüge. (Nur in Portugal war rechenbar gilt. man anderer Meinung). Außerdem geht das Polnische Einen »Schlauch«, einen »Schlafrock« oder eine sehr sparsam mit Konsonanten um, was zu halsbreche- »Flaschka« können Sie in einem polnischen Geschäft rischsten Wortkonstruktionen führen kann. Nehmen kaufen, ohne ein Wörterbuch zu bemühen. In Schle- wir zum Beispiel den Spruch, der sogar den einhei- sien kann der deutsche Tourist sogar auf ganze Sätze mischen Zungen einen bleibenden Schaden zufügen treffen, die ihm bekannt vorkommen werden. Zum kann: »Chrząszcz brzmi w trzcinie« (Chschonschtsch Beispiel: »Bilety rot gestreichowanyn Blaistyftem nie bschmi w tschtzinje), was frei übersetzt heißt: »Ein giltują.« Käfer zirpt im Schilf«. Sie können es auf der Fahrt von Eine bemerkenswerte Etymologie hat das pol- Berlin nach Warschau üben, sechs Stunden dürften nische Wort »prysznic«. Es stammt von dem Namen gerade ausreichen. des deutschen Arztes Vincenz Priessnitz ab, der im Porträt einer Sprache :: 19

Chrząszcz brzmi w trzcinie

19. Jahrhundert in Gräfenberg einen Waschapparat nachziehen kann. Sie ist lebendiges Gebilde, und wer, erfand, »wo Wasser auf den Badenden durch einen Sieb wenn nicht sie, wird von uns Zeugnis ablegen, wenn herunterfiel«. Warum die Deutschen diesen Apparat wir nicht mehr da sind? In Polen wird man also noch nicht wie die Polen »prysznic«, sondern ausgerechnet lange auf die erste Rechtschreibreform warten, zu tief »Dusche« nennen, wird wohl nicht so schnell geklärt verwurzelt ist der Glaube an die selbstreinigenden werden können. Eine hinreichende Erklärung gibt es Kräfte der Sprache. Anders ausgedrückt: Wozu einen hingegen, warum man die Deutschen »Niemcy« nennt. Beistrich künstlich entfernen? Er wird schon von selbst Das Wort »Niemcy« kommt vom »niemy«, was soviel verloren gehen, wenn seine Zeit gekommen ist. wie stumm bedeutet. Im Mittelalter bezeichnete man die Deutschen als die »Stummen«, weil sie kein Wort Aus dem selben Grund haben Polen einen gro- Polnisch sprachen. ßen Respekt vor Fremdsprachen. Hier gilt der strikte Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gab sich das Grundsatz: »Sprechen und sprechen lassen«. Im Kino Polnische einem intensiven Flirt mit dem Englischen werden Sie in ganz Polen immer nur Filme in Original- hin. Während Europa den Anglizismen den Kampf sprache finden, das Synchronisieren ist immer noch angesagt hatte, verwandelten sich in wenigen Jahren verpönt. Darüber hinaus beherrscht heute schon jeder Polens Restaurants in »Lunchplaces«, die Geschäfte in dritte Pole eine Fremdsprache. Besonders erfreulich »Supermarkets« und die Beamten in »emplojers«. Nicht ist die Entwicklung bei der Jugend: Hier sprechen be- zu reden von geheimnisvollen Institutionen wie der reits achtzig Prozent der bis 23-Jährigen eine Fremd- »Beautycompany«, »dem Beersalon« oder »Xerox«. sprache. Zum Vergleich: Vor zwanzig Jahren waren es Diese Toleranz gegenüber fremden Einflüssen, die nur zehn Prozent. Damals war allerdings die führende gelegentlich in eine bedenkliche linguistische Sorg- Fremdsprache Russisch. Heute überwiegt bei allen losigkeit ausufert, entspricht der spielerischen Men- Altersgruppen Englisch und Deutsch. talität der Slawen. Sie bringt einerseits viel Unkraut Verständlicherweise sehen es auch die Polen gern, hervor, andererseits macht sie die polnische Sprache wenn Ausländer ihre Sprache beherrschen. Doch im noch »biegsamer« und »flexibler«. Wenn man ein Wort Gegensatz zu den Italienern machen sie sich keine in den Mund nimmt und es später wieder heraus- Illusionen. Sie wissen, dass Polnisch fast so schwer kommt, dann bedeutet es etwas anderes als vorher. zu lernen ist wie die Allgemeine Relativitätstheorie. Eine Eigenschaft, über die sich besonders Dichter und Man ist froh, wenn der Gast das eine oder andere Wort Liedermacher freuen. Einer der Nutznießer dieser nicht allzu verstümmelt wiedergibt. Ein paar Worte auf »Flexibilität« war auch der polnische Arzt Ludwik Polnisch sollten Sie sich sicherheitshalber einprägen. Zamenhof, dem diese Eigenschaft beim Erfinden des »Wodka« oder »Chopin« gelten aber nicht, das erste »Esperanto« sehr hilfreich war. Eine derart restriktive kennt jeder, das zweite ist nicht Polnisch. Aber wenn »Sprachbehandlung« wie im benachbarten Deutsch- Sie es schaffen zu sagen: »Polska to wspaniały kraj« – land wäre in Polen unmöglich. Sogar die polnischen »Polen ist ein wunderbares Land«, sind Sie der Star des Sprachhüter geben zu, dass die Sprache keine Dreh- Abends und werden fürstlich belohnt. Zuerst mit einem bank ist, der man alle paar Jährchen die Schrauben Wodka und dann mit einer Etüde von Chopin. :: 20 :: Übersetzungen

Schlemihl im arabischen Frühling

Die ägyptische Philologin Lobna Fouad übersetzt Adelbert von Chamisso und Abbas Khider

Von Michael Bienert

Es ist Schließtag im Berliner Naturkundemuseum, Mit einer überraschenden E-Mail hat unsere Be- aber eine freundliche Mitarbeiterin der Abteilung für kanntschaft im Sommer 2013 begonnen: »Mein Name Mollusken empfängt uns am Diensteingang und führt ist Lobna Fouad, ich bin Dozentin für deutsche Linguis- uns durch dunkle Säle zum Lastenaufzug. In einem tik und Übersetzerin an der Philosophischen Fakultät oberen Stockwerk geht es weiter durch den labyrin- der Helwan Universität in Kairo. Ich interessiere mich thischen Bau, an Holzschränken voller aufgespießter für die Übersetzung des Romans Peter Schlemihl ins Schmetterlinge vorbei ins Reich der Weichtiere. Dort Arabische. Tatsächlich habe ich schon das erste Kapitel sind Biologen in den letzten Jahren auf die Suche nach ins Arabische übersetzt und suche nun eine Möglich- Muscheln und Schnecken gegangen, die Adelbert von keit zur Veröffentlichung meiner geplanten Überset- Chamisso auf seiner Weltreise zwischen 1815 und 1818 zung. Wenn mein Vorschlag bei Ihnen Gefallen findet, sammelte und der Universität zu Forschungszwecken schreiben Sie mir bitte eine Antwort. Ich bin bereit, überließ. Ihnen meinen Lebenslauf zu schicken und dazu noch »Spektakulär ist es nicht, was wir hier haben«, sagt die arabische Übersetzung des ersten Kapitels.« die Museumsmitarbeiterin und zeigt ein paar ver- schlossene Gläser, in denen etwas Farbloses in Alkohol Erstaunlich, aber wahr: Chamissos Märchennovelle schwimmt: Meeresschnecken, vor fast 200 Jahren aus vom verkauften Schatten wurde bisher in über dreißig dem Pazifik gefischt. Sprachen übersetzt, aber noch nie ins Arabische. Wie An einer großen perlmuttglänzenden Muschel- war der unbekannten Übersetzerin in Kairo zu helfen? schale hängt ein uraltes Papierschildchen, das Chile als Lobna Fouad ging sofort auf den Vorschlag ein, eine Fundort und Chamisso als Finder nennt. Die aus Kairo Übersetzungsprobe im Chamisso-Internetforum zu angereiste Übersetzerin Lobna Fouad wägt die Schale veröffentlichen, um ihr Vorhaben publik zu machen. in der Hand. Zum ersten Mal berührt sie etwas, was Die Resonanz war ermutigend: Kenner des Arabischen auch Chamisso angefasst hat. verfassten Kommentare, lobten den Stil der Überset- Unsere nächste Station ist die Staatsbibliothek, die zung. Mit diesem Rückenwind setzte Lobna Fouad Chamissos schriftlichen Nachlass verwahrt. Monika ihre Arbeit fort, während draußen auf den Straßen in Sproll und Anja Stimberg sind dort seit vier Jahren Kairo demonstriert, geschossen und gemordet wurde. mit der Nachlasserschließung und Digitalisierung Seltsame Koinzidenz: Chamisso schrieb seine Novelle beschäftigt – ein Projekt, das die Robert Bosch Stiftung in der politisch aufwühlenden Zeit der aufziehenden finanziert. Die beiden Wissenschaftlerinnen haben die Freiheitskriege in Europa, genau zweihundert Jahre Originalhandschrift von Peter Schlemihls wundersamer später erlebte seine Übersetzerin mit Wut und Trauer Geschichte aus dem Magazin bestellt, nun liegen die das Scheitern der ägyptischen Revolution aus nächster eng beschriebenen Blätter auf einem Tisch in ihrem Nähe. Büro. Monika Sproll zeigt die braunen Brandflecke an den Ecken: »Gut möglich, dass Chamisso dort seine Besonderes Kopfzerbrechen bei der Übertragung Pfeife abgelegt hat.« Lobna Fouad schlägt vorsichtig die bereiteten ihr altmodische Wörter wie »abgefeimt«, Blätter um, schaut ein wenig ungläubig auf die Hand- »sich abhärmen« oder »Rock« für Schlemihls Jacke. schrift und auf den Text, den sie so gut kennt. Lobna Fouad recherchierte in den Online-Ausgaben Chamisso-Literatur :: 21

historischer Wörterbücher und schickte ihre Fragen per E-Mail an den Schlemihl-Experten Bernd Ballmann in London. Im modernen Schriftarabisch suchte die Übersetzerin dann nach Wendungen, die dem veralte- ten Sprachstil des deutschen Originals entsprachen. Nach einem halben Jahr war der arabische Text komplett, inzwischen hat das ägyptische National- zentrum für Übersetzung (NCT), eine Einrichtung des Kulturministeriums, die Veröffentlichung als Buch zugesagt. Im August 2014 wurde Lobna Fouad zu einem Übersetzertreffen ins Literarische Colloquium in Berlin eingeladen, so lernen wir uns endlich persönlich ken- nen. Die kleine Frau, gläubige Muslima mit Kopftuch, schlappt in Flipflops und Parka durchs kühle Berlin. In Kairo, erzählt sie, sei sie meistens im Auto unterwegs. Wie ist sie zum Übersetzen gekommen? Wegen ihrer großen Sprachbegabung durfte sie als Kind Eine Seite aus der Original-Handschrift »Peter Schlemiel’s eine deutsche Schule in Kairo besuchen. Sie studierte Schicksale mitgetheilt von Adelbert von Chamisso«, Germanistik und promovierte mit einer Arbeit über aufgeschrieben in Cunersdorf. MDCCCXIII. Inzwischen Form und Funktion des Partizips im Deutschen und liegt davon eine Faksimile-Ausgabe mit Transkription und Arabischen. Als Dozentin für Deutsch hat die allein- Kommentar im Findling Verlag vor. erziehende Mutter zweier Töchter ein Auskommen in Kairo, besitzt eine Eigentumswohnung und ein kleines 22 :: Chamisso-Literatur

:: Monika Sproll, Adelbert von Chamisso in Cunersdorf. Kleist-Museum Frankfurt/ Oder 2014. 32 Seiten, 8 Euro (Buchhan- delsvertrieb über den Verlag für Berlin- Brandenburg) Auto. Auf Peter Schlemihls wundersame Geschichte ist die 43-Jährige durch ein Seminar des DAAD-Lektors www.chamisso-forum.blogspot.de und Literaturprofessors Michael Fisch in Kairo auf- www.kleist-museum.de merksam geworden. Sie findet die Fabel vom verkauf- www.chamisso-gesellschaft.de ten Schatten zeitlos aktuell, »weil fast keiner mehr auf Prinzipien und Ehrlichkeit und auf die Seele achtet und in Ägypten dieses Phänomen extrem geworden ist«.

Die Mitarbeiterinnen der Staatsbibliothek haben außer dem Originalmanuskript noch eine Überra- Wo Peter Schlemihl geschrieben wurde schung für Lobna Fouad parat: In Chamissos Nachlass existieren Briefe, die ihm deutsche Forscher aus Kairo nach Berlin geschickt haben. Der polyglotte Dichter, Adelbert von Chamisso schrieb sein berühmtestes Natur- und Sprachforscher pflegte also auch schon Werk in Kunersdorf, einem abgelegenen Ort in Bran- Kontakte in die arabische Welt! denburg, wo er 1813 als gebürtiger Franzose sicherer Nach Chamissos Novelle hat sich Lobna Fouad war als in seiner Wahlheimat Berlin. Dort herrschte am einen zeitgenössischen Text für eine Übersetzung ge- Beginn der Befreiungskriege gegen Napoleon eine star- sucht, wiederum ohne Auftrag oder Stipendium. In ke antifranzösische Stimmung. Auf dem Mustergut der seinem Roman Die Orangen des Präsidenten erzählt Familie Itzenplitz in Kunersdorf arbeitete Chamisso als Abbas Khider, der auf Deutsch schreibt und 2010 den Botaniker und fand die nötige Muße zur Niederschrift Chamisso-Förderpreis erhielt, von einem jungen Mann, von Peter Schlemihls wundersamer Geschichte. der unschuldig in einem Foltergefängnis des Saddam- In späteren Jahren hielt Chamisso weiter Kontakt Regimes im Irak landet. Für Lobna ein hochaktueller ins Oderbruch. Als er 1821 vom preußischen Kultus- Text, da auch in Ägypten Gegner des herrschenden ministerium den Auftrag erhielt, dreißig Schulherba- Militärregimes verhaftet und gefoltert würden. Die rien anzulegen, schickte er Listen der benötigten Orangen des Präsidenten zu übersetzen sei ihr leicht Pflanzen nach Kunersdorf, die dann dort angebaut und gefallen, da die Ausgangssprache relativ schlicht sei, nach Berlin versandt wurden. Reste des ehemaligen die Herausforderung liege diesmal in der Thematik: Parks und das Chamisso-Literaturhaus in einem »Ich weiß nicht, ob die arabische Übersetzung über- erhaltenen Nebengebäude des Gutes erinnern heute an haupt einen Verleger findet, und ob das Buch über- den Aufenthalt des Dichters und Naturforschers. Dazu haupt in Ägypten publiziert werden darf.« liegt nun eine kleine Publikation in der bibliophilen Reihe der »Frankfurter Buntbücher« aus dem Kleist- Museum in Frankfurt/Oder vor. Autorin von Adelbert von Chamisso in Cunersdorf ist Monika Sproll, die im Chamisso-Nachlass nach unbekannten Quellen zum Kunersdorfer Aufenthalt geforscht hat.

Im vergangenen Winter zeigte das Kleist-Museum die Sonderausstellung »Peter Schlemihl 1814–2014. Geschichte eines Buches« über die Entstehung, Rezep- tion und Illustrationsgeschichte der Novelle. Ein Teil der Ausstellung wurde als Wanderausstellung auf Stoff- bahnen konzipiert. Um sie auch außerhalb Deutsch- lands zeigen zu können, sind die Texte in Deutsch und Englisch aufgedruckt. An der Ausstellung interessierte Bildungseinrichtungen können sich ans Kleist-Museum in Frankfurt/Oder wenden oder an die Chamisso- Gesellschaft mit Sitz in Kunersdorf. :: Porträt :: 23

Tschechische Fabulierlust

Ota Filip zum 85. Geburtstag

Von Lerke von Saalfeld

»Ich bin ein tschechischer Schriftsteller, der deutsch ter« hat Filip selbstironisch seine Existenz in der ČSSR schreibt«, hat Ota Filip einmal auf die ihn immer wieder charakterisiert. In den sechziger Jahren begann er mit nervende Frage geantwortet, was für ein Schriftsteller ersten schriftstellerischen Arbeiten. Es entstand Das er denn sei. Ob das so stimmt? Feste Zuschreibungen Café an der Straße zum Friedhof, eine tragikomische liebt der Autor eigentlich nicht, er fühlt sich als Kosmo- Erzählung über die Zeit von 1938 bis 1945 in Ostrava. polit, der vor vierzig Jahren in die Bundesrepublik Sie durfte 1966 nicht erscheinen, erst 1968, in der emigrieren musste – Bayern ist seitdem sein Zuhause. kurzen Blüte der Freiheit. Im August 1969 wurde Ota Das Wort »Wurzel« ist ihm ebenso verhasst wie das Filip verhaftet und wegen »subversiver, staatsfeindli- Vaterland oder die Muttersprache oder gar die Heimat. cher Hetze« zu achtzehn Monaten Haft verurteilt, von Ota Filip wurde 1930 in Ostrava/Mährisch Ostrau denen er fünfzehn Monate im Gefängnis verbrachte. geboren, seine Mutter war Polin, der Vater Tscheche Ironie der Geschichte: Im Gefängnis Pilsen-Bory hatten mit k.u.k. Hintergrund. Auf der Straße sprach das sein Großvater in der k.u.k. Zeit und sein Vater in der Kind tschechisch, polnisch, deutsch oder manchmal Stalin-Zeit wegen »Landesverrats« eingesessen. auch jiddisch. Das mährische Ostrava ist auch für den Nach der Haftentlassung ging Ota Filip wieder erwachsenen Ota Filip in seinen Romanen immer ein seinem »Hauptberuf« als Hilfsarbeiter in den verschie- fester Bezugspunkt geblieben, hier hat er eine Prä- densten Branchen nach, aber seine Hauptarbeit, seine gung erfahren, die sein Leben bestimmt: das offene wahre Leidenschaft gab er nicht mehr auf, das literari- Klima von vielsprachigen Kulturen. Keine Idylle, zwei sche Schreiben. 1973 war der autobiografische Roman Diktaturen, zunächst die Besatzung der Stadt durch die Die Himmelfahrt des Lojzek Lapácek aus Schlesisch Deutschen und später das kommunistische Regime. Ostrau fertiggestellt und erschien im Westen. Der Roman Unter solchen Bedrängnissen zu leben, bedarf einer sorgte für großes Aufsehen, denn da ertönte eine frische, besonderen Lebenskunst, des Humors, des Witzes, der freche Stimme aus dem Osten, ein Schelm meldete sich Lakonie, des Spotts, aber auch des Zynismus’, wenn es zu Wort und karikierte die große Weltgeschichte im gar nicht mehr geht. »Slawischen Leichtsinn« nennt Ota Spiegel der kleinen Leute. Das Leben in der ČSSR nach Filip diese Lebenshaltung, die auch seine Romanhel- 1968 wurde immer unlustiger, wie Filip sagen würde, den, durchweg Anti-Helden, auszeichnet und seinen die Husák-Ära bedrückte die Menschen, die sogenann- Geschichten kräftige Farbe verleiht. ten »Normalisierung« machte das Leben für alle opposi- tionellen Geister zu einer unerträglichen Qual. Die »Hauptberuf Hilfsarbeiter« Familie Filip verließ 1974 das Land in Richtung Bayern. Nun beginnt der tschechische Schriftsteller ein In den fünfziger Jahren arbeitete Ota Filip als Jour- deutscher Schriftsteller zu werden, der allerdings sein nalist und Redakteur, 1959 trat er in die kommunis- tschechisches Terrain im Geiste nie verlässt, der seine tische Partei ein, die ihn aber wegen Unbotmäßigkeit tschechische Fabulierlust weiter pflegt, der seinen schon nach einem Jahr wieder ausschloss und ihn mit osteuropäischen Sarkasmus frivol und lustvoll in Publikationsverbot belegte, das erst im Prager Frühling Szene setzt, der mit spielerischer Eleganz die harten 1968 kurz aufgehoben wurde. »Hauptberuf Hilfsarbei- politischen Realitäten des geteilten Europas in ironi- 24 :: Porträt

»Man kann und darf im Tschechischen den Besonderheiten des Poetischen auch die Grundinformation oder den Inhalt des Satzes opfern.«

sche Absurditäten taucht. 1981 erscheint der erste auf gen, vor allem das Adjektiv und den Nebensatz aufspie- Deutsch geschriebene Roman Der Großvater und die len, ohne dabei auf die Genauigkeit der Aussage viel Kanone – eine wunderliche Geschichte über eine 1915 achten zu müssen… Man kann und darf im Tschechi- verschwundene Großmutter, eine mächtige Kanone schen den Besonderheiten des Poetischen auch die und die Wirren des Krieges. 1985 folgt mit dem Roman Grundinformation oder den Inhalt des Satzes opfern. Café Slavia seine persönliche Hommage an die Stadt In der deutschen Sprache ist man doch mit der Tradi- Prag, drei Jahre später thematisiert Ota Filip in Die tion fest verbunden, mit der Tradition der exakten Sehnsucht nach Procida das Vertriebenwerden aus der Denker und des genauen sprachlichen Ausdrucks. Das Mitte Europas, den Verlust von Heimat und die Sehn- Deutsche zwang dem Autor sogar eine ganz andere lite- sucht der Ost-Emigranten, in der westlichen Welt Glück rarische Atmosphäre auf. Diese ist nicht schlechter und zu finden. nicht besser als die tschechische, sie ist eben nur anders.« Dieser Widerstreit der Gefühle macht aber auch Der Widerstreit der Gefühle macht den besonderen Reiz der Prosa des Ota Filip aus. Die Leser spüren, das sich hier verschiedene Erzähltradi- den Reiz seiner Prosa aus tionen berühren, wobei der tschechische Übermut – Ota Filip sei Dank – überwiegt. Von nun an beschäftigt ihn die Frage, welche atmo- sphärischen Aussagewerte die verschiedenen Sprachen Das Jahr 1998 war ein schweres Jahr für den besitzen. Filip, der die Mehrsprachigkeit liebt, weiß Schriftsteller. Im Januar erschien ein Dokumentarfilm sehr genau, dass zwischen dem Deutschen und dem im bayerischen Fernsehen unter dem Titel »Der lachen- Tschechischen ein Graben liegt. Das Tschechische ist de Barbar – Wie auch Ota Filip keinem geschadet hat.« emotionaler, expressiver, das Deutsche verlangt mehr Darin wird enthüllt, dass Filip Anfang der fünfziger Strenge. Schon in seinem ersten, auf Deutsch geschrie- Jahre die geplante Flucht von Mitsoldaten an die Staats- ben Roman Vom Großvater und der Kanone schreibt er sicherheit verraten habe, und 1970 soll er im Gefängnis 1983 im Nachwort: »In den slawischen Sprachen, so eine Verpflichtungserklärung für den kommunisti- auch in der tschechischen, ist es möglich, locker zu schen Staatsschutz unterzeichnet haben. In einem schwärmen, man kann vieles schön und poetisch sa- Interview im Magazin Der Spiegel erklärte der Ange- :: Verspätete Abrechnungen. 9. Dresdner Chamisso-Poetikdozentur. WortWechsel Band 15. Thelem Verlag, Dresden 2012 :: Das Russenhaus. Roman um Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Langen- Müller Verlag, München 2005 :: Das andere Weihnachten. Mährische Ge- schichten. LangenMüller Verlag, München 2004 :: Der siebente Lebenslauf. Roman. LangenMüller Verlag, München 2002

Seit vielen Jahren lebt Ota Filip in Murnau, wo auch sein Roman Das Russenhaus spielt

Die Antwort auf die Anschuldigungen und Enthül- lungen bildet Ota Filips Roman Der siebente Lebens- lauf, 2001 zugleich auf Deutsch und auf Tschechisch erschienen. Filip verzichtet darin auf jede Polemik, er klagt nicht an, er erteilt sich keine Absolution, sondern er spricht von Versagen. Dann verstummte er. Erst vier Jahre später er- schien sein bisher letztes literarisches Werk Das Rus- senhaus, ein Roman um Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Murnau, wo der Schriftsteller seit vielen Jahren lebt, ist jetzt der Mittelpunkt des Geschehens. 1986 wurde Ota Filip zum zweiten Träger des Adel- bert-von Chamisso-Preises gekürt und 2009 mit der griffene, das sei »nicht wissentlich und nicht willent- Dresdner Chamisso Poetik-Dozentur ausgezeichnet; lich« geschehen, und im selben Gespräch erklärte er – im Januar 2010 hielt er fünf Vorlesungen. Die erste trug so als ob er eine seiner Romanfiguren sei: »Ich gehöre den Titel »Über die erträglichen Schwierigkeiten mit nicht zu den Helden, sondern zu den unzähligen der Zweisprachigkeit«; der letzte Vortrag war über- Bürgern, die ein totalitäres System gedemütigt und in schrieben »Meine Antihelden und Ich«. eine ausweglose Verzweiflung getrieben hat.« Herzlichen Glückwunsch zum 85., Ota Filip! :: 26 :: Porträt

Zu Hause im Mensch sein

Yüksel Pazarkaya zum 75. Geburtstag

Von Selim Özdogan

In meiner Kindheit hörten wir fast jeden Abend dem Herrn am anderen Ende der Leitung hatte ich noch am Küchentisch sitzend »Köln Radyosu«, die türkisch- nie gesprochen, doch seine Stimme war mir vertraut. sprachige Sendung des Westdeutschen Rundfunks. Es war eine der Stimmen meiner Kindheit, eine der Ich erinnere mich, dass ich dieses Ritual und die damit Stimmen, die Ruhe und Kraft geschenkt hatte, Frieden, einhergehende Ruhe mochte, auch wenn ich den Inhalt es war eine Stimme aus dem Radio, die auf einmal aus der Beiträge nicht verstand. Ich mochte die abendliche dem Telefonhörer zu mir sprach. Sie wollte wissen, ob Atmosphäre in der Küche, aber ich begriff auch, dass ich den Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises etwas Wichtiges geschah, dass mein Vater und meine annehmen würde. Mutter in Kontakt mit etwas traten, das ihnen Kraft gab. Das war meine erste persönliche Begegnung mit Jahre später wollte ich unbedingt Schriftsteller Yüksel Pazarkaya, der acht Jahre lang in der Jury des werden und war auf der Suche nach Schriftstellern, die Chamissos-Preises war. Meine Begegnung mit dem mich begeistern konnten. Ich verstand noch nicht, dass Mann, der Orhan Veli längst übersetzt hatte, als ich mich Literatur von Vielfalt lebt, ich war jung, unerfahren daran versuchte, und dessen Übertragung nichts hinzu- und arrogant genug zu glauben, dass alles, was meinen zufügen ist. Geschmack nicht traf, wert- und herzloses Geschreibsel Ich erzähle das alles, weil ich glaube, dass meine war. Einer der wenigen Autoren, der in meinen Augen Erfahrung exemplarisch ist: Yüksel Pazarkaya war bestehen konnte, war der türkische Dichter Orhan Veli, vorher da. Räumlich, zeitlich, intellektuell, in jeglicher den ich im Original las. Hinsicht. Ich ahnte schon, dass es mit dem Schreiben so ist wie mit allem anderen auch. Man lernt es, indem man es Immer die Vielfalt gelebt und selbst tut. Ich fühlte mich noch nicht reif für eigene Texte und glaubte, es sei eine gute Übung, diese Gedichte ins Deut- erschaffen sche zu übertragen. Ich wusste, dass es eine Überset- zung gab, aber ich hatte sie nicht gelesen. Ich ging davon Als er 1958 mit einem Stipendium für Chemie nach aus, dass meine besser sein würde, wie schon gesagt: Ich Deutschland kam, hatte die Einwanderungswelle noch war unerfahren und arrogant. nicht eingesetzt. Ich scheiterte. Ich scheiterte an den meisten Gedich- Siebzehn Jahre alt war er damals und kam mit dem ten, bei einigen schaffte ich es nicht, eine einzige Zeile Segen seines Vaters, eines Schneiders aus Izmir, der ihm zu übersetzen. Alles, was ich versuchte, erschien mir prophezeite: »Du wirst dort große Ereignisse und Feste falsch und unzulänglich. Ich scheiterte und folgerte da- erleben, wenn Deutschland wiedervereinigt wird.« raus, dass ich nicht zum Lyriker taugte. Das war mein Das war 31 Jahre, bevor die Mauer fiel. Weg zur erzählenden Prosa. Yüksel Pazarkaya hat lange vor mir Orhan Veli entdeckt und seine Gedichte übertragen. Das ist nicht Einige Jahre später hatte ich erste eigene Bücher nur eine Frage des Alters. Es hat mich Jahre gekostet, zu veröffentlicht, als ich einen Anruf entgegennahm. Mit begreifen, dass Literatur von Vielfalt lebt. Dass mein Ge- Yüksel Pazarkaya :: 27

Beim Tee zu Hause in Bergisch Gladbach

er sich von nur einer Perspektive beschränken lassen, von einer Kultur, einem Ort, einer Sprache. Er hat immer das gesamte Potenzial genutzt, die Vielfalt gelebt und auch selber erschaffen. Er schreibt nicht nur Prosa, sondern auch Lyrik, Theaterstücke und Hörspiele. Er hat nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Journalist und Redak- tionsleiter gearbeitet. Er übersetzt sowohl aus dem Deutschen als auch aus dem Türkischen. Er hat nicht nur Orhan Veli dem deutschsprachigen Publikum näher gebracht, sondern auch Aziz Nesin und Nazim Hikmet; Rainer Maria Rilke, Bertolt Brecht und Johann Wolf- gang Goethe hingegen hat er dem türkischen Publikum zugänglich gemacht. Yüksel Pazarkaya bewegt sich, ohne Grenzen anzu- erkennen, die andere gezogen haben, er ist ein moder- ner Nomade, der Heimat gefunden hat in zwei Sprachen und in zwei Kulturen, doch dem die Verbindung mit schmack äußerst beschränkt ist, wusste ich schon früh, jeglichem Menschen ein Zuhause ist. In seinem Gedicht aber nicht, dass er keinerlei Gültigkeit hat und keinen »Lady Lovely Locks« heißt es: qualitativen Maßstab zu setzen vermag. So ist das mit Geschmäckern. Ich liebe alle Lieder der Erde Yüksel Pazarkaya hat einen weniger beschränkten Bewegt fröhlich getragen traurig Geschmack, und das schon seit seiner Jugend. Dieser Mal solo mal vom Chor zum Tanz oder auch so Geschmack rührt nicht daher, dass ihm alles schmeckt, Wenn sie Tod und Leben besingen sondern daher, dass er nicht in Grenzen denkt, nicht in Sieg und Niederlage Hoffen und Bangen vorgefertigten Mustern; er hat einen Geschmack, der Reden sie in meiner Zunge einen wachen, kreativen Geist beweist. Von Liebe und Sehnsucht Von Trauer und Leidenschaft Nach seinem Chemiestudium hat er Germanistik Von Wagemut und meinem Girlfriend Lady Lovely Locks und Philosophie studiert, bevor er später in Literatur- wissenschaft promovierte. Ein abgeschlossenes natur- Das ist in Pazarkayas Fall keine bloße Behauptung, wissenschaftliches Studium hat seinen Weg nicht ge- die auf dem Papier kraft des Talents aufgestellt wer- prägt, genausowenig wie die Beschäftigung mit Kultur, den kann, sondern eine gelebte Haltung. Eine Haltung, bei der er sich frei in jede Richtung bewegt hat. Nie hat die von Respekt getragen ist, Respekt gegenüber den 28 :: Porträt

:: Nur um der Liebenden willen dreht sich der Himmel. Essays. Sardes Verlag, Erlangen 2006 :: Du Gegenden. Lyrik (deutsch-türkisch). Sardes Verlag, Erlangen 2005 :: Ich und die Rose. Roman. Rotbuch Verlag, Hamburg 2002 :: Die Weidengasse. Texte und Bilder. Bachem Verlag, Köln 2001 :: Odyssee ohne Ankunft. Dresdner Chamisso-Vorlesungen 2000. WortWech- sel Band 1. Thelem Verlag, Dresden 2004

einem Gleichgewicht heraus gestellt, aus einer Ausge- wogenheit, die man nicht behaupten kann.

Wie gesprochene Worte verbinden

Pazarkaya ist kein Autor, der in Grenzen denkt. So hat er zwar immer auch über Migrationsthemen ge- schrieben, sich aber nie darauf festlegen lassen. Je mehr er es schafft, scheinbare Gegensätze und Widersprüche in sich zu vereinen und ein Gleichge- wicht zu halten, wo andere in Extreme kippen, je mehr Kulturen, Sprachen, Ansätze, Perspektiven er in sich vereinigt, desto mehr leuchtet er als lebendes Exempel eines offenen Menschen. Je mehr er in seiner Person verbindet, desto mehr Erscheinungsformen der Literatur, aber auch von Re- Menschen verbindet er miteinander, verbindet sie mit spekt gegenüber allen Kulturen und Sprachen, die einen ihrer eigenen Kultur, ihrer eigenen Mitte. Menschen formen. Als ich ihn das erste Mal wahrnahm, ohne zu wissen, Seien es die Übersetzungen, seien es die Romane, wer er ist, was er genau macht, ja, ohne zu verstehen, die Kurzgeschichten, die Gedichte – ich betrachte Yüksel worüber er überhaupt redet, hat er eine Kraft übertra- Pazarkayas gesamtes Werk als eine Übertragung. Die gen, die ich als Kind gespürt habe. Ich habe gesehen, Übertragung einer bejahenden, offenen, wohlwollenden wie meine Eltern diese Kraft über das Radio aufgenom- Haltung in Literatur. men haben, wie Geschichten, wie gesprochene Worte Zu dieser Haltung gesellen sich Yüksel Pazarkayas verbinden, wie sie Zusammenhalt bieten, Heimat, Trost; rationale, analytische und abstrahierende Eigenschaf- ich habe früh gesehen, wie bereichernd jemand wirken ten, sein beeindruckendes Wissen, seine Leidenschaft, kann, der Freude hat, ohne auszugrenzen. seine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge sichtbar zu Yüksel Pazarkaya hat als einer der ersten einen Weg machen, ohne in Emotionalität zu verfallen. So entsteht beschritten, den nachfolgende Generationen von Auto- ein Gleichgewicht zwischen Herz und Hirn, so entstehen ren mit ähnlichem Hintergrund auch gehen mussten. Texte, die nicht anklagen, die nicht jammern, Texte, die Doch viel wichtiger scheint mir, dass er uns gezeigt hat, ohne Pathos auskommen, ohne Schuldzuweisungen, wo es überall Wälder und Lichtungen gibt, wie viele Texte, die durch ihre Qualität überzeugen und nicht Pfade und Wege da sind, wieviel Raum – und wie willkür- durch wohlklingende Thesen. lich Abgrenzungen vorgenommen werden. Auf die Frage, ob er beim Schreiben eher rational Wir wünschen noch viel Gelegenheit, seine Haltung oder emotional vorgehe, hat Pazarkaya einmal geant- und seine Liebe mit der Welt zu teilen. :: wortet: Kann man das trennen? Diese Gegenfrage ist aus CH-Maga-10-1402-ok 14.02.2014 11:45 Uhr Seite 28

28 :: Neuerscheinungen vonNeuerscheinungen Adelbert-von-Chamisso-Preisträgern von Adelbert-von-Chamisso-Preisträgern :: 29

Neue Bücher

AphoristikDer Fisch alsspricht Moralistik – anders Dasfühlsblockade Problem dabei: auch Wer noch hört stolz noch sind zu? und »Welche diese Blumenmit kant ElazarWie aus Benyoëtz Verzweiflung – Dichtung Sprache und Weisheitwird sindund es hegel noch, zementieren«. durch die man Trauer heute und sprechen Schmerz könnte«? gehören zumUm Leben. diesen Und eminenten zum Leben Dichter gehört zu auchentdecken die Einsicht, oder »Fisch, sei ruhig!«.Der Sowunderbaren lauten die ersten, Buchreihe ein wenig genauerdass eine kennenzulernen, Frau, die wild und kommen entschlossen die Korrespon ihre eigenen- rätselhaften Worte »Profile«,eines ganz dieund sich gar im ungewöhnlichen Untertitel denzenWege gehengerade will, recht. durch Zwölf nichts Experten, aufzuhalten darunter ist, der nicht Prosatexts. Denn Fischeals »Magazin sind bekanntlich des Literaturarchivs stumm, auch Schriftstellerkollegeeinmal durch Poesie: Robert »hafez Menasse wird auf und uns die aufpassen«, profi- wenn sie aus Vietnamder stammen Österreichischen und irgendwann National ein-- liertemeint Wiener er. »das Kritikerin wird er«, Daniela antwortet Strigl, sie. beleuchten Aber Hafez und pass- mal den Namen Le Phungbibliothek« erhalten entpuppt, haben. können Ein parlando deutente nicht sein auf. Werk, Und sound »lief die sie von eines Michael tages Hansel fort«. Daszusam aber- mit le phung, wie esin der Deutschland 1947 in Teheran wohl nur geborene einige mengestellteführte, auf Umwegen »Korrespondenz natürlich, in Bildernzum parlando und Texten« mit le Münchner Schriftsteller»Marbacher SAID entwirft, Kataloge« kann das eigentlich Wasser liefertphung aufschlussreiche. Tief berührende Fotos. lyrische Zum Prosa. Beispiel eins von nichts anderes seinreichen. als ein Monolog. Wunderschön Le Phung aufge spricht- BenyoëtzSAID, und parlando SAID (Stuttgart mit le phung. 1998), Steidl auf dem Verlag, im Hin- auch nicht wirklich.macht, Aber er mit erzählt zahlreichen doch. NurFotos anders. und tergrundGöttingen deutlich 2013. ein127 Schriftzug Seiten, 18 zu Euro erkennen ist: »Viele Ohne dieses GegenüberFaksimiles käme dieaus Erinnerungdem Vorlass des oder Ich- Kulturen – eine Sprache«. demErzählers Privatbesitz nicht richtigdes Dichters, in Gang. ist In kürzlich SAIDs Kleinschrei- ein stattli- Elazar Benyoëtz, Korrespondenzen. Hrsg. von cherbung: Band »seit über du leElazar phung Benyoëtz heißt, gehörst erschienen: du zu Korres uns, oder- BernhardMiss Fetz, Fleisch Michael Hanselbetrinkt und Gerhard sich Langer pondenzenwir zu dir. – das ist nun ohne belang. sie hat uns längst (= ProfileSkurrile 21). Unterhaltung Zsolnay Verlag, auf höchstemWien 2014. Niveau 269 Seiten, verlassen.Der 1937 erinnerst als Paul Koppeldu dich?«. in Wiener Ja, sie erinnern Neustadt sich. In 21,90 Euro geboreneeinem manchmal und Ende wütenden, 1939 mit den meist Eltern aber nach abgrundtief Palästina Schriftsteller scheren sich in der Regel wenig um gelangteverzweif Dichter,elten Parlando der in hebräischer findet der eig Spracheentlich debütier unerzähl- - »political correctness«. Der 1972 in Brno (Brünn) gebo- tebar unde Sseitchmerz 1969 eines meistens einsamen auf Deutsch Mannes schreibt, seinen dichte-ist nach reneKrieg Wiener im Autor Frieden Michael Stavaricˇ hat das noch nie wierischen vor einer Ausdruck. der am Der wenigsten Namenlose bekannten spricht: Chamisso- von der ers- getan.Tito Wennist tot dieser – oder Experte doch nicht? für apokalyptische Phan- Preisträger.ten Begegnung Schon mit 1988 ihr, hatvon er begehrenden den Preis erhalten, Blicken und und tastik und grotesken Humor aus seinem jüngsten, von seitdemlustdurchtränkten ist sein Werk Nächten, ungeheuer von angewachsen verliebten Reisen – um nach Mari Otberg genial Reiseimpressionenillustrierten Roman einer liest, Grenzstöhnt- das GedichteYokohama und oder Prosa, Bratislava, Essays und von Briefe, einer das vor Liebeslebenallem aber Publikum meistensgängerin? schon auf, Autobiografische sobald er sein Thema Aphorismen.verzaubernden Benyoëtz gemeinsamen schreibe Sprache «Aphoristik – und als von Mora- ihren nur antippt. KönigrReflexion?eich der Schatt Politischeren nämlich Essay? spielt im listik»,letzten hat Worten. Harald SAID Weinrich, ein genuiner einmal gesagt Poet, – findet Korrespon für - Milieu der FleischhackerPazifistisches und Schlachter. Manifest? Will Philoso man- denzendiese Erinnerungenthält auchen eine einen kluge zarten, Auswahl fast magischen, aus seinem den wirklich einen Romanphisch-anthropologische über frische Schweineherzen, Spe- BriefwechselLeser rasch mit in seinen dem Dichter. Bann ziehenden Aphorismenbände Erzählton, jedoch, der Rinderdärme, Metzgermesserkulation? Das und jüngste Hackebeile Buch von lesen? undder seien deutschen sie noch Sprache so brillant, ungeahnte kaufen Nuancen die Leute abgewinnt. selten. Welche Leserin möchteMarica unbedingt Bodrožić zuhören, hat von alledem wenn UndFast ganz fünfzig nebenbei Seiten führt umfasst er uns die eindrucksvoll Einleitung, die vor die Werner Fass auf deretwas. Internationalen Die im dalmatinischen Leipziger Flei- Svib ÜberschriftAugen, dass »Folgenichtig. es Dinge zwischen Oder: IchHimmel unterschreibe und Erde gibt, schereifachmesse einengeborene Vortrag Berliner zum ThemaAutorin »Die hat ihreAnti- nicht«die nur trägt und und ausschließlich von Elazar Benyoëtz die Dichtung selbst benennen stammt. rutschmatte – HandschlachtungHerkunftsregion für Anfänger« besucht, etwa hält? »Ichkann. habe Das keine Glück deutsche zum Beispiel, Umwelt, vor kein allem Deutsch das verlorene. um die Wer will der turbulentenzwanzig Wahl Jahre zur nach »Miss dem Fleisch« blutigen bei- Ohren,Was ich war muss das mein Faszinierende eigenes Herz an essen«, der Frau, heißt die es den in Zerfallwohnen? des WenLandes, überkommt in dem sie nicht ihre ein ersten merkwürdiges neun Lebens- dieserErzähler autobiografischen kurz vor ihrem 50.Melange. Geburtstag Genauso verlassen fundamen hat?- jahreGefühl, verbrachte wenn einem und das»ein sie von vermutlich dunklen Käfern nie wieder übersätes tal:»sie »Auschwitz hatte eine und eigene Deutsch sprache sind und unzertrennlich, brauchte die allgHe-e- loslassenStück Räucherfleisch« wird. Genauer alsgesagt: »Spezialität Mit Unterstützung aus Turkmenis- bräischmeinen und fertigsätze Auschwitz nicht sind. sie unvereinbar achtete auf … ihr Als w ichort insund dertan« Robert angeboten Bosch wir Stiftungd? Wie hat auch sie immerdie Welt – Michaelzwischen Sta va- Deutschewar dennoch geriet, zu sah gesten ich seinen fähig«. großen Und er Vorzugselbst? ein:Brechts in Vukovarricˇ hat einen und Sarajevo in mehrf bereistacher Hinsicht und dort herausrag mit Verwandtenenden jederGedicht anderen »Schw Spracheächen« wärefällt einem es leichter, ein: »Du Jude hattest zu sein.« keine undRoman Freunden geschrieben, gesprochen. über Undden manmit zahllosen lange nachdenk anderen,en Warum⁄ Ich hatte diese eine: Collage ⁄ Ich ausliebte« Gedicht-. Nein, und dieser Prosazeilen, grandiose Her- ihrund unbekannten mit dem man Menschen. sich köstlich Bodrožić unterhalten kennt Naturkann. und Aphorismen,aufbeschwörer Briefstellen der existenzbestimmenden und Zitaten? Weil man und dem exis- Kultur,Zugegeben: Geschichte Manchmal und Gesellschaft braucht man der starke Region Nerven. wie Poetentenzvernichtenden damit wohl am Macht nächsten der Liebekommt, ist und kein er übersensi- selbst kaumDer eine Aufbau andere des Autorin. Romans An ist tiefer ungewöhnlich: Liebe zu dieser zwei sichbler vielleicht deutscher auch: Jüngling »Das Hohelied– Modisches der wie Fälscher »Coaching« läuft GegendProloge, und zwei herzlicher Hauptteile, Zuneigung zwei Epiloge. zu ihren Wir Bewohnern starten unterzum ›Memoiren‹.«Beispiel ist ihm Ein egal, Fälscher weil es will den Benyoëtz Kern der nicht Sache fehlt»bei es uns ihr in nicht. Amerika« Aber undoft versteht hören von sie Dannydie Leute Lokets nicht seinnicht – er berührt. spricht Erals ist, Dichter, auch wennimmer. er Und »infarkt« als religiöser und »not- ganz.Großvater, Den von der Nationalitätenhass in seiner alten Heimat getragenen die Metzgerei Krieg Mensch:operation« »Wenn schon ich hinteretwas übersich hat, Gott ein und starker, die Dichtung ein männ- hat»U sie sekác vonˇka« Deutschland (»Zum Hackbeil«) aus erlebt, geführt wofür und sie im Gott Zweiten oder sagenlicher möchte, Mann, undwill ichzugleich nicht istgezwungen er zart und werden, zerbrechlich mein wenigstensWeltkrieg »fünfzigdem seit Deutscheihren Kindertagen höchstpersönlich hochverehrten ins Jen- Urteilund ber übereit Arafat, sich selbst oder Sharon in Frag eabzugeben.zu stellen –Mit jedenf Fragenalls Antoniusseits bef vonördert Padua« hat zu. Pr dankenolog zw nichtei konfrontiert vergisst. Aber uns solcher»keines Art dieser wird aufg die Poesieeklärten öffentlich wesen, die ausgepeitscht.« auf ihre ge- weilmit sie der nicht jung dabeien Rosi war, Schmieg ist ihr auchund ihr einigesen obskur entgangen.en Kind- CH-Maga-10-1402-ok 14.02.2014 11:45 Uhr Seite 29 Seite Uhr 11:45 14.02.2014 CH-Maga-10-1402-ok

30 29 :: :: Neuerscheinungen Hübner Klaus von von Adelbert-von-Chamisso-PreisträgernBuchvorstellungen

Wasin genau? auch Ihr Buchbeutet versucht,arbeitet, und es zulebt ergründen Deutschland und in 1985 Schuldund – undSchlingel SühneFleischerei die an heitserinnerungen es in geschliffenem,Vom Psalm elegantembekannten den DeutschTitel im den Lesernjüngsten, zu seinem Eine KriminalnovelleSeitenhieb sanftem für inklusive Anspruchsvolle Messe, erwähnten der mit erklären. (113,3) Niedergang ihrem zu bis Sonne der Aufgang nach jährlich auch ja die »Buchmenschen«, die auf »MeineFami- und Heimat istJugend- die Schönheit,polnische seine das Sein,Roman der ein- zitierenden aus nur allerdings »In sie Wirklichkeitkannten ist»Blut die Weltkommen: ge- Leipzig zelne mit Mensch, undkonfrontiert keine Nation,erneut wird keineMan Religion,aus. kein liengeschichte angehen- der mit ordnet«wir lautetbeziehen derDann erste Satz derFernsehen«. dem Papier wirdSchön- mich je dazuabgründigen bringen,auch aber Heimatgefühle (dieüberwältigenden, er d mit zusammen »Kriminalnovelle«,Opa deren Rosi, mit der der Fleischhauerin en d ich als Begrenzungund empfinde)Kleinstädte, und aufzubringen«,Wälder Seen, schreibtmasurischer heit düstere das war, 1959 in Zürichgewesen SS geboreneder bei DanSchlingel - Herrn sie überein- sich selbst.niemals – Oderwieder auch: »IchBekannte brauchealte keineeinige trifft Hei - man Romanatmo- te Andreamorbide die Franzettisich wo im letztenKaramamba, Hotel mat, weilwider- ichsich einin Selbst sondern habe.« Und diesesCharaktere, Selbstfertige oder weiß: eutige d auch gibt’s Herbstallerdings seine Lesermittendrin – überraschte.verdichtet phäre s »Die Schönheitgenau und ist die größeresuchende und Meisterin, diesehnsüchtige Barbarei … sprüchliche, Wir Szenen. Die klugurkomische entwickelte,und Auftritte oft atem- slapstickhafte kann man ihr aufdarf Daueraber nichtsallem Vor anhaben.«Figuren. Doch was sieinteressante er- deshalb freundlichen beraubendedes GeschichteBegräbnis beim Rosi spieltmit in trauern lebt und aufschreibt,»Becker-Sound« ist meistensvielgerühmten nichtdem schön,mehr sonderneinmal sich »Schlitz« Namen Italien, dempassenden Land,dem mit dem der Autor Fleischermeisters schrecklichje und eh undwie bedrückend:kraftvoll und Ängste undrhythmisch Alpträumeder ausliefern, dem unter engMetzgerei verbundendie wenn ist,ihr, wiemit zuletztuns Zufreuen - und und Sprachlosigkeitder und führt allerorten, KriegstraumataRomangeschehen turbulente überdas - durch zweiten Im wird. rück nacheröffnet Romneu bewiesenSchlitz« & hat,»Rosi eines Namen all.je Garseit nichtdie so alte Männergehorcht, mit Beinprothesen,Sprachmelodie grauen unwiderstehlichen der bestenböhmi- Rom-Bücherder wo York, unsererNew in Tage.wieder Genauer:wir sind Sie Hauptteil Haaren und erloschenenAutors. dieses Augen.Werke die Verzweiflung, für ist Ausweg- charakteristisch spielt in einerLaden chaotischen,kleinen einen vonKrieg ätzendemdem nach MüllgeruchGroßvater sche losigkeitzu der und Selbstmord.Duszka, Karol Berichte vonspektakulär: barbarischenist Auftakt Der durchwehteneröffnet StadtDeath« zwischenof Vulkan»Empire undNamen Meer,schönen wo diedem mit Metzeleien und mordlüsternerTextilfabrikdirektor mächtige Herzlosigkeit.Zeiten Ver- kommunistischen weltweit angeseheneVögelschwär- Hirnforscherinmysteriösen mit ist Regineaber OdenaalEnkel Sein hatte. wüstete2010 Häuser,es ahr J verwahrlostedes seelentag Friedhöfe.ller A am ist , Undce immerBartoszy aus arbeitet,- häu diees – jedenontiert Tagonfr ihrek von Geburteheuern ng an gehbehinInsekten-U und - men wiederAller derder Hass,an aufden er »die«V in Serben,en eff »die«amilientr F Kroaten, einem or »die«v kurz derte, unter- mittlerweile das verlässt zehnjährigeEr e. ˇ-Motiv c Tochterari v Sta Mathildabekannte in sich en f Faschisten,in »die«längst Kommunisten.Seine Freilich,hinuntergestürzt. Tito ist tot,Kellertreppe die die DeutscheSpuren Schule bringt.Großvaters auf Mathildagelangt und wiederum Amerika ist mit gehende MiloševićNord- undnach Tudjmansein und sind esMariola auch – allesamtTochter lebende Politi - England dem 20-jährigenEr- beiden Walterdie befreundet,werden Epilogen einemden In »Ritardato«,Leipzig. nach ker, die BodrožićKinder- seit abgrundtiefdie Arek, verachtet.Neffe Dochemigrierter das, was deutschland von demgehö- diees Leutedass so, sagen,aber – er sei nicht ganz richtigzusammengeführt im zählstränge sie angerichtetBe- haben,aufgeladene lebt weiter.erotisch Hättebesondere, die Kriegsgeganz eine - tagen Kopf. Mathilda, die »Handicappata«,verraten! nicht bekommtwird Mehr ebensokracht. rig neration. ache gelernt,otenw T sichdie selbsthalten zuen, empfinden,pfleg würdezueinander sie ziehung eine eigene Erzählstimmephantastischen wiesprachlich der auch wettspielsüchtige diesen kann Man sich andersder verhalten,Land meintangenähtem sie.Areks Aber:»in »Sein Herz zuNovembernacht Die und alkoholabhängigeGe- die in DottoreTiefenbohrung Mauro de Feo,hochliterarische derals einen Roman empfinden,Heimat dasder in fällt hier kaum jemandemNordseeinseln, und ein.«Sachsen indlinge, F Fernsehfilmdarf Man zum lesen. Thema »EthischeJahrhunderts 20. und juristischedes Im-altgeschichte w Sicher,Orkan- im es gibt die Poesie,Friedhöfe, es gibt dieevangelischen flirrendeder und Stinte der plikationenskanda- der unsere jüngeren gegen HirnforschungAufschrei überwütenden schwereals auch ihn Schönheit einer von zu Städtenihnen wiegerät Split, DubrovnikSprache«, oderdeutschen der auge Wiederholungstäter«blutige das die drehen undverstehen, dafür Mathildas Fleischbesessenheit löse Zadar, es gibt diekatholisch- Inselder in Vis – einLeben adriatischesihr auf ParadiesRückschau großen Mutter interviewenbrillante Eine soll. Dieschiebt. ihm wahrscheinlich,beiseite routiniert ganz Schlachten mit unvermutetenauf besonders Abgründen.ganz Polen, Mein weißerVolksrepublik Frieden chaotischen den Erkenntnissenwestli- der ihrerUntergang Wissenschaftund verpflichtet,Verdammnis über im Phantasie ist immer auchErholungs- eineDas leidenschaftliche1980er-Jahren. den Liebeserkläin - Jugendzeit ihre Sinne einerStava- nochMichael zu entwickelndenWomit allemal. er »Neuroethik«ist klarLebensweise - chen rung. ent- Der der Weg ist zum allgemeinenLutrysee am FriedenMaräne« allerdingsKleine »Die ist zentrum machendoch wird:denn »Es Weise gibt keine amüsante Delikte, stets esund gibt keinevertrackte Täter,auf ˇ ric dornig und steinig,Mariolas und undAreks vor dem allem auf ist er weit.Schauplatz, Für Marica scheidende es gibt keine Schuldigen«. Legen neuronalewäre. Verschalcorrect« - »political Bodrožićherrlich kannein erund nur dann ans ZielVerwandtschaft führen,gesamte wenndie , die eunde r F tungen uns definitivSchatten. fest,der ist der sogenannteKönigreich ˇ, avaric t S Geisthael nurMic MenschenTypen sich nichtEndzeit- mehrskurriler nur als OpferEnsemble dervitales Geschichteenes, soff er v belangloserSeiten, 256 Luxus? 2013. Unsinn! OderMünchen lag, docher V k nicht?Bec MöchteC.H. oman. R verstehen, sondernllzumensch- A einund eigenes SelbstMenschliches ausbilden.haben. Auchuftritte A e ihr die neuere Hirnforschung wirklich die Schuldo abschafEur - 19,95 wennmit man mit manchenunterlegt , er Beck romantischenArtur bei Blauäugigkeitenimmer wie d, wir liches fen? Und damit die Justiz? nicht einverstandeneschichte Zeitg sein magopäischer und Marica Bodrožićsommunistisch-mitteleur spätk Franzettis »Kriminalnovelle« – selten passt eine streckenweisesteht Ende am argnd predigthaften,U vonSpekulationen. Wiederholungensischen y metaph und Gattungsbezeichnung en so Masur perfekt hes wie hier – erläutert,gründlic Uner nichtbe- freienArek Herz-Jesu-Sounddie auf Ausblick auch mal nervig findenphantastisch-utopischer ein illustriert und umspieltBecker meisterlichArtur mit – dasSee eigentlicham Erholung darf: Diesesvielen mit kluge,Ein behutsameJahrzehnte. unddrei liebevollenächsten Buch wird vorstehenden ziemlich abstrakte Thema des geplanten Films: Kann man ungernvoran- beiseite legen.Wendungen ungeahnten und Überraschungen ein MenschRo- schuldigmasurische werden,schräge ist etwas er für sichBeckers undArtur seineWer MaricaRoman Bodrožić, Meinunterhaltsamer weißerund Frieden.spannender Lucht- schreitender, Taten verantwortlich,Wodka oder (2003) oderMuza ist erKino es nicht?von und Walterkennt ist manwelt erhandgroß- Literaturverlag,ein ist Becker MünchenArtur 2014.gelungen. 335hier Seiten,Autor dem ist kein »Wiederholungstäter«,sei- von wie war nein,begeistert nochähnlich ist er(2008) gar keinMesser und 19,99 Euro. Erzähler. artiger Täter. Aber(2010), seineMutter ebenfallsmeiner mit eigenerLippenstift Der Stimme spreMeisterwerk - nem Artur Becker, Vom Aufgang der Sonne bis zu bis Sonne der Aufgang Vom Becker, Artur chendeder MutterDenn EsterinaKosten. Pepeseine sagtauf schonvoll lange:mehr »Waltereinmal kommt eissbooks, W lag er V oman. R gang. Nieder em ihr weiß nicht,sischen wasrus Sexualitätzum enze r G ist,der abereit sieunw istce da, machtBartoszy in 1968 o Eur 19,95 en, Seit 443 2013. Main am t ankfur r F sich bemerkbar,seit der , fordert etwaschriftsteller S ene von ihm.«ebor g Am Abendaliningrad K Oblast CH-Maga-10-1402-ok 14.02.2014 11:45 Uhr Seite 28

28 :: Neuerscheinungen von Adelbert-von-Chamisso-PreisträgernBuchvorstellungen von Klaus Hübner :: 31

Neue Bücher

feiertDer erFisch Geburtstag, spricht und Mathilda – anders ist bei Familie Pepe fühlsblockadeauf dem «Campo auch noch Santa stolz Maria sind Mater und Domini», diese mit und kant seine eingeladenWie aus Verzweiflung – während sich Sprache ihre Mutter wird in den charman-undGastgeber hegel zementieren«. Jacek und Elsa Trauer möchten, und Schmerz dass er gehörenihre Tochter ten, ihr als kompetenter Gesprächspartner durchaus zumLidia Leben. vom Und Bahnhof zum Leben abholt. gehört Man kenntauch die sich Einsicht, aus War- gewachsenen»Fisch, sei ruhig!«. Fernsehmann So lauten verliebt.die ersten, »Die ein Idee wenig der dassschau. eine Frau, Damals, die vorwild zehn und Jahren,entschlossen muss Lidia ihre eigenendreizehn rätselhaftenRache darf Worte bei Maßnahmen eines ganz und gegenüber gar ungewöhnlichen Menschen mit Wegegewesen gehen will,sein. durch Altersunterschied: nichts aufzuhalten dreizehn ist, Jahre!nicht Der Prosatexts.Hirnanomalien Denn Fische keine sind Rolle bekanntlich spielen«, diktiert stumm, sie auch ihm einmalZug durch aus London Poesie: fährt »hafez ein, wird und aufdas uns Unheil aufpassen«, nimmt seinen wennins sie Mikro aus Vietnam – und behält stammen ihn für und diese irgendwann Nacht bei ein-sich. meintLauf. er. Auch»das wird weil er«,Lidia antwortet noch auf sie.dem Aber Bahnsteig Hafez sagt: pass- «Wie mal Undden Namenes kommt, Le Phungwie es inerhalten einer glasklar haben. Eingebauten,parlando in te nichtbist duauf. überhaupt Und so »lief nach sie Venedigeines tages gekommen? fort«. Das In aber Polen mit lesichphung schlüssigen, wie es der »Kriminalnovelle« 1947 in Teheran kommen geborene muss: Am führte,ist doch auf Umwegen der Krieg natürlich, ausgebrochen! zum p …arlando Sie haben mit über le Münchnernächsten Schriftsteller Morgen ist SAIDMathildaentwirft, verschwunden. kann eigentlich Kommis-phungdas. Tief ganze berührende Land das Kriegsrecht lyrische Prosa. verhängt … Glaub’s nichtssar anderes Ettore Renzi sein als übernimmt. ein Monolog. Die LeicheLe Phung wird spricht gefunden. mir!«SAID, Man parlando schreibt mit den le phung.13. Dezember Steidl 1981.Verlag, In ein paar auchRegine nicht wirklich.will sie unbedingt Aber er erzählt sehen, doch.»eine unmenschliNur anders.- GöttingenTagen wird2013. Andrzejs 127 Seiten, Visum 18 ungültig. Euro »Die verfluchte Ohneche dieses Probe Gegenüber für die Mutter«, käme diesagt Erinnerung Renzi. »Unerträglich, des Ich- dreizehn!, dachte er noch, die Zahl verfolgt mich mein Erzählersunmenschlich nicht richtig – da knicktin Gang. die In Frau SAID ein,s Kleinschrei- fällt auf den ganzes Leben schon, selbst in Venedig!« bung:harten »seit Kachelboden,du le phung heißt, keiner gehörst von uns du ist zu schnell uns, oder genug, MissSpätestens Fleisch nach betrinktzweimal dreizehn sich Buchseiten ist wir zusie dir zu halten.«– das ist nunNein, ohne Walter belang. ist kein sie Teufel,hat uns sondern längst ein demSkurrile Leser Unterhaltung klar, dass dies auf keine höchstem allzu idyllische Niveau Lagu- verlassen.kranker erinnerst Mensch du»mit dich?«. einem Ja, geschrumpften sie erinnern sich. Frontal In - nenstadt-Novelle werden kann. Das mit dem Kriegs- einemlappen manchmal ohne Verbindung wütenden, meistzum limbischen aber abgrundtief System, einer rechtSchriftsteller und der scherenSorge um sich Angehörige in der Regel und wenig Freunde um verzwgeschädigteneifelten Parlando Amygdala findet oder der sonst eigentlich einer unerzählLäsion, aber- »politicalist das corr eine.ectnes Das anderes«. Der ist1972 Lidia. in Brno »Er hatte (Brünn) natürlich gebo- barewasSchmerz hilft diese eines Einsicht?« einsamen Nichts, Mannes gar seinen nichts dichte- hilft sie. reneZweifel Wiener und Autor sagte Michael sich, pass Stav auf,aricˇ Junge,hat das du noch bist nie nicht rischenSie hilft Ausdruck. nicht einmal Der Namenlose gegen den spricht: Wunsch von nach der Rache. ers- getan.mehr Wenn zwanzig, dieser und Experte du verliebst für apokalyptische dich nicht mehr. Phan- Und ten BegegnungUnd mit dieser mit bitterenihr, von begehrendenWahrheit lässt Blicken der Autor und der tastikaußerdem und grotesken hatte Andrzej Humor auseine seinem Frau, die jüngsten, er liebte. von Er lustdurchtränktenintelligenten, anspielungsreichen Nächten, von verliebten und anspruchsvollen Reisen nach Mari hatte Otberg ein genialLand, dasillustrierten er liebte Roman… Aber liebteliest, stöhnt er seine das Frau YokohamaNovelle oder seine Bratislava, Leser dann von sehr einer allein. das RichtigLiebesleben im Kopf Publikumwirklich meistens noch? Er schon staunte auf, über sobald seine er seineigenen Thema Zweifel.« verzauberndenmuss man lesen. gemeinsamen Auch wenn’s Sprache weh tut. – und von ihren nur Dassantippt er .keinesfallsKönigreich als der Asylant Schatt enin Italiennämlich bleiben spielt imwill, letzten Worten.Dante Andrea SAID, einFranzetti, genuiner Richtig Poet, findetim Kopf. für Krimi- Milieuwie der Jacek Fleischhacker es ihm rät, daran und Schlachter. zweifelt Andrzej Will man keine diesenalnovelle. Erinnerung Lenosen einen Verlag, zarten, Basel fast 2014. magischen, 148 Seiten, den wirklichSekunde. einen Ein Roman polnischer über frische Dichter Schweineherzen, gehört nach Polen. Leser16,50 rasch Euro in seinen Bann ziehenden Erzählton, der Rinderdärme,Ein Sohn braucht Metzgermesser seinen Vater. und AberHackebeile kann er lesen? überhaupt der deutschen Sprache ungeahnte Nuancen abgewinnt. Welchezurück? Leserin Er bezweifelt möchte unbedingt auch nicht, zuhören, dass jede wenn körperli- Und ganz nebenbei führt er uns eindrucksvoll vor Wernerche NäheFass auf zu Lidiader Internationalen eine Todsünde Leipzigerwäre. Aber Flei- geht es Augen, dassPolen es Dinge im zwischenHerzen Himmel und und die Erde gibt, schereifachmesseüberhaupt ohne? einen Ist LidiaVortrag nicht zum die Thema einzige »Die Rettung Anti- die nur undSehnsucht ausschließlich im die Blut Dichtung benennen rutschmattevor den Panzern – Handschlachtung des Generals, für im Anfänger« Moment hält?zumindest? kann. DasSieben Glück Tage zum nahe Beispiel, der vorSeufzerbrücke allem das verlorene. Wer»Er will befand der turbulenten sich in einem Wahl Ausnahmezustand, zur »Miss Fleisch« wie bei- seine Was war das Faszinierende an der Frau, die den wohnen?Heimat.« Wen Und überkommt so nimmt nicht das Schicksal ein merkwürdiges seinen Lauf. Erzähler kurz vor ihrem Wieder50. Geburtstag Wodka undverlassen Messer, hat? 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Brechts Nein, eine ricˇ hatDeutsch, einen insie mehrf sprechenacher von Hinsicht bedeutenden herausrag Dichternenden und Gedicht »Schwächen« fälltleicht einem zu lesendeein: »Du Novelle,hattest keine die auchR omanDenkern, geschrieben, widmen über sich den der manBetrachtung lange nachdenk von Tiziansen Bil- ⁄ Ich hatte eine: ⁄ Ich liebte«als. originellerNein, dieser Reiseführer grandiose Herdienen- unddern mit dem oder man gehen sich ins köstlich Guggenheim-Museum, unterhalten kann. und noch aufbeschwörer der existenzbestimmendenkönnte. Doch um Tourismus und exis- geht Zugegeben:öfter sind Manchmal sie auf den braucht Kanälen, man Brücken, starke Nerven. Plätzen, Gas- tenzvernichtenden Machtes der nicht. Liebe Sicher, ist kein der 36-jährigeübersensi- senDer undAufbau Friedhöfen des Romans der weltberühmten ist ungewöhnlich: Stadt zwei unter- bler deutscher Jüngling –Andrzej Modisches Olsztyński, wie »Coaching« ein kluger undProloge, wegs. zwei Ihr geliebtes Hauptteile, Polen zwei tragen Epiloge. sie stetsWir starten im Herzen. Ob zum Beispiel ist ihm egal,wacher, weil es sehr den Kernmännlicher der Sache und doch»bei Venedig, uns in Amerika« diese »Republik und hören der von Liebe Danny und LoketsFreiheit«, auch nicht berührt. Er ist, auchein wenn wenig er verträumter »infarkt« und Poet, »not- hat Großvater,für Andrzej der in »ein seiner wunderbares alten Heimat Gefängnis« die Metzgerei bleibt, »aus operation«seine Familie schon inhinter Polen sich zurückgelassen hat, ein starker, und ein ist männ- zum ers- »U sekácdemˇka« man (»Zum nie wieder Hackbeil«) rauskommt«, geführt wirdund imnicht Zweiten verraten. licherten Mann, Mal in und seinem zugleich Leben ist in er Italien. zart und Und zerbrechlich staunt. Über dieWeltkrieg Artur »fünfzig Becker, Deutsche Sieben höchstpersönlich Tage mit Lidia. Novelle. ins Jen- Ver- undSchönheit bereit, sich der selbst Serenissima in Frage undzu stellen über das – jedenf Künstler-alls und seitslag bef weissbooks.w,ördert« hat. Pr ologFrankfurt zwei konfrontiert a. M. 2014. 196uns Seiten, »keinesIntellektuellenmilieu, dieser aufgeklärten in wdasesen, er geraten die auf ist.ihre Erg e-wohnt mit der17,90 jung Euroen Rosi Schmieg und ihren obskuren Kind- 32 :: Der Adelbert-von-Chamisso-Preis

1985 Aras Ören Rafik Schami (Förderpreis) Viele Kulturen – 1986 Ota Filip 1987 Franco Biondi Gino Chiellino eine Sprache 1988 Elazar Benyoëtz Zafer Şenocak (Förderpreis) 1989 Yüksel Pazarkaya Zehra Çırak (Förderpreis) Seit 1985 ehrt die Robert Bosch Stiftung herausra- 1990 Cyrus Atabay † gende, auf Deutsch schreibende Autoren, deren Werk Alev Tekinay (Förderpreis) von einem Kulturwechsel geprägt ist. Die Preisträger 1991 Libuše Moníková † verbindet zudem ein außergewöhnlicher, die deutsche SAID (Förderpreis) Literatur bereichernder Umgang mit Sprache. 1992 Adel Karasholi Die Auszeichnung wird jährlich im Rahmen einer Fest- Galsan Tschinag veranstaltung in München vorgenommen. 1993 Rafik Schami İsmet Elçi (Förderpreis) Die Preisträger werden von einer hochrangigen Jury 1994 Dante Andrea Franzetti ausgewählt. Aktuell wirken in der Jury mit: Dragica Rajčić (Förderpreis) Gregor Dotzauer, Dr. Wolfgang Herles, Michael Krüger, 1995 György Dalos Prof. Dr. Klaus-Dieter Lehmann, Dorothea Westphal László Csiba (Förderpreis) und Feridun Zaimoglu. 1996 Yoko Tawada Marian Nakitsch (Förderpreis) Benannt ist der Preis nach dem Schriftsteller und 1997 Güney Dal Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781–1838). Er José F.A. Oliver wurde in Frankreich geboren und zog in den Wirren Jiří Gruša (Ehrengabe) † der Französischen Revolution mit seiner Familie nach 1998 Natascha Wodin Berlin. Von dort unternahm er seine Weltreisen und Abdellatif Belfellah (Förderpreis) entwickelte sich gleichzeitig zu einem der bedeutend- 1999 Emine Sevgi Özdamar sten deutschsprachigen Schriftsteller seiner Zeit. Sein Selim Özdogan (Förderpreis) bekanntestes Werk, Peter Schlemihls wundersame Ge- 2000 Ilija Trojanow schichte, wurde 1814 veröffentlicht. Terézia Mora (Förderpreis) Aglaja Veteranyi (Förderpreis) † Mehr über sämtliche Chamisso-Preisträger und 2001 Zehra Çırak frühere Ausgaben des Magazins finden Sie unter Radek Knapp (Förderpreis) www.bosch-stiftung.de/chamissopreis Vladimir Vertlib (Förderpreis) Imre Kertész (Ehrengabe) 71 Autorinnen und Autoren Adelbert-von-Chamisso-Preisträgerinnen und Preisträger 1985–2015 :: 33

2002 SAID Catalin Dorian Florescu (Förderpreis) Francesco Micieli (Förderpreis) Harald Weinrich (Ehrengabe) 2003 Ilma Rakusa Hussain Al-Mozany (Förderpreis) Marica Bodrožić (Förderpreis) 2004 Asfa-Wossen Asserate Zsuzsa Bánk Yadé Kara (Förderpreis) 2005 Feridun Zaimoglu Dimitré Dinev (Förderpreis) 2006 Zsuzsanna Gahse Sudabeh Mohafez (Förderpreis) Eleonora Hummel (Förderpreis) 2007 Magdalena Sadlon Luo Lingyuan (Förderpreis) Que Du Luu (Förderpreis) 2008 Saša Stanišić Léda Forgó (Förderpreis) Michael Stavarič (Förderpreis) 2009 Artur Becker Tzveta Sofronieva (Förderpreis) María Cecilia Barbetta (Förderpreis) 2010 Terézia Mora Abbas Khider (Förderpreis) Nino Haratischwili (Förderpreis) 2011 Jean Krier † Olga Martynova (Förderpreis) Nicol Ljubić (Förderpreis) 2012 Michael Stavarič Akos Doma (Förderpreis) Ilir Ferra (Förderpreis) 2013 Marjana Gaponenko Matthias Nawrat (Förderpreis) Anila Wilms (Förderpreis) 71 Autorinnen2014 Ann Cotten Dana Ranga (Förderpreis) Nellja Veremej (Förderpreis) 2015 Sherko Fatah Olga Grjasnowa (Förderpreis) und Autoren Martin Kordić (Förderpreis) 34 :: Auszeichnungen, Neuigkeiten …

Auszeichnungen :: Matthias Nawrat, Chamisso- :: Am Literaturfestival »Kosmopo- Förderpreisträger des Jahres 2013, lis«, das vom 19. bis zum 22. März :: Sherko Fatah bekommt den Gro- wurde im November für seinen in Barcelona stattfindet, beteiligt ßen Kunstpreis Berlin 2015 in Höhe 2014 erschienenen zweiten Roman sich auch das örtliche Goethe-Insti- von 15.000 Euro, den die Berliner Unternehmer mit dem Preis des tut. Es möchte dem katalanisch- Akademie der Künste jährlich im Wirtschaftsclubs im Literaturhaus spanischen Publikum in diesem Auftrag des Landes Berlin vergibt. Stuttgart ausgezeichnet. Der Wirt- Jahr den Chamisso-Preis und seine Geehrt werde ein Autor, dessen schaftsclub bringt seit fast zehn Preisträger nahebringen. Geplant Literatur eine politische und exis- Jahren Führungskräfte aus der Wirt- ist ein einführender Vortrag von tenzielle Dringlichkeit innewohnt, schaft und aus Kunst und Kultur Klaus Hübner über die Entstehung, wie sie nur selten zu erleben sei: zusammen und ermuntert zum Geschichte und Gegenwart des »Sherko Fatah schafft es, eine Erfor- Blickwechsel. Preises sowie Auftritte von Marjana schung der Gewalt in ihren unter- :: Olga Martynova lebt und arbeitet Gaponenko, Abbas Khider und José schiedlichen Äußerungsformen zu von Mitte Mai bis Mitte August 2015 F.A. Oliver, die aus ihren Werken betreiben, ohne sich zu ihrem Kom- als Stipendiatin der Calwer Her- lesen und mit dem Publikum disku- plizen zu machen.« mann-Hesse-Stiftung in der tieren werden. :: José F.A. Oliver, Lyriker, Essayist »Dichterklause« des Schwarzwald- :: Dass Zehra Çırak sich nicht auf und Chamisso-Preisträger des Jah- städtchens. Zuletzt erschien ihr Kategorien einer Reisepass- oder res 1997, erhielt für sein lyrisches Roman Mörikes Schlüsselbein im Migrationsautorin reduzieren lässt, Schaffen den mit 10.000 Schweizer Verlag Droschl, Graz 2013. stellte sie im November 2014 als Franken dotierten »Basler Lyrik- Poetikdozentin des Internationalen preis«, der ihm am 24. Januar im Forschungszentrums Chamisso- Rahmen des Internationalen Lyrik- Literatur (IFC) in München einmal festivals Basel im dortigen Litera- Neuigkeiten mehr unter Beweis: Mit ihrer Dar- turhaus verliehen wurde. Im März stellung Neun mal drei Stühle zu erscheint sein neues Buch Fremden- :: Das Archiv des Schriftstellers Ehren der Wissenschaften entfachte zimmer. 11 Essays und ein Postscrip- Aras Ören wird zur öffentlichen die Autorin an der LMU eine Dis- tum bei weissbooks.w, Frankfurt a.M. Nutzung freigegeben. Bereits 2010 kussion um die perspektivgebun- :: Feridun Zaimoglu wird im Jahr hat er der Berliner Akademie der dene Schwierigkeit wissenschaft- 2015 als 31. Mainzer Stadtschreiber Künste sein Archiv überlassen: Es licher Terminologiebildung und die Stadtschreiberwohnung im enthält Manuskripte seiner Werke, hielt darüber hinaus Lesungen und Mainzer Gutenberg-Museum bezie- Unterlagen zur Theaterarbeit und Workshops an verschiedenen hen. Dazu erhält er 12.500 Euro und zu seiner Tätigkeit für das türkische Münchener Schulen. die Möglichkeit, einen Film nach Radioprogramm des Senders Freies :: Auf der Leipziger Buchmesse sind freier Wahl zu drehen. Der von ZDF, Berlin, Tondokumente, Material- die diesjährigen Chamisso-Preis- 3sat und der Stadt Mainz 1984 sammlungen aus seiner kulturpoli- träger am ARTE-Stand jeweils um gestiftete Preis soll »Schriftsteller tischen Arbeit in den 1970er und 14 Uhr zu Gast: am 12. März Sherko ehren, welche die deutschsprachi- 1980er Jahren, Briefwechsel mit Fatah, am 13. März Martin Kordić ge Literatur mit ihren Werken be- befreundeten Künstlern sowie mit und am 14. März Olga Grjasnowa. einflussen oder prägen, und die Verlagen und Institutionen, nicht Sie lesen aus ihren Büchern und sich darüber hinaus um das Zusam- zuletzt auch die bibliophilen sprechen mit der Publizistin Lerke menwirken von Literatur und Fern- Handpressendrucke von Aras von Saalfeld (Fatah, Grjasnowa) und sehen bemühen«. Örens Werken. Thomas Schindler (Kordić). :: 35

Chamisso-Stadtplan und eine Weltkarte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Die Mitarbeiter entstehen. Weiteres unter www.text- Frankfurt a. M. Seit 2010 ist er leiten- dieser Chamisso-Ausgabe der-stadt.de. der Feuilletonredakteur der Welt und :: Gregor Dotzauer wurde 1962 in Bay- verantwortet die Beilage »Die Literari- :: Michael Bienert, Jahrgang 1964, lebt reuth geboren. Studium der Germanis- sche Welt«. 2011 erschien sein Buch Das und arbeitet in Berlin als Journalist, Buch- tik, Philosophie und Musikwissenschaft kurze Glück der Gegenwart. Deutsch- autor und Stadtführer. Erfinder und in Würzburg und Frankfurt am Main, sprachige Literatur seit 1989. Redakteur des Chamisso-Forums, einer Magisterexamen mit einer Arbeit über :: Radek Knapp, 1964 in Warschau gebo- seit 2010 aktiven Internetplattform für Walter Benjamins Sprachphilosophie ren. Mit zwölf Jahren kam er nach Wien, den Austausch über den Dichter und 1987. Seit 1999 ist er Literaturredak- wo er nach der Schule Philosophie Naturforscher (www.chamisso-forum. teur des Berliner Tagesspiegel. 2004 studierte und bis heute lebt. Für sein blogspot.de), Mitglied im wissenschaft- Critic-in-Residence an der Washington Debüt, den Erzählband Franio erhielt er lichen Beirat des Chamisso-Digitalisie- University in St. Louis, Missouri. 2009 den Aspekte-Literaturpreis, für Herrn rungsprojekts der Berliner Staatsbiblio- Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik. Kukas Empfehlungen 2001 den Adel- thek. Seit Frühjahr 2013 leitet Michael 2011 Mitglied der Jury zum Deutschen bert-von-Chamisso-Förderpreis. 2006 Bienert Stadtführungen zu Adelbert von Buchpreis, 2010 bis 2015 Juror beim erschien seine Gebrauchsanweisung Chamisso in Berlin, parallel werden ein Adelbert-von-Chamisso-Preis. für Polen, 2012 der Roman Reise nach :: Meike Feßmann, geboren 1961 in Kalino. München, studierte Germanistik, Phi- :: Yves Noir wurde 1967 in Frankreich losophie und Theaterwissenschaften in geboren. Er studierte Mediendesign mit München und Berlin. 1991 Promotion Schwerpunkt Fotografie und arbeitet als Impressum über Else Lasker-Schüler an der FU freier Fotograf und Dozent für Fotogra- Berlin. 2006 erhielt sie den Alfred-Kerr- fie im In- und Ausland. Herausgegeben von der Preis für Literaturkritik. 2008 war sie :: Selim Özdogan, geboren 1971, wuchs Robert Bosch Stiftung GmbH Mitglied der Jury des Deutschen Buch- zweisprachig auf. Sein erster Zugang preises. Seit 2009 ist sie Jurorin bei den zur Literatur waren die deutschen Redaktion Tagen der deutschsprachigen Literatur Märchenplatten, die er als Kind hörte, Irene Ferchl, Frank W. Albers, in Klagenfurt und 2015 Mitglied der und die allabendlichen türkischen Maria Trini Jury des Preises der Leipziger Buchmes- Stimmen aus dem Radio. Seit 1995 hat Gestaltung se. Sie lebt als freie Literaturkritikerin er zahlreiche Romane, Erzählungen und r2 | röger & röttenbacher, und Essayistin in Berlin. Sie rezensiert Geschichten veröffentlicht, zuletztDZ Büro für Gestaltung, Leonberg unter anderem für die Süddeutsche im Haymon Verlag. Zur Zeit arbeitet er Abbildungen/Fotos Zeitung, den Tagesspiegel sowie für an einem satirischen Roman mit dem Michael Bienert (21, 22) Deutschlandradio Kultur. Titel Wieso Heimat, ich wohne zur Miete. Ota Filip (25) :: Klaus Hübner, Jahrgang 1953, arbei- 1999 erhielt er den Adelbert-von- Yves Noir (1, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 13, 14, tete nach seinem Germanistikstudium Chamisso-Förderpreis. 16, 17, 27, 28) und der Promotion als Dozent an in- :: Lerke von Saalfeld, Jahrgang 1944, ist Dank an und ausländischen Universitäten und promovierte Literaturwissenschaftle- Restaurant Alisna, Berlin; Südblock, für Verlage. Er lebt in München als rin, sie lebt und arbeitet als Journalistin Berlin; Café Bar Kotti, Berlin; René Autor, Publizist und Literaturkritiker, und Literaturkritikerin in Stuttgart und Krüger, Café Restaurant NEST, Berlin; ist Redakteur der Zeitschrift Fachdienst Berlin. Für Rundfunk und Fernsehen Florian Miller, Café Restaurant Gipfel- Germanistik und Sekretär des Adelbert- führt sie regelmäßig Interviews mit Per- treffen, Berlin; Heidi Oefler-Becker, von-Chamisso-Preises der Robert Bosch sönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft Kölner Zoo, Köln Stiftung. und Politik. Seit langem liegt ein Schwer- :: Richard Kämmerlings, geboren 1969 punkt ihrer Arbeit in der Beschäftigung in Krefeld, studierte Germanistik, Ge- mit Schriftstellern nichtdeutscher © 2015 bei den Autoren, Fotografen und schichte und Philosophie in Köln und Muttersprache. Sie hat 1998 den Band dem Herausgeber Tübingen. Seit 1997 war er freier Jour- Ich habe eine fremde Sprache gewählt – Alle Rechte vorbehalten nalist für den WDR, die NZZ und die ausländische Schriftsteller schreiben www.bosch-stiftung.de FAZ, ab 2000 Redakteur im Feuilleton deutsch veröffentlicht. Grenzgänger gesucht!

Gesucht werden Autoren, Fotografen, Filmemacher, die einen eigenen Blick wagen, Informationen aus erster Hand sammeln und authentische Orte besuchen wollen. Die Ver- öff entlichungen sollen ein breites Publikum erreichen können, zu Diskussionen anregen und mehr Verständnis für andere Kulturen wecken. Gefördert werden literarische und essayis tische Prosa, Fototextbände, Kinder- und Jugend- bücher, aber auch Drehbücher für Dokumentar- und Spielfi lme und Hörfunkbeiträge. Bewerbungen von Newcomern und renommierten Autoren sind gleichermaßen willkommen.

Wer eine deutschsprachige Veröff entlichung plant und sich auf Recherche begeben möchte, kann sich um Förderung bewerben.

Grenzgänger Europa und seine Nachbarn Recherche in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas oder Nordafrikas, in der Türkei oder Griechenland. Nähere Informationen und den Link zum Bewerbungsformular fi nden Sie unter www.bosch-stiftung.de/grenzgaenger Bewerbungstermine: jährlich 30. April und 31. Oktober

Grenzgänger China – Deutschland Nähere Informationen und den Link zum Bewerbungs formular fi nden Sie unter www.bosch-stiftung.de/grenzgaenger_china Bewerbungszeitraum: jährlich 1. April bis 30. Juni

Kontakt: Inga Niemann Literarisches Colloquium Berlin e.V. Am Sandwerder 5 14109 Berlin Telefon 030/81 69 96 64 [email protected]