mandelbaum verlag

Christian Reder DEFORMIERTE BÜRGERLICHKEIT

mandelbaum verlag Gedruckt mit Unterstützung durch

MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien, Referat Wissenschafts- und Forschungsförderung Zukunftsfonds der Republik Österreich www.mandelbaum.at

© mandelbaum, wien 2016 Alle Rechte vorbehalten ISBN 978385476-495-3

Lektorat: Erhard Waldner Satz: Kevin Mitrega Umschlaggestaltung: Michael Baiculescu Druck: Primerate, Budapest Inhalt

8 VORWORT

15 WIDERSTANDSBEWEGUNG O5 16 Konfuse Mythenbildung 31 Oppositionskräfte und Opfer 41 Zum Beispiel: Emil Oswald 49 Anonyme Zivilgesellschaft 54 Republik II

67 WIEN 1938 68 Das „Wiener Modell“ 73 Illegale Nazis 80 „Arisierung“ des Holzhandels 99 Familie Fürth, Familie Kreisky 105 Bundeskanzler Klaus 108 Außenminister Wolf 112 Bürgermeister Neubacher 120 Anton Böhm: Fragwürdiger Widerstand 132 Dubiose Fluchthilfe 136 Eugen Kogon: Der SS-Staat 141 Ankerbrot 146 Hohe Warte

155 DAS GRÖSSERE ÖSTERREICH 156 Habsburg Finale 167 Kahlenberger Friedhof 173 Gegenreformation 176 1848. Solferino. Mayerling 180 Hotel Klomser. Schnitzler. Vorwärts 190 Bad Ischl

199 ESKALATIONSPHASEN 200 Neuland 210 Alfred-Wegener-Gasse 215 Katholikentag 1933 226 Mussolini 230 Horthy-Ungarn 236 Universitätsklima: Spann. Srbik 242 Korneuburg

253 TIEFPUNKT 1944 254 Budapest 267 Grenzgebiet 270 Nisko–Bełżec 278 Marzabotto 290 Von Ungarn nach Burma 300 Castellezgasse. Waldviertel 311 Stephansplatz 319 April 1945…

334 LITERATUR 353 PERSONENREGISTER

...... 6 „Aus ganz anderen Gründen als in der Physik gilt die Unschärfe- relation auch für menschliche Verhältnisse. Eine Optik unscharf zu stellen ist insofern kein technisches Mittel, sondern eine Ant- wort auf vielfältige Realität. Bestimmte Abbildungen sind sozusa- gen von sich aus unscharf. Hinzu kommt, dass authentische Bil- der stets auf etwas verweisen, das außerhalb des Bildes liegt.“

Alexander Kluge: Nachricht von ruhigen Momenten, Frankfurt am Main 2013

...... 7 Vorwort

In diesen Berichten geht es vor allem um das Trümmerfeld von einst bitter Ernstgenommenem und um Zusammenhänge meines Fa- milienumfelds mit Zeitgeschichte an zwei mörderischen Brennpunk- ten des 20. Jahrhunderts, mit denen mich – 1944 in Budapest geboren und in Wien aufgewachsen – die Herkunft verbindet. So wichtig die fundierten Aufarbeitungen zu diesem Zivilisationsbruch sind, auch nicht Miterlebtes hat zu Erfahrungen geführt, weil aus Ferne unver- mutet verstörende Nähe werden kann. Machen doch selbst indirekte Nachwirkungen immer wieder bewusst, wie sich eine generationen- lang unauffällige Bürgerlichkeit im Nationalsozialismus deformierte, was trotz aller mentalen Transformationen nicht nur unterschwellig präsent blieb. Vage verbindet, dass sich die meisten beschriebenen Personen als bürgerliche Mittelschicht empfanden, aber nicht zum halbwegs sor- genfreien Besitzbürgertum gehörten. Die derzeit wieder akuter wer- dende materielle Gefährdung eines solchen Selbstverständnisses hatte bekanntlich rundum radikalisierend gewirkt, weil der im Ersten Welt- krieg kulminierte „Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts“ miterlebt wurde, ohne den es „keine Oktoberrevo- lution und keine Sowjetunion“ gegeben hätte, wie der in Wien und Berlin aufgewachsene Historiker Eric Hobsbawm (1917–2012) resü- mierte. Trotz schematischer Feindbilder, bei denen es vielfach genüg- te, sich als nicht links oder als nicht rechts zu verstehen, so fragwürdig selbst das immer wieder wurde, ergab sich ihm zufolge als paradoxe Konsequenz: „Nur die temporäre und bizarre Allianz von liberalem Kapitalismus und Kommunismus, zur Selbstverteidigung gegen den faschistischen Herausforderer, rettete die Demokratie.“ Andernfalls „bestünde die Welt (außerhalb der USA) heute wahrscheinlich eher aus einer Reihe von autoritären und faschistischen Varianten als aus einem Ensemble unterschiedlicher liberaler, parlamentarischer Demo- kratien“. Dennoch bestärkte schließlich „das mörderischste Jahrhun- dert von allen“ gerade in Europa konsequent um Frieden bemühte

...... 8 Perspektiven, weil „die Grenzen der reinen Gewaltherrschaft“ kennt- lich geworden waren.1 Psychologisierung von Unzugänglichem vermeidend, wird als kommentierte Montage von Dokumenten und Fachliteratur – zu den „Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte“, so der mehrfach zitier- te Sammelband von Gerhard Botz und Gerald Sprengnagel dazu2 – nachvollzogen, wie sich durchaus gebildete Menschen für eine rassis- tische Diktatur begeisterten, die multikulturelle und kosmopolitische Positionen völlig ablehnte. Hier einbezogene Personen fühlten sich in vieler Hinsicht, als Deutsche, als „Arier“, als Akademiker, wie es stan- desbewusst hieß, aber sogar als „die Anständigen“, wie oft betont wur- de, als etwas Besseres und beanspruchten adäquate Positionen, weil sie ihre Identität von solchen Begrenzungen abhängig machten. Dabei verliefen ihre Leben meist durchaus normal, also nicht auffällig. Selbst die politische Verstrickung in die Nazizeit überstanden fast alle unbe- schadet, was diese Normalität noch akzentuiert. „Zu Bürgern Europas werden“, so einer meiner das weiterhin kaum ausgeprägte Bewusstsein dafür betreffenden Texte, wird wieder stärker von Nationalismen und unterschwelligem Kolonialherren- hochmut unterminiert, weil sich immer noch keine medial und par- teipolitisch gestützte europäische Öffentlichkeit herausbildet.3 Der da- rin zitierte Standard-Kommentar von Barbara Coudenhove-Kalergi benennt präzise, wie in unseren Kreisen die Innenpolitikwende des Jahres 2000 aufgenommen wurde, was als dumpfer gewordenes öf- fentliches Klima bemerkbar blieb: „Nach wie vor empfinden viele die Union nicht als größere Heimat, sondern als eine Art Besatzungs- macht und die östlichen Nachbarn samt den Türken [und nun auch die meisten über das Mittelmeer kommenden Kriegsflüchtlinge, wäre

1 Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhun- derts, München 2003, S. 22 f., 28, 717 | Als zeitliche Anhaltspunkte sind bei ver- storbenen, im Zusammenhang signifikanten Personen die Lebensdaten angege- ben. 2 Gerhard Botz, Gerald Sprengnagel (Hg.): Kontroversen um Österreichs Zeitge- schichte. Verdrängte Vergangenheit, Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker, 2. erweiterte Auflage, Frankfurt – New York 2008. 3 Christian Reder: Zu Bürgern Europas werden?, in: Cathrin Pichler, Roman Ber- ka (Hg.): TransAct. Transnational Activities in the Cultural Field. Interventio- nen zur Lage in Österreich, Wien – New York 2010, S. 28 ff. | Étienne Balibar: Sind wir Bürger Europas? Politische Integration, soziale Ausgrenzung und die Zukunft des Nationalen, Hamburg 2003...... 9 zu ergänzen] als Feinde, die uns bedrohen. Im Grunde sehnen sie sich zurück nach der guten alten Zeit des abgeschlossenen Schrebergarten- Österreich. Dieser Grundstimmung tragen sowohl die Rechtsparteien wie die Kronen Zeitung Rechnung. Einfache Antworten auf kompli- zierte Fragen verfehlen nie ihre Wirkung. In unserem Fall lauten sie: An allem Übel sind einerseits die Ausländer schuld und andererseits die EU. Ohne sie hätten wir es wieder gut auf unserer seligen Insel. Die Schuld der Regierungsparteien an diesem Stand der Dinge liegt darin, dass sie nie eine konsequente Gegenposition zu den Parolen der schrecklichen Vereinfacher angeboten haben. Die schwarz-blaue Koa- lition hat ein für allemal Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und aggres- siven Provinzialismus salonfähig gemacht.“4 Wurde Deutschland zu dem, was lange bekämpft worden war, ei- ne halbwegs aufgeklärt-liberale Demokratie mit die NS-Zeit betreffen- der geschichtsbewusster Öffentlichkeit, gibt es hierzulande nun drei tonangebende, längst diffus verbürgerlichte und entpolitisierte Volks- parteien. Wahlerfolge gelingen primär im breiter werdenden missmu- tigen rechten Rand durch einen Ängste schürenden „Österreich zu- erst“-Chauvinismus. Gilt aber alles rechts der ominösen Mitte als bür- gerlich, wie oft plakativ unterstellt, wird vor allem „linken Gutmen- schen“, so als ob es – zur retrospektiven Selbstvergewisserung – noch eine gefährliche Linke gäbe, wie ausgebürgerten Fremden der Bürger- status abgesprochen, obwohl es generell um gedankliche Eigenstän- digkeit und Zivilcourage ginge. Dabei reagieren Datenschutz-Aktivis- ten oder die Tausenden Helfer für das Grundrecht auf Asyl erhoffende Schutzsuchende längst solidarischer als die zögernden politischen Ins- tanzen. Die beschriebenen familiären Erfahrungsräume machen vor allem regional verständliche personelle Konstellationen nachvollziehbar, als Innensicht auf solche Beziehungen und längst erfolgte Distanzierun- gen und Brüche. Weil auch zu eigenen Wohnungen nachgeforscht wurde, konkretisiert sich manches als zeitgeschichtliche Stadttopogra- phie. Von mir angeregte biographische Notizen meines damals acht- zigjährigen Vaters Franz Reder (1903–1990) sind eine Grundlage dafür. Aber erst nach dem Tod meiner Mutter Eva Reder (1922–2007) zu- gängliche Dokumente erhellen Einzelheiten und waren der Anlass für diese Recherchen, ohne die ein Wissen über bloß privat Bekanntes

4 Barbara Coudenhove-Kalergi, Der Standard, Wien, 6. Mai 2009...... 10 verloren ginge. Nicht eine Abrechnung mit Toten, sondern Erkennt- nisse zur Ausprägung bestimmter Denkmuster sind die Hauptinten- tion. Hätte mein Vater den Krieg nicht überlebt, wäre ich – der ich wie alle zwischen 1938 und 1945 geborenen wieder Österreicher werdenden Kinder anfangs deutscher Staatsbürger war – als Ungar aufgewachsen, weil meine Mutter sicher in ihre Budapester Umgebung zurückge- kehrt wäre. Wegen der tendenziell erfreulichen, viel weniger regional gebundenen Zufälligkeit heutiger Partnerschaften haben wir inzwi- schen Verwandte mit zwölf teils mehrfachen, weitgehend irrelevant gewordenen Nationalitäten. Parallel dazu sind Sympathien für vorerst Fremdes, für Gegenkulturen und Milieuflüchtlinge viel präsenter als in der Generation der Eltern. Ergeben hat sich das, obwohl zur Zeitgeschichte Glaubwürdigkeit kaum greifbar war. „Sie waren einfach nicht da, die Menschen, die He- ranwachsende aus dem verbindenden Schweigen herausgeholt hät- ten“, schrieb ich einmal dazu, und „das ist mir damals normal erschie- nen, weil es als normal hingestellt worden ist. Im privaten Umgang, in den Schulen, an der Universität, sind – anders als anderswo – die längste Zeit nie konträre Stimmen laut geworden. Abweichungen wa- ren nur autodidaktisch möglich oder bei nicht in solcher Weise gebun- denem sozialen Hintergrund.“ Die „Impulse erfreulicher Entwicklun- gen sind aus anderen Richtungen gekommen“.5 Wie schon in einem Text von 1983 gehe ich vom Widerstandssym- bol gegen die Nazis aus, dem O5-Zeichen am Stephansplatz6, an dem ich fast täglich vorbeikomme und das wegen des uneinsichtigen Gere- des von Bundespräsident Kurt Waldheim (1918–2007) über Pflichter- füllung und sein Nichtwissen während des Krieges zum Diskussions- ort dagegen aufbegehrender Teile der Zivilgesellschaft wurde. Nun mich ausführlicher damit befassend, zeigt sich, wie widersprüchlich und vieles verfälschend dieser Widerstand in Österreich seit Jahrzehn- ten dargestellt wird und schon deswegen nicht zur gedanklichen Grundlage eines Neubeginns werden konnte, was viel zur Desorientie- rung Heranwachsender beitrug, worauf anhand eigener Erfahrungen eingegangen wird. Daher beginnen die Recherchen mit dem O5-Lei-

5 Christian Reder: Schichten privater Orte, in: Bernhard Schneider, Richard Jo- chum (Hg.): Erinnerungen an das Töten. Genozid reflexiv, Wien 1999, S. 289 ff. 6 Christian Reder: Verbindungen zwischen Tat und Sache. Besuche an Orten ver- gangener Ereignisse, in: Stadtbuch Wien 1983, Wien 1983, S. 37 ff...... 11 tungsmitglied Emil Oswald (1897–1964), dem einzigen in jeder Phase konsequenten Nazi-Gegner in meinem Wiener Familienumfeld, das sonst von sich als Katholiken und ehemalige Nationalsozialisten ver- stehenden Jugendfreunden des Vaters geprägt war. Zu Wilhelm Wolf (1897–1939), Österreichs letztem Außenminister im März 1938, gibt es Abschnitte, auch zum langjährigen Neuland-Führer Anton Böhm (1904–1998) oder zum NS-Bürgermeister Wiens, Hermann Neuba- cher (1893–1960), die ich beide noch kannte. Selbst zwischen den Bun- deskanzlern Josef Klaus (1910–2001) und (1911–1990) ließen sich indirekte Beziehungen entdecken, von denen sie beide nichts wissen konnten. Auch ohne eigene Erinnerungen daran markie- ren die Terrorzeiten in Budapest Existenzielles, da sie einsetzten, als ich dort zur Welt gekommen bin. Weil selbst die offizielle Österreichische Historikerkommission in ihren 2004 erschienenen 49 Bänden zum „gesamten Komplex Vermö- gensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS- Zeit“ eine wichtige Branche wie den Holzhandel kaum beachtet hat, wird Ergänzendes geliefert.7 Denn mein Vater war in Wien Parteibeauf- tragter für dessen „Arisierung“ und profitierte selbst davon, weil er so vom Prokuristen zum Chef und Partner der renommierten Holzgroß- handlung J. & C. Reder (1831–1981) der Familie seines Onkels werden konnte. Wenn überhaupt, so sprach er ohne jede Schuldeinsicht davon, dass er damit vielen die rechtzeitige Flucht ermöglichte und die neuen Gesetze eben als Juden geltende Menschen von jeder wirtschaftlichen Tätigkeit ausschlossen. In dieser Ansicht bestärkte ihn, dass sein Nach- kriegsverfahren darüber ohne Verurteilung mit einem Vergleich endete. Aufgewachsen sind wir drei Kinder jedoch wohlhabender, als wenn er Angestellter geblieben wäre. Wegen eskalierender Konflikte hatte ich mich nach dem Studium für einen selbst gestaltbaren Lebensweg ent- schieden und dann als Projektberater, Autor und Hochschullehrer be- wusst nur sporadisch Kontakte mit diesen Milieus. Mit Gegenwärtigem verbinden diese um das Schreckensjahr 1944 zentrierten Rekonstruktionen, weil es latent um wachsame Haltungen und unterstützenswerte Intentionen einer kritischen Zivilgesellschaft ginge, die getragen von Bürgern und Bürgerinnen längst nicht mehr auf

7 Österreichische Historikerkommission: Vermögensentzug während der NS- Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich, 49 Bände, Wien 2003/2004...... 12 bestimmte Schichten reduzierbar ist. Basiert doch etwa die Bereitschaft zu NGO-Arbeit, so meine Erfahrung, keineswegs primär auf familiärem Wohlstand und gelegentlichen karitativen Bourgeoisie-Attitüden. Sub- texte zu Vergangenem deuten stets auch Fragen an, wie es um Weltof- fenheit, um Menschenrechte und rechtzeitige Interventionen steht, da- mit heutigen Generationen nicht neuerlich ein deformiertes Problem- bewusstsein, Fehlentwicklungen und Unterlassungen vorzuwerfen sind. Unverzichtbar dafür sei, Zeitgeschichte „von einer nach demokra- tisch-liberalen Grundsätzen bewerteten NS-Vergangenheit her neu zu denken“, wie es der Historiker Gerhard Botz fordert8, wozu auch Ver- suche zählen, aus „der Perspektive einer ‚Ego-Histoire’“, wie er es nennt, „in der Verschränkung von subjektiven (Familien-)Erinnerun- gen, bürokratischen Dokumenten aus der NS-Zeit und zeitgeschicht- lichem Wissen“ relevante Einblicke zu skizzieren, und zwar – wie hier – bewusst fragmentarisch, um nicht „die Illusion einer stringen- ten und einheitlichen biographischen Entwicklung“ einbezogener Per- sonen zu bestärken.9 Gerade anhand familiärer Verflechtungen ließ sich Bemerkenswertes entdecken, um für die Zusammenhänge von Einzelheiten aufmerksam zu bleiben, was auch in früheren Publikati- onen die Intention war.10 Trotz aller bisherigen Analysen kann ein Er- forschen privater Konstellationen eben manches noch gegenstandslos im Dunklen Gebliebene erhellen und dadurch im Kontext begreifba- rer machen – als Möglichkeit, mit privaten Zugängen zur Zeitge- schichte ohne Entschuldigungsintentionen umzugehen. Meiner Frau Ingrid Reder danke ich für die motivierende Geduld und Marianne Enigl, der verdienstvollen NS-Zeit-Expertin des profil, für Präzisierungshinweise und ihre Archivarbeit. Sehr hilfreich waren auch die finalen Gespräche mit Michael Baiculescu und dem sorgfäl- tigen Lektor Erhard Waldner vom Mandelbaum Verlag. Wien, im Oktober 2015

8 Gerhard Botz: Erstarrter „Antifaschismus“, in: Gerhard Botz, Gerald Sprengna- gel (Hg.): Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte, a.a.O., S. 462. 9 Gerhard Botz: Nazi, Opportunist, Kriegsopfer. Dokumentarische Evidenz und Erinnerungssplitter zu meinem Vater, in: Gerhard Botz (Hg.): Schweigen und Reden einer Generation. Erinnerungsgespräche mit Opfern, Tätern und Mit- läufern des Nationalsozialismus, Wien 2007, S. 136 ff. 10 Zu Zeitgeschichte ferner: Christian Reder, Erich Klein (Hg.): Graue Donau, Schwarzes Meer. Wien, Sulina, Odessa, Jalta, Istanbul, Wien – New York 2008 | Christian Reder (Hg.): Kartographisches Denken, Wien – New York 2012...... 13 „Am Beginn des 21. Jahrhunderts“ geht es in Europa „um eine Frage – die Frage –, die nach 1945 von der Geschichte auf die Tagesordnung gesetzt worden war und die seither stillschweigend, aber hartnäckig die Aufmerksamkeit der Europäer in Anspruch nahm. Was für eine Zu- kunft erwartete die europäischen Nationalstaaten? Hatten sie über- haupt eine Zukunft?“

„… weder Amerika noch China hatten ein brauchbares Vorbild zu bie- ten, das sich zur universellen Nachahmung eignete. Trotz der Schre- cken ihrer jüngeren Vergangenheit – und in hohem Maße dank ihrer – waren die Europäer jetzt in der besonderen Lage, der Welt in aller Be- scheidenheit einige Ratschläge zu unterbreiten, wie sie die Wiederho- lung ihrer eigenen Fehler vermeiden könne. Was vor sechzig Jahren kaum jemand vorhergesagt hätte – das 21. Jahrhundert könnte das Jahrhundert Europas werden.“

Tony Judt: Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, München 2006

...... 14 Widerstandsbewegung O5

...... 15 KONFUSE MYTHENBILDUNG. Die eindrucksvoll-gründliche, als CD-Ausgabe verfügbare ORF-Serie zur Zeitgeschichte, „Österreich I“ und „Österreich II“ von Hugo Portisch und Sepp Riff „nach einer Idee“ des langjährigen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher (1925– 2015), die nicht so bald neuerlich überarbeitet werden wird und nun- mehr ein tendenziell plausibles wissenschaftlich fundiertes Geschichts- bild popularisiert, präsentiert den Geheimcode des bekanntesten Netzwerks exponierter Regimegegner als zentrales Patriotismus-Sym- bol des Neuanfangs von 1945: „Mit dem Zeichen O5 am Stephans- dom“, heißt es im Kommentar, „kündigt sich österreichischer Wider- stand an. Unter diesem Zeichen haben mehrere Widerstandsgruppen miteinander Kontakt aufgenommen, wollen den Kampf um Wien verkürzen.“ So als ob sich als Basis einer – wie anfangs die UNO und schließlich die EU ausdrücklich antifaschistischen – demokratischen Zweiten Republik nunmehr eine initiative Zivilgesellschaft abgezeich- net habe, wird behauptet, die Menschen wären endlich zur Besinnung gekommen: „Tatsächlich machen sich in Innsbruck wie in Wien, in Kärnten, der Steiermark und Oberösterreich die Kräfte des Wider- stands bereit, den Krieg auf österreichischem Boden möglichst abzu- kürzen. Katholiken, Sozialdemokraten, Kommunisten, Monarchisten und Liberale finden sich zu gemeinsamen Aktionen zusammen.“1 Die dokumentarische Bildkraft dieser detailreichen nationalen TV-Erzählung verstärkt noch solche krassen Übertreibungen des von den Alliierten geforderten „eigenen Beitrags zur Befreiung“, so als ob weiterhin bewiesen werden müsste, dass das Land Opfer einer frem- den Macht geworden war und das ein ‚nation building’ provoziert ha- be. Wäre es so gewesen, hätte sich konsequenter ein die Ursachen der Katastrophe mitdenkendes staatsbürgerliches Selbstbewusstsein ent- wickelt. Vor allem fehlte „jedes breite Verständnis für die Ungeheuer- lichkeit des Holocausts und für die Mitverantwortung so vieler Öster- reicher dabei“, wie Gerhard Botz zu den Stimmungslagen konstatiert.2 Was verallgemeinernd „Österreichische Widerstandsbewegung“ ge- nannt wird, existierte nur in Einzelaktionen, da sich die große Mehr- heit nicht besetzt fühlte und bis zuletzt dem propagierten Durchhal- tewillen gegen den äußeren Feind fügte. Jahrzehntelang galt Wider-

1 Hugo Portisch, Sepp Riff: Österreich I Folge 9, 11, 12, Österreich II Folge 1–7,14–16, CD-Ausgabe, Wien 2013/2014 | mit als TV-Kommentar genannten Zitaten und Angaben. 2 Gerhard Botz in: Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte, a.a.O., S. 30 f...... 16 Zeichen der Widerstands- Palais Auersperg, Wien: Votivkirche, Wien bewegung O, Gedenktafel an der Hauptfassade des O-Zentrale ohne Stephansdoms, Wien O-Hinweis stand weiten Kreisen sogar als Verrat an der letztlich doch gemeinsa- men Sache. Stets war mehr vom verlorenen Krieg als von Befreiung die Rede, trotz der unvorstellbaren Folgen eines deutschen Sieges. Die TV-Serie folgt in ihren Widerstandssequenzen weitgehend den betont patriotischen Darstellungen von Otto Molden (1958) und Fritz Molden (1976, 1988), die vor allem bürgerliche Oppositionsgruppen als verdienstvoll hervorheben, und jener des im tschechischen Widerstand aktiven, in die USA gelangten Historikers Radomir Luža (1983). Das TV-Signet enthält zwar das O5-Zeichen, die in diesen frühen Standard- werken anerkennend genannten Mitglieder des Leitungsgremiums der O5 werden signifikanterweise jedoch mit keinem Wort mehr erwähnt. Sie nicht zu würdigen erspart sichtlich Begründungen, weshalb sie au- ßerhalb von Expertenkreisen trotz ihrer exponierten Funktionen unbe- kannt blieben. Gerade um sie geht es aber in diesen Recherchen, eben weil sie für tendenziell anonyme Kräfte jeder Zivilgesellschaft exempla- risch sind: der O5-Initiator Hans Becker (1895–1948), sein Stellvertreter Raoul Bumballa (1895–1947) sowie Viktor Müllner (1902–1988), Emil Oswald (1897–1964), Georg Fraser (1893–1964), Eduard Seitz (1874– 1950), Hermine Hrdlicka (Daten ?) und zuletzt Franz Sobek (1903– 1975).3 Auch am Palais Auersperg, Stützpunkt dieses Siebener-Aus- schusses der O5 nahe dem Parlament während der Kämpfe um Wien im April 1945, wird nur an „Österreichische Patrioten“ erinnert, um parteipolitisch nutzbare Zuordnungen zu vermeiden. Dabei war alles Subversive mit hohem Risiko verbunden, wurden doch konspirative

3 Otto Molden: Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938–1945, Wien 1958, S. 206 ff. | Radomir Luža: Der Widerstand in Österreich 1938–1945, Wien 1983, S. 190 f. | Fritz Molden: Die Feuer in der Nacht. Opfer und Sinn des österreichischen Widerstandes 1938–1945, Wien 1988, S. 135 ff...... 17 Treffen, Flugzettel, Anzeichen von Sabotage, Hilfe für Untergetauchte, weiße Fahnen und noch so geringe Vergehen radikal geahndet. „Fast je- der Tagesbericht der Geheimen Staatspolizei in Wien“, heißt es im TV- Kommentar zu den letzten Phasen, „meldet Sabotageakte in Fabriken und an Rüstungsgütern. Lastkraftwagen, Panzer, Flugzeuge wurden unbrauchbar gemacht. Hunderte Verdächtige werden verhaftet und vor die Volksgerichte gestellt“, beschuldigt der Vorbereitung zum Hochver- rat oder der Wehrkraftzersetzung. „An der Spitze des Widerstands: Kommunisten, Marxisten, gefolgt von Legitimisten und Bürgerlichen und dem religiösen Widerstand, vor allem der Zeugen Jehovas, die gna- denlos verfolgt werden.“ Erkenntnisse der Zeitgeschichtsforschung widerlegen längst eine solche Schulbuch-Idealisierung, was umso deutlicher wird, wenn die vielfach widersprüchlichen Darstellungen verglichen werden. Denn so- fern es überhaupt zu aktivem oder passivem Widerstand kam, war er „je nach sozialen Milieus getrennt“, so Gerhard Botz; „seine weitgehen- de Wirkungslosigkeit“ sei vor allem auf die anhaltende „Regimeakzep- tanz“ zurückzuführen. „Daher gab es auch keinen einheitlichen oder ganz spezifisch ‚österreichischen’ Widerstand; am ehesten noch in Wien.“4 Sein Fachkollege Gerhard Jagschitz konstatiert in seiner präg- nanten Zusammenfassung „Im Koalitionsnebel: Parteien und Demo- kratie am Beginn der Zweiten Republik“: „Vieles ist tabuisiert oder in Vergessenheit geraten.“ Wegen in den Emigrantenkreisen in London und New York fortwirkender Konflikte kam selbst im sicheren Ausland keine hinreichend geschlossene Abwehrfront zustande. „Exilregierung gab es keine“, so Jagschitz zu diesem Scheitern. „Spätere Versuche, mächtige Widerstandsbewegungen zu schildern, die sich als Flüsse zum Strom der erneuerten Republik verbanden oder das Bild vermitteln, der Kern der Regierungszusammenarbeit habe sich schon in der Kriegszeit gebildet, gehören in das Reich der Fabel. Wohl aber reklamierten die Parteien – ebenso wie die katholische Amtskirche – die ihnen weltan- schaulich nahestehenden losen, autonomen Widerstandsgruppen nach dem Krieg einfach als organisierten Parteiwiderstand für sich.“5

4 Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssi- cherung, Radikalisierung 1938/39, Wien 2008, S. 619. 5 Gerhard Jagschitz: Im Koalitionsnebel: Parteien und Demokratie am Beginn der Zweiten Republik, in: Peter Böhmer: Wer konnte, griff zu. „Arisierte“ Güter und NS-Vermögen im Krauland-Ministerium (1945–1949), Wien 1999, S. ix ff...... 18 Oppositionelle Initiativen gab es zwar von Anfang an, nur wurden sie von der rasch zerschlagen. Eine Reihe katholisch-konser- vativer Aktivisten wurde hingerichtet, so der Augustiner-Chorherr Ro- man Karl Scholz, die Juristen Jacob Kastelic und Karl Lederer oder die Ordensschwester Maria Restituta Kafka. Ein kommunistischer Wider- stand, den etwa der Architekt Herbert Eichholzer mit dem Leben be- zahlte und der seine Mitkämpferin Margarete Schütte-Lihotzky ins Frauenzuchthaus Aichach brachte6, musste nach den Verfolgungen ab 1934 erst neue Verbindungen aufbauen und war vom August 1939 bis zum Juni 1941 vom Hitler- Stalin-Pakt paralysiert. Erst dem Kriegsen- de zu intensivierte sich der Widerstand wieder. Wegen höchst wider- sprüchlicher Einstellungen zu antifaschistischen Haltungen ergab sich in Österreich konträr zu anderen Ländern keine in der Gesellschaft ri- tualisiert verankerte Symbolkraft, um die Opfer am Beispiel bestimm- ter Personen bewusst zu halten – wie Anne Frank, Sophie Scholl, Claus Schenk von Stauffenberg, Jean Moulin, Soja Kosmodemjanska- ja oder Raoul Wallenberg. Es dauerte auch Jahre, bis Franz Jägerstätter als unbeirrbarer Wehrdienstverweigerer gewürdigt wurde. Das Deser- teur-Denkmal von Olaf Nicolai beim Bundeskanzleramt gibt es erst seit 2014, ausgerechnet in einer seither bestehenden Ausnehmung des Volksgartens für ein Dollfuß-Monument gegenüber dem dann nicht mehr realisierten Haus der Vaterländischen Front. Von den hundert wegen ihrer Hilfe für Juden in Israel als „Gerechte unter den Völkern“ geehrten Menschen aus Österreich weiß kaum jemand.7 Der Opportunismus eines angeblich zuletzt weit stärker als sonst im Deutschen Reich pulsierenden Widerstandsgeistes wird in der TV- Serie nur indirekt erkennbar, wenn etwa Karl Gruber ohne jeden sonst so betonten O5-Bezug zur Befreiung Innsbrucks noch vor Eintreffen der US-Armee lakonisch feststellt (Film-Insert: Widerstand Tirol/Au- ßenminister): „Dann habe ich den ersten Aufruf durchgegeben. Da ha- ben sich Tausende gemeldet, mit der Waffe, um in die Widerstandsbe- wegung einzutreten. Die Hälfte waren wahrscheinlich Nazis, das war ja wurscht. Die Armbinden mit der Aufschrift ‚Österreichische Wider- standsbewegung’ haben wir zu Tausenden ausgegeben.“ Johannes Eid- litz, Sohn der Burgschauspielerin Alma Seidler (Insert: O5-Widerstand,

6 Margarete Schütte-Lihotzky: Erinnerungen aus dem Widerstand 1938–1945, Wien 1985. 7 Wikipedia: Liste der Gerechten unter den Völkern...... 19 ÖVP), berichtet von der ÖVP-Gründung durch „frühere Funktionäre der Christlichsozialen Partei, einige aus der Widerstandsbewegung O5“. Er gehörte zur „militanten zivilen Gruppe“, die sich als „ein eige- ner Zentralrat der O5“ verstand, sich aber dann dem Siebener-Aus- schuss unterstellte.8 Der populär werdende Schauspieler Fritz Eckhardt war in einer „Dienststelle der Widerstandsbewegung O5 mit Polizei- aufgaben“ tätig (Insert: O5, Polizeilicher Hilfsdienst). Von sozialisti- schen Jugendgruppen berichtet Pauline Hrdlitschka, dass sie als Zei- chen, „dass es einen Widerstand gibt, dass nicht alle einverstanden sind mit Hitler“, notierte BBC-Nachrichten an Soldaten versandten, „abge- stellte Wehrmachtsautos, die an die Front sollten“, in Brand setzten und Telefonhütten sprengten. Wenn Helli Neuhaus (Insert: Zeitzeu- gin/Widerstand) erzählt, wie in Ottakring während der letzten Kämp- fe Soldaten zur Desertion überredet wurden, bleibt jedoch unerwähnt, dass sie einer kommunistischen Zelle angehörte, weil das nach wie vor irritieren könnte. Auch die porträtierten, Befehle verweigernden Offi- ziere Otto Scholik, Werner Heine und Gerhard Klinkicht, der die we- gen einer weißen Fahne befohlene Beschießung des Stephansdoms ab- lehnte, handelten nicht als Teil einer Widerstandsbewegung. Bei den präsentierten Hauptakteuren Fritz Molden, Karl Gruber und Ludwig Steiner, damals in Tirol, sowie Johannes Eidlitz, Carl Szokoll oder Fer- dinand Käs in Wien war der O5-Bezug sehr lose. Als prominentester und letzter überlebender O5-Aktivist kommt in der TV-Serie der kürzlich verstorbene Fritz Molden (1924–2014) zu Wort (Insert: O5 Widerstand), obwohl seine wagemutigen Reisen zu alliierten Stellen weitgehend unabhängig von der Wiener O5-Leitung erfolgten. Als Repräsentant unbeirrbarer Untergrundarbeit wurde er – als medial über Jahre präsenteste Stimme des Widerstands – zum öster- reichischen Prototyp einer bürgerlich-widerständigen Haltung, wie sie viel verbreiteter hätte sein müssen, eben weil sich bei ihm und seinem Bruder viele Widersprüche ihrer eigenen Angaben und zu jenen von Zeitzeugen ergeben. Wegen der medialen Dominanz ihrer Versionen fanden kritische Sichtweisen darauf die längste Zeit kaum Beachtung. Resümierend aufgeklärt wurden sie nie. Vieles blieb erzählerisch vage. Das Zeichen O5 steht, wie inzwischen allgemein geläufig, als Symbol des Widerstands für OEsterreich (O und E, 5. Buchstabe im Alphabet, oder einfach für „Österreich 1945“), was jedoch dessen Viel-

8 Radomir Luža: Der Widerstand in Österreich 1938–1945, a.a.O., S. 248...... 20 Hans Becker: Anfänge der O  | Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, ein politischer Nonkonformist . Siehe Fußnote . falt und geringe Wirksamkeit verfälscht. Laut Fritz Molden hatte das O5-Zeichen Jörg Untereiner, später Professor für Orthopädie an der Universität Gijon, „in einem Gespräch mit Becker erstmals geprägt“ und „unter anderem auch am Stephansdom zu Wien eingeritzt“. Dort jedoch habe es Nikolaus Maasburg mit Kreide angebracht, so dessen von Hellmut Butterweck überlieferte Angabe.9 Als zeitgeschichtliche Sgraffito-Ikone wird es sorgsam bewahrt. Auch an der Votivkirche wurde es rechts vom Haupteingang nachträglich eingraviert, sichtlich um die Beteiligung patriotischer Katholiken präsent zu halten. Solche belanglosen Abweichungen bekommen Gewicht, weil da- mit auch wichtige Daten der diversen Erzählungen infrage gestellt wer- den. Denn dem O5-Initiator Hans Becker zufolge, der im März 1941 aus dem KZ Mauthausen freigekommen war, habe die von ihm aufge-

9 Fritz Molden: Die Feuer in der Nacht, a.a.O., S. 113 | Hellmut Butterweck in: Robert Neumüller: Der Wiener Stephansdom. Die Wiedergeburt eines Wahrzei- chens, Dokumentarfilm, ORF III, 2015...... 21 baute, schließlich O5 genannte Untergrundorganisation bereits ab Ju- ni 1941 die späteren Siebener-Ausschuss-Mitglieder, also ihn selbst, Bumballa, Müllner, Oswald, Fraser und Seitz, sowie ein weitgespann- tes Kontaktnetz umfasst, wie seine nach 1945 angefertigte Organisati- onsskizze zeigt, die der Historiker Oliver Rathkolb in seiner O5-Studie von 1985 präsentiert. „Erst im Februar 1945“, so dessen Recherchen, „tauchte der Tarnname O5 auf“ und wurde von „westösterreichischen Widerstandsbewegungen“ rasch übernommen, „ohne ständigen Kon- takt zu haben“.10 Otto Molden (1918–2002), der Gründer des Europäischen Forums Alpbach, hat 1958 in seinem Buch „Der Ruf des Gewissens. Der öster- reichische Freiheitskampf 1938–1945“ konträr dazu angegeben, dass bereits ab April 1944 – ein Jahr davor – in Innsbruck Flugblätter „mit dem Aufdruck ‚O5 – Freiheit – Österreich’“ verbreitet worden seien und sein Bruder dort ab September 1944 „eine Gruppe der O5“ auf- baute.11 Nicht nur wegen solcher unterschiedlichen Versionen ist of- fensichtlich, dass mit der O5-Symbolik im Nachhinein eine staatspo- litisch nutzbare Gemeinsamkeit unterstellt wird. Zwar konstituierte sich im November 1944 der Siebener-Ausschuss der O5 als Leitungs- instanz, viel gewichtiger jedoch sei, so Otto Molden, das dann am 18. Dezember gegründete Provisorische Österreichische Nationalkomitee POEN mit seinem als Kurier fungierenden 20-jährigen Bruder Fritz Molden gewesen. Es sollte „als Beginn einer Untergrundregierung die geistig-politische Leitung sowie die Vertretung der O5 nach außen übernehmen“. 12 Für den O5-Gründer Hans Becker hingegen handel- te es sich dabei bloß um eine der damaligen Gruppen, die „sich später POEN nannte und dann Anschluß an den Westen fand“, während die O5 in Wien völlig selbstständig blieb.13 Diese deutliche Distanzierung verweist auf weitere Widersprüche, denn Becker habe, so Fritz Molden, die O5 im POEN gemeinsam mit

10 Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, ein politischer Nonkonformist 1945. Fallstu- die zur Funktion der O5 im Widerstand und in der Parteienrestauration, in: Rudolf G. Ardelt, Wolfgang J. Huber, Anton Staudinger (Hg.): Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl. Zum 60. Geburtstag, Wien – Salzburg 1985, S. 299. 11 Otto Molden: Der Ruf des Gewissens, a.a.O., S. 176, 303. 12 Otto Molden: Der Ruf des Gewissens, a.a.O., S. 177, 181 ff. 13 Hans Becker: Österreichs Freiheitskampf. Die Widerstandsbewegung in ihrer historischen Bedeutung, Wien 1946, S. 14...... 22 Alfons Stillfried vertreten, die ihm Auslandsaufträge erteilten. Weitere Mitglieder waren sein Vater Ernst Molden, Heinrich Otto Spitz, Alf- red Verdroß-Droßberg und Josef Etzdorf. Aktiv werden konnte dieses Komitee jedoch nicht mehr, da von Jänner bis März 1945 „fast alle Mitglieder des Exekutivausschusses des POEN“ verhaftet wurden (Molden, Etzdorf, Stillfried, Becker). 14 Aber Kontakte zur Linken sei- en über Adolf Schärf (1890–1965) und Viktor Matejka (1901–1993) „angebahnt“ gewesen, so Otto Molden, während sie Fritz Molden Mitglieder nennt und stets darauf beharrte, dass trotz personeller Über- schneidungen – mit ausufernder, dem Widerstand zurechenbarer Na- mensvielfalt – nicht der O5, sondern dem POEN als „der einzigen al- le demokratischen politischen Gruppen und Parteien umfassenden ge- samtösterreichischen Dachorganisation des österreichischen Wider- stands“ die Schlüsselrolle zukam, da die O5 „politisch dem POEN un- terstellt“ gewesen sei.15 Noch in aktuellen Darstellungen Fritz Moldens singulärer Widerstandsfunktion heißt es, dass das POEN – etwas an- ders zusammengesetzt als sonst genannt, aber mit Schärf und Matej- ka – auf Anraten von Charles de Gaulle im Biedermeierhaus von Heinrich Otto Spitz an der Brigittenauer Lände 200 entstand, der, hätte er überlebt, über den Wirtschaftsbund eine Figur wie der späte- re Bundeskanzler Julius Raab (1891–1964) geworden wäre. 16 Schärf und Matejka waren jedoch nie in der O5 und bestritten stets, dem POEN angehört zu haben, wie Wolfgang Neugebauer in „Der österreichische Widerstand 1938–1945“ von 2015 festhält und konstatiert, dass Otto Molden – dem Radomir Luža weitgehend folg- te – „die Größe und Stärke des österreichischen Widerstandes aus tak- tischen Gründen maßlos übertrieb“, weil die US-Amerikaner darauf früh positiv reagiert hatten. Jedenfalls könne die O5 „nicht als die ös- terreichische Widerstandsbewegung angesehen werden“.17

14 Fritz Molden in: Universität Salzburg, ORF Landesstudio Salzburg (Hg.): Zeit- zeugen. Wege zur Zweiten Republik, Wien 1987, S. 270 | Fritz Molden: Fepo- linski & Waschlapski auf dem berstenden Stern (1976), München 1991, S. 297. 15 Otto Molden: Der Ruf des Gewissens, a.a.O., S. 177 | Fritz Molden: Fepolinski & Waschlapski, a.a.O., S. 256 f. | Fritz Molden: Die Feuer in der Nacht, a.a.O., S. 139 f., 141, 149. 16 Hans Werner Scheidl: 1944: Ein Presse-Journalist im Widerstand, Die Presse, Wien, 27. 12. 2014. 17 Wolfgang Neugebauer: Der österreichische Widerstand 1938–1945, Wien 2015, S. 263 ff...... 23 Dass viele solcher Widersprüche über Jahre unaufgeklärt blieben, war mir immer wieder aufgefallen, etwa bei Recherchen über die Ret- tung der im Salzbergwerk Altaussee eingelagerten, von Sprengung be- drohten Kunstschätze. Denn dazu kursierten lange übertriebene und durch Plagiat-Passagen unglaubwürdige Widerstandsversionen von Sepp Plieseis und Albrecht Gaiswinkler, bevor sich die Ansicht durch- setzte, es habe sich um Initiativen der Betriebsangehörigen gehandelt.18 Trotz der Betonung des POEN hat Otto Molden in seinem Buch zum Widerstand der O5 eine Schlüsselrolle zugewiesen. Denn es seien eindeutig die „konservativen und liberalen Kreise“ um Becker und Bum balla gemeinsam mit Müllner, Oswald, Fraser, Seitz und Hrdlic- ka gewesen, die es schafften, „ein alle bedeutenden politischen Rich- tungen umfassendes Komitee“ zu bilden, das „in den Apriltagen des Kampfes um Wien unter dem Namen ‚Siebener-Ausschuss’ die politi- sche Führung der Widerstandsbewegung“ übernahm. Hervorgehoben hat er vor allem die „aktivistischen Eliten“, sei es „bei den Sozialisten und rechtsgerichteten, ebenso wie bei den liberalen und parteilosen Bevölkerungsgruppen“. Nur sechs Seiten sind der „kommunistischen Résistance“ gewidmet, weil das „eine so kleine Gruppe“ und die KP in Österreich stets eine bloße Randerscheinung war.19 Auch Fritz Molden, der nach 1945 wie Kurt Waldheim kurz Au- ßenminister Grubers Sekretär gewesen und eine Zeit mit Joan Dulles verheiratet war, der Tochter des US-Geheimdienstchefs Allen Dulles, Bruder des späteren Außenministers, würdigte Beckers Schlüsselrolle, da dieser bis zum Herbst 1942 als Basis der O5 „ein ziemlich komplet- tes Netz über ganz Österreich“ gezogen hatte. Denn die erst nach dem Krieg wieder vereinigten Sozialdemokraten und Revolutionären Sozi- alisten „lehnten damals die Untergrundarbeit grundsätzlich ab“, da sie 1938 beschlossen hatten, „von jeder Widerstandstätigkeit Abstand zu nehmen und weitere Entwicklungen abzuwarten“. Bis zur Moskauer

18 Christian Reder: Im Salzbergwerk. Zeitgeschichte – ein Beitrag zum Abbau von taubem Gestein (zur Rettung dort eingelagerter Kunstwerke 1945), Falter, Wien, Nr. 1/1985. Nachdruck in: Hans Michael Roither (Hg.): Ausseer Beiträ- ge zur Zeit- und Kulturgeschichte, Steirisches Institut für Zeitgeschichte Bad Aussee, Bad Aussee 1985 | Sepp Plieseis, Vom Ebro zum Dachstein. Lebens- kampf eines österreichischen Arbeiters, Linz 1946, S. 270 | Albrecht Gaiswink- ler: Sprung in die Freiheit, Salzburg 1947, S. 163 (fast gleichlautende Plagiat- Stellen). 19 Otto Molden: Der Ruf des Gewissens, a.a.O., S. 162, 206...... 24 Otto Molden: Fritz Molden: Radomir Luža: Fritz Molden: Der Ruf des Gewis- Fepolinski & Der Widerstand in Die Feuer in der Nacht. sens. Der österreichi- Waschlapski auf dem Österreich –, Opfer und Sinn des sche Freiheitskampf berstenden Stern. Wien  österreichischen –, Wien  Bericht einer Widerstandes unruhigen Jugend –, Wien  (), München 

Deklaration über das Wiedererstehen Österreichs vom November 1943 hätten sie sich überwiegend „einer großdeutschen Haltung verschrie- ben“, weil das trotz allem revolutionäre, sozialistisch gestaltbare Per- spektiven aussichtsreicher machte. Zudem waren viele ihrer Aktivisten im Exil, im KZ oder wegen alter Akten polizeibekannt. „Daher war die Alternative für alle Linken die Widerstandstätigkeit in der KPÖ“, aber auch „in nichtsozialistischen Widerstandsgruppen“ gab es „eine große Menge von Sozialisten aller Schattierungen“, wie Fritz Molden konträr zu Publikationen des Dokumentationsarchivs des österreichi- schen Widerstandes (DÖW) konstatiert, die den Beitrag der Arbeiter- bewegung zuordenbarer Personen meist besonders hervorheben.20 Aber auch im DÖW machten sich Gruppeninteressen und eine „Koalitionsgeschichtsschreibung“ bemerkbar, da es „in seiner perso- nellen Leitungsstruktur und seinen Tätigkeitsfeldern die Ausgangs- konstellation der Zweiten Republik“ widerspiegelte, so Gerhard Botz. Obwohl es wegen seiner offensiven Aufklärungsarbeit in einer „Rand- stellung“ verblieb, wurde es „zum überragenden Zentrum aller politi- schen und wissenschaftlichen Beschäftigung mit der nazistischen Ver- gangenheit und ihrer Nachwirkungen in die österreichische Ge gen-

20 Fritz Molden: Die Feuer in der Nacht, a.a.O., S. 78, 81, 82, 110 ...... 25 wart“.21 Wie taktierend mit Versionen der Widerstandsgeschichte um- gegangen wurde, um Klarstellungen zu vermeiden, zeigt sich jedoch etwa in der 1934 ansetzenden DÖW-Reihe „Widerstand und Verfol- gung in Wien 1934–1945“ und anderen Bundesländern, die detailreich die verschiedensten Gruppen behandelt. Darin wird zwar konform zu dominierenden Darstellungen festgehalten, dass sich die O5 „zur größ- ten und einflußreichsten Widerstandsgruppe der Befreiungszeit“ ent- wickelte, dazu jedoch nur distanzierend-knapp und ohne kritisch da- rauf einzugehen auf das „Werk von Otto Molden“ verwiesen, weil da- rüber „mit Ausnahme der beiden wiedergegebenen Flugblätter keine Dokumente aus der NS-Zeit“ vorliegen. Erwähnt wird, dass die in der Schweiz gedruckte illegale Arbeiter-Zeitung Nr. 1/1945 „zur Unterstüt- zung der O5“ aufrief und dass es daneben das POEN von „Katholisch- Konservativen“ mit Kontakten „zu den Sozialisten und zu den Kom- munisten“ gegeben habe.22 Obwohl er „die kommunistischen Kader und die sozialistische Basis“ ausführlich behandelt, hat auch Radomir Luža (1922–2009) betont, dass sich Sozialisten „am Widerstand nur wenig beteiligten“; erst „zuletzt war man sich darüber einig, dass die Sozialisten POEN und O5 unterstützen sollten“.23 Nach seinen Jugenderinnerungen „Fepolinski & Waschlapski auf dem berstenden Stern“ von 1976 hat Fritz Molden in „Die Feuer in der Nacht“ nochmals vehement, wenn auch in Einzelheiten stark variie- rend, die Bedeutung des Widerstands betont, um den durch die Wald- heim-Krise beschädigten Ruf des Landes als „Paria-Nation“ und „Kern- land verstockter Nazibestien“ zu retten, als zornige Gegenposition zum analytischen Kontra-Patriotismus permanent als unerwünsch te Linke abgestempelter unangepasster Teile der Zivilgesellschaft und da- mit auch zur Literatur und zu den Kommentaren von Thomas Bern- hard, Elfriede Jelinek, Peter Handke, Gerhard Roth, Franz Schuh, Ro- bert Menasse oder Peter Rosei. Manche Mitglieder der O5-Leitung er- wähnt auch er, hält aber wie sein Bruder das POEN für wichtiger, weil es eine Provisorische Regierung hätte bilden sollen. Als Söhne von Paula Molden-Preradović (1887–1951), die den Text der neuen Bundeshymne verfasste, und von Ernst Molden (1886– 1953), dem langjährigen Chefredakteur der Neuen Freien Presse, aus der

21 Gerhard Botz in: Kontroversen, a.a.O., S. 26, 456 f. 22 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945 (1975), Wien 1984, Band 2, S. 436. 23 Radomir Luža: Der Widerstand in Österreich 1938–1945, a.a.O., S. 249...... 26 Die Presse wurde (Untertitel „seit 1848“), das erst zögernd etwas libera- ler werdende österreichische Zentralorgan bürgerlicher Selbststilisie- rung, stammten Otto und Fritz Molden aus einer liberal-konservati- ven pro-österreichischen Familie, die als Nazi-Gegner ständigem Ge- stapo-Druck ausgesetzt war. Eltern und Söhne kamen zeitweilig in Haft. Als Ausgleich der krassen Defizite eines als bürgerlich geltenden Widerstands waren ihre Berichte sehr willkommen, vor allem die oft launigen Erzählungen Fritz Moldens in seinen beiden Büchern dazu oder in einem ORF-TV-Porträt von 2006. Demnach war er, nach ka- tholischen Protesten auf dem Stephansplatz, Flugzetteln gegen Hitlers „Verrat an Südtirol“ und Einsatz in einem Strafbataillon in den Pripjet- sümpfen, schließlich wegen der drohenden Verhaftung in Italien zu den Partisanen desertiert, die ihm Übergänge in die Schweiz organi- sierten, wo er mit dem schweizerischen, dem französischen und dem US-Geheimdienst kooperierte. Ständig die Identität wechselnd, wur- de er zur Auslandsverbindung des Widerstands und von Frankreich aus zu dessen Verbindungsoffizier im US-Hauptquartier Caserta bei Neapel. Hilfreich waren das Résistance-Mitglied Ernst Lemberger (1906–1974) in Paris und Kurt Grimm (1903–1984) in Zürich als Aus- landsvertreter des Widerstands. Fritz Moldens mehrmalige Rückkehr erfolgte teils per Fallschirm, wie er angab. Funkgeräte wurden gelie- fert. Im befreiten Paris habe er – nach der Zusage Schärfs ihm gegen- über im Februar – bereits im März 1945 den Alliierten mit Dokumen- ten belegen können, dass „endlich auch die Sozialdemokraten wie Schärf und die Kommunisten, nämlich Matejka, dem O5 beigetreten sind und das Provisorische Österreichische Nationalkomitee gegrün- det haben“, sich also „die Parteien geeinigt hatten“. Das habe solchen Eindruck gemacht, dass Stalin Generalmajor Ivan Susloparovs aus Pa- ris einlangenden Bericht darüber „am selben Abend bei sich am Tisch liegen“ hatte und den Befehl gab: „Suchts mir den Renner“, denn man müsse schnell „eine gemeinsame Regierung bilden, in der auch die Kommunisten dabei sind“. „Damit war eigentlich mein minimaler Beitrag zu diesem Krieg zu Ende“, so Fritz Molden.24 Von all dem ist in den publizierten Erinnerungen von Becker, Schärf, Fischer, Weinberger oder Matejka nirgends die Rede, da solche

24 Fritz Molden: Lebenswege – Portrait eines Widerstandskämpfers, Verlegers und Familienmenschen, von Peter Dusek und Georg Madeja, 2006: ORF III, 18. 1. 2014 | Fritz Molden: Fepolinski & Waschlapski, a.a.O., S. 188 ff., 293...... 27 Koalitionsgespräche ohne Kontakte mit Molden oder POEN-Vertre- tern erst nach der Befreiung Wiens im April 1945 stattfanden. In sei- nem wie das von Schärf 1948 erschienenen Zeitzeugenbuch „Tatsa- chen, Begegnungen und Gespräche“ berichtet der ÖVP-Mitbegrün- der und Vizebürgermeister Wiens Lois Weinberger (1902–1961), dass zwar der vorsichtige Adolf Schärf „nur sehr zögernd“ auf den ersten Besuch von Felix Hurdes (1901–1974) während der letzten Kriegspha- sen reagierte, sie aber einander zusagten, „sich im Auge und in Sicht zu behalten und die Verbindung, sobald notwendig und möglich, wie- der aufzunehmen und zu pflegen“. Schließlich wurde im April 1945 in Schärfs Kanzlei in der Skodagasse 1 – die er, symbolisch für Österreichs Neuanfang, vom emigrierten Anwalt Arnold Eisler „arisiert“ hatte25 – mit Hurdes und Weinberger „praktisch die erste Koalition im neuen Österreich begründet“, während Fritz Molden angibt, eine solche Ei- nigung bereits im März den Alliierten in Paris – als mit Schärf, Matej- ka, POEN und O5 abgestimmt – mit Dokumenten belegt zu haben. Konträr dazu heißt es bei Weinberger: Da die „aus den ehemaligen So- zialdemokraten und den sogenannten ‚Revolutionären Sozialisten’ ge- bildete ‚Sozialistische Partei Österreichs’ gar nicht daran dachte, ein gemeinsames politisches Sammelsurium im Zeichen der O5 oder un- ter einem sonstigen Vorzeichen anzuerkennen“, erwartete Schärf „das gleiche auch von uns“. Man einigte sich, dass „unsere zwei Parteien künftighin wenigstens in der ersten und schwierigsten Zeit gemeinsam arbeiten sollten“.26 Auch der erste SPÖ-Vorsitzende und spätere Bun- despräsident Schärf ging davon aus, dass in den Widerstandsgruppen „nur so viel Einfluß steckte, als ihnen die Parteien, vor allem unsere Partei, zuerkennen wollten“, und die SPÖ „nicht als Bestandteil der Widerstandsbewegung“ auftreten werde. 27 Unklar bleibt, ob Stalin Karl Renner (1870–1950) für eine rasch einzusetzende nationale Regierung tatsächlich suchen ließ oder ob Renners Besuch im sowjetischen Armeekommando in Hochwolkers- dorf nahe seinem Wohnort Gloggnitz Anfang April ausschlaggebend war, von wo er seinen anbiedernden, um ein gutes Klima bemühten Brief an Stalin richtete, in der Annahme, dass „man ihn wieder brau-

25 Tina Walzer, Stephan Templ: Unser Wien, „Arisierung“ auf österreichisch, Ber- lin 2001, S. 53 f., 199 f. 26 Lois Weinberger: Tatsachen, Begegnungen und Gespräche. Ein Buch um Ös- terreich, Wien 1948, S. 103, 104, 248. 27 Adolf Schärf: April 1945 in Wien, Wien 1948, S. 95...... 28 Hans Becker: Adolf Schärf: Lois Weinberger: Viktor Matejka: Österreichs Freiheits- April  in Wien, Tatsachen, Begegnun- Widerstand ist alles. kampf, Wien  Wien  gen und Gespräche. Ein Notizen eines Buch um Österreich, Unorthodoxen, Wien  Wien  chen würde“, weil „die Zukunft des Landes dem Sozialismus gehört“.28 Wegen seines „“-Ja hatte kaum wer mit Renner gerechnet, aber wie 1918 wurde er auch 1945 Österreichs erster Regierungschef. Für Weinberger war „der Zufall“ seines Aufenthalts ausschlaggebend.29 Die „Österreicher im KZ Dachau“, so Matejka, wollten „ Renner nie wieder aufkommen“ lassen und auch Kardinal Innitzer wegen dessen „Anschluss“-Werbung ablehnen.30 In der neuen TV-Serie sagt Fritz Molden zu diesen Vorgängen rela- tivierend, nun nicht mehr seinen Beitrag zur Propagierung einer provi- sorischen Koalitionsregierung, sondern zum militärischen Widerstand betonend: „Ich habe mich daher bemüht, ab dem Sommer ’44 zuerst mal den Kontakt zu den Alliierten aufzubauen, das ist mir teils in der Schweiz gelungen, dann später in Süditalien und in Frankreich. Ich musste gleichzeitig versuchen, in Österreich die verschiedenen zersplit- terten Gruppen zusammenzubringen. Die stärkste Gruppe war die Gruppe, die sich O5 nannte, also die militärische Gruppe.“ Damit meinte er also nicht mehr die Kreise um Hans Becker, sondern Major Carl Szokoll (1915–2004), der – neben kommunistischen Partisanenein- sätzen im Raum Koralpe, in slowenischen Gebieten und Einzelaktionen in den Alpen – in Wien den militärischen Widerstand koordinierte.

28 Manfried Rauchensteiner: Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Wien 1985, S. 66 f. | Kanzler gesucht, Die Presse, Wien, 21. März 2015. 29 Lois Weinberger: Tatsachen, Begegnungen und Gespräche, a.a.O., S. 251. 30 Viktor Matejka: Widerstand ist alles. Notizen eines Unorthodoxen, Wien 1984, S. 148, 157...... 29 Sein Kommentar: Er habe damals „an etwa vierzehn der Unterführer des zivilen und militärischen Widerstandes“ seine dann verratenen An- ordnungen weitergegeben, obwohl er nur lose mit der O5 in Kontakt war (Insert: Major im Widerstand). Bereits im Zuge des Stauffenberg- Attentats vom 20. Juli 1944 hatte er Maßnahmen setzen können; der in Berlin beteiligte Österreicher Oberstleutnant Robert Bernardis wurde hingerichtet. Mit dem früheren Leipziger Oberbürgermeister Carl Goer deler und dem Sozialdemokraten Wilhelm Leuschner, die Reichs- kanzler und Vizekanzler werden sollten und ebenfalls hingerichtet wur- den, war es damals in Wien zu konspirativen Gesprächen mit Hurdes, Weinberger und Schärf gekommen, die deutlich machten, dass konträr zu den teils weit rechts stehenden, keineswegs demokratischen deut- schen Verschwörern Österreich nach Hitler nicht mehr zum damals noch möglich scheinenden Großdeutschen Reich gehören sollte. Kurz vor den Kämpfen um Wien gelangen den Wehrmachtssol- daten Ferdinand Käs und Johann Reif mit Szokolls fingierten Marsch- befehlen Kontakte zur Roten Armee, um die Übergabe der Stadt im Zuge eines Aufstandes zu erreichen, was ebenfalls Fritz Molden mit den Sowjetstellen in Paris durch verabredete Funkkontakte „eingefä- delt“ habe. Szokoll erwähnt das nirgends, hatte er doch erst sehr spät überhaupt vom POEN und der O5 erfahren. Kontakte mit dieser „stärksten zivilen Widerstandsgruppe“, so Carl Szokoll, gab es erst seit März 1945. Trotz allen Scheiterns stilisierte er sich dann selbst stets zum „Retter Wiens“, so der Titel seines Buchs dazu. Fritz Molden, in dessen Verlag es erschien, war für ihn entgegen aller Behauptungen „ein Einzelkämpfer“, dem vor allem „die Anerkennung der österreichi- schen Widerstandsbewegung“ beim US-Geheimdienst gelungen war.31 Als diese finalen Konspirationsversuche verraten wurden, wurden Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf Raschke in Floridsdorf gehängt und mit Pappschildern geäch- tet, auf denen stand: „Ich habe mit den Bolschewiken paktiert“ – weil jede Erinnerung an den Hitler- Stalin-Pakt ausgelöscht war. Die Fotos davon sind exemplarisch-grausame Dokumente noch aktiv geworde- nen Widerstandes. Im Kriegstagebuch der heißt es zu die- sem 8. April 1945: „Die Wiener Bahnhöfe werden umkämpft. Ein Teil

31 Hans Werner Scheidl: Widerstand, a.a.O., Die Presse, Wien, 27. 12. 2014 | Fritz Molden: Fepolinski & Waschlapski, a.a.O., S. 303 f. | Carl Szokoll: Die Rettung Wiens 1945. Mein Leben, mein Anteil an der Verschwörung gegen Hitler und der Befreiung Österreichs, Wien 2001, S. 288, 301 ff., 310 ff., 374...... 30 der Wiener Bevölkerung hat seine Haltung verloren.“ Für Goebbels bestätigte sich, dass sie „ein widerwärtiges Pack“ war, „aus einer Mi- schung zwischen Polen, Tschechen, Juden und Deutschen“.32 In den Tagen danach wurde der denunzierte POEN-Mitgründer Heinrich Otto Spitz am Donaukanal von SS-Einheiten erschossen und unweit davon eine Gruppe im letzten Moment in der Förstergasse verratener Juden.

OPPOSITIONSKRÄFTE UND OPFER. Oliver Rathkolb hat bereits in seiner Studie von 1985 zur O5 klargestellt, dass es diese „eigentlich als Einheit nicht gab“, sie „eher eine ideologische Überorganisation“ war, „keine Organisation im eigentlichen Sinn des Wortes“, und dass von einem „eher als bescheiden“ zu bezeichnenden „Beitrag der O5 zur Befreiung vom Nationalsozialismus“ auszugehen sei, die vor allem durch „eine einheitliche Propagandawirkung“ bis hin zu ausländi- schen Sendern bekannt geworden war. Dennoch sei unbestreitbar, dass es damit „eine politische Kraft gab, die seit 1944 intensiv gegen das nationalsozialistische Regime konspiriert hatte, und über einen Apparat verfügte, der zumindest in Wien die Verwaltung nach der Be- freiung neu hätte wiederaufnehmen können“, was den „Mut und das Risiko der einzelnen Aktivisten“ evident mache. Sowjeteinheiten wur- den von O5-Meldegängern ins Stadtzentrum geführt, und konkret wurde verhindert, dass es im Allgemeinen Krankenhaus, wo der Chi- rurg Leopold Schönbauer hilfreich war, und in der Hofburg noch zur „Errichtung von Widerstandsnestern gegen die Rote Armee“ kam.33 Auch die DÖW-Historikerin Brigitte Bailer konstatiert „eine im Lich- te der Ergebnisse der Widerstandsforschung unpassende Überbewer- tung der O5“, wenn damit unterstellt werde, „dass es eine einzige, um- fassende Widerstandsbewegung überhaupt gegeben habe“.34 Überbe- werten lässt sich jedoch nur die politische Gewichtung, ist doch jede

32 Percy Ernst Schramm (Hg.): Die Niederlage 1945. Aus dem Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, München 1962, S. 341 | Joseph Goebbels: Ta- gebücher 1945. Die letzten Aufzeichnungen, Hamburg 1977, S. 535. 33 Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, a.a.O., S. 299, 301. 34 Brigitte Bailer: WiderstandskämpferInnen und politisch Verfolgte in der Zwei- ten Republik, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus, Wien 2013, S. 285...... 31 riskante gegnerische Initiative uneingeschränkt anzuerkennen, was nicht vom Sinn, also dem tatsächlichen Erfolg, abhängen kann. Die „von bürgerlich-konservativen Kräften“ getragene O5 wurde trotz ihrer „Kontakte zu Sozialdemokraten und Kommunisten“ eben erst „später zu der österreichischen Widerstandsbewegung hochstili- siert“, was „durch die historischen Fakten und Quellen nicht belegt ist“, so Wolfgang Neugebauer vom DÖW. Aber auch er konstatierte ursprünglich, dass die mit den Westalliierten in Verbindung stehende O5 „in der Endphase der NS-Herrschaft zu einem wichtigen politi- schen Faktor“ wurde – bis hin zum Staatsvertrag von 1955 als „eigener Beitrag“ zur Befreiung. Sein Resümee in „Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus“ von 2013: Dutzende Initiati- ven seien ebenso zu würdigen, obwohl angesichts von rund 100.000 auf dem Gebiet Österreichs mehr oder minder riskant oppositionell Engagierten, die der Gestapo aufgefallen waren, aber annähernd 700.000 NSDAP-Mitgliedern und deren Familien feststehe, dass „die praktischen Ergebnisse des Widerstandskampfes – etwa in Richtung einer Gefährdung des NS-Regimes, einer ernstlichen Schädigung der NS-Kriegsmaschinerie oder der Erringung der Hegemonie in der Be- völkerung – eher bescheiden [waren]. Die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft war nicht das Werk einer Revolution von unten oder eines nationalen Freiheitskampfes, sondern das ausschließliche Verdienst der alliierten Streitkräfte, von denen mehr als 30.000 Solda- ten 1945 auf österreichischem Boden gefallen sind“.35 Die unmittelbare Kriegsopfer in Österreich – 230.000 Soldaten, 104.000 Zivilisten – getrennt betrachtende DÖW-Bilanz „Österreichi- sche Opfer des Nationalsozialismus“ umfasst 66.000 nunmehr weit- gehend namentlich erfasste Holocaust-Opfer, über 9.000 ermordete Roma und Sinti, 25.000 bis 30.000 Opfer von NS-Medizinverbrechen und etwa 8.000 zu Tode gekommene Opfer politischer Verfolgung, darunter etwa 1.500 Opfer der Militärjustiz. So weit als möglich sind Zwangsarbeiter, Deserteure, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, sloweni- sche Partisanen oder vermeintliche Asoziale in den Opferbegriff ein- bezogen. „Die Arbeiterbewegung stellte mit 4.202 Personen die größte Gruppe“ wegen Subversion Festgenommener, so das DÖW trotz solch

35 Wolfgang Neugebauer: Der österreichische Widerstand 1938–1945, in: Doku- mentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Opferschicksale, a.a.O., S. 266, 272...... 32 Dokumentationsar- Dokumentationsarchiv Wolfgang Tony Judt: chiv des österreichi- des österreichischen Neugebauer: Geschichte Europas schen Widerstandes Widerstandes (Hg.): Der österreichische von  bis zur (Hg.): Widerstand und Opferschicksale. Widerstand – Gegenwart, Verfolgung in Wien Widerstand und , Wien  München  – (),  Verfolgung im Bände, Wien  Nationalsozialismus, Wien 

problematischer Fixierung auf die zu vermutende Einstellung und Klassenzugehörigkeit, „gefolgt von Widerstandshandlungen Einzel- ner“ und solchen „des katholisch-konservativen Lagers unter Ein- schluss verfolgter Priester oder Ordensfrauen“.36 Allein im Wiener Landesgericht wurden 1.184 Personen mit dem Fallbeil hingerichtet, darunter 93 Frauen, und fast alle wegen politischer oder kriegsbeding- ter Vergehen. Für die Historikerin Erika Weinzierl (1925–2014) hatten „der Klerus und die Eisenbahner – gemessen an ihrer Gesamtzahl – den prozentuell höchsten Anteil“ an Verfolgten und die Kommunisten „ohne Zweifel den stärksten organisierten politischen Widerstand ge- tragen und die meisten Opfer erbracht“, wobei „der individuelle Wi- derstand, gerade von Frauen“, vielfach „für immer im anonymen Dunkeln“ bleibe.37 Zum grassierenden Morden dem Kriegsende zu ist vieles weiterhin unerforscht. Allein gegen deutsche Zivilisten wurden 16.000 Todesurteile gefällt, gegen deutsche Soldaten etwa 20.000.38

36 Brigitte Bailer, Gerhard Ungar: Die Zahl der Todesopfer politischer Verfolgung, in: DÖW (Hg.): Opferschicksale, a.a.O., S. 111, 112, 114, 124. 37 Erika Weinzierl: Prüfstand. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialis- mus, Mödling 1988, S. 179, 200 f., 212. 38 Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005, S. 338 f...... 33 Zum kommunistischen Widerstand heißt es in der „Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion“ von 1967, oh- ne, wie oft das DÖW, eine kooperierende Arbeiterbewegung zu unter- stellen: „Von 1938 bis 1945 traten über 13.000 neue Mitglieder in die Kommunistische Partei Österreichs ein.“ „Tausende von Kommunis- ten wurden in die Zuchthäuser geworfen, 4.280 Parteimitglieder in Konzentrationslagern eingekerkert. Die Faschisten ermordeten 1.400 Mitglieder der KPÖ, darunter 13 Mitglieder ihres Zentralkomitees. Die Partei verlor im Herbst 1943 durch den faschistischen Terror ihr illegales Zentrum im Land, das bis zum Kriegsende nicht wieder auf- gebaut werden konnte. Das behinderte den antifaschistischen Kampf in Österreich. Die Lage erschwerte sich noch dadurch, daß sich füh- rende Sozialdemokraten der Schaffung eines einheitlichen politischen und militärischen Zentrums zur Leitung der Widerstandsbewegung widersetzten. Die antifaschistischen Gruppen, die vor allem Sabotage- akte durchführten, kämpften daher isoliert von einander.“ Festgehal- ten wird ferner unter Berufung auf Otto Molden: „Auch bürgerliche Schichten, deren Organisationen häufig Verbindung zu den anglo- amerikanischen Aufklärungsorganen der Westmächte hatten, schlos- sen sich der Widerstandsbewegung an. Eine solche Organisation war zum Beispiel die Gruppe ‚O5’, die mit der amerikanischen Aufklärung in Verbindung stand. Aber selbst in der Schlußphase des Krieges ver- hielten sich die Vertreter der bürgerlichen Schichten, die sich der Wi- derstandsbewegung angeschlossen hatten, abwartend. Auch unter den österreichischen Soldaten und Offizieren nahm 1945 die antifaschisti- sche Stimmung zu. So entstand im XVII. Armeekorps unter Führung von Major Carl Szokoll eine militärische Organisation der Wider- standsbewegung.“ Nur im Kampf um Wien wird das näher kommen- tiert: „Als sich die Rote Armee der Grenze Österreichs näherte, ent- stand in einigen Gruppen der österreichischen Widerstandsbewegung die Idee, einen Aufstand in Wien auszulösen. Es gelang ihnen jedoch nicht, diese Absicht zu verwirklichen, da ihr Plan entdeckt wurde.“ Nach Verhaftungen und Hinrichtungen wurde offensichtlich: „Da die österreichische Widerstandsbewegung keine Massenbewegung war, konnte sie die Rote Armee bei der Befreiung nicht aktiv unterstützen. Ihre Mitglieder halfen jedoch der Roten Armee in gewissem Maße, zum Beispiel während der Kämpfe um Wien, wo sie dem sowjetischen Oberkommando den deutschen Plan für die Verteidigung der Stadt

...... 34 übermittelten. Dadurch konnte die Befreiung Wiens beschleunigt und größere Zerstörungen in der Stadt vermieden werden.“39 Wird der Widerstand in Österreich aus sowjetischer Sicht somit trotz begreiflicher Betonung der kommunistischen Beteiligung realis- tisch dargestellt, relativiert sich das im Urteil des britischen Historikers Tony Judt (1948–2010) noch, den permanent beschäftigte, dass er in der Welt aufwuchs, „die uns Hitler hinterlassen hat“. In seiner „Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart“ heißt es 2006, dass „Österreich bemerkenswert glimpflich“ davonkam, ohne breiteren Widerstand ge- leistet zu haben. „Gegen 130.000 Österreicher wurde wegen Kriegsver- brechen ermittelt, 23.000 wurden angeklagt, 13.600 verurteilt, 43 To- desurteile gesprochen, aber nur 30 vollstreckt. Rund 70.000 Staatsbe- dienstete wurden entlassen“, darunter „2.943 Grundschullehrer und 477 Gymnasiallehrer“, aber „nur 27 Universitätsprofessoren“. Minderbelas- tete Nazis wurden bereits 1948 begnadigt, die etwa 42.000 stärker be- lasteten spätestens bis 1956. „Und anschließend strichen die Österrei- cher ihre braune Vergangenheit einfach aus der Erinnerung“, da alle „daran interessiert waren, die jüngste Vergangenheit möglichst vorteil- haft umzudefinieren: die konservative Volkspartei, Erbin der Christ- lichsozialen Partei der Vorkriegszeit, hatte allen Grund, ihren (und Ös- terreichs) ‚undeutschen’ Charakter zu betonen, um davon abzulenken, dass sie 1934 gewaltsam ein korporatives Regime durchgesetzt hatte. Die österreichischen Sozialdemokraten, fraglos antifaschistisch, mussten sich von dem Makel befreien, vor 1933 zum Anschluss aufgerufen zu ha- ben. Überhaupt waren alle Parteien daran interessiert, die einstigen Na- zis zu umgarnen und für sich zu gewinnen, einen großen Teil der Be- völkerung, der die politische Zukunft des Landes gestalten würde“.40 Der 1945 als „Die Welt am Wendepunkt“ beschreibende anglo- niederländische Autor Ian Buruma legt detailreich dar, dass es weltweit nur „eine sehr geringe Zahl von Männern und Frauen“ war, die sich im Zweiten Weltkrieg an aktivem Widerstand beteiligten, was aber kaum wo dazu führte, das als „Legitimation in Zeiten des Übergangs“ allgemein anzuerkennen. Obwohl der Widerstand – „nach dem Krieg

39 Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU (Hg.): Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion in 6 Bänden, Berlin 1967, Band 5, S. 220, 247. 40 Tony Judt, Timothy Snider: Nachdenken über das 20. Jahrhundert, München 2013, S. 29 | Tony Judt: Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, Mün- chen 2006, S. 72...... 35 ganz bewusst romantisiert“ – letztlich „für den militärischen Sieg über NS-Deutschland oder das kaiserliche Japan nur eine geringe Rolle“ spielte, konnte seine eigentliche Bedeutung erst erkennbar werden, „wenn die Kämpfe eingestellt sind“. Denn „dass es Menschen gab, die sich allen Schwierigkeiten widersetzten und sich nicht in die Knie zwingen ließen, liefert einer Gesellschaft, die von Kollaboration oder einfach auch nur Zustimmung zu einem mörderischen Regime vergif- tet ist, eine Heldengeschichte. Die Wiederherstellung der Demokratie ruht auf solchen Geschichten, sie helfen nicht nur bei der Wiederbe- lebung staatsbürgerlicher Moral, sondern stellen auch das Verständnis für die politische Legitimität einer Nachkriegsregierung wieder her. Sie sind die Gründungsmythen nationaler Renaissance im Nachkriegs- europa.“ Keineswegs nur in Deutschland und Österreich ergab sich das Dilemma, so Burumas pragmatische Einsicht: Man konnte die ko- operierenden Eliten, „so widerwärtig sie gewesen sein mochten, nicht ausbluten und gleichzeitig hoffen, das Land – gleichgültig, ob es den kommunistischen oder kapitalistischen Weg ging – lasse sich auf diese Weise wieder aufbauen“. Denn „eine allzu rigorose Entnazifizierung“ hätte „den kompletten Zusammenbruch des Schulunterrichts, des So- zialwesens, überhaupt jedes Anflugs von wirtschaftlicher Erholung zur Folge gehabt“.41 Das deckt sich mit der in Österreich üblich gewordenen Stan- dardargumentation, für die eine Präsenz von Widerstandskräften nur noch als zeitgeschichtliches Ornament brauchbar war. Es gab keine Exilregierung und keine heldenhaften Repräsentanten wie General de Gaulle, General Sikorski oder Tito, und nur Kommunisten bildeten Emigrantenbataillone. Die Zustimmung zum Regime ging erst im Zuge der sich abzeichnenden Niederlage zurück, mit der großen Frei- luft-Ausstellung „Der Sieg im Westen“ am Wiener Heldenplatz von 1940/41 als symbolischem Höhepunkt. Mit jenem in besetzten Län- dern war der Widerstand in Österreich nie vergleichbar. Auch der Politologe Anton Pelinka betont, dass unabhängige Ak- tivisten schließlich chancenlos waren: „Der Widerstand gegen die na- tionalsozialistische Gewaltherrschaft war vor allem die Sache der Füh- rungsgruppen des sozialistischen Lagers und des christlich-konservati- ven Lagers; freilich auch und besonders stark Sache der Kommunisti- schen Partei Österreichs.“ Das wiedererstehende Land sei daher „ei-

41 Ian Buruma: ’45. Die Welt am Wendepunkt, München 2014, S. 199 f., 212...... 36 gentlich eine Republik aus dem Widerstand einer Koalition von (mehr oder minder demokratischen) Elitegruppen gegen die Gewaltherr- schaft einer (konsequent totalitären) Elitegruppe“.42 Frühere Gegner- schaft wirkte fort. „Christlichsoziale Demokratiedistanz, großdeutsche NS-Nähe, austromarxistische Anschlussorientierung, Ausschaltung des Nationalrates, Bürgerkrieg“ blieben in indifferenter Weise unge- klärte zeitgeschichtliche Themen, so Gerhard Botz, für den das Doll- fuß- Schuschnigg-Regime eine „autoritäre, nur halbfaschistische Dik- tatur“ war. Oliver Rathkolb nennt es „Kanzlerdiktatur“. Für Emme- rich Tálos erfüllt es alle Kriterien eines „Austrofaschismus“.43 Rechts und links der ominösen Mitte wurde antisemitisch agitiert. Autoritä- re, Alleinherrschaft anstrebende Tendenzen gab es allseits. Waren im Austromarxismus in den Worten von Otto Bauer (1881–1938) „nüch- terne Realpolitik und revolutionärer Enthusiasmus in einem Geist ver- einigt“, um die mit eigenen Qualitätsmedien und systematischen Kur- sen weiterzubildende Arbeiterklasse möglichst auf demokratischem Weg an die Macht zu bringen44, war der „Christlich deutsche Bundes- staat Österreich auf berufsständischer Grundlage“ als diktatorische, das Parlament und jede Opposition ausschaltende kirchennahe Ge- genmacht damit – wie in Spanien – völlig unvereinbar. Verstärkt wur- de die Polarisierung unter Nazi-Gegnern, weil es kaum noch eine mit der Linken kooperationsfähige liberale, nicht desavouierte Bürgerlich- keit gab. Die desperaten Widerstandsversionen ab 1934 lassen sich eben nicht einfach ‚konsolidieren’, müssten doch endlich die Wider- sprüche einseitiger parteipolitischer Idealisierung und subjektiv ge- staltbarer Erinnerungssphären als dissonante Geschichtsschreibung bewusst gemacht werden, damit zeitgeschichtliche Deutungshoheit nicht zu plakativer Harmonisierung angeblicher Gemeinsamkeiten verkommt. Wegen solcher Harmonisierungsinteressen wurde selbst Joseph But tin ger (1906–1992) parteiintern als unerwünschter Zeitzeuge be-

42 Anton Pelinka: Nach der Windstille. Eine politische Autobiografie, Wien 2009, S. 90. 43 Gerhard Botz in: Kontroversen, a.a.O., S. 39 | Gerhard Botz: Dollfuß: Mythos unter der Lupe, Replik Emmerich Tálos, Der Standard, Wien, 21. und 25. Feb- ruar 2015 | Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015, Wien 2015, S. 21. 44 Hans-Jörg Sandkühler, Rafael de la Vega (Hg.): Austromarxismus, Wien 1970, S. 51...... 37 handelt, um, wie er in seinem höchst kritischen Erfahrungsbericht „Am Beispiel Österreichs“ schreibt, „die wirkliche Geschichte der Re- volutionären Sozialisten aus der Parteigeschichte auszulöschen“. Als deren Vorsitzender von 1935 bis 1938 hatte er „das Versagen der Sozia- listischen Partei“ miterlebt, die „mit der Tatbereitschaft ihrer Anhän- ger nichts anzufangen wußte“. Aus der Geschichte verdrängt wurde auch seine spätere Frau Muriel Gardiner (1901–1985), die als vermö- gende US-Amerikanerin zahllosen Verfolgten helfen konnte.45 Alle Parteien hatten genug zu verschweigen, was unwidersprochen blieb, weil so viele Beteiligte nicht mehr lebten oder nicht aus dem Exil zu- rückgeholt wurden. Dabei hielt etwa Bruno Kreisky, dem am 12. Feb- ruar 1934 „das, was ich für meine Welt hielt, zusammengebrochen war“, den aus ärmlichsten Verhältnissen stammenden Buttinger, ohne dessen Auffassungen zu teilen, für „eine der großen Begabungen der österreichischen Arbeiterbewegung“. Warum so viele Hitler-Anhänger wurden, war Kreisky durchaus plausibel, weil er „die materiellen Ur- sachen einer solchen Bewußtseinsänderung aus der Nähe gesehen“ hatte, „nämlich die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, zuerst in Deutsch- land, dann in Österreich“. Deswegen sei sein ihm im Kontext mögli- cher Koalitionen mit der FPÖ oft vorgeworfenes „Verhältnis zu ehe- maligen Nazis ein anderes“ gewesen: „Der Haß auf Dollfuß war stär- ker als die Angst vor allem anderen.“46 Schon weil zwischen 1934 und 1938 Hunderte Sozialisten und Kommunisten mit frühen Nazis in den großen Anhaltelagern Wöllersdorf und Kaisersteinbruch inhaftiert wa- ren, hätten sich durch den gemeinsamen Feind klerikaler „Austrofa- schismus“ Berührungspunkte ergeben. Blieben bei dessen früheren Anhängern antifaschistische Haltungen fragwürdig, betraf das partiell auch die SPÖ, was ihre gezielt einsetzbaren Faschismusvorwürfe nur bedingt verbergen konnten. Ein in Wien in „linkem bürgerlich jüdischem Milieu“ aufgewach- sener Zeitzeuge wie Erich Lessing erinnert sich dazu sehr dezidiert: „,Der Kapitalismus’ war für viele der Hauptschuldige. Nazis und So- zialisten haben kooperiert. Sozialisten sind Kommunisten geworden. Antiklerikale Haltungen haben verbindend gewirkt: ‚Lieber braun als

45 Joseph Buttinger: Das Ende der Massenpartei. Am Beispiel Österreichs, Frank- furt 1972, S. 609, 622, 623 | Muriel Gardiner: Code Name „Mary“. Memoirs of an American Woman in the Austrian Unterground, New Haven – London 1983. 46 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Ber- lin 1986, S. 204, 207, 271 ff...... 38 Anhaltelager Wöllersdorf bei Wiener Neustadt (–) Denkmal von A. Kirchner,  schwarz’. Deutschland war für viele das Traumziel schlechthin, gerade auch in der Arbeiterbewegung“, und „gerade aus katholischen Inter- naten kamen oft rabiate Antikatholiken“.47 Für Abwehrhaltungen nach dem Krieg war der langjährige SPÖ-Innenminister Oskar Hel- mer (1887–1963) ein krasses Beispiel, da er bei Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus bekanntlich früh dafür eintrat, dass „man die Sache in die Länge zieht“, obwohl ihm bewusst war: „Was den Juden weggenommen wurde, kann man nicht auf die Plattform ‚Großdeutsches Reich’ bringen. Ein Großteil fällt schon auf einen Teil unserer lieben Mitbürger zurück.“ Aber „auch den Nazis ist im Jahre 1945 alles weggenommen worden“. Trotz bloß noch 9.000 Juden in Wien sah er in damals wie heute höchst verstörender Weise wieder „überall nur jüdische Ausbreitung“.48

47 Erich Lessing im Gespräch mit Ch. Reder: Christian Reder, Erich Klein (Hg.): Graue Donau, Schwarzes Meer, Wien – New York 2007, S. 72, 73, 74. 48 Robert Knight (Hg.): „Ich bin dafür. Die Sache in die Länge zu ziehen“. Die Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945 bis 1952 über die Entschädigung der Juden, Wien 2000, S. 146...... 39 Entgegen aller Über- und Unterschätzungen war der Siebener- Ausschuss der O5 jedoch auch für Gerhard Jagschitz durchaus „ernst zu nehmen“, obwohl er „aus Personen höchst unterschiedlicher Welt- anschauung und politischer Gewichtung zusammengesetzt“ war. Er „beanspruchte das Recht, die neuen demokratischen Verwaltungen einzusetzen. Er ernannte einen Chef der Gendarmerie, einen Wiener Polizeipräsidenten oder den ehemaligen sozialdemokratischen Stadtrat Anton Weber [1878–1950] und den ehemaligen Schutzbündler Rudolf Prikryl [1896–1965] zu Wiener Bürgermeistern“49, die allerdings rasch verschwanden, denn mit Zustimmung der Sowjetstellen wurde der Russisch sprechende Theodor Körner (1873–1957) „als der von ‚O5’ und Widerstandsbewegung designierte provisorische Bürgermeister“ eingesetzt, so Schärf zu diesem noch gemeinsam erzielten Konsens.50 „Doch die Legitimation der Spontanität, des guten Willens und der Kooperation ohne Programm – man war sich lediglich einig in der Vi- sion eines freien und unabhängigen Österreich – reichte nicht aus“, so Jagschitz, „das politische Vakuum auf Dauer auszufüllen, zu inhomo- gen war das Sammelbecken, zu sehr fehlte eine feste Organisation und zu wenig war von einem radikalen, politisch durchsetzbaren Reform- konzept zu merken.“51 Daher löste sich die O5 unter dem Druck der neuerstandenen Parteien auf. Das Betonen des Widerstands wurde nur noch zur Bekräftigung des Opferstatus gebraucht. Wie abwehrend die Akteure von ÖVP und SPÖ reagierten, wird verschwiegen, dachten sie doch nicht daran, „ein gemeinsames politisches Sammelsurium im Zeichen der O5“ anzuerkennen, so der frühe Parteienkonsens.52 In publizierten Erinnerungen von Zeitzeugen schien es jedoch op- portun zu sein, die im April 1945 auftretenden Widerstandsvertreter noch respektvoll zu erwähnen. So würdigte Schärf die O5 als „die ein- zige offizielle Stelle in Wien, die überhaupt amtierte“. Weinberger nannte sie „eine zentrale und von den Russen anerkannte Wider- standsbewegung“. Der dann sehr initiative, auch um Emigranten be- mühte kommunistische Wiener Kulturstadtrat Matejka kontaktierte umgehend „führende Persönlichkeiten“ der O5, obwohl ihm – kont- rär zu Fritz Moldens Angaben – diese Organisation davor unbekannt war; Ernst Fischer zufolge, der eine Zeit lang kommunistischer Unter-

49 Gerhard Jagschitz: Im Koalitionsnebel, a.a.O., S. ix ff. 50 Adolf Schärf: April 1945 in Wien, a.a.O., S. 67. 51 Gerhard Jagschitz: Im Koalitionsnebel, a.a.O., S. ix ff. 52 Lois Weinberger: Tatsachen, Begegnungen und Gespräche, a.a.O., S. 248...... 40 richtsminister wurde, versuchte nur die O5 „sich als zentrale Ord- nungsmacht zu etablieren“.53 Vieles bleibt seit 70 Jahren in kontroverser Weise ungeklärt. So di- stanziert sich Wolfgang Neugebauer im Resümee-Band seiner For- schungen „Der österreichische Widerstand 1938–1945“ von 2015 in vie- len Punkten von den Darstellungen Otto und Fritz Moldens, Radomír Lužas und der TV-Serie „Österreich I“ und „Österreich II“, bezeichnet aber das dann keine Rolle mehr spielende Provisorische Österreichi- sche Nationalkomitee POEN konträr selbst zum O5-Initiator Hans Becker als O5-Gründung. Die O5 selbst wird – bloß auf drei Seiten – nur als eine der sich exponierenden Gruppen gewürdigt.54 Deren sonst in der frühen Fachliteratur genannte Leitungsmitglieder werden von Neugebauer erwähnt, nur der angebliche Monarchist Emil Oswald nicht, um den es im Folgenden jedoch zur genaueren Darstellung der im Siebener-Ausschuss der O5 handelnden Personen geht. So lässt sich Verdrängtes zu weitgehend unbekannt gebliebenen, nicht in ein poli- tisches Schema passenden Oppositionskräften aus der Gründungspha- se der Zweiten Republik bewusster machen – um die Fiktion idealty- pischer Antifaschisten anhand realer Beispiele zu differenzieren.

ZUM BEISPIEL: EMIL O SWALD. Von den bisher erwähnten Wi- derstandskräften habe ich nur Emil Oswald (1897–1964) gut gekannt, eine beeindruckende Persönlichkeit, die sowohl beim Ende der Habs- burgerherrschaft wie als konsequenter Gegner der Nationalsozialisten eine mehr als nur marginale – in ihren Zusammenhängen jedoch nir- gends kommentierte – Rolle spielte. Für mich war er ein Onkel, ob- wohl wir nicht verwandt waren. Von ihm bekam ich als Heranwach- sender die ersten Jazzplatten, das legendäre, 1938/39 in der Carnegie Hall aufgenommene Doppelalbum „Spirituals to Swing“, ein wichti- ger Anstoß zu anhaltender Faszination; ich besitze es heute noch. Kein anderer der Erwachsenen hätte damals an diese weiterhin verachtete Musik gedacht. In Erinnerung bleibt er als gebildeter, mit seiner le- bensbejahenden Ironie Gespräche prägender Grandseigneur mit weit-

53 Adolf Schärf: April 1945 in Wien, a.a.O., S. 53 | Lois Weinberger: Tatsachen, Be- gegnungen und Gespräche, a.a.O., S. 245 | Viktor Matejka: Widerstand ist al- les, a.a.O., S. 152 | Ernst Fischer: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945– 1955, Wien 1973, S. 45. 54 Wolfgang Neugebauer: Der österreichische Widerstand 1938–1945, a.a.O., S. 263 ff...... 41 läufigen internationalen Kontakten. Sein Monokel machte ihn für mich auch äußerlich zu jemand Seltsamen. Wie meine Mutter Eva Re- der aus Ungarn stammend und mit ihr die gemeinsame Sprache prä- sent haltend, bestärkten sein Sarkasmus und seine Anekdoten darin, dass es andere als die gewohnten Konstellationen geben müsse. Launi- ge Hinweise meines Vaters Franz Reder, nach denen er die rasche Of- fizierskarriere im Ersten Weltkrieg seinem Charme verdankte, weil er im Generalstab als Pianist, Sänger und Unterhalter so beliebt war, ha- ben diesen Eindruck eher vertieft als irritiert, als Gegenbild zu arro- ganten, ihrer Vergangenheit nachhängenden Militärs. Als Vizepräsi- dent des legitimistischen Reichsbundes der Österreicher waren ihm kulturelle Kontakte unter den Nachfolgestaaten wichtig, ohne dass er auf Dauer Monarchist blieb, wie in der Widerstandsliteratur oft be- hauptet wird. Seiner umgänglichen Art wegen war er für mich ein ex- emplarischer, dezidiert in der Gegenwart lebender, tendenziell gutge- launter Zivilist, dessen weltoffenes Selbstverständnis ihn zum Relikt entschieden liberaler Bürgerlichkeit machte, die ansonsten weithin ru- iniert worden war. Das ließ einem die geistige Enge rundum bewuss- ter werden, bekennt sich doch – anders als traditionell in Frankreich, Italien oder Schweden – in Österreich weiterhin kaum wer, der dezi- diert als bürgerlich gelten will, freimütig zu freigeistig-liberalen oder linken Positionen, weil das mit der Attitüde sozial separierter, abgeho- bener Sphären unvereinbar wäre. Jedenfalls: Als im Familienumfeld einziger in jeder Phase konse- quenter Nazi-Gegner war Emil Oswald ein Solitär, weshalb diese Nachforschungen zu mir persönlich bekannten zeitgeschichtlich rele- vanten Personen mit ihm beginnen. Weil von seinen Erlebnissen in meinem Beisein nie konkreter die Rede war, blieb mir als Jugendlicher unbekannt, wie sehr er sich politisch exponiert hatte: in den Wirren von 1921 im Stab von Ex-Kaiser Karl bei dessen Restaurationsversu- chen in Ungarn, als von der Gestapo verfolgter KZ-Häftling in Dach- au und Buchenwald und in der Leitung der Widerstandsbewegung O5, dem es trotzdem gelang, seiner nach den Nürnberger Gesetzen als jüdisch geltenden Frau Elisabeth Oswald (1901–1971) das Überleben in Wien zu sichern. Angegeben hat er mit seinen Initiativen nie, offenbar weil sie ihm selbstverständlich waren. Sein Wissen, das Einzelheiten erhellen könnte, ist verweht, da sie kinderlos blieben und es ihm sicht- lich überflüssig schien, Schriftliches zu hinterlassen. Beide führten schließlich ein anonymes Leben, ohne über mangelnde Anerkennung ...... 42 Emil und Elisabeth Oswald, Wien  zu klagen. Sie sind in seinem Heimatort Pinkafeld begraben, wie seine Brüder, einer war Gemeindebeamter, dessen Frau Ärztin, der andere lange in Argentinien. Als wir uns bei ihm in der Wiener Hegelgasse das letzte Mal trafen, war ich zwanzig Jahre alt. Mehr über ihn wissen wollte ich, seit mir sein Name da und dort als zeitgeschichtlich rele- vant auffiel und mich auch in diesem Fall irritierte, was in Österreich alles unaufgeklärt bleibt und wie mit zivilgesellschaftlich engagierten, aber im Hintergrund bleibenden unabhängigen Kräften umgegangen wird. Wie der entschiedene Nazi-Gegner Emil Oswald – dessen Person und Handlungsweise als Parabel zu Unrechtsbewusstsein, Opposition und Neubeginn begreifbar ist – waren als Vorzeichen der sich anbah- nenden, in ihrer Radikalisierung unerklärbaren Terroreskalation be- kanntlich sofort nach dem „Anschluss“ etwa 8.000 Österreicher ins KZ Dachau gekommen, weil sie als erpressbare Juden galten oder als feindliche Elemente auf diverse längst vorbereitete Listen geraten wa- ren. In der die Bevölkerung paralysierenden „Heim ins Reich“-Begeis- terung wurde diese perfide ‚Volkshygiene’ – abgesehen vom Umfeld Betroffener – bekanntlich durchaus zustimmend aufgenommen.

...... 43 Bereits am 28. März 1938 hatte der von Linz aus agierende Gaulei- ter August Eigruber, 1947 als Kriegsverbrecher gehängt, stolz verkün- det, dass das seine Unabhängigkeit und bald auch seine administrative Einheit verlierende Land „als besondere Auszeichnung“ in Mauthausen ein „Konzentrationslager für die Volksverräter von ganz Österreich“ be- kommen werde.55 Weil es um jedwede Außenseitergruppe ging, mit der Judenverfolgung als exzessiv pervertierter Form, sind Versionen unhalt- bar, die fast alle, die damals litten oder zu Tode kamen, zu gleichrangi- gen Opfern erklären. Denn selbst die Sympathien jener, die sich unmit- telbar oder mit Verzögerung „als Opfer Hitlers und des NS-Regimes sehen mochten“, erstreckten sich „in der Regel nicht auf KZ-Häftlinge, schon gar nicht auf Juden“, denn „die wirklichen Opfer des National- sozialismus galten nicht als Teil der ‚Gemeinschaft’“, wie etwa Ian Kershaw in „Das Ende. Kampf bis in den Untergang“ deutlich macht.56 Die einzige mir bekannte Zeugenaussage zu Emil Oswalds KZ- Haft hat der Sozialphilosoph Norbert Leser (1933–2014) überliefert – ein „Austromarxist und guter Katholik“, so Die Presse in ihrem aner- kennenden Nachruf, hatte er doch der Sozialdemokratie „nach weit- gehender Erfüllung ihrer historischen Aufgaben“ seit Jahren konsta- tiert, an einem „toten Punkt“ angelangt zu sein. Wie in seinem Buch „… mit Österreich verbunden. Burgenlandschicksal 1918–1945“ er- wähnt, erfuhr seine Familie erstmals über die Zustände in Dachau – mit seinen gegenüber den früheren Anhaltelagern viel krasseren Grau- samkeiten – von dem aus Oberpullendorf stammenden Arbeiter Ko- loman Kovács, dem Freund der polnischen Hausgehilfin. Wegen einer früheren Schlägerei mit Nazis einige Zeit dort inhaftiert, berichtete er „von einem trostlosen Alltag mit sinnlosen Quälereien und Verletzun- gen der Menschenwürde“, aber auch „von den aufrichtenden Zeugnis- sen menschlicher Widerstandskraft“. „So erzählte er, daß der Legiti- mistenführer Major Emil Oswald, ein gebürtiger Pinkafelder, in vor- bildlicher Weise bestrebt gewesen sei, im Lager den Geist der Kame- radschaft und des Lebensmutes aufrechtzuerhalten und sich der Schwachen und Angefochtenen anzunehmen.“57

55 August Eigruber: Bollwerk Salzkammergut, Völkischer Beobachter, Wiener Aus- gabe, 29. März 1938, zit. nach Bertrand Perz in: Fritz Mayrhofer, Walter Schus- ter (Hg.): Nationalsozialismus in Linz, Linz 2001, Band 2, S. 1041. 56 Ian Kershaw: Das Ende, a.a.O., S. 301, 459. 57 Er war Austromarxist und guter Katholik, Nachruf auf Norbert Leser, Die Pres- se, Wien, 2. 1. 2015, und Norbert Leser in Die Presse, Wien, 25./26. 8. 1984 | Ch...... 44 Nach fast drei Jahren KZ-Haft wurde Emil Oswald von 1941 bis zum Kriegsende von meinem Vater, dem Geschäftsführer und Teilhaber der von 1831 bis 1981 in dieser Form bestehenden Wiener Holzgroß- handlung J. & C. Reder, als Verkaufsleiter beschäftigt, weil sie sich so- fort sympathisch waren, wie es hieß. Empfohlen hatte ihn Hermann Bruckner, Generaldirektor eines ungarischen Holzkonzerns, über des- sen Tochter Eva Bruckner sich dann meine Eltern kennenlernten. Die Zentrale dieses patriarchalisch geführten Familienbetriebs mit etwa 100 Beschäftigten, die meist kaum von Kündigung bedrohte Lebensstellun- gen hatten, war ein großes Gelände am Donaukanal bei der Friedens- brücke im 20. Bezirk, Treustraße 35, wo heute ein neues Bürocenter steht. Verwandten, die darauf angewiesen waren oder nichts anderes vorhatten, wurde Arbeit geboten, wie auch meinem ganz in der Nähe in einer armen Bankbeamtenfamilie als Halbwaise aufgewachsenen Va- ter, der rasch zum Prokuristen aufstieg. Obwohl damals ein gläubiger Nazi, stellte er 1938 auch den aus der Arbeiterkammer entlassenen spä- teren Bundeskanzler Josef Klaus an, weil beide aus dem reform-katho- lischen Bund Neuland kamen wie die erwähnten NS-Gegner und spä- teren ÖVP-Gründer Felix Hurdes und Lois Weinberger, worauf noch zurückgekommen wird, weil es persönliche Beziehungen erhellt, die zeitgeschichtlich ohne solche Einsichten kaum fassbar sind. Zwar galten „KZ-ler“ in weiten Kreisen völlig bedenkenlos als irgendwie schuldig, Oswalds damit ausgewiesene oppositionelle Haltung war aber kein Hindernis einer beginnenden Familienfreundschaft. Nach dem Krieg hieß es dazu, seine konspirativen Kontakte seien geahnt, aber nicht als tatsächliche Gefährdung ernst genommen worden, obwohl jedweder Verdacht anzeigepflichtig war und zu härtesten Sanktionen führen konnte. Wegen ständiger Denunziationen hielt Oswald strikt geheim, dass er dem Siebener-Ausschuss der Widerstandsbewegung O5 ange- hörte, die zuletzt vom Palais Auersperg aus, das Christiane Croy (1878– 1945) und ihre Tochter Agathe Croy (1920–1993) Oppositionellen zur Verfügung stellten, ein Neuentstehen Österreichs mitgestalten wollte. Wegen der Beteiligung von Aristokraten gab es nicht nur von Sozialis- ten Ressentiments, dauerte es doch noch Jahre bis zu einer gelasseneren Sicht – wie sie dann etwa selbst Theodor W. Adorno (1903–1969) gera-

Reder: Das Spiel mit toten Punkten, Falter, Wien, Nr. 19/1984 | Richard Ber- czeller, Norbert Leser: … mit Österreich verbunden. Burgenlandschicksal 1918– 1945, Wien 1975, S. 283...... 45 de in Wien durch sein Interesse an Adeligen demonstrierte. Politische Ämter blieben ihnen in Österreich jedoch verschlossen, was am Beispiel des nach Prag abgewanderten, international hochgeschätzten tschechi- schen Außenministers Karel Schwarzenberg besonders evident wurde. Adolf Schärf und Ernst Fischer bezeichneten Emil Oswald durch- aus respektvoll als „Vertreter des liberalen Bürgertums“ im Leitungs- gremium der O5.58 Otto Molden hingegen betonte seine Militär- und Habsburg-Orientierung, obwohl das kaum noch zutraf: „Major Os- wald, ein altösterreichischer Offizier und Monarchist, der dann der Heimwehr nahegestanden war, hatte eine größere Gruppe ehemaliger Offiziere zusammengeschlossen und besaß außerdem Verbindungen zu liberalen Kreisen und Gruppen, so daß er eine wichtige Mittlerstel- le einnahm.“ Für Fritz Molden wiederum war er schlicht „der konser- vative Major Emil Oswald“.59 Dass er längst einen Zivilberuf hatte und in leitender Stellung in Wien für die AKM, die Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger, tätig war, wird in der Literatur zum Widerstand nir- gends erwähnt, auch nicht, dass er schon als junger Offizier ein sich dem Lauf der Dinge widersetzender Aktivist war. Denn als Adjutant von Oberst Anton Lehár (1876–1962), dem Bruder des Komponisten, gehörte er zum Stab von Ex-Kaiser Karl bei dessen 1921 unternomme- nen Versuchen, nach der Abdankung in Österreich – die er auf dem Weg ins Schweizer Exil widerrief – wenigstens ungarischer König zu bleiben, was Lehár mit ihm loyalen Truppen militärisch unterstützte. Dessen Erinnerungen, die er nicht zu Lebzeiten veröffentlichen wollte und an denen Oswald maßgeblich mitarbeitete, übergab dieser schließ- lich dem Österreichischen Staatsarchiv/Kriegsarchiv.60 Sie liegen – he- rausgegeben von Peter Broucek (1973) und von Georg Reichlin-Meld- egg (2013) – in zwei kommentierten Auswahleditionen vor. Ihnen zu- folge wollten damals zwar selbst die besten Freunde „von Habsburg nichts mehr wissen“, weil nationale und republikanische Bestrebungen längst alles Übernationale völlig verdrängten.61 Aber Lehár und Oswald

58 Adolf Schärf: April 1945, a.a.O., S. 54 | Ernst Fischer: Das Ende, a.a.O., S. 45. 59 Otto Molden: Der Ruf des Gewissens, a.a.O., S. 207 f. | Fritz Molden: Die Feu- er in der Nacht, a.a.O., S. 35. 60 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár. Erinnerungen. Gegenrevolution und Res- taurationsversuche in Ungarn 1918–1921, Wien 1973, S. 237, 240 | Georg Reich- lin-Meldegg: General und Parzival?, Graz 2012, S. 134. 61 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár, a.a.O., S. 52...... 46 fühlten sich weiterhin dem Kaiser verpflichtet, da Ungarn nominell ein Königreich blieb, mit Karl und Zita als rechtmäßigen, nur vorüberge- hend vom letzten Befehlshaber der Kriegsmarine, dem Reichsverweser Miklós Horthy (1868–1957), vertretenen Monarchen. Der damals 24-jährige Oberleutnant Oswald, von Karl persönlich zum Hauptmann befördert, stammte aus Pinkafő/Pinkafeld, Lehár aus Sopron/Ödenburg, mit den dort stationierten ungarischen Infan- terieregimentern Nr. 83 und Nr. 106 als gemeinsamer Armeebasis. Aber alles war zu konfus vorbereitet und die angenommene politische Unterstützung maßgeblicher Kräfte der Siegermächte blieb höchst va- ge. Das Zusammentreffen des im März 1921 inkognito aus der Schweiz mit einem Sportflugzeug und dann im Auto anreisenden Ex-Kaisers mit Horthy verlief distanziert und unverbindlich. Der zweite, von Lehárs Truppen begleitete Versuch per Bahn scheiterte im Oktober an der Gegenwehr von Regierungseinheiten. Was als „Triumphzug durch Westungarn trotz mehrfacher Schienenattentate“ begonnen hatte62, endete nach einer Feldmesse wegen gebrochener Zusagen, fehlgeleite- ter Befehle und abwartender Passivität diverser Kommandeure in von Artillerie unterstützten Schießereien in Sichtweite der Stadt. Im Buch „Kaiser Karl“ von Hans Karl Zessner-Spitzenberg, einem der führen- den Monarchisten, der dann als einer der ersten Österreicher im KZ Dachau umkam, heißt es dazu resümierend, dass „Horthy nicht daran denke, die Regierung zu übergeben“, war zwar längst klar geworden, aber obwohl die Situation nun auch „militärisch verloren“ war, bestieg Karl mit Zita „eine einzeln stehende Lokomotive und fuhr in die Kampflinie“, um sich „den Regierungstruppen zu zeigen“, vergeblich auf die Überzeugungskraft ihrer Anwesenheit hoffend.63 An den hek- tischen Verhandlungen nahe dem Budapester Bahnhof Kelenföld wa- ren auch Lehár und Oswald beteiligt, mussten aber auf dem Rückzug von Tata aus ins Ausland fliehen, um nicht wie der restliche Stab des Monarchen interniert zu werden. Das Kaiserpaar wurde in Tihany am Balaton interniert und am 1. November 1921 unter britischem Schutz ans Schwarze Meer und ins Exil auf der portugiesischen Insel Madeira gebracht, wo Karl, erst 34 Jahre alt, nach einigen Monaten einer Lungenentzündung erlag. „Mit

62 Georg Reichlin-Meldegg: General und Parzival?, a.a.O., S. 116. 63 Hans Karl Zessner-Spitzenberg: Kaiser Karl, Salzburg 1953, S. 221 ff., 227, 241, 245...... 47 dem Ableben des Kaisers Karl – sein Sohn Otto war noch ein Kind – war ein aktueller Legitimismus aussichtslos geworden“, so Anton Lehár, und Ungarn beschritt unter dem rechtsextremen Ministerprä- sidenten Gyula Gömbös, „dem Horthy völlig hörig war, den Weg ei- nes engstirnigen Nationalismus, der zur Katastrophe führen mußte“ – als eine der den Kontinent überziehenden autoritären Faschismus-Va- rianten, noch vor dem Hitler-Vorbild Mussolini, vor Primo de Rivera, Salazar, Dollfuß, Franco, Antonescu, Tiso, Pavelić, mit der Vernich- tung der ungarischen Juden als zwar von Horthy zeitweise behinder- tem, zuletzt aber willfährig unterstütztem Fanal. Zahllose signifikante Kräfte verließen damals das Land, nicht nur die Besitzenden, wie Lehár meint, so László Moholy-Nagy, Marcel Breuer, Arthur Koestler, György Lukács, George Tabori, Karl Mannheim, John von Neumann. Béla Bartók wartete damit noch bis 1940. Sich als Holzhändler ausgebend, schlugen sich Lehár und Oswald, unterstützt von aristokratischen Kreisen, über Preßburg und Prag nach München durch. Dort teils von obskuren, sich häufig im Hof- bräuhaus treffenden Rechtsradikalen betreut, erlebte der mittellose Lehár die aufgeheizte politische Situation vor Hitlers Putschversuch mit, dem Marsch auf die Feldherrnhalle am 9. November 1923, an dem sich auch der österreichische Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhem- berg beteiligte. Hitlers Auftritte beeindruckten Lehár in keiner Weise, hörte er doch nur „Phrasen und Argumente, wie man sie alltäglich in den Parteiblättern lesen konnte“. Für ihn war Hitler ein „Gaukler“, dessen massenwirksame Faszination „ein psychologisches Rätsel“ blieb und zu dem ihm der SA-Führer Ernst Röhm versicherte: „Wir werden ihn rechtzeitig beiseite stellen.“ Lehár wurde schließlich in Berlin Di- rektor der österreichischen AKM im Verband zum Schutz musikali- scher Aufführungsrechte. 1933 im Zuge der Gleichschaltung kulturel- ler Institutionen ausgewiesen, gründete er in Wien einen Musikverlag und starb 1962, nach dem Tod seines Bruders Franz Lehár im Jahr 1948 – zu dem seine Beziehung zeitlebens gespannt blieb –, in dessen Schikaneder-Schlössel in Nußdorf wohnend. Emil Oswald war von München „ohne Paß, auf Gebirgswegen nach Wien“ zurückgekehrt und ging vorerst „in seine Heimat nach Pinkafeld im Burgenland, wo er bald bei einer bedeutenden Holzfir- ma eine leitende Stellung fand“ (in der als jüdisch geltenden Firma Steiner), heißt es bei Lehár über seinen „treuen Adjutanten“, der sich dann als sein „Generalvertreter in München“ im Musikschutzverband ...... 48 ein neues Berufsfeld erschließen konnte. Wie Lehár 1933 entlassen, war er dann „bei der AKM in Wien in leitender Stellung tätig und trat ge- gen den Nationalsozialismus unserer Illegalen auf“. Deswegen denun- ziert, „mußte er drei Jahre in Dachau und Buchenwald unter schreck- lichsten Umständen zubringen“.64 Im Zusammenhang mit dem Habs- burger-Finale wird auf Emil Oswalds Beteiligung an den Ereignissen in Ungarn von 1921 nochmals eingegangen.

ANONYME ZIVILGESELLSCHAFT. Emil Oswalds Widerstands- haltung festigte sich zweifellos im KZ Dachau weiter, wo er ab Mai 1938 vor seiner Überstellung ins KZ Buchenwald gemeinsam mit fast allen späteren Mitstreitern in der O5-Leitung inhaftiert war: Hans Be- cker, Raoul Bumballa, Vikor Müllner, Eduard Seitz und Franz Sobek – aber auch mit künftigen ÖVP-Politikern wie Leopold Figl, Felix Hur- des, Alfons Gorbach, Alfred Maleta, Fritz Bock oder Heinrich Gleiss- ner sowie mit den Sozialisten Franz Olah und Alexander Eifler, dem das KZ nicht überlebenden Schutzbundkommandanten, oder dem Spanienkämpfer und Mitbegründer des Internationalen Auschwitz- Komitees Hermann Langbein.65 Dennoch konnte aus dem „ÖVP-dominierten Kreis in Dachau“, den „KP-Gruppen eher mit Mißtrauen beobachteten“, Oliver Rathkolb zufolge nicht der oft behauptete, den Neubeginn prägende parteiüber- greifende „Geist der Lagerstraße“ entstanden sein, „der alle politischen Differenzen vor 1938 vergessen ließ“, waren doch „die späteren Entschei- dungsträger der SPÖ 1945 wie Renner, Schärf, Helmer etc. nicht im Konzentrationslager“. Dieser Häftlingskonsens sei „eine Legende“, so auch Brigitte Bailer, da „die 1945 maßgeblichen Repräsentanten von ÖVP und SPÖ nicht in denselben Konzentrationslagern inhaftiert ge- wesen waren“ und „die Basis der späteren Zusammenarbeit von Wein- berger und Hurdes auf der einen, Schärf auf der anderen Seite in vor- sichtigen Gesprächen in Wien gelegt wurde“, bevor von den Parteien akzeptierte Emigranten überhaupt eine Rolle spielen konnten.66 Wegen seiner O5-Initiativen war Hans Becker (1895–1948) zwei- fellos „die wichtigste Persönlichkeit unter den Verschwörern“, der „im

64 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár, a.a.O., S. 67, 237, 240, 241, 242, 245, 246 | Georg Reichlin-Meldegg: General und Parzival?, a.a.O., S. 134. 65 Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, a.a.O., S. 297. 66 Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, a.a.O., S. 298 | Brigitte Bailer: Widerstands- kämpferInnen, a.a.O., S. 289...... 49 Herzen ein Monarchist“ blieb, aber sehr wohl wusste, dass „die Ge- schichte darüber hinweggerollt war“, so Radomir Luža in „Der Wider- stand in Österreich 1938–1945“. Als Werbeleiter der Vaterländischen Front, in der die Christlichsoziale Partei Karl Luegers aufgegangen war, und Organisator eines Operationsbüros gegen die Nazis kam er wie einige der Genannten bereits mit dem ersten ‚Prominententrans- port’ ins KZ Dachau. Ende 1940 freigelassen, aber 1945 neuerlich in Haft, konnte er bis 1944 sein Kontaktnetz „zu einem Auffangbecken für die verschiedensten Gruppierungen“ des Widerstands ausbauen. Der Journalist Raoul Bumballa wurde sein Stellvertreter und weitere Freunde aus Dachau Mitglieder im O5-Siebener-Ausschuss, so als „Konservativer“ Emil Oswald, St. Pöltens früherer Vizebürgermeister Viktor Müllner und ab Februar 1945 der aus dem Bundespressedienst der Vaterländischen Front kommende Beamte Franz Sobek, ein Ver- trauter des politisch im Bauernbund verankerten späteren Bundes- kanzlers Leopold Figl. Dem „sozialdemokratischen Wiener Schriftstel- ler Georg Fraser“, dem nicht mit dem gleichnamigen Bürgermeister verwandten „Sozialisten Eduard Seitz“ und Hermine (Clothilde) Hrdlicka „als Vertreterin der Kommunisten“, so Lužas Charakterisie- rungen, kam die Funktion parteipolitischen Ausgleichs zu.67 Nur durch ihren im KZ umgekommenen Mann in der KP verankert, wur- de Hermine Hrdlicka schließlich von dieser nicht gestützt, war aber eine der vielen im Hintergrund wirkenden, durch Verlässlichkeit rundum geschätzten Frauen, die im Widerstand initiativ wurden.68 Der Sozialist und Fleischhauer Eduard Seitz war „vor allem für die Versorgung der anderen Mitglieder“ zuständig, ohne viel an O5-Ent- scheidungen mitzuwirken, so Rathkolb.69 Als liberale Tendenz sollte von Anfang an vermieden werden, in die unversöhnlichen Kontrover- sen zwischen den autoritär-klerikalen Denkmustern des „Austrofa- schismus“ und einem illusionären „Endsieg des Sozialismus“-Streben zurückzufallen, um nach den Diktaturerfahrungen als Überlebensge- meinschaft die Zukunft möglichst offen zu halten. Hans Becker stammte als Sohn des Leiters der Marineakademie in Fiume/Rijeka, Admiral Alois Ritter von Becker, aus Pula/Pola in Istri- en. Er studierte Rechtswissenschaft und an der heutigen Universität

67 Radomir Luža: Der Widerstand in Österreich 1938–1945, a.a.O., S. 185 f., 190. 68 Manfried Rauchensteiner: Der Sonderfall, a.a.O., S. 68. 69 Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, a.a.O., S. 295 ff., 299, 300...... 50 Hans Becker Raoul Bumballa Georg Fraser Emil Oswald (Gestapo-Foto) (ca. ) Fotos: Fritz Molden: Die Feuer in der Nacht, (= August Hermann Wien  | Archiv Ch. R. Zeiz ) für angewandte Kunst, war im Ersten Weltkrieg Offizier, wurde Mit- glied des Hagenbundes, trat aber als Autor und Künstler kaum an die Öffentlichkeit. Nach Berufsjahren in Lateinamerika leitete er die Pro- paganda der Vaterländischen Front. Seine erste Frau Annie Lieser – ei- ne Tochter Henriette Liesers, die unter anderen Arnold Schönberg för- derte und nach ihrer Deportation in Riga umkam – musste mit dem gemeinsamen Sohn wegen ihrer jüdischen Herkunft 1938 in die USA fliehen. In seinem ohne Heroisierung einzelner Personen auskommen- den Bericht „Österreichs Freiheitskampf“ beschrieb Becker 1946 den Aufbau der O5: „Unsere Organisation bestand aus logischer Überle- gung in einer völligen Dezentralisation, in einer bewußten Aufspal- tung in ungezählte Kleingruppen, in einem Wissen voneinander in den Kopfstellen, weil diese und nur diese Methode allein die beste Si- cherung gegen das vielmaschige Abwehrnetz des braunen Polizeiappa- rates bot.“ Dass sofort nach den ersten Wandzeichen „eine Sonderab- teilung für O5 in der Gestapo-Leitstelle“ eingerichtet wurde, bestätig- te, für wie bedrohlich eine solche Untergrundbewegung gehalten wur- de. Feindsendermeldungen über ihre Existenz hätten die Bevölkerung „in ihrem Willen zur Befreiungsaktion sehr gestärkt“.70 Raoul Bumballa (1895–1947) kam aus Troppau/Opava, wo sein Vater ein Bestattungsunternehmen betrieb. Nach eher konfusem Le- bensweg, den er vieles verfälschend zum „Weltkriegsoffizier, als solcher durch Kopfschuß schwer verwundet“, und mit einem nie erworbenen Doktorat stilisierte, war er mit den späteren Mitstreitern Becker und

70 Hans Becker: Österreichs Freiheitskampf, a.a.O., S. 20, 22, 37...... 51 Sobek zum Anhänger der die Nazis bekämpfenden Vaterländischen Front geworden, die den in seinem angeblich feinsinnigeren Deutsch- tum kulturell überlegenen „österreichischen Menschen“ propagierte, weshalb alle drei ins KZ Dachau kamen. Somit zeichnete sich bereits „der künftige politische Wirkungskreis Bumballas“ ab, so Rathkolb. Seine als angeblicher Times-Korrespondent erlangte Sonderstellung er- leichterte interne Kontakte. Nach Überstellung ins KZ Buchenwald wurde er im November 1942 entlassen und Stellvertreter von Becker, der im März 1941 aus Mauthausen freigekommen war. Auf Beckers Organisationsskizze sind bereits ab Juni 1941 die späteren Siebener- Ausschuss-Mitglieder Müllner, Oswald, Fraser und Seitz angeführt, Oswald als Gruppe mit Hans Pernter und Felix Hurdes, einem frühe- ren und einem künftigen Unterrichtsminister. Besonders symptomatisch für das Desinteresse an den führenden O5-Aktivisten bleibt – parallel zu Emil Oswald – die stereotype Erwäh- nung des „sozialdemokratischen Schriftstellers Georg Fraser“, ohne diesem Pseudonym und der unterbliebenen Anerkennung nachzuge- hen. Fraser sei „von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit sozialis- tischer und bürgerlicher Kräfte überzeugt“ gewesen, so Otto Molden, und hatte wichtige „Verbindungen zu verschiedenen linksliberalen Zir- keln und Künstlerkreisen“.71 Denn es handelt sich dabei um August Hermann Zeiz (1893–1964), einen Deutschen, der als NS-Gegner, Journalist und erfolgreicher Autor heute vergessener Romane und The- aterstücke 1935 nach Österreich emigrierte und bis 1938 Dramaturg des Wiener Scala-Theaters war. In Abstimmung mit dem in die Emigrati- on gezwungenen Eigentümer, dem Theateragenten Georg Marton (1900–1971), führte er die Geschäfte des Wiener Büros des renommier- ten, in Budapest gegründeten Marton Verlages für Bühnen- und Mu- sikwerke weiter, indem er dessen „Arisierung“ trickreich als Schutz- mantel für oppositionelle Tätigkeiten und Fluchthilfe für Verfolgte nutzte. Deshalb war er schon 1938/39 inhaftiert und 1943/44 im KZ Dachau. Den Widerstand fortsetzend bildete er im Rahmen der O5 ei- ne eigene Gruppe. Seine jüdische Frau Gertrud Zeiz wurde in Ausch- witz ermordet. Ihr gemeinsamer, zu Thomas Sessler gewordener Sohn (da ihn Malvine von Sessler adoptierte) entkam 1938 in die Schweiz und betrieb in Zürich den Neuen Bühnenverlag, der für Hans Weigel

71 Otto Molden: Der Ruf des Gewissens, a.a.O., S. 208 | Carl Szokoll: Rettung Wiens 1945 a.a.O., S. 327...... 52 und Fritz Hochwälder ein Stützpunkt war. Wegen seiner dortigen Mit- arbeit am Widerstand mehrfach interniert, floh er nach Frankreich und kehrte mit der US-Armee nach Österreich zurück, um mit seinem Vater und Georg Marton am Neuaufbau des Verlages mitzuwirken.72 Familiäre Kontakte zum Widerstand gab es unsererseits außer zu Emil Oswald nur zum hingerichteten Transportunternehmer Heinrich Otto Spitz und seiner Witwe Stefanie aus der Familie Weinzinger, die mein Vater, und zur Witwe von Major Biedermann, die meine Mutter später gut kannte. Als Kommandant der Heeresstreife Groß-Wien 1945 zum Widerstand bereit, befehligte Biedermann im Februar 1934 ein Heimwehr-Schutzkorps, das am Niederkämpfen des Widerstandes im Karl Marx-Hof beteiligt war. Der für Fritz Moldens Widerstand wichti- ge, nach Zürich emigrierte Anwalt Kurt Grimm fiel mir später als graue Eminenz der Creditanstalt im Vorstandsrang auf, weil seine Funktion so geheimnisvoll blieb, dass sie von der Reorganisation ausdrücklich ausge- nommen war, an der ich als Mitglied eines Schweizer Beraterteams 1971/72 mitarbeitete. Dass er die inzwischen abgerissene Villa der Bun- despräsidenten (19., Hohe Warte 36), die vor ihrer „Arisierung“ dem In- haber der Garvens-Werke Alfred Götzl gehörte, früh um 145.000 öS (et- wa 10.000.- €) gekauft hatte und schließlich von der Republik dafür 11,2 Mio. öS (etwa 820.000.- €) erzielte, wurde damals viel besprochen.73 Zu Viktor Matejka ergab sich als indirekte Beziehung, dass mich dessen Frau Gerda Matejka-Feldern mit harscher Kritik bald von ihrer „Wiener Kunstschule“ vertrieb, an der ich – da sie allen Interessierten zugänglich war – als Gymnasiast meine künstlerischen Fähigkeiten er- proben wollte. Mit Fritz Molden verbrachte ich nur einmal bei einem von Katarina Noever arrangierten Treffen einen Abend, ohne dass um 1985 seine Kriegserfahrungen zum Thema werden konnten und sich weitere Kontakte ergaben. Offenbar waren unsere gedanklichen Sphä- ren – bei ihm die etablierte Professionalität der Presse-, Express- und Pressehaus-Erfahrungen, die Freundschaft mit Gerd Bacher & Co. und der Konkurs als Buchverleger, bei mir damals vor allem das Enga- gement für die noch als subversiv geltende Stadtzeitung Falter – als Anknüpfungspunkte viel zu unterschiedlich.

72 Ulrich Schulenburg: Verlagsgeschichte Thomas Sessler Verlag www.sesslerverlag.at 73 Werner Rosenberger: Auf der Hohen Warte, Wien 2015, S. 45...... 53 REPUBLIK II. Hans Becker und Raoul Bumballa überlebten ih- re politischen Verstrickungen der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht lange. 1945 stellte sich rasch heraus, dass Becker für die sich nun als Volkspartei neu formierende ÖVP, deren ständisch-berufliche Bünde- Gliederung Felix Hurdes vergeblich überwinden wollte, „als zu libe- ral“ galt, so Oliver Rathkolb. Becker wurde Diplomat und 1948 in Santiago de Chile von einem seiner Angestellten offenbar aus Eifer- sucht ermordet. Auch Raoul Bumballa, der „eher linksliberale Bestre- bungen“ parteipolitisch verankern wollte, starb schon 1947, erst 51 Jah- re alt. Als Einziger aus der O5-Leitung war er kurz Unterstaatssekretär für Inneres der Provisorischen Regierung, damit in ihr „zumindest ein bekanntes Mitglied aus der Widerstandsbewegung“ vertreten war. Ob- wohl er an der ÖVP-Gründung mitwirkte, ohne Mitglied zu sein, wollte er „den parteipolitischen Spielraum nicht akzeptieren“ und ge- hörte Rathkolb zufolge daher zu jenen, die „scheitern mußten“, was dem Neubeginn enge personelle Grenzen setzte.74 Nach Beckers neuerlicher Verhaftung im März 1945 war Bumballa, dessen „Nymbus des geheimnisvollen Widerstandskämpfers“ durch aus Wirkung zeigte, zeitweilig die zentrale Rolle zugekommen. Aber der un- mittelbar nach der Befreiung Wiens im Hauptquartier der Roten Armee deponierte Vorschlag, die O5 als Dachorganisation „einer Allparteien- Einheitsverwaltung“ einzusetzen, leitete ihre Entmachtung ein, nicht nur, weil das „eine bürgerlich-konservative Dominanz“ ergeben hätte, so Rathkolb.75 Auch Schärf war entschieden dagegen, deren Infiltration durch die Kommunisten fürchtend, wofür bereits geschulte KP-Kader aus Moskau wie Johann Koplenig, Franz Honner, Ernst Fischer und Friedl Fürnberg oder der das KZ überlebende Heinrich Dürmayer zur Verfügung standen. Die Sowjetstellen wiederum vermuteten wegen der O5-Kontakte zu westlichen Geheimdiensten Initiativen gegen die in den Alpenländern skeptisch gesehene Provisorische Regierung Renner, der, da von Stalin genehmigt, den Westalliierten anfangs als KP-Marionette galt. Es kam zu einer Agentenjagd, zu Durchsuchungen, Bumballa, Hrdlicka und ihr Mitstreiter, der sowjetische Zwangsarbeiter Mitja Gu- tov, sowie der sich trotz allem Scheitern zum „Retter Wiens“ stilisieren- de Major Szokoll wurden eine Zeit lang inhaftiert, womit die Kommu- nisten „mit Hilfe der Russen und der neu aufgestellten Staatspolizei für

74 Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, a.a.O., S. 295, 306, 307, 308, 309. 75 Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, a.a.O., S. 301, 306...... 54 Gerhard Jagschitz: Im Gerhard Botz, Gerald Colin Crouch: Koalitionsnebel ... In: Sprengnagel (Hg.): Postdemokratie, Peter Böhmer: Wer Kontroversen um Frankfurt am Main konnte, griff zu, Wien Österreichs Zeitge-   schichte, Wien / ihre gründliche Erledigung sorgten“, so Schärf, der die SPÖ ohnedies „nicht als Bestandteil der Widerstandsbewegung“ sehen wollte, um rasch über einen lenkbaren Funktionärsapparat zu verfügen.76 Die Teilung des besetzten Landes schien eine Zeit lang möglich als Weg zur ‚Volksdemokratie’. Aber durch die Etablierung aller vier Alli- ierten in Wien, die Zoneneinteilung, die erste Länderkonferenz, die Anerkennung der Provisorischen Regierung für ganz Österreich und die frühen Wahlen vom November 1945 (mit wegen der Kriegsgefan- genen hohem Frauenanteil) stabilisierte sich die Lage vorerst halbwegs, mit – für beide Linksparteien trotz noch nicht zugelassener Nazi-Stim- men enttäuschenden – 85 Mandaten für die ÖVP (49,8 %), nur 76 für die SPÖ (44,6 %) und sogar nur 4 für die KPÖ (5,4 %). Zum Neustart wählte eine Hälfte bürgerlich, die andere anti-bürgerlich. Auf Initiative Bumballas eine „Demokratische Union“ als vierte Partei zu etablieren, um „liberale und intellektuelle Elemente zu stär- ken“ und „eher linksliberale Bestrebungen“ mit den anderen Parteien unzufriedener Widerstandskräfte zu bündeln, scheiterte an der Geg- nerschaft rundum. Zum Programm gehörten „Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, Sozialpensionen für Alte, Behinderte und Opfer des Weltkrieges, Gesetz gegen Antisemitismus, Entpolitisierung der

76 Adolf Schärf: April 1945, a.a.O., S. 96 | Carl Szokoll: Die Rettung Wiens 1945, a.a.O...... 55 Verwaltung, freier Studienzugang für Minderbemittelte, Trennung von Staat und Kirche, eine Weltwirtschaftsordnung“ oder „ewige Neu- tralität“ – als „ideologisches Konglomerat von liberalen und sozialisti- schen Dogmen“, wie Rathkolb erhoben hat. Ihm zufolge vertrat Bum- balla damit ein Programm, das „innerhalb der ÖVP 1945 nicht durch- zusetzen gewesen“ wäre, da es „den politischen Katholizismus strikt ablehnte und der Widerstandsbewegung zu entsprechender politischer Verantwortung innerhalb der Partei verhelfen wollte. Auch bemühte Bumballa sich um aktive Wiedergutmachung gegenüber jüdischen Opfern des Nationalsozialismus“.77 Trotz anfänglicher Gesprächsbereitschaft wurden die Repräsen- tanten der O5 rasch als „Bande von Gaunern, Schwindlern und naiven Leuten“ ohne staatsmännisches Format abgetan, so das interne, kont- rär zum angeblichen Wohlwollen lautende Urteil Ernst Fischers 78, zu dem sich Analoges bei Schärf („bald zu bloßen Schaufiguren“ gewor- den) und Weinberger („eine Reihe sehr zweifelhafter Gestalten“) fin- det79, was an die weithin übliche Abwertung als zu naiv geltender par- teiunabhängiger Dissidenten und Bürgerinitiativen denken lässt, etwa an DDR-Wendezeiten, nach denen nur Angela Merkel, Joachim Gauck oder Gregor Gysi mit politischem Gewicht reüssierten. Dabei nahm Becker die O5-Auflösung pragmatisch hin: „Sie hat ihre Funktionen nicht überschätzt, sie ist nicht zur politischen Partei geworden, sondern sie hat ihre Mitglieder den Parteien übergeben, hat den Boden für den Beginn dieser geebnet und ist – mit wenig Nachhil- fe abgetreten, nachdem ihre Funktion erfüllt war.“80 Auch Fritz Mol- den kommentiert das lakonisch: „Die große Mehrzahl der Mitglieder der Widerstandsbewegung waren Leute, die keinerlei politische Erfah- rungen besaßen. Sie waren daher einerseits nicht in der Lage, mit den rückkehrenden Funktionären der politischen Parteien (die nach dem Ende der Kampfhandlungen erstaunlich schnell wieder auftauchten) einen Konkurrenzkampf aufzunehmen, und hatten andererseits wohl in der Mehrzahl auch nicht den Wunsch, dies zu tun.“ Überdies hätten „die Berufspolitiker schon dafür gesorgt, daß möglichst keine Wider- ständler in die neuen politischen Strukturen einrücken konn ten“.81

77 Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, a.a.O., S. 307, 308, 309. 78 Wilfried Aichinger: Sowjetische Österreichpolitik 1943–1945, Wien 1977, S. 163. 79 Adolf Schärf: April 1945, a.a.O., S. 55 | Lois Weinberger: Tatsachen, a.a.O., S. 246. 80 Hans Becker: Österreichs Freiheitskampf, a.a.O., S. 38. 81 Fritz Molden: Die Feuer in der Nacht, a.a.O., S. 180...... 56 Mit der „Übernahme der politischen Macht durch die Parteien“ endet auch für Brigitte Bailer „das kurze Zwischenspiel des versuchten Einflusses der ‚Widerstandsbewegung’ für den Wiederaufbau Öster- reichs“. Deren parteipolitische Integration „entsprach letztlich der Or- ganisation des österreichischen Widerstandes, die gleichfalls entlang der politischen Grenzen erfolgt war. Überparteiliche Gruppen wie die O5 passten nicht zum in Österreich tief verwurzelten Lagerdenken“. Bereits im Sommer 1945, lange vor Gründung des FPÖ-Vorläufers Verband der Unabhängigen (VdU) – mit bizarrer Betonung auf (par- teipolitisch) „unabhängig“ – begannen die Parteien „sich um die Wäh- lerstimmen aus dem Umfeld der von der Wahl ausgeschlossenen ehe- maligen Nationalsozialisten zu sorgen. Gleichzeitig dürfte der Ver- such, die im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung vergleichsweise kleine Minderheit der politisch Verfolgten zu wesentlichen Trägern des ‚neu- en Österreich’ zu stilisieren, bei den übrigen Österreichern und Öster- reichinnen nicht auf die gewünschte Resonanz gestoßen sein“, wie es Brigitte Bailer pointiert ausdrückt.82 Denn Renners opportunistische „Proklamation über die Selbstän- digkeit Österreichs“ vom 27. April 1945 – drei Tage, bevor Hitler sich umbrachte – begründete eine Opferrolle, die „noch viel zu schaffen machen wird“, so Portischs TV-Kommentar in „Österreich II“ zu die- ser historischen Unschuldsvermutung. Ihrem nachlesenswerten Text zufolge wurde Österreichs „Anschluss“ ans Dritte Reich – alles Mit- wirken negierend – „durch militärische Bedrohung von außen und den hochverräterischen Terror einer nazifaschistischen Minderheit eingeleitet, einer wehrlosen Staatsleitung abgelistet und abgepreßt, endlich durch militärische kriegsmäßige Besetzung des Landes dem hilflos gewordenen Volke Österreichs aufgezwungen“, das dann „in ei- nen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg“ geführt wurde, „den kein Österreicher jemals gewollt hat“.83 Weil Österreich als Staat nicht mehr existierte und sich neu grün- dete, weshalb es schließlich einen Staats- und keinen Friedensvertrag mit einem besiegten Land gab, war die neue Republik, so Portisch me- dienwirksam zu den Konsequenzen, somit „nicht verantwortlich für die Verfolgung der jüdischen Mitbürger, für deren Vertreibung und letztlich Ermordung in den Todeslagern des Dritten Reichs, auch

82 Brigitte Bailer: WiderstandskämpferInnen. a.a.O., S. 285, 292. 83 Wikipedia: Österreichische Unabhängigkeitserklärung...... 57 nicht für die Angriffskriege, nicht für die Verbrechen in den besetzten Gebieten und für die Verschleppung von rund einer Million [in Wahr- heit mehrerer Millionen] Menschen zur Zwangsarbeit nach Deutsch- land“. Solche Fiktionen ließen von vornherein kein Klima eines ge- danklich befreiten, sich vom Geschehenen radikal abgrenzenden Neu- beginns entstehen. Auch dass in der Moskauer Deklaration die ent- schiedene Verfolgung von Kriegsverbrechen angekündigt wurde, wur- de nur bedingt zur Programmatik eines Neuanfangs gemacht, weshalb zahllose Täter ihrer Strafe entgingen, obwohl anfangs konsequenter vorgegangen wurde als in Deutschland, mit ersten Volksgerichtspro- zessen ab dem Sommer 1945, vor allem wegen „Endphasenverbrechen“ mit 30 vollstreckten Todesurteilen und 14.000 Schuldsprüchen.84 Es genügten zwei Wochen, um die drei damaligen Parteien und den Ge- werkschaftsbund als Grundstruktur der Zweiten Republik neu zu ver- ankern. Angesichts von Ruinen und anlaufendem Kalten Krieg waren die Stimmungslagen jedoch kaum für einen tatsächlichen Neubau ge- sellschaftlicher Rahmenbedingungen aktivierbar. Trotz allem wurde ein „teils deklaratorischer, teils echter ‚Antifa- schismus’ zum Basiskonsens des neu entstandenen Österreich“, wie Gerhard Botz anerkennt, was allerdings einen anlassbezogenen, oft nur gefühlten „Antifaschismus“ Oppositioneller keineswegs obsolet machte, so inflationär dieser Begriff auch verwendet wird. Als „Anti- nazismus“ besaß er Botz zufolge „zunächst durchaus eine einflussrei- che lobbying-Position in den drei Gründungsparteien und in den In- stitutionen“, wurde aber „im Zuge des Wandels der politischen Kultur dieser Republik und des allmählichen Alterungsprozesses ihrer Grün- dergeneration immer mehr auf die personell schrumpfenden Wider- stands- und KZ-Verbände beschränkt und diese Verbände spalteten sich schließlich auch politisch in unterschiedliche Organisationen und miteinander rivalisierende Cliquen auf“. Dass die Nazi-Gegnerschaft „ein weites Spektrum von stalinistischen Linken bis zu ‚Austrofaschis- ten’ und Heimwehranhängern vereinte“, blieb eine latente Konflikt- sphäre. Die tendenziell ziemlich eindeutig „antinazistische“ Elitenkul- tur mit ihren Qualitätsmedien wurde weiterhin von einer – durch Meinungsumfragen zunehmend relevanten – Massenkultur infiltriert, wie Botz resümiert, „die wenig verändert jenes politisch-mentale Mi- lieu perpetuiert, das aus ihrem rechten Segment in der Vergangenheit

84 Wikipedia: Volksgericht (Österreich)...... 58 schon Antisemitismus, Autoritarismus, Heimwehr und Nationalsozi- alismus hervorgebracht hat, ohne damit voll identisch zu sein“.85 Durch den Tod von Bumballa und Becker verlor der vom O5-Sie- bener-Ausschuss repräsentierte Widerstand maßgebliche Stimmen, die ihn hätten bewusst halten können. Für seine anderen Mitglieder ergaben sich ohne Rückhalt in Parteien eher desperate weitere Wege. Nur Viktor Müllner machte von St. Pölten aus als ÖVP-Politiker, Vi- ze-Landeshauptmann Niederösterreichs und mächtiger Chef der Elek- trizitätsgesellschaft Newag Karriere. Wegen korrupter Bereicherung und Parteifinanzierung kam er 1966 in Haft und starb 1988 hochbe- tagt, durch Pfändungen verarmt, als letzter Überlebender des Siebe- ner-Ausschusses. Franz Sobek wurde als Generaldirektor der Österrei- chischen Staatsdruckerei einiger dubioser Vorgänge verdächtigt und verschaffte sich ein Wohnrecht im Wiener Geymüllerschlössel, blieb aber vor allem durch seine dem Museum für angewandte Kunst ver- machte Uhren sammlung in Erinnerung. Von der Kommunistin Her- mine Hrdlicka verlieren sich die Spuren laut Schärf in der Tschecho- slowakei.86 Der Sozialist Eduard Seitz wurde Innungsmeister der Fleischhauer87 und starb 1950, sofern er mit der damals auf dem Zen- tralfriedhof bestatteten Person dieses Namens identisch ist. Carl Szo- koll wurde einer der Vorzeige-Zeitzeugen und Produktionsleiter bei Filmen wie „Die letzte Brücke“ (Regie Helmut Käutner) und „Der letzte Akt“ (Regie G. W. Pabst) sowie schließlich Produktionspartner für Franz Antel-Filme. August Hermann Zeiz alias Georg Fraser und sein Sohn Thomas Sessler konzentrierten sich auf den Neuaufbau des Verlages von Georg Marton, der aus den USA zurückgekehrt war. Sich altersbedingt zu- rückziehend lebte Zeiz dann wieder in Berlin, wo er 1964 starb. Tho- mas Sessler fusionierte den Marton Verlag und die Wiener Verlagsan- stalt zum Thomas Sessler Verlag. Seine Halbschwester aus der zweiten Ehe des Vaters heiratete Ulrich Schulenburg, der ihm als Leiter des Un- ternehmens nachfolgte. Dessen Bedeutung demonstrieren seine Autorenrechte, die von Ödon von Horváth, H. C. Artmann, Karl Farkas, Helmut Qualtinger,

85 Gerhard Botz in: Botz, Sprengnagel (Hg.): Kontroversen, a.a.O., S. 453, 456, 458, 459. 86 Adolf Schärf: April 1945 in Wien, a.a.O., S. 62. 87 Oliver Rathkolb: Raoul Bumballa, a.a.O., S. 310...... 59 Peter Turrini, Wilhelm Pevny und Franz Xaver Kroetz bis zu Fritz Lang oder Billy Wilder reichen.88 Auch Emil Oswald, damals 48 Jahre alt, begann sein Nachkriegs- leben mit explizit kulturellen Funktionen, die durchaus zur Politik qualifizierten. Zwar wurde er erster Wiener ÖVP-Obmann, aber noch 1945 von Lois Weinberger abgelöst und dann kaum noch ir- gendwo erwähnt. Schon in Weinbergers Erinnerungen fehlt jeder Hinweis auf Oswalds O5-Funktion, Weinberger würdigte ihn nur routinemäßig als unmittelbaren Amtsvorgänger. Der Wechsel wird mit Parteiräson und der Bedeutung des ÖAAB, des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes, begründet: „Hauptmann a. d. Oswald“, so die neuerliche, im Rang zurückgestufte Reduktion auf Militärisches ohne Angaben zum Zivilberuf, „hatte die provisorische Leitung der Wiener Parteiorganisation übernommen und sich unter schwierigsten Umständen ehrlich und vollkommen uneigennützig um den Aufbau einer ersten Organisation bemüht. Als ich ihn über Wunsch der Bundesparteileitung im Oktober 1945 ablöste, geschah das nur mit Rücksicht auf meine besondere Aufgabe in Wien und war zugleich eine Anerkennung der wohl aktivsten und selbstloses- ten Mitarbeiter der Partei in der Großstadt, die vor allem aus den Reihen der unselbständigen Arbeitnehmerschaft kamen.“89 Wein- berger wurde als Mitbegründer von ÖVP, ÖAAB und des Gewerk- schaftsbundes ÖGB langjähriger Wie ner Vizebürgermeister. So als ob in mehrfachem Sinn Parteiräson im Spiel wäre, kommt Emil Os- wald wie erwähnt auch in Neugebauers „Der österreichische Wider- stand 1938–1945“ von 2015 nicht mehr vor, obwohl alle anderen Mit- glieder der O5-Leitung genannt werden. Anknüpfend an seine Vorkriegstätigkeit amtierte Oswald bereits ab dem 4. Mai 1945 als provisorischer Leiter und dann als General- direktor der neuzugründenden AKM, der Verwertungsgesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger, bis er 1952 „aufgrund von Differenzen mit der Gesellschaft abgesetzt“ wurde, wie es in der Diplomarbeit von Tamara Herker über diese Organisation heißt.90 Familienintern war stets von diversen Intrigen die Rede. Dass er wie

88 Ulrich Schulenburg: Verlagsgeschichte Thomas Sessler Verlag www.sesslerverlag.at 89 Lois Weinberger: Tatsachen, Begegnungen und Gespräche, a.a.O., S. 267. 90 Tamara Herker: Die AKM/GF-ÖM und ihre Förderprojekte seit 1985, Diplom- arbeit, Universität Wien 2008, S. 14 f...... 60 Hans Becker Freimaurer war, soll eine Rolle gespielt haben, nur war er das, obwohl durchaus vorstellbar, definitiv nicht. Er wurde Kon- sulent der deutschen Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA), was ihm und sei- ner Frau ein durchaus wohlhabendes Leben ermöglichte. Fast zu je- der auftauchenden Frage konnte er weitreichende Kontakte einset- zen. Ihn stereotyp als Monarchisten und Offizier zu bezeichnen war stets unsinnig, galt er doch selbst für Adolf Schärf und Ernst Fischer, der zu einem seiner kommunistischen Freunde wurde, als ein „Ver- treter des liberalen Bürgertums“, und das war er auch, ein nach tur- bulentem Lebensweg überzeugter Demokrat. Seine „Verbindungen zu liberalen Kreisen und Gruppen“91 hätten jedenfalls das politische Spektrum der Akteure deutlich erweitern können. Bis zu seinem Tod 1964 war er in meinem damaligen familiären Umfeld einer der we- nigen explizit urbanen, weltoffenen Linksliberalen seiner Generati- on. Dass sich für solche Haltungen trotz fragwürdig gewordener Zu- ordnungen erst in den letzten Jahren Ansätze eines politischen Rück- halts organisieren ließen, blieb eines der strukturellen Defizite der Zweiten Republik. Diese benennt Gerhard Jagschitz in seinem Kommentar zu „Par- teien und Demokratie am Beginn der Zweiten Republik“ von 1999 überaus prägnant92, wenn er ausführt, wie gewohnte machtpolitische Denkmuster bereits unmittelbar nach Kriegsende „das Weiterwirken der jahrhundertelangen Hierarchisierung der Gesellschaft, der feuda- len Strukturen, des Obrigkeits-Untertanen-Verhältnisses und der viel- fältigen Abhängigkeitsstränge“ begünstigten. „Ein selbstbewußtes Staatsbürgertum oder ein demokratischer Bürgerstolz“ waren nicht ge- fragt. Denn das vom „Siebener-Ausschuß beanspruchte Recht, die neuen demokratischen Verwaltungen einzusetzen“, wurde sofort von den Parteien blockiert. Nicht die unprofessionelle „Naivität der Wi- derstandsfunktionäre“ oder ein drohendes kommunistisches Überge- wicht, sondern „ihr radikal anderes politisches Konzept“ provozierte eine solche Gegnerschaft: „Basisdemokratie versus Föderalismus, Selbstverwaltung versus Konzentration aller politischen Kräfte“. Da trotz Chaos und massiver Plünderungen „eine ganze Menge Men- schen mit öffentlichen Interessen in Bewegung gebracht“ wurden, war

91 Otto Molden: Der Ruf des Gewissens, a.a.O., S. 208. 92 Gerhard Jagschitz: Im Koalitionsnebel, a.a.O., S. ix ff...... 61 in den spontan aktiven neuen Leuten im Kern durchaus „eine vorweg- genommene Bürgergesellschaft“ erkennbar, nur waren, weil es dezi- diert um „die Fortsetzung der staatlich-bürokratischen Bürokratie von oben“ ging, „basisdemokratische Entwicklungen von den Machteliten nicht erwünscht“. Diese waren, so Jagschitz weiter, entgegen aller späteren Wider- standsrhetorik im Krieg durchwegs „vorsichtig gewesen: ein paar Ge- spräche, flüchtige Kontakte, gelegentliche Phantastereien während der nationalsozialistischen Periode – mehr nicht, für anderes waren die Ohren der Gestapo zu hellhörig“. Exponiert hatten sich Unbekannte. Als Erster habe Karl Renner, der dann bald „als Bundespräsident in Ehren abgelagert“ wurde, zielstrebig die Chance auf eine neuerliche Führungsfunktion genutzt, was rasch anerkannt wurde, eben weil er eine „Verbindung von Parteien- und Staatsmacht“ garantierte, was auch im Sinne Stalins war, der entgegen vieler Darstellungen „eine Einverleibung Österreichs in das osteuropäische Interessengebiet als politisch unrealistisch qualifizierte“. Schärf wurde zum „neuen starken Mann der SPÖ“ mit Leopold Figl (1902–1965) als ÖVP-Partner. „Nun war die Stunde der politischen Füchse gekommen“, um mit den Alli- ierten Kompromisse zu finden und kontroverse parteiinterne Strö- mungen auf Linie zu bringen. Daher wurden – als für Jagschitz deutlich erkennbare Zäsur – ös- terreichweit „die meisten der aus dem Widerstand kommenden Funk- tionäre im Verlauf des Sommers 1945 abgelöst, retten konnte sich nur, wer bei den Parteien Unterschlupf suchte“, was auch für Nazis oft die „politische Absolution“ bedeutete. Die Widerstandsgruppen „wurden auf ein Element öffentlicher Vergangenheitsinszenierung reduziert und nur mehr bei Gedenktagen und Befreiungsfeiern herangezogen“. Trotz aller Zerstörungen war über enorme noch vorhandene Werte zu ent- scheiden – aber „in der Euphorie der Aufteilung des vermeintlich ‚her- renlosen’ Gutes ist das Verständnis dafür verloren gegangen, dass die Basis hunderttausendfache Vertreibung, zehntausendfacher Mord und der Raub an politischen Opfern in Österreich war“. Ausgehend vom „Proporz für die leitenden Bezirksfunktionen“, denn „so kontrollierte jeder jeden“, entstand in kurzer Zeit „dieses System österreichischer Be- ziehungen“ zur „Versorgung nahestehender Personen“ (wie in traditio- nellen Stammeskulturen) und damit „eine Gesellschaft der Anpasser, Beuger und Wendehälse, der Interventionen und Befürwortungen“. Zu Prototypen wurden einerseits „der angepasste, dankbare Bürger oh- ...... 62 ne politische Ansprüche“, andererseits „der seine Macht kennende und oft auch zeigende Funktionär, der die Regeln selbst bestimmte“. Hin- ter der „patriotischen Euphorie um die Unabhängigkeitserklärung ver- steckte sich die eigentliche Fragwürdigkeit, dass rechtlich inexistente Gruppen – Parteien sind in der Verfassung nicht erwähnt – staatsrecht- lich so weitreichende Akte setzen und der Bevölkerung Rechte und Pflichten vorschreiben konnten“. Die Politik selbst wurde weiter „im kleinen Kreis und ohne viel Kontrolle gemacht“, mit einem als partei- politisch gesteuerte Abstimmungsmaschinerie organisierten Parlament. Obwohl die Parlamentsparteien jährlich nun „rund 20 Millionen Eu- ro“ allein an Klubförderung bekommen, enthält auch noch das Klub- finanzierungsgesetz 1985, so der Rechnungshof, „keine Bestimmungen über die Kontrolle der widmungsgemäßen Verwendung“.93 Bereits 1945 zeichneten sich somit künftige Entwicklungen ab, so Jagschitzs analytisches Resümee: „Die politische Philosophie der Par- teien, den Staat als ihren Besitzstand zu betrachten, führte danach zu einer zunehmenden inneren und äußeren Erstarrung. In Verbindung mit dem System der Sozialpartnerschaft – ebenfalls im öffentlich un- überprüfbaren Bereich – entwickelte sich eine schwere demokratiepo- litische Hypothek, die viele österreichische Besonderheiten erklärt.“ Die ostentative „Propagierung der ‚Stunde Null’“ war bloß ein „Inst- rument der Generalamnesie für die vielfältigen Verstrickungsebenen mit der nationalsozialistischen Periode“ und Fundament „für den Auf- baumythos“ und die großkoalitionäre „Verdrängungskultur“. So ent- stand die Zweite Republik als „ein System der Restauration und nicht einer radikalen demokratischen Erneuerung“.94 Um diese nachwirkenden Konfusionen möglichst breitenwirksam aufzuklären, fordert auch Jagschitzs Fachkollege Gerhard Botz insistie- rend, wie eingangs betont, Zeitgeschichte „von einer nach demokra- tisch-liberalen Grundsätzen bewerteten NS-Vergangenheit her neu zu denken“, da „eine sorgfältig ausbalancierende ‚Koalitionsgeschichts- schreibung’“ nur die „parteipolitisch gespaltenen ‚offiziösen’ Geschichts- bilder“ angeboten hat.95 Adressat dafür ist eine zu bestärkende, tenden- ziell anonyme Zivilgesellschaft aus allen Bevölkerungsschichten. Ansät-

93 Walter Müller: Der lockere Umgang mit Parteigeldern, Der Standard, Wien, 8. Oktober 2015. 94 Gerhard Jagschitz: Im Koalitionsnebel ..., a.a.O., S. ix ff. 95 Gerhard Botz in: Botz, Sprengnagel (Hg.): Kontroversen, a.a.O., S. 26, 462, 574 ff...... 63 ze lebte der für alle Beteiligten höchst riskante Widerstand gegen die NS-Barbarei vor – wofür die O5-Leitung mit Emil Oswald ein markan- tes Bespiel ist, gerade weil sie keine Idealisierung beanspruchte. Wegen des massiven bürgerlichen und proletarischen Rückhalts der Nationalsozialisten verfälschen um idealtypische Links-Rechts- Projektionen kreisende Darstellungen des Widerstands – mit Bour- geoisie und Arbeiterklasse als Gegenpolen eines fiktiven nationalen Freiheitskampfes, der idealerweise zu einer Revolution von unten hät- te führen müssen – die Bandbreite des Verhaltens unter totalitären Be- dingungen. Gegnerschaft gab es punktuell in allen Schichten als höchstpersönliche Entscheidung. Solche Positionen, abgesehen von dezidiert Reaktionärem, angesichts lebensgefährlicher Situationen und allseits vager Demokratiekonzepte gegeneinander auszuspielen überzeichnet einen Wettbewerb des einzig Richtigen, ohne damalige Realitäten und die ideologischen Transformationen seither zu berück- sichtigen. Auch Karl Marx, Viktor Adler, Otto Bauer oder Bruno Kreisky waren nach Herkunft und Lebensweise Bürgerliche, ohne dass sie deswegen auf die Interessen ihrer Klasse fixiert blieben. Was hier- zulande zerstört wurde, so Eric Hobs bawm, „war schlicht und einfach eine Wiener bürgerliche Kultur“, die „als jüdisch zu beschreiben“ völ- lig eindimensional wäre, weil trotz aller Gegensätze höchst fruchtbare Symbiosen möglich wurden.96 Das sich ergebende Sammelsurium an Widersprüchen lässt sich auch als Ansatz eines unübersichtliche Verflechtungen akzeptierenden Geschichtsverständnisses begreifen. War doch auf liberale Demokrati- en bezogen – in vielem ein Gegensatz zu neoliberaler Effizienzgesin- nung – der als bürgerlich geltende Widerstand genauso kontrovers wie jener der defensiv gespaltenen Arbeiterbewegung, die einst beanspruch- te, mit den Verdammten dieser Erde solidarisch zu sein, was selbst für Asylsuchende nicht mehr aktivierbar ist. Gerade weil Politik nur noch mit Wahrscheinlichkeiten rechnet und sich anti-bürgerliche Haltungen wie angeblich bürgerliche Kultiviertheit drastisch transformierten, geht es, trotz aller Gegenkräfte und Ohnmachtsgefühle, umso mehr um ei- ne Zivilgesellschaft als kritische Masse, nicht bloß um materiell abgesi- chertes Bürgertum, sondern um Menschenrechtsperspektiven und um garantierte Bürgerrechte aller Bürgerinnen und Bürger.

96 Eric Hobsbawm: Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert, München 2004, S. 28...... 64 Denn nach den jüngsten Trends, so der Politikwissenschaftler Co- lin Crouch zur „Postdemokratie“, „dürfte die typische Partei des 21. Jahrhunderts eine sich selbst reproduzierende interne Elite umfassen“, die eng mit diversen Unternehmen vernetzt ist …97

97 Colin Crouch: Postdemokratie, Frankfurt am Main 2008, S. 96...... 65 „Bis zur Waldheim-Auseinandersetzung ging Bruno Kreisky davon aus, dass antisemitische und nationalsozialistische Strömungen vor al- lem ‚biologisch obsolet’ werden würden, wie er es mir gegenüber äu- ßerte. Bei vielen Angehörigen der älteren Generation, die zu keiner oder zu wenig Einsicht bereit wären, würden erst mit ihrem Tod auch deren fatale Ideologien untergehen und damit in der Bevölkerung de- mokratisch-politischen Mentalitäten und Handlungsmustern Platz machen. Bis dahin sei daher oft nur eine Art von Koexistenz erreich- bar. Freilich musste er später seine Hoffnung relativieren.“

Peter Kreisky: „Neues Österreich“. In: Brigitte Lehmann, Doron Rabinovici, Sibylle Summer (Hg.): Von der Kunst der Nestbeschmutzung. Dokumente gegen Res- sentiment und Rassismus seit 1986, Wien 2009 Wien 1938 DAS „WIENER MODELL“. Konträr zu allen Behauptungen, Nachlässigkeit, Schlamperei und Problemverdrängung würden Öster- reich vor übertriebener Effizienz schützen, wurde das vom wie Hitler in Linz aufgewachsenen SS-Offizier Adolf Eichmann und seinem klei- nen Stab ab März 1938 in kürzester Zeit minutiös durchorganisierte Verfahren bekanntlich für die Machthaber in Berlin zum anerkannten Muster unerbittlicher Perfektion. Denn Eichmanns „‚Wiener Modell’ der ‚Arisierung’ jüdischen Eigentums“, der Massenabschiebung als jü- disch geltender, beraubter und ihre Staatsbürgerschaft verlierender Menschen wie deren spätere systematische Deportation, ließ sich auf den gesamten Machtbereich des Dritten Reichs ausdehnen, wie der Historiker Mark Mazower in „Der dunkle Kontinent“ als Zusammen- fassung zeitgeschichtlicher Forschungen konstatiert. Diese Enteignungen und Zwangsverkäufe zugunsten regimetreu- er Profiteure betrafen Hunderte Betriebsvermögen und in einem „aus- schließlich rassisch ausgerichteten Wohlfahrtsprogramm“, so Mazo- wer, allein in Wien 70.000 Wohnungen.1 Das waren „um 7.000 mehr, als durch eine intensive zehnjährige Wohnbautätigkeit der sozialde- mokratischen Stadtverwaltung vor 1934 in Wien geschaffen werden konnten“, wie Gerhard Botz in „Nationalsozialismus in Wien“ präzi- siert. Die von ihm präzise kommentierte, sofort eskalierende „Pog- romstimmung“ mit ihren widerwärtigen Ausschreitungen führte zu Demütigungen, von denen „meist so schwere psychische Traumatisie- rungen“ zurückblieben, „dass die Betroffenen nicht oder erst sehr spät (nach der Waldheim-Affäre) davon (Fremden) erzählen konnten“.2 Erfahrungsberichte von ihnen sind sehr oft erst nach Jahrzehnten pu- bliziert worden, so in „Nach dem ‚Anschluss’ …“ aus dem Archiv der Harvard University, die Beiträge zum „Schweigen und Reden einer Generation“ von Gerhard Botz oder „Die letzten Zeugen“ als ergrei- fende Burgtheaterinszenierung von Doron Rabinovici und Mathias Hartmann (2014).3 Gerade Augenzeugen machen vieles grob Geläufi-

1 Mark Mazower: Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 151, 252. 2 Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssi- cherung, Radikalisierung 1938/39, Wien 2008, S. 122, 589. 3 Margarete Limberg, Hubert Rübsaat (Hg.): Nach dem ‚Anschluss’ … Berichte österreichischer EmigrantInnen aus dem Archiv der Harvard University, Wien 2013 | Gerhard Botz (Hg.): Schweigen und Reden einer Generation. Erinne- rungsgespräche mit Opfern, Tätern und Mitläufern des Nationalsozialismus, ...... 68 Gerhard Botz: National- George Clare: Eric R. Kandel: In Search Ari Rath: sozialismus in Wien, Letzter Walzer in of Memory, New York Ari heißt Löwe. Wien  Wien, Wien   Erinnerungen, Wien 

ge als wiederholbares Muster begreifbarer: das durch Angst- und Hass- parolen propagandistisch provozierte Umschlagen der Feinbilder von internen „Fremden“, den Juden, auf externe Fremde, auf das Weltju- dentum, die Slawen, Bolschewiken, Untermenschen, letztlich den Rest der Welt und nun sogar auf Kriegsflüchtlinge. So beschreibt der in Wien geborene, zu George Clare gewordene Bankierssohn Georg Klaar (1920–2009) in „Letzter Walzer in Wien“, wie er vom Fenster ihrer Wohnung mitansehen musste, dass ein bereits mit Hakenkreuzbinde gekennzeichneter Polizist in der Nussdorfer Straße „mit seinem Gummiknüppel in rasender Wut auf einen Mann einhieb, der sich zu seinen Füßen krümmte“. Eine „,Stadt der Raserei und der Angst’ nannte die Times Wien in ihrer Samstagausgabe“, er- innert er sich, denn „in Österreich fand kein Punkt des nationalsozia- listischen Programms stärkeren Widerhall als der antijüdische. Viel- leicht war nur eine Minderheit des schreienden Straßenmobs wirklich überzeugte Nazis, Antisemiten waren sie allemal“. Auch seinen Vater, den Onkel und die Cousine holten vom Hausmeister geleitete SA- Männer aus der Wohnung zum Putzen. „Juden – Männer, Frauen und Kinder, Alte und Kranke ebenso wie Junge und Gesunde wurden zu- sammengetrieben und gezwungen, umgeben vom jubelnden und schreienden Mob, in den Straßen niedrige, erniedrigende Arbeiten zu verrichten.“ Glaubten die meisten deutschen Juden damals noch, „sie

Wien 2007 | Die letzten Zeugen, Burgtheater Wien 2013, Zeitzeugenprojekt von Doron Rabinovici und Mathias Hartmann, Programmheft mit den Texten...... 69 könnten weiterhin in ihrem geliebten Deutschland leben“, war „das Paradoxon am Ausbruch des Antisemitismus in Wien“, dass er „Tau- senden von Juden das Leben gerettet hat“, da er „keinen Juden darü- ber in Zweifel ließ, dass er so rasch wie möglich das Land verlassen musste“.4 Elsa Björkman-Goldschmidt (1888–1982) erlebte als Frau des Wie- ner Arztes Waldemar Goldschmidt, wie alles „von langer Hand vorbe- reitet“ war und „heuchlerische Bewohner“ oft „die örtlichen Verhält- nisse verraten“ hatten. „Die Scheuerbrigaden zielten darauf ab, uner- wünschte Personen zu erniedrigen“, mit eifriger Beteiligung höhni- scher Hitlerjungen. „Fünfzehn unserer Freunde hatten ihrem Leben bereits freiwillig ein Ende gesetzt.“5 Eric R. Kandel, der zum Neurowissenschaftler und Nobelpreisträ- ger wurde, erlebte die vom Parteiapparat organisierte ‚Reichspogrom- nacht’ Anfang November 1938 mit: „In keiner Stadt des nationalsozi- alistischen Machtbereichs wütete der Mob in dieser Nacht so entfesselt wie in Wien. Die Juden wurden verhöhnt, brutal geschlagen, aus ih- ren Geschäften und vorübergehend auch aus ihren Häusern und Woh- nungen vertrieben. Habgierige Nachbarn plünderten Geschäfte und Wohnungen. Unsere schöne Synagoge in der Schopenhauerstraße wurde vollständig zerstört.“ Selbst die ebenso aufgehetzten Deutschen teilten in ihrer Gesamtheit nicht „den bösartigen Antisemitismus der Österreicher“, obwohl „der rassische Antisemitismus vor 1938 keine bestimmende Rolle in Wien gespielt“ hatte, weil erst „der Wechsel von einer kulturellen zu einer rassischen Form“ alles verschärfte. „Ein wichtiger Grund für das Verhalten der Wiener im Jahr 1938 war sicher- lich reiner Opportunismus. Der wirtschaftliche, politische, kulturelle und akademische Erfolg des jüdischen Bevölkerungsteils rief unter den Nichtjuden Neid und den Wunsch nach Vergeltung hervor, be- sonders unter denen, die an der Universität waren. Unter den Mitglie- dern der nationalsozialistischen Partei gab es anteilig weit mehr Uni- versitätsprofessoren als in der Bevölkerung insgesamt. Infolgedessen waren die nichtjüdischen Wiener eifrig bestrebt, ihr Fortkommen zu sichern, indem sie Juden in den qualifizierten Berufen ersetzten. Jüdi- sche Universitätsprofessoren, Anwälte und Ärzte verloren rasch ihre

4 George Clare: Letzter Walter in Wien, Wien 2001, S. 216, 218, 233. 5 Renate Schreiber (Hg.): Es geschah in Wien. Erinnerungen von Elsa Björkman- Goldschmidt, Wien 2007, S. 232, 238, 239...... 70 Stellungen und Praxen. Viele Wiener eigneten sich ohne viel Federle- sen jüdische Häuser und Besitztümer an.“ Deswegen sei klar: „The success of many Austrians today is based on the money and property stolen sixty years ago“, so die von Kandel in die englische Originalaus- gabe übernommene Zusammenfassung der Konsequenzen dieser Be- raubung aus „Unser Wien. ‚Arisierung’ auf österreichisch“ von Tina Walzer und Stephan Templ, die dort lautet: „In jedem Falle waren sie Profiteure des Naziterrors.“6 „Erst wenn die Enteignungen und die ge- scheiterten Restitutionen“, so deren insistierende Forderung, „wieder mit den in ihr handelnden Personen verknüpft werden, ist es möglich, den Bannkreis von Vorurteilen und politischen Schlagwörtern zu durchbrechen.“7 Für den herausragenden Hollywoodproduzenten Eric Pleskow, der – wie Eric Kandel und Ari Rath, langjähriger Herausgeber der Je- rusalem Post – als Halbwüchsiger rechtzeitig aus Wien entkommen konnte und dann als Leiter von United Artists und Orion Pictures so bedeutende Filme wie „Einer flog über das Kuckucksnest“, „Der Stadt- neurotiker“, „Apocalypse Now“, „Mississippi Burning“, „Der mit dem Wolf tanzt“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ produzierte, ist „ein wahnsinniger Mob“ die prägende Erinnerung an Wien geblieben. „Es war so, als ob die Österreicher im Fach ‚Rassenhass’ zu Vorzugsschü- lern werden wollten. Ganz normale Leute haben gestohlen, gedroht, geschlagen, erpresst.“8 Der Dokumentarfilm „Die Porzellangassenbu- ben“ mit Gesprächen zwischen Eric Pleskow und Ari Rath vergegen- wärtigt solche Erinnerungen und dass sie Nachbarn waren, ohne ein- ander damals zu kennen.9 „Besonders schockierte uns“, heißt es in Ari Raths Biographie, „dass sämtliche Polizisten der Wiener Polizei bereits Samstagfrüh [12. März 1938] Hakenkreuzarmbinden trugen. Bald sa- hen wir junge und ältere Juden auf den Straßen knien, die unter Spott und Misshandlungen der Wiener Bevölkerung gezwungen wurden,

6 Eric R. Kandel: In Search of Memory. The Emergence of a New Science of Mind, New York – London 2006, S. 12 ff., 30; Auf der Suche nach dem Ge- dächtnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes, München 2006, S. 28 ff., 44, 46, 47 | Tina Walzer, Stephan Templ: Unser Wien, a.a.O., S. 110 | Bob Martens, Herbert Peter: Die zerstörten Synagogen Wiens, Wien 2009. 7 Tina Walzer, Stephan Templ: Unser Wien, a.a.O., S. 11. 8 Andrea Ernst: Eric Pleskow. Ein Leben für den Film, Wien 2008, S. 29, 35. 9 Lukas Sturm: Die Porzellangassenbuben, Dokumentarfilm mit Eric Pleskow und Ari Rath, Wien 2012...... 71 die Wahllosungen gegen den ‚Anschluss’ mit Zahnbürsten zu entfernen.“10 Ganz in der Nähe, in der Wallensteinstraße, wuchs Raul Hilberg (1926–2007) auf, der ebenfalls rechtzeitig entkommen konnte und „Die Vernichtung der europäischen Juden“ zu seinem akribisch forschenden Lebensthema machte, obwohl er dafür über Jahre kaum Rückhalt bekam.11 Carl Djerassi (1923–2015), dem „die erste Synthese eines oralen Verhütungsmittels“ gelang – das zur Pille schlechthin wurde –, war als 15-Jähriger in Wien „zum ‚Juden’ gestempelt“ und in die USA vertrie- ben worden. Dass Österreich „drei Jahrzehnte später als Deutschland“ endlich „mit der Aufarbeitung der Geschehnisse während der Nazi- zeit“ und danach begann, mündete 1995 immerhin in die wichtige Geste der Bundesregierung, wie er anerkennt, allen Vertriebenen wie- der „ihren österreichischen Pass“ anzubieten, ohne die neue Staatsbür- gerschaft aufgeben zu müssen.12 Aus dieser Generation als Heranwachsende mit Wien verbunde- ner Vertriebener war für uns Hans Zeisel (1905–1992) der wichtigste frühe Zeitzeuge, dessen 1933 mit Marie Jahoda und Paul Lazarsfeld verfasste, zum sozialwissenschaftlichen Schlüsseltext werdende Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ aufgezeigt hat, wie lähmend Ar- beitslosigkeit wirkt und dass sie keineswegs Aufruhrkräfte freisetzt.13 Entkommen konnte er wie so viele, auf deren Potential systematisch verzichtet wurde, nur mit Glück, weil ihn sein Bewacher bei einem Hinterausgang der Haftanstalt am Donaukanal, „hau ab“ zischend, ins Freie stieß, da er als Sohn ihres Hausbesorgers momentan Mitgefühl mit einem ihm lange Bekannten zeigte. Ergaben sich im Gespräch Hinweise auf die vielen im Familienumfeld Ermordeten, geriet Hans Zeisel in ergriffenes Stocken. Mein mit ihm zu Zeiten der Waldheim- Krise geführtes Interview für den Falter gab er schließlich nicht zur Veröffentlichung frei, weil ihm seine bitteren Anmerkungen ange-

10 Ari Rath: Ari heißt Löwe. Erinnerungen, Wien 2012, S. 12, 33, 35. 11 Raul Hilberg: Unerbetene Erinnerung, Der Weg eines Holocaustforschers, Frankfurt am Main 1994 | Die Vernichtung der europäischen Juden, 3 Bände, Frankfurt am Main 1990. 12 Carl Djerassi: Der Schattensammler. Die allerletzte Autobiografie, Innsbruck – Wien 2013, S. 140, 189, 474. 13 Marie Jahoda, Paul F. Lazarsfeld, Hans Zeisel: Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslo- sigkeit (1933), Frankfurt am Main 1975...... 72 Tina Walzer, Stephan Sebastian Haffner: André François- Jan Philipp Templ: Unser Wien. Geschichte eines Poncet: Als Botschaf- Reemtsma: „Wie „Arisierung“ auf Deutschen. Die ter im Dritten Reich, hätte ich mich österreichisch, Berlin Erinnerungen Mainz  verhalten?“ und  – (), andere nicht nur München  deutsche Fragen, München 

sichts der Stimmungslagen im Land sinnlos erschienen. Auch als wir Eric Pleskow kennenlernten, den in Richtung Jugend versöhnlichen Präsidenten des Viennale-Filmfestivals, machte er trotz seiner erkenn- baren Lebensfreude und Tatkraft mehrfach sehr deutlich, dass er in Wien mit den Leuten seiner Generation möglichst nichts mehr zu tun haben wollte.

ILLEGALE NAZIS. Wie sein katholisch und national gesinnter Freundeskreis war mein damals 34-jähriger Vater Franz Reder vom „Anschluss“ begeistert, weil er einen wirtschaftlichen Aufschwung er- hoffte. Hitlers Heldenplatzauftritt nannte er „seinen glücklichsten Tag“, als ersehnte „Heimkehr ins Reich“ einer Großmacht und Grund- lage eines neuen, auf Österreich bezogen stets brüchig gebliebenen Selbstbewusstseins. Unter Führung von tüchtigen Deutschen – als die sich alle von ihnen hochmütig fühlten – würde sich alles zum Besse- ren wenden. In ihrem Glauben an Führer ging es nie um Demokratie. Nationales genügte als Gemeinsamkeit. Multinationale Monarchie- Erinnerungen waren sichtlich komplett verdrängt als Kontinuität deutscher Überlegenheitsgefühle. Nie aber wurde in diesem Umfeld später eingestanden, dass die seit Jahren verübten Gewalttaten der Nazis und die dann in Wien so- fort einsetzenden, vom über Nacht auf Linie gebrachten Staatsapparat ...... 73 geduldeten Gemeinheiten und Übergriffe gegen zu verfolgbaren Fein- den erklärte Mitbürger, ob Männer, Frauen oder Kinder, irritiert hät- ten oder auch nur bemerkt worden wären. Sichtlich wurde weithin ak- zeptiert, dass vor allem als jüdisch geltende Menschen keinerlei Mit- gefühl und Schutz mehr verdienten. Spontane Hilfsbereitschaft blieb die seltene Ausnahme. Mein Vater war am 9. Juni 1934 der wegen häufiger Attentate be- reits verbotenen NSDAP beigetreten, als längst auch in Österreich kei- ne demokratischen Verhältnisse mehr herrschten. Er wurde damit be- wusst zum ‚Illegalen’, was nach dem Krieg, weil leichter zu belegen als sonstige Verstrickungen, zu Verfahren führen konnte. Er gehörte da- mit zwar nicht „zu den etwa 68.000 ‚Alten Kämpfern’“, „die schon vor dem Parteiverbot vom Juni 1933 in die österreichische NSDAP aufge- nommen worden waren und nach 1938 hohes Prestige unter den Nazis genossen“, war aber wie „große Teile der Jugend“ und „überdurch- schnittlich viele Angestellte“, so Gerhard Botz, früh ein Unterstützer des erstrebten Machtwechsels. Sich „im zivilen Leben als aufstiegsori- entierte ‚Tatmenschen’“ begreifende Aktivisten wie er fühlten sich sichtlich besonders angesprochen. Denn „spätestens im Jänner 1933 wurde der Nationalsozialismus auch in Österreich zu einer massiven politischen Kraft“ und bald waren „an die 25 Prozent aller erwachse- nen männlichen Österreicher“ Mitglieder der NSDAP, wie Gerhard Botz in den Recherchen zu seinem 1944 als Soldat in Ungarn getöte- ten Vater resümiert.14 Geläufig musste allen Sympathisanten früh ge- wesen sein, mit welcher Brutalität in Deutschland sofort nach Hitlers Machtübernahme am 30. Jänner 1933 das Staatswesen gleichgeschaltet wurde: Auflösung des Reichstages, krasse Beschränkung der Grund- rechte, Folterkeller und frühe KZs der SA, KZ Oranienburg, KZ Da- chau, offener Rassismus, erste Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte, Entlassung politisch unerwünschter und jüdischer Beam- ter, Bücherverbrennungen, Verbot aller anderen Parteien, weitgehende Durchsetzung des Führerprinzips. Weder die ständigen Gewalttaten noch die Ermordung der SA-Führung und von Engelbert Dollfuß im Juli 1934 konnten als Anzeichen von Kommendem die wachsende Zu- stimmung zum NS-Regime beeinträchtigen.

14 Gerhard Botz: Nazi, Opportunist, Kriegsopfer. Dokumentarische Evidenz und Erinnerungssplitter zu meinem Vater, in: Gerhard Botz (Hg.): Schweigen und Reden einer Generation, a.a.O., S. 138, 139, 140, 142...... 74 Dabei hatten Aufmerksame kommen gesehen, was sich anbahnte, nur wurde es im Nachhinein eher beachtet als unter Zeitgenossen. Wie viele signifikante Kräfte – neben sozialistischen Politikern wie Ot- to Bauer, Friedrich Adler, Julius Deutsch – bereits in den Jahren vor 1938 emigrierten, als Bereicherung anderswo, sollte viel bewusster sein: Josef Frank, Arnold Schönberg, Otto Neurath, Fritz Lang, Billy Wil- der, Otto Preminger, Stefan Zweig, Joseph Roth, Alfred Polgar, Oskar Kokoschka, Hans Kelsen, Rudolf Carnap, Ernst Gombrich, Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld, Karl Polanyi, Wilhelm Reich, Alfred Adler, Erwin Chargaff, Friedrich Hajek, Karl Popper, Joseph Schumpeter, Hilde Spiel, Max Reinhardt, Ernst Fischer oder Teddy Kollek. Zur Masse 1938/39 Entkommener gehörten Sigmund Freud, Robert Musil, Elias Canetti, Fritz Wotruba, Ernst Krenek, Hermann Broch, Euge- nie Schwarzwald, Kurt Gödel, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli, Li- se Meitner, Oskar Morgenstern, Hermann Mark, Max Perutz, Otto Loewi, Victor Franz Hess, Ernst Plischke, Bruno Walter, Franz Werfel, Franz Theodor Csokor, Erich Fried, Jean Améry, André Gorz, Fried- rich Torberg, Georg Kreisler, Robert Stolz, Hugo Wiener, Karl Farkas, Leopold Kohr, Carl Djerassi, Eric Kandel, Eric Pleskow, Ari Rath, Hans Zeisel, Hugo Breitner, Bruno Kreisky … Als eines zahlloser Beispiele hatten etwa Virginia Woolf (1882– 1941) und Leonard Woolf (1880–1969) auf ihrer Reise durch Deutsch- land, Österreich und Italien im Jahr 1935 sofort den Eindruck, „die Grenze von der Zivilisation in die Barbarei“ überschritten zu haben, wie es in Leonard Woolfs Erinnerungen heißt. Hitlers Reden im Ra- dio wirkten auf sie wie „die barbarischen und wahnsinnigen Rasereien eines rachsüchtigen Verlierers, der sich plötzlich allmächtig fühlt“.15 Von einer bald zur Minderheit werdenden Gegenposition aus kommentierte Sebastian Haffner (1907–1999) als Emigrant in London in der erst nach seinen „Anmerkungen zu Hitler“ posthum veröffent- lichten „Geschichte eines Deutschen“ präzis beobachtend seine All- tagserfahrungen während des Aufstiegs der Nazis. Obwohl selbst nicht ostentativ gefährdet, empfand er in seinem liberalen Berliner Umfeld die seit Jahren ihre bedenkenlose Gewaltbereitschaft demonstrieren- den SA-Banden ausdrücklich „wie eine Besatzungsarmee“. Für in ir- gendeiner Weise eigene Leute wurden sie nicht gehalten, weil sie die

15 Leonard Woolf: Mein Leben mit Virginia. Erinnerungen, Frankfurt am Main 1988, S. 263, 271...... 75 „albtraumhafte Umkehrung der normalen Begriffe“ von Rechtsstaat- lichkeit verkörperten: „Räuber und Mörder als Polizei auftretend.“ „Wer ‚die Nazis’ sagte, war keiner. Mit ihm konnte man reden“, so charak- terisierte Haffner das damalige Klima. „Dass die Nazis Feinde seien – Feinde für mich und für alles, was mir teuer war –, darüber täuschte ich mich keinen Augenblick“, heißt es zu seiner Einstellung, „worüber ich mich freilich vollkommen täuschte, war, wie furchtbare Feinde sie sein würden.“ Die längste Zeit überwog in seiner Umgebung die Auf- fassung, dass sie zwar eine „Menge Unheil“ anrichten könnten, aber kaum Chancen hatten, „lange zu regieren“, weil immer noch „eine klare Mehrheit“ gegen sie sei und „vor allem die kompakte Arbeiter- schaft“ nun „nach der endgültigen Blamage der maßvollen Sozialde- mokraten wahrscheinlich kommunistisch werden würde“. Sollte aller- dings die durch zahllose Kasernenbauten „kaum verhüllte Aufrüs- tung“ weitergehen, war absehbar, dass es neuerlich zu einer höchst be- drohlichen Etappe in der „Geschichte der Selbstzerstörung Deutsch- lands durch seinen krankhaften Nationalismus“ kommen werde. Zum März 1938 meinte Haffner schließlich rückblickend: „Den Anschluss Österreichs wünschten alle, manche wollten ihn unter anderen Vorzei- chen, aber schon die Stimmung in Weimar war absolut großdeutsch gewesen. Hitler selbst hätte in Deutschland niemals diese Karriere ma- chen können, hätte man dieses Gefühl nicht gehabt, Österreicher sind ja wirklich Deutsche“, und „es gab durchaus Zeiten, wo achtzig bis neunzig Prozent aller Deutschen für Hitler waren“.16 Aber selbst die Berichte von André François-Poncet (1887–1978), Frankreichs Botschafter im nationalsozialistischen Deutschland, stie- ßen im diplomatischen Getriebe in Paris kaum auf Resonanz. Was sich anbahnte, sah er deutlich: „Unter den 19 Gesetzen, die am 14. Juli 1933 erlassen werden, verbietet eines jede Bildung einer politischen Partei in Deutschland und ordnet die Einziehung der Vermögen der frühe- ren Parteien an. Es soll im Dritten Reich nur eine einzige Partei geben, die nationalsozialistische, die Einheitspartei, die allmächtige Partei. Die vorgesehene Säuberung hat keine ernstlichen Schwierigkeiten be- reitet und war in sechs Monaten vollzogen!“ Das Land veränderte sich vollkommen, denn „der Nationalsozialismus ist durch Tür und Fens-

16 Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914–1933 (1939), Als Engländer maskiert. Ein Gespräch mit Jutta Krug über das Exil, München 2006, S. 110, 113, 130, 229, 231, 253, 268, 349 | Anmerkungen zu Hit- ler, München 1978...... 76 ter eingedrungen“. Juden hatten keinerlei Rücksicht mehr zu erwar- ten; „die Verfolgung trägt nun einen legalen Charakter“ und „nimmt einen solchen Umfang, so gehässige Formen an, daß das Ausland em- pört ist und seine Mißbilligung äußert. Nichts bringt aber die Nazi mehr auf als ein Tadel des Auslandes“. Als Goebbels zu den Bücher- verbrennungen verkündete, „aus diesem Haufen Asche wird der Phö- nix eines neuen Geistes entstehen“, war das für François-Poncet der „merkwürdige Fall eines Intellektuellen, dessen Perversität sich an der Barbarei ergötzt; noch merkwürdiger die Illusion, die Welt würde die- se Geste bewundern“. Die Ermordung der SA-Führung enthüllte spä- testens 1934 „eine der Hauptstützen der nationalsozialistischen Dikta- tur: den Terror. Die Gestapo hatte gezeigt, wessen sie fähig war. Künf- tig wird man in der Furcht vor ihrer Macht leben, in der Angst vor dem Wagen, der plötzlich vor dem Haus hält und dem zwei Burschen mit Galgengesichtern entsteigen, bereit, jederzeit zu feuern. Es gab nun keinen Zweifel mehr über die wahre Natur des Regimes“. Vergeb- lich hatte François-Poncet bereits anlässlich der den Versailler Vertrag krass verletzenden Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht am 17. März 1934 – bewusst auf den am 17. März 1813 proklamierten nati- onalen Freiheitskampf gegen Frankreich anspielend – vorgeschlagen, dass dessen Signatarmächte „sofort ihre Botschafter abberufen“ und „unverzüglich eine gemeinsame Abwehrfront gegen Deutschland“ er- richten sollten.17 Auch Winston Churchill (1874–1965) war, wie in vielen Reden be- legt, längst klar geworden: „Da das Deutschland Hitlers nun ohne ak- tive Einmischung durch die Alliierten und einstigen verbündeten Mächte aufrüsten konnte, war ein zweiter Weltkrieg fast gewiß.“ Das Massaker an der SA-Führung hatte offenkundig gemacht, dass Hitler „vor nichts haltmachen würde, und daß die Verhältnisse in Deutsch- land in nichts den Verhältnissen eines zivilisierten Staates glichen. Die Welt stand einer auf Terror aufbauenden, blutbefleckten Diktatur gegenüber“.18 Weil nicht reagiert wurde, konnte Hitler bereits im Jahr

17 André François-Poncet: Als Botschafter im ‚Dritten Reich’. Die Erinnerungen des französischen Botschafters in Berlin September 1931 bis Oktober 1938, Mainz 1980, S. 136, 139, 157, 224, 265. 18 Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg, Memoiren, 12 Bände, Bern 1948, Erster Band, Erstes Buch: Der Sturm zieht auf, S. 131, 235 | Mary Soames (Hg.): Speaking for Themselves. The Personal Letters of Winston and Clementine Churchill, London 1999, S. 391 (Brief vom 8. März 1935)...... 77 darauf das Saargebiet und dann das entmilitarisierte Rheinland integ- rieren – als Vorstufe der imperialistischen Expansion nach Österreich und ins , was bekanntlich ebenso hingenommen wurde. Auch das hatte ein prominenter Sozialist wie Karl Renner begrüßt und dazu eine wegen der Ereignisse nicht mehr publizierte Schrift verfasst, was ihn 1945 durchaus als „ideale auch innenpolitische Integrations- figur“ erscheinen ließ.19 Dass Kardinal (1875–1955) selbst im Beichtstuhl zu einem Ja bei der Volksabstimmung vom 10. April 1938 riet, konnte die Historikerin Edith Saurer (1942–2011) aus den Tagebüchern von Bernhardine Alma rekonstruieren. Darin no- tierte diese die Worte des Kardinals, mit denen er auf ihre Gewissens- nöte wegen der Kirchenfeindlichkeit der Nazis einging: „Es seien alles ‚nur Kleinigkeiten’ und stimmen soll man mit ‚ja’.“ Sich nach dieser seelsorgerischen Aussprache trotzdem zu einem tapferen Nein ent- schließend, fügte sie hinzu: „Ich glaube ihm kein Wort und möchte am liebsten von all dem nichts mehr wissen.“20 Von 4,484 Millionen Wahlberechtigten in ganz Österreich stimm- ten am 10. April 1938 schließlich nur 11.929 mit ‚Nein’ gegen den „An- schluss“, bei 5.776 ungültigen Stimmen; in Wien gab es 4.953 ‚Nein’- Stimmen.21 Bei der von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg (1897–1977) unter deutschem Druck abgesagten Abstimmung im März hätte es al- len Vermutungen zufolge noch ein – zumindest knappes – Pro-Öster- reich-Ergebnis gegeben. Trotz sich wegen der immer erkennbarer werdenden Kirchen- feindlichkeit oppositionell exponierender „katholischer und konserva- tiver Gruppen“ könne „nicht von einer katholischen Widerstandsbe- wegung“ gesprochen werden, so die Klarstellung der links-katholi- schen Historikerin Erika Weinzierl, „denn Priester und Laien, Männer und Frauen, sind alle einzeln dem Ruf ihres Gewissens gefolgt. Die kirchliche Obrigkeit hat sie nicht zum Widerstand aufgerufen.“ Nicht durch den „Widerstand der Katholiken oder Kommunisten“, sondern

19 Peter Autengruber, Birgit Nemec, Oliver Rathkolb, Florian Wenninger: Um- strittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch, Wien 2014, S. 156. 20 Edith Saurer: Er hat ‚Ja’ gesagt. Kardinal Theodor Innitzer und Bernhardine Al- ma im Beichtstuhl (März 1938). In: Heinrich Berger, Melanie Dejnegra, Regina Fritz, Alexander Prenninger (Hg.): Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen, Wien 2011, S. 255 ff. 21 Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien, a.a.O., S. 230 f...... 78 „von den Truppen der alliierten Mächte“ wurde das Land befreit, so auch ihr Resümee. Bereits das Schweigen der Bischöfe „über die Gräu- el der ‚Reichskristallnacht’“ im November 1938 bleibe völlig unver- ständlich und sei nur „durch noch nachwirkende alte Judenfeind- schaft“ erklärbar.22 Am 5. Mai 1945 notierte Thomas Mann (1875–1955) in Kaliforni- en in sein Tagebuch, es sei zwar „nicht möglich, eine Million Men- schen hinzurichten, ohne die Methoden der Nazis nachzuahmen. Es sind aber rund eine Million, die ausgemerzt werden müßten“. Nur werde die „Bestrafung der Kriegsverbrecher“ vermutlich „wie 1918 aus- bleiben“, sofern „nicht die Russen Exempel statuieren“. Es erschütter- te ihn, dass es selbst im Zuge der Kapitulation in Deutschland „an je- der Verleugnung des Nazismus“ fehlte, kein öffentliches Wort fiel, „daß die ‚Machtergreifung’ ein fürchterliches Unglück, ihre Zulas- sung, Begünstigung ein Verbrechen ersten Ranges war“, um klarzustel- len, nun tatsächlich „zur Menschlichkeit zurückkehren zu wollen“.23 Auch Stalin hatte schon während der Teheran-Konferenz Ende 1943, dem ersten Treffen mit Roosevelt und Churchill, bei einem Abendessen „in scherzhafter Weise“ das Thema der „den Deutschen zugedachten Strafe“ aufgebracht, so der Bericht Churchills. „Der deutsche Generalstab, meinte er, müsse liquidiert werden. Die ganze Schlagkraft der mächtigen Armeen Hitlers hänge von etlichen fünfzig- tausend Offizieren und Sachverständigen ab. Wenn man sie bei Kriegs- ende festnehme und erschieße, wäre Deutschlands militärische Macht für immer gebrochen.“ Churchill stellte sich, so seine Version, ent- schieden dagegen, denn „das britische Parlament und die britische Öf- fentlichkeit werden Massenexekutionen niemals gutheißen. Selbst wenn sie es unter Einfluß der Kriegsleidenschaft zuließen, daß damit begonnen würde, würden sie sich nach der ersten Schlächterei mit größter Heftigkeit gegen die dafür Verantwortlichen wenden“. Als sich Churchill irritiert in ein Nebenzimmer zurückzog, legte ihm jemand versöhnlich den Arm um die Schultern. „Es war Stalin, und neben ihm stand Molotow. Beide lachten herzlich und erklärten eifrig, sie hätten nur gescherzt, und der Gedanke sei nie ernsthaft in ihren Köp- fen aufgetaucht.“ Nie habe er Stalin „so liebenswürdig wie in diesem Moment gesehen“, gezweifelt habe er aber noch oft, ob nicht doch ei-

22 Erika Weinzierl: Prüfstand, a.a.O., S. 151, 179, 185. 23 Thomas Mann: Tagebücher 1944–1946, Frankfurt am Main 2003, S. 199, 200...... 79 ne Absicht dahinterstand.24 Angesichts der monströsen Verbrechen waren aber auch Churchill und andere signifikante Stimmen phasen- weise für summarische Erschießungen, und viele Emigranten wünsch- ten sich, so Marcel Ophüls, „dass die deutsche Bevölkerung krepierte“.25 Trotz der Nürnberger Prozesse dauerte es bekanntlich zwei, drei Generationen, bis auch die lange geleugneten „Verbrechen der Wehr- macht“ wahrgenommen wurden, was evident macht, wie anhaltend die mentalen Zerstörungen jedes Krieges nachwirken.26 Auf individueller Ebene bleibt die Frage „Wie hätte ich mich ver- halten?“ nicht bloß hypothetisch essenziell, sollte doch ein Verstehen von Vorgängen weder zu unangebrachtem Verständnis noch zu vor- schneller Selbstgerechtigkeit verführen. „Wenn ich vor einer Entschei- dung stehe“, so die Argumentation Jan Philipp Reemtsmas, dem Ge- waltherrschaft zum Lebensthema wurde, „geht es einzig und allein da- rum, ob ich etwas tue oder nicht.“ Die übliche Rechtfertigung: „Hät- te ich es nicht getan, hätte es ein anderer getan“, verkenne völlig „den Sinn von Moral“.27 Und solche Wahlmöglichkeiten gab es entgegen aller Behauptungen selbst in Extremfällen durchwegs.

„ARISIERUNG“ DES HOLZHANDELS. Das längst von einer Bankfiliale verdrängte Café Victoria in der Schottengasse 10 am Be- ginn der Währinger Straße gegenüber der Universität war ein früher Nazi-Treffpunkt, weil es der Frau von Franz Hammerschmied gehör- te, der zum Stabsleiter von Arthur Seyß-Inquart (1892-1946) aufstieg, aber 1939 bei einem Autounfall starb. Weil ihn mein Vater vom Studi- um her kannte, war er im Juni 1934 der dortigen NSDAP-Zelle beige- treten, die von einem der Kellner geleitet wurde, der auch die Beiträge kassierte.28 Dadurch ergab sich ein Zugang zum anfangs als Reichs-

24 Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg. Memoiren, 12 Bände, Bern 1948/1953, Fünfter Band, Zweites Buch: Der Ring schließt sich, S. 63 f. 25 Ian Buruma: ’45. Die Welt am Wendepunkt, München 2014, S. 261 f. | Marcel Ophüls: Meines Vaters Sohn. Erinnerungen, Berlin 2015. S. 88. 26 Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Verbrechen der Wehrmacht. Di- mensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944, Hamburg 2002 | 200 Tage und 1 Jahrhundert. Gewalt und Destruktivität im Spiegel des Jahres 1945, Hamburg 1995. 27 Jan Philipp Reemtsma: „Wie hätte ich mich verhalten?“ und andere nicht nur deutsche Fragen, München 2001, S. 24. 28 Franz Reder: Biographische Notizen, Wien 1985, unveröffentlicht, Archiv Ch. R. (Grundlage hier einbezogener privater Angaben)...... 80 statthalter eingesetzten Seyß-Inquart, der für drei Tage Österreichs letzter Bundeskanzler war und wegen seines Vorgehens in Polen und dann in den Niederlanden als einer der Hauptkriegsverbrecher ge- hängt wurde. Im Rahmen der im März 1938 unverzüglich eingeleiteten „Neu- ordnung der Wirtschaft“ in Österreich wurde mein Vater Franz Reder Wiener Parteibeauftragter für den Holzhandel und Leiter der zustän- digen Fachgruppe. Dazu kam es, wie er sich stets rechtfertigte, weil er die etablierte Holzgroßhandlung J. & C. Reder als Prokurist erfolg- reich durch die Wirtschaftskrise geführt und in diversen Verbänden Funktionen ausgeübt hatte – als einer der wenigen anerkannten „ari- schen“ Fachleute, die nun gefragt waren. Sein Kontaktnetz reichte aber weit über die Branche hinaus, denn zu den engsten Freunden zählten hochrangige katholisch-nationale Stützen des „Anschlusses“, worauf noch zurückgekommen wird, so Wilhelm Wolf, kurz Öster- reichs letzter Außenminister, oder Anton Böhm, der langjährige Füh- rer des katholischen Neuland-Bundes, dem mein Vater angehörte. Ob aus Unwissenheit oder um Unbefangenheit zu demonstrieren, war das Café Victoria auch ein konspirativer Treffpunkt des kommu- nistischen Untergrunds. Dort wurde im Jänner 1941 die schon als Wi- derstandsaktivistin erwähnte, ihre Haft überlebende Architektin der berühmten „Frankfurter Küche“, Margarete Schütte-Lihotzky (1897– 2000), mit dem dann hingerichteten Erwin Puschmann (1905–1943) festgenommen, den sie ins Ausland bringen sollte, um trotz Hitler- Stalin-Pakt oppositionelle Netze zu stabilisieren. Die von Spitzeln in- formierte Gestapo hatte damit, wie es in Schütte-Lihotzkys Erinne- rungen heißt, „den bis dahin höchsten Funktionär der KPÖ, den Kopf der ganzen Organisation der kommunistischen Widerstandsbewegung in Österreich, in ihre Hände bekommen“.29 Im Nachkriegs-Wien er- hielt sie kaum Aufträge. Bei ihren späten Ehrungen lernten wir sie kennen. Die für uns von ihrer Freundin, der Designerin Anna Lülja Praun (1906–2004), angefertigte Ledersitzbank hält als Alltagsobjekt solche Erinnerungssphären präsent. Im Hotel Regina wiederum warteten die österreichischen Nazi- Größen im März 1938 auf Hitlers Ankunft, in Sichtweite des Café Vic- toria. Im Stadtkommando Wien gegenüber, heute das Neue Instituts- gebäude der Universität, wurde 1945 Major Karl Biedermann vor sei-

29 Margarete Schütte-Lihotzky: Erinnerungen, a.a.O., S. 74...... 81 ner Hinrichtung brutal verhört. Zum Landesgericht, wo über 1.000 Todesurteile vollstreckt wurden, sind es nur wenige Schritte. Im Eck- haus Reichsratsstraße 17, damals zur Hälfte noch eine Bombenruine hinter der zur braunen Hochburg gewordenen Universität, wohnten wir von 1950 bis 1956. Wie viele Häuser dieses Viertels hatten es die neuen Besitzer „arisiert“30, so wie das zum Sitz der Casinos Austria werdende Palais Ephrussi am Universitätsring, das erst seit Edmund de Waals Buch über „Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi“ wieder in historischem Kontext beachtet wird.31 Wie viel weiterhin im Dunkeln bleibt, zeigt sich etwa daran, dass die „Arisierungen“ der Holzwirtschaft in dieser für das Land so mar- kanten Branche selbst für die von der Bundesregierung eingesetzte, ih- re Ergebnisse 2004 in 49 Bänden publizierende Historikerkommission ein Nebenthema blieben, obwohl sie „den gesamten Komplex Vermö- gensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS- Zeit sowie Rückstellungen bzw. Entschädigungen“ erforschte. Zwar wurde nach drei Generationen endlich versucht, manches endgültig zu klären, nur liefern auch die Tausenden Seiten dieser Analysen nur einen Raster für Einzelfall-Rekonstruktionen. So gibt es in den beiden Bänden „Ökonomie der Arisierung“ Abschnitte zu den Akteuren und Institutionen, zu Branchen und Beispielen, zur Papier- und Holzin- dustrie, zu Sägewerken und Forstgütern, jedoch zum überwiegend aus Klein- und Mittelbetrieben bestehenden Holzhandel nur sehr knappe Informationen. Detailreich belegt wird, dass der „jüdische Einfluss“ auf das Wirtschaftsleben von der Propaganda drastisch übertrieben worden war, um dessen restlose Ausschaltung mit Vehemenz zu be- gründen. Evident sei, dass die ersten Wochen „bekanntlich von einer Welle von Plünderungen, illegalen Geschäftsübernahmen und dem Auftreten von ‚Kommissaren’ in ‚jüdischen’ Geschäften“ geprägt wa- ren, mit notorischer „Korruption und Bereicherung“ und „gewalttäti- gen Exzessen des Wiener Mobs“. Zum „Modellfall für die ‚Judenpoli- tik’“ sei Österreich jedoch, wie Fritz Weber ausführt, vor allem seit Görings am 26. März 1938 in der Wiener Nordwestbahnhalle verkün- deter „Verschärfung des Kurses gegenüber der jüdischen Minderheit“ geworden, nach der „ein wesentlich rascheres Tempo als im ‚Altreich’

30 Tina Walzer, Stephan Templ: Unser Wien, a.a.O., S. 222, Rathausviertel: S. 218–223. 31 Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen. Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi, Wien 2011...... 82 Nordwestbahn-Halle: Propagandaausstellung „Der Hitler-Rede zur Volksabstim- ewige Jude“, Juli  mung über den „Anschluss“, Wien  . April  Wien . Historisches Museum der Stadt Wien, Wien  eingeschlagen wurde“.32 Dort, inmitten der als jüdische geltenden Vorstadtviertel am Donaukanal, hielt auch Hitler seine große Rede zur Volksabstimmung über den „Anschluss“, danach wurde die Propagan- daausstellung „Der ewige Jude“ gezeigt. Wie sehr jedwede Beteiligung an diesen Beraubungen der von Be- ginn an brutalisierten Kriegführung diente, belegen die etwa „45 Mil- liarden Reichsmark für die Aufrüstung“ (450 Milliarden €), die „von 1933 bis Mitte 1939“ ausgegeben wurden, wie Götz Aly in „ Hitlers Volksstaat“ ausweist. Um den ständigen „Vorgriff auf die Zukunft“ zu verschleiern, war „die Bekanntgabe des Staatsetats“ verboten. Als „Ari- sierungserlöse werden es zwischen 15 und 20 Milliarden Reichsmark [150–200 Mrd. €] gewesen sein, die aus Besitztümern der europäi- schen Juden stammten und in Form von Geld in die deutsche Kriegs- kasse gelenkt wurden“. Zu sehen sei: „Der Holocaust bleibt unverstan- den, sofern er nicht als der konsequenteste Massenraubmord der mo- dernen Geschichte analysiert wird.“ – „Den Auftakt bildete der An- schluss Österreichs.“33

32 Österreichische Historikerkommission, Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Priller, Berthold Unfried, Fritz Weber: Ökonomie der Arisierung: Grundzüge, Akteure und Institutionen, Band 10/1, Wien 2004, S. 41, 43, 171, 172. 33 Götz Aly: Hitlers Volksstaat, a.a.O., S, 52, 55, 317, 318, 353...... 83 Zu den „Arisierungs“-Konsequenzen betont auch Peter Melichar im Historikerbericht über den Papier- und Holzsektor, dass „der Staat, der das Geld sofort für den Krieg verbrauchte“, am meisten profitier- te. Denn trotz anfangs vager Vorstellungen wurde in Wien sehr gezielt vorgegangen, mit peniblen Vermögensanmeldungen, eigener Vermö- gensverkehrsstelle, mit Entjudungsauflagen, Judenvermögens- und Sühneabgaben, Reichsfluchtsteuer und Sperrkonten. Trotz drastischer Radikalisierung heute geläufiger feindlicher Übernahmen von Aktien- gesellschaften oder Konkursmassen gab es durchaus Rahmenbedin- gungen für das gerade noch Erlaubte oder eben Geduldete. Denn selbst in diesem Unrechtsstaat seien bestimmte Regeln einzuhalten ge- wesen. Zwar „wähnte jeder Ariseur sich im Recht“, denn „er wusste die Staatsmacht und die Partei auf seiner Seite“, aber Vorstellungen einer zuerst oft spontanen und dann institutionell organisierten Beraubung seien problematisch, so Peter Melichar, denn „die Raubmetapher de- gradiert die Enteigneten zum bloßen Opfer einer simplen Straftat“, während „zahlreiche Beispiele zeigen, dass dieses Bild falsch ist“. Indi- viduelles Verhalten müsse anhand von Wahlmöglichketen beurteilt werden. „Die Arisierung war ein Unrecht, aber keines, das vom Ari- seur ausging (er konnte allerdings manchmal die Umstände verbessern oder verschlimmern).“ Bisweilen war es durchaus möglich „sich die Käufer auszusuchen“, oft bestand auch ein „Naheverhältnis zwischen Käufern und Verkäufern“. Der Profiteur „war nicht zwangsläufig ein Antisemit“, er konnte entgegenkommend sein „oder sich schäbig ver- halten“. Nach dem Krieg durfte er Erworbenes „in der Regel nur dann behalten, wenn der frühere Eigentümer die Firma nicht beanspruchte bzw. sich mit einer Entschädigung zufrieden gab“. Nach dieser – etwa die bewusst nie geregelte Rückgabe von Miet- wohnungen, die beschämende „Zuständigkeit der Sozialfürsorge“ für „Wiedergutmachung“ sowie den Umgang mit „erblosem Vermögen“ oder weiter ungeklärten Kunstwerk-Restitutionen negierenden – Ar- gumentation34 blieben Enteignungen eben unberücksichtigt, wenn niemand mehr Ansprüche erhob, wie oft bei in die Schweiz verbrach- ten Fluchtgeldern. Überdies seien Kausalzusammenhänge zwischen Enteignung und Vernichtung unzulässig, denn „es ist nicht möglich, die später erfolgte Deportation und Ermordung den Ariseuren anzu- lasten“. „Rückstellungsvergleiche“ hätten sogar gezeigt, dass „eine Ari-

34 Tina Walzer, Stephan Templ: Unser Wien, a.a.O., S. 10, 93, 94, 200...... 84 sierung in der Regel keinen besonderen Gewinn“ brachte. Weil „nur ca. 12 % der Betriebe arisiert“, die meisten aber „liquidiert“ wurden, profitierte die Nachkriegswirtschaft von dieser Strukturanpassung, was zynisch unterstellt, gerade die „jüdischen“ Betriebe wären nicht mehr lebensfähig gewesen, analog zur Nazi-Sprachregelung des Liqui- dierens als Töten und Morden.35 Im Holzhandel seien „Arisierungen“ vor allem lukrativ gewesen, „wenn Vorräte vorhanden waren, deren Wert man verschleiern konn- te“, heißt es zu den Profitmöglichkeiten. Die Firma Reder wird von der Historikerkommission nur einmal, als „Interessent“ für ein „Säge- werk in jüdischem Eigentum“, in einer Tabelle genannt, berechtigter- weise mit Fragezeichen, weil es in diesem Fall nicht zur Übernahme kam, sondern dieser Betrieb in Tulln nur vorübergehend gepachtet war und schließlich einer Zimmerei zugewiesen wurde. Da „die Mo- tive diverser Handlungen“ meist nicht zu ergründen seien, so Peter Melichar in seinem Objektivitätsbemühen, das jedes Eingehen auf im Einzelnen kaum noch verifizierbare Begleiterscheinungen verweigert, sei es sinnvoller, das Erforschen dieser Vorgänge im Rahmen der His- torikerkommission „von moralischen Fragestellungen zu entkoppeln“, um nicht „lediglich die eigene Moral zur Darstellung zu bringen“.36 Diese eine generelle Beraubung nach dem Muster „Wer konnte, griff zu“ deutlich relativierende, explizit pragmatische, eine abschlie- ßende offizielle Beurteilung liefernde Sicht, nach der primär der Staat verantwortlich war, dessen Gesetze solche Möglichkeiten eröffnet hät- ten, deckt sich bezeichnenderweise mit der familieninternen Überlie- ferung. Denn stets war ohne jede Schuldeinsicht davon die Rede, die- ses Vorgehen habe den Besitzern „arisierter“ Betriebe die rechtzeitige Emigration ermöglicht und die Rechtslage sei eben so gewesen. Auch die überfällige Strukturanpassung in einer – ausgerechnet jüdisch – „überbesetzten“ Branche war ein oft gehörtes Argument. Völlig unbe- rücksichtigt bleibt das von Beginn an feindselig-rassistische öffentliche Klima und wie restriktiv die Reste gesetzlicher Sicherheiten gehand- habt wurden, wurde doch ziemlich beliebig mit dem KZ gedroht, und das war oft ohne große Formalitäten durchsetzbar. Angesichts solcher

35 Tina Walzer, Stephan Templ: Unser Wien, a.a.O., S. 11. 36 Peter Melichar: Arisierungen und Liquidierungen im Papier- und Holzsektor, Österreichische Historikerkommission, a.a.O., Ökonomie der Arisierung. Teil 2: Wirtschaftssektoren, Branchen, Falldarstellungen, Band 10/2, S. 592 ff., 625, 701, 737 ff., 740, 741...... 85 Druckmittel Fairness zwischen gleichberechtigten Verhandlungspart- nern anzunehmen, negiert völlig die ausweglose Position der alterna- tivlosen schwächeren Seite, funktionierte doch alles nach dem Prinzip „The winner takes it all“, da auch der Staat beträchtlich partizipierte. Mein Vater konnte vom Angestellten zum 50-Prozent-Partner der Firma J. & C. Reder seines Onkels werden, weil er die unter seiner Verhandlungsführung „arisierte“ Holzhandlung Emil Fürth und deren von ihm privat erworbenes Grundstück als sein Vermögen in die Fir- ma einbrachte. Das ist nie zugegeben worden, weil es stets hieß, es wä- re auch ohne diese „Arisierung“ zu seinem Aufstieg gekommen, da er das einzige zur Geschäftsführung geeignete Familienmitglied seiner Generation gewesen sei. Zur führenden Wiener Holzgroßhandlung wäre sie durch seine Tatkraft und die Kriegskonjunktur geworden, so die Standarddarstellung. Erst die sichtlich zur Entlastung aufbewahr- ten Prozessunterlagen aus dem Nachlass meiner Mutter, die ich früher nie zu sehen bekam, und in Archiven Auffindbares ergeben ein genau- eres Bild.37 Das von den Geschädigten angestrengte mehrjährige Verfahren „wegen mißbräuchlicher Bereicherung“ endete nach vielen polizeilichen Einvernahmen 1950 ohne Gerichtsverfahren und Schuldspruch mit ei- nem Vergleich, Grundstückrückgaben und Nachzahlungen. Verurteilt fühlte mein Vater sich demnach nicht. Insgesamt waren in Wien deswe- gen 916 Personen angeklagt, aber nur 327 „für schuldig befunden“ wor- den38 – als bloß symbolische Gerechtigkeit, abhängig vom Aufklärungs- interesse und der Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen. In der „Strafsache gegen Dr. Franz Reder“ war er fünf Monate – vom 21. Jänner bis zum 17. Juni 1947, als er gegen Gelöbnis entlassen wurde – im Wiener Landesgericht und in der Rossauer Kaserne in Haft. Das Interesse der Justiz war offenbar von einem am 19. Novem- ber 1945 in der Woche vor den ersten Nationalratswahlen im Wiener Montag erschienen Zeitungsartikel bestärkt worden, in dem „Der Füh- rer des ‚Ostmärkischen Holzhandels’ und seine Methoden“, also mein

37 Strafsache gegen Dr. Franz Reder, Prozessakten, Wien 1946/47 | Österreichi- sches Staatsarchiv, Archiv der Republik – Finanzen | Wiener Stadt- und Landes- archiv | Archiv Ch. R. (Grundlage hier einbezogener Angaben). 38 Sabine Loitfellner: „Ariseure“ vor Gericht. Volksgerichtsverfahren nach 1945 wegen missbräuchlicher Bereicherung, in: Verena Pawlowsky, Harald Wendelin (Hg.): Arisierte Wirtschaft. Raub und Rückgabe – Österreich von 1938 bis heu- te, Wien 2005, S. 199...... 86 Wiener Montag, . November  | Österr. Nationalbibliothek

Vater, scharf angegriffen wurden. Es wäre längst „Pflicht der Polizei“, sich dieses Falles anzunehmen, heißt es dort, denn „der gesamte ehe- mals nazistisch eingestellte Holzhandel wartet nur auf die Rehabilitie- rung seines einstigen Führers“, „der gesamte gut österreichische Holz- handel aber würde es als einen Schlag ins Gesicht empfinden, wenn der seinerzeitige Exponent des gesamten ‚ostmärkischen’ Naziholzhan- dels rehabilitiert werden würde“.39 Bereits die zweite Nummer dieses von der Französisch-Österrei- chischen Verlagsgesellschaft herausgegebenen dünnen Wochenblattes widmete sich somit einer „Arisierung“, allerdings als einzigem in den zwölf erschienenen Ausgaben konkret angesprochenen Fall. Die aus- führliche Rechtfertigung des Angegriffenen wurde begreiflicherweise

39 Wiener Montag, 19. November 1945 | Österr. Nationalbibliothek...... 87 nicht publiziert. Die „Rückkehr von Naziprofessoren an die Wiener Universität“ oder das „Naziunwesen im Wiener Buchhandel“ wurden kommentiert, Paula Wessely trotz ihrer angepassten Karriere vertei- digt. Dass obskure Proteste neuerlich Schnitzlers „Professor Bernhar- di“ am Volkstheater verhinderten, wurde angeprangert. Über die Kriegsverbrecherprozesse gegen Alois Brunner, der schließlich nach Syrien entkam, und gegen den dann hingerichteten Anton Brunner wurde berichtet. Sensationelle Fußballresultate kamen auf die Titelsei- te: Rapid–WAC 9:0, –Ostbahn XI 18:0, Wacker–WAC 7:0. Erster Herbstmeister nach dem Krieg wurde die Wiener Austria. Zur NS-Machtübernahme ergibt sich aus den Prozessunterlagen, dass bereits am Donnerstag, dem 17. März 1938, zwei Tage nach Hit- lers Heldenplatz-Rede, begonnen wurde, in den 180 als jüdisch gelten- den Wiener Holzhandlungen – von insgesamt 200 – mit schriftlichen Verfügungen kommissarische Verwalter einzusetzen. Alle trugen „die Unterschrift von Dr. Franz Reder“ mit dem Reichsadler-Rundstempel der „Gauführung für Handel und Handwerk Wien NSDAP“ und dem Zusatz „Hitlerbewegung“. Mit wenigen Ausnahmen wurde die Einsetzung kommissarischer Verwalter in Wien für alle infrage kom- menden Betriebe noch im März abgeschlossen. Dass mein Vater sofort „als Parteibeauftragter der NSDAP“ auftrat, wurde auch im Strafver- fahren auf vorbereitende Kontakte unter illegalen Nazis zurückge- führt. Trotz des schließlich erzielten Vergleichs bekam er wegen be- gründeter Verdachtsmomente keine Haftentschädigung. Seinen Par- teibeitritt im Juni 1934 als aus Gefälligkeit rückdatiert zu bestreiten und mit Jänner 1941 anzugeben, um nicht auch wegen des Verbotsge- setzes belangt zu werden, gelang ihm wegen den Behörden verfügba- rer Dokumente nicht; ohne dass das Folgen gehabt hätte. Seine Un- terschrift auf den Bestellungsurkunden für Kommissare stellte er als reine Formalakte dar, da die Vorgänge anhand von Kandidatenlisten von seinen Mitarbeitern in der Fachgruppe Holzhandel festgelegt wur- den. Dass er mit zweien davon, Kurt Steinbichler und dem dann nach Kanada ausgewanderten Josef Hilscher, auch nach dem Krieg befreun- det war, spricht jedoch für gemeinsame Abstimmungen. Als Entlas- tung führte er an, dass seine definitive Bestellung in diese Funktion erst nach zwei Jahren erfolgte, da die über ihn „eingeholten politischen Auskünfte vom nationalsozialistischen Gesichtspunkt aus nicht güns- tig waren“, vor allem weil er der katholischen Jugendbewegung Neu- land angehört hatte, häufig in Konflikt mit Parteistellen bis nach Ber- ...... 88 Die nicht mehr existierende Holzgroßhandlung J. & C. Reder (–), Wien ., Treustraße  ...... 89 lin geriet und regimekritische Personen beschäftigte, etwa Josef Klaus, der 1949 ÖVP-Landeshauptmann von Salzburg wurde, und im Krieg auch aus dem KZ Entlassene wie Emil Oswald und den sozialdemo- kratischen Nationalbankdirektor Eugen Kaniak. Dem ersten ÖVP- Generalsekretär Felix Hurdes habe er nach dessen KZ-Haft eine Stelle vermittelt. Als „rassisch Belastete“, die er im Betrieb schützen konnte, nannte er Maximilian Zweig, der ebenfalls im KZ war, Friedrich Din- ter, Hilde Strasser, Anna Zinner und Grete Schwab. Die Bewertung der Holzlager bei der Übernahme sei nach genauen Preisvorschriften erfolgt. Ihm vorgeworfene Profite daraus und wegen vorerst nur intern bekannter staatlicher Preiserhöhungen wären völlig unbegründet, da er selbst nur die Holzhandlung Emil Fürth „arisiert“ habe, und zwar in völligem Einvernehmen. So geordnet ging es angesichts damaliger Stimmungslagen und skrupellos nutzbarer Machtmöglichkeiten sicher nicht zu. Eine schrift- lich aus New York eingelangte Zeugenaussage von H. J. Schnitzer, der selbst nach mehrmaliger Verhaftung ausreisen konnte, nahm dazu sehr prägnant Stellung. In der renommierten Wiener Holzfirma Bettel- heim & Schnitzer war er Partner des Vaters des Psychoanalytikers Bru- no Bettelheim (1903–1990), der selbst eine Zeit lang KZ-Haft erdul- den musste, bevor er ebenfalls in die USA entkam. Sehr dezidiert be- zeichnet H. J. Schnitzer meinen Vater als „Rädelsführer“ jener „Hor- de“, die es zustande brachte, „den Großteil der sehr angesehenen Wie- ner Holzhändler jüdischer Abstammung Ende April 1938 verhaften und in KZs bringen zu lassen, um sich so gewissenlos in den Besitz ih- rer Geschäfte respektive Holzlager zu bringen, wobei die Aktiven nur zu einem Bruchteil ihres Wertes angerechnet wurden. Dieser Raub un- ter Vorspiegelung der sogenannten ‚Arisierung’ war nichts anderes als Entrechtung, Diebstahl unter dem bekannten Vorwand der Nazidok- trin, welche zum Himmel schrie und die Tiefe der damals vorherr- schenden Triebe der ‚Nazikultur’ kennzeichnete“. H. J. Schnitzer hob ausdrücklich hervor, dass er meinen Vater lan- ge kannte und er „bis zu diesem Zeitpunkt keinen Anlaß zur Klage“ gegeben habe. „Seine Firma J. & C. Reder war angesehen und Reder senior (sein Onkel) erfreute sich bis zu seinem Ableben allgemeiner Wertschätzung.“ Aber Mitte März änderte sich das Verhalten schlag- artig: „Dr. Franz Reder war ein fescher Nazi und hat alles aus der Si- tuation 1938 herausgeholt, was nur möglich war“, heißt es durchaus plausibel, weil er eine Chance sah, vom Angestellten zum Teilhaber zu ...... 90 werden, kam er doch aus einem mittellosen Zweig der Familie, der sein Berufsleben von Beginn an ab 1922 mit der Firma des wohlhaben- den Onkels verbunden hatte, obwohl er lieber Architekt geworden wä- re. Auch sein spürbar bleibender Antisemitismus – der später wegen der dagegen aufbegehrenden Kinder zurückhaltender wurde – dürfte sich in dieser Situation verschärft haben, wollte er doch „mit ‚jüdi- schen’ Kollegen, mit denen er früher auf gutem Fuß war, nichts mehr zu tun haben“, wie Schnitzer festhielt. „Sein neues elegantes Auto“ ha- be „eine deutliche Sprache seines Aufstiegs gesprochen.“ Dass „große Transaktionen vor sich gehen“, wusste jeder in der Branche. Entlang des Donaukanals, wo Schnitzer damals wohnte, waren ständig solche Transporte zu beobachten. Ihm zufolge war mein Vater „ein Oppor- tunist ärgster Sorte“ und sei „reif für Bestrafung und Konfiskation sei- nes Geschäftes und Vermögens. Als Intellektueller ist sein Verbrechen umso schwerwiegender zu betrachten“. Auch der branchenbekannte Holzhändler Elemer Weiss, der „Frau und Kind in Auschwitz verloren“ hatte, wie er aussagte, machte mei- nen Vater insgesamt für die „Arisierungen“ verantwortlich. Zur Spra- che kam auch, dass sein Mitarbeiter und Freund in der Holzwirt- schaftsstelle, der „alte Kämpfer“ und „Blutordensträger“ Kurt Stein- bichler, den Holzhändler Oskar Blumenfeld verhaften ließ und dessen Geschäft selbst „arisierte“, wie die Witwe Maria Blumenfeld aussagte, wofür er sich gesondert verantworten musste. Sie schilderte ihre ver- geblichen Bemühungen, halbwegs nennenswerte Beträge als Flucht- geld zu erhalten, obwohl sie sich, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben, scheiden ließ. Ihr Mann kam 1941 in einem jugoslawischen KZ um. Die Firmen Elemer Weiss und Oskar Blumenfeld gab es trotz allem nach dem Krieg wieder. Viele in den Unterlagen erhaltene Aus- sagen bestätigen, dass laufend mit dem KZ gedroht wurde und es häu- fig zu Verhaftungen kam. Zu einer Verurteilung führte all das nicht. Denn im Kern ging es nur um die konkreten Ansprüche der Firma Emil Fürth und nicht um die – mit der Unterschrift „Dr. Reder“ do- kumentierte – politische Verantwortung für die „Arisierungs“-Vorgän- ge in dieser Branche. Inhaber dieser Holzhandlug waren Leo Fürth (1883–1956) und Ludwig Schönmann (1865–1938). Letzterer verstarb im Juli 1938, wes- halb sein damals an den Vorgängen beteiligter Sohn und Erbe Ernst Schönmann, der Neffe Leo Fürths, mit diesem gemeinsam als Kläger auftrat und auch seine Schwester Dr. Berta Schönmann vertrat, die ...... 91 nach Shanghai entkommen war. Die Zentralen beider Firmen lagen nur wenige Häuserblocks von einander entfernt in der Treustraße 35 und 73 an der Brigittenauer Lände am Donaukanal, wo heute ein Bü- rocenter und Gemeindebauten stehen. Zur Disposition standen vier Holzlagerplätze und deren Warenbestände: Treustraße, Margareten- gürtel, Franz-Josefs-Bahnhof und kurz auch das im Historikerbericht genannte Sägewerk in Tulln. Sowohl über Beginn wie Ablauf der „Ari- sierung“ unterscheiden sich die Versionen deutlich. Den Vernehmungsaussagen meines Vaters zufolge hatte Leo Fürth „sich bald nach dem Umbruch, als es sich herausstellte, daß er seine Firma nicht halten kann, an unsere Firma J. & C. Reder (damals OHG zwischen Carl und Josef Reder) gewandt, seine Firma zu übernehmen. Herr Fürth legte darauf besonderen Wert, weil er eine Zwangsarisie- rung fürchtete und überzeugt war, daß er mit uns auf normaler kauf- männischer Basis zu einem Abschluß gelangen kann. Die Verhandlun- gen wurden auch in kaufmännischer Art und Weise unter Einhaltung der üblichen Höflichkeit durchgeführt, wofür auch noch schriftliche Beweise vorliegen“. Auch die „jahrzehntelange Freundschaft mit der Firma Fürth“, von der familiär stets die Rede war, ist aktenkundig ge- worden. Völlig konträr dazu gab Leo Fürth zu Protokoll, dass bereits am 17. März 1938 ein Parteigenosse als kommissarischer Verwalter eingesetzt wurde, mit der „Unterschrift von Dr. Reder“ und „der Rundstampiglie der NSDAP“ auf dem Bescheid. Es hieß gleich, dass „die Arisierung der Firma Emil Fürth der Firma J. & C. Reder vorbehalten bleibt. Etwa En- de Mai machte mir der Beschuldigte Dr. Franz Reder einen Vorschlag der Bedingungen, zu welchen er meine Firma zu übernehmen beabsich- tige“. Die hauptsächlich von Franz Blümel, einem Prokuristen der Fir- ma Reder – als erklärter oder vorgeblicher NS-Gegner nach 1945 Vor- stand der entnazifizierten Holzwirtschaftsstelle in der Marxergasse –, durchgeführten Übernahmen seien „sehr scharfe“ gewesen, begleitet von „Saujud’“-Beschimpfungen, und sicher nicht zu seinen Gunsten. Der Seniorchef Carl Reder (1856–1943) habe sichtlich gebremst, weshalb es gegen ihn, Leo Fürth, „zu keinerlei besonderen Ausschreitungen kam“. Da jedoch „eine Einigung über die Preise und Konditionen nicht zustande kam“, wurden Leo Fürth und Ernst Schönmann am 9. Juni 1938 in die Fachgruppe Holzhandel bestellt, sogar von Dr. Reder im Au- to chauffiert, dort aber von dessen Mitarbeitern Steinbichler und Steindl mit den Worten empfangen: „Eine Tür führt in die Freiheit, eine Tür ...... 92 Briefpapier J. & C. Reder  mit Adressen der „arisierten“ Lagerplätze der Firma Emil Fürth: .,Treustraße , . Franz-Josefs-Bahn, . Margaretengürtel 

Verzeichnis über das Vermögen von Juden: Ernst Schönmann Österreichisches Staatsarchiv | Archiv der Republik – Finanzen VVSt./VA -, . | Wiener Stadt- und Landesarchiv führt nach Dachau.“ Während dieser letzten, auf subalterner Ebene ge- führten Verhandlung habe es keinerlei Anzeichen von Fairness gegeben. „Unter dem Druck der Drohungen“, so Leo Fürth, die wahrscheinlich „über Veranlassung des Beschuldigten Dr. Reder“ erfolgten, „unter- schrieb ich tatsächlich den Vertrag noch am gleichen Tag.“ Entlastungszeugen bestätigten wie abgesprochen auffallend ein- hellig, dass mein Vater Regimegegner im Betrieb gedeckt habe und „jederzeit bestrebt war, jüdischen Berufskollegen eine gerechte und so- ...... 93 weit es die damaligen Machthaber gestatteten schonende Behandlung angedeihen zu lassen“. Letztlich sei der verstorbene Seniorchef Carl Reder verantwortlich gewesen. Emil Oswald, als anerkanntes O5-Mit- glied keiner Nazi-Sympathien verdächtig und nach seiner KZ-Haft Verkaufsleiter von J. & C. Reder, setzte aus Dankbarkeit seine politi- schen Kontakte zur Rehabilitierung ein und gab zu Protokoll: „Dr. Re- der war meine antifaschistische Betätigung bekannt, er hat diese ge- duldet, da er sie absichtlich übersehen hat. Die bei ihm beschäftigten russischen Kriegsgefangenen, jüdischen Zwangsarbeiter und sonstigen Ausländer, wurden in seinem Auftrag weit besser behandelt als die ei- genen Arbeiter, indem sie Lebensmittelzuteilungen erhielten, die er immer persönlich verteilte, um andere Gefolgschaftsmitglieder nicht zu belasten.“ Die verbotenen Zuwendungen habe er selbst finanziert, um nicht Mitwisser zu gefährden. Vorgebracht wurde auch, dass Ernst Schönmann 1945 mit weit überhöhten Forderungen Erpressungsver- suche unternommen habe. Auf Basis mehrerer Wirtschaftsprüfer-Gutachten kam es schließ- lich ohne Verurteilung zu einem Vergleich. Unterlagen dazu, die mir verfügbare Dokumente ergänzen, fanden sich im Wiener Stadt- und Landesarchiv und im Staatsarchiv/Archiv der Republik – Finanzen. Demnach wurde bereits während der Haft meines Vaters am 12. Mai 1947 ein erstes mehrfach nachverhandeltes Übereinkommen erzielt. In einer definitiven Fassung der schließlich erzielten Ergebnisse vom 2. Juni 1950 wird als Ausdruck der Streitbeilegung bestätigt, dass „der Fir- ma J. & C. Reder aus der seinerzeitigen Übernahme von Aktiven der Firma Emil Fürth keine übermäßige Bereicherung zugekommen ist“ und damals „keinerlei Druck ausgeübt“ wurde. Vor der Rückstellungs- kommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wurde einvernehmlich erklärt, dass nunmehr sämtliche Ansprüche „vollstän- dig erledigt“ seien „und keinerlei Interesse an der strafrechtlichen Ver- folgung des Herrn Dr. Franz Reder“ und ebenfalls beschuldigter Mit- arbeiter mehr bestehe. Als Entschädigung war bereits 1947 ein Betrag von 110.000.- Schilling anerkannt und an Leo Fürth in Raten ausbe- zahlt worden. Die Grundstücke und Mietrechte wurden zurücküber- tragen, um beiden Partnern zu ermöglichen, „sofort wieder ihre Ge- schäftstätigkeit zu beginnen“, wofür als weitere Kompensation 2.000 Festmeter Schnittholz geliefert wurden. Angesichts der drastischen Kriegsverluste wurde damit neben der „Sühneabgabe“ für minderbe- lastete Nazis (10 % Zusatzsteuer) freiwillig „eine wesentlich höhere ...... 94 Reichsfluchtsteuerbescheid Leo Israel Fürth

„Sühneabgabe vollständig erfüllt“, . .  Österreichisches Staatsarchiv | Archiv der Republik – Finanzen VVSt./VA -, . | Wiener Stadt- und Landesarchiv

...... 95 Rückstellungsverpflichtung“ übernommen, „als sie sachlich und recht- lich begründet wäre“, so der schriftliche Kommentar meines Vaters. Wegen des Verzichts der Firma Fürth und guter Kontakte zu den Ös- terreichischen Bundesbahnen verblieben ihm jedoch die Rechte am „arisierten“ Lageplatz Franz-Josefs-Bahnhof. 1938 waren für die Übernahme der Firma Fürth RM 248.864,10 bezahlt worden (was in Euro etwa dem zehnfachen Betrag entspricht), von dem die drei Inhaber Leo Fürth, Ernst Schönmann und Dr. Ber- ta Schönmann nur RM 35.860,75 erhielten, während der Hauptbetrag von RM 213.003,35 auf Sperrkonten deponiert werden musste, von de- nen es einige weitere – bewilligungspflichtige – Zahlungen an sie in nicht mehr feststellbarer Höhe gab. Aber allein „Herrn Leo Israel Fürth und Ehefrau Gisela, geb. Blum“, wurden als „Reichsfluchtsteu- er“ von ihrem mit RM 273.290,- penibel erfassten Gesamtvermögen RM 52.260.- vorgeschrieben, die zynischerweise wegen „Aufgabe des inländischen Wohnsitzes“ fällig wurden. Erhaltene Dokumente über „ablieferungspflichtige Wertgegenstände“, die als Juden geltende Per- sonen nicht mehr besitzen durften, machen die Realität deutlicher kenntlich als alle Gerichtsakten – mit den minutiösen Tagebüchern von Victor Klemperer (1881–1960) über solche Vorgänge als Schlüssel- dokument dazu.40 Denn für ihren Schmuck, etwa 50 kleinteilige Po- sitionen wie zwei Armbanduhren, einige Ringe, Halsketten und Bro- schen, bekam Leo Fürth, dessen Frau Gisela (Gita) Fürth (1889–1938) im Dezember 1938 gestorben war, vom Dorotheum als „öffentlicher Ankaufsstelle“ im Mai 1939 nur RM 752,40, also gerade RM 15.- pro Stück. Solche Einzelheiten spielten schließlich keine Rolle mehr und niemand war an weiteren Verfahren interessiert, weshalb es mit diesem Vergleich endete. Eine Zeit lang führte unsere im Betrieb mitarbeitende, politisch unbelastete Tante Ida Reder (1903–1992) formell die Firma, bis die Entnazifizierung abgeschlossen und mehr oder minder alles vergessen war. Weil sie ihn als Fachmann schätzten, so häufige Bemerkungen des Vaters, hätten selbst die sozialistischen Betriebsräte und die Gewerk- schaft seine Wiedereinsetzung als Chef begrüßt, und auch „die Ge- folgschaft“, wie es weiterhin hieß, stand wegen seiner Fachkenntnisse und Führungskompetenz zu ihm. Als mir bei Studentenjobs die bei

40 Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933– 1941. Tagebücher 1942–1945, 2 Bände, Berlin 1995...... 96 Ein- und Verkauf unterschiedlichen Zollmaße auffielen, es also mess- technisch zu versteckten Vorteilen kam, hieß es, das sei anerkannte Tradition, dabei war mir das Gerede geläufig, dass „jüdische Tricks“ bei Maßen und Gewichten ganze Branchen vergiftet hätten. Die Familienfirma J. & C. Reder ging nach ihrer von internen Konflikten provozierten Aufspaltung und wegen mit wertvollen Grundstücken leicht besicherbaren hohen Bankkrediten nach 150 Jah- ren und fünf Generationen 1981 in Konkurs. Ihre Tradition setzt nur die Holz Hrad GmbH der Nachkommen einer Tochter von Josef Re- der fort41, dem Partner meines Vaters, der aber vom noblen Engelhof aus primär seine eigenen Betriebe im Raum Steyr, eine Holzmehlfab- rik und ein Sägewerk, geleitet hat. Den meinem Vater als 50-Prozent-Anteil zufallenden Betrieb in Korneuburg als Holzwerke Reder weiterzuführen scheiterte nach kur- zer Zeit. Auch dort gibt es Verbindungen zu jüdischen Vorbesitzern, worauf noch eingegangen wird. Durch die „Arisierung“ der Firma Fürth war mein Vater zum Teilhaber aufgestiegen. Dass ihm allein auf- grund jahrelanger Geschäftsführertätigkeit eine so hohe Beteiligung zugstanden worden wäre, ist nicht sehr wahrscheinlich, weil es dafür nie einen Präzedenzfall gab. Unbestreitbar ist, dass sein Wohlstand in der Nazi-Zeit einsetzte und es uns nach dem Krieg finanziell besser ging, als wenn er bloß angestellter Firmenchef gewesen wäre. Für Kin- der war das vor allem durch vergleichsweise bessere Wohnungen, Haushaltshilfen als Ersatzmütter, noblere Italienurlaube, den zu Weih- nachten 1956 angeschafften Fernsehapparat und die Autos des Vaters wahrnehmbar, weil amerikanische Straßenkreuzer zum neuen Zuge- hörigkeitssymbol wurden. Erst zuletzt folgte ein Mercedes. Als Kont- rapunkt dazu war das Taschengeld stets ostentativ knapp, um uns ja nicht zu verwöhnen. „Nicht in der Zeitung stehen“ blieb eine wichti- ge Devise; als Die Presse den Konkurs der Firma meldete, wurde das jahrzehntelange Abonnement sofort abbestellt. Zur Haftzeit heißt es in den biographischen Notizen meines Va- ters, dass die Hälfte sich als politische Gefangene durchwegs unschul- dig fühlende Nazis waren, so als ob politische Motive von Schuld ent- lasten würden, obwohl das bei „KZ-lern“ keineswegs so gesehen wur- de. Zu den verachteten Mithäftlingen gehörte der Burgschauspieler , der die Widerstandsgruppe um Roman Karl Scholz,

41 Firma Hrad: http://www.holz-platten.at/1_36_Geschichte.html ...... 97 Jacob Kastelic und Karl Lederer der Gestapo verraten hatte, aber nach zehn Jahren begnadigt wurde. Als diesem für einige Tage die Flucht gelungen war, verschärften sich die Haftbedingungen. Ebenso verach- tet wurde der Hitlerjugendführer Johann Wallner, der wegen mehrfa- cher Morde im Gebiet Neunkirchen, die er an angeblichen Deserteu- ren und Regimegegnern im Zuge eiliger Standgerichte in den letzten Kriegstagen verübt hatte, hingerichtet wurde. Guido Schmidt, Vater des späteren Creditanstalt-Direktors Guido Schmidt-Chiari, dessen Hochverratsprozess als Vertrauensmann der Nazis in der letzten öster- reichischen Regierung mit einem Freispruch endete, blieb in seiner Einzelzelle eher isoliert, aber „spielte dafür jeden Sonntag in der An- staltskirche die Orgel“. Der spätere Ford-Generalvertreter Anton Hin- teregger und Adelige wie Karl Anton Rohan zählten zu den Mitgefan- genen. Mit Leo Gotzmann, dem letzten Wiener NS-Polizeipräsiden- ten, verstand mein Vater sich besonders gut. Weil Gotzmann früh ent- lassen wurde, blieben dessen Bridge-Kurse erfolglos; dass er laut Wiki- pedia 1945 gestorben sei, kann somit nicht stimmen. Dass sich stolze SS-Offiziere gierig um Zigarettenkippen rauften, war eine oft gehörte Geschichte aus unseres Vaters Haftzeit. Notiert hat er auch, dass „ein zünftiger Nazi“ unter den Wärtern ihren Briefverkehr organisierte. Fleisch habe es nur einmal gegeben, als Bundeskanzler Figl das Haus besichtigte, die wöchentlich erlaubten Lebensmittelpakete reichten aber durchaus. Die früheren Polizisten außer Dienst zu stellen, obwohl „sie alle ohne ihr Zutun korporativ in die NSDAP eingegliedert“ wor- den waren, sei offenbar nicht durchführbar gewesen. Im Prater muss- ten „ganz vernünftige Rodungsarbeiten“ verrichtet werden, bewacht von Polizisten, „meist ältere sehr humane Leute, die alle Augen zu- machten und am Rande des Arbeitsfeldes alle Privatbesuche der Häft- linge tolerierten“.

...... 98 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 

FAMILIE FÜRTH, FAMILIE KREISKY. Im Zuge der Vertreibung der Juden aus Wien im 17. Jahrhundert war Fürth bei Nürnberg – wo auch Henry Kissinger geboren wurde – ein teils namensgebendes Fluchtziel geworden. Von dort zogen jüdische Familien oft in die Böh- merwaldregion weiter, mit später neuerlich vielfältigen Beziehungen zu Wien.42 Der Enzyklopädie über „Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938“ von Georg Gaugusch zufolge gibt es zwei Linien der Fa- milie Fürth. Eine geht auf Wolf Fürth (ca. 1779–1850) zurück, den Gründer der Fezfabrik in Strakonice/Strakonitz, die andere auf Bern- hard Fürth (ca. 1796–1849), der in Sušice/Schüttenhofen den Grund- stein zur „,Solo’-Zündwaren und Chemische Fabriken AG“ legte. Des- sen Söhne Daniel und Simon Fürth machten „SOLO“ zur weltweit führenden Zündholzmarke. Die zur „Aktiengesellschaft der Österrei- chischen Fezfabriken“ gewordene „Wolf Fürth & Comp.“ wurde mit einer Reihe weiterer Fabriken zum größten Hersteller der auf dem Bal- kan und im Orient üblichen roten Kappen aus böhmischer Schafwol- le oder „lombardischer Seide“, bis „Kemal Atatürk das Tragen des Fez“ unter Verbot stellte.43 Damit ging ein großer Markt verloren, wie Bru- no Kreisky in seinen Erinnerungen anmerkt, dessen Vater dort – als

42 David Kaufmann: Die letzte Vertreibung der Juden aus Wien und Niederöster- reich. Ihre Vorgeschichte (1625–1670) und ihre Opfer, Budapest 1889. 43 Georg Gaugusch: Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800– 1938, A–K, Wien 2011, S. 818 ff...... 99 erster erwähnter Kontakt seiner Familie mit Angehörigen der Familie Fürth – „in leitender Stellung“ tätig war, „einem der großen Textilkon- zerne der Monarchie, der seine großen Fabriken in Böhmen und Un- garn hatte“.44 Mit Produkten wie Pullman-Kappen wurden nie wieder die früheren Umsätze erreicht. Erst in der schwedischen Emigration ergab sich eine neuerliche, zur Verwandtschaft werdende Verbindung zwischen den Familien Fürth und Kreisky, weil Bruno Kreisky (1911–1990) und Vera Fürth (1916–1988) dort 1942 heirateten. „Sie studierte Sprachen, italienisch, französisch, englisch, deutsch und Religionsgeschichte“ und „war ei- nige Semester an der Sorbonne gewesen“, wie Kreisky erzählt. Ihr Va- ter Theodor Fürth – dessen Familie als Nachkommen Wolf Fürths Pa- pier-, Textil- und Zündholzfabriken betrieb – „war 1908 nach Schwe- den ausgewandert“, weil er „sich im Dunstkreis dieser reichen Leute nicht wohl gefühlt“ hatte, so sein Schwiegersohn, und gründete „zu- nächst eine Textilimportfirma“. „Er war ein Mann mit erheblichen Vorurteilen; von Sozialpolitik und Arbeitszeitbegrenzung hielt er nichts, obwohl er ansonsten recht großzügig war. Von meiner politi- schen Tätigkeit hielt er ebenfalls nichts. Er war ein Kapitalist und im- mer der Meinung, daß das, was ich vertrat, eigentlich ein Unfug wäre. Infolgedessen machte er mir das seiner Meinung nach großzügige An- gebot, mir zu seinen Lebzeiten noch ein Viertel des Eigentums an sei- nem sehr gutgehenden Unternehmen zu überlassen, den gleichen An- teil, den sein Sohn bekam. Nach seinem Ableben sollten wir das Un- ternehmen dann teilen. Die Bedingung war, daß ich der Politik den Rücken kehrte.“ Bis zu seinem Tod habe er ihn vergeblich beschworen, in die Firma einzutreten, da seine Familie sonst „nie reich sein wird“. Kreiskys Mutter Irene stammte aus der wohlhabenden Familie Fe- lix aus Třebíč/Trebitsch, die erstmals 1694 urkundlich erwähnt wurde und durch Spirituosen und eine große Konservenfabrik für Gurken in Znaim reüssierte. Herbert Felix, der Sohn ihres Bruders und Cousin Bruno Kreiskys, baute schließlich in Schweden „nach dem Krieg zu- sammen mit seinem Schwiegervater unter dem Namen ‚Felix’ eine der größten Konservenfabriken des Kontinents“ auf. Die angebotene Part- nerschaft lehnte Kreisky auch in diesem Fall ab, um sich voll der Poli- tik zu widmen. Třebíč/Trebitsch, woher auch der Schuhkönig Tomáš Baťa kam, wurde für Kreisky ein wichtiger und oft besuchter Ort sei-

44 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten, a.a.O., S. 41 f...... 100 ner Kindheit. Der in der Familie vorherrschenden „liberalen und ag- nostischen Einstellung“ wegen blieben viele ihrer Mitglieder konfessi- onslos. Aber „vom einstigen Glanz ist nichts geblieben“, weil diese Unternehmen zu tschechischem Volkseigentum wurden – „eine Um- schreibung für Konfiskation“. Für „das gehobene Bürgertum, zu dem die Familie gehörte“, war es eine „Selbstverständlichkeit“, als „Inbegriff an Redlichkeit“ zu gel- ten. Der Großvater väterlicherseits war Dorfschullehrer und dann Schuldirektor in Budweis, hatte an der Schlacht von Königgrätz teil- genommen und als Patriot Kriegsanleihen gezeichnet, „was den Ver- lust des gesamten Vermögens der Kreiskys zur Folge hatte“. Aber auch in Wien, wo Bruno Kreisky 1911 geboren wurde, gab es „ein sehr be- hagliches, sorgenfreies Familienleben“. Nur sein Vater Max Kreisky war wegen seiner Sympathien für die Sozialdemokratie „gegenüber dem Reichtum der Angehörigen meiner Mutter doch ein bißchen re- serviert“. Für viele Mitglieder der Familien Fürth, Kreisky und Felix war 1938 eine über Leben und Tod entscheidende Zäsur. Konnte sich Bru- no Kreisky, der durch sein Auftreten im Sozialistenprozess von 1936 auch international Rückhalt bekommen hatte, in die Emigration ret- ten, heißt es in seinen Erinnerungen deutlicher, als er es je in der Öf- fentlichkeit ansprach, „daß meine beiden Familien den Nazismus in seiner grauenhaftesten und umfassendsten Form erfahren haben und daß nur wenige von uns übriggeblieben sind“. „Die Brüder meiner Mutter sind allesamt zugrunde gegangen; auch einige Schwestern mei- ner Mutter und viele Cousins, die mir sehr lieb waren und nahegestan- den sind. Eine Cousine, Elfie Felix, kam als einzige aus der Hölle zu- rück, war aber wahnsinnig geworden. Vor ihren Augen hatte man ihre Tochter umgebracht. Sie überlebte den Krieg nur um wenige Wo- chen.“ Auf einer Opfer-Liste aus Polen entdeckte er viele Verwandte, „eine große Zahl von Angehörigen der Familie Felix, darunter mein Vetter Dr. Wilhelm Felix, ein strenggläubiger Katholik, der auf Grund der Gebote seines Glaubens die Eltern nicht im Stich lassen wollte, als diese nach Theresienstadt deportiert wurden. Er selber war Halbjude und stand den katholischen Neuländern nahe. Auf jener Liste steht auch meine Tante Grete Felix, die verheiratet war mit dem Bruder meiner Mutter, der den Trebitscher Betrieb vom Großvater übernom- men hatte, eine Frau von unendlicher Güte und außergewöhnlicher Schönheit. Auf der Liste stehen noch weitere Vettern von mir, alle aus ...... 101 der Familie Felix, auch Ernst Felix mit allen seinen Kindern. Dann kommen die Fischers, Berta Fischer, die Schwester meiner Mutter, mit ihren Kindern, und dann die Kreiskys, Otto Kreisky, Friederike Kreis- ky, Karl Kreisky, auch viele Kreiskys, von denen ich bis dahin nichts wußte. Aus der kleinen mährischen Stadt Trebitsch meldet der Bericht 650 Deportierte. […] Aber ich habe nicht mehr die Kraft, diese Statis- tik des Grauens zu vervollständigen.“ Nur „wenn man irgendeine Sai- te ihres eigenen Schicksals zum Schwingen bringt“, so seine höchst skeptische Einsicht zu allem weiteren Töten, „kann man die Menschen zu Mitgefühl und Einsicht bringen“.45 Zum Namen Fürth enthält die DÖW-Opferdatenbank 37 Einträge, 21 zum Namen Felix und 6 zum Namen Kreisky, fast alle mit letzter Adresse in Wien.46 Aus der Strakonitz-Linie blieben zwei Söhne Daniel Fürths im Zündholzgeschäft. Ernst Fürth, von Beruf Chemiker, erwarb Anteile am Hotel- und Kurbetrieb Dianabad in Wien. Julius Fürth wurde Arzt und baute das Sanatorium Eder in der Schmidgasse 14 beim Wiener Rathaus zu einer führenden Klinik für Chirurgie, Gynäkologie und Geburten aus, die sein Sohn Lothar Fürth (1897–1938) bis 1938 weiter- führte. „Nachdem er am 2. April 1938 vor einem wütenden Mob ge- zwungen worden war, zusammen mit seiner Frau vor dem Sanatorium in einer der zynisch ‚Reibpartie’ genannten Hetzjagden das Straßen- pflaster zu waschen“, so Tina Walzers Recherchen, „konnte er dem Druck der Verfolgung nicht weiter standhalten. Am Tag darauf nahm er sich zusammen mit seiner Frau das Leben.“ Endlose Restitutions- verfahren sind bis heute nicht abgeschlossen. Ein weiterer Zweig der Familie Fürth betrieb die etablierte Wiener Holzhandlung Emil Fürth. 47 Erst Nachforschungen zu deren „Arisierung“ machten die weit- verzweigten Verbindungen zwischen den Familien Kreisky und Fürth

45 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten, a.a.O., S. 9 f., 12, 22, 23, 73, 88, 93, 97 f., 98 ff., 101, 362 ff., 421. 46 http://www.doew.at/personensuche 47 Tina Walzer: Vom Böhmerwald aus in die Welt; Familie Fürth (für die Firma Emil Fürth wird die Adresse Spittelauer Lände 9 angegeben, richtig: Treustraße 73) | Stephan Templ: Das Sanatorium Fürth in Wien: Schmidgasse 12–14, DA- VID. Jüdische Kulturzeitschrift, Wien, Nr. 67/2005, Nr. 82/2009 | Petra Stuiber: Ein Unbequemer hinter Gittern, Der Standard, Wien, 25.-26.10.2015, über die höchst problematische Haftstrafe für Stephan Templ, weil er im Restitutions- verfahren „Sanatorium Fürth“ unvollständige Angaben über die Erbberechtig- ten gemacht habe...... 102 bewusst und dass es über die Firma Emil Fürth Bezüge zu meiner Fa- milie gibt. Zeuge der sich über Monate hinziehenden Übernahme die- ses Unternehmens durch die Firma Reder war 1938 – als düstere Kon- kretisierung von sonst Verborgenem – der spätere Bundeskanzler Josef Klaus, der für deren nunmehr sieben Betriebsstätten den Betriebsab- rechnungsbogen erstellte, worauf noch zurückgekommen wird. Dazu kommt, dass – von in diesem Band genannten Personen – meine Arbeit im Umfeld Bruno Kreiskys besonders prägend war. Im Sinn Richard Rortys davon überzeugt, dass „eine zeitgenössische libe- rale Gesellschaft selbst schon die Einrichtungen zu ihrer Verbesserung“ enthalten müsse48 und es um motivierende Arbeitsbedingungen, nicht um „Befreiung von Arbeit“ gehe, boten sich mir nach dem Studium der Staatswissenschaften in einer internationalen Beratungsfirma von Zürich aus entsprechende Projektchancen. Ich blieb zehn Jahre, bis ich wegen enger werdender Kommerzialisierung der Branche unabhängi- ger sein wollte. In Wolfgang Petritschs Kreisky-Biographie heißt es zu unserer Arbeit für die nun auf AZ verkürzte Arbeiter-Zeitung und den Vorwärts-Verlag: „Willy O. Wegenstein, der in den sechziger und sieb- ziger Jahren zur Spitze der damals in Europa noch wenig verbreiteten Gruppe von Top-Beratern gehörte“, wurde 1972 mit seiner Knight Wegenstein AG beauftragt, „ein Sanierungskonzept für den Verlag und seine Printmedien zu erarbeiten. Der junge Wiener Christian Reder, seit einigen Jahren für den Schweizer Consulter tätig und bereits [teils erst später] erfahren in der Beratung von Creditanstalt und Zentral- sparkasse sowie als Mitarbeiter an einer Studie über das österreichische Gesundheitswesen, war im Wegenstein-Team für die Neuorientierung des sozialistischen Zeitungs- und Buchverlages zuständig. Reders von Kreisky aufgenommene Vorstellung, aus der AZ ein linksliberales Blatt zu machen – heute würde man an den Standard denken –, ging jedoch im Gewirr von Partei- und gewerkschaftlichen Eigeninteressen unter. Weder Benya noch die jungen Stars der SPÖ, Leopold Gratz und Karl Blecha, hatten offenbar ein Interesse daran, die AZ in eine – für sie schwer beeinflussbare – Zukunft zu entlassen. Was viele Jahre später – zu spät – von Robert Hochner und dann Peter Pelinka, dem letzten Chefredakteur der AZ, versucht wurde, hätte vielleicht damals gelin- gen können. Aber Kreiskys Durchsetzungsvermögen waren selbst am

48 Richard Rorty: Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main 1992, S. 114...... 103 Höhepunkt seiner Macht innerparteiliche Grenzen gesetzt.“49 Pläne dazu gab es, seit er „1967 in einer Kampfabstimmung und gegen eini- gen Widerstand“ Parteivorsitzender wurde und „von Anfang an Libe- rale, sozial engagierte Christen, fortschrittlich gesinnte Bürgerliche und alle, die den herrschenden Mief in der heimischen politischen Landschaft satt haben“, einlud, „ein Stück des Weges mit uns zu ge- hen“, wie Barbara Coudenhove-Kalergi in Erinnerung ruft.50 Bruno Kreisky beeindruckte mit einer nachdenklichen Gesprächs- kultur, die ich fälschlich für den Standard exponierter Politiker hielt. Mit spröden Berufssozialisten wie dem Zentralsekretär Fritz Marsch (1926–2009) oder dem Chefredakteur Manfred Scheuch (1929–2016) war eine linksliberale Positionierung der AZ kaum umsetzbar. Die Null-Nummer der Redaktion orientierte sich bereits paranoid an der Kronen Zeitung von Hans Dichand (1921–2010). Ein von mir mit handverlesenen Jungfunktionären erstelltes Positionspapier zu Partei- perspektiven verschwand sofort im Tresor. Als Kreisky mich als Bera- ter für Kunstprojekte, als Nicaragua-Aktivist und Organisator der Af- ghanistanhilfe, über die er sich öfter berichten ließ, wieder traf, konn- te er mich sichtlich nie sofort einordnen. Mir aber war es durchaus plausibel, beruflich noch nicht abgestempelt und für weitere Wege of- fen zu sein. Qualitätsmedien blieben gerade wegen meiner Journalis- mus-Distanz ein Thema, als Partner im Falter-Verlag, mit der Edition Transfer bei Springer Wien – New York, mit Recherche und Volltext. Angesichts einer an käuflichen Trash-Medien orientierten Politik wirkt Kreiskys Vision, dass „die Sozialdemokratie wieder eine große Aufklä- rungs- und Kulturbewegung“ werden müsste, „freilich in einem ganz neuen Sinne“, wie eine Beschwörung aus dem Jenseits, weil diese auch wegen der Tradition, „Intellektuelle müsse man dreimal wegschicken“, bevor sie akzeptiert würden, laufend an Kontur einbüßte.51 Vom Vor- wärts-Chef Friedrich Franz Eder kam sogar der eindringliche Rat, oh- ne proletarischen Hintergrund „zum Busek zu gehen“, damals Expo- nent des „bürgerlichen Wien“, um etwas zu erreichen. Er blieb der ein- zige ÖVP-Politiker, mit dem es je immer wieder Kontakte gab.52 Poli-

49 Wolfgang Petritsch: Bruno Kreisky. Die Biographie, St. Pölten – Salzburg 2010, S. 196. 50 Barbara Coudenhove-Kalergi: Zuhause ist überall. Erinnerungen, Wien 2013, S. 157 ff. 51 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten, a.a.O., S. 116, 134. 52 Erhard Busek: Wien – ein bürgerliches Credo, Wien 1978...... 104 tikgestützte Berufswege waren mir unvorstellbar. Als Student zum de- zidiert SPÖ-kritischen Linken geworden, ist diese Distanz von der frü- hen Naherfahrung mit der Parteispitze, dem Unverständnis für so vie- les oder meinem Gerichtsgutachten über die parteinahe Korruption im Umfeld von Finanzminister Androsch beim Bau des Allgemeinen Krankenhauses fortwährend bestärkt worden. Mit dem Kanzler-Sohn Peter Kreisky (1944–2010), dessen quäle- risches Ringen um vertretbare linke Positionen ihn zeitlebens zum Ge- wissen nicht aufgebender Gruppierungen machte, war ich seit ge- meinsamen Maturazeiten befreundet. Der von ihm maßgeblich ge- prägte, durch mediale Präsenz verdienstvolle „Republikanische Club – Neues Österreich“ verstand sich – in seinen Worten und durchaus in meinem Sinn – „von Anbeginn als Fortführung der überparteilichen antinazistischen Tradition, die von 1945 bis zur Einstellung der Tages- zeitung Neues Österreich im Jahre 1967 als artikulierte, wenn auch zu wenig breitenwirksame Stimme gegen übermächtige gesellschaftliche Tendenzen von Verdrängung und Verharmlosung existierte“.53

BUNDESKANZLER KLAUS. Entgegen aller Prognosen war Josef Klaus (1910–2001) 1970 als Bundeskanzler von Bruno Kreisky abgelöst worden, der als Sozialist und jüdischer Emigrant vielen – und der per- fiden ÖVP-Werbung – nicht als „echter Österreicher“ galt. In seiner Biographie „Macht und Ohnmacht in Österreich“ schwärmt Klaus davon, dass er nach seiner Entlassung aus der Arbeiter- kammer im März 1938 gleich wieder eine Stelle fand und als damals 28-Jähriger bis zum Militärdienst in „mehr als einjähriger, instruktiver Arbeit bei der altrenommierten Holzhandlung Reder & Co.“ (gemeint: J. & C. Reder) seine wirtschaftlichen Erfahrungen vertiefen konnte. Dass er damit Zeuge der sich über Monate hinziehenden „Arisierung“ der Firma Emil Fürth wurde, wird nicht einmal angedeutet. „Bei der Firma Reder & Co.“, heißt es zu seinen Aufgaben, „hatte ich mich nicht nur mit der zweibändigen ‚Betriebswirtschaftslehre’ von Mellero- wicz befreundet und aus ihr den Betriebsabrechnungsbogen für unsere [plötzlich!] sieben Betriebsstätten destilliert, sondern auch die drei

53 Peter Kreisky: „Neues Österreich“. Aspekte sozial-ökonomischer und politi- scher Entwicklungen vor und seit der „Waldheim-Auseinandersetzung“, in: Bri- gitte Lehmann, Doron Rabinovici, Sibylle Summer (Hg.): Von der Kunst der Nestbeschmutzung. Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986, Wien 2009, S. 121...... 105 Lehrbücher zum Steuerrecht von Staatssekretär Reinhardt studiert. Viel Nutzen und Befriedigung verschaffte mir die Chance, irgendwo im Mühlviertel oder im Lungau einige Waggons einzukaufen oder von ‚meinem Platz’ an der Heiligenstädter Lände [gemeint: Brigittenauer Lände/Treustraße] zu verkaufen.“ Es ergaben sich lebensprägende sozi- ale Erfahrungen: „Die Zeit im Gewerkschaftsbund und in der Arbei- terkammer, die Teamarbeit mit meiner Gruppe auf dem Holzlagerplatz der Firma Reder“ und dann „die rasch hergestellte Kameradschaft mit den Arbeitern, die 1939 mit mir in die Breitenseer Kaserne eingerückt waren, die ich im Krieg und im Kriegsgefangenenlager kennenlernte, öffneten Zugänge noch und noch zu jenen Menschen, die angeblich nicht zu mir und meiner weltanschaulich-politischen Richtung gehör- ten, mochten sie mir menschlich noch so verbunden sein.“ Sogar die Entscheidungsfindung als erster und vermutlich letzter Bundeskanzler einer ÖVP-Alleinregierung reformierte er nach dem Reder-Vorbild: „Für die politische Willensbildung und Arbeitsdiskus- sion erwiesen sich Parteileitung und Vorstand als zu umfangreich und überdies falsch zusammengesetzt. Daher mußten neue Gremien mit neuen Arbeitsmethoden und Zielsetzungen geschaffen werden. Ich führte – in bester Erinnerung an deren Effektivität in der Fa. Reder & Co. – in der Bundesparteileitung die ‚Postsitzung’ ein. Ihr gehörte der engste Mitarbeiterstab, der mir auf dem Ballhausplatz und in der Par- teileitung zur Verfügung stand, an: der Generalsekretär, sein Stellver- treter, der Leiter des politischen Büros, der Leiter des ÖVP-Presse- dienstes und zwei weitere Redakteure, der Klubsekretär, der Staatsse- kretär im Bundeskanzleramt, mein Kabinettchef, mein Pressesekretär, meine persönlichen Sekretäre aus dem Bundeskanzleramt und der Lei- ter des (Withalm-)Institutes für Sozialwissenschaften. Um den Erfolg dieser Vormittagsstunde zu sichern, bedurfte sie einer guten Vorberei- tung. Mindestens vier Teilnehmer hatten jedesmal ein Kurzreferat zu halten. Manchmal brauchte ich am Morgen in meiner Wohnung eine ganze Stunde, um ‚die wesentlichen drei Punkte’ zu fixieren, auf die ich mich in der Einleitung stets beschränkte und mit denen die Rich- tung der Arbeit der nächsten Tage bestimmt wurde.“ „Kritische Be- merkungen“ waren durchaus willkommen, selbst wenn „unsere For- mulierungen als nichtssagende ‚Leerformeln’“ bezeichnet wurden. „In knapp 60 Minuten wurde so in der Postsitzung die Politik der letzten

...... 106 Wahlplakat  | Josef Klaus: Macht und Ohnmacht in Österreich, Wien 

48 Sunden und die Arbeit der nächsten Stunden und Tage durchge- gangen, wurden Meinungen diskutiert und Aufgaben zugeteilt.“54 Angesichts dieser eingehenden Schilderung auf 1938/39 zurückge- hender Managementerfahrungen in der Firma Reder ist bezeichnend, dass es ein früherer Bundeskanzler wie Josef Klaus nicht mehr für op- portun hielt, in seinem Lebensrückblick auch nur anzudeuten, dass er damals in allen Einzelheiten die „Arisierung“ der Firma Emil Fürth miterlebt hatte, durch die große Lagerplätze und Lagerbestände hin- zukamen und sich das Geschäftsvolumen etwa verdoppelte. Völlig un- bekannt war dieser Zeitgeschichte konkretisierende Sachverhalt diver- sen Instanzen keineswegs, hatte doch mein Vater in seinem Nach- kriegsverfahren darüber als Beleg seiner Hilfe für Regimekritiker an- geführt, Josef Klaus nach dessen aus politischen Gründen erfolgter Entlassung sofort eine Anstellung geboten zu haben, weil sie sich vom Bund Neuland her und wegen gemeinsamer Freunde gut kannten. Auch noch während Klaus’ Kanzlerschaft ergaben sich zwischen ihnen immer wieder Kontakte.

54 Josef Klaus: Macht und Ohnmacht in Österreich. Konfrontationen und Versu- che, Wien 1971, S. 30, 84, 92, 123 f...... 107 AUSSENMINISTER W OLF. Der engste Freund meines Vaters, wie er oft betonte, war der um einige Jahre ältere Wilhelm Wolf (1897– 1939), der 1938 noch kurz nomineller NS-Außenminister der letzten österreichischen Bundesregierung wurde. Auch Josef Klaus gehörte zum „Kreis um Wilhelm Wolf“, wie es damals hieß, einer informellen Instanz deutschnational engagierter ka- tholischer Männer, ohne dass Frauen eine merkbare Rolle spielen durf- ten. Wolf war dessen „unumstrittenes Haupt“, so Klaus in seinen Erin- nerungen, „ein grundgütiger, vielseitig begabter und interessierter Vor- arlberger“, der sich weithin Respekt erworben hatte. Von ihm sei er „dem Präsidenten des neugeschaffenen ständestaatlichen Einheitsge- werkschaftsbundes Johann Staud“, der dann im KZ Flossenbürg um- kam, als persönlicher Sekretär vermittelt worden.55 Auch hing mit die- ser neben Neuland gebildeten Gruppierung die nach seiner Entlassung erfolgte Anstellung durch meinen Vater zusammen, dessen biographi- schen Notizen zufolge auch Edmund Glaise-Horstenau (1892–1946) und der Verwaltungsjurist Friedrich Wimmer dazugehörten. Der eine wurde Vizekanzler, der andere Staatssekretär im Übergangskabinett von Arthur Seyß-Inquart und dann dessen Mitarbeiter in den Nieder- landen. Seyß-Inquart war ursprünglich signifikanterweise Rechtsan- walt wie die mit ihm hingerichteten Hauptkriegsverbrecher Ernst Kal- tenbrunner und Hans Frank. Wolf selbst war über seinen Vorarlberger Jugendfreund Guido Schmidt, den Generalsekretär der Vaterländischen Front Guido Zer- natto oder deutsche Diplomaten wie Hans Bernd von Haeften, der nach dem Stauffenberg-Attentat hingerichtet wurde, bestens über po- litische Interna informiert. Die Vorstellung, Österreich könne als Teil des Deutschen Reiches seine Eigenständigkeit als katholisches Land bewahren, wirkte verbindend, gerade unter den exponierten Katholi- ken dieses Kreises. Rasch desillusionierte manche von ihnen, dass es gleich nach dem „Anschluss“ zu „einer noch aggressiveren Kultur- kampfpolitik als im übrigen Deutschen Reich“ kam, was durch stän- dige Krawalle, die eilige Einführung der obligatorischen Zivilehe, die Entfernung der Kruzifixe aus Klassenzimmern oder das Verbot aller Privatschulen rasch offensichtlich wurde, wie Gerhard Botz in „Nati- onalsozialismus in Wien“ konstatiert.56

55 Josef Klaus: Macht und Ohnmacht in Österreich, a.a.O., S. 28, 29. 56 Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien, a.a.O., S. 443...... 108 Wilhelm Wolf: Hundert Jahre Peter Broucek: Ein General im Österreich. Politik und Dichtung, Zwielicht. Die Erinnerungen Salzburg  Edmund Glaises von Horstenau,  Bände, Wien //

Auch der Neuland-Bund, auf den noch eingegangen wird, musste sich auflösen. Als Schlüsselerlebnis erzählte mein Vater oft, dass die Freunde erschüttert waren, als ihnen Wilhelm Wolf eindringlich be- richtete, wie er im Frühjahr 1939 in Prag mit Reinhard Heydrich zusam- mengetroffen war und dabei „in die Augen des Teufels“ geblickt habe. Im Juli darauf – dem Sommer vor Kriegsbeginn – verbrachte Wil- helm Wolf einige Tage im Schloss Albrechtsberg bei Melk von Karl Anton Rohan, einem NS-orientierten Abendland-Ideologen, der 1947 ein Haftgenosse meines Vaters war. Um Wolf für eine Dienstreise zum Flugplatz Aspern zu bringen, holte ihn ein Wagen der Gauleitung ab. Bei Kapelln in der Nähe St. Pöltens platzte ein Reifen, das Auto über- schlug sich, beide Insassen waren sofort tot. Für meinen zum Unfall- ort geeilten Vater war „sein bester Freund“, wie er schrieb, der erste To- te, den er gesehen hatte. Rückblickend war er sich sicher, dass Wilhelm Wolf nach den sich anbahnenden „Erkenntnissen und Enttäuschun- gen“ ohnehin „nicht mehr mit einem schönen Leben“ rechnen konn- te. Auch Fritz Molden betonte, dass dieser geschätzte Freund seines Vaters „in furchtbare Gewissensbisse geraten wäre“.57 Als Glaise-Horstenau zum letzten Mal mit Wilhelm Wolf zusam- mengetroffen war, sei dieser über seinen katholischen Mitstreiter Seyß-

57 Fritz Molden: Fepolinski & Waschlapski, a.a.O., S. 69 f...... 109 Inquart entsetzt gewesen, denn „er hat alles verraten, was für ihn ver- ratbar war“. Für alte Freunde sorgte er jedoch und schützte etwa Ernst Molden durch eine Anstellung in den Niederlanden. Wolf habe sicht- lich darunter gelitten, dass seine Bemühungen gescheitert waren, im Vatikan zwischen der Kirche und dem Nationalsozialismus Versöh- nungsversuche einzuleiten. Denn er habe dafür Chancen gesehen, weil Eugenio Pacelli (1876–1958) im März 1939 Papst Pius XII. wurde, der – nach jenem mit Mussolinis Italien – die Konkordate mit Deutschland und Österreich von 1933 verhandelt hatte. Dazu habe Wolf jedoch kryptisch bemerkt, „wer in dieser Sache erfolgreich wäre, wäre des Le- bens nicht mehr sicher“.58 Für den Ex-Minister, der „das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reiche mitunterzeichnete“, wurde ein Staatsbe- gräbnis in Salzburg angeordnet, obwohl man „diesen wertvollen Men- schen“ zuletzt nur noch „spazieren gehen“ ließ und ihn auf verdeckte Weise bekämpfte, so Glaise-Horstenau, der auch die Traueransprache hielt. Als der Sarg im Herbst in die endgültige Grabstätte auf dem Friedhof St. Peter überstellt wurde, musste er auf Wunsch der Witwe die verwesende Leiche identifizieren, da sie, wegen der Begleitumstän- de misstrauisch geworden, „Zweifel an der Identität“ des neu zu Be- stattenden hatte. Rasch tauchte das Gerücht auf, der Unfall sei vom Sicherheitsdienst durch Lockern eines Vorderrades herbeigeführt wor- den.59 Die von Wolfs Freund, dem Dichter Max Mell, verfasste Grab- inschrift musste nach 1945 entfernt werden, „weil ihr Text nicht mehr zeitgemäß war“, wie mein Vater notierte. Wilhelm Wolf stammte aus Bludenz und war Beamter des Unter- richtsministeriums und dann Kulturreferent im Außenamt. Seine Witwe Berta Wolf (1896–1952), die ich als Kind bei Besuchen in Salz- burg noch kennenlernte, war die Taufpatin meines 1946 geborenen Bruders Wolfgang und eine Freundin von Paula Molden- Preradović und Lili Verdroß. Im 1940 erschienenen Nachlassband mit den Auf- sätzen ihres Mannes „Hundert Jahre Österreich. Politik und Dich- tung“ konstatierte sie, dass „der unablässige Drang nach dem Wahren, Guten und Schönen, verbunden mit einer tiefen Gläubigkeit“, sein Leben bestimmt habe. Vergönnt war ihm auch, „als letzter österreichi-

58 Peter Broucek: Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau. Band 2, Wien 1983, S. 400 ff., 406 | Fritz Molden: Fepolinski & Waschlapski, a.a.O., S. 68, 137. 59 Peter Broucek: Glaise-Horstenau. Band 2, Wien 1983, S. 403 ff...... 110 scher Außenminister in großer geschichtlicher Stunde“ zur erträumten „Verwirklichung der deutschen Einheit“ beitragen zu können. Sein li- terarisches Verständnis als österreichischer Beamter, als Katholik und CV-Mitglied deklarierte er in diesem Band mit ostentativ österreichi- schen Bezügen durch ausführliche Kommentare zu Raimund, Nes- troy, Grillparzer, Stifter und Rosegger bis hin zu Hofmannsthal, Rilke oder Max Mell und ihrem Leiden an Österreich. Seine über ein damals übliches Unverständnis weit hinausgehen- de Verachtung der Moderne macht ein längeres – programmatisch for- muliertes – Zitat deutlich, als Beispiel noch Jahrzehnte als kultiviert geltender Denkweisen: „Wohin hat die ‚Moderne’ geführt? In Schnitz- ler, dem Volljuden, hat sie sich von Anfang an voll auszuleben ver- mocht. Die Namen des Gefolges: Altenberg, Auernheimer, Beer-Hof- mann, Bondy, Felix Braun, Brod, Kahane, Salten, Salus, Specht, Tre- bitsch, Wertheimer, Stefan Zweig und wie sie noch hießen, stellen un- ter Beweis, wie ein fremder Geist sich zu dieser formalen, im Kerne aber kranken, müden, ja faulen Kunst gezogen fühlte. Schnitzler hat diesen ‚Reigen’ angeführt, Schnitzler, in seinem Pansexualismus in nichts hinter Sigmund Freud, dem Sexualfanatiker, zurückstehend. Es war Abend geworden über Österreich, die sicheren Umrisse aller Din- ge verschwammen, die klaren Ordnungen zerfielen, die Luft war lau und schwül geworden. Damit aber war die Stunde gekommen, in der sich das Judentum der geistig-künstlerischen Entwicklung bemächti- gen konnte, wie es sich zwei Generationen vorher der Wirtschaft be- mächtigt hatte. Wie es sich damals zum eigentlichen, auf Grund der ‚Verdienste’ geadelten Herrn von Wien aufzuschwingen vermochte, so wurde es jetzt bestimmend über das, was schön und gescheit heißen durfte. Die Stunde der Auflösung war seine Stunde. Jetzt vermochte es sein Talent einzusetzen, eine Welt und eine Kultur zu zerreden, zu verlachen und zu beweinen. Auflösung der eindeutigen Dinge in die Relativität der Worte: in diesem Hang der Zeit traf sich das absterben- de Element Österreichs mit dem Judentum. So legte der Untergang der Monarchie jene kranken Stellen bloß, an denen sich das Judentum festsetzen konnte. In diesem Wien konnte sich Ahasver zu einer Stati- on auf seiner Wanderschaft durch die Welt niederlassen.“60

60 Wilhelm Wolf: Hundert Jahre Österreich. Politik und Dichtung, Salzburg 1940, S. 5 f., 99 f...... 111 Solche den „Anschluss“ prominent vorantreibenden, sich gegen- über den reichsdeutschen Parteigenossen vielfach als kultivierter und sensibler verstehenden österreichischen Nazis hatten aber bald in der Ostmark wenig zu reden, um Gruppenbildungen zu behindern. Selbst die Wiener Gauleiter Josef Bürckel und Baldur von Schirach kamen aus dem „Altreich“. Von Wolfs Kollegen in der letzten Bundesregierung Österreichs von 1938 wurden Seyß-Inquart als Reichskommissar für die Niederlan- de und Kaltenbrunner als Chef des Reichssicherheitshauptamtes, der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes als Kriegsverbrecher hingerichtet. Hugo Jury beging als Gauleiter von Niederdonau am Kriegsende in Zwettl Selbstmord. Edmund Glaise-Horstenau, dann Deutscher Bevollmächtigter General in Kroatien, nahm sich in der Haft das Leben. Der Kurzzeit-Gauleiter Kärntens Hubert Klausner starb 1939, möglicherweise vergiftet. 1945 kurz inhaftiert, aber bald ent- lassen wurden der damalige Justizminister Franz Hueber, ein Schwager Görings, sowie der Finanzminister Rudolf Neumayer und der Minis- ter für Land- und Forstwirtschaft Anton Reinthaller, dann erster FPÖ- Obmann. Der Unterrichtsminister Oswald Menghin und der Han- delsminister Hans Fischböck konnten sich in Argentinien der Verfol- gung entziehen.

BÜRGERMEISTER N EUBACHER. Als Margarete Schütte-Lihotz- ky, aus Istanbul zu konspirativer Arbeit kommend, „um zum Sturz Hitlers beizutragen“, zur Tarnung Hermann Neubacher (1893–1960) besuchte, von März 1938 bis Dezember 1940 der erste nationalsozialis- tische Bürgermeister Wiens, weil zu bestellende Grüße seines künfti- gen Schwiegersohns einen Anlass boten, kannte sie ihn schon aus ih- rer beruflichen Tätigkeit als Bauherrenvertreter bei der Wiener Werk- bundsiedlung. „Vom Fach her Wirtschaftsexperte“, heißt es dazu in ihren Erinnerungen, „gab er sich damals betont sozial eingestellt. Die sozialistische Gemeindeverwaltung hatte Vertrauen zu ihm und mach- te ihn zum Generaldirektor der ‚Gesiba’, der ‚Gemeinwirtschaftlichen Siedlungs- und Baustoffanstalt’.“ Inzwischen war er jedoch „der übels- te Nazikarrierist geworden, den man sich nur vorstellen konnte. Fana- tisch sprach er von der Eroberung der Balkanländer, erklärte, am liebs- ten würde er selbst nach Osten ziehen, bis tief nach Asien, das ihn be- sonders interessierte. Alle diese Länder müßten dem Dritten Reich

...... 112 Werkbundsiedlung in Wien- Hermann Neubacher: Hietzing; Foto: Solari  Sonderauftrag Südost –. Bericht eines fliegenden Diplomaten, Göttingen  einverleibt werden. Mir gegenüber saß ein faschistischer Welt ero be- rer.“61 Wie Wilhelm Wolf wurde auch Hermann Neubacher trotz kurz- zeitig prominenter Funktionen über Jahre kaum noch erwähnt, um das allgemeine Schweigen nicht zu durchbrechen. Da Neubacher ein alter Bekannter des Vaters war, erlebte ich ihn als Heranwachsender mit seiner Frau und ihrer Tochter Aglaja Chapeaurouge das eine oder andere Mal bei uns zu Hause, als Kontakte aus Jugendzeiten erneuert wurden. Dass er nach dem Krieg Berater für die Stadtverwaltung von Addis Abeba war, machte Eindruck. Danach wurde er Direktor der Wienerberger Ziegelwerke. Von einer finsteren Nazi-Gläubigkeit, wie sie offenbar vor allem unter sich nach Südamerika oder in arabische Länder Absetzenden üblich blieb, war ihm nichts anzumerken. Nicht einmal, dass er einmal Wiener Bürgermeister war, war mir damals be- kannt, weil davon nie gesprochen wurde. Neubachers Nazi-Karriere empörte auch Otto Neurath (1882– 1945) nachdrücklich, der rechtzeitig nach England entkommen war, wie in dessen Biographie von Günther Sandner dargelegt wird. Denn für seine in der Münchner Räterepublik und dann im Roten Wien vo- rangetriebenen planwirtschaftlichen und volksbildnerischen Projekte

61 Margarete Schütte-Lihotzky: Erinnerungen, a.a.O., S. 55, 57 f...... 113 und die wegweisenden Bildstatistiken sei er durchaus ein potenzieller Partner gewesen. Dabei wusste Neurath durchaus, dass Neubacher „entgegen einer offensichtlich weit verbreiteten Annahme trotz seiner wichtigen Funktionen im Wohnungsbauprogramm des Roten Wien niemals Sozialdemokrat, sondern ein katholischer Nationalist gewesen ist“. Neurath selbst – als Gründer des über globale Zustände aufklären- den Österreichischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums in Wien ein höchst einflussreicher Pionier – bezeichnete übrigens seine eigene spätere politische Haltung dezidiert als „liberal und plu ra lis tisch“.62 Auch dass Neubacher 1925 den einflussreichen Österreichisch- Deutschen Volksbund gründete, war bekannt. Weil die Sozialistische Jugend Österreichs „frei vom Anschlußfanatismus“ blieb, so Bruno Kreisky in seinen Erinnerungen lakonisch, habe sie sich stets distan- ziert, „wenn die Partei sich für den späteren Wiener Nazibürgermeis- ter Hermann Neubacher begeisterte“.63 Als Generaldirektor der Gesiba und Präsident des Werkbundes – mit den Vizepräsidenten Josef Frank (1885–1967), der als Sozialist 1933 nach Schweden emigrierte, und dem bürgerlichen Stararchitekten Jo- sef Hoffmann (1870–1956) – war Neubacher Bauherr der 1932 eröffne- ten Werkbundsiedlung, die prägenden Architekten der Moderne Ge- legenheit zu kostengünstigen Siedlungshäusern als Alternative zum von vielen abgelehnten „Einheitsstil“ der Gemeindebauten bot, etwa Josef Frank, Adolf Loos, Richard Neutra, Gerrit Rietveld, André Lur- çat, Josef Hoffmann, Ernst Plischke, Margarete Schütte-Lihotzky, Os- wald Haertel oder Clemens Holzmeister. „Als die Nazi nach Wien ka- men“, heißt es in Josef Franks Texten bitter, war „die Zeit der liebevoll und persönlich denkenden Menschen“ vorüber, „die Zeit der Mecha- nisierung und Gleichmachung begann“. Zwar waren „die modernen Architekten alles eher als Nazi“, der von ihm aufgezeigte „Zusammen- hang zwischen der standardisierten unorganischen Architektur und dem Aufflammen des deutschen Nazitums“ sei aber nicht verstanden worden, denn „deren Werke haben den gleichen Geist der Uniformie- rung gezeigt und damit geistige Propaganda gemacht“.64 Erst 2015/16

62 Günther Sandner: Otto Neurath. Eine politische Biographie, Wien 2014, S. 170, 176, 291. 63 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten, a.a.O., S. 182. 64 Tano Bojankin, Christopher Long, Iris Meder (Hg.): Josef Frank. Schriften in zwei Bänden, Wien 2012, Band 2, S. 240, 279, 308, 402...... 114 widmete das Wiener MAK Josef Franks Arbeit eine ihn analytisch würdigende große Ausstellung. Als Bürgermeister versuchte Neubacher seine Kontakte zur Sozi- aldemokratie propagandistisch durch Befriedungsangebote und Wie- dereinstellungen zu nutzen, war er doch Anfang der 1930er Jahre für sozialdemokratische Politiker Wiens sogar als Finanzminister einer Koalitionsregierung denkbar gewesen. Deshalb sei er, so Gerhard Botz, der in „Nationalsozialismus in Wien“ ausführlich auf ihn ein- geht, vermutlich von Hitler selbst „für die unter deutschen National- sozialisten als sehr schwierig eingeschätzte Aufgabe“ des Wiener Bür- germeisters ausgewählt worden, obwohl „ein Vertreter der ‚gemäßig- ten’, spezifisch österreichischen Richtung aus dem engsten Bekannten- kreis Seyß-Inquarts“, die „k. u. k. Nationalsozialisten“ genannt wur- den. Nach seiner Ablösung wegen ständiger Konflikte mit anderen Parteigrößen wurde er „für die gesamte Süd-Ost-Politik des Dritten Reiches eine Zentralperson“.65 Nur darauf geht Neubacher in seinem 1956 publizierten Buch ein, ohne jeden Kommentar zu seiner Zeit als Wiener Bürgermeister.66 Wie begierig sich die „nobelste Wiener Gesellschaft“ zu den glanz- vollen Inszenierungen im Belvedere und im Schlosshotel Kobenzl an- lässlich des Ersten Wiener Schiedsspruches über die neuen Grenzen der Südslowakei und der Karpatoukraine am 2. November 1938 dräng- te – eine Woche vor der „Reichspogromnacht“ –, hat Außenminister Ribbentrops persönlicher Referent Reinhard Spitzy (1912–2010) in sei- nen Erinnerungen überliefert. Deren Titel „So haben wir das Reich verspielt“ komprimiert treffend nachwirkende Stimmungslagen un- einsichtiger österreichischer Nazis, obwohl er sich schließlich selbst zu den Regimegegnern zählte. Um damals für Stimmung zu sorgen, sei- en „die hübschesten Mädchen der österreichischen Society“ als Tisch- damen eingeladen worden, um den „oft recht biederen Damen aus Staat, Partei und Militär“ etwas entgegenzusetzen. Bis hin zum Hoch- adel wurde insistierend versucht, Zutritt zu erhalten, „denn alles woll- te dabei sein, was in Wien Rang und Namen hatte“. Selbst Hitler war um diese Zeit noch durch Weltgewandtheit zu beeindrucken, etwa vom erwähnten französischen Botschafter François-Poncet. Er „zeigte

65 Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien, a.a.O., S. 82–84, 106. 66 Hermann Neubacher: Sonderauftrag Südost 1940–1945. Bericht eines fliegen- den Diplomaten, Göttingen 1956...... 115 gerne sein Faible für den geistreichen Franzosen“, allerdings nur, bis dessen kritische Berichte nach Paris dechiffriert wurden. Das habe ihn „tief enttäuscht“, von nun an war er „für ihn erledigt“. François-Pon- cets Erinnerungen aber wurden „ein Stück französischer Literatur“.67 Was Neubacher am 17. März 1938 – als in den Straßen antijüdi- scher Terror alltäglich war und erste „Arisierungs“-Verfügungen mit der Unterschrift meines Vaters ausgestellt wurden – vor Auslandsjournalis- ten verkündete, ist mir auch aus dem Familienumfeld als Standard- kommentar in Erinnerung geblieben. Denn trotz mancher Übergriffe gebe es „keine Zweifel“, so diese Version, „daß sich noch niemals in der Geschichte ein so radikaler, blitzartiger, hundertprozentiger Umsturz in so humanen Formen vollzogen“ habe. Überdies würden „diese Tage der Gärung“ bald vorüber sein und von „einer erstklassigen österreichi- schen und wirklichen Disziplin“ abgelöst werden. Dies zitierend billigt Gerhard Botz ihm durchaus Reste moralischer Irritation zu, denn „man kann Neubacher nicht die Aufrichtigkeit absprechen, als er sein Unbe- hagen über die schweren Exzesse gegen den jüdischen Bevölkerungsteil von Wien ausdrückte. Sein Antisemitismus scheint eher die unter deutschnational-liberalen Intellektuellen übliche, von Juden-Witzen gemäßigte politisch-taktische Form denn der rassistische Radauantise- mitismus eines Schönerer gewesen zu sein“. Die gläubige Disziplin-Per- spektive erwies sich jedoch in schrecklichster Weise als prophetisch. An frühere Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes der Sozialisten wandte Neubacher sich schon am 1. April 1938 mit den Worten: „Ihr wart Revolutionäre; wir sind es auch.“ Deutlich sprach er an, dass „die alte, ganz rote Arbeiterschaft“ nur mit Leistungen zu gewinnen sei, war sich aber sicher, „sie werden kommen“, denn der Nationalsozialismus „strebe die wirtschaftliche Besserstellung des gan- zen Volkes an. Das sei aber nur durch Krieg zu erreichen.“ Endlich ge- be es ihm zufolge Zukunftshoffnungen, denn „die nationalsozialisti- sche ‚Volksgemeinschaft’ habe einen echten Sozialismus zu bieten und dieser ‚deutsche Sozialismus’, der nur für ‚Arier’ Geltung hatte, sei mit Nationalismus und Militarismus vereinbar“. Ein andermal hieß es: „Ihr wart Sozialisten und ihr könnt Sozialisten bleiben.“68

67 Reinhard Spitzy: So haben wir das Reich verspielt. Bekenntnisse eines Illegalen, München 1987, S. 331, 333, 336, 337. 68 Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien, a.a.O., S. 126, 127,173, 174, 175, 176, 417...... 116 Hanns Dustmann: Neugestaltungsentwurf Wien  | Wien , Historisches Museum der Stadt Wien, Wien 

Mit „seinen phantasievollen Plänen“, so Glaise-Horstenau, wollte Neubacher Wien an die Donau rücken, fand aber vorerst angeblich bei Hitler keinen Beifall, da „eine solche Künstelei der Stadt ihre Seele neh- men würde“, sollten doch die jüdisch geprägten Bezirke Brigittenau und Leopoldstadt verschwinden und dort „eine neue Stadt entstehen, begrenzt durch zwei von der Aspern- und der Friedensbrücke [die im Krieg Brigittenauer Brücke heißen musste] ausgehende Prachtave- nuen“ hin zur heutigen Donaucity. Trotzdem wurden solche Pläne von Reichsarchitekt Hanns Dustmann und anderen noch detailreich ange- fertigt. Auch wurde mit dem Führer über den Einbau einer Halle ins Hotel Imperial und ein Hotel statt Hübners Kursalon im Stadtpark be- raten. Dieser gehörte wie das nach dem Krieg abgerissene Schlosshotel Kobenzl, das Terassen-Café Kobenzl, das Parkhotel Schönbrunn, die Splendide-Bar oder das Hotel Caesar Augustus in Capri auch noch ...... 117 nach dem Krieg zum Hotelkonzern der Familie des prominenten Nazi Johannes Hübner (1914–2003). Geläufig blieb unter NS-nahen Zeitge- nossen, dass Hitlers Lieblingsrestaurant in Wien der „Stadtkrug“ von Hans und Alda Walczok in der Weihburggasse war, wo auch mein Va- ter gern hinging. Über seinen Landsmann urteilte Glaise-Horstenau so, als ob ihm ein solches Gehaben fremd gewesen wäre: „ Neubacher ist ein hochbefähigter und im Grunde sicherlich durchaus anständiger Mann, der nur einen Fehler hat, eine über alles Normale hinausgehen- de Eitelkeit, die er noch dazu in keiner Weise zu verbergen vermag. Aussprüche wie der, daß er nach dem Führer der beste Redner Groß- deutschlands sei, sollen wiederholt aus seinem Munde kommen.“69 In seinen Erinnerungen kommentiert Neubacher nur seine Zeit als „Sonderbeauftragter Südost“, als er dem Deutschen Reich bis zu- letzt Öllieferungen aus Rumänien gesichert und die katastrophale Wirtschaftslage im hungernden Griechenland durch massive finanz- politische Eingriffe und Warenabkommen zum Besseren gewendet ha- be. Immer wieder erhobene und nun wieder akute griechische Rück- zahlungsforderungen für die damalige Zwangsanleihe gehen auf von Neubacher getroffene Vereinbarungen zurück, ohne dass solche Ein- zelheiten noch erwähnt würden. Auch dass sich aus dem Widerstand in Griechenland der griechische Bürgerkrieg entwickelte, als Beginn des Kalten Krieges, in dem die linksorientierten Gruppierungen un- terlagen, mit Zehntausenden in den Einflussbereich der Sowjetunion gelangten Flüchtlingen, ist kaum geläufig. Obwohl Neubacher als „fliegender Diplomat“ im Südosten Euro- pas auf höchster Ebene agierte erwähnt er Grausamkeiten und Kriegs- verbrechen nur, wenn er mildernd eingreifen konnte. „Judenmorde“ kommen bloß ganz allgemein im Zusammenhang mit Rumänien vor und als wegen seiner Anwesenheit angeblich die „Einstellung von Ju- denerschießungen“ in Galați/Galatz erreicht werden konnte. Nicht ein Wort findet sich zur Deportation der griechischen Juden, die kei- neswegs nur Saloniki völlig „judenfrei“ machte. Ein Massaker des SS- Panzergrenadier-Regiments 7 im bulgarischen Ort Klissura im Juni 1944 habe er umgehend weitergemeldet, um „die kriegsgerichtliche Verfolgung der Schuldigen“ zu erreichen. Von der Erschießung Tau-

69 Peter Broucek: Glaise-Horsenau, a.a.O., Band 2, S. 327, 351, 364 | Christian Re- der: Nischen im System des Sonstigen, in: Christoph Steinbrener (Hg.): Unter- nehmen Capricorn. Eine Expedition durch Museen. Wien 2001...... 118 sender sich ergebender italienischer Soldaten auf der griechischen Ad- riainsel Kephallonia – worauf noch zurückgekommen wird – hatte er als Griechenland-Verantwortlicher angeblich keine Kenntnis. Auch zum Massaker von Distomo am Fuße des Parnass-Gebirges und zu zahllosen anderen Terrormaßnahmen findet sich nichts in seinem Be- richt. „Es gibt aber Fälle, denen man machtlos gegenübersteht“, heißt es zu kompetenzlos Miterlebtem. Gegen den Führerbefehl „50 Er- schießungen für jeden Mord, wenn die Täter nicht ergriffen werden können“, was einmal für 850, einmal für 300 Geiseln den Tod bedeu- tet hätte, opponierte er, wo er konnte, wie er angibt, denn gerade „Ser- ben waren ein Freiwild für alle geworden“ und auch Hitler hatte „ei- nen antiserbischen Komplex“. Wegen der Gräuel in Kroatien unter Ante Pavelić, wo Glaise-Horstenau Hitlers Bevollmächtigter General war, habe er – „die Zahl der wehrlos Abgeschlachteten auf dreiviertel Millionen“ schätzend – sogar Hitler direkt angesprochen, nur kam als Antwort: „Ich werde mit diesem Regime schon einmal Schluß ma- chen – aber nicht jetzt!“ Pavelić starb schließlich 1959 friedlich in Ma- drid. Auch in Budapest war Neubacher damals häufig, als sich die De- portationen zu manischem Morden steigerten. Angesichts seines Schweigens über so vieles war es auch ihm offenbar noch 1956 nicht möglich, dezidierter Stellung zu beziehen. „Es ist erstaunlich, wie vie- le Männer nachträglich ihre geradezu an Widerstand grenzende Un- zuverlässigkeit entdeckt haben“, bemerkte er lakonisch dazu. Aber den „fanatischen und opferwilligen Kampf“ der Partisanen bewunderte er. Von den politischen Akteuren in seinem Personenverzeichnis sind 45 markiert, die eines gewaltsamen Todes starben.70 Der Historiker Mark Mazower bezeichnet ihn in „Der dunkle Kon ti nent“ als zeittypischen Technokraten, der auf europäische Wirt- schaftsperspektiven fixiert war, ohne je zu bedenken, dass sich auf die- sem Weg nie eine friedliche, tatsächlich dauerhaft konsolidierte Kons- tellation hätte realisieren lassen: „Ende 1940 sagte Hermann Neuba- cher – später Hitlers Statthalter auf dem Balkan – einem amerikani- schen Journalisten, dass Europa nach dem Krieg eine strahlende Zu- kunft erwarte. Die wirtschaftliche Neuordnung des Balkans durch Deutschland sei der erste Schritt in einem Plan, den europäischen Kon- tinent als einen einzigen ‚Großraum’ zu organisieren. Nicht einzelne

70 Hermann Neubacher: Sonderauftrag Südost, a.a.O., S. 31, 51, 55, 63, 75, 128, 136, 139, 142, 147, 161, 176...... 119 Länder bildeten die Zukunft, sondern diese Wirtschaftseinheit. Ein ge- meinsamer Plan, so Neubacher weiter, würde dann die Produktion im gesamten europäischen ‚Großraum’ regeln. Dem anvisierten kontinen- talen Block sollten weder die USA noch Großbritannien angehören; Goldstandard wie Wirtschaftsliberalismus der zwanziger Jahre wolle man durch Tauschhandel und Produktionsplanung in kontinentalem Maßstab ersetzen, und zwar in einer Erweiterung der deutschen Han- delspolitik der dreißiger Jahre. Kurz, Europa sollte autark sein.“71 Aus der US-Internierung an Jugoslawien ausgeliefert, wurde Neubacher dort zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt, kam aber wegen diver- ser Interventionen und seines Gesundheitszustandes 1952 frei. Von familiären Nachwirkungen handelt der weithin positiv aufge- nommene Dokumentarfilm „The End of the Neubacher Project“ von Marcus J. Carney, einem Enkel von Hermann Neubachers Bruder Eberhard, der im Krieg Direktor des Lainzer Tiergartens war.72 Ein Psychogramm noch lebender Verwandter versuchend, werden auch diese als nachhaltig Beschädigte und Geschädigte präsentiert, ohne auf damalige Handlungsmöglichkeiten und tatsächliche Opfer einzuge- hen. Zu einer Diskussion darüber an die Universität Wien geladen, wurde evident, dass ich nun zu den wenigen Zeitzeugen gehöre, die solche Akteure als Jugendliche noch gekannt hatten. Neubachers Er- innerungsbuch ist meinem Vater „In alter Kameradschaft“ gewidmet. In dessen Notizen wiederum ist festgehalten, dass Neubacher 1960 „ei- ne große Schar ‚Ehemaliger’ das letzte Geleit“ gab und ihr gemeinsa- mer, auch am Begräbnis Wilhelm Wolfs teilnehmender Freund Taras Borodajkewycz, auf den noch eingegangen wird, die Grabrede hielt.

ANTON BÖHM: FRAGWÜRDIGER WIDERSTAND. Neben Wil- helm Wolf war der langjährige Führer des Bundes Neuland, Anton Böhm (1904–1998), ein besonders respektierter Jugendfreund meines gleichaltrigen Vaters. Im Krieg im Berliner Außenamt tätig, war er der kenntnisreichste hochrangige Bürokrat des NS-Staates unter ihnen. Die vom Neuländer Otto Mauer (1907–1973) und von Karl Strobl (1908–1984), beides Geistliche, gegründete Monatszeitschrift für Reli- gion und Kultur Wort und Wahrheit (1946–1973) lag bei uns im Abon-

71 Mark Mazower: Der dunkle Kontinent, a.a.O., S. 223. 72 Marcus J. Carney: The End of the Neubacher Project, Dokumentarfilm, A/NL 2006...... 120 Wort und Wahrheit, Anton Böhm: Epoche des Wien, Nr. ,  Teufels, Stuttgart  nement auf, ohne dass deren Themen und die Beiträge von Otto Mau- er, Otto Schulmeister, Kardinal König oder eben Anton Böhm in der Familie als Gesprächsstoff noch eine Rolle spielten. Anfang der 1950er Jahre übersiedelte Böhm nach Köln, als stellver- tretender und bald alleiniger Chefredakteur des katholisch-konserva- tiven Rheinischen Merkur, der von 1946 bis 2010 erschien und mit dem – nach Böhms Zeit – die evangelische Wochenzeitung Christ und Welt fusioniert wurde. Es hieß immer, Kreise um den langjährigen Presse-Chefredakteur Otto Schulmeister hätten ihm, obwohl beide Neuländer waren, latent eine Karriere in Wien blockiert. Gespräche, als Herausgeber in Wien die katholische Wochenzeitung Furche, zu deren Redakteuren für Böhm untragbare Linkskatholiken wie Fried- rich Heer (1916–1983) gehörten, wieder auf einen konservativen Kurs zu bringen, blieben ergebnislos. Dem Kuratorium der 1964 von Kar- dinal König für den Dialog mit den Ostkirchen gegründeten Stiftung „Pro Oriente“ gehörte Böhm jedoch bis zu seinem Tod an. Hin und wider zu Besuchen auftauchend, wirkte er, der promi- nente Journalist, Buchautor und exponierteste Katholik im Familien- umfeld, auf mich wie eine graue Eminenz, die durch hohe moralische Ansprüche rundum eine gewisse Furcht verbreitete. Dass er zuerst zwar Nazi gewesen war, sich dann jedoch in Berlin dem hochrangigen Widerstand angeschlossen habe, bestärkte diese Aura.

...... 121 Im Buch „Neuland“ seines Freundes Franz M. Kapfhammer (1904– 1989) bezog Anton Böhm selbst zu seinem Lebensweg Stellung. Da gibt er an, erst nach dem „Anschluss“ der NSDAP beigetreten zu sein, was aber aus Gefälligkeit vordatiert wurde und ihn fälschlich zum „Il- legalen“ machte. 1938 wurde er in Wien für einige Monate Regierungs- kommissar der christlichsozialen Reichspost, deren Redaktion während des Justizpalastbrandes 1927 von Demonstranten aus Protest gegen ih- re feindseligen Berichte verwüstet worden war. Als „katholischer Brü- ckenbauer“ zu wirken, wie er betonte, fand aber bald keine politische Unterstützung mehr. In dieses Amt kam er durch seinen Freund, den Kurzzeit-Außenminister Wilhelm Wolf, als Nachfolger von Franz Riedl, einem weiteren dieser alten Freunde, davor Leiter der Neuland- Grenzlandarbeit, der ebenfalls öfter bei uns zu Besuch war und Redak- teur der Dolomiten und Südtirol-Aktivist wurde. Böhm selbst hatte bald „als Nahzeuge der Täuschungsmanöver, welche die österreichi- sche Kirche zum Schweigen und Wohlverhalten verführen sollten, nicht ohne Erfolg, wie man weiß, mehr als genug von der NSDAP“, so seine Erklärung des offenbar raschen Gesinnungswandels. Sein Na- tionalgefühl wäre jedoch stärker als alle Zweifel gewesen, denn er hielt es wie die große Mehrheit „für eine patriotische Pflicht, ‚das Reich’, selbst in seiner entstellten Gestalt, im Kriege zu unterstützen und ge- gen seine Feinde zu verteidigen“. Wegen der Informationen „über die Gräueltaten und Massenmorde durch die SS, aber auch - einheiten im Osten“, die er aus verlässlicher Quelle erstmals am 2. Jän- ner 1942 erhielt, sei er zum Regimegegner geworden. „Seither habe ich zwar nicht die totale Katastrophe herbeigewünscht, aber die Beseiti- gung der Machthaber für unabweisbar nötig gehalten.“ Also waren auch die Massenmorde der Wehrmacht intern weithin bekannt, blie- ben aber für Jahrzehnte tabuisiert, um die Fiktion einer in der Regel ‚sauberen’ Kriegsführung zu stützen. Obwohl er „keine Rolle bei der Organisation des Aufstandes vom 20. Juli gespielt“ habe, hätten ihn führende Widerstandskräfte ins Ver- trauen gezogen, so Peter Graf Yorck von Wartenburg und Helmuth James Graf von Moltke, die beide hingerichtet wurden, oder der späte- re Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, der bis Kriegsende inhaf- tiert blieb. Trotz dieser Mitwisserschaft sei er wegen krankheitsbeding- ter Abwesenheit von Berlin, wo er nach kurzem Wehrdienst als Luft- waffenfunker 1942 bis 1945 im Auswärtigen Amt tätig war, und einer von einem SD-Mann „absichtlich herbeigeführten Fahndungspanne“ ...... 122 der massiven Verfolgung aller Verdächtigen nach Stauffenbergs Atten- tat entgangen. 1945/46 im Lager Glasenbach interniert, wurde er dort „Kulturchef“. Bald als „minderbelastet“ eingestuft, nennt er Alfred Ma- leta, später langjähriger ÖVP-Klubobmann, sowie die Neuländer und ÖVP-Politiker Felix Hurdes, Josef Klaus und Hans Lechner als Zeugen seiner Haltung. Berufliche Chancen ergaben sich aber nur beim „dem christlich-abendländischen Geist“ verpflichteten Rheinischen Merkur, der in der Adenauer-Ära politisch durchaus einflussreich war.73 Wie verfilzt die Verhältnisse im auf seine Weise kaputten Deutsch- land blieben, als es zur westorientierten Wirtschaftsmacht aufstieg, spiegelt sich in einer Schlüsselfigur der Nürnberger Rassengesetze wie Hans Globke, den Konrad Adenauer (1876–1967) aus taktischen Grün den zum engen Vertrauten machte. Noch zu Böhms Zeiten ver- fügten Kreise um den Rheinischen Merkur über stattliche Mittel für ei- ne „Verschwörung gegen Brandt“, da solche Fronten gegen Linke ak- tivierbar blieben.74 Irritationen gab es laufend, so sei daran „kein Wort wahr“, dass etwa die prominente Zeit-Herausgeberin Marion Dönhoff (1909–2002), wie stets behauptet, „am Widerstand der Männer des 20. Juli“ beteiligt war, was Fritz J. Raddatz für symptomatisch hielt.75 Anton Böhms an Nachkriegszeiten angepasste Selbstdarstellung hat erst Brigitte Behal in ihrer 2009 erschienenen Dissertation über ihn und deutschnationale katholische Eliten Österreichs detailgenau nachrecherchiert, ausgehend von seiner Behauptung, er wäre nach an seinem ersten Arbeitstag im Berliner Außenamt, dem 2. Jänner 1942, erhaltenen Nachrichten über die Gräuel im Osten „in die aktive Wi- derstandsbewegung gegen das Regime“ eingetreten. Nicht die propa- gierten Ideen, sondern die erkennbar werdenden grauenhaften Taten hätten somit diesen drastischen Gesinnungswandel bewirkt. Denn in der Zeitschrift Neuland hatte er, wie Brigitte Behal erhoben hat, be- reits im April 1933 voll Bewunderung überaus deutlich Stellung bezo- gen: „Der Nationalsozialismus bringt in seinem Namen eine Idee zur kürzesten Formulierung, die größte Zukunftsmacht besitzt (und zu der sich der Schreiber dieser Zeilen uneingeschränkt bekennt): Die Vereinigung von Nationalismus und Sozialismus. Daß nationaler und

73 Erklärungen Anton Böhms in: Franz M. Kapfhammer: Neuland. Erlebnis einer Jugendbewegung, Graz 1987, S. 182 ff. 74 Stefanie Waske: Die Verschwörung gegen Brandt, Zeit-Magazin, Hamburg, Nr. 49, 2012. 75 Fritz J. Raddatz: Tagebücher 2002–2012, Reinbek bei Hamburg 2015, S. 19...... 123 sozialer Wille zusammengehören: diese einfache Erkenntnis massen- weit gemacht zu haben, ist das größte Verdienst des Nationalsozialis- mus.“ Auch der damalige Terror erschien ihm – wie in diesem Umfeld oft zu hören – akzeptabel: „Die Blutopfer der deutschen Revolution 1933 sind überdies unverhältnismäßig geringer als die jeder anderen Revolution, die sich an Bedeutung mit ihr vergleichen läßt.“ In der nächsten Ausgabe dieses die Gewissenserforschung so ernst nehmen- den katholischen Blattes wurde auch sein Antisemitismus in krasser Weise deutlich: „Der mit großem Elan begonnene Kampf gegen das Judentum muß wohl als eine bittere Notwendigkeit angesehen wer- den, […] die praktische Lösung der Judenfrage mußte in Deutschland einmal begonnen werden. Es kann gar kein Zweifel sein, daß der star- ke Einfluß des Judentums in Deutschland unheilvoll gewirkt hat. Die judengegnerischen Maßnahmen in Deutschland sind also aus einem nationalen Notwehrrecht zu rechtfertigen.“76 Unbegreiflich bleibt, dass solche Aussagen eines damals in Österreich sehr einflussreichen katho- lischen Vordenkers weder 1933 noch nach 1945 irritierten. Entgegen späterer Beteuerungen war er schon am 18. Juni 1933, unmittelbar vor dem Parteiverbot und vor seinem großen Auftritt als Redner beim Katholikentag, der noch speziell kommentiert wird, der NSDAP beigetreten und dann offenbar als deren Informant tätig, konnte das aber wegen eines neuen, seine Karriere absichernden Auf- nahmeantrags in Berlin verschleiern, in dem er zum Bund Neuland ausdrücklich anmerkte, dass er diesen in verdienstvoller Weise „zur weit überwiegenden Mehrheit dem Nationalsozialismus zugeführt“ habe.77 „Sozialistisch“ wurde in diesen Kreisen zunehmend als Synonym für „sozial“ verstanden, als „eine für das Volk sorgende Komponente“, und „diese Kombination machte den Nationalsozialismus“ – so Brigitte Behal – etwa „für Anton Böhm annehmbar“, obwohl er diesen damals „per se als politisch ‚links’“ betrachtet und keinerlei Sympa thien für tra- ditionelle, tendenziell religionsferne Sozialisten hatte. Bezeichnend ist, dass Böhm stets angab, im Auswärtigen Amt in Berlin nur ein unterge- ordneter „wissenschaftlicher Hilfsarbeiter“ gewesen zu sein.78

76 Brigitte Behal: Kontinuitäten und Diskontinuitäten deutschnationaler katholi- scher Eliten im Zeitraum 1930–1965. Ihr Weg und Wandel in diesen Jahren am Beispiel Dr. Anton Böhms, Dr. Theodor Veiters und ihrer katholischen und po- litischen Netzwerke, Dissertation Universität Wien 2009, S. 98, 177, 320. 77 Brigitte Behal: Kontinuitäten, a.a.O., S. 190, 193. 78 Brigitte Behal: Kontinuitäten, a.a.O., S. 90, 254...... 124 Hamburger Institut für Sozialfor- Michael Wildt: Generation der schung (Hg.): Verbrechen der Unbedingten. Das Führungs- Wehrmacht. Dimensionen des korps des Reichssicherheits- Vernichtungskrieges –, hauptamtes, Hamburg  Hamburg 

Dabei hatte er wichtige Funktionen als Experte für Südosteuropa in der Kulturpolitischen Abteilung inne, die vom SS-Brigadeführer Franz Alfred Six (1909–1975) geleitet wurde, der zum engsten Stab Himmlers gehörte und als Apologet des Holocaust berüchtigt war. Er wurde nach kurzer Haft amnestiert, weil nicht nachgewiesen werden konnte, „ob er aktiv an den Morden teilnahm“, obwohl er als Zäsur seiner bürokratischen Aufgaben das Vorkommando Moskau der be- rüchtigten Einsatzgruppe B befehligt hatte. Böhm wohnte sogar in der Villa von Six in Berlin-Dahlem. Über diese für das Geschehen maß- gebliche „Generation der Unbedingten“ im Reichssicherheitshaupt- amt liegt inzwischen die minutiöse Studie von Michael Wildt zu deren internen, mit verschiedenen Behörden und Funktionen verflochtenen Beziehungen vor. So nahm der Leiter der Abteilung Deutschland, Un- terstaatssekretär Martin Luther (1895–1945), die der Kulturpolitischen Abteilung Böhms gleichrangig war, als Verantwortlicher „für die Ju- denpolitik“ des Auswärtigen Amtes an der Wannseekonferenz vom 20. Jänner 1942 über die Durchführung der längst angelaufenen „Endlö- sung der Judenfrage“ teil. Er hatte auch enge Kontakte mit Adolf Eich- mann (1906–1962), zu dem wiederum ein weiterer Wiener Freund, Wilhelm Höttl (1915–1999), gute Beziehungen pflegte, der als SD-Be- auftragter in Budapest und auf dem Balkan viel mit Böhm zu tun hat- ...... 125 te.79 Der immer wieder als Zeuge auftretende, aber unbehelligt geblie- bene Geheimdienstmann Höttl leitete später sein Privatgymnasium in Bad Aussee, ausgerechnet in jener Gegend, die zur letzten Komman- dozentrale der SS geworden war und wo Ernst Kaltenbrunner aufge- spürt wurde. Während seiner ihn nach dem 20. Juli 1944 vor Verfolgung schüt- zenden, angeblich wochenlangen Krankheit war Böhm nachweislich häufig auf Reisen. „Dass er über die Vorgänge im Auswärtigen Amt und vor allem in der Kulturpolitischen Abteilung nichts Wesentliches gewusst habe“, so Brigitte Behals Recherchen, „könne aufgrund des Aktenmaterials somit nur als reine Schutzbehauptung angesehen wer- den. Böhm bewegte sich bei seiner dienstlichen Tätigkeit fast aus- schließlich in der Gesellschaft hochrangiger, einflussreicher Partei- funktionäre und mächtiger SD-Mitarbeiter. Wenn Böhm, der durch- wegs selbst als hoher Beamter angesprochen wurde, leugnete, über die Vorgänge, die er teilweise selbst mitbeschlossen hatte, informiert ge- wesen zu sein, kann dies nicht der Wahrheit entsprechen.“ 80 Überdies habe sich „keinerlei Hinweis auf die Zugehörigkeit An- ton Böhms zum Kreisauer Kreis gefunden“, auf die er sich als Beleg seiner Widerstandshaltung berief, auch nicht für die Freundschaft mit dem hingerichteten Hans Bernd von Haeften, den er allerdings über Wilhelm Wolf gekannt haben dürfte. Entlastende Nachkriegsstellung- nahmen deuten zwar solche Kontakte an, seien aber durch „offensicht- liche Unwahrheiten“ sichtlich Gefälligkeiten von Sympathisanten, weil er „an der deutschen nationalen Idee“ festhielt, wurden doch selbst „die entferntesten Kontaktleute der Attentäter“ verhaftet. Die Böhm angeblich rettende, von einem SD-Mann „absichtlich herbeige- führte Fahndungspanne“ bekräftige sogar, dass er selbst „,V-Mann des SD“ war, wie der SS- und SD-Kenner Höttl mehrfach aussagte. Dass Böhm im Lager Glasenbach „Kulturchef“ war, lasse sich nicht nach- weisen und dürfte eine „Selbstaufwertung“ sein, so Behal.81 Belege für ein Unrechtsbewusstsein und einen demokratie-orien- tierten Gesinnungswandel blieben spärlich. In einem Brief Böhms aus dem Jahr 1947 heißt es dazu: „Ich war ein Romantiker des Reiches“

79 Michael Wildt: Generation der Unbedingten. Das Führungskorps des Reichs- sicherheitshauptamtes, Hamburg 2003. S. 647, 761 | Brigitte Behal: Kontinui- täten, a.a.O., S. 258. 80 Brigitte Behal: Kontinuitäten, a.a.O., S. 276. 81 Brigitte Behal: Kontinuitäten, a.a.O., S. 277, 284, 285, 286, 315, 316...... 126 und hatte die Hoffnung, „der Nationalsozialismus werde sich zivilisie- ren“. Derartiges war selbst einem verständnisvollen Freund wie dem Neuland-Priester Otto Mauer zu wenig, blieb doch die Person Böhm für ihn ohne weitere Erklärungen „ein angreifbarer Punkt“, obwohl Mauer in Wort und Wahrheit vom Jänner 1947 entschieden für nicht zu Tätern gewordene Nationalsozialisten eintrat, denn „Gesinnung soll nicht bestraft werden, solange sie das Böse, das sie als Irrtum ent- hält, nicht in die Tat umsetzt“, und die Kirche müsse „gegen jede Ak- tion Protest erheben, die Tausende ihrer lebendigen Glieder in Elend, Bitterkeit und Deklassierung treiben kann“.82 Die Sorge, „noch einer Konfrontation mit Beweisbarem ausge- setzt zu werden“, so Brigitte Behal, blieb zwar spürbar, es gelang je- doch wie Böhm vielen ohne weiteres, „die mühsam aufgebaute Rolle als untadelige Katholiken und frühe Feinde des Nationalsozialismus“ zu behaupten, gerade weil „in unkritischem Kirchengehorsam auch al- le katholischen Feindbilder, wie Judentum, jede ‚linke’ Ideologie, vom Liberalismus – weil antikatholisch – über Sozialismus bis zum Bol- schewismus“, zum Deckmantel wurden, und das ersparte, sich „mit einer ‚Mitwisserschaft’ über die verbrecherischen Machenschaften des Regimes auseinanderzusetzen“, wenn einem nichts Konkretes vorzu- werfen war.83 Das Schweigen darüber blieb das Bezeichnende. Nun in Anton Böhms mir früher unbekanntem ersten Nachkriegs- buch „Epoche des Teufels. Ein Versuch“ von 1955 Näheres über seine unter den damaligen Jugendfreunden lange sehr präsenten Denkwei- sen erwartend, findet sich jedoch kein Wort zu seiner früheren Nazi- Gläubigkeit. Es handelt tatsächlich vom Satan, dessen Existenz „für den gläubigen Juden und Christen“ – als nunmehr hervorgehobene Gemeinsamkeit – „durch die Bücher der Offenbarung unbezweifelbar bezeugt“ sei. Denn seit dieser zur Ursünde verführte, versuche er per- manent, „die Menschheit von Gott zu trennen“, um sie „durch die Vernunft zu verderben“, sofern diese jeden metaphysischen Halt ver- loren habe. Vor allem seit der Aufklärung, „die den Teufel nicht wahr- haben wollte“, werde hochmütig, aber völlig unbegründbar angenom- men, „das Irrationale und das Geheimnisvolle ist nur das vorläufig noch nicht Gewußte“. Dabei könne „jede wahre menschliche Ord- nung“ ausschließlich „aus dem Spanungsverhältnis Gott-Mensch“ ge-

82 Brigitte Behal: Kontinuitäten, a.a.O., S. 320, 321, 326. 83 Brigitte Behal: Kontinuitäten, a.a.O., S. 370, 379, 380...... 127 bildet werden, so Böhms kategorischer Fundamentalismus. „Denn Ordnung bedeutet Sinn, und weist auf den Sinngeber.“ Ohne solchen Zusammenhang drohe überall das Chaos: „Die Statistik tritt an die Stelle der Moral: was die meisten tun und lassen, ist das Richtige.“84 Weil er „die Vision einer Erde, die zur einen Hälfte aus einer in- dustriellen Mondlandschaft und Riesenstädten, zur anderen aus einer Agrarsteppe von schwindender Fruchtbarkeit“ bestehen werde, für die Konsequenz der alles und jedes erfassenden Ökonomisierung hielt, mit katastrophalem Wassermangel und vergifteten Flüssen, benennt er zwar früh die Bedeutung von Ökologie, begnügt sich aber damit, mentale Gegenkräfte zu beschwören. Im Rahmen seiner Zivilisations- kritik bezeichnet er Roboter als „Maschinenengel“, war doch auch Sa- tan ursprünglich ein Engel. Der Wohlfahrtsstaat sei wie die immer krasser spürbare „Indiskretionsmanie“ der Medien eine „Nivellierungs- macht“, die „zur Angleichung“ führe, „denn das Personsein braucht einen umhegten Eigenbereich, in den niemand eindringen darf“, als sich abschirmende Individualität. Indem „die Aufgabe der politischen Aktivität des Christen“ im permanenten „Krieg gegen den Fürsten der Finsternis“, „gegen die Macht des Satans“ gesehen wird, propagiert er ein obskures Gesellschaftsmodell, das von dunklen Kammern der Kir- chenhierarchie aus offenbar immer wieder Akzeptanz findet, ohne dass einer liberalen Öffentlichkeit Klarstellungen dazu zugemutet wer- den.85 In seitenlangem Eingehen auf Kommunismus, Sozialismus und den American way of life finden sich zur einst so deutlich unterstützten NS-Ideologie nur sehr knappe Bemerkungen: „Die Untaten des Nati- onalsozialismus sind die Konsequenz seiner Irrationalität, die notwen- digerweise zugleich Amoralität ist (denn Sittlichkeit ist vernünftige Ordnung)“, wofür der Gottesbezug unverzichtbar sei. Schamanenver- gleiche dürfen nicht fehlen, waren doch manische Beschwörungen miterlebbar, wenn „ Hitler oder Goebbels sich während ihrer Reden in immer größere, schäumende Erregung hineinsteigerten“. Moralisch entscheidend sei, als eigenes Mitwirken völlig verdrängende Einsicht: „Wir dürfen mit dem Bösen unter keinen Umständen zusammenarbei- ten oder es schuldhaft dulden.“86 Wie häufig sich Hitler auf „den Herr-

84 Anton Böhm: Epoche des Teufels. Ein Versuch, Stuttgart 1955, S. 14, 16, 35, 43, 60, 87, 93, 147. 85 Anton Böhm: Epoche des Teufels, a.a.O., S. 66, 67, 83, 86, 137, 160, 169. 86 Anton Böhm: Epoche des Teufels, a.a.O., S. 45, 161...... 128 gott“ berief und Goebbels den Endkampf als „einen Gottesdienst“ pro- pagierte, wird nicht kommentiert. Ein „Europäischer Bund“ käme ihm zufolge „der Idee des christ- lichen Universalismus“ näher als die Machtbalance von Nationalstaa- ten, ohne dass auf andere Religionen oder gar Ungläubige eingegangen wird. Was weithin als persönliche Freiheit verstanden werde, hatte für ihn sichtlich keinerlei Eigenwert. Denn „die Bilanz der Epoche des au- tonomen Menschen“ – der „vermeintlichen Befreiung des Menschen vom Gesetz Gottes“, dieser „Mutter aller Utopien“ – lasse sich „mit ei- nem einzigen, einem furchtbaren Satz ziehen: Sie hat in allem wirklich Wesentlichen das Gegenteil ihrer Ziele erreicht“. Denn „trotz steigen- dem Lebensstandard bleibt alles unzufrieden; das Sicherheitsbedürfnis scheint unstillbar, worin sich das verborgene Wissen um eine Bedro- hung anzeigt“.87 Die tiefe Krise habe längst auch die ihm völlig unzugängliche bil- dende Kunst der Moderne erfasst, hält er doch Bilder von George Grosz, selbst Karikaturen von Saul Steinberg für bloße Gemeinheiten. Das steigere sich noch in der „Menschenhaßliteratur“, zu der er Joyce, Céline, Sartre, Hemingway, Norman Mailer oder Henry Miller zählt, vergleichbar dem erwähnten Unverständnis von Wilhelm Wolf. Denn „die moderne Kunst liebt den Menschen nicht“. Rundum verwirkliche sich „der Ausbruch eines grenzenlosen Menschenhasses“, eben weil sich Satan, der „gerade die Gottebenbildlichkeit und damit die Möglichkeit der Verklärung des Menschen mit Christus hassen muß“, ständig Ein- fluss selbst auf das Unbewusste verschaffe.88 Zur katholischen Sozial- lehre, die auf Personalität (unantastbare Würde jedes Menschen), Soli- darität (mitmenschlichen Zusammenhalt) und Subsidiarität (Verant- wortlichkeit und Selbsthilfe der kleineren gesellschaftlichen Einheiten, beginnend bei der Familie) setzt, werden gerade bei diesem prominen- ten Katholiken nur höchst befremdliche Bezüge erkennbar.89 Wie sehr Hassgefühle und Reichsvisionen in katholischen Kont- roversen Erklärungsmuster lieferten, findet sich auch bei Otto Schul- meister in dessen Buch von 1967 „Die Zukunft Österreichs“, wo kon- trär zu seinem katholischen Kontrahenten Böhm immerhin die zent- rale Bedeutung der Shoah (hebräisch: Katastrophe) für jegliches Den-

87 Anton Böhm: Epoche des Teufels, a.a.O., S. 36, 38, 62, 96, 163. 88 Anton Böhm: Epoche des Teufels, a.a.O., S. 25, 30, 31, 32, 71. 89 Wikipedia: Christliche Soziallehre...... 129 ken über Humanität anerkannt wird. „Die Kollektivverdrängung der Österreicher von heute gilt dem Schicksal der jüdischen Mitbürger, anders gesagt, dem Zusammenhang zwischen und Öster- reichs Zerfall oder, noch einmal anders gesagt: dem Selbsthaß eines untergehenden Reiches in diesem Antisemitismus.“ Rundum herrsche Gewissenlosigkeit, denn „daß es Politiker und Kirchenführer für not- wendig befunden hätten, immer wieder zur Gewissensforschung ein- zuladen oder sogar zu fordern, den Anteil von Österreichern an den Judenmassakern einmal gründlich und mit allen amtlichen Mitteln zu untersuchen, davon hat noch nie jemand etwas gehört. Es gibt in die- sem Land eine Verschwörung des Schweigens, die die Opportunität zum Ratgeber hat, sich aber der Sittlichkeit in der Stimme des Gewis- sens verschließt“.90 Völlig unbegreiflich werden Anton Böhms sich tief katholisch ge- bende religionsphilosophische Kommentare, wenn ihm trotz berufli- cher Nähe zum Geschehen und sogar zu einigen Haupttätern „der sa- tanische Charakter der Orgie des Todes, die sich der Mensch in unse- ren Tagen bereitet hat“, das Entscheidende bleibt, so als ob das reichen würde, um über Ursachen zu reflektieren. In einer langen Aufzählung dazu reiht er – um Auschwitz und der Shoah jede Singularität abzu- sprechen – unterschiedslos die Toten der Weltkriege, des Luftkriegs, die „Millionen Opfer der Konzentrations- und Vernichtungslager des Totalitarismus, der Juden-, Polen-, Kulaken-, Trotzkisten-, Bucharinis- ten- und sonstigen Liquidierungen“ und weitere Gräuel aneinander, um „all diese Zahlen gewiß weit übertrumpfend“, letztlich „die unge- zählten Millionen Opfer des geheimen Mordes an den Ungeborenen“ zur „allerhäufigsten Todesursache des Jahrhunderts“ zu erklären.“91 Nach vielen Jahren ohne Kontakt brachte ich beim letzten gemein- samen Abendessen mit dem Ehepaar Böhm und meinen Eltern Ende der 1980er Jahre, inzwischen als Universitätsprofessor zum akzeptablen Gesprächspartner avanciert, das Thema Nazi-Zeit auf und fragte An- ton Böhm nach seiner offenbar ziemlich exponierten, aber geheimnis- voll bleibenden Widerstandstätigkeit, wo doch alle Freunde darauf pochten, sich nach einer Phase der Begeisterung vom Regime abge- wandt zu haben, sich aber dennoch keiner dezidiert zum Widerstand entschloss. Böhms Antwort: Für seine Erfahrungen habe sich eben nie

90 Otto Schulmeister: Die Zukunft Österreichs, Wien 1967, S. 85. 91 Anton Böhm: Epoche des Teufels, a.a.O., S. 20, 21...... 130 wer wirklich interessiert; er sei immer als dieser oder jener abgestem- pelt worden, wie es gerade passte. Jemand wie ich müsste ihn dazu be- fragen, mit dem kritischen Blick meiner Generation, dafür stünde er durchaus zur Verfügung. Nur würde das eben Zeit brauchen, um gründlich zu sein. Aber gleich darauf verstummte das Gespräch, als ich erklärte, es ginge mir dezidiert um Moral ohne Religion, eben um eine selbstbestimmte Auffassung davon. Das machte sie sprachlos, jede Ver- ständigungsmöglichkeit löste sich auf. Vor allem Hilde Böhm erschien solches Denken geradezu satanisch. Katholisches war dominanter als alles andere. Mitwisserschaft wurde nicht als Mitschuld empfunden, war doch niemand von ihnen unmittelbar an Verbrechen beteiligt. Zum Begräbnis meines Vaters wollten beide unbedingt kommen, aber unsere Mutter bestand auf dem engsten Familienkreis. Keiner dieser ihr stets fremd gebliebenen Freunde aus alten Zeiten sollte teilnehmen. Auch mit Böhms Sohn, dem Presse-Kulturjournalisten und Pres- sereferenten der Staatsoper Gotthard Böhm (1936–2012), gab es später nur sporadisch Kontakte, obwohl er unsere Mutter ihrer latenten Ele- ganz wegen verehrte. Als seine Homosexualität bekannt wurde, wurde ihm Hausverbot erteilt, damit er uns zwei Brüdern nicht zu nahe kam. „So kannst du keine Kinder bekommen“, hörte ich als Wortfetzen hef- tiger Debatten mit meinem Vater durch die Tür. Offenbar hatte also Moral, so meine damals unverstandene Irritation, etwas mit Fortpflan- zung zu tun, von der ich noch wenig wusste. Auch Gotthard Böhm gab der Dissertantin Brigitte Behal 2008 schließlich zu verstehen, „kei- nerlei genaues Wissen um die Vergangenheit des Vaters“ zu haben.92 Dass es unseren Vätern, beide Prototypen der ‚autoritären Charak- tere’ jener Zeit, was ihrer Selbstgerechtigkeit wegen kaum kritische Auseinandersetzungen zuließ, sichtlich nicht gelang, ihre Nachkom- men zu ihresgleichen zu machen, und ein Entkommen aus solchen Mi- lieus zum Ansporn wurde, deutet immerhin an, was Ablehnung an Energien freisetzen kann. Von den mir noch bekannten Nachkommen dieser Jugendfreunde wurde niemand zum Neo-Nazi oder FPÖ-Fana- tiker. Umso mehr irritiert, wie stabil sich solche Milieus weithin gehal- ten haben und Denkmuster trotz aller Transformationen weiterwirken, was Sprache und Redeweisen besonders deutlich machen. Denn im Small-Talk diversester Kreise wird ein überlieferter Untersatz weiterhin allzu oft bemerkbar. Wer das einmal mitbekam, müsste besonders hell-

92 Brigitte Behal: Kontinuitäten, a.a.O., S. 18...... 131 hörig sein – auch dafür, wie begrenzt die Lernfähigkeit blieb, weil sie vom Bildungssystem nach wie vor viel zu wenig aktiviert wird, und wie die Boulevardmedien trotz aller SPÖ- und Regierungsförderung solche Ressentiments bedienen. Da es befreiender ist, sich fernzuhalten, wer- den davon Infiltrierte stets viel zu wenig zur Rede gestellt.

DUBIOSE FLUCHTHILFE. Aus der Zeit, bevor wir 1944 zur Fa- milie wurden, sind mir nur drei persönliche Tragödien meines Vaters bekannt: der frühe Tod seiner Mutter, als er elf Jahre alt war, der Un- falltod seines besten Freundes Wilhelm Wolf 1939 und, viel geheimnis- voller, dass jene Frau, die er vermutlich heiraten wollte, 1941 plötzlich starb. Ihr Name Ilsa tauchte unter den alten Freunden gelegentlich auf und dass sie etwas mit dem Riesenrad zu tun hatte. Zwei Jahre danach kam es zur Ehe mit unserer Mutter mit mir als erstem Kind. Auf ei- nem später verschwundenen Foto, das ich in einer versteckten Kasset- te fand, war diese Ilsa als schöne dreißigjährige Frau auf dem Totenbett zu sehen, was mich schaurig beeindruckte. Weil sich dazu auch in Vaters Prozessakten von 1947 Hinweise fin- den, die zu seiner Entlastung angeführt wurden, weiß ich inzwischen, dass sie Clara Ilsa Linnenkamp hieß, eine Deutsche, seit 1929 mit Al- fred Hugo Winter (1881–194?) verheiratet, dem damals der Kaisergar- ten am Eingang des Volkspraters, durch den ersten Themenpark „Ve- nedig in Wien“ berühmt geworden, mit dem Riesenrad und diversen Vergnügungsstätten gehörte. Das oft von Demolierung bedrohte, 1897 eröffnete Riesenrad auf diesem Grundstück – wie viele andere und auch der Eiffelturm temporär gedacht – gelangte als eigene Gesell- schaft in den Besitz des Prager Kaufmanns Eduard Steiner. Alfred Winters Praterimperium umfasste 1938 daher „die Hochschaubahn, die Wasserbahn, ein Autodrom, zwei Schießstätten, ein kleines Ringel- spiel, ein Hypodrom, das Tanagratheater, eine Tabak-Trafik und drei Lebensmittelbetriebe“, so Cécile Cordon in ihrem Riesenrad-Buch.93 Längst zum katholischen Glauben übergetreten, „um im antise- mitischen Wien eines Bürgermeister Lueger in seinen Karrierebestre- bungen nicht behindert zu werden“, wurde Winter wegen seiner zwei- ten Frau Ilsa Protestant. Bereits am 20. März 1938 kam er für drei Mo-

93 Cécile Cordon: „Das Riesenrad hat alle entzückt“. Die wechselvolle Geschichte des Wiener Wahrzeichens, Wien 1997, S. 83. 109, 111 | Tina Walzer, Stephan Templ: Unser Wien, a.a.O., S. 92 f...... 132 Cécile Cordon: „Das Riesenrad hat alle entzückt“. Die wechselvolle Geschichte des Wiener Wahrzeichens, Wien  nate „in Schutzhaft“, ein kommissarischer Verwalter wurde eingesetzt und das Vermögen beschlagnahmt. Von seiner als „arisch“ geltenden Frau ließ er sich „noch in seiner Haftzeit scheiden“, um sie nicht zu belasten, und überschrieb ihr „als Abfindung seinen gesamten Besitz“, „in erster Linie die Hochschaubahn mit der Wasserfahrt und seine ¾ Anteile am Kaisergarten“. Das ermöglichte ihr, für ihn 120.000 RM an Reichsfluchtsteuer und ausständige Steuern zu bezahlen, obwohl er im Sommer nach Zagreb geflohen war, um der neuerlichen Verhaf- tung wegen angeblicher Unterschlagungen zu entgehen. Nach Aussa- gen seiner Enkelinnen aus der ersten Ehe mit der Schauspielerin Ga- briele Hofer „aus dem Hause Lambert Hofer, dem bekannten Wiener Kostümverleih“, die dann einen Heimwehrführer heiratete, „ist ihm die Flucht nach Italien geglückt, und er soll auch dort verstorben sein. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Winter den Krieg nicht über- lebt hat, da nach dem Krieg kein Lebenszeichen mehr von ihm in den Akten aufscheint“ (Cécile Cordon).94 In den Prozessakten des Vaters heißt es abweichend dazu, dass sich nicht ihr Mann, sondern Ilsa Linnenkamp „sofort im März 1938 schei- den ließ“, wodurch die Betriebe durch „Arisierung“ auf sie übertragen werden konnten, welche dann ihre in Köln lebende Mutter Anna Lin- nenkamp erbte. Winters rechte Hand Etelka von Korwin, die auch Cé- cile Cordon erwähnt, gab dazu an, dass sie wegen ihrer „Abstammung

94 Cécile Cordon: „Das Riesenrad …“, a.a.O., S. 64 ff., 109, 115 ff...... 133 aus uralter adeliger Familie von Haus aus gegen den Nationalsozialis- mus eingestellt“ war, was sich durch polizeiliche Verfolgung und Haft noch steigerte, weshalb es ihr „nie einfallen würde, für einen National- sozialisten ein Gefälligkeitszeugnis auszustellen“. Sie bestätigte aber, dass sich mein Vater damals sehr korrekt verhalten habe, allerdings oh- ne seine Rolle in diesem Dreiecksverhältnis auch nur anzudeuten. Da Alfred Winter „ohne jede Mittel nach Jugoslawien fliehen“ musste, un- terstützte sie ihn durch Paketsendungen. Obwohl sie „gegen den Par- teigenossen Dr. Reder besonders voreingenommen war“, gab es Ge- spräche, und er bot an, „Schmuck für Herrn Winter nach Agram/Zag- reb mitzunehmen. Er besuchte den Genannten dort, informierte ihn über den Stand der Betriebe, lieferte die ihm mitgegebenen Sachen prompt und ordnungsgemäß ab“ – vor allem einen wertvollen Brillant- ring, so die Notizen meines Vaters – „und brachte mir ein Schreiben von Herrn Winter mit. Dr. Reder richtete den armen verbannten und entrechteten Menschen auch seelisch auf, sodaß ich mich ihm sehr zu Dank verpflichtet fühlte, besonders deswegen, da es für Dr. Reder nicht ungefährlich war, selbst im Ausland einen nach den Nürnberger Geset- zen als Juden geltenden Menschen zu besuchen und Hilfe zu bringen.“ Wegen der Beziehungen der Hochschaubahn zur Holzhandlung Fürth könne auch bestätigt werden, dass deren „Arisierung“ durch die Firma Reder – zur Zeit von Alfred Winters Haft – „sehr korrekt verlaufen“ sei. Das „arisierte“ Riesenrad, seit 1940 unter Denkmalschutz, ging schließlich „an vier Parteigenossen“, von denen drei den Krieg nicht überlebten. Vergeblich um die Hochschaubahn beworben hatte sich die Witwe des 1934 hingerichteten Dollfuß-Mörders Otto Planetta. 95 Insgesamt waren „40 Prozent der Praterhüttenbesitzer“ Parteigenos- sen. Der Riesenrad-Eigentümer Eduard Steiner erhielt als Prager Jude „so gut wie nichts“, da „die Kaufsumme letztlich von Staat eingezo- gen“ wurde. Er wurde mit seiner Frau nach Theresienstadt und dann ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert wo beide im Juni 1944 ermor- det wurden. Nach dem Brand der Hochschaubahn im September 1944 hatte sich „die Haupteinnahmequelle des ehemaligen Winterimperiums“ in nichts aufgelöst und bei den Kämpfen im Prater wurden die letzten Reste zerstört. Eine Tochter Alfred Winters aus erster Ehe erbte nach

95 Österreichische Historikerkommission, Ökonomie der Arisierung. Teil 1, a.a.O., S. 195 f...... 134 dem Tod Anna Linnenkamps 1947 den Kaisergarten und verkaufte ihn der Gemeinde Wien, die Verkehrsflächen und Parkplätze daraus machte. Das schwer beschädigte Riesenrad wurde schon 1947 wieder instandgesetzt. Gegen die Familien der „Ariseure“ gab es Verfahren. 1953 wurde es an drei tschechische Steiner-Erbinnen restituiert, die aber nicht ausreisen durften weshalb es vom sie vertretenden Rechts- anwalt Dr. Karl Lamac und der Familie Petritsch-Lamac, den heutigen Eigentümern, übernommen wurde. Gabor Steiner (1858–1944), der in- itiativste, nicht mit Eduard Steiner verwandte Praterunternehmer der frühen Jahre neben Alfred Winter, entkam im September 1938 in die USA, unterstützt von seinem Sohn Max Steiner (1888–1971), der schon früher emigrierte und mit „Vom Winde verweht“ bis „Casablanca“ ei- ner der bedeutendsten Filmkomponisten Hollywoods wurde.96 Zu den Nazi-Häftlingen, die 1947 im Prater Aufräum- und Ro- dungsarbeiten durchführten, gehörte mein Vater. Im Jahr darauf be- stritt Orson Welles im legendären Nachkriegsfilm „Der dritte Mann“ als skrupelloser Schwarzhändler Harry Lime, der seine Geschäfte mit tödlich gestrecktem Penicillin machte, im Riesenrad zynisch, mit den tief unten wie Fliegen wirkenden Menschen das geringste Mitleid zu empfinden. Würde sich einer dieser Punkte plötzlich nicht mehr be- wegen, sei er vermutlich eben tot.97

96 Cécile Cordon: „Das Riesenrad …“, a.a.O., S. 120, 121 f., 127, 141, 143, 154, 178. 97 Graham Greene: The Third Man, London 1950, S. 104 ff. | Carol Reed (Regie): Der Dritte Mann, Spielfilm mit Orson Welles als Harry Lime, Joseph Cotten als Holly Martins, Alida Valli als Anna Schmidt, Trevor Howard als Major Cal- loway, Dreharbeiten 1948 in Wien, GB 1949 | „Don’t be melodramatic, Rollo. Look down there,“ he went on, pointing through the window at the people moving like black flies at the base of the Wheel. „Would you really feel any pity if one of those dots stopped moving – for ever? If I said you can have twenty thousand pounds for every dot that stops, would you really, old man, tell me to keep my money – without hesitation? Or would you calculate how many dots you could afford to spare? Free of income tax, old man. Free of income tax.“ | Again the car began to move, sailing slowly down, until the flies were midgets, were recognizable human beings...... 135 EUGEN KOGON: DER SS-STAAT. Von seiner Zeit im KZ Bu- chenwald hat Stéphane Hessel (1917–2013) – dessen „Empört Euch!“- Pamphlet von 2010 sein lebenslanges Arbeiten für Menschenrechte be- wusster machte – berichtet, dass ihm dort vom als Arztschreiber ein- gesetzten „katholischen, hochintellektuellen“ Eugen Kogon (1903– 1987) das Leben gerettet wurde. Denn wegen des sorgfältig abgespro- chenen Identitätstauschs mit einem Toten kam es nicht zur unmittel- bar drohenden Exekution.98 Dort wurden auch so prägend werdende Persönlichkeiten wie Jean Améry (1912–1978), Jorge Semprún (1923– 2011) oder Imre Kertész (geb. 1929) gequält. Tausende, etwa Jura Soy- fer (1912–1939), überlebten nicht. Zu den vielen Österreichern zählte auch der Familienfreund Emil Oswald, der aus Dachau dorthin über- stellt worden war. Eugen Kogon, in München geborener außerehelicher Sohn eines russischen Diplomaten und einer Ärztin, der bei einer Pflegefamilie und in strengen katholischen Internaten aufgewachsen war, hatte in Italien die Anfänge des Faschismus erlebt und dann in Wien sein Stu- dium mit der Dissertation „Faschismus und Korporativstaat“ bei Oth- mar Spann abgeschlossen. Daher bewegte er sich in diesen gegen das Rote Wien und freigeistige Tendenzen agitierenden Kreisen und war jahrelang Redakteur der katholischen Wochenzeitschrift Schönere Zu- kunft, dem mit einer Auflage von 25.000 Exemplaren damals wichtigs- ten überregionalen, sehr einflussreichen Organ für deren Auffassungen im deutschsprachigen Raum. Ihrer Tendenz nach „hatte sie die Christ- liche Sozialllehre und die sozialen Bemühungen der Katholischen Ak- tion zugunsten faschistischer Träumereien von utopischen sozialen Re- formen preisgegeben“, heißt es in Janek Wassermans Studie „Black Vien na“ von 2014, in der sie als Plattform jener rechten Intellektuellen Wiens bezeichnet wird, „die zwar nicht alle den Nazismus unterstütz- ten, aber sicher den Weg zu seinen Erfolgen bereitet haben“.99 Eugen Kogon jedoch wurde nach anfänglichen Sympathien für den Faschismus und für Versuche, den christlichen mittelalterlichen Ständestaat neu zu beleben, zum entschiedenen Gegner des National-

98 Stéphane Hessel: Tanz mit dem Jahrhundert. Erinnerungen, Zürich 2011, S. 105 ff.; Empört Euch!, übersetzt von Michael Kogon, Berlin 2011 | Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager (München 1946), München 1974, S. 246 ff. 99 Janek Wasserman: Black Vienna. The Radical Right in the Red City 1918–1938, Ithaca – London 2014, S. 45, 197, 226...... 136 Zeitschrift Schönere Zukunft Eugen Kogon: Der SS-Staat (Sammelmappe) (), München  sozialismus, was in diesem Umfeld so früh und so deutlich kaum vor- kam. Deswegen bereits in Deutschland in Gestapohaft, wurde er im März 1938 bei der Flucht aus Wien in die Tschechoslowakei neuerlich festgenommen und kam bis Kriegsende ins KZ Buchenwald. Sein Er- fahrungsbericht „Der SS-Staat“ von 1946 blieb in seiner Unmittelbar- keit ein Grundlagenwerk zu den Funktionsweisen des NS-Systems. Er war Zeuge in mehreren Kriegsverbrecherprozessen und setzte sich be- harrlich, aber dezidiert antimarxistisch für die Verbindung von Sozia- lismus und Christentum ein und für ein die Nationalstaaten überwin- dendes Europa. Trotz konservativer, Mystik schätzender, oft patheti- scher Positionen als „Linkskatholik“ diskreditiert, bekannte er sich „mit Vergnügen dazu“, denn das sei „ein Katholik, der den Fortschritt der Menschen, also die Veränderung der Gesellschaft auf bessere Menschlichkeit, auf die Entfaltung der Humanität hin anstrebt“. Er wurde einer der Mitbegründer der CDU in Frankfurt am Main, Präsident der Europa-Union und Professor für Politikwissen- schaft an der Technischen Hochschule Darmstadt. Die von ihm und Walter Dirks herausgegebenen Frankfurter Hefte für Kultur und Poli- tik (1946–1984) waren ein phasenweise einflussreiches Diskussionsor- gan zu sozialen Aspekten christlichen Denkens, einer auf Versöhnung ausgerichteten Ostpolitik und für Analysen des Nationalsozialismus, zu deren Autoren von Wien aus Friedrich Heer gehörte. Mit deutlich

...... 137 abnehmender Resonanz wurde für einen „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“ argumentiert. Warum so viele Menschen das Dritte Reich bis zuletzt gestützt hatten, beschäftigte Kogon ein Leben lang. Seine Erklärungstendenz: Das Trommelfeuer der NS-Propaganda habe hilflos gemacht. Wegen der rigiden Überwachung sei die durchaus vorhandene Gegnerschaft praktisch chancenlos gewesen. Da die Widerstandsgruppen nur der gemeinsame Feind verbunden habe, konnten sie sich als Kraft für den Neuanfang kaum behaupten. Deutschland zur „restaurativen Repub- lik“ erklärend, einschließlich der Kirche, kommentierte er die Lage mit zunehmender Resignation.100 Denn es bedurfte bekanntlich jah- relang durchhaltender Einzelinitiativen – von Simon Wiesenthal (1908–2005) in Wien, von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903– 1968) in Frankfurt am Main oder von Jan Philipp Reemtsmas Ham- burger Institut für Sozialforschung –, dass es nach den Nürnberger Prozessen noch zu den Auschwitz-Prozessen, zu einer weiteren Verfol- gung von Tätern und zu einflussreichen aufklärerischen Publikations- und Ausstellungsprojekten gekommen ist. Von kaum einer Universität oder öffentlichen Institution ist so viel zu breitenwirksamen Bewusst- seinsänderungen beigetragen worden. „Als das mörderische System überstanden war, hatte sich mein Verhältnis zum Leben geändert“, so Kogon resümierend. „Es ist mir zwar, da ich Christ geblieben bin, nach wie vor Durchgang und nicht Erfüllung in sich allein, aber jetzt unter Verhältnissen, die es beständig verbessern. Ich habe mich, wohl, wie ich meine, wissend um die Gren- zen der menschlichen Emanzipation, von der ‚Jammertal’-Ideologie gelöst und mich der Beteiligung an dem ebenso mühsamen wie edlen Geschäft des gesellschaftlichen Fortschritts voll zugewandt – eines Fortschritts, der jedem Individuum im Einklang damit die Chance optimaler eigener Erfüllung schafft.“ Notwendig sei gläubige Beharr- lichkeit. Denn „die Moral ist unser Antrieb, um die Gesellschaft bis in die Fundamente hinein zu verändern, denn das ist die Revolution, die der Christ eigentlich meinen sollte.“101

100 Ansgar Lange: Eugen Kogon als christlicher Publizist, Die Neue Ordnung, Bonn, 3/2004. 101 Michael Kogon, Gottfried Erb (Hg.): Eugen Kogon: Liebe und tu, was du willst. Reflexionen eines Christen. Band 4 der Gesammelten Schriften, Wein- heim – Berlin 1996, S. 95 f...... 138 In „Der SS-Staat“ heißt es am Ende: „So rückblickend möge sich Deutschland selbst erkennen: seine edlen und seine entsetzlichen Zü- ge, damit das entstellte, das verzerrte Antlitz wieder Gleichmaß gewin- ne. Es wird den Richter dann nicht mehr zu fürchten brauchen, weil es sich selbst ehrlich beurteilt hat. […] Weit werden die Konzentrati- onslager dann hinter dem erneuerten Deutschland liegen – nur noch eine Mahnung aus den Zeiten der Finsternis dieses Dritten Reiches.“ Nach Jahren publizierte er dazu neuerlich ein Resümee: „Ideologie und Praxis der Unmenschlichkeit. Erfahrungen mit dem National so- zialis mus“. 102 Mein Vater erwähnte den gleichaltrigen Eugen Kogon gelegent- lich, weil er in der Jugend zu seinen engsten, intensiv diskutierenden Freunden rund um die maßgeblich von Neuländern geprägte Zeit- schrift Schönere Zukunft gehörte und es damals für ihn keine Rolle spielte, dass er „obwohl katholisch Jude war“, wie es in seinen Notizen heißt. Wahrgenommen wurde es aber sehr wohl. Nach 1945 gab es mei- nes Wissens keine Kontakte mehr. Kogons Buch „Der SS-Staat“ wurde nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Erst als Student wurde ich da- rauf aufmerksam. Nur Albert Speers „Erinnerungen“ waren überall präsent, weil er als tüchtiger und halbwegs einsichtiger Nazi galt, ob- wohl er dann doch noch der Verheimlichung gravierender Aspekte sei- ner Mittäterschaft überführt wurde. In Marcel Ophüls’ epochalem, nun rekonstruiert wieder verfügbarem Dokumentarfilm „The Memory of Justice“ über die nur sehr bedingt umgesetzten Forderungen der Nürnberger Prozesse und die Problematik internationaler Rechtspre- chung – in dem auch Eugen Kogon ausführlich zu Wort kommt – wird das komplex thematisiert. Albert Speer „log relativ wenig“, heißt es in Ophüls’ Erinnerungen, „und wenn, dann nur beim Wesentlichen“.103 Kurz vor Eugen Kogons Tod ergab sich als merkwürdige Konstel- lation, dass seine Frankfurter Hefte mein im Wiener Falter erschiene- nes Gespräch mit den letzten öffentlichen Äußerungen des sozialisti- schen Wirtschaftshistorikers Eduard März (1907–1987) abdruckten. Dieser, aus Lemberg stammend, konnte vor der Verfolgung von Juden und Sozialisten aus Wien über die Türkei in die USA emigrieren, dien-

102 Eugen Kogon: Der SS-Staat, a.a.O., S. 401 | Ideologie und Praxis der Un- menschlichkeit. Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, Weinheim 1995. 103 Marcel Ophüls /Regie, Drehbuch, Kamera): The Memory of Justice, Dokumen- tarfilm, D, GB, USA 1975 | Marcel Ophüls: Meines Vaters Sohn: Erinnerungen, Berlin 2015, S. 203...... 139 te in der US-Marine und studierte an der Harvard University, wo ihn der 1932 emigrierte Joseph Schumpeter (1883–1950) prägte, vor allem dessen 1942 in „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ aufge- stellte Prognose, dass der Kapitalismus gerade wegen seiner Erfolge im Zuge ständiger „schöpferischer Zerstörung“ zu Bedingungen führen müsse, die einen Übergang zu sozialistischen Wirtschaftsformen er- zwingen. Nach Wien zurückgekehrt, baute Eduard März die Wirt- schaftswissenschaftliche Abteilung der Arbeiterkammer auf, von wo aus unbequeme Querdenker wie Theodor Prager, der spätere Finanz- minister Ferdinand Lacina oder Peter Kreisky phasenweise informellen Einfluss auf die Politik nehmen konnten. In unserem langen Gespräch einige Tage vor seinem Tod zeigte sich Eduard März angesichts meiner Interessen verwundert, dass ich nicht zur SPÖ gefunden hatte und auch diese trotz vieler Kontakte nicht zu mir. Seine letzten, von mir 1987, vor fast 30 Jahren, publizierten Be- merkungen galten weiterhin aktuell wirkenden Perspektiven: „Den Li- beralismus hat man oft als die Ära des selbständigen Individuums be- zeichnet. Ich glaube aber, daß die wahre liberal-emanzipatorische Ära erst vor uns liegt, durchaus im Sinn der angesprochenen Selbständig- keit, bei der man immer weniger andere für sich denken lassen will. Das wird sich natürlich in einer Umgestaltung unserer wichtigsten In- stitutionen auswirken. Die großen Gewerkschaften werden weitge- hend ihre heutige Struktur ändern müssen, sie demokratisieren müs- sen. Das Ausbildungssystem muß mit dem sich verschärfenden Tempo der industriellen Entwicklung Schritt halten. Unsere demokratischen Institutionen müßten sich in ganz neuer Weise entfalten. Ein erster Schritt dazu wäre, das hoffnungslos obsolete Listenwahlrecht durch ein Persönlichkeitswahlrecht zu ersetzen. Aber damit schneiden wir ei- ne Fülle von Fragen an, auf die man systematischer eingehen müßte, vielleicht einmal in einem anderen Gespräch.“104

104 Eduard März im Gespräch mit Christian Reder, in: Walter Dirks, Eugen Kogon (Hg.): Die neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte, Thema Österreich – Kultur, Gesellschaft, Politik. Verlag Neue Gesellschaft GmbH Bonn, Heft 10, Oktober 1987 (aus Falter, Wien, Nr. 29, 1987)...... 140 Villa Mendl, Zustand , ., Wallmodengasse 

Ankerbrotwerke in Wien-Favoriten | Ankerbrot AG (Hg.): Ankerbrot, Wien 

ANKERBROT. Auf dem höchsten Punkt des Hohe Warte genann- ten Wiener Villenviertels in Döbling liegt versteckt die Villa Mendl, ur- sprünglich das Zentrum eines bis ins Tal reichenden prächtigen Anwe- sens, das Fritz Mendl (1864–1929) zum Familiensitz ausbaute (19., Wall- modengasse 11). Er und sein Bruder Heinrich Mendl (1855–1917) hatten 1891 ohne jede Branchenkenntnis durch Übernahme einer bank rotten Bäckerei in Favoriten die Ankerbrotwerke gegründet, bald eines der do- minierenden Unternehmen Wiens mit vielen Filialen und großem Ver- ...... 141 triebsnetz. Nachdem er, seine Frau und der Sohn Fritz noch vor dem Zweiten Weltkrieg gestorben waren, lebten im Haus auf der Hohen Warte bis 1938 noch Fritz Mendls zweiter Sohn Otto Mendl (1907– 194?) mit seiner Frau Mimi Mendl und ihren Kindern Hans und Eva, weil dieser Besitz als Erbpflichtteil auf ihn übergegangen war. Haupterbin der Ankerbrotwerke nach Fritz Mendl wurde seine Schwester Bettina Mendl, die ihren Aktienanteil selbst im Aufsichtsrat vertrat, dem auch der Vater des Management-Pioniers Peter F. Dru- cker und jener des Filmregisseurs Otto Preminger angehörten. Der ho- he Organisationsgrad der Arbeiter machte die Ankerbrotwerke zum wichtigen Stützpunkt der Sozialdemokratie. Bei den Kämpfen im Fe- bruar 1934 gab es dort einen Toten, den Schutzbündler Alexander Scheck, an den – wie an die in der NS-Zeit hingerichteten Werksan- gehörigen Käthe Odwody, Ludwig Führer und Franz Misek – eine Ge- denktafel erinnert. Bettina Mendl wurde eine „leidenschaftliche Un- terstützerin von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg“, wie es in der 2011 erschienenen Geschichte von Ankerbrot heißt, flüchtete aber noch rechtzeitig vor den Judenverfolgungen nach Neuseeland zu ihrer Schwester Lucie, die dort mit ihrem Mann als Tanzlehrerin lebte. Dann zog sie nach Australien, wohin ihr auch die dritte Schwester Ma- rianne Seemann-Mendl folgte, die den Maschinenfabrikanten Gustav Seemann geheiratet hatte. Ihr Cousin und Hauptpartner im Unter- nehmen, Stefan Mendl, der Erbe des anderen Firmengründers Hein- rich Mendl, hatte sich über die Schweiz nach New York gerettet und seine Aktien einer Schweizer Investorengruppe verkauft, „um damit sein Vermögen dem direkten Zugriff durch die Nazis zu entziehen“.105 Der auf der Hohen Warte lebende Otto Mendl war wegen inter- ner Konflikte und seiner unerwünschten Ehe mit einer Minderjähri- gen aus einfachsten Verhältnissen schließlich am Unternehmen nicht mehr beteiligt, weshalb sein Schicksal in der Ankerbrot-Geschichte unerwähnt bleibt, außer dass er als begeisterter Pilot in Aspern eine Flugschule betrieb. Überliefert ist, dass er mit seiner jungen Frau in der eigenen Sportmaschine eine Weltreise unternahm. Zeitweilig in Berlin lebend, wurde er schließlich als prominenter jüdischer Verfolg- ter auf dem Kurfürstendamm von einem Wiener erkannt und von der

105 Ankerbrot AG (Hg.): Worauf freut sich der Wiener, wenn er vom Urlaub kommt? – Ankerbrot. Die Geschichte einer großen Bäckerei, Texte von Chris- tian Repp und Markus Kristan, Wien 2011, S. 20 ff., 44 ff...... 142 Gestapo verhaftet. Er soll, so hieß es ursprünglich, dann bei Arbeits- einsätzen der Organisation Todt irgendwo im Osten umgekommen sein. Genaueres erfuhr die Familie nie.106 Den Forschungen des Do- kumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes zufolge über- lebte er das KZ Sachsenhausen nicht. Seinem Sohn Hans Mendl (1930– 2000) gelang es in Wien, mit Hilfe von Fritz Tarbuk-Sensenhorst als Lehrling in dessen Betrieb in Favoriten zu überleben, dem Partner von Peter Pflaum, dessen Familie wiederum später zu unseren engen Freunden zählte. Auch Mimi Mendl und ihre Tochter Eva überstan- den die Kriegszeit in Wien. Gleich nach dem „Anschluss“ hatten Inserate und Plakate stolz verkündet: „Die Ankerbrotfabrik A. G. hat ab 15. März 1938 eine rein arische Leitung und beschäftigt 1600 arische Mitarbeiter.“ Sie war Max Führer übertragen worden, dessen Korruption selbst den NS- Stellen rasch zu viel wurde, sowie „einigen besonders brutalen und skrupellosen Figuren wie etwa Max Grillmayr, einem der gesuchtesten NS-Terroristen der frühen 1930er Jahre, der maßgeblich an einem Bombenattentat im Kaufhaus Gerngroß 1932 beteiligt war und zum Kreis der Juli-Putschisten gehörte“, dann aber doch als SS-Sturm- bannführer an die Front musste und umkam. „Was eine ‚Musterarisie- rung’ hätte werden sollen, wurde ein beispielloses Chaos, das die Kom- petenzstreitigkeiten der unterschiedlichen NS-Akteure widerspiegel- te.“ Deswegen verschenkte der Wiener Gauleiter Josef Bürckel im Zu- ge der Verhandlungen um eine Brotpreissenkung den gesamten Be- trieb an die Genossenschaft der Bäcker, ohne dass es in der „größten industriellen Broterzeugung“ Europas zu einer Konsolidierung kam. Es „wurden laufend Verluste erwirtschaftet, obwohl es während des Krieges beachtliche Umsätze gab“. Vom September 1944 an bestand auf dem Werksgelände ein Lager für jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus Ungarn, in dem wie auch anderswo immer katastrophaler werdende Zustände herrschten. Vor dem Eintreffen so- wjetischer Soldaten kam es zu drastischen Plünderungen durch die

106 Gespräch mit Thomas Mendl, Sohn von Hans Mendl, Wien, 26. Juni 1998, für meinen Essay: Schichten privater Orte. Verbindungen zwischen unzusammen- hängenden Räumen, in: Bernhard Schneider, Richard Jochum (Hg.): Erinne- rungen an das Töten. Genozid reflexiv, Wien – Köln – Weimar 1999 | Werner Rosenberger: Auf der Hohen Warte, Wien 2015, S. 182 ff...... 143 hungernde Bevölkerung. Unterstützt von der Besatzungsmacht, konn- te dann jedoch rasch wieder produziert werden.107 Nach dem Krieg wurde nur die Villa auf der Hohen Warte den Er- ben Otto Mendls, seiner Witwe mit den beiden Kindern, zurücker- stattet. Von der Kunstsammlung und der Einrichtung war nichts mehr vorhanden. Ansprüche auf die Ankerbrot AG hatten sie keine mehr, auch nicht auf den weitläufigen Park auf der Hohen Warte. Diesen verkaufte die Schwägerin an die Stadt, die dort trotz bald enorm stei- gender Quadratmeterpreise Gemeindebauten errichtete, um zur sozi- alen Durchmischung beizutragen. Als rechtmäßige Erben der Ankerbrot AG konnten nur Bettina Mendl, die in Australien den britischen Farmer Joe McDuff geheiratet hatte, und ihr Cousin Stefan Mendl, der sein Aktienpaket von der Schweizer Investorengruppe zurückgekauft hatte, Ansprüche erheben. Aktenkundig geworden ist, dass er drei ins Metropolitan Museum New York gelangte Gemälde Tiepolos retten konnte, die er aus der Sammlung von Camillo Castiglioni erworben hatte.108 Im Rückstel- lungsverfahren spielte schließlich in den „ausnehmend zähen Entschä- digungsverhandlungen“ die Tatsache, „dass die Aktionäre (Frau Betti- na McDuff, geb. Mendl, und Herr Dr. Stefan Mendl) selbst dem Krei- se der politisch Verfolgten angehörten“, eher als Vorwurf denn als Ent- gegenkommen eine Rolle, so die Historikerkommission von 2004. Da- bei ging es mysteriöserweise weniger „um in engem Sinn ‚politische’ Fragen und um ideologische Motive (Antisemitismus)“, sondern „um Geldfragen, die allerdings ‚politisch’ argumentiert wurden“.109 Keiner der Erben wollte noch in Wien leben, und mangels einer neuen, tätig werdenden Erbengeneration gingen die Ankerbrotwerke schließlich 1969 auf neue Eigentümer über. Mit dem Namen der Gründer werden sie kaum noch verbunden. Inzwischen wurden die weitläufigen Ge- bäude zu einem Galeriezentrum und einem Stützpunkt der Caritas. Erst 2015 erschien zur Geschichte der Familie Mendl und anderer Be- wohner eine ausführlichere Darstellung von Werner Rosenberger: „Auf

107 Ankerbrot AG (Hg.), a.a.O., S. 72 ff. 108 Dieter Stiefel: Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische, Wien – Köln – Weimar 2012, S. 331. 109 Österreichische Historikerkommission: Ökonomie der Arisierung. Teil 1: Grundzüge, Akteure und Institutionen, Band 10/1, Wien 2004, S. 310 | Phyllis McDuff: A Story Dreamt Long Ago (Familie Mendl), New York 2003...... 144 der Hohen Warte. Flair & Mythos des berühmten Wiener Villen vier- tels“.110 In der vermieteten Hälfte der Villa Mendl lebten meine Eltern von 1956 an 25 Jahre lang und wir drei Geschwister, bevor wir in den 1960er Jahren sukzessive auszogen. Von früheren Bewohnern war uns damals nur sehr vage etwas bekannt. Mimi Mendl wurde zu einer Wahltante meiner Geschwister. Erst Familienfotos, die meine Schwes- ter ihrer Freundin, der Keramikerin Linde Wächter, in Paris zeigte, wo beide dann lebten, machten bewusst, dass diese von der Gestapo „ari- sierte“ Villa ihrem Vater Otto Wächter (1901–1949) als Wiener Fami- lienwohnsitz übergeben worden war. Als führender österreichischer Nazi war er der Organisator des Juliputsches, bei dem Engelbert Doll- fuß ermordet wurde. Wie seine Frau Charlotte Wächter aus der Indus- triellenfamilie Bleckmann, die in der „Wiener Werkstätte“ tätig war, gehörte er als Sohn eines früheren Heeresministers dezidiert zur als kultiviert geltenden Oberschicht. Zum Gouverneur des Distrikts Kra- kau und dann des Distrikts Galizien geworden, war er ein enger Mit- arbeiter von Generalgouverneur Hans Frank (1900–1946), Hitlers langjährigem Anwalt und davor Justizminister von Bayern, der als ei- ner der Hauptkriegsverbrecher hingerichtet wurde. Damit war Wäch- ter zentral am „Krieg gegen die Juden“, gegen die slawische Zivilbevöl- kerung und andere „rassisch minderwertige“ Gruppen beteiligt. Bei Kriegsende tauchte er in Rom unter und starb dort 1949 an Nierenver- sagen, betreut vom Fluchthelfer für viele „sogenannte Kriegsverbre- cher“, wie es hieß, dem aus Graz stammenden Bischof Alois Hudal (1885–1963), der 1937 seine Untersuchung über „Die Grundlagen des Nationalsozialismus“ veröffentlicht hatte.111 Neben seinem neuen Wiener Wohnsitz stand Otto Wächter als Distrikt-Gouverneur das für ihn extra umgebaute, hoch über der Weichsel bei Krakau gelegene, zum Sommerschloss Wartenberg ge- wordene Anwesen zur Verfügung, das nach seiner Übersiedlung nach Lemberg ein Erholungsheim für SS-Frontkämpfer wurde. Es hatte dem enteigneten Architekten und Hochschullehrer Adolf Szyszko-Bo- husz gehört. Als Edmund Glaise-Horstenau, der „Anschluss“-Mit-

110 Werner Rosenberger: Auf der Hohen Warte, Flair & Mythos des berühmten Wiener Villenviertels Wien 2015, S. 182 ff. 111 Alois Hudal: Die Grundlagen des Nationalsozialismus. Eine ideengeschichtli- che Untersuchung, Leipzig – Wien 1937, Reprint Bremen 1982 | Wikipedia: Alois Hudal...... 145 streiter aus Wien, im Sommer 1940 zu Besuch kam, war er von den mit „erlesenem Geschmack“ zusammengerafften Kunstschätzen und den baulichen Adaptierungen beeindruckt. Angesichts der angelaufe- nen Vertreibungen, Geiselerschießungen und Massenmorde ist höchst makaber, an welche Nuancierungen er weiterhin glaubte: „Trotz des Regimes Wächter, das an Härte nichts zu wünschen übrig läßt, sind in Galizien die Österreicher unvergleichlich beliebter als im Kongreßpo- len.“ Aber „immer und überall, wo man hinsieht, ist das Viele, was aus dem Österreichertum für die ganze deutsche Sache herausgeholt wer- den könnte, ungenützt“.112 Den Erwachsenen war der Name Wächter durchaus geläufig. Den Jüngeren blieb er bis zu solchen Entdeckungen fremd. Aber immer wieder wurden einem solche Kontinuitäten bewusst, selbst in Bezug auf unsere langjährige Wohnung beim Stephansplatz, worauf noch eingegangen wird.

HOHE WARTE. Auch rund um die Villa Mendl (19., Wallmoden- gasse 11), wo wir zeitweilig lebten, ergibt jedes Nachforschen zeitge- schichtliche Zusammenhänge. So wohnte auf dem angrenzenden Ge- lände einmal die Frauenrechtlerin Rosa Mayreder, später der nach dem Krieg der Secession angehörende Künstler Georg Jung mit seiner Familie. Anfangs ein Nazi, habe er sich „später davon distanziert. Ab 1942 hatte er Ausstellungsverbot und galt als ‚entartet’“.113 Weite Teile der inzwischen durch Neubauten ersetzten Villa Jung wurden zeitwei- lig Herbert von Karajan, Peter Alexander oder John le Carré als Mie- ter überlassen.114 Der Villa Mendl schräg gegenüber liegt ein bemerkenswerter, 1929 für Stefan Auspitz (1869–1945) vom Bankhaus Auspitz, Lieben & Co. als Sommerhaus errichteter Bau der klassischen Moderne des Archi- tekten Helmut Wagner-Freynsheim (19., Wallmodengasse 10), „nicht nur ein ‚bekennender’, sondern auch besonders talentierter Loos- Schüler“. „Seine wenigen Bauten zeichnen sich bei aller Funktionali-

112 Peter Broucek: Glaise-Horstenau, a.a.O., Band 2, S. 521, 533 | Dieter Frank: Kra- kauer Burg. Die Machtzentrale des Generalgouverneurs Hans Frank 1939–1945, Berlin 2010, S. 60, 131. 113 Oswald Oberhuber (Hg.): Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich, Wien 1985, S. 181. 114 Wolfgang E. Schulz, Döblinger Heimatkreis (Hg.): Um den Hungerberg, Döb- linger Heimatkunde Nr. 8/2010...... 146 Sommervilla Auspitz, ., Wallmodengasse  | Im Hintergrund: Villa Mendl, ., Wallmodengasse . Aus Werner Rosenberger: Auf der Hohen Warte, Wien  tät, praktischem Wohnverständnis und kulturellem Gewissen durch eine unorthodoxe Frische aus“ (Friedrich Achleitner).115 Als auch die- ses Haus 1938 zwecks „Arisierung“ zu haben war, gehörte mein Vater zu den Interessenten, nur war es ihm für eine künftige Familie zu klein. Der Bauherr und seine Frau Josefine Auspitz-Weisz überlebten zwar das KZ Theresienstadt, er jedoch nur um wenige Monate. Eine Verwandte, die Malerin, Komponistin und Autorin Josefine Auspitz- Winter, kam dort um. Heinrich Lieben (1894–1945), sein Partner im Bankhaus, entkam vorerst nach Ungarn, wurde aber dann in Buchen- wald ermordet. Das Palais Todesco-Lieben bei der Staatsoper und das durch das Café Landtmann geprägte Palais Auspitz-Lieben beim Burg- theater verweisen auf die Geschichte dieser lange so wichtigen und mit Angehörigen der Oppenheimer, Wertheimer, Todesco und Gomperz mehrfach verschwägerten Familien.116 In der Auspitz-Villa wohnte in den 1960er Jahren der Generalsekretär der Gesellschaft der Musik- freunde und spätere Staatsoperndirektor Rudolf Gamsjäger (1909–

115 Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur, St. Pölten 2010, Band III/3, S. 103. 116 Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hg.): Die Ringstraße: Ein jüdischer Boulevard. A Jewish Boulevard, Jüdisches Museum Wien, Wien 2015, S. 56 f...... 147 1985) mit seiner Frau, der Sängerin Wilma Lipp. Mit ihm waren wir beim Opernball in einer Loge mit Karl Schranz, den er medienbe- wusst eingeladen hatte. Er erschien mir freigeistiger als andere Größen der Wiener Musikwelt, die öfter zu Gast waren, etwa der sonnige Opernstar Hilde Güden (1917–1988). Das ergab sich, weil der Ge- schäftsführer der Philharmoniker, der Trompeter Helmut Wobisch (1912–1980), zu den Familienfreunden zählte. Über dessen Nazi-Ver- gangenheit gab es zweifellos eine mit Karajan kompatible Mitwisser- schaft. Erst kürzlich wurde aufgedeckt, dass er sogar Baldur von Schi- rach nach dessen Haft neuerlich den Ehrenring der Philharmoniker überreichte.117 Als Kind beeindruckte mich das wilde Naturell der auch privat zu Arien ansetzenden bulgarischen „Salome“-Berühmtheit Ljuba Welitsch (1913–1996), die sich (als erste miterlebte „Sünde“) ver- schwiegen mit ihrem Liebhaber, einem verheirateten Arzt, traf. Als sie dann als Boulevardpresse-Sensation kurz mit einem Polizisten verhei- ratet war, brachen die Kontakte ab. In der Auspitz-Villa wohnte später Rudolfine Steindling (1934–2012), die mysteriöse Handlungsbevoll- mächtigte der KPÖ, die lange Prozesse um das Kapital der von ihr ge- leiteten DDR-Außenhandelsfirma Novum führte. Als Nachbarn stan- den meine Eltern in freundschaftlichem Kontakt mit ihr; Realsozialis- mus konnte kein Thema sein. Für die Etablierung der Hohen Warte als noble Wohngegend war Nathaniel Meyer Rothschild (1836–1905) ein Pionier, dessen Vater die Creditanstalt mitbegründet hatte. Er selbst hielt sich als Kunstsammler, Reiseschriftsteller und Blumenzüchter von Finanzgeschäften fern und ließ die legendären, nach „Arisierung“ und schweren Bombenschäden verschwundenen Rothschild-Gärten anlegen, die nach der Rückerstat- tung des Geländes der Stadt geschenkt wurden. „Er brachte englische Gärtner nach Wien“, so dessen Großnichte Bettina Looram Rothschild (1924–2012): „Sie wussten nicht, was sie in der Freizeit machen sollten, sie haben nicht Deutsch gesprochen. Und da hat er für sie 1894 den First Vienna Football Club gegründet. Deswegen tragen die Spieler auch Blau-Gelb. Das sind unsere Farben.“118 Das 1921, zehn Jahre vor

117 Robert Neumüller (Regie): Schatten der Vergangenheit: Die Wiener Philharmo- niker im Nationalsozialismus, TV-Film, 3sat 2013 | Richard von Schirach: Der Schatten meines Vaters (2005), München 2011, S. 308 (Ehrenring-Überreichung ohne Preisgabe des Namens von Helmut Wobisch). 118 Bettina Looram Rothschild in: Thomas Trenkler: Das Zeitalter der Verluste. Gespräche über ein dunkles Kapitel, Wien 2011, S. 142...... 148 dem Praterstadion als Naturarena und Schauplatz aller frühen Länder- spiele eröffnete Fußballstadion der Vienna – lange das größte auf dem Kontinent – machte die Hohe Warte nicht nur als Villen-Hügel ober- halb von Heiligenstadt populär, auch die Wetterberichte der dortigen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik trugen dazu bei. Das von Josef Hoffmann für Eduard Ast, Inhaber der renommier- ten Eisenbetonfirma Ast & Co., entworfene und bis zum Besteck und Garten durchgestaltete Haus wurde bis 1938 als Domizil von Franz Wer- fel (1890–1945) und Alma Mahler-Werfel (1879–1964) ein gesellschaftli- cher Treffpunkt (19., Steinfeldgasse 2). Deren Stiefvater, der greise Maler Carl Moll, vergiftete sich als überzeugter Nazi am Kriegsende gemein- sam mit der Tochter und deren Ehemann in seiner Hoffmann-Villa ne- benan (19., Wollergasse 10). Das Wohnhaus Bruno Kreiskys wiederum am Fuß der Hohen Warte wurde als Kreisky-Stiftung zum Diskussions- ort ohne allzu explizite Parteinähe (19., Armbrustergasse 15). Baldur von Schirach, der Gauleiter und Reichsstatthalter Wiens, residierte auf der Hohen Warte Nr. 52 (heute die ägyptische Bot- schaft), unweit der von 1965 bis 2004 den jeweiligen Bundespräsiden- ten dienenden, inzwischen abgerissenen Villa (19., Hohe Warte 36). Henriette von Schirach berichtet in ihren Erinnerungen launig von den illustren Gästen, die sich bei ihnen zu Festivitäten trafen: Musso- linis Schwiegersohn Galeazzo Ciano, General Andrei Wlassow, der ru- mänische Diktator Ion Antonescu oder der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al- Husseini. Zum 80. Geburtstag Gerhard Haupt- manns im November 1942 kamen auch Richard und Pauline Strauss; es gab „Kaviar, Hühner und Fogosch“. Aus den Glashäusern im „herr- lichen Park der Rothschilds“ nebenan wurden Orchideen bezogen. Knut Hamsun bekam ins Hotel Imperial „einen Korb Erdbeeren“. Als Henriette von Schirach im April 1943 in Amsterdam Judendeportati- onen miterlebte und damit, wie sie nach dem Krieg behauptete, un- mittelbar zur „Mitwisserin von Verbrechen“ wurde, habe ihr Trauzeu- ge und Freund Adolf Hitler, darauf angesprochen, unwirsch reagiert: „Ich bin nur meinem Volk verpflichtet, niemandem sonst … Sie müs- sen hassen lernen. Ich muß es auch …“119

119 Henriette von Schirach: Der Preis der Herrlichkeit. Erlebte Zeitgeschichte, München 1975, S. 7, 9, 190, 227, 229, 234 | Richard von Schirach: Der Schatten meines Vaters, a.a.O., S. 335 f...... 149 Die als Treffpunkt legendäre Villa Wertheimstein (19., Döblinger Hauptstraße 96) wurde mit dem gesamten Park der Stadt vermacht. Das Stammhaus der Familie Ernst Moldens in der Osterleitengasse 7 weiter stadteinwärts war wie die Wohnung Alfons Stillfrieds am Saar- platz ein Ort des Widerstandes gegen die Nazis. Für Anton und Sonja Knips, deren Porträt von Gustav Klimt heute im Belvedere hängt, ent- warf Josef Hoffmann 1924 die Villa in der Nusswaldgasse 22. Im frü- her dort stehenden Haus unterhielt die mit dem Arzt Emil Zucker- kandl verheiratete Verlegertochter Berta Zuckerkandl-Szeps (1864– 1945) ihren schließlich im Palais Lieben-Auspitz neben dem Burgthe- ater fortgesetzten berühmten Salon. Ihren Schwager Viktor Zucker- kandl beriet sie bei Errichtung und Ausstattung des von Hoffmann entworfenen Sanatoriums Purkersdorf, das schließlich durch „Arisie- rung“ devastiert wurde. Erst nach Jahrzehnten tauchten manche der geraubten Kunstobjekte wieder auf. Berta Zuckerkandl-Szeps konnte am 26. März 1938 über Frankreich nach Algerien entkommen. Amalie Zuckerkandl, deren Klimt-Porträt ebenfalls im Wiener Belvedere hängt, und Eleonore Zuckerkandl wurden im KZ Belzec getötet. We- gen der vielen Vertriebenen und Ermordeten dieser kulturell so akti- ven Familie wurden Erinnerungen an sie „praktisch ausgelöscht“, wie es im Band zu Berta Zuckerkandls Emigration heißt.120 Wie ein massives Gegengewicht zum – abgesehen von vertriebe- ner oder ausgerotteter Liberalität – demokratiepolitisch unzuverlässi- gen Bürgertum am Berg erstreckt sich am Fuß der Hohen Warte der dominierende Gemeindebau des Roten Wien, damals „die ehrgeizigs- te sozialistische Stadtverwaltung ganz Europas“, so Mark Mazower in „Der dunkle Kontinent“121, was Wien bis heute von stärker privatisier- ten Städten abhebt. Ausgerechnet ein links-katholischer Freidenker wie Friedrich Heer, dem „Europa – Mutter der Revolutionen“ und „Der Kampf um die österreichische Identität“ zu Lebensthemen wur- den, fasste dazu kompakt zusammen, was als Kulturkampf für eine en- gagierte, sich interessiert fortbildende Arbeiterklasse gegen den düste- ren vaterländischen Machtapparat von Kirche und Staat erreicht, aber gleich wieder ruiniert wurde, weil die meisten bürgerlichen Kräfte des- sen gesellschaftliche Dimensionen nicht begriffen, obwohl schließlich

120 Theresia Klugsberger, Ruth Pleyer (Hg.): Berta Zuckerkandl. Flucht! Von Bourges nach Algier im Sommer 1940, Wien 2013, S. 77 ff., 80. 121 Mark Mazower: Der dunkle Kontinent, a.a.O., S. 136...... 150 Janek Wasserman: Black Vienna. Otto Bauer: Die österreichi- The Radical Right in the Red City sche Revolution, Wien  –, Ithaca – London 

Karl Marx-Hof, Wien ., Heiligenstädter Straße - vieles zum Standard wurde: „Dieses ‚rote Wien’ war die Wiege einer wirklich neuzeitlichen Bildungspolitik, Schulreform, Lebensreform, die vom Kindergarten bis zur Volkshochschule und der Bildungsarbeit in den Arbeiterheimen (als Ersatz für die reaktionäre Universität), rund um die Kinderkrippen und Mütterheime, um die neuen Klini- ken eine ‚Neue Welt’ aufbaute. Sehr viel von dem, was später in den Vereinigten Staaten in Sozialpsychiatrie, Sozialhygiene, Gruppenthe- rapie, Spieltherapie (das Werk J. L. Morenos ) und in anderen auf die Heilung versehrter Menschen zentrierten Wissenschaften realisiert wurde, stammt metapolitisch und personal aus diesem Wien. Es ist ...... 151 diese Human-Dimension des untergegangenen, des zerschlagenen ös- terreichischen, des Wiener Sozialismus, die das Zeugnis darstellt, den Realitätsbeweis liefert, den Wahrheitsbeweis antritt für die zutiefst de- mokratisch-humanistische Struktur dieses gewaltigen Expe ri ments.“ 122 Entgegen diverser Überinterpretationen ist für Friedrich Achleit- ner am Karl Marx-Hof relevant, „dass eben wirklich die untersten Ein- kommensschichten in den ‚Gemeindebau’ einziehen konnten“ und dass man „bewusst arbeitsintensiv baute (händischer Erdaushub, Zie- gel und Fenster aus stadteigenen Betrieben) und man die arbeitslosen Architekten, Künstler und Kunsthandwerker beschäftigte“, also „die Architektur nicht Baurationalisierung und technologischen Fort- schritt“ ausdrückte. Dieser Monumentalbau Karl Ehns (1884–1959), „eines realistischen Baubeamten“, der alle Regimewechsel mitmachte, „ist eine geschickte ‚Andeutungsarchitektur’, die Neue Sachlichkeit mimt“.123 Das entsprach eindrucksvoll der zwischen konkreter Sozial- politik, geduldigem Reformismus und revolutionärem Anspruch schwankenden damaligen Sozialdemokratie – als gebautes Manifest von Gegnerschaft. Denn „die dem roten Kommunalen Wohnbau äu- ßerst feindselig gestimmte schwarze Bundesregierung beschloss einen neuen Finanzausgleich, der den Wiener sozialen Wohnbau zugunsten Niederösterreichs praktisch zum Erliegen brachte“.124 Und im Februar 1934 wurde von der Hohen Warte aus mit Kanonen auf den Karl Marx-Hof geschossen. Wie nunmehr bezeichnenderweise von US-amerikanischen Uni- versitäten aus höchst respektvoll konstatiert wird – so von Eve Blau und Janek Wasserman –, stand dem sehr positiv gesehenen Roten Wien stets das Hegemonialmacht beanspruchende „Schwarze Wien“ gegenüber, mit seinem durchdringenden Einfluss auf das Schulwesen, die Universitäten, die Presse, das Radio.125 Signifikant dafür war, dass auf der Titelseite der Arbeiter-Zeitung im April 1927 der Aufruf „Kund- gebung des geistigen Wien“ erschien, in dem gefordert wurde, „das ‚überpolitische Werk’ der großen sozialen und kulturellen Leistung der

122 Friedrich Heer in: Ilona Duczyńska: Der demokratische Bolschewik. Zur The- orie und Praxis der Gewalt, München 1975. S. 19. 123 Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur, a.a.O., Band III/3, S. 46 ff. 124 Christian Kühn: Tanz der Türme, Die Presse, Wien, 31. Jänner 2015. 125 Eve Blau: The Architecture of Red Vienna, Cambridge/Mass. – London 1999, erstaunlich späte deutschsprachige Ausgabe: Basel 2014 | Janek Wasserman: Black Vienna, a.a.O...... 152 Wiener Stadtverwaltung anzuerkennen, zu erhalten und zu fördern“. Unterzeichnet hatten Sigmund Freud, Hans Kelsen, Robert Musil, Al- fred Polgar, Anton Webern, Franz Werfel und weitere Vertreter pro- gressiver Positionen, die wenig mit den Kräften um Othmar Spann & Co. gemein hatten – worauf noch mehrfach zurückgekommen wird.126 Und heute? Bei Wahlen erreicht die angeblich primär das traditi- onelle Bürgertum vertretende ÖVP in Wien knapp zehn Prozent und gemeinsam mit den bürgerlichen NEOS etwa so viel wie die Grünen. Selbst im Karl Marx-Hof wählt ein Drittel die FPÖ, in anderen Ge- meindebauten sogar die Mehrheit, was bis hin zum Mittelstand Ab- stiegsängste und unreflektierten Protest verdeutlicht, obwohl Wiens Lebensqualität auch wegen der SPÖ unter allen Städten weltweit als vorbildlich gilt.

126 Peter Csendes, Ferdinand Oppl (Hg.): Wien. Geschichte einer Stadt. Von 1790 bis zur Gegenwart, Wien 2006, S. 361...... 153 „Die Krise, die im Jahr 1914 zum Krieg führte, war die Frucht einer ge- meinsamen politischen Kultur. Aber sie war darüber hinaus multipo- lar und wahrhaft interaktiv – genau das machte sie zu dem komplexes- ten Ereignis der Moderne …“

„In Anbetracht der Wechselwirkungen im ganzen System hingen die Konsequenzen jeder Maßnahme von den Reaktionen anderer ab, die wegen des undurchsichtigen Entscheidungsprozesses kaum im Voraus berechnet werden konnten.“

„Das wohl wichtigste Narrativ war die weithin verbreitete Legende vom historisch notwendigen Niedergang Österreich-Ungarns. Nach- dem diese Legende das ältere Bild von Österreichs Rolle als Garant der Stabilität in Mittel- und Osteuropa verdrängt hatte, nahm sie den Gegnern Wiens auch die letzten Skrupel und untergrub die Vorstel- lung, dass Österreich-Ungarn wie jede andere Großmacht auch Inter- essen hatte, die es mit gutem Recht energisch verteidigte.“

Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013 Das grössere Österreich HABSBURG-FINALE. Im Vorfeld des endgültigen Habsburg-Fi- nales zeichnete Kaiser Karl (1887–1922) am 17. August 1918, seinem 31. Geburtstag, Anton Lehár (1876–1962), der dann mit Emil Oswald als Adjutant seine Rückkehr nach Ungarn absichern sollte, wegen dessen militärischer Leistungen bei Chodel an der russischen Front zu Beginn des Krieges mit dem Maria-Theresien-Orden aus. Gemeinsam mit ihm erhielt auch der erfolgreichste Marineflieger der Monarchie, Gott- fried von Banfield (1890–1986), diese höchste Ehrung für Militärs. Ins- gesamt wurden damals in der Kaiservilla Wartholz bei Reichenau an der Rax 24 Offiziere gewürdigt. Durch das Ritterkreuz dieses Ordens und die Goldene Tapferkeitsmedaille waren Lehár und Banfield die höchstdekorierten österreichischen Offiziere des Ersten Weltkrieges. Gottfried von Banfields einzige, Bessie genannte Schwester Elisa- beth von Banfield (1879–1969), die mit ihren drei Brüdern zuerst in Castelnuovo und dann in Pola/Pula an der Südspitze Istriens auf- wuchs, heiratete meinen Großonkel Ferdinand Reder (1869–1924), den Sohn des Arztes Albert Reder Ritter von Schellmann (1826–1904). Bereits 1915 in den Kämpfen um die Festung Przemyśl in russische Ge- fangenschaft geraten, starb er – im Rang eines Artillerieobersten – re- lativ jung, geschwächt von der langen Internierung. Danach lebte sei- ne Witwe gemeinsam mit ihrer Tochter Ida von Reder (1903–1992), ei- ner Nichte Banfields, die ledig blieb und in der Firma J. & C. Reder beschäftigt war, in Wien. An Nachmittage bei den beiden Damen kann ich mich noch gut erinnern. Istrien und die Monarchie spielten in den Gesprächen eine große Rolle. Zum „von Reder“ fühlten sie sich wegen beidseitig nobler Abstammung berechtigt. Da mein Vater in den 1950er Jahren wegen Holzexporten in die Türkei, an den Persi- schen Golf und nach Algerien oft in Triest war, besuchte er gelegent- lich die in einem prächtigen Anwesen in der Strada del Friuli lebenden Banfields. Nur einmal waren wir drei Kinder dabei, weil das mit einem Italienurlaub verbunden wurde, nachdem wir 1951 in Lignano erstmals das aufgeregt erwartete Meer gesehen hatten. Wir mussten aber im Auto warten, weil uns kein dem vornehmen Anlass entsprechendes Benehmen zugetraut wurde. Deshalb traf ich diesen berühmten Ver- wandten nie persönlich, nur sein Porträt im Heeresgeschichtlichen Museum ist mir gezeigt worden. Unter den zu „Rittern der Lüfte“ idealisierten Piloten war Ban- field ein populärer Held, weil er über der Adria und an der mörderi- schen Isonzo-Front als Aufklärer, in Luftkämpfen, durch Bombenab- ...... 156 Gottfried von Banfield: Gottfried von Banfield  Banfields Schwester Der Adler von Triest, Elisabeth und ihr Mann Graz  Ferdinand Reder

würfe und bei der Luftverteidigung Triests so erfolgreich war wie deut- sche „Fliegerasse“, von denen Max Immelmann, Oswald Boelcke oder Manfred von Richthofen nicht überlebten. Rückblickend würdigte Banfield auch ehemalige Gegner und die weniger bekannten Piloten Österreich-Ungarns. Aufgewachsen an der Adria und nach einer Zeit als Seekadett bereits 1912 an der Flugschule von Wiener Neustadt mit anderen frühen „Aviatikern des Steinfeldes“ zum Piloten ausgebildet, operierte er im Krieg zuerst vom Flottenstützpunkt in der Bucht von Kotor in Montenegro aus, dann als Leiter der Seeflugstation Triest. Als ihm der greise Franz Joseph die Große Militär-Verdienstmedaille über- reichte, ergab sich ein Gespräch über dessen völlig weltfremde „Ableh- nung der Bombe als Waffe“, vermutlich „in Erinnerung an die heim- tückischen Taktiken der Anarchisten bei Attentaten gegen gekrönte Häupter wie den Zaren Alexander II. und an den Bombenwurf von Čabrinović in Sarajevo“, wie Banfield anmerkt. Als Beispiel für den „Geist jener Ritterlichkeit“, der wenigstens unter Piloten noch biswei- len am Verhalten erkennbar war, schildert er eine Begegnung mit sei- nem gefährlichsten unmittelbaren Gegner Francesco Baracca, der dann an der Piave abgeschossen wurde: „Als der Italiener angreifen wollte, ließ ich mich abgleiten, und da mein Flugzeug schneller war, ging ich in gleicher Höhe auf Gegenkurs. Statt den Kampf aufzuneh- men, salutierte ich. Da erkannte ich den Piloten und sah auf dem Flugzeugrumpf sein persönliches Abzeichen, das schwarze courbettie- rende Pferd. Es war Baracca, der sich als ehemaliger Kavallerieoffizier dieses Symbol gewählt hatte. Er stutzte, nahm langsam die Hand vom Abzug seines MGs und hob sie ebenfalls grüßend an den Rand der Le- ...... 157 derhaube. Ganz dicht flogen wir aneinander vorbei, dann schwenkten wir ab, jeder in eine andere Richtung.“ Das von Ernst Heinkel eigens für Banfield konstruierte Jagd-Flug- boot hatte die Typenbezeichnung CC „nach den Initialen von Camil- lo Castiglioni“ (1879–1957), der als Luftfahrt- und Automobilpionier zum wichtigen Heereslieferanten und dann zum Inbegriff des skrupel- losen Inflationsspekulanten und Haifisch-Kapitalisten wurde (Ban- ken, Flugzeugwerke, BMW, Puch-Werke, Austro-Daimler, Österrei- chische Alpine-Montan) und bis zum spektakulären Zusammenbruch seines Imperiums mit stattlichen Zuschüssen Österreichs Kulturbe- trieb der 1920er Jahre prägte (Filme, Max Reinhardt, Theater in der Josefstadt, Salzburger Festspiele). Banfield sah ihn nicht so negativ, denn „der Sohn des Oberrabbiners von Triest hatte mit sehr viel Un- ternehmungsgeist die Möglichkeiten des technischen Fortschritts er- kannt und genützt“ und weitsichtig enorme Innovationen eingeleitet. Noch lange nach seiner Erfolgsphase gelang es ihm, „der Volksrepub- lik Jugoslawien die ersten Auslandskredite zu verschaffen“.1 Selbst der unerbittliche Karl Kraus (1874–1936) widmete Banfield eine anerkennende Passage, als er an damaligen Heldenmythen wie dem Richthofen-Epos „Der rote Kampfflieger“ beißende Kritik übte und eine Stellungnahme Banfields als seltenes positives Beispiel zitier- te: „Wann wird endlich ein Ende sein? Es ist schon genug. Schade um die vielen Menschenleben. Was jetzt geschieht, ist nur reine Vernich- tung, nur mehr ein Morden, kein Krieg mehr.“ Dazu bemerkte Karl Kraus mit lakonischem Respekt: „Der sieht denn doch aus einer hö- heren Höhe.“ In der wegen dieses Defaitismus von der Marinesektion geforderten Stellungnahme Banfields hieß es: „Der Text in der Fackel entspreche an sich wohl der Wahrheit, meine Aussprüche seien jedoch nicht in vollem Wortlaut zitiert worden. Ich hatte gesagt, jetzt sei es meine Pflicht, zu kämpfen, aber ich glaube, daß es am besten wäre, so bald als möglich Frieden zu schließen.“ Auch für ihn enthielten die üblichen reißerischen Kriegsgeschichten „tatsächlich sehr vieles, was in Mentalität und Diktion abstoßend wirkte, nichts als eine Verherrli- chung des Tötens mit dem Anspruch des ‚Heldischen’ war“. In der Soldatengeneration verfemte Bücher wie „Das Feuer“ von Henri Bar-

1 Gottfried von Banfield: Der Adler von Triest. Der letzte Maria-Theresien-Ritter erzählt sein Leben, Graz 1984, S. 35, 83, 84 ff., 108 | Dieter Stiefel: Camillo Cas- tiglioni oder Die Metaphysik der Haifische, Wien 2012 | Reinhard Schlüter: Der Haifisch: Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni, Wien 2015...... 158 busse oder „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque las er „betroffen“ und „erschüttert“. Zum entschiedenen Kriegsgegner ge- worden, nahm er den Zerfall von Monarchie, Armee und Marine pragmatisch als Zwang zum Neuanfang hin. „Ich hatte keinen Beruf, keine Einkünfte“ und kaum noch Chancen als Pilot, erzählt er in sei- nem Buch, und „mußte trachten, mit dem, was ich erlernt hatte, näm- lich die Seefahrt, eine neue Lebensbasis zu schaffen“. Nach 1918 und zwei knapp überlebten Abstürzen saß er „kein einziges Mal mehr am Steuer eines Flugzeugs“.2 Da ein Onkel in England lebte, konnte Banfield nach einer Phase als Mechaniker bei Austro-Daimler in Wiener Neustadt und den Sko- da-Werken in Prag dorthin übersiedeln. 1920 heiratete er in London seine aus Triest mitgekommene Braut Maria Contessa Tripcovich. Ihr in England geborener Sohn Raffaello de Banfield (1922–2008) wurde ein anerkannter Komponist, Freund vieler Künstler in aller Welt, Di- rektor des Teatro Giuseppe Verdi in Triest und des „Festival dei due mondi“ in Spoleto. Nach Arbeitserfahrungen in britischen Werften und Schifffahrtsunternehmen nahm Banfield nach der britischen sei- ner Kindheit und der österreichischen seiner Jugend die italienische Staatsbürgerschaft an und kehrte nach Triest zurück, um in der großen Reederei der Familie Tripcovich den Geschäftsbereich Schiffsbergun- gen aufzubauen. Ein Interesse dafür war im Zuge der Versuche ent- standen, Teile der in Scapa Flow – dem großen britischen Marine- stützpunkt inmitten der Orkney-Inseln vor Schottland – als Symbol der Niederlage internierten deutschen Flotte zu heben, die sich dort noch befehlsgemäß entgegen der Friedensvereinbarungen selbst ver- senkt hatte. Als Start für weiteres erwarb er Gerät für die dabei ange- wandte Drucklufttechnik. Mit eigens konstruierten Bergungsschiffen wurde das Unternehmen bald zu einem weltweit führenden seiner Art. Insgesamt führte es „mehr als 100 Bergungen“ durch, meist von Ban- field persönlich geleitet, mit der Hebung 1956 den Suezkanal blockie- render Schiffe als besonderem Höhepunkt.3 Gottfried von Banfields Vorfahren gehörten, wie er zur Familien- geschichte anmerkt, seit dem 17. Jahrhundert „zur Gentry Südirlands, waren aber keine Iren, sondern normannischer Herkunft“ und, anders

2 Gottfried von Banfield: Der Adler von Triest, a.a.O., S. 97, 123, 124, 129 | Karl Kraus: Die Fackel Nr. 462–471, 9. Oktober 1917, 12 Bände, Obertshausen 1976, Band 7, S. 158. 3 Gottfried von Banfield: Der Adler von Triest, a.a.O., S. 118...... 159 als ihr Umfeld, evangelischer Konfession. Sein in der britischen Armee dienender Großvater Thomas Banfield (1802–1855) kam als Sprachleh- rer nach Wien, verheiratete sich dort und war dann britischer Militär- attaché an deutschen Fürstenhöfen, starb aber plötzlich auf der Heim- reise vom Einsatz als Oberst im Krimkrieg. Dessen in Wien geborener Sohn, Richard Mitis Banfield (1836–1906), Gottfried von Banfields Vater, wurde Linienschiffskapitän der k. u. k. Kriegsmarine, nahm als Artillerieoffizier auf Tegetthoffs Flaggschiff 1866 an der Seeschlacht von Lissa teil und war dann Kommandant der Marinestation Castel- nuovo in der Bucht von Cattaro/Kotor. Dort wurde Gottfried von Banfield als jüngstes von vier Kindern geboren; auch die Familie Trip- covich stammte aus dieser Gegend. Seine Mutter Nathalie war die Tochter des Freiherrn Ferdinand Mumb von Mühlheim (1817–1859), der als Oberst in der Schlacht von Solferino fiel, die den territorialen Verfall des Habsburgerreiches einleitete.4 Auch für zwei meiner Vor- fahren, von denen noch die Rede ist, war sie ein wichtiges Ereignis. Weil wir im Sommer 1956 in Genua noch die berühmte „Andrea Doria“ sahen, bevor sie nach einer Kollision im Atlantik unterging, sind mir Banfields Schiffsbergungen oft in den Sinn gekommen. Dass der mit ihm gleichaltrige, noch unschlüssige Ludwig Wittgenstein von Bertrand Russell wissen wollte, ob er sich zum Philosophen eigne, an- dernfalls würde er „Flugzeugtechniker werden“, oder der schließlich über die Türkei in die USA emigrierte Mathematiker Richard von Mi- ses „zu einem der hervorragendsten Aerodynamiker seiner Zeit“ wur- de, hält evident, wie sehr damals das Fliegen auch in literarisch-philo- sophisch-wissenschaftlichen Kreisen faszinierte.5 Dass gerade in dieser Umbruchsphase weiterhin transnational Eu- ropäisches wichtig genommen wurde, hat etwa Robert Musil (1880– 1942) überaus deutlich gemacht, weil er jeden über kritisch-patrioti- sche Haltungen hinausgehenden Nationalismus für eine „Beschränkt- heit“ hielt, notierte er doch 1919/20, wozu sich etwa bei Joseph Roth (1894–1939) oder Stefan Zweig (1881–1942) Parallelen finden: „Ich komme darauf, daß ‚Nation’ ein Abstraktum ist. Wir haben nicht ein- mal die Sprache gemeinsam, denn meine Sprache versteht der Groß-

4 Gottfried von Banfield: Der Adler von Triest, a.a.O., S. 9 ff. 5 Karl Sigmund: Sie nannten sich Der Wiener Kreis, Wiesbaden 2015, S. 108, 174...... 160 teil der Nation nicht besser als ich Englisch“, und „was gehen mich ei- gentlich die dunklen Alpenspießürger an?“6 Sich dezidiert zu einer Nation zu bekennen hatte sich vielfach nur aus den jeweiligen Umständen ergeben. Weder Gottfried von Banfield oder Anton Lehár verfielen – nachdem sich ihre Lebenswege gekreuzt hatten, als ihnen im August 1918 Kaiser Karl die höchsten Orden über- reichte – nach dem Krieg der in Österreich grassierenden „Anschluss an Deutschland“-Sehnsucht. Banfield verließ das Militär, wurde Itali- ener und lenkte nie wieder ein Flugzeug; sein Lebensmittelpunkt blieb Triest, zum Beruf wurden Schiffsbergungen. Lehár wiederum war überzeugt, dass „die mutwillige völlige Zerstörung der österr.-ung. Monarchie“ letztlich „unfehlbar zur Stärkung Deutschlands führen werde“, was er nicht unterstützen wollte. Sich zwar als Deutscher, aber als „Deutscher in Ungarn“ fühlend, wurde er wie sein Bruder ungari- scher Staatsbürger, ohne die Sprache perfekt zu beherrschen.7 Erst spä- ter wurde er wie Oswald nominell Österreicher. Mit Menschen, die sich weiterhin dem zerfallenen ‚eigentlichen’, größeren Österreich verbunden fühlten, ließ sich von ihnen sicher viel Gemeinsames finden, konnten sie doch alle von sich sagen, „auch ich bin ein Produkt der kulturellen Atmosphäre des alten Reiches, die im Wien der zwanziger Jahre als Rest noch weiterbestand, mit all dem Pessimismus freilich, der sich über sie gebreitet hatte“, denn er – oder sie – habe sich „immer als Ergebnis jenes gewaltigen melting pot ge- fühlt, der die Monarchie nun einmal war: als Ergebnis einer brodeln- den Mischung von Deutschen, Slawen, Magyaren, Italienern und Ju- den“. Dieses Bekenntnis stammt vom explizit bürgerlich auftretenden Sozialisten Bruno Kreisky, der in seinen Erinnerungen betont, wie wichtig es gewesen wäre, zumindest „eine mitteleuropäische Wirt- schaftsgemeinschaft“ zu erhalten. Nur habe es abgesehen von Promi- nenten des kulturellen Lebens keinen „zuverlässigen politischen Libe- ralismus“ als Basis dafür gegeben. Dieser beschränkte sich auf jene, „die, wenn auch nicht aus ganzem Herzen, die politische Heimat ihres Liberalismus in der Sozialdemokratie sahen“. Eine bis 1938 virulente Habsburg-Restauration kam ihm „immer etwas merkwürdig“ vor. „Sollte es ein Habsburgerreich in den Grenzen von 1918 geben? Etwas

6 Robert Musil: Und Nationalismus. Internationalismus (1919/20), in: Gesam- melte Werke, Band II, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 1347 f. 7 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár, a.a.O., S. 96, 158, 220...... 161 anderes hätte ja sofort Krieg bedeutet.“ Es bleibe jedenfalls „eine gro- ße historische Schuld der österreichischen Politik für ganz Europa“, dass Österreich unfähig war, „sein eigenes Haus zu bestellen“, und dass der Erste Weltkrieg von ihm ausgegangen sei, denn „der Hochmut des Ballhausplatzes war unglaublich“. Für ihn, als „Epigonen des alten Ös- terreich“, war „die Idee eines übernationalen staatlichen Gebildes“ stets auch „eine Herausforderung an die Internationalität der Sozial- demokratie“, gerade weil diese, „wenn es darauf ankam, immer wieder versagt hat“. „Aus der Monarchie hätte auch eine große übernationale Republik werden können“, so Kreisky dezidiert, denn als „übernatio- nale Kulturgemeinschaft“ war sie eine „jener großen historischen Möglichkeiten“, die eben „niemals genutzt wurden“.8 War Gottfried von Banfield zum entschiedenen Kriegsgegner ge- worden, fühlten sich Anton Lehár und sein zum Freund werdender Adjutant Emil Oswald weiter an den Offizierseid gebunden und glaub- ten noch an Chancen einer Donauföderation, weshalb die ungarische Vorgeschichte von Oswalds Aktivitäten in der Widerstandsbewegung O5 hier noch etwas genauer kommentiert wird. Karls wirkungslos ge- bliebenes Manifest vom 16. Oktober 1918 über die seit langem gefor- derte Umwandlung zumindest der österreichischen Reichshälfte in ei- nen Bundesstaat gleichrangiger Länder war Grundlage solcher Hoff- nungen, machten doch die elf offiziellen, oft regional verstreuten und vermischten Nationalitäten – mit den Deutschsprachigen ohne eigenes abgrenzbares Territorium – das zur Befriedung Europas propagierte na- tionale Selbstbestimmungsrecht obsolet. Außerdem blieben selbst alte Demokratien wie Großbritannien Monarchien. Paradox war, ausgerechnet im ethnisch feingliedrigen, aber gegen- über seinen Minoritäten tendenziell kolonialistischen Ungarn Möglich- keiten zu sehen, hatte doch die beharrlich verteidigte Sonderstellung der Magyaren ab 1867 den Niedergang des Vielvölkerstaates eingeleitet. Sichtlich wurde wegen des miterlebten Zivilisationsbruchs mit den Millionen Toten und Invaliden und dem abrupten Zerfall der Monar- chie und gewohnter Hierarchien zur chaotisch wirkenden Massenge- sellschaft in Gewohntem Halt gesucht. Denn gerade Berufsoffiziere hatten jeden sozialen Halt verloren: „Aus Herren waren über Nacht rechtlose Bettler geworden.“9 Lehár sah aber durchaus, wie sehr die uni-

8 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten, a.a.O., S. 28, 37, 48, 56, 59, 226, 291. 9 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár, a.a.O., S. 46 f., 57, 181...... 162 Anton Lehár: Erinnerun- Anton Lehár in Szombathely/ gen, Wien  Steinamanger, März 

Ethnographische Karte der Länder der Ungarischen Krone auf Grund der Volkszählung von , Gotha  | Noch heute oft fordernd zu „Großungarn“ stilisiert forme Unbildung der Offiziere Illusionen begünstigt hatte, denn „die Geschichte der großen englischen Revolution war uns allen, von eini- gen an sich bedeutungslosen Jahreszahlen und Namen abgesehen, fast unbekannt. Von der französischen Revolution lehrten die Militärschu- len kaum etwas über deren Ursachen, einiges über deren Gräuel und Opfer, nichts über ihre Notwendigkeit und Folgerichtigkeit und über ihre Errungenschaften für die gesellschaftlichen Zustände unserer Zeit...... 163 Über die Ereignisse des Jahres 1848 gingen unsere Lehrer mit einigen nichtssagenden Phrasen hinweg“ – als absonderliche, weithin grassie- rende Tendenz, sich Gedankenwelten der Aufklärung zu verweigern, was als einseitige Bildungspragmatik noch jahrzehntelang fortwirkte. Weil Lehár ursprünglich „die Bildung einer bürgerlichen Front, um den täglich zu erwartenden Versuch zur Aufrichtung des Bolsche- wismus in Österreich niederzuschlagen“, für notwendig hielt, über- nahm er schließlich „die militärische Leitung der gegenrevolutionären ungarischen Bewegung aus Österreich heraus“.10 Von den ständigen Anti-Habsburg-Stellungnahmen zutiefst irritiert, mit denen die Wie- ner Sozialisten auf „die schäbigste und verächtlichste Weise“ demora- lisierend wirkten, blieben ihm Auffassungen sich ihnen anschließen- der Offiziere wie Theodor Körner, dem Generalstabschef der Isonzo- Front, unbegreiflich, dass nur die Arbeiter-Zeitung „die ungeschmink- te Wahrheit“ schreibe.11 Eine gewaltsame „Gegenrevolution“ erübrigte sich jedoch bald, denn „der Bolschewismus in Budapest und Mün- chen“, so seine bemerkenswert respektvolle Einschätzung, „brach dort zusammen, da er sich unfähig erwies, Geist und Inhalt seines großen russischen Musters auch nur zu erfassen“.12 Eine sich Umwälzungen völlig verschließende reaktionäre Haltung lässt sich somit nicht erken- nen. In Wien brachten die Sozialdemokraten solche Versuche rasch unter ihre Kontrolle, weil „die Proklamation der Rätediktatur“, wie Otto Bauer Bruno Kreiskys Erinnerungen zufolge an Béla Kun schrieb, „zum sofortigen Losreißen der überwiegend bäuerlichen, klerikal-ag- rarischen Länder von Wien“ geführt hätte. Denn „in Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Kärnten, Mittelsteiermark würden die Arbeiter von bewaffneten Bauern niedergeworfen werden. Diese Länder würden sich von Wien losreißen und der Wirkungsbereich der proletarischen Revolution auf Wien, das Wiener Neustädter Industriegebiet und die Obersteiermark beschränkt bleiben“.13 Die sich nur von März bis August 1919 haltende Räterepublik Béla Kuns, dessen „roter Terror“ vielfach propagandistisch überzeichnet wurde und der nach seiner Schreckensherrschaft auf der Krim schließ- lich selbst den Säuberungen Stalins zum Opfer fiel, stellte sich bald als Episode heraus. Anerkannte Persönlichkeiten übernahmen Funktio-

10 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár, a.a.O., S. 64, 72. 11 Georg Reichlin-Meldegg: General und Parzival?, a.a.O., S. 53, 82. 12 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár, a.a.O., S. 47. 13 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten, a.a.O., S. 54...... 164 nen – etwa der Philosoph György Lukács als Volkskommissar für Kul- tur –, aber auch spätere Schreckensfiguren wie Mátyás Rákosi. Beteiligt hatten sich österreichische Sozialisten wie der als Februarkämpfer hin- gerichtete Koloman Wallisch oder Ludwig Leser, der erste Landes- hauptmann des Burgenlandes nach 1945, und über tausend Freiwillige, fast so viele, wie dann im Spanischen Bürgerkrieg für die Republik kämpften. Ungarns erster demokratischer Ministerpräsident Mihály Károlyi (1875–1955) hatte „zugunsten der Kommunisten, der einzigen organisierten Macht im Land“, abdanken müssen, so der zum „roman- tischen Kommunisten“ gewordene Arthur Koestler (1905–1983). Des- sen „ausgesprochen bürgerliche Familie“ fühlte sich „nie bedroht“. Zwar wurde ihr Unternehmen nationalisiert, der Vater aber Geschäfts- führer mit einem Gehalt „beinahe so groß wie die bisherigen Gewin- ne“. „Terror gab es nicht“, „die Zahl der von den Kommunisten hinge- richteten Personen blieb unter fünfhundert“. Überall wurde ein „Sinn für Humor“ bemerkbar; alle glaubten, „es wird sich nicht halten“.14 Davon ging auch Lehár aus. Dass jedoch Horthy ihm gegenüber – übrigens auf Deutsch, das er geläufiger sprach als Ungarisch – wütend gedroht hatte, er „lasse sie hängen“, die Juden, „bis sie am Strick ver- faulen“, demonstrierte bereits, wie sich Aggressionen radikalisierten. Ungarn wurde mit den antisemitischen, vorerst die Studienzulassung und den Staatsdienst betreffenden Gesetzen vom September 1920 Vor- reiter eines legalisierten Rassismus im 20. Jahrhundert. Auch in Kon- zentrationslagern wie Zalaegerszeg bahnte sich Künftiges an: „Hinter Stacheldraht hielt man dort Hunderte von Intellektuellen ohne vor- hergehendes Gerichtsverfahren monatelang gefangen, nur weil sie ir- gendein kleiner Machthaber als ‚Kommunist’ bezeichnet hatte.“15 Als monarchistischer Grundton der Kommentare Lehárs schwingt stets mit, dass ein Monarch solche Exzesse nicht geduldet hätte. Er nimmt für sich in Anspruch, dass er vom steirischen Lager Feldbach und dann von Szombathely/Steinamanger aus mit seinen über 8.000 Mann um- fassenden, ihm loyalen Truppen zur dominierenden Ordnungsmacht in Westungarn wurde, die trotz Unterstellung unter die Szegediner Gegenregierung Horthys den einsetzenden „weißen Terror“ von des- sen Kreisen gestützter Mörderbanden bekämpfte. Von den gegen Ge- bietsabtretungen an Österreich operierenden Freischärlern gemeinsam

14 Arthur Koestler: Als Zeuge der Zeit, Frankfurt am Main 2005, S. 37, 39, 41, 42. 15 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár, a.a.O., S. 122, 123, 221...... 165 mit Oswald inhaftiert und mit Erschießung bedroht, entkamen sie nur mit Glück nach zwei Tagen. Ohne ihre die Lage beruhigende Ge- genmacht hätte es bei der Volksabstimmung in Sopron „keine 1000 Stimmen für Ungarn“ gegeben, so seine Einschätzung. Letztlich ver- trat er in der Burgenland-Frage jedoch strikte Legitimität: „Wenn uns die Entente zur Übergabe zwingt, muß das in allen Ehren erfolgen.“ Nach dem Scheitern der Versuche, für Ex-Kaiser Karl den Thron zu retten, sah Lehár für sich in Ungarn keinerlei Zukunft, weil sich der „Weg eines engstirnigen Nationalismus“ abzeichnete, „der zur Katast- rophe führen mußte“.16 Mit dem berühmten Komponisten-Bruder blieb seine Beziehung zeitlebens gespannt, hatte dieser doch eine seine Operetten Mussolini gewidmet und war neben Wagner und Bruckner ein Lieblingskompo- nist Hitlers geworden. Nach dem Krieg lieferte er dazu – obwohl er die längste Zeit „ganz Feuer und Flamme für die Bewegung“ und das Aus- schalten der „jüdischen Konkurrenz“ gewesen war – den lakonischen Standardkommentar: „Ich habe den Nazis nichts zu verdanken. Ich ha- be sie nicht um Publizität oder Protektion gebeten. Ich habe nur fort- gesetzt, was ich immer schon getan habe – Musik geschrieben!“17 Als ungarischer Staatsbürger hatte Franz Lehár eine Sondergenehmigung zur Berufsausübung. Seine gefährdete Frau wurde als „Ehrenarierin“ ge- schützt. Für seinen in Auschwitz ermordeten Librettisten von Erfolgs- operetten wie „Das Land des Lächelns“, Fritz Löhner-Beda (1883–1942), der nicht mehr genannt werden durfte und der den Text zum von Her- mann Leopoldi (1888–1959) vertonten, vom Kommandanten angeord- neten „Buchenwaldlied“ verfasste, setzte er sich in keiner Weise ein. Einer von Oswalds Freunden war Ladislaus Almasy (1895–1951), der den Ex-Kaiser zu Horthy gefahren hatte und dann ebenfalls zu dessen engster Begleitung zählte. Als kühner Pilot, Saharaforscher, aber auch Nazi-Agent in Ägypten wurde er durch seine Reiseberichte und dann den auf Michael Ondaatjes Roman basierenden Film „Der englische Patient“ zur legendären Figur. Er residierte mit seiner Fami- lie auf Burg Bernstein/Borostyánkö im Burgenland. Nach seinem Tod beeindruckten mich dort als Kind gemeinsam mit den Oswalds die Erinnerungsstücke aus Wüstenexpeditionen sehr.18 Wie bedenkenlos

16 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár, a.a.O., S. 72, 115, 158, 246. 17 Georg Reichlin-Meldegg: General und Parzival?, a.a.O., S. 136, 139. 18 Ladislaus E. Almasy: Schwimmer in der Wüste, Innsbruck 1997...... 166 nach jahrelangen Habsburg-Kontroversen mit Nostalgie spekuliert wird, zeigte sich etwa, als im österreichischen Parlament bei der Ge- denkveranstaltung „1938: Anatomie eines Untergangs“ auf Initiative von Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im März 2008 Otto von Habsburg als stereotyp-reaktionäre Stimme zu „Österreich, Hitlers erstes Opfer“, und einem christlichen Abendland referieren durfte. Dabei waren in den USA alle seine Widerstandsinitiativen am berech- tigten Misstrauen demokratischer Emigranten gescheitert. Nach sei- ner 1989 verstorbenen Mutter Zita wurde auch er 2011 in der Wiener Kapuzinergruft bestattet.

KAHLENBERGER FRIEDHOF. Von dieser hoch über Wien liegen- den, in ihrer Verwilderung verwunschen wirkenden kleinen Begräb- nisstätte am Rand des Wienerwaldes aus lassen sich ihrer Überschau- barkeit wegen Einzelheiten zu Konstellationen des 19. Jahrhunderts aufspüren, wobei merkwürdige Zusammenhänge wiederum nur we- gen persönlicher Zugänge greifbar werden. Von imaginärer Bedeutung ist dieser Ort für mich, weil dort mein Ururgroßvater väterlicherseits, der Artillerieoberst Franz Xaver Reder (1793–1881), begraben liegt, der durch seine Übersiedlung aus Steyr und als Vater von sechs Kindern den Wiener Zweig unserer Familie begründete und sich zuletzt in ein Haus am Kahlenberg zurückzog. Der Grabstein ist verschwunden, weil spätere Nachkommen wegen der vor allem im Winter schwieri- gen Zufahrt anderswo bestattet wurden. Als Freiwilliger gegen Napoleon (1769–1821) nahm er – sicher als zentrales Erlebnis – im Oktober 1813 an der Völkerschlacht bei Leipzig teil, von der sich als retrospektive Dramatisierung ein gegen Frank- reich und dessen republikanische Innovationen gerichteter deutscher Nationalismus herleitet. Noch der Volkssturm-Aufruf von 1944 bezog sich auf das Datum dieser Schlacht. Dabei war sie mit annähernd 100.000 Toten das bis dahin größte Massaker der europäischen Ge- schichte. Einer halben Million Alliierten standen 440.000 Franzosen gegenüber, auf deren Seite auch „an die 20.000 Deutsche aus den Rheinbundstaaten, rund 11.000 Polen“ kämpften, ferner „an die 7.000 Mann aus dem Königreich Italien und Neapel, sowie Niederländer, Spanier und Kroaten aus den von Frankreich annektierten Gebieten“. „Der Koalitionsarmee gehörten neben Russen, Österreichern und Preußen auch Ungarn, Tschechen Slowenen, Kroaten, Rumänen, Kal- mücken, Baschkiren und Walachen aus den Vielvölkerstaaten Russland ...... 167 und Österreich an.“ Statt um das „Schicksal Europas“ oder Deutsch- lands, wie es propagandistisch hieß, ging es jedoch nur als die Dynas- tien stabilisierender „Kreuzzug gegen revolutionäre, liberale und nati- onale Strömungen“ – was zwar zu kurzen Friedensphasen, letztlich aber zu periodisch eskalierenden Konflikten zwischen Staatsmacht und Bürgern führte.19 Was Franz Xaver Reder dabei erlebte, ist nicht überliefert. Erhaltene Fotos zeigen ihn nachdenklich, mit zottigem weißem Haar und dünnem Bart, einmal in Uniform, einmal mit Fez- artiger Kappe. Bekannt blieb nur, dass er, wegen seiner Lungentuber- kulose auf einen Versorgungsposten versetzt, seine Dienstzeit als Pul- verturmkommandant im Steinfeld bei Wiener Neustadt abdiente, be- vor er auf den Kahlenberg zog. Verheiratet war er mit Barbara Schell- mann, der Tochter des Berggerichtsadvokaten Albert Schellmann aus einer Honoratiorenfamilie Steyrs. Deren Bruder Albert Schellmann d. J. (1798–1854) war seit ge- meinsamen Schuljahren in Wien mit Franz Schubert (1797–1828) be- freundet, der öfter nach Steyr kam. Im musizierenden Umfeld dieser Familien – als Musik zwar alltäglich, aber dennoch stets ein intensives Erlebnis war – erteilte Sylvester Paumgartner ihm den Kompositions- auftrag für das legendäre „Forellenquintett“ in A-Dur. Von einem Be- such im Jahr 1819 existiert noch ein die Familie Schellmann betreffen- der Brief Schuberts, in dem es heißt: „In dem Hause, wo ich wohne, befinden sich 8 Mädchen, beynahe alle hübsch. Du siehst, daß man zu thun hat“, und „die Gegend um Steyr ist über allen Begriffen schön.“20 So wie Franz Xaver Reder in Leipzig bekam auch seine Schwäge- rin Franziska „Fanny“ Schellmann (1792–1891) indirekt mit Napoleon zu tun. Immer wieder soll sie auf das sie emotionell nachhaltig bewe- gende Erlebnis ihres fast hundertjährigen, in der zweiten Hälfte von Blindheit gezeichneten Lebens zurückgekommen sein: ihre Begeg- nung mit Erzherzogin Marie Luise von Österreich (1791–1847) am 15. März 1810 in Enns. Dort hatte der Hochzeitszug der ältesten Tochter ihres Kaisers auf dem Weg zu Napoleon für eine Nacht Halt gemacht. Fanny war ausgewählt worden, ihr Blumen zu überreichen. Auch bei der tristen Rückreise vier Jahre später war sie wieder im Begrüßungs-

19 Deutsches Historisches Museum (Hg.): 1813. Auf dem Schlachtfeld in Leipzig, Berlin 2013, S. 35, 52, 65. 20 Harald Fillunger: Manuskript zur Stammbaumforschung und zu Familienbezie- hungen in Steyr, o.J., letzte Ergänzungen 2014, unveröffentlicht | Archiv Ch. R...... 168 Kahlenberger Friedhof, Wien 

Franz Xaver Reder und Barbara Reder, geb. Schellmann komitee.21 Nach der vorläufigen Ferntrauung in Wien fand die eigent- liche Übergabe der Braut an die entgegengekommene Gesandtschaft aus Frankreich in einem in St. Peter am Hart bei Braunau errichteten

21 Harald Fillunger: Manuskript zur Stammbaumforschung, a.a.O...... 169 Pavillon statt, unmittelbar an der Grenze Österreichs mit Bayern, das damals wie die restlichen deutschen Staaten mit Ausnahme Preußens zum französischen Koalitionssystem des Rheinbundes gehörte. Dem Ritual entsprechend völlig neu eingekleidet wurde Marie Luise zwar, aber nicht mehr so entwürdigend wie noch Marie Antoinette (1755– 1793), die als Tochter Maria Theresias ihre Großtante war und sich als Vierzehnjährige ebenfalls in einem extra auf einer Sandinsel im Rhein an der damaligen Grenze Frankreichs errichteten Gebäude „vor dem ganzen österreichischen Gefolge bis auf die Haut entkleiden“ musste, weil sie ab nun „nur Stoff französischer Herkunft“ tragen durfte, so die Schilderung Stefan Zweigs.22 Entgegen geläufiger Überlieferungen nahm diese politisch angeordnete Ehe „bald Züge einer geradezu schwärmerischen Liebesbeziehung“ an, wie die Briefwechsel belegen, obwohl Marie Luise dazu erzogen worden war, „ Napoleon zu hassen“. Kurz nach der Geburt seines einzigen legitimen Kindes, die er als Volksfest feiern ließ, liefen die Vorbereitungen für den im Juni 1812 be- ginnenden verhängnisvollen Russlandfeldzug an. Doch die Umsetzung vieler Forderungen der Aufklärung – vor al- lem der Code Napoléon und das Konzept der Staatsbürgerschaft – war in weiten Gebieten in die Wege geleitet. „Herrscher wurden entthront, geistliche Institutionen aufgehoben, Ghettos geöffnet, Zunftrechte, Standesprivilegien und andere Regulierungen beseitigt, Leibeigene und Sklaven befreit. Obgleich all das oft zu französischem Vorteil mit zynischer Ausbeutung des entsprechenden Gebiets und schamloser Plünderung einherging“, vor allem von Kunstschätzen und Bibliothe- ken, so ein heutiges Resümee des Historikers Adam Zamoyski, „wer- teten die Liberalen das Gesamtergebnis als positiv. Daher sahen sich große Teile, in manchen Fällen auch die Mehrheit, der politisch mo- bilisierten Bevölkerungen von Ländern wie Belgien, den Niederlan- den, der Schweiz, Italien, Polen und sogar Spanien im Lager Frank- reichs gegen jene, die das ancien régime wiederherstellen wollten.“23 Aber nach dem Europa neu ordnenden Wiener Kongress vertiefte die von Metternich geprägte Heilige Allianz neuerlich die Kluft zum Wes- ten, weil sich die etablierten Monarchien von dessen gesellschaftlicher Dynamik abschotteten, als „die damalige Dritte Welt jenseits des

22 Stefan Zweig: Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters (Leipzig 1932), Frankfurt am Main 1980, S. 26. 23 Adam Zamoyski: 1812. Napoleons Feldzug gegen Russland, München 2012, S. 22, 61...... 170 Rheins“, so das treffende Bild des Philosophen und Anthropologen Ernest Gellner (1925–1995).24 Ein Resümee von Paul Valéry (1871–1945) beschreibt signifikant damalige Europavisionen: „ Napoleon hat gespürt, daß Europa etwas Besonderes darstellte, und da sein Dämon nun einmal die Organisati- on war, was für die Politik das ist, was die Konstruktion für das Den- ken oder die Kunst ist, so war er“ – da England „ewig in Gegenstellung zu Europa verharren würde“ – „eben auf Zerstörung der englischen Vormacht aus, sodann auf die weitere Öffnung einer Welt, die einmal die gegenwärtige sein würde, durch Vereinigung von ganz Westeuropa unter einer einzigen Verwaltung, unter tätiger Mitwirkung sämtlicher fähigen und gescheiten Leute – wobei die Grenzen dieses gewaltigen Raumes von einem lückenlosen Militärgürtel zu schützen gewesen wä- ren, der sich immer weiter zum Orient hin ausdehnen und durch die einheitliche militärische Grundorganisation, durch Vermischung der Rassen innerhalb und außerhalb der Armee die fortwährend aufgeso- genen und allmählich organisatorisch durchdrungenen Gebiete in ein sanftes Gefälle verwandeln sollte, bis hin nach Paris.“25 Auf dem Kahlenberger Friedhof erhalten hat sich auch der Grab- stein von Karoline Traunwieser (1794–1815), „des schönstes Mädchens von Wien“ zur Zeit des Wiener Kongresses, das damals an Schwind- sucht gestorben war, ohne dass sich ein Porträt überliefert hätte. Ein- graviert ist ein Text des sie verehrenden Orientalisten Josef von Ham- mer-Purgstall (1774–1856), auf den ich in „Graue Donau, Schwarzes Meer“ eingegangen bin, ohne damals an solche Friedhofskonstellatio- nen zu denken. Das prächtigste Grab bekam Charles Joseph Fürst de Ligne (1735–1814), ebenfalls ein Bewunderer Karoline Traunwiesers, dessen Bonmots „Der Kongress tanzt und kommt nicht weiter“ oder „Europa ist in Wien“ geläufig blieben. Für Madame de Staël (1766– 1817) war dieser einflussreiche, aus den Niederlanden stammende Di- plomat der „liebenswerteste Mann Europas“, der wegen seiner Vielfalt „als tapferer Soldat, als Weltmann, Liebhaber, begabter Literat, Kunst- kenner und schließlich als der ‚Einsiedler vom Kahlenberg’“ weithin geschätzt wurde und an die vierzig Bände eigener Schriften hinterließ.

24 Ernest Gellner: Pflug, Schwert und Buch. Grundlinien der Menschheitsge- schichte, Stuttgart 1990, S. 133. 25 Paul Valéry: Cahiers/Hefte (Paris 1973/1974), Frankfurt am Main 1992, Band 5, S. 471...... 171 Damit war er eine Parallelerscheinung zu Jan Potocki (1761–1815), des- sen „Handschrift von Saragossa“ mich früh beeindruckte. Sowohl Hammer-Purgstall wie Fürst de Ligne gehörten zu der Delegation, die Frankreichs künftige Kaiserin Marie Luise nach Paris begleitet und in Enns Station gemacht hatte26, wo Fanny Schellmann, die Schwägerin meines neben de Ligne begrabenen Ururgroßvaters Oberst Franz Xaver Reder, ihr am 15. März 1810 Blumen überreichte. Hinzugekommen ist in neuerer Zeit nur das Grab von Prälat Leo- pold Ungar (1912–1992), dem aus jüdischer Familie stammenden, in der Emigration zum katholischen Priester gewordenen langjährigen Leiter der Caritas der Erzdiözese Wien, der vorlebte, wie Kirchennähe durch öffentliches Wirken noch sinnvoll sein kann. Wir trafen uns öf- ter zu Arbeitsgesprächen, weil seine rechte Hand Ilona Seilern (1913– 1993) die Caritas im Österreichischen Hilfskomitee für Afghanistan vertrat, das von 1980 bis 1994 in Pakistan und Afghanistan mit bis zu 300 lokal Beschäftigten umfangreiche Programme durchführte und dessen nebenberuflicher Hauptorganisator ich war.27 Auch für Barba- ra Coudenhove-Kalergi war dieser weltläufige Karl Kraus-Kenner „ei- ner der wirklich bemerkenswerten Leute der frühen Zweiten Repub- lik“ und Ilona Seilern „kaum weniger bemerkenswert“. „Im traditio- nellen kirchlichen Milieu“ hatte er es „nicht ganz leicht, in das er pass- te wie die Faust aufs Auge.“28 Ebenso prägnante Begegnungen an Rändern kirchlicher Akzep- tanz gab es mit Ernesto Cardenal in Nicaragua oder mit Ivan Illich (1926–2002), der mir statt meiner damaligen Arbeit an Krankenhaus- reformen in Wien und Hamburg zum Engagement für Barfußmedi- zin in der Dritten Welt riet, was wir bei der Afghanistanhilfe beherzig- ten. Mit wichtigen Büchern wie „Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik“, „Die Nemesis der Medizin. Von den Grenzen des Gesundheitswesens“ oder „Fortschrittsmythen“ war er über Jahre eine wichtige Stimme, sah aber keinen Sinn darin, sich in Europa an für ihn viel zu pragmatischen Reformvorhaben zu beteiligen. Als aus Wien und ebenfalls aus jüdischer Familie stammender Priester und

26 Graphische Sammlung Albertina (Hg.): Charles Joseph Fürst de Ligne, Ausstel- lungskatalog, Wien 1982, S. 7, 60. 27 Christian Reder: Afghanistan, fragmentarisch, Wien – New York 2004. 28 Barbara-Codenhove-Kalergi: Zuhause ist überall. Erinnerungen, Wien 2013. S. 131 f...... 172 Autor gab er sein Amt zugunsten seines Lateinamerikainstituts im Me- xiko auf. Wegen vieler Freunde dort liegt er in Bremen begraben. Sonst ergaben sich nur noch durch mein 1985 im Falter publizier- tes Gespräch mit Bischof Egon Kapellari kirchliche Kontakte. Im von ihm mehrfach redigierten Text heißt es unter anderem: „Die mystische Dimension wird vernachlässigt oder gar diskreditiert. Auf diese Weise verwandelt sich aber Christentum in eine moralische Leistungsgesell- schaft. Kein Wunder, daß manche Leute aus solchen christlichen Mi- lieus vor Jahren weitergewandert sind in der Einbahnstraße des Ra di- ka lis mus.“29 Wiedergetroffen haben wir uns – weil gerade Friedhöfe Anlässe dafür bieten – beim Begräbnis von Walter Pichler (1936–2012), dessen Kunst auch er sehr schätzte, da wir beide aufgefordert waren, die Grabreden zu halten.

GEGENREFORMATION. Als Österreich weitgehend protestantisch war, wurde der Fischer Hans Reder aus Ebelsberg bei Linz 1598 akten- kundig, weil er dagegen protestierte, wieder zum katholischen Glau- ben gezwungen zu werden, und vier Wochen Bedenkzeit verlangte. Um einer Geldstrafe zu entgehen oder donauabwärts auswandern zu müssen, fügte er sich schließlich offenbar den Vertretern des Bischofs von Passau. Bis ins 20. Jahrhundert fiel kein anderer unserer Vorfah- ren dann noch durch unzivilisiertes oder strafwürdiges Verhalten auf. Die früheste Spur meiner Familie väterlicherseits findet sich 1580 im Besitzrechteverzeichnis von Schloss Ebelsberg, das einen Fischer na- mens Reder erwähnt, vermutlich der Vater des Hans Reder, dem die Häuser Nr. 82 im Dorf und Nr. 11 am Flussufer der Traun gehörten. Linien weiblicher Vorfahren verzweigen sich wegen oft nicht überlie- ferter Mädchennamen im Unbekannten. Durch die Lage an der Traun-Mündung in die Donau war Schloss Ebelsberg in immer wieder aufflackernden, aber vergeblichen Bauern- kriegen gegen die bayrische Besatzung oft umkämpft, was aber die ge- nerelle Rekatholisierung nicht verhindern konnte. Bis zur Säkularisie- rung unter Joseph II. blieb es ein Vorposten des Bistums Passau, das im Mittelalter phasenweise bis über Wien hinaus reichte. Deswegen ist der erste Märtyrer St. Stephan, der Stadtpatron Passaus, donauabwärts so dominant, vom Wiener Stephansdom bis zum ungarischen Natio-

29 Schönes, altes Haus. Bischof Egon Kapellari im Bespräch mit Christian Reder und Christian Ankowitsch, Falter Wien, Nr. 4, 1985...... 173 nalheiligen Stephan I., der mit der Herzogtochter Gisela von Bayern verheiratet war, deren Grab in Passau ein Wallfahrtsort traditionsbe- wusster Ungarn blieb. Nach dem Sieg Napoleons in der Schlacht bei Ebelsberg im Mai 1809 wiederum, mit zehntausend Toten und schwe- ren Zerstörungen des Ortes, war für seine Armee der Weg zur neuer- lichen Besetzung Wiens frei. Als das im Jahr darauf zu seiner Ehe mit Marie Luise von Österreich führte, war meine Ururgroßtante Franzis- ka Schellmann, wie erwähnt, durch ihre Begrüßungsfunktion in Enns in für sie ergreifender Weise involviert. Genauer wird unsere Ahnenreihe mit Thomas Reder (1665–1732) und seinem Sohn Mathias Reder (1694–1766), beide Fischer in Ebels- berg. Dessen Sohn, der Fischer und Bäcker Mathias Reder d. J. (1745– 1823), übersiedelte nach Enns und im Jahr der Französischen Revolu- tion nach Steyr. Von dieser Steyrer Reder-Linie zweigte sich durch den neuen Wohnsitz eines seiner Söhne, meines Ururgroßvaters, des auf dem Kahlenberger Friedhof begrabenen Oberst Franz Xaver Reder (1793–1881), unsere Wiener Linie ab. Von Citoyen-Traditionen wurde nichts bekannt; selbstgenügsames Biedermeier dürfte charakteristi- scher gewesen sein. Über dessen Bruder Mathias Reder (1795–1865) setzte sich die Steyrer Linie fort. Den von ihm dort 1831 gegründeten, lange mit Flößen und Schiffen betriebenen Holzhandel, woran die Re- derinsel und die Rederbrücke erinnern, übernahm sein Sohn Josef Re- der (1825–1893). Seit dessen Söhne Josef Reder d. J. (1864–1885), der lungenkrank jung in Kairo starb, und Carl Reder (1856–1943) das Un- ternehmen fortführten, hieß es nach ihnen J. & C. Reder. Nachfolger Carl Reders wurde dessen einziger Sohn Josef Reder (1889–1975), der mit Emma Buddenbrock (1894–1962) verheiratet war, der Tochter des Vizepräsidenten der Steyrer Waffenfabrik, zeitweise die größte Euro- pas. Sie machten 1939 meinen Vater zum Partner.30 Den durch seinen Nobelpreis-Roman „Buddenbrooks. Zerfall einer Familie“ berühmt gewordenen Namen hat Thomas Mann metaphorisch für die be- schriebene Familie aus hanseatischem Großbürgertum verwendet. In Steyr jedoch kam es sichtlich zu keinen solchen Verstrickungen. Zum „gehobenen Bürgertum“ gehörend, dürfte es in der Familie Reder selbstverständlich gewesen sein, als „Inbegriff an Redlichkeit“ zu gel- ten, um Bruno Kreiskys Beschreibung solcher auf Konventionen und

30 Festschrift 100 Jahre J. & C. Reder, Steyr – Wien, 1831–1931, Wien 1931...... 174 Zwei Brüder: die ältesten Bilder von Vorfahren Steyrer Linie Mathias Reder (–) | Wiener Linie Franz Xaver Reder (–)

Anstand orientierter Lebensweisen zu verwenden.31 Denn bürgerliche Tugenden wie Höflichkeit, Ordnung, Fleiß, Sparsamkeit, Bildung und Pünktlichkeit sollten zur Abgrenzung vom Adel und den unteren Schichten ein bürgerliches Selbstbewusstsein bestärken, mit geschäft- licher Korrektheit als komplizierter werdender Form traditioneller Handschlagqualität. Unsere Familientradition, Erstgeborene Franz Xaver zu nennen, bezieht sich in exotischer Weise auf den in Indien, Malakka und Japan missionierenden Jesuiten Franz Xaver (1506–1552), der wie ich an ei- nem 7. April geboren wurde. Zum Rufnamen wurde mein dritter Na- me Christian, der bei 1944er Jahrgängen noch selten war. Der Traditi- on ihrer Schweizer Mutter folgend, wuchsen meine Frau und unsere beiden 1966 geborenen Zwillingstöchter protestantisch auf. Vor diesen Recherchen waren mir die genaueren Familienkonstel- lationen nur vage bekannt. Im Unterschied zu den Verwandten in Steyr hat sich von Wien aus nie ein Großfamiliensinn ergeben, so die Kindheitserinnerungen, weil solche Kontakte in den Jahren nach 1945 immer sporadischer wurden, selbst mit den Geschwistern des Vaters. Auch zwischen ihm und seinen ungarischen Schwiegereltern und de- ren Verwandten blieben sie distanziert. Von Momenten abgesehen,

31 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten, a.a.O., S. 9 f...... 175 wurde als Normalität erfahren – weil es auch rundum vielfach so war –, wie sehr Familienidylle ideologisch überfrachtet wird, kam es doch während unseres Heranwachsens selbst mit den Eltern nur sehr bedingt zu wirklich vertrauensvollen Beziehungen.

1848. SOLFERINO. MAYERLING. Das Denkmal für die in ei- nem Massengrab auf dem Schmelzer Friedhof in Wien bestatteten Märzgefallenen der Revolution von 1848 konnte erst nach langen De- batten 1864 vom Steinmetzmeister Franz Reder errichtet werden. Von dort wurde es auf den neuen Zentralfriedhof in die eher periphere Gruppe 26 verlegt, erinnert es doch auch indirekt an das „Kommunis- tische Manifest“.32 Zur engeren Verwandtschaft hat dieser engagierte Handwerker nicht gehört. Die Namensgleichheit liefert aber einen Anhaltspunkt für Aufmerksamkeit, gerade weil das genetischen Bezie- hungen ihre Zwanghaftigkeit nimmt. Anschaulicher als jedes Monu- ment zeigt sich die latente Furcht des Habsburgerreiches vor der eige- nen Bevölkerung, weil Wien nach 1848 mit der Rossauer Kaserne (da- mals Rudolfskaserne), der nicht mehr existierenden Franz-Joseph-Ka- serne (auf dem Areal des späteren Kriegsministeriums) und dem Arse- nal mächtige Anlagen erhielt, von denen aus die Stadt militärisch kon- sequent kontrollierbar sein sollte, so wie Budapest durch den Ausbau der düsteren Zitadelle auf dem Gellértberg. Auf eine nachhaltige Orientierung am Aufstand der Frühsozialisten und Nationalliberalen von 1848 lässt – ohne dass Deutschnationales be- sonders dominant wurde – das einzige über sechs Generationen in un- serer lange von Offizieren geprägten Familie weitervererbte Buch schlie- ßen, die im Eigenverlag erschienene „Denkschrift über die Wiener Oc- tober-Revolution“ von W. G. Dunder, der eigentlich Václav Jiří Dundr (1811–1872) hieß.33 Überliefert wurde, dass dessen Besitz über Jahre hin-

32 Werner Telesko: Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bil- denden Kunst des 19. Jahrhunderts, Wien 2008, S. 70. 33 W. G. Dunder (Václav Jiří Dundr): Denkschrift über die Wiener October-Re- volution: Ausführliche Darstellung aller Ereignisse aus amtlichen Quellen ge- schöpft, mit zahlreichen Urkunden begleitet, dann nach eigenen Erlebnissen und nach authentischen Berichten von Augenzeugen und Authoritäten, nebst einem Rückblick auf die vorausgegangenen Zustände vom 13. März bis 5. Oc- tober 1848, dem Namen-Verzeichnisse der Minister, der Reichstags-Abgeordne- ten, der Gemeinderäthe, der Nationalgarde-Verwaltungsräthe, dem Stande der Ober-Commando-Offizier-Corps, der Nationalgarde- und der k. k. Militär- Macht, Eigenverlag, Wien 1849...... 176 Zentralfriedhof Wien: Obelisk für die Opfer des . März  von Steinmetz- meister Franz Reder

W. G. Dunder: Denkschrift über die Wiener October-Revolution, Wien  weg gefährlich war und es mit Stolz bewahrt wurde. Den 900 Seiten mit Dokumenten belegten Beschreibungen ist die explizit bürgerliche Widmung vorangestellt: „Für Kaiser, Österreichs Gesamtstaat, Gesetz, Freiheit und Gleichberechtigung.“ Erst 1929 wurde der Achtundvierzi- gerplatz in Breitensee durch Benennung umliegender Straßen nach da- maligen Opfern zur sozialdemokratisch orientierten Gedenkstätte...... 177 Von meinem Urgroßvater Franz Reder (1830–1916) ist nur be- kannt, dass er, beruflich seinem Vater folgend, unter Radetzky – der 1848 auf das eigene Volk schießen ließ, aber weiter gefeiert wird – auf dem italienischen Kriegsschauplatz an mehreren Schlachten teilnahm und zweimal verwundet wurde. Es dürfte sich um Custoza und Nova- ra (1848/49) sowie um Magenta und Solferino (1859) gehandelt haben. 1866 pensioniert, soll er wegen des hohen erreichten Alters die mit 50 Jahren längste Pensionszeit aller Militärs der Monarchie erreicht ha- ben. Als Ausgleich arbeitete er in der Holzfirma der Verwandten aus Steyr mit, die damals am Donaukanal ihre Wiener Niederlassung eta- blierten, weil Gründerzeit und Weltausstellung das Geschäftsvolumen anwachsen ließen. Dass Franz Reders Lebensdaten jenen von Kaiser Franz Joseph entsprechen, wurde immer wieder als beeindruckende Parallele hervorgehoben. Sein Bruder Albert, mein Urgroßonkel, war Militärarzt am Jose- phinum in Wien. Wegen seiner Verdienste als Chirurg, Dermatologe und Syphilisforscher bekam er das Adelsprädikat Albert Reder Ritter von Schellmann (1826–1904) verliehen, für das er den Mädchennamen seiner Mutter wählte. Sein Offizier gewordener Sohn Ferdinand Reder (1869–1924) wurde durch die Ehe mit dessen Schwester, wie erwähnt, zum Schwager des Marinefliegers Gottfried von Banfield, dessen Großvater in Solferino gefallen war. Zu dieser verheerenden Schlacht verfasste wiederum Albert Reder in jungen Jahren einen Bericht über die völlig unzureichende Versorgung der ins Wiener Garnisonsspital gelangten Verwundeten, in dem er „einen sehr anschaulichen Einblick in die Grenzen der damaligen Transport- und Behandlungsmöglich- keiten“ lieferte, wie es in einer Würdigung heißt. „Denn die Prinzipi- en der ‚Krankenzerstreuung’ und der antiseptischen Wundbehandlung waren gerade erst in Entwicklung begriffen.“ Als Zeitgenosse von Pi- onieren wie Ignaz Semmelweis, den Intrigen nach Budapest vertrie- ben, und von Theodor Billroth setzte er sich intensiv für sanitäre und hygienische Maßnahmen ein. Als Vertreter „der langsam aufkommen- den naturwissenschaftlich fundierten Medizin“ wurde er Präsident des Doktorenkollegiums, einem Äquivalent der späteren Ärztekammer. Vorrangig widmete er sich dem Eindämmen von Blattern und Tuber- kulose, die damals ein Viertel der Gesamtsterblichkeit Wiens aus- machten. Die „antiseptische Wundbehandlung“ bezeichnete er „als

...... 178 die humanste Erfindung seines Jahrhunderts“.34 In der eher kursori- schen „Geschichte der Gesellschaft der Ärzte in Wien seit 1838“ wird er allerdings nur als Vortragender erwähnt.35 Dass er wegen dessen Sy- philiserkrankung zu den Leibärzten von Kronprinz Rudolf (1858–1889) gehörte, wie es familienintern überliefert ist, macht die führende Stel- lung in seinem Fachgebiet plausibel, ist jedoch angesichts dabei übli- cher Diskretion kaum verifizierbar. In Erinnerung bleibt Solferino auch als Schauplatz der Schlüs- selszene am Beginn von Joseph Roths „Radetzkymarsch“, als dem jungen Kaiser Franz Joseph das Leben gerettet wird, weil der Leut- nant Trotta jenen Schuss mit der eigenen Schulter abfängt, „der dem Herzen des Kaisers gegolten hatte“.36 Nachhaltig präsenter ist, dass der zufällig in das Gemetzel von Solferino geratene Bankier und Ge- schäftsmann Henri Dunant (1828–1910) aus Genf dort spontan Hil- fe organisierte, als Beginn des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Aus den Leitungsgremien der neuen Organisation rasch ver- drängt, bekam er 1901 dann doch den von Berta von Suttner (1843– 1914) angeregten ersten Friedensnobelpreis. Seine grundlegende Ein- sicht: „Für eine Aufgabe dieser Art kann man keine Lohnarbeiter brauchen.“ Denn von den 300.000 bei Solferino kämpfenden Solda- ten der französisch-sardischen und der österreichischen Armee – Franzosen, Ungarn, Kroaten, Italiener, Marokkaner, Deutsche, Böh- men, Rumänen – kam mehr als ein Viertel um, wurde sterbend er- schlagen, ausgeraubt, oft lebendig begraben, obwohl sehr viele hät- ten gerettet werden können.37 An Rudolfs Tod in Mayerling wiederum erinnerte sich Stefan Zweig von Kindheit an: „Damals war die ganze Stadt in einem Auf- ruhr ergriffener Erregung gewesen“, weil man „einem fortschrittlichen und menschlich ungemein sympathischen Habsburger die größten Erwartungen entgegengebracht hatte“, während 1914 nach dem Atten-

34 Gabriela Schmidt, Karl Holubar: Albert Reder Ritter von Schellmann, Sudhoffs Archiv, Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte, Band 74, Wiesbaden – Stuttgart 1990, S. 172 ff. 35 Karl Heinz Tragl: Geschichte der Gesellschaft der Ärzte in Wien seit 1838, Wien 2011, S. 100. 36 Joseph Roth: Radetzkymarsch (Berlin 1932), München 1981, S. 5 f. 37 Krieger ohne Waffen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Hg. Hans Magnus Enzensberger, Frankfurt am Main 2001, S. 27 ff., 47, 53 ff...... 179 tat auf den nächsten Thronfolger an den Gesichtern „keine sonderli- che Erschütterung oder Erbitterung“ mehr abzulesen war.38 Dass im für Österreich denkwürdigen Mayerling-Jahr 1889 Adolf Hitler geboren wurde, aber auch Walter Serner, der 1942 wie seine Frau Dorotea mit allen Deportierten bei Riga ermordet wurde, sowie Lud- wig Wittgenstein, Jawaharlal Nehru, Anna Achmatowa, Arnold Toyn- bee, Martin Heidegger oder Charlie Chaplin, verweist in bedrücken- der Konsistenz auf Kommendes – wie auf individuell möglich bleiben- de Freiheiten.

HOTEL KLOMSER. SCHNITZLER. VORWÄRTS. Das nicht mehr existierende Wiener Hotel Klomser in der Herrengasse 19, Ecke Bank- gasse 2, war Teil des aus dem Palais Orsini-Rosenberg und dem Palais Batthyány gebildeten, mehrfach umgebauten Gebäudekomplexes. Zeitgeschichtlich relevant wurde es durch Oberst Alfred Redl (1864– 1913), der dort, nachdem er als vom Thronfolger Franz Ferdinand ge- förderter Vize-Geheimdienstchef selbst der Spionage für Russland und Serbien, für Italien und Frankreich überführt worden war, seinem Le- ben ein Ende setzte, wie es ihm nahegelegt wurde. Er operierte haupt- sächlich vom alten Kriegsministerium Am Hof aus, vor dem 1848 der Kriegsminister Latour von einer aufgebrachten Menge gelyncht wor- den war. Das an dieser Stelle errichtete Bankgebäude wurde zur Zen- trale der Länderbank und nun zum Park Hyatt Hotel. Um seine aufwendige Lebenshaltung und homosexuelle Bezie- hungen zu finanzieren, lieferte Oberst Redl von ihm fotografierte Mobilmachungspläne, Truppenstärken, Inspektionsberichte, Fes- tungspläne sowie Unterlagen über die Spionageabwehr und österrei- chische Agenten. Aufgeflogen war er durch eine als verdächtig über- wachte postlagernde Briefsendung, die er unter dem Decknamen „Nizetas“ an der Wiener Hauptpost behob. In Lemberg in der Fami- lie eines Eisenbahnbeamten aufgewachsen, sprach er Deutsch, Pol- nisch, Ukrainisch und später auch Russisch. Da die meisten verrate- nen Pläne der damaligen militärischen Logik entsprachen, blieb strittig, ob der Schaden so groß war wie vielfach angenommen. Den Recherchen von Verena Moritz und Hannes Leidinger in ihrem Buch „Oberst Redl“ von 2012 zufolge könne „als höchstwahrschein-

38 Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers (1942), Frankfurt am Main 2007, S. 248...... 180 Familiär wichtig gewordene Orte: ehemaliges Hotel Klomser, Wien ., Herreng. 

Tabak-Trafik am Hof Verena Moritz, Hannes Leidinger: Oberst Redl. Wien 

...... 181 lich gelten, dass – neben Eisenbahn- und Etappenvorschriften, Un- terlagen über den allgemeinen Stand der k. u. k. Streitkräfte und ei- ner Reihe von Detailbestimmungen unter anderem über Galizien – die Mobilisierungsanweisungen für den Kriegsfall ‚R (Russland)’ und ‚I (Italien)’ sowie die ‚Kriegs-Ordre de bataille’ vollständig für den Balkan und großteils für ‚R’ und ‚I’ durch die Hände Redls gin- gen“. Dennoch sei inzwischen fast zweifelsfrei auszuschließen, dass sich seine Agententätigkeit tatsächlich „auf die anfänglichen Nieder- lagen der Habsburgerarmee gegen Russland“ auswirkte.39 Für den Historiker Manfried Rauchensteiner wog am schwersten, „dass er Leu- te verraten hatte, die in Russland nachrichtendienstlich für Österreich tätig gewesen waren, und dass er es auch jahrelang zu verhindern wuss- te, dass zusätzliche Kenntnisse beschafft werden konnten“. Aber „dass die Gesamtstärke der k. u. k. Armee hinter jener der Russen markant zurückblieb, war allgemein bekannt und musste sicher nicht verraten werden“. Obwohl nach Entschlüsselung des russischen Codes die geg- nerischen Depeschen mitgelesen werden konnten, waren die Folgen des Verrats „nicht gänzlich gutzumachen. Denn Redl hatte nun einmal geheime Dienstbücher, Mobilisierungsanweisungen, Deckadressen und die Unterlagen des Generalstabsspiels 1910/11 verraten“. Es sei aber unsinnig, „daraus ableiten zu wollen, dass damit der Krieg von Anbeginn an verloren gewesen wäre“.40 Bei einem Jahresgehalt von maximal 15.000 Kronen, was knapp 90.000 Euro entspricht, soll Redl in wenigen Jahren ein Vermögen von einer Million Kronen angehäuft haben. Teure Autos, Pferde und luxuriöse Ausgaben begründete er mit einer Erbschaft, ohne dass das je überprüft worden wäre. Die intimen Einblicke in die Welt hoher Offiziere und ungeklärt bleibende Hintergründe irritierten die Öf- fentlichkeit angesichts eskalierender Kriegsgefahren nachhaltig, mit Joseph Roths Freund Egon Erwin Kisch als Schlüsselfigur der nachfor- schenden Reporter. Von Redl zerrissene kompromittierende Papiere hatten ihm folgende Detektive in der Ferstel-Passage aufgelesen. Noch nach der Versteigerung seines Besitzes wurde in einer Kamera ein Film mit Aufnahmen geheimer Dokumente entdeckt. Stefan Zweig kannte ihn flüchtig als gemütlich aussehenden, genießerischen Herrn mit Zi-

39 Verena Moritz, Hannes Leidinger: Oberst Redl. Der Spionagefall, der Skandal, die Fakten. Residenz Verlag, Wien 2012, S. 76, 78, 121, 190 f., 225, 243. 40 Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger Monarchie, Wien 2013, S. 166 f...... 182 Großeltern väterlicherseits: Franz Reder (–) und Karoline Reder, geb. Schneider (–)

Arthur Schnitzler: Jugend in Wien. Arthur Schnitzler: Professor Eine Autobiographie (), Bernhardi und andere Dramen. Frankfurt am Main  Frankfurt am Main  garre und beschrieb den Fall ausführlich, als Beispiel dafür, „wie sehr wir mitten im Leben vom Geheimnis umstellt sind“.41 Der spätere Bundespräsident General Körner, mit dem wiederum Oberst Lehár oft Kontakt hatte, war mit Redl befreundet. Dessen früherer Unterge- bener Maximilian Ronge (1874–1953), Großvater des eingangs aus-

41 Stefan Zweig: Die Welt von Gestern, a.a.O., S. 237 ff...... 183 führlich zitierten Historikers Gerhard Jagschitz, wurde neuer Geheim- dienstchef. Zeitweilig hatte die liberale Zeitung Der Standard in der Herrengasse 19–21 ihren Sitz, bevor sie an den Wienfluss übersiedelte. Im Hotel Klomser fand Jahre vor dieser die Monarchie erregenden Spionageaffäre das Hochzeitsessen meiner Großeltern väterlicherseits statt, weil es schon früher einmal für die Braut Karoline Schneider (1866–1915) der Ort einer lebensentscheidenden Wende gewesen war. Stigmatisiert als uneheliches Kind, war sie nach dem frühen Tod ihrer Mutter, der Tochter eines Volksschuldirektors in der Leopoldstadt, mit 14 Jahren Vollwaise geworden. Ihr Vater, ein junger Offizier, war vor ihrer Geburt verschwunden. Entweder war er 1866 in Königgrätz ge- fallen oder er konnte, plausibleren Versionen zufolge, die für eine Hei- rat nötige Kaution nicht aufbringen oder stand schlicht nicht zu seiner Zusage. Um Aufsehen zu vermeiden, kam das Kind in Mähren zur Welt. In einer bald darauf geschlossenen Ehe der Mutter mit einem in St. Andrä-Wördern bei Wien tätigen Lehrer wurde es legalisiert und bekam noch eine Halbschwester, die zur Direktrice eines großen Mo- desalons aufstieg. Nach dem Tod von Mutter und Stiefvater kam Ka- roline Schneider unter die Obhut eines in Wien-Döbling lebenden Onkels, der mit seinen acht Kindern ein Dienstmädchen brauchte. Um diesem Schicksal zu entgehen, wandte sie sich an den ihr bekann- ten Portier des Hotels Klomser, der sie als Kammerzofe an eine dort oft logierende italienische Gräfin vermittelte. Mit ihr zog sie für Jahre nach Mailand. Nach deren Tod nach Wien zurückgekehrt, wurde sie Verkäuferin in der heute noch existierenden Trafik für Tabakspeziali- täten Am Hof. Dabei lernte sie ihren späteren Mann Franz Reder (1863–1942) kennen, der sich als Beamter der Merkurbank dort mit Zi- garren versorgte. Es wurde eine glückliche Ehe, obwohl eine außerehe- lich geborene Verkäuferin vielen Verwandten für den Sohn eines Offi- ziers und Neffen des angesehenen Arztes und geadelten Hofrats Albert Reder Ritter von Schellmann keineswegs als standesgemäß galt. Franz Reder wechselte als Prokurist zur Wiener Holzfirma der Verwandten, um sich finanziell zu verbessern, und auch mein 1903 ge- borener Vater, ihr drittes Kind, bekam dort 1922 Arbeit, die angesichts der Arbeitslosigkeit rundum zur Lebensstellung wurde. Auf den Tod seiner Mutter kam er immer wieder zu sprechen, die, erst 49 Jahre alt, im Februar 1915 einem Herzschlag erlag, als ihre vier Kinder zwischen acht und sechzehn Jahre alt waren. Die älteste Tochter Marie Reder (1899–1977) wurde Lehrerin und heiratete Karl Resch (1886–1965), der ...... 184 als Oberbaurat maßgeblich am Straßenbau im Burgenland beteiligt war. Die früh an Multipler Sklerose erkrankte Schwester Karoline Re- der (1900–1960) arbeitete vorerst als Buchhalterin in der Familienfir- ma und lebte mit der Pflegemutter bei meinem Vater, bis ihre Schwes- ter und zuletzt ein Heim die Betreuung übernahm. Der jüngere Bru- der Richard Reder (1907–1993) wurde Tierarzt in der Steiermark. Er liegt mit seiner Frau Martha Reder (1907–1975) in Straß begraben. Ein sonderbarer Zufall ist, dass der Pfarrer Franz Reder im „Pro- fessor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler (1862–1931) als einzige Figur der Weltliteratur so heißt wie alle erstgeborenen Söhne seit meinem Ururgroßvater. Das 1912 in Berlin erstmals aufgeführte Stück handelt um 1900, blieb aber in Österreich-Ungarn wegen der scharfsinnig- analytischen Kritik am Zusammenspiel antisemitischer, deutschnatio- naler und klerikaler Tendenzen verboten. Noch Ende 1945 wurde es verhindert, wie der Wiener Montag berichtete, der meinen Vater Franz Reder wegen seiner Nazi-Funktionen angriff. Indem über das skrupel- lose Taktieren des Pfarrers selbst unter Wahrheitspflicht vor Gericht reflektiert wird, thematisiert es vieles, was auch für hier behandelte strenge Katholiken sehr bezeichnend war. Sein perfides Mitwirken an der Bernhardi durch Rufmord beruflich ruinierenden Intrige rechtfer- tigt Pfarrer Franz Reder zynisch mit realpolitischen Zwängen, denn andernfalls „hätten die Feinde unserer heiligen Kirche eine solche Er- klärung weit über das Maß ausgenützt, für das ich die Verantwortung hätte übernehmen können. Denn wir haben nicht nur loyale Feinde, Herr Professor, wie Ihnen gewiß nicht unbekannt sein wird. Und die geringfügige Wahrheit, die ich ausgesprochen hätte, wäre dadurch in einem höheren Sinn Lüge geworden“.42 Angespielt wird damit auch auf die antisemitischen Machinationen der 1894 von Theodor Herzl (1860–1904) in Paris miterlebten Alfred- Dreyfus-Affäre. Eine Feststellung von Gustav Mahler (1860–1911), als katholisch gewordener Komponist und Hofoperndirektor in Wien trotz aller An- feindungen längst offiziell etabliert, präzisiert die Ambivalenz damali- ger Einstellungen: „Ich bin dreifach heimatlos: als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt. Überall bin ich Eindringling, nirgends ‚erwünscht’.“43

42 Arthur Schnitzler: Professor Bernhardi und andere Dramen. Das dramatische Werk, Band 6, Frankfurt am Main 1979, S. 221. 43 Gustav Mahler in: Steven Beller: Wien und die Juden 1867–1938, Wien 1993, S. 226...... 185 Dabei hatten viele, so Arthur Schnitzler in seiner Autobiographie, „zum sogenannten Glauben“ ihrer Väter, „zu dem, was in diesem Glauben eben wirklich Glaube war – nicht Erinnerung, Tradition, At- mosphäre –, so wenig innere Beziehung als zu einem anderen“. Es war aber nicht möglich, „insbesondere für einen Juden, der in der Öffent- lichkeit stand, davon abzusehen, daß er Jude war, da die anderen es nicht taten, die Christen nicht und die Juden noch weniger“. Ange- sichts sich verschärfender Feindseligkeiten beschrieb er das, was mög- lich hätte bleiben können, mit abgeklärt wirkender Toleranz. Denn „in der Spätblütezeit des Liberalismus existierte der Antisemitismus zwar, wie seit jeher, als Gefühlsregung in zahlreichen, dazu disponier- ten Seelen und als höchst entwicklungsfähige Idee; aber weder als po- litischer noch als sozialer Faktor spielte er eine bedeutende Rolle. Nicht einmal das Wort war geprägt, und man begnügte sich damit, Leute, die den Juden besonders übel gesinnt waren, fast abschätzig als ‚Judenfresser’ zu bezeichnen“.44 Dass die dafür nötige Liberalität in den radikalisierten Stimmungslagen unterging, war ihm 1920 noch völlig unvorstellbar. Das seit 1911, der Entstehungszeit von „Professor Bernhardi“, Re- dergasse genannte kurze Stück der über die Rechte Wienzeile zur In- nenstadt führenden Bundesstraße 1 beim Naschmarkt – wo es als Ad- resse heute nur das staatliche AMS-Arbeitsmarktservice gibt – hat nichts mit Schnitzlers Pfarrer zu tun, sondern erinnert an den Ge- meinderat und Bezirksvorsteher von Margareten, Josef Ferdinand Re- der (1808–1881), einen Seidenwarenfabrikanten, über dessen eventuel- le Verwandtschaft nachzuforschen angesichts der gewichtigen Vergan- genheit des nebenan liegenden Vorwärts-Gebäudes kaum eine Rele- vanz ergäbe. Denn dieses war von 1909 bis 1934 die Parteizentrale der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die als Sozialdemokratische Par- tei jetzt in Sichtweite des Rathauses hinter dem Burgtheater residiert. Auch die wichtigsten Parteibetriebe, die Vorwärts-Druckerei und die zur AZ gewordene, 1991 eingestellte Arbeiter-Zeitung hatten dort ihren Sitz. Im Hauptgebäude herrscht heute museale Ruhe. Es beherbergt Archive: den Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, das Johan- na- Dohnal-Archiv und die Kreisky-Stiftung. Die Nebengebäude wur- den zum Hotel Ananas. Von meiner Beraterzeit im Vorwärts-Verlag

44 Arthur Schnitzler: Jugend in Wien. Eine Autobiographie (1920), Frankfurt am Main 1994, S. 77, 93 f., 322...... 186 Arbeitsmarktservice Wien ., Redergasse 

Ehemaliges Vorwärts-Gebäude nebenan: Wien ., Rechte Wienzeile 

...... 187 1972/73 im Auftrag Bruno Kreiskys ist schon in Zusammenhang mit ihm die Rede gewesen. In dem vom Otto-Wagner-Schüler Hubert Gessner für eine selbst- bewusste Arbeiterbewegung errichteten Gebäude empfingen die Pat- riarchen der österreichischen Sozialdemokratie einst Trotzky, Lenin oder Bucharin. Legendär blieb, wie scharfzüngig Leo Trotzky seiten- lang darüber urteilte: „Im alten, kaiserlichen, hierarchischen, betrieb- samen und eitlen Wien titulierten die Marxisten einander würdevoll mit ‚Herr Doktor’. Die Arbeiter redeten die Akademiker oft mit ‚Ge- nosse Herr Doktor’ an. Während der ganzen sieben Jahre, die ich in Wien verlebte, war es mir nicht möglich, auch nur mit einer dieser Spitzen mich offen auszusprechen, obwohl ich Mitglied der österrei- chischen Sozialdemokratie war, ihre Versammlungen besuchte, an ih- ren Demonstrationen teilnahm, an ihren Organen mitarbeitete und manchmal kleine Referate in deutscher Sprache hielt. Ich empfand die sozialdemokratischen Führer als fremde Menschen, während ich gleichzeitig in Versammlungen oder bei Maidemonstrationen mühe- los eine gemeinsame Sprache mit den sozialdemokratischen Arbeitern fand.“45 Gerade die ostentative Stille an diesem geschichtsträchtigen Ort kann zu uferlosen Reflexionen über eine verlorene „gemeinsame Sprache“ wie über sich ändernde Zeiten und Ziele anregen, weil eine sich solidarisch fühlende Arbeiterklasse, um die es so lange ging, offen- sichtlich keine fassbare politische Kategorie mehr für global weiterhin erbarmungslos ausgebeutete Menschen ist und jedwedes Vorwärts- Denken um gerade noch machbare minimale Korrekturen des alterna- tivlos erscheinenden ökonomischen Geschehens kreist. Die „tiefen Irritationen bei den Linksparteien“, die etwa der fran- zösische Historiker Pierre Rosanvallon in „Die Gesellschaft der Glei- chen“ von 2013 konstatiert, führt er primär auf „den Niedergang eines ganzen Komplexes bisheriger Vorstellungen von Recht und Unrecht“ zurück – ohne dass sich deswegen markante Erneuerungstendenzen be- merkbar machen, gerade auch in der phasenweise viel einflussreicheren Sozialistischen Internationale nicht. Denn trotz (oder wegen) fast un- merklich durchgesetzter sozialdemokratischer Positionen beschränken sich derzeit Reformansprüche bestenfalls als „negative Beschwörung“ darauf, weiter „,die Ungleichheiten zu verringern’, ohne ein positives

45 Leo Trotzky: Mein Leben. Versuch einer Autobiographie, Berlin 1961, S. 196 f...... 188 Bild einer wünschenswerten Welt zu entwerfen“, weil die Linke überall „keine Macht mehr“ sei, „die die Welt erklärt und in Bewegung setzt“.46 Auch Tony Judt, den vor allem ein „Nachdenken über das 20. Jahrhundert“ und die „Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegen- wart“ beschäftigte, argumentierte in diesem Sinn: „Die Linke weiß nicht, wofür sie steht, hat keine Vision von einer guten oder auch nur besseren Gesellschaft. In Ermangelung einer solchen Vision bedeutet links sein einfach, ständig zu protestieren. Und da sich die vehemen- testen Proteste gegen die Auswirkungen eines rapiden Wandels rich- ten, sind Linke konservativ.“ Der Stimmenzuwachs für Rechtsextreme und Protestparteien sei ein Versagen der Linken und weil „es uns so schwer fällt, das vergangene Jahrhundert zu begreifen und aus seinen Katastrophen zu lernen“. Denn evident sei: „Der Zusammenhalt der Leute ist zerbrochen und mit ihm eine jahrhundertealte Kultur, in der sich Stolz auf die Arbeit mit einem sozialen Gefüge und der Kontinu- ität über Generationen hinweg verband.“ Beim Reagieren auf die aku- ten sozialen Krisen gehe es somit primär um tatsächlich Schutzbedürf- tige und Schutzsuchende, um die strikte Gleichstellung von Frauen, um die neue Armut überall, um Minderheiten, letztlich also „weniger um die Arbeitslosigkeit als um die ‚Ausgeschlossenen’. Gemeint sind damit all jene, die, aus dem regulären Arbeitsmarkt ausgeschieden, am Rand stehen“, und zwar „außerhalb der üblichen Strukturen und Si- cherheiten, ohne nennenswerte Chance, sich wieder in die Arbeitswelt einzugliedern und von deren Strukturen zu profitieren“. Daher sei die „Aussöhnung zwischen der Linken und dem Kapitalismus“ eine längst „überfällige Entwicklung“. Trotz aller Schwierigkeiten realpolitisch tatsächlich gestaltend einzugreifen, würden alle bisherigen politischen Erfahrungen zeigen, so Tony Judts Perspektive, „dass ein gewisser Li- beralismus, der ein Maximum an Freiheit und Eigeninititive in allen Lebensbereichen garantiert, der einzig mögliche Weg ist“.47 Auch Eric Hobsbawm gelangte nach lebenslangen Reflexionen über marxistische Perspektiven schließlich zu dieser Auffassung, denn „es gebe keine Alternative zur Gesellschaft des individualistischen Ka- pitalismus, und das politische System der liberalen Demokratie, von dem man annimmt, es sei damit organisch verbunden, ist als Regie-

46 Pierre Rosanvallon: Die Gesellschaft der Gleichen, Hamburg 2013, S. 15, 17. 47 Tony Judt: Das vergessene 20. Jahrhundert. Die Rückkehr des politischen In- tellektuellen, München 2010, S. 402, 404, 409, 416...... 189 rungsform fast überall zur Norm geworden“. Seit seiner Zeit in Wien, woher seine Mutter stammte, zehrte er am „enormen Vorteil einer Kindheit im alten Habsburgerreich“, gerade weil dessen Bevölkerung „gleichzeitig in verschiedenen sozialen Welten und unterschiedlichsten historischen Epochen“ lebte. Eben deswegen hätte „die wahrgenom- mene und akzeptierte Vielsprachigkeit, die Multikonfessionalität und Multikulturalität der Monarchie“ – wenn das konsequent genutzt worden wäre – „einer komplexeren historischen Perspektive förder- lich“ sein müssen.48

BAD ISCHL. Bürokratisch gesehen begann der Erste Weltkrieg in Bad Ischl, wo Kaiser Franz Joseph am 28. Juli 1914 die Kriegserklärung an Serbien unterzeichnete und das im Außenministerium ausgearbei- tete Manifest „An meine Völker“ genehmigte. Darin den Beginn der „Urkatastrophe Europas“ zu sehen, nach der Allgemeingut geworde- nen Metapher des US-amerikanischen Historikers und Diplomaten George F. Kennan (1904–2005), lässt meist unbeachtet, dass er von „the great seminal cathastrophe of this century“ gesprochen hat, im Doppelsinn von „ursprünglich“ und „schöpferisch“. Wie John May- nard Keynes (1883–1946) war auch ihm klar, dass das schließlich zur Friedenssicherung ausverhandelte Vertragswerk „schon die Züge der zukünftigen Katastrophe“ in sich trug, „als hätte der Teufel selbst sie ihm aufgeprägt“.49 Entgegen kursierender Relativierungen der Kriegsschuld gelangt Manfried Rauchensteiner in seiner akribischen Untersuchung des Ge- schehens zur Schlussfolgerung: Franz Joseph „wollte den Krieg“, nur „nachträglich kamen ihm manchmal Zweifel“, und auch „Deutsch- land rechnete fix mit dem Großen Krieg“. Um einen alternativlosen Prozess machtpolitischer Verstrickungen handelte es sich nicht. Das Attentat auf den Thronfolger, der, um die Schwächen der Armee wis- send, ein entschiedener Kriegsgegner war, wurde nur als Funke ohne- hin laufender Kriegsvorbereitungen betrachtet. Schon Tage danach fuhr der Kaiser „nach Ischl zurück, so als ob Sarajevo und die Folgen nur eine ärgerliche Unterbrechung seines jährlichen Sommeraufent- halts gewesen wären. Das war umso erstaunlicher, als an diesem 7. Ju-

48 Eric Hobsbawm: Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 466, 468. 49 George F. Kennan: Die französisch-russische Annäherung 1875–1890, Berlin 1981, S. 12...... 190 Manfried Rauchensteiner: Der Erste Christopher Clark: Die Schlafwandler. Weltkrieg und das Ende der Habsbur- Wie Europa in den Ersten Weltkrieg germonarchie –, Wien  zog, München  li zeitgleich ja der gemeinsame Ministerrat angesetzt war, bei dem es um die Grundsatzentscheidung ging, ob Krieg gegen Serbien geführt werden sollte, welche Folgen ein derartiger Entschluss haben konnte und welche Ziele die österreichisch-ungarische Monarchie in einem eventuell zu entfesselnden Krieg verfolgen sollte“. Auch dabei fehlte der Kaiser. Deutschland strebte ein von ihm dominiertes, als Zollunion ver- eintes Kontinentaleuropa als primäres Kriegsziel an, mit imperialen Perspektiven von der Ukraine bis zur Bagdad-Bahn. „Mitteleuropa wird im Kern deutsch sein“, heißt es im damals einflussreichen „Mit- teleu ro pa“-Buch Friedrich Naumanns, denn „die Deutschen in Öster- reich“ seien „das alte Herrschaftsvolk“, obwohl sie „kaum mehr als 35 % der Bevölkerung ausmachen“.50 Für Christopher Clark verhielten sich alle beteiligten Mächte wie „Die Schlafwandler“, so der Titel sei- ner Studie dazu, und ließen sich in den eskalierenden Krieg hineinzie- hen, den einige Großmächte durchaus riskierten. Zwar machte „die Trägheit des österreichischen Regierungshandelns eine Vorbedingung für eine erfolgreiche Lokalisierung des Konflikts zunichte“, es wurde aber jeweils „die Verantwortung für die Entscheidung über Krieg und Frieden eindeutig dem Gegner aufgebürdet“. Sich gedanklich in des- sen Lage zu versetzen war niemand bereit. Zwar gab es vereinzelt „Be-

50 Friedrich Naumann: Mitteleuropa, Berlin 1915, S. 94, 101...... 191 kundungen chauvinistischer Begeisterung für den bevorstehenden Kampf“, aber „der Mythos, dass die Europäer eifrig die Gelegenheit ergriffen hätten, einen verhassten Feind zu schlagen, ist inzwischen völlig widerlegt. An den meisten Orten und für die meisten Menschen wirkte die Nachricht von der Mobilmachung wie ein tiefer Schock, ein ‚Donnerschlag aus heiterem Himmel’“.51 Denn von Angang an er- kannten „Zehntausende Menschen den Krieg als das, was er war: eine Katastrophe“, so auch Adam Hochschild in „Der große Krieg“, über- all bemerkbarem Widerstand gegen diesen nachgehend.52 Wie sehr dennoch patriotische Zwänge um sich griffen, zeigte sich bei vielen auf eine theatralische Erlösung im Krieg hoffenden Intellektuellen oder an der Abstimmung im Berliner Reichstag, denn „gerade 14 von 110 sozi- aldemokratischen Abgeordneten waren gegen die Zustimmung der Parlamentsfraktion zu den Kriegskrediten“. Lenins Gefährtin Alexan- dra Kollontai, die das miterlebte, notierte zum Zusammenbruch inter- nationaler Arbeitersolidarität in der vorbildlichen deutschen Arbeiter- bewegung entsetzt: „Entweder haben sie alle den Verstand verloren, oder ich bin nicht mehr normal.“53 Zu den kriegsauslösenden Konstellationen konstatiert Niall Fer- guson in „Der falsche Krieg“, dass zwar die serbische Regierung vor dem Besuch des Thronfolgerpaares gewarnt habe, es aber starke Kräf- te gab, die im Anfachen eines europäischen Krieges Chancen für eine Neuordnung des Balkans sahen. Entscheidend waren jedoch „die deutschen Militärs, die letztlich durch eine Kombination von Über- zeugungskraft und Trotz die Mobilisierungsbefehle, Ultimaten und Kriegserklärungen durchsetzten, die den Konflikt entfesselten“. Folge- erscheinung dieses „falschen Krieges“ sei immerhin ein „Triumph des Republikanismus“ gewesen: „Das deutsche, russische und türkische Reich wurden verkleinert; das österreichische zerstört. Ungarn schrumpfte zusammen; ebenso Bulgarien – und Großbritannien, das schrittweise den größten Teil Irlands verlor. Neue Staaten wurden ge- bildet: Österreich und Ungarn gingen getrennte Wege; die Serben er- reichten ihr Ziel eines südslawischen Staates – der sich ab 1929 ‚Jugo- slawien’ nannte – zusammen mit den Kroaten und den Slowenen (wie

51 Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013, S. 662, 664, 707. 52 Adam Hochschild: Der Große Krieg. Der Untergang des alten Europa im Ers- ten Weltkrieg, Stuttgart 2013, S. 13, 133. 53 Alexandra Kollontai: Ich habe viele Leben gelebt, Berlin 1981, S. 172...... 192 auch den bosnischen Muslimen); die Tschechoslowakei, Polen, Litau- en, Lettland, Estland und Finnland wurden unabhängig. Italien ver- größerte sich, doch weniger stark, als seine Führer gehofft hatten, es erwarb Südtirol, Istrien, Teile Dalmatiens und (1923) die Inseln des Dodekanes. Frankreich erhielt das 1871 verlorene Elsaß-Lothringen zu- rück. Dieses Land und Großbritannien vergrößerten außerdem ihre Kolonialreiche in Form von ‚Mandaten’ über frühere Besitztümer der Feindländer: Syrien und der Libanon gingen an Frankreich, der Irak und Palästina an Großbritannien, das sich zur Schaffung einer jüdi- schen nationalen Heimstätte im letztgenannten Land verpflichtet hat- te.“ Deutsche Kolonien wurden aufgeteilt als bedenkenlose Neuord- nung kolonialer Weltherrschaft. Außerhalb Europas wurde nationale „Selbstbestimmung“ nirgends zugelassen. „Amerika war nun der Ri- vale Großbritanniens als Bankier der Welt“; „in Russland war die neue Republik eine Tyrannei, die weit blutrünstiger und weniger liberal als jene der Zaren war“. Der von Deutschland „aus einem Schwächege- fühl heraus“ riskierte Krieg habe „das erste goldene Zeitalter wirt- schaftlicher ‚Globalisierung’“ zerstört, so Ferguson, aber „weder Mili- tarismus noch Imperialismus, noch Geheimdiplomatie machten den Krieg unvermeidlich“.54 Ein weiterer britischer Spezialist für diese Zeit, David Stevenson, argumentiert in „1914–1918. Der Erste Weltkrieg“ subtiler, wenn er die „ungeheuer kostspielige Pattsituation“ hervorhebt, die dann „die eu- ropäischen Regierungen und ihre unglücklichen Völker in eine freud- lose und grausame neue Welt katapultierte“. Die geläufige Einschät- zung, „dass 1914 der klassische Fall eines unbeabsichtigten und zufällig begonnenen Krieges war; dass kein Staatsmann ihn wollte, aber dass alle von den Ereignissen überrollt wurden“, sei unhaltbar.55 Denn der Krieg war, so auch Volker Berghahn „von einem kleinen Kreis von Entscheidungsträgern ausgelöst worden, die hauptsächlich in Berlin und Wien saßen und nach dem Missmanagement der Sarajevo-Krise die Flucht nach vorn in den Konflikt mit den anderen Großmächten antraten“. Denn die Generalstäbe gingen schon lange davon aus, „ei- nen Präventivkrieg zu führen, um den Gegner zu schlagen, solange wir den Kampf noch einigermaßen bestehen könnten“, weshalb die Poli-

54 Niall Ferguson: Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert (1998), München 2006, S. 195, 220 f., 380 ff. 55 David Stevenson: 1914–1918. Der Erste Weltkrieg, Düsseldorf 2005, S. 60, 63...... 193 tik „auf die baldige Herbeiführung eines Krieges einzustellen“ sei, „na- türlich“ als präventive Verteidigung, so die Propaganda.56 Von den 56 Millionen eingezogenen Soldaten ( Ferguson nennt 65 Millionen) kamen fast zehn Millionen in den Kampfhandlungen um, annähernd zwanzig Millionen wurden verwundet, oft auch entsetzlich verstümmelt. Über dreißig Millionen Geschwächte fielen Grippe-Epi- demien zum Opfer. Dass „der Zweite Weltkrieg, der noch höhere To- tenziffern produzierte und schließlich im Holocaust kulminierte, eine Fortsetzung des Ersten war“, dafür gäbe es „viele gute Argumente“, so Volker Berghahn in „Der Erste Weltkrieg“.57 Für Ernst Nolte wieder- um sei „Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945“ von „Nationalsozia- lismus und Bolschewismus“ geprägt gewesen, was im „Historiker- streit“ um „die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernich- tung“ zu heftigen Kontroversen führte.58 Eric Hobsbawm hingegen plädiert ohne problematische Vergleiche dafür, die Zeit von 1914 bis 1945 als einen „einunddreißigjährigen Weltkrieg“ zu betrachten und vom „kurzen 20. Jahrhundert“ zu sprechen, das von 1914 bis zum En- de der Sowjetzeit dauerte.59 Unausweichlich sei der Zweite Weltkrieg jedoch keineswegs gewesen, betont Stevenson, denn es sei wichtig, „zwischen direkten Konsequenzen des Ersten Weltkriegs und Ent- wicklungen zu unterscheiden, für die er lediglich die Voraussetzungen schuf“. Stevensons Resümee: Als schlechter Krieg, der zu einem „schlechten Frieden“ führte, sei der Erste Weltkrieg archetypisch da- für, „dass Krieg ein schrecklich stumpfes Instrument ist“. Denn „seine Nachwirkungen können nicht zuverlässig vorhergesagt werden – und er kann die Dinge nur noch schlimmer machen“.60 „Das Trauma der Kriegserfahrung“ und „das Fiasko der Reparati- onspolitik“, so Volker Berghahn zum „Untergang des alten Europa“, begünstigten polarisierte Einstellungen, eine um sich greifende Verstö- rung, die Suche nach Alternativen, radikalen Sozialismus und radika-

56 Volker R. Berghahn: Der Erste Weltkrieg, München 2003, S. 29, 38. 57 Volker R. Berghahn: Der Erste Weltkrieg, a.a.O., S. 8 ff. 58 Ernst Nolte: Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus, München 1987 | Rudolf Augstein, Karl Dietrich Bracher, Mar- tin Broszat u.a.: „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987. 59 Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhun- derts, München 2003, S. 38, 7. 60 David Stevenson: 1914–1918. Der Erste Weltkrieg, a.a.O., S. 595, 689...... 194 len Nationalismus. Auch die Oktoberrevolution und die rätedemokra- tischen Inseln in Kiel, Berlin, München und Budapest waren Ergebnis des Krieges. Vertreter der „Konservativen Revolution“ wiederum for- derten einen „Frontsoldatenstaat“, „das Großartige und Majestäti- sche“ am Krieg verherrlichend. „Befürworter einer rassistisch konzi- pierten Volksgemeinschaft wollten durch Umsiedlungen aus den Großstädten in die Weiten des agrarischen Ostens ihre Ideen umset- zen“ – als Radikalisierung von Plänen, die schon durch die vom Um- sturz in Russland ermöglichte deutsch-österreichischen Besetzung weiter Teile des Baltikums, von Weißrussland und der Ukraine um- setzbar schienen.61 Aus der Auflehnung gegen die Verträge von Ver- sailles, Trianon und Sèvres ergaben sich gerade in Mittel- und Südost- europa drastische Folgewirkungen. Denn „es misslang eine befriedi- gende politische Neuordnung der Peripherie Europas“, so Wolfgang Mommsen (1930–2004), „mit Auswirkungen, die sich bis in unsere Gegenwart hinein erstrecken“. Sowohl „die Auflösung Österreich-Un- garns und die Schaffung eines Bündels von neuen Nationalstaaten in Ostmittel- und Südosteuropa“ als auch „die Zerschlagung des Osma- nischen Reiches, das gegenüber den anderen nichtislamischen Mino- ritäten, insbesondere der christlichen Bevölkerung der sogenannten europäischen Türkei, eigentlich ein relativ tolerantes Regiment geübt hatte, hat Folgen gehabt, die bis heute die Weltpolitik in bedenklicher Weise beeinflussen“.62 Von einer Kriegsbegeisterung war in der Familie meines 1903 ge- borenen Vaters angesichts vier kleiner Kinder und ärmlicher Verhält- nisse nie die Rede. Die Mutter starb im Februar 1915. Sein Vater war zu Kriegsbeginn 51 Jahre alt, offenbar ohne noch kämpfen zu müssen. Mein Großonkel Ferdinand Reder – Schwager des Fliegerhelden Gott- fried von Banfield – geriet bei den Kämpfen um Przemyśl in russische Gefangenschaft. Josef Reder, später Partner des Vaters, war in Galizi- en, an der Kärntner und Südtiroler Front und zuletzt am Isonzo als Batteriekommandant eingesetzt. Mein Vater erzählte oft, wie sehr sie damals gehungert hatten. Als der wohlhabende Holzhandels-Onkel ihn als Gymnasiast ins berühmte Rindfleischrestaurant des Hotels Meissl & Schadn am Hohen Markt ausführte – wo Friedrich Adler

61 Volker R. Berghahn: Sarajevo, 28. Juni 1914. Der Untergang des alten Europa, München 1999, S. 147 ff., 176 ff. 62 Wolfgang J. Mommsen: Der Erste Weltkrieg. Anfang und Ende des bürgerli- chen Zeitalters, Frankfurt am Main 2004, S. 11 f...... 195 (1879–1960) im Oktober 1916 aus Protest gegen den Krieg den Minis- terpräsidenten Karl Stürgkh erschoss –, musste er ein Stück übrig las- sen, weil es sich nicht gehöre, alles aufzuessen; die Leute würden glau- ben, man hätte es nötig. Heldengeschichten und Kriegsspiele seien je- doch allen Heranwachsenden wichtig gewesen. Die Armee wurde be- wundert, exotisch-bosnische Uniformstücke waren begehrt; er wurde Attila genannt. Dass die Armeedisziplin und der Drill die Massen an- alphabetischer Bauern aus allen Teilen der Monarchie zivilisiert hät- ten, wurde oft erwähnt. Solche Prägungen lassen an Sebastian Haff- ners subtile Beschreibung dieser Atmosphäre in „Geschichte eines Deutschen“ denken: „Der Krieg als ein großes, aufregend-begeistern- des Spiel der Nationen, das tiefere Unterhaltung und lustvollere Emo- tionen beschert als irgendetwas, was der Frieden zu bieten hat; das war 1914 bis 1918 die tägliche Erfahrung von zehn Jahrgängen deutscher Schuljungen und das ist die positive Grundvision des Nazitums ge- worden.“ 63 Familiäre Beziehungen zu Bad Ischl, dem Sommersitz des Kaisers, gibt es durch Nachkommen von Mathias Gschwandtner (1762–1840). Georg Gschwandtner (1831–1914) war dort von 1894 bis 1900 Bürger- meister. Sein Bruder, der Bergwerksingenieur Albert Gschwandtner (1837–1903), wanderte nach Ungarn aus und wurde als György von Aknaszlatina – nach dem Geburtsort seiner Frau – magyarisiert und geadelt, hatte doch kein Land Europas so viele Adelige wie Ungarn. Eine Enkelin aus dieser Verbindung war meine Großmutter mütterli- cherseits, Gisela von György (1894–1968), die mit dem ungarischen Bergwerksingenieur Josef Herczegh (1886–1965) – geboren in Széplak, Komitat Bihar (heute Rumänien) – verheiratet war, worauf noch zu- rückgekommen wird.

63 Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914–1933, München 2006, S. 28 f...... 196

„… mit dem Aufkommen des Fernsehens (und erst recht des Internets) zerfallen die Massen in immer kleinere Einheiten. Der traditionelle Fa- schismus ist geschwächt, trotz seiner demagogischen, populistischen Verführungskraft. Das einzige, was die Faschisten wirklich gut können – wütende Minderheiten in große Menschenmassen zu verwandeln –, ist heutzutage sehr schwer zu erreichen.“

„Das heißt aber nicht, dass faschistische Forderungen – oder faschisti- sche Tendenzen – ein für alle Mal verschwunden wären. In Belgien, Holland und Ungarn sind sie ziemlich erfolgreich …“

„Es gibt selbstbewusst auftretende Gruppen, aber kaum demokrati- sche Gesellschaften. In Ländern wie Italien oder Rumänien kamen po- litische Bewegungen und Organisationen, die nichtdemokratische Formen mit populären Inhalten verbanden, daher besonders gut an.“

„Beim italienischen Faschismus war ja überhaupt nicht klar, ob er links oder konservativ war.“

Tony Judt in: Tony Judt, Timothy Snyder: Nachdenken über das 20. Jahrhundert, München 2013 Eskalationsphasen NEULAND. Einflussreich werdende Mitglieder des meinen Vater in der Jugend prägenden Bundes Neuland waren Kardinal Franz Kö- nig, der Presse-Chefredakteur Otto Schulmeister, der Chefredakteur des Rheinischen Merkur Anton Böhm, die ÖVP-Politiker Felix Hurdes, Lois Weinberger und die Salzburger Landeshauptleute Hans Lechner und Josef Klaus, der spätere Bundeskanzler, oder Monsignore Otto Mauer, Leiter der wichtigen Kunstgalerie „nächst St. Stephan“. Als Künstler sind Max Weiler und Rudolf Szyszkowitz zu nennen, als Wis- senschaftler der Kinderarzt und Heilpädagoge Hans Asperger, nach dem das Asperger-Syndrom benannt ist, eine autistische Entwick- lungsstörung mit besonderen Inselbegabungen. Dass Anton Böhm den von ihm von 1921 bis 1938 geführten Bund Neuland „zur weit überwiegenden Mehrheit dem Nationalsozialismus zugeführt“ habe, wie er der NSDAP in Berlin gegenüber angab, kam später nie mehr zur Sprache.1 Erika Weinzierl urteilte als katholische Historikerin stets vorsichtiger, heißt es doch in „Prüfstand. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus“ von 1988: „Als mit dem Na- tionalsozialismus kooperationsbereit galt bei manchen der Bund ‚Neuland’.“2 Für den 1935 als Schüler beigetretenen Fritz Molden war das offensichtlich, denn bald darauf spaltete sich der Bund „in einen nationalsozialistischen Flügel“ und in Österreich-treue Fraktionen. Als Nazigegner in seiner Klasse im März 1938 zum Außenseiter geworden, wechselte er vorerst ins Schottengymnasium.3 Für mich wurde die von 1950 bis 1954 besuchte Neulandschule als richtiger Start betrachtet. Meine beiden jüngeren Geschwister kamen auf Wunsch der Mutter ins Lycée français, ebenfalls eine Ganztags- schule, was die fortdauernden politischen Querelen darüber völlig un- verständlich macht. Von Neuland als spezieller Lebensform war nicht mehr die Rede; das war eine Sache der Väter und hatte kaum noch Be- deutung. In der verbitterten Atmosphäre nach dem Ersten Weltkrieg sei es um ein sozial engagiertes, von Bigotterie befreites religiöses Le- ben und Kirchenreformen gegangen, hieß es, durchaus missionarisch, so als ob für ihr Christentum ernst nehmende Menschen tatsächlich „Neuland“ in Sicht kommen könnte. Natur, Wandern, Bergsteigen, Lagerfeuer, Faltbootfahrten bestärkten den Zusammenhalt intensiver,

1 Brigitte Behal: Kontinuitäten und Diskontinuitäten, a.a.O., S. 193. 2 Erika Weinzierl: Prüfstand, a.a.O., S. 218. 3 Fritz Molden: Fepolinski & Waschlapski, a.a.O., S. 38, 60, 72...... 200 Neulandschule. Architekt Clemens Holzmeister, , Wien ., Alfred-Wegener-Gasse – als ich es als Pfadfinder kannte. Bürgerliche Konventionen und Ju- gendstil galten als dekadent. Bezüge zu Theodor Herzls Thema „Alt- neu land“ (hebräischer Titel: „Tel Aviv“) hätten österreichische Neu- länder vermutlich sprachlos gemacht. Die Neulandschule entstand ausgehend von einem Kindergarten ab 1924 in am Rande Grinzings überdauernden Lazarett-Baracken des Ersten Weltkrieges als eine der Reformpädagogik verpflichtete Einrich- tung des 1921 gegründeten Bund Neuland. Der schon Schülern und Schülerinnen zugängliche Christlich-deutsche Studentenbund bekam durch ihn eine lebensbegleitende Fortsetzung. Der stattliche Neubau des Architekten Clemens Holzmeister (1886–1983) konnte 1931 bezogen werden und wurde von ihm 1962/63 um einen Westtrakt erweitert. Nach dem Krieg kamen ein zweiter Standort am Laaerberg und Expo- situren in Rindbach bei Ebensee und Bad Ischl hinzu. Der durch das politisch bekämpfte Wiener Krematorium, das kleine Salzburger Fest- spielhaus oder das Funkhaus in der Argentinierstraße damals in Öster- reich durchsetzbare Auffassungen von Moderne prägende Architekt „vereint auch bei diesem einer religiösen Erneuerung gewidmeten und nicht zuletzt auch sozialen Projekt“ Friedrich Achleitner zufolge „das

...... 201 Pathos der Einfachheit mit einer bewusst monumentalen Wirkung“.4 Als Kindern kam uns das weitläufige Gebäude wie ein Hochseedamp- fer vor, mit Bullaugen, Schornstein, Reling und langgezogenem Ober- deck mit Aussicht über ganz Wien. Dass es ein berühmter Architekt entworfen hatte, erfuhr ich erst als Erwachsener. Wir spielten Völker- ball, wobei Gegner getroffen werden müssen; aber Fußball war als zu brutal verboten. Wie die Spaltung in Nazis und Anti-Nazis ursprüng- liche Intentionen nachhaltig belastete, macht ein Nachlesen nachvoll- ziehbar – und dass wir trotz des liberalen pädagogischen Ansatzes rigid- katholischen Gedankenwelten entkommen sind. Mit dem Buch „Neuland. Erlebnis einer Jugendbewegung“ mach- te sich der Neuländer und Volksbildungsreferent der Steiermark Franz Maria Kapfhammer (1904–1989) zum nur höchst verhalten kritisieren- den Chronisten des Bundes. Den erstrebten „grundlegenden Umbau der bürgerlichen Gesellschaft“ seit Anfang des 20. Jahrhunderts, so sein Unterschiede nivellierender Zugang, hätten vor allem „die Arbei- terbewegung, die Frauenbewegung und eben die Jugendbewegung“ vorbereitet, mit Vorläufern wie Wandervogel und Pfadfindern, die durchwegs „einen eigenen Lebensstil“ finden wollten. Wie Neuland formierten sich verschiedenste Gruppierungen als „bündische Ju- gend“. Als Gründungsereignis für die von Anfang an explizit national Orientierten davon gilt der erste Freideutsche Jugendtag am Hohen Meißner bei Kassel zur 100-Jahr-Feier der Völkerschlacht von Leip- zig – an der mein Ururgroßvater teilnahm – mit der Verklärung des Heldentods in Langemarck oder Verdun als Folgeerscheinung. Mit „selbstgewählter Führung“ sollte Leitsätzen wie „Rein bleiben und reif werden“ gefolgt werden. „Aus grauer Städte Mauern ziehn wir durch Wald und Feld“ wurde zur verbindenden Hymne. Alkohol und Niko- tin waren verpönt. Früh ergab sich, so Kapfhammer, „die gefühlsmä- ßige Trennung in rechts und links“, was zu Flügelkämpfen führte.5 In den Notizen meines Vaters heißt es zu den Motiven, sich schon als Gymnasiast dem Christlich-deutschen Studentenbund und dann Neuland anzuschließen: „Die Sozialisten waren rein klassenkämpfe- risch, sehr nahe den Kommunisten und kamen für mich von vornhe- rein nicht in Frage“, bei den Nationalen störten ihn damals deren un-

4 Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur, a.a.O., Band III/3, S. 23. 5 Franz M. Kapfhammer: Neuland. Erlebnis einer Jugendbewegung, Graz 1987, S. 11–14...... 202 Franz M. Kapfhammer: Neuland. Gerhard Seewann: Österreichische Erlebnis einer Jugendbewegung, Jugendbewegung –, Graz  Frankfurt am Main  angenehme Werber, „ältere Leute, die Unmengen Bier soffen und dau- ernd rauchten“. Eine der geistigen Plattformen Neulands, die anfangs noch vom Christlich-deutschen Studentenbund geprägte Zeitschrift Neue Jugend (1919–1938), hatte keinerlei Scheu, mit der weithin üblichen, kirchlich gestützten Judengegnerschaft zu argumentieren, um christliche Über- legenheit zu demonstrieren. Darin Vorstufen der „Endlösung“ zu sehen hieße jedoch unreflektiert Früheres mit Späterem gleichzusetzen, also Eskalationsstufen zu ignorieren und lineare Entwicklungen zur kom- menden Radikalisierung zu unterstellen, die dann von einer Diktatur ermöglicht wurde. Die Neue Jugend veröffentlichte aber „Listen arischer Buchhändler“, rief zum Boykott jüdischer Geschäfte auf und forderte den „‚Numerus clausus’ an den höheren Schulen“ wie in Horthys Un- garn. Es ging um reaktionäre Themen wie „Massenaufklärung ist Ver- gewaltigung der Jugend“, den Kampf gegen sozialistische Schulrefor- men und für die „Beibehaltung des Religionsunterrichts“, um De- monstrationen gegen Schnitzlers „Professor Bernhardi“ oder um „Die Judenfrage an der Mittelschule“. Der Neuländer Alfred Missong vertrat offen die Losung „Wir sind Antisemiten“ und setzte den „Katholiken- paragraphen“ durch, weshalb Protestanten ausschieden, obwohl er, dann einer der ÖVP-Gründer, früh zum NS-Gegner wurde.6 Indem er

6 Franz M. Kapfhammer: Neuland, a.a.O., S. 35, 37...... 203 seine „ursprünglichen antisemitischen Animositäten“ schließlich „voll überwand“, so Norbert Leser mit der ihm eigenen harmonisierenden Tendenz, wurde er Vorkämpfer der „österreichischen Nation“, fiel aber wie Emil Oswald politisch der „Eliminierung der ‚1945er’“ zum Opfer.7 Einen „Arierparagraphen“ habe der Christlich-deutsche Studenten- bund jedoch „einstimmig abgelehnt“; nur getauft musste man sein. Der damals übliche Antisemitismus habe als „Erbe der Vätergenerati- on“, so Kapfhammer krass beschönigend, im Bund Neuland „keine Fortsetzung gefunden bzw. kaum Spuren hin ter las sen“.8 Die Neuland-Gründer, der Studentenseelsorger Karl Rudolf (1886– 1964) und der Moraltheologe Michael Pfliegler (1891–1972), argumen- tierten in der Regel moderater als diverse andere Stimmen. Denn Pflieg- ler hielt die Auseinandersetzung mit dem Sozialismus ausdrücklich für wichtig, für ihn „die große Bewegung der Gegenwart“, denn „der radi- kalste Kommunismus habe sich im Christentum verwirklicht“ – eine etwa mit der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno“ völlig unver- einbare Version, die 1931 selbst „die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Christentum“ dekretierte. Obwohl die Neulandschule als „Gottes- siedlung“ ein wegweisender Schulversuch „aus genuin christlicher Wur- zel“ bleiben sollte9, kamen solche urkommunistischen Bezüge ange- sichts der antikommunistischen Stimmungslagen im Kalten Krieg ‚na- turgemäß’ nie mehr zur Sprache. Auf unbestimmt-indirekte Weise hat es bei mir in der Folge jedoch durchaus Wirkung gezeigt, als säkulares Interesse für Befreiungsbewegungen und Menschenrechte. Gerade die rundum als selbstverständlich hingestellte, von Sün- den gefährdete Gläubigkeit bestärkte relativ bald meine Skepsis, noch ohne Ahnung davon, wie ritualisiert Katholisches in politische Gläu- bigkeit umschlagen konnte, was schließlich Friedrich Heer in „Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität“ ana- lysiert hat.10 Denn die Verinnerlichung des von Anführern Geforder- ten war für alle Ausformungen der Jugendbewegung essenziell, trotz angeblicher Selbstbestimmung. Wie die Nationalsozialisten oder sich anderswie abgrenzende Gruppen verstand sich auch Neuland als le-

7 Nobert Leser: Grenzgänger. Österreichische Geistesgeschichte in Totenbe- schwörungen, Wien 1981, Band 1, S. 122, 132, 135. 8 Franz M. Kapfhammer: Neuland, a.a.O., S. 41, 107. 9 Franz M. Kapfhammer: Neuland, a.a.O., S. 42, 46. 10 Friedrich Heer: Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Reli- giosität, München 1968...... 204 benslange „Gesinnungsgemeinschaft“, die „alle geistig Regsamen im Lande“ erfassen wollte, womit allerdings nur Katholiken gemeint wa- ren. Angeleitet von Autoritäten sollte reformerisch gewirkt werden, konzentriert auf „das Verständnis für die großen Zusammenhänge der Dinge“, mit dem Ziel „der neue Mensch“ als „unbedingte Nachfolge Christi im täglichen Leben“ in einer „ordensähnlichen Gemeinschaft“ im „Geist des Evangeliums“. Reformierte lateinisch-deutsche Messfei- ern und ein zu den Gläubigen gerichteter Altar lösten „die liturgische Bewegung“ im Land aus, als Laienbewegung, die durch geistige Inti- mität in kleineren Gruppen eine intensivere Beteiligung fördern woll- te. Schon deshalb ergaben sich permanente Konflikte mit der Amts- kirche, die Annäherungen an Protestantisches unterstellte. Von Neu- land geschätzte Schriften kamen auf den Index. Priestern wurde pha- senweise die Mitarbeit untersagt, die Aufnahme in die übergeordnete „Katholische Aktion“ lange verweigert. Lebensfrohes lässt sich kaum erkennen. Denn strikte „Enthaltsamkeit“ fordernde Moralpredigten „gegen das Rauschgift in jeder Form, gegen die Mode, die Unterhal- tungsformen in den Tanznächten, im Kino“ demonstrierten eine pu- ritanische Angst vor „modernen“ Verführungen, was noch Jahre nach dem Krieg spürbar blieb. „Aussprachekreise“ sollten Gruppen in mo- ralischer Balance halten.11 Weit kritischer als Kapfhammer betont der Grazer Historiker Ger- hard Seewann in seiner umfangreichen Studie über die „Österreichi- sche Jugendbewegung 1900–1938“, dass der Bund Neuland als Gegen- kraft zum einflussreichen, ihn ständig bekämpfenden Kartellverband CV zwar „zur christlich-sozialen Parteipolitik“ strikte Distanz hielt, sich aber immer wieder „eine gefährliche Nähe“ zu NS-Gedankengut zeigte. Der innige Glaube an die „,Volksgemeinschaft’ entfernte auch Neuland immer mehr vom Sozialismus, mit dem der Bund eine Zeit- lang stets ins Gespräch kommen wollte“, um auch in der Arbeiterschaft zu wirken. Der Neuland-Führer Anton Böhm sah „im Proletarier nicht den Feind, sondern den Bruder“; ihm ging es explizit um die Hilfe, ihn „zu erlösen“. „Die soziale Frage ist eine religiöse Frage“, wurde postuliert, was angesichts damaliger Klassengegensätze bizarr wirkt, als Parallele zu radikalen Fundamentalisten diverser Religionen. Um Po- litik sollte es ursprünglich nur indirekt gehen, denn notwendig sei „die Aufgabe des politischen Katholizismus zugunsten der Seelsorge“, um

11 Franz M. Kapfhammer: Neuland, a.a.O., S. 49, 55, 56, 66, 71, 73, 116, 119, 125...... 205 „den Sozialismus zur Religion zurückzuführen“.12 In Böhms ausgefeil- tem „Programm junger Katholiken“ wurde „die Verbindlichkeit des christlichen Sittengesetzes für das Leben der Völker“ (aller Völker!) de- kretiert. Der „liberale Staat“ wurde abgelehnt, denn „das Ziel des wah- ren Volksstaates ist nur durch Beseitigung des jetzigen Parteisystems und der atomistischen Demokratie erreichbar“. Bekämpft werde der „Kapitalismus als System“, „das heutige Kulturwirrwarr“ und das „ra- tionalistisch-positivistische Wissenschaftsideal“. Nur mit korporativer Planwirtschaft und einer von der „Führerelite“ garantierten gerechten Ordnung könne „die Bindung an das Gemeinwohl gesichert werden“. An der „proletarischen Bewegung“ würden nur ihre „durch die so ge- nannten sozialistischen Parteien verschuldeten Irrungen“ bekämpft „wie Marxismus, Internationalismus, Freidenkertum, Kollektivideolo- gie“. Zu „Volk und Kultur“ heißt es in aller Deutlichkeit: „Im Juden- tum sehen wir eine nach Geist und Blut fremde Arteinheit, deren ver- hältnismäßig großer Einfluß durch energische Maßnahmen (Entzug der politischen Rechte, Numerus proportionalis für akademische Be- rufe) zu bekämpfen ist. Durch den Wechsel des Bekenntnisses zum Christentum wird die Zugehörigkeit zum Judentum nicht aufge ho- ben.“13 Als sonnig-katholische Neuland-Familie ist mir nur die von Karl Lechner in Erinnerung, ein Spezialist für „Die Babenberger“, so der Titel seines Hauptwerks. Er war Universitätsprofessor in Wien und Direktor des Niederösterreichischen Landesarchivs. In seiner Abhand- lung „Der Laie und die Kirche“ von 1933 heißt es dezidiert: „Wir alle sind die Kirche!“, als latent unerfüllte, durch jüngste Kirchenvolksbe- gehren erneuerte Forderung an die Kirchenhierarchie.14 Das auch mir bisweilen noch als Besonderheit aufgefallene Frauenbild strenger Neu- länder war auf tugendhafte Unberührtheit, Kindererziehung und ein Dienen fixiert. Abgesehen von Lehrerinnen war kaum eine der Frauen berufstätig. Wahrgenommen wurden sie als Anhängsel des Mannes. Sie mussten dazu passen und Funktionen erfüllen. Statt von Liebe war

12 Gerhard Seewann: Österreichische Jugendbewegung 1900–1938, 2 Bände, Frankfurt am Main 1971, Band 1, S. 235, 237, 238, 284, 286, 295, 317. 13 Anton Böhm: Grundlagen und Ziele völkisch-staatlicher Neugestaltung. Pro- gramm junger Katholiken, Manuskript, undatiert (etwa Mitte der 1930er Jahre) | Archiv Ch. R. 14 Karl Lechner: Ausgewählte Schriften, Wien 1947, S. 211 ff., 213 | Die Babenber- ger, Wien 1976...... 206 viel von Aussuchen die Rede, um ‚die Richtige’ zu finden. Uneheliche Kinder wären wie eh und je eine Katastrophe gewesen. Scheidungen ‚wie in Amerika’ waren undenkbar und hätten die Frauen ins finanzi- elle Nichts gestürzt, was ich in einem Fall miterlebt habe. Aber ‚Ne- benfrauen’ waren selbst beim führenden Neuländer ein lebenslang ver- heimlichtes Problemfeld. Bezeichnend für diese damaligen Männerge- sellschaften war, dass Hitler Eva Braun (die auch für die Nachwelt nicht Eva Hitler-Braun wurde) ‚Tschapperl’ nannte – ein Kosename, den auch mein Vater anfangs für unsere Mutter oft gebrauchte. Jedes „Bekenntnis zu Österreich“ war zugleich „Bekenntnis zum Deutschen Reich“, was lange auch der Position der Sozialdemokraten entsprach. Im Sinn Othmar Spanns spielte eine ständische Selbstverwal- tung wie im krass idealisierten Mittelalter eine wichtige Rolle. Gerade auch in katholischen Kreisen Deutschlands mehrten sich die Stimmen, „daß der Nationalsozialismus in seinem ihm ureigenen Kampf gegen den Liberalismus, den Individualismus, den Rationalismus, den Marxis- mus und Bolschewismus die Katholiken als geschulte Kämpfer an seiner Seite habe, daß seine tragenden Ideen (Gemeinschaft, Volk, Autorität, Bindung) uralte katholische Leitgedanken seien“. Kapfhammer zufolge war „ein Großteil der Jugend des Landes“ bereits 1935 „auf nationalsozi- alistischer Seite“, obwohl die Kirche seit dem NSDAP-Verbot von 1933 eine strikte Distanz forderte, vor allem von CV-Mitgliedern, was aber keineswegs durchgehalten wurde. Signifikant bleibt, dass über zu Sozi- aldemokraten gewordene Neuländer „nichts bekannt“ geworden sei.15 Von befreundeten Sozialisten habe auch ich nie etwas gehört, und das im Roten Wien, obwohl viele wie mein Vater aus armen Verhältnissen stammten. Sozial aufzusteigen war das primäre Lebensziel; greifbar wur- de das offenbar vor allem über bürgerliche Kreise und dann die Nazis. Weil durch diese antimoderne Abschottung so vieles nicht wahrge- nommen wurde, lebten diese Freunde in einer davon unberührten an- deren Gegenwart, was für Jugendliche noch lange spürbar blieb. Seine schließlich finanziell gesicherte Bürgerlichkeit demonstrierte mein Va- ter durch 19.-Jahrhundert-Bilder aus dem Dorotheum ( Amerling, Fen- di, Wiesinger-Florian, Raffalt, ein kleiner Waldmüller, eine holländi- sche Landschaft von Andreas Schelfhout). Die Mutter wurde von Klotz-Dürrenbach gemalt. Einziges moderneres Bild in der Wohnung war ein Frauenporträt von Josef Dobrowsky. Weder von Kafka, Karl

15 Franz M. Kapfhammer: Neuland, a.a.O., S. 83, 100, 113, 120...... 207 Kraus, Musil, Joseph Roth, Thomas Mann oder gar Joyce und Brecht war je in interessiertem Sinn die Rede, jedenfalls fanden sich nirgends solche Bücher. Für dieses drastisch und folgenreich deformierte Bil- dungsbürgertum spielten Buchhandlungen längst keine zentrale Rolle mehr. Ein höchst enges Musikverständnis und durchgehend aggressive Urteile über „entartete Kunst“ blieben fest verankert. Selbst Otto Mau- er, dieser „Hochwürden der Moderne“, wie Günter Brus ihn nannte16, stieß mit seinen couragierter werdenden Initiativen bis weit in die 1960er Jahre auf Gegnerschaft. Als uns Oswald Oberhuber in der Ga- lerie nächst St. Stephan bekannt machte, fragte Mauer mich gleich: „Sind Sie der Sohn?“ Dabei blieb es; offenbar war er unsicher, was ich von alten Zeiten wissen könnte. Dennoch kam es später zu Gesprä- chen, mich als sehr an zeitgenössischer Kunst interessierte Nachwuchs- kraft in die anstehende Neuorientierung seiner Galerie einzubinden, was dann wegen seines überraschenden Todes anders gelöst wurde. Das Ende von Neuland kam 1938 mit der Selbstauflösung des Bundes. Die Schule wurde enteignet und zum Kriegsspital, die Mit- gliederkartei in Gföhl im Waldviertel vergraben. Wer sich arrangierte, behauptete meist, Schlimmeres verhindern zu wollen. Die sich nicht Anpassenden zogen sich in die innere Emigration zurück, so die Schul- gründerin Anna Ehm (1903–1963), die dann in Leithaprodersdorf eine Landwirtschaft betrieb und dort Kindergruppen betreute. Franz Kö- nig (1905–2004) wurde Domkurator in St. Pölten und schließlich zum weithin geschätzten, aber auch „als Roter“ bekämpften dialogbereiten Kardinal. Otto Mauer wurde mehrmals inhaftiert und mit Predigtver- bot belegt. Der Neuland-Gründer Karl Rudolf setzte gegen die Nazis, wie angekündigt, auf intensive Seelsorge und blieb, so Fritz Molden, eine Anlaufstelle für Oppositionelle.17 Das kinderfreundliche Klima der Neulandschule ist mir in weit besserer Erinnerung als die lähmenden Zeiten im Gymnasium (BG VIII, RG XIX) mit teurer Nachhilfe und der gerade noch geschafften Matura, weil mir zwei Schüler halfen, deren Eltern durch eine Spende zum Schulneubau vom Direktor die Lateinstelle erhalten hatten, was ich erst beim 25. Maturajubiläum erfuhr.18 Prägungen durch die Di-

16 Günter Brus: Die gute alte Zeit, Salzburg 2002, S. 215. 17 Franz M. Kapfhammer: Neuland, a.a.O., S. 132 f. | Fritz Molden: Fepolinski & Waschlapski, a.a.O., S. 137. 18 Gudrun Harrer widmete dieser „österreichischen Normalität“ ohne Namens- nennung ihre guha-Glosse, Der Standard, Wien, 22. Mai 2013...... 208 rektorin Anna Ehm, ihren die „Werkstatt für alles“ betreibenden Bru- der Franz Ehm und meine Lehrerinnen Maria Krasnitzki und Herta Wastl haben vermutlich nachgewirkt. Offenbar bestärkten damals mitbekommene Idealbilder ein Grundgefühl, auf dieser Welt fremd zu sein und dass ein ‚richtiges Leben’ kaum möglich sei und mit ‚gutem Leben’ wenig zu tun habe – wofür sich dann etwa bei Adorno verblüf- fende Bestätigungen fanden, als ich endlich das Essenzielle der Aufklä- rung und anzustrebender Emanzipation begriff.19 Soziale Unterschie- de spielten die längste Zeit keine Rolle. Damit Angebende wurden verachtet. Bedrohlich wurde Religion erst durch das Beichten in der düsteren Karmeliterkirche in der Silbergasse. Da ich die Bußgebete nicht vollständig konnte, fühlte ich mich nie von den Sünden erlöst und verweigerte mich bald dieser Qual – als erste selbst getroffene exis- tenzielle Entscheidung. Reinheitsvorstellungen blieben wichtig, wes- halb mir bis über die Pubertät hinaus eindrucksvolle weibliche Wesen wie Engel jenseits jeder Unkeuschheit erschienen, die aber als myste- riöse Versuchung letztlich das Leben selbst repräsentierten.20 Die Sonntagsmesse im Stephansdom mit dem Vater war für die Kinder Pflicht, stets ohne die Mutter, die aber vor jeder Kirche ein Kreuzzei- chen machte. Sonst war Religion daheim kein Thema. Meinen ersten öffentlichen Auftritt hatte ich in einem Krippenspiel als verschlafener Hirte, der „Wo brennt’s denn?“ rufen musste. Ministrant wurde ich für einige Zeit, um in der obligaten Schulmesse etwas zu tun zu haben, stets als der Linke, der es dem Rechten überlassen konnte, auf alle Feinheiten des Rituals zu achten. Zum Tod von Bundespräsident Ren- ner sollten wir etwas zeichnen; mir schien ein leerer Thronsessel pas- send. Die Begegnung mit Papst Pius XII. war mir in keiner Weise ein ergreifender Höhepunkt. Die Tickets zur Massenaudienz im Castel Gandolfo verkaufte uns der Portier des Grand Hotel Flora auf der Via Veneto. Für ein anhaltendes Vertrauen in kirchliche Autoritäten wären für Heranwachsende statt der peniblen Kontrolle als schmutzig gelten- der Sexualität und noch so nebensächlicher Verbote vermutlich Stim- men notwendig gewesen, die wie nun Papst Franziskus – oft mit er-

19 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Le- ben. Gesammelte Schriften 4, Frankfurt am Main 1997, S. 43: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ 20 Dazu ausführlicher: Ch. Reder: Nachkriegsengel, Indianer und Piloten, in: Ca- thrin Pichler (Hg.): Engel:Engel – Legenden der Gegenwart, Ausstellungskata- log, Wien – New York 1997...... 209 staunlich linken Positionen – offensiv grundlegende Weltprobleme ansprechen, macht es doch immerhin kenntlich, was sonst im politi- schen Stimmengewirr viel zu wenig zur Sprache kommt oder als Be- drohungsroutine bloßes Hintergrundrauschen bleibt. Dass sich eine höhere Macht um mich kümmerte, erschien mir anfangs bedrohlich, dann allzu hochmütig und schließlich absolut un- wahrscheinlich. Ausgetreten aus der Kirche bin ich erst in reiferem Al- ter, als es mir endgültig widersinnig schien, ohne jede Teilnahme noch Mitglied zu sein, und sich der Glaube an ein Leben im Jenseits längst aufgelöst hatte.

ALFRED-W EGENER-GASSE. Als auf dem Land aufgewachsenem Kind war mir die Adresse der Neulandschule anfangs ein wichtiges Ziel in der Fremde, das uns mit beeindruckenden Dokumentarfilmen über Alfred Wegener (1880–1930) nahegebracht wurde. Dass sich die Fahrt mit der Straßenbahnlinie 38 dorthin – mysteriöserweise am Au- ge-Gottes-Kino vorbei – mit einer signifikanten Jahreszahl verbindet, ist mir erst viel später bewusst geworden. Wegeners einsamer Tod in Grönland, die exponierte Station Eismitte und die auf Landkarten so einleuchtende Kontinentalverschiebung beeinflussten frühe Weltbil- der, ohne dass wir begriffen, warum sich jemand dieser fürchterlichen Kälte und menschenleeren Eiswüsten aussetzte. Von Christoph Rans- mayrs „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ ist das wiederbe- lebt worden.21 Als Gegenbild zum nach Norden gelenkten Blick sahen wir früh Filme über das Afrika von Albert Schweitzer (1875–1965) mit den Tieren der Arche Noah als notleidendem Paradies. Ergriffenheit ergab sich aber in erster Linie durch Winnetou. Von Karl May (1842– 1912) las ich damals fünfzig erreichbare Bände. Im Geheimen kamen verpönte Schundhefte mit Prinz Eisenherz oder Tarzan hinzu; als Er- innerung daran besitze ich sogar noch ein Exemplar von „Der Kapu- zenmann und die rote Schlange“. Vom ihn ehrenden Straßennamen ausgehend ergibt sich auch bei Alfred Wegener eine ausufernde zeitgeschichtliche Relevanz. Geboren in Berlin, war er ab 1924 Professor für Meteorologie und Geophysik an der Universität Graz. Familienkonstellationen nach seinem frühen Tod machen einen weiteren Exkurs zu Konfusionen möglicher Welt- erfahrung plausibel. Denn über seine Tochter Lotte Wegener (1920–

21 Christoph Ransmayr: Die Schrecken des Eises und der Finsternis, Wien 1984...... 210 Alfred Wegener, zum Österreicher ernannt

1989) gerät Tibet in den Blick, weil sie kurz mit dem 1938 als Eiger- Nordwand-Bezwinger von Hitler gefeierten Bergsteiger Heinrich Harrer (1912–2006) verheiratet war, bis dieser im Zuge einer Nan- ga Parbat-Expedition, diesem „Schicksalsberg der Deutschen“, zu Kriegsbeginn in Indien interniert wurde. Nach Ende April 1944 gelun- gener Flucht, die sonst kaum jemandem gelang – so wurde der nach ihm geflohene Ludwig Schmaderer unterwegs ermordet –, schlug er sich mit Peter Aufschnaiter (1899–1973) bis Lhasa durch. Als in Zent- ralasien verschollener, mit „Sieben Jahre in Tibet“ zum Bestsellerautor gewordener Bergsteiger, dem der Dalai Lama neuen Glanz verlieh, weil er als dessen Vermittler auftreten konnte, war er bis ins hohe Al- ter ein sonderbarer alpiner Medienstar wie sein Freund Luis Trenker. Harrers kenntnisreicher Fluchtpartner Aufschnaiter blieb noch jahre- lang in Nepal und hielt sich stets im Hintergrund.22 Dass zwei andere im Kaukasus und Himalaya erfahrene Bergstei- ger aus Wien, Fritz Kolb (1902–1983) und Ludwig Krenek (1903–1998), die mit den beiden in Indien interniert waren, mindestens so interes- sante Lebenswege hatten, machte erst die Anthologie „Österreichisches Exil in Asien und Afrika“ von Margit Franz und Heimo Halbrainer be- wusst. Als entschieden gegen das NS-Regime eingestellte Sozialdemo- kraten waren beide nicht im „Nazi-Wing I“ wie Harrer und Aufschnai- ter untergebracht. Fritz Kolb, schon davor im Widerstand aktiv, wurde Sprecher der lange von den meisten anderen siegessicher bedrängten „winzigen Anti-Nazi-Guppe“ – denn im Lager waren „ungefähr 3000 Nazis gegenüber etwa 100 Anti-Nazis“. Er fand dann als in der Kinder- freunde-Schule Schönbrunn geprägter Reformpädagoge in Indien Ar- beit, bis er 1948 mit seiner aus dem Exil in England nachgekommenen Frau und der in Indien geborenen Tochter nach Wien zurückkehrte und Österreichs Botschafter in Pakistan, dann Leiter der Entwick-

22 Heinrich Harrer: Sieben Jahre in Tibet. Mein Leben am Hofe des Dalai Lama, Wien 1952 | Martin Brauen (Hg.): Peter Aufschnaiter. Sein Leben in Tibet, Innsbruck 1995...... 211 lungshilfe und Direktor des Instituts für Höhere Studien wurde. Sein Freund Ludwig Krenek, der Afrika schon von Kapstadt bis Kairo mit dem Motorrad durchquert hatte und schließlich mit seiner Familie nach Neuseeland auswanderte, war nach ihrer Freilassung Lehrer in in- dischen Modellschulen und enger Mitarbeiter des liberalen Islamphi- losophen Muhammad Asad (1900–1992).23 Dieser wurde als Leopold Weiss in einer jüdischen Rechtsanwalts- familie in Lemberg geboren, die 1914 nach Wien übersiedelte. Im Zu- ge einer erfolgreichen Karriere als Reisejournalist begeisterte er sich in Palästina – den Zionismus höchst kritisch sehend – für die arabische Welt und wurde überzeugter Muslim, weil das seiner Sehnsucht nach einer „Gemeinschaft in einem tieferen Sinne als sie die Zufallsgruppie- rungen von Volk oder Rasse mit sich bringen können“ am besten zu entsprechen schien. Als Freund und Berater von König Abd al-Aziz ibn Saud (1880–1953) lebte er mit seiner arabischen Frau Munira jah- relang in Saudi-Arabien und wurde zum anerkannten Islamgelehrten, was er in „Der Weg nach Mekka“ mit großer Resonanz beschrieb. Sich für eine Islam-Renaissance in Indien einsetzend, war er dort während des Krieges ebenfalls interniert, dann aber wegen seiner Freundschaft mit dem Nationaldichter Muhammad Iqbal (1877–1938) und dem Staatsgründer Muhammad Ali Jinnah (1876–1948) maßgeblich in die Entstehung Pakistans einbezogen, als Leiter des Department of Isla- mic Reconstruction und stellvertretender UNO-Delegierter Pakistans. Weil ich dort 1980 bis 1994 immer wieder für das Afghanistan-Komi- tee und dann in Nepal als Museumsberater tätig war, sind mir solche nach Lemberg und Wien zurückweisenden Konstellationen eines ei- genwilligen Kosmopolitismus immer wieder aufgefallen. Inzwischen gibt es in der Wiener UNO-City den Muhammad-Asad-Platz. Da er nur seine „Hoffnungen und nicht die Wirklichkeit“ gesehen habe, zog er sich schließlich vom politischen Geschehen enttäuscht nach Tanger und dann nach Südspanien zurück, um jahrelang an seiner Koran- Übersetzung zu arbeiten. Trotz aller Bemühungen von Indien und England aus kamen sein Vater Karl Weiss im KZ Theresienstadt, die Stiefmutter und die Schwester im KZ Stutthof um.24

23 Margit Franz, Heimo Halbrainer (Hg.): Going East – Going South. Österrei- chisches Exil in Asien und Afrika, Graz 2014, S. 433 ff., 449, 468, 469f., 474 ff. 24 Günther Windhager: Leopold Weiss alias Muhammad Asad. Von Galizien nach Arabien 1900–1927, Wien 2003 | Muhammad Asad: Der Weg nach Mekka ...... 212 Mahnmal von Jochen Gerz: Ich Sigfried Uiberreither Landeshauptmann, Burgtor, Graz  Völlig konträre Assoziationen ergeben sich über Lotte Wegeners ältere Schwester Käthe Wegener (1918–20??), die 1939 den Gauleiter und Reichsstatthalter der Steiermark, Sigfried Uiberreither (1908– 1984), heiratete, einen der bis zuletzt radikalsten Funktionäre des Drit- ten Reiches. Noch vor dem „Anschluss“ war er Organisator der großen Demonstrationen, die Graz den Nazi-Ehrentitel „Stadt der Volkserhe- bung“ eintrugen. Nach dem Krieg gelang es ihm, nach kurzer Haft und Zeugenaussagen im Nürnberger Prozess unter dem Namen Fried- rich Schönharting unterzutauchen und in Sindelfingen Verfolgungen wegen seiner brutalen Germanisierungspolitik in der slowenischen „Untersteiermark“ und der Endphasenverbrechen im Zuge des Süd- ostwallbaus zu entgehen, mit erst kürzlich wieder beachteten Massen- gräbern in Graz-Liebenau. Seine Frau gab unbekümmert TV-Inter- views über ihren Vater Alfred Wegener. 25 In der ORF-Serie „Öster- reich II“ und in der Fachliteratur heißt es jedoch weiterhin, Uiberrei- ther wäre nach Argentinien oder Bolivien entkommen.

(1954), Düsseldorf 2009, Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommen- tar (1980), Düsseldorf 2009. 25 Heimo Halbrainer, Christian Stenner: Dr. Sigfried Uiberreither – das zweite Le- ben des Gauleiters, Korso-Magazin, Graz, 5. Juli 2008...... 213 Entgegen aller mörderischen Appelle zu „Kampf bis zum Letzten“ und Heldentod starben „nur zwei von 43 amtierenden Gauleitern“, so Ian Kershaw, „kämpfend auf ihren Posten“.26 Die meisten dieser Stüt- zen des Regimes entgingen sogar einer Bestrafung. Von den Wiener Gauleitern verübte Odilo Globocnik nach seiner Gefangennahme in Kärnten Selbstmord. Josef Bürckel starb im September 1944. Baldur von Schirach verbüßte zwanzig Jahre Haft in Spandau. Der Wiener Alfred Eduard Frauenfeld, vor 1938 für Wien und dann für die Krim zuständig, wurde nach kurzer Haft Leiter einer Baugesellschaft in Hamburg. Der für Kärnten eingesetzte Hubert Klausner starb 1939. Sein Nachfolger Friedrich Rainer, zuletzt als SS-Obergruppenführer auch für die Operationszone Adriatisches Küstenland zuständig, wur- de an Jugoslawien ausgeliefert und in Ljubljana hingerichtet. Er war kurz auch für Salzburg zuständig wie nach ihm der dann nach mini- maler Haft in Hamburg praktizierende Arzt Gustav Adolf Scheel. Der Gauleiter von Niederdonau, Hugo Jury, schon Mitglied der Regierung Seyß-Inquart, brachte sich wie erwähnt am Kriegsende in Zwettl um. Jener von Oberdonau, August Eigruber, in dessen Verantwortungsbe- reich das KZ Mauthausen mit allen Außenstellen und die Euthanasie- Anstalt Schloss Hartheim fielen, wurde als Kriegsverbrecher hinge- richtet. Erika Weinzierl zufolge war er wie auch andere Haupttäter be- kennender Katholik geblieben, „der nicht aus der Kirche austrat und auch seine Kirchensteuer bezahlte“.27 Franz Hofer, zuständig für Tirol, Vorarlberg und die „Alpenfestung“, wohin er Hitler unbedingt noch retten wollte, konnte sich trotz laufender Verfahren nach Deutschland absetzen und in Mülheim an der Ruhr ein unbehelligtes Leben führen, was auch der von Anfang an die Steiermark diktatorisch regierende Sigfried Uiberreither schaffte, weil nicht mehr nach ihnen gesucht wurde. Sichtlich konnte er bei seinem Untertauchen auf Unterstüt- zung zählen; vermutlich auch seitens der CIA, der er als Gegenleistung wissenschaftliche Unterlagen seines Schwiegervaters Alfred Wegener übergeben haben soll. Die Textinstallation „Ich Sigfried Uiberreither Landeshauptmann“ von Jochen Gerz macht darauf seit 2008 im Grazer Burgtor aufmerk- sam. Darin heißt es: „Ich Sigfried Uiberreither alias Friedrich Schön- harting … brachte als Landeshauptmann der Steiermark und in Aus-

26 Ian Kershaw: Das Ende, a.a.O., S. 441. 27 Erika Weinzierl: Prüfstand, a.a.O., S. 153...... 214 übung meiner sonstigen Ämter viele Menschen um. Ich tat es nicht al- leine. Ich tat es nicht selbst. Ich hatte Mitarbeiter. Wenn Du durch das Tor gehst, schäme Dich nicht nur für mich. Wer suchte nach mir? Wer stellte mich vor Gericht? Warum hast Du geschwiegen? Wer hat Dich zum Komplizen gemacht?“ Der sich immer wieder als undarstellbar geltender Themen annehmende Künstler führte dazu noch aus: „Das 20. Jahrhundert ist nicht mehr unser Jahrhundert, das ist heute spür- bar.“ Aber „die Orte der Erinnerung sind Menschen, nicht Denkmä- ler“. Gerade deswegen gelte es weiterhin „Sigfried Uiberreithers und derer zu gedenken, die der Staatsterror des Nationalsozialismus in der Steiermark zu Opfern oder Sklaven machte“ – und „weil Erinnerung und Vergessen sich so lange Zeit danach längst in den Armen liegen“.28

KATHOLIKENTAG 1933. Moralisch kaum begreifbare Übergän- ge von exponiert Katholischem zur kategorischen Bösartigkeit des Nationalsozialismus machen Personen nachvollziehbar, die beim Ka- tholikentag vom September 1933 wichtige Funktionen hatten. Denn er gilt als Höhepunkt des umfassenden Einfluss fordernden politi- schen Katholizismus in Österreich und sollte die geistigen Grundla- gen eines sich von Ost und West abgrenzenden deutschen Mittel- europas bestärken. Gefeiert wurde der 250. Jahrestag der Befreiung Wiens und des Abendlandes von der morgenländischen Türkengefahr als Sinnbild für Feinde aus dem Osten, aber auch die durchgehaltene Distanzierung vom Westen, von den Ideen der Aufklärung, der Fran- zösischen Revolution und liberaler Demokratien. Denn all das bedro- he die vom angeblich harmonischen Mittelalter ableitbaren unver- wechselbar-eigenen Werte. Daher sprach der Festredner Kurt Schusch- nigg (1897–1977) unter dem Kruckenkreuz von Kreuzfahrern über „Die Sendung des deutschen Volkes im Abendlande“ – und das im Jahr der letzten freien Wahlen in Deutschland und von Hitlers Macht- übernahme (mit nur 44 Prozent der Stimmen). Dabei waren seit März 1933 die neuen Konzentrationslager, der organisierte Judenboykott vom 1. April 1933 und die öffentlichen Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 erste drastische Symbole für den um sich greifenden Terror geworden.

28 Ich Sigfried Uiberreither Landeshauptmann. Rede von Jochen Gerz anlässlich der Einweihung des Mahnmals am 9. Dezember 2008...... 215 Damalige Aussagen halten evident, wie unbegreiflich dunkel – nicht nur aus heutiger Sicht – angesichts dieser akuten Bedrohung im Kampf für eine österreichische Antimoderne argumentiert wurde, mit noch Jahrzehnte nachwirkendem Echo. Mit der Programmkoordina- tion hatte Kardinal Innitzer Prälat Karl Rudolf beauftragt, einen der Neuland-Gründer. Der damals 29-jährige Neuland-Bundesführer An- ton Böhm war als einer der Vordenker geladen. Dessen Programmpa- pier ist so explizit nationalistisch, dass alles Multikulturelle Europas und österreichischer Traditionen völlig abwesend blieb, sah er doch in diesem Massenereignis nur dann einen Sinn, „wenn auf ihm die Nati- on als gottgeschaffene Individualität, als geistesbestimmende Einheit zur Erscheinung kommt … Es müßte eben gezeigt werden, daß durch die Entfaltung und Erfüllung der Wesensanliegen des deutschen Volkstums aus der Kraft des katholischen Glaubens zugleich der we- sentliche Beitrag des deutschen Volkes zum Aufbau des christlichen Abendlandes gegeben wird, und daß umgekehrt die Erfüllung abend- ländischer Aufgaben, wie vor allem der Bau des Reichs oder heute die Organisierung Mitteleuropas zugleich Wesensverwirklichung des deutschen Volkes ist“. Böhms Eröffnungsrede vor der Karlskirche be- handelte „Österreich und seine katholische und deutsche Sendung“, was er in seinem Buch „Katholischer Glaube und deutsches Volkstum in Österreich“ genauer ausführte.29 Wie sehr sein Inszenierungskon- zept dem unmittelbar davor abgehaltenen „Parteitag des Sieges“ der NSDAP in Nürnberg glich, hat Brigitte Behal im Diözesanarchiv auf- gefunden: „Abends! Scheinwerfer! Auf der Bühne zuerst nur das monu- mentale Kreuz. Dann geht der Erzbischof allein die Stufen hinauf. Er steht allein unter dem Kreuz! Dann zieht eine Stammesvertretung nach der anderen mit Fahne und sonstigen Symbolen auf!“ NSDAP-Mit- glied war Böhm bereits seit dem 18. Juni 1933. Als Führer des Neuland- Bundes hatte er sich, wie erwähnt, in der Zeitschrift Neuland längst öf- fentlich zum Nationalsozialismus bekannt, für ihn „die größte Zu- kunftsmacht“ als „Vereinigung von Nationalismus und Sozialismus“.30 Sekretär des Katholikentagbüros wurde Taras Borodajkewycz (1902–1984), der kein Neuländer, sondern CVer war, 1934 der NSDAP

29 Maximilian Liebmann: Die geistige Konzeption des österreichischen Katholi- kentages in der Ersten Republik, in: Wissenschaftliche Kommission zur Erfor- schung der Geschichte der Republik Österreich: Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik, München, 1986, S. 146, 169. 30 Brigitte Behal: Kontinuitäten und Diskontinuitäten, a.a.O., S. 98, 177, 189 f...... 216 Edmund Weber (Hg.): Emmerich Tálos, Wolfgang Kurt Schuschnigg: Rede Dollfuß an Österreich. Eines Neugebauer (Hg.): Austrofa- beim Katholikentag in Wien, Mannes Wort und Ziel, schismus, Wien  . September  Wien  beitrat und sich zeitlebens als kämpferischer Katholik verstand. Er empfahl „Die Kirche und die mitteleuropäische Reichsidee“ als Devi- se. Entscheidend sei, „von der engen Verbundenheit der beiden größ- ten geschichtlichen Tatsachen des deutschen Volkes“ auszugehen, „dem mittelalterlichen Kaisertum, das ein deutsch bestimmtes, und der christlichen Ostkolonisation, die eine christliche war“.31 Damit machte er, damals junger Archivar am Haus-, Hof- und Staatsarchiv, dann Karriere als Universitätsdozent in Wien, Professor an der Deut- schen Universität Prag und ab 1955 an der Hochschule für Welthandel. Zumindest unterschwellig, so der Soziologe Gernot Stimmer von der Universität Wien über die damaligen „Eliten in Österreich“, war „die national-politische Idee eines (wie Kardinal Innitzer zu Jahresbe- ginn 1933 postulierte) ‚Heiligen Jahres der Deutschen’“ für den „alle Deutschen vereinigenden“ Katholikentag bestimmend. Deutlich be- merkbar wurde „die Wirkkraft der religiös-politischen Reformgrup- pen innerhalb der katholischen Laienbewegung“ und dass „deren ideologischer Standort bis zur offenen NS-Affinität reichte“. Denn viele dieser Aktivisten waren als „prononciert katholisch-national zu klassifizieren“, so Seyß-Inquart, Glaise-Horstenau, Anton Böhm, Wil- helm Wolf, Borodajkewycz oder Bischof Hudal und der Bund Neu- land mit der Schönere Zukunft-Redaktion, der international wichtigs-

31 Maximilian Liebmann: Katholikentag, a.a.O., S. 151...... 217 ten Publikation dieser Kreise, während Neuland und Neue Jugend re- gional ausgerichtet waren.32 Weil Deutsche seit Mai 1933 bei der Ein- reise nach Österreich 1.000 Mark erlegen mussten, um dessen Touris- mus zu lähmen, erschienen kaum „Deutsche aus dem Reich“. Es kur- sierten aber Befürchtungen, dass „‚der österreichische Katholik Adolf Hitler’ nun als Reichskanzler mit seinem Anhang zum Katholikentag kommen könnte“, war doch in bald makaber wirkenden Petitionen sogar vom – nie exkommunizierten – „tiefgläubigen Adolf Hitler“ die Rede, den Katholiken voll unterstützen könnten.33 Auch der seit dem 5. März 1933 – als Parallele zum Machtwechsel in Deutschland am 30. Jänner 1933 – diktatorisch regierende Bundes- kanzler Engelbert Dollfuß (1892–1934) berief sich während des Katho- likentages in seiner programmatischen Trabrennplatz-Rede vom 11. September 1933 und andernorts immer wieder auf das Mittelalter als „jene Zeit, in der das Volk berufsständisch organisiert und gegliedert war“ und „in der der Arbeiter gegen seinen Herrn nicht aufstand und organisiert“, also „Wirtschaft und Leben auf der Zusammenfassung al- ler gegründet war“. Seit der Aufklärung jedoch, jener „neuen Geistes- richtung, die wohl mit dem Beginn der französischen Revolution zu- sammenfällt“, sei es konträr wirkenden Kräften gelungen, „dieses Sys- tem gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ordnung wenigstens für anderthalb Jahrhunderte zu überwinden“, wodurch „der einzelne Mensch schutzlos der Macht des anderen unterworfen war und schließ- lich das Geld die Herrschaft antrat und der ärmere und schwächere Teil des Volkes zurückgedrängt wurde“. Was „durch Jahrhunderte die Grundlage der gesellschaftlichen Organisation unseres deutschen Va- terlandes“ war, verschwand und müsse wiederbelebt werden, denn „kaum irgendwo in der Welt ist die ständische Entwicklung so restlos und durchgreifend zur Grundlage des gesellschaftlichen und staatli- chen Aufbaues geworden wie in den deutschen Reichsgebieten“. Dar- aus folge: Die bisherige „Form von Parlament und Parlamentarismus, die gestorben ist, wird nicht wiederkommen“. Offensichtlich sei: „Der österreichische Arbeiter ist im Kern seines Wesens kein Proletarier.“ Die Ursachen der Verwirrung wären klar erkennbar: „Fremder Geist und fremde Ideen haben sich in unserem Volk eingenistet und haben

32 Gernot Stimmer: Eliten in Österreich 1848–1970, Wien 1999, S. 677, 715, 716, 755. 33 Ernst Hanisch: Wien: Heldenplatz, Transit. Europäische Revue, Heft 1, 5/1998, S. 122 ff...... 218 böses Unheil angerichtet.“ Nur der Geist Mussolinis wurde akzeptiert, da „wir die großen Ideen bewundern, von denen das moderne Italien unter der Führung des Duce getragen wird“. Österreichs Unabhängig- keit müsse bewahrt werden, so Dollfuß beschwörend in Graz, denn „wir haben gerade als Grenzlanddeutsche ein Recht zu verlangen, von niemandem als Deutsche zweiter Güte behandelt zu werden“.34 Ob- wohl sich damit ein hyper-katholischer Franco-Faschismus anbahnte, blieb Österreich nach 1945 die zeitweilige Ächtung durch die UNO er- spart, wie sie gegenüber Spanien ausgesprochen wurde. Taras Borodajkewycz, der Sekretär des Katholikentages und wie Anton Böhm einer der ältesten Jugendfreunde des Vaters, gehörte bis zu meiner Studienzeit zum Familienumfeld. Beide waren wie Alfred Missong bei der katholisch-deutschen Hochschulverbindung „Ost- mark“. Für uns war ‚Boro’ der freundliche ‚Onkel Tazi’ und als Uni- versitätsprofessor eine Respektsperson. Gespräche verliefen in meinem Beisein sicher eher vorsichtig, etwa über das Scheitern der Träume vom großen Reich, was viel mit der elenden Behandlung der Ukrainer zu tun hätte. Weil sein Vater von dort stammte, schien Borodajke wycz das speziell nahezugehen. Über „die Sache mit den Juden“ wurde ge- schwiegen, sichtlich weil nichts daran erklärt werden konnte. Dass er als einziger solcher frühen Bezugspersonen plötzlich wochenlang in den Medien vorkam, war auch für mich eine definitive Klärungs- phase. Weil er es in unerträglich abfälliger, aber an seiner Hochschule seit Jahren geduldeter Weise „für seine Pflicht“ hielt, Karl Marx, Rosa Lu- xemburg oder Hans Kelsen als jüdisch und damit als nicht zugehörig zu bezeichnen, machte ihn das – als es öffentlich bekannt wurde – zum Repräsentanten österreichischer Kontroversen. Denn bei der Demons- tration am 31. März 1965 gegen seinen Antisemitismus gab es das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik, weil ein Rechtsradikaler den das KZ überlebenden Antifaschisten Ernst Kirchweger (1898– 1965) niederschlug. Zwar hatten der Eichmann-Prozess und die Frank- furter Auschwitz-Prozesse das öffentliche Schweigen allmählich durch- brochen und 1961 die provokante TV-Sendung „Der Herr Karl“ von Helmut Qualtinger und Carl Merz auch in Österreich manches geläu- figer gemacht. Aber skandalöse Freisprüche wie jener von Franz Muh-

34 Edmund Weber (Hg.): Dollfuß an Österreich. Eines Mannes Wort und Ziel, Wien 1935, S. 20 ff., 89, 122, 174, 215, 217, 234 f...... 219 rer, dem „Schlächter von Vilnius“, dem „Jerusalem des Nordens“, wa- ren auf viel Zustimmung gestoßen, ohne dass es größere Proteste gab. Dass es bis zur Waldheim-Krise, zur Frischenschlager- Reder-Affäre und zu Jörg Haiders Aufstieg neuerlich zwanzig Jahre dauern würde, macht die Borodajkewycz-Kontroverse retrospektiv in bedrückender Weise bloß zum isolierten Exempel polarisierender Erregung, weil sich eruptiv immer wieder zeigte, wie gespalten die Gesellschaft diesbezüg- lich blieb. Anlass dafür waren TV-Aussagen und von Ferdinand Laci- na (später Finanzminister), Heinz Fischer (dann Wissenschaftsminis- ter) und dem späteren Trend-, profil- und Standard-Gründer Oscar Bronner publik gemachte Vorlesungsmitschriften.35 Borodajkewyczs Vorgeschichte und sein Umfeld an der Hoch- schule für Welthandel unter Rektor Walter Heinrich kamen damals kaum zur Sprache, obwohl er schon in der Oberweiser Konferenz von 1949 einer der Nazi-Kontaktleute der ÖVP über Kooperationen war. Glaise-Horstenau hielt das Ehepaar Borodajkewycz für „zwei trotz ih- rer katholischen Vergangenheit 100 %ige Nazis“, wegen seiner Katho- likentagfunktion galt er aber als „einer der gefährlichsten Vertreter der katholisch-nationalen Zwischenschicht“. Dennoch war er „Mitglied des SD“. Angeblich äußerte Glaise-Horstenau zu Borodajkewycz be- reits am 3. September 1939: „Dieser Krieg ist das größte Verbrechen an der Menschheit“ – nahm aber trotzdem weitere hoher Ämter an.36 Bei der Borodajkewycz-Demonstration rund um die Staatsoper war ich skeptisch-beobachtend dabei, weil mir die von aggressiven rechtslastigen Burschenschaftern gelenkten, mit stinkender Buttersäu- re agierenden Pro-Boro-Demonstranten, so spätere Informationen, in ihrer merkwürdigen Solidarität höchst suspekt waren. Mit dem Ring Freiheitlicher Studenten, der bei Hochschulwahlen stets rund 30 Pro- zent erreichte, was heutigen – in Deutschland undenkbaren – FPÖ- Ergebnissen entspricht, wollten wir alle nichts zu tun haben. Aber auch die vielfach mit Bussen ankommenden, teils mit Stöcken und Fahrrad- ketten ausgerüsteten Antifaschisten in ihrer plötzlich so ostentativen Wut erschienen mir fragwürdig, weil das sichtlich gut organisiert war, also nur sehr bedingt eine Zivilgesellschaft in heutigem Sinn. Dass es zwanzig Jahre nach dem Krieg dazu überhaupt noch Pro- und Kontra-

35 JM Stim, Eva Weissenberger: Trotzdem. Oscar Bronner. Eine Biografie, Wien 2013, S. 45 ff. 36 Peter Broucek: Glaise-Horstenau, a.a.O., Band 2, S. 421, 449, 629, Band 3, S. 45, 237...... 220 Heinz Fischer (Hg.): Einer im Taras Borodajkewycz: Wegmarken Vordergrund: Taras Borodajkewycz. der Geschichte Österreichs, Eine Dokumentation, Wien  Eckartschriften Heft , Wien 

Wirtschaftsuniversität Wien, . Juni  „ Jahre Affäre Borodajkewycz“ positionen dieses massenwirksamen Ausmaßes geben konnte, machte mir jedoch begreifbarer, wie verbreitet uneinsichtige Haltungen weiter- hin waren und dass das übliche Tolerieren rassistischer Äußerungen für die Opfer wie für alle Mitfühlenden unerträglich sein musste. Aber selbst an der Universität wurde nie darauf eingegangen. Schon über Marxismus mehr wissen zu wollen war bis 1968 unzulässig. Dass Jesus und seine Jünger Juden waren, wurde uns nie bewusst gemacht. Vor al- lem neue, meist ältere, höchst kritische und damals tendenziell anar- chistische Künstlerfreunde rund um das Café Hawelka – mit denen

...... 221 sich Jahre später oft Kooperationen für Katalogtexte ergaben37 – be- stärkten darin, dass es um Eindeutigkeit ohne Wenn und Aber ging und um autodidaktische Fortbildung. Das war viel prägender als die Universität, die mir primär als Zeitgewinn und Anerkennungsritual nützlich war. Es beschleunigte die Ablösung vom familiären Umfeld, in dem manches immer wieder hochkam. Geläufig wurde jedoch auch, dass die SPÖ trotz Kreisky und der wichtigen Reformen Christian Bro- das oder Hertha Firnbergs oft nur aus Kalkül antifaschistisch agierte und etwa den Euthanasie-Arzt Heinrich Gross (1915–2005) über Jahre schützte – was vor allem mein Freund Werner Vogt insistierend publik machte.38 Erst 2005 wurde begonnen, die Nazi-Integration in den Bund Sozialistischer Akademiker zu untersuchen, was einflussreiche Sozialisten wie Leopold Gratz und Hannes Androsch, der schon die Borodajkewycz-Affäre bagatellisiert hatte, für überflüssig hielten.39 Auch ein konservativer Moralist wie Otto Schulmeister (1916– 2001) blieb ambivalent und gab in der sonst kaum aufklärend wirken- den Presse dem politischen Klima und fehlenden Vorbildern die Schuld. Es würde eben „den jungen Menschen“, die „nicht mehr wissen, was geschehen ist“, ganz generell das „sittliche Beispiel“ fehlen, um sie „vor dem zurückgebliebenen Gift zu bewahren“. „Weil sie sehen, wie in die- ser Welt mit der Qual und dem Tod von Millionen Politik gemacht wird, findet jener umso rascher Zulauf, der den Eindruck macht, ge- gen diese Welt des Offiziellen zu stehen.“ Offensichtlich sei, dass „ein Geruch über dem Land liegt, den der Kundige spürt, der Geruch der unbeerdigten Opfer aus Bürgerkriegen und Judenmorden.“ Im Vor- wort der von ihm herausgegebenen Dokumentation „Einer im Vorder- grund. Taras Borodajkewycz“, die auch Schulmeisters Kommentar ent- hält, hoffte der spätere Bundespräsident Heinz Fischer, dass dieser Fall „eine gute und heilsame Lehre“ sein würde, eben weil „jener subtile Antisemitismus“, „die nuancierten Konzessionen an die NS-Ideologie und die unterschwelligen Ressentiments gegen ein unabhängiges Ös-

37 Christian Reder: Forschende Denkweisen. Essays zu künstlerischem Arbeiten. Wien – New York 2004. 38 Werner Vogt: Mein Arztroman, Wien 2013, S. 231 ff. 39 Wolfgang Neugebauer, Peter Schwarz: Der Wille zum aufrechten Gang. Zur Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalso- zialisten, Wien 2004...... 222 Erika Weinzierl: Zu wenig Gerechte. Erika Weinzierl: Prüfstand. Österreicher und Judenverfolgung Österreichs Katholiken und der –, Graz  Nationalsozialismus, Mödling  terreich“ endlich zu öffentlichen Auseinandersetzungen führten.40 Nur wird gerade seit dem Erregungsjahr 2000 wegen der ÖVP-FPÖ-Koa- lition latent deutlich, wie es tatsächlich um Zivilisierungsgrade steht. Erst in letzter Zeit wechselten die ständigen antisemitischen Töne der FPÖ aus Kalkül zu latent anti-islamischen Ausfällen. Borodajkewycz stellt – mit minimalen Abzügen zwangspensio- niert – noch 1972 seinen „Wegmarken der Geschichte Österreichs“ im Sinne seines Lehrers Heinrich Srbik die ans Mittelalter anknüpfende, von einer völlig fiktiven ursprünglichen „Deutschen Einheit“ ausge- hende Feststellung voran: „Die Geschichte Österreichs ist durch Jahr- hunderte ein Teil der deutschen Reichs- und Volksgeschichte gewesen. Als im 19. Jahrhundert die Entscheidung gegen das Reich und für ei- nen deutschen Nationalstaat fiel, aus dem Österreich ausgeschlossen wurde, blieb in den Herzen der nun auf sich gestellten Deutschen des Habsburgerreiches das Bewußtsein der Zugehörigkeit zum deutschen Volk, zu seiner Sprache und zu seiner Kultur umso lebendiger.“ Öster- reichs Status als „erstes Opfer Hitlers“ hält auch er für eine blamable Fiktion, denn erst „der jubelnde Empfang der deutschen Truppen sei- tens der österreichischen Bevölkerung und der eigene Triumphzug von

40 Heinz Fischer (Hg.): Einer im Vordergrund. Taras Borodajkewycz. Eine Doku- mentation, Wien 1966, S. 7 ff., 258 f. | Rafael Kropiunigg: Eine österreichische Affäre. Der Fall Borodajkewycz, Wien 2015...... 223 Braunau nach Linz veranlaßten Hitler, das ursprüngliche Konzept ei- ner Personalunion zwischen dem Deutschen Reich und Österreich fal- len zu lassen und auf die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich zu dringen“. Die Interessenlagen bleiben völlig un- kommentiert: die Demokratiefeindlichkeit, die ideologische Gleich- schaltung, die KZs, Österreichs Wirtschaftskraft, seine Goldreserven und Bodenschätze, der sofort einsetzende Raub jüdischen Eigentums, die Kriegsvorbereitungen. Seine Kritik am NS-Regime beschränkt sich weiterhin, selbst inländische Minoritäten völlig negierend, perfide auf die mit dem Einmarsch in Prag einsetzende Beherrschung anderer Volksgruppen, denn „damit mißachtet Hitler das Selbstbestimmungs- recht der Völker, in dessen Zeichen er selbst angetreten und bisher die Einigung Deutschlands mit Duldung der Großmächte durchführen konnte, und überschreitet die Grenze vom deutschen Nationalstaat zu einem imperialistischen Herrschaftssystem über nichtdeutsche Bevöl- kerungsteile“ – so als ob nur die kriegerische Expansion der Grundfeh- ler gewesen wäre. Zu den Judenmorden findet sich kein Wort.41 Für mich blieb an Böhm und Borodajkewycz – und dem Vater als moderatere, dann auf sein Geschäftsleben konzentrierte Version davon – das fehlende Verständnis für Menschenrechte essenziell trotz im Alltag durchaus sozialen Verhaltens. Wie „Christlich-Soziales“ der ÖVP war auch die FPÖ mit ihren damals 5 bis 10 Prozent bei uns nie ein Thema, war sie doch eher „eine Partei der Länder“, und „die (teilweise) Integra- tion der alten Eliten des nationalen Lagers“ funktionierte ohnedies, so Lothar Höbelts abstrus unkritische Parteigeschichte von 1999, in der es zu deren NS-Wiederbetätigungs-Geisteswelten völlig unkommentiert heißt: „Korrumpiert war das NS-Regime zuallererst durch die Niederla- ge, die es heraufbeschworen hatte.“42 Dem FPÖ-Funktionär Wilfried Gredler verweigerte der Vater Wahlspenden, da er sich nicht mehr enga- gieren wollte. Zuletzt gefiel ihm Heide Schmidt sehr, ohne dass er deren Liberales-Forum-Initiative noch erlebte. Die Eltern waren vermutlich Nichtwähler, jedenfalls war eher Ablehnung als eine Präferenz erkennbar. Wir wurden auch nicht als Deutsche erzogen. Aus dem manischen Deutschtum der Vätergeneration wurde bei mir – bestärkt durch die damalige Protestbewegung und Arbeitsjahre in Deutschland – res-

41 Taras Borodajkewycz: Wegmarken der Geschichte Österreichs, Wien 1972, S. 5, 70, 74. 42 Lothar Höbelt: Von der vierten Partei zur vierten Kraft. Die Geschichte des VdU, Graz 1999, S. 7, 68...... 224 pektvolles Interesse, gerade weil deutsche Medien laufend eine politi- sche Diskussions- und Dissenskultur jenseits hiesiger Dumpfheit be- wusst machen. Das Österreichischem angeblich so verwandte CSU- Bayern blieb mir eher fremd, hat aber immerhin eine Süddeutsche Zei- tung und großartige Kabarettisten. Kaum zur Sprache kam, weshalb Deutschnationales in Österreich so lange einflussreicher war als in Deutschland. Mit zunehmendem Wissen unbegreiflich blieb, wie in ablehnender Unkenntnis linker Theorien und Analysen an eine Sym- biose von Unvereinbarem – von (krassem) Nationalismus und (defor- miertem) Sozialismus – geglaubt werden konnte. Als Kontinuität ihrer Rechtslastigkeit bezeichnender war schließlich, dass Böhm und Boro- dajkewycz (der meinem Vater sogar das Engagement im „jüdischen“ Rotary-Club vorwarf) die exponiertesten mir bekannten Katholiken waren, mit engen Kontakten zu kirchlichen Autoritäten, aber dennoch Nazis wurden und es partiell bleiben konnten. Auch das an Stim- mungslagen orientierte Schweigen der Kirche im noch viel katholi- scheren Österreich war am moralischen Bankrott und an Geschichts- fälschungen maßgeblich beteiligt. Kriegsverbrechern, nie aber Juden wurde zur Flucht verholfen und selbst der Ustascha-nahe Kardinal Ste- pinac 1998 seliggesprochen. Es überwog eben „in der katholischen Kir- che Österreichs bis 1938 und darüber hinaus jener religiös und wirt- schaftlich motivierte Antisemitismus, der im katholischen Österreich eine lange Tradition hat“, so Erika Weinzierl in „Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938–1945“.43 Es war 1969 ein später, aber wichtiger Impuls, um das Lesen dar- über zu intensivieren als in Wellen wiederkehrendes Interesse: Hannah Arendts „ Eichmann in Jerusalem“, der Bericht des Auschwitz-Kom- mandanten Rudolf Höss, die Bücher von Victor Klemperer, Primo Le- vi, Jean Améry, Ruth Klüger, Viktor Frankl, Jorge Semprún, Aleksan- dar Tišma, Imre Kertész, Heimrad Bäcker, Zygmunt Baumann oder von Jan Philipp Reemtsma herausgebrachte Publikationen …

43 Erika Weinzierl: Zu wenig Gerechte. Österreicher und die Judenverfolgung 1938–1945, Graz 1969, S. 96...... 225 MUSSOLINI. In seinen Erinnerungen erwähnt Josef Klaus, von 1966 bis 1970 der bislang einzige Bundeskanzler einer ÖVP-Alleinre- gierung im angeblich eher „bürgerlichen Österreich“, eine Initiative zur Revision der Geschichtslehrbücher unter Rückgriff auf das Umfeld von Othmar Spann und Heinrich Srbik, die Nachwirkungen hier be- schriebener persönlicher Beziehungen erhellt. „Beim Historikerkon- gress 1968 in Wien“, heißt es darin, „bat ich den römischen Professor Valsécchi und seinen damaligen österreichischen Gesprächspartner Professor Engel-Jánosi anlässlich eines Empfangs im Schloss Belvedere an meinen Tisch.“ Daraus ist „eine von beiden Regierungen geförder- te Institution geworden. Professor Valsécchi führte das italienische, Professor Wandruszka das österreichische Gelehrtenteam an, der Pro- fessor für Zeitgeschichte, Jedlicka, zeichnete als Generalsekretär.“ Es ging um Vorschläge, wie „alsbald an die Bereinigung der Geschichts- lehrbücher“ heranzugehen sei – und das im Jahr 1968.44 Auch der His- toriker Adam Wandruszka (1914–1997) war Srbik-Student. Ludwig Jedlicka (1916–1977) exponierte sich durch die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien und als Mitgründer des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Franco Valsécchi (1903–1991), der mit Wandruszka wie mit Jedlic- ka weiter gemeinsam zur Geschichte Österreichs und Italiens publi- zierte, ist auch der Autor von „Das moderne Italien. Politische Geis- tesgeschichte seit 1900“, in dem 1935 der Aufstieg von Mussolinis Fa- schismus höchst optimistisch beschrieben wird. Es mündet trotz des bald anlaufenden, von Gaskriegsmassakern begleiteten italienischen Angriffs auf Abessinien, der mit dem kurz darauf einsetzenden Spani- schen Bürgerkrieg die neuerliche Militarisierung der Politik und Itali- ens Pakt mit Hitler einleitete, in die Vision: „Die beiden Wege – der Weg Roms und der Berlins – können sich vereinen oder trennen; aber über die Wechselfälle des Augenblicks hinaus verbindet sie die gemein- same Größe: die Poesie eines titanischen Bemühens, die Welt zu erneuern.“45 Von 1934 bis 1939 lehrte Valsécchi an der Universität Wien Zeitgeschichte und wurde ein Freund meines Vaters, weshalb sein sonst nirgends mehr erwähntes Buch in meine Bibliothek gelangte.

44 Josef Klaus: Macht und Ohnmacht in Österreich, a.a.O., S. 304 f. 45 Franco Valsécchi: Das moderne Italien. Politische Geistesgeschichte seit 1900, Hamburg 1935, S. 304...... 226 Time-Magazine-Titel mit Franco Valsécchi: Das moderne Mussolini, New York, . Juli  Italien. Politische Geistesge- schichte seit , Hamburg 

Erinnert wurde schon daran, wie sehr Dollfuß Mussolini als – un- zuverlässige, dann mit Hitler paktierende – Schutzmacht respektierte, da „wir die großen Ideen bewundern, von denen das moderne Italien unter der Führung des Duce getragen wird“.46 Selbst Churchill beton- te in seinen Memoiren, wie positiv Mussolinis Revolution weithin ge- sehen wurde und dass der Nationalsozialismus damals vielen „als rohe und verwilderte Form des faschistischen Gedankens“ galt.47 Erhellend ist, dass sich in Valsécchis Faschismus-Buch für einen weiterhin oft ge- nug beliebig eingesetzten, einstige Intentionen verhöhnenden formel- haften Politikjargon uferlose gedankliche Parallelen zu späteren Aussa- gen und Vorgängen finden. „Denn Mussolini war Sozialist“ und ursprünglich „Volksschulleh- rer in einem kleinen Dorf in der Emilia“, heißt es darin, „aber sein So- zialismus unterschied sich von jenem bequemen Sozialismus, der die Partei charakterisierte. Sein Sozialismus war nicht demokratisch und bürgerlich, sondern war revolutionär“ und überdies „nur eine proviso- rische Einstellung“. Denn Marxist war er schließlich nicht mehr, „in Wirklichkeit war er es vielleicht nie gewesen“. Zwar hatte ihn als Lei- ter „des mächtigen Parteiorgans, des Avanti“, schon am „Vorabend des

46 Edmund Weber (Hg.): Dollfuß an Österreich, a.a.O., S. 122. 47 Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg, Memoiren, 12 Bände, Bern 1948, Erster Band, Erstes Buch: Der Sturm zieht auf, S. 118...... 227 Krieges“ beschäftigt, „das eingeschläferte revolutionäre Gewissen des italienischen Sozialismus aufzurütteln, dem Sozialismus den dynami- schen Wert, den er verloren hatte, zurückzugeben“. Aber erst nachdem er die Partei verlassen und seine eigene Zeitung hatte, gelang ihm die Bildung „von freien, vorurteilslosen Gruppen ohne Methode und oh- ne Programm, die nur im Hinblick auf ein einziges festes unmittelba- res Ziel vereint sind, nämlich im Hinblick auf den Krieg“ – sowie „die Behauptung der ‚Italianità’“, des „italienischen Lebens“. „Links und rechts werden zu bedeutungslosen Worten“: „Die rationalen Schema- ta zerbrechen, die Forderung nach einer alles umfassenden, in allen ih- ren komplexen Elementen erlebten Wirklichkeit bricht sich Bahn, sittliche Forderungen treten hervor, übernationale Werte behaupten sich. Nicht mehr Vernunft und Materie, sondern Wille und Tat be- haupten das Feld.“ Der Marsch auf Rom am 28. Oktober 1922 wurde zur „Geburt einer neuen Welt“. Zwar hatte Mussolini „keinerlei Praxis in der Regierungsführung und in der Verwaltung, keinerlei Erfahrung in dem bürokratischen Getriebe. Aber er besaß einen instinktiven Sinn für die Führung.“ Nie vergessen wurden „die ersten Anfänge des Fa- schismus in jenem Syndikalismus, der sich vor allem damit beschäftig- te, die arbeitenden Kräfte zur Verteidigung ihrer Interessen zu organi- sieren, ohne sich indessen von irgendeiner politischen Doktrin unter- jochen zu lassen“, er also von pragmatischer Gewerkschaftsarbeit aus- gegangen war. Der so lange propagierte Klassenkampf wurde durch „die Idee der Zusammenarbeit“ ersetzt, eben „der Harmonie und der Eintracht der produktiven Kräfte“, abgesichert mit „der Einrichtung des Nationalrats der Korporationen“. Eine „ruralizzazione“, eine Ver- ländlichung, wurde zum wesentlichen Programmpunkt, denn „ob- wohl der Faschismus in der Stadt entstanden war, wird er allmählich von einem ländlichen Geist durchtränkt, er gibt dem Land gegenüber der Stadt den Vorzug. Er wendet den Blick nicht der Großindustrie, sondern der Landwirtschaft zu“. Als „drittes Rom“ nimmt er „sowohl die römische als auch die katholische Tradition wieder auf“, denn es war „eine erneute religiöse Sehnsucht entstanden“. Stolz wird die Unterstützung der meisten Intellektuellen ver- merkt, denn „von den großen Namen des heutigen Italiens, die einen europäischen Ruf haben – Philosophen wie Gentile und Croce, Dich- ter wie D’Annunzio, Schriftsteller wie Pirandello, Wissenschaftler wie Marconi –, ist nur ein einziger, nämlich Croce, der in entschiedenem Gegensatz zum Faschismus steht; die anderen blicken alle voll Vertrau- ...... 228 en und Hoffnung auf das neue Italien“. Inhaftierte Gegner wie Anto- nio Gramsci (1891–1937) werden nicht erwähnt. Auch zur weltweit Aufsehen erregenden Ermordung des sozialistischen Politikers Giaco- mo Matteotti (1885–1924), die früh die rücksichtslos-diktatorischen Absichten evident machte, findet sich kein Wort. Zustimmend kom- mentiert wird, dass „das Volk“ von der Partei selbst, „der organisierten Aristokratie des Regimes“, und den neu geschaffenen Institutionen unter „die Obhut“ genommen werde.48 Dass der Große Faschistische Rat Mussolini am 25. Juli 1943 absetzen konnte und eine massive Re- sistenza einsetzte, war mit Hitler undenkbar – auch dass Mussolinis jüdische Geliebte Margherita Sarfatti (1880–1961) ihn jahrelang künst- lerisch beriet. In ihrem Salon verkehrten auch Schriftsteller wie André Gide, Curzio Malaparte oder Alberto .49 Alma Mahler-Werfel zufolge war sie über Jahre „die ungekrönte Königin Italiens“, die dar- an festhielt, dass Mussolini nie beabsichtigt hätte, „den Hitler-Antise- mitismus in Italien einzuführen“; erst zuletzt fand sie ihn „ver ab scheu- ungswürdig“.50 Wenn Professore Valsécchi und seine mondäne Frau Zezi aus Rom zu Besuch kamen, spürten auch Heranwachsende, dass sie aus einer anderen, von lebenslustiger Grandezza geprägten Welt zu stammen schienen. Ihre Kommentare zur Lage waren weit weniger missmutig als gewohnt. Die starke Kommunistische Partei Italiens hielten sie – wie bei „Camillo und Peppone“ – für einen Teil ihrer Realität, weil auch viele Etablierte, was hierzulande undenkbar blieb, deklarierte Kommunisten geworden waren. Mein keimendes Kunstinteresse be- eindruckten die Stillleben von Giorgio Morandi (1890–1964), über die sie uns ein Buch mitbrachten.

48 Franco Valsécchi: Das moderne Italien, a.a.O., S. 23, 25, 131–134, 142, 143, 160, 254, 285, 286, 290, 295, 297, 299, 302 f. | Benito Musssolini: Doktrin des Fa- schismus, Leipzig 1934. 49 Karin Wieland: Die Geliebte des Duce. Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus, München 2004, S. 300 ff. 50 Alma Mahler-Werfel: Mein Leben, Frankfurt am Main 1960, S. 191...... 229 HORTHY-UNGARN. In einem Architekturführer über signifikan- te Bauten Budapests im 20. Jahrhundert habe ich ein singuläres Bild- dokument entdeckt, das die Familie meiner Mutter auf dem Balkon ihrer 1936 bezogenen Wohnung am südlichen Abhang des Gellértbergs zeigt: links sitzend mein Großvater Josef Herczegh (1886–1965), in der Mitte die Großmutter Gisela Herczegh (1894–1968), daneben die bei- den Kinder, das zu meiner Mutter Eva Reder (1922–2007) werdende 14-jährige Mädchen und ihr 12-jähriger Bruder Karl „Lacy“ Herczegh (1924–1960).51 Da ich als Kind öfter dort war, gab es für mich keine Zweifel. Meine Mutter bestritt aber lange entschieden, dass das sie wä- ren; das Haus stimme zwar, nicht aber das Stockwerk und die Zeit etc. Begreifbar wurde, dass sie sich nur sehr selektiv erinnern wollte, hatte sie doch, wie oft betont, ihre beste, sorglos-unbeschwerte Zeit kurz vor dem drastischen Spürbarwerden des Krieges in der – im Vergleich zu Kommendem stets unkritisch kommentierten – unterhaltsamen At- mosphäre unter Admiral Horthy erlebt. Erzählungsfragmente drehten sich um junge Offiziere mit Leopardenfell-Umhängen, um die Ele- ganz, die Attitüden, den Snobismus des Gesellschafslebens. Erst nach der Wende von 1989/90 kamen stereotype magyarische Denkmuster wieder hoch, von denen früher nie die Rede gewesen war: Aversionen gegen Tschechen, „die uns Oberungarn weggenommen haben“, gegen Rumänen wegen Siebenbürgen, gegen Serben und Kroaten ohnehin, und selbst gegen Juden, trotz allem, was ihnen gerade in Ungarn an- getan wurde, weil sie vielen weiterhin nicht als „echte Ungarn“ gelten. Aufgewachsen in einem strengen katholischen Internat, in dem Du- schen nur im Nachthemd erlaubt war, so die Schilderungen, war sie danach gerade dabei, ihre neuen Freiheiten zu nutzen. Als meine Mutter am 20. Juli 1942 über Vermittlung einer Freun- din im noblen Freibad des Hotel Gellért meinen um fast zwanzig Jah- re älteren Vater kennenlernte, dürften beide rasch von einander beein- druckt gewesen sein. Sein erklärter Plan war, möglichst bis zu seinem 40. Geburtstag die Richtige zu finden. Die Große Deutsche Kunstaus- stellung in München war Anlass für ihr erstes verschwiegenes Treffen. Ab Herbst studierte sie Kunstgeschichte in Wien – als Gelegenheit, sie „auf Herz und Nieren zu prüfen, ob sie sich als Partnerin fürs Leben eignet“, so sein prosaischer Kommentar. Aus Gesprächen entlang der

51 Zsuzsa Lörinczi, Mihály Vargha (Hg.): Budapest. Architectural Guide 20th Century, Budapest 1997, S. 186...... 230 Familie Herczegh , Budapest, Himfy u. , Budapest, Architectural Guide th Century, 

Hauptallee bis zum Lusthaus ergab sich dann die beidseitige Heirats- absicht. Die Hochzeit wurde im Mai 1943 im von Deutschen bevor- zugten Hotel Gellért gefeiert. Weil sie Ausländerin und um so viel jün- ger war, brauchte er dafür als Parteigenosse die Bewilligung der Partei. Dass er kirchlich heiraten wollte und eventuelle Kinder taufen lassen werde, „ergab sicher wieder einige Schlechtpunkte“ für die Partei- beschreibung, wie er notierte. Immerhin überwand er damit deutsch- nationalen Hochmut, waren seine Kreise doch nach ersten Parisreisen überzeugt, selbst noch so attraktive Französinnen kämen wegen ihrer „anderen Kultur“ nicht als Ehepartner in Frage. Zur Hochzeit trug er den Zylinder seines verstorbenen Freundes Wilhelm Wolf, den dieser „als österreichischer Außenminister im Kabinett Seyß-Inquart beim Staatsakt des Anschlusses, der auch seine Unterschrift trägt“, benutzt hatte. Dass ein geladener Verwandter, der Staatssekretär für Transport in der Horthy-Regierung Hubert Pál Álgyay (1894–1945), der Brü- ckenbau-Professor an der Technischen Universität war, die Petöfi-Brü- cke entworfen und die Margareten-Brücke umgebaut hatte, nicht er- schien, weil er einem Deutschen nicht die Ehre erweisen wollte, galt bloß als Zeichen störrischer Opposition. Rückblickend auf das junge Eheglück war von den auf Jahre hinaus besten Zeiten die Rede, mit der Hochzeit als letztem „hochbürgerlich“ glanzvollem Fest. „Ohne sie“, so meines Vaters mit Liebesbekundungen verbundene Notizen als Achtzigjähriger, „wäre uns sicher der mehrmalige Wiederaufstieg nicht so gut gelungen.“ Da die Eltern des Vaters nicht mehr lebten, hatten wir nur die un- garischen Großeltern als ältere familiäre Bezugspersonen, er ein libe- raler, höflicher Bergwerksdirektor, der an der heutigen Montanuniver- sität Leoben studiert hatte, sie eine Lady mit zurückhaltender Eleganz...... 231 Zeitlebens sprachen sie einander mit ‚Sie’ an, was mir extrem respekt- voll erschien. Unter den Kommunisten von seinem Verwaltungspos- ten entlassen, musste er sich mit der Kenntnis von neun Sprachen als Übersetzer durchschlagen. Von Besuchen her, die oft mit stundenlan- gen Untersuchungen an der Grenze verbunden waren, blieb mir ihre trostlose Situation im stalinistischen Ungarn mit einquartierten feind- seligen Mitbewohnern in der nur durch Vorhänge abtrennbaren Bau- hauswohnung sehr präsent. Während des Aufstandes 1956 sandte mein Vater einen Firmenlastwagen mit Rot-Kreuz-Material, der auf der Rückfahrt die Großeltern mitnehmen sollte. Als bereits Übersied- lungsgut aufgeladen war, weigerte sich die Großmutter jedoch, die Stadt zu verlassen. Zwei zu uns geflohene Cousins, kaum älter als ich, kehrten nach Wochen intensiver Kinobesuche wieder zurück, weil sie sich in Österreich nicht zurechtfanden, machten aber dann doch un- ter Kádár Karriere, der eine sogar als Diplomat. Sich ausschließlich um das eigene Fortkommen zu bemühen war für sie – nachvollziehbarer- weise – so zentral, dass es später für bei uns übliche politische Diskus- sionen kaum ein Verständnis gab. Den Aufstand verfolgte ich, damals zwölf, aufgeregt mit, nun konkreter ahnend, wie es im Krieg zugeht. Das deprimierende Life-Sonderheft dazu besitze ich heute noch. Da der Großvater oft für die US-Botschaft Übersetzungen machte, wurde er als Agent verdächtigt und unter brutalen Begleitumständen mona- telang inhaftiert, die Großmutter nach Tihany am Balaton deportiert. Schließlich wurden beide als unnütz gewordene Alte – ein Novum da- mals – überraschend ausgewiesen, vermutlich weil auf allen Ebenen für sie interveniert worden war. Nur transportables Gepäck war er- laubt. In Wien lebte er davon, etwa Bedienungsanleitungen für Si- korsky-Helikopter ins Russische zu übersetzen, weil solche Lieferun- gen möglich wurden. In den Bergwerken war er zum Schlangenlieb- haber geworden und hielt sich manche in Terrarien. Geschichten von überwinternden Kreuzotter-Knäueln sind mir in schauriger Erinne- rung. Mit einer im Wald gefundenen Äskulapnatter, die er sehr sorg- sam behandeln konnte, wollte er mir die Angst vor Schlangen neh- men. Erst eine in seinen letzten Stunden entdeckte Narbe machte be- kannt, dass er sich als junger Mann aus Liebeskummer in die Brust ge- schossen hatte. Nach der Ausreise ihrer Eltern wollte meine Mutter nie mehr nach Ungarn. Auch ich habe die kleine Wohnung neben der Hauptsynagoge, die ich mir in den 1990er Jahren als naheliegenden Fluchtpunkt für Schreibarbeiten leistete, wieder aufgegeben, weil das ...... 232 öffentliche Klima merkbar bedrückend wurde. Als wir meiner Mutter die ungarische Ausgabe eines Buches von Péter Esterházy schenkten, gestand sie ein, dass ihr das eigene Ungarisch bereits altertümlich vor- kam, weil sie viele seiner Wortspiele nicht verstand. Über ungarische Familienkonstellationen erfuhr ich noch weniger als über die österreichischen. Besuche bei Tante Sari (Charlotte) in Bu- dapest, einer Schwester der Großmutter, machten Horthy-Zeiten be- greifbarer. Sie hatte ein unangepasstes Leben geführt und sich früh Re- glementierungen widersetzt, als erste Ungarin den Führerschein ge- macht und mit einem Hutsalon ihren Ehemann, einen nicht mehr in- tegrierbaren Offizier, eine Zeit lang durchgebracht. Dann lebte sie län- ger in England, kehrte aber zur Pflege ihres fast blinden Vaters zurück. Mit ihrem jüdischen zweiten Ehemann schlug sie sich unter Kádár mit ärmlichster Rente als Kontrollorin von Lottozetteln durch. Sie wollte sich aber nirgendwohin einladen lassen, weil ihr die Leute, die sich in sozialistischen Zeiten Restaurants leisten konnten, nicht passten. Ge- blieben war ihr, das Leben zu nehmen, wie es kommt, betonte sie stets fröhlich. Eine andere Tante, Adrienne von Kecskéssy, aufgewachsen als Toch- ter des ungarischen Konsuls in Monaco und später in der Schweiz le- bend, beschrieb in ihren Erinnerungen den elementaren Schock und ihre lang anhaltende Magersucht, als sie nach der völlig sterilen Erzie- hung zum femininen Geschöpf beiläufig von einem Gutsbesitzeronkel erfuhr, dass Landwirtschaft Dünger braucht, also selbst Brot aus Fäka- lien entstehe. Die Räterepublik wiederum erschien ihr durchaus als aufregender Bruch voller Neuerungen. Diese Passagen des Manuskrip- tes, das sie mir zur Durchsicht sandte, fehlen in der Endfassung, offen- bar auf Druck eines bigotten geistlichen Ratgebers. In ihrem Buch „DAOS verleumdeter Gott“ hat sie noch eine ziemlich eigensinnige Privatreligion entwickelt. In Monaco gehörte die Familie des reichen Geschäftsmanns Emil Jellinek zu ihren Bekannten, auf dessen Tochter die Automarke Mercedes zurückgeht, weil er extra für ihn angefertig- te Sportwagen nach ihr benannte. Hotels an der Côte d’Azur hielten noch für einige Jahre billige Zimmer für verarmte Aristokraten bereit, um sie als nobleres Publikum zu behalten, so ihre Schilderung dama- liger Übergangszeiten. Weil „die Kavallerie kaum mehr zum Einsatz kam“, habe ein nuanciertes System von Prestige und Ehre seine Basis verloren. Der magyarische Gott Hadur, Inbegriff für „die Seelen der verstorbenen ungarischen Patrioten“, wurde wichtig genommen. Aus ...... 233 verbreiteter Angst, scheintot begraben zu werden, war in höheren Kreisen das Ritual üblich, aufgebahrten Toten das Herz zu durchboh- ren: „Als Papa 1916 starb, wurde seinem Wunsch nach einem Dolch- stich Folge geleistet.“ Beim Tod ihrer Mutter 1959 in Mailand war dies nicht mehr möglich, denn „keiner der Ärzte, die ich darum bat, war bereit, ihr den Dolchstich zu versetzen oder mir die richtige Stelle zu zeigen, damit ich es an seiner Stelle hätte ausführen können“.52 Weil ich von der Beteiligung Emil Oswalds an den Rückkehrver- suchen Kaiser Karls nach Ungarn noch nichts wusste, betrifft die abenteuerlichste, mir schon als Kind bekannte Familiengeschichte den aus Wien stammenden Geologen Baron Heinrich Foullon von Norbeeck (1850–1896), mit dem es offenbar ein ungarisches Ver- wandtschaftsverhältnis gab. Für geologische Untersuchungen hatte er ausgedehnte Reisen im Mittleren Osten, im Ural, nach Nordamerika, Australien, Neuseeland und in den Pazifik unternommen. Zum Chef- geologen der Monarchie geworden, wurde er mit dem von der Mari- nesektion des Kriegsministeriums ausgerüsteten Schiff „Albatros“ neuerlich zu den Salomoneninseln in der Südsee entsandt, vor allem um nach seltenen Nickelvorkommen zu suchen, so der Geheimauf- trag von Friedrich Krupp, dessen Werk in Berndorf davon profitiert hätte. Auf dem schwierigen Weg ins Landesinnere zum „Lionshead“ ge- nannten Berg auf der Insel Guadalcanal – wo im Zweiten Weltkrieg eine der heftigsten Pazifik-Schlachten stattfand – „wurde die Gruppe von Einheimischen überfallen. Mehrere Matrosen fanden den Tod. Andere wurden verletzt. Heinrich Foullon von Norbeeck wurde von einer verirrten Kugel aus einem österreichischen Gewehr getroffen und starb eineinhalb Stunden später. Die Bergungsmannschaft fand tags darauf die Verwundeten, die Toten waren verschwunden: aufge- fressen, wie in den zahlreichen Presseberichten zu diesem Ereignis zu lesen war“, so die Recherchen meines Freundes und Partners im Hilfs- komitee für Afghanistan, des Ethnologen am Wiener Völkerkunde- museum, Alfred Janata (1933–1993). Weil vom Schiff Rauchsäulen zu sehen waren, hofften zeitgenössische Berichte, dass die Toten bloß ver- brannt wurden. Mir wurde stets erzählt, dass dieser Verwandte von Kanibalen verspeist worden war und eine Strafexpedition noch iden-

52 Adrienne von Kecskéssy: Ent-täuschungen. Erinnerungen aus der Zeit nach der Jahrhundertwende, Zürich 1985, S. 26, 31 f., 55, 57, 69...... 234 Hochzeit von Franz und Eva Reder, Budapest, Mai 

Neues Horthy- Denkmal in Budapest 

tifizierbare Beweise dafür fand, was sich mit Erinnerungen an „König Salomons Diamanten“ überlagert, jenen mir wichtigen frühen Afrika- film, den ich 1951 als Volksschüler im Metro-Kino gesehen habe.53 Nach meinem Geburtsort gefragt, war ich stets auf Budapest stolz, weil es eben nicht alltäglich war, gerade zu Zeiten des Eisernen Vor- hangs. Ungarisch habe ich nie gelernt weil ich es nur mit der Mutter hätte sprechen können. Als halber Ungar, halber Österreicher habe ich mich nie gefühlt, weil mich die Nationalität kaum beschäftigte. Im Ausland sage ich in der Regel, ich komme aus Wien. Als vager Ansatz von Mehrfachidentität hat das vielleicht eine Europa-Orientierung be- günstigt, gerade weil sich auf Politik und Geschichte bezogen zu Ös-

53 Alfred Janata: K. u. k. Kolonialismus, o.J., Archiv Ch. Reder | Nachruf Heinrich Freiherr von Foullon-Norbeeck im Jahrbuch k. k. Geologische Reichsanstalt Bd. 47, OÖ Landesmuseum, zobodat.at | König Salomons Diamanten, Spiel- film, USA 1950...... 235 terreich – und weit mehr noch zum heutigen Ungarn – eine kritische Distanz ergeben hat. Mit zunehmendem Wissen habe ich oft meine Mutter geärgert, indem ich auf türkischen und tatarischen Vorfahren beharrte, was mir nach 150 Jahren osmanischer Herrschaft in Ungarn sehr plausibel vorkam. Deren Ausdehnung auf Wien als gerade noch abgewendete Ur-Katastrophe zu sehen, wie es uns ständig dargestellt wurde, erschien mir auch angesichts von Mozarts Orientbegeisterung völlig übertrieben, wo doch die Rückeroberung Budapests durch die Habsburger 1686 in Massaker und eine Schreckensherrschaft münde- te und Ungarn damit „aus dem türkischen Regen in die österreichische Traufe“ geraten war (Péter Esterházy).54

UNIVERSITÄTSKLIMA: SPANN. SRBIK. Sein nebenberufliches Studium der Staatswissenschaften schloss mein Vater 1928 mit der ka- pitalismuskritischen Dissertation „Der gerechte Preis und seine Grund- lage, die organische Preislehre“ bei Oskar Pisko (1876–1939) ab, als be- zeichnenderweise der spätere Kardinal Innitzer Rektor der Universität Wien war. Trotz der Härten als armer Werkstudent war meinem Vater das, wie oft betont, zur Absicherung eines sozialen Aufstiegs wichtig, obwohl er zeitlebens Geschäftsmann blieb. Unter höherer Bildung wur- de im Studium Angeeignetes verstanden, und dabei blieb es meist. Weil Othmar Spann (1878–1950) und Heinrich Srbik (1878–1951) für ihn ein- flussreiche Lehrer waren, gelangten die 21 Bände Spanns „Gesammelter Werke“ in meine Bibliothek (wie Hitlers „Mein Kampf“ oder Rosen- bergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“).55 Ein Gesprächsthema waren dessen ausufernde Thesen nicht mehr. Auch die Zeitschrift für Ganz- heitsforschung wurde 2006 eingestellt. Zu ganzheitlichem, Ökologie ein- schließendem Denken in heutigem Sinn lassen sich wegen Spanns aus- geprägt statisch-organischer, dezidiert elitärer antidemokratischer Ge- sellschaftsauffassung sichtlich kaum noch Verbindungen herstellen. Spann unterrichtete von 1919 bis 1938 Nationalökonomie und Ge- sellschaftslehre und wurde mit seiner „Ganzheitslehre“ zum einfluss- reichen, auch international wahrgenommenen Vordenker des autori- tären, auf Fachleute bauenden Ständestaates. Wegen nur partiell erziel- barer Übereinstimmung seiner österreichischen Faschismus-Version

54 Péter Esterházy: Donau abwärts, Salzburg – Wien 1992, zit. in: Christian Reder, Erich Klein (Hg.): Graue Donau, Schwarzes Meer, Wien – New York 2008, S. 116. 55 Othmar Spann: Gesamtausgabe in 21 Bänden, Graz 1963/1974–1979...... 236 J. Hanns Pichler (Hg.): Othmar Othmar Spann: Spann oder Die Welt als Ganzes, Der wahre Staat, Leipzig  Wien 

„Werkschloss“ von Othmar Spann bei Mariasdorf, Burgenland mit dem Nationalsozialismus im KZ Dachau inhaftiert und folgen- reich schwer misshandelt, lebte er danach mit seiner Frau, der Lyrike- rin Erika Spann-Rheinisch (1880–1967), zurückgezogen auf seinem Schloss im Burgenland und blieb auch nach 1945 politisch und akade- misch verfemt. Der in einem Buch Mussolini würdigende Heimwehr- Ideologe Walter Heinrich (1902–1984) war sein engster Mitarbeiter,

...... 237 Vertrauter und Nachlassverwalter.56 Die Kreise meines Vaters wurden von Spanns gegen Sozialismus, Marxismus, Liberalismus und Demo- kratie gerichteten Vorstellungen sehr geprägt, trotz ihrer Distanz zur Vaterländischen Front. Als österreichisches Spezifikum blieben sie eher im Stillen durchaus einflussreich. Noch in der aktuellsten Darstellung von Spanns Theoriegebäude durch Johann Hanns Pichler von der Wiener Wirtschaftsuniversität werden 1994 Stimmen zitiert, etwa Ernst Molden, Veit Pittioni oder Gerd-Klaus Kaltenbrunner, die belegen sollen, dass er, als absonderlich eingeengte Sichtweise, „ein zu Unrecht vergessener Philosoph“ und so- gar „der größte österreichische Philosoph dieses Jahrhunderts“ sei. In dafür empfänglichen Gruppierungen begeisterte Spann weiterhin als „der letzte große Systemphilosoph“, eben weil er sich gegen so vieles stellte, etwa dass der Einfluss von René Descartes (1596–1650) „als Be- ginn des Übels wieder rückgängig gemacht werden“ müsse. Zur Phi- losophie des 20. Jahrhunderts finden sich kaum Bezüge, sichtlich um Spanns einsame Größe zu betonen. Ludwig Wittgenstein oder Karl Popper werden in dieser Zusammenfassung mit keinem Wort er- wähnt. Oskar Morgenstern und Friedrich August von Hajek wandten sich bald von Spann ab. Ohne auf problematische Überschneidungen einzugehen wird konstatiert, er sei „ein ‚großdeutscher’ Patriot, doch zu keiner Zeit ein Nazi“ gewesen.57 „Der Inbegriff des neuen ‚Typus’ von Wissenschaftler, der in den kommenden Jahren immer mehr gefragt sein sollte, war der National- ökonom Othmar Spann“, berichtet Bruno Kreisky von seiner Zeit an der Wiener Universität. „Spann hat sich als wissenschaftlicher Wegbe- reiter des korporativen Staates, des Ständestaates und letztlich des Na- tionalsozialismus betrachtet, was ihn allerdings nicht davor bewahrt hat, später von den Nazis eingesperrt zu werden.“ Er war „ein Roman- tiker, einer seiner Säulenheiligen, derjenige, mit dem seiner Meinung nach die moderne Wissenschaft begonnen hatte, war der Freiherr von Gentz, der engste Mitarbeiter Metternichs. Sein ganzes sozialökono- misches Wissen hatte er in einem kleinen Büchlein zusammengefasst, und wer dieses blaue Büchlein, ‚Haupttheorien der Volkswirtschafts-

56 Walter Heinrich: Der Faschismus. Staat und Wirtschaft im neuen Italien, Mün- chen 1932. 57 Johann Hanns Pichler (Hg.): Othmar Spann oder Die Welt als Ganzes, Wien 1994, S. 17, 18, 52, 109 | Karl Sigmund: Sie nannten sich Der Wiener Kreis, Wiesbaden 2015, S. 248...... 238 lehre’, kannte, und seinen Inhalt zum besten geben konnte, brauchte zumindest bei Spann keine Prüfungssorgen mehr zu haben“. Aber „die Theorien Othmar Spanns und anderer rechtsstehender Professoren fanden in den späten zwanziger Jahren immer mehr Anhänger. Der große Staatsrechtler Hans Kelsen war einer der ersten, der die Konse- quenzen zog; bereits 1929 verließ er Wien …“ Zum universitären Kli- ma heißt es bei Kreisky kurz und bündig: „Es war schlicht und einfach die Hölle. Hörer, von denen man wußte, daß sie jüdischer Abkunft waren, oder die so aussahen, wurden immer wieder aus den Universi- täten hinausgeprügelt. Man saß in einer Vorlesung, und plötzlich stürmte ein Haufen Nazistudenten in den Hörsaal – meist in Stiefeln; sie sprangen auf die Bänke und riefen ‚Juden raus!’ und ‚Rote raus!’. Bei den Roten war die Herkunft natürlich nicht so deutlich sichtbar, aber wer von ihnen sich profiliert hatte, zählte unumstößlich zu den ersten Opfern der sogleich beginnenden Prügelei.“58 Heinrich Srbik wiederum war ebenfalls auf die „Deutsche Einheit“ fixiert, so sein mehrbändiges Hauptwerk. Er lehrte Geschichte der Neuzeit, war 1929/30 Unterrichtsminister, 1938–1945 Präsident der „ju- denfrei“ gewordenen, 21 ihrer Mitglieder, darunter drei Nobelpreisträ- ger, verlierenden Akademie der Wissenschaften und 1951 kurz vor sei- nem Tod Wunschkandidat des FPÖ-Vorläufers VdU für die Bundes- präsidentenwahl gegen Theodor Körner und Heinrich Gleissner. Boro- dajkewycz war bei ihm Assistent. Zu seinen Studenten zählten Heimi- to von Doderer, der Historiker Adam Wandruszka, der spätere Bundes- kanzler Josef Klaus oder Kreiskys dann so reformfreudiger Justizminis- ter Christian Broda (Dissertation 1940 über „Volk und Füh rung“).59 In nach dem Krieg ohne jeden Bezug zum Dritten Reich veröf- fentlichten Schriften über „Österreichs Vergangenheit“ stilisierte Srbik jedoch die Donaumonarchie zur verlorenen Idealform, da „für das öst- liche Mitteleuropa die Gleichung Staat und Nation unmöglich“ sei und es daher gerade für „die Erdteilmitte“ einer organisatorischen „Verbindung nationalen und übernationalen Wesens“ bedürfe. Auch wenn es nicht mehr gelungen war, „Österreich-Ungarn rechtzeitig in eine Union nationaler Demokratien umzubauen“, war die Habs bur- germon ar chie „grundsätzlich das relativ gedeihlichste System einer

58 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten, a.a.O., S. 168 ff. 59 Marianne Enigl, Christa Zöchling: Die NS-Geschichte der Akademie der Wis- senschaften, profil, Wien, 9. 2. 2013...... 239 friedlichen Lebensordnung vieler Kleinvölker und Völkersplitter in natürlichen Raumgrenzen“. Indem er jedoch unterstellte, Franz Jo- seph habe „in einem deutsch geleiteten Mitteleuropa, dem Österreich unentbehrlich angehört, die einzige dauernde Befriedung des Erdteils gesehen und hat in seinem Staate die Sendung des südöstlichen Deutschtums bewahrt, deutsche Kultur österreichischer Art zu ver- breiten, zugleich aber den anderen Nationalitäten den kulturellen Auf- stieg zu ermöglichen und den Gedanken der Achtung nationaler Min- derheiten in der bisher vollkommensten Weise zu verwirklichen“, wird überaus deutlich, wie sehr „die gemeinsame deutsche Vergangenheit“ und ein Führungsanspruch das so vieles andere blockierende Trauma dieser Kreise blieb. Trotz ihrem Nationalismus dürfe „das Nationalitä- tenprinzip Napoleons“ keineswegs allgemein gelten.60 Wie dominierend die gegen freigeistig-liberale Positionen und das Rote Wien agitierenden damaligen Geistesgrößen das Klima beein- flussen und Posten mit Gleichgesinnten besetzen konnten, analysiert der US-amerikanische Historiker Janek Wasserman wie erwähnt 2014 in „Black Vienna. The Radical Right in the Red City 1918–1938“ mit hierzulande weiterhin unüblicher Schärfe, gerade weil Wien damals „ein Treibhaus interdisziplinärer Forschung“ und „the greatest socialist laboratory in interwar “ war. Angesichts der verfilzten konser- vativen, katholischen, rechten und rechtsextremen Kreise des „Black Vienna“ – dem die meisten in diesem Band näher behandelten Perso- nen zuzuordnen sind – bekamen ihre Kontrahenten bestenfalls in von Sozialisten unterstützten Institutionen reguläre Beschäftigungen, denn diese „welcomed outsiders“, ob Karl Polanyi, Paul Lazarsfeld oder Karl Popper. Spann und Srbik hingegen hatten Tausende Hörer.61 Im Geiste von Ludwig Boltzmann, Ernst Mach oder Albert Einstein wirkende, weltweit höchst einflussreich werdende markante Kräfte wurden völlig an den Rand gedrängt. Vor allem „Der Wiener Kreis“ mit Moritz Schlick (1882–1936), Otto Neurath (1882–1945), Kurt Gö- del (1906–1978), Hans Hahn (1879–1934) oder Rudolf Carnap (1891– 1970) wurde wegen seiner jedwede Metaphysik ablehnenden „Wissen- schaftlichen Weltauffassung“ bekämpft. Erst 2015 widmete ihm die

60 Heinrich v. Srbik: Aus Österreichs Vergangenheit. Von Prinz Eugen zu Franz Joseph, Salzburg 1949, S. 221 ff., 231, 241. 61 Janek Wasserman: Black Vienna, a.a.O., S. 161, 163, 218, 223...... 240 Universität Wien ihre Jubiläumsausstellung: „Exaktes Denken am Rand des Untergangs“. Sofort nach dem gerade an der Wiener Universität vorbereiteten „Anschluss“ setzte ihre „rücksichtslose ‚Säuberung’“ ein. „An der Phi- losophischen Fakultät zählten 14 von 45 Ordinarien, 11 von 22 außer- ordentlichen Professoren, 13 von 32 emeritierten Professoren und 56 von 159 Privatdozenten als sogenannte ‚Abgänge’. An der Medizini- schen Fakultät waren die Verluste noch krasser“, so Karl Sigmund in „Sie nannten sich Der Wiener Kreis“. In Sebastian Meissls Recherchen zu „Wien 1938“ heißt es: „Ausnahmslos vertrieben wurden die führen- den Vertreter der neu entstehenden Richtungen theoretischer und em- pirischer Psychologie, Soziologie und der Nationalökonomie in ihrer austroliberalen und austromarxistischen Ausformung.“ Sich erst etab- lierende Fächer wie Soziologie oder Psychoanalyse wurden „ausge- löscht“, mit den USA als neuer Basis.62 Das wirkte jahrzehntelang fort. Hätte ich nach meinem vom Va- ter empfohlenen Studium der Staatswissenschaften – von dem ich fälschlich umfassende Grundlagen zu Politik, Gesellschaft, Zeitge- schichte, Menschenrechten erwartete – das Angebot von Professor Günter Winkler angenommen, wäre ich bald mit dem späteren SPÖ- Politiker Peter Kostelka und mit dem FPÖ-„Erneuerer“ Jörg Haider (1950–2008) in dessen Assistentenzimmer gesessen. Aber ein lineares Universitätsleben konnte ich mir ohnehin nicht vorstellen; ich wollte nur weg, hin zu wirklich interessanten Arbeitserfahrungen. Für Frei- heitsgrade bezeichnend ist, dass sich mir schließlich an der Universität für angewandte Kunst Möglichkeiten für selbst gestaltbare Projekte und Publikationen boten, die der Tendenz entgegenwirken konnten, Universitäten auf berufsbezogene Fachhochschulen zu reduzieren.

62 Karl Sigmund: Sie nannten sich Der Wiener Kreis, a.a.O., S. 297 | Sebastian Meissl: Wiener Universität und Hochschulen, in: Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Wien 1938, Wien 1988, S. 197 ff...... 241 KORNEUBURG. Trotz verbaler „Sozialismus“-Inflation ging es bei Mussolini, Hitler, christlichen Neuländern wie Anton Böhm oder Wiens NS-Bürgermeister Neubacher in erster Linie um einen – damit völlig unvereinbaren – der Tendenz nach offensiven und rassistischen Nationalismus. Von vornherein war offensichtlich, dass das mit sozia- listischen Kernthemen, also sozialer Gerechtigkeit, Macht- und Eigen- tumsverhältnissen, Demokratie, Frauenrechten oder transnationaler Solidarität mit Ausgebeuteten, wenn überhaupt, dann nur in völlig pervertierter Form zu tun hatte. Trotz der rigiden Führerhierarchie war rhetorisch jedoch selbst vom NS-System als klassenloser Gesellschaft die Rede, analog zur Sowjetunion und den USA, obwohl diesen An- spruch nirgends fundamentale Bürgerrechte absicherten. Für nach dem Krieg Heranwachsende prolongierten die realsozialistischen Par- teidiktaturen hinter dem Eisernen Vorhang solche mysteriösen Be- griffsverwirrungen. Auch die alten Nazis konnten einem das Sozialis- tische am Nationalsozialismus nicht plausibel machen, noch dazu, wo jene, die ich kannte, in Sozialisten durchwegs politische Gegner sahen. Als es dann in der Studentenbewegung üblich wurde, jeden Feind als Faschisten zu bezeichnen – auch mich manchmal wegen meiner Re- formintentionen oder dem Engagement für Afghanistan –, war kaum geläufig, wie beliebig damit der Sprachgebrauch von Stalinisten über- nommen wurde, für die auch Sozialdemokraten als Faschisten galten. Es dauerte eben seine Zeit, bis begreifbar wurde, dass zur Distanzie- rung vom Nationalsozialismus und wieder hochkommenden Denk- mustern verkürzt von Nazis oder verallgemeinernd von Faschisten die Rede war, um humanitär-sozialistische Ideenwelten entschieden davon abzugrenzen. Aber erst seit der Wendezeit von 1991 nennt sich die SPÖ nicht mehr Sozialistische, sondern wieder Sozialdemokratische Partei. Völlig ohne sozialistische Andeutungen kam der Korneuburger Eid aus, den der Heimwehrführer Richard Steidle am 18. Mai 1930 verlas, um die Masse versammelter Anhänger auf gemeinsame Ziele einzu- schwören. Kämpferisch wurde präzisiert, worum es ihnen damals ging: „Wir wollen Österreich von Grund aus erneuern! Wir wollen den Volksstaat der Heimatwehren. | Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohle des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neu ordnen. | Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentaris- mus und den Parteienstaat! | Wir kämpfen gegen die Zersetzung unse- res Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und die liberal-kapi- talistische Wirtschaftsgestaltung. | Der Staat ist die Verkörperung des ...... 242 Volksganzen, seine Macht und Führung wacht darüber, daß die Stände in die Notwendigkeiten der Volksgemeinschaft eingeordnet bleiben. | Jeder Kamerad […] erkenne die drei Gewalten: den Gottesglauben, sei- nen eigenen harten Willen, das Wort seiner Führer.“ Mit dieser „vom italienischen Faschismus, Seipels Vorstellungen und der universalistischen Lehre Othmar Spanns beeinflussten korpo- rativistischen Ständeideologie“ – so der Sammelband „Austrofaschis- mus“ von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer 63 – wurde deut- lich deklariert, dass es um eine Faschismusvariante, das Beseitigen der Parteien und parlamentarischer Demokratie ging, was jedoch zu kei- ner in den Ländergruppen allgemein akzeptierten Programmatik führ- te, aber jede liberale Bürgerlichkeit ‚der Mitte’ völlig obsolet machte. Prominente Teilnehmer waren der Nachkriegsbundeskanzler Leopold Figl, der dann als KZ–Häftling zu den Verfolgten gehörte, und sein ihm als Kanzler nachfolgender Freund Julius Raab, der damals als christlichsozialer Heimwehrführer Niederösterreichs integrierend wir- ken sollte. Wegen dieser Militanz war er 1945 vorerst vom Alliierten Rat abgelehnt worden. Den Krieg hatte er unbehelligt mit seiner Bau- firma überstanden, weil Hugo Jury, der Gauleiter und Hausarzt der Familie, in St. Pölten zu den Freunden zählte. Der zum O5-Wider- stand stoßende Viktor Müllner war dort 1934 bis 1938 stellvertretender Bürgermeister wie davor Ferdinand Strasser, der dann als Kommunist hingerichtet wurde. Auch Bruno Kreisky kam nicht über das Rote Wien, sondern 1956 über den Umweg St. Pölten ins Parlament. Den Korneuburger Eid soll primär Walter Heinrich (1902–1984), der zuerst Student und dann engster Mitarbeiter Othmar Spanns und damals Generalsekretär der Heimwehr-Bundesführung war, verfasst haben, ziemlich spontan auf einem Gasthauszettel entworfen, wie In- sider überliefert haben. Wegen dieser Funktion und dann den Nazis zu provokanter sudetendeutscher Initiativen war er im Krieg monate- lang inhaftiert. Nach 1945 wurde er Professor für Volkswirtschaftslehre an der heutigen Wirtschaftsuniversität, deren taktierender Rektor er während der Borodajkewycz-Kontroversen war. Seine Gesellschaft für Ganzheitsforschung, die Institute für Gewerbeforschung sowie für In- tegrationsfragen und Wirtschaftspolitik wurden durchaus einfluss- reich. Mein ungarischer Onkel Karl L. Herczeg, der Bruder meiner

63 Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hg.): Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938, Wien 2005, S. 14...... 243 Mutter, auf den noch eingegangen wird, war ab 1952 eine Zeit lang sein Assistent, ohne deswegen in Othmar- Spann-Welten gefangen zu bleiben. Die deutlicher als das Dollfuß-Regime dezidiert faschistischen Heimwehren64 waren 1920 von Tirol ausgegangen und hatten sich zu vielfach konkurrierenden paramilitärischen Länderorganisationen entwickelt, die sich als Gegenkraft zu jedweder Gefahr von links und zum Roten Wien verstanden. Als Reaktion darauf wurde von Julius Deutsch (1884–1968) der Republikanische Schutzbund der Arbeiterbe- wegung aufgebaut. Als Tiroler Heimwehrführer hatte Steidle maßgeb- lichen Anteil am Anheizen des innenpolitischen Klimas, war aber 1934 entmachtet worden und kam wegen seiner Bekämpfung der konkur- rierenden Nazis im KZ Buchenwald um. Der steirische Heimwehr- führer Walter Pfrimer wiederum scheiterte 1931 mit seinem „ Pfrimer- Putsch“, wurde deswegen angeklagt, aber freigesprochen und kam erst nach dem Krieg für zwei Jahre in Haft. Der Wiener Heimwehrführer Emil Fey, ab 1933 Vizekanzler und Leiter des Sicherheitswesens, war maßgeblich an der militärischen Niederschlagung des Februaraufstan- des der Sozialisten beteiligt. Nach Einvernahme durch die Gestapo be- ging er im März 1938 mit Frau und Sohn Selbstmord. Der Heimwehr- führer Ernst Rüdiger Starhemberg beteiligte sich schon 1923 an Hitlers Feldherrnhalle-Marsch, orientierte sich dann aber an Mussolini. Nach Auflösung der Heimwehren 1936 emigrierte er nach Argentinien und kehrte nach 1945 nach Österreich zurück, um die Rückgabe seiner Gü- ter zu erwirken. Hatte Theodor Körner zur Abwehr denkbarer Angriffe von Mili- tär und Heimwehren auf die Sozialdemokratie früh eine Guerillatak- tik empfohlen, weil jeder „konventionelle Widerstand von vornherein zum Scheitern verurteilt sei“, und sich dann wegen der bloß bluffen- den „Gesamtstrategie der Partei“ von deren „Militärspielerei“ zurück- gezogen, scheiterte der Aufstand vom 12. Februar 1934 letztlich durch „die mangelnde Widerstandsbereitschaft der schon zermürbten Mas- sen“, so Norbert Leser.65 Weder der Generalstreik noch die lange ein- geübten Befehlsstrukturen funktionierten. Otto Bauer und Julius Deutsch flohen sofort nach Brünn. Signifikant ist, dass Winston

64 Gerhard Botz: Dollfuß: Mythos unter der Lupe, Der Standard, Wien, 21. Feb- ruar 2015. 65 Norbert Leser in: Cherica Schreyer-Hartmann: Der rote Kaiser und die Nach- tigallen. Theodor Körner. Mythos und Wahrheit, Wien 2009, S. 7 ff...... 244 Churchill in seinen Memoiren den Arbeiteraufstand in Österreich nur knapp als Kontroverse von aus demokratiepolitischer Sicht illegalen Verbänden, den Heimwehren und dem Schutzbund, kommentiert. Aber „innerhalb weniger Stunden waren die Sozialisten geschlagen“, worauf „viele der besiegten Kommunisten oder Sozialisten voller Bit- terkeit ins Lager der Nazis“ hinüberwechselten. „Der Überfall auf Ös- terreich und die Unterjochung der schönen Stadt Wien mit all ihrem Ruhm, ihrer Kultur und ihrem Beitrag zur europäischen Geschichte“ habe ihn dann aber schwer getroffen, gerade weil er vieles der Eskala- tion vorausgesehen habe.66 Von Beziehungen zu den Heimwehren war bei uns daheim nie die Rede, auch zu Walter Heinrich blieben sie distanziert, offenbar weil das Dollfuß- Schuschnigg-Regime abgelehnt wurde und die NS-Sym- pathien der Männer dominiert hatten. Korneuburg geriet somit aus ganz anderen, dennoch Zeitgeschich- te konkret machenden Zusammenhängen in mein Gesichtsfeld. Denn die dort vor dem Ersten Weltkrieg zwischen der Bahntrasse und der Schiffswerft der Ersten Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft DDSG (für deren ungarische Bergwerke bei Pécs/Fünfkirchen eine Zeit lang mein Großvater Karl Herczegh zuständig war) als sozialistische Ar- beitsgemeinschaft gegründete Holz- und Eisenindustrie-GesmbH wurde ab 1922 privatisiert und 1932 mit Oskar Meisel als Alleineigen- tümer zur Holzindustrie Ing. Oskar Meisel & Co. Der 1938 als „Arisierungs“-Verwalter eingesetzte Parteigenosse brachte sie trotz an- derer Bewerber als Holzindustrie Ludwig Schullner an sich und stellte mit bis zu 200 Beschäftigten Militärbaracken her. 1958 erwarb mein Vater für die Firma J. & C. Reder das weitläufi- ge, durch die Autobahn einen Hochwasserschutz bekommende Areal, auf dem nur noch sporadisch produziert wurde. Dort baute er neben dem Holz- und Plattenhandel, phasenweise betriebenen Sägewerken und beträchtlichem Holzexport der Wiener Stammfirma als weiteres Standbein eine Holzwarenfabrik auf, die Schubladenteile und Dübel für die Möbelindustrie und Vorhangringe für den Export erzeugte, so- wie ein auf Laub- und Tropenholz spezialisiertes Sägewerk mit Tro- ckenkammern und großen Lagerplätzen. Als er sich 1979 wegen inter- ner Konflikte von der Firma J. & C. Reder trennte, die als Holz Hrad

66 Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg, Memoiren, 12 Bände, Bern 1948, Erster Band, Erstes Buch: Der Sturm zieht auf, S. 120, 333...... 245 GmbH überlebte, ging der ihm zufallende Korneuburger Betrieb als Holzwerke Reder bald in Konkurs. Hätte ich, wie vom Vater beden- kenlos gefordert, die Kredite mitunterschrieben, um ein Erbe zu si- chern, wäre ich auf Jahre hochverschuldet gewesen. Wie in solchen Fa- milien häufig, wurden Söhne und speziell die Erstgeborenen parado- xerweise zwar für unfähig gehalten, hätten aber dennoch unbedingt das Lebenswerk des Vaters fortsetzen sollen. Ohne Absicherung im So- zialstaat – so diese für mich einschneidende Naherfahrung – wäre der Konkurs auch für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, von denen ich viele von Kind auf kannte, eine Katastrophe gewesen. Patriarchali- sche Fürsorge war abrupt an ihre Grenzen gelangt, als sie nicht mehr finanzierbar war. Nur zeichneten sich für derartige, oft sehr beratungs- intensive Mischbetriebe selbst ohne diese Krise kaum Chancen ab, weil in Österreich bezeichnenderweise kaum mit der von Vorarlberg ausge- henden Holzbau-Renaissance gerechnet wurde. Als einzige ihn würdigende öffentliche Anerkennung hieß es im Branchenblatt Holz-Kurier schließlich resümierend, der Vater sei ein „Holzfachmann von europäischem Format“ gewesen. Er war „60 Jah- re im angesehenen Holzhandelsunternehmen J. & C. Reder tätig und baute ab 1958 in Korneuburg auf Trümmerresten des Krieges die Holz- industrie Dr. Franz Reder auf. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren beide Unternehmen in der Holzbe- und -verarbei- tung, besonders aber am Wiener Platz, hoch angesehen: ja, sie galten schlechthin als richtungweisend. Der Zusammenbruch der genannten Betriebe“ habe ihn schwer getroffen, er nehme jedoch „weiterhin re- gen Anteil an alten und neuen Entwicklungen und Nöten, mit wel- chen sich die Branche in der nunmehr bereits mehrere Jahre andau- ernden Rezession konfrontiert sieht“.67 Im Buch „Das industrielle Erbe Niederösterreichs“ von Gerhard A. Stadler heißt es ohne jeden Bezug zu politischen Dimensionen la- konisch: „Zu Beginn der Dreißigerjahre befand sich der Betrieb im Besitz von Oskar Meisel, seit 1940 firmierte das Unternehmen als ‚Holzindustrie Ludwig Schuller’, 1958 verkaufte Ludwig Schuller das Werk an Franz Reder, unter dessen Leitung 1961 eine neue Drechslerei errichtet sowie der Betrieb zu einem Spanplattenwerk umgestaltet wurde. Als Reder 1981 in Konkurs ging, erwarb Johann Poll die Werk-

67 Holz-Kurier. Forst- und holzwirtschaftlicher Wochendienst, Wien, Nr. 27, 7. Juli 1983 (zum 80. Geburtstag)...... 246 J. & C. Reder, Holzgroßhandel und Holzindustrie, Korneuburg, Im Trenkenschuh Ausbaustufe um 

J. & C. Reder, Korneuburg, letzte Spuren 

...... 247 anlagen. 1984 wurde das Holzbauwerk abgetragen, während die übri- gen Gebäude zunächst bis 1986 leer standen. Nun pachtete die Firma ‚Stiefel & Schuh’ einige Objekte zwecks Lagerung und Verkauf.“ Ein Spanplattenwerk gab es jedoch nie. „Die ehemalige Tischlerei“ wird als „architektonisch bedeutendes Objekt“68 erwähnt, auch die Konstruk- tionsweise des zum Sägespäne-Silo gewordenen Wasserturms des eins- tigen Pioniergerätelagers. Der verblassende Schriftzug J. & C. Reder darauf wird noch eine Zeit lang die letzte sichtbare Erinnerung an de- ren 150-jährige Firmengeschichte sein. Kaum beachtet blieb in Korneuburg jahrzehntelang, dass sich in der Roßmühlgasse die Ruine der auf das 14. Jahrhundert zurückgehen- den ältesten Synagoge Österreichs erhalten hat, die seit den bald dar- auf einsetzenden Judenvertreibungen als Mühle und später als Schup- pen diente, ohne dass sie, da in Privatbesitz, bisher bautechnisch als Denkmal gesichert werden konnte. Dabei gibt es im Umfeld Wiens nur in Sopron und Bruck an der Leitha weitere Beispiele aus dieser Zeit. Die 1908 im benachbarten Stockerau errichtete Synagoge wurde 1938 von der Stadt enteignet und – als willkommene Lösung – zur evangelischen Kirche umgebaut. Auch das Schicksal des früheren Eigentümers des Holzverarbei- tungsbetriebs Oskar Meisel (1873–1943) hat sichtlich niemanden in- teressiert. Nur der Name des „Ariseurs“ Ludwig Schullner, nicht aber jener des Vorbesitzers war mir als Heranwachsendem bekannt. Erste Informationen dazu lieferten die Erhebungen der Historikerkom- mission 2004: „Ing. Oskar Meisel wurde am 26. Januar 1873 in Wien geboren. Er stand 35 Jahre in den Diensten der österreichischen Bun- desbahnen. Im ersten Weltkrieg erhielt er das ‚Kriegskreuz II. Klasse für Zivilverdienste’. Seine Firma konnte er mit der Mitgift und Erb- schaft seiner Frau erwerben. Er schrieb: ‚Durch Aufopferung meines Vermögens habe ich das Werk erhalten, und durch meine, für einen 67 Jahre alten Mann, übermenschliche Arbeit, nur mit Hilfe meiner zwei Söhne, den Betrieb erhalten.’ Er kaufte die Firma um etwa RM 100.000 und investierte zusätzlich hohe Summen, um die Firma zu erhalten. Das notwendige Geld hatte er von Verwandten erhalten, die auch in den Büchern der Firma ausgewiesen waren. 1938 ermög- lichte er seinen beiden Söhnen die Ausreise in die USA. Er selbst ver-

68 Gerhard A. Stadler: Das industrielle Erbe Niederösterreichs. Geschichte – Tech- nik – Architektur, Wien 2006, S. 407...... 248 Ruine der Synagoge Korneuburg aus dem . Jahrhundert, Zustand 

Ghetto Theresienstadt | Todesfallanzeige Oskar Meisel | holocaust.cz

...... 249 suchte ebenfalls gemeinsam mit seiner Frau zu emigrieren, allerdings reichte dafür das Geld nicht mehr. Noch 1940 versuchte er die zu- ständige Behörde, die Statthalterei in Niederdonau, zu bewegen, ihm die nötigen Mittel zur Ausreise zur Verfügung zu stellen. Er ver- wies in diesem Zusammenhang auf den Durchführungserlass zur ‚Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens’, der darauf hinwies, dass Mittel zur Finanzierung der Ausreise erhalten bleiben müssen. Oskar Meisel hatte im Februar 1940 schon Umzugsgut nach New York schicken lassen. Dennoch gelang es nicht, die Ausreisebe- willigung zu erhalten.“ Dabei hatte er „alle Verwandten (darunter seine schon in den USA lebenden Söhne), die noch Forderungen gegenüber der ehemaligen Firma offen hatten, zu einem formellen und notariell beglaubigten Verzicht“ bewegt. Bei einem Verkaufspreis von RM 33.000 (etwa 330.000 Euro) – auf den er, wie ausdrücklich festgehalten, „keinen Einfluss hatte“ – fielen allein für das „Entjudungsverfahren“ mindes- tens RM 20.000.- an, wie aus erhaltenen Akten hervorgeht. Am 1. Ok- tober 1942 wurde Oskar Meisel „nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 30. Januar 1943. Das Schicksal seiner Frau und seiner Verwandten ist unbekannt.“69 Ergänzende Recherchen dazu hat Klaus Köhler 2013 zum „Schick- sal der Juden im Bezirk Korneuburg“ publiziert, in denen die „Arisie- rung“ von Wohnungen, Häusern und Betrieben, darunter jener Oskar Meisels, dokumentiert ist, von der so lange niemand mehr wissen wollte. Allein „zwischen März und September 1938 konvertierten in der Pfarre Korneuburg 448 Juden, meist Wiener, zum katholischen Glauben“, ohne dass das ihre Überlebenschancen verbesserte, heißt es darin, und „84 jüdische Bürger, die hier beheimatet waren, wurden Opfer der Shoah“.70 Im „Totenbuch Theresienstadt“ sind Oskar und Hermine Mei- sel angeführt. In der tschechischen Opferdatenbank ist auch seine „Todesfallanzeige“ mit dem Aufdruck „Ghetto Theresienstadt. Der Ältestenrat“ archiviert. Die namentliche Erfassung der Holocaust- Opfer durch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Wider- standes bestätigt und präzisiert diese Angaben. Erhoben wurde, dass

69 Österreichische Historikerkommission. Ökonomie der Arisierung. Teil 2. Wirt- schaftssektoren, Branchen, Falldarstellungen, a.a.O., S. 624, 643 ff. 70 Klaus Köhler: „Ein so schrecklich zerrissenes Leben …“ Leben und Schicksal der Juden im Bezirk Korneuburg 1848–1946, Wien 2013, S. 9, 10, 183 f...... 250 von Oskar Meisels letzter Adresse in Wien 2., Fugbachgasse 20 auch seine Frau Hermine Meisel (1883–1942) mit demselben Transport nach Theresienstadt deportiert wurde und dort noch vor ihm starb. Zwei bei ihnen wohnende Verwandte gleichen Namens hatten ihre bereits am 28. November 1941 erfolgte Deportation nach Minsk nicht überlebt. Alles spricht dafür, dass es die Töchter von Oskar und Hermine Meisel waren: Wilhelmine Meisel (1905–1941) und Agnes Meisel (1913–1941).71

71 Mary Steinhauser, DÖW – Dokumentationsarchiv des österreichischen Wider- standes (Hg.): Totenbuch Theresienstadt. Damit sie nicht vergessen werden, Wien 1987, S. 91 | DÖW-Projekt Namentliche Erfassung, http://www.doew.at/ personensuche | Opferdatenbank holocaust.cz „Bei diesen Gedankengängen oder vielmehr: bei dieser Gemütsprüfung spüre ich, dass ein Nationalsozialist ohne die BEWEGUNG, also ohne den ihn umgebenden (und ihn durchflutenden) NATIONALSOZIA- LISMUS DER ANDEREN, kein Nationalsozialist sein kann. Dafür genügt nicht der eigene Wille, ich muss von den anderen als National- sozialist gewollt sein. Führen heißt gewollt werden. Insofern entsteht der Nationalsozialismus in einem Aktivitätsraum, der nicht identisch ist mit der EINFACHEN WIRKLICHKEIT oder der ERSTEN NA- TUR. Es müssen Industrie, unabdingbare Aufträge der Vorfahren, also eine VORSEHUNG, hinzutreten, so dass neben jedem Nervenpaar, neben jedem Muskel des Körpers eine zweite, parallele Leitung gelegt ist, welche die nationalsozialistische Zugrichtung bewirkt. Wie die Fä- den bei einem Hampelmann? Nein! Vielmehr wie bei einer Züchtung.“

Alexander Kluge: 30. April 1945. Der Tag, an dem Hitler sich er- schoß und die Westbindung Deutschlands begann, Berlin 2014 Tiefpunkt 1944 BUDAPEST. In der hundert Tage dauernden „Schlacht um Buda- pest“ an der Jahreswende 1944/45 „kamen 50.000 Deutsche und Un- garn ums Leben, 138.000 gerieten in Gefangenschaft. Die sowjetischen Verluste aber waren noch höher“, so Ian Kershaw in „Das Ende. Kampf bis zum Untergang“.1 In erbitterten, sich weit länger als in den nachfolgenden Schlachten um Wien und Berlin hinziehenden Häu- serkämpfen konnte erst am 13. Februar die Burg mit ihren weitläufi- gen, als Lazarette dienenden Katakomben als letzte Bastion der Vertei- diger eingenommen werden. Nur wenige schafften die Flucht durch das bei allen Ausgängen umkämpfte Kanalnetz. Dabei ging es grauen- voll zu, an manchen Orten waren „meterhohe Pyramiden aus Toten aufgeschichtet“ und „weniger als 2 % der Verteidiger kamen durch, von ihnen waren höchstens 10 % Ungarn“. Die deutschen Linien er- reichten „insgesamt kaum mehr als 700 der etwa 28.000 Soldaten, die am Ausbruch teilgenommen hatten“.2 Ab dem Sturz und der Internierung Horthys und der Einsetzung der mörderisch-willfährig deutsche Interessen vertretenden Pfeilkreuz- ler-Regierung von Ferenc Szálasi (1897–1946) am 15. Oktober 1944 ver- schärfte sich die Situation drastisch. Ein vorzeitiger Friedensschluss Un- garns war illusorisch geworden. Um die Lage zu radikalisieren, machten sich die neuen Leute „umgehend an die ‚Endlösung der Judenfrage’“, wie Krisztián Ungváry zur Phase, bevor die Stadt eingeschlossen war, in „Die Schlacht um Budapest“ konstatiert. Denn „für Szálasi und seine Führungsriege schien ‚Judensäuberung’ in Ungarn wichtiger als alles andere zu sein“.3 Wie bösartig das Klima in den letzten Monaten gewor- den war, zeigte sich, weil nach der Ankündigung von Belohnungen in- nerhalb einer Woche 30.000 Denunziationen über versteckte Juden einlangten, während es in den Niederlanden „im ersten Besatzungsjahr nur 350 Anzeigen“ gab, so Cecil D. Eby in „Hungary at War“. „Paradoxerweise vernichtete ausgerechnet das Land, das seine jü- dische Bevölkerung erfolgreich vor der Deportation in die Vernich- tungslager geschützt hatte, praktisch über Nacht mehr Juden pro Tag als alle anderen Nationen, Deutschland nicht ausgenommen.“4 Das

1 Ian Kershaw: Das Ende, a.a.O., S. 357. 2 Krisztián Ungváry: Die Schlacht um Budapest 1944/45, München 2001, S. 292, 398. 3 Krisztián Ungváry: Die Schlacht um Budapest, a.a.O., S. 344. 4 Cecil D. Eby: Hungary at War. Civilians and Soldiers in World War II, Penn- sylvania State University 1998, S. 119, 121...... 254 György Ránki: Unternehmen Krisztián Ungváry: Die Schlacht Margarethe. Die deutsche um Budapest /. Stalingrad Besetzung Ungarns, Wien  an der Donau, München 

Jahr 1944 kulminierte zu einem Inferno. Auch die Rote Armee radika- lisierte sich. „In Budapest trat eine neue Grausamkeit zutage“, „das waren nicht mehr die Marodeure von Rumänien“, so Catherine Mer- ridale in „Ivans Krieg. Die Rote Armee 1939–1945“. „Den Hintergrund bildeten die langen Kämpfe um die Stadt, deren letzte Phasen an die schwärzesten Tage von Stalingrad erinnerten.“5 Davor hatten sich die etwa 4.000 Gewalttäter der Pfeilkreuzler zu Exzessen an Tausenden als Juden geltenden Ungarn gesteigert. Diese „waren nicht nur im europäischen Vergleich, sondern auch innerhalb des nationalsozialistischen Machtbereichs ungeheuerlich“, heißt es in Ungvárys Studie, denn „in Westeuropa war es demgegenüber nirgends vorgekommen, dass Menschen allein wegen ihrer Abstammung ohne Rücksicht auf Förmlichkeiten und vor den Augen der Öffentlichkeit massenweise hingerichtet wurden“.6 Weil es um „die größte Ansamm- lung von Juden, die im gesamten deutschen Einflußgebiet noch am Leben war“, ging, so Raul Hilberg, wurden über 400.000 von ihnen „in Hitlers letztem Jahr getötet“, obwohl „die Täter bereits zu Beginn ihrer Tat wußten, daß der Krieg verloren war“. Mit der Bahn Depor- tierte verschwanden im Nordosten. Danach wurde mit rasender Wut

5 Catherine Merridale: Ivans Krieg. Die Rote Armee 1939–1945, Frankfurt am Main 2006, S. 334. 6 Krisztián Ungváry: Die Schlacht um Budapest, a.a.O., S. 344, 348...... 255 mitten in der Stadt gemordet: „10.000 jüdische Leichen häuften sich in diesen Wintermonaten in den Häusern und Straßen des Ghettos sowie an den Ufern der Donau.“7 Drastisch zugespitzt hatte sich die Situation, seit deutsche Trup- pen am 19. März 1944 überfallsartig das Land besetzt hatten, weil sich nach dem Waffenstillstand Italiens auch in Ungarn ein Austritt aus dem Achsenmächte-Bündnis abzeichnete. Edmund Veesenmayer (1904–1977) bekam als Bevollmächtigter des Großdeutschen Reiches die umfassenden Machtbefugnisse einer Schattenregierung. Er dräng- te auf das Festhalten am Vernichtungsprogramm, das von Eichmanns kleinem Sondereinsatzkommando bereits eingeleitet, aber wegen der Proteste von Horthys Regierung unterbrochen worden war, obwohl dessen Antisemitismus offensichtlich blieb, wie schon Anton Lehár bei Horthys Machtübernahme erkennen musste.8 Hatten in Ungarn bis dahin 750.000 jüdische Mitbürger und Flüchtlinge überlebt9, wurden zuerst jene aus ländlichen Regionen systematisch deportiert, wobei ungarische Polizeikräfte „außerordentlich grausam“ vorgingen und die verlassenen Häuser „von den Gendarmen oder asozialen Elementen“ geplündert wurden. Noch unter der Regierung Horthys, der in seinen Memoiren bestreitet, dass „er in den Frühjahrsmonaten etwas von den Deportationen gewußt habe“, wurden nach Angaben Veesenmayers allein „bis zum 9. Juli aus den Zonen I–V sowie der Umgebung von Budapest insgesamt 437.402 Menschen deportiert“, von denen kaum wer überlebte. „Tag für Tag passierten die Züge nach Auschwitz mit mehr als 10.000 Menschen die Station Kassa.“ Dies akzeptierend war Horthy in einem Brief an Hitler zynisch davon ausgegangen, „die wei- tere Bereinigung der Judenfrage würde ohne die oft unnötige Brutali- tät und ohne unmenschliche Methoden erfolgen“.10 Bereits unmittelbar vor dem Einmarsch deutscher Truppen began- nen die Vorbereitungen. Schon „am 12. März setzte man einen Juden- rat ein, zusätzliche antisemitische Gesetzgebung einschließlich der Ein- führung des Judensterns folgte am 7. April“, so Saul Friedländer in „Die

7 Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, a.a.O., Band 2, S. 859, 926. 8 Peter Broucek (Hg.): Anton Lehár, a.a.O., S. 123. 9 Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, a.a.O., Band 2, S. 859. 10 György Ránki: Unternehmen Margarethe. Die deutsche Besetzung Ungarns, Wien 1984, S. 314, 318, 323, 346 f., 356 | Raul Hilberg: Die Vernichtung der eu- ropäischen Juden, a.a.O., Band 2, S. 915...... 256 Jahre der Vernichtung“, und „am 7. April begannen die Verhaftungsak- tionen in der ungarischen Provinz, wobei die ungarische Gendarmerie begeistert mitwirkte“, denn die Hauptstadt sollte wegen der unüber- sichtlicheren Situation und möglichem Aufsehen zuletzt geräumt wer- den. An diesem 7. April waren „zwei slowakische Juden, Rudolf Vrba (Walter Rosenberg) und Alfred Wetzler, aus Auschwitz“ entkommen, deren „Auschwitz-Protokolle“ über die Einzelheiten des Vernichtungs- prozesses bald bis ins Ausland gelangten. Selbst die Judenräte reagierten jedoch nur verhalten, da sie ohnedies „von dem, was mit den Juden im gesamten besetzten Europa geschah, genaue Kenntnis hatten“, wie „nach dem Krieg eingeräumt“ wurde.11 Denn vor allem Jan Karski (1914–2000) hatte von Polen aus in mehreren Missionen schließlich selbst bis hin zu Präsident Roosevelt in den USA frühzeitig alliierte Stel- len über die Vorgänge informiert.12 Nun wurde auch in Ungarn die Be- schlagnahme jüdischen Vermögens verordnet, Juden durften „keine Kaffeehäuser, Gastwirtschaften, Theater und Kinos mehr betreten“ und ohne Bewilligung nicht mehr reisen. „Für den 7. April berief das Innenministerium eine Beratung ein, bei der neben den Vertretern der Gendarmerie, der Polizei, des Militärs und des Innenministeriums auch die Leute des Eichmann-Kommandos anwesend waren. Hier wurde bereits die Art und Weise der Konzentrierung in Ghettos festgelegt“.13 Weil in Budapest noch abgewartet wurde, wurde dort das Ghetto erst im November 1944 im Stadtviertel hinter der großen Synagoge errich- tet, als auch in der Hauptstadt mit Massakern am Donauufer und wü- tendem Morden in den „Judenhäusern“ und selbst in Spitälern der Ter- ror voll einsetzte. Die ab Mitte April aus der Provinz anlaufenden Transporte nach Auschwitz-Birkenau waren Ende Juli weitgehend ab- geschlossen. Aus Budapest wurden mörderische Fußmärsche zum Süd- ostwall-Bau und zu Lagern im Reichsgebiet angeordnet. Denn am 7. Juni hatte Wiens Bürgermeister Hanns Blaschke „für ‚kriegswichtige Arbeiten’ ungarische Juden“ angefordert und Eichmann genehmigte, „bis zu 30.000 Juden nach Wien abzuschieben“, als Arbeitskräfte, aber auch als Pfand für angelaufene – von Raul Hilberg detailliert dargestell- te – Tauschgeschäfte mit dem Rettungskomitee von Rudolf Kasztner

11 Saul Friedländer: Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden, Zweiter Band 1939–1945, München 2006, S. 643, 644. 12 Kijowska, Marta: Das Leben des Jan Karski. Kurier der Erinnerung, München 2014. 13 György Ránki: Unternehmen Margarethe, a.a.O., S. 307, 309, 310...... 257 (1906–1957).14 Zu den wichtigsten ausländischen Helfern in Budapest, die durch Schutzbriefe Zehntausende retten konnten, wurden der Schweizer Diplomat Carl Lutz (1895–1975) und der dann in sowjeti- scher Haft verschollene schwedische Diplomat Raoul Wallenberg (1912–1947?), dem zu Ehren das US-Holocaust Museum in Washing- ton D.C. die Adresse Raoul Wallenberg Place hat. In der grundsätzlichen Verordnung vom 7. April 1944, als die Ver- haftungen anliefen, hieß es dezidiert: „Die königlich-ungarische Re- gierung wird das Land binnen kurzer Zeit von den Juden säubern“, wie der Historiker György Ránki (1930–1988) in „Unternehmen Mar- garethe. Die deutsche Besetzung Ungarns“ erhoben hat.15 An diesem 7. April 1944, einem Karfreitag, der die Lage so vieler Menschen nun auch in Ungarn absolut lebensbedrohlich machte, wur- de ich um 15 Uhr in Budapest geboren, ohne dass wir irgendeiner Ge- fährdung ausgesetzt waren, außer dass auch die Säuglinge oft in den Luftschutzkeller mussten. Denn meine 21-jährige Mutter wollte wegen einer schwierigen Schwangerschaft in der Nähe ihrer Eltern sein. Au- ßerdem wurde fälschlich angenommen, die Stadt wäre sicherer als Wien, dabei „hatten ab Anfang April 1944 die regelmäßigen Bomben- angriffe auf ungarisches Territorium“ eingesetzt.16 Als in den Tagen vor meiner Geburt eine Bombe das Nebenhaus zerstörte, wurde meine Mutter durch Glassplitter leicht verletzt. Ein Glück war auch, dass mein Vater durch Beziehungen in Preßburg das sonst nirgends mehr erhältliche, ihrer schwachen Konstitution wegen lebenswichtige Medi- kament Proluton beschaffen konnte. Da sich das Grauen des SS- und Pfeilkreuzler-Regimes erst anbahnte, war in der Stadt außer der deut- schen Truppenpräsenz kaum Ungewöhnliches zu bemerken, so die Be- richte meiner sich über ihr erstes Kind freuenden Mutter. Da sie An- fang Mai mit mir nach Wien kam, wurde ihr das entsetzliche Gesche- hen danach offenbar nie so richtig bewusst. Nur die Sorge um in der Stadt verbliebene Verwandte und Freunde spielte in Erzählungen eine Rolle. Den Namen des Bevollmächtigten des Großdeutschen Reiches in Ungarn, Edmund Veesenmayer, der nach dem Krieg mit einigen Jah- ren Haft davonkam, hörte ich als Jugendlicher öfter, weil mein Vater

14 Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, a.a.O., Band 2, S. 911. 15 György Ránki: Unternehmen Margarethe, a.a.O., S. 310. 16 György Ránki: Unternehmen Margarethe, a.a.O., S. 290...... 258 mit ihm in Budapest zu tun hatte. Unter den deutschen Machthabern dort gab es laufend Treffen, an denen durchreisende Kriegslieferanten wie er teilnahmen, war er doch unter Albert Speer für die Holzwirt- schaft der „ostmärkischen“ Wehrkreise XVI und XVII und bestimmte kriegswichtige Importe zuständig geworden, als Höhepunkt seiner Planwirtschaftskarriere mit Ministerialrat Wrabec vom Reichsforstamt als unmittelbarem Vorgesetzten und Vertreter des Ministers. Dieser war „als typischer preußischer Beamter kein Ur-Nazi“, wie mein Vater notierte, glaubte aber bis zuletzt an den Endsieg, während er selbst schon den Angriff auf Russland für einen Wahnsinn gehalten habe. Seit dem Rückzug vor Moskau rechnete er mit der Niederlage. Auch nach 1945 waren sie noch in respektvollem Kontakt, weil sie in den in- triganten und kontrollsüchtigen, aber auch korruptionsanfälligen Strukturen zwischen Wien und Berlin so korrekt zusammengearbeitet hatten, wie es hieß. Meine Eltern hatten einander 1942 in Budapest kennengelernt, weil mein Vater wegen Holzlieferungen oft in Ungarn, in der Slowa- kei und in Rumänien unterwegs war. Seinen Aufzeichnungen zufolge wurde ihm aber erst im Sommer 1944 die unfassbare Brutalität der Ju- denverfolgung bewusst.17 Denn beim Umsteigen am Bahnhof von Sátoraljaújhely im äußersten Nordosten Ungarns an der Grenze zur Slowakei entsetzte ihn ein dort stehender Zug mit zusammengepferch- ten Deportierten. „Auf dem Gestänge der hoch angebrachten kleinen Fenster sah ich Kinderhände verkrampft und hörte Rufe ‚Wasser, Was- ser’.“ Es muss sich um einen der letzten ungarischen Transporte Rich- tung Auschwitz-Birkenau gehandelt haben. Trotz seines Parteiabzei- chens hätten ihn die SS-Wachen aggressiv zurückgetrieben, als er hel- fen wollte. Er konnte nichts machen, war aber fassungslos über dieses „Schreckensbild“. Weil er den schwierigen Namen dieses Ortes in ge- sperrter Schreibweise erwähnt, scheint ihn dieses Erlebnis nachhaltig erschüttert zu haben. „Da war von der geringsten Menschlichkeit kei- ne Spur mehr“, schrieb er schließlich dazu, „welch katastrophaler Ab- sturz von Idealen in die ärgste Barbarei!“ „Es war schwer, weiter seine Pflicht zu tun.“ Von früheren Erfahrungen dieser Art wird in sympto- matischer Weise nicht berichtet, sichtlich weil vieles einfach nicht

17 Franz Reder: Biographische Notizen, Wien 1985, unveröffentlicht, Archiv Ch. R. (Grundlage hier einbezogener privater Angaben). „Wehrwirtschaftsführer“, wie auf Grund seiner Aussagen früher angenommen, war er nur de facto, aber nicht nominell...... 259 wahrgenommen wurde. „Meine anfängliche NS-Begeisterung“, heißt es dazu rückblickend, „sank rapid, je mehr offenkundig wurde, wie Hitler seine Möglichkeit, das ‚Römische Reich deutscher Nation’ zum Segen Europas zu gründen, in eine barbarische Schlächterei ausarten ließ. Es war eine seelisch enorm belastende Erkenntnis, gegen die es keine Hilfe gab.“ Im Herbst 1944 zurückflutende Besatzungseinheiten aus dem Osten waren „ein erschütternder Anblick: Die ‚Herrenmen- schen’ mit ihren Konkubinen, die Autos vollbepackt mit Beutegut, ei- ne miese Horde“. Mitte Dezember, kurz bevor Budapest eingeschlos- sen wurde, konnte der Blutordensträger Kurt Steinbichler einen Last- wagen organisieren, mit dem mein Vater, die Großeltern und die Fa- milie Bruckner noch auf Nebenstraßen nach Wien gelangten. Nach der Ardennen- scheiterte auch die Plattenseeoffensive vom März 1945 und die Rote Armee stieß Richtung Wien vor. Dort entging mein Va- ter am 13. März 1945 knapp einer Bombe in das Bürohaus der Firma. Kurz vor den Kämpfen um Wien kam er in unser Refugium im Kamp- tal, wo wir mit den Großeltern das Kriegsende erlebten, die aber bald nach Ungarn zurückkehrten, was sich als zu heimatverbundene Ent- scheidung herausstellen sollte. Auch meinem Vater gegenüber waren seit der deutschen Beset- zung Ungarns die Ängste seiner vielfach jüdischen Geschäftspartner immer wieder zur Sprache gekommen. Offenbar gab es mit ihnen un- ter dem Druck, ständig Lieferungen zu erreichen, durchaus professio- nelle Kontakte ohne ostentative Ressentiments wie zu Zeiten der „Ari- sierungen“ in Wien. Ob ihn das Erlebnis mit dem Deportationszug beeinflusste, wird nicht klar. Er habe aber, wie er in seinen Erinnerun- gen detailreich ausführte, im Rahmen seiner Möglichkeiten insofern reagiert, als er mit Generaldirektor Hermann Bruckner eine „Liste der jüdischen maßgeblichen Leute der ungarischen Holzindustrie“ zusam- menstellte, „damit diese im Interesse der Aufrechterhaltung der unga- rischen Holzlieferungen nach Deutschland bis auf weiteres unangetas- tet bleiben“. Obwohl ihm vom penibel kontrollierenden Sicherheits- dienst bei der Grenzkontrolle eine Kopie davon abgenommen wurde, wurde das in Berlin ohne negative Folgen wegen dieser Eigenmächtig- keit zur Kenntnis genommen, da er von seinem Mentor Ministerialrat Wrabec gedeckt wurde. Erreicht werden konnte damit nicht das Ge- ringste. Da selbst sein oft nach Budapest kommender Freund Anton Böhm angab, von den Massenmorden bereits seit Jänner 1942 zu wis- ...... 260 sen, mein Vater aber erst den Sommer 1944 als Schlüsselerfahrung of- fensichtlicher Vernichtungstransporte nennt, ist höchst fragwürdig, ob sie tatsächlich nie miteinander darüber sprachen. Wie im Krieg und diversen Nachkriegsphasen darüber gedacht wurde, bleibt diffus. Erst sehr allmählich änderten sich die Standardargumente zur Relativie- rung deutscher Verbrechen und zu einer Mitschuld wegen der Unter- stützung des Regimes. Das machen Auseinandersetzungen mit dem bereits erwähnten Neuländer Alfred Missong wegen dessen strikter Anti-Nazi-Haltung deutlich, der trotz ÖVP-Verankerung nur Presse- attaché an diversen Botschaften wurde. Als er meinem Vater noch 1959 in einem Brief „die Verstocktheit der Unbelehrbaren von gestern“ vor- warf, konterte dieser, dass er nie an den „teuflischen Scheußlichkeiten, die vom Nationalsozialismus ihren Ausgang nahmen“, irgendetwas verteidigt hätte. Er fühle sich daran aber „ebenso nicht schuldig, wie ich Dich für gleiche oder ähnliche Unmenschlichkeiten Deiner gestri- gen Kombattanten [der Alliierten] verantwortlich halte, wie beispiels- weise für die russischen ‚Humanitätsbeweise’ (Katyn, Ungarn, Plün- dern, Morden und Vergewaltigen in den von ihnen besetzten Län- dern), Tibet, die Massaker zwischen Kroaten und Serben, die westli- chen Foltermethoden in Algier oder gegen die Mau-Mau-Leute [in Kenia], alles Beispiele, in denen Deutsche keine Rolle spielen. Aber auch die Bestialitäten bei der Austreibung der Volksdeutschen aus der Tschechei, aus Rumänien und Jugoslawien sind keine Ruhmestaten der Menschheit“.18 Zum Schicksal der Juden fehlte weiterhin jedwede Andeutung, so als ob es sich nur durch Schweigen vom eigenen Leben fernhalten ließe. Dass er eine solche Sicht noch viele Jahre nach dem Krieg als persönliche Überzeugung präsentierte, hält evident, wie zer- stört die moralischen Kategorien selbst von Mitläufern gewesen sind. Dass Euthanasie von Geisteskranken für richtig gehalten wurde, kam bei ihm manchmal als – katholisch pervertierte? – ‚Erlösung’ zur Spra- che, weil ‚unwertes Leben’ weiterhin ein Denkmuster war. Offenbar wegen einem Reste von Treue verlangenden Gruppenzwang gemein- samer Biographien sind Untaten gegeneinander aufgerechnet worden, um der zentralen Frage nach der Singularität der Shoah – als industri- elles rassistisches Mordsystem – auszuweichen. Denn unter den Milli- onen Toten waren als Juden geltende Menschen jene Opfergruppe, aus der absolut niemand überleben sollte, um wenigstens den „Krieg ge-

18 Brief Dr. Franz Reder an Dr. Alfred Missong, 8. 4. 1959, Archiv Ch. R...... 261 gen die Juden“ zu gewinnen. Als Kronen Zeitung-Mischung aus Recht- fertigung, Aufrechnung und rassistischen Andeutungen blieben solche uneinsichtigen Einstellungen ein bedrückender österreichischer Main- stream. Selbst Ernst Jünger (1895–1998), der als über den Dingen stehen- der Präzisionsautor verehrte Dichterphilosoph – von dem allerdings in unserer Familie nie die Rede war –, war sich zwar im März 1942 über „die Dezimierung der Juden“ völlig im Klaren, merkte dazu aber ma- kaber an, dass gerade das „zur Verbreitung jüdischer Eigenschaften in der Welt“ führe, „in der alttestamentarische Züge sich ausbreiten“. As- similierten Juden unterstellte er eine besondere Humanität, denn „es scheint, daß sich das Jüdische schwerer als andere Volkstümer abstrei- fen läßt, daß aber in den seltenen Fällen, in denen das gelingt, das Menschliche sich zu besonderer Höhe erhebt“. Was tatsächlich vor- ging, war ihm – wie Anton Böhm – sehr rasch anhand „fürchterlicher Einzelheiten“ durch vertrauliche Berichte bekannt geworden, sowohl „von den ungeheuerlichen Schandtaten des Sicherheitsdienstes nach der Eroberung von Kiew“, dem Judenmassaker von Babi Jar im Sep- tember 1941, von den Mordkommandos und Massengräbern, der „Ste- rilisierung und Tötung von Irren“ oder der Ermordung von 800 Geis- teskranken in einem ukrainischen Asyl. Im Juli 1944 zeigte ihm ein Ostfront-Kommandeur in Paris „das Foto einer Schinderhütte in der Nähe von Nikopol [Südukraine], ein scheußliches Bild, dessen Auf- nahme einem seiner Leute während des Rückzuges gelungen war – heimlicherweise, denn das sind Tabustätten schauerlichster Art“.19 Auch das von Briten befreite, durch erste Bildberichte zum Sym- bol werdende KZ Bergen-Belsen, wo Anne Frank (1929–1945) umkam, kommentierte Jünger nicht, obwohl er in die dortige Kaserne unweit seines Wohnortes zum neuerlichen Kriegsdienst eingezogen worden war. Erst 1945 erwähnte er es als irgendein Lager, mit dem er weiter nichts zu tun hatte. Bemerkenswert wurde es erst aus Angst vor Plün- derungen durch befreite polnische und russische Häftlinge. Nur die Franzosen, als „die Elite der Gefangenen“, hätten sich selbst unter sol- chen Umständen zivilisiert verhalten, notierte er. Die meisten Befrei- ten kamen ihm „heiter vor, wie Auferstandene“. Erste Berichte aus dem KZ Buchenwald kommentierte er trotz der ihn befallenden „läh-

19 Ernst Jünger: Sämtliche Werke, 18 Bände, Stuttgart 1979; Tagebücher II, 315, 320, 323, 324, 431, 470; Tagebücher III, S. 197, 284...... 262 Mahnmal von Gyula Pauer und Can Togay am Donauufer vor dem Parlament (Ausschnitt), Budapest 

Jüdischer Dank an die Rote Armee für die Befreiung, Hauptsynagoge Budapest

...... 263 menden Mutlosigkeit“ lakonisch: „Der rationale, fortschrittliche Cha- rakter, die Technik des Verfahrens, wirft auf den Vorgang ein beson- ders grelles Licht insofern, als ununterbrochen das Bewußte, das Über- legte, Wissenschaftliche an ihm zutage tritt. Der Vorsatz bestätigt sich bis in die feinsten Züge; er macht das Wesen des Mordens aus.“ Alle früheren Zeitalter würden bei weitem übertroffen „durch das Perfek- te, das Desinfizierte der technischen Welt“. Besonders nahe ging ihm nur das Leiden der vertriebenen Volksdeutschen (darunter viele nicht mehr als solche gesehene Altösterreicher), mit „Einzelheiten, die alles unterbieten, was ich in unserer an solchen Schrecken doch überrei- chen Zeit seit 1917 vernommen habe“.20 Eine unbegreiflich einseitige Aussage. Ohne zu bedenken, dass sie Hitlers letzte Opfer waren, blieb das eine nationalistische Standardargumentation, so als ob es als Ent- schuldigung von Unvergleichbarem Relevanz hätte. Wie viele Deutsche verkehrten auch die Eichmann-Mitarbeiter si- cher oft im Hotel Gellért. Eine Reihe von Österreichern war darunter, so der SS-Hauptsturmführer Franz Novak, der lange unentdeckt blieb, dann aber für einige Jahre inhaftiert war, oder der SS-Hauptsturmfüh- rer Siegfried Seidl und der bereits in der Zentralstelle für jüdische Aus- wanderung in Wien eingesetzte Verwaltungsmann Anton Brunner, die beide nach Volksgerichtsprozessen in Wien hingerichtet wurden. Der die Exzesse seiner Mörderbanden sichtlich begrüßende Pfeilkreuzler- Führer Ferenc Szálasi hatte die Militärakademie Wiener Neustadt ab- solviert und war ein „alter Kaiserjäger“, wie Glaise-Horstenau eher beiläufig angemerkt hat.21 Er war 1945 nach Mattsee entkommen, wur- de ausgeliefert und mit einigen Mittätern in Budapest gehängt, darun- ter der in Mönchskutte auftretende Massenmörder „Pater“ Alfred Kun. 22 Die im Mattsee versenkte Stephanskrone wurde gehoben, ge- langte in die USA und wurde 1978 an Ungarn zurückgegeben. Die große ungarische Philosophin Ágnes Heller, die als Mädchen mit Glück alle Judenmassaker in Budapest überlebte und deren Vater in Auschwitz umkam, konstatiert zu Fragen der Gerechtigkeit nach dem Krieg illusionslos, dass mit dem Hängen einiger Haupttäter alles offiziell erledigt schien, und „so sind die kleinen Pfeilkreuzler alle

20 Ernst Jünger: Sämtliche Werke, a.a.O., Tagebücher II, S. 77; Tagebücher III, S. 411, 447, 473. 21 Peter Broucek (Hg.): Glaise-Horstenau, a.a.O., Band 3, S. 499. 22 Krisztián Ungváry: Die Schlacht um Budapest 1944/45, a.a.O., S. 363, 366...... 264 Kommunisten geworden“.23 In ihren Erinnerungen heißt es katego- risch: „Der Holocaust ist nicht zu verstehen, denn er gehört nicht zu den rationalen historischen Ereignissen. Man kann das rationale Um- feld dieses Irrationalen abtasten, nicht aber aus einer Kausalkette her- leiten oder wie auch immer analysieren.“ Ihr Überleben hing stets von Momenten ab, gerade wenn es unmit- telbar um den Tod ging. „Wir hörten die Schüsse krachen und wussten, dass die Menschen in die Donau geschossen wurden. Wir erreichten den Fluss. Ich sah, was sich abspielte, und betrachtete das Wasser …“ „Doch ich musste nicht springen“; vielleicht war jemand bestochen worden, „vielleicht war jemand von der schwedischen Botschaft ge- kommen“ oder jemand „mochte Wallenberg verständigt und der je- mand hergeschickt haben“. Plötzlich hieß es: „,Die Russen sind da, die Russen sind da!’ Alle standen auf, sogar die Toten. Wir umarmten und küssten uns. Wir schwammen in unendlichem Glück, und auch ein Teil der Christen freute sich mit uns, einige aufrichtig, andere weniger.“24 Auch der mit Ágnes Heller gleichaltrige Imre Kertész überlebte nur mit Glück, wie er immer wieder betont hat. Sein Weg nach Ausch- witz begann im Juni 1944, als ihr Autobus auf dem Weg zur Arbeit in der Shell-Raffinerie im Süden der Stadt angehalten und die Anord- nung weitergegeben wurde, „falls sich jüdische Fahrgäste im Wagen befinden, sollten sie aussteigen“, wie es in seinem „Roman eines Schicksalslosen“ heißt. Vom berüchtigten Zwischenlager in der Ziege- lei Budakalász ging es weiter mit der Bahn. An der ungarischen Gren- ze wurde ihnen gesagt: „Da, wo ihr hingeht, werdet ihr keine Wertsa- chen mehr brauchen.“ Nur weil ihm flüsternd geraten wurde, als Alter nicht 14, sondern 16 anzugeben, überstand er die erste Selektion. „Ich muß einsehen“, heißt es zu all seinen Erfahrungen an einer Stelle, „daß ich gewisse Dinge nie zu erklären vermag, auf keine Weise.“25 Von den 17 damals aus dem Bus Geholten überlebte er als Einzi- ger, so seine späteren Ermittlungen in „Dossier K.“. Wie systematisch vorgegangen wurde, begriff er erst im Nachhinein. Denn „am 19. März besetzten die Deutschen Ungarn und in Birkenau wurde mit dem Aus-

23 Ágnes Heller in: Frühjahr 45. Dokumentarfilm von Mathias Haentjes, Arte, 13. 1. 2015. 24 Ágnes Heller: Der Affe auf dem Fahrrad. Eine Lebensgeschichte bearbeitet von János Köbányai, Berlin 1999, S. 62, 66, 67. 25 Imre Kertész: Roman eines Schicksalslosen, Berlin 1996, S. 48, 72, 84 f., 90, 98, 209...... 265 bau der Krematorien und der Verlegung eines neuen Gleises begonnen, das für die Transporte aus Ungarn vorgesehen war.“ Als Eichmann in Budapest eintraf, „erhielt der Judenrat das sogenannte Vrba-Protokoll. Rudolf Vrba, ein slowakischer Häftling, war nach langer und sehr gründlicher Vorbereitung aus dem Konzentrationslager Auschwitz ge- flohen und hatte ein Protokoll zusammengestellt, in dem er genau be- schrieb, was in dieser Todesfabrik vor sich ging. Breiten Raum hatte er auch den Vorbereitungsmaßnahmen gewidmet, die zum Empfang der ungarischen Judentransporte getroffen wurden, und das verhängnis- volle Schicksal dieser Transporte schon damals, zur Zeit der Vorberei- tung, vorgezeichnet. Der ungarische Judenrat diskutierte dieses Proto- koll und entschloß sich, die jüdische Bevölkerung, also mehrere hun- derttausend Menschen, mit deren Zusammentreibung in den kurzfris- tigen Ghettos die Gendarmerie im übrigen schon begonnen hatte, nicht mit dem Inhalt bekannt zu machen.“ Darauf könne es nur eine „äußerst paradoxe Antwort geben: Man wollte verhindern, daß unter der jüdischen Bevölkerung womöglich noch Panik ausbräche“. Uner- bittlich kreisten seine Gedanken um Zwangsläufigkeit, denn „wenn man eine bestimmte Linie der europäischen Geschichte genauer be- trachtet, aus unserem nachträglichen Wissen heraus ein bestimmtes Denken und Handeln über Jahrhunderte analysiert, dann ist die To- desmaschinerie, die man zur Ausrottung der europäischen Juden her- vorgebracht hat, gar keine so große Überraschung“. Überdeutlich sei geworden: „Die zerstörerischsten Manien des 20. Jahrhunderts waren die Selbstaufgabe des Individuums und die Kol- lektivanklage gegen Völker und Volksgruppen.“ Dabei könne man durchaus zur Definition gelangen: „Zwei Juden haben nur ihre Ängs- te gemeinsam.“ Zwar wäre auch ihm der Begriff Holocaust unver- meidlich, er halte ihn jedoch „für einen Euphemismus, eine feige und phantasielose Art, sich die Sache leichter zu machen“.26 Schließlich musste er sogar mit dem immer wiederkommenden Vorwurf leben, er „schriebe nur über ein einziges Thema (nämlich Auschwitz) und sei so- mit nicht repräsentativ für das Land (nämlich Ungarn)“.27 Dass sich das offizielle Ungarn, – noch krasser, als es in Österreich durchgehalten wurde – konsequenten Klärungen der eigenen Vergan-

26 Imre Kertész: Dossier K. Eine Ermittlung, Hamburg 2006, S. 20 f., 75 f., 80, 130, 131. 27 Imre Kertész: Stadt ohne Gedächtnis, Die Zeit magazin, Hamburg Nr. 11/1998...... 266 genheit verweigert, macht letztlich umso bewusster, wie sehr das Ent- setzliche mit Mitteleuropa zu tun hatte und wie schwach eine hinrei- chend selbstständig denkende und agierende Zivilgesellschaft geblie- ben ist.

GRENZGEBIET. Jonny Moser (1925–2011), der aus dem burgen- ländischen Parndorf ins anfangs für Juden noch sichere Budapest ent- kommen war und dort zum Helfer Raoul Wallenbergs wurde, berich- tet in seinen 2006 erschienenen Erinnerungen, wie es am 12. März 1938 bereits in den ersten Stunden der „Anschluss“-Euphorie überall im Burgenland zu anti-jüdischen Handlungen und Beraubungen kam, weil sofort genügend machttrunken marodierende Nazi-Trupps ver- fügbar waren. Schon Wochen danach „wurden im Seewinkel die Juden aus Pamhagen und Gols über die ungarische Grenze getrieben, die Ju- den aus Kittsee und Pama in der Donau ausgesetzt“.28 Nirgendwo sonst gab es solche frühen spontanen Vertreibungen aus einem be- stimmten Gebiet. Wer konnte, floh vorerst nach Wien, obwohl auch dort der Terror alltäglich war. In kürzester Zeit gab es keine der oft seit Jahrhunderten ansässigen jüdischen Gemeinden mehr, für die sich jen- seits der Grenzen Österreichs, ob in Brünn/Brno, Preßburg/Bratislava oder eben im späteren Burgenland vielfach weniger gefährdete Lebens- möglichkeiten geboten hatten. Mit den Synagogen verschwand auch die jüdische Prägung der „Siebengemeinden“ Eisenstadt, Mattersdorf, Deutschkreutz, Kobersdorf, Lackenbach, Frauenkirchen und Kittsee sowie jene von Rechnitz und Güssing. Nur ihre verlassenen Friedhöfe verweisen noch auf ein einst hinreichend normales Zusammenleben. Über 600 Betriebe wurden „arisiert“. „Soviel gestohlen, unterschlagen und veruntreut wie im Burgenland wurde nirgends“, heißt es in einem Gestapobericht von 1940. Die kleine Ortschaft Oberschützen machte im Mai 1939 mit einem Denkmal zum „Anschluss“ auf sich aufmerk- sam – Bruchsteinarkaden und in der Mitte ein „altgermanischer Op- ferstein“ mit vergoldetem Reichsadler. Solche Präzisierungen des regi- onalen Geschehens hat erst Herbert Brettls Kompendium „National- sozialismus im Burgenland. Opfer, Täter, Gegner“ von 2012 geliefert.29

28 Jonny Moser: Wallenbergs Laufbursche. Jugenderinnerungen 1938–1945, Wien 2006, S. 20. 29 Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland. Opfer, Täter, Gegner, Inns- bruck 2012, S. 79, 304, 305...... 267 Nicht allzu geläufig ist auch, welcher Terror gerade in den Grenz- gebieten zu Ungarn 1944/45 herrschte – das uns nicht nur wegen un- seres Zweitwohnsitzes in Winden am See so vertraut geworden ist. So kam es vom Lager Petržalka/Engerau aus, heute ein Vorort Bratislavas, zu einem mörderischen Todesmarsch entlang der Donau ins KZ Mauthausen. Zum Bau des völlig wirkungslosen Südostwalls waren Zehntausende als Juden geltende Menschen aus Ungarn herangetrie- ben worden, wozu erst seit 2010 eine gründliche Studie von Eleonore Lappin-Eppel vorliegt.30 Jahre dauerte es, bis sich das Mahnmal „Kreuzstadl“ in Rechnitz durchsetzen ließ, das an nahezu zweihundert in den letzten Kriegstagen Ermordete erinnert, wozu es während eines ausgelassenen Festes im Schloss der Gräfin Margit von Batthyány ge- kommen war, worauf sich Elfriede Jelinek in ihrem Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“ bezieht. Nie waren Beteiligte und Dorfbewohner zu irgendwelchen Aussagen bereit. Von der Ostautobahn aus ist in Richtung Wien bei Parndorf – wo im August 2015 in einem LKW 71 erstickte Flüchtlinge gefunden wurden – am Waldrand die Ruine ei- nes merkwürdigen Gebäudes mit pagodenartigen Aufbauten zu sehen, die einstige „Villa Blau“, wie Ortsbewohner noch wissen, ohne dass sich Genaueres erfahren ließe. Bezeichnend bleibt, dass der als Vize- Gauleiter zuständige, nach kurzer Haft begnadigte Tobias Portschy von Rechnitz aus noch jahrelang seine Nazi-Parolen verbreiten konnte und enge Kontakte zur SPÖ pflegte. Dabei hatten in der Siegendorfer Zuckerfabrik, in Donnerskirchen und Purbach entsetzliche Zustände geherrscht. Auch im Raum Jennersdorf bis hin nach Graz kam es im Zuge des Südostwallbaus zu zahlreichen sogenannten Endphasenver- brechen, die während der Todesmärsche zum KZ Mauthausen und ins KZ Gunskirchen eskalierten, ob im Steinbruch von St. Margarethen oder – besonders krass – am Präbichl bei Eisenerz und in Göstling an der Ybbs.31 Von den im Lager Lackenbach unter grausamsten Umstän- den zusammengepferchten Roma und Sinti kamen die meisten in Auschwitz um. An den Kriegsgefangenen in Kaisersteinbruch wurden sogar anthropologisch-rassistische Untersuchungen vorgenommen und gefilmt. Einen in Deutsch Schützen wütenden SS-Mann konnte

30 Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeite- rinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz, Todesmärsche, Folgen, Wien 2010. 31 Claudia Kuretsidis-Haider: „Das Volk sitzt zu Gericht“. Österreichische Justiz und NS-Verbrechen am Beispiel der Engerau-Prozesse 1945–1954, Innsbruck 2006...... 268 Villa Blau bei Parndorf

Gedenkstätte Rechnitz

Gedenkstein Klostermarienberg, Burgenland, . März : „Beginn der Wiedererstehung Österreichs“ ...... 269 der Historiker Walter Manoschek erst jüngst für seinen Dokumentar- film „Dann bin ich ja ein Mörder“ aufspüren.32 Als „Kontaminierte Landschaften“, so der Titel seines Buches dazu, bezeichnet Martin Pol- lack wegen der zahllosen unbekannten Massengräber solche Regio- nen.33 Aber auch die „Wiedererstehung Österreichs“ begann im Burgen- land, wie es auf dem Gedenkstein heißt, der in Klostermarienberg da- ran erinnert, dass dort die Rote Armee am 29. März 1945 erstmals auf bald wieder zu Österreich werdendes Gebiet vordrang. Bereits einen Monat später konstituierte sich in Wien die Provisorische Staatsregie- rung.

NISKO – BEŁŻEC. Der in Budapest als Helfer so aktiv geworde- ne Jonny Moser widmete als Zeitzeuge auch lange kaum Bekanntem einen eigenen Band: den ersten planmäßigen Deportationen, die im Oktober 1939 von Wien ausgingen. Ziel war das polnische Nisko im äußersten Osten bis dahin besetzter Gebiete – das einst zur Donaumo- narchie gehörte –, wo ein erstes „Judenreservat“ entstehen sollte. Zwar waren das „Madagaskar-Projekt“ – das bereits 1937 polnische Rassisten offiziell forcierten – oder andere Regionen Afrikas noch nicht aufge- geben worden. Der Kriegsbeginn machte jedoch solche Aussiedlungs- varianten und dann selbst die letzten Fluchtwege über den Atlantik, die Donau oder mit der Transsibirischen Eisenbahn illusorisch, mit der etwa Bertolt Brecht oder der Mathematiker Kurt Gödel noch in die USA entkommen waren. „In Wien, der Stadt mit der größten jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich“, sollte Pionierarbeit geleistet werden, um es „bis zum Jahr 1942 judenfrei zu machen“, wie Moser in Erinnerung ruft. „Angeblich spärlich besiedelte Gebiete des besetzten Polen“ boten sich dafür an. Da als jüdisch stigmatisierte Menschen seit dem März 1938 „vom Wirtschaftsleben ausgeschlossen“ waren und ihre Verarmung drastisch zunahm, sollten „vor allem mittellose und arme Juden“ da- für vorgesehen werden, weil sich von ihnen kaum Vermögenswerte er- pressen ließen, die ihnen eine Ausreise ermöglicht hätten. Da ein un- ter Selbstverwaltung stehendes Gebiet versprochen wurde, meldeten sich sogar viele Freiwillige. Vom Wiener Aspangbahnhof aus ging es

32 Walter Manoschek: Dann bin ich ja ein Mörder, Dokumentarfilm, Wien 2012. 33 Martin Pollack: Kontaminierte Landschaften, Salzburg 2014...... 270 Jonny Moser: Nisko. Die erste Rudolf Reder: Bełżec, Krakau Judendeportation, Wien  , polnisch-englische Ausgabe Krakau  ab dem ersten Transport vom 20. Oktober 1939 sogar etwas zivilisier- ter zu als sonst. Nicht SS-Wachen, sondern Wiener Polizisten waren die Zugbegleiter. Werkzeug und Baumaterial wurden mitgeführt. Da- bei war das „Nisko-Projekt“ für höhere Stellen bereits irrelevant. Da es aber angelaufen war, verfolgte Adolf Eichmann es dennoch höchstper- sönlich, um „mehr Erfahrungen mit Deportationen“ zu sammeln, ob- wohl er entgegen aller Zusagen „keineswegs ein jüdisches Siedlungsge- biet beabsichtigte“. Im regnerischen Herbst mussten minimale Lage- reinrichtungen aufgebaut werden. Nicht zu dieser schweren Arbeit einsetzbare Männer wurden „sofort durch die SS in die Wälder“ oder über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie verjagt. Mit bereits in diese Region vertriebenen Roma und Sinti wollte Eichmann nichts zu tun haben und sie der Kriminalpolizei überlassen, ging es ihm doch ausschließlich um „die Judenfrage“. Da diese behelfsmäßigen Lager bald als gescheiterter Versuch gal- ten, konnten – so Jonny Moser – nach einem harten Winter mit vie- len Toten im April 1940 „von mehreren Tausend Deportierten“ aus Wien und Mährisch-Ostrau „insgesamt 516 Männer aus dem geplan- ten Judenreservat wieder zurückkehren, darunter 198 Wiener“, von de- nen dann aber „nur wenigen die Rettung ins Ausland“ gelang. „Von den rund 1.350 Nisko-Deportierten aus Österreich, die auf sowjetisch- besetztes Gebiet übergetreten waren, kehrten nach dem Krieg rund 80

...... 271 Männer wieder zurück.“34 Obwohl ihnen die Personalpapiere abge- nommen worden waren, wurden sie in der Sowjetunion manchmal durchaus als Flüchtlinge anerkannt, aber oft auch brutal zurückgejagt. So gelang es einem der Wiener, Richard Kohn, von dessen Familie nie- mand überlebte, über Lemberg nach Kasachstan zu entkommen. Nach Jahren dort war er 1984 erstmals wieder in Wien, dann lebte er in Israel und kehrte 2002 nach Wien zurück, um im Maimonides- Heim seinen Lebensabend zu verbringen.35 Dem für einige Tage in Nisko beigezogenen Funktionär des Wie- ner Judenrates, Benjamin Murmelstein (1905–1989), gegenüber hatte Eichmann aus den immer konkreter werdenden Absichten keinerlei Geheimnis mehr gemacht: „Die Juden sollen sich einrichten und ak- klimatisieren oder krepieren.“36 Diese frühe, die „kumulative Radika- lisierung“ belegende Todesdrohung hat Murmelstein auch im Film von Claude Lanzmann neuerlich bezeugt, der – die monumentale „Shoah“-Arbeit von 1985 mit Zeitzeugen fortsetzend – ihn in „Der letzte der Ungerechten“ von 2013 porträtiert hat, wozu auch eine Text- fassung vorliegt.37 Darin legt Murmelstein als Funktionär des Wiener Judenrates, Judenältester im KZ Theresienstadt und als einziger in die- ser Funktion Überlebender ein beklemmendes Zeugnis darüber ab, welch unauflösbarem Druck sie als Teil des NS-Systems ausgesetzt wa- ren. Bis zuletzt gab er es aber nicht auf, noch so minimale Einfluss- möglichkeiten zu nutzen, um irgendwie hilfreich zu bleiben. In diesen bereits 1975 aufgezeichneten, vorerst archivierten Gesprächen betont er insistierend, dass die Eskalation der Judenvernichtung schon im Oktober 1939 unmittelbar nach der Eroberung Polens mit den ersten Deportationen aus Wien in das über Mährisch-Ostrau direkt erreich- bare, zwischen den Flüssen San und Bug gelegene polnische Nisko einsetzte, direkt an der im Hitler- Stalin-Pakt vom 23. August 1939 fest- gelegten Grenze zur Sowjetunion, die 1945 festgeschrieben wurde, ob- wohl dieser Pakt den Zweiten Weltkrieg eingeleitet hatte.

34 Jonny Moser: Nisko: Die erste Judendeportation, Wien 2012, S. 25, 34, 38, 55, 89, 92, 162, 163, 164, 165, 168. 35 http://www.centropa. org/de/biography/richard-kohn 36 Jonny Moser: Nisko, a.a.O., S. 85 37 Shoah, Dokumentarfilm von Claude Lanzmann, 1985 | Le Dernier des Injustes/ Der Letzte der Ungerechten, Dokumentarfilm von Claude Lanzmann, 2013 | Benjamin Murmelstein: Theresienstadt: Eichmanns Vorzeige-Ghetto, Wien 2014...... 272 Diese Eskalation zu beachten ist für ein Begreifen des Kommen- den essenziell, weil es den zugrundeliegenden, schrittweise radikali- sierten Vernichtungswillen evident macht, so konfus die Pläne anfangs auch waren. Dafür wurden sogar Improvisation und Desorganisation in Kauf genommen, um unter Zeitdruck Transporte aus Mitteleuropa in die Wege zu leiten, ohne jede Rücksicht auf das weitere Schicksal Betroffener. Was tatsächlich in den späteren Vernichtungsstätten vor sich ging, erfuhr auch Murmelstein erst über die entkommenen slowa- kischen Auschwitz-Häftlinge; aber Ahnungen davon begleiteten bald jeden Transport in den Osten. Benjamin Murmelstein stammte aus einer orthodoxen Familie in Lemberg, studierte an der Universität Wien Philosophie und Semiti- sche Sprachen und wurde Religionslehrer in mehreren Wiener Gymna- sien und ein anerkannter Gelehrter, Publizist und Rabbiner. Sein nahe der Firmenzentrale von J. & C. Reder gelegener Brigittenauer Tempel in der Kluckygasse 11 wurde wie fast alle Wiener Synagogen in der Po- gromnacht vom 9./10. November 1938 zerstört. Als Leitungsmitglied der Jüdischen Gemeinde musste Murmelstein im Auftrag der NS-Stel- len die „Auswanderungsabteilung“ übernehmen und eng mit der von Adolf Eichmann und dem schließlich nach Syrien entkommenen Bur- genländer Alois Brunner als Modellfall aufgebauten Zentralstelle für jü- dische Auswanderung in Wien zusammenarbeiten. Im Jänner 1943 wurde er dann mit Frau und Sohn selbst nach Theresienstadt depor- tiert. Noch rechtzeitig zu emigrieren hatte er stets abgelehnt, um wei- terhin sein Organisationstalent nützlich einsetzen zu können. Zum Ex- perten für die komplizierten Auswanderungsvorgänge geworden, wirk- te er maßgeblich mit, dass zwei Drittel der im ehemaligen Österreich lebenden als jüdisch geltenden Menschen rechtzeitig ins rettende Aus- land gelangten. Selbst Eichmann, den Murmelstein einen äußerst um- triebigen, sich um jede Einzelheit kümmernden „Dämon“ nennt, wes- halb Hannah Arendts Rede von der „Banalität des Bösen“ in keiner Weise zutreffe, habe auf seine Fachkenntnisse zurückgreifen müssen. Das fälschlich Ghetto genannte KZ Theresienstadt im Norden Prags diente nach dem Motto „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ ab 1941 als Aushängeschild der NS-Propaganda, damit verbor- gen blieb, was in den Todeslagern vor sich ging. „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ sollte das noch Ende 1944 bekräftigen, weil in ihm nur halbwegs fröhlich wirkende, arbeitsame Menschen zu sehen sind. Unter dem aus ...... 273 stammenden, dann als Kriegsverbrecher hingerichteten letzten Lager- kommandanten Karl Rahm wurden für den Besuch einer Rot-Kreuz- Delegation im Juni 1944 von Murmelstein noch umfassende Verschö- nerungsarbeiten organisiert, nachdem Transporte in den Osten die Überbelegung reduziert hatten. Das sollte den Status als Aushänge- schild bewahren, da es von Schließung bedroht war, was für alle Insas- sen den fast sicheren Tod bedeutet hätte. Nach dem Krieg zu Unrecht als gewissenloser Kollaborateur und autoritäre Person angefeindet, zog Murmelstein sich nach Rom zu- rück. Selbst beim Eichmann-Prozess wurde auf seine Zeugenaussage verzichtet. Zum kaum nachvollziehbaren Verhalten in solchen Situa- tionen extremer Bedrohung sagt er lakonisch: Die NS-Opfer waren „Märtyrer, aber keine Heiligen“, was zahllose Berichte über erlebte Gemeinheit, verzweifelte Anpassung, von Kapos und KP-Gruppen ausgeübte Macht, totale Apathie und heroischen Edelmut bestätigen. Ob auf Seiten der Opfer oder der Täter: Absehbar sei nie gewesen, wie Einzelne in bestimmten Situationen reagieren. In seiner akribischen Studie über in die Enteignungs-, Auswande- rungs- und Vernichtungsvorgänge eingeschaltete jüdische Funktionäre konstatiert Doron Rabinovici: „Der ‚Judenälteste’ musste versuchen, sich in die Nationalsozialisten hineinzudenken, dabei immer auf ein Mindestmaß ihrer Rationalität zählend, in der Hoffnung, ihre Vorha- ben durchschauen und beeinflussen zu können.“ Darauf beharrte Mur- melstein, aber „in Wahrheit fielen die Beschlüsse der Machthaber, ohne auf die Handlungen des ‚Judenältesten’ Rücksicht zu nehmen.“38 Wie diese Machthaber dachten, machte Heinrich Himmler etwa in seiner berüchtigten Rede in Posen im Oktober 1943 vor versammelten Parteigrößen und Kommandeuren deutlich: „Ich meine jetzt die Juden- evakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – ‚Das jüdische Volk wird ausgerot- tet’, sagt ein jeder Parteigenosse‚ ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.’ […] Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehal- ten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher

38 Doron Rabinovici: Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938–1945. Der Weg zum Judenrat, Frankfurt am Main 2000, S. 369...... 274 Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“39 Himmlers oft betonte unfassbare Unschuldsbe- hauptung, bei welchen Taten auch immer „anständig geblieben zu sein“, macht trotz der monströsen Dimensionen weiterhin uneinsichti- ge Haltungen kenntlich, war doch diese Floskel – so wie ‚Charakter’ – in Erwachsenenrunden zur Nazizeit immer wieder zu hören. Auch Ian Kershaw fiel auf, dass ausgerechnet „anständig“ „eines von Himmlers Lieblingswörtern“ war.40 Hermann Görings Zynismus fügte dem noch Egomanisches hinzu, als er, wie ein Filmbericht dokumentiert, als Häft- ling in Nürnberg Journalisten mit der höhnischen Bemerkung provo- zierte: „Wenigstens zwölf Jahre anständig gelebt.“ Hatte Nisko, der Zielort erster Judendeportationen aus Wien im Oktober 1939, noch Überlebenschancen möglich erscheinen lassen, wurde nur 50 Kilometer östlich davon ab Mai 1940 das Vernichtungs- lager Bełżec errichtet und ab November 1941 zur sofortigen industriel- len Tötung ausgebaut, Wochen vor der Wannseekonferenz, die fälsch- lich als Beginn der „Endlösung“ gilt. Der einzige ausführliche Augenzeugenbericht darüber stammt vom polnischen Juden Rudolf Reder (1881–ca. 1970), der von dort En- de 1942 entkommen konnte. 1881 im südpolnischen Dębica geboren, betrieb er in Lemberg eine Werkstatt zur Seifenherstellung. Am 16. August 1942 wurde er im Zuge der Räumung des Judenviertels mit Hunderten anderen verhaftet und eingepfercht in Viehwaggons nach Bełżec transportiert. „Im Todeslager war ich von August bis Ende No- vember 1942, also zu einer Zeit, als dort massenweise Juden vergast wurden“, heißt es in seinem Bełżec-Bericht. Die grausigen Einzelhei- ten daraus hier zu erwähnen würde nur unzulässig fragmentierte Ein- drücke vermitteln. Den völlig radikalisierten Vernichtungswillen be- griff Rudolf Reder über Monate hinweg ganz unmittelbar, da er zur „Stammmannschaft des Todeslagers“, der „Todesbrigade“, eingeteilt war: „Bełżec diente ausschließlich der Vernichtung von Juden.“ „Bis alle sechs Kammern voll waren, litten die Menschen in den ersten Kammern schon zwei Stunden lang Höllenqualen. Erst wenn alle sechs mit Menschen so vollgestopft waren, dass sich die Türen nur

39 Heinrich Himmler: Wikipedia: Posener Reden | unter den Teilnehmern: Albert Speer und Baldur von Schirach; Richard von Schirach: Der Schatten meines Va- ters, a.a.O., S. 363. 40 Ian Kershaw: Das Ende, a.a.O., S. 64...... 275 schwer schließen ließen, wurde die Maschine eingeschaltet.“ „Wir wa- ren der Meinung, dass die Maschine entweder hohen Druck erzeugte, oder Luftleere, oder dass sie mit Benzin Kohlenmonoxyd produzierte, das die Menschen getötet hat.“ „Die Juden aus dem Ausland kamen völlig ahnungslos nach Bełżec, in der sicheren Annahme, arbeiten zu können, kultiviert gekleidet, mit Sorgfalt auf die Reise vorbereitet.“ „Täglich wurden im Magazin Wertgegenstände, Geld und Dollars aus- sortiert; das haben die SS-Männer selbst getan und alles in Koffern verstaut, die ein Arbeiter nach Bełżec zur Kommandantur gebracht hat.“ Einige Dutzend SS-Leute und achtzig ukrainische Hilfskräfte ge- nügten, um alles zu organisieren und zu bewachen. Als Rudolf Reder mithelfen sollte, aus Lemberg Bleche ins Lager zu transportieren, konnte er den unaufmerksam gewordenen Wächtern entfliehen und sich bei seiner früheren Haushälterin verstecken. Sie heirateten nach dem Krieg, er nahm als Roman Robak ihren Namen an und emigrierte nach Kanada, wo er um 1970 starb. Von seiner ers- ten Frau und seinem Sohn fehlte jede Spur, die Tochter Sophia konnte nach England entkommen. Außer Rudolf Reders Bericht gibt es zu Bełżec selbst nur knappe Aussagen einiger weniger Überlebender, so von Chaim Hirszman, der im März 1946 in Lublin von polnischen An- tisemiten ermordet wurde. Rudolf Reder gab 1944 erste Zeitungsinter- views und sagte dann ausführlich vor der Jüdischen Historischen Kom- mission und der Staatsanwaltschaft aus; sein mit Hilfe der ihn betreu- enden Nella Rost verfasster Bericht „Bełżec“ erschien 1946 in Krakau.41 Mitte der 1960er Jahre trat er in München als Zeuge im Bełżec-Prozess auf, der aber nur zur Verurteilung des bayrischen SS-Mannes Josef Oberhauser führte. In Bełżec, dem ersten der Vernichtungslager, waren die Spuren mit größtmöglicher Gründlichkeit beseitigt worden. Dafür eingesetzte jüdische Häftlinge wurden im Lager Sobibor getötet, von dem dann wie in Treblinka ebenfalls keine Indizien zurückbleiben soll- ten. Am 27. Jänner 1945 wurde Auschwitz von der Roten Armee befreit. Von den Haupttätern konnte nur auf Reinhard Heydrich ein er- folgreicher Anschlag verübt werden, durch die von London aus orga-

41 Rudolf Reder: Bełżec, Krakau 1946 | polnisch-englische Ausgabe Krakau 1997 | Übersetzung aus dem Polnischen von Wolfgang Reder | erste offizielle deutsche Übersetzung: Rudolf Reder: Bericht über Bełżec, in: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Angelika Königseder (Hg.): Nationalsozialistische Zwangslager. Struk- turen und Regionen – Täter und Opfer, Dachau – Berlin 2011, S. 351 ff. (vergrif- fen)...... 276 nisierte tschechische Agentengruppe um Alfréd Bartoš, Jozef Gabčík, Jan Kubiš und Josef Valčík, die dabei alle umkamen. Heinrich Himm- ler – dessen Besuch in Bełżec im Juli 1942 bezeugt ist42 – und der un- mittelbar zuständige Kärntner Odilo Globocnik verübten nach ihrer Gefangennahme Selbstmord. Heydrichs Amtsnachfolger Kaltenbrun- ner wurde als Hauptkriegsverbrecher hingerichtet. Christian Wirth, der erste Lagerleiter von Bełżec, kam bei einem Partisanenüberfall in Istrien um, so wie der Sobibor-Leiter Franz Reichleitner, ein Oberös- terreicher. Der Lagerleiter von Sobibor und Treblinka, Franz Stangl, ein Oberösterreicher, der davor für die Tötungsanstalt Schloss Hart- heim zuständig war, entkam nach Syrien und Brasilien. Von Simon Wiesenthal aufgespürt – dessen Mutter Rosa ein Bełżec-Opfer ist –, wurde er an Deutschland ausgeliefert und starb als einer der wenigen Haupttäter im Gefängnis. Kurt Gerstein, der „Hygienefachmann der Waffen-SS“, erhängte sich 1945 in einem Pariser Gefängnis. Meine zufällige Namensgleichheit mit dem Bełżec-Zeugen Rudolf Reder aus Polen machte deutlicher als sonstiges Nachforschen auf Be- züge zwischen Wien, Nisko und Bełżec aufmerksam – und darauf, wie viele jüdische Familien so heißen, ohne dass mir das davor bewusst ge- worden wäre; gibt es doch allein aus Wien 25 Shoah-Opfer dieses Na- mens.43 Wie Rudolf Reder war auch der aus Czernowitz stammende vielseitige Künstler Bernard Reder (1897–1963) der unmittelbaren Be- drohung entkommen; ihm gelang mit Hilfe seines Freundes, des Bild- hauers Aristide Maillol, von Paris aus die Flucht über Spanien und Ku- ba nach New York. Solche auf Schicksale verweisende Namensver- wandtschaften ließen sich – wenn auch reduziert auf Nominelles – in zahllosen Fällen als Berührungspunkte aufspüren. Aber Opferperspek- tiven bleiben unvorstellbar …

42 Hans Mommsen: Das NS-Regime und die Auslöschung der Juden in Europa, Göttingen 2014, S. 195. 43 Walter Laqueur (Hg.): Encyclopedia, New Haven – London 2001, S. 232 | http://www.doew.at/personensuche | Gewürdigt wird Rudolf Re- der etwa auch in Niall Ferguson: Krieg der Welt. Was ging schief im 20. Jahr- hundert, Berlin 2006, S. 636 f...... 277 MARZABOTTO. „Tief erschüttert und beschämt“ hat Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, bei einer Gedenk- veranstaltung im Februar 2012 angesichts „der von Deutschen hier ver- übten Morde“ deutlich gemacht: „Marzabotto ist ein Symbol der bruta- len Nazi-Diktatur“. Denn „am 29. September 1944 verübten SS-Scher- gen hier in Marzabotto ein brutales Massaker an der Zivilbevölkerung, eines der schlimmsten Kriegsverbrechen während des Zweiten Welt- kriegs. SS-Einheiten ermordeten grausam 800 Menschen, Frauen, Kin- der und ältere Menschen. Die SS-Männer drangen in Häuser, Schulen und Kirchen ein, erschossen ihre Opfer, warfen Handgranaten in Häu- ser und zündeten Kirchen an. Die wenigen Überlebenden entkamen dem Tod, weil sie unter Leichenbergen begraben lagen oder sich verste- cken konnten. Ihr Leid entzieht sich unserer Vorstellungskraft. Die heu- tigen Deutschen tragen keine persönliche Schuld, aber sehr wohl eine große Verantwortung. Verantwortung dafür, dass die Erinnerung wach bleibt und nie vergessen wird, dass das, was geschah, im Namen unserer Nation geschah.“44 Auch viele Österreicher waren beteiligt. Jahrzehntelang wurde das nur von jenen so gesehen, die Italiens Resistenza-Bewegung als Grundlage des Neubeginns betrachteten, aber latent als Kommunisten diskreditiert wurden. Weil Deutschland und Italien ihre Nachkriegsbeziehungen als frühe EWG-Partner und Nato-Mitglieder nicht belasten wollten, wurden die von Wehrmachts- und SS-Einheiten nach dem Sturz Mussolinis am 25. Juli 1943 verüb- ten Massaker lange Zeit kaum bewusst gemacht oder Gegenstand rechtzeitig nachforschender Gerichtsverfahren. In Österreich war dies- bezüglich ohnehin nur der wegen seiner Taten in Marzabotto bis 1985 in Italien inhaftierte SS-Sturmbannführer Walter Reder (1915–1991) ein Thema, der stets als Major tituliert wurde, um den SS-Bezug zu vermeiden. Von den Opfern war kaum die Rede. Aber „rund zehntau- send Zivilisten, die keine Partisanen waren, sind zwischen Frühjahr und Herbst 1944 von Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS ge- tötet worden“, als sich diese immer weiter nach Norden zurückziehen mussten, so das Resümee Christine Kohls zum vor allem von Carlo Gentile untermauerten Forschungsstand.45

44 Rede von Parlamentspräsident Martin Schulz zum Gedenken an das Massaker von Marzabotto, 25.2.2012. www.europarl.europa.eu | www.resistenza.de/ 45 Christine Kohl: Der Himmel war strahlend blau. Vom Wüten der Wehrmacht in Italien, Wien 2004, S. 11 | Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Par- tisanenkrieg 1943–1945, Paderborn 2012...... 278 Carlo Gentile: Wehrmacht und Christine Kohl: Der Himmel war Waffen-SS im Partisanenkrieg strahlend blau. Vom Wüten der –, Paderborn  Wehrmacht in Italien, Wien 

Mit Walter Reder, dessen Familienzweig im oberösterreichischen Garsten ansässig war, verbindet mich nur, dass mein Urururgroßvater Mathias Reder (1745–1823) aus Steyr unser gemeinsamer Vorfahre ist. In meiner engeren Familie hat ihn niemand persönlich gekannt. Ver- wandte aus Steyr aber haben ihn in der Festung Gaeta bei Neapel be- sucht. Ein solcher Zeitabstand löst die genetische Verwandtschaft un- ter Nebenlinien sichtlich auf; die Namensgleichheit ergibt dennoch ein gewisses Nahverhältnis. Seit ich als Student die Gerichtsakten in der Nationalbibliothek studierte, war mir klar, dass er ein Kriegsver- brecher war. Damals wusste ich nur vage, dass wir entfernt verwandt waren. Weil er viel länger als andere inhaftiert blieb, wurde er als Ös- terreichs „letzter Kriegsgefangener“ zur Symbolfigur – aber ebenso für die fehlende Bereitschaft, wenigstens die extremsten Kriegsverbrechen gerichtlich zu verfolgen, hätten als deutliche Distanzierung doch viele Walter Reder bestraft werden müssen. Nur weil so viele Haupttäter nie verurteilt wurden oder bald wieder freikamen, blieb er für Jahrzehnte ein singulärer Fall. Das in den Angaben zur Partisanenbekämpfung nicht enthaltene, der Opferzahl nach größte örtliche Kriegsverbrechen im Mittelmeer- raum hatten deutsche Befehlshaber bereits im September 1943 nach dem Waffenstillstand Italiens zu verantworten. Denn nachdem auf der von Italienern und Deutschen besetzten griechischen Adriainsel Ke- phallonia „etwa fünfzehnhundert Italiener der Division Acqui“ im ...... 279 Kampf mit der 1. Gebirgs-Division gefallen waren, weil sie wegen der neuen Lage als Verräter und Feinde betrachtet wurden, wurden „weite- re fünftausend italienische Soldaten“ gefangen und „standrechtlich er- schossen, ihre Leichen zumeist verbrannt“. Weniger drastisch wieder- holte sich das in Korfu, Kos, Leros und Dubrovnik. Der direkt verant- wortliche Major Harald von Hirschfeld überlebte den Krieg nicht. Der zuständige General Hubert Lanz wurde in Nürnberg dafür und wegen Geiselmorden auf dem Balkan verurteilt, aber bald entlassen. Dabei hatte er, wie später nachgewiesen, dieses Massaker „auf eigene Faust“ angeordnet, denn die oberste Heeresleitung „hatte zuletzt ‚nur’ die Er- schießung der Offiziere verlangt“. Ein später in Deutschland eingelei- tetes Verfahren gegen Beteiligte wurde eingestellt, denn die „321 ver- nommenen Soldaten stritten alles ab“, obwohl etwa Alfred Richter, ein beteiligter österreichischer Gebirgsjäger, viele Taten mit seinem später publik gemachten Tagebuch hätte belegen können.46 Wegen Italiens Ausscheiden aus dem Krieg kamen 600.000 seiner Soldaten als Militär- internierte in deutsche Lager und Zehntausende willkürlich Verhaftete wurden zur Zwangsarbeit verschleppt, wobei sie durchwegs elend be- handelt wurden und die Todesrate enorm hoch war. Gleichzeitig hatte auch in Italien die systematische Verfolgung als Juden geltender Menschen und ihre Deportation in Vernichtungslager eingesetzt, nachdem sie, bis dahin in Italien nicht physisch bedroht, im November 1943 auch dort zur „feindlichen Nationalität“ erklärt wurden.47 Im Zuge des massiver werdenden Widerstandes wurde viel- fach wahllos gegen Zivilisten gewütet, ob als Vergeltung für Partisa- nenüberfälle, weil die Unterstützung von Partisanen unterstellt wurde, oder auch ohne jede Begründung. Ein Fanal dafür war die Erschie- ßung von 335 italienischen Geiseln, darunter 77 Juden, in den Ardea- tinischen Höhlen im Süden Roms am 24. März 1944; sie waren am Bombenanschlag der Resistenza in der Via Rasella völlig unbeteiligt, bei dem 33 Angehörige des Polizeiregiments „Bozen“ starben.48 Von den Tätern, alle SS-Angehörige, kam vorerst nur Herbert Kappler in Haft. Diesem Mitgefangenen Walter Reders in Gaeta gelang wegen

46 Christine Kohl: Der Himmel war strahlend blau, a.a.O., S. 16, 21, 22, 23 ff. | Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 81 | Wikipedia: Massacre of the Acqui Division | Wikipedia: 16. SS-Panzergrena- dier-Division „Reichsführer SS“. 47 Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 87. 48 Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 132...... 280 seines Krebsleidens aus einem Krankenhaus die Flucht nach Deutsch- land, wo er bald darauf starb. Erich Priebke entkam nach Argentinien, wurde nach Jahrzehnten aufgespürt, an Italien ausgeliefert und zu le- benslanger, dann zu Hausarrest entschärfter Haft verurteilt. Auch Karl Hass, der unter falschem Namen in Italien blieb, wurde erst 1998 ver- urteilt. Der sich wie Kappler selbst am Morden beteiligende Carl- Theodor Schütz war als Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes zwar schließlich entlassen worden, aber einer Strafe entgangen.49 Nachdem Rom am 4. Juni 1944 – zwei Tage vor der Invasion in der Normandie – von den deutschen Truppen aufgegeben werden musste, wurden im Zuge des Rückzugs immer wieder bei sogenannten Bandenaktionen ganze Ortschaften niedergebrannt, wozu es auch schon in Süditalien durch Wehrmacht und SS gekommen war. Zahl- lose Menschen kamen in brennenden Häusern um. Militärische Erfol- ge waren nur noch im Kleinkrieg greifbar. Das Kriegsende vor Augen, wurde die Bevölkerung zunehmend feindseliger. Vielfach belegt ist, wie meist weitgehend auf sich gestellte kleine Kommandos hem- mungslos raubten, brandschatzten, vergewaltigten und mordeten, als schrankenlose Machtausübung ansonsten in eine strenge Disziplin eingebundener Akteure. Oft genug brutalisiert durch mitgemachte Gräuel im Osten, zogen solche Trupps „gleich Marodeuren des Drei- ßigjährigen Krieges total vernachlässigt durchs Land“, wie es in inter- nen Berichten der 16. Panzerdivision heißt. „,Echte’ Partisanen“, wa- ren, so die Erhebungen Carlo Gentiles, „verhältnismäßig selten unter den Opfern dieser Aktionen zu finden. Wenn sie jedoch ausnahmswei- se in die Hände der Truppen fielen, waren die Hinrichtungen oft grausam.“50 So wurden in der Toskana am 29. Juni 1944 Civitella, San Pancrazio, Cornia, Gebbia und deren Umgebung zu Orten eines sol- chen Wütens, bei dem als Vergeltung für drei erschossene Deutsche „über zweihundert Menschen“ ermordet wurden, darunter „nicht ein einziger Partisan“. „Selbst in das kleine Altenheim des Ortes drangen sie mit Handgranaten ein.“ Der dafür hauptverantwortliche Haupt- mann Heinrich Barz wurde nie zur Rechenschaft gezogen und „mach- te später bei der Hamburger Polizei Karriere, wo er es bis zum stellver- tretenden Polizeichef brachte“.51

49 Wikipedia: Massaker in den Ardeatinischen Höhlen. 50 Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 102, 153. 51 Christine Kohl: Der Himmel war strahlend blau, a.a.O., S. 54, 60, 61...... 281 Am 12. August 1944 kamen im zwischen Carrara und Lucca gele- genen Sant’Anna di Stazzema „mehr als fünfhundert Menschen“ um, „über zwei Drittel der Opfer waren Frauen und Kinder“, das jüngste von ihnen „war zwanzig Tage alt“. Offiziell hieß es, „wir sind im Par- tisanengebiet; jeder, den man trifft, wird erschossen“, so eine Zeugen- aussage dazu. Der zuständige Bataillonschef SS-Hauptsturmführer Anton Galler, ein Österreicher, der zu den Haupttätern in Italien zählt, wurde jedoch nie belangt. Er lebte lang in Salzburg und starb als Pensionist im spanischen Küstenort Dénia, einer „Zufluchtsstätte für NS-Anhänger“, wo sich eine Zeit lang auch der „ Mussolini-Befreier“, der Österreicher Otto Skorzeny, aufhielt. Der SS-Hauptsturmführer Ludwig Gantzer, Kommandeur eines weiteren in Italien eingesetzten Bataillons, wurde Polizeichef in Göppingen und „blieb unbehelligt bis zu seinem Tod“. Der oft als Zeuge dienende Offizier Ekkehard Albert, ebenfalls ein Österreicher, behauptete stets, es erschiene ihm „fast un- glaubhaft, dass Erschießungen von Frauen und Kindern vorgekom- men“ seien. Für die Hinrichtung von sechzig Menschen im Kloster Farneta bei Lucca am 2. September 1944, wo die Mönche Flüchtlinge, darunter viele Juden, versteckt hatten, wurde der SS-Offizier Her- mann Langer nur in Abwesenheit verurteilt, da es wie so oft nicht zur Auslieferung kam. Dass Soldaten „sich positiv verhielten“ und Be- drohten zur Flucht verhalfen, zeigt, dass das durchaus möglich war.52 Als Fanal seit Monaten eskalierender Verbrechen ist die Gemein- de Marzabotto, so Christiane Kohl zusammenfassend, als besonders krasses Beispiel „in Italien zum Symbol für den Terror der Nationalso- zialisten während der deutschen Besatzung in den Jahren 1943 bis 1945“ geworden. Denn „Ende September 1944 wurde hier ein ganzer Landstrich von der Waffen-SS verwüstet, etwa siebenhundertsiebzig Menschen starben in den Ortschaften, die verstreut in der unwegsa- men Bergregion um den Monte Sole liegen.“ Wegen eines Partisanen- überfalls in Cadotto mit Toten auf beiden Seiten wurden am 29. Sep- tember 1944 alle Gebäude in Brand gesteckt und „etwa fünfzig Bewoh- ner, vor allem Frauen und Kinder sowie ein paar ältere Männer“, er- schossen. Bei der Kirche Santa Maria Assunta fanden „etwa achtzig Menschen den Tod, darunter achtunddreißig Kinder“.53

52 Christine Kohl: Der Himmel war strahlend blau, a.a.O., S. 80 f., 84, 87, 89, 91, 92, 96, 99, 100 | Wikipedia: Hermann Langer. 53 Christine Kohl: Der Himmel war strahlend blau, a.a.O., S. 148 f...... 282 Wiederum war die berüchtigte 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ im Einsatz, mit SS-Sturmbannführer Walter Reder als Kommandeur ihrer SS-Panzer-Aufklärungsabteilung 16, der viele weitere Haupttäter angehörten. Der Divisionskommandant, SS-Ge- neral Max Simon (1899–1961), wurde dafür zwar in Padua zum Tod verurteilt, aber zu lebenslanger Haft begnadigt und bereits 1954 entlas- sen, so wie der deutsche Oberbefehlshaber in Italien, Albert Kesselring (1885–1960).54 In dessen Befehlen hieß es trotz längst bekannter Exzes- se, er „werde jeden Führer decken, der in der Wahl und Schärfe des Mittels über das bei uns übliche zurückhaltende Maß hinausgeht“. Erst dem Kriegsende zu, nunmehr auf „das Ansehen und die Diszip- lin in der Deutschen Wehrmacht“ bedacht, befahl er, Partisanen als Kriegsgefangene zu behandeln und die Zivilbevölkerung zu schonen, war doch nicht mehr zu leugnen, dass sich einzelne Soldaten „wie Ban- diten verhalten und Güter jeder Art mit vorgehaltener Pistole erpres- sen“.55 Für Carlo Gentile ist vielfach belegt: „Vor allem die Einsätze der 16. SS-Panzergrenadier-Division ‚Reichsführer SS’ zwischen Anfang August und Anfang Oktober 1944 hinterließen eine wahre Blutspur, die aus diesem Verband mit großem Abstand die mörderischste unter den deutschen Divisionen in Italien machte. Weit mehr als 2.000 Zi- vilisten – also mehr als ein Fünftel aller Opfer – kamen dadurch bin- nen weniger Wochen ums Leben.“ Hervorgegangen aus „den 1934 zur Bewachung der Konzentrationslager aufgestellten ‚SS-Totenkopf-Ver- bänden’“, die zur SS-Division „Totenkopf“ und „zur Heimat Walter Reders“ wurden, so Gentile, zählte sie zu jenen Einheiten, „die 1941 die Shoah in der Sowjetunion in Gang gesetzt haben“. In Italien war Walter Reder bereits im August 1944 im Hinterland Carraras beteiligt, als in Bardine di San Terenzo wegen eines verlustreichen Partisanen- überfalls über fünfzig „Bandenverdächtige“ erschossen wurden, beim Valla genannten Bauernhaus „über hundert Frauen, Kinder und alte Leute“, in Vinca weitere Dutzende Menschen. Das hat diese Namen zu Synonymen für eine davor in Italien nicht vorgekommene Brutali- tät der Kriegsführung gemacht.56

54 Christine Kohl: Der Himmel war strahlend blau, a.a.O., S. 149 f. 55 Albert Kesselring: Soldat bis zum letzten Tag, Bonn 1953, S. 437, 440 | Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 157. 56 Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 201, 202, 227 ff...... 283 In Marzabotto am von SS-Einheiten umzingelten Hochplateau um den Monte Sole unweit von Bologna hatte Walter Reder die Be- fehlsgewalt. Südwestlich davon war es – als Kontra-Beispiel mit Öster- reich-Bezug – im Mai davor dem Wehrmachtssoldaten Fritz Molden gelungen, sich über den Abetone-Pass zu den Partisanen durchzuschla- gen um der Verhaftung wegen seiner Widerstandsverbindungen zu entgehen.57 Von Reders Einheit wurden dort „etwa 770 unbewaffnete Zivilisten, darunter fast ausschließlich Alte, Frauen und Kinder“, er- mordet. Dass es dabei 1.830 Todesopfer gab, wie lange kolportiert, hat sich als unhaltbar herausgestellt. Da trotz einiger Zusammenstöße mit Partisanen nur sieben Soldaten starben, kann es nicht, wie behauptet, zu „schweren Kämpfen“ gekommen sein. Es ging nicht um Partisanen, die längst das Gebirge verlassen hatten, sondern „um die völlige Aus- löschung des ‚Bandengebietes’“.58 Die meisten Aktionen leitete Walter Reder, nur war er, wie immer wieder entlastend vorgebracht wurde, wegen einer Knieverletzung „gar nicht selbst bei den Tötungen in den Bergdörfern von Marzabotto zugegen“.59 Carlo Gentile stellt dazu anhand seiner Forschungen jedoch klar: „Unbestritten ist, dass Reder am Abend des 28. September von [SS- Obersturmbannführer] Looß den Einsatzbefehl erhielt. Danach erfolg- te die Befehlsausgabe an die Kompanien. Wie die Befehle nun genau gelautet haben, haben die Gerichte in den Nachkriegsprozessen ver- geblich zu ermitteln versucht. Reder hat seinerseits aus der Erinnerung nur Bruchstücke eines taktischen Einsatzbefehls zitiert, in denen keine Rede von der Tötung von Zivilisten war. Die Gerichte konnten sich je- doch auf die Aussagen von Julien Legoll [des SS-Zeugen, der ‚die Ver- fahren gegen Simon und Reder ins Rollen brachte’], Wilhelm Kneissel [ein ‚siebzehn Tatbeteiligte’ benennender SS-Mann, der angab, ‚der Be- fehl, Frauen und Kinder zu töten, sei vom Kompanieführer erteilt wor- den’] und von [SS-Obersturmführer] Max Saalfrank berufen. Legoll, der bei der Ansprache an die Truppen anwesend gewesen sein will, sag- te aus, Reder habe mündlich die Anweisung gegeben, im Falle von be- waffnetem Widerstand alle in der Nähe befindlichen Personen zu er- schießen. Diese Aussage wurde von Max Saalfrank gestützt – immer- hin Reders Stellvertreter –, der sagte, der Einsatzbefehl habe gelautet,

57 Fritz Molden: Fepolinski & Waschlapski, a.a.O., S. 188 ff. 58 Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS, a.a.O., S. 238, 247, 248, 250. 59 Christine Kohl: Der Himmel war strahlend blau, a.a.O., S. 150...... 284 ‚ohne Rücksicht für die Bevölkerung’ vorzugehen, was er freilich nicht als Freibrief für Mord verstanden haben wollte.“ „Reder verblieb infol- ge einer Knieverletzung auf seinem Gefechtsstand und verfolgte von dort die Aktion. Dabei stand er im Funkkontakt mit seiner Truppe.“60 Eindeutig erwiesen sei jedenfalls, so Carlo Gentile, wer die „vier Hauptfiguren der Massaker der Waffen-SS in Italien“ waren: Max Si- mon (1899–1961), Walter Reder (1915–1991), Helmut Looß (1910–1988) und Anton Galler (1915–1995). „Die Mehrzahl der Verbrechen ging auf das Konto von Walter Reders SS-Panzer-Aufklärungsabteilung 16. Dieser 600 bis 1.000 Mann starke Verband ist für die Hälfte der getö- teten Zivilisten verantwortlich. Dazu zählen die Taten in Valla, in der Gegend von Vinca und im Raum Monte Sole. Außerdem kann auch das Massaker in Bergiola Foscalina Reders Truppen zugeordnet wer- den.“61 Von den unmittelbar verantwortlichen Kommandeuren wur- den weder Walter Reders Kompanieführer Max Saalfrank und Wil- fried Segebrecht noch der SS-Obersturmführer Werner Szillat oder der SS-Obersturmbannführer Helmut Looß weiter verfolgt. Dieser bereits seit den „Sonderkommandos“ des Ostens berüchtigte Haupttäter galt damals als verschollen, lebte dann unter dem Geburtsnamen seiner Mutter als Lehrer in Bremen und kandidierte 1961 für die FDP. Zeu- genaussagen verschwanden in lange unauffindbaren Akten. In einem Rundbrief hatte Walter Reders Förderer, der SS-General Max Simon, der nach seiner Entlassung als Versicherungsvertreter in Dortmund lebte, alle Mittäter beruhigt: „Die Bestrafung von Reder und mir hat vielen anderen Kameraden das Gerichtsverfahren erspart.“62 Walter Reder bestritt wie die meisten vor Gericht Gestellten „jed- wede Tötungsabsicht gegenüber der Zivilbevölkerung“. Wegen der noch nachweisbaren Taten verurteilte ihn das Militärgericht in Bologna schließlich 1951 zu lebenslanger Haft.63 Nachdem Hunderte Erhe- bungsakten nach Jahrzehnten wieder auftauchten, kam es in Italien seit den 1990er Jahren zu mehreren Verfahren. Wegen Nichterschei- nens oder Mangels an Beweisen blieben sie ergebnislos, obwohl gegen die österreichischen SS-Männer Rupert Lesiak, David Pichler und Hubert Bichler sowie gegen über 50 wegen der Massaker von Marza-

60 Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 241. 61 Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 260, 412. 62 Christine Kohl: Der Himmel war strahlend blau, a.a.O., S. 149 f. 63 Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 240...... 285 botto, Fivizzano bei Carrara und Sant’Anna di Stazzema Beschuldigte neue Indizien vorlagen. Erst 2013 bat dort der deutsche Bundespräsi- dent Joachim Gauck um Vergebung. Erneut ging es oft um die 16. SS- Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“. Unmittelbar nach dem Krieg waren auch beteiligte Mitglieder der faschistischen „Brigate Ne- re“ verurteilt worden, die etwa in Vinca die SS unterstützten. Wegen diverser Amnestien blieben sie nur selten lang in Haft. Bald erlahmte jegliches Interesse, auch Kriegsverbrechen von Italienern zu verfolgen. Wurde in Deutschland der 2013 100-jährig gestorbene, erst seit 1995 meist in Form des Hausarrests inhaftierte Erich Priebke zum Symbol für ein Schlussstrich-Denken und für die behauptete Unzuläs- sigkeit einer deutsche Kriegsverbrechen betreffenden Rechtsprechung, kam in Österreich diese Rolle dessen „letztem Kriegsgefangenen“ Wal- ter Reder zu. Jahrzehntelang wurde seine vorzeitige Freilassung zum politisch benutzbaren Thema. Das steigerte sich 1985, als er schließlich frei kam, zur „Affäre Frischenschlager- Reder“, im Jahr darauf zur „ Wald- heim-Affäre“ und zum Aufstieg Jörg Haiders, dem sich oft provokativ auf die Kriegsgeneration berufenden Polarisierungsaktivisten. Bis über die selbst international heftig umstrittene ÖVP-FPÖ-Koalition ab dem Jahr 2000 hinaus reichen die Nachwirkungen. Denn der damalige Ver- teidigungsminister Friedhelm Frischenschlager von der FPÖ, der später zum Liberalen Forum wechselte, hatte Walter Reder „per Handschlag“ offiziell empfangen, was eine Regierungskrise und höchst negative inter- nationale Reaktionen auslöste. Denn es wirkte wie ein Staatsempfang und ließ das Bundesheer als Rechtsnachfolger von Wehrmacht und SS erscheinen. Außenminister Leopold Gratz hatte sich herausgehalten. Trotz davon ausgelöster Diskussionen wurden damals die Kriegsverbre- chen in Italien nie im Zusammenhang vermittelt – als weitere Beispiele dafür, dass jegliche ‚saubere Kriegführung’ eine Illusion bleibt. Wie die Massaker im tschechischen Lidice von 1942, in Griechenland oder jene im französischen Oradour-sur-Glane von 1944 haben sie krass widerlegt, dass es nur im Inferno des Ostens zu vergleichbaren Gräueln gekommen wäre. Täter wurden konsequent in Opfer verwandelt. Den Opfern ist stets eine Mitschuld als Partisanenhelfer unterstellt worden. Erst seit den Kontroversen um die Wehrmachtsausstellungen der Gruppe um Jan Philipp Reemtsma ab 1995 hat sich – wiederum von Deutschland, nicht von Österreich ausgehend – ein breiteres Interesse am tatsächlichen Ge- schehen herausbilden können, begleitet vom Wegsterben der verbliebe- nen Original-Nazis...... 286 Der Umgang mit Walter Reder verdeutlicht, wie verfilzt die politi- schen Positionen dazu blieben, weil es um das „innerösterreichische Ta- buthema der Mittäterschaft an NS-Verbrechen“ und den Opferstatus des Landes ging, was die Autorin und Journalistin Barbara Tóth in ihrer Dissertation an der Universität Wien „Der Handschlag – Die Affäre Fri- schenschlager-Reder“ 2010 sehr schlüssig aufgearbeitet hat. Denn es zei- ge sich, dass sie „als Indikator für das historische Bewusstsein der öster- reichischen Gesellschaft mindestens genauso aussagefähig“ ist „wie die Affäre Waldheim, wenn nicht sogar aussagekräftiger“. Walter Reder „ist sozusagen das Produkt einer politischen Geschichtsschreibung, die im Begriff war, sich selbst zu überholen, als das Produkt lieferfertig wurde“.64 Walter Reders Lebensweg hatte ihn früh radikalisiert. Er war in Garsten bei Steyr, dem Heimatort seiner als bürgerlich geltenden Fami- lie, und nach dem Konkurs der väterlichen Rechenmaschinenfabrik in Wien und Linz aufgewachsen. Er wurde früh Mitglied der Hitlerjugend und dann der damals bereits verbotenen SS und NSDAP. Wegen ver- schiedener Aktionen vorbestraft und von allen Schulen verwiesen, floh er vor neuerlicher Haft im Juni 1934 als 19-Jähriger nach Bayern, wo er der „Österreichischen Legion“ beitrat und deutscher Staatsbürger wur- de. Im Zuge seiner SS-Laufbahn, die ihn zwangsläufig in die von star- ren Feindbildern und bedenkenloser Brutalität geprägte Gruppendyna- mik einband, kam er wie viele spätere Gefährten zur Wachmannschaft des KZ Dachau. Danach war er am Einmarsch in Österreich, in die Tschechoslowakei, am Angriff auf Frankreich und auf die Sowjetunion beteiligt. In den Kämpfen um Charkow im März 1943 schwer verwun- det und deswegen mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet, blieb sein rechter Arm gelähmt und der linke Unterarm wurde amputiert. Wegen seiner langen Bekanntschaft mit dem SS-General Max Simon kam er als Kom- mandeur zur Aufklärungsabteilung der 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ nach Italien, in der viele in den Einsatzkommandos des Ostens Radikalisierte ‚professionelle’ Vernichtungserfahrungen hat- ten.65 Reders Verantwortung „ist neben Marzabotto auch in den Fällen von Valla und Vinca eindeutig nachgewiesen. In anderen Fällen liegen nur Indizien vor“, so auch Barbara Tóth zum Urteil des Militärgerichts,

64 Barbara Tóth: Der Handschlag – Die Affäre Frischenschlager-Reder, Disserta- tion, Universität Wien, Wien 2010, S. 9, 10, 15 | Christian S. Ortner: Am Bei- spiel Walter Reder. Die SS-Verbrechen in Marzabotto und ihre „Bewältigung“, Hg. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 1985. 65 Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 290 ff...... 287 „das Reder in einigen gegen ihn vorgebrachten Anklagepunkten frei- sprach“, was für ein abwägendes Verfahren spricht. Wegen der enormen Opferzahlen wurde in Italien der „weitverbreitete Horrormythos eines bei den Massakern im Sommer 1944 allgegenwärtigen Reders“ ebenso überzeichnet „wie seine in Österreich vorherrschende, groteske Verherr- lichung vor allem in der rechtsextremen Literatur“.66 Nur weil man ihm nach jahrelangen Interventionen 1956 wieder die österreichische Staats- bürgerschaft zuerkannte, da er sie unbefugt als noch Minderjähriger aufgegeben habe, machte das politische Initiativen zu seinen Gunsten und Rentenansprüche möglich. Das Außenministerium beglich die we- gen vieler Eingaben beträchtlichen Anwaltskosten. Permanent setzten sich Politiker aller Parlamentsparteien, die Kirche und selbst KZ-Opfer wie Rosa Jochmann für eine Begnadigung ein. Primär ging es darum, seine Freilassung als Verdienst zu beanspruchen. Es sollte aber auch die für Rechtsextreme benutzbare angebliche Unrechts-Symbolik wegen der langen Haft nicht weiter verstärkt werden, waren doch Tausende Täter längst freigekommen oder nie belangt worden. Nie wurden auch nur für einen einzigen 1938 Vertriebenen je sol- che konzertierten Anstrengungen unternommen. Aus einem Kriegsver- brecher wurde ein unschuldiger Kriegsgefangener gemacht. Beide Großparteien reagierten auf die weit über FPÖ-Anhänger hinausrei- chenden Stimmungslagen und hofierten Walter Reder aus vorgeblich humanitären Gründen. Von den Taten war kaum die Rede. Sie wurden durchwegs als aus politischen Gründen maßlos übertrieben dargestellt und als Teil normalen Kriegsgeschehens verteidigt. Nur vereinzelt wur- de bewusst gemacht, „dass der ehemalige SS-Sturmbannführer kraft Anklage und Verurteilung in der Welt zu einem Symbol für die Verlet- zung der Kriegsgesetze und der Kriegsgebräuche geworden ist“, so der Völkerrechtsexperte und ÖVP-Abgeordnete Felix Ermacora im Parla- ment, wobei auch ihm Symbolisches wichtiger schien als die Taten. Der spätere ÖVP-Vizekanzler Erhard Busek nannte Reders Empfang „de- mokratiefeindlich“, betonte aber die „Mitverantwortung der SPÖ“. Fi- nanzminister Ferdinand Lacina von der SPÖ drohte, mit einem „Mi- nister und einer FPÖ wie dieser“ aus der Koalition auszuscheiden; „fünf Minister sprangen ihm bei: Karl Blecha, Johanna Dohnal, Alfred Dallinger, Franz Vranitzky und Erich Schmidt“.67

66 Barbara Tóth: Der Handschlag, a.a.O., S. 30. 67 Barbara Tóth: Der Handschlag, a.a.O., S. 130, 142, 161...... 288 Der Symbolwert zweier konträr verlaufener Biographien war ein Hauptgrund, so Barbara Tóth, „warum die Affäre diese Brisanz entwi- ckeln konnte. Hier der liberale Vorzeigeschüler Frischenschlager, jener Mann in der rotblauen Koalition, auf dem die Hoffnungen all jener la- gen, die an eine Wandlung des dritten Lagers zur liberalen Partei glau- ben wollten. Dort der mythologisierte, in weiten Teilen der Bevölke- rung nahezu kultisch verehrte Walter Reder, der für all jene in jungen Jahren von der Zwischenkriegszeit desillusionierten und dann vom Na- tionalsozialismus begeisterten Soldaten steht, die in der Wehrmacht nur ihre Pflicht getan haben wollten.“ Es war ein Lehrstück für Ge- schichtsumdeutung. Denn „aus dem illegalen Nazi, SS-Sturmbann- führer und verurteilten Kriegsverbrecher war dank der jahrelangen PR- Arbeit seines Nazi-Netzwerkes und der Biegsamkeit einer Politik, die die Gunst des nationalen Lagers nicht verlieren wollte, in der kollekti- ven Wahrnehmung der letzte österreichische Kriegsgefangene gewor- den“. Daran wirkte auch Bruno Kreisky, anfangs in dieser Sache zu- rückhaltend, schließlich offensiv mit. Symptomatisch sei, dass er, „wie sich aus Korrespondenzen nachvollziehen lässt“, ausgerechnet deswe- gen mit dem langjährigen FPÖ-Obmann Friedrich Peter (1921–2005) erstmals in persönlichen Kontakt kam, der dann selbst wegen der von ihm stets bestrittenen Teilnahme an SS-Mordaktionen in der Sowjet- union für viele untragbar wurde, als Simon Wiesenthal diese Einsätze bekannt machte. Dass Kreisky ihn vehement verteidigte und in Schutz nahm, stieß weithin auf Unverständnis; auch mich hat es damals zu- tiefst verstört. Was 1985 neuerlich aufgebrochen war, blieb brisant, so Barbara Tóth resümierend: „ Kreiskys Erbe wird im Gefolge der ‚ Fri- schenschlager- Reder-Affäre’ zu Grabe getragen“, da sich die Hoffnun- gen auf eine als Koalitionspartner akzeptable, liberalisierte FPÖ auflös- ten.68 Kreisky betonte oft, wie bereits angemerkt, dass wegen des Feind- bildes „Austrofaschismus“ sein „Verhältnis zu ehemaligen Nazis ein an- deres“ wäre und jede Läuterung zum Demokraten zu akzeptieren sei.69 Wie eine perfide Pointe dazu widerrief Walter Reder, kaum in Freiheit, sein Reuebekenntnis gegenüber den Opfern von Marzabotto und stell- te es als „Schachzug meines italienischen Anwalts“ dar.70

68 Barbara Tóth: Der Handschlag, a.a.O., S. 22, 24, 150, 168. 69 Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten, a.a.O., S. 206 f. 70 Barbara Tóth: Der Handschlag, a.a.O., S. 163 | Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg, a.a.O., S. 294...... 289 Auf Familienbezüge angesprochen wurde ich selbst dann selten, als der „Major Reder“ täglich in den Medien vorkam. Offenbar wegen meines Namens bekam ich jedoch ein Freiabonnement der rechtsradi- kalen Zeitschrift Neue Ordnung, bis ich deren Berichte und Inserenten im Falter scharf angriff.71 Als ich mich auf einer Rotary-Club-Konfe- renz in Salzburg für das Afghanistan-Komitee wegen Stipendien an Flüchtlingsmädchen zu bedanken hatte, fiel niemandem die Namens- gleichheit auf, als kurz darauf über die „Sammlung für Major Walter Reder“ – bewusst außerhalb des Protokolls – als sonderbares Zeichen bürgerlicher Solidarität berichtet wurde.

VON UNGARN NACH BURMA. Der Bruder meiner Mutter, mein ungarischer Onkel Karl „Lacy“ Herczeg (1924–1960), der vom Namen der Eltern das ‚h’ am Ende wegließ, war als einziger naher Verwandter, den ich gut kannte, Soldat gewesen. Die mörderische Schlacht um Bu- dapest, die kaum einer seiner dort eingesetzten SS-Einheit überlebte, blieb ihm erspart, weil er bereits nach einigen Wochen Fronteinsatz im September 1944 verwundet worden war und in diversen Lazaretten überlebte. Danach rasch zum international anerkannten Wirtschaftswissen- schaftler geworden, kam er dann doch in jungen Jahren unter tragi- schen Umständen um. Er wurde nur 36 Jahre alt. Die Zeit in Hamburg widmete ihm am 11. November 1960 – als ich in der 7. Klasse der Mit- telschule war – einen ausführlichen Nachruf: „Vergangene Woche er- reichte uns aus Rangun, Burma, die knappe Nachricht, daß unser Mitarbeiter Prof. Dr. Karl L. Herczeg auf einer Studienreise in die nördlichen Shan-Provinzen von Banditen getötet worden ist. Mehr war nicht zu erfahren. Herczeg hatte uns am 5. Oktober 1960 geschrie- ben: ‚Ich fahre in den nächsten Tagen weg für eine Steuer-Untersu- chung in den autonomen Shan-Staaten, wo noch mittelalterliche Steuergesetze gelten. Im dringenden Fall erreichen Sie mich bis 22. Oktober in Taunggyi, Southern Shan States, Burma.’ Karl L. Herczeg hatte an der Hochschule für Welthandel in Wien studiert. Nach einer praktischen Tätigkeit im Außenhandel wurde er 1952 wissenschaftli- cher Assistent der Hochschule; nebenbei befaßte er sich mit Betriebs- beratung. 1953 nahm er am International Seminar der Universität Har- vard teil und hielt zahlreiche Vorträge in den USA, so auch an der Mi-

71 Falter, Wien, Nr. 21/1984, Nr. 3/1985, Nr. 11/1985...... 290 Karl L. Herczeg, – Karl L. Herczeg: Zukunft der in der Waffen-SS Weltwirtschaft. Schicksalsfragen der westlichen Welt, Düsseldorf  litärakademie von West Point, über Fragen der europäischen Wirt- schaftspolitik. 1954 war er Leiter der Wirtschaftsredaktion der Salzbur- ger Nachrichten, anschließend trat er in die Volkswirtschaftliche Abtei- lung der OEEC in Paris ein. Sein 1958 im Econ-Verlag erschienenes Buch über die ‚Zukunft der Weltwirtschaft’ zeichnete ihn als originel- len, unerschrockenen Autor aus. Von Paris siedelte Herczeg wieder nach Wien über. Dort erreichte ihn als Dozent ein Ruf der Asia Foun- dation auf eine Gastprofessur nach Rangun. Als Pariser Wirtschafts- korrespondent und später, von Burma aus, als Mitarbeiter für Proble- me der Entwicklungshilfe, stand er der Zeit seit Jahren als wertvoller, anregender Mitstreiter zur Seite. Auch in Asien verlor er Europa nicht aus den Augen. So griff er zuletzt noch mit Leidenschaft in die Dis- kussion um die Aufwertung der D-Mark ein.“72 Meine Mutter verlor durch seinen Tod ihren engsten Vertrauten; für uns Kinder war er der erste verstorbene Verwandte. Dass Karl Re- der (1925–1945), der einzige Sohn von Onkel Josef Reder, dem Partner unseres Vaters in der gemeinsamen Firma, nach kurzem Kriegseinsatz am 12. März 1945 an der Ostfront gefallen war, wussten wir nur aus Er- zählungen. Begraben wurde Karl Herczeg wie die ungarischen Groß-

72 Die Zeit, Hamburg, Nr. 46, 11. November 1960 | Die Zeit online: http://www. zeit.de/1960/46/karl-l-herczeg | Dokumente und Briefe: Archiv Ch. R...... 291 eltern auf dem Grinzinger Friedhof, inzwischen alle in unserem Fami- liengrab vereint. In der Nähe liegt der Gründer des Republikanischen Schutzbundes, Julius Deutsch. Auch andere in diesem Band Genann- te fanden dort ihre letzte Ruhe, von Josef Klaus, Fritz Marsch und Hans Dichand bis zu Thomas Bernhard, Heimito von Doderer, Paula Wessely, Alma Mahler-Werfel oder Gustav Mahler, was wiederum zum Reflektieren über merkwürdige Zufallskonstellationen anregen kann. Auch die Neulandschule liegt in Sichtweite. Wegen häufiger Besuche bei uns stand mir Karl Herczeg schon als Schulkind sehr nahe. Seine damals sonst kaum miterlebbare Weltläu- figkeit beeindruckte, war er doch bereits Anfang der 1950er Jahre län- ger in den USA. Die mitgebrachten Klapperschlangen-Konserven blieben ungeöffnet-schaurige Objekte in der Speisekammer. Die Run- den auf dem Sozius seines Motorrollers sind mir speziell in Erinnerung und dass er wie besessen ständig sein Englisch verbesserte. Als Kriegs- held trat er nie auf. Dafür, dass man selbst mit interessanter Arbeit et- was erreichen konnte, ohne sich irgendwo hochzudienen, war er im gesamten Umfeld ein seltenes Beispiel. Die offiziellen Untersuchungen ergaben, dass er von Taunggyi, der Hauptstadt der Shan-Staaten im Norden Burmas, wo er auf Ein- ladung der Regierung Entwicklungsprojekte und das Steuersystem un- tersuchte, am 30. Oktober 1960, einem Sonntag, ohne die übliche Po- lizeieskorte den Markt im nahen Dorf Hopong besuchen wollte. Un- terwegs wurden sie von vier bewaffneten Straßenräubern gestoppt, die es auf Wertsachen der von weither kommenden Marktbesucher abge- sehen hatten. Es waren offenbar Dacoits genannte professionelle Ban- diten, die dort eine lange Tradition haben. Verheimlichen könnte die- se Version, dass es ein bestellter Anschlag von Oppositionellen, die dem damaligen Sprachgebrauch nach meist als Kommunisten galten, aber Separatisten gewesen sein könnten, auf einen unerwünschten Re- gierungsberater war. Den zwei unverletzten einheimischen Begleitern zufolge, die sich nach der Beraubung davonmachen durften, waren die tödlichen Schüsse in der angespannten Situation gefallen, als Karl Herczeg ausstieg und die Tür des Land Rover laut zuschlug.73 Es könn- te also auch ein unbeabsichtigter, durch einen nervösen Schützen ver- ursachter Tod gewesen sein. Nach einer kurzen Ehe mit der Hambur-

73 Bericht der Asia Foundation 1960, Archiv Ch. R...... 292 Die Presse, Wien, . November  (Ausschnitt) gerin Sibylle Schön stand er kurz vor der Hochzeit mit seiner franzö- sischen Freundin Monique Guitton. Bemerkenswert ist, dass ihm als ungarischem Flüchtling in Öster- reich gleich nach 1945 eine beachtliche Karriere gelang, als Wiener Kor- respondent und Ressortleiter für Wirtschaft der Salzburger Nachrich- ten – als der spätere ORF-Generalintendant Gerd Bacher dort die Lo- kalredaktion leitete – und davor als Assistent am Institut für Volkswirt- schaftslehre von Walter Heinrich an der Hochschule für Welthandel, jenem Walter Heinrich, der als Othmar Spann-Vertrauter und Heim- wehr-Mann sowie als Rektor zur Zeit der Borodajkewycz-Kontroversen bereits erwähnt wurde. Karl Herczeg dissertierte bei ihm über „Die Kri- senfestigkeit der Wirtschaft der Vereinigten Staaten“, das Habilitations- thema war „Übernationale Wirtschaftspolitik“. Seine Interessen waren somit sichtlich nicht mehr an irgendwelchen völkischen Denkweisen, sondern dezidiert global orientiert. „Journalismus allein ist mir viel zu unseriös“, heißt es in einem Brief als Begründung für die erstrebte wis- senschaftliche Laufbahn. Während seiner Zeit in Harvard ergaben sich enge Kontakte mit dem gleichaltrigen Henry Kissinger. Fotos zeigen ihn im Gespräch mit dem Schriftsteller Louis Bromfield. Regierungs- ...... 293 mitglieder aus Burma, die Asia Foundation, der langjährige Finanzmi- nister Reinhard Kamitz, Unterrichtsminister Heinrich Drimmel, Otto Schulmeister, der Sozialökonom Wilhelm Andreae und selbst Otto von Habsburg sandten Kondolenzschreiben. Mit dem ÖGB-Chef Franz Olah, mit Publizisten wie Otto Molden und Wolf in der Maur gab es häufige Kontakte, wie Briefwechsel belegen. Offenbar war er rasch in diverse auf die USA setzende Netzwerke aufgenommen worden. „The two principal themes of the author“, so die Zeitschrift For- eign Affairs zu seinem einzigen, 1958 erschienen und weithin rezensier- ten Buch „Zukunft der Weltwirtschaft. Schicksalsfragen der westlichen Welt“ resümierend, „are the need to achieve a common European mar- ket, and to achieve a working partnership with the underdeveloped lands.“74 Er setzte sich latent für die Weiterentwicklung des Bretton- Woods-Systems vom Juli 1944 ein, das zur Gründung der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und zu festen, 1973 schließlich aufgegebenen Wechselkursbandbreiten geführt hatte, denn es bevorzu- ge eindeutig Industrieländer und vergrößere nur die „zunehmende Kluft“ zwischen reichen und armen Regionen. Dass in Europa „die Schaffung einer Währungsunion“ unbedingt „notwendig sein dürfte“, aber Europa ohne die Einrichtung von „echten Selbstverwaltungskör- pern“ letztlich „am bürokratischen Durcheinander unzähliger Zentral- institutionen scheitern“ könnte und dessen Integration die entschiede- ne „Entwicklung der unterversorgten Räume“ voraussetze, war 44 Jah- re vor der Euro-Einführung und angesichts weiterer, Krisen auslösen- der regionaler Unausgewogenheit sehr weitsichtig. Symptomatisch bleibt, dass im Bretton-Woods-Jahr 1944 John von Neumann und Os- kar Morgenstern, beeinflusst vom „Wiener Kreis“, mit der „Theory of Games and Economic Behavior“ für die Spieltheorie – als mathemati- sche Theorie der Interessenkonflikte – essenzielle Grundlagen lieferten. Karl Herczeg setzte jedoch nie auf eine an Börsen orientierte un- geregelte Marktwirtschaft, sondern forderte insistierend einen auszu- weitenden Marshall-Plan, ohne den alten Fehler, dass dessen Mittel „damals nationalen Wiederaufbauvorhaben“, aber kaum speziell zu fördernden Regionen zuflossen. „Das neue Entwicklungsprogramm wäre hingegen voll und ganz auf die Integration auszurichten, so daß bereits während des Ausbaues die (heute sehr hohen) Hindernisse all- mählich verschwinden.“ „Ein umfassendes Entwicklungsprogramm

74 Foreign Affairs, New York/NY, Jänner 1959...... 294 für die freie Welt“ sei dringend notwendig, mit einer zielbewussten „Umleitung der Kapitalüberschüsse zu den schwächsten Gliedern der Weltwirtschaft“.75 Zufällig am Tag seines Todes brachte Die Presse sei- nen aus Rangun eingelangten Aufsatz „Mission in den Entwicklungs- ländern. Österreichische Initiative für einen österreichischen Minia- tur-Marshall-Plan“.76 In allen seinen Schriften geht es um einen ge- danklichen Neubeginn innerhalb demokratischer Strukturen als Kon- trapunkt zu seinen Erfahrungen als Soldat. Denn er war als 18-Jähriger aus dem Deutschen Gymnasium in Budapest zuerst zur Luftwaffe, dann aber direkt in die Waffen-SS ge- raten, weil Deutsch sprechende Wehrfähige als Ungarndeutsche viel- fach kollektiv zu SS-Einheiten eingezogen wurden. Vielleicht hatte er sich auch ohne Wissen der Eltern freiwillig gemeldet, da ihm das at- traktiver erschien als die ungarische Armee. Dazu Ian Kershaw: „Ge- gen Ende des Jahres 1944 umfasste die Waffen-SS insgesamt 910.000 Mann, und sie verfügte über einige der am besten ausgerüsteten Panzerdivisionen.“77 Während der ihm überlang erscheinenden zwei- jährigen Ausbildungszeit wurde er trotz des drastischen Bedarfs an Sol- daten in sechs Waffengattungen trainiert, wie er in seinen Briefen kri- tisiert: Kavallerie, Fernmeldedienst, Kradschütze, Panzer, Sturmge- schütze und Panzerabwehrkanonen. Im Mai 1942 eingerückt nach Warschau, war er dann auf SS-Truppenübungsplätzen stationiert, in Bitsch/Bitche in Lothringen und lang im „Seelager“ Dondangen in Lettland, dazwischen auf einem Lehrgang in Fallingbostel bei Hanno- ver und schließlich in Beneschau/Benešov bei Prag und kurz im „Hei- delager“ bei Dębica im Generalgouvernement. Ob es bereits dabei zu ersten militärischen Einsätzen kam, wird nirgends erwähnt. In seinen über 50 erhaltenen, auf Deutsch, der zweiten Familiensprache, abge- fassten, von meiner Mutter sorgfältig bewahrten Briefen aus dieser Zeit geht es durchwegs um seinen Alltag, um gegenseitige Lebensmit- tellieferungen, schwer zu bekommende Dinge und komplizierte Geld- überweisungen. Der Zensur wegen fehlt jeglicher Hinweis auf das Kriegsgeschehen. Was er in Dondangen, für dessen Bau KZ-Häftlinge

75 Karl L. Herczeg: Zukunft der Weltwirtschaft. Schicksalsfragen der westlichen Welt, Düsseldorf 1958, S. 109, 145, 165, 206, 249, 291 ff., 295. 76 Karl L. Herczeg: Mission in den Entwicklungsländern. Österreichische Initia- tive für einen österreichischen Miniatur-Marshall-Plan, Die Presse, Wien, 30. Oktober 1960. 77 Ian Kershaw: Das Ende, a.a.O., S. 112...... 295 herangezogen wurden, in der Gegend um Riga, wo es zu exzessiven Massakern an Juden kam, in Polen, rund um Prag oder durch Solda- tengespräche von der Realität dieses Krieges mitbekam, darüber äu- ßerte er sich auch später nie. In rückblickenden Mitteilungen betrach- tete er das glückliche Überleben als günstiges Schicksal, die erlebte Ka- meradschaft und die als 20-Jähriger selbstständig zu treffenden Ent- scheidungen als eine wichtige Erfahrung. Mit dem Krieg wollte er sich schließlich nicht mehr beschäftigen, weil er sich sichtlich voll auf seine eigene Zukunft konzentrierte. Nach seiner Ausbildungszeit war er am 21. Juli 1944 – am Tag nach dem Hitler-Attentat – „auf dem Wege zur Division Florian Geyer“ zu seinem ersten Fronteinsatz, so die Eintragung im Wiener Gästebuch meiner Eltern. Mit dieser 8. SS-Kavallerie-Division „Florian Geyer“ geriet er in die Abwehrkämpfe in Siebenbürgen, das seit 1940 wieder kurz zu Ungarn gehörte. Zum SS-Untersturmführer befördert, was ei- nem Leutnant entspricht, führte er eine Panzerjägerkompanie mit vier 7,5-cm-Panzerabwehrkanonen, obwohl er primär für Sturmgeschütze ausgebildet war, die dort jedoch nicht mehr verfügbar waren. Die La- ge war rundum bedrohlich, denn am 25. August 1944 – als Paris befreit und in Warschau der Aufstand versucht wurde – überschritt die Rote Armee von Norden her erstmals die ungarische Grenze. Am 20. Ok- tober nahm sie nach einer Panzerschlacht in der Puszta Debrecen ein, am Tag darauf Szeged und stand damit am Rand der ungarischen Tief- ebene. Damals lief der Horthy-treue ungarische General Béla Miklós zu den Russen über, forderte zur Einstellung der Kämpfe auf und wur- de Ministerpräsident der Gegenregierung, der auch Imre Nagy ange- hörte, einer der Helden von 1956. Im südlicheren Abschnitt standen ihnen auch rumänische Truppen gegenüber, da Rumänien und Bulga- rien Deutschland und Ungarn den Krieg erklärten. Schon nach einigen Wochen an der Front wurde Karl Herczeg am 22. September 1944 bei der Abwehr eines Panzerangriffs bei Turda/ Torda/Thorenburg durch Granatsplitter und Schüsse am Fuß schwer verwundet; ein ihm unbekannter Soldat schleppte ihn hinter die eige- nen Linien. Zum ersten Panzerabschuss hatte ihm der Armeekom- mandant und General der Waffen-SS Artur Phleps persönlich gratu- liert, was er jedoch nur beiläufig anmerkte. Auch das verliehene Eiser- ne Kreuz II erwähnte er nicht. Am Tag vor seiner Verwundung war der aus Siebenbürgen stammende, schon dem k. u. k. Generalstab angehö- rende General Phleps mit dem Adjutanten bei einer Aufklärungsfahrt ...... 296 im Raum Arad von Sowjets gefangen und erschossen worden, ohne dass diese wussten, wen sie vor sich hatten. Bis das feststand, wurde angenommen, auch er sei desertiert. Davor war er als Kommandeur der Division „Prinz Eugen“ für deren grausame Kriegführung gegen die serbische Zivilbevölkerung im Zuge der Partisanenbekämpfung verantwortlich. Ein während der Waldheim-Recherchen oft publizier- tes Foto zeigt Phleps und Waldheim im März 1943 am Flughafen von Podgorica in Montenegro. Bald nach Wien verlegt, wurde Karl Herczeg dort erstaunlich gut betreut, wie er schrieb. Dem Team des berühmten Chirurgen Lorenz Böhler habe er viel zu verdanken. Mit einem Gipsverband war er trotz zertrümmerter Ferse bald durchaus mobil und konnte uns sogar in un- serem Refugium im Waldviertel besuchen. Im Lazarett von St. Johann in Tirol wurde er schließlich im Sommer 1945 von den französischen Besatzungsbehörden entlassen, ohne dass die SS-Zugehörigkeit Prob- leme gemacht hätte. Offenbar half auch, dass sein Geburtsort Pécs, auf deutsch Fünfkirchen, für einen Ort in Österreich gehalten wurde. So- gar für das endgültige Auskurieren der komplizierten, weitere Opera- tionen erfordernden Verletzung in Bad Schallerbach wurde noch mo- natelang gesorgt. 1946 begann er sein Studium in Wien und wurde problemlos österreichischer Staatsbürger, weil ihm Zeugen bescheinig- ten, wie so viele nicht aus freien Stücken der SS angehört zu haben. Die Briefe der letzten Kriegsmonate lassen zwar einen kämpferi- schen Durchhaltewillen erkennen, überzeugt davon, dass es um Euro- pa und die Abwehr des Kommunismus gehe, mit der russischen Ge- fangenschaft als Schreckensvorstellung. SS-konforme Gläubigkeits- floskeln finden sich jedoch kaum. Noch nichts vom Übergang auf das Szálasi-Regime wissend, schrieb er in einem ausführlichen Brief vom 11. Oktober 1944 – offenbar die Zensur umgehend – aus dem Wiener Spital meiner Mutter nach launiger Schilderung seiner Verwundung mit einem weiterhin Deutschland verpflichteten Grundton: „Ich sehe für Budapest und ganz Ungarn sehr schwarz. Erstens machen sie nicht richtig mit, die ganze Jugend hockt zum Beispiel zu Hause, die Füh- rung ist total verblödet und vor allem nicht fähig, auf organisatori- schem Gebiet etwas zu leisten.“ „Außerdem ist es für uns früher oder später, wenn die Balkanarmee zurück ist, unerlässlich, Ungarn zu räu- men, um Truppen zu sparen. Als Mindestmaß sehe ich einen Rück- gang zur Theiß-Linie an, denn es ist kaum möglich, die lange sieben- bürgische Front zu halten, wo wir jede Division an eigenen Grenzen ...... 297 brauchen. Es ist natürlich möglich, daß Ungarn im letzten Augenblick doch noch zur Besinnung kommt und auch totalen Krieg führt, so daß Ungarn mit einem geringen Prozentsatz deutscher Truppen gehal- ten werden kann. Heute tragen wir aber die Hauptlast, schon deswe- gen, weil die ungarischen Truppen eine unmögliche Ausrüstung ha- ben. Als Soldat und Offizier konnte ich das selbst gut beurteilen. Au- ßerdem ist ebenso eine Kapitulation möglich, denn warum sind keine Terrorangriffe mehr gegen Budapest und warum hat Horthy sämtliche anständigen Leute [Namen unleserlich] aus der Regierung rausge- schmissen? Weil er genauso blöd ist wie Mannerheim und Viktor Emanuel auf Grund seines Alters. Eine Niederlage, selbst mit großen Verlusten, ist nämlich besser, denn selbst wenn wir den Krieg verlieren würden, wäre die Achtung der Gegner erworben, aber den feigen Ka- pitulanten zertritt jeder wie einen Wurm.“ Ungarn hatte er sichtlich bereits aufgegeben. Daher sollten seine Eltern in Budapest alles verste- cken und vergraben und sofort nach Wien kommen, „denn die Sachen kann man immer noch erwerben nach dem Krieg, aber das verlorene Leben nicht mehr und auch aus Sibirien gib es keine Rückkehr“. Sein Hoffen auf eine ehrenvolle Niederlage statt feiger Kapitulation charak- terisiert die irrealen Bewusstseinslagen eines 20-Jährigen. Zum Schick- sal der jüdischen Menschen finden sich in seinen Briefen keinerlei An- deutungen, obwohl er manches sehr offen kritisierte und dafür nicht blind gewesen sein kann. Aber vom in Ungarn bis heute grassierenden Antisemitismus dürfte auch er angesteckt gewesen sein. Wegen seiner SS-Zugehörigkeit vorsichtig, kehrte er nie nach Un- garn zurück. Während des ihn sehr erregenden Aufstandes von 1956 wagte er sich nur kurz bis in die Gegend des umkämpften Györ. Seine Eltern sah er nur noch in den Jahren danach in Wien wieder. Seine Le- bensversicherung ermöglichte ihnen den Kauf einer kleinen Eigen- tumswohnung, ohne irgendetwas am erlittenen Verlust kompensieren zu können. Weil das heutige Myanmar sein letzter Lebensmittelpunkt wurde, bekam er als Hemingway- und Saint-Exupéry-Verehrer sicher in Orwells „Tage in Burma“ mit, dass dieser nach seinen fünf Jahren als Polizeioffizier, dort im Kolonialsystem keine Zukunft sehend, den Dienst quittierte „und beschloß, Schriftsteller zu werden“, mit „1984“ als letztem Werk.78

78 George Orwell: Tage in Burma (London 1935), Zürich 1982...... 298 Inge Sargent: Dämmerung über Birma. Mein Leben als Shan-Prinzessin, Zürich 

Dass Karl Herczeg in seinen letzten Tagen mit einer burmesischen Prinzessin aus Österreich zusammengetroffen sein muss, erschließt sich im Buch von Inge Sargent, die als Inge Eberhard aus Bad St. Le- onhard im Kärntner Lavanttal in die USA zum Studium gekommen war und dort 1953 den letzten Herrscher eines der wohlhabendsten Shan-Staaten im Norden Burmas heiratete, ohne vorerst von dessen hohem Rang zu wissen. Sie schildert ihr Leben als Shan-Prinzessin und Mahadevi von Hsipaw und die mit ihrem Mann gestarteten Re- formen bis zum Staatsstreich von General Ne Win am 2. März 1962, was die bis heute andauernde, das Land radikal isolierende Militärdik- tatur einleitete – bis Aung San Suu Kyi als mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Oppositionsführerin zur Gegenmacht wurde. Damals war Inge Sargents Mann Sao Kya Seng in Taunggyi ver- haftet worden und in einem Armeegefängnis verschwunden, ohne dass das je zugegeben oder sein Tod bestätigt worden wäre. Für ihr Entkommen mit den beiden kleinen Töchtern setzten sich Außenmi- nister Kreisky, der österreichische Botschafter in Karachi, Fritz Kolb – der, wie erwähnt, mit Heinrich Harrer in Indien interniert war –, und Hans Hoff, der auf Prominente spezialisierte Wiener Psychiater des berüchtigten Generals, ein. Nach ihrer endlich gelungenen Rückkehr verließ Inge Sargent Kärnten rasch wieder in Richtung USA, weil sie mit ihren fremdländisch wirkenden Kindern auf schroffe Ablehnung stieß. Um General Ne Win zur Rede zu stellen, drang sie im Juni 1966 ...... 299 sogar trotz aller Bewacher ins Schloss Laudon in Wien vor, wo dieser zur psychiatrischen Behandlung residierte, wurde aber trotz kurzer Blickkontakte nicht von ihm empfangen.79 Da Karl Herczeg fünfzehn Monate vor dem Putsch als Staatsgast in der Region des reformerischen Fürstenpaares unterwegs war, traf er sicher mit diesem zusammen. Jedenfalls war „the whole of the Shan State Government“ anwesend, als sein Leichnam in Taunggyi verab- schiedet wurde, wie es im Bericht der Asia Foundation heißt.80

CASTELLEZGASSE. WALDVIERTEL. Die großzügige Wohnung des Vaters in der Castellezgasse 1 mit Blick auf den Augarten und den dort damals errichteten Flakturm war unser erstes Familiendomizil, als ich Anfang Mai 1944 als Säugling aus Budapest nach Wien kam. Dort hatte er schon als Junggeselle mit seinem 1942 verstorbenen Vater und seiner von Multipler Sklerose gezeichneten Schwester Karoline mit ih- rer Pflegemutter gelebt, da er als wohlhabendstes Familienmitglied sol- che Sorgepflichten wahrnehmen konnte. Die kranke Schwester hatte ihm, da tief religiös, nie verziehen, dass er Nazi geworden war, so die Erzählungen. Später wurde sie von ihrer Schwester Marie Resch be- treut, bevor sie in ein Heim kam. Wie aus den Prozessakten hervorgeht, hatte er diese Wohnung 1937 „durch reguläre Ablöse“ von der jüdischen Familie Blau erworben. Als er unmittelbar vor den Kämpfen um Wien zu uns ins Kamptal kam, galt er dort als geflohener Nazi. In die Woh- nung wurde Oskar Kornmüller eingewiesen, Inhaber der Gastwirt- schaft „Bayrischer Hof“ nebenan, da er offenbar seine antifaschistische Haltung glaubhaft machen konnte. Gegen alle Einwände behielt Korn- müller das Wohnrecht, nur die pflegebedürftige Schwester und ihre Be- treuerin durften noch eine Zeit bleiben. Aufgefundene Dokumente übergab er der Staatspolizei. Auch Nachbarn hätten vieles aus der Woh- nung entwendet, manches aber wieder herausgegeben, hieß es. Die erste Eintragung im Gästebuch der Eltern im Mai 1943 stammt von Edwin Erich Dwinger (1898–1981), der als „Prototyp eines

79 Inge Sargent: Dämmerung über Birma. Mein Leben als Shan-Prinzessin, Zü- rich 2006 | Karin Kaper, Dirk Szuszies: Die letzte Mahadevi, Dokumentarfilm über Inge Sargent, A 1999/BRD 2000 (auch unter dem Titel: Die himmlische Prinzessin. Schatten über Burma). 80 Bericht der Asia Foundation 1960, Archiv Ch. R...... 300 Gefechtsturm Augarten, der höchste Wiener Flakturm, Bauzeit Juli  bis Jänner 

Erinnerungsort Aspangbahnhof nationalistischen und faschistischen Schriftstellers“ gilt81 und wie Bru- no Brehm (1892–1974), zu dem es auch Kontakte gab, in „Kindlers Neues Literatur Lexikon“ nicht mehr genannt wird. Sie kannten ein- ander offenbar über Borodajkewycz, der auch dabei war. Zu dieser ers- ten Runde zählte noch der Radiojournalist Otto Stein (1885–1972), der dann als CVer jahrelang um die kirchliche Annullierung seiner ersten

81 Kurt Böttcher u.a. (Hg.): Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. 20. Jahrhun- dert. Olms – Hildesheim 1993, S. 156...... 301 Ehe kämpfte, um nicht aus diesem Karrieresystem ausgeschlossen zu werden. Als Chef vom Dienst erlebte er unter Generaldirektor Oskar Czeija, den auch der Vater kannte, den „Anschluss“ im Funkhaus mit. Bis 1969 war er Literaturchef von Radio Wien und vertrat einen „Li- teraturgeschmack mit strikten literarischen Wertnormen“, so Alfred Treiber zur Geschichte von Ö1.82 Nachforschend wurde bewusst, dass das jüdische Chajes-Gymna- sium im Haus Nr. 35 am anderen Ende der Castellezgasse zu einem Sammellager vor Deportationen vom Aspangbahnhof aus geworden war – heute Platz der Opfer der Deportation – und für zu Arbeitsein- sätzen herangeschaffte jüdische Menschen aus Ungarn. Meine darauf angesprochene Mutter habe davon nie etwas bemerkt, wie sie versi- cherte, da sie das Haus stets Richtung Innenstadt verließ. Auch der 16-jährige Arik Brauer kam im Februar 1945 dorthin. Nur nachlässig bewacht, konnte er sich dann bis Kriegsende im Schrebergarten von Bekannten verstecken, weil kaum noch denunziert wurde. Sein Vater, ein Schuster aus Ottakring, starb im KZ.83 „Ab Oktober 1941 diente das inzwischen ‚arisierte’ Gebäude für zur Deportation bestimmte Jüdinnen und Juden“, so die Präzisierun- gen von Eleonore Lappin-Eppel. „Nach Abschluss der großen Depor- tationen zog im November 1942 die ‚Zentralstelle für jüdische Aus- wanderung’ hier ein, welche das Gebäude bis zu ihrer Auflösung im März 1943 nutzte. Danach übernahm die Gestapo zusammen mit den Agenden der Zentralstelle das Haus [die anfangs im Palais von Louis von Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße 22 residierte] und brachte hier bis Kriegsende die Verwaltungsstelle für sogenannte ‚Mischlinge’ unter.“ Ab Juli 1944 war dort auch der Sitz des SEK, dessen „vollstän- dige Bezeichnung ‚Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Ungarn – Sondereinsatzkommando – Außenkommando Wien’ lau- tete“. Dessen Leiter war „ Eichmanns Stellvertreter in Budapest, Her- mann Krumey. Die Nummer Zwei in Wien war Siegfried Seidl.“ 84 Der Sudetendeutsche Krumey, ein Hauptorganisator der Deportationen

82 Alfred Treiber: Ö1 gehört gehört. Die kommentierte Erfolgsgeschichte eines Ra- diosenders, Wien 2007, S. 30, 36. 83 Arik Brauer. Eine Jugend in Wien, Dokumentarfilm von Helene Maimann, Wien 2012. 84 Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbei- terinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz, Todesmärsche, Folgen, Wien 2010, S. 71...... 302 aus Ungarn, wurde erst 1957 erstmals gefasst und nach oft unterbro- chenen Verfahren 1969 zu lebenslanger Haft verurteilt, aber wegen Krankheit vorzeitig entlassen. Der Österreicher Seidl, der nach Ungarn- einsätzen für die meist über das Durchgangslager Strasshof verteilten Zwangsarbeitskräfte im weiten Umland Wiens und deren entsetzliche Lebensbedingungen zuständig war, wurde nach einem Volksgerichts- prozess in Wien hingerichtet. „Die einzige erhaltene Liste der Lager im Gau Groß-Wien gibt die Gesamtzahl der Insassen mit 5.972 an. Davon waren 1.722 Männer (29 %), 3.253 Frauen (54 %) und 997 Kinder (17 %).“ Insgesamt aber hatte Ungarn bis zum 1. Dezember 1944 „76.209 Personen der SS übergeben; dreißigtausend waren Juden und Jüdinnen aus Budapest, der Rest Arbeitssoldaten oder Arbeitsdienstverpflichtete. Danach wur- den die Zählungen eingestellt“. Viele Firmen machten von der Mög- lichkeit Gebrauch, „auch Kinder zwischen zehn und 16 Jahren für schwere Arbeiten einzusetzen, die sie dann ebenso rücksichtslos antrie- ben wie die Erwachsenen“. Aber auch für „die Hilfe vonseiten der Zi- vilbevölkerung“ ließen sich Beispiele verifizieren. Trotz extremster Ausbeutung, völlig unzureichender Nahrung, Kleidung und medizini- scher Hilfe sahen „die Deportierten in ihrer Arbeitsfähigkeit eine Ga- rantie fürs Überleben“. Zum „Leiter des Judeneinsatzes im Nieder- donau-Gebiet“ wurde der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höss, der dann am Ort seiner zentralen Verbrechen hingerichtet wurde (Eleono- re Lappin-Eppel).85 Besonders grausam ging es im der Gestapo unterstehenden „Ar- beitserziehungslager“ in Lanzendorf zu und auf den erwähnten Todes- märschen ins Landesinnere. Hilfe gab es dabei höchst selten, „denn die Mehrheit der Österreicher und Österreicherinnen stand den jüdischen Familien gleichgültig bis feindselig gegenüber“. Vor allem dem Kriegs- ende zu „war die Stimmung unter NS-Fanatikern aufgeheizt. ‚Verräter’ wie zum Beispiel Deserteure wurden zur Abschreckung hingerichtet. Hilfe für Juden war ebenfalls mit schweren Strafen bedroht.“86 Nur Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen konnten die Wirtschaft

85 Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbei- terinnen, a.a.O., S. 110, 114, 134, 144, 145 | Hecht, Dieter J., Eleonore Lappin- Eppel, Michaela Raggam-Blesch: Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien, Wien 2015, S. 422 ff. 86 Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbei- terinnen, a.a.O., S. 194...... 303 noch produktiv erhalten. „Im Sommer 1944 waren es knapp sechs Mil- lionen“, und „fast die Hälfte der in der Landwirtschaft Beschäftigten waren Ausländer“. Hinzu kamen „fast zwei Millionen innerhalb Deutschlands registrierte Kriegsgefangene“. Insgesamt waren „über ein Viertel aller im Deutschen Reich Beschäftigten“ Teil dieses Systems.87 Trotz aller Zerstörungen lag 1944 „das erreichte Produktionsni- veau immer noch höher“ als 1942. Dafür sorgte mörderische Zwangs- arbeit und die rigide Reorganisation Albert Speers, die „rätselhafteste Figur in Hitlers Hofstaat“, so Ian Kershaw. Ohne ihn wäre „der Krieg vielleicht 1942/1943 verloren gewesen“, wie er selbst behauptete. Dabei verfügte er „in der Partei über keine Position und kein besonderes An- sehen“. Aber gerade diese hatte für unerbittliches Durchhalten zu sor- gen, bis immer deutlicher wurde, „dass die Partei zerfiel“, weil der Wi- derspruch zwischen den Parolen und dem Verhalten der Parteileute, „die sich beim Nahen des Feindes aus dem Staub machten“, immer eklatanter wurde. Trotzdem blieb die NSDAP der grundlegende Sta- bilitätsfaktor. Sie hatte „1944 ungefähr acht Millionen Mitglieder – et- wa ein Zehntel der Bevölkerung (bezogen auf die Erwachsenen lag der Anteil deutlich höher)“. Strukturiert in „42 Gaue, 808 Kreise, 28.376 Ortsgruppen, 89.378 Zellen und 397.040 Blöcke“, dienten ihr 37.192 Männer und 140.000 Frauen als hauptamtliche Funktionsträger sowie drei Millionen Bürger „in einer unbezahlten Funktion“.88 Bis zum Inferno-Jahr 1944 (mit an das SS-Emblem gemahnenden Endziffern) steigerte sich die Zahl gewaltsamer Todesfälle zur höchs- ten in der Geschichte, was auch Statistiken mit den 60 Millionen To- ten dieses Krieges kaum begreifbar machen, die „bei Kampfhandlun- gen regulärer Truppen [‚etwa 110 Millionen Soldaten’] im Land-, Luft- und Seekrieg, als Opfer des Genozids, im Partisanenkampf, durch Re- pressalien sowie Kriegs- und Vertreibungsverbrechen“ starben.89 Ian Kershaw fasst in „Das Ende. Kampf bis in den Untergang“ die Verlus- te auf deutscher Seite zusammen. „In den zehn Monaten zwischen Ju- li 1944 und Mai 1945 starben weit mehr deutsche Zivilisten als in den vergangenen Kriegsjahren, die meisten durch Luftangriffe und unter den katastrophalen Bedingungen, die seit Januar 1945 in den Ostge- bieten herrschten. Insgesamt kamen durch Luftangriffe und Flächen-

87 Ian Kershaw: Das Ende, a.a.O., S. 323. 88 Ian Kershaw: Das Ende, a.a.O., S. 72, 74, 116 f., 124, 398, 439. 89 Gerhard Schreiber: Der Zweite Weltkrieg, München 2002, S. 119 f...... 304 bombardements der Alliierten über 400.000 Menschen ums Leben.“ Eine halbe Million Menschenleben dürfte „der sowjetische Einmarsch in die Ostgebiete und die ab Januar 1945 erfolgte Besetzung“ unter der Zivilbevölkerung gefordert haben. „Die militärischen Verluste der Deutschen in den letzten zehn Kriegsmonaten waren so hoch wie in den ersten vier Jahren“ zusammen. Von 18,2 Millionen zum Militär Eingezogenen überlebten 5,3 Millionen nicht: „Bis Juli 1944 waren es 2,7 Millionen Tote. In den letzten zehn Monaten starben dann 2,6 Millionen deutsche Soldaten (davon über 1,5 Millionen an der Ost- front)“, das sind „49 Prozent aller im Krieg Gefallenen. Gegen Kriegs- ende kamen jeden Monat 300.000 bis 400.000 Soldaten ums Leben.“90 1944 war auch das Jahr des eskalierenden Bombenkrieges, denn „60 Prozent aller über Deutschland abgeworfenen Bomben fielen nach dem Juli 1944“. Wurden 1942 „41.440 Tonnen Bomben auf Deutsch- land abgeworfen“, wie Ian Kershaw ausweist, so stieg diese Zahl „1944 auf 1,202.000 Tonnen – das Fünffache der Bombenlast des vorherigen Jahres. Zwischen Januar und Ende April 1945 fielen noch einmal 471.000 Tonnen auf Städte und Anlagen, mehr als doppelt so viel wie im ganzen Jahr 1943“.91 Inmitten dieses eskalierenden Infernos ergab sich als makaber friedlicher Zusammenhang mit meiner Familiengeschichte, dass aus- gerechnet am 20. April 1944, dem vorletzten Geburtstag des Führers, der damals 16-jährige Friedrich Stowasser, der dann als Friedensreich Hundertwasser (1928–2000) berühmt wurde, motiviert war, vom am Donaukanal auf dem Gelände der Firma J. & C. Reder gastierenden Zirkus Rebernigg ein Aquarell anzufertigen. Als kurz darauf nach Wien gekommener Säugling wurde ich vermutlich im Kinderwagen zu dieser Attraktion geschoben, weil unsere Wohnung in der Castel- lezgasse nur 20 Minuten entfernt war. Obwohl zahllose seiner jüdi- schen Familienmitglieder ermordet wurden, hatte Friedrich Stowasser mit seiner verwitweten Mutter Elsa in einem Haus am Donaukanal überlebt, da er getauft war, bei der Hitlerjugend mittat und der 1929 verstorbene Vater „Arier“ gewesen war. Tatsächlich begegnet müssen wir uns sein, als er im September 1945 unmittelbar vor unserem wegen des Bombenkriegs dort bezogenen „Behelfsheim“ als eines der damals entstandenen Blätter die Babenberger-Ruine von Gars am Kamp

90 Ian Kershaw: Das Ende, a.a.O., S. 514 f. 91 Ian Kershaw: Das Ende, a.a.O., S. 124, 335 f...... 305 zeichnete. Da der Zirkus auch um 1950 wieder auf dem Areal der Fir- ma Reder gastierte, erinnere ich mich, wie wir als Ehrengäste empfan- gen wurden, weil zu Carl und Wilma Rebernigg ein freundschaftliches Verhältnis bestand, da ihnen der Platz, Wasseranschlüsse und Elektri- zität stets zu kulanten Bedingungen zur Verfügung gestellt wurden. Leider sind Fotos von den Elefanten, die damals Rundholzstämme von im Donaukanal liegenden Schiffen auf den Lagerplatz schleppten, in irgendwelchen Familienarchiven verschwunden. Hundertwasser war kurz nach der Befreiung Wiens durch eine Landverschickung ins Kamptal gekommen, besuchte dann bis zur Matura das Internatsgymnasium in Horn, lebte aber sonst mit seiner Mutter in der Pension Schuster in Gars-Thunau unterhalb der Burg- ruine. Wie oft kolportiert, galt er als von der Dorfjugend verspotteter Sonderling. Sein Studium an der Kunstakademie in Wien bald abbre- chend, nannte er sich Hundertwasser wegen des slawischen Wortes сто/sto für hundert.92 Anfangs im Umfeld von Arnulf Rainer bis hin zum noch eine Zeit lang geschätzten Ernst Fuchs absolut akzeptiert, wurde er wegen seiner dekorativen Ästhetik und der bunten Bauwer- ke zunehmend kritisch gesehen. Da meine Frau ihn wie viele Künstler schon lange kannte, ergaben sich Besuche in seinem Palazzo auf der Giudecca in Venedig, eine von ihr veranstaltete „Etoile“-Modeschau in seinem Otto-Wagner-Atelier am Graben und Treffen bei der Beset- zung der Hainburger Au gegen das dort geplante Donaukraftwerk. Ins Kamptal kamen wir, weil es Parteibeziehungen ermöglichten, wegen des absehbaren Kriegsendes am Waldrand von Gars-Thunau noch 1944 ein Holzhaus in einer standardisierten Siedlung für Privile- gierte zu bauen. Zu Nachbarn wurden rasch wieder reüssierende Un- ternehmerfamilien aus Linz (Ebner Industrieofenbau) und Wien (Bog- ner Edelstahl). Letztere erwarb später die Burg Buchberg am Kamp der Familie Croy, wo ein Sohn, der Museumsberater Dieter Bogner, eine beachtliche Sammlung moderner Kunst einrichtete. Elisabeth Croy (1868–1960), die in ihrem auf Hundertwassers Zeichnung zu se- henden Landsitz unterhalb der Burg wohnte, wurde eine bewunderte Bekannte meiner Mutter. Verwandte von ihr hatten der Widerstands- bewegung O5 das Wiener Palais Auersperg zur Verfügung gestellt.

92 Friedensreich Hundertwasser: Catalogue Raisonné 1928–2000, Vol. 2, Köln, 2002, S. 80 | Pierre Restany: Die Macht der Kunst. Hundertwasser. Der Maler- König mit den fünf Häuten, Köln 2011...... 306 Friedensreich Hundertwasser: Zirkus Rebernigg, Ansicht von der Friedensbrücke, . .  | Hundertwasser- Archiv JW 

Friedensreich Hundertwasser: Gars am Kamp, Schlossberg, September  | Hundertwasser- Archiv JW 

Während der Bauzeit lebten wir in Untermiete flussaufwärts, mit dem späteren Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger (1915–2000) als Nachbarn. Hilfreich war der damalige Garser Nazi-Bürgermeister Au- gust Sachseneder, den mein Vater kannte. Dass er dann aus dem Nichts die SAX-Werke in Langenlois, wo er neuerlich Bürgermeister wurde, zu einem Spanplatten-Imperium ausbauen konnte, machte ihn bis zu seinem dramatischen Konkurs zum Erfolgsunternehmer, was hochrangige politische Unterstützung voraussetzte. Über das Kriegsende hinweg lebten auch die aus Ungarn geflohe- nen Großeltern bei uns. 1950 zogen wir nach Wien und kamen bis in die 1960er Jahre in den Ferien nach Thunau. Aber selbst wir Kinder blieben zugezogene Fremde. Nachkriegserinnerungen drehen sich um Bandenstützpunkte im Wald mit Feldtelefonen, Stahlhelmen, Gasmas- ken, Waffenteilen und Patronen als geheimer Ausrüstung und vergeb- lichen Schatzsuchen in der Burgruine. Seit die Holzarchitektur des ...... 307 Strandbades unserer Kindheit verschwand und in ‚unserem Gebiet’ Neubauten entstanden, ist mir alles sehr fremd geworden. Nie bespro- chen wurde, bezeichnend für das miterlebte Sommerfrischen-Klima, dass noch am 2. Mai Isidor Wozniczak (1892–1945), der sozialdemokra- tische, mehrfach verhaftete Besitzer der Garser „Waldpension“, von Volkssturmmännern in einem Wald bei Horn ermordet wurde. Wegen seiner Kontakte mit Viktor Adler, Otto Bauer, Robert Danneberg oder Julius Deutsch hatten manche von ihnen Ferientage bei ihm ver- bracht.93 Auch von andern früheren, oft jüdischen Garser Sommergäs- ten, als die Gegend als bescheidenere Alternative zum Semmering be- liebt wurde, wie Stefan Zweig, Hanns Eisler, Heimito von Doderer oder Fritz Lang, dessen Eltern dort ein Haus besaßen, war nie mehr die Rede. Von Karl Kraus ließ sich rekonstruieren, dass er nach einer Au- tofahrt mit Gars als Station vom Attentat in Sarajevo erfahren hatte.94 Den Notizen des Vaters zufolge wurde der Volkssturm noch greif- barer Männer nur mehr durch Handgranatenübungen und den Bau von Panzergräben aktiv. Das aus Angst vor Kommendem von ihm be- sorgte Zyankali blieb unberührt. Nazi-Relikte wurden im Wald ver- graben. Mitbekommen hatte er, dass ein Deserteur noch standrecht- lich erschossen wurde und sich der Ortsgruppenleiter umbrachte. Nach dem kampflosen Durchzug deutscher Truppen versammelten sich die Nachbarn als spontane Überlebensgemeinschaft nachts im na- hen Bauernhof, um sich nicht so ausgeliefert zu fühlen. Dass der Krieg endlich zu Ende war, begriff meine Mutter beim Einkaufen, als ihr die ersten Russen begegneten. Der von ihnen das Ärgste befürchtende Na- zi-Bürgermeister wurde kurz bei uns aufgenommen, weil er für die lo- kalen Honoratioren plötzlich ein Verfemter war, dann aber vorläufig im Amt verblieb. Die Besatzungsmacht verhielt sich „im allgemeinen korrekt“, in der unmittelbaren Umgebung blieb es bei einer Vergewal- tigung mit Ermordung des eingreifenden Ehemanns, so der Bericht des Vaters. Meine für die Ernährung sorgende Mutter manchmal be- lästigende Soldaten konnten stets von Nachbarn vertrieben werden. Uns Kinder wiederum verwöhnten die Russen oft mit Essbarem und Süßigkeiten. Die greifbaren Nazis wie mein Vater mussten zum Ar- beitsdienst unter Aufsicht des einzigen örtlichen Kommunisten, vor

93 Wikipedia: Isidor Wozniczak. 94 Andreas Weigel: Gars abseits von Suppé und Falco http://members.aon.at/andreas.weigel/Gars.htm ...... 308 Gars/Thunau : Franz, Eva und Christian Reder mit seinen ungari- schen Großeltern

Gars/Thunau : „Behelfsheim“ Taborgasse 

Strandbad Gars am Kamp

allem zur Reinigung des Bahnhofs von den Fäkalien überfüllter Züge freigelassener Häftlinge und zum Sammeln zurückgelassener Waffen. Weil einmal sein Transport verspätet war, überlebten alle, da es kurz darauf im zu räumenden Munitionslager im Wald von St. Leonhard zu einer gewaltigen Explosion kam. Nach Sibirien verschleppt zu wer- den war eine ständige Befürchtung. Mit der Holzfirma im Hinter- grund und einer Mini-Landwirtschaft litten wir keine Not. Reiseer- laubnisse der Sowjet-Kommandantur und der Polizeidirektion Wien „im Sinne des Wiederaufbaues in ganz Österreich“ belegen, dass der Vater sofort wieder tätig sein wollte. Wegen seiner guten Kontakte zu Sägewerken und Waldbesitzern dirigierte er auf abenteuerlichen Bahn- fahrten die ersten Holztransporte in das dringend auf Material warten- ...... 309 Volkssturm, . April 

Reiseerlaubnis, . Juni  Haftbefehl, . Jänner 

...... 310 de Wien, um zu demonstrieren, dass er weiter gebraucht wurde. „Dan- kend zur Kenntnis“ nahm er, als ein Besatzungsplakat erklärte, dass „die gewöhnlichen Parteimitglieder nichts zu befürchten haben und ihre Arbeit weitermachen sollten“. Am 22. Juli 1945 stellte er „An die Provisorische Staatsregierung, Wien I., Ballhausplatz“ das „Ansuchen um Ausnahme von der Registrierungspflicht der Nationalsozialisten“, weil er annahm, durch seine Wirtschaftsfunktionen keineswegs belas- tet zu sein. Es nützte ihm nichts, und erst ab 1950, als sein Strafverfah- ren endete und „die laufende und einmalige Sühneabgabe vollständig erfüllt“ war, sprach er wieder von einem normalisierten Leben. Weil er trotz aller Verbote in der Firma in Wien tätig war und nur an Wochenenden kam, musste sich meine Mutter die meiste Zeit al- lein zurechtfinden, vor allem als er 1947 doch einige Monate in Haft kam und bereits mein Bruder Wolfgang geboren war. Wie übergangs- los meine Mutter das als behütete, an ein elegantes Stadtleben ge- wöhnte 23-Jährige schaffte, wurde mir zum Beispiel, welche sonst un- genutzten Lebenskräfte aktivierbar sind. Selbst eine Fehlgeburt bewäl- tigte sie ohne jede Hilfe. Eher introvertiert in ihrer eigenen Welt le- bend, interessierte sie sich auch später nie für die Arbeit des Vaters. Zwischen seinem Berufsumfeld und dem gemeinsamen Gesellschafts- leben gab es als sonderbare Aufspaltung kaum Verbindungen. Beiden war ihr sorgloser Wohlstand wichtig, aber auch der Konkurs wurde als bescheidenere Rückzugsphase sehr pragmatisch verkraftet.

STEPHANSPLATZ. Seit 1968 – als es noch völlig normal war, in der Innenstadt zu wohnen – ist unser privater Lebensmittelpunkt die da- mals als junge Familie mit unseren Zwillingstöchtern bezogene Ateli- erwohnung in der Jasomirgottstraße unweit des Widerstandszeichens O5 neben dem Haupttor der Stephanskirche, mit dem diese Berichte einsetzen. Auch in dieser Wohnung ergeben sich topographisch kon- krete Bezüge zu der düsteren Zeit, als ich zur Welt kam, so als ob es gerade in Wien kein Entkommen aus solchen Konstellationen gäbe. Denn in der Castellezgasse 1 lag ein Sammellager für als Juden stigma- tisierte Menschen nur einige Häuser weiter. In der Reichsratsstraße 17 lebten wir in einem von den neuen Besitzern „arisierten“ Haus unmit- telbar hinter der zur braunen Hochburg gewordenen Universität, na- he dem Nazi-Treffpunkt Café Viktoria, dem Stadtkommando Wien, wo 1945 die Widerstandskräfte verhört wurden, und dem Landesge- richt. Das Haus auf der Hohen Warte verweist auf Schicksale wie je- ...... 311 nes der Ankerbrot-Familie Mendl. In der Hollandstraße 1, Adresse der kurz gemeinsam bezogenen Wohnung meiner Frau, lebte eine Zeit lang Theodor Herzl direkt gegenüber den Geburtshäusern von Her- mann Broch und Martin Buber (Franz-Josefs-Kai 37 und 45) und dem Gestapohauptquartier im Hotel „Metropol“ nebenan. Sogar Jewgenij Chaldej (1917–1997) lernte ich bei der Präsentati- on des von meinem Freund Erich Klein herausgebrachten Fotobandes „Die Russen in Wien. Die Befreiung Österreichs“ kennen, jenen Rus- sen, der die Rote Armee als Fotograf über Budapest nach Wien beglei- tete – nur Monate nach mir auf meiner allerersten Reise. Präsentiert wurde es von Bundeskanzler Franz Vranitzky, der in einer längst über- fälligen wichtigen Rede im Parlament 1991 erstmals die Mitschuld Ös- terreichs an der Shoah öffentlich einbekannte und als erster österrei- chischer Regierungschef Israel besuchte. Eines von Chaldejs Fotos zeigt ein ratlos-erleichtertes Paar mit Judenstern unmittelbar nach sei- ner Befreiung in Budapest. Auf einem anderen stehen im Wiener Rat- hauspark sowjetische Offiziere vor vier auf den Bänken hingestreckten Leichen: „Wir sahen das befremdliche Bild vom Selbstmord der gan- zen Familie eines österreichischen Nazisten“, heißt es im Text, „der selbst gleich daneben lag – mit dem goldenen Parteiabzeichen auf dem Rockaufschlag.“95 Österreichs Verspätungen bleiben evident, hatte doch der deut- sche Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920–2015) bekannt- lich 1985 – als sich hierzulande die Waldheim-Krise um angeblich Nicht-Gewusstes abzuzeichnen begann – zum 40. Jahrestag des Kriegsendes in Europa endlich klargestellt: „Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mussten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Ge- schichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen.“ Denn es „wurde von Tag zu Tag kla- rer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenver- achtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“.96 In meinem aus verschiedensten Blickwinkeln darauf eingehenden Zeit- geschichte-Kompendium „Graue Donau, Schwarzes Meer“ von 2008

95 Erich Klein (Hg.): Die Russen in Wien. Die Befreiung Österreichs, Wien 1995, S. 13, 156 f. 96 Richard von Weizsäcker: http://www.bundespraesident.de ...... 312 Erich Klein (Hg.): Die Russen in Wien. Stephansdom  Die Befreiung Österreichs, Wien 

wendet sich etwa der französische Kulturwissenschaftler Jacques Le Ri- der entschieden gegen geläufige Verdrängungen, weil er darlegt, wie sich gerade im von Wien, Budapest und Prag geprägten Mitteleuropa seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert kulturelle Gemeinsamkeiten zunehmend ins Gegenteil verkehrten, „als Hexenkessel des Rassen- kampfes, als Nährboden der bösartigsten Formen des Nationalismus und ethnischer Säuberungen, als brodelndes Potenzial einander feind- selig gegenüberstehender sozialer Gruppen“, was dann von München aus ab 1920 zum Programm der NSDAP wurde.97 Nun in der langjährigen Wohnung der Schriftstellerin Dorothea Zeemann (1909–1993) lebend, die mir dazu manches erzählte, wird auch von diesem Ort aus Zeitgeschichte konkreter. Durch ihr Zusam- mentreffen mit Otto Wächter ergeben sich sogar Verbindungen zu un- seren Jahren in der Mendl-Villa auf der Hohen Warte, die zu dessen „arisiertem“ Wiener Domizil geworden war. Wie in ihren Texten nach- zulesen, war sie mit ihrem Mann, dem Maler Rudolf Holzinger (1898– 1949), mitten im Krieg in Lemberg, weil er nach den Engeln im Him- melsfresko über dem Eingang zur Kapuzinergruft das Offizierskasino mit einer Maria Theresia verschönern sollte, da gerade dort, in dieser Schreckenszone, plötzlich Österreich-Bezüge erwünscht waren. Groß- flächige Allegorien im umgebauten Künstlerhauskino waren nach 1945 sein letzter öffentlicher Auftrag. Erst dreißig Jahre später konnte sie be-

97 Jacques Le Rider: Mitteleuropa? … Donauraum? … Dekonstruktion einer Apotheose, in: Christian Reder, Erich Klein (Hg.): Graue Donau, Schwarzes Meer. Wien, Sulina, Odessa, Jalta, Istanbul, Wien – New York 2008, S. 92 ff., 95...... 313 schreiben, was sie damals erlebte. „Ganz Lemberg hat in der Sommer- hitze nach den verbrannten Juden gestunken“, heißt es in ihrem Be- richt, und „sie haben Hunderte abgeknallt, einfach am Rand des Mas- sengrabes“, und sie sah brennende Juden, „die man über die Balkon- brüstung warf“. Auch „von den Massakern und den Vergasungen und Krematorien“ wurde geredet. „Was sich hier abspielt, würde ich keiner Gräuelpropaganda glauben.“ Die Begegnung mit dem SS-Gouverneur von Lemberg schildert sie bitter: „Herr Baron! Der Junge in Uniform – er hatte was mit dem Dollfußmord zu tun, der Wächter, du weißt … Gott, waren das ‚feine Leute’, gute Manieren, ganz großes Getue. Keine Heraufkömmlinge. Leute, die es verstanden zu kommandieren …“98 Dessen Sohn Horst Wächter blieb als früher Assistent Hundertwas- sers, Kapitän seines Schiffes „Regentag“ und nun Besitzer von Schloss Hagenberg im Weinviertel, einmal Stützpunkt vieler Künstler, von Konrad Bayer bis Padhi Frieberger, mit der Wiener Kunstszene verbun- den.99 Anders als dazu publizierende Nazi-Söhne wie Niklas Frank und Richard von Schirach, aber auch Gerhard Botz, Wolfgang Neugebauer, Gerhard Roth oder Martin Pollack, quält er sich bis heute damit, sei- nen Vater als um Korrekturen bemühten Akteur in ausweglosen Situa- tionen zu sehen, wie er 2013 gegenüber der Financial Times argumen- tierte. „I must find the good in my father“, „my father was a good man, a liberal who did his best“, insistierte er, denn „he didn’t act like a crim- inal“. „I have to find some positive aspect.“ Auf die Schlussfrage eines langen Gesprächs: „Indirectly he was responsible for everything that happened in Lemberg?“, schwieg er, über das Wort „indirectly“ sinnie- rend. „I noticed his eyes were moist“ – seine Augen wurden feucht. Noch deutlicher wird diese emotionelle Uneinsichtigkeit in einem Do- kumentarfilm mit ihm.100

98 Dorothea Zeemann: Einübung in Katastrophen. Leben von 1913 bis 1945, Frankfurt am Main 1979, S. 131 ff. 99 Hans-Peter Wipplinger (Hg.): Padhi Frieberger. Glanz und Elend der Moder- ne, Ausstellungskatalog Kunsthalle Krems, Nürnberg 2012. 100 Horst Wächter in: Philippe Sands: My father, the good Nazi, Financial Times Magazine, 3. Mai 2013 | David Evans (Regie): What Our Fathers Did: A Nazi Legacy, Dokumentarfilm, USA 2015, mit Niklas Frank, Philippe Sands, Horst von Wächter | Niklas Frank: Der Vater. Eine Abrechnung, München 1987 | Ri- chard von Schirach: Der Schatten meines Vaters, a.a.O., S. 379; Bezug zu mei- nem Aufsatz „Schichten privater Orte“ von 1999 | Martin Pollack: Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater, München 2006...... 314 Dorothea Zeemann: Dorothea Zeemann: Josef Schöner: Einübung in Katastrophen. Jungfrau und Reptil. Leben Wiener Tagebuch /, Leben von  bis , zwischen  und , Wien  Frankfurt am Main  Frankfurt am Main  In Dorothea Zeemanns Kommentaren zum in unserer heutigen Wohnung erlebten Kriegsende findet sich dazu gleich zu Beginn des zweiten Bandes eine solche Ergriffenheit schroff infrage stellende Be- hauptung: „Wie ich diese ‚Sensibilität’ hasse, die alles auf sich bezieht.“ Dem entkam jedoch auch sie nicht. Meine Berichte wiederum versu- chen über Orte, Räume und Personen Relationen darzustellen, um als quellenorientierte Geschichtsschreibung zugunsten von Dokumenta- rischem von persönlichem Empfinden zu abstrahieren. Ihre Erlebnisse schilderte sie lakonisch: „Wir hungern, haben Pap- pendeckel statt der Verglasung in unserer Atelierwohnung und keine Wohnungstür mehr. Das Nebenhaus ist zerbombt.“ – „In der Jasomir- gottstraße und auf dem Graben werden die Läden und die Wohnun- gen von der Roten Armee ausgeräumt, aus dem halbzerstörten Salon im Halbstock des berühmten Schneidermeisters Kniže fliegen die Stoffballen auf ein Lastauto, auf dem bereits zwei Klaviere stehen.“ – „ Stalin will es so. Nach drei Tagen Beuterecht hält er durch Ukas über Ukas seine Soldateska in Zaum … so gut es klappt. In unserer zentra- len Lage klappt es.“ – „Ich liege in der Schwärze der Nacht und habe die Trümmer vor Augen: das zerstörte Dach der Stephanskirche, das graue Filigran des Turmes, übereinander die Blöcke des zerbombten Hauses, davor Möbel, Eisen, über das die Ratten huschen.“ – „Dode- rer [der zu ihrem Gefährten wurde] soll mit Gütersloh gemeinsam ei- ...... 315 ne Judenwohnung bezogen haben; nach der damals gängigen Unmo- ral: Tu ich’s nicht, tuts ein anderer.“ Gemeint ist das Wohnatelier 8., Buchfeldgasse 6, das Heimito von Doderer (1896–1966) im Mai 1938 bezog, mit Albert Paris Gütersloh (1887–1973) als Nachbarn.101 Über das „Häuflein linksliberaler Hungerleider“ unter den Freunden witzelt sie und stellt deren Sozialismus in Frage; denn längst seien „viele Kom- munisten unter uns“. Die sie bald faszinierenden „jungen Dichter [wie Friedrich Achleitner, Gerhard Rühm, Konrad Bayer] machen keine ‚Aussagen zur moralischen Lage’, sie tun nicht mit, sie spielen nicht mit im gehobenen Journalismus, sie reden nicht zum Tag und seinen Problemen – sie haben keine flinke Moral und pathetische Klage.“ – „Sie machen Kunst“ und sagen: „Unser Zugang zur Politik ist Ästhe- tik.“102 Vom „Wüten der Russen in Budapest“ war viel zu hören. Der Keller, „zwei Stock tief in den ehemaligen Katakomben“ und „mit Teppichen und Lebensmitteln versorgt“, wurde „zur Zuflucht von al- lerhand feinen Leuten, die um den Stephansplatz wohnten“, mit ge- nügend Alkohol für Gelage. Dass dann die Hausmeistertochter im Stiegenhaus vergewaltigt wurde – „,Es war ein Major!’ berichtete sie stolz“ –, fand sie vor allem wegen der oft schweren Beckenverletzun- gen durch die Treppenkanten als „eine Schweinerei“.103 Ebenfalls erst lange nach dem Krieg erschienen ist das viele Einzel- heiten erhellende „Wiener Tagebuch 1944/1945“ des aus einer renom- mierten Gastronomiefamilie stammenden Diplomaten Josef Schöner (1904–1978), der in den 1960er Jahren Österreichs Botschafter in Bonn wurde. Seine Fotos unmittelbar nach dem Ende der Kämpfe, vor allem aus der Innenstadt, blieben Raritäten, weil es nur wenige solcher Serien gibt. Dollfuß hatte zum Freundeskreis der Familie gezählt. Von den Na- zis war Schöner entlassen worden. Seit jeher habe er „die demokratische Monarchie für die vernünftigste Regierungsform“ gehalten. Der Histo- riker Gerald Stourzh würdigte Schöners Beobachtungen als „Beitrag zur Geschichte des Bürgertums in Wien“. Für sonst kaum erwähnte „Werwolf“-Aktivitäten nach Kriegsende finden sich bei ihm Hinweise. So war er überzeugt, dass „eine ganze Reihe von Bränden durch NS-Fa- natiker gelegt wurden, um das allgemeine Chaos zu vergrößern“, auch ein neuerlicher im Heinrichshof gegenüber der Staatsoper – denn „der

101 Tina Walzer, Stephan Templ: Unser Wien, a.a.O., S. 183 f. 102 Dorothea Zeemann: Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1945 und 1972, Frankfurt am Main 1982, S. 7, 8, 13, 17, 39, 46, 47, 53, 84, 90, 92. 103 Dorothea Zeemann: Einübung in Katastrophen, a.a.O., S. 155, 156,157, 158, 165...... 316 Werwolf geht um!“ Als während der letzten Kämpfe in Hietzing „eine Gruppe junger Hitlerbuben aus einer Schule zu schießen begonnen“ hatte, wurden sie „von den Russen umgebracht“.104 Dass „der ‚Werwolf’ zumindest in Rudimenten noch existierte“, konstatiert auch Volker Koop in „ Himmlers letztes Aufgebot“. Noch Mitte Mai 1945 hatten „SA- und Volkssturmangehörige – nunmehr als ‚Werwölfe’ – sich auf die Saringalm“ in der Steiermark zurückgezogen und neun zu Schanzarbeiten gezwungene ungarische Juden ermordet. Auch Gerhard Roth und Alexander Kluge gehen auf „Werwölfe“ in Österreich ein. Vor allem die organisierte Fluchthilfe beschäftigte die Gerichte, nur versuchte die Regierung stets „die Angelegenheit her un- terzu spie len“. 105 Zu den eingangs behandelten Neugründungskonfusionen der Zweiten Republik liefert Josef Schöners Tagebuch zahlreiche Beobach- tungen, gerade weil er nicht in konkrete Verhandlungen und die einset- zende Idealisierung eingebunden war. Trotz vieler oppositioneller Kon- takte wusste er noch während der Kämpfe im Stadtgebiet nichts „über die österreichische Widerstandsbewegung“ und dann nur vage von ih- rem „Stabsquartier Nr. 5“ im Palais Auersperg: „Eine militante Forma- tion, die auch Waffen besitzen soll.“ Ihm waren damals „auch keinerlei Nachrichten über die Organisation und ihre Führer bekannt“. Am 11. April dorthin gelangt, kam ihm alles vor „wie Revolutionsszenen in USA-Filmen“; „vor dem Tor schon ein Haufen Männer mit rot-weiß- roten Armbinden, dazwischen russische Soldaten mit MPi. In der Tor- halle alles voll Dreck und Pferdemist. Das prächtige Stiegenhaus besetzt mit wartenden Leuten – ich bemerke, daß der Steirerhut eine Art Uni- formierung bildet“, offenbar um heimatverbundene ländliche Bürger- lichkeit zu demonstrieren. „In den leeren Sälen stehen Männer um gro- ße Tische und debattieren – in einer Ecke verfassen einige einen Auf- ruf!“ Von Organisation könne „noch keine Rede sein. Alles wartet nur“. Absehbar war, dass es „innenpolitische Kämpfe zwischen Emigrierten und Dagebliebenen, Kommunisten im Siegesrausch und den anderen

104 Josef Schöner: Wiener Tagebuch 1944/1945, Wien 1992, S. 7, 13, 172, 193, 213, 422. 105 Volker Koop: Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation ‚Werwolf’, Köln – Wien 2008, S. 249, 257, 259 | Gerhard Roth: Das Alphabet der Zeit, Frankfurt am Main 2007, S. 444 | Alexander Kluge: 30. April 1945. Der Tag, an dem Hitler sich erschoß und die Westbindung der Deutschen begann, Berlin 2014, S. 51...... 317 Richtungen, Eingesperrten und Nichteingesperrten, ehrlichen Idealis- ten und Postenjägern“ geben würde. Von der O5 wurde ihm zuerst Ra- oul Bumballa geläufig. Fritz und Otto Molden erwähnt er nur als Tiro- ler Widerstandsaktivisten. Ein überlebender KZ-Häftling wie Erich Bielka, „stark links oder besser antibürgerlich und westlich orientiert“, später parteiloser Außenminister einer Regierung Kreiskys, wurde ein wichtiger Gesprächspartner. Allmählich verliefen sich „die G’schaftlhuber und Adabeis im Auersperg“. Aber „die Linken im Siebenerausschuss“, mit denen am ehesten Emil Oswald und August Hermann Zeiz alias Georg Fraser gemeint sein konnten, die wiederum den Sozialisten nicht als verlässliche Linke galten, begannen „Heimwehr-Leute wegen der Ressentiments des Februar 1934 für untragbar“ zu halten. Bereits Ende April wurde offensichtlich: Die „O5 wird sich langsam auflösen, in dem Maße, als sich die Parteien konstituieren“. Aber, so Jo- sef Schöner in wienerischem Tonfall: „Eigentlich ist es schad’ um ein derartiges Verbindungsorgan.“ Denn es sei „eine merkwürdige Tatsache, daß die Österreichische Widerstandsbewegung so ohne weiteres zurück- getreten ist, sich aufgelöst und die Macht den alten Parteien, die noch gar nicht richtig bestanden haben, überlassen hat. In anderen befreiten Staaten, in Frankreich, Jugoslawien, Belgien usw. haben die dortigen Widerstandsbewegungen das Heft energisch in die Hand genommen und halten ihre Regierungen dauernd unter Druck und in Schwung. Wenn ich die ‚Rennerei’ bei uns ansehe, bedauere ich das aufs tiefste“. An Karl Renner fand er vor allem untragbar, dass er stets die Bildung der Provisorischen Regierung für sich in Anspruch nahm, die Widerstands- bewegung aber „mit keinem Wort“ erwähnte und ständig behauptete, „wie er sich durch geschicktes Verhalten gegenüber den Nazis für seine jetzige Rolle ‚aufgespart’ habe“ – was „wohl die Entschuldigung für sei- ne Erklärung vor der Volksabstimmung am 10. 4. 1938“ sein sollte. Ein- deutig sei, dass der Widerstand „hauptsächlich von den bürgerlich-ka- tholischen Kreisen und den Kommunisten getragen wurde, während die Sozialdemokratie sich ziemlich abseits hielt“ – wurde sie doch von den Nazis, „abgesehen von ihren jüdischen Führern, eigentlich niemals offen angegriffen“ und brachte „von allen Parteien die geringsten Opfer“.106 Auch heute wird weltoffene Liberalität dezidiert erst von kleineren Parteien, den Grünen und den NEOS, vertreten. Es ist die FPÖ, auf die

106 Josef Schöner: Wiener Tagebuch 1944/1945, a.a.O., S. 138, 141, 143, 156, 185, 163, 186 f., 254, 275, 295, 296, 396...... 318 trotz ihrer populistisch taktierenden, korruptionsanfälligen Führungs- leute politisch reagiert wird, obwohl sie als Vertreter des Nazi-affinen „deutschnationalen Lagers“ und nun mit aggressiv fremdenfeindlichem „Österreich zuerst“-Chauvinismus, und damit europafeindlich wie Vik- tor Orbán & Co., kenntlich macht, wie aktivierbar in allen sozialen Schichten und den traditionellen Parteien autoritär-rechte Milieus wei- terhin sind. Trotz aller – lange SPÖ-dominierten – Reformphasen bleibt in Österreich offenbar mental vieles, wie es eben ist.

APRIL 1945 … Dass „der Steirerhut eine Art Uniformierung“ wurde, wie in Josef Schöners „Tagebuch“ konstatiert wird, als sofort auftauchendes Zeichen für einen nachträglich endlich gefahrlosen Wi- derstandsgeist, dem Österreichisches genügte, um sich von Nazis, aber auch von Sozis zu distanzieren, hatte bereits deutlich gemacht, dass es nicht um Aufklärung gehen werde. Zwar heißt es auch noch in Oliver Rathkolbs „Die paradoxe Re- publik. Österreich 1945 bis 2015“ patriotisch, es seien „vielfältige For- men des Widerstands“ entstanden und „vereinzelte österreichische Wi- derstandsgruppen“ hätten sogar beigetragen, das NS-Regime zu zer- schlagen. Die ursprünglich auch von ihm gewürdigte Widerstandsbe- wegung O5 wird jedoch genauso wenig erwähnt wie das Provisorische Österreichische Nationalkomitee POEN. Nur noch „das österreichi- sche Nationalkomitee im Konzentrationslager Mauthausen“ (der O5- Gründer Hans Becker, Hans Hammerstein-Equord, Bruno Schmitz, Alfred Migsch, Ludwig Soswinski, Heinrich Dürmayer, Hans Mar šá- lek) wird als Initiative der letzten Kriegsphase für geschichtsrelevant gehalten, obwohl auch dieses dann „keine zentrale realpolitische Rolle spielen“ konnte. Hervorgehoben werden noch „der ÖVP-nahe Me- dienmann“ Fritz Molden als „aktiver Widerstandskämpfer mit besten politischen Kontakten zu den US-Alliierten“ oder sein Partner in Frankreich, der Sozialist Ernst Lemberger, dann Mitarbeiter Kreiskys und Österreichs Botschafter in Washington, Brüssel und Paris.107 Für bemerkbar werdende Ansätze von Nationalbewusstsein sei die erfahrene Zweitrangigkeit wichtig gewesen, so Rathkolb: „Die natio- nale Geschichtserinnerung hatte ihren Ursprung in dem Schockerleb- nis, dass die ‚Ostmärker’ nach 1938 keineswegs als Elite, sondern als

107 Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015, Wien 2015, S. 22, 65, 76, 170, 186, 260, 409...... 319 bloße Provinzgesellschaft in das nationalsozialistische Deutsche Reich integriert worden waren. Da die NSDAP-Führung diese von den Ös- terreichern selbstkonstruierte Sonderrolle der ‚besseren deutschen Kulturnation’ bewusst negiert hatte, kam es, vor allem mit den zuneh- menden militärischen Niederlagen nach der Schlacht um Stalingrad 1942/43, rasch zu einer emotionalen Ablösung. 1945 stellte dann kaum jemand mehr öffentlich die staatliche Trennung von Deutschland in Frage.“ Das Land jedoch hatte „zu Kriegsende 1945 kaum eine stark ausgeprägte, fassbare Identität“. Bis es sich „als Kultur- und Staatsna- tion verstand“, dauerte es „ein, zwei Generationen“. Denn noch 1948 bekannte sich in Wien über ein Drittel der Befragten „offen zuguns- ten des Nationalsozialismus“, was aber wie die frühere Nazi-Begeiste- rung öffentlich möglichst verheimlicht wurde. Österreichs Bevölke- rung treffend „als slawische Mischung mit zufälliger deutscher Domi- nanz“ zu charakterisieren, so der ÖVP-Außenminister Lujo Tončić- Sorinj, fand nie einen adäquaten Rückhalt, was latent als abgestufte Animositäten gegen fremdsprachige Nachbarn und Zuwanderer spür- bar blieb. „Alle wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen des ‚Melting Pot’ Österreich-Ungarn wurden austrifiziert.“ Denn „spätes- tens seit 1945 haben die Österreicher nicht mehr gelernt, in großen Räumen zu denken und zu agieren“. Aus insularer „Ichbezogenheit“ ergebe sich: „Ein Trend in Richtung eines europäischen Bewusstseins jedenfalls zeichnet sich derzeit in Österreich nicht ab.“108 Weil „fast alle Österreicher und Österreicherinnen über Nacht zu ‚Opfer’-Siegern erklärt wurden“, unter Überzeichnung des tatsächli- chen Widerstands, „wurde letztlich auch eine direkte Auseinanderset- zung mit der Tätergeschichte abgeschnitten“. Langzeitwirkungen erga- ben sich, weil die entstandenen „Nachkriegsstrukturen keineswegs ei- nem liberal-demokratischen System entsprachen“, mit der „nicht durch direkte Wahlen“ legitimierten Sozialpartnerschaft als „personelle Macht- akkumulation“. Zwar gelang bis 1986 die „Eingrenzung des rechtsnati- onalen Lagers“, doch an Entnazifizierung und Restitutionen erlahmte das Interesse bald, mit durchaus „antisemitischer Grundtendenz“, so Rathkolb, ob es Rückkehrwillige aus dem Exil oder die Akzeptanz der „‚Arisierungs’-Politik des NS-Regimes“ betraf, waren doch „die Unter- nehmer jüdischer Herkunft de facto aus dem Wiederaufbau

108 Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik, a.a.O., S. 22 f., 26, 29, 40, 48, 57, 59, 66...... 320 Ein gutes Jahr ! Oliver Rathkolb: Weihnachtsgabe von Die paradoxe Republik. Reichsleiter Baldur von Österreich  bis . Schirach; verantwortlich: Wien  Henriette von Schirach, Darmstadt  ausgeschlossen“.109 Erst ein Medieninteresse an in Mauerbach eingela- gerter Raubkunst, die Beschlagnahme eines nach New York verliehenen Schiele-Bildes oder der bürokratische Kampf von Maria Altmann (1916– 2011) um ein Hauptwerk Klimts setzten Initiativen zur Provenienzfor- schung und zu endlich präziseren Restitutionsverfahren in Gang.110 Zu sich weiterhin stellenden – in unzähligen Fällen, nicht nur bei Parteigenossen ungeklärt bleibenden – Schuldfragen heißt es in Tony Judts „Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart“ auf beweisbare Untaten bezogen resümierend: Politisch wäre es sicher „von Vorteil ge- wesen, wenn man Kriegsverbrechen und Kollaboration einem bestimm- ten, bereits definierten Personenkreis hätte anlasten können“, aber „mit diesem Verfahren hätte man viele Einzelpersonen übergangen, deren Be- strafung öffentlich gefordert wurde, und solche Personen erfasst, deren Vergehen hauptsächlich in Trägheit und Faulheit bestand. Und vor al- lem wäre diese Praxis auf die Feststellung einer Kollektivschuld hinaus- gelaufen, was für die meisten europäischen Juristen nicht akzeptabel

109 Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik, a.a.O., S. 39, 51, 75, 86, 94, 102, 111, 173, 174. 110 Simon Curtis (Regie): Die Frau in Gold, Spielfilm über das Verfahren zur Rück- gabe eines Klimt-Bildes an Maria Altmann, mit Helen Mirren, USA/GB 2014...... 321 war. So wurden also Einzelpersonen vor Gericht gestellt und die Urteile fielen, je nach Zeit und Ort, höchst unterschiedlich aus.“ Trotz aller noch so krassen Mängel sei jedoch „erstaunlich, dass es überhaupt wie- der rechtsstaatliche Verfahren gab. Nie zuvor hat ein ganzer Kontinent versucht, einen neuartigen Straftatbestand in solchen Dimensionen ju- ristisch zu bewältigen und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen“.111 Dass oft bestraft wurde, was zur Tatzeit nach nationalen Gesetzen nicht strafbar war, und sich die Sieger keinerlei Gericht stellten, war die Standardargumentation zur Schuldeinsicht Unfähiger gegen diese Verfahren, obwohl Kriegsverbrechen völkerrechtlich ohnedies geahn- det werden konnten. Trotz solcher Schwächen juristischer Konstruk- tionen waren alle Versuche, Taten zu bestrafen, richtig, so Reinhard Merkel in seiner Analyse des Nürnberger Prozesses, denn „am Ende des furchtbarsten Krieges der Menschheitsgeschichte war die Zeit reif für die Feststellung, daß es zur Kriminalisierung der Urheber (und der aller künftigen Kriege) keine moralische, keine rechtliche und keine politische Alternative mehr gab“.112 Zum innenpolitischen Konsens wurde bald, dass „eine allzu rigorose Entnazifizierung“, so Ian Buru- mas explizit pragmatischer, eingangs erwähnter Rückblick, nicht nur in Österreich „den kompletten Zusammenbruch des Schulunterrichts, des Sozialwesens, überhaupt jedes Anflugs von wirtschaftlicher Erho- lung zur Folge gehabt“ hätte.113 Bemerkbar wurde ein Neuanfang für Jugendliche durch die Bau- tätigkeit und zunehmenden Verkehr, da erforschbare Ruinen allmäh- lich verschwanden. Aus einem frühen Selbstverständnis von Gleich- heit, das nur deutliche Jünger-Älter-Abgrenzungen außer Kraft setz- ten, wurden durch den zunehmenden Wohlstand mancher Familien neuartige Distanzerfahrungen. Dass es eine Katastrophe gegeben hat- te, blieb auf düstere Weise spürbar, war doch nichts daran zu verste- hen. Lange stellte nur das Radio Verbindungen zu einer anderen Welt her, die sich durch mysteriöse Bezeichnungen wie Beromünster oder Ljubljana tarnte. Kriegserzählungen gab es in meiner Umgebung kei- ne, weil fast alle Zivilisten bleiben konnten, was ihre Wichtigkeit un- terstrich. Da wir schon im Waldviertel als zugezogene Fremde galten,

111 Tony Judt: Geschichte Europas von 1945 bis heute, München 2006, S. 64. 112 Reinhard Merkel: Der Nürnberger Prozess, in: Hamburger Institut für Sozial- forschung (Hg.): 200 Tage und 1 Jahrhundert. Gewalt und Destruktivität im Spiegel des Jahres 1945, Hamburg 1995, S. 123, 125, 127. 113 Ian Buruma: ’45. Die Welt am Wendepunkt, München 2014, S. 212...... 322 erschien mir das auch in Wien als normal. Alle Bekanntschaften der Erwachsenen waren alte Bekanntschaften. Bei flüchtigen Begegnun- gen des Vaters fielen einem Blicke des Wiedererkennens auf. Dass sich oft ein gemeinsames Wissen und Schweigen, aber auch schroffe oder eher versteckte Ablehnung andeutete, konnte einem erst viel später be- greifbar werden. Nicht einmal zu konkreten Fragen reichten solche Anzeichen für seltsame Vorkommnisse. Aber rückblickend ergibt sich der Eindruck, dass Anzeichen unsichtbarer Zusammenhänge für mei- ne analytischen Interessen sehr bestimmend geworden sind.114 Bei fremden Familien war willkommen, wer dazupasste. Über den Krieg wussten wir mehr durch das Gerede unter Schülern als von den Eltern. Nie traute sich jemand damit zu prahlen, dass sein Vater auf einer anderen Seite gestanden hatte. Gesprächsthemen daheim waren Unfähigkeit, Korruption, Parteienwirtschaft; als wirklich wählbar galt keine Partei. Der Staatsvertrag von 1955 wurde in der Familie nicht als festliches Ereignis wahrgenommen; wir fuhren aufs Land. Durch das Verbot provozierte Hakenkreuz-Schmierereien blieben ohne belehren- de Konsequenzen. Unterschätzt werden ästhetische Sickerprozesse, denn ohne etwas davon zu wissen, blieb die Hitlerjugend sehr präsent; die Pfadfindermesser hatten nur neue Embleme, die Trommeln die al- ten Flammenornamente. Jeder wollte eine kurze schwarze Cordhose, obwohl das nicht vorgeschrieben war. Von den anderen Uniformier- ten, jenen mit blauen Blusen und roten Halstüchern, wussten wir nur, dass sie nicht zu uns gehörten. Die Katholische Jungschar wurde als Versammlung von Weichlingen verachtet. Bei der Glockenweihe vor der Votivkirche erschien es mir ohne jede Instruktion völlig normal, die eine Stunde Ehrenwache unbeweglich stramm zu stehen, die Bei- ne gespreizt, die Arme am Rücken verschränkt, der Blick starr gerade- aus. Der empörte alte Mann, der schrie: „Bub! Nicht schon wieder! Nicht schon wieder!“, wurde auch von den Umstehenden als skurriler Sonderling angesehen. Dass in den Schulzeugnissen zuerst verschämt „Unterrichtssprache“ stand, dann „Deutsche Unterrichtssprache“ und erst ab 1955 „Deutsch“, fiel uns als Kuriosum verwirrt-bürokratischer Identitätssuche gar nicht auf. „Österreichisches“ wurde über Jahre un- begreiflich einseitig – durch Ginzkey, Wildgans, Waggerl, Mell, Pre ra- do vić, Handel-Mazzetti, Ebner-Eschenbach – vertreten, jedenfalls

114 Christian Reder: Wörter und Zahlen. Das Alphabet als Code, Wien – New York 2000...... 323 sind mir diese Namen seit damals geläufig, bevor noch Grillparzer, Borchert, Musil, Sartre oder Camus zum Thema wurden. Erst die neue Musik, Blues und Jazz und vager Existenzialismus begünstigten trotzigere Gruppenbildungen. Als die höheren Klassen einmal eine Ausstellung mit grauenhaften Fotos aus Konzentrationslagern und vom Partisanenkrieg besuchen mussten und ein hilfloser Lehrer Kom- mentare versuchte, wurde gequält gelacht. Beim Bundesheer zuerst in die Klagenfurter Lendorf-Kaserne ins rot-regierte Kärnten geraten, wurden wir – in den Tagen der Kubakrise und eines drohenden Atom- kriegs – zur ersten Nachtübung ausgerechnet auf den Ulrichsberg be- fohlen, um für die Traditionsfeier dort versammelter Politiker und Rechtsextremisten den soldatischen Hintergrund zu bilden, was erst seit 2009 der Verteidigungsminister nicht mehr gestattet. Eine derartige Heimatkunde an der Schwelle zum Erwachsenwer- den bestärkte darin, als Heimat vor allem das zu verstehen, was sich all- mählich über genauere Kenntnis als nah und somit als unmittelbar be- greifbar und kritisierbar erwies. Heimweh hatte ich schon als Kind nie. Trotz aller Abwehr von zu Biographischem – die auch hier nur punktuell aufgehoben wird, um eigene Positionen und Eindrücke an- zudeuten – finden sich unter Gleichaltrigen immer wieder Parallelen, die Singuläres relativieren. So heißt es bei Botho Strauss (geb. 1944) in „Herkunft“ einmal lapidar: „Ich bin Deutscher: aufgewachsen mit Grimms Märchen und Elvis Presley, Karl May und General Eisen- hower, Wagner und James Dean. Woher soll ich meinen Realismus nehmen?“ 115 Meine frühen Lese- und Film-Erfahrungen decken sich weitge- hend mit jenen von Gerhard Roth (geb. 1942), der, als berufliche Par- allele, zehn Jahre Organisator im Rechenzentrum Graz war, bevor er freier Schriftsteller wurde, und mit dem sich immer wieder Gespräche ergaben. „Robinson Crusoe, Doktor Dolittle und Gulliver ersetzten mir die Bibel“, heißt es in seiner minutiösen Familienbiographie „Das Alphabet der Zeit“. Seine Konflikte mit den Eltern waren davon be- stimmt, dass diese offenbar noch viel empörter waren „über das, was ihnen selbst widerfahren war, als über das Unglück, das die Nazis über andere gebracht hatten“. Stets verteidigten sie „weniger den National- sozialismus als sich selbst“, weiterhin überzeugt, „etwas Besonderes zu sein“. Zwar war sein Vater, ein Arzt, als minderbelasteter Nazi einge-

115 Botho Strauss: Herkunft, München 2014, S. 66...... 324 stuft worden, verhalten habe er sich aber stets wie „ein Opportunist“, sei aber gleichzeitig „ein Getriebener“ gewesen.116 Gerhard Botz (geb. 1941), der seinen im November 1944 in Un- garn gefallenen Vater nur vage gekannt hat, verschob „genauere Re- cherchen der Hintergründe“ immer wieder, da das „ohnehin nichts, was über die ‚üblichen’ Nazis hinausging, zu ergeben schien“. Als er dann doch die angeforderten Akten studierte, ließ sich rekonstruieren, dass sein Vater zu „den etwa 68.000 ‚Alten Kämpfern’“ gehört hatte, aber 1934 nicht mehr „bekennender Nationalsozialist sein konnte oder es nicht mehr sein wollte“. Sein Bruder wurde Ortsgruppenleiter, der Vater 1944 rückwirkend wieder in die Partei aufgenommen. Ab 1942 an der Ostfront eingesetzt, war er noch rechtzeitig „aus Stalingrad aus- geflogen worden“, dann in Italien und zuletzt im ungarisch-kroati- schen Grenzgebiet. Wegen dem „,Schweigekartell’ zwischen Eltern und Kindern“ hatte Gerhard Botz dazu lange nicht nachgeforscht, ob- wohl die „Nackenverletzung“ des Vaters „durch einen Partisanen“ ein deutliches Indiz für Nahkämpfe während der rücksichtslosen „Ban- denbekämpfung“ gewesen war.117 Ein ostentatives Verschweigen ist uns während der wochenlangen Recherchen zu „Graue Donau, Schwarzes Meer“ in den extremsten Mordzonen des Zweiten Weltkrieges, die Timothy Snyder (geb. 1969) „Bloodlands“ nennt, nie aufgefallen. Denn „,Was hat dein Vater, was hat dein Großvater im Krieg gemacht?’ waren in der Ukraine oft ge- stellte Fragen“, so mein damaliger Kommentar zu diesen Eindrücken. „Überraschenderweise ist ohne Scheu öfters die Rede darauf gekom- men, dass ein Familienmitglied in deutsche Dienste geraten war, wahr- scheinlich die schrecklichsten Dinge mitgemacht hat, ein anderes wie- derum Partisan oder in der Roten Armee gewesen ist. ‚Der Krieg’ ist vor allem in der älteren Generation ein höchst präsentes Thema ge- blieben; nur sind die Tonlagen tendenziell anders, offener, als sie aus analogen Situationen daheim in Erinnerung sind.“118

116 Gerhard Roth: Das Alphabet der Zeit, Frankfurt am Main 2007, S. 431, 437 f., 439, 677, 797,798. 117 Gerhard Botz: Nazi, Opportunist, ‚Bandenbekämpfer’, Kriegsopfer. Dokumen- tarische Evidenz und Erinnerungssplitter zu meinem Vater, in: Gerhard Botz (Hg.): Schweigen und Reden einer Generation. Erinnerungsgespräche mit Op- fern, Tätern und Mitläufern des Nationalsozialismus, Wien 2007, S. 135 ff., 139, 158. 118 Christian Reder, Erich Klein (Hg.): Graue Donau, Schwarzes Meer, a.a.O., S. 541...... 325 In den obsessiven Fiction-Non-Fiction-Erzählungen von Alexan- der Kluge (geb. 1932), dessen „Magazin des Glücks“ und ein Gespräch über „Projektkulturen“ ich herausbrachte, geht es in den letzten Jahren stets um seine gesamte Lebenszeit mit zahllosen Überschneidungen zu hier behandelten Sachverhalten, gerade weil er den Krieg schon als He- ranwachsender erlebte. „Marschall Tolbuchin erreichte die Einkrei- sung von Wien mit der gleichen Taktik wie 15 Wochen früher die Ein- schließung von Budapest. Nach einem Aufmarsch im Süden umgin- gen seine Truppen die Stadt im Westen, bis sie die Donau erreichten“, heißt es bei ihm in „30. April 1945. Der Tag, an dem Hitler sich erschoß und die Westbindung der Deutschen begann“. Den „Kern Berlins ver- teidigte (unter anderen) die Division Charlemagne, ein französischer SS-Verband“. „Das Leben, soeben noch von der Volksgemeinschaft enteignet, eignen sich die Menschen neu an.“ Die UNO-Gründung wird sarkastisch kommentiert, denn „die Leitung des Kongresses liegt bei Geschäftsmännern, die nüchtern und zielbezogen agieren“, aber „Neuerung geht von ihnen nicht aus“. Immerhin hätten sich damals in Oakland auch „die Arbeiterorganisationen der Welt“ versammelt; „erstmals seit 1914 treffen die zerstrittenen Lager der Arbeiterklasse wie- der aufeinander“. Zur legendären Frage „Was tun?“ habe Bertolt Brecht als Dramatiker, so dessen Notizen, verständlicherweise „Szenen des Aufruhrs und des gesellschaftlichen Neubaus“ vor sich gesehen.119 Der an der Stanford University lehrende Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht (geb. 1948) untersuchte in „Nach 1945. La- tenz als Ursprung der Gegenwart“ biographisch erfahrene Verzöge- rungszeiten als erinnerbare Empfindungen. Waren es doch stets „nicht so sehr direkte Beschreibungen, sondern vielmehr zahllose Anspielun- gen und Andeutungen, die jene ‚wirkliche’ Welt von ‚vor dem Krieg’ auftauchen und latent bleiben ließen, die nach wie vor unbestritten und sogar unverdächtig war“. Erfahrbar sei ständig: „Wer in der Ge- wissheit einer Präsenz lebt, die keine Identität besitzt, lebt im Zustand der Latenz“ – als das „ebenso vage wie bestimmte Gefühl, dass die Zu- kunft einen entscheidenden Moment der Unverborgenheit für uns be- reit hält.“ Das habe auch zu „jener besonderen Tonart der 1968er Stu- dentenunruhen geführt: Wir wollten unseren Eltern entgegentreten,

119 Alexander Kluge: 30. April 1945. Der Tag, an dem Hitler sich erschoß und die Westbindung der Deutschen begann, Berlin 2014, S. 39, 103, 134, 168 f., 173, 285; Magazin des Glücks, Wien – New York 2007 | Christian Reder (Hg.): Lesebuch Projekte, Wien – New York 2006...... 326 Ian Kershaw: Das Ende. Alexander Kluge: Kampf bis in den Untergang. . April . Der Tag, an dem NS-Deutschland /, sich Hitler erschoß und die München  Westbindung der Deutschen begann, Berlin  weil wir überzeugt waren, dass sie uns etwas verschwiegen, von dem wir nicht wussten, was es war (auch wenn wir so taten, als wüssten wir es)“. Unbestreitbar sei: „Die Lebensbedingungen Hunderter Millio- nen Menschen in den Nachkriegsgesellschaften hatten sich verbes- sert – aber ihre Existenz hatte jeden ihrer einst strahlenden Horizonte eingebüßt.“ Denn der Lebensweg der Enkel werde wegen der Fülle auf uns zukommender Bedrohungen „weniger einer Folge von Wahlmög- lichkeiten als vielmehr einer von Überlebensaufgaben gleichen“.120 Nicht einmal darüber, dass es statt der „einst strahlenden Hori- zonte“ einer nach 1945 erreichbar scheinenden besseren Welt endlich um das Festigen und Ausbreiten liberaler Demokratien und eine fun- dierte soziale Balance ginge, besteht hinreichender Konsens, sind doch weithin prä- und postdemokratische Gegentendenzen unübersehbar, auch in westlichen Sphären durch aggressiv nationalistische Parteien und die Entwicklung in Frankreich, in Ungarn, in der Türkei, in Russ- land und selbst in den USA. Denn auch dort werden seit Längerem „die ‚Liberalen’ – das heißt alle, die auch nur über die Verteilung von

120 Hans Ulrich Gumbrecht: Nach 1945. Latenz als Ursprung der Gegenwart, Ber- lin 2012, S. 60, 244, 245, 303...... 327 Reichtum, Einkommen und Chancengleichheit nachzudenken begin- nen“, als „verrückt“ und „unmoralisch“ hingestellt, wie Richard Rorty (1931–2007) bitter konstatiert hat.121 Um „die Welt zu einem besseren Ort zu machen“, brauche es eben ausgeweitete Chancen für möglichst viele, „eine neue, verschiedene Art von Person zu werden, die andere Dinge wünscht als zuvor“, die also „neue, synkretische und umfassen- de Arten zu leben zuwegebringt“.122 Auch Jürgen Habermas (geb. 1929) hält „die Liberalisierung der Verhältnisse“ als „objektive Entlastung von Druck und Angst“ durch „politische Zähmung des Kapitalismus“ für entscheidend.123 Ulrich Beck (1944–2015) beharrte in meinem Sinn stets entschieden darauf, das „kosmopolitische Europa“ als Fortsetzung „der europäischen Auf- klärung“ und als „ein Projekt des Widerstandes“ zu begreifen, da es „nach dem Zweiten Weltkrieg politisch bewusst als Antithese zum na- tionalistischen Europa und seiner moralischen und physischen Ver- wüstung“ begründet wurde.124 In einer an potenziellen Konsumenten statt an den Freiheiten der Bürgern und Bürgerinnen orientierten Welt die gewohnten sozialen Klassifizierungen für irrelevant haltend, schwärmt ausgerechnet Hans Magnus Enzensberger (geb. 1929) in seinen autobiographischen „Tu- mult“-Notizen von 2014 vom „bürgerlichen Bewusstsein“, wie es sich bereits bei Montaigne (1533–1592) „in unerhörter Frische“ zeigte, und verhöhnt rückblickend eine standardisierte Linke, die ihn und seines- gleichen oft als „bourgeoise Intellektuelle“ diskriminierte. Dass Arbei- tern nichts übler genommen wurde als eine „Verbürgerlichung“ zum „Kleinbürger“, verkannte ihm zufolge völlig, dass „lieber tot als ins Proletariat“ der bei „keiner politischen Diskussion“ angesprochene „meistgedachte Satz des Jahrhunderts“ gewesen ist. Die tatsächliche Lage weltweit vom Wohlstand Ausgeschlossener hätten gerade jene

121 Richard Rorty: Europa sollte auf sich selbst bauen, in: Europa oder Amerika? Zur Zukunft des Westens, Sonderheft Merkur, Heft 9/10, Berlin 2000, S. 1004 ff., 1006. 122 Richard Rorty: Truth and Progress, Cambridge 1998, S. 186 ff., zit. nach Birger P. Priddat (Hg.): Kapitalismus, Krisen, Kultur, Marburg 2000, S. 213 f. 123 Jürgen Habermas in: Jürgen Habermas, Jacques Derrida: Philosophie in Zeiten des Terrors. Zwei Gespräche, geführt, eingeleitet und kommentiert von Gio- vanna Borradori, Berlin 2004, S. 61. 124 Ulrich Beck: Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden, Frankfurt am Main 2004, S. 250, 252 | Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, Frankfurt am Main 2002, S. 314 ff...... 328 Ian Buruma: ’. Die Welt am Hans Ulrich Gumbrecht: Wendepunkt, München  Nach . Latenz als Ursprung der Gegenwart, Berlin 

Theorien nur vernebelt, die kaum wer bereit war, „auf sich selbst anzuwenden“.125 Dass die New York Times die Wahl Barack Obamas zum 44. Präsi- denten der USA mit der Schlagzeile „Racial Barrier Falls“ feierte und das für „unthinkable just two years ago“ hielt, bekräftigt gerade in sei- ner Kürze und Fragwürdigkeit Essenzielles – und erinnert an die strik- te Rassentrennung der 1945 Freiheit bringenden US-Armeen und da- ran, dass verlässliche Rechtssicherheit und wenigstens halbwegs glei- che Chancen – für wen auch immer – überall eine mehr oder minder ferne Utopie blieben.126 Dass eine weiter radikalisierte globale Markt- wirtschaft ohne ordnende Regelungen zu immer krasser gespaltenen, ungerechter werdenden Gesellschaften führt, ist so offensichtlich wie die Unmöglichkeit, ein bereicherndes soziales und kulturelles Leben als bloßes Handlungsmuster der Geldwirtschaft zu gestalten. Ange- sichts der Wahrscheinlichkeit weiterer humanitärer Katastrophen müsste es somit überall um möglichst stabile zivilisatorische und de- mokratische Grundbedingungen gehen, während im 20. Jahrhundert mit exzessiver Energievergeudung von Millionen Menschen und mit

125 Hans Magnus Enzensberger: Tumult, Berlin 2014, S. 257, 263, 266 f. 126 The New York Times, 5. November 2008...... 329 Millionen Opfern vielfach völlig Konträres zu heute Plausiblem ange- strebt wurde, bis hin zum zynischen oder romantischen Glauben an „neue Menschen“. Nun aber bestehe „in der Forschung weitgehend Einigkeit“, so Hermann Parzinger in seiner „Geschichte der Menschheit vor der Er- findung der Schrift“, „dass sich der [über den Mittleren Osten aus Af- rika gekommene] Homo sapiens des Jungpaläolithikums ab 40.000 vor heute in seinen kulturellen Fähigkeiten nicht mehr grundlegend vom heutigen Menschen unterscheidet“.127 Selbst inwieweit noch entschie- den liberale oder transformierte linke Sichtweisen, wenn auch im Plu- ral, im 21. Jahrhundert Halt bieten können, ist höchst fraglich gewor- den, lassen sich doch Kriegssituationen und globale Entwicklungen, ob Finanzmärkte, Menschenrechte, Ökologie oder Formen von Ar- mut, bestenfalls punktuell – oder mit visionärer, kooperationsbereiter Pragmatik – beeinflussen.

127 Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus. Eine Geschichte der Mensch- heit vor der Erfindung der Schrift, München 2014, S. 62...... 330 NACHBEMERKUNGEN: Was aus uns drei Geschwistern in ganz anderen Milieus geworden wäre, bleibt ein paradoxer Gedanke. Auch als Sozialisten- oder Kommunistenkinder hätten wir uns neu orientie- ren müssen. Grundlegendes wäre vermutlich rascher bewusst gewor- den. Ohne jede Absprache sind uns Auslandserfahrungen und die ent- schieden positive Einstellung zur Europäischen Union wichtig gewor- den – mit linksliberaler Grundtendenz als Abgrenzung von Kontinu- itäten. Mein Bruder Wolfgang Reder (geb. 1946) wurde Architekt mit vielen sich nicht Berufsmustern fügenden Initiativen und lebte zuerst in Deutschland und dann mit Frau und Kind in Polen als Landleben- Aktivist und Sekretär der polnischen Art brut-Sammlung von Ludwig Zimmerer (1924–1987), bis er wegen Solidarność-Kontakten als uner- wünschter Ausländer ausgewiesen wurde. Sein architektonisches Hauptwerk ist die mit Hermann Czech geplante Rosa- Jochmann- Schule in Wien. Die zur Französin gewordene Schwester Eva van der Elst (geb. 1950) verbrachte mit ihrem französischen Mann Eric van der Elst, Wasserbauexperte und Entwicklungsberater, Jahre in Nordafrika (Marokko, Algerien) und Asien (Indonesien, Sri Lanka, Bhutan, Phi- lippinen) und lebt jetzt, vielfach zivilgesellschaftlich engagiert, in Lu- xemburg und Paris. Mir wurden als professioneller Grundimpuls Re- formen – und ihre Grenzen – zum Thema, dann Zivilgesellschaftspro- jekte, NGO-Initiativen und freies Forschen im künstlerischen Umfeld einer Universität, zu künstlerischem Arbeiten selbst, zur Frühaufklä- rung und zu Projektkulturen (Defoe, Locke; Flusser, Rorty, Beck, Klu- ge) bis hin zu „Raumforschungen“ in für die Weltordnung exempla- risch krisenhaften Nachbarregionen der EU (Afghanistan, Syrien, Nord afrika, Ukraine, Schwarzes Meer).128

128 Zu diesen um das Jahr 1944 kreisenden Texten ist noch anzumerken, dass der SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder (1998–2005 Bundeskanzler der rot-grünen Koalition vor der Regierung Angela Merkel) die einzige mir bisher aufgefallene öffentliche Person ist, die so wie ich am 7. April 1944 zur Welt kam, was mit der Realität reformerischer Konstellationen verbindet: Wirtschaftsmacht Deutsch- land, Arbeitslosigkeit, Hartz I-IV nach dem wegen Untreue verurteilten VW- Manager Peter Hartz, das wichtige Nein zum Irak-Krieg, die neoliberale Agen- da 2010, sein weiterer Weg als Lobbyist und Freund Putins, trotz der höchst fragwürdigen Rechtsstaatlichkeit und Politik in Russland … ...... 331 „Andere hoffen auf den Tag, da aus der Europäischen Union eine Eu- ropäisch-Mediterrane Union wird, zu der alle Mittelmeeranrainer Zu- tritt erhalten, doch angesichts zahlloser Probleme mit politischen Ri- valitäten und wirtschaftlichen Disparitäten, die zuvor gelöst werden müssten (von der Zukunft Europas gar nicht zu reden), mag das wie ein utopischer Traum klingen.“

„Und zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist klar, dass das große ökonomi- sche Kraftzentrum der Zukunft China sein wird. In der Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts besitzt ein integrierter Mittelmeerraum eher lo- kale als globale Bedeutung. Dank der verbesserten Möglichkeiten, rund um den Erdball Verbindungen aufzunehmen (physisch durch den Flugverkehr, virtuell über das Internet), lassen sich politische, kommerzielle und kulturelle Kontakte heute sehr schnell über große Entfernungen hinweg aufbauen. In diesem Sinne ist die Welt ein ein- ziger großer Mittelmeerraum geworden …“

David Abulafia: Das Mittelmeer. Eine Biographie, Frankfurt am Main 2013

...... 332 „Am 24. Mai 1941, vier Wochen vor Hitlers Überfall auf die Sowjet- union, wurde Bob Dylan als erstes Kind von Abraham Zimmerman und seiner Frau Betty in Duluth, Minnesota, geboren. Seine Großel- tern waren jüdische Immigranten, die nach der niedergeschlagenen russischen Revolution von 1905 aus Odessa in die USA geflüchtet wa- ren. Sechzig Jahre später brachte Dylan den ‚Subterranean Homesick Blues’ heraus, bis heute ein Schlüsselwerk seiner skeptischen Genera- tion. Und das erste und wahrscheinlich beste Musikvideo der Ge- schichte, gedreht in einer Allee hinter dem Londoner Savoy-Hotel. Es sieht dort heute noch so aus wie 1965, als D. A. Pennebaker den Song für seinen Dylan-Film ‚Don’t look back’ aufnahm. Kurz zuvor war Winston Churchill gestorben. Wenn ich in London bin, gehe ich ins Savoy auf einen Tee. Hier pflegte Churchill während des Krieges häu- fig den Lunch einzunehmen. Ohne ihn wäre ich nicht auf der Welt.“

Helene Maimann: 1941. Es gibt nur das Leben In: Heinrich Berger, Melanie Dejnegra, Regina Fritz, Alexander Penninger (Hg.): Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen, Wien 2011

...... 333 Literatur

Abulafia, David: Das Mittelmeer. Eine Biographie, Frankfurt am Main 2013 Achleitner, Friedrich: Österreichische Architektur, Wien Band III/1–3, St. Pölten 2010 Ackerl, Isabella, Ingeborg Schödl: Sie haben uns nicht zurückgeholt. Verlorene Intel- ligenz. Österreichische Wissenschaftler 1918–1945, Wien 2005 Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit (1959). In: Kul- turkritik und Gesellschaft II. Gesammelte Schriften 10.2, Frankfurt am Main 1997 | Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Gesammel- te Schriften 4, Frankfurt am Main 1997 Aichinger, Wilfried: Sowjetische Österreichpolitik 1943–1945, Wien 1977 Albrich, Thomas, Winfried R. Garscha, Martin F. Polaschek (Hg.): Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht. Der Fall Österreich, Innsbruck 2006 Almasy, Ladislaus E.: Schwimmer in der Wüste. Auf der Suche nach der Oase Zar- zura (Unbekannte Sahara, 1939), Innsbruck 1997 Aly, Götz: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frank- furt am Main 2005 Améry, Jean: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuch eines Überwäl- tigten, Stuttgart 1977 Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt – New York, 1996 Ankerbrot AG (Hg.): Worauf freut sich der Wiener, wenn er vom Urlaub kommt? – Ankerbrot. Die Geschichte einer großen Bäckerei, Wien 2011 Architekturzentrum Wien, Ingrid Holzschuh, Monika Platzer (Hg.): „Wien. Die Perle des Reiches“. Planen für Hitler, Zürich 2015 Ardelt, Rudolf G., Wolfgang J. Huber, Anton Staudinger (Hg.): Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl. Zum 60. Geburtstag, Wien – Salzburg 1985 Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1964 | Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 3 Bände, Frank- furt am Main 1975 Asad, Muhammad: Der Weg nach Mekka (1954), Düsseldorf 2009 | Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar (1980), Düsseldorf 2009 Augstein, Rudolf, Karl Dietrich Bracher, Martin Broszat u.a.: „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialis- tischen Judenvernichtung, München 1987 Autengruber, Peter, Birgit Nemec, Oliver Rathkolb, Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch, Wien 2014 Bailer, Brigitte, Gerhard Ungar: Die Zahl der Todesopfer politischer Verfolgung, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Opferschick- sale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus, Wien 2013

...... 334 Bailer, Brigitte: WiderstandskämpferInnen und politisch Verfolgte in der Zweiten Republik, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus, Wien 2013 Balibar, Étienne: Sind wir Bürger Europas? Politische Integration, soziale Ausgren- zung und die Zukunft des Nationalen, Hamburg 2003 Banfield, Gottfried von: Der Adler von Triest. Der letzte Maria-Theresien-Ritter er- zählt sein Leben, Graz 1984 Barton, Waltraud, IM-MER (Hg.): Ermordet in Maly Trostinec. Die österreichi- schen Opfer der Shoah in Weißrussland, Wien Museum, Wien 2011 Bauer, Otto: Die österreichische Revolution, Wien 1923 Baumann, Zygmunt: Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust, Hamburg 1992 Beck, Ulrich: Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden, Frankfurt am Main 2004 | Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, Frankfurt am Main 2002 Becker, Hans: Österreichs Freiheitskampf. Die Widerstandsbewegung in ihrer histo- rischen Bedeutung, Wien 1946 Beckermann, Ruth (Hg.): Die Mazzesinsel. Juden in der Wiener Leopoldstadt 1918– 1938, Wien 1992 | Jenseits des Krieges, Dokumentarfilm, Österreich 1996 Beer, Frank, Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg.): Nach dem Untergang. Die ersten Zeugnisse der Shoah in Polen 1944–1947, Dachau 2014 Behal, Brigitte: Kontinuitäten und Diskontinuitäten deutschnationaler katholischer Eliten im Zeitraum 1930–1965. Ihr Weg und Wandel in diesen Jahren am Bei- spiel Dr. Anton Böhms, Dr. Theodor Veiters und ihrer katholischen und poli- tischen Netzwerke, Dissertation Universität Wien 2009 Beller, Steven: Wien und die Juden 1867–1938, Wien 1993 Benz, Wolfgang, Barbara Distel (Hg.): Instrumentarium der Macht. Frühe Konzen- trationslager 1933–1937, Berlin 2003 Benz, Wolfgang, Barbara Distel, Angelika Königseder (Hg.): Nationalsozialistische Zwangslager. Strukturen und Regionen – Täter und Opfer, Dachau – Berlin 2011 Berczeller, Richard, Norbert Leser: … mit Österreich verbunden. Burgenlandschick- sal 1918–1945, Wien – München 1975 Berger, Ernst (Hg.): Verfolgte Kindheit. Kinder und Jugendliche als Opfer der NS- Sozialverwaltung, Wien 2007 Berger, Heinrich, Melanie Dejnegra, Regina Fritz, Alexander Prenninger (Hg.): Po- litische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeit- geschehen und Kontroversen. Festschrift für Gerhard Botz, Wien 2011 Berghahn, Volker R.: Der Erste Weltkrieg, München 2003 | Sarajewo, 28. Juni 1914. Der Untergang des alten Europa, München 1999 Bibó, István: Zur Judenfrage. Am Beispiel Ungarns nach 1944, Frankfurt am Main 1990 Bischof, Günter, Fritz Plasser, Barbara Stelzl-Marx (Hg.): New Perspectives on Aus- trians and World War II, New Brunswick/New Jersey 2009 Blau, Eve: The Architecture of Red Vienna 1919–1934, Cambridge/Mass. – London 1999, deutschsprachige Ausgabe Basel 2014

...... 335 Blom, Philipp: Die zerrissenen Jahre 1918–1938, München 2014 Böhm, Anton: Katholischer Glaube und deutsches Volkstum in Österreich, Salzburg 1933 | Epoche des Teufels. Ein Versuch, Stuttgart 1955 Böhmer, Peter: Wer konnte, griff zu. „Arisierte“ Güter und NS-Vermögen im Krau- land-Ministerium (1945–1949), Wien 1999 Bojankin, Tano, Christopher Long, Iris Meder (Hg.): Josef Frank. Schriften in zwei Bänden, Wien 2012 Bolyos, Lisa, Katharina Morawek (Hg.): Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering. Kunst und Geschichtspolitik im Postnazismus, Wien 2012 Borodajkewycz, Taras: Wegmarken der Geschichte Österreichs, Wien 1972 Böttcher, Kurt u.a. (Hg.): Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. 20. Jahrhundert. Olms – Hildesheim 1993 Botz, Gerhard (Hg.): Schweigen und Reden einer Generation. Erinnerungsge- spräche mit Opfern, Tätern und Mitläufern des Nationalsozialismus, Wien 2007 Botz, Gerhard, Gerald Sprengnagel (Hg.): Kontroversen um Österreichs Zeitge- schichte. Verdrängte Vergangenheit, Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker, 2. erweiterte Auflage, Frankfurt – New York 2008 Botz, Gerhard: Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssiche- rung, Radikalisierung 1938/39, Wien 2008 Brauen, Martin (Hg.): Peter Aufschnaiter. Sein Leben in Tibet, Innsbruck 1995 Brettl, Herbert: Nationalsozialismus im Burgenland. Opfer, Täter, Gegner, Inns- bruck 2012 Broucek, Peter (Hg.): Anton Lehár. Erinnerungen. Gegenrevolution und Restaura- tionsversuche in Ungarn 1918–1921, Wien 1973 | General im Zwielicht. Die Er- innerungen Edmund Glaises von Horstenau, 3 Bände, Wien 1980, 1983, 1988 Brubaker, Rogers: Staats-Bürger. Frankreich und Deutschland im historischen Ver- gleich, Hamburg 1994 Bruckmüller, Ernst: Nation Österreich. Kulturelles Bewusstsein und gesellschaftlich- politische Prozesse, Wien 1996 Brus, Günter: Die gute alte Zeit, Salzburg 2002 Buruma, Ian: ’45. Die Welt am Wendepunkt, München 2014 Busek, Erhard: Wien – ein bürgerliches Credo, Wien 1978 Butterweck, Hellmut: Verurteilt und begnadigt. Österreich und seine NS-Straftäter, Wien 2003 Buttinger, Joseph: Das Ende der Massenpartei. Am Beispiel Österreichs, Frankfurt 1972 Carney, Marcus J.: The End of the Neubacher Project, Dokumentarfilm, A/NL 2006 Churchill, Winston S.: Der Zweite Weltkrieg. Memoiren, 12 Bände, Bern 1948/1953 Clare, George: Letzter Walter in Wien, Wien 2001 Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013 Cordon, Cécile: „Das Riesenrad hat alle entzückt“. Die wechselvolle Geschichte des Wiener Wahrzeichens, Wien 1997 Coudenhove-Kalergi, Barbara: Zuhause ist überall. Erinnerungen, Wien 2013 Crouch, Colin: Postdemokratie, Frankfurt am Man 2008

...... 336 Csendes, Peter, Ferdinand Oppl (Hg.): Wien. Geschichte einer Stadt. Von 1790 bis zur Gegenwart, Wien 2006 Curtis, Simon (Regie): Die Frau in Gold, Spielfilm über das Verfahren zur Rückga- be eines Klimt-Bildes an Maria Altmann, USA/GB 2014 Czeike, Felix (Hg.): Wien 1938, Verein für Geschichte der Stadt Wien, Wien 1978 Davis, Mike: Die Geburt der Dritten Welt. Hungerkatastrophen und Massenver- nichtung im imperialistischen Zeitalter, Berlin 2004 Derschmidt, Friedemann: Sag Du es Deinem Kinde! Nationalsozialismus in der ei- genen Familie, Wien 2015; Das Phantom der Erinnerung, Dokumentarfilm, Österreich 2005 | Komm und sieh Rudyn – Geschichten eines Tänzers aus Wien, Dokumentarfilm, Österreich 1999 Deutsches Historisches Museum (Hg.): 1813. Auf dem Schlachtfeld in Leipzig, Ber- lin 2013 Diem, Peter: Die Symbole Österreichs. Zeit und Geschichte in Zeichen, Wien 1995 Diggins, John Patrick: The Rise and Fall of the American Left, New York 1992 Dischereit, Esther, Ferdinand Schmatz (Hg.): Ich möchte, dass es mich was angeht. Die Suche nach Erinnerung. I want it to be my concern. In Search of Memory, Berlin 2015 Djerassi, Carl: Der Schattensammler. Die allerletzte Autobiografie, Innsbruck – Wien 2013 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus, Wien 2013 | Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945 (1975), 3 Bände, Wien 1984 | Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer | Namentliche Erfassung der To- desopfer politischer Verfolgung 1938-1945 | http://www.doew.at/personensuche | Opferdatenbank holocaust.cz Duczyńska, Ilona: Der demokratische Bolschewik. Zur Theorie und Praxis der Ge- walt, München 1975 Dülffer, Jost: Jalta, 4. Februar 1945. Der Zweite Weltkrieg und die Entstehung der bipolaren Welt, München 1998 Dunder, W. G. (Václav Jiří Dundr): Denkschrift über die Wiener October-Revolu- tion, Wien 1849 Dürr, Hans-Peter: Für eine zivile Gesellschaft. Beiträge zu unserer Zukunftsfähigkeit, München 2000 Eby, Cecil D.: Hungary at War. Civilians and Soldiers in World War II, The Penn- sylvania State University Press, 1998 Enzensberger, Hans Magnus (Hg.): Krieger ohne Waffen. Das Internationale Komi- tee vom Roten Kreuz, Frankfurt am Main 2001 | Europa in Ruinen. Augenzeu- genberichte aus den Jahren 1944–1948, Frankfurt am Main 1995 Enzensberger, Hans Magnus: Tumult, Berlin 2014 Ernst, Andrea: Eric Pleskow. Ein Leben für den Film, Wien 2008 Esterházy, Péter: Donau abwärts, Salzburg – Wien 1992 Evans, David (Regie): What Our Fathers Did: A Nazi Legacy, Dokumentarfilm, USA 2015, mit Niklas Frank, Philippe Sands, Horst von Wächter Felber, Christian: Die Gemeinwohl-Ökonomie. Eine demokratische Alternative wächst, Wien 2014

...... 337 Ferguson, Niall: Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, Mün- chen 2006 | Krieg der Welt. Was ging schief im 20. Jahrhundert, Berlin 2006 Fetz, Bernhard, Andreas Fingernagel, Thomas Leibnitz, Hans Petschar, Michael Pfundner (Hg.): Nacht über Österreich. Der Anschluss 1938 – Flucht und Ver- reibung, St. Pölten 2013 Fillunger, Harald: Manuskript zur Stammbaumforschung und zu Familienbezie- hungen in Steyr, letzte Ergänzungen 2014, unveröffentlicht (Archiv Ch. R.) Fischer, Ernst: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945–1955, Wien 1973 Fischer, Heinz (Hg.): Einer im Vordergrund. Taras Borodajkewycz. Eine Dokumen- tation, Wien 1966 François-Poncet, André: Als Botschafter im ‚Dritten Reich’. Die Erinnerungen des französischen Botschafters in Berlin September 1931 bis Oktober 1938, Mainz 1980 Frank, Anne: Das Tagebuch der Anne Frank, Frankfurt am Main 1955 Frank, Dieter: Krakauer Burg. Die Machtzentrale des Generalgouverneurs Hans Frank 1939–1945, Berlin 2010 Frank, Niklas: Der Vater. Eine Abrechnung, München 1987 Frankl, Viktor: … trotzdem ja zum Leben sagen. Drei Vorträge, Wien 1946 Franz, Margit, Heimo Halbrainer (Hg.): Going East – Going South. Österreichi- sches Exil in Asien und Afrika, Graz 2014 Friedländer, Saul, Jan Philipp Reemtsma: Gebt der Erinnerung Namen, München 1999 Friedländer, Saul: Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden, Zwei- ter Band 1939–1945, München 2006 Friedrich, Jörg: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg, Berlin 2004 Friesl, Christian, Regina Polak, Ursula Hamachers-Zuba (Hg.): Die Österreiche- rInnen. Wertewandel 1990–2008, Wien 2009 Gaiswinkler, Albrecht: Sprung in die Freiheit, Salzburg 1947 Gardiner, Muriel: Code Name „Mary“. Memoirs of an American Woman in the Aus- trian Unterground, New Haven – London 1983 Gaugusch, Georg: Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938, A–K, Wien 2011 Gedenkdienst-Gespräch: Florian Wenninger und Friedhelm Frischenschlager, 14. Dezember 2007. http://www.gedenkdienst.at/index.php?id=535 Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1987 Gellhorn, Martha: Das Gesicht des Krieges. Reportagen 1937–1978, Zürich 2012 Gellner, Ernest: Pflug, Schwert und Buch. Grundlinien der Menschheitsgeschichte, Stuttgart 1990 Gentile, Carlo: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945, Paderborn 2012 Gerz, Jochen: Ich Sigfried Uiberreither Landeshauptmann. Rede von Jochen Gerz anlässlich der Einweihung des Mahnmals am 9. Dezember 2008 Giesecke, Dana, Harald Welzer: Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der deut- schen Erinnerungskultur, Hamburg 2012 Goebbels, Joseph: Tagebücher 1945. Die letzten Aufzeichnungen, Hamburg 1977 Graphische Sammlung Albertina (Hg.): Charles Joseph Fürst de Ligne, Ausstellungs- katalog, Wien 1982

...... 338 Greene, Graham: The Third Man and the Fallen Idol, London 1950 Greiner, Bernd: Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Plans, Hamburg 1995 Gumbrecht, Hans Ulrich: Nach 1945. Latenz als Ursprung der Gegenwart, Berlin 2012 Habermas, Jürgen, Jacques Derrida: Philosophie in Zeiten des Terrors. Zwei Ge- spräche, geführt, eingeleitet und kommentiert von Giovanna Borradori, Berlin 2004 Haffner, Sebastian: Anmerkungen zu Hitler, München 1978 | Geschichte eines Deut- schen. Die Erinnerungen 1914–1933 (1939), Als Engländer maskiert. Ein Ge- spräch mit Jutta Krug über das Exil, München 2006 Hafner, Georg M., Esther Schapira: Die Akte Alois Brunner. Warum einer der größ- ten Naziverbrecher noch immer auf freiem Fuß ist, Frankfurt am Main 2000 Halbrainer, Heimo, Christian Stenner: Dr. Sigfried Uiberreither – das zweite Leben des Gauleiters, Korso-Magazin, Graz, 5. Juli 2008 Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Verbrechen der Wehrmacht. Dimen- sionen des Vernichtungskrieges 1941–1944, Hamburg 2002 | 200 Tage und 1 Jahrhundert. Gewalt und Destruktivität im Spiegel des Jahres 1945, Hamburg 1995 Hanak-Lettner, Werner (Hg.): Die Universität. Eine Kampfzone. The University. A Battleground. Ausstellungskatalog, deutsch-englisch, Jüdisches Museum, Wien 2015 Hanisch, Ernst: Wien: Heldenplatz, Transit. Europäische Revue, Heft 1, 5/1998 Harrer, Heinrich: Sieben Jahre in Tibet. Mein Leben am Hofe des Dalai Lama, Wien 1952 Hartz, Louis: The Liberal Tradition in America, San Diego 1991 Hasler, Evelin: Stürmische Jahre. Die Manns, die Riesers, die Schwarzenbachs, Mün- chen 2015 Hecht, Dieter J., Eleonore Lappin-Eppel, Michaela Raggam-Blesch: Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien, Wien 2015 Heer, Friedrich, Vorwort in: Ilona Duczyńska: Der demokratische Bolschewik. Zur Theorie und Praxis der Gewalt, München 1975 | Der Kampf um die österrei- chische Identität, Wien 2001 | Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer po- litischen Religiosität, München 1968 | Europa, Mutter der Revolutionen, Stutt- gart 1964 Heinrich, Walter: Der Faschismus. Staat und Wirtschaft im neuen Italien, München 1932 Heller, Ágnes in: Frühjahr 45. Dokumentarfilm von Mathias Haentjes, Arte 2015 | Der Affe auf dem Fahrrad. Eine Lebensgeschichte bearbeitet von János Kö- bányai, Berlin 1999 | Requiem für ein Jahrhundert. Reden über Gewalt und De- struktivität, Hamburg 1995 Herczeg, Karl L.: Zukunft der Weltwirtschaft. Schicksalsfragen der westlichen Welt, Düsseldorf 1958 | Mission in den Entwicklungsländern. Österreichische Initia- tive für einen österreichischen Miniatur-Marshall-Plan, Die Presse, Wien, 30. Oktober 1960 | Nachruf. Die Zeit online: http://www.zeit.de/1960/46/karl-l- herczeg | Dokumente und Briefe: Archiv Ch. R. Herker, Tamara: Die AKM/GF-ÖM und ihre Förderprojekte seit 1985 mit besonde- rer Berücksichtigung der von ihr geförderten Tonträger, Diplomarbeit, Univer-

...... 339 sität Wien 2008 Hessel, Stéphane: Empört Euch!, übersetzt von Michael Ko- gon, Berlin 2011 | Tanz mit dem Jahrhundert. Erinnerungen, Zürich 2011 Hilberg, Raul: Die Quellen des Holocaust. Entschlüsseln und Interpretieren, Frank- furt am Main 2002 | Unerbetene Erinnerung. Der Weg eines Holocaustfor- schers, Frankfurt am Main 1994 | Die Vernichtung der europäischen Juden, 3 Bände, Frankfurt am Main 1990 Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Der Novemberpogrom 1938, Die „Reichskristallnacht“ in Wien, Wien 1989 | Wien 1938, Ausstellungskatalog, Wien 1988 Hitler, Adolf: Mein Kampf, München 1936 Höbelt, Lothar: Von der vierten Partei zur vierten Kraft. Die Geschichte des VdU, Graz 1999 Hobsbawm. Eric: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt – New York, 2005 | Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 2003 | Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhun- dert, München 2003 | Ungewöhnliche Menschen. Über Widerstand, Rebellion und Jazz, München 2001 Hochschild, Adam: Der Große Krieg. Der Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 2013 Huber, Andreas, Katharina Kniefacz, Alexander Krysl, Manés Weisskircher: Univer- sität und Disziplin. Angehörige der Universität Wien und der Nationalsozialis- mus, Wien – Berlin, 2011 Hudal, Alois: Die Grundlagen des Nationalsozialismus. Eine ideengeschichtliche Untersuchung, Leipzig – Wien 1937, Reprint Bremen 1982 Hundertwasser, Friedensreich: Catalogue Raisonné 1928–2000, Vol. 2, Köln, 2002 Huntington, Samuel P.: Der Kampf der Kulturen. The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München 1996 Husslein-Arco, Agnes, Sabine Grabner, Werner Telesko (Hg.): Europa in Wien. Der Wiener Kongress 1814/15, München – Wien 2015 Illich, Ivan: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik, Reinbek bei Ham- burg 1975 | Die Nemesis der Medizin. Von den Grenzen des Gesundheitswe- sens, Reinbek bei Hamburg 1982 | Fortschrittsmythen, Reinbek bei Hamburg 1986 Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU (Hg.): Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion in 6 Bänden, Berlin 1967 Institut für Militärgeschichte des Ministeriums für Verteidigung der UdSSR, Insti- tut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Institut für allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Institut für Ge- schichte der UdSSR der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (Hg.): Ge- schichte des Zweiten Weltkrieges 1939–1945 in zwölf Bänden, Berlin 1982 Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg (Hg.): Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vom 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, 23 Bän- de, Nürnberg 1947, Reprint 2001 Jagschitz, Gerhard: Im Koalitionsnebel: Parteien und Demokratie am Beginn der Zweiten Republik, in: Peter Böhmer: Wer konnte, griff zu. „Arisierte“ Güter und NS-Vermögen im Krauland-Ministerium (1945–1949), Wien 1999

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...... 341 ben der Nachkommen von Täter/innen, in: Maja Figge, Konstanze Hanitzsch, Nadine Teuber (Hg): Scham und Schuld. Geschlechter(sub)texte der Shoah, Bielefeld 2010 Kluge, Alexander: 30. April 1945. Der Tag, an dem Hitler sich erschoß und die West- bindung Deutschlands begann, Berlin 2014 | Nachricht von ruhigen Mo- menten, Frankfurt am Main 2013 | Magazin des Glücks, Hg. Sebastian Huber und Claus Philipp, Wien – New York 2007 | Tür an Tür mit einem anderen Le- ben. 350 neue Geschichten, Frankfurt am Main 2006 | Die Lücke, die der Teu- fel läßt. Im Umfeld des neuen Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2003 | Lebens- läufe. Anwesenheitsliste für eine Beerdigung, Frankfurt am Main 1974 Klüger, Ruth: weiter leben. Eine Jugend, München 1995 Klugsberger, Theresia, Ruth Pleyer (Hg.): Berta Zuckerkandl. Flucht! Von Bourges nach Algier im Sommer 1940, Wien 2013 Knight, Robert (Hg.): „Ich bin dafür. Die Sache in die Länge zu ziehen“. Die Wort- protokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945 bis 1952 über die Ent- schädigung der Juden, Wien 2000 Koestler, Arthur: Als Zeuge der Zeit. Das Abenteuer meines Lebens, Frankfurt am Main 2005 Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager (Mün- chen 1946), München 1974; Ideologie und Praxis der Unmenschlichkeit. Erfah- rungen mit dem Nationalsozialismus, Weinheim 1995 | Kogon, Michael, Gott- fried Erb (Hg.): Eugen Kogon: Liebe und tu, was du willst. Reflexionen eines Christen. Band 4 der Gesammelten Schriften, Weinheim – Berlin 1996 | Lange, Ansgar: Eugen Kogon als christlicher Publizist, Die Neue Ordnung, Bonn, Nr. 3, 2004 Kohl, Christine: Der Himmel war strahlend blau. Vom Wüten der Wehrmacht in Italien, Wien 2004 Kohlbauer-Fritz, Gabriele (Hg.): Die Ringstraße: Ein jüdischer Boulevard. A Jewish Boulevard, Jüdisches Museum Wien, Wien 2015 Köhler, Klaus: „Ein so schrecklich zerrissenes Leben …“ Leben und Schicksal der Ju- den im Bezirk Korneuburg 1848–1946, Wien 2013 Kollontai, Alexandra: Ich habe viele Leben gelebt, Berlin 1981 Konrad, Helmut, Gerhard Botz, Stefan Karner, Siegfried Mattl (Hg.): Terror und Geschichte, Wien 2012 Koop, Volker: Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation ‚Werwolf’, Köln – Wien 2008 Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 2000 Kotek, Joël, Pierre Rigoulot: Das Jahrhundert der Lager. Gefangenschaft, Zwangsar- beit, Vernichtung, Berlin 2001 Kraume, Lars (Regie): Der Staat gegen Fritz Bauer, Spielfilm, D 2015 Kraus, Karl: Die Fackel Nr. 462–471, 9. Oktober 1917, 12 Bände, Obertshausen 1976 Kreisky, Bruno: Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 1986 Kreisky, Peter: „Neues Österreich“. Aspekte sozial-ökonomischer und politischer Entwicklungen vor und seit der „Waldheim-Auseinandersetzung“, in: Brigitte Lehmann, Doron Rabinovici, Sibylle Summer (Hg.): Von der Kunst der Nest-

...... 342 beschmutzung. Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986, Wien 2009 Kropiunigg, Rafael: Eine österreichische Affäre. Der Fall Borodajkewycz, Wien 2015 Kühn, Christian: Tanz der Türme, Die Presse, Wien, 31. Jänner 2015 Kuretsidis-Haider, Claudia: „Das Volk sitzt zu Gericht!“ Österreichische Justiz und NS-Verbrechen am Beispiel der Engerau-Prozesse 1945–1954, Innsbruck 2006 La Speranza, Marcello: Wien 1945–1955. Zeitzeugen berichten, Graz 2007 Landes, David: Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind, Berlin 1999 Lanzmann, Claude: Le Dernier des Injustes/Der letzte der Ungerechten, Dokumen- tarfilm, 2013 | Shoah, Dokumentarfilm, 1985 Lappin-Eppel, Eleonore: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeite- rinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz, Todesmärsche, Folgen, Wien 2010 Laqueur, Walter (Hg.): The Holocaust Encyclopedia, New Haven – London 2001 Le Rider, Jacques: Mitteleuropa? … Donauraum? … Dekonstruktion einer Apothe- ose, in: Christian Reder, Erich Klein (Hg.): Graue Donau, Schwarzes Meer. Wien, Sulina, Odessa, Jalta, Istanbul, Wien – New York 2008 Lechner, Karl: Ausgewählte Schriften, Wien 1947 | Die Babenberger, Wien 1976 Lehmann, Brigitte, Doron Rabinovici, Sibylle Summer (Hg.): Von der Kunst der Nestbeschmutzung. Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986, Wien 2009 Leser, Nobert: Grenzgänger. Österreichische Geistesgeschichte in Totenbeschwö- rungen, 2 Bände, Wien 1981/1982 | Nachruf auf Norbert Leser: Er war Aus- tromarxist und guter Katholik, Die Presse, Wien, 2. Jänner 2015 Lessing, Erich im Gespräch mit Ch. Reder: Christian Reder, Erich Klein (Hg.): Graue Donau, Schwarzes Meer, Wien – New York 2007 Liebmann, Maximilian: Die geistige Konzeption des österreichischen Katholiken- tages in der Ersten Republik, in: Wissenschaftliche Kommission zur Erfor- schung der Geschichte der Republik Österreich: Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik, München, 1986 Limbeck-Lilienau, Christoph, Friedrich Stadler: Der Wiener Kreis. Texte und Bilder zum Logischen Empirismus, Wien 2015 Limberg, Margarete, Hubert Rübsaat (Hg.): Nach dem ‚Anschluss’ … Berichte ös- terreichischer EmigrantInnen aus dem Archiv der Harvard University, Wien 2013 Litschauer, Maria Theresia: Architekturen des Nationalsozialismus. Die Bau- und Planungstätigkeit im Kontext ideologisch fundierter Leitbilder und politischer Zielsetzungen am Beispiel der Region Waldviertel. Ein konzeptkünstlerisches Forschungsprojekt, Wien 2012 | 6/44–5/45. Ungarisch-jüdische Zwangsarbeite- rInnen. Ein topo/foto/grafisches Projekt, Wien 2006 Looram Rothschild, Bettina in: Thomas Trenkler: Das Zeitalter der Verluste. Ge- spräche über ein dunkles Kapitel, Wien 2011 Lörinczi, Zsuzsa, Mihály Vargha (Hg.): Budapest. Architectural Guide 20th Centu- ry, Budapest 1997 Lubrich, Oliver (Hg.): Reisen ins Reich 1933 bis 1945. Ausländische Autoren berich- ten aus Deutschland, Frankfurt am Main 2004 Luža, Radomir: Der Widerstand in Österreich 1938–1945, Wien 1983

...... 343 Maalouf, Amin: Mörderische Identitäten. Essays, Frankfurt am Main 2000 Mahler-Werfel, Alma: Mein Leben, Frankfurt am Main 1960 Maier, Hans (Hg.): Wege in die Gewalt. Die modernen politischen Religionen, Frankfurt am Main 2000 Maimann, Helene (Regie): Der Riss in der Zeit, Dokumentarfilm, Österreich 2015 | Arik Brauer. Eine Jugend in Wien, Dokumentarfilm. Wien 2012 | Es gibt nur das Leben, in: Berger, Heinrich, Melanie Dejnegra, Regina Fritz, Alexander Prenninger (Hg.): Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen. Festschrift für Gerhard Botz, Wien 2011 Malvezzi, Piero, Giovanni Pirelli (Hg.): Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen Widerstand, München 1962 Mang, Thomas: „Gestapo-Leitstelle Wien – Mein Name ist Huber“. Wer trug die lokale Verantwortung für den Mord an den Juden Wiens?, München 2003 Mann, Thomas: Tagebücher 1944–1946, herausgegeben von Inge Jens, Frankfurt am Main 2003 | Buddenbrooks. Verfall einer Familie, Frankfurt am Main 1999 Manoschek, Walter: Dann bin ich ja ein Mörder, Dokumentarfilm, Österreich 2012 Martens, Bob, Herbert Peter: Die zerstörten Synagogen Wiens, Wien 2009 März, Eduard – im Gespräch mit Christian Reder, in: Walter Dirks, Eugen Kogon (Hg.): Die neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte, Thema Österreich – Kultur, Gesellschaft, Politik, Heft 10, Bonn Oktober 1987 | Falter, Wien, 29/1987 Matejka, Viktor: Widerstand ist alles. Notizen eines Unorthodoxen, Wien 1984 Mayrhofer, Fritz, Walter Schuster (Hg.): Nationalsozialismus in Linz, 2 Bände, Linz 2001 Mazower, Mark: Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert, Berlin 2000 McDuff, Phyllis: A Story Dreamt Long Ago (Familie Mendl), New York 2003 Meissl, Sebastian: Wiener Universität und Hochschulen, in: Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Wien 1938, Ausstellungskatalog, Wien 1988 Melichar, Peter: Arisierungen und Liquidierungen im Papier- und Holzsektor, in: Österreichische Historikerkommission: Ökonomie der Arisierung. Teil 2: Wirt- schaftssektoren, Branchen, Falldarstellungen, Band 10/2, Wien – München 2004 Menasse, Robert: Das war Österreich. Gesammelte Essays zum Land ohne Eigen- schaften, Frankfurt am Main 2005 Merkel, Reinhard: Der Nürnberger Prozess, in: Hamburger Institut für Sozialfor- schung (Hg.): 200 Tage und 1 Jahrhundert. Gewalt und Destruktivität im Spie- gel des Jahres 1945, Hamburg 1995 Merridale, Catherine: Ivans Krieg. Die Rote Armee 1939–1945, Frankfurt am Main 2006 Missong, Alfred: Briefwechsel. Franz Reder und Alfred Missong 1959 (Archiv Ch. R.) Mitscherlich, Alexander und Margarete: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1967 Mitteräcker, Hermann: Kampf und Opfer für Österreich. Ein Beitrag zur Geschich- te des österreichischen Widerstandes 1938 bis 1945, Wien 1963 Molden, Fritz: Die Feuer in der Nacht. Opfer und Sinn des österreichischen Wider- standes 1938–1945, Wien 1988 | Fepolinski & Waschlapski auf dem berstenden Stern. Bericht einer unruhigen Jugend (1976), München 1991 | Universität Salz-

...... 344 burg, Landesstudio Salzburg des ORF (Hg.): Zeitzeugen. Wege zur Zweiten Republik, Wien 1987 | Lebenswege – Portrait eines Widerstandskämpfers, Ver- legers und Familienmenschen, gestaltet von Peter Dusek und Georg Madeja, 2006: ORF III, 18. 1. 2014 Molden, Otto: Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938– 1945, Wien 1958 Mommsen, Hans: Das NS-Regime und die Auslöschung der Juden in Europa, Göt- tingen 2014 Mommsen, Wolfgang J.: Der Erste Weltkrieg. Anfang und Ende des bürgerlichen Zeitalters, Frankfurt am Main 2004 Moore, Barrington: Ungerechtigkeit. Die sozialen Ursachen von Unterordnung und Widerstand, Frankfurt am Main 1982 Moretti, Franco: Der Bourgeois. Eine Schlüsselfigur der Moderne, Berlin 2014 Moritz, Verena, Hannes Leidinger: Oberst Redl. Der Spionagefall, der Skandal, die Fakten, Wien 2012 Moser, Jonny: Nisko. Die erste Judendeportation, Wien 2012 | Wallenbergs Laufbur- sche. Jugenderinnerungen 1938–1945, Wien 2006 | Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945, Dokumentationsarchiv des österreichi- schen Widerstandes, Wien 1999 Münkler, Friedrich: Die Deutschen und ihre Mythen, Berlin 2009 Murmelstein, Benjamin: Theresienstadt: Eichmanns Vorzeige-Ghetto, Wien 2014 Musil, Robert: Und Nationalismus. Internationalismus (1919/20), in: Gesammelte Werke, Band II, Reinbek bei Hamburg 1978 Musssolini, Benito: Doktrin des Faschismus, Leipzig 1934 Naumann, Friedrich: Mitteleuropa, Berlin 1915 Neubacher, Hermann: Sonderauftrag Südost 1940–1945. Bericht eines fliegenden Di- plomaten, Göttingen 1956 Neugebauer, Wolfgang, Peter Schwarz: Der Wille zum aufrechten Gang. Zur Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintregation ehemaliger Nationalsozia- listen, Wien 2004 Neugebauer, Wolfgang: Der österreichische Widerstand 1938–1945, erweiterte Fas- sung, Wien 2015 | The 1938–1945, Wien 2014 | Der österrei- chische Widerstand 1938–1945, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Natio- nalsozialismus, Wien 2013 Neumann, John von, Oskar Morgenstern: Theory of Games and Economic Behav- ior (1944), Princeton University Press 2007 Nirenberg, David: Antijudaismus. Eine andere Geschichte des westlichen Denkens, München 2015 | „Jüdisch“ als politisches Konzept. Eine Kritik der Politischen Theologie, München 2015 Nolte, Ernst: Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945. Nationalsozialismus und Bol- schewismus, München 1987 Novotny, Eva: Wir vom Jahrgang 1944. Kindheit und Jugend in Österreich, Gudens- berg-Gleichen 2012 Nussbaum, Martha C.: Politische Emotionen, Berlin 2014 Oberhuber, Oswald (Hg.): Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich, Wien 1985 Ondaatje, Michael: Der englische Patient. Roman, München 1996

...... 345 Ophüls, Marcel: Meines Vaters Sohn. Erinnerungen, Berlin 2015 | The Memory of Justice, Dokumentarfilm D, GB, USA 1975 Ortner, Christian S.: Am Beispiel Walter Reder. Die SS-Verbrechen in Marzabotto und ihre „Bewältigung“, Hg. Dokumentationsarchiv des österreichischen Wi- derstandes, Wien 1985 Orwell, George: Tage in Burma (London 1935), Zürich 1982 Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhun- derts, München 2009 Österreichische Gesellschaft für Kulturpolitik, Meidlinger Kulturkreis (Hg.): Mit uns zieht die neue Zeit. Arbeiterkultur in Österreich 1918–1934, Ausstellungska- talog, Wien 1981 Österreichische Historikerkommission, Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Pril- ler, Berthold Unfried, Fritz Weber: Ökonomie der Arisierung. Teil 1: Grundzü- ge, Akteure und Institutionen, Teil 2: Wirtschaftssektoren, Branchen, Falldar- stellungen, Band 10/1, 10/2, Wien – München 2004 Parzinger, Hermann: Die Kinder des Prometheus. Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift, München 2014 Pawlowsky, Verena, Harald Wendelin (Hg.): Arisierte Wirtschaft. Raub und Rück- gabe – Österreich von 1938 bis heute, Wien 2005 Payne, Stanley: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Be- wegung, München 2001 Pelinka, Anton: Nach der Windstille. Eine politische Autobiografie, Wien 2009 Perz, Bertrand: Nationalsozialistische Konzentrationslager in Linz, in: Fritz Mayr- hofer, Walter Schuster (Hg.): Nationalsozialismus in Linz, 2 Bände, Linz 2001 Petritsch, Wolfgang: Bruno Kreisky. Die Biographie, St. Pölten – Salzburg 2010 Pfoser, Albert, Andreas Weigl (Hg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013 Pichler, Cathrin, Roman Berka (Hg.): TransAct. Transnational Activities in the Cul- tural Field. Interventionen zur Lage in Österreich, Hg.: Christian Reder, Wien – New York 2010 | Cathrin Pichler (Hg.): Engel:Engel. Legenden der Ge- genwart, Wien – New York 1997 Pichler, Johann Hanns (Hg.): Othmar Spann oder Die Welt als Ganzes, Wien 1994 Pick, Hella: Simon Wiesenthal. Eine Biographie, Reinbek bei Hamburg 1998 Pinker, Steven: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit, Frankfurt am Main 2011 Plieseis, Sepp: Vom Ebro zum Dachstein. Lebenskampf eines österreichischen Arbei- ters, Linz, 1946 Pohanka, Reinhard: Stadt unter dem Hakenkreuz. Wien 1938–1945, Wien 1996 Pollack, Martin: Kontaminierte Landschaften, Salzburg 2014 | Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater, München 2006 Portisch, Hugo, Sepp Riff: Österreich I, Österreich II, CD-Ausgabe, Wien 2013/14 Potocki, Jan: Die Handschrift von Saragossa, Frankfurt am Main 1961 Priddat, Birger P. (Hg.): Kapitalismus, Krisen, Kultur, Marburg 2000 Qualtinger, Helmut: Mein Kampf, Lesungen um 1975, Preiser Records Wien 1989 Rabinovici, Doron, Mathias Hartmann (Inszenierung): Die letzten Zeugen, Pro- grammheft mit den Texten, Burgtheater Wien 2013

...... 346 Rabinovici, Doron: Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938–1945. Der Weg zum Juden- rat, Frankfurt am Main 2000 Raddatz, Fritz J.: Tagebücher 1982–2001, Tagebücher 2002–2012, Reinbek bei Ham- burg 2015 Ránki, György: Unternehmen Margarethe. Die deutsche Besetzung Ungarns, Wien 1984 Ransmayr, Christoph: Die Schrecken des Eises und der Finsternis, Wien 1984 Rath, Ari: Ari heißt Löwe. Erinnerungen, Wien 2012 Rathkolb, Oliver: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015, Wien 2015 | Füh- rertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich, Wien 1991 | Raoul Bumballa, ein politischer Nonkonformist 1945. Fallstudie zur Funktion der O5 im Widerstand und in der Parteienrestauration, in: Rudolf G. Ardelt, Wolfgang J. Huber, Anton Staudinger (Hg.): Unterdrückung und Emanzipation. Fest- schrift für Erika Weinzierl. Zum 60. Geburtstag, Wien – Salzburg 1985 Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger Mo- narchie 1914–1918, Wien 2013 | Der Krieg in Österreich ’45, Wien 1995 | Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Wien 1985 Rawls, John: Gerechtigkeit als Fairneß. Ein Neuentwurf, Frankfurt am Main 2003 Reder, Christian, Elfie Semotan (Hg.): Sahara. Text- und Bildessays, Wien – New York 2004 Reder, Christian, Simonetta Ferfoglia (Hg.): Transferprojekt Damaskus. Urban ori- ent-ation, Wien – New York 2003 Reder, Christian (Hg.): Kartographisches Denken, Wien – New York 2012 | Lese- buch Projekte. Vorgriffe, Ausbrüche in die Ferne, Wien – New York 2006 | Da- niel Defoe. Ein Essay über Projekte, London 1697, Wien – New York 2006 Reder, Christian, Erich Klein (Hg.): Graue Donau, Schwarzes Meer. Wien, Sulina, Odessa, Jalta, Istanbul, Wien – New York 2008 Reder, Christian: Forschende Denkweisen. Essays zu künstlerischem Arbeiten, Wien – New York 2004 | Afghanistan, fragmentarisch, Wien – New York 2004 | Wörter und Zahlen. Das Alphabet als Code, Wien – New York 2000 Reder, Christian: Nischen im System des Sonstigen, in: Christoph Steinbrener (Hg.): Unternehmen Capricorn. Eine Expedition durch Museen. Wien 2001 (Zeitge- schichte Leopoldstadt) | Schichten privater Orte. Verbindungen zwischen un- zusammenhängenden Räumen. In: Bernhard Schneider, Richard Jochum (Hg.): Erinnerungen an das Töten. Genozid reflexiv, Wien 1999 | Im Salzberg- werk. Zeitgeschichte – ein Beitrag zum Abbau von taubem Gestein (zur Ret- tung dort eingelagerter Kunstwerke 1945) in: Hans Michael Roither (Hg.): Aus- seer Beiträge zur Zeit- und Kulturgeschichte, Steirisches Institut für Zeitge- schichte Bad Aussee, Bad Aussee 1985 | Verbindungen zwischen Tat und Sache. Besuche an Orten vergangener Ereignisse. In: Stadtbuch Wien 1983, Wien 1983 Reder, Franz: Biographische Notizen, Wien 1985, unveröffentlicht | Strafsache gegen Dr. Franz Reder, Prozessakten, Wien 1946–1950 | Archiv Ch. R. Reder, J. & C. (Hg.): Festschrift 100 Jahre J. & C. Reder, Steyr – Wien, 1831–1931, Wien 1931 | Festschrift 125 Jahre J. & C. Reder, Steyr – Wien, 1831–1956, Wien 1956 Reder, Rudolf: Bełżec, Krakau 1946 | polnisch-englische Ausgabe Krakau 1997 | Ru- dolf Reder: Bełżec in: Antony Polonsky (Ed.): POLIN. Studies in Polish Jewry,

...... 347 Volume 13, London 2000 | deutsche Ausgabe: Rudolf Reder: Bericht über Bełżec, in: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Angelika Königseder (Hg.): Natio- nalsozialistische Zwangslager. Strukturen und Regionen – Täter und Opfer, Dachau – Berlin 2011 Reemtsma, Jan Philipp: „Wie hätte ich mich verhalten?“ und andere nicht nur deut- sche Fragen, München 2001 Reichlin-Meldegg, Georg: General und Parzival? GM Anton Freiherr von Lehár, der Bruder des Komponisten, Kommandant der Restaurationsversuche Kaiser Karls 1921 in Ungarn, Graz 2012 Restany, Pierre: Die Macht der Kunst. Hundertwasser. Der Maler-König mit den fünf Häuten, Köln 2011 Riedl, Joachim (Hg.): Wien, Stadt der Juden. Die Welt der Tante Jolesch, Jüdisches Museum Wien, Wien 2004 Rimini Protokoll (Helgard Haug & Daniel Wetzel): Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2, Theater-Performance, Steirischer Herbst, Graz, 2. Oktober 2015 Rorty, Richard: Europa sollte auf sich selbst bauen, in: Europa oder Amerika? Zur Zukunft des Westens, Sonderheft Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 9/10, Berlin 2000 | Truth and Progress, Cambridge 1998 | Eine Kultur ohne Zentrum. Vier philosophische Essays, Stuttgart 1993 | Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main 1992 Rosanvallon, Pierre: Die Gesellschaft der Gleichen, Hamburg 2013 Rosenberg, Alfred: Der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 1939 Rosenberger, Werner: Auf der Hohen Warte: Flair & Mythos des berühmten Wiener Villenviertels, Wien 2015 Roth, Gerhard: Das Alphabet der Zeit, Frankfurt am Main 2007 Roth, Joseph: Radetzkymarsch (Berlin 1932), München 1981 Rothländer, Christiane: Die Anfänge der Wiener SS, Wien 2012 Rufin, Jean-Christophe: Das Reich und die Neuen Barbaren, Berlin 1993 Ságvári, Ágnes: Holocaust. Budapest 1944. Stadtplan und Broschüre. Jewish Agency, Budapest 1994 Sand, Shlomo: Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand, Berlin 2010 Sandgruber, Roman: Traumzeit für Millionäre. Die 929 reichsten Wiener und Wie- nerinnen im Jahr 1910, Wien 2013 Sandkühler, Hans-Jörg, Rafael de la Vega (Hg.): Austromarxismus, Wien 1970 Sandner, Günther: Otto Neurath. Eine politische Biographie, Wien 2014 Sargent, Inge: Dämmerung über Birma. Mein Leben als Shan-Prinzessin, Zürich 2006 Saurer, Edith: Er hat ‚Ja’ gesagt. Kardinal Theodor Innitzer und Bernhardine Alma im Beichtstuhl (März 1938). In: Heinrich Berger, Melanie Dejnegra, Regina Fritz, Alexander Prenninger (Hg.): Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen. Festschrift für Gerhard Botz, Wien 2011 Schafranek, Hans: Söldner für den „Anschluss“. Die Österreichische Legion 1933– 1938, Wien 2011 Schärf, Adolf: April 1945 in Wien, Wien 1948 Schausberger, Norbert: Der Griff nach Österreich. Der Anschluss, Wien 1978

...... 348 Scheidl, Hans Werner: 1944: Ein Presse-Journalist im Widerstand (Fritz Molden), Die Presse, Wien, 27. Dezember 2014 Schenk, Dieter: Krakauer Burg. Die Machtzentrale des Generalgouverneurs Hans Frank 1939–1045, Berlin 2010 Schindel, Robert: Gebürtig. Roman, Frankfurt am Main 1992 Schirach, Baldur von: Ein gutes Jahr 1944! Weihnachtsgabe von Baldur von Schirach, verantwortlich: Henriette von Schirach, Darmstadt 1943 Schirach, Henriette von: Der Preis der Herrlichkeit. Erlebte Zeitgeschichte, Mün- chen 1975 Schirach, Richard von: Der Schatten meines Vaters, München 2011 Schlüter, Reinhard: Der Haifisch: Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni, Wien 2015 Schmidt, Gabriela, Karl Holubar: Albert Reder Ritter von Schellmann, Sudhoffs Ar- chiv, Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte, Band 74, Wiesbaden – Stuttgart 1990 Schneider, Bernhard, Richard Jochum (Hg.): Erinnerungen an das Töten. Genozid reflexiv, Wien 1999 Schnitzler, Arthur: Jugend in Wien. Eine Autobiographie (1920), Frankfurt am Main 1994 | Professor Bernhardi und andere Dramen. Das dramatische Werk, Band 6, Frankfurt am Main 1979 Schöner, Josef: Wiener Tagebuch 1944/1945, Wien 1992 Schramm, Percy Ernst (Hg.): Die Niederlage 1945. Aus dem Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, München 1962 Schreiber, Gerhard: Der Zweite Weltkrieg, München 2002 Schreiber, Renate (Hg.): Es geschah in Wien. Erinnerungen von Elsa Björkman- Goldschmidt, Wien 2007 Schreyer-Hartmann, Cherica: Der rote Kaiser und die Nachtigallen. Theodor Kör- ner. Mythos und Wahrheit, Wien 2009 Schubert, Peter: Schauplatz Österreich. Topographisches Lexikon zur Zeitgeschich- te, Band 1 Wien, Wien 1976 Schulenburg, Ulrich: Verlagsgeschichte Thomas Sessler Verlag. www.sesslerverlag.at Schulmeister, Otto: Die Zukunft Österreichs. Wien 1967 Schulz, Martin: Rede von Parlamentspräsident Martin Schulz zum Gedenken an das Massaker von Marzabotto während des Zweiten Weltkrieges, 25. Februar 2012. http://www.europarl.europa.eu | http://www.resistenza.de/ Schulz, Wolfgang E., Döblinger Heimatkreis (Hg.): Um den Hungerberg, Döblinger Heimatkunde, Nr. 8/2010 Schulze, Winfried, Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalso- zialismus, Frankfurt am Main 1999 Schumpeter, Josef: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), Stuttgart 2005 Schütte-Lihotzky, Margarete: Erinnerungen aus dem Widerstand 1938–1945, Wien 1985 Sebald, W. G.: Die Ausgewanderten, Frankfurt am Main 1992 Seewann, Gerhard: Österreichische Jugendbewegung 1900–1938, 2 Bände, Frankfurt am Main 1971 Sellars, Peter, Gerald Bast, Christian Reder, Willi Resetarits (Hg.): Kosmopolitische Impulse. Das Integrationshaus in Wien, Wien – New York 2010

...... 349 Sigmund, Karl: Sie nannten sich Der Wiener Kreis, Wiesbaden 2015 Snyder, Timothy: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, München 2014 Soames, Mary (Hg.): Speaking for Themselves. The Personal Letters of Winston and Clementine Churchill, London 1999 Soxberger, Thomas: Revolution am Donaukanal. Jiddische Kultur und Politik in Wien 1904 bis 1923, Wien 2013 Spann, Othmar: Gesamtausgabe in 21 Bänden, Graz 1963/1974/1979 Speer Albert: Erinnerungen, Frankfurt am Main 1969 | Spandauer Tagebücher, Frankfurt am Main 1975 Spitzy, Reinhard: So haben wir das Reich verspielt. Bekenntnisse eines Illegalen, München 1987 Srbik, Heinrich v.: Aus Österreichs Vergangenheit. Von Prinz Eugen zu Franz Joseph, Salzburg 1949 Stadler, Friedrich, Peter Weibel: The Cultural Exodus from Austria: Vertreibung der Vernunft, Wien 1995 Stadler, Gerhard A.: Das industrielle Erbe Niederösterreichs. Geschichte – Technik – Architektur, Wien 2006 Stadler, Karl R.: Opfer verlorener Zeiten. Die Geschichte der Schutzbund-Emigra- tion 1934, Wien 1974 Stadler, Wolfgang: „… juristisch bin ich nicht zu fassen.“ Die Verfahren des Volks- gerichtes Wien gegen Richter und Staatsanwälte 1945–1955, Wien 2007 Steinbrener, Christoph (Hg.): Unternehmen Capricorn. Eine Expedition durch Mu- seen, Wien 2001 Steinhauser, Mary, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Totenbuch Theresienstadt. Damit sie nicht vergessen werden, Wien 1987 Steininger, Rolf: Der Umgang mit dem Holocaust. Europa – USA – Israel, Wien 1994 Steinthaler, Evelyn: Wien 1945, Wien 2015 Stevenson, David: 1914–1918. Der Erste Weltkrieg, Düsseldorf 2005 Stiefel, Dieter: Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische, Wien – Köln – Weimar 2012 Stim, JM, Eva Weissenberger: Trotzdem. Oscar Bronner. Eine Biografie, Wien 2013 Stimmer, Gernot: Eliten in Österreich 1848–1970, Wien 1999 Strauss, Botho: Herkunft, München 2014 Stuiber, Petra: Ein Unbequemer hinter Gittern, Der Standard, Wien, 25.-26.10.2015 Sturm, Lukas (Regie): Die Porzellangassenbuben, Dokumentarfilm mit Eric Pleskow und Ari Rath, Wien 2012 Sünner, Rüdiger: Schwarze Sonne. Entfesselung und Missbrauch der Mythen in Na- tionalsozialismus und rechter Esoterik, Freiburg im Breisgau 1999 Szokoll, Carl: Die Rettung Wiens 1945. Mein Leben, mein Anteil an der Verschwö- rung gegen Hitler und der Befreiung Österreichs, Wien 2001 Tabor, Jan (Hg.): Kunst und Diktatur: Architektur, Bildhauerei, Malerei in Öster- reich, Deutschland, Italien und Sowjetunion 1922–1956. Ausstellungskatalog, Wien 1994 Tálos, Emmerich, Wolfgang Neugebauer (Hg.): Austrofaschismus. Politik – Ökono- mie – Kultur 1933–1938, Wien 2005

...... 350 Taschwer, Klaus: Hochburg des Antisemitismus: Der Niedergang der Universität Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wien 2015 Tausig, Otto: Kasperl, Kummerl, Jud. Eine Lebensgeschichte. Nach seiner Erzählung aufgeschrieben von Inge Fasan, Wien 2010 Telesko, Werner: Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bilden- den Kunst des 19. Jahrhunderts, Wien 2008 Templ, Stephan: Das Sanatorium Fürth in Wien: Schmidgasse 12–14, DAVID. Jü- dische Kulturzeitschrift, Wien, Heft Nr. 82, September 2009 Thaler, Walter: Der Heimat treue Hasser. Schriftsteller und Politik in Österreich. Ein politisches Lesebuch, Wien 2013 Theweleit, Klaus: Männerphantasien 1+2 (1978), Basel – Frankfurt am Main 1986 Tóth, Barbara: Der Handschlag – Die Affäre Frischenschlager-Reder, Dissertation, Universität Wien, Wien 2010 Tragl, Karl Heinz: Geschichte der Gesellschaft der Ärzte in Wien seit 1838, Wien 2011 Treiber, Alfred: Ö1 gehört gehört. Die kommentierte Erfolgsgeschichte eines Radio- senders, Wien 2007 Trenkler, Thomas: Das Zeitalter der Verluste. Gespräche über ein dunkles Kapitel, Wien 2011 Troller, Georg Stefan: Das fidele Grab an der Donau. Mein Wien 1918–1938, Mann- heim 2004 Trotzky, Leo: Mein Leben. Versuch einer Autobiographie, Berlin 1961 Ungváry, Krisztián: Die Schlacht um Budapest 1944/45. Stalingrad an der Donau, München 2001 Universität Salzburg, Landesstudio Salzburg des ORF (Hg.): Zeitzeugen. Wege zur Zweiten Republik, Wien 1987 Valéry, Paul: Cahiers/Hefte (Paris 1973/1974), 6 Bände, Frankfurt am Main 1992 Valsécchi, Franco: Das moderne Italien. Politische Geistesgeschichte seit 1900, Ham- burg 1935 Veblen, Thorstein: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen (1899), Frankfurt am Main 1986 Vogt, Werner: Mein Arztroman, Wien 2013 Waal, Edmund de: Der Hase mit den Bernsteinaugen. Das verborgene Erbe der Fa- milie Ephrussi, Wien 2011 Wächter, Horst in: Philippe Sands: My father, the good Nazi, Financial Times Ma- gazine, 3. Mai 2013 Walzer, Tina, Stephan Templ: Unser Wien. „Arisierung“ auf österreichisch, Berlin 2001 Walzer, Tina: Vom Böhmerwald aus in die Welt: Einblicke in die Geschichte der Fa- milie Fürth, DAVID. Jüdische Kulturzeitschrift, Wien, Heft Nr. 67, Dezember 2005 Waske, Stefanie: Die Verschwörung gegen Brandt, Zeit-Magazin, Hamburg Nr. 49/2012 Wasserman, Janek: Black Vienna. The Radical Right in the Red City, 1918–1938, Itha- ca – London 2014 Weber, Edmund (Hg.): Dollfuß an Österreich. Eines Mannes Wort und Ziel, Wien 1935

...... 351 Weinberger, Lois: Tatsachen, Begegnungen und Gespräche. Ein Buch um Öster- reich, Wien 1948 Weinzierl, Erika: Prüfstand. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus, Mödling 1988 | Zu wenig Gerechte. Österreicher und die Judenverfolgung 1938–1945, Graz 1969 Weizsäcker, Richard von: Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag | http://www.bundespraesident.de Welzer, Harald: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt am Main 2007 Wielan, Karin: Die Geliebte des Duce. Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus, München 2004 Wiesel, Eli: Alle Flüsse fließen ins Meer. Autobiographie, München 1997 Wikipedia: diverse Suchbegriffe mit Quellenangabe Wildt, Michael: Generation der Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicher- heitshauptamtes, Hamburg 2003 Windhager, Günther: Leopold Weiss alias Muhammad Asad. Von Galizien nach Arabien 1900–1927, Wien 2003 Wipplinger, Hans-Peter (Hg.): Padhi Frieberger. Glanz und Elend der Moderne, Ausstellungskatalog Kunsthalle Krems, Nürnberg 2012 Wolf, Wilhelm: Hundert Jahre Österreich. Politik und Dichtung, Salzburg 1940 Woolf, Leonard: Mein Leben mit Virginia. Erinnerungen, Frankfurt am Main 1988 Zamoyski, Adam: 1812. Napoleons Feldzug gegen Russland, München 2012 Zeemann, Dorothea: Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1945 und 1972, Frankfurt am Main 1982 | Einübung in Katastrophen. Leben von 1913 bis 1945, Frankfurt am Main 1979 Zeissl, Franz: Geschichte der Stadt Korneuburg, Band I, Wien 1959 Zentner, Kurt: Illustrierte Geschichte des Widerstandes in Deutschland und Europa 1933–1945, München 1983 Ziegler, Jean: Ändere die Welt. Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen, München 2015 Zweig, Stefan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers (1942), Frank- furt am Main 2007 | Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters (Leipzig 1932), Frankfurt am Main 1980

...... 352 Personenregister

Bacher, Gerd 16, 53, 293 Bernardis, Robert 30 Abulafia, David 332 Bäcker, Heimrad 225 Bernhard, Thomas 26, 292 Achleitner, Friedrich 147, Baiculescu, Michael 13 Bettelheim, Bruno 90 152, 201, 316 Bailer, Brigitte 31, 49, 57 Bichler, Hubert 285 Achmatowa, Anna 180 Baillet de Latour, Theodor Biedermann, Karl 30, 53, 81 Adenauer, Konrad 123 Graf 180 Bielka, Erich 318 Adler, Alfred 75 Banfield, Elisabeth von 156, Billroth, Theodor 178 Adler, Friedrich 75, 195 157 Björkman-Goldschmidt, Adler, Viktor 64, 308 Banfield, Gottfried von Elsa 70 Adorno, Theodor W. 45, 156, 157, 158, 159, 160, Blaschke, Hanns 257 209 161, 162, 178, 195 Blau, Eve 152 Albert, Ekkehard 282 Banfield, Nathalie 160 Blecha, Karl 103, 288 Alexander II. 157 Banfield, Raffaello de 159 Blümel, Franz 92 Alexander, Peter 146 Banfield, Richard Mitis Blumenfeld, Maria 91 Álgyay, Hubert Pál 231 160 Blumenfeld, Oskar 91 al-Husseini, Mohammed Banfield, Thomas 160 Bock, Fritz 49 Amin 149 Baracca, Francesco 157 Boelcke, Oswald 157 Alma, Bernhardine 78 Barbusse, Henri 158 Bogner, Dieter 306 Almasy, Ladislaus 166 Bartók, Béla 48 Böhler, Lorenz 297 Altenberg, Peter 111 Bartoš, Alfréd 277 Böhm, Anton 12, 81, 120, Altmann, Maria 321 Barz, Heinrich 281 121, 122, 123, 124, 125, Aly, Götz 83 Baťa, Tomáš 100 126, 127, 128, 129, 130, Amerling, Friedrich von Batthyány, Margit von 268 200, 205, 206, 216, 207 Bauer, Fritz 138 217, 219, 224, 225, 242, Améry, Jean 75, 136, 225 Bauer, Otto 37, 64, 75, 164, 260, 262 Andreae, Wilhelm 294 244, 308 Böhm, Gotthard 131 Androsch, Hannes 105, 222 Baumann, Zygmunt 225 Böhm, Hilde 130, 131 Antel, Franz 59 Bayer, Konrad 314, 316 Boltzmann, Ludwig 240 Antonescu, Ion 48, 149 Bayern, Gisela von 174 Bondy, Josef Adolf 111 Arendt, Hannah 225, 273 Becker, Alois von 50 Borchert, Wolfgang 324 Artmann, H. C. 59 Becker, Hans 17, 21, 22, 23, Borodajkewycz, Taras 120, Asad, Muhammad 212 24, 27, 29, 41, 49, 50, 216, 217, 219, 220, 222, Asad, Munira 212 51, 52, 54, 56, 59, 61, 223, 224, 225, 239, 243, Asperger, Hans 200 319 293, 301 Ast, Eduard 149 Beck, Ulrich 328, 331 Botz, Gerhard 9, 13, 16, 18, Auernheimer, Raoul 111 Beer-Hofmann, Richard 25, 37, 58, 63, 68, 74, Aufschnaiter, Peter 211 111 108, 115, 116, 314, 325 Auspitz, Stefan 146 Behal, Brigitte 123, 124, Bourbon-Parma, Zita von Auspitz-Weisz, Josefine 147 126, 127, 131, 216 47, 167 Auspitz-Winter, Josefine Benya, Anton 103 Brandt, Willy 123 147 Berghahn, Volker 193, 194 Brauer, Arik 302 ...... 353 Braun, Eva 207 Churchill, Winston 77, 79, Dustmann, Hanns 117 Braun, Felix 111 80, 227, 245, 333 Dwinger, Edwin Erich 300 Brecht, Bertolt 208, 270, Ciano, Galeazzo 149 Dylan, Bob 333 326 Clare, George (Georg Eberhard, Inge 299 Brehm, Bruno 301 Klaar) 69 Ebner-Eschenbach, Marie Breitner, Hugo 75 Clark, Christopher 154, 191 von 323 Brettl, Herbert 267 Cordon, Cécile 132, 133 Eby, Cecil D. 254 Breuer, Marcel 48 Coudenhove-Kalergi, Bar- Eckhardt, Fritz 20 Broch, Hermann 75, 312 bara 9, 104, 172 Eder, Friedrich Franz 104 Broda, Christian 222, 239 Croce, Benedetto 228 Ehm, Anna 208, 209 Brod, Max 111 Crouch, Colin 65 Ehm, Franz 209 Bromfield, Louis 293 Croy, Agathe 45 Ehn, Karl 152 Bronner, Oscar 220 Croy, Christiane 45 Eichholzer, Herbert 19 Broucek, Peter 46 Croy, Elisabeth 306 Eichmann, Adolf 68, 125, Bruckner, Anton 166 Csokor, Franz Theodor 75 219, 225, 256, 257, 264, Bruckner, Eva 45 Czech, Hermann 331 266, 271, 272, 273, 274, Bruckner, Hermann 45, Czeija, Oskar 302 302 260 Dalai Lama 211 Eidlitz, Johannes 19, 20 Brunner, Alois 88, 273 Dallinger, Alfred 288 Eifler, Alexander 49 Brunner, Anton 88, 264 Danneberg, Robert 308 Eigruber, August 44, 214 Brus, Günter 208 D’Annunzio, Gabriele 228 Einstein, Albert 240 Buber, Martin 312 Dean, James 324 Eisenhower, Dwight D. Bucharin, Nikolai I. 188 Defoe, Daniel 331 324 Buddenbrock, Emma 174 Descartes, René 238 Eisler, Arnold 28 Bumballa, Raoul 17, 22, 24, Deutsch, Julius 75, 244, Eisler, Hanns 308 49, 50, 51, 52, 54, 55, 292, 308 Elst, Eric van der 331 56, 59, 318 Dichand, Hans 104, 292 Elst, Eva van der 331 Bürckel, Josef 112, 143, 214 Dinter, Friedrich 90 Engel-Jánosi, Friedrich 226 Buruma, Ian 35, 36, 322 Dirks, Walter 137 Enigl, Marianne 13 Busek, Erhard 104, 288 Djerassi, Carl 72, 75 Enzensberger, Hans Mag- Butterweck, Hellmut 21 Dobrowsky, Josef 207 nus 328 Buttinger, Joseph 37, 38 Doderer, Heimito von 239, Ermacora, Felix 288 Čabrinović, Nedeljko 157 292, 308, 315, 316 Esterházy, Péter 233, 236 Camus, Albert 324 Dohnal, Johanna 186, 288 Etzdorf, Josef 23 Canetti, Elias 75 Dollfuß, Engelbert 19, 37, Farkas, Karl 59, 75 Cardenal, Ernesto 172 38, 48, 74, 134, 145, 218, Felix, Elfie 101 Carnap, Rudolf 75, 240 219, 227, 244, 245, 316 Felix, Ernst 102 Carney, Marcus J. 120 Dönhoff, Marion 123 Felix, Grete 101 Carré, John le 146 Dreyfus, Alfred 185 Felix, Herbert 100 Castiglioni, Camillo 144, Drimmel, Heinrich 294 Felix, Irene 100 158 Drucker, Peter F. 142 Felix, Wilhelm 101 Céline, Louis-Ferdinand Dulles, Allen 24 Ferguson, Niall 192, 193, 129 Dulles, Joan 24 194 Chaldej, Jewgenij 312 Dunant, Henri 179 Fey, Emil 244 Chapeaurouge, Aglaja 113 Dunder, W. G. (Dundr, Figl, Leopold 49, 50, 62, Chaplin, Charly 180 Václav Jiří) 176 98, 243 Chargaff, Erwin 75 Dürmayer, Heinrich 54, 319 Firnberg, Hertha 222

...... 354 Fischböck, Hans 112 Fürth, Lothar 102 Gramsci, Antonio 229 Fischer, Berta 102 Fürth, Simon 99 Gratz, Leopold 103, 222, Fischer, Ernst 27, 40, 46, Fürth, Susanne 102 286 54, 56, 61, 75 Fürth, Theodor 100 Gredler, Wilfried 224 Fischer, Heinz 220, 222 Fürth, Vera 100 Grillmayr, Max 143 Flusser, Vilém 331 Fürth, Wolf 99, 100 Grillparzer, Franz 111, 324 Foullon von Norbeeck, Gabčík, Jozef 277 Grimm, Kurt 27, 53 Heinrich 234 Gaiswinkler, Albrecht 24 Gross, Heinrich 222 Franco, Francisco 48, 219 Galler, Anton 282, 285 Grosz, George 129 François-Poncet, André 76, Gamsjäger, Rudolf 147 Gruber, Karl 19, 20, 24 77, 115, 116 Gantzer, Ludwig 282 Gschwandtner, Albert 196 Frank, Anne 19, 262 Gardiner, Muriel 38 Gschwandtner, Georg 196 Frank, Hans 108, 145 Gauck, Joachim 56, 286 Gschwandtner, Mathias Frank, Josef 75, 114, 115 Gaugusch, Georg 99 196 Frankl, Viktor 225 Gaulle, Charles de 23, 36 Güden, Hilde 148 Frank, Niklas 314 Gellner, Ernest 171 Guitton, Monique 293 Franz Ferdinand von Öster- Gentile, Carlo 278, 281, Gumbrecht, Hans Ulrich reich-Este 180 283, 284, 285 326 Franz Joseph I. 157, 178, Gentile, Giovanni 228 Gütersloh, Albert Paris 315, 179, 190, 240 Gentz, Friedrich von 238 316 Franz, Margit 211 Gerstein, Kurt 277 Gutov, Mitja 54 Franz Xaver (Namenspat- Gerstenmaier, Eugen 122 György, Charlotte (Sari) ron) 175 Gerz, Jochen 213, 214 233 Fraser, Georg (August Gessner, Hubert 188 György, Gisela von 196 Hermann Zeiz) 17, 22, Gide, André 229 György von Aknaszlatina, 24, 50, 51, 52, 59, 318 Ginzkey, Franz Karl 323 Albert 196 Frauenfeld, Alfred Eduard Glaise-Horstenau, Edmund Gysi, Gregor 56 214 108, 109, 110, 112, 117, Habermas, Jürgen 328 Freud, Sigmund 75, 111, 153 118, 119, 145, 217, 220, Habsburg, Otto von 167, Frieberger, Padhi 314 264 294 Fried, Erich 75 Gleissner, Heinrich 49, 239 Haeften, Hans Bernd von Friedländer, Saul 256 Globke, Hans 123 108, 126 Frischenschlager, Friedhelm Globocnik, Odilo 214, 277 Haertel, Oswald 114 220, 286, 287, 289 Gödel, Kurt 75, 240, 270 Haffner, Sebastian 75, 76, Fuchs, Ernst 306 Goebbels, Joseph 31, 77, 196 Führer, Ludwig 142 128, 129 Hahn, Hans 240 Führer, Max 143 Goerdeler, Carl 30 Haider, Jörg 220, 241, 286 Fürnberg, Friedl 54 Goldschmidt, Waldemar Hajek, Friedrich August Fürth, Bernhard 99 70 von 75, 238 Fürth, Daniel 99, 102 Gömbös, Gyula 48 Halbrainer, Heimo 211 Fürth, Emil 86, 90, 91, 92, Gombrich, Ernst 75 Hammer-Purgstall, Josef 94, 102, 103, 105, 107 Gorbach, Alfons 49 von 171, 172 Fürth, Ernst 102 Göring, Hermann 82, 112, Hammerschmied, Franz 80 Fürth, Gisela (Gita) 96 275 Hammerstein-Equord, Fürth, Julius 102 Gorz, André 75 Hans 319 Fürth, Leo 91, 92, 93, 94, Götzl, Alfred 53 Hamsun, Knut 149 96 Gotzmann, Leo 98

...... 355 Handel-Mazzetti, Enrica 149, 166, 167, 180, 204, Innitzer, Theodor 29, 78, von 323 207, 211, 214, 215, 218, 216, 217, 236 Handke, Peter 26 223, 224, 226, 227, 229, Iqbal, Muhammad 212 Harrer, Heinrich 211, 299 236, 242, 244, 252, 255, Jägerstätter, Franz 19 Hartmann, Mathias 68 256, 260, 264, 272, Jagschitz, Gerhard 18, 40, Hartmann, Otto 97 296, 304, 326, 333 61, 62, 63, 184 Hartz, Peter 331 Hitler-Braun, Eva 207 Jahoda, Marie 72, 75 Hass, Karl 281 Höbelt, Lothar 224 Janata, Alfred 234 Hauptmann, Gerhard 149 Hobsbawm, Eric 8, 64, 189, Jedlicka, Ludwig 226 Heer, Friedrich 121, 137, 194 Jelinek, Elfriede 26, 268 150, 204 Hochner, Robert 103 Jellinek, Emil 233 Heidegger, Martin 180 Hochschild, Adam 192 Jellinek, Mercédès 233 Heine, Werner 20 Hochwälder, Fritz 53 Jinnah, Muhammad Ali Heinkel, Ernst 158 Hofer, Franz 214 212 Heinrich, Walter 220, 237, Hofer, Gabriele 133 Jochmann, Rosa 288, 331 243, 245, 293 Hoff, Hans 299 Joyce, James 129, 208 Heller, Ágnes 264, 265 Hoffmann, Josef 114, 149, Judt, Tony 14, 35, 189, 198, Helmer, Oskar 39, 49 150 321 Hemingway, Ernest 129, Hofmannsthal, Hugo von Jünger, Ernst 262 298 111 Jung, Georg 146 Herczegh, Eva (Eva Reder) Holzinger, Rudolf 313 Jury, Hugo 112, 214, 243 230 Holzmeister, Clemens 114, Kádár, János 232, 233 Herczegh, Gisela 230 201 Kafka, Franz 207 Herczegh, Josef 196, 230 Honner, Franz 54 Kafka, Maria Restituta 19 Herczegh, Karl 245 Horthy, Miklós 47, 48, 165, Kahane, Arthur 111 Herczeg, Karl L. 230, 243, 166, 203, 230, 231, 233, Kaltenbrunner, Ernst 108, 290, 291, 292, 293, 294, 235, 254, 256, 296, 298 112, 126, 277 296, 297, 299, 300 Horváth, Ödon von 59 Kaltenbrunner, Gerd-Klaus Herker, Tamara 60 Höss, Rudolf 225, 303 238 Herzl, Theodor 185, 201, Höttl, Wilhelm 125, 126 Kamitz, Reinhard 294 312 Hrdlicka, Hermine (Clot- Kandel, Eric R. 70, 71, 75 Hessel, Stéphane 136 hilde) 17, 24, 50, 54, Kaniak, Eugen 90 Hess, Victor Franz 75 59 Kapellari, Egon 173 Heydrich, Reinhard 109, Hrdlitschka, Pauline 20 Kapfhammer, Franz M. 276, 277 Hübner, Johannes 118 122, 202, 204, 205, 207 Hilberg, Raul 72, 255, 257 Hudal, Alois 145, 217 Kappler, Herbert 280, 281 Hilscher, Josef 88 Hueber, Franz 112 Karajan, Herbert von 146, Himmler, Heinrich 125, Hundertwasser, Friedens- 148 274, 275, 277, 317 reich 305, 306, 307, Karl I. (Karl von Habsburg) Hinteregger, Anton 98 314 42, 46, 47, 48, 156, 161, Hirschfeld, Harald von 280 Hurdes, Felix 28, 30, 45, 162, 166, 234 Hirszman, Chaim 276 49, 52, 54, 90, 123, 200 Károlyi, Mihály 165 Hitler, Adolf 19, 20, 27, 30, Huth, Alfred 30 Karski, Jan 257 35, 38, 44, 48, 57, 68, Ibn Saud, Abd al-Aziz 212 Käs, Ferdinand 20, 30 73, 74, 75, 76, 77, 79, Illich, Ivan 172 Kastelic, Jacob 19, 98 81, 83, 88, 112, 115, 117, Immelmann, Max 157 Kasztner, Rudolf 257 118, 119, 128, 130, 145, in der Maur, Wolf 294 Käutner, Helmut 59

...... 356 Kecskéssy, Adrienne von Korwin, Etelka von 133 Lehár, Franz 48, 166 233 Kosmodemjanskaja, Soja 19 Leidinger, Hannes 180 Kelsen, Hans 75, 153, 219, Kostelka, Peter 241 Lemberger, Ernst 27, 319 239 Kovács, Koloman 44 Lenin, Wladimir Iljitsch Kemal Atatürk, Mustafa 99 Krasnitzki, Maria 209 188, 192 Kennan, George F. 190 Kraus, Karl 158, 172, 208, Leopoldi, Hermann 166 Kershaw, Ian 44, 214, 254, 308 Le Rider, Jacques 313 275, 295, 304, 305 Kreisky, Bruno 12, 38, 64, Leser, Ludwig 165 Kertész, Imre 136, 225, 265 66, 75, 99, 100, 101, Leser, Norbert 44, 204, 244 Kesselring, Albert 283 103, 104, 105, 114, 149, Lesiak, Rupert 285 Keynes, John Maynard 190 161, 162, 164, 174, 188, Lessing, Erich 38 Kirchner, A. 39 222, 238, 239, 243, 289, Leuschner, Wilhelm 30 Kirchschläger, Rudolf 307 299, 318, 319 Levi, Primo 225 Kirchweger, Ernst 219 Kreisky, Friederike 102 Lieben, Heinrich 147 Kisch, Egon Erwin 182 Kreisky, Irene 100 Lieser, Annie 51 Kissinger, Henry 99, 293 Kreisky, Karl 102 Lieser, Henriette 51 Klaus, Josef 12, 45, 90, 103, Kreisky, Max 101 Ligne, Charles Joseph Fürst 105, 107, 108, 123, 200, Kreisky, Otto 102 de 171, 172 226, 239, 292 Kreisky, Peter 66, 105, 140 Linnenkamp, Anna 133, 135 Klausner, Hubert 112, 214 Kreisky, Vera 100 Linnenkamp, Clara Ilsa Klein, Erich 312 Kreisler, Georg 75 132, 133 Klemperer, Victor 96, 225 Krenek, Ernst 75 Lipp, Wilma 148 Klimt, Gustav 150, 321 Krenek, Ludwig 211, 212 Locke, John 331 Klinkicht, Gerhard 20 Kroetz, Franz Xaver 60 Loewi, Otto 75 Klotz-Dürrenbach, Theo- Krumey, Hermann 302 Löhner-Beda, Fritz 166 dor 207 Krupp, Friedrich 234 Looram Rothschild, Bettina Kluge, Alexander 7, 252, Kubiš, Jan 277 148 317, 326, 331 Kun, Alfred 264 Loos, Adolf 114, 146 Klüger, Ruth 225 Kun, Béla 164 Looß, Helmut 284, 285 Kneissel, Wilhelm 284 Lacina, Ferdinand 140, Lueger, Karl 50, 132 Knips, Anton 150 220, 288 Lukács, György 48, 165 Knips, Sonja 150 Lamac, Karl 135 Lurçat, André 114 Koestler, Arthur 48, 165 Langbein, Hermann 49 Luther, Martin 125 Kogon, Eugen 136, 138, 139 Langer, Hermann 282 Lutz, Carl 258 Kohl, Christine 278, 282 Lang, Fritz 60, 75, 308 Luxemburg, Rosa 219 Kohn, Richard 272 Lanz, Hubert 280 Luža, Radomir 17, 23, 26, Kohr, Leopold 75 Lanzmann, Claude 272 41, 50 Kokoschka, Oskar 75 Lappin-Eppel, Eleonore Maasburg, Nikolaus 21 Kolb, Fritz 211, 299 268, 302, 303 Mach, Ernst 240 Kollek, Teddy 75 Lazarsfeld, Paul 72, 75, 240 Mahler, Gustav 185, 292 Kollontai, Alexandra 192 Lechner, Hans 123, 200 Mahler-Werfel, Alma 149, König, Franz 121, 200, 208 Lechner, Karl 206 229, 292 Koop, Volker 317 Lederer, Karl 19, 98 Mailer, Norman 129 Koplenig, Johann 54 Legoll, Julien 284 Maillol, Aristide 277 Körner, Theodor 40, 164, Lehár, Anton 46, 47, 48, Maimann, Helene 333 183, 239, 244 49, 156, 161, 162, 163, Malaparte, Curzio 229 Kornmüller, Oskar 300 164, 165, 166, 183, 256 Maleta, Alfred 49, 123

...... 357 Mannerheim, Carl 298 Merkel, Angela 56, 331 Murmelstein, Benjamin Mannheim, Karl 48 Merkel, Reinhard 322 272, 273, 274 Mann, Thomas 79, 174, Merridale, Catherine 255 Musil, Robert 75, 153, 160, 208 Merz, Carl 219 208, 324 Manoschek, Walter 270 Metternich, Klemens W. L. Mussolini, Benito 48, 110, Marconi, Guglielmo 228 von 170, 238 149, 166, 219, 226, 227, Marie Antoinette 170 Migsch, Alfred 319 228, 229, 237, 242, 244, Marie Luise von Österreich Miklós, Béla 296 278, 282 168, 170, 172, 174 Miller, Henry 129 Nagy, Imre 296 Mark, Hermann 75 Misek, Franz 142 Napoleon I. 167, 168, 170, Maršálek, Hans 319 Mises, Richard von 160 171, 174, 240 Marsch, Fritz 104, 292 Missong, Alfred 203, 219, Naumann, Friedrich 191 Marton, Georg 52, 53, 59 261 Nehru, Jawaharlal 180 Marx, Karl 64, 219 Moholy-Nagy, László 48 Nestroy, Johann 111 März, Eduard 139, 140 Molden, Ernst 23, 26, 110, Neubacher, Eberhard 120 Matejka-Feldern, Gerda 53 150, 238 Neubacher, Hermann 12, Matejka, Viktor 23, 27, 28, Molden, Fritz 17, 20, 21, 112, 113, 114, 115, 116, 29, 40, 53 22, 23, 24, 25, 26, 27, 117, 118, 119, 120, 242 Matteotti, Giacomo 229 28, 29, 30, 40, 41, 46, Neugebauer, Wolfgang 23, Mauer, Otto 120, 121, 127, 53, 56, 109, 200, 208, 32, 41, 60, 243, 314 200, 208 284, 318, 319 Neuhaus, Helli 20 May, Karl 210, 324 Molden, Otto 17, 22, 23, Neumann, John von 48, Mayreder, Rosa 146 24, 26, 27, 34, 41, 46, 294 Mazower, Mark 68, 119, 150 52, 294, 318 Neumayer, Rudolf 112 McDuff, Joe 144 Molden-Preradović, Paula Neurath, Otto 75, 113, 114, McDuff-Mendl, Bettina 26, 110, 323 240 144 Moll, Carl 149 Neutra, Richard 114 Meisel, Agnes 251 Moltke, Helmuth James Ne Win 299 Meisel, Hermine 250, 251 Graf von 122 Nicolai, Olaf 19 Meisel, Oskar 245, 246, Mommsen, Wolfgang 195 Noever, Katarina 53 248, 249, 250, 251 Montaigne, Michel de 328 Nolte, Ernst 194 Meisel, Wilhelmine 251 Morandi, Giorgio 229 Novak, Franz 264 Meissl, Sebastian 241 Moravia, Alberto 229 Obama, Barack 329 Meitner, Lise 75 Moreno, Jacob Levy 151 Oberhauser, Josef 276 Melichar, Peter 84, 85 Morgenstern, Oskar 75, Oberhuber, Oswald 208 Mellerowicz, Konrad 105 238, 294 Odwody, Käthe 142 Mell, Max 110, 111, 323 Moritz, Verena 180 Olah, Franz 49, 294 Menasse, Robert 26 Moser, Jonny 267, 270, 271 Ondaatje, Michael 166 Mendl, Bettina 142, 144 Moulin, Jean 19 Ophüls, Marcel 80, 139 Mendl, Eva 142, 143 Mozart, Wolfgang Amadeus Orbán, Viktor 319 Mendl, Fritz 141, 142 236 Orwell, George 298 Mendl, Hans 142, 143 Muhrer, Franz 219 Oswald, Elisabeth 42, 43, Mendl, Heinrich 141, 142 Müllner, Viktor 17, 22, 24, 166 Mendl, Mimi 142, 143, 145 49, 50, 52, 59, 243 Oswald, Emil 12, 17, 22, 24, Mendl, Otto 142, 144 Mumb von Mühlheim, 41, 42, 43, 44, 45, 46, Mendl, Stefan 142, 144 Ferdinand 160 47, 48, 49, 50, 51, 52, Menghin, Oswald 112 53, 60, 64, 90, 94, 114,

...... 358 136, 156, 161, 162, 166, Primo de Rivera, Miguel 48 Reder, Franz Xaver (Ur- 204, 234, 318 Puschmann, Erwin 81 großvater) 178 Pabst, G. W. 59 Putin, Wladimir Wladimi- Reder, Franz Xaver (Urur- Pacelli, Eugenio 110 rowitsch 331 großvater) 167, 168, Papst Franziskus 209 Qualtinger, Helmut 59, 219 169, 172, 174, 175 Papst Pius XII. 110, 209 Raab, Julius 23, 243 Reder, Hans 173 Parzinger, Hermann 330 Rabinovici, Doron 68, 274 Reder, Ida (von) 96, 156 Pauer, Gyula 263 Raddatz, Fritz J. 123 Reder, Ingrid 13 Pauli, Wolfgang 75 Radetzky, Josef Wenzel von Reder, Josef 174, 195, 291 Paumgartner, Sylvester 168 178 Reder, Josef d. Ä. 174 Pavelić, Ante 48, 119 Raffalt, Ignaz 207 Reder, Josef d. J. 92, 97, Pelinka, Anton 36 Rahm, Karl 274 174 Pelinka, Peter 103 Raimund, Ferdinand 111 Reder, Josef Ferdinand 186 Pennebaker, Donn Alan 333 Rainer, Arnulf 306 Reder, Karl 291 Pernter, Hans 52 Rainer, Friedrich 214 Reder, Karoline 185, 300 Perutz, Max 75 Rákosi, Mátyás 165 Reder, Karoline (Großmut- Peter, Friedrich 289 Ránki, György 258 ter) 183, 184 Petritsch, Wolfgang 103 Ransmayr, Christoph 210 Reder, Marie (Marie Resch) Pevny, Wilhelm 60 Raschke, Rudolf 30 184 Pflaum, Peter 143 Rath, Ari 71, 75 Reder, Martha 185 Pfliegler, Michael 204 Rathkolb, Oliver 22, 31, 37, Reder, Mathias (I) 174 Pfrimer, Walter 244 49, 50, 52, 54, 56, 319, Reder, Mathias (II) 174, Phleps, Artur 296, 297 320 279 Pichler, David 285 Rauchensteiner, Manfried Reder, Mathias (III) 174, Pichler, Johann Hanns 238 182, 190 175 Pichler, Walter 173 Rebernigg, Carl 306 Reder, Richard 185 Pirandello, Luigi 228 Rebernigg, Wilma 306 Reder, Rudolf (Roman Pisko, Oskar 236 Reder, Albert, Ritter von Robak) 275, 276, 277 Pittioni, Veit 238 Schellmann 156, 178, Reder, Sophia 276 Planetta, Otto 134 184 Reder, Thomas 174 Pleskow, Eric 71, 73, 75 Reder, Bernard 277 Reder, Walter 220, 278, Plieseis, Sepp 24 Reder, Carl 92, 94, 174 279, 280, 283, 284, 285, Plischke, Ernst 75, 114 Reder, Elisabeth (Elisabeth 286, 287, 288, 289, 290 Polanyi, Karl 75, 240 von Banfield) 156 Reder, Wolfgang 110, 276, Polgar, Alfred 75, 153 Reder, Eva (Mutter) 10, 42, 311, 331 Pollack, Martin 270, 314 235, 309 Redl, Alfred 180, 182, 183 Poll, Johann 246 Reder, Ferdinand 156, 157, Reemtsma, Jan Philipp 80, Popper, Karl 75, 238, 240 178, 195 138, 225, 286 Portisch, Hugo 16, 57 Reder, Franz (Großvater) Reichleitner, Franz 277 Portschy, Tobias 268 183, 184 Reichlin-Meldegg, Georg Potocki, Jan 172 Reder, Franz (Steinmetz) 46 Prager, Theodor 140 176, 177 Reif, Johann 30 Praun, Anna Lülja 81 Reder, Franz (Vater) 10, 42, Reinhardt, Fritz 106 Preminger, Otto 75, 142 73, 81, 86, 88, 90, 91, Reinhardt, Max 75, 158 Presley, Elvis 324 92, 93, 94, 134, 185, 235, Reinthaller, Anton 112 Priebke, Erich 281, 286 246, 309 Remarque, Erich Maria 159 Prikryl, Rudolf 40

...... 359 Renner, Karl 27, 28, 29, 49, Sarfatti, Margherita 229 Schönmann, Ernst 91, 92, 54, 57, 62, 78, 209, 318 Sargent, Inge 299 93, 94, 96 Resch, Karl 184 Sartre, Jean-Paul 129, 324 Schönmann, Ludwig 91 Resch, Marie 300 Saurer, Edith 78 Schön, Sibylle 293 Ribbentrop, Joachim von Schärf, Adolf 23, 27, 28, 30, Schranz, Karl 148 115 40, 46, 49, 54, 55, 56, Schröder, Gerhard 331 Richter, Alfred 280 59, 61, 62 Schrödinger, Erwin 75 Richthofen, Manfred von Scheck, Alexander 142 Schubert, Franz 168 157, 158 Scheel, Gustav Adolf 214 Schuh, Franz 26 Riedl, Franz 122 Schelfhout, Andreas 207 Schulenburg, Ulrich 59 Rietveld, Gerrit 114 Schellmann, Albert (I) 168 Schullner, Ludwig 245, 248 Riff, Sepp 16 Schellmann, Albert (II) 168 Schulmeister, Otto 121, 129, Rilke, Rainer Maria 111 Schellmann, Barbara 168, 200, 222, 294 Robak, Roman 276 169 Schulz, Martin 278 Rohan, Karl Anton 98, 109 Schellmann, Franziska 168, Schumpeter, Joseph 75, 140 Röhm, Ernst 48 172, 174 Schuschnigg, Kurt 37, 78, Ronge, Maximilian 183 Scheuch, Manfred 104 142, 215, 217, 245 Roosevelt, Franklin D. 79, Schiele, Egon 321 Schüssel, Wolfgang 167 257 Schirach, Baldur von 112, Schütte-Lihotzky, Margare- Rorty, Richard 103, 328, 331 148, 149, 214 te 19, 81, 112, 114 Rosanvallon, Pierre 188 Schirach, Henriette von Schütz, Carl-Theodor 281 Rosegger, Peter 111 149 Schwab, Grete 90 Rosei, Peter 26 Schirach, Richard von 314 Schwarzenberg, Karel 46 Rosenberg, Alfred 236 Schlick, Moritz 240 Schwarzwald, Eugenie 75 Rosenberger, Werner 144 Schmaderer, Ludwig 211 Schweitzer, Albert 210 Rost, Nella 276 Schmidt-Chiari, Guido 98 Seemann, Gustav 142 Roth, Gerhard 26, 314, 317, Schmidt, Erich 288 Seemann-Mendl, Marianne 324 Schmidt, Guido 98, 108 142 Roth, Joseph 75, 160, 179, Schmidt, Heide 224 Seewann, Gerhard 205 182, 208 Schmitz, Bruno 319 Segebrecht, Wilfried 285 Rothschild, Louis von 302 Schneider, Karoline 183, Seidler, Alma 19 Rothschild, Nathaniel 184 Seidl, Siegfried 264, 302, Meyer von 148 Schnitzer, H. J. 90, 91 303 Rudolf, Karl 204, 208, 216 Schnitzler, Arthur 88, 111, Seilern, Ilona 172 Rudolf von Österreich-Un- 180, 185, 186, 203 Seipel, Ignaz 243 garn 179 Scholik, Otto 20 Seitz, Eduard 17, 22, 24, 49, Rühm, Gerhard 316 Scholl, Sophie 19 50, 52, 59 Russell, Bertrand 160 Scholz, Roman Karl 19, 97 Semmelweis, Ignaz 178 Saalfrank, Max 284, 285 Schönbauer, Leopold 31 Semprún, Jorge 136, 225 Sachseneder, August 307 Schönberg, Arnold 51, 75 Serner, Dorotea 180 Saint-Exupéry, Antoine 298 Schönerer, Georg von 116 Serner, Walter 180 Salazar, António de Oliveira Schöner, Josef 316, 317, 318, Sessler, Malvine von 52 48 319 Sessler, Thomas 52, 59 Salten, Felix 111 Schönharting, Friedrich Seyß-Inquart, Arthur 80, Salus, Hugo 111 (Sigfried Uiberreither) 81, 108, 109, 112, 115, Sandner, Günther 113 213, 214 214, 217, 231 Sao Kya Seng 299 Schönmann, Berta 91, 96 Sigmund, Karl 241

...... 360 Sikorski, Władysław 36 Stephan I. 174 Treiber, Alfred 302 Simon, Max 283, 284, 285, Stepinac, Alojzije 225 Trenker, Luis 211 287 Stevenson, David 193, 194 Tripcovich, Maria 159 Six, Franz Alfred 125 Stifter, Adalbert 111 Trotzky, Leo 188 Skorzeny, Otto 282 Stillfried, Alfons 23, 150 Turrini, Peter 60 Snyder, Timothy 325 Stimmer, Gernot 217 Uiberreither, Sigfried (alias Sobek, Franz 17, 49, 50, 52, Stolz, Robert 75 Friedrich Schönhar- 59 Stourzh, Gerald 316 ting) 213, 214, 215 Soswinski, Ludwig 319 Stowasser, Elsa 305 Ungar, Leopold 172 Soyfer, Jura 136 Strasser, Ferdinand 243 Ungváry, Krisztián 254, 255 Spann, Othmar 136, 153, Strasser, Hilde 90 Untereiner, Jörg 21 207, 226, 236, 237, 238, Strauss, Botho 324 Valčík, Josef 277 239, 240, 243, 244, 293 Strauss, Pauline 149 Valéry, Paul 171 Spann-Rheinisch, Erika 237 Strauss, Richard 149 Valsécchi, Franco 226, 227, Specht, Richard 111 Strobl, Karl 120 229 Speer, Albert 139, 259, 304 Stürgkh, Karl 196 Valsécchi, Maria Teresia Spiel, Hilde 75 Susloparov, Ivan 27 229 Spitz, Heinrich Otto 23, 31, Suttner, Berta von 179 Veesenmayer, Edmund 256, 53 Suu Kyi, Aung San 299 258 Spitz-Weinzinger, Stefanie Szálasi, Ferenc 254, 264, Verdroß-Droßberg, Alfred 53 297 23 Spitzy, Reinhard 115 Szillat, Werner 285 Verdroß, Lili 110 Srbik, Heinrich 223, 226, Szokoll, Carl 20, 29, 30, 34, Viktor Emanuel III. 298 236, 239, 240 54, 59 Vogt, Werner 222 Stadler, Gerhard A. 246 Szyszko-Bohusz, Adolf 145 Vranitzky, Franz 288, 312 Staël, Anne Louise Ger- Szyszkowitz, Rudolf 200 Vrba, Rudolf 257, 266 maine de 171 Tabori, George 48 Waal, Edmund de 82 Stalin, Josef 19, 27, 28, 30, Tálos, Emmerich 37, 243 Wächter, Charlotte 145 54, 62, 79, 81, 164, 272, Tarbuk-Sensenhorst, Fritz Wächter, Horst 314 315 143 Wächter, Linde 145 Stangl, Franz 277 Tegetthoff, Wilhelm von Wächter, Otto 145, 146, 313, Starhemberg, Ernst Rüdiger 160 314 48, 244 Templ, Stephan 71, 102 Waggerl, Karl Heinrich 323 Staud, Johann 108 Tiepolo, Giovanni Batista Wagner-Freynsheim, Hel- Stauffenberg, Claus Schenk 144 mut 146 von 19, 30, 108, 123 Tišma, Aleksandar 225 Wagner, Otto 188, 306 Steidle, Richard 242, 244 Tiso, Jozef 48 Wagner, Richard 166, 324 Steinberg, Saul 129 Tito, Josip Broz 36 Walczok, Alda 118 Steinbichler, Kurt 88, 91, Togay, Can 263 Walczok, Hans 118 92, 260 Tolbuchin, Fjodor Iwano- Waldheim, Kurt 11, 24, 26, Steindling, Rudolfine 148 witsch 326 66, 68, 72, 220, 286, Steindl, Johann 92 Tončić-Sorinj, Lujo 320 287, 297, 312 Steiner, Eduard 132, 134, 135 Torberg, Friedrich 75 Waldmüller, Ferdinand Steiner, Gabor 135 Tóth, Barbara 287, 289 Georg 207 Steiner, Ludwig 20 Toynbee, Arnold 180 Waldner, Erhard 13 Steiner, Max 135 Traunwieser, Karoline 171 Wallenberg, Raoul 19, 258, Stein, Otto 301 Trebitsch, Arthur 111 265, 267

...... 361 Wallisch, Koloman 165 Winter, Alfred Hugo 132, Wallner, Johann 98 133, 134, 135 Walter, Bruno 75 Wirth, Christian 277 Walzer, Tina 71, 102 Wittgenstein, Ludwig 160, Wandruszka, Adam 226, 180, 238 239 Wlassow, Andrei 149 Wasserman, Janek 136, 152, Wobisch, Helmut 148 240 Wolf, Berta 110 Wastl, Herta 209 Wolf, Wilhelm 12, 81, 108, Weber, Anton 40 109, 110, 112, 113, 120, Weber, Fritz 82 122, 126, 129, 132, 217, Webern, Anton 153 231 Wegener, Alfred 210, 211, Woolf, Leonard 75 213, 214 Woolf, Virginia 75 Wegener, Käthe 213 Wotruba, Fritz 75 Wegener, Lotte 210, 213 Wozniczak, Isidor 308 Wegenstein, Willy O. 103 Wrabec, Wilhelm 259, 260 Weigel, Hans 52 Yorck von Wartenburg, Weiler, Max 200 Peter Graf 122 Weinberger, Lois 27, 28, Zamoyski, Adam 170 29, 30, 40, 45, 49, 56, Zeemann, Dorothea 313, 60, 200 315 Weinzierl, Erika 33, 78, Zeisel, Hans 72, 75 200, 214, 225 Zeiz, August Hermann Weiss, Elemer 91 (Georg Fraser) 51, 52, Weiss, Karl 212 59, 318 Weiss, Leopold 212 Zeiz, Gertrud 52 Weizsäcker, Richard von Zernatto, Guido 108 312 Zessner-Spitzenberg, Hans Welitsch, Ljuba 148 Karl 47 Welles, Orson 135 Zimmerer, Ludwig 331 Werfel, Franz 75, 149, 153 Zimmerman, Abraham 333 Wertheimer, Paul 111 Zimmerman, Betty 333 Wessely, Paula 88, 292 Zinner, Anna 90 Wetzler, Alfred 257 Zuckerkandl, Amalie 150 Wiener, Hugo 75 Zuckerkandl, Eleonore 150 Wiesenthal, Rosa 277 Zuckerkandl, Emil 150 Wiesenthal, Simon 138, Zuckerkandl-Szeps, Berta 277, 289 150 Wiesinger-Florian, Olga Zuckerkandl, Viktor 150 207 Zweig, Maximilian 90 Wilder, Billy 60, 75 Zweig, Stefan 75, 111, 160, Wildgans, Anton 323 170, 179, 182, 308 Wildt, Michael 125 Wimmer, Friedrich 108 Winkler, Günter 241

...... 362