Mein Grossvater Die Tragödie Der Juden Von Wien Peter Singer
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1 Mein Grossvater Die Tragödie der Juden von Wien Peter Singer Übersetzt aus dem Englischen von Wolfdietrich Müller Deutsche Übersetzung erstmals veröffentlicht: Europa Verlag, Hamburg, 2005 Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Übersetzers; nicht für kommerzielle Zwecke. Englisches Original: Pushing Time Away: My Grandfather and the Tragedy of Jewish Vienna Ecco, New York, 2003. 2 Inhalt Danksagung Teil I Prolog 1. Wien, heute und damals 2. In der Wohnung meiner Tante Teil II David und Amalie 3. „Eine Herzensbeziehung“ 4. „Zwischen uns sei Wahrheit“ 5. Die Verlobung 6. Brno 7. Das religiöse Problem 8. Der erotische Faktor 9. „Jene neuen, mühseligen Höhenwege“ 10. Heirat 11. Venezianische Betrachtungen Teil III In Freuds Kreis 12. Eine Einladung von Freud 13. Davids Wahl: Freud oder Adler 3 14. „Träume im Folklore“ 15. Psychologie, frei und individuell Teil IV Der Soldat 16. Die Ostfront 17. Die Isonzoschlachten Teil V Gelehrter und Lehrer 18. Die neue Republik 19. „Das Geheimnis der Menschenseele“ 20. Das Buch meines Großvaters 21. Unabhängigkeit 22. Lehrer der Menschlichkeit 23. Der weltliche Jude 24. Gleichheit der Geschlechter 25. Ferien und eine Hochzeit Teil VI Einer unter vielen 26. Das Ende Österreichs 27. Neues und altes Leben 28. Lockende Hoffnungen 4 29. „Am besten, im Lande zu bleiben“ 30. Gute Österreicher 31. Entsagen 32. In der Wohnung meiner Großeltern 33. Theresienstadt 34. Terezín Teil VII Epilog 35. Überleben 36. Ein gutes Leben? Quellennachweis 5 Danksagung Dieses Buch zieht die Arbeit Dr. Adolf Gaisbauers heran, der in Zusammenarbeit mit meiner Tante Doris Liffman eine redigierte Auswahl der Briefe veröffentlichte, die ihre Eltern (und meine Großeltern) zwischen 1938 und 1942 an ihre Kinder in Australien schrieben. Dr. Gaisbauer leitete die Briefe mit einer biographischen Skizze meines Großvaters ein, die sich wiederum auf Doris‘ Magisterarbeit über Leben und Zeit ihres Vaters stützte. Ich bin Dr. Gaisbauer für die großzügige Überlassung seines Materials sehr zu Dank verpflichtet. Sehr dankbar bin ich auch Doris und ihrem Sohn Michael Liffman, die mir freien Zugang zu der Fülle des Materials in ihrem Besitz erlaubt haben. Auch andere Familienangehörige haben ihren Beitrag geleistet. Meine Schwester Joan Dwyer erzählte mir ihre Erinnerungen an unsere Großmutter und half mir, Familienfotos und Dokumente zu finden. Die Neugier meiner Tochter Esther auf den Inhalt einer alten Kiste im Haus meiner Mutter führte zur Entdeckung des Briefs von Amalie, der ausführlich in Kapitel 33 zitiert wird. Die Nichten und der Neffe meiner Großeltern, Gerti Buchler, Alice Ritter und George Kunstadt, erzählten mir alles, woran sie sich erinnerten, und gaben mir Kopien von Briefen und Fotos in ihrem Besitz. Dank Elisabeth Markstein konnte ich mit ihrer Mutter Hilde Koplenig sprechen, die sich gut an die Begegnung mit meiner Mutter nach deren Rückkehr aus Theresienstadt erinnerte. Nava Kahana, die Tochter von Max Rudolfer, und ihre Tochter Smadar Shavit fanden einen aufschlußreichen Brief von meiner Großmutter. David Stern vermittelte mir den Kontakt zu seinem Vater Kurt Stern, der nicht nur meine Großeltern kannte, sondern sich auch an einen Besuch im Haus meiner Urgroßeltern erinnerte. Viele ehemalige Schüler meines Großvaters, erzählten mir von ihren Erfahrungen mit ihm als Lehrer: Livia Karwath, Walter Friedmann, Ellen Kemeny und Frank Klepner. In Wien sprach ich mit der besten Freundin meiner Mutter, Eva Berger (früher Hitschmann), und dem bemerkenswerten Albert Massiczek. Romana Jakubowicz hieß mich freundlich in der Wohnung meiner Großeltern willkommen, wo sie jetzt wohnt. Dank Google.com und mit etwas Glück konnte ich Kontakt zu Liz Tarlau Weingarten und Jill Tarlau aufnehmen, die mir 6 erzählten, was sie über die Freundin meiner Großmutter, ihre Großmutter Lise Tarlau, wußten. In tiefer Schuld stehe ich bei Hermann Vetter und Wendelin Fischer, die zusammen über 100 Briefe in der (wenigstens für mich) unentzifferbaren Handschrift meines Großvaters lasen und mir die Abschriften per E-Mail schickten. Besonders Hermann Vetter widmete sich unermüdlich dieser Arbeit und war auch äußerst hilfreich bei der Beantwortung der vielen Fragen, die ich zum Inhalt der Briefe hatte. Agata Sagans Glaube an den Wert dieses Projekts ermutigte mich immer dann, wenn ich mich fragte, ob es die Mühe wert sei, und sie fand Informationen über einige der dunkelsten Hinweise in den Briefen meines Großvaters. Hyun Höchsmann nahm Stellung zu einem Entwurf und half mir, einige der deutschen literarischen Quellen zu finden, auf die mein Großvater sich bezog. Helga Kuhse und Udo Schüklenk verdanke ich wertvolle Kommentare in einem frühen Stadium des Projekts. In österreichischen Gerichtsprotokollen fand Marianne Schulze für mich Dokumente über meine Familie, von deren Existenz ich nicht einmal gewußt hatte – und Dank auch an Dymia Schulze, die diese Suche in Gang brachte. John Oldham ließ mich das Manuskript einsehen, das meine Großvater mit Sigmund Freud schrieb. Clemens Ruthner und Reinhard Urbach lieferten Informationen über Otto Soykas Leben und Kommentare zu den frühen Briefen meines Großvaters. Bernhard Handlbauer beantwortete meine Fragen zu den Berichten über die Gründung des Vereins für Individualpsychologie. Die Unterstützung und Ratschläge von Kathy Robbins vom Robbins Office waren hervorragend. Dan Halpern und Julia Serebrinsky von Ecco waren ein wunderbares Verleger- Lektoren-Gespann. Kathy und Julia bearbeiteten mich, das ursprünglich viel längere Manuskript zu kürzen, eine schmerzliche Aufgabe, bei der, wie ich ungern einräume, ein besseres Buch herausgekommen ist. Adam Goldbergers Lektorat bereinigte viele unglückliche Ausdrücke und widersprüchliche Schreibungen. Ich begann die Arbeit an diesem Buch, als ich noch an der Monash University in Australien war. Dank gebührt Professor Marian Quartly, der Dekanin der philosophischen Fakultät, daß sie mich unbezahlten Urlaub nehmen ließ, um den ersten Entwurf fertigzustellen. Seit ich an 7 die Princeton University gekommen bin, hat meine Arbeit von den hervorragenden Mitteln zur Recherche und von hilfreichen Kommentaren in zwei Seminaren an der Universität profitiert. Dankbar bin ich Josh Ober vom altphilologischen Fachbereich, der ein Seminar ansetzte, in dem einige Briefe meines Großvaters über die antiken Ideen des Eros diskutiert wurden, und ich erhielt viele hilfreiche Anregungen. Bob Kastner am selben Fachbereich half freundlicherweise bei der Übersetzung eines lateinischen Zitats. Für Kommentare zu einem Referat, das die philosophische Frage aufwirft, mit der das Buch endet, nämlich über die Möglichkeit, einer Person zu nutzen, nachdem sie gestorben ist, danke ich dem Lehrkörper des University Center for Human Values und den Rockefeller-Stipendiaten des Centers 2001/02. Kim Girman, meine Assistentin in Princeton, war immer bereit, mir bei jeder Aufgabe, die ich ihr übertrug, zu helfen. Schließlich danke ich Renata, meiner Frau, für ihre Liebe und Kameradschaft während der langen Zeit, die es brauchte, um dieses Projekt zu verwirklichen. 8 „Was uns verbindet, der Zeit entrückt.“ David Oppenheim an Amalie Pollak, 24. März 1905 9 Teil I Prolog 10 1 Wien, heute und damals Januar 1997 Eisiger Nebel, der das Licht der Straßenlampen dämpft, hängt über Wien. Auf dem Boden liegt Schnee, und die nackten Äste der Bäume sind von Rauhreif überzogen. Ich gehe die Porzellangasse hinunter, eine breite Straße im 9. Bezirk von Wien. Es ist sieben Uhr abends. Die Straße ist still, denn die meisten Leute lassen ihren Wagen bei diesem Wetter lieber stehen. Es ist zu glatt. Die Straße ist von vier- oder fünfstöckigen Gebäuden gesäumt. Sie haben sich kaum verändert seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als Wien eine der bedeutenden Städte auf der Welt war, die Hauptstadt des Kaiserreichs Österreich-Ungarn. Dieses Reich war eine Großmacht, die in Europa über ein Territorium herrschte, das an Ausdehnung nur von Rußland übertroffen wurde. Es erstreckte sich nach Nordosten bis in die heutige Ukraine, nach Norden über die heutige Tschechische und die Slowakische Republik und nach Südosten über Ungarn, Slowenien, Kroatien und Bosnien bis zur schicksalsträchtigen Stadt Sarajewo. Damals lebten alle meine Großeltern in dieser Stadt. Ich lernte nur die Mutter meiner Mutter kennen, Amalie Oppenheim, die einzige Überlebende der Tragödie, die nach der Annexion Österreichs durch die Nazis über die Juden kam. Aber heute abend werde ich die Zeit wegschieben, die seit dieser Katastrophe vergangen ist, um einen anderen Vorfahren kennenzulernen. Im Rucksack trage ich einen Stapel Papiere – sie müssen etwa 15 Pfund wiegen – vom Vater meiner Mutter, David Oppenheim, und über ihn. Diese Fundgrube für die Familiengeschichte enthält über 100 Briefe, die meine Großeltern an meine Eltern Kora und Ernst Singer und an die Schwester meiner Mutter, damals Doris Oppenheim, schrieben, nachdem sie 1938 nach Australien emigriert waren. Ich habe sie gerade bei Dr. Adolf Gaisbauer abgeholt, dem Direktor der Bibliothek des Österreichischen Staatsarchivs, der letztes Jahr einige davon in einem Buch mit dem Titel David Ernst 11 Oppenheim: Von Eurem treuen Vater David veröffentlichte. Der Untertitel bezieht sich auf die Formel, mit der mein Großvater seine Briefe schloß. Obwohl ich seit langem von der Existenz der Briefe wußte, die Doris und meine Mutter sorgfältig aufbewahrten, hatte ich sie nie gelesen. Ich kann Deutsch lesen, aber die Handschrift meines Großvaters war schwer zu entziffern, und daß oft beide Seiten sehr