Lektüren Des Barock in Der Zwischenkriegszeit Die Barockrezeption in Werken Walter Benjamins, Bertolt Brechts Und Alfred Döblins Der 1920Er Und 1930Er Jahre

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Lektüren Des Barock in Der Zwischenkriegszeit Die Barockrezeption in Werken Walter Benjamins, Bertolt Brechts Und Alfred Döblins Der 1920Er Und 1930Er Jahre Corso di Dottorato di ricerca in Lingue, culture e società e Scienze del linguaggio ciclo 32° Tesi di Ricerca Lektüren des Barock in der Zwischenkriegszeit Die Barockrezeption in Werken Walter Benjamins, Bertolt Brechts und Alfred Döblins der 1920er und 1930er Jahre SSD: L-LIN/13 Coordinatore del Dottorato Ch. Prof. Enric Bou Maqueda Supervisore Ch.ma Prof.ssa Andreina Lavagetto Dottorando Giulia Frare Matricola 827104 „Geht man also, wenn man an Gedichte denkt, geht man mit Gedichten solche Wege? Sind diese Wege nur Um-Wege, Umwege von dir zu dir? Aber es sind ja zugleich auch, unter wie vielen anderen Wegen, Wege, auf denen die Sprache stimmhaft wird, es sind Begegnungen, Wege einer Stimme zu einem wahrnehmenden Du, kreatürliche Wege, Daseinsentwürfe vielleicht, ein Sich-vorausschicken zu sich selbst, auf der Suche nach sich selbst... Eine Art Heimkehr.“ Paul Celan, Der Meridian Inhalt Einleitung 5 1. Das Zeitalter des Barock und die Barockrezeption im 20. Jahrhundert 12 1.1 Der europäische Barock 12 1.1.1 Der Barock als Epoche der Widersprüche 13 1.1.2 Barock und Aufklärung: ein Paradigmenwechsel 15 1.2 Die Barockrezeption im 20. Jahrhundert 18 1.2.1 Der Barockbegriff in der Literatur 19 1.2.2 Die Verwandtschaft der Frühen Neuzeit mit dem 20. Jahrhundert 20 2. Walter Benjamin 25 2.1 Sprache und Ästhetik 28 2.1.1 Benjamins Sprachphilosophie 29 2.1.2 Die Allegorie 35 2.1.3 Die Melancholie als künstlerische Triebfeder 40 2.2 Geschichte und Politik 46 2.2.1 Benjamins messianisches Denken 46 2.2.2 Geschichte und Natur 50 2.2.3 Der Souverän als Kreatur 54 2.2.4 Eine alternative Geschichtsschreibung 60 3. Barock und Moderne 64 3.1 Allegorie und Montage 64 3.2 Für eine „Ästhetik der Unterbrechung“: vom barocken Trauerspiel zu Brechts epischem Theater 71 3.2.1 Die Grundsätze von Brechts Theatertheorie 72 3.2.2 Der Gestus 77 3.2.3 Das epische Theater und das barocke Trauerspiel 81 4. Bertolt Brecht 89 4.1 Brechts frühneuzeitliche Quellen 92 4.1.1 Baltasar Gracián 93 4.1.2 Abraham a Sancta Clara 95 4.1.3 Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen 97 4.2 Die Barockrezeption in Brechts Werk 103 3 4.2.1 Die sieben Todsünden der Kleinbürger 103 4.2.1.1 Die emblematische Struktur 105 4.2.1.2 Kritik an der kapitalistischen Welt 106 4.2.2 Mutter Courage und ihre Kinder 108 4.2.2.1 Brechts Auseinandersetzung mit Grimmelshausen 109 4.2.2.2 Krieg und Geschäft 112 4.2.2.3 Die Schlauheit als Überlebensstrategie 115 4.2.2.4 Mutter Courage und Kattrin 117 5. Alfred Döblin 121 5.1 Der epische Roman und seine Muster 122 5.2 Döblins Auseinandersetzung mit dem Barock 131 5.2.1 Döblins Quellen: einige Beobachtungen 131 5.2.2 Das Bild der Frühen Neuzeit in Döblins theoretischen Schriften 136 5.2.3 Wallenstein 140 5.2.3.1 Der Stil des Wallenstein und die zeitgenössische Rezeption des Werks 143 5.2.3.2 Die Figur des Souveräns 147 5.2.3.3 Menschliche Kreatürlichkeit und tierische Natur 155 5.2.3.4 Natur und Geschichte 160 5.2.4 Berlin Alexanderplatz 164 5.2.4.1 Der epische Roman und der Schelmenroman 165 5.2.4.2 Tod und Schicksal im Großstadtepos 170 5.2.4.3 Das Ende des untragischen Helden 171 6. Schlussbemerkungen 173 Dankesworte 176 Bibliographie 178 a) Primärliteratur 178 Frühneuzeitliche Quellen 179 Weitere Texte und Quellen 180 b) Forschungsliteratur 182 Studien zur Frühen Neuzeit und zur Barockrezeption 182 Studien zu Walter Benjamin 185 Studien zu Bertolt Brecht 188 Studien zu Alfred Döblin 190 Sonstige Sekundärliteratur 193 4 Einleitung Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts gehören zu den lebhaftesten und vielfältigsten Epochen der deutschsprachigen Literatur: Tendenzen, die sich in offensichtlicher Kontinuität mit der Tradition entwickeln, koexistieren mit zahlreichen experimentellen Strömungen, die sich aus den Neuentdeckungen im Gebiet der Wissenschaften und der Psychoanalyse sowie aus den kritischen Überlegungen im Rahmen der Philosophie, der Geschichtstheorie, der Wirtschaft und der Sprachwissenschaft speisen. Es genügt, an die Struktur der Romane eines Thomas Mann zu denken, in denen der Einfluss der Literatur des 19. Jahrhunderts noch deutlich spürbar ist, oder an die elitäre Kunstauffassung des George-Kreises auf der einen Seite, und an Avantgarden wie den Expressionismus und die Neue Sachlichkeit auf der anderen Seite, um die Komplexität des literarischen Panoramas jener Zeit zu erfassen. Besonders die historischen und politischen Wechselfälle beeinflussen in der Klassischen Moderne die Entwicklung der Künste maßgebend: Epochale Ereignisse wie der Erste Weltkrieg, die Novemberrevolution, die Weimarer Republik und – später – die Machtergreifung der Nationalsozialisten und der Zweite Weltkrieg sind nicht einfach als Rahmenbedingungen des Kunstschaffens zu betrachten: Sie stellen erst die historische und soziopolitische Überlegung in den Mittelpunkt des literarischen Diskurses und fordern die Autoren – auch diejenigen, die sich als „unpolitisch“ bezeichnen – zu einer eindeutigen Stellungnahme auf. Beispiele dafür sind der Dadaismus im Ersten Weltkrieg sowie die Autoren der Konservativen Revolution und die der Gruppe 1925 in der Zeit der Weimarer Republik. Auch der rasche Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozess der Jahrhundertwende sowie der darauffolgende Wandel der Gesellschaft in eine Massengesellschaft hinterlassen in der Literatur und in den sozialphilosophischen Schriften des 20. Jahrhunderts eine sichtbare Spur. Die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Umwandlungen anfangs des 20. Jahrhunderts scheinen die geistigen Errungenschaften der abendländischen Kultur seit der Aufklärung und den Optimismus dem menschlichen Erkenntnisvermögen gegenüber infrage zu stellen: Das Misstrauen gegenüber dem positivistischen Wissen und der Rationalität, die die Katastrophe des Kriegs nicht verhindern konnten und nun in einer veränderten Welt keinen Anhaltspunkt mehr bieten, tragen zu dem Bedürfnis bei, nach anderen Denkmustern zu suchen. In diesem soziokulturellen Zusammenhang findet die Wiederentdeckung des Barock einen geeigneten Nährboden. Die Frühe Neuzeit, deren Werte und Überzeugungen weder nach dem 5 Kriterium der Vernunft noch nach demjenigen des Gefühls einzuschätzen sind, spricht in erster Linie jene Denker an, die ihre Theorien in einer post-positivistischen und post-romantischen Zeit zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und Poesie ansiedeln. Hiermit sind vor allem Schriftsteller und Literaturwissenschaftler gemeint, die auf irgendeine Weise mit dem George- Kreis verbunden sind; diese entfernen sich von der positivistischen Lehre des 19. Jahrhunderts und beabsichtigen ein neues literarisches und literaturwissenschaftliches Modell aufzustellen, das sich auf das Einfühlungsvermögen des Schriftstellers stützt sowie auf dessen Fähigkeit, Verbindungen unter den verschiedenen Themen und Fächern zu etablieren. Nicht ohne Grund wenden Intellektuelle wie Friedrich Gundolf, Benno von Wiese und Richard Alewyn ihr Interesse den barocken Autoren zu: Sie edieren frühneuzeitliche Werke, entdecken unbekannte Autoren wie etwa Johannes Beer und stellen durch ihre Studien zum Barock unumgängliche Bezugspunkte für die Forschung zur Literatur des 17. Jahrhunderts dar. Diese Intellektuellen sind aber nicht die einzigen, die der Faszination der damals noch verhältnismäßig wenig erforschten Kultur der deutschen Frühen Neuzeit erliegen. Über den rein ästhetischen Bereich hinaus lässt sich die Lehre der deutschen Mystiker des 17. Jahrhunderts in den anarchistischen Theorien Ende der 1910er Jahre ausmachen. Gustav Landauer beschäftigt sich zum Beispiel mit den Schriften Jakob Böhmes und Angelus Silesiusʼ – neben denjenigen des mittelalterlichen Theologen Meister Eckhart. Die Wiederentdeckung des Barock ist nicht ausschließlich auf ein rein philosophisches und literaturtheoretisches Interesse zurückzuführen, sie hat auch mit der erwähnten besonderen historischen Konjunktur im 20. Jahrhundert zu tun: In den geschichtlichen Verwirrungen des „kurzen Jahrhunderts“ wird die Zeit des ersten großen deutschen Kriegs – des Dreißigjährigen Kriegs – als eine „verwandte Epoche“ wahrgenommen, die die Armut, das Misstrauen gegenüber dem Fortschritt der Menschheitsgeschichte und das allgemeine Gefühl der Orientierungslosigkeit mit der späteren gemeinsam hat. Die Motive der Weltklage und der Endzeiterwartung, sowie die mystisch-religiöse Eingebung, die die Literatur der Frühen Neuzeit kennzeichnen, müssen den Menschen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht fremd erschienen sein1 und klingen – wie die Literaturwissenschaft bereits betont hat2 – in den apokalyptischen Szenen einiger expressionistischer Werke an (man denke beispielsweise an die Gedichte Georg Heyms und an Alfred Kubins Roman Die andere Seite). 1 Vgl. R. Alewyn, „Vorwort“, in. ders. (Hrsg.), Deutsche Barockrezeption. Dokumentation einer Epoche, Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin 1965, S. 10. 2 Vgl. G. Luther, Barocker Expressionismus? Zur Problematik der Beziehung zwischen der Bildlichkeit expressionistischer und barocker Lyrik, Mouton, Den Haag-Paris 1969. 6 Die vorliegende Dissertation setzt sich zum Ziel, einen bisher wenig berücksichtigten Aspekt der Barockrezeption im 20. Jahrhundert zu erforschen, und zwar die Relektüre des Barock vonseiten avantgardistischer Autoren und Kunstphilosophen. Die Forschungsliteratur, die sich in den letzten Jahrzehnten mit der Barockrezeption zu Beginn des 20. Jahrhunderts befasst hat, hat sich hauptsächlich in zwei Richtungen entwickelt: Auf der einen Seite sind die Editionsgeschichte barocker Werke sowie der Publikationsverlauf wissenschaftlicher Studien
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