Vom Verlagshaus Römerweg, dem Dach der schönen Bücher: Das gemeinsame Journal von Berlin University Press, corso, Edition Erdmann, Edition Faust, marix, Waldemar Kramer und Weimarer Verlagsgesellschaft. 2/2015 exLibris

Die Entdeckung eines verkannten Sohnes Was wollte Marlene D. in Weimar? Alle Götter und Teufel sind in uns Sie lieben historische Romane und Sachbücher? Was das Meer erst richtig spannend macht Abschied und Hoffnung Venedig, Geliebte des Auges Mein Herz, mein Löwe Die »Marquise von O....« Monika Reichert bittet zu Tisch Klassisch Modern Was wissen wir von den Russen?

Ferner schönste Geschenkbücher, 2/2015 marix. und Kramer Waldemar Verlagsgesellschaft, Weimarer Faust, Edition Erdmann, Edition Press, Berlin University corso, von Journal gemeinsame : Das fernöstliche Weisheiten, ungewöhnliche Literaturen,

exLibris Lustbarkeiten und Narreteien. »Wir brauchen Bücher, »Es ist ein rechter Katzenjammer, die wie Schneisen durch die Wälder der wenn alles für die Katz ist – Informationen führen, die Orientierung für unser Handeln bieten – und nichts für die Katze.« FRITZ-J. SCHAARSCHUH dabei leicht sind, lesbar und sprachlich an­ in neuer Gestaltung zu feiern und wieder Von wegen Katzenjammer: sprechend.« So formulierte der Gründer der zugänglich zu machen. Und wie es darüber Vielen Dank, liebe Leserinnen und Leser, Autoren, Buchhändlerinnen Berlin University Press, Gottfried Honnefelder, ­hinaus weiter geht? und Buchhändler und Medienkollegen, für Ihre Reaktionen auf die den Kern des selbst auferlegten Anspruches. Lesen Sie Jürgen Mittelstraß’ Betrachtungen erste exLibris – Reaktionen, die uns geradezu genötigt haben, Wir freuen uns diesen Weg fortzusetzen. über die Beziehung zwischen Philosophie und doch schon jetzt, im Frühjahr, die zweite Ausgabe des Magazins aus dem Verlagshaus Römerweg zu bringen. Jetzt liegt in der vierten Auflage Gottfried Wissenschaft in »Der Philosophische Blick« Boehms wegweisendes Werk »Wie Bilder Sinn und zur Frage der Individualität des modernen Abermals bieten wir Ihnen einen Überblick über das, was wir tun, erzeugen« vor, bereits in dritte Auflage gehen Menschen zwischen Selbst- und Fremdbestim- präsentieren schöne Bücher aus sieben Verlagen, Bücher, die wir Viktor Mayer-Schönbergers »Die Tugend mung »Wer lebt mich« von Lars Charbonnier Ihnen vor allem mit Leseproben vorstellen. des Vergessens in digitalen Zeiten«, Michael und Wilhelm Gräb. Wir bieten Ihnen Ausflüge, Exkursionen, Reisen. In die großen Sandels »Plädoyer gegen die Perfektion« und Welten von Literatur, Philosophie, Geschichte und Zeitgeschichte, José Casanovas »Europas Angst vor der Reli- von Kartographie und Naturwissenschaft – Romane und Erzäh- gion«. Dietrich Fischer-Dieskau stellt sich dazu lungen, Reisebeschreibungen und Biographien, Gedichte und mit »Jupiter und Ich«, seinen Erinnerungen an Essays, Sachbücher und aufwändige Bildbände. Furtwängler und seinem wohl besten Buch, wie die Presse lobte. Damit haben wir Bücher, Wir freuen uns, wenn Sie durch die nächsten 79 Seiten flanieren, die Meilensteine des verständlichen Wissens denn alle unsere Bücher werden sorgfältig ediert und lektoriert, geworden sind – und Grund genug, diese liebevoll gestaltet und produziert: Wir glauben an die Einheit aus Sinn und Form – daran, dass Qualität niemals für die Katz ist.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Lothar Wekel

Übrigens: Unser neues Katzenbuch finden Sie auf Seite 24.

P. S.: Sie finden uns natürlich auch online: unter www.verlagshaus-roemerweg.de ebenso wie bei Facebook und anderswo. 4. Aufl age 3. durchgesehene Auflage 3. Auflage mit neuem Vorwort 3. Auflage Und selbstverständlich halten wir unsere schönen Bücher nicht nur gedruckt für Sie bereit – 284 Seiten, mit 120 teilweise Aus dem Amerikanischen Deutsch von Rolf Schieder Mit einem Vorwort von unser breites Angebot an eBooks finden Sie ebenfalls im Internet. farbigen Abbildungen, von Andrea Kamphuis ca. 134 Seiten, Jürgen Habermas gebunden mit 264 Seiten, gebunden mit Aus dem Amerikanischen P. P. S.: Damit wir das nächste exLibris noch besser machen können, lade ich Sie gerne ein: Schutzumschlag, gebunden mit Schutzumschlag, € von Rudolf Teuwsen Schreiben Sie mir eine Mail mit Wünschen und Anregungen: 30 Euro Schutzumschlag, € 20 Euro 176 Seiten, gebunden [email protected] 20 Euro mit Schutzumschlag, € 20 Euro

»Wenn ich mich schlecht fühle, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler.« Woody Allen

Herzlich willkommen in der zweiten exLibris.

4 Die Entdeckung eines unterschätzten Sohnes 28 Erzähltes Leben, spannende Geschichten 52 Ein paar Tricks, recht zu behalten Ein großer Maler der deutschen Renaissance Hessen in seiner Literatur Arthur Schopenhauer weiß Rat feiert 500. Geburtstag: Lucas Cranach d. J. 31 Spuren der Erinnerung 53 Unser Sein ist ohne Grenzen 6 Klassik, Bauhaus, Weltkultur: Weimar – Ralph Waldo Emerson über Selbständigkeit und was Marlene Dietrich dort wollte 32 Mein Herz, mein Löwe Ricarda Huch – ihr Leben, ihr Werk 54 Die Edition Erdmann, 7 »Alle Götter und Teufel sind in uns selbst«: Bibliothek der Entdecker Neue Hesse-Lectures 34 Unrecht Sklaverei – gestern und heute mit John Wesley Powell, Johannes marix Gebunden mit Schutzumschlag, Martin Schneider über eine Fessel der Menschheit von Plano Carpini, George Vancouver, 304 Seiten, 15 Euro 10 Reisen in die Geschichte: Álvar Núñez Cabeza de Vaca Der Historische Weltatlas 36 Paul Klee, Johannes Itten, Oskar Schlemmer, Lyonel Feininger und ein großes Handbuch: 65 Die Kraft der Musik 12 Was das Meer erst richtig spannend macht Das Bauhaus in Weimar Dietrich Fischer-Dieskau, Elke Heidenreich, Ebba D. Drolshagen über Exzentriker der Georges Yammine und Daniel Barenboim Ozeane und ihre Abenteuer 38 In einem alten Auto über eine Straße der Erinnerung von Paris ans Mittelmeer 66 Es jagt die grimmige Windsbraut durch die »Mir fällt zu Hitler nichts ein.« Mit die- 14 Abschied und Hoffnung anbrechende Nacht – Leonhard Fuest im sem lapidaren Satz leitet Karl Kraus Edmondo De Amicis berührt mit seinem 40 »Hier sind Comic-Überzeugungstäter »Harz der Finsternis« seine im Jahr der »Machtergreifung« neuen Buch über Auswanderer, Erri de Luca am Werk, deren Mut man gern belohnt sähe«: verfasste, sprachlich brillante und sati- ist wütend über die Gegenwart: Die »Marquise von O....« 68 »Physis rammt Skepsis« rische Analyse der Nazi-Herrschaft »Auf dem Meer« als berauschende Graphic Novel Menschliche Gewalt in den bösen ein. Kraus hat den Charakter des Regi- Bildern von Volker Reiche mes bereits 1933 präzise erfasst und 17 Der Lockruf des Orients: Fernweh 43 Fernöstliche Weisheiten seine Folgen erschreckend genau vor- und Ägyptomanie 70 »Wir bieten Leben.« weggenommen. Er straft damit all je­ 44 Geschichte ist heute Freunde im Geiste: ne Lügen, die sich darauf beriefen, sie 18 Dumme Luder, tote Kiesel Die Buchhandlung Christiansen Die große Meyrink-Edition Venedig, Geliebte des Auges hätten es nicht gewusst. Und er entlarvt 46 Elke Heidenreich, Petra Reski, Harald Martenstein, KlassischModern so manche geistigen Wegbereiter, die 72 22 Kuttel Daddeldu: Eva Demski, Otto Jägersberg, Horst Günther Besondere Wohnwelten hinterher wieder Ansehen genossen: Ringelnatz, oh Ringelnatz! und andere Preziosen und andere über die Stadt der Städte Martin Heidegger, , 74 »Man geniert sich direkt vor sich selber« Oswald Spengler … 24 Die Dame mit der gestreiften Katze 50 Wo John Cage und , Peter Altenberg, präsentiert von Karl Kraus Vor allem aber erkennt Kraus sehr ge- und des Herzens Mitte – das Katzenbuch und Urs Widmer, nau, dass die entfesselte Barbarei kein und Friederike Mayröcker Gäste waren: 75 Die Schlange schläft auf halbem Auge Rückfall hinter die Moderne ist, son- 26 Ehe der Mond aus den Tälern steigt Monika Reichert bittet zu Tisch Der Kleine Prinz, neu übersetzt, dern deren dunkle Kehrseite. Wie kein Mowgli, Balu und ihre Freunde: fein gestaltet anderer stellt Kraus uns daher vor die »Das Dschungelbuch« in schöner Ausstattung 50 Dieter Henrich macht sich beunruhigende Frage, ob Hitler nicht sterbliche Gedanken 78 Das erste Buch, das hinter den »die Schatten künftiger Möglichkeiten« 27 Das Land, das ferne leuchtet: Die Insel neuen Vorhang blickt: (Carl Amery) vorauswirft. Das große Lesebuch über eine ewige Sehnsucht 51 Die Hoffnung ist eine große Verfälscherin Was wissen wir von den Russen? Baltasar Graciáns »Weltorakel« 4 |5 LUCAS CRANACH, DER JÜNGERE Kunst! Ein großer Künstler ist zu entdecken, ein so lang unterschätzter Sohn – 500. Geburtstag von Lucas Cranach d. J.

Viel zu lang stand Lucas Cranach der Jüngere (geboren 1515 in Witten- berg, 1586 auch dort gestorben) im Schatten seines Vaters, Lucas Cra- nach des Älteren – ein Sohn, dessen Werk im Kosmos der Renaissance lange nicht gewürdigt wurde. Doch durch moderne Forschungen sind ihm nun Werke zugeschrieben, die Lucas d. J. unter den deutschen Por­ trätisten der Spätrenaissance und des Manierismus heute seine verdien- te hervorragende Rolle geben. Doch war Lucas d. J. nicht nur ein bedeutender Maler – er war auch Unternehmer und Politiker. Diese kompakte Biographie zeichnet – vor dem Hintergrund des be- wegten 16. Jahrhunderts – seine wichtigen Lebensstationen, präsentiert seine prachtvollen Bilder und bietet eine Entdeckungsreise zu den wich- tigen Orten und Stätten, die sein Werk erlebbar machen.

BARBARA BECK studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Volkskunde in Augsburg und München. Nach mehrjähri- ger Tätigkeit vor allem im kulturhistorischen Ausstellungsbe- reich (u. a. für das Haus der Bayerischen Geschichte und die Bayerische Schlösserverwaltung) arbeitet sie heute als freie Sachbuchautorin. Sie veröffentlichte zahlreiche Bü- cher und Beiträge zu historischen und kunsthistorischen Themen.

Wege zu Cranach 2015: Zwölf Städte in Bayern, Thürin- gen, Sachsen und Sachsen-Anhalt laden ein, das Werk Lucas Cranach d. J. eingehend kennenzulernen. Überall wird sein 500. Geburtstag mit großen Ausstellungen ge- feiert. 26. Juni bis 1. November 2015, Landesausstellung Sach - sen-Anhalt: Mit der Landesausstellung »Cranach der Jün- gere 2015« feiert das Ursprungsland der Reformation den 500. Geburtstag von Lucas Cranach d. J. Es ist die erste Ausstellung, die sich dem Leben und Wirken des Meisters widmet. An originalen Schauplät- zen – in der Lutherstadt Wittenberg, in Dessau und in Weimarer Verlagsgesellschaft Wörlitz – präsentiert sie die wichtigsten und wertvollsten Französische Broschur, Kunstwerke der deutschen Renaissance. 144 Seiten, 14,90 Euro

Lucas Cranach d. J.: Epitaph für Joachim von Anhalt in Dessau, gemalt 1565; der rechts stehende Mundschenk wird als Selbstbildnis des Malers gedeutet. 6 |7 Was wollte marlene D. in w. ? Hesse-Lectures

»Hermann Hesse macht uns Mut, unsere Veranlagungen und Begabungen, die uns von den Mitmenschen unterscheiden, nicht als normwidrige Marotten wahrzunehmen und irgendeinem Durchschnitt anzupassen, sondern sie als Chance zu einem eigenständigen Leben zu begreifen und zu verwirklichen.« VOLKER MICHELS

Klassik, Bauhaus, Weltkultur – Weimar.

Manches weiß man, vieles nicht: Dass Goethe und Schiller dort waren, nun gut, Wieland, Herder, Liszt und Wagner, Gropius und van de Velde. Aber dass Marlene Dietrich dort von 1918 bis 1921 eine Ausbildung zur Konzertgeigerin begann, dass sich Kafka, Rilke und viele andere in dieser einmaligen deutschen ­Kulturstadt länger aufhielten oder lebten – davon erzählt dieses handliche Nachschlagewerk, profund, unterhalt- sam, mit vielen Abbildungen.

ULRICH VÖLKEL, geb. 1940 in Plauen, lebt seit 2001 in Weimar und ist als Schriftsteller, Lektor und Herausgeber tätig. 1993 gründete er den RhinoVerlag, den er bis 2003 führte. In der Weimarer Verlags ­ Weimarer Verlagsgesellschaft gesellschaft erschienen von ihm u. a. einige Anthologien und 2014 Gebunden mit Schutzumschlag, ca. 300 Seiten, 28 Euro der Krimi »Die entlaufene Leiche vom Zeughof«. 8 | 9 HESSE-LEctures »Ich glaube auch, dass wir, »Alle Götter und die wir seelische Ähnlichkeiten Teufel sind in uns selbst.« in uns führen, einander nicht it seiner Sicht der Dinge ist Hesse in die große, wenn auch un- Msichtbare Gemeinschaft jener Menschen eingetreten, die das Re- fremd bleiben dürfen.« gionale und Dogmatische überwunden haben und stattdessen mit den kosmopolitischen Geistern aller Zeiten, Nationen und Sprachen über- einstimmen. In allen Sprachen und Nationen sind mittlerweile auch STEFAN ZWEIG an HERMANN HESSE seine Bücher verbreitet. Seine Toleranz, sein Widerstand gegen die politischen und ideologischen Patentrezepte sind nicht die einzigen Gründe dafür. Auch das scheinbare Paradox, dass er moderne Inhalte, statt durch neue, experimentelle Ausdrucksformen, auf traditionelle und somit verständliche Weise darzustellen bemüht ist, spielt dabei eine Rolle. Vor allem aber ist es die unter Künstlern keineswegs selbst- verständliche Übereinstimmung von Ethik und Ästhetik, der seine Schriften ihre Anziehungskraft verdanken. Denn Denken und Han- deln, Erforschen der Innenwelt und Bewährung in der Außenwelt des Gesellschaftlichen, Politischen und Mitmenschlichen waren für ihn nicht voneinander zu trennen. Weil dies unter unseren Intellektuellen so selten ist, weil es ihnen die höchst unbequeme und karrieregefähr- dende Übereinstimmung von rationalem Niveau und menschlicher In- Edition Faust 32 Seiten, broschiert, tegrität abverlangt, stehen Autoren wie Hermann Hesse nicht sonder- 10 Euro lich hoch im Kurs unter den Machthabern unseres Kulturbetriebs, die eher das Gewagte, Verschlüsselte und Interpretierbare bevorzugen, als sich auf unmissverständliche Inhalte einzulassen. Wegen nichts wurde dieser Dichter hierzulande im Verlauf der letzten fünfzig Jahre so oft angegriffen wie wegen seiner angeblich weltflüchtigen »Innerlichkeit«. Der Appell an das Gewissen oder der »Weg nach innen«, wie er eines seiner Gedichte überschrieben hat, ist aber genau das, was unserem Trend auf die Überholspur und unserer Flucht in die Reizüber­flutung widerspricht.

»Die Tat beginnt immer mit dem Traum.«

olker Michels ist auch Herausgeber eines Essaybandes und einer V Bildbiografie von und über Stefan Zweig. Er kann in den fünf Bei- trägen dieses Buches auf bisher kaum bekanntes Quellenmaterial­ zu- rückgreifen. Anhand Zweigs Briefwechsel mit dem Insel Verlag, der sein Werk mehr als 30 Jahre lang betreut hat, und der Korrespon- denzen mit Romain Rolland, seinem amerikanischen Verleger Ben Huebsch, Hermann Hesse und vielen anderen wird sein Schicksal im Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit einer bisher seltenen Anschaulichkeit sichtbar. Die Manöver der Reichsschrifttumskammer und Zweigs vorausblickende Maßnahmen, diese zu unterlaufen, sei- ne vergeblichen Versuche, eine Aktionsgemeinschaft aller emigrierten Künstlerkollegen herbeizuführen, sowie die Gründe für seinen Suizid kommen hier ebenso zu Wort wie die Ursachen für die Indifferenz des Edition Faust deutschen Kulturbetriebs gegenüber einem Autor, der in aller Welt 140 Seiten, broschiert,

16 Euro einflussreicher ist als in seinem eigenen Sprachgebiet. Seiten,32 broschiert, Euro 9,80 40 Seiten, broschiert, Euro 10 Seiten,96 Broschiert, Euro 12 Die welt ist gross Einfach ein tolles »Eine Karte er- Buch. schließt und schafft Bedeutung, sie ist ein Brückenschlag zwischen hier und dort.« REIF LARSEN

Sie lesen gern historische Romane und Sachbücher? Interessieren sich für Geschichte und Zeitgeschich- te. Dann legen wir Ihnen den Historischen Weltatlas vor die Augen und ans Herz. Das Durchblättern seiner Seiten ist schon Vergnügen an sich, zeigt er doch die weltgeschichtlichen Zu- sammenhänge von den Anfängen der Menschheit bis zur Gegenwart. Er wird beim Lesen jedes geschichtlichen Textes als CORSO Hardcover mit Schutzumschlag, Nachschlagewerk wertvolle Dienste leisten und sei- Fadenheftung, 144 Seiten, ner selbst wegen zum Schmökern einladen. farbige Vorsätze, 19,90 Euro Mit vielen Karten zur Geschichte des Altertums und des Mittelalters sowie politischen Karten zur Ge- Es treten auf: Alexander der Große schichte der Neuzeit und Zeitgeschichte; und sein Nacktphilosoph, der To- Themenkarten zur Geschichte der Staaten und Kul- desprediger Hegesias, der als wei- turen und zur historisch-politischen Entwicklung so- ser König Salomo zum Bibel-Autor wie zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; wird; König Midas und der trunk- weltgeschichtliche Themenkarten zur modernen Ge- süchtige Waldgott Silen als Duo Infernale; Gott selbst in Teufels­ schichte der außereuropäischen Räume, und einem bekleidung und Krates und Hip­ Staatsverzeichnis und umfangreichem Register. parchia in ungewöhnlichem Liebes­ akt. Mit diesen Erzählungen von Lud- ger Lütkehaus tauchen wir ein in antike, asiatische, biblische Gefil- de. Die Gewandtheit der Sprache, die liebevolle Ironie und Heiterkeit lassen diese Erzählungen klingen wie geraunte Geschichten, denen wir bis zu ihrem Ende lauschen, wo sich neue Horizonte eröffnen. Geschichte als große Erzählung: Es ist ein Vergnügen, mit dem Kopf in den antiken Orient, nach Indien und Hellas zu reisen – und Ludger Lütkehaus und seine Bildhaftig- marix keit machen es leicht, dort anzu- Gebunden, 240 Seiten, 17,5 x 26 cm,€ kommen, in der fernen Fremde. 12,99 Euro 12 |13 Wie man Sich allein auf see einen Zahn zieht

Ebba D. Drolshagen Was das Meer erst richtig spannend macht

Einer baut ein Ei aus Stahl und sticht in See. Wie ein Korken auf dem Wasser Leider existiert keine Beschreibung, wie die Kajüte te und torkelte. Sie tauchte unter – samt Mannschaft, Andere rudern in offenen Booten tausende von bei dieser Jungfernfahrt aussah.­ Natürlich gab es eine Petroleumkocher, der einzigen Lampe und, ja, auch Seemeilen. Jene konstruieren einen Bootballon, nser Held heißt Ole Martin Brude. Er kam 1880 Kochstelle und einen Tisch mit Sitzbänken, in denen der Toilette, die nur durch einen Vorhang abgetrennt Uin Ålesund zur Welt, einem Fischereihafen an sich unter Klappdeckeln vier Schlafplätze verbargen. war. Aber sie tauchte immer wieder auf, kenterte nicht, der nicht weiß, wo oben und wo unten ist. Ein der norwegischen Westküste, und wurde, wie an je- Die Proviantliste um­fasste »für 4 Männer für 6 Mte.« schwamm nie kiel­oben, sank nicht. Brude behauptete anderer schraubt einen Schwimmwagen zu- nem Ort und zu jener Zeit üblich, als Sechzehnjähri- etwas über fünfzig Posten, darunter 416 Kilo Brot, später, die Schiffsbewegungen seien so geschmeidig sammen, in dessen duschgroßem »Wohnraum« ger Schiffsjunge. Zwei Jahre später geriet sein Schiff 25 Kilo Mehl, 350 Kilo Kartoffeln, 100 Kilo Butter, gewesen, »dass ein Glas Wasser, ohne umzufallen oder es ständig nach Diesel stinkt. Ein anderer wie- bei Neufundland in einen Sturm, es drohte zu sin- 50 Kilo Zucker und 5 Kilo Ka­kao, außerdem Petro- etwas von seinem Inhalte zu vergießen, auf dem Tische derum schleppt seinen Kahn durch Dschungel ken, und das hölzerne Rettungsboot zerschellte am leum »zur Beleuchtung und zur Füllung des Koch­­ stehen konnte«. Schiffsrumpf. Wäre das Schiff wirklich untergegan- apparats«. In Tanks wurden 2.000 Liter Süßwasser Am 15. November, nach fast neunzig Tagen, erreich- und Monsune. Und Widrigkeiten wie Stürme, gen, hätte sich die Mannschaft nicht retten können. mitgeführt, bei ruhi­gem Wet­ter sammelte ein Trich- ten sie dank großen seemännischen Könnens, einer Haie, Kollisionen, Irrfahrten, Sandstürme und Dieses Erlebnis schockierte Brude zutiefst, denn er ter am Mast zusätzlich Regenwasser – ruhig­ musste es gehörigen Portion Glück, vor allem aber, wie der tief- Andenpässe? Egal, Hauptsache es geht weiter. hatte gesehen, wie instabil offene Holzboote waren. sein, weil bei starkem Wind in der Luft und somit im gläubige Thoresen notierte, dank Gottes Hilfe Petty Ein außergewöhnliches Logbuch, das von ei- Und nachdem er einmal angefangen hatte, über Ret- Regenwasser zu viel Salz ist. Die Vorräte lagerten in Harbour auf Neufundland. Thoresen hatte St. John’s, nigen der verrücktesten Seeabenteuer unserer tungsboote nachzudenken, erkannte er bald, dass sie vier getrennten Stauräumen in der unteren Bootshälf- wohin er eigentlich wollte, nur um zwanzig Kilometer Schiffbrüchige nicht vor Sturm, Wellen, Kälte oder te, die von den zweieinhalb Metern Höhe abgezogen verfehlt, weil der Wind »bei dichtem Schneegestöber Zeit berichtet. Liebevoll, informierend, unterhal- Hitze schützten. Danach lag er, wie er später schrieb, werden mussten. Die Männer konnten – wenn über- nicht stark genug gewesen war«, sie dorthin zu brin- tend erzählt, ist dieses Buch für Seebären und »viele Nächte wach und grübelte darüber nach, wie ein haupt – vermutlich nur im Ausguck aufrecht stehen. gen. Der Traum, bis zum 26. November nach St. Louis Seebärchen, für all die Liebhaber der Meere zuverlässiges Rettungsboot aussehen müsste, aber ich Sie waren furchtlos, diese vier, und offenbar auch zu kommen, war damit ausgeträumt. Es ist allerdings und auch die paar anderen bestens geeignet. kam zu keinem Ergebnis«. sonst hart im Nehmen. Denn sie lebten keineswegs so denkbar, dass die Crew froh war, überhaupt irgendwo Brude hatte, wie sich zeigen sollte, viele Ta- gemütlich wie das Dotter im Ei, im Gegenteil: Die Me- angekommen zu sein. lente – das effektvolle Erzählen seiner eige- tallhülle war zwar dicht, aber nicht isoliert, sie nahm nen Geschichte gehörte allerdings nicht dazu. Ozeantemperatur an und absorbierte keine Feuchtig- Daher wissen wir nur, dass er etwa fünf Jahre keit. Der Innenraum – das Innenräumchen – war eisig lang grübelte, plante, rechnete und zeichne- kalt. Wenn die Luken nicht geöffnet werden konnten, te, nicht aber, wann und wodurch er seinen tropfte Kondens­wasser von den Wänden. Dann wur- Heureka-Moment erlebte und ihm die Idee den die Kleidung sowie die in der Inventarliste auf- EBBA D. DROLSHAGEN, Deutsch-Norwegerin, lebt als Autorin und Übersetzerin in Frankfurt/Main. Sie wuchs in Ålesund an der norwe- seines Lebens kam, das Ei des Brude sozusa- geführten »4 Kissen und 4 Schlafsäcke« erst klamm, gischen Westküste auf, wo sie an der Hand ihres Großvaters oft an gen: ein Rettungsboot, das gar kein Boot im dann feucht, dann nass. »Nass sind wir, und uns ist dem Schiff des Ole Brude vorüberging. Es ist bezeichnend für ihren herkömmlichen Sinne war, sondern vielmehr so kalt, dass wir mit den Zähnen klappern. Alles ist späteren Lebensweg, dass sie schon damals allen von diesem kurio- ein aus Stahlplatten konstruiertes Ei. nass, man kann nirgendwohin, nicht still sitzen, pech- sen Ding erzählen, aber nie damit reisen wollte. (siehe auch Seite 31) Am 7. August ging es dann wirklich los. Das schwarz ist die Nacht draußen. Angenehm ist das war sehr spät im Jahr, sie würden den Nord- nicht.« atlantik nicht nur gegen die Hauptwindrich- Bei hohem Seegang war offenes Feuer zu gefährlich, tung, sondern auch bei schlechtem Herbst- dann gab es weder Licht noch Wärme oder warmes Es- wetter überqueren müssen – und eigentlich sen. Alle Luken und Ventile mussten geschlossen blei- herrscht im September schon fast Winter. ben, und die Luft war zum Schneiden, zumal alle paff- Der Grund für diesen ungünstigen Zeitpunkt ten wie die Weltmeister. Obendrein litten sie reihum waren der Stadtbrand und die lecke Hülle, an Durchfall und Erbrechen, an den Gestank mag man aber Brude wendete die Miss­geschicke zu nicht einmal denken. Und es gab keine Intimsphäre, seinem Vorteil: Das sei Absicht, er wolle die keine Sekunde ohne die anderen. Seetüchtigkeit der Uræd »nicht nur bei schö- Noch die geringste Welle versetzte die Metallhülle ins CORSO Die Geschenkausgabe nem Wetter, sondern auch in den schweren, Schaukeln, wurde es heftiger, mussten sich die vier Hardcover mit auf dem Atlantischen Ozean herrschenden abstemmen und am Tisch festklammern, um nicht ge- Schutzumschlag, 192 Seiten mit zahlreichen Herbststürmen« beweisen. Er ging davon aus, gen die Wand geschleudert zu werden. Aber selbst bei Fotografien und Karten, dass sie binnen drei Monaten in New York schwerstem Un­wetter verhielt sich die Uræd so, wie vierfarbiger Druck, Fadenheftung, sein würden, von dort sollte es über Binnen- Brude es berechnet hatte: Sie »hüpfte wie ein Korken farbige Vorsätze, gewässer bis nach St. Louis gehen. auf dem Wasser«, sie rollte, stampfte, gierte, schlinger- 26,90 Euro 14 |15 Abschied und hoffnung

Das anrührende Buch über Menschen an Bord eines Auswan dererschiffes, Menschen, die hin- und hergerissen sind zwischen Heimweh und Hoffnung, zwischen dem Hunger des Gestern und der Unsicherheit des Morgen: Auf dem Meer.

»Dieses Buch widerlegt den Fortschritt, den die moderne Welt Edmondo De Amicis für sich beansprucht.« ERRI DE LUCA Die Auswanderer gehen an Bord

»Auf dem Meer«, 1889 veröffentlicht und sofort ein Erfolg, und immer wieder einzelne Typen beschrieben. De Ami- ie Einschiffung der Emigranten hatte bereits be- Priester, Damen mit großen Federhüten, im Arm ein ist ein Bordtagebuch – nein, ein Gesellschaftsroman, des- cis ist ein teilnehmender Beobachter, er spürt die Tragik Dgonnen, und die Galileo, über eine kleine fahrbare­ Hündchen oder eine Hutschachtel oder einen Packen sen Autor auf häufig ironisch-witzige Kommentare nicht des unwiderruflichen Abschieds von der Heimat und die Brücke mit dem Kai verbunden, füllte sich noch im- illustrierter französischer Romane. Mitunter stockte verzichtet. De Amicis erzählt von einer Atlantiküberfahrt verzweifelte Hoffnung, die alle bewegt. Getreulich regis- mer mit Elend: ein endloser Menschenstrom, der zu die Prozession, dann trottete unter einem Hagel von von Genua nach Montevideo in Uruguay, die er im Früh- triert er, was er während der Überfahrt erlebt, beginnend Gruppen zusammengedrängt aus dem gegenüberlie- Stockschlägen und Flüchen eine Herde Ochsen und jahr 1884 als Chronist der italienischen Auswanderungs- damit, wie Jung und Alt, Männer und Frauen sich auf genden Gebäude kam, wo die Polizei die Pässe kont- Hammel über die Brücke, um an Bord erschrocken bewegung unternahm. die unterschiedlichsten Weisen mit der drang- und qual- rollierte. Die meisten hatten eine oder zwei Nächte nach allen Seiten das Weite zu suchen, während sich Der Ozeandampfer »North America« (der im Buch »Ga- vollen Enge im stickigen Schiffsbauch arrangieren. Bald im Freien verbracht, wie Hunde in den Straßenecken ihr Muhen und Blöken unter das Wiehern der Pfer- lileo« heißt) war eines der vielen Emigrantenschiffe, auf schon macht er persönliche Bekanntschaften in allen drei Genuas zusammengekauert, und zogen nun müde de am Bug, die Schreie der Matrosen und Lastenträ- denen tausende Italiener in der Hoffnung auf ein besseres Schiffs- und Gesellschaftsklassen, in denen nahezu alles und schlaftrunken vorüber. Arbeiter, Bauern, Frauen ger und das ohrenbetäubende Kreischen des Last- Leben nach Südamerika emigrierten. An Bord sind 1.800 geschieht, was Menschen und ihr Zusammensein so her- mit Säuglingen an den Brüsten, Kleinkinder mit der krans mischte, der unaufhörlich Reisetruhen und Kis- Passagiere, davon 1.600 italienische Bauern und Tage- geben: Verführung und Eifersuchtsdramen, Prügeleien und blechernen Erkennungsmarke um den Hals, und alle ten durch die Luft schwenkte. Danach setzte der Vor- löhner, der Rest sind wohlhabendere Italiener, Schwei- Gerichtsverhandlungen, es gibt Tote, Geburten und ein trugen Reisesäcke und Koffer jeder Größe und Form beimarsch der Auswanderer wieder ein: Gesichter und zer, Österreicher und Franzosen. Das einfache Volk reist chaotisches Fest bei der Äquatorüberquerung. in der Hand oder auf dem Kopf, fast alle hatten ei- Kleider aus allen Teilen Italiens, kräftige Arbeiter mit in der Dritten Klasse, das Bürgertum in der Zweiten, der nen Klappstuhl unter einem Arm, Matratzen und De- traurigen Augen, zerlumpte, schmutzige alte Männer, Adel in der Ersten. Die Aufteilung der Passagiere spiegelt Erri de Luca – der Autor so wunderbarer Bücher wie »Mon- cken unter dem anderen, die Fahrkarte mit der Num- schwangere Frauen, fröhliche Mädchen, beschwipste die Schichtung der Gesellschaft ­– De Amicis beschreibt tedidio« und »Das Gewicht des Schmetterlings« – erzählt mer ihrer Koje zwischen den Lippen. Arme Frauen, die junge Burschen, Bauernlümmel in Hemdsärmeln und diesen »Mikrokosmos mit allen Freuden und Leiden der in seinem Nachwort von seiner Sorge um die heutigen ein Kind an jeder Hand hielten, trugen ihre schweren unzählige Kinder, die, kaum hatten sie einen Fuß aufs Menschheit«, diesen »Staat in Miniaturform, dessen Re- Flüchtlinge und von den Geboten der Menschlichkeit. Bündel mit den Zähnen; alte Bäuerinnen in Holzpan- Deck gesetzt, in dem Durcheinander aus Passagieren, gierung der Kapitän und die Offiziere, und dessen Justiz tinen entblößten magere nackte Beine, wenn sie den Kabinenpersonal, Offizieren, Angestellten der Schiff- der Auswanderungskommissar darstellt«. Rock hoben, um auf den Schwellen der Brücke nicht fahrtsgesellschaft und Zollbeamten erstaunt stehen- Sein außerordentlich detailreiches, farbiges Sittengemäl- zu stolpern; viele waren barfuß und trugen ihre Schu- blieben oder sich verirrten wie auf einer belebten de beginnt mit der Einschiffung in Genua – in filmreifen he um den Hals. Von Zeit zu Zeit tauchten inmitten ­Piazza. Zwei Stunden, nachdem die Einschiffung be- Szenen werden die auf das Schiff drängenden Massen dieses Elends Herren in eleganten Staubmänteln auf, gonnen hatte, saugte der große, reglos am Kai liegen- 16 |17 Abschied und hoffnung DER LOCKRUF DES ORIENTS

de Dampfer wie ein riesiger Walfisch, der sich in das werfend, die ebenso beunruhigt waren wie sie, ebenso Ufer verbissen hatte, noch immer italienisches Blut in erschrocken über das Gedränge und die Unordnung. Von Fernweh und Ägyptomanie sich hinein. Manche, die ins erste Stockwerk unter Deck hinun- Wer oben an Bord war, trat vor einen Tisch, hinter tergestiegen waren und nun weitere Treppen sahen, im 19. Jahrhundert dem der Auswanderungskommissar saß, der die Men- die hinab ins Dunkel führten, weigerten sich weiter- schen in Gruppen zu sechs Personen aufteilte, die zugehen. Durch die weit geöffnete Luke sah ich eine »Backschaft« genannt wurden. Er schrieb ihre Namen Frau, die heftig schluchzte. Ich hörte, dass ihr wenige auf ein vorgedrucktes Papier und gab es dem ältesten Stunden vor der Einschiffung ein Kind gestorben war, Im Jahre 1803 reist Napoleons Widersacherin Germaine de Passagier, der damit zur Stunde der Mahlzeiten das und dass ihr Mann den Leichnam im Büro der Sicher- Staël, die »Sultanin des Gedankens«, nach Deutschland. Sie will Essen aus der Küche holen konnte. Familien, die weni- heitspolizei am Hafen hatte zurücklassen müssen, ger als sechs Mitglieder zählten, ließen sich mit einem damit er ins Krankenhaus gebracht wurde. Von den das literarische Weimar kennenlernen. Inspiriert von dem persi- Bekannten oder dem erstbesten Wartenden einschrei- Frauen blieben die meisten unter Deck, die Männer schen Dichter Hafis entsteht Goethes Gedichtsammlung »West- ben, und während dieser Einschreibeprozedur sah dagegen stiegen sofort wieder hinauf, nachdem sie östlicher Diwan«. Der Philhellene Lord Byron kämpft für ein un- man auf allen Gesichtern die brennende Sorge, beim ihre Sachen verstaut hatten, und lehnten sich an die Abzählen der halben oder Viertelplätze für die Kinder Reling. Sonderbar! Fast alle befanden sich zum ers- abhängiges Griechenland. Hermann Fürst von Pückler-Muskau betrogen zu werden – das unbezwingliche Misstrauen ten Mal auf einem so großen Dampfschiff, das für sie zieht mit einer Karawane durch das nördliche Afrika und kehrt aller Bauern gegenüber jedem, der einen Stift in der eine neue Welt voller Wunder und Geheimnisse hätte mit einer abessinischen Gefährtin nach Preußen zurück. Bevor Hand und ein Verzeichnis vor sich liegen hat. Wider- sein sollen, doch kein einziger blickte sich neugierig spruch wurde laut, man hörte Jammern und Protest. um oder blieb stehen, um wenigstens eine der hun- der Tourismuspionier Thomas Cook die All-inclusive-Reisen erfin- Dann wurden die Familien getrennt: die Männer auf dert sonderbaren Gerätschaften zu betrachten, die er det, reist die Wiener Schriftstellerin Ida Pfeiffer um die Welt. einer Seite, auf der anderen wurden die Frauen und nie zuvor gesehen hatte. Manche starrten auf einen Kinder in ihre Schlafräume gebracht. Erbarmungs- beliebigen Gegenstand, den Koffer oder den Schemel In siebzehn Kapiteln werden neunzehn Persönlichkeiten des würdig war der Anblick dieser Frauen, die zögernd die des Nachbarn oder eine Zahl, die auf eine Kiste ge- langen 19. Jahrhunderts vorgestellt, deren Texte, Bilder und Er- steilen Treppen hinabstiegen und sich in die großen schrieben war. Andere kauten einen Apfel oder nag- findungen deutlich machen: Okzident und Orient sind nicht zu Schlafräume mit niedrigen Decken vortasteten, vorbei ten an einem Stück Brot, das sie bei jedem Bissen in an zahllosen, übereinanderliegenden Kojen, und die aller Ruhe untersuchten, wie sie es daheim vor der Tür trennen. einen sich ratlos an den Matrosen wandten, um nach ihres Stalles getan hätten. Einige Frauen hatten rote einem verlorengegangenen Bündel zu fragen, andere Augen. Junge Burschen kicherten, doch man sah, dass sich erschöpft und verwirrt auf dem erstbesten Platz ihre Fröhlichkeit gezwungen war. Die meisten zeigten KLAUS-WERNER HAUPT, Jahrgang 1951, war als Gymnasiallehrer mit seinen Schülern viele Jahre in Weimar auf den Spuren der Klassiker unterwegs. In der Weimarer Verlagsgesellschaft erschien von ihm bereits »Johann niederließen und viele orientierungslos herumliefen, nur Müdigkeit und Apathie. Der Himmel war bewölkt, Winckelmann – Begründer der klassischen Archäologie und modernen Kunstwissenschaften«. Haupt ist ver­ besorgte Blicke auf all die fremden Reisegefährtinnen es begann zu dämmern. heiratet, hat eine Tochter und lebt in Spremberg. An Weimar führt noch immer kein Weg vorbei.

Band 2 der Werkausgabe Band 1 der Werkausgabe von Edmondo De Amicis von Edmondo De Amicis

CORSO In 2. Auflage Mit einem Nachwort CORSO von Erri di Luca Mit einem Nachwort Aus dem Italienischen von Umberto Eco von Annette Kopetzki Komponiert und aus Band II der De Amicis- dem Italienischen Werkausgabe, von Anette Kopetzki, Leinenband mit eingelegtem mit vielen historischen Schildchen, 176 Seiten Fotografien, Leinenband mit historischen Fotografien, mit eingelegtem vierfarbiger Druck, Schildchen, 192 Seiten, Fadenheftung, vierfarbiger Druck, farbige Vorsätze, Fadenheftung, 39,90 Euro 39,90 Euro

»Exquisites Layout, passende Auswahl schön gedruckter historischer Bilder, ein bilderreicher, sinngesättigter Text, der die alte türkische Metropole in ihrer ganzen orientalischen Farbenpracht wieder- Weimarer Verlagsgesellschaft erstehen lässt.« ENGEBRECHT BOESE, EKZ Gebunden mit Schutzumschlag, »Ein großartiges Buch.« WELT AM SONNTAG 250 Seiten,€ 26 Euro 18 |19 MEYRINK

GUSTAV MEYRINK Die große Meyrink-Edition »Dumme Luder, tote Kiesel.«

Im alten verwinkelten Amsterdam lernt der Ingenieur Fortunat Hauberrisser seine auberrisser bemühte sich, seine Gedanken in etwas wie eine unvermeidliche Begleiterscheinung der H Ordnung zu bringen. Körperbildung und Gesichtsform zu sein, an ein bis Seelenverwandte Eva kennen und mit ihr den Zugang zu einer Mystikergruppe,­ wel- »Träume ich denn noch immer?« fragte er sich voll ins kleinste greifendes Gesetz der Übereinstimmung cher immer wieder ein Grünes Gesicht erscheint. All das beginnt, als Hauberrisser Erstaunen. »Was war das? Zieht sich durch jedes gebunden. Eine Kugel kann nur rollen, ein Würfel den Vexiersalon des Chidher Grün, symbolische Figur des »Ewigen Junden«, be- Menschenleben ein solcher roter Faden merkwürdi- nur kollern, warum sollte ein Lebewesen mit seinem tritt. Während das Schicksal ihm seine Lebensgefährtin bald wieder entreißt, ver- ger Zufälle, oder bin ich der einzige, dem derartige tausendfach komplizierteren Dasein nicht mit ebenso Dinge passieren? Greifen die Ringe der Geschehnisse gesetzmäßigen, aber nur tausendfach komplizierte- sucht er ihr auf einer anderen Bewusstseinsebene wieder zu begegnen und den vielleicht erst dann ineinander und bilden eine Kette, ren Erlebnisvorausbestimmungen vor eine Deichsel Körper mit dem Geist zu überwinden. In der Figur des Fortunat Hauberrisser schil- wenn man ihre Zusammenhänge nicht dadurch stört, gespannt sein! – Ich kann es sehr wohl verstehen, daß dert Meyrink den individuellen Weg zur spirituellen Reifung. Außerdem enthalten daß man sich Pläne schafft, denen man tölpelhaft die alte Astrologie nicht aussterben kann und heu- sind die Erzählungen: »Die vier Mondbrüder«, »Meine Qualen« und »Wonnen im nachjagt und infolgedessen das Schicksal in einzelne te vielleicht mehr Anhänger zählt, als jemals früher, Stücke reißt, die sonst ein fortlaufendes, wundersam und daß jeder zehnte sich ein Horoskop stellen läßt; Jenseits«, »Der Herr Kommerzienrat Kuno Hinrichsen und der Büßer Lalaladschpat- gewebtes Band gebildet hätten?« – nur sind die Menschen offenbar auf dem Holzweg, Rai« sowie weitere Essays. Aus alter ererbter Gewohnheit und den Erfahrungen wenn sie glauben, die sichtbaren Sterne am Himmel gemäß, die er bisher im Leben für – scheinbar richtig bestimmten den Schicksalsweg. Es wird sich da um befunden hatte, versuchte er, das gleichzeitige Auf- andere ›Planeten‹ handeln, um solche, die im Blut um tauchen ein und desselben Bildes in seinem Gehirn das Herz kreisen und andere Umlaufszeiten haben als und dem seines Freundes auf Gedankenübertragung die Himmelskörper: Jupiter, Saturn usw. – Wenn glei- zurückzuführen und damit zu erklären, aber die Theo­ cher Geburtsort, gleiche Geburtsstunde und Geburts- rie wollte sich diesmal nicht mit der Wirklichkeit minute allein das Entscheidende wären, wie könnte decken wie sonst, wo er derlei Dinge auf die leichte es dann sein, daß Monstrositäten wie die zusammen­ Achsel genommen und sie möglichst rasch wieder gewachsenen Schwestern Blaschek, die doch in der- zu vergessen getrachtet hatte. Pfeill’s Erinnerung an selben Sekunde geboren wurden, ein so verschiedenes das olivgrünschimmernde Gesicht mit der schwarzen Schicksal hatten, daß die eine Mutter wurde und die Binde über der Stirn hatte eine greifbare Grundlage andere Jungfrau blieb?« gehabt: ein Porträt, das angeblich in Leyden hing, – Ein Herr in weißem Flanellanzug, roter Kravatte, ei- aber woraus war die Traumvision, ebenfalls von einem nen Panamahut ein wenig schief aufgesetzt, die Fin- olivgrünschimmernden Gesicht mit einer schwarzen ger überladen mit protzigen Ringen und ein Monokel Binde über der Stirn, die er kurz vorher im Laden des ins dunkel glühende Auge geklemmt, war bereits vor Chidher Grün gehabt hatte, entsprossen? längerer Zeit an einem entfernten Tische hinter einer »Die Wiederkehr des seltsamen Namens Chidher in großen ungarischen Zeitung aufgetaucht und hatte dem kurzen Zeitraum von einer Stunde, – einmal als sich nach mehrmaligem Platzwechsel – als störe ihn marix marix marix Firmenschild, dann als sagenhafte Bezeichnung für überall die Zugluft – bis dicht an Hauberrisser heran- Herausgegeben von Herausgegeben von Herausgegeben von Marco Frenschkowski Marco Frenschkowski Marco Frenschkowski die Figur des Ewigen Juden, wunderbar genug ist es gepirscht, ohne daß ihn dieser in seinem Grübeln be- Gebunden mit Schutzumschlag, Gebunden mit Schutzumschlag, Gebunden mit Schutzumschlag, ja«, sagte sich Hauberrisser, »aber es gibt wohl we- merkt hätte. 382 Seiten, 15 Euro 448 Seiten, 18 Euro ca. 400 Seiten ,€ 18 Euro nig Menschen, die nicht derartige Beobachtungen in Erst, als der Fremde sich mit auffallend lauter Stimme Menge gemacht hätten. Woher es kommen mag, daß beim Kellner nach Amsterdamer Vergnügungslokalen In Vorbereitung: »Walpurgisnacht«, »Der weiße Dominikaner«, »Der Engel vom westlichen Fenster und andere phantastische Namen, die man früher nie gehört hat, plötzlich se- und sonstigen Sehenswürdigkeiten erkundigte, wurde Erzählungen«, »Die Verwandlung des Blutes und andere Schriften«, »Der Roman der XII«, »Meyrink Brief- und Bildband« rienweise auf einen losprasseln, daß ferner die Leu- Hauberrisser aufmerksam, und der Eindruck der Au- te auf der Gasse, wie das so häufig geschieht, einem ßenwelt scheuchte sofort seine tiefsinnigen Betrach- Bekannten, den man Jahre lang nicht mehr getroffen tungen in das Dunkel zurück, aus dem sie aufgestie- GUSTAV MEYRINK (eigentlich Gustav Meyer) kam am 19. PROF. DR. MARCO FRENSCHKOWSKI, geb. 1960, ist Pro- hat, immer ähnlicher und ähnlicher sehen, bis er selbst gen waren. Januar 1868 als unehelicher Sohn eines württembergischen fessor für Evangelische Theologie an der Universität Leipzig gleich darauf um die Ecke biegt – ähnlich, nicht nur Ein schneller Blick überzeugte ihn, daß es der Herr Staatsministers in Wien zur Welt. Nach der Aufgabe seiner (Neues Testament). Als Religionswissenschaftler hat er zahl- in der Einbildung, nein: photographierbar ähnlich, so »Professor« Zitter Arpád aus dem Vexiersalon war, der geschäftsführenden Tätigkeit in einem Prager Bank- und reiche Bücher und Studien zu antiker und moderner Religion ähnlich, daß man an den Betreffenden denken muß, da so sichtlich bestrebt schien, den gänzlich unorien­ Wechselgeschäft lebte er ab 1905 als freier Schriftsteller in publiziert. Außerdem ist er Herausgeber von kommentierten ob man will oder nicht, – woher das alles kommen tierten, soeben erst der Eisenbahn entschlüpften Neu­­ München. Meyrink gilt vor allem für seine Romane »Der Go- Ausgaben klassischer phantastischer und imaginativer Lite- mag? Ob Menschen, die einander ähnlich sehen, nicht ankömmling zu spielen. lem«, »Das grüne Gesicht« und »Der weiße Dominikaner« ratur. Diverse Publikationen im marixverlag. als absoluter Klassiker der phantastischen Literatur. Er starb auch ein ähnliches Schicksal haben? Wie oft habe ich Wohl fehlte der Schnurrbart, und die Pomade war in 1932 in Starnberg. es schon bestätigt gefunden. Das Schicksal scheint so ein neues Strombett geleitet worden, aber die Gauner- AnzeigeAlbatros:Layout 1 23.02.2015 16:54 Uhr Seite 5

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visage des unverkennbaren »Preßburger Hähndelfan- alte Juden, prophetische Totenköpfe und weißgeklei- Hauberrisser schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie irren, leider durch den Krieg verwüstet wären, (zum Glück gers« hatte dadurch nicht das mindeste an Ursprüng- dete talentlose Spione! Allerhand Hochachtung!« ich war niemals Torpedoingenieur.« (»Ein dummes sei er nicht darauf angewiesen, denn durch intime lichkeit eingebüßt. »Irgendeine Bank gibt es wohl hier in der Nähe nicht, Luder das«, setzte er innerlich hinzu, »schade, daß er ­Beziehungen zu amerikanischen Börsenkreisen ver- Hauberrisser war viel zu gut erzogen, um auch nur mit Kellner, in der man ein paar englische Tausendpfund- den polnischen Grafen mimt; als Professor Zitter Ar- diene er in London mit Spekulationen ein paar tau- einem Wimperzucken zu verraten, daß er sich erinne- noten in holländisches Geld umwechseln lassen könn- pád aus Preßburg wäre er mir lieber gewesen; ich hät- send Pfund im Monat) – kam auf Pferderennen zu re, wen er vor sich habe; überdies machte es ihm Spaß, te, wie?« fragte der Professor nachlässig, aber wieder te ihn dann im Lauf der Zeit wenigstens über seinen sprechen und bestochene Jockeis, auf Milliardärs- die feinere List des Gebildeten der grobdrähtigen des mit sehr lauter Stimme und tat sehr ärgerlich, als er Kompagnon Chidher Grün ausholen können.«) bräute, die er zu Dutzenden kenne, auf spottbillige Ungebildeten entgegenzustellen, der immer und über- eine verneinende Antwort bekam. »In Amsterdam ist »Njicht? Schade. Aber das macht nichts. Schon der Territorien in Brasilien und im Ural, auf noch un­ all glaubt, eine Verkleidung sei gelungen, bloß weil es scheinbar recht schljecht mit dem Kljeingeld be- Name Hauberrisser erweckt in bekannte Pe­troleumquellen am der, dem die Täuschung gelten soll, nicht sofort in ko- stellt“, brach er, halb zu Hauberrisser gewendet, ein mir, oh, so liebe Erinnerungen«, Schwarzen Meer, auf ungeheu- mödiantenhaft plumpes Gebärdenspiel und Stirnrun- Anknüpfungsgespräch vom Zaun. »Schon im Hotel die Stimme des Grafen zitterte »Seltsam bunt wird das Leben, erliche Erfindungen, die er in zeln verfällt. hatte ich Schwjierigkeiten damit.« vor Rührung, – »er und der wenn man sich Mühe gibt, der Hand hätte, und die eine Daß der »Professor« ihm heimlich bis ins Café nachge- Hauberrisser schwieg. Name Eugène Louis Jean Jo- Million täglich tragen müß- gangen war und irgendeine balkanesische Halunkerei »Ja, hm, recht vjiel Schwjierigkeiten.« seph sind eng mit unserer Fa- es in der Nähe zu betrachten, ten, – auf vergrabene Schätze, im Schilde führte, stand für Hauberrisser außer Zwei- Hauberrisser ließ sich nicht erweichen. milie verknjüpft.« und den sogenannten wichtigen deren Besitzer geflohen oder fel; um jedoch ganz sicher zu sein, daß ihm und nicht »Zum Glück kannte der Hotelbesitzer meinen Stamm- »Jetzt will er, daß ich frage, wer gestorben seien, auf untrüg­ noch Anderen der Mummenschanz galt, machte er sitz. – – – Graf Ciechonski, wenn ich mich vorstellen dieser Louis Eugène Joseph ist. Dingen den Rücken kehrt, liche Methoden, im Roulette eine Bewegung, als wolle er zahlen und gehen. Sofort darf. Graf Wlodzimierz Ciechonski.« Just nicht«, dachte sich Hau- die einem nur Leid zu gewinnen, – erzählte von malte sich ärgerliche Bestürzung in den Mienen des Hauberisser verbeugte sich kaum merklich und mur- berrisser und sog stumm an und Verdruß bringen.« riesigen Spionagegeldern, die Herrn Zitter. melte seinen Namen so unverständlich wie nur mög- seiner Zigarrette. Japan vertrauenswürdigen Per­ Hauberrisser schmunzelte befriedigt in sich hinein; lich, der Graf schien jedoch ein ungemein feines Ohr »Eugène Louis Jean Joseph war sonen auszuzahlen nur so bren­ »die Firma Chidher Grün – angenommen, der Herr zu haben, denn er sprang freudig erregt auf, eilte zum nämlich mein Taufpate. Gleich darauf ging er nach ne (natürlich müsse man zuerst Depot erlegen), Professor ist tätiger Teilhaber – scheint ja über die Tisch, nahm sofort in Pfeill’s leerem Sessel Platz und ­Afrika in den Tod.« schwätzte von unterirdischen Freudenhäusern in den mannigfaltigsten Hilfsmittel zu verfügen, wenn es rief jubelnd: »Hauberrisser? Der berühmte Torpedo- »Wahrscheinlich aus Gewissensbissen«, brummte Hau­ großen Städten, zu denen nur Eingeweihte Zutritt gilt, ihre Kunden im Auge zu behalten: – duftende ingenieur Hauberrisser? Graf Ciechonski mein Name, berrisser in sich hinein. »So, hm, in den Tod, sehr be- hätten, ja sogar vom Goldlande Ophir des Königs Sa- Damen mit Pagenfrisur, fliegende Korke, gespenstige Graf Wlodzimierz Ciechonski, Sie gestatten doch?« dauerlich.« lomo, das, wie er ganz sicher aus Papieren seines Tauf- »Ja leider, leider, leider. Eugène Louis Jean Joseph! Er paten Eugène Louis Jean Joseph wisse, im Zululande hätte Kaiser von Frankreich sein können.« läge, berichtete er bis ins Kleinste genau. »Was hätte er?« – Hauberrisser glaubte falsch gehört zu Er war vielseitiger noch als seine Taschenuhr, warf haben – »Kaiser von Frankreich hätt’ er sein können?« tausend Angelhaken aus, einen plumper als den an- »Sicherlich!« Stolz spielte Zitter Arpád seinen Trumpf dern, um seinen Fisch zu ködern; wie ein kurzsichtiger Peter-Huchel-Preis für Paulus Böhmer aus: »Prinz Eugène Louis Jean Joseph Napoleon IV. Einbrecher, der Dietrich um Dietrich am Türschloß Er fiel am 1. Juni 1879 im Kampf gegen die Zulus. Ich ­eines Hauses probiert, ohne das Schlüsselloch zu er- »So viel Welt wie besitze sogar eine Locke von ihm«, er zog eine gol- wischen, tastete er die Seele Hauberrissers ab, aber es bei ihm findet man dene Taschenuhr von Beefsteakgröße und geradezu gelang ihm nicht, das Fenster zu finden, durch das er teuflischer Geschmacklosigkeit hervor, öffnete den hätte einsteigen können. selten im Gedicht.« Deckel und deutete auf ein Büschel schwarzer Pinsel- Endlich gab er es erschöpft auf und fragte Hauber- Christoph Schröder haare. »Die Uhr ist auch von ihm. Ein Taufgeschenk. risser kleinlaut, ob dieser ihn nicht in irgendeinen Ein Wunderwerk.« Er erläuterte: »Wenn man hier vornehmen Spielklub einführen möchte; doch auch drückt, schlägt sie Stunden, Minuten und Sekunden hierin schlugen seine Hoffnungen fehl: der Ingenieur und gleichzeitig erscheint auf der Rückseite ein be- entschuldigte sich damit, daß er selber in Amsterdam wegliches Liebespaar. Dieser Knopf löst die Rennzei- fremd sei. ger aus; dieser stoppt sie; wenn man ihn weiter hinun- Mißmutig schlürfte er seinen Sherry-Cobler. terdrückt, erscheint das jeweilige Mondviertel; noch Hauberrisser betrachtete ihn sinnend. »Ob es nicht tiefer hinein und das Datum klappt auf. Dieser Hebel das Gescheiteste wäre«, überlegte er, »ich sagte ihm nach links, und ein Tropfen Moschusparfüm spritzt auf den Kopf zu, daß er ein Taschenspieler ist. Ich gäbe hervor, – nach rechts, und es ertönt die Marseillaise. etwas darum, wenn er mir sein Leben erzählte. Bunt Es ist ein wahrhaft königliches Geschenk. Es existie- genug mag es gewesen sein. Eine Welt von Schmutz ren im ganzen nur zwei Stück davon.« muß dieser Mensch schon durchwatet haben. Aber »Immerhin ein Trost«, gab Hauberrisser höflich und natürlich, er würde leugnen und schließlich grob wer- doppeldeutig zu. Das Gemisch von bodenloser Frech- den.« – Ein Gefühl von Gereiztheit stieg in ihm auf; heit und gänzlicher Unkenntnis weltmännischer Um- »unerträglich ist das Dasein unter den Menschen gangsformen belustigte ihn auf das höchste. und Dingen dieser Welt geworden; Berge von leeren Graf Ciechonski, ermutigt durch die freundliche Mie- Schalen überall, und stößt man einmal auf etwas, was ne des Ingenieurs, wurde immer zutraulicher, erzählte so aussieht wie eine Nuß, die des Aufknackens wert Gedichte, 56 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag, Edition Faust, b 16,– von seinen immensen Gütern in Russisch-Polen, die wäre, – siehe da, es ist ein toter Kiesel.«

Foto:Alexander Paul Englert www.editionfaust.de 22 | 23 Kuttel daddeldu

Ringelnatz, oh Ringelnatz!

oachim Ringelnatz’ Biografie liest sich fast wie eine Pa­ nen nach Gelegenheitsgedichten anmutenden Werken ein Jrodie auf den Typus des Poète maudit; er ist der proto­ Maximum an Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Spitze her- typische Bohème-Dichter und Bürgerschreck: stets mittel- auszuholen. los und unter prekären Umständen lebend, dauernd krank Es ist gerade dieses gekonnte tonale Changieren, das sein und immer in Bewegung. Den Deutschen ist er gemeinhin Werk bis heute äußerst komplex und kunstvoll gebro- Brief in die Sommerfrische als Meister der komischen Lyrik, Kabarettist im Matrosen- chen wirken lässt. Dort, wo seine Sprache in Albernheiten anzug und für seine zahlreichen Kin- oder kühler Lakonie stecken zu bleiben derreime bekannt. droht, findet er rechtzeitig die Wen- Ich habe so Sehnsucht nach Dir. Dabei offenbart sein lyrisches Gesamt- dung, die die tiefe Sensibilität und Ver- Weil alles so gut steht werk viel mehr als seine Unsinnpoesie. letzlichkeit seiner »zarten Weltseele« In seiner Liebeslyrik zeigt sich Ringel­ herauskehrt und mit Humor zurück- Auf unserem Gemüsebeet. natz dem Leser oft von seiner gewohn- schlägt. Dort wo er zu poetisierend Und Du bist in England. Nicht hier ten spielerischen Seite, oft aber auch wird – gerade im Spätwerk –, wehrt eine Bei mir. ganz unerwartet empfindsam, tiefsin- komische Wendung dem Schmalz. Wie nig ernst. Seine Liebeslyrik ist, wie sei- sein Leben, war sein frühes Verhältnis Frau heißt auf Englisch »wife«; ne gesamte Dichtung, schwer »auf den zu den Frauen immer riskant, kurz- Muß man, um das zu lernen, Punkt zu bringen«. Vielleicht ist aber weilig und abenteuerlich. Seine Matro- Sich so weit und so lange entfernen? gerade das ihr vortrefflichstes Merk- senzeit, die er in seiner Kunstfigur und mal. Alter Ego Kuttel Daddeldu »abbildet«, Seine Poesie spiegelt nicht nur sein erzählt vor allem vom (wohl meister­ Bei uns ist alles Gemüse reif. an Erfahrungen und Abenteuern so lichen) Umgang mit Prostituierten, vom Meinst Du, daß ich das allein reiches Leben, sondern bleibt auch Suff, mal mehr oder weniger spaßigen bis heute sprachlich und formal inte- Gewaltausbrüchen und dass man sich Esse? Kommt gar nicht in Frage. ressant. Seine subjektiv empfundene Treue und bürgerliche Liebe nicht leis- Und so vergehen die Tage. Schieflage entspricht ziemlich genau ten kann, wenn man am nächsten Tag Könnte doch zu zweit so billig sein. den politischen und sozialen Umstän- schon nicht mehr da ist. den seiner Zeit. Auch in den Liebesge- Der urbane und exotische Vitalismus dichten finden wir die Widersprüche zwischen Tradition seiner Liebeslyrik, die rauschhafte Lust, der sich selbst ge- Bis August und noch September vergeht, und Moderne, die die Jahre vor und nach dem Ersten Welt- nügende Grobianismus und die unbekümmerte anarchische Ist alles verfault auf dem Beet. krieg geprägt haben. Dabei ist Ringelnatz in seiner Lyrik Lebensfreude sind es, die die Gedichte heute noch frisch nicht nur Zeitgeistdiagnostiker. Er ist zwar vielfach ein und – trotz aller untergründigen Melancholie – befreiend Aber Englisch ist wichtiger als Gemüse, Dichter der Oberfläche, doch gelingt es ihm selbst in sei- und belebend wirken lassen. Das es schließlich auch in Büchsen gibt. Und ich gönne Dir das alles sehr. Grüße Dich! Dein Mann (einsam in Dich verliebt). Weitere Preziosen bei marix, jeder Band gebunden mit Schutzumschlag, 192–256 Seiten, 5 Euro »London24 – Miau, miau! stadtgewordene Extremsitua- tion als Dauer- VICTOR AUBURTIN zustand, in der »Die Katze ist das einzige Tier, Die Dame mit der gestreiften Katze das dem Menschen eingeredet hat, die Kommerz- Die Dame mit der gestreiften Katze ist ein Fräulein, das offen- kultur Bilanzen er müsse es erhalten, bar an einem Wohnungsumzug beteiligt ist und die Aufgabe es brauche aber dafür nichts zu tun.« übernommen hat, die Hauskatze in unauffälliger Weise in das liest, als seien neue Heim zu befördern. Zu diesem Behuf hat sie die gestreif- KURT TUCHOLSKY te Katze in einen Pompadour gesteckt, so dass die Katze sich sie Romane.« nicht bewegen und nicht entkommen kann, sondern nur ihr Kopf freibleibt und an den Begebenheiten Anteil hat. RÜDIGER GÖRNER Es muss gesagt werden, dass die Katze sich in dieser schwie- PAUL KLEE In Herzens Mitte rigen Lage vorzüglich benimmt. Sie ist offenbar noch nie auf der Vorortbahn gefahren, und man könnte erwarten, dass sie Furcht empfindet vor den heftigen Geräuschen und Erschüt- In Herzens Mitte terungen oder vor dem Phantom eines vorbeibrausenden Zu- als einzige Bitte ges; aber nichts dergleichen, sie betrachtet alles mit ruhiger verhallende Schritte Aufmerksamkeit, und kein Ruf des Schreckens oder Erstau- von der Katze ein Stück: nens kommt über ihre Lippen. ihr Ohr löffelt Schall Was dagegen uns Fahrgäste anbetrifft, so sind wir mit dem ihr Fuß nimmt Lauf Auftreten der Katze andere Menschen geworden. ihr Blick Der Herr mit der Tiefquart und dem Tiroler Hut hat plötz- brennt dünn und dick lich vergessen, aus welch vornehmem Hause er stammt, und vor ihrem Antlitz kein Zurück lacht die Katze vergnügt an. Eine dicke Dame, welche Bril- schön wie die Blume lantohrringe trägt, wackelt heimlich mit dem Finger, um die doch voller Waffen Aufmerksamkeit der Katze zu erregen oder ihr vielleicht gar und hat im Grunde ein Lächeln abzugewinnen. Und wir anderen haben unsere nichts mit uns zu schaffen. Zeitungen sinken lassen und betrachten gespannt dieses ge- heimnisvolle und kluge, kleine Gesicht, auf dessen Stirn die dunkleren Streifen ein lateinisches M bilden. Und es ist, als sei mit der Katze etwas von verlorener Einfalt CORSO und von Paradiesestum zu uns hineingekommen; in das Abteil Hardcover mit Schutzumschlag, der Vorortbahn. Fadenheftung, 96 Seiten, mit vielen Fotografien, Druck in Duotone, farbige Vorsätze, 19,90 Euro

Hier schreibt ein Londonlieben- ROBERT MUSIL der, der die Schrunden und Risse Aus dem Tagebuch seiner Liebe nicht verheimlicht. Rüdiger Görners literarische Ca- 14. 1. 1940 priccios sind poetische Moment- Vorgestern hat eine Liebessaison der Katzen begonnen. Durch die aufnahmen, sind Erkundungen Lage u. die großen Fenster meines Zimmers bin ich sozusagen auf und Betrachtungen Londons und einem Niveau mit Ihnen. / Die große, gutmütige Hauskatze. In zwei marix Milchkaffee-Farben getigert; auch lohfarben u. milchschaumig. Ein seiner Menschen – queerbeet Gebunden in feines Leinen, 320 Seiten, 10 Euro hübsches Tier, ein wenig fanée, mehrfache Mutter. Man möchte sie und querstadtein: Vieldeutige als Frau auf Ende Vierzig schätzen. Aber sie erwacht zusehends zu Liebeserklärungen. den Listen ihres Geschlechts. / Die schöne Fremde. Klarer Porzel- lanschmelz der Haarfläche. Zwei Grau, oder Weiß mit braungrauen »Ein literarisches Portrait in lie- Decken; oder grünlichbraunen Decken. Ein reizendes kleines Näs- bevollen Miniaturen – man sieht chen. Eine weiche, nicht mehr mädchenhafte Form; von vollendeter die Stadt mit anderen Augen.« Schönheit läßt sich nicht sagen, da es eine uns schließlich fremde KAI AGTHE, MITTELDEUTSCHE ZEITUNG Schönheit ist; eher von schöner Vollendung. 26 |27 Leseprobe: das Dschungelbuch Leseprobe: Das Insel Lesebuch

Rudyard Kipling Das Land, das ferne leuchtet: Ehe der Mond aus den Tälern steigt Die Insel

ie Silberscheibe des Mondes versank hinter den Mowgli. »Aber wir wollen fort von hier.« Und die drei FRANZ KAFKA DHügeln, und die Reihen der zitternden Affen, zu- stahlen sich durch eine Öffnung der Mauer und trab- Robinson sammengeduckt auf Mauern und Trümmern, erschie- ten fort in den Dschungel. »Wuuf!« ächzte Baloo, als nen wie zerfranstes Gezack der Ruinen. Baloo trabte er wieder unter den stillen Bäumen stand. »Nie mehr Er wehrt sich gegen die Fixierung durch den Mit­ zum Wasserbecken, um sich mit einem Trunk zu la- in meinem ganzen Leben verbinde ich mich mit Kaa.« menschen. Der Mensch sieht, selbst wenn er unfehl- ben; Bagheera leckte und putzte sein Fell. Kaa aber Und er schüttelte sich am ganzen Körper. »Er weiß bar wäre, im anderen nur jenen Teil, für den seine glitt in die Mitte der Terrasse und klappte mit weit- mehr als wir«, sagte auch Bagheera zitternd. »Wäre ich Blickkraft und Blickart reicht. Er hat, wie jeder, aber hin hörbarem Geräusch seine Kiefer zusammen, wo- geblieben – nur noch ein paar Minuten –, so hätte ich in äußerster Übertreibung, die Sucht, sich so einzu- rauf die Affen starr die Blicke auf Kaa richteten. »Der selbst den Weg in seinen Schlund angetreten.« »Vie- schränken, wie ihn der Blick des Mitmenschen zu se- Mond geht unter«, zisch- le werden diesen Weg wan- hen die Kraft hat. Hätte Robinson den höchsten oder te Kaa. »Könnt ihr mich »Laß mich nicht los – dern, ehe der Mond wieder richtiger den sichtbarsten Punkt der Insel niemals noch alle sehen?« Von den aus den Tälern steigt«, mein- verlassen, aus Trost oder Demut oder Furcht oder Un- Mauern hallte es, als ob oder ich muß hin zu Kaa – te Baloo. »Gute Jagd wird er kenntnis oder Sehnsucht, so wäre er bald zugrunde der Wind in den Wipfeln haben – auf seine Art.« »Aber gegangen; stöhnte: »Wir sehen dich, muß hin zu Kaa. Ah!« was bedeutet das alles?« frag- da er aber ohne Rücksicht auf die Schiffe und ihre Kaa!« »Gut. Nun beginnt te Mowgli, der nichts von den schwachen Fernrohre seine ganze Insel zu erforschen der Tanz – der Jagdtanz hypnotischen Kräften eines und ihrer sich zu freuen begann, erhielt er sich am Le- des Kaa! Sitzt still! Seht her!« Er glitt zwei- oder drei- Python wußte. »Ich sah nur eine große Schlange när- ben und wurde in einer allerdings dem Verstand not- mal in großem Kreis umher und schwang tänzelnd im rische Kreise schlagen, bis die Nacht kam. Und ihre wendigen Konsequenz schließlich doch gefunden. Takt den Kopf zur Rechten und zur Linken. Dann be- Nase war ganz wund. Ha! Ha!« »Mowgli«, knurrte gann er mit seinem Körper Schleifen und Achterfigu- Bagheera ärgerlich. »Wenn er sich verletzt hat, so ge- ren zu bilden, gleitende, gebogene Dreiecke, die sich in schah es nur deinetwegen, so wie meine Ohren und GEORG HEYM Vierecke, Kreise und Arabesken verwandelten; ohne Tatzen deinetwegen zerbissen sind; und sieh nur auf Auf einer Insel landete ich … Pause und ohne Beschleunigung, und unaufhörlich er- deinen alten Lehrer, wie er zerzaust ist, es war alles tönte Kaas leiser zischender Gesang. Es wurde dunk- deinetwegen. Wir zwei werden so bald nicht wieder Auf einer Insel landete ich an, ler und dunkler. Die wirren Figuren schwanden in der fröhlich jagen können.« »Laß nur gut sein«, brumm- Die noch der Sommer in des Herbstes Reichen Nacht, aber man konnte das Rascheln der schlürfen- te Baloo. »Wir haben unser Menschenjunges wieder!« Als letzte Burg bewahrte. Dort gewann den Schuppen deutlich vernehmen. Baloo und Bag­ Mein Herz, was in des Frühlings weichen heera standen wie zu Stein erstarrt – in ihren Keh- Und schwärmerischen Nächten sich’s erträumt. len rasselte mühsam der Atem, ihr Nackenfell sträub- te sich, während Mowgli voll Staunen und Grauen zu- Dort fand es Liebe. Und der Buchenwald, sah. »Bandar-log«, sang die Stimme des Kaa, »könnt Der herbstlich goldne, war der Liebe Haus ihr Hand oder Fuß noch regen wider meinen Willen? Für schöne Tage. Doch es spürte bald Sprecht!« »Wider deinen Willen kann keiner von uns Der Sieger Herbst die letzte Zuflucht aus, regen Hand oder Fuß, o Kaa«, hauchten die Affen. Wo der besiegte Sommer noch gesäumt. »Gut. Kommt alle einen Schritt näher zu mir!« Die Reihen der Affen bewegten sich mechanisch vorwärts, Es floh der Sommer. Und mit rauher Hand und Baloo und Bagheera machten einen Schritt mit Brach der Erobrer Herbst mit lautem Sturm ihnen. »Näher!« zischte Kaa, und wieder schwankten Des Sommers letzte Burg. Es fraß der Brand alle einen Schritt vor. Mowgli legte die Hände auf Ba- Den Wald, und es zerbarst der Buche Turm, loo und Bagheera, um sie dem Zauber der Schlange zu Der Liebe Wohnung sonst und starke Wehr. entreißen; und die beiden gewaltigen Tiere schraken zusammen, wie aus einem Traum erwacht. »Halte dei- Es starb die Liebe. Wieder naht das Boot, ne Hand fest auf meiner Schulter«, keuchte Bagheera. marix Das in die Stürme und in dunkle Flut marix »Laß mich nicht los – oder ich muß hin zu Kaa – muß Gebunden in Mich wieder trägt. In letztem Abendrot Gebunden in hin zu Kaa. Ah!« »Was hast du? Es ist ja nur der när- feines Leinen Steht unsre Insel. Bald erlischt die Glut feines Leinen 288 Seiten, 320 Seiten, rische Kaa, der im Staub seine Kreise schlägt«, sagte 10 Euro Und einsam bin ich auf des Lebens Meer. 10 Euro 28 | 29 LITERATURLAND HESSEN

1000 Jahre erzähltes Leben, spannende Geschichten: Hessen in seiner Literatur –

Hessen ist das deutsche Literaturland. Große hessische Autoren wie Grimmelshausen, Lichtenberg, Büchner, die Brüder Grimm, die Brentanos, der »Struwwelpeter«-Autor Hoffmann und natürlich auch Goethe gehören lange schon zur Weltliteratur. Nicht min- der lebendig und fast schon so bedeutend sind Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die das literarische Leben der letzten Jahrzehnte in Hessen geprägt haben und noch prägen, wie Brückner, Dem- ski, Genazino, Gernhardt, Härtling, Mosebach, Pausewang oder Die Kapitel: Wohmann. Literaturstadt Frankfurt Der Band »Literaturland Hessen« dokumentiert Leben und Werk Von Karl dem Großen bis der berühmten wie auch der weniger berühmten Autorinnen und in die Gegenwart Autoren über fast 13 Jahrhunderte bis zur Gegenwart. Heiner Mit Goethe durch Hessen Boehncke und Hans Sarkowicz gehen den vielfältigen literari- Von Residenz zu Residenz schen und biografischen Spuren nach – auch in Romanen, Erzäh- Grimm-Heimat Hessen lungen, Theaterstücken und Gedichten, in denen hessische Men- Zwischen Reformation und schen, Städte und Landschaften zu finden sind. Dreißigjährigem Krieg Nicht zuletzt ist das Buch auch ein Reiseführer zu Dichterhäusern, Frühe hessische Autoren bis Gedenkstätten, Bibliotheken und Archiven in Hessen. Grimmelshausen Große Welt reist ins Bad Auf den Spuren der Romantiker HEINER BOEHNCKE ist Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Georg Büchner und der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er ist künstlerischer Leiter des Rheingau Literatur Festivals und Vorstandsmitglied der Frankfurter Romanfabrik. Er hat – in der Regel gemeinsam mit Hans Sarko­ Vormärz in Hessen wicz – eine Reihe von Büchern zur Geschichte, Literatur und Kultur Hessens veröffentlicht. Zuletzt Hessens sonniger Süden haben die beiden mit den »Briefen eines Reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris« von Johann Kaspar Riesbeck Aufmerksamkeit erregt.

HANS SARKOWICZ ist Leiter des Ressorts Literatur und Hörspiel im Hessischen Rundfunk (hr2-kultur) Waldemar Kramer Gebunden mit und arbeitet am liebsten mit Heiner Boehncke zusammen. Schutzumschlag Gemeinsam haben sie das bis heute sehr lebendige Projekt »Literaturland Hessen« begründet, in 450 Seiten,€ dessen Rahmen im zweijährigen Rhythmus ein Tag für die Literatur veranstaltet wird. 22 Euro 30 | 31 LITERATURLAND HESSEN FRANKFURT – PARIS

»… ein wunderbares Buch, das uns auf die Spur der Erinnerung setzt.« – und dazu das Lesebuch. FRANKFURTER RUNDSCHAU

Ebba D. Drolshagen spürt der Geschichte nach, wie sich zwi- Das Besondere daran: schen Barock und Aufklärung das Bild des Todes wandelte. Die Texte stammen von hessischen Autorinnen und Auto- Ein detaillierter Spaziergang führt zu besonders schönen Grä- ren, sie sind in Hessen entstanden oder handeln von Hes- bern auf dem alten Teil des Frankfurter Hauptfriedhofs. Die zahl- sen. Das Spektrum reicht dabei von den Minnesängern reichen Abbildungen sind nicht nur Illustrationen, sondern auch (die auch auf dem Gebiet des heutigen Hessen lebten Helfer bei der Spurensuche. Eine von Günter Moos zusammen- und sangen) bis zu den Schriftstellerinnen und Schriftstel- gestellte Auswahl der Grabstätten bekannter Persönlichkeiten lern der Gegenwart. Deutlich wird dabei der literarische und ein Friedhofsplan runden das Buch ab. Waldemar Kramer Reichtum eines Landes, das schon immer im Schnittpunkt Gebunden mit Schutzumschlag, wichtiger Handels- und Reisewege lag, das den Wahl- mit s/w-Abbildungen, und Krönungsort deutscher Könige beherbergte und das 232 Seiten, 16,90 Euro Menschen aus allen Teilen der Welt anzog.

In zehn Kapiteln: widmet sich das Lesebuch bedeutenden hessischen Auto- ren wie Goethe, den Grimms, Grimmelshausen, Büchner, Lichtenberg … In den ausgewählten literarischen Originaltexten darf man sich auf einige Überraschungen freuen.

Bekannt ist: dass Goethe die Krönung von Kaiser Joseph II. sehr aus- führlich beschrieb und dass Heinrich Hoffmann seinen »Struwwelpeter« aus einer Verlegenheit heraus erfand.

Nicht oder kaum bekannt ist: • dass es in Hessen berühmte Minnesänger gab und Wal- ther von der Vogelweide sogar in Frankfurt auftrat. • dass, wie Johann Kaspar Riesbeck berichtet, die Pros- Schöne Friedhöfe tituierten in Frankfurt im 18. Jahrhundert so aufdringlich finden sich auch in Paris – waren, dass sich Männer zu Messezeiten kaum auf die und mehr. Straße wagen konnten. • dass Bettine von Arnim in einem dunklen Wald bei Geln- Während Adriaan van Dis in »Unter den Dächern hausen fast von Räubern überfallen worden wäre. aus Zink« uns sein pariser ABC beschreibt, folgt • dass der deutsche Casanova Johann Conrad Friede- Leonhard Fuest mit den »Schwarzen Fahnen von rich 1846 die Welt in 100 Jahren beschrieb und dabei Paris« den Spuren der Melancholie in der »Stadt erstaunlich visionär war. der Liebe«. • dass Leopold von Sacher-Masoch (»Venus im Pelz«), nach dem der Masochismus benannt ist, seinen Lebens- abend im oberhessischen Lindheim verbrachte. • dass Thomas Wolfe (»Schau heimwärts, Engel«) James CORSO CORSO Waldemar Kramer Gebunden mit Schutzumschlag, Gebunden mit Schutzumschlag, Broschur, 420 Seiten,€ Joyce (»Ulysses«)1928 bei einer Stadtrundfahrt in Frank- viele Fotografien, farbige Vorsätze, viele Fotografien, farbige Vorsätze, 19,90 Euro furt begegnete. Fadenheftung, 24,90 Euro Fadenheftung, 19,90 Euro 32 | 33 Leseprobe: Ricarda Huch

atrin Lemke bietet die Wiederentdeckung der zu Leb- […] Indessen, sagte sie, habe sie schon jetzt das Ge- Welja an Peter, Kremskoje, 6. Mai zeiten berühmten und heute fast in Vergessenheit ge- fühl, daß sie sich weniger Gedanken machen würde, Lieber Peter! Ich habe mich damit abgefunden, daß Kratenen Zeitgenossin Thomas Manns und Rainer Maria nun ich da wäre. Ihr Gesicht hatte etwas ungemein ich während der ganzen Dauer von Papas Urlaub hier Rilkes: Auszüge aus Romanen, Erzählungen, Gedichten, Gewinnendes bei diesen Worten. Ich sagte: »Das hoffe auf dem Lande bleiben muß. Blödsinnige Sache, dieser Briefen und Essays bieten Einblicke in das vielfältige und ich. Ich würde jede Sorge, die Sie sich jetzt noch mach- Schluß der Universität. Ich hatte doch vollkommen Mein Herz, mein Löwe, hält seine Beute fest, abwechslungsreiche Œuvre Ricarda Huchs. ten, als einen Vorwurf gegen meine Berufstreue auf- recht, als ich Ruhe empfahl; denn daß wir bei einem Sein Geliebtes fest in den Fängen, Diese Textauswahl gruppiert sich um die spätere Schaffens- fassen.« Während dieses Gespräches war der Sohn ins Kampfe den kürzeren ziehen mußten, war vorauszu- Aber Gehaßtes gibt es auch, phase der Dichterin und zeigt in den privaten Briefen das Zimmer gekommen; er sah mich mit einem besorgten sehen. Aber Du mußtest natürlich wie eine geheizte Das er niemals entläßt abwechslungsreiche (Beziehungs-)Leben einer unabhän- Blick an und sagte: »Fangen Sie heute schon an?«, wo- Maschine ohne Bremse drauflos, und es ist reiner Zu- rüber wir alle so lachen mußten, daß dadurch sofort fall, daß Du nicht von meinem eignen Vater an den Bis zum letzten Hauch, gigen Frau. Flankiert wird diese Innenansicht von den Er- innerungen ihres Enkels Alexander Böhm und den bislang ein vertraulicher Ton hergestellt war. Dieser Sohn, er Galgen gebracht wirst. Es ist durchaus keine Schande, Was immer die Jahre verhängen. noch nie veröffentlichen Notizen ihrer Sekretärin aus der heißt Welja, ist ein hübscher und sehr drolliger Junge, der Übermacht nachzugeben, vielmehr Stumpfsinn Es gibt Namen, die beflecken Jenaer Zeit, Antje Lemke-Bultmann. nicht viel jünger als ich, spielt aber noch wie ein Kind und Raserei, gegen sie anzugehen; ich leide an keinem Die Lippen, die sie nennen, Die Entscheidungen und Erlebnisse Ricarda Huchs reflek- von fünf Jahren, nur daß das Spielzeug nicht mehr von beiden. Die Erde mag sie nicht decken, tieren die Zeit der Jahrhundertwende und zweier Weltkrie- ganz dasselbe ist. Studieren tut er die Rechte, um ein- ge im 20. Jahrhundert mit ihren gesellschaftlichen Umbrü- mal die diplomatische Laufbahn einzuschlagen; man Die Flamme mag sie nicht brennen. chen. Auch schwierige Themen wie die Innere Emigration merkt aber nichts davon. Er ist klug und ein moder- Der Engel, gesandt, den Verbrecher zu Zeiten des Nationalsozialismus finden ihren Nieder- ner Mensch mit zahllosen unbeschnittenen Trieben Mit der Gnade von Gott zu betauen, schlag in Briefen und Werken. und unbegrenzter Empfänglichkeit; sein Charakter KATRIN LEMKE lebt in Jena. Als Germanistin und Historikerin war sie Wendet sich ab voll Grauen ist, keinen zu haben, und dies macht ihn vollkommen belanglos. Er sieht von jeder Sache nur die Seite, an Lehrerin und Fachberaterin für Deutsch an Gymnasien. 2011 erschien Und wird zum zischenden Rächer. ihre erste Veröffentlichung über Ricarda Huch »Dichterwege nach die sich ein Bonmot anknüpfen läßt, dessen größter Jena«. 2012 arbeitete sie als Kuratorin an der Ausstellung »Lebens- Und hätte Gott selbst so viel Huld, Der letzte Sommer – und unwiderstehlicher Reiz in der verschlafenen Art spuren« über Caroline Schlegel und Ricarda Huch des Jenaer Roman- Zu waschen die blutrote Schuld, Eine Erzählung in Briefen besteht, wie er es vorbringt. tikerhauses mit. In der Weimarer Verlagsgesellschaft erschien von ihr Bis der Schandfleck verblaßte, – Außer dem Sohne sind zwei Töchter da, Jessika und 2014 »Ricarda Huch – Die Summe des Ganzen – Leben und Werk«. Mein Herz wird hassen, was es haßte, Lju an Konstantin, Kremskoje, 5. Mai Katja, zwischen zwanzig und dreiundzwanzig Jahren, Lieber Konstantin! Ich habe mein Amt angetreten und blond, niedlich, einander ähnlich wie Zwillinge. Sie Mein Herz hält fest seine Beute, will Dir berichten, wie sich mir die Lage darstellt. Daß waren gegen mich eingenommen, weil sie die Furcht- Daß keiner dran künstle und deute, mir gelingen wird, was ich vorhabe, bezweifle ich nicht, samkeit der Mutter albern finden und weil sie fürch- Daß kein Lügner schminke das Böse, es scheint sogar, daß die Umstände günstiger sind, als teten, in ihrer sommerlichen Zurückgezogenheit ge- Verfluchtes vom Fluche löse. man voraussetzen konnte. Meine Persönlichkeit wirkt stört zu werden; da ihnen aber mein Äußeres hübsch in der ganzen Familie des Gouverneurs sympathisch, und stilvoll vorkommt und da Welja, der ihr Vorbild RICARDA HUCH von Argwohn ist keine Rede; dies ist im Grunde na- ist, sich zu mir hingezogen fühlt, fangen sie an, sich türlich, nur wir Wissenden konnten das Gegenteil be­ mit meiner Anwesenheit zu befreunden. Diese drei fürchten. Wenn der Gouverneur Erkundigungen über Kinder erinnern mich, ich weiß nicht warum, an klei- mich eingezogen hat, so konnten diese mir nicht scha- ne Kanarienvögel, die dicht zusammengedrängt auf den; meine Zeugnisse von der Kinderschule an bis zur einer Stange sitzen und zwitschern. Überhaupt hat Universität sind glänzend, und das einzige, was zu die ganze Familie etwas kindlich Harmloses, das mich meinem Nachteil sprechen könnte, daß ich mich mit und meine Aufgabe vor mir selbst lächerlich machen MEIN meinem Vater überworfen habe, wird dadurch ent- könnte; aber ich kenne die menschliche Seele gut Weimarer Verlagsgesellschaft Paperback, 144 Seiten, kräftet, daß sein herrschsüchtiger und verschrobener genug, um zu wissen, daß diesem Wesen maßloser 10 Euro Charakter allgemein bekannt ist. Ich glaube aber eher, Hochmut zugrunde liegt. Haß, ja selbst Übelwollen daß er es nicht getan hat; der Mann ist so ganz ohne setzt doch eine gewisse Nähe zu den Menschen vor- HERZ, Mißtrauen, daß es in seiner Lage an Einfalt grenzen aus; diese fühlen sich im Grunde allein in einer ihnen würde, wenn es nicht mehr mit seiner Furchtlosigkeit gehörenden Welt. Alle andern haben nicht die Bedeu- und seiner unrichtigen Beurteilung der Menschen zu­ tung der Wirklichkeit und greifen nicht in ihren Frie- sammenhinge. Außerdem scheint meine Anstellung den ein. Die Dienerschaft besteht aus einem Kutscher, MEIN durchaus ein Werk seiner Frau zu sein, die, von Natur Iwan, der trinkt und den Welja Väterchen nennt, und ängstlich, seit sie den Drohbrief erhalten hat, nichts drei Mädchen; alle sind Leute altrussischer Art, füh- andres mehr denkt, als wie sie das Leben ihres Man- len noch als Leibeigene, beten ihre Herrschaft an und nes schützen kann. Mißtrauen liegt auch in ihrer Na- urteilen doch mit unbewußter Überlegenheit über sie, LÖWE tur nicht; während sie in jedem Winkel unmögliche weil sie dem Urquell noch näher sind. Liebe Wesen, die Gefahren wittert, könnte sie dem Mörder einen Löffel mir, wie Tiere, eine gewisse Ehrfurcht einflößen. Dies Bereits erschienen: Suppe anbieten, wenn es ihr so vorkäme, als ob der sind meine ersten Eindrücke, Du hörst bald mehr von Weimarer Verlagsgesellschaft Französische Broschur, arme Mann nichts Warmes im Leibe hätte. mir. Lju 160 Seiten, 14,90 Euro 34 | 35 SKLAVEREI

»Kein Mensch kann seinem Mitmenschen von Firmen besitzen, die in den Entwicklungsländern Sklaven für sich arbeiten lassen. Sklaven halten Ihre eine Kette um den Fuß schlagen, ohne das Kosten niedrig und steigern die Rendite Ihrer Anlage- andere Ende der Fessel schließlich um den papiere.)« Das Verlangen der Konsumenten nach möglichst güns- eigenen Hals gewunden zu finden.« tigen Produkten treibt diesen Teufelskreis zusätzlich FREDERICK DOUGLASS an. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle günstigen Produkte in irgendeiner Form auf Sklavenarbeit be- Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gilt Sklaverei als eine der schwersten Men- ruhen! Genausowenig ist Sklavenarbeit bei teureren schenrechtsverletzungen. Sklaverei gab es als gesellschaftliche und rechtli- Waren automatisch ausgeschlossen! Hier wird also der che Institution seit der Antike und bildete für verschiedene Kulturen bis in die mündige, aufgeklärte Verbraucher angesprochen, der Neuzeit hinein eine wichtige wirtschaftliche Grundlage. Erst seit der Zeit der kritisch nachfragt, warum ein bestimmtes Produkt Aufklärung konnte sich allmählich eine Antisklavereibewegung durchsetzen, evtl. um so viel günstiger als ein Konkurrenzprodukt die im 19. und 20. Jahrhundert große Erfolge erzielte. Doch wie Recherchen angeboten wird. mutiger Journalisten und von Menschenrechtsorganisationen zeigen, gibt es Viele versklavte Frauen und Kinder arbeiten weltweit Sklaverei noch heute. Schätzungen von Menschenrechts- und Antisklaverei- als Prostituierte. Lydia Cacho berichtet davon, dass organisationen gehen weltweit noch immer von bis zu 30 Millionen Sklaven jährlich etwa 1,4 Millionen Menschen in die Sexskla- aus! Das vorliegende Buch bietet eine historische Einführung und Darstellung verei gezwungen werden. Auch in westlichen Ländern der Problematik und begibt sich auf Spurensuche. Es beschreibt die Entwick- ist das Problem der Haussklaverei bekannt, das nicht lung der Sklaverei für verschiedene Kulturen – von der Antike bis in die Neu- nur ausländische Diplomaten betrifft, deren Immuni- zeit. In übergreifenden Artikeln skizziert es den Umgang mit der Sklaverei in tät jedoch geschützt ist. Bales geht für die Stadt Paris den Bereichen Religion, Philosophie und Wirtschaft. Ebenso macht es deut- von ungefähr 3.000 versklavten Hausangestellten aus. lich, welche Unterschiede es zwischen alter und moderner Sklaverei gibt. für unsere heutige Welt besitzen, folgendermaßen: »Sklaven in Pakistan haben möglicherweise die Schu- he gefertigt, die Sie tragen, und den Teppich gewirkt, auf dem Sie stehen. Sklaven in der Karibik könnten MARTIN SCHNEIDER, M. A., Jahrgang 1973, studierte an der Uni- dafür gesorgt haben, daß in Ihrer Küche die Zucker- versität Regensburg Allgemeine Wissenschaftsgeschichte, Geschich- Martin Schneider dose gefüllt ist und Ihre Kinder Spielzeug haben. In te und Politikwissenschaft. 2004–2009 arbeitete er für das Techni- In­dien wurde vielleicht das Hemd genäht, das Sie am sche Museum Wien. Mitarbeit am Ju­biläumsband »100 Jahre Techni- Unrecht Sklaverei – gestern und heute Leib tragen, und der Ring an Ihrem Finger poliert. sches Museum Wien« (2009). 2009– Lohn erhalten diese Menschen dafür keinen. 2014 war er Programm-Manager für (Auch indirekt spielen Sklaven eine Rolle in Ihrem Le- die Volkshochschule Traunreut. Er ar- s gibt wichtige Unterschiede zur traditionellen In- von Angebot und Nachfrage schwanken. Doch alleine ben. Sie haben die Ziegel für die Fabrik gebrannt, in beitet als freier Autor sowie als Do- Estitution der Sklaverei. Da die allermeisten Staa- aus wirtschaftlichen Gründen musste der Besitzer ein der Ihr Fernsehapparat angefertigt wurde. In Brasi­ zent in der Erwachsenenbildung. ten inzwischen nationale Gesetze gegen Sklaverei und Interesse daran haben, die Leistungsfähigkeit seines lien haben Sklaven die Holzkohle hergestellt, mit der Menschenhandel erlassen sowie diesbezüglich inter- Sklaven möglichst lange zu erhalten, um durch seine man den Stahl für die Federung Ihres Autos und die nationale Abkommen zum Schutz der Menschenrech- Erträge den Kaufpreis und zusätzlich einen möglichst Schneide Ihres Rasenmähers härtete. Sklaven haben te unterzeichnet haben, kann man nicht mehr davon großen Gewinn zu erwirtschaften. In der heutigen den Reis angebaut, von dem die Frau sich ernährt, die marix sprechen, dass es sich bei der modernen Sklaverei um Zeit ist das Angebot an potentiellen Sklaven größer den wunderschönen Stoff für Ihre Vorhänge gewebt Gebunden mit eine rechtlich anerkannte Institution handelt. Sie ist als jemals zuvor in der Geschichte. Somit sind die Prei- hat. Ihr Effektenportefeuille und Ihre Lebensversiche- Schutzumschlag 256 Seiten, illegal, strafbar und geächtet! se niedrig. Bei Ausfall eines Sklaven durch Krankheit, rung werden von Unternehmen verwaltet, die Aktien 5 Euro War das Besitzrecht an einem Sklaven in der traditio- Unfall oder Tod kann schnell kostengünstiger Ersatz nellen Sklaverei durch einen rechtlich gültigen Kauf- beschafft werden. vertrag abgesichert und einklagbar, wird in den neuen Ein langfristiges Besitzverhältnis wird im Gegensatz Formen der Sklaverei das Besitzrecht geradezu ver- zu früheren Zeiten auch gar nicht mehr angestrebt. Weitere spannende Titel bei marixwissen, jeder Band gebunden mit Schutzumschlag, 160–256 Seiten, 5 Euro. mieden. Zum einen können keine rechtlichen Ansprü- Sofern früher erworbene Sklaven arbeitsunfähig wur- che des Sklavenbesitzers mehr eingeklagt werden, da den, behielt man sie seitens des Besitzers trotzdem, Sklaverei illegal ist. Zudem wäre ein Kaufvertrag im da man durch den Kauf auch eine Verantwortung Falle strafrechtlicher Verfolgung auch ein untrügli- übernommen hatte. Da heutzutage genügend Nach- ches Zeichen für das Vorliegen einer Straftat. Zum schub zu günstigen Preisen verfügbar ist, entledigt anderen waren mit dem Erwerb eines Sklaven bislang man sich der Sklaven einfach, sofern sie keinen Profit auch Pflichten des Käufers verbunden, da er für den mehr bringen. Sklaven auch sorgen musste. Diese Pflicht entfällt Moderne Sklaven arbeiten in der Landwirtschaft, in nun. Steinbrüchen sowie im Bergbau. Ebenso dienen sie als Zwar konnte der Kaufpreis für einen Sklaven in der Kindersoldaten in regulären Armeen und in Rebellen- herkömmlichen Sklaverei entsprechend dem Gesetz gruppen. Bales beschreibt die Bedeutung, die Sklaven 36 | 37 Das Bauhaus lebt

lees Bilder wirken einfach und sie sprechen zu- er Vorkurs, den der Schweizer Künstler Johannes Itten m Jahr 1921 folgte Oskar Schlem- yonel Charles Adrian Feininger on A bis Z, umfassend und präg­ K nächst für sich. Abstraktes wird mit Gegenständ­ D1919 am neugegründeten Bauhaus in Weimar einführ- I mer dem Ruf von Walter Gropius L wurde 1871 in New York geboren, V nant die wichtigsten Personen und lichem ausbalanciert. Die Schönheit der Farbe, die Sen- te, revolutionierte die gestalterische Ausbildung in der gan- an das Staatliche Bauhaus in Weimar. wo er auch 1956 verstarb. Er studierte Begriffe des Bauhauses. Am 1. April sibilität der Linie, der pointierte Witz in der Darstellung zen Welt. Nicht nur in Japan griff man diese Grundlagen- Als Formmeister übernahm Schlem- in Paris, Lüttich, Hamburg und Berlin 1919 eröffnete in Weimar eine Kunst- menschlicher Schwächen und nicht zuletzt die Poesie der lehre auf, die heute die Basis an vielen Designhochschulen mer zeitweise die künstlerische Lei- Malerei. Er wirkte am Bauhaus von und Design-Schule ihre Pforten. Sie Bildtitel machen dem Betrachter ein leicht zugängliches bildet. Neben dem charismatischen Pädagogen würdigt die tung der Bauhaus-Werkstätten für 1919 bis 1932 als Lehrer und stand wurde zur bedeutendsten Schule ih- Angebot. Zu zeigen, wie sich ihr eigentliches, sehr viel Biografie auch den ausdrucksstarken Maler Itten, der in Wandmalerei, Holz-, Steinbildhauerei der Bewegung des ­Blauen Reiters und rer Art im 20. Jahrhundert. Das Ziel reicheres Leben erst hinter der Oberfläche entfaltet, ist seinen Werken mit Form und Farbe experimentiert. Das und Metall sowie die Bühnenwerk- u. a. dessen Gründervätern Wassily war es, alle Künste zu vereinen und das Anliegen dieses Buches: Klee selbst hat seine Arbeit auch beleuchtet Ittens facettenreiche Persönlichkeit, seine statt. Für Schlemmer war die Büh- Kan­dinsky und Franz Marc sehr nahe. gemeinsam den »Bau der Zukunft« als mit dem Blick durch ein Mikroskop verglichen. Nur aus Grundlagenforschung sowie persönliche Lebensumstände. nenkunst am Bauhaus neben Wand- 1937 kehrte Feininger in die USA zu- sogenanntes »Gesamtkunstwerk« zu der Nähe wird das unendlich kunstvolle Verflechten aller Von 1919 bis 1923 war Itten als Meister am Staatlichen malerei, Bildhauerei und Akt­zeichnen rück, nachdem die National­sozialisten erschaffen. Daneben galt es, den er- denkbaren Aspekte des Lebens zu einer visuellen Sym- Bauhaus in Weimar. Er prägte mit seiner Arbeit und Persön- von zentraler Bedeutung. seine Bilder als »entartet« deklariert zieherischen und sozialen Anspruch phonie, zu einem dynamischen, in kosmische Regionen lichkeit die frühe Phase der heute weltbekannten Schule. Die Designwissenschaftlerin Elke Beil- hatten. einer neuen Gestaltung des Lebens reichenden Geflecht erkennbar. Die Jahre am Weimarer, Neben seiner Lehrtätigkeit und der Arbeit mit den Studie- fuß stellt das Leben und Wirken von Die Autorin Christiane Weber folgt und der Umwelt umzusetzen. Walter ­später am Dessauer Bauhaus haben auf die Entwicklung renden am Bauhaus stellte er eigene, gestalterische Unter- Oskar Schlemmer vor, begibt sich auf sachkundig den Spuren Feiningers und Gropius gelang es, für das Bauhaus dieser faszinierenden Bildsprache wie Dünger gewirkt. suchungen zur Wirkung der Farben an. Nach Meinungs- Spurensuche nach den »Schlemmer- seinem künstlerischen Schaffen und einige der bedeutendsten Künstler Im kollegial-freundschaftlichen Verhältnis zu Kandinsky verschiedenheiten mit Walter Gropius schied Itten 1923 Orten« in Weimar und Dessau und stellt dabei vor allem seine Weimarer der Avantgarde wie Johannes Itten, und Schlemmer­ und in der Ausein­ander­setzung mit sei- aus dem Bauhaus aus, um sich bis 1926 in Herrliberg bei zeichnet ein anschauliches und aktu­ Zeit in den Mittelpunkt ihres informa- Lyonel Feininger, Paul Klee oder Was- nen Schülern entdeckte Klee sich selbst. Erst als das Bau- Zürich der Mazdaznan-Tempel-Gemeinschaft anzuschlie- elles Porträt dieses bedeutenden Bau- tionsreichen Buches. sily Kandinsky zu gewinnen. »Das haus in späteren Jahren eine größere Nähe zur Industrie ßen. Itten war weiterhin als Dozent und Lehrer und letzt- haus-Meisters. Eine Beschreibung des Feininger Rad- Bauhaus in Weimar« ordnet wichti- entwickelte, wurde ihm, der im ersten Weltkrieg Kampf- lich Leiter an Gestaltungsschulen tätig, mehr und mehr weges durch das Weimarer Land mit ge Begriffe und Personen dieser ent- flugzeuge mit Tarn­farben bemalt hatte, klar, dass ihn auch im textilen Handwerk. In Herrliberg gründete er die Besuchen bedeutender Feininger-Sta­ scheidenden Epoche und gibt anhand sein Weg in eine andere Richtung führen müsse: »Kunst Ontos-Kunstschule sowie die Ontos-Werkstätten für Hand- ti­onen rundet dieses anschauliche prägnanter und informativer Artikel gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.« weberei, Smyrna-Teppichknüpferei und Gobelins. Von 1926 Buch ab. Einblicke in die Anfangszeit des Bau- Ein kleiner Stadtrundgang zeigt die Orte in Weimar, an bis 1934 führte Itten eine eigene Schule in Berlin und 1932 hauses in Weimar. Reich bebildert so­­- denen Paul Klee lebte und wirkte. bis 1938 die Höhere Fachschule für Textile Flächenkunst in wie mit einem umfangreichen Regis­ Krefeld. Nach der Schließung der beiden von Itten geführ- ter und Literaturverzeichnis versehen, ten Schulen durch die Nationalsozialisten ging er zurück werden Stationen und Ursprünge des in seine Schweizer Heimat und leitete in Zürich zunächst Weimarer Bauhausstils nachvollzieh- die Kunstgewerbeschule (heute ZHdK), später die dortige bar. Textilfachschule und schließlich das Museum Rietberg in Zürich-Enge. Im Alter von 78 Jahren starb Johannes Itten in Zürich.

Weimarer Verlagsgesellschaft Weimarer Verlagsgesellschaft Weimarer Verlagsgesellschaft Weimarer Verlagsgesellschaft Weimarer Verlagsgesellschaft Hardcover mit Schutzumschlag 136 Seiten, 144 Seiten, 144 Seiten, 144 Seiten, durchgängig vierfarbig, durchgängig vierfarbig, durchgängig vierfarbig, durchgängig vierfarbig, mit zahlreichen Abbildungen Französische Broschur, Französische Broschur, Französische Broschur, Französische Broschur, ca. 240 Seiten, 14,90 Euro 14,90 € Euro 14,90 Euro 14,90 Euro 28 Euro 38 | 39 Unterwegs ???

MICHAEL O. R. KRÖHER, WOLFGANG GROEGER-MEiER erzählen von einem Roadtrip zwischen Gestern und Heute: Im Oldtimer entlang einer Straße der Erinnerung und der Sehnsucht

Prunk und Protz, Glamour und Graus an der französischen Mittelmeerküste deutlich spür- bar: Bis zum Jahr 1860 verlief die Staatsgrenze nicht hinter Menton, sondern knapp 50 Kilometer westlich as Esterel-Gebirge östlich von Fréjus/St.-Raphael am Ufer des Flusses Var. Die östlich gelegene Graf- D ist die letzte, nahezu unbebaute Zone an der Côte schaft Nizza gehörte zum Haus Savoyen. Konsequen- d’Azur. Jahrhundertlang galt es als Rückzugsort für terweise führten die ersten Pläne die RN7 nur bis zum Räuber, Deserteure und andere Outlaws. Und noch damaligen Grenzort Antibes. immer bedecken dichte Nadel- und Hartlaubwälder Wer an der Riviera die Uferstraße oder die alte, etwas die steilen Hänge am 612 Meter hohen Mont Vinaigre, oberhalb gelegene Trasse der Route Bleue ostwärts be- die tiefen Täler zwischen den schroffen Felsgraten. fährt, der kann kaum noch Ortsgrenzen ausmachen. Die Küstenstraße Richtung Cannes wurde 1903 mit Eine Gemeinde geht über die in nächste: Golfe-Juan, großem Aufwand aus dem roten Porphyrgestein des wo Napoleon Bonaparte am 1. März 1815 nach seiner Schon von Napoleon geplant, beginnen sie am Esterel herausgesprengt, doch erwies sie sich diese Verbannung auf Elba mit einer kleinen Armee landete, »Point Zero«, einer Messingmarke auf dem Platz vor »Corniche d’Or« als zu kurvenreich, um den in den um Frankreich und später womöglich ganz Europa zu- der Hauptkirche Notre-Dame in Paris: Die französi- 1930er Jahren einsetzenden Fernverkehr sinnvoll auf- rückzuerobern; Juan-les-Pins, seit den 1930ern Som- zunehmen. Also wurde landseitig eine neue Gebirgs- mersitz der lebendigen französischen Jazz-Szene um schen Nationalstraßen, die sich von der Hauptstadt in durchquerung gebaut, der Verlauf der N7 dorthin ver- Boris Vian und seine Nachfolger; schließlich Antibes, die Winkel der Grande Nation erstrecken. Dabei ist legt. die älteste Siedlung an der französischen Riviera, ge- die »N7« die längste und schönste: Sie führt über rund Was allerdings kaum Erleichterung brachte: Die primi- gründet schon 500 v. Chr. von den antiken Griechen. 1.000 Kilometer von der Île de la Cité nach Süden an tiven Dieselmotoren der Lkw jener Jahre mussten mit Und bis heute vielleicht die schönste. ihren 150 PS zwanzig, vielleicht auch dreißig Tonnen Klar: Auch Antibes ist ringsum bepflastert mit Bau­ die italienische Grenze – von Paris bis nach Menton. Fracht über die Bergstrecken mit teilweise zweistelli- sünden aus Beton. Auch in der kleinen Stadt ballen Die Straße ist legendär: Millionen europäischer gen Steigungsprozenten ziehen – ein Vabanque-Spiel sich Prunk und Protz, echter und falscher Glitzer. Autofahrer und ihre Familien, auch Tramper und für die Fahrer. Vor jedem Anstieg hieß es: Anlauf neh- Auch hier finden sich dunkle Gassen, gefüllt mit Ber- Troubadoure, Artisten und Straßenkünstler waren auf men! Wer stehen blieb, etwa weil er seine Maschine gen von Mülltüten, auch hier dröhnt und donnert und ihr unterwegs, folgten der Sehnsucht nach dem Süden abgewürgt hatte, konnte am Hang nicht wieder neu wummert es aus ungezählten Lautsprechern. anfahren und musste stattdessen mit seinem Anhän- Doch draußen, zwischen den riesigen Villengrund­ und dem Meer – die »N7« war ein Synonym für Sonne gergespann durch die Kurven und im laufenden Ver- stücken auf der Halbinsel am Cap, ist es ruhig. Und wer und Ferien, für die Leichtigkeit des Daseins und für kehr zurückrollen, bis er auf ebener Strecke nochmal sich dann noch aufmacht zum Leuchtturm auf dem das Glück einer vorübergehenden Freiheit, besungen Anlauf nehmen konnte. Auf der Rückfahrt in Rich- Höhenkamm und zur benachbarten Kapelle ­Notre- nicht nur von Charles Trenet. tung Paris bedrohten dann dieselben Etappen als Ge- Dame de La Garoupe, der findet dort mit dem Pano­ fällstrecken die schwachen Bremsen der Lkw. rama über die Bucht von La Napoule einen der ein- Michael O. R. Kröher und Wolfgang Groeger-Meier Wir nehmen die alte, berüchtigte Gebirgsstrecke, die drucksvollsten Ausblicke an der gesamten Côte d’Azur. sind unterwegs auf dieser Route und sichern das heute, an einem anfangs grauen Tag, kaum befahren Nicht weit entfernt das »Hotel du Cap Eden Roc« – ei- Vermächtnis der legendären Straße: Was hat sich ist – und somit keine Gefahren birgt, auch nicht für nes der weltweit berühmtesten Hideaways für Show- entwickelt aus dieser einstigen Lebensader? Was ist unseren betagten Opel mit seiner Dreigangschaltung stars, Supersportler, Wirtschaftsgrößen, Großschrift- und seinen Trommelbremsen. In Cannes drängt sich steller, Oligarchen und Schauspieler. Der Anblick von aus den vielen Tankstellen, Restaurants, Cafés und dann wieder die Sonne durch die Wolken – und wir der Straße signalisiert vor allem Diskretion und Un- ­Hotels geworden, die sie säumten? Wie sieht die promenieren auf der Croisette, der berühmten Strand- derstatement, aber auch Stilempfinden: Ein weitläu­ Landschaft aus? Wie geht es den Menschen? Und promenade, die den spektakulären »Pavillon des Fes­ figer Park mit sorgsam gestutzten Hecken und Pflan- wo ist die Zukunft? tivals« mit den Renommier-Hotels »Majestic«, »Carl- zen versteckt eine Handvoll Schuppen und Gebäude, CORSO Das Buch erzählt die Geschichte und Gegenwart Hardcover mit Schutzumschlag, ton« und »Martinez« verbindet. die in dezenten Farben angestrichen sind. Kein Auto 160 Seiten, mit vielen farbigen Östlich von Cannes heißt die Mittelmeerküste Ri­ ist zu sehen, kein Geräusch zu hören – außer der leich- einer der wichtigsten Straßen Westeuropas, die für ­Fotografien, Karten und Hinweisen, viera – wie im Nachbarland Italien. Der kulturelle ten Brise, die durch die Nadeln der hohen Kiefern viele eine Legende, eine Sehnsucht – eine wunder- farbige Vorsätze, Fadenheftung, 24,90 Euro ­Einfluss der angrenzenden Region Ligurien ist auch streicht. bare Erinnerung ist. 40 | 41 ??? 41 Oh, Marquise! ???

Die Geschichte der »Marquise von O….« ist also in der Gegenwart angekommen, illustriert von Andrea Grosso Ciponte. 42 | 43 »Die Marquise von O….« fernöstliche weisheiten???

»Menschlichkeit ist »Wer in unserem Herzen wohnt, Menschenart. Menschlichkeit der ist nahe, ob er gleich ist der Weg des Menschen.« in der Ferne weilt; wer aber nicht »Deutsche Weltliteratur, adaptiert und illustriert von Ita- in unserem Herzen wohnt, lienern: Andrea Grosso Ciponte will für den neuen Verlag der ist, selbst nahe, fern.« Edition Faust zehn Klassiker-Comics zeichnen. Es entsteht eine kleine Bibliothek der Romantik, die als Comicvorhaben weltweit einzig dastünde, wenn Ciponte wirklich durchhält. Hier sind Comic-Überzeugungstäter am Werk, deren Mut man gern belohnt sähe.« ANDREAS PLATTHAUS

Es ist kaum zu glauben, auf welche Weise Andrea Marquise und malt sie, wenn man von den wenigen Grosso Ciponte Heinrich von Kleists hochkomplexe, Szenen absieht, in denen ihr Gewalt angetan wird, uro psychologische Erzählung »Die Marquise von O….« ausschließlich nackt. uro € in eine Graphic Novel verwandelt. Schon Dacia Pal- Die mit Aquarelltechnik in eine gewisse Distanz merinos Textfassung ist ein Kabinettstück anspielungs- gebrachten Akte der Marquise teilen gleichzeitig eiten, E 10 eiten, E 10 reicher Verknappung; sie folgt einem Handlungsfa- durch ihre Inszenierung und Gestik noch etwas von den, herausgelöst aus Kleists Sprachgeflecht, haltbar den Empfindungen Kleists mit, verbunden mit dem genug, um die prächtigen Bildeinfälle Cipontes zu Selbstverständnis heutiger Menschen. Damit ist et- verknüpfen und zu tragen. Ciponte wagt nun seiner- was faszinierend Neues entstanden. seits einen artistischen Sprung zur reduzierten Visua- lisierung. Er konzentriert sich ganz auf die Figur der chutzumschlag, S 272 chutzumschlag, 224 S ebunden mit S ebunden mit S G marix marix G

Radikaler, lebensnaher und praxisbezogener als Konfu­ Erzähler dieser in Asien weit verbreiteten und beliebten zius führte Mong Dsï den Konfuzianismus in eine neue Sammlung volkstümlicher Liebes-, Ehebruchgeschichten Zeit. Während sich die Despoten der chinesischen Klein- und Fabeln indischer Herkunft ist ein redegewandter Pa- staaten bekriegten, entwickelte er den Konfuzianismus pagei: Als sein Herr, ein Kaufmann, auf Geschäftsreise politisch weiter und trat für eine humane Regierung ein. geht, gerät seine Ehefrau in Versuchung sich einem Liebes- Bedeutend hierbei ist die Grundlage seiner Philosophie: abenteuer hinzugeben. Um sie davon abzuhalten, weckt Während Konfuzius nur feststellt, dass die Menschen sich er mit fesselnden Geschichten ihre Neugier und erreicht, auf natürliche Weise nahestehen, sieht Mong Dsï sie als dass sie ihre Verabredung nicht wahrnimmt. In 70 volks- gleich an und als von Natur aus gut. Erst die jeweiligen tümlichen Erzählungen unterhält der Papagei die Frau gesellschaftlichen, sozialen und privaten Umstände beein- Nacht für Nacht mit Geschichten, die von Liebesmoral und flussen die an sich gute Natur des Menschen positiv oder Ehebruch handeln. negativ. Zentral sind für ihn vier jedem Menschen inne- wohnende Prinzipien: Mitleid, Scham, Ehrerbietung und die Fähigkeit, gut von böse zu unterscheiden. Bis heute hat Mong Dsïs Philosophie – trotz oder gerade aufgrund ihrer politischen Ausrichtung – nicht an Aktualität verloren und Edition Faust, jeder Band: Im Herbst erscheint in der Edition Faust: 225 x 315 mm, ca. 64 Seiten, farbig, »Schloss Otranto« von Horace Walpole kann als Orientierungshilfe im gesellschaftlichen Makro-, gebunden mit Fadenheftung, 20 Euro aber auch im individuellen Mikrokosmos dienen. 44 | 45 GESCHICHTE IST HEUTE 200. Geburtstag am 1. April 2015 »Es ist schwer, unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein.« Wilhelm I.

Otto von Bismarck gilt heute als einer der wichtigsten, aber auch streitbarsten »Den Verlust spüre ich bis heute an jedem einzelnen Tag, wenn ich Staatsmänner der deutschen Geschichte. Wie kein zweiter hat er die deutsche ohne Buch, ohne Instrument und ohne Arznei dastehe, die ich doch Politik im späteren 19. Jahrhundert gestaltet. Die wesentlichen Grund­lagen brauche.« seines Handelns wurden jedoch schon deutlich früher, in den 1830/40er Jahren gelegt. Diesen Anfängen geht der vorliegende Band nach. Er zeigt Galenos von Pergamon, einer der bedeutendsten Intellektuellen des auf, wie das politische Denken Bismarcks entstand und geprägt wurde und 2. Jahrhunderts n. Chr., war als Arzt am Kaiserhof, als Philosoph und macht somit auch dessen spätere Politik begreifbar. Anhand einer Auswahl als Philologe berühmt. Er verlor bei einem Stadtbrand in Rom 192 n. der aussagekräftigsten Texte aus Bismarcks »Gedanken und Erinnerungen« Chr. seine Medikamente, seine medizinischen Geräte und vor allem erhält der Leser die Möglichkeit, sich ein eigenständiges Bild von Bismarcks seine Bibliothek. Was war geschehen? Wie ging der gelehrte Arzt politischer Ideenwelt zu machen. damit um? Und was empfiehlt er von Verlusten Betroffenen? Eine erst vor wenigen Jahren wieder entdeckte Schrift des Galenos, Mit Otto von Bismarck eröffnen wir anlässlich seines 200. Geburtstages un- die hier erstmals in deutscher Übersetzung vorgelegt wird, gibt Ant- sere neue Reihe »Politisches Denken«. In dieser Reihe werden wir politische worten auf diese Frage und eröffnet zugleich einen neuen, faszinie- Denker und deren Zeit anhand ausgewählter und kommentierter Schriften renden Blick in das antike Rom. vorstellen. Es sind Autoren, deren politisches Denken nicht nur theoretisch blieb, sondern praktische Auswirkungen hatte und somit auch ihr jeweiliges Zeitalter erfassen lässt. marix Eingeleitet, herausgegeben und erstmals ins Deutsche übersetzt von Kai Brodersen, marix gebunden mit Schutzumschlag, Ausgewählt und kommentiert 128 Seiten, 10 Euro von Klaus Kremb Gebunden mit Schutzumschlag, ca. 160 Seiten, 10 Euro Sokrates: »Die Geschichte endet nicht mit uns.«

Die Texte und Schriften von Karl Marx gehören zu den meistgelese- »Ob ein Sportler beim Sex enthaltsam oder unmäßig, ein Trinker nen der Weltliteratur überhaupt. Ob man sich nun – zu Recht oder oder Fresser, mutig oder feige ist, muss der Trainer genau verstehen, zu Unrecht – politisch auf ihn beruft oder ihn verketzert: Karl Marx ist da er ja die Natur des Sportlers zu prüfen hat.« ohne Zweifel einer der größten humanistischen Denker in der Tradi­ tion der europäischen Aufklärung und einer der großen »Meister des Warum sind Laufen, Ringen, Boxen, Diskos- und Speerwerfen noch Verdachts«. heute Olympische Sportarten? Der Sport in der Antike hat eine Tra- Hinter viele seiner Einsichten, etwa seinen »historischen Materialis- dition mit enormer Wirkung begründet. Woher kennen wir diese mus«, kann man heute nicht mehr zurückfallen. Seine ökonomischen Tradition? Die einzige zusammenhängende Darstellung des anti- Analysen erleben gerade in unserem Zeitalter der Globalisierung eine ken Sports verdanken wir der Abhandlung »Über das Training« des ungeahnte Konjunktur. Der vorliegende Band präsentiert die wichtigs- Flavius Philostratos (um 170 – um 250 n.Chr.). ten Texte von Karl Marx in einer sorgfältigen Auswahl und mit guten Das Werk stellt die Sportarten vor, die bei den antiken Olympischen Kommentaren, die das Verständnis erleichtern und wertvolle Hinweise Spielen präsentiert wurden, erläutert, was ein Trainer wissen und für die eigene Auseinandersetzung geben. tun muss, schildert den idealen Sportler und stellt Trainingspro­ Der Herausgeber bezieht darüber hinaus Stellung dazu, inwiefern ein gramme vor, die zu sportlichen Erfolgen führen. Flavius Philostratos’ Denker des 19. Jahrhunderts heute noch aktuell ist und wo man mit ihm Werk »Über das Training« wird mit dieser Edition seit über einem über ihn hinaus denken muss. Jahrhundert erstmals wieder zweisprachig griechisch und deutsch zugänglich. marix Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Bruno Kern marix Gebunden mit Schutzumschlag, Übersetzt und herausgegeben ca. 416 Seiten, 20 Euro von Kai Brodersen, gebunden mit Schutzumschlag, 128 Seiten, 10 Euro 46 | 47 A???ch, Venedig, Stadt der Städte ???

Venedig, Gelie bte des Auges

Die Gastgeberin unseres neuen Städtemagazins Venedig ist ELKE HEIDENREICH. Wie in jeder Ausgabe des corsofolio (siehe auch Seite 49) finden Sie viele namhafte Autoren und noch mehr Fotografien. corsofolio: »Das Magazin der Extraklasse für Reiselustige und für alle, die vom Reisen träumen.« DEUTSCHLANDFUNK

ELKE HEIDENREICH lebt als Autorin von Erzählungen, Kinder­ büchern, Sachbüchern in Köln. Sie schreibt für Funk, Fernsehen und Zeitungen vor allem über Musik und Literatur. Bei C. Bertelsmann hat sie 40 Musikbücher herausgegeben und sie ist im Kritikerteam des Schweizer »Literaturclub«. Bei corso erschien ihr wunderbares Buch »Die schöne Stille – ­Venedig als Stadt der Musik«. 48 | 49 Ach, Venedig, Stadt der Städte

Elke Heidenreich Inniges, zartes Begreifen corsofolio : »Magazin in bester Buchform.« die welt

enedig ist tatsächlich eine Stadt, an deren Akustik Man darf in Venedig nicht mit Ohrstöpseln herum­ V man sich erinnert. Wenn ich die Augen schließe laufen, man sollte nicht einmal Radio hören – es gibt und mir die Kanäle und die Gassen, die Häuser und die genug Musik, von morgens bis abends, und in den Kirchen vorstelle, dann höre ich, wie all das klingt. Mit Nächten sowieso. Und nach sehr, sehr viel Vivaldi, keiner anderen Stadt geht mir das so. Verdi, Albinoni landet man manchmal in der Nähe von Die Stadt kann man nicht fassen. Töne, Musik, kann San Marco im für Venedig noch neuen Hardrock Café man auch nicht fassen. Bilder kann man betrachten, am Bacino Orseolo und gibt sich die volle Dröhnung: Musik kann man hören, und sie ist im selben Moment Freddy Mercury, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jefferson verklungen, in dem man sie hört, aber sie hinterlässt Airplane, die Eagles und Santana bis zum frühen Mor- etwas in uns. Sie gräbt uns um. In dieser Stadt, Wasser gen. Und dann singt schon wieder in einer Gasse je- unter sich statt festem Boden, ist der Mensch – viel- mand leise ein zartes, frühes Lied. Es endet ja nie. leicht – mehr Seele als Körper, weniger für die Lei- Der Engländer Charles Burney, der 1770 und 1772 denschaft gemacht als für das innige, zarte Begreifen. zwei Reisen auf das europäische Festland unternahm, Gastgeber: Martin Mosebach Gastgeber: Matthias Politycki Gastgeber: Georg Stefan Troller Gastgeber: Eva Menasse Hier, endlich, erreicht Musik uns: ganz. um Material für eine umfassende Musikgeschichte zu Mit Beiträgen u. a. von Mit Beiträgen u. a. von Mit Beiträgen u. a. von Mit Beiträgen u. a. von Karl Galinsky, Lydia Gless, Ursula Alain de Botton, Christoph Dallach, Andreas Alt­mann, Louis Begley, Thomas Kapielski, , Bei meinem letzten Aufenthalt in Venedig wohnte ich sammeln, wusste auch, was das Geheimnis der vene­ ­Keller, Navid Kermani, Pier Paolo Eike Schönfeld, Margit Dirscherl, Ullrich Fichtner, Danny Leder, Alfred Dorfer, ­Michael Stavaricˇ, direkt an der Oper La Fenice im Hotel La Fenice et des zianischen Musik ist oder war: Pasolini, Johannes Saltzwedel, Rüdiger Görner, Stefan Tobler, Claus Lutterbeck, Karen Michels, Thomas Glavinic, Georg Stefan Troller, Artistes, in dem viele Sänger und Künstler regelmäßig »Es kommen viele Umstände zusammen, um die vene- Birgit Schönau, Feridun Zaimoglu Jan Böttcher, Stefanie Schütte, Bart Moeyaert, Paul Nizon, Verena Mayer, Sibylle Hamann, absteigen. Üppige Fotowände im Aufenthaltsraum ge­ zianische Musik besser und allgemeiner zu machen, und dem Bilderbogen von ­Martin R. Dean Alexander Perrey, Peter Stamm, Hans Menasse, Axel von Ernst, ben Zeugnis davon. Ich hatte ein kleines, sonniges als sie sonst irgendwo ist: die Venezianer haben außer Herbert List und dem Bilderbogen von ­Michael M. Thoss, Anne Weber Ulrich ­Ladurner, Bernd Püribauer, Wolf Suschitzky und dem Bilderbogen von Dirk Stermann Zimmer mit dunkelroter Seidentapete und wenigen, den theatralischen wenig Belustigungen. Spazieren­ Fritz Henle und dem Bilderbogen von alten Möbeln, und wenn ich das Fenster weit öffnete, gehen, Reiten und andere ländliche Ergötzungen sind Nikolaus Walter kam immer von irgendwoher eine Musik – aus den ihnen versagt. Diesem hat man es einigermaßen zuzu- Proberäumen der Oper, vom Einsingen der Sänger, schreiben, dass die Musik so häufig ist und mit so vie- aus den Gondeln des nahen Kanals, manchmal ging lem Aufwande betrieben wird.« einfach nur unten jemand vorbei und sang. Die Musiker wussten das und kamen, Willaert aus Flandern, Monteverdi aus Mantua, Claudio Merulo, der bravouröse Orgelspieler und Meister der Toccata kam aus Brescia und wurde Organist an San Marco, corsofolio: mindestens 160 Seiten, corsofolio | Venedig Alessandro Scarlatti schickte seinen Sohn Domenico durchgängig vierfarbig corso» folio ist Magazin in bester Buchform.« nach Venedig, und in seinen Sonaten hört man den die welt und Duotone auf zwei Papieren. »Das Magazin der Extraklasse für Reiselustige Einfluss Vivaldis. Heinrich Schütz reiste aus Köstritz und alle, die vom Reisen träumen.« Format 22 × 30 cm, deutschlandfunk Venedig, in Thüringen an, Johann Rosenmüller, der Posaunist, Geliebte des Auges Fadenheftung, Hardcover. Einzelpreis: 26,95 Euro

Für viele ist sie die Stadt der Städte, für andere ist sie Herbert Rosendorfer David Marc Hoffmann aus Leipzig, die Tieffenbruckers, berühmte Lauten- ein »Pionier des Plünderns«, für viele ein Ort der Sehnsucht, für andere eine Hölle des Tourismus: Venedig. bauer, aus Füssen, Händel aus England, Mozart kommt Dieses corsofolio versammelt unterschiedliche Stimmen Gastgeber: Gastgeber: Ulrich Sonnenberg Gastgeber: Wilhelm Genazino zu dieser einmaligen Stadt – Erzählungen, Essays, Loblieder 1771 mit seinem Vater, später dann kamen Humper- und Schmähungen, Einblicke und Ausblicke. Heinrich von Berenberg dinck, Wagner, Liszt, Verdi sowieso, Louis Spohr kam Mit Beiträgen u. a. von Mit Beiträgen u. a. von Mit Beiträgen u. a. von Jan Christophersen, Erling Jepsen, Tilman Spreckelsen, Karl-Markus Gauß, und dirigierte Beethovens zweite Sinfonie, Mendels- Rafael Chirbes, Javier Tomeo, Elmar Jung, Ulrich Sonnenschein, Esmahan Aykol, Özlem Topçu,

Gastgeberin: Elke Heidenreich sohn-Bartholdy fand wenig interessante Musik in Ve- Henrietta Thompson, Rafael Horzon, Elsemarie Maletzke, John Tchicai, Pınar Selek, Bedri Baykam, Janet Riedel, nedig und bewunderte eher die Gemälde, komponier- Michael Ebmeyer, Rafael Argullol, Tove Ditlevsen, Helga Othenin-Girard, Cornelia Tomerius, Ulli Kulke, Mario Gastgeberin Elke Heidenreich te aber doch fleißig angeregt in der Lagunenstadt, wie Oscar Tusquets, Markus Jakob, Rainer Moritz, Friederike Haedecke, Rispo, Daniel Steinvorth, Jesco Denzel, Herbert Rosendorfer erzählt von einer Begegnung der unheimlichen Emili Boix, Vanessa González, Marina Matthias Hannemann, Joakim Garff, Perihan Mag˘den, Joachim Sartorius Art / David Marc Hoffmann trifft Nietzsche auf der Piazza San – noch viel später – Strawinsky. Marco / Horst Günther weiß, dass ohne die Fórcola nichts geht / ­Martínez Oriol, Gontran Patrick Karin Ceballos Betancur, Anouk Jans, und dem Bilderbogen von Peter Kammerer stürzt sich in die Szenen einer Ehe und berichtet von der Vermählung von Stadt und Lagune / Für Julia Schoch ist Dutoya, Ona Harster Prats, Tobias Clemens Meyer Ara Güler u. a. Kemp u. Reski Otto Jägersberg Harald Martenstein Eva Demski Wolfgang Kammerer Julia Schoch Anna Degler Petra Horst Günther Peter Geliebte des Auges Geliebte des Venedig, das Wesentliche schon passiert, während Anna Degler vom Weg allen Fleisches und Petra Reski über den Ausverkauf einer Bananen- Thomas, Ramon Besa und dem Bilderbogen von corsofolio ist ein Flaneur, der mit offenen republik berichtet / Otto Jägersberg folgt roten Schuhen und grünen Sinnen durch die Städte geht, Tauben, Harald Martenstein den Filmfestspielen / Serenissima und dem Bilderbogen von Helmer Lund-Hansen ist Buch in der Form, Magazin in Geist und Gestaltung – für Solisten: Eva Demski gibt Hinweise, wie man die Stadt auch corso folio | ist Welterfahrung und Herzensbildung allein besteht / Wolfgang Kemp vergleicht Venedig und Las Vegas. Joan Colom in Text und Bild.

978-3-7374-0714-4 isbn www.verlagshausroemerweg.de Dazu viele Fotografien, Tiraden und Gedichte. Außerdem mit Originalbeiträgen u. a. von: Petra Reski, Harald Martenstein, Eva Demski, Wolfgang corsofolio_venedig_150217_Bezug_cb 2.indd 1 19.02.15 11:14 Kemp, Anna Degler, Otto Jägersberg, Horst Günther, Peter Kammerer, Rachel Armstrong, Herbert Rosendorfer, CORSO 160 Seiten, durchgängig 4-farbig, David Marc Hoffmann, mit Fotografien u. a. Großformat 22 x 30 cm, Fadenheftung, Hardcover, 26,95 Euro von Elger Esser, Alexander Mertsch, Bernd Meiners. 50 | 51 Rezepte und Gedanken Leseprobe: Handorakel

Monika Reichert Auch Joyce saß Baltasar Gracián Die Hoffnung ist mit am Tisch eine große Verfälscherin

ohn Cage, Paul Celan, Pierre Boulez, Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, H. C. Artmann, , Urs Widmer, Alfred Bren- del,J Michael Gielen, Eva Demski, Wilhelm Genazino – sie alle waren 18 Fleiß und Talent oder sind heute noch zu Gast bei Monika und Klaus Reichert. Seit den 60er Jahren führen sie ein gastliches Haus für Schriftsteller, Musiker, Ohne beide ist man nie ausgezeichnet, jedoch im höchsten Wissenschaftler, Verlags-, Rundfunk- und Theatermenschen. Klaus Rei- Grade, wenn man sie in sich vereint. Mit dem Fleiße chert ist ein homme de lettres, der sich sein Leben lang in der Literatur, bringt ein mittelmäßiger Kopf es weiter als ein überlegener in den Künsten und Wissenschaften bewegt. Daraus ergeben sich an- ohne denselben. Die Arbeit ist der Preis, für den man regende Bekanntschaften und Freundschaften, denen Monika Reichert den Ruhm erkauft: was wenig kostet, ist wenig wert. mit ihrer Herzlichkeit den gastlichen Rahmen zu geben versteht. Als Sogar für die höchsten Ämter hat es einigen nur an Fleiß phantasievolle Köchin stellt sie fabelhafte Buffets her, ganz gleich ob gefehlt, nur selten ließ das Talent sie im Stich. Daß man sie im kleinen Kreis oder für große Feste die Tafel bereitet. In dem vor- lieber auf einem hohen Posten mittelmäßig als auf liegenden Buch erzählt sie aus ihren sehr persönlichen Erinnerungen an einem niedrigen ausgezeichnet ist, hat die Entschuldigung diese inzwischen legendären Abende – es dürften hunderte bis heute eines hohen Sinnes für sich; hingegen daß man sich sein –, und versammelt eine Auswahl der schönsten Rezepte. Waldemar Kramer begnügt, auf dem untersten Posten mittelmäßig zu sein, Broschiert, mit s/w-Abbildungen, während man auf dem obersten ausgezeichnet sein 248 Seiten,€ 20 Euro könnte, hat sie nicht. Also sind Natur und Kunst erfordert, MONIKA REICHERT wurde in Lenggries in Oberbayern geboren, machte 1960 und der Fleiß drückt ihnen das Siegel auf. eine Verlagslehre im Suhrkamp Verlag, blieb dort bis 1968. Später wurde sie Sozial­ arbeiterin, dann Familientherapeutin bei der Stadt Frankfurt und arbeitet seit 25 Jah- ren als Supervisorin. 19 Nicht unter übermäßigen Erwartungen auftreten KLAUS REICHERT, 1938 in Fulda geboren, ist Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Lyriker. Er war von 1964 bis 1968 Lektor in den Verlagen Insel und Suhrkamp, von Es ist das gewöhnliche Unglück alles sehr Gerühmten, 1975 bis 2003 war er Professor an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität, daß es der übertriebenen Vorstellung, die man sich von gründete das Institut zur Erforschung der Frühen Neuzeit und war von 2002 bis 2011 Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. ihm machte, nachmals nicht gleichkommen kann. Nie konnte das Wirkliche das Eingebildete erreichen: denn sich Vollkommenheiten denken, ist leicht, sie verwirklichen sehr schwer. Die Einbildungskraft verbindet sich mit dem Wunsche und stellt sich daher stets viel mehr vor, als die Dinge sind. Wie groß nun auch die Vortrefflich- keiten sein mögen, so reichen sie doch nicht hin, den »Ich glaube, dass die vorgefaßten Begriff zu befriedigen; und da sie ihn unter der Täuschung seiner ausschweifenden Erwartung Universität untergehen vorfinden, so werden sie eher seinen Irrtum zerstören, als Bewunderung erregen. Die Hoffnung ist eine große kann, die Philosophie Verfälscherin der Wahrheit; die Klugheit weise sie zurecht und sorge dafür, daß der Genuß die Erwartung wird nicht untergehen.« übertreffe. Daß man beim Auftreten schon einigermaßen die Meinung für sich habe, dient die Aufmerksamkeit zu Dieter Henrich erregen, ohne dem Gegenstand derselben Verpflichtungen aufzulegen. Viel besser ist es immer, wenn die Wirklich- keit die Erwartung übersteigt und mehr ist, als man as unter den Titel »Sterbliche Gedanken« (Hölderlin) gestellte Ge- gedacht hatte. Diese Regel wird falsch beim Schlimmen, spräch mit dem Philosophen Dieter Henrich, das die Gesprächs­ marix denn da diesem die Übertreibung zustatten kommt, so Dreihe »Einsichten im Dialog« eröffnet, berührt eine Vielfalt von Themen, Gebunden mit sieht man solche gern widerlegt, und dann gelangt das, Schutzumschlag, was als ganz abscheulich gefürchtet wurde, noch dahin, philosophische und persönliche. Darunter sind solche, über die Dieter Edition Faust ca. 320 Seiten, Henrich seit fast siebzig Jahren nachdenkt und schreibt. 64 Seiten, broschiert, €10 Euro 10 Euro € erträglich zu scheinen. 52 | 53 Leseprobe: Die Kunst Recht zu behal ten Leseprobe: Selbständigkeit

Arthur Schopenhauer RALPH WALDO EMERSON Ein paar Tricks, Recht zu behalten Unser Sein ist ohne Grenzen

Kunstgriff 31 Kunstgriff 12 n diesem strahlenden Sommer ist es eine Wollust nen, für immer forschen, für immer bewundern! Diese Sich dumm stellen Metaphern günstig wählen I gewesen, den Odem des Lebens einzuziehen. Das Schöpfungen des Gedankens haben den menschlichen Gras wächst, die Knospe springt, die Weisen Wiesen Geist in jedem Zeitalter beschäftigt. Wo man gegen die dargelegten Gründe des Gegners Ist die Rede über einen allgemeinen Begriff, der kei- sind mit Feuer und Gold in Blumenfarben besprengt. Und doch offenbart sich uns eine noch geheimnis­ nichts vorzubringen weiß, erkläre man sich mit feiner nen eignen Namen hat, sondern tropisch durch ein Die Luft ist erfüllt vom Gesange der Vögel und süß vollere, süßere und überwältigendere Schönheit, wenn Ironie für inkompetent: »Was Sie da sagen, übersteigt Gleichnis bezeichnet werden muß; so müssen wir das vom Dufte der Pinien, des Balsams von Gilead und Herz und Sinn sich sittlichen Gefühlen zu erschließen meine schwache Fassungskraft: es mag sehr richtig Gleichnis gleich so wählen, daß es unsrer Behauptung des frischen Heus. Die Nacht bringt dem Herzen kein beginnen. Damit beginnt die Lehre von dem, was über sein; allein ich kann es nicht verstehn, und begebe günstig ist. So sind z. B. in Spanien die Namen, da- Düster mit ihrem willkommenen Schatten. Durch das uns ist. Hier lernen wir, daß unser Sein ohne Grenzen mich alles Urteils.« – Dadurch insinuiert man den Zu- durch die beiden Politischen Parteien bezeichnet wer- flüssige Dunkel gießen die Sterne ihre beinahe geisti- ist, daß wir zum Guten und Vollkommenen geboren hörern, bei denen man in Ansehn steht, daß es Unsinn den, serviles und liberales gewiß von letztern gewählt. gen Strahlen. Der Mensch unter ihnen erscheint wie sind, wie tief wir auch in Schwäche und Sünde da­ ist. So erklärten beim Erscheinen der Kritik der reinen Der Name Protestanten ist von diesen gewählt, auch ein junges Kind und sein gewaltiger Erdball wie ein niederliegen mögen. Was der Mensch anbetet, das ist Vernunft oder vielmehr beim Anfang ihres erregten der Name Evangelische: der Name Ketzer aber von Spielzeug. Die kühle Nacht badet die Welt wie in ei- sein, wenn er es gleich noch nicht erreicht hätte. Er Aufsehns viele Professoren von der alten eklektischen den Katholiken. nem Strome und bereitet die Augen für die purpurne soll. Wir kennen den Sinn dieses großen Wortes, ob- Schule »wir verstehn das nicht«, und glaubten sie da- Es gilt vom Namen der Sachen auch, wo sie mehr ei- Dämmerung vor. Noch nie hat sich das Mysterium der gleich unsere Forschung es nicht erklären kann. Wenn durch abgetan zu haben. – Als aber einige Anhänger gentlich sind: z. B. hat der Gegner irgend eine Verän- Natur vor unseren Augen so glücklich entfaltet. Korn einer, sei es in Unschuld, sei es in höchster geistiger der neuen Schule ihnen zeigten, daß sie Recht hätten derung vorgeschlagen, so nenne man sie »Ne terie ~= und Wein wurden allen Geschöpfen reichlich zuge- Reife, dahin gelangt, zu sagen: »Ich liebe das Recht, und es wirklich nur nicht verstanden, wurden sie sehr Ehebruch – Äquivoken ~= Zoten. – Dérangiert ~= Ban- messen, und das niemals gebrochene Schweigen, mit die Wahrheit ist herrlich nach innen und außen, heute übler Laune. kerott. – »Durch Einfluß und Konnexion«~ = »durch welchem die alte gütige Fülle sich immer aufs neue er- und immerdar – ewiger Geist des Guten, ich bin dein, Man darf den Kunstgriff nur da brauchen, wo man Bestechung und Nepotismus«. – »Aufrichtige Er- gießt, hat uns noch immer kein Wort der Erklärung bewahre du mich, beherrsche du mich, dir will ich die- sicher ist, bei den Zuhörern in entschieden höherm kenntlichkeit« ~= »gute Bezahlung«. – gegönnt. Wir sind unwillkürlich gezwungen, die Voll- nen bei Tag und bei Nacht, im Großen und Kleinen, Ansehn zu stehn als der Gegner: z. B. ein Professor kommenheit dieser Welt, mit der unsere Sinne ver- auf daß ich nicht tugendhaft sei, sondern selbst die gegen einen Studenten. Eigentlich gehört dies zum kehren, anzuerkennen. Wie weit! Wie reich! Wie ein- Tugend!« dann ist das Endziel der Schöpfung erreicht, vorigen Kunstgriff und ist ein Geltendmachen der eig- ladend! Welche Schätze bietet sie für jede Kraft des und Gott sieht es mit Wohlgefallen. nen Autorität, statt der Gründe, auf besonders mali- Menschen! In ihren fruchtbaren Feldern, in ihrer ziöse Weise. – Der Gegenstreich ist: »Erlauben Sie, bei schiffbaren See, in ihren Bergen von Metall und Stein, Ihrer großen Penetration, muß es Ihnen ein leichtes in ihren holzreichen Wäldern, in ihren Tieren, in ih- sein, es zu verstehn, und kann nur meine schlechte ren chemischen Substanzen, in den Kräften und Pfa- Darstellung Schuld sein«, – und nun ihm die Sache den des Lichtes, der Wärme, der Anziehungskraft und so ins Maul schmieren, daß er sie nolens volens ver- des Lebens, ist sie wohl wert, daß große Männer Herz stehn muß und klar wird, daß er sie vorhin wirklich und Mark daran setzen, sie zu unterjochen und zu ge- nur nicht verstand. – So ist’s retorquiert [zurückge- nießen. Die Pflanzer, die Mechaniker, die Erfinder, die dreht]: er wollte uns »Unsinn« insinuieren; wir haben Astronomen, die Seefahrer und Städtegründer weiß ihm »Unverstand« bewiesen. Beides mit schönster die Weltgeschichte freudig zu ehren. Höflichkeit. Sobald aber der Geist sich aufschließt und die Gesetze zu begreifen und zu enthüllen beginnt, die das Welt- all durchströmen und die Dinge so gestalten, wie sie uns erscheinen, dann schrumpft diese gewaltige Welt mit einem Male zu einem bloßen Textbilde, ja zu einer Fabel unseres Geistes zusammen. »Was bin ich? Was ist überhaupt?« fragt der menschliche Geist mit einer stets neu entfachten, aber nie gestillten Wißbegier- de. Denn jene Gesetze gleichen ungeheueren Linien, die unser unvollkommenes Fassungsvermögen nur

marix hierhin und dorthin zielen, nie aber sich zum Kreise marix Gebunden mit schließen sehen kann. Wir entdecken unendliche Be- Gebunden mit Schutzumschlag, ziehungen, alles ist so gleich und doch so ungleich, Schutzumschlag, 128 Seiten, 224 Seiten, 10 Euro€ vieles und doch nur eins. Man möchte für immer ler- 10 Euro€ 54 | 55 EDITION ERDMANN: DIE BIBLIOTHEK DER GROSSEN ENTDECKER Leseprobe: Als Erster durch den Grand Canyo???n

John Wesley Powell Wasser, Windhosen und verbrannte Ohren

ch spaziere am Ufer entlang, um den weiteren Ka- packt den Ast und wird auf die Insel gezogen. Seneca I nal zu erkunden, und überlasse einem meiner Män- Howland wird weiter flussab mitgerissen, doch einige Wer wann hinausfuhr, Welten erstmals ner die Flagge, mit der wir die anderen Boote zur Felsen fangen ihn auf und es gelingt ihm, wenn auch Landestelle lotsen. Bald beobachte ich, wie eines der mit einigen blauen Flecken, ebenfalls die Insel zu er- zu entdecken, neue ­Routen zu befahren, Boote unbeschadet anlegt und bin nicht weiter beun- reichen. So wie ich es erzähle, scheint der Vorfall recht ruhigt. Doch eine Minute später höre ich einen Schre- lange gedauert zu haben, in Wahrheit ging alles sehr dem Unbekannten die Stirn des eige- ckensruf und als ich mich umdrehe, schießt eines der schnell. Boote durch das Zentrum der Wassersenke. Es ist die Jetzt sitzen die drei Männer auf einer Insel fest, die nen Dickkopfs entgegenzuhalten (und No Name mit Kapitän Howland, seinem Bruder und zu beiden Seiten von einer gefährlichen Strömung Goodman. Ich habe den Eindruck, dass ihr Sturz über umgeben ist und die nur knapp oberhalb eines weite- welcher Entdecker wäre kein Dickkopf die Stromschnellen unvermeidlich ist, und renne los, ren Wasserfalls liegt. Die Emma Dean wird schnell ge- um das dritte Boot zu retten. Eine Minute später dreht bracht und Sumner legt soweit wie nur irgend möglich es ab und hält auf das Ufer zu. Ich wende mich wieder oberhalb der Insel vom Ufer ab. Er bedient die Ruder gewesen?), und welche Abenteuer die- flussab und kraxle über die Felsen hinunter auf der sehr geschickt und einige Schläge bringen ihn an die Suche nach dem verschwundenen Boot. richtige Stelle der Insel. Alle gemeinsam schleppen das se Männer und Frauen erlebten – davon Der erste Wasserfall ist nicht hoch, nur drei bis drei- Boot dann soweit wie möglich stromauf, bis den Män- einhalb Meter. Über solche Stellen fahren wir oft hin- nern das Wasser bis zum Hals steht. Einer stemmt erzählt die Edition Erdmann, die Biblio- ab. Doch direkt darunter stürzt der Fluss abermals in sich gegen einen Felsen und hält das Boot fest, bis die die Tiefe, diesmal zwölf bis fünfzehn Meter, hinein in anderen zum Rudern bereit sind. Dann gibt er dem thek der großen Entdecker. ein Flussbett voller gefährlicher Felsen, an denen sich Boot einen Schubs, hält sich an ihm fest und klettert die Wellen brechen und schaumige Wirbel bilden. Ich hinein, während die anderen mit aller Kraft zum Fest- umrunde gerade rechtzeitig einen großen Felsen, um land rudern. Sie erreichen es unbeschadet. Wir sind so zu sehen, wie das Boot auf einen Felsen kracht und glücklich, sie wiederzuhaben, als hätten sie eine Welt- Große Entdecker – beispielsweise Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Jim Hawkins vom Rückstoß schlingert. Der offene Mittelabschnitt reise unternommen und seien an einer fernen Küste und Kara Ben Nemsi, Winnetou und Tecumseh, Käptn Hook und – in (fast) jedem füllt sich mit Wasser. Zwei der Männer verlieren ihre schiffbrüchig gegangen. Mann leben die Idole von Freiheit und Abenteuer, von Entdeckungslust und Weltsucht Ruder, das Boot dreht sich und wird einige Meter in Achthundert Meter weiter flussab entdecken wir den rasender Geschwindigkeit mit der Breitseite voran heckseitigen Verschlag des Wracks, der zusammen mit weiter. Inzwischen sind fast 100 Titel lieferbar. Hier zeigen wir Ihnen die neuen – alle hinabgetragen, bevor es mittschiffs mit großer Kraft einem Teil des gesplitterten Rumpfes gegen einen weiteren finden Sie unter www.verlagshaus-roemerweg.de einen weiteren Felsen trifft und auseinanderbricht. Felsen getrieben und dort gestrandet ist. In dem Ver- Die Männer werden in den Fluss geschleudert. Der schlag sind wertvolle Gegenstände, doch nach aus- größere Teil des Boots schwimmt guten Mutes weiter, führlicher Erkundung der Lage beschließen wir, unser die Männer packen es schnell und schon treiben sie Leben nicht bei einem Bergungsversuch zu riskieren. einige hundert Meter über Felsen hinweg den Fluss Die geladenen Lebensmittel, Instrumente und Klei- hinab zu einer weiteren Stromschnelle voller riesiger dung sind natürlich verloren. Felsbrocken. Das Boot trifft abermals auf Stein, wird Wir kehren zu den Booten zurück und schlagen unser in seine Einzelteile zerschmettert, und die Männer Nachtlager auf. In der Nacht tue ich kein Auge zu. Le- werden gemeinsam mit den Trümmern bald außer bensmittel, Instrumente und Kleidung hatten wir mit Sicht getragen. Blick auf genau so ein Ereignis wie dieses auf alle Boote Ich renne um eine Biegung und sehe in einem Wirbel verteilt und beim Aufbruch hatten wir alles­ mehrfach, unterhalb eines großen Felsen knapp über dem Was- was uns für einen Erfolg notwendig erschien. Doch bei ser den Kopf eines Mannes. Es ist Frank Goodmann, der Verteilung auf alle Boote hatte es eine Ausnahme der sich mit einem Griff, an dem sein Leben hängt, gegeben: Die Barometer waren alle im selben Boot ver- am Felsen festklammert. Ich entdecke auch Howland, staut gewesen, und sie waren alle verloren. Möglicher- der versucht, ihm von einer Insel, auf die er gespült weise sind sie in dem Verschlag, der an dem Felsen wurde, zur Hilfe zu kommen. Bald kommt er nah ge- festhängt, denn dort verwahrten wir sie. Aber wie soll nug, um Frank mit einem Treibholzast zu erreichen, man sie bloß erreichen! Der Fluss schwillt an, werden den er zu ihm ausstreckt. Frank lässt den Felsen los, sie morgen noch dort sein? Kann ich einen Abstecher 56 | 57 Leseprobe: Als Erster durch den Grand Canyon

nach Salt Lake City machen und mir Barometer aus Als die Männer das Lagerfeuer entfachen, entdecken unter und ein anderes von links. Von unserem Stand- erkunden und ohne Signale zur Orientierung schie- New York schicken lassen? wir einen eisernen Backofen, einige Zinnteller, Res- ort aus können wir durch die ansteigenden Schneisen ßen sie hindurch. Genau in diesem kritischen Moment 10. Juni – Ich habe beschlossen, die Barometer aus te eines Boots und viele andere Überbleibsel, die be- beider Täler zu den Klippen und Felsen und Türmen sehe ich sie per Zufall, doch da ich das Feuer noch dem Wrack zu bergen – so sie denn dort sind. Wäh- legen, dass dies die Stelle ist, an der Ashleys Gruppe hinaufblicken, die gut eineinhalb Kilometer entfernt nicht entdeckt habe, erstaunt mich das seltsame Ver- rend die Männer mit der Portage der übrigen Schiffe scheiterte. und sechshundert Meter über uns liegen. Rechts se- halten meiner Männer. Ich stolpere den Hang hinab beschäftigt sind, erkunde ich die Lage erneut. Ich ent- 16. Juni – Morgens besteht unsere erste Aufgabe dar- hen wir ein Dutzend glitzernder Kaskaden. decke den Verschlag, er liegt nur fünfzehn oder zwan- in, unsere Fracht zum Fuß des Wasserfalls hinunterzu- Auf den Felsen wachsen Kiefern und Tannen, zig Meter weiter den Fluss hinab als am Vorabend. tragen. Dann beginnen wir, die Boote hinabzulassen. und über den Bächen hängen Espen. Rote und Nachdem ich das Bodenprofil an der neuen Liegestel- Zwei von ihnen erreichen sichere Gewässer, doch wir braune Töne beherrschen die in tiefen Schatten »Nie zuvor drängte le sorgfältig betrachtet habe, bin ich überzeugt, dass haben Schwierigkeiten. Wo so gewaltige Wassermas- liegenden Felsen unter uns, doch weiter oben sich das Wrack nun gefahrlos erreichen lässt und keh- sen eine abschüssige Ebene hinabrauschen und von leuchten sie ockerfarben und zinnoberrot im sich mir die enorme Höhe re zu den anderen zurück, um meine Entscheidung zu vorstehenden Felsen in Wirbel und Querströmungen Sonnenlicht. Der Kontrast aus Licht, das re- dieser Wände derart auf.« verkünden. Sumner und Dunn melden sich freiwillig, aufgespalten werden, sind außerordentliche Mühen flektiert durch die bunt gefärbten Felsen umso im kleinen Boot einen Versuch zu wagen. Sie brechen und viel Sorgfalt nötig, damit die Boote weder gegen strahlender wirkt, und Schatten, der von den auf, erreichen das Wrack und hervor kommen die Ba- die Felsen geschleudert werden, noch sich losreißen. Wänden in dunklen Brauntönen zusätzlich ver- rometer. Die Jungs fangen an zu jubeln und ich fal- Manchmal müssen wir das Boot oberhalb einer Zunge düstert wird, lässt die Canyons noch tiefer als sonst und renne zum Ufer. Bei meinem Eintreffen haben sie le mit ein. Ich freue mich, dass sie offenbar genauso glatten Wassers an einem Felsen befestigen, bis eine erscheinen. Der Weg hinauf zur Welt des Sonnen- bereits angelegt. Gemeinsam gehen wir zum verlasse- froh über die Bergung der Instrumente sind wie ich. zweite, am Heck befestigte Leine zu einer sicheren scheins und offenen Himmels scheint lang, ebenso nen Lager zurück und suchen, was noch zu retten ist. Als das Boot landet, entdecke ich, dass nur die Baro- Stelle weiter unten gebracht wurde. Sobald alle bereit lang wie der Weg hinab in die Dunkelheit am Grund Wir finden einen Teil der Kleidung und Schlaflaken, meter, ein Paket mit Thermometern und ein Fässchen sind, wird die erste Leine gelöst und das Boot der Strö- des Canyons. Nie zuvor drängte sich mir die enorme die wir bereits ausgeladen hatten, auch einige Zinn­ Whisky geborgen werden konnten, und die Männer mung überlassen. Es schießt hinab und die Männer Höhe dieser Wände derart auf, nicht einmal am Cliff becher, Schalen und einen Kochtopf. Mehr ist von un- jubelten natürlich über letzteres. Sie hatten das Fäss- weiter unten dirigieren es in einen der Wirbel. of the Harp, wo der Himmel selbst auf ihren Gipfeln serem Essgeschirr nicht übrig. Wir machen gute Mine chen hinter meinem Rücken an Bord geschmuggelt, An so einer Stelle lassen wir das letzte Boot hinab. Als zu ruhen schien. zum bösen Spiel. doch nun bin ich froh darüber, denn da sie jeden Tag wir es von der oberen Leine befreien, wird es von einer Wir setzen uns auf einige überhängende Felsen und Welle mit der Breitseite in die Strömung genießen eine Weile die Aussicht. Aus den Oberläufen gedreht, wobei das Heck, an dem die Lei- der Canyons dringt die Musik fallenden Wassers zu uns ne befestigt ist, vom Ufer fort und leicht herüber. Wir nennen diesen Bach »Rippling Brook«. »Es schießt hinab und die flussauf zeigt. Die Männer zerren mit al- Am späten Nachmittag fahren wir ein weiteres kurzes JOHN WESLEY POWELL (1834–1902) wurde in New York geboren ler Kraft an der Leine, um das Boot her- Stück zur Mündung eines weiteren Bachs zu unserer und studierte am Illinois Institute. Früh entwickelte er ein Interesse an Männer weiter unten dirigieren einzuziehen, doch die Kraft der Strömung Linken, einen großen natürlichen Alkoven voller üp- Geologie und Botanik. Bevor er 1869 seine bedeutendste Expedi­tion greift es in ganzer Breite an und lässt es piger Vegetation. Hier schlagen wir zwischen einem zum Colorado River und dem Grand Canyon antrat, unternahm er es in einen der Wirbel.« bereits eine Reihe von Forschungsreisen, u. a. durch das Mississippi- in die Flussmitte hinausschießen. Durch Zedernwäldchen zur einen Seite und einem dichten Flusssystem und in die Rocky Mountains. Er studierte des Weiteren die die Reibung des zerrenden Seils verbren- Gestrüpp aus Eschenahorn und toten Weidenbüschen Sprachen und Kulturen der westamerikanischen Ureinwohner, hatte nen die Männer sich die Hände, das Boot zur anderen unser Lager auf. seit 1865 einen Lehrstuhl in Geologie inne, war Direktor des Bundes- vom Schmelzwasser durchnässt werden, das von den reißt sich los und saust mit hoher Geschwindigkeit Ich gehe spazieren, um den Alkoven zu erkunden. Als amts für Völkerkunde und Gründungsmitglied der National Geogra- Gipfeln der Rocky Mountains herabströmt, wird der den Fluss hinab. ich fort bin, fährt eine Windhose in unser Lagerfeuer phic Society. Powell starb 1902 in Haven, Maine. Whiskey ihnen vermutlich gut tun. Die Maid of the Canyon scheint verloren, doch sie und verteilt die Glut zwischen toten Weidenbüschen Nun geht es zurück an unsere Arbeit mit dem Trans- treibt ein Stück flussabwärts und gerät dann in einen und Zedernzweigen. Prompt kommt es zu einem Flä- port über Land. Wir müssen unsere Vorräte fast ein- Wirbel. Dort dreht sie sich im Kreis, bis wir mit dem chenbrand. Die Männer fliehen zu den Booten und einhalb Kilometer über die Felsen tragen und unsere kleinen Boot eintreffen und sie bergen. lassen alles zurück, was sie nicht sofort an sich rei- Boote abseilen – außer an einigen Stellen, an denen Bald darauf sind wir erneut unterwegs und halten ßen können, dennoch versengen sie sich die Haare wir gezwungen sind, auch sie zu tragen. schließlich für eine späte Mittagsmahlzeit an der und auch ihre Kleidung nimmt Schaden. Bradley ver- Zwischen dem Fluss und der Ostwand des Canyons Mündung eines kleinen Bachs zur Rechten, der in ei- brennt sich die Ohren. Der Koch hat beide Arme voll liegt ein gewaltiger Schuttkegel aus von der Kliffkan- nem tiefen Seitencanyon von den fernen Bergen her- Küchengerät und stolpert beim Sprung ins Boot. Er te herabgebrochenen Felsen. Sie bilden einen riesigen abkommt. Wir versuchen, ihn zu erkunden, doch bald fällt, und unser Kochgeschirr verschwindet im Fluss. Haufen kantiger Bruchstücke. Über diese hinweg su- wird der Schlund durch einen hohen Felsen blockiert, Unsere Teller sind fort, unsere Löffel sind fort, unsere chen wir uns unseren Pfad. Nach rund vierhundert über den der Bach wie glattes Laken hinweggleitet. Messer und Gabeln sind fort. »Wasser fängt sie, Was- Metern erreichen wir einen kleinen Sandstrand vol- Der Fels ist nicht gänzlich senkrecht und es fehlt eine serberg fängt sie.« ler Treibholz, durch das wir uns einige hundert Meter Kante, über die das Wasser in den freien Fall stürzen Als die Flammen sich auf die überhängenden Wei­ vorarbeiten, bis wir den Weg über einen weiteren Fels- könnte. denbüsche ausdehnen und anfangen, die Männer in haufen fortsetzen. Nach etwa achthundert Metern Daraufhin steigen wir rund eine Stunde lang die west- den Booten zu versengen, bleibt ihnen keine andere Edition Erdmann erreichen wir eine kleine Bucht. Mit solcherlei Arbeit liche Flanke hinauf und erreichen eine Höhe von drei- Wahl, als abzulegen. Nun allerdings müssen sie fluss- Neu übersetzt verbringen wir den Großteil des Tages. Schließlich hundert Metern über dem Fluss und knapp zweihun- ab fahren, da die Strömung zu stark ist, um gegen von Niels-Arne Münch tra­gen wir unsere Fracht hinunter zum Strand und dert über dem Bach. Der Canyon des Bachs teilt sich sie an­zurudern. Stromab folgt sogleich die nächste Leinen mit Schutzumschlag, Lesebändchen, richten uns für die Nacht ein. direkt vor uns, ein Flüsschen kommt von rechts her- Stromschnelle voller Felsen. Ohne zuvor den Weg zu ca. 450 Seiten, 24 Euro € 58 | 59 Leseprobe: Kunde von den Mongolen

Johannes von Plano Carpini »Sie tragen immer Feilen am Köcher, um die Pfeile zu schleifen.«

ber Kriegsführung und Schlachtordnung, ihre ze, aber nur einer ein wenig gekrümmten Schneide. 7. Der Helm ist im oberen Teil aus Eisen oder Stahl, 11. Wenn sie in den Krieg ziehen wollen, schicken sie Ü Waffen, Hinterlist im Kampf und die Grausam- Sie haben gewappnete, das heißt mit Leder gedeck- doch die Partie, die den Hals und die Kehle rundher- eine Vorhut voraus, die nichts mit sich führt außer keit gegenüber Gefangenen, die Eroberung von Fes- te Pferde, Helme und Panzer. Einige der Panzer und um schützt, ist aus Leder; und alle diese Lederstücke ihrem Filzzelt, Pferden und Waffen. Diese Leute rau- tungen und über die Treulosigkeit denen gegenüber, auch die Panzerung der Pferde bestehen aus Leder sind nach der geschilderten Methode gefertigt. ben nicht, zünden keine Häuser an, schlachten keine die sich ihnen unterwerfen, etc. und werden folgendermaßen zusammengefügt: man 8. Einige wenige von ihnen haben die ganze beschrie- Tiere, sondern verwunden und töten nur Menschen nimmt Streifen aus Rinderleder (oder dem eines ande- bene Rüstung aus Eisen, in folgender Weise gemacht: oder verjagen sie, wenn es nicht anders geht: aber viel 1. Nach der Beschreibung ihres Reiches will ich nun ren Tieres) von einer Hand Breite und verbindet drei sie fertigen eine dünne Platte von einem Finger Brei- lieber töten sie sie, als dass sie sie vertreiben. Hinter in folgender Weise über ihre Kriegsführung sprechen: oder vier nebeneinandergelegte mit Pech, indem man te und einer Handbreit Länge, und davon machen sie ihnen folgt das Heer, das alles, was es finden kann, erstens über ihre Schlachtordnung, zweitens über ihre sie an Bändchen oder Schnüren festklebt; am oberen sehr viele, und in jede Platte bohren sie acht kleine mitnimmt, und auch Menschen, wenn es sie finden Waffen, drittens über die Hinterlist im Kampf, vier- Lederstreifen befestigt man die Schnüre am Rand, Löchlein, und dann nehmen sie drei straffe und fes- kann, fängt oder tötet. Danach senden die Anführer tens über die Grausamkeit, die sie an Gefangenen ver- beim darunterliegenden in die Mitte und so weiter bis te Riemen parallel nebeneinander und legen darauf des Heeres zusätzlich Beutemacher überall herum, üben, fünftens über die Belagerung von Burgen und zum letzten. Wenn der Träger des Panzers sich bückt, überlappend eine Platte über die andere und binden um Menschen und Vieh zu finden, und sie sind sehr Städten, sechstens über die Treulosigkeit, die sie de- schieben sich so die unteren Lederstreifen über die sie mit dünnen Bändchen, die sie durch die genannten schlau beim Aufspüren. nen gegenüber an den Tag legen, die sich ihnen un- ­darüberliegenden, sodass sie doppelt oder sogar drei- Löchlein ziehen, an den Riemen fest, und am Rand nä- terwerfen. fach auf dem Körper liegen. hen sie ein Bändchen fest, sodass die Platten fest und 2. Für die Schlachtordnung setzte Činggis-Khan fest, 5. Für die Panzerung des Pferdes fertigen sie fünf Tei- sicher zusammenhängen. So setzen sie die Platten so- JOHANNES VON PLANO CARPINI wurde um 1185 in der Nähe dass immer zehn Mann einen Vorgesetzten haben le, für die eine Seite des Pferdes einen, für die andere zusagen zu einem der oben beschriebenen Lederstrei- von Perugia geboren und starb 1252 in Montenegro. Er war italieni- scher Franziskaner und vermutlich ein direkter Schüler von Franz von sollen, der in unserer Sprache Dekan genannt wird; einen anderen, die beide vom Schwanz bis zum Kopf fen zusammen und verbinden diese einzelnen Streifen Assisi. Aufgrund seiner vielfältigen Erfahrungen, die er aus seiner in- über zehn Dekane aber soll einer gesetzt werden, der reichen und am Sattel befestigt sind, hinter dem Sat- dann ebenso, wie es oben geschildert wurde. Und so ternationalen Missionstätigkeit mitnahm, wurde er für die Expedition Zentenarius genannt wird; über zehn Zentenarien ein tel auf dem Rücken des Pferdes und vorne am Hals. verfahren sie mit den Rüstungen der Pferde wie auch zum Volk der Mongolen – Tartaren genannt – ausgewählt. Auf die- Millenarius, und schließlich über zehn Millenarien Dann legen sie über das Hinterteil einen weiteren Teil, der Menschen und polieren sie dann so, dass man sein ser Reise sammelte er wertvolle Erkenntnisse über die mongolischen wieder einer, und dessen Truppeneinheit heißt bei ih- der mit den anderen beiden verknüpft wird; in diesen Gesicht in ihnen spiegeln kann. Stämme, ihren Alltag, ihre Religion und Sprache aber auch über ihre nen tenebre. An der Spitze des gesamten Heeres sol- machen sie ein Loch, durch das der Schwanz heraus- 9. Einige von ihnen haben Lanzen mit einem Haken militärischen Strategien und ihre Rechtsprechung. len zwei oder drei Anführer stehen, aber so, dass auch hängen kann; und vor die Brust legen sie einen vier- am eisernen Hals, mit dem sie wenn möglich einen sie nur einem gehorchen. ten Teil; alle diese Teile reichen bis zu den Knien oder Gegner aus dem Sattel ziehen. Ihre Pfeile sind zwei 3. Wenn die Truppen im Kampf liegen und einer oder den Schenkelgelenken hinab. Vor die Stirn schließlich Fuß und eine Handbreit lang und zwei Finger breit. zwei oder drei oder auch mehrere von den zehn Leu- setzen sie eine eiserne Platte, die an beiden Seiten des Weil Füße aber unterschiedlich sind, nehme ich ein ten fliehen, dann werden alle zehn getötet; und wenn Halses mit den anderen vier Teilen verbunden ist. geometrisches Fußmaß: zwei Gerstenkörner sind eine alle zehn fliehen, dann werden, auch wenn von den 6. Auch ihr eigener Panzer hat vier Teile. Einer reicht Daumenbreite, sechzehn Daumenbreiten ergeben ei- anderen Hundert keiner flieht, doch diese alle getö- vom Oberschenkel bis zum Hals und ist dem mensch- nen geometrischen Fuß. Die Eisenspitzen der Pfeile tet – mit einem Wort, wenn sie nicht zusammenhal- lichen Körperbau angepasst: vor der Brust ist er straff sind extrem spitz und an zwei Seiten geschärft wie ein ten, werden im Falle der Flucht alle getötet. Genauso und unterhalb der Arme wölbt er sich um die Run- zweischneidiges Schwert, und sie tragen immer Feilen töten sie, wenn einer oder zwei oder mehr mutig in dung des Körpers. Hinten über den Nieren tragen sie am Köcher, um die Pfeile zu schleifen. Die Pfeilspit- die Schlacht voranstürmen und die anderen der Zeh- einen weiteren Teil, der vom Hals bis zu dem anderen zen haben ein schmales Ende von einem Finger Länge, nerschaft nicht folgen, diese auch; und wenn einer der Teil, der um den Körper gebogen ist, reicht; über den den sie ins Holz einsetzen. Zehnerschaft oder mehrere in Gefangenschaft gera- Schultern sind diese beiden Stücke, das vordere und 10. Sie haben einen aus Weidenruten oder Gerten ge- ten, werden ihre übrigen Kameraden getötet, falls sie das hintere, an zwei eisernen Platten, die auf beiden flochtenen Schild, doch ich glaube nicht, dass sie ihn sie nicht befreien. Schultern liegen, mit Spangen befestigt. Beide Arme tragen, außer im Lager und zur Bewachung des Kaisers Edition Erdmann 4. Alle müssen zumindest folgende Waffen haben: sind noch mit je einem Panzer-Teil bedeckt, der von und der Fürsten, und auch dann nur in der Nacht. Sie Übersetzt, eingeleitet und erläutert von zwei oder drei Bögen oder wenigstens einen guten, den Schultern herab bis zu den Händen reicht und benutzen auch noch andere, drei Finger breite Pfeile, Felicitas Schmieder, drei große Köcher voll mit Pfeilen, eine Axt und Seile, an der Unterseite offen ist, und auch an jedem Unter- um Vögel, andere Tiere und unbewaffnete Menschen Leinen mit Schutzumschlag, um die Belagerungsmaschinen zu ziehen. Reiche Tar- schenkel tragen sie ein Stück Panzer. Alle diese Stücke zu jagen; und weitere unterschiedliche Pfeile zur Jagd Lesebändchen, mit zahlreichen Abbildungen taren besitzen auch noch Schwerter mit scharfer Spit- sind mit Spangen verbunden. auf Vögel und Tiere. ca. 200 Seiten, 24 Euro 60 | 61 Leseprobe: Reise zum Nordpazifik

würden, so ließ ich einige große Bote mit Waffen und schnitzt waren. Auf beiden steckte ein noch frischer Lebensmitteln auf fünf Tage versehen und fuhr am Menschenkopf und zwischen ihnen waren die Spuren folgenden Morgen mit einigen Offizieren ab. eines angezündeten Feuers und verbrannter Knochen Das schöne Wetter, das wir seit sieben Tagen ununter- zu sehen. Bald nachher fanden wir siebzehn lange un- brochen gehabt hatten, schien sich gänzlich zu verän- terstützte Stangen. Einzeln hatten wir schon mehrere, dern; der N. W. Wind hatte sich Abends George Vancouver vorher in einen S. O. verwandelt, der, noch ehe wir eine Weile vom Schiff ent- »Je näher wir dem Land kamen, Köpfe, Knochen, kleine Spitzen fernt waren, einen dicken Nebel herbei- führte. desto mehr schien es Bei unserer Ankunft im Discoveryhafen fuhren wir vor der Protectioninsel vor- an Schönheit zuzunehmen.« orgens den 2ten Mai hatten wir guten Wind, bestehen aus losen Landboden. Einige hatten salzige bei und fanden südöstlich davon noch M wir steuerten also zu dem Hafen, den wir Tags Sümpfe auf ihrer Oberfläche, andere waren ganz tro- einen anderen Kanal, der eben so sicher vorher entdeckt hatten. Das angenehme Wetter er- cken; auf keinem sah man Bäume, sondern größten- und bequem war. Nachdem sich der Nebel verteilt hat- nie aber so viele gefunden. Ihr Zweck blieb uns unbe- hob noch die Schönheit der Szene vor uns; auch die teils grobes Gras mit Erdbeeren, einigen Kleearten, te, zeigte sich eine geräumige Einfahrt. Die Ufer des- kannt. Alle standen acht Schritt von einander, hatten Oberfläche des Meeres war vollkommen eben. Da ich Sauerampfer und einer Menge anderer kleiner Pflan- selben hatten viele niedrige, sandige Landspitzen, wie größtenteils sechs Zoll im Umfang, waren vollkom- gar nicht glauben kann, dass diese Naturschönhei- zen, von welchen einige sehr schöne Blumen trugen. die im Discoveryhafen, die südliche von ihnen lag zwei men gerade und endeten in zwei kleine Spitzen, die ten zum Teil ein Werk der Menschenhände sein kön- Auch fehlte es nicht an Stauden, die außerordentlich Meilen entfernt. Ich ließ Herrn Puget den Mittelkanal,­ einen halben Mond ausmachten. Die höchsten moch- nen, so muss ich sagen, dass noch nie ein unkultivier- gut gediehen waren, als Rosen, eine Art von Brom- Herrn Johnstone das östliche Ufer untersuchen; ich ten ungefähr hundert Fuß lang sein. Zwischen einigen tes Land entdeckt worden ist, dem die Natur so güns- beerstrauch, Johannisbeeren, Himbeeren und ver- selbst setzte meine Untersuchungen am festen Land waren große Löcher in die Ecke gegraben, in welchen tig gewesen, als diesem. Das Land gegen N. W. schien schiedene andere kleine Büsche, die dieser und der fort; die südlichste nächste Spitze wurde zum Ort be- viele gebrannte Steine lagen, wodurch sie das Ansehen sehr gebrochen zu sei; der östliche Teil war durch ein entgegengesetzten Seite von Amerika eigen sind. stimmt, wo wir uns wieder treffen wollten. der Kochplätze auf den Südseeinseln bekamen. mit Schnee bedecktes Gebirge bekränzt, auf welchem Es war sehr leicht, hier einen bequemen Platz für un- Je näher wir dem Land kamen, desto mehr schien es der Bakersberg sich deutlich zeigt. Zwischen uns und sere Zelte zu finden, die wir dicht an der Nordseite an Schönheit zuzunehmen. Als wir dem Ort unserer der Reihe beschneiter Berge wurde das Land allmäh- des Stromes aufschlugen. Wir landeten nicht weit von Zusammenkunft nahe kamen, zeigte sich eine Öff- GEORGE VANCOUVER (1757–1798) wurde in Norfolk geboren und trat bereits im Alter von 13 Jahren in die Royal Navy ein. Als Mid- lich höher und war mit einer Menge schöner Waldbäu- einem verlassenem Dorf, das ungefähr hundert Ein- nung, die dem ganzen östlichen Ufer, welches Herr shipman nahm er an James Cooks zweiter Weltumseglung (1772– me besetzt, die aber keineswegs die Aussicht nahmen, wohner in sich fassen konnte; die Häuser waren nach Johnstone untersuchte, das Ansehen einer Insel gab. 1775) auf der Resolution und an Cooks dritter Weltumseglung (1776– sondern Plätze zwischen sich offen ließen, welche, wie der Art wie zu Rutka gebaut, schienen aber seit langer Wir steuerten dahin, fanden sie aber durch eine nied- 1778) auf dem Begleitschiff Discovery teil. Während einer mehr als die schöne Insel, die wir gestern besucht hatten, durch Zeit nicht bewohnt gewesen zu sein, denn sie waren rige Sandbank, die ungefähr zweihundert Schritt breit vierjährigen Expedition (1791–1795) erforschte er die Pazifikküste Kunst verändert zu sein schienen. Vor einem dieser sehr baufällig, sowohl innerhalb als außerhalb mit war, mit dem Land verbunden. Nordamerikas von Kalifornien bis Alaska und Teile der Südsee. Er gab einer Vielzahl von Orten, Buchten und Bergen ihren Namen, da- reizenden Plätze kamen wir nahe vorbei und sahen Unkraut bewachsen und hin und wieder lagen Men- In der westlichen Ecke des Isthmus lag ein verlassenes runter Puget Sound, Mount Rainier und Mount St. Helens. Die Stadt Rehe, oder ähnliche Tiere, im Überfluss. schenknochen. indianisches Dorf. Wir konnten es nicht besuchen, Vancouver, British Columbia, wurde zu seinen Ehren benannt, und Das reizende Gemälde vor unseren Augen musste uns Sonntag den 3ten Mai besuchten uns einige der Ein- weil wir, da die Nacht herbeikam, eilen mussten, un- auch die vorgelagerte Insel trägt seinen Namen. Die genauen Karten notwendig allerlei angenehme Gegenden in Alteng- geborenen in drei Kähnen und brachten uns einige sere bestimmte Station zu erreichen. Herr Johnston der amerikanischen Nordwestküste, die nach der Expedition erstmals land ins Gedächtnis zurückrufen. Wir setzten unseren Fische und Wildbret zum Verkauf. Diese Leute hatten kam nicht, wir mussten daher vermuten, dass er eine angefertigt werden konnten, waren jahrzehntelang maßgebend. Weg ungehindert fort und kamen gegen Mittag dem in Ansehung ihrer Gestalt, ihrer Kähne, Waffen etc. Mündung gefunden haben müsse, die mir entgan- Strom gegenüber, der sich seines Wassers vom west- vieles mit den Rutka-Bewohnern gemein, doch waren gen war. Und dies war auch wirklich der Fall. Bei Ta- lichen Ufer beinahe fünf Meilen vom Eingang des Ha- sie nicht so beschmiert mit Farben und hatten über- gesanbruch schifften wir uns wieder ein. Wir hörten fens entledigt. Ich gab ihm nach unserem Schiff den haupt ein reinlicheres Ansehen. Sie trugen Zierrat in den Knall einer Drehbasse. Wir fanden einen starken Namen Discoveryhafen. Hier ankerten wir in einem den Ohren, aber nicht in den Nasen; ihre Kleidung wa- Wasserstrom, er war aber salzig; wir sahen uns daher schlammigen Boden ungefähr eine Viertelmeile vom ren Felle von Rehen, Bären und anderen Tieren, vor- genötigt, unsere Fässer beinahe eine Weile weit ins Ufer. Der Eingang dieses Hafens hat niedrige hervor- züglich aber trugen sie ein wollenes Gewand, das von Land zu tragen, um sie füllen zu können. Als wir eben ragende Landspitzen, die sich auf jeder Seite von den ihnen selbst gearbeitet und sehr gut war. Ihre Bogen hiermit beschäftigt waren, kam Herr Johnston an. Er hohen Felsen des beholzten Landes ausbreiten. Wäre und Gerätschaften gaben sie ohne Umstände für Mes- hatte einen engen Kanal in der Einfahrt aufgefunden, der Plan zu diesem insularischen Werke der Natur von ser, Spielsachen, Kupfer usw. fort; das außerordent- fand ihn aber verschlossen und war daher genötigt, dem geschicktesten Feldmesser gemacht worden, so lichste aber war, dass sie uns zwei Kinder von sechs bis den größten Teil der Nacht fortzurudern, da er uns hätte es zur Beschützung des Hafens so wohl gegen sieben Jahren gegen Kupfer zum Tausch anboten. Ich dann jetzt traf. Wir setzten nun unsere Untersuchung die Nordwinde als auch gegen Feinde, wenn es gut machte indes keinen Gebrauch davon, sondern gab ih- fort und fanden einen sicheren und geräumigeren Ha- ­befestigt würde, nicht zweckmäßiger angelegt werden nen zu verstehen, dass ich dergleichen Handel verab- fen als der Discoveryhafen. Er war zugleich angeneh- können. Ich gab ihm daher den Namen »Schutzinsel« scheue. Da die verschiedenen Verrichtungen am Ufer mer; die Tiefe war zehn bis zwanzig Klafter mit guten Edition Erdmann (Protection Island). Die Landspitzen in der Einfahrt und an Bord noch einige Zeit dauern konnten und ich festem Grund; doch fehlte ihm frisches Wasser. Herausgegeben von haben gewöhnlich eine beinahe zirkelförmige aber un- sehr neugierig war, diese Einfahrt noch besser kennen Auf unserem Weg fanden wir auf einer der niedrigen Michael Wala regelmäßige Gestalt, erstrecken sich von dem felsigem zu lernen, damit wir, wenn die Schiffe bereit wären, Landspitzen zwei aufrecht stehende Stangen im Bo- Leinen mit Schutzumschlag, Lesebändchen, Holzland etwa hundert bis sechshundert Schritt und durch nichts in unseren Untersuchungen aufgehalten den, die ungefähr fünfzehn Fuß hoch und grob ge- ca. 450 Seiten, 24 Euro 62 | 63 Leseprobe: Schiffbrüche

Álvar NúÑez Cabeza de Vaca und frischesten Leute von der ganzen Mannschaft bei tönte die Brandung laut. Erschreckt rief ich den Pa­ sich hatte, vermochten wir keineswegs dicht hinter tron an, der mir erwiderte, dass wir nach seiner Mei- ihm herzufahren, geschweige denn mit seiner Barke nung nahe am Land seien. Wir machten die Probe Streit mit den Indianern mitzuhalten. und fanden uns bei sieben Klaftern Wassertiefe. Wir waren der Ansicht, dass es gut sei, uns noch auf dem Sobald ich das wahrnahm, bat ich ihn, er möge mir Meer zu halten, bis es hell wurde. So ergriff ich ein ls der Morgen angebrochen war, fuhren zahlrei- sie uns in keiner Weise dorthin gelangen ließ, sondern doch, damit ich ihm dicht folgen könne, ein Tau von Ruder und ruderte vom Land weg, bis wir uns eine A che Kanus mit Indianern auf uns zu, die uns uns vielmehr vom Land wegtrieb. Mit der Strömung seinem Boot aus zuwerfen. Er entgegnete, er werde es Legua von ihm wieder entfernt hatten. Das Achter- um ihre beiden als Geiseln in der Barke zurückgeblie­ kämpfend bemühten wir uns, es wieder zu erreichen. nicht tun, da man in jener Nacht allein landen kön- deck richteten wir nach dem offenen Meer zu. In der benen Gefährten baten. Der Gouverneur eröffnete ih- Der Nordwind nahm vom Land her so zu, dass er uns ne. Hierauf fragte ich ihn, was er mir zu tun befehle, Nähe des Landes packte uns eine Woge, die die Barke nen, man werde sie ausliefern, wenn die beiden ent- aufs Meer hinauswarf, ohne dass wir etwas hätten da er doch einsehe, wie wenig es uns möglich sei, ihm so weit aus dem Wasser und über die Wogen hinweg- führten Christen herbeigeschafft würden. Mit diesen dagegen unternehmen können. Als wir eine halbe Le- zu folgen und seinen Anordnungen nachzukommen. schleuderte, wie die Stange beim Stangenspiel fliegt. Indianern kamen fünf oder sechs Häuptlinge. Uns gua weit auf die offene See verschlagen waren, warfen Er antwortete mir, es sei nicht mehr Zeit dazu, ein- Bei dem heftigen Stoß kam fast das ganze Volk, das schienen diese Menschen wohlgestalteter, von wür- wir das Lot aus und bemerkten, dass wir mit dreißig ander Befehle zu erteilen. Jeder solle nach seinem ei- wie tot in dem Fahrzeug lag, wieder zu sich. Als sie devollerem Benehmen und Anstand zu sein als die, Klafter noch keinen Grund finden konnten; auch ver- genen Gutdünken handeln, um sein Leben zu retten; sich auf dem Trockenen sahen, stiegen sie aus und die wir bis dahin getroffen hatten, obwohl sie nicht so mochten wir nicht festzustellen, ob die Strömung die er tue es ebenso. Mit diesen Worten entfernte er sich krochen auf Händen und Füßen umher. Als wir auf groß waren wie diese. Sie trugen das Haar lang auf- Ursache für diese Erscheinung war. So segelten wir mit seinem Fahrzeug, und da ich ihm nicht zu folgen dem Land an eine Schlucht kamen, zündeten wir gelöst und waren in Decken aus Marderfell gekleidet, zwei Tage, wobei wir immer bemüht blieben zu lan- vermochte, fuhr ich zur anderen Barke, die auf dem Feuer an und rösteten unseren Mais; dort fanden wir wie wir sie erbeutet hatten. Einige von ihnen waren den. Am Abend des zweiten Tages, ein wenig vor Son- offenen Meer segelte. Die wartete auf mich, und ich auch Regenwasser. Am wärmenden Feuer kamen die auf eine recht fremdartige Weise angefertigt. An ih- nenuntergang, nahmen wir eine Anzahl von Rauch- fand, bei ihr angelangt, dass es das unter dem Befehl Leute wieder zu sich und wurden etwas munterer. Der nen gab es nämlich verschnörkeltes Schnurwerk von fahnen an der Küste wahr. In dem Bestreben, dorthin der Hauptleute Peñalosa und Téllez stehende Fahr- Tag unserer dortigen Landung war der 6. November. löwenfarbigen Fellen die sehr hübsch aussahen. Sie zu gelangen, fanden wir uns bei drei Klafter Wasser- zeug war. forderten uns auf, mit ihnen zu gehen; sie würden tiefe. Da es dunkel war, wagten wir die Landung nicht. So fuhren wir vier Tage gemeinsam miteinander, an uns die Christen, Wasser und vieles andere geben. Un- Denn da wir viele Feuer gesehen hatten, glaubten wir, jedem Tag schätzungsweise eine halbe Handvoll ro- ÁLVAR NÚÑEZ CABEZA DE VACA wird um 1490 in Jerez de unterbrochen eilten viele Kanus auf uns zu, die sich uns drohe irgendeine Gefahr, ohne dass wir infolge hen Mais verzehrend. Nach diesen vier Tagen packte la Frontera geboren. Seine Familie entstammt dem niederen Adel. Mühe gaben, die Mündung jenes Meeresarmes zu be- der dichten Dunkelheit sehen könnten, wie wir uns uns ein Sturmin dem die andere Barke unterging. Nur 1527/28 begibt er sich auf eine Expeditionsreise unter Pánfilo de Narváez, die von Hunger, Desertation und Versklavung nach ei- setzen. Sowohl aus diesem Grund als auch deswegen, verhalten müssten. Aus diesem Grund entschlossen durch das große Erbarmen Gottes gingen wir nicht nem Schiffbruch geprägt ist. Als einer der wenigen Überlebenden weil das Land gefährlich zu weiterem Verbleiben war, wir uns, bis zum Morgen zu warten. Als der Tag an- alle samt und sonders zugrunde, wie es sonst bei die- nach dem Schiffbruch, wahrscheinlich vor der heutigen texanischen fuhren wir zum Meer, wo wir bis zum Mittag mit ih- brach, sah sich jedes Boot für sich allein, verlassen von sem Unwetter eigentlich hätte der Fall sein müssen. Galveston Island, gelingt es ihm, nachdem er von Eingeborenen ver- nen zusammenblieben. den andern. Ich fand mich an einer Stelle von dreißig Da Winterszeit mit heftiger Kälte herrschte und wir sklavt wurde, zu fliehen und sich bei einem anderen Stamm als Händ- Weil sie uns die Christen nicht wieder ausliefern woll- Klaftern Tiefe, und meine Richtung weiter verfolgend, so lange Hunger gelitten und so lange die Erschütte- ler zu verdingen. Er begibt sich nach Jahren wieder in die Sklaverei, ten und wir mit Rücksicht darauf ihnen auch nicht die sah ich um die Vesperstunde zwei andere Boote. Als rungen auf den Wogen erduldet hatten, wurden am um mit anderen Spaniern eine Flucht zu planen. Nachdem diese gelungen ist, erreichen sie 1536 Mexiko-Stadt und können dem Vi- Indianer zurückgaben, machten sie sich daran, mit ich zu ihnen steuerte, bemerkte ich, dass das erste, nächsten Tage die Leute derart ohnmächtig, dass bei zekönig von ihren Erlebnissen in den letzten acht Jahren berichten. Schleudern und Stöcken Steine zu werfen unter An- auf das ich stieß, das des Gouverneurs war, der mich Sonnenuntergang alle in meiner Barke einer über den 1537 kehrt de Vaca nach Spanien zurück. Wird er 1540 noch zum zeichen, als wenn sie uns mit Pfeilen erschießen woll- fragte, was wir nach meinem Dafürhalten nun begin- anderen zusammengebrochen waren, so nahe dem Gouverneur der spanischen Kolonie im heutigen Paraguay benannt, ten, obgleich wir bei ihnen insgesamt nur drei oder nen müssten. Ich entgegnete ihm, man solle die vor- Tod, dass nur wenige sich noch dessen bewusst wa- stirbt er um 1557 verarmt in Spanien. vier Bogen sahen. aussegelnden Barken zu erreichen suchen; man dürfe ren, sterben zu müssen. Von allen Leuten waren in Während dieses Streits frischte der Wind auf; die sie nicht im Stich lassen, und unsere drei Fahrzeuge dieser Stunde nicht fünf auf den Beinen. Bei Einbruch Indianer kehrten um und ließen uns zurück, und so zusammen sollten ihren Kurs weiter verfolgen, wohin der Nacht blieben nur der Schiffspatron und ich zum fuhren wir an diesem Tag weiter bis zur Vesperstun- uns Gott zu leiten wünschte. Er gab mir zur Antwort, Lenken des Fahrzeugs übrig. Um zwei Uhr nachts bat de. Da entdeckte meine Barke, die voraussegelte, eine man könne diesen Vorschlägen nicht nachkommen, mich der Patron, die Führung zu übernehmen, da er Landspitze. Am anderen Ende nahm man einen sehr weil das Boot weit draußen auf dem Meer fahre und er sich in solcher Verfassung befinde, dass er glaube, breiten Fluss wahr, und an einer Insel, die die Spitze auf alle Fälle zu landen wünsche. Wenn ich ihm folgen noch diese Nacht sterben zu müssen. So ergriff ich das bildete, ließ ich ankern, um auf die anderen Barken zu wolle, so solle ich meine Leute veranlassen, die Ruder Steuerruder. Als ich nach Mitternacht nachsah, ob der warten. Der Gouverneur wollte nicht zu dieser Stel- zu ergreifen und damit zu arbeiten, denn nur mithilfe Patron schon gestorben sei, gab er mir erfreulicher- le fahren, vielmehr begab er sich zu einer ganz in der der Arme sei noch das Land zu erreichen. weise Antwort, dass er sich besser fühle und bis Ta- Nähe gelegenen Bucht, in der mehrere Inseln lagen. Dieses riet ihm einer seiner Hauptleute namens Pan- gesanbruch steuern werde. Ich hätte in jener Stunde Dort trafen wir wieder zusammen und nahmen aus toja mit dem Hinweis darauf, dass man, wenn nicht an lieber sterben mögen, als so viele Menschen vor mir dem Meer Süßwasser ein, denn der Fluss mündete diesem Tag, in den nächsten sechs folgenden sicher- in solch elendem Zustand zu sehen. Nachdem der Pat- flutartig ins Meer. Um etwas von dem mitgenom- lich nicht an Land kommen werde, und dass man un- ron die Führung des Schiffs übernommen hatte, legte menen Mais zu rösten – zwei Tage lang aßen wir ihn vermeidlich in dieser Zeit an Hunger zugrunde gehe. ich selbst mich ein wenig nieder, doch ohne eigentlich schon roh –, landeten wir auf jener Insel. Da wir aber Da er sich fest entschlossen zeigte, diesem Vorschlag Ruhe zu finden, denn es war mir damals nichts ferner kein Holz fanden, kamen wir überein, uns zum Fluss zu folgen, ergriff ich mein Ruder, das gleiche taten alle als Schlaf. Edition Erdmann zu begeben, der hinter der Landspitze, eine Legua von meine Leute, und so ruderten wir bis etwa Sonnen- Schon zur Morgendämmerung glaubte ich, das Bran- Leinen mit Schutzumschlag, Lesebändchen, dort entfernt, war. Die Strömung war so stark, dass untergang. Da aber der Gouverneur die gesündesten den des Meeres zu hören. Da die Küste flach war, so ca. 224 Seiten, 24 Euro AnzeigeAlbatros:Layout 1 11.02.2015 15:02 Uhr Seite 3

64 |65 ??? Töne

»Fischer-Dieskaus bestes Buch.« RONDO

ls »bester Liedersänger« (Times) füllte Dietrich Fischer- ­ Dieskau die Konzerthäuser rund um die Welt. In diesem ABuch erinnert er sich an seine Begegnungen mit dem Dirigenten und – meist übersehen – Komponisten Wilhelm Furtwängler: ­Blicke zurück auf einen Lehrermeister, eine väterliche Figur. Angezogen von dem »besonders subjektiven Musiker« entsteht nach der ersten Begegnung im Jahr 1950 zwischen den beiden Jahrhundertgestalten eine Geistesverwandtschaft, die bei den Werken von Beethoven und Brahms, Bruckner und Wagner zur Zusammenarbeit auf der Bühne und bei Tonaufnahmen führt. Es eint sie die Unbedingtheit ihres Verständnisses von Musik, die ­»totale Unterwerfung des Hörens«. Bei aller Nähe aber verliert Dietrich Fischer-Dieskau nicht die kritische Distanz: Fern aller Mystifizierung hat er früh die Tragik dieses Künstlers gesehen, J A der naiv und seelisch ambivalent sich die Nationalsozialisten wie C N ­deren Gegner zum Feind machte. K LONDO R E te N Cipon A rosso K rea G I d X von An E en M tration lus R g mit Il DIETRICH FISCHER-DIESKAU, 1925–2012, Studium an der Berliner Musikakade - E lun D rzäh Eine E Berlin University Press mie. Nach dem Krieg begann eine weltweite Karriere, die Dietrich Fischer-Dieskau 2. Auflage, 72 Seiten, zum bedeutendsten Lied- und Opernsänger seiner Zeit werden ließ. Bei der BUP gebunden mit Schutzumschlag, ­erschien von ihm auch »Das deutsche Klavierlied«. 15 Euro Illustration: Andrea Grosso Ciponte

NEUÜBERSETZUNG

JACK LONDON: DER MEXIKANER edition MIT ILLUSTRATIONEN Von der Kraft der Musik erzählen auch: JACK LONDON Elke Heidenreichs »Venedig – schöne Stille«, mit dem Sie die Serenissima neu hören werden, und der Band mit VON ANDREA GROSSO CIPONTE DER MEXIKANER unbekannten Fotografien von Georges Yammine aus dem Innenleben eines der berühmtesten Orchester der Eine Erzählung aus dem Amerikanischen Welt, dem West-Eastern Divan Orchestra, herausgegeben von Daniel Barenboim. von Regine Strotbek Zwischen Worten und Faustschlägen Mit Zeichnungen von Andrea Grosso Ciponte und einem Nachwort von Stefana Sabin geht es um Lebensmut und bittere 72 Seiten. b 18,– Rache, um Hoffnung und Verlust, um ISBN 978-3-945400-05-0 Stehvermögen und Schlagfertigkeit

im Kampf um das Morgen. CORSO In Zusammenarbeit mit der Barenboim- Said Akademie. Hardcover mit Schutzumschlag, Fadenheftung, CORSO 128 Seiten mit Hardcover mit 95 Fotografien, Schutzumschlag, Druck im Duotone, 144 Seiten, Zweisprachige Ausgabe mit vielen farbigen Fotografien (deutsch/englisch), von Tom Krausz, 28 Euro 24,90 Euro edition www.editionfaust.de 66 | 67 Auf der Suche nach den kleinen Leuten Was ist ein Leben ohne Zwerge? Es jagt die grimmige Windsbraut durch die anbrechende Nacht – LEONHARD FUEST im Harz der Finsternis.

un, da ich am Rande des Harzes stehe, beginnen verdächtigen Namen »Schierke« nachlesen konnte, N sich meine Blicke zu verschatten. Ein paar Farb­ dass »Elend« nicht von Elend kommt, sondern von reste huschen noch durch das Gesichtsfeld, hier ein »eli lenti«, fremdes Land. Doch aller Aufklärung zum bisschen Grün, dort ein wenig Blau. Ansonsten höre Trotz mündet die ganze Semantik in ein umnachtetes ich – etwa das ironische Lispeln windiger Gestalten, Gaudium, wie es den Harzreisenden Heinrich Heine Sylphen vielleicht. Und noch rauscht gar das Meer in ankommt: »Manche Stadt konnte ich nicht finden, den Ohren. Das Meer – noch immer? Dass das ganz vielleicht weil ich mehr mit den Fingern suchte als mit Leonhard Fuest begibt sich in der Ordnung ist, bestätigt bereits einer der weit- den Augen, die sich unterdessen­ auf dem Gesicht der sichtigen Dichter des Harzes, Wilhelm Raabe, da er holden Dame orientierten und dort schönere Partien auf eine Reise von Flensburg auf den ersten Metern seines ­Romans »Der Schüd- fanden als ›Schierke‹ und ›Elend‹. Ich liebe solche Ge- nach Venedig, er durchfors- derump« Folgendes vermerken muss, so als wolle er sichter, weil sie mein schlimmbewegtes Herz zur Ruhe sich, da er nun einmal diesen alten Pestkarren – und lächeln.« tet den Harz der Finsternis, nichts anderes als ein »Schütterumpf« vorzüglich für Und weil ohne das eine oder andere Wortspiel kein entdeckt vergiftete Metall- Pestleichen ist dieser Schüdderump – ins Rollen ge- denkendes Herz auf die Dauer zu schlagen wüsste, gärten, durchstreift Sagen, bracht hat, selbst noch etwas gute Laune zufächeln:­ mache ich noch rasch eine kleine Volte und bringe »Wo das Harzgebirge seine Vorberge gleich lustig grü- endlich voller Ungeduld »Bad Grund« in des Harzes Mythen und Legenden, Lite- nen Vorwachten hinausschiebt in die norddeutsche Kern, allerdings ohne mit dem Faust auf den nahelie- ratur und Geschichte – im- Ebene, da spürt man’s in jedem Wasser und Wässer- genden Brocken zu schlagen. Wer indes meint, dieses lein, das hervorsprudelt aus den Tannenwäldern und Unterfangen, von Bad Grund auf und aus eine Erkun- mer auf der Suche nach dem Buchenwäldern und dem Laufe der Täler folgt, wie dung des Harzes zu initiieren, sei kaum mehr denn verlorenen Volk: Zwerge, eine ­Ahnung in jeder Welle, daß der gewaltige ewi- eitler Tand, der sei mit einem historischen und topo- ge Reigentanz dieses Elementes, das Meer, nicht all- graphischen Faktum versöhnlich gestimmt, denn ich Gnome, Klabautermänner, zufern und nun kein Fels und Abhang mehr zu über- kann nun endlich den am Rande dieses im nordwest­ Hübiche (Heinzelmänner springen sei, um die Heimat, den lustigen Festplatz, lichen Harz liegenden Ortes thronenden, ersten nam­ zu erreichen.« Das muntere Rauschen und Plätschern haften Zwerg präsentieren: Hübich. Der Zwergenkönig kommen keine vor) … – die verstummt nun aber, da wir den Blick wenden und Hübich soll seit Urzeiten im nach ihm benannten Hü- Leser sollen wissen, dass sie sich die dunkle Silhouette des Waldes deutlich ab- bichenstein leben. Und siehe (nun genauer): Dieser in ihrem Entsetzen angesichts zeichnet und unsere Ahnungen zu seinen unsichtba- Fels in Nachbarschaft zum Iberg besteht aus ­Korallen ren Geschöpfen wandern. Im Harz führen unfehlbar und ist eigentlich ein eingewanderter Stein – aus der des Wahnsinns der Großen, alle Wege zu den Zwergen. Und wir werden uns un- Südsee, vor Abermillionen von Jahren, ein Produkt der tagtäglich ungehemmt ter Tage umzusehen haben. Zuvor aber fällt schon auf, der Kontinentalverschiebung. Auch Zwerge legen gern dass sich auch die überirdischen Gefilde des Harzes das Ohr an Muscheln. Sie haben ein empfindliches Ge- und wild um sich greift, nicht der Nacht zugewandt zeigen. Wie sonst erklärt sich, hör. Und wehe, man belästigt sie: Nicht zuletzt der allein sind. Denn es gibt da dass etwa Walpurgis, jenes höchste Geisterfest die- König Hübich selbst hat mehr als einmal entschieden ser Gegend, keinen Sonnenstrahl zu seiner Illuminie- für Ruhe gesorgt, sagt man. die Zwerge. Sie wussten sich rung duldet? Und wie beginnt gleich Wilhelm Raabes schon immer zu behaupten – Else von der Tanne? »Es schneiete heftig, und es hatte fast den ganzen Tag hindurch geschneit. Als es Abend LEONHARD FUEST, und zwar mit den Mitteln der werden wollte, verstärkte sich die Heftigkeit des Stur- geboren 1967, Literatur- Magie. mes; das Gestäube und Gewirbel um die Hütten des wissenschaftler und Autor. Dorfes schien nimmer ein Ende nehmen zu wollen; Bei corso liegt in zweiter Ein schönes, skurriles Buch, Auflage vor: »Die schwar- verweht wurden Weg und Steg. Im wilden Harzwald, zen Fahnen von Paris«, reich bebildert: ein Band nicht weit von dessen Rande die armen Hütten in ei- siehe Seite 31. zwischen tiefgründiger Ernst- nem Häuflein zusammengekauert lagen, sauste und brauste es mächtig.« Und schon jagt die nächste grim- haftigkeit und lustvoll-literari- mige Windsbraut durch die anbrechende­ Nacht, und schem Schlendrian. das Dorf, in welchem diese Geschichte beginnt, muss CORSO Hardcover mit Schutz- wohl »Wallrode im Elend« heißen. umschlag, 112 Seiten Durch ein Dorf namens »Elend« bin ich dann auch ei- mit vielen farbigen gens gefahren, mich wie alle zuerst darob wohl amü- Abbildungen, farbige Vorsätze, Fadenheftung, sierend. Bis ich dann im Nachbardorf mit dem un- 22,90 Euro 68 | 69 KILLING IS FUN

»Physis rammt Skepsis«

riedrich Weltzien: Um Belege für die Lust am Proportionen greller Gladiatoren schieben sich vor F Töten zu benennen, hat Volker Reiche selbst auf schwarze Bewegungsbögen und drücken lasiertes Wet- den Kontext fundamentalistischen Terrors islamisti- ter aus dem Bild, lachsfarbene Finger krallen sich in scher Gesinnung hingewiesen, auf den zumindest ein Feindfleisch, festliches Gold muss sich als Besatz fürs Aspekt der Namensgebung seines Bilderzyklus »Kill- Ehrenkleid eines Popanzgötzen hergeben, der von der ing Is Fun« anspielt. Die Wirklichkeit hat diesen Ge- jüngsten Kunstgeschichte besoffen ist wie ein Vampir mälden eine politische Dimension verliehen, die der von Kinderblut – und Waffen erscheinen, ganz anders Künstler im Augenblick der Entstehung so gar nicht als in den Filmen und in den Nachrichten, aus de- im Sinn haben konnte. Nach dem 7. Januar 2015 je- nen Reiche sie geholt hat, nicht als Instrumente der denfalls kommt der Analyse des Zusammenhangs von Beschleunigung des Geschehens, sondern mit einem Comicsprache und Gewalt eine erschütternde Dring- Mal als das Unhandlichste, was je die Gestalt von Ge- lichkeit zu. Was vorher ironisch, provokant oder wo- räten angenommen hat. Wie haben Menschen, denkt möglich auch naiv zu verstehen war, erscheint nun in man plötzlich, so etwas je anfassen können, wo es einem anderen Licht. doch ganz offensichtlich für Monsterklauen gemacht Dietmar Dath: Die Leiber, die einander auf Volker ist? Die meisten dieser Bilder zeigen Zusammenstöße. Reiches großen Acryl-Körpertafeln und seinen klei­ Breite Masse, brüllend und tobend, prallt auf Zweifel neren Vorstudien oder Nebenarbeiten in Acryl oder an allen berichtenden und dekorativen Funktionen Tusche auf Papier beharken … widerstehen einer des Bildes, die wir aus dem Nachrichtenwesen und der Draufsicht, die sie nur im Vorübergehen wahrnehmen Kunst kennen. Physis rammt Skepsis. will. Es sind leibliche Ereignisse, die den Farbfrieden Andreas Platthaus: Der »Killing Is Fun«-Zyklus aber und den Formanstand stören: Polychrom zerstückelte ist ein Werk der Ironie, eines Blicks auf das Furcht- barste aus unheimlich-heimeliger Atmosphäre. Des- halb Volker Reiches Selbstporträt, das in »Home Front« oder gleich mehrfach in »Friendly fire with Pablo« steckt. Dort wird nicht verzweifelt gestorben, wie es den Figuren in Picassos »Guernica« widerfährt, die dem vom Himmel fallenden Tod nichts entge- genzusetzen haben als Panik und Unverständnis. In Reiches Variation dieses Zentralwerks der Kunstge- schichte des zwanzigsten Jahrhunderts, die in einzel- nen Bruchstücken das Urbild unmittelbar als Bild im Bild zitiert, wird das Sterben, das bei Picasso noch so unschuldig (und damit so grausam) war, grotesk, weil es eine Gesellschaft von selbst Gewaltbereiten ist, der hier der Garaus gemacht wird – ohne dass erkennbar wäre, wie ihnen das widerfährt.

VOLKER REICHE wurde 1944 in Belzig/Brandenburg geboren und wuchs in Bayern und Hessen auf. Jurastudium in Frankfurt am Main. Nach dem ersten Staatsexamen Entscheidung fürs Schreiben und Zeichnen von Comics. Arbeitete für Pardon und Titanic, zeichnete Edition Faust Donald Duck und Mecki. TV-Animationszeichner. Seit 1990 Malerei Mit Beiträgen von Dietmar Dath, Andreas Platthaus und Friedrich Weltzien (»Sechserpacks«) und Ausstellungen. Von 2002 bis 2010 schrieb und 128 Seiten, durchgehend vierfarbig, zeichnete Reiche den Comic »Strizz« für die Frankfurter Allgemeine 24 x 28 cm, gebunden, 28 Euro Zeitung. Er wurde mehrfach mit hochrangigen Preisen ausgezeichnet. 70 | 71 FREUNDE IM GEISTE

Christiansen erhielt den erstmals vergebenen »Buchhandlungspreis der Hamburger Kulturbehörde«, mit dem unter allen »Wir bieten Leben.« Buchhandlungen der Stadt die Besondere eines Jahres gekürt wird. Wir trafen Nicole Christiansen in ihrer Buchhandlung – die mehr ist als das.

Was ich sagen will: Wir sind im Stadt- Wie bekommt man einen solchen Folgt aus dieser Tradition eine teil und darüber hinaus nicht nur ein Preis, der, weil er zum ersten Mal besondere Verpflichtung? Handels-, wir sind ein Kulturort. Eine verliehen worden ist, so eine beson- Ja – die, sich nicht auf ihr auszuruhen. kleine, kulturelle Plattform, auf der dere Auszeichnung ist? Sie ist ein wunderbares Alleinstellungs- Wir haben den Preis vor allem für merkmal, aber keine Garantie für die man sich trifft, um nicht nur über Bü- unsere seit mehr als zehn Jahre exis- Zukunft. Die müssen auch wir immer cher zu sprechen – Kunden disputieren tierenden Literaturkreise erhalten. Im wieder neu erfinden, uns bewegen – bei uns gern auch einmal über Wein Moment haben wir acht davon – Krei- und Politik, den Kinofilm, den sie ges- se, die sich regelmäßig treffen und in Apropos Zukunft – haben Sie ein tern gesehen haben oder ein Theater- denen Kinder, Jugendliche, Erwachsene Rezept für die nächsten Jahre? stück. So sind wir ein bisschen auch über Literatur sprechen. Dazu gehört auch und gerade ein tolles Kultursalon im besten, im lebendigen Einen Kreis nur für Jungs, drei gemisch- Team, eine Mannschaft, die so bunt ist Sinne. te, einen für die junge Literatur Euro- wie der Stadtteil selbst. Gemischt aus Neben den Mietkosten beeinflusst die pas, einen über Autoren, einen über die Jung und Alt, Männern und Frauen, Kaufentscheidung jedes Einzelnen, wie Literatur eines Landes – in dem gerade bunte Typen für bunte Kunden; Men- sich die Infrastruktur der Städte ent- Russland im Mittelpunkt steht – und schen, denen die Arbeit hier – wie mir – wickelt: Bestell ich online oder besuche der Kreis über Mythen rundet unseren Freude ist und Berufung. ich ein Geschäft? Unsere Buchhandlung derzeitigen Kanon ab. Mir persönlich sind Zuversicht und spiegelt das Bedürfnis, im Stadtteil Orte Durch diese Literaturkreise bieten wir Optimismus wichtig, mit Trübseligkeit zu erhalten, an denen man auf Gleich- einen kontinuierlichen Austausch über gewinnt man Menschen nicht. gesinnte trifft. alte und neue Bücher, Themen und Durch unsere Geschichte zieht sich ein So wird unsere Zukunft sein: Wir Autoren ­– Begegnung und Gespräch. roter Faden: Das Bewährte mitnehmen, bleiben ein Ort, den man gern aufsucht, Damit haben wir uns nicht nur Kunden, erhalten, modifizieren – und dabei weil man seine Atmosphäre und sein sondern Gäste und langjährige Freunde offen sein für Neues. Neue Menschen, Angebot mag und die Menschen, die gemacht, Menschen, die es lieben, mit Themen, Möglichkeiten. Und dann man dort trifft – wir bieten Leben statt uns im Gespräch zu sein und, natürlich das gute Neue mit dem Bewährten die Anonymität einer Onlinezustellung. auch: bei uns zu kaufen. zusammenbringen. All unsere Kreise sind kostenlos und Dazu gehört auch unsere Neugier auf ­offen für neue Menschen, die Lust die Programme kleinerer Verlage und auf die große Welt des Buches haben. ihre Bücher, die hier immer einen Platz Wir haben Ihnen Christiansen präsentiert, Und wir selbst haben Freude in dieser haben. weil sie vertretend steht für all jene Buchhand- Arbeit, an dem, was wir hier lernen, Sicherlich werden wir uns in einem lungen, in denen das Persönliche und Professio- erfahren, neu sehen können. zentralen Punkt treu bleiben: Wir sind nelle, das Freudige, Lustvolle, die Neugier und die Beratung zu Hause sind; Buchhandlungen, Natürlich sind wir nicht Hamburgs mehr als eine Buchhandlung. Natürlich leben wir von dem, was wir verkaufen. in denen man kulturell zu Hause sein kann – »beste« Buchhandlung – Gutenberg sei Buchhandlungen, die es wert sind, von Ihnen Und verkaufen macht uns Spaß – der Dank haben wir viele tolle Buchhand- aufgesucht und bereichert zu werden. lungen in der Stadt. schönste Verkauf ist der persönliche. Wenn ein Kunde nach der Lektüre eines Christiansen finden Sie hier: Aber sind Sie nicht Hamburgs ältes- Buches, das wir ihm empfohlen hat- Bahrenfelder Str. 79 in 22765 Hamburg te Buchhandlung? ten, begeistert zu uns kommt und die Telefon 040 - 390 20 72, Ja, tatsächlich sind wir die älteste Buch- Begeisterung teilen will. Wenn Eltern [email protected] handlung in Familientradition, Chris- uns erzählen, wie gut das letzte Buch www.buchhandlung-christiansen.de tiansen gibt es nun schon in vierter angekommen ist, das wir ihnen für den Generation seit 1878. 15jährigen Sohn mitgegeben hatten. Foto: Romanus Fuhrmann 72 | 73 Besondere Wohnwelten

»Die Farbe ist die Taste. Das Auge Wohnstil Weimar ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit vielen Saiten. Der Farben, Tafelrunden, Sammeln. Endlich das Buch zu einem Künstler ist die Hand, die durch besonderen Detail deutscher Geschichte und Formgebung, diese oder jene Taste zweckmäßig Wohnlichkeit und Weltbedeutung. die menschliche Seele in ­Vi­bra- tion bringt.« WASSILY KANDINSKY

Goethe und die Farben – am liebsten Grün

an muss nichts über Goethe wissen, nichts Auch wenn seine Farbenlehre in ih- Blau und Gelb] sich in der Mischung genau das Gleichgewicht M von ihm gelesen haben, aber wenn man zum ren physikalischen und chemischen halten, dergestalt, daß keine vor der andern bemerklich ist, so ersten Mal in seinem Wohnhaus am Frauenplan steht, Aspekten heute überholt ist, die äs- ruht das Auge und das Gemüth auf diesem Gemischten wie auf dann weiß man: Goethe hat Farben geliebt. Ein son- thetischen und wirkungspsychologi­ einem Einfachen. Man will nicht weiter und man kann nicht niges Grün heißt den Besucher willkommen, saphir- schen Ansätze darin sind immer weiter. Deßwegen für Zimmer, in denen man sich immer be- blaue Wände mit weißen Mustern präsentieren im Ju- noch interessant. findet, die grüne Farbe zur Tapete meist gewählt wird.« no-Zimmer seine von der Antike inspirierte Kunst … Seine Vorgehensweise dabei ist eben- und in seinem privatesten Bereich, seinem Schlaf- so zeitlos wie modern. Er beobachtet, wie Farben wir- Tatsächlich war Grün Goethes Lieblingsfarbe, was die Wand- und Arbeitszimmer leuchtet ein Grünblau mild und ken, auf Bildern, an Wänden, wenn man durch bunte gestaltung betraf. Und sowohl sein einladender Eingangsbe- gemütlich. Gläser hindurchschaut in die Räume. reich, als auch seine privatesten Räume sind grün gestrichen. Sollte man sich dann in eine der Wandfarben verlie- Und so schreibt er Farben Wirkungen zu: Grün stand für Poesie und Sinnlichkeit. ben und beschließen, diese soll es sein: In genau die- Gelb: »Es ist die nächste Farbe am Licht.« Goethes Wohnhaus aber ist zu einem Ausstellungsgebäude für ser Farbe möchte ich zu Hause mein Wohnzimmer »Sie führt in ihrer höchsten Reinheit immer die Natur Farben und ihre Wirkungen geworden. Man kann gewiss da- streichen, so entdeckt man ein faszinierendes Phäno- des Hellen mit sich, und besitzt eine heitere, muntere, von ausgehen, dass alle, die nach ihm hier in Weimar zum The- men. Die Wände sind grün. Natürlich sind sie grün. sanft reizende Eigenschaft.« ma Farbe geforscht und gearbeitet haben, durch seine Räume Aber wie genau sieht diese Farbe aus? Hier scheint »Wenn nun diese Farbe, in ihrer Reinheit und hellem gewandert sind und seine Farbenlehre in Theorie und Praxis sie hell, ein zartes Pastellgrün mit einem Hauch Blau. Zustande angenehm und erfreulich, in ihrer ganzen studiert haben – von Steiner, über die Bauhaus-Künstler, bis Dort aber, dem Fenster gegenüber ist ein Gelb darin. Kraft aber etwas Heiteres und Edles hat; so ist sie hin zu den Studenten heute. Ist das der gleiche Farbton? Und dort oben? Gehört ­dagegen äußerst empfindlich und macht eine sehr un- Aber nicht nur diejenigen, die sich von Berufs wegen mit Far- diese Wand noch zum gleichen Zimmer? Sie scheint angenehme Wirkung, wenn sie beschmutzt, oder ei- ben beschäftigen, lassen sich hier anregen. Goethes Farben grau … nigermaßen ins Minus gezogen wird. So hat die Farbe und seine Zuordnungen finden sich bis heute in den Weimarer Zu Goethes Zeiten waren die Wände in seinem Haus des Schwefels, die in’s Grüne fällt, etwas Unangeneh- Häusern und gewiss auch über Weimar hinaus. vor allem mit geleimter Wandfarbe gestrichen, die in mes.« Rote Wände fürs Wohnzimmer? Weil Rot aktivierend und an- ihrem Eindruck transparent ist und je nach Lichtein- Blau: »So wie Gelb immer ein Licht mit sich führt, so regend wirkt? Ein sanftes Goethegrün für das Arbeitszimmer? fall und Bewegung völlig unterschiedliche Wirkungen kann man sagen, dass Blau immer etwas Dunkles mit Muss nicht, aber kann, wie belegt, zu höchstem Genius führen. hervorruft. Das macht ihre Faszination aus. Wer heu- sich führe.« te mit Dispersionsfarbe versucht, diese Farbe in ihrem »Diese Farbe macht für das Auge eine sonderbare und schillernden, fast nicht greifbaren, chamäleonartig- fast unaussprechliche Wirkung. Sie ist als Farbe eine flüchtigen Effekt nachzuahmen, wird enttäuscht sein. Energie; allein sie steht auf der negativen Seite und Aber auch heute noch gibt es atmungsaktive Kalk- ist in ihrer höchsten Reinheit gleichsam ein reizendes oder Lehmfarben, Marmormehlfarben, Leimfarben Nichts. Es ist etwas Widersprechendes von Reiz und oder Kaseinfarben, die man im Innenbereich gut ver- Ruhe im Anblick.« wenden kann. Man findet sie in vielen Weimarer Woh- »Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau nungen, in denen sie bewusst eingesetzt werden, um sehen, so scheint eine blaue Fläche auch vor uns zu- die Lebendigkeit des Anstrichs zu erhalten. rückzuweichen.« Goethe hat zum Thema Farben geforscht, ja voller Lei- »Das Blaue gibt uns ein Gefühl von Kälte, so wie es uns denschaft eine eigene Farbenlehre geschrieben. Und auch an Schatten erinnert, [...]« das in der Zeit des Klassizismus, der die Linie gegen- »Zimmer, die rein blau austapezirt sind, erscheinen über der Farbe bevorzugte, eher farbfeindlich war. gewissermassen weit, aber eigentlich leer und kalt.« Weimarer Verlagsgesellschaft Aber Goethe war auch hier mutig und ein wenig revo- »Unser Auge findet in derselben eine reale Be- Gebunden mit Schutzumschlag Grün: 304 Seiten, 25 x 30,5 cm lutionär. friedigung. Wenn beide Mutterfarben [gemeint sind 49,90 Euro 74 | 75 Tag und Nacht Leseprobe: Der kleine Prinz

»Das was der Altenberg schreibt, »Der Kleine Prinz« und »Die Erde der Menschen« in neuer das weiß man ja sowieso!« Übersetzung und schönster Ausstattung Er schreibt es nämlich so, daß man glaubt, man wüßte es seit jeher sowieso! Aber erst durch ihn weiß man, daß man es seit jeher schon wußte, das heißt, hätte wissen sollen! Man geniert sich direkt vor sich selber, daß man es erst jetzt durch diesen Antoine de Saint-Exupéry verrückten exzentrischen Altenberg erfährt!« Die Schlange schläft PETER ALTENBERG auf halbem Auge

er sechste Planet war zehnmal weitläufiger. D Ein betagter Herr wohnte dort, der riesen- große Bücher schrieb. »Sieh an! Ein Forscher!« rief er, als er den kleinen Prinzen erblickte. Der kleine Prinz setzte sich auf den Tisch und verschnaufte ein bisschen. Er war schon so viel gereist! er exzentrische Altenberg: Bohèmien, Mitglied des »Wo kommst du her?« fragte ihn der betagte Herr. Lite­ratenzirkels Jung-Wien, Kaffeehausliterat. Seine im- »Was ist das denn für ein dickes Buch?« fragte der Dpressionistischen Skizzen und ironischen Aphorismen, ja kleine Prinz. »Was machen Sie hier?« Gedankensplitter, sind noch heute unübertroffen. In den »Ich bin Geograph«, sagte der betagte Herr. Mittelpunkt seiner Kurzprosa stellt er das subjektive Erleben »Was ist ein Geograph?« und teilt im Plauderton Augenblicke aus dem Alltagsleben »Das ist ein Gelehrter, der weiß, wo die Meere, der Großstadt um die Jahrhundertwende mit – dabei be- Flüsse, Städte, Berge und Wüsten liegen.« schönigt er nie. »Das ist ganz schön interessant«, sagte der kleine Dieser Band enthält eine Auswahl aus folgenden Büchern: Prinz. »Endlich mal ein richtiger Beruf!« Und er sah Wie ich es sehe, Was der Tag mir zuträgt, Pròdromos, Mär- sich auf dem Planeten des Geographen um. Er chen des Lebens, Bilderbögen des kleinen Lebens, Neues hatte noch nie einen so majestätischen Planeten Altes, Semmerling, Fechsung, Nachfechsung, Vita Ipsa, gesehen. Mein Lebensabend, Der Nachlass.

PETER ALTENBERG (1859–1919), dessen bürgerlicher N ame Richard Eng- länder lautete, entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie. Nach dem Scheitern eines Medizin- und Jurastudiums und einer Buchhändlerlehre attes- tiert ihm ein vom Vater gerufener Arzt »Überempfindlichkeit des Nervensys- tems« und »Berufsunfähigkeit«. Unter der Adresse »Café Central, Wien I« führt er nun in Kaffeehäusern und billigen Absteigen das Leben eines Bohèmiens, immer wieder unterstützt von Karl Kraus, Alfred Polgar, Arthur Schnitzler, Egon Friedell und anderen Freunden des »Jungen Wien«. 1896 veröffentlicht er die erste Sammlung seiner literarischen Skizzen. Trotz ­literarischer Erfolge führt er ein gebrochenes Leben, das von Krankheit, Alko- marix Herausgegeben hol und finanzieller Not geprägt ist. Nach mehreren Aufenthalten in Nerven- von Karl Kraus heilanstalten und gezeichnet von Alkoholismus und Schlafmittelmissbrauch Gebunden in feines Leinen stirbt er 1919 in Wien. 480 Seiten, 10 Euro 76 | 77 Leseprobe: Der kleine Prinz

»Ganz schön schön, Ihr Planet! Gibt es Ozeane?« »Blumen schreiben wir nicht auf«, sagte der Geograph. »Das kann ich nicht wissen«, sagte der Geograph. »Warum das denn? Die sind doch am schönsten!« »Ach!« (Der kleine Prinz war enttäuscht.) »Berge?« »Weil Blumen vergänglich sind.« »Das kann ich nicht wissen«, sagte der Geograph. »Was bedeutet das: ›vergänglich‹?« »Aber Städte oder Flüsse oder Wüsten?« »Geographiebücher«, sagte der Geograph, »sind die »Das kann ich alles nicht wissen«, sagte der Geograph. ernsthaftesten Bücher von allen Büchern. Sie veralten »Aber Sie sind Geograph!« nie. Es passiert selten, dass ein »Ja, sehr richtig«, sagte der Geo- Berg seinen Platz wechselt. Sehr graph, »ich bin aber kein For- »Der Planet Erde selten, dass ein Ozean ausläuft. scher. Es herrscht sehr großer Wir schreiben nur ewige Dinge Forschermangel hier bei mir. Der hat einen guten Ruf.« auf.« Geograph kann ja nicht selbst »Aber ein erloschener Vulkan losgehen und die Städte, Flüsse, kann wieder aktiv werden«, un- Berge, Meere, Ozeane und Wüsten zusammenzählen. terbrach ihn der kleine Prinz. »Was bedeutet ›ver­ Der Geograph ist zu wichtig, um in der Gegend her- gänglich‹?« umzulaufen. Er kann nicht von seinem Schreibtisch »Ob ein Vulkan aktiv ist oder erloschen, kommt für weg. Dafür empfängt er Forscher. Er interviewt sie uns aufs Gleiche heraus«, sagte der Geograph. »Für und schreibt ihre Erlebnisse auf. Und wenn er die Er- uns zählt der Berg. Der bleibt derselbe.« lebnisse von dem einen oder anderen interessant fin- »Aber was bedeutet ›vergänglich‹?« wiederholte der det, lässt der Geograph ein Gutachten über die mora- kleine Prinz, der nie im Leben von einer Frage abließ, lische Verfassung des Forschers erstellen.« die er einmal gestellt hatte. »Warum das denn?«, fragte der kleine Prinz. »Es heißt ›vom baldigen Ableben bedroht‹.« »Ja, weil es eine Katastrophe für die Geographiebü- »Meine Blume ist vom baldigen Ableben bedroht?« cher wäre, wenn ein Forscher lügen würde. Oder wenn »Ja sicher.« ein Forscher zuviel trinkt.« »Meine Blume, vergänglich«, sagte sich der kleine »Und warum das?« fragte der kleine Prinz. Prinz, »und sie hat nur vier Dornen, um sich gegen die »Ein Betrunkener sieht doch alles doppelt! Und dann Welt zu verteidigen! Und ich habe sie einfach allein zu würde der Geograph zwei Berge aufschreiben, obwohl Hause gelassen!« nur einer da ist.« Es war ein erstes Anzeichen von Reue. Aber er fasste »Ich kenne jemanden«, sagte der kleine Prinz, »der ein wieder Mut: schlechter Forscher wäre.« »Was können Sie mir empfehlen, was ich besichtigen »Das gibt es. Wenn man also meint, die moralische soll?« fragte er. Verfassung des Forschers ist in Ordnung, dann erstellt »Den Planeten Erde«, antwortete ihm der Geograph. man ein Gutachten über das, was er entdeckt hat.« »Der hat einen guten Ruf …« »Dann schaut man es sich an?« Und der kleine Prinz reiste weiter und dachte dabei an »Nein. Das ist zu kompliziert. Aber man fordert den seine Blume. Forscher auf, Beweise zu liefern. Zum Beispiel: wenn er einen sehr großen Berg entdeckt hat, fordert man ihn auf, sehr große Steine davon heranzuschaffen.« Der Geograph war plötzlich gereizt. »Du kommst doch aus der Ferne! Du bist ja ein For- scher! Du wirst mir deinen Planeten beschreiben!« Und damit klappte der Geograph das Register auf und spitzte den Bleistift. Man schreibt die Berichte der Forscher zuerst mit Bleistift auf. Man wartet, bis der Forscher Beweise geliefert hat, bevor man sie mit Tin- te schreibt. »Also?« begann der Geograph. »Ach, bei mir«, sagte der kleine Prinz, »das ist nicht so interessant, es ist wirklich winzig. Ich habe drei Vulka- marix ne. Zwei aktive Vulkane, einen erloschenen. Aber man Neu übersetzt von weiß ja nie.« Corinna Popp »Man weiß ja nie«, sagte der Geograph. Gebunden in feines Leinen, 320 Seiten, »Außerdem habe ich eine Blume.« 10 Euro 78 | 79 Geschichten aus Russland

Die Politik des Wladimir Putin hat Russland in einen neuen Fokus gerückt, die Welt steht Kopf, wenn sie an dieses gewaltige Land denkt. Aber was wissen wir von den Menschen? Was von ihrem Alltag, ihren Sorgen, ihren Träumen? Was wissen wir von den Russen? Darauf geben Jessica Schober und Wlada Kolosowa aktuelle Antworten: Sie sind in russischen ­Städten ­gewesen, begleitet von den beiden Fotografen Olga Matwee­wa und ­Evgeny Makarov. Aus nahem West und fernen Ost, kaltem Nord und wärmeren Süd haben »Hungern, aber Lidschatten von Chanel kaufen.« sie uns nicht nur Eindrücke von den Orten mitgebracht­­­ – sondern­ vor Begegnung mit Nelly Brjanzewa, Friseurmeisterin in Omsk allem lebendige Portraits von den Menschen­ wie du und ich.

er Blick aus dem Friseursalon »NB« ist atembe- Was ist für dich Schönheit? malismus. Eher Dolce & Gabbana als konzep­tio­nelle D raubend: Aus der Fensterwand im fünften Stock Schönheit ist im Menschen selbst. Das ist der Zustand Mode wie Comme des Garçons. kann man den Irtysch kilometerweit verfolgen. Der der Seele, ein inneres Licht. Aber mein Beruf hilft Warum hat die Schönheitsindustrie so viel Blick in den Salon ist nicht minder spektakulär: Alle auch, dieses Licht anzuknipsen. Kaum eine Frau geht ­Erfolg in Russland? Mitarbeiterinnen sehen aus wie in einem Werbespot. ohne ein Lächeln aus dem Friseurladen. Ein gefärbter Ich studierte Luftfahrt, weil meine Mutter damals Ob wir die Salon­besitzerin sprechen könnten, fragen Ansatz lässt ­einen um zehn Jahre jünger fühlen. wollte, dass ich etwas »Seriöses« mache, etwas, das wir eine der Elfen – vielleicht Auszubildende, viel- Die russischen Frauen gelten als besonders sicher einen Arbeitsplatz bringt. Inzwischen hat auch leicht ein Model, das zum Spitzenschneiden vorbei- schön. Hast du dafür eine Erklärung? sie verstanden, dass es in Russland nichts Sichere- schaut. »Die bin ich«, sagt sie. Schöne Menschen gibt es immer dort, wo der Genpool res, nichts Ewigeres als die Schönheitsindustrie gibt. durchgemischt ist – und in Russland trifft Europa auf Dieses Land wird hungern, aber trotzdem Lidschat- Nelly, warum bist du Friseurin geworden? Asien. Außerdem stecken sie viel Energie in ihr Äuße- ten von Chanel kaufen. Die teuerste Kosmetik ist in Das war ein kurviger Weg. Zuerst habe ich Luftfahrt res. Sie sind gezwungen, schön zu sein. Sonst haben sie meinem Laden als Erstes ausverkauft. Und mir geht studiert, aber es war klar, dass mein Abschlusszeug- es hier sehr schwer. Schönheit ist eine grausame Macht, es ähnlich: Ich kaufe lieber kein Brot als eine billige nis Wandzierde bleiben würde. Der Beruf lag mir ein- sagt man in Russland. Sie bringt Spielraum – und ist Creme. fach nicht. Stattdessen habe ich ein Jahr lang eine gleichzeitig eine Über­lebensstrategie. Friseurausbildung gemacht und in einem der größten Laut den russischen Marktforschern von COM- Das Buch, das hinter den neuen Vorhang blickt Salons in Omsk gearbeitet. Bevor ich mich selbstän- COM gibt in Russland jede Frau durchschnitt- und vom Leben im heutigen Russland erzählt – dig machte, habe ich viele Fortbildungen absolviert, lich 12 Prozent ihres Einkommens für Kosme- diesem uns fast unbekannten Land. unter anderem in London, und Friseur­design an der tikartikel aus – auch in Krisenzeiten. Pädagogischen Universität in Jekaterinburg studiert. Das kann ich mir gut vorstellen. Ich gebe für Kleidung Inzwischen bin ich zwanzig Jahre im Beruf. Unterfor- und Pflegeprodukte etwa ein Viertel meines Geldes dert bin ich nie: Ehrlich, manchmal ist ein Haarschnitt aus. Meine Tochter, die noch bei mir wohnt, steckt komplizierter, als ein Flugzeug zu bauen! alles, was sie verdient, in ihr Äußeres. Alleinstehende Zwanzig Jahre im Beruf! Bitte verzeihen Sie, Frauen haben kleine Wohnungen und große Kleider- dass ich Sie zu Anfang geduzt habe – schränke, sagt man. Männer haben es da einfacher: Du kannst mich ruhig duzen. Aber frag bloß nicht Alles, was sie brauchen, sind gute Schuhe und ein nach meinem Alter, sonst werde ich lügen müssen. ­guter Haarschnitt. Das ist und bleibt ein Geheimnis. Sogar für Naheste- muss die Farbe jede Spur der Alterung übertönen – Wie haben sich die Wünsche der Kundinnen in hende. Sogar für meinen Arzt. Sogar für mich selbst. kein graues Härchen darf hervorblitzen. Ich sage den letzten Jahren gewandelt? CORSO Sagen wir es so: Meine Tochter ist 23. meinen Kundinnen immer, dass Jugend nicht heißt, In den neunziger Jahren war Auffälligkeit Trumpf: Herausgegeben von Heino Wiese Es heißt, eine Russin bleibt immer 18. Geburtstagsku- wie ein Mädchen auszusehen, sondern Vitalität und Frauen wollten dicke Blocksträhnen in unterschied- Hardcover mit chen von Frauen schmücken nie mehr als 18 Kerzen. Gepflegtheit bedeutet. Wir müssen unsere Schön- lichen Farben, sie sind rumgelaufen wie bunte Was- Schutzumschlag, 176 Seiten mit sehr Jugend ist hier eine Ware. Eine, mit der eine ganze heitsstandards überdenken. Auch Silbersträhnen und sermelonen. Jetzt setzen sie eher auf Natürlichkeit: vielen farbigen Foto- Industrie Geld macht. Es gibt sogar besondere Haar- Falten können schön sein. Aber ich denke auch: Bo- Blond- und warme Brauntöne, lange Haare oder Bobs. grafien, Karte, färbemittel für den russischen Markt. In Europa färbt tox – sollen sie doch machen. Wenn es die Frauen sich Wobei Glanz und Glamour auf dem russischen Markt farbige Vorsätze, Fadenheftung, man graue Haare so, dass sie gepflegt aussehen. Hier besser fühlen lässt und nicht lächerlich aussieht. immer ziehen werden: Eher Paradiesvogel als Mini- 24,90 Euro AnzeigeAlbatros:Layout 1 28.01.2015 20:04 Uhr Seite 2

80 Adieu »»WWeennnn mmaann vveerrsstteehheenn wwiillll,,wwaass iinn SSyyrriieenn vvoorrggeehhtt,, mmuussss mmaann lleesseenn..«« »Was einem Mühe kostet, das hat man lieb.« NOVALIS INNENANSICHTEN AUS

Liebe Leserin, lieber Leser, SYRIEN

»Mühe« ist ein Wort, das wir nicht mehr gern hören –

als fiele Qualität vom Himmel und entstünde quasi 8 e t i e

von selbst. Was weit gefehlt ist: Nur wo Mühe ist, S h freudige Mühe natürlich, jene Mühe, die das Rad noch c u B

einmal weiter dreht, das Sahnehäubchen entstehen lässt m i , b

und das schmückende Tüpfelchen auf dem i – nur dort i t a

entstehen jene Dinge, die uns manchmal des Alltags h K d entheben. Und, ja auch das: glücklich machen können. i m a

Die kleine, aber überlegte Geste der Freundschaft, ein H : o t

nicht alltäglicher Wein, ein berührender Film, ein bewe- o F gendes Theaterstück – nichts entsteht ohne die freud- Beiträge von:Dara Nawwaf Abdallah Kheder Alaga Sadik J.Al-Azm Mohammad Al Attar Yassin Al Haj Saleh Wissam Al Jazairy Mohammad Al-Matroud Al-Schari Mouneer Alshaarani Rafat Alzakout Ali vollen Mühen von Überlegen und Machen. »Wenn man verstehen will, was in Syrien, im Nahen Atassi Mamdoh Azzam Tammam Azzam Khateeb Badle Petra Becker Das syrische Volk kennt seinen In diesem Geist suchen wir Autorinnen und Autoren, Weg Raed Fares Fawwaz Haddad Ziad Homsi Haitham Hussein Omar Kaddour Nour Kelze Khaled Osten vorgeht, muss man lesen. Kein Foto, keine Fern- Khalifa Taha Khalil Hamid Khatib Lens young Dimashqi Christin Lüttich Monzer Masri Amer setzen Themen, kurzum: publizieren. Matar Mezar Matar Orwa Nyrabia Ahmad Salma Salma Salim Nihad Siris Friederike Stolleis Carsten sehreportage, kein mit Handy gedrehter Clip vermag Stormer Khalil Sweilih Raed Wahsh Dima Wannous Rosa Yassin Hassan Samar Yazbek Huda Zein Herausgegeben von Larissa Bender Wir freuen uns, wenn wir ein wenig unserer Liebe auf die Berichte von Zeugen und Betroffenen zu ersetzen, Sie übertragen konnten, bedanken uns herzlich für Ihre die die Übersetzerin Larissa Bender in ihrer Anthologie Zeit und Aufmerksamkeit, und wünschen Ihnen einen ›Innenansichten aus Syrien‹ versammelt. … edition heiteren Frühling und ebensolchen Sommer. Vielleicht führt aber auch dieses Buch zu einem Ruck: Innenansichten aus Syrien indem es uns begreiflich macht, dass in einem Haus, in Herausgegeben von Larissa Bender Ihr dessen Keller passiert, was in Syrien passiert, auch in Ein Reader mit Texten, Fotografien und Bildern. 232 Seiten. Broschiert. b 24,– Lothar Wekel den obersten Stockwerken niemand in Sicherheit lebt.« Stefan Weidner, Frankfurter Allgemeine Zeitung »Angst, Wut und Hoffnungslosigkeit sprechen aus vielen Beiträgen in diesem ebenso erhellenden wie »In diesem Buch steht alles drin. Der Alltag, die Angst, erschütternden Buch. Statt kühler Analysen und politi- P.S.: Die nächste exLibris erscheint zur Frankfurter Buchmesse im Oktober 2015. Dazwischen informieren wir Sie laufend und gern im Internet unter die Geschichten der Toten und der Lebenden, die Rolle, scher Erklärungen liest man Leidensgeschichten und www.verlagshaus-roemerweg.de. die Kunst im Überlebenskampf spielt, Theater, Bilder, Erfahrungsberichte aus der Hölle.« Nürnberger Nachrichten P.P.S: Apropos Vielfalt: Kultur braucht eine bunte Öffentlichkeit – zu einer lebendigen Öffentlichkeit gehören für uns lebendige Stadtteile und Innen- Literatur. … Es enthält keine Betroffenheitsprosa, keine städte. Insofern gilt: Sie können natürlich online bei uns bestellen, doch abstrakten Nachrichtenschnipsel, sondern große Kunst »Ein wohltuender Kontrast sind die ›Innenansichten‹, in noch lieber ist uns, Sie bereichern wieder Ihren Buchhändler. und unfassbare Wirklichkeiten.« denen Dutzende Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung deutlich machen, dass die Auseinandersetzungen in Syrien nicht nur mit brutaler Gewalt, sondern auch mit Gedan- »Ein Buch, an dem in diesen Wochen kein Weg vorbei- ken geführt werden.« führt, heißt: ›Innenansichten aus Syrien‹. Es sind Stim- Rudolf Chimelli, Süddeutsche Zeitung men der Vernunft, die mehr zu erzählen wissen, als es Auslandskorrespondenten je recherchieren könnten …« © Verlagshaus Römerweg GmbH, Römerweg 10, 65187 Wiesbaden, erste Auflage im März 2015. Insa Wilke, Kölner Stadt-Anzeiger edition www.editionfaust.de Herausgeber und v. i. S. d. P.: Lothar Wekel. Konzeption, Redaktion, Gestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH, Hamburg, www.groothuis.de. Redaktionelle Mitarbeit: Karina Bertagnolli, Ulla Bayerl, Barbara Oh, Anna Schloss, Werner Ost und David Zettler. Druck auf Maxi-Offset durch die Gutenberg Beuys, Hannover. Bildnachweis: Umschlagfoto, Umschlag vorn innen, S. 44/47: Rainer Groothuis; S. 4, 6, 14/15, 23, 66: AKG-images, Berlin; S. 39: Wolfgang Groeger-Meyer; S. 54: iStock/Kalena; S. 70: Romanus Fuhrmann; S. 72/73: Stephan Ernst; S. 78: Olga Matweewa. Der Handel mit Häuten und Fellen ist eine klare starke Vaterfigur, Verleger geheißen. Die soge- mit voller woran das das woran L Ernst alten Zeit erfüllten diese Funktion sie perfekt, natürlich bei gut funktionierenden Bremsen.« jeder Esel reden.« eidenschaft rochen kurz am Manuskript und gingen dann Kla nannten Verlegerpersönlichkeiten der guten hast den blödesten Beruf der Welt ergriffen. wird immer ein Mittelding zwischen deinem A glauben. Der MenschInhalt ist das einzige lso reden wir über Inhalte. Über werden, und niemand liebt besser als die Sache, der Handel mit L eine gute Konjunktur andererseits sein.« us Wagenb ebewesen, das über Inhalte reden kann. mit dem Ro »Man muss als Verleger das machen, Liebe und gelegentlich ein Überzeugung und persönlichen Herz w Bücher, Bücher, nichts als Bücher. einerseits und deinem ohlt www.verlagshaus-roemerweg.de Auch in dieser zweiten hängt. Man hängt. muss diesen Beruf Autor einen Geschmack und fester Es hat sich nichts geändert: || »Autoren wollen geliebt Mic ac h Herz und Überzeugung, Glauben an den Inhalt, Geschmack hael Kr üger || »Man muss an den das Büchermachen. Geistesproduktion Vollgas ausüben – Schnaps Urs Widmer L der eidenschaft, und deiner

Geld kann Gefühl für Getränk – trinken.« exLibris Ausgabe || »Du :

exLibris: Das gemeinsame Journal von corso, Berlin University Press, Edition Erdmann, Edition Faust, Weimarer Verlagsgesellschaft, Waldemar Kramer und marix. 2/2015