Kunst – Bau Kunstsammlung der Landeszentralbank in Rheinland-Pfalz und im Hauptstelle Saarbrücken Impressum

Herausgeber: Landeszentralbank in Rheinland-Pfalz und im Saarland, Hauptstelle Saarbrücken

Bearbeitung: Claudia Maas Institut für aktuelle Kunst im Saarland, Saarlouis

Redaktion: Hans-Georg Burkhardt, Rita Everinghoff, Ursula Kallenborn- Debus, Claudia Maas

Gestaltung: Johannes Fox

© Künstler, Autoren und Herausgeber

Auflage: 1000

Druck: Krüger Druck+Verlag GmbH, Dillingen

Verlag: St. Johann, Saarbrücken

ISBN: 3-928 596-56-X

Saarbrücken 2000

Landeszentralbank in Rheinland-Pfalz und im Saarland Hauptstelle Saarbrücken Hafenstraße 20 66111 Saarbrücken Fon 06 81/ 5 80 2101 Fax 06 81/ 5 80 2104

Dank: Prof. Jo Enzweiler, Direktor des Instituts für aktuelle Kunst im Saarland Annerose Gier, Evelyn Jungmann, Alfred Zimmer (LZB Saarbrücken) Josef Gros, Saarbrücken Gerd Kiefer (LPM Saarbrücken- Dudweiler) Susanne Süß (Saarland Museum Saarbrücken) Susanne Vielmetter, Los Angeles Michael Baltes, Hermann Hauth, Christiane Randerath, Silvia Wilhelm (Krüger Druck+Verlag Dillingen) 4 »Sammler ... die leidenschaftlichsten Menschen, die es auf der Welt gibt.« Honoré de Balzac Ingeborg Koch-Haag

10 Kennst du das Land ... – 50 Jahre Einsamkeit? Kunst im Saarland vom Kreislauf zum offenen Prozess – die Sammlung der Landeszentralbank als Symptom Sabine Graf

18 Lukas Kramers Bilder in der Landeszentralbank Saarbrücken in der Perspektive einer Reflexion über das Verhältnis von Geld und Kunst Lorenz Dittmann

22 »Methode und Material« – zu den Arbeiten von Thomas Wojciechowicz und Sigrún Olafsdóttir Michael Jähne

26 Architektur und Kunst Architektonische Konzeption des Gebäudes der Landeszentralbank in Saarbrücken Rena Wandel-Hoefer

29 Zum Wettbewerb für die künstlerische Gestaltung des Bereichs Innenhof im neuen Dienstgebäude für die Hauptstelle Saarbrücken der Landeszentralbank

35 Kunstsammlung der Landeszentralbank in Rheinland-Pfalz und im Saarland Hauptstelle Saarbrücken

111 Mappenwerke Kunst im Kasten

123 Biographien »Sammler ... die leidenschaftlichsten Menschen, die es auf der Welt gibt.« Honoré de Balzac

Ingeborg Koch-Haag

Vorbemerkung eins Vorbemerkung zwei

Seit wann gibt es in Deutschland bürger- Mit dem neuen Landeszentralbankchef liche Verantwortung für öffentliche Hans-Jürgen Koebnick kam die Idee aus Kultur? In der Zeit vor dem Dreißigjährigen Mainz an die Saar, vorwiegend zeitgenössi- Krieg – und dann lange nicht mehr. Das sche saarländische Kunst zu sammeln und in föderative System der Klein- und Kleinst- der Bank auszustellen. Koebnicks Amtsvor- staaterei verschaffte den Herren auch gänger in Mainz hatte damit begonnen, das kulturelle Autonomie – trotz niedriger für »Kunst am Bau« vorgesehene Geld in Steuerzufuhr. Mit dem Absolutismus war den Erwerb von Kunstwerken seit der Nach- die Kulturpräsenz dann identisch mit dem kriegszeit zu investieren und die Bank für ästhetischen Eigensinn des Monarchen. geführte Besuchergruppen zu öffnen. Und seit Ende des 18. Jahrhunderts glaubte man an die Behauptung, der Bürger müsse Koebnicks Überlegungen gingen über den Kunst aushalten, weil sie bilde und zum reinen Kunstwert hinaus: freien, reinen und guten Menschen erziehe. – Da der skulpturale Eigencharakter des Das 19. Jahrhundert wurde dann zum Gebäudes keiner weiteren künstlerischen Centennium der Stiftungen. Ein öffent- Betonung bedurfte, solle nicht Kunst am licher bürgerlicher Kunstsinn regte sich. Bau, sondern Kunst im Bau sichtbar werden. Es war die Geburtsstunde des neuzeit- lichen Sponsoring – mit Romantik und – Bei der Gestaltung eines Innenhofes solle Aufklärung als ideologische Gevattern am über einen künstlerischen Wettbewerb die idealistischen Wochenbett. richtige Lösung gefunden werden.

»Was wäre der älteste und berühmteste – Die Förderung einer Bestandsaufnahme Bankenname unserer zentraleuropäischen von »Kunst im öffentlichen Raum im Kultur, Medici, ohne die Sammelleiden- Saarland« – Band I Saarbrücken – Bezirk schaft? Es wäre der Name irgendwelcher Mitte 1945-1996 liegt vor – solle deutlich Machiavellisten des 15. und 16. Jahrhun- machen, dass das neue Gebäude und die derts – nicht mehr.« Christoph Graf Douglas darin versammelte Kunst in einem histori- schen Kontext stehen.

– Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen mit zeitgenössischer saarländischer Kunst vertraut gemacht werden und Zu- gang zu den regionalen Künstlerinnen und Künstlern finden (Kunstvermittlung nach innen). 4 Gespräch mit Hans-Jürgen Koebnick am 27. März 2000; die Fragen stellte Ingeborg Koch-Haag

Finanziert wurden die Kunstwerke im Rahmen der Richtlinien für Kunst am Bau. Was hielten die Architekten Wandel, Hoefer, Lorch davon? Sie wussten von vornherein, dass wir Kunst in den Bau haben wollten. Sie kannten das Prinzip aus Mainz, und wir haben sehr früh darüber gesprochen. Ich erinnere mich an den Augenblick, als wir den ersten Bau- – Interessierte Besuchergruppen sollen Entwurf betrachteten mit der großen quer- Vorstand relativ früh gesagt, wir wollten trotz der notwendigen hohen Sicherheits- gelagerten Halle. Da habe ich gefragt: wie uns auf Kunst aus dem Saarland konzen- anforderungen, die aus der Aufgabe des lang ist denn die? Ja, dann können wir end- trieren. Es war nicht sehr schwierig, sich Gebäudes erwachsen, mit der Kunstsamm- lich dieses lange Bild von Max Neumann über eine erste Rangliste zu verständigen. lung ein zusätzliches Angebot moderner aufhängen, das zusammengerollt irgendwo Das Ende ist dann eher offen. Und so saarländischer Kunst wahrnehmen können bei der Deutschen Bank in Saarbrücken haben mein Kollege Leopold und ich dann (Kunstvermittlung nach außen). liegt. Es hat nachher leider nicht gepasst, angefangen, uns in den Ateliers umzusehen es fehlten ein paar Meter! und haben Werke erworben. Wir zwei – Der Erwerb von Werken für die Samm- Schon in einem sehr frühen Stadium, da haben nach Augenschein entschieden. lung soll einen Beitrag zur Sicherung der stand der Rohbau noch nicht, ging es zum Existenz von Künstlerinnen und Künstlern Beispiel um die künstlerische Ausstattung einerseits und Galerien andererseits des Innenhofes. Wir haben ihn als Anlass Sie fällen also Ihre ästhetischen Urteile leisten. für einen Wettbewerb genommen. Natür- persönlich? Wie verträgt sich solch ein lich waren die Architekten im Preisgericht. Geschmacks-Absolutismus mit der Tat- Von Anfang an gab es ein Zusammen- sache, dass es sich ja um fremdes Geld wirken mit den Architekten, ohne dass handelt? diese ein einzelnes Bild ausgesucht hätten. Es gibt ja alle möglichen anderen Wir hatten auch sonst keinen Dissens. Ansätze. Es gab damals in Mainz zum Das Ergebnis, denke ich, gibt uns Recht. Beispiel einen Kunstbeirat. Das hat zunächst nicht funktioniert, weil man sich auch nicht verständigen konnte auf be- Es sind ja nicht alles Neuerwerbungen, stimmte Gruppen oder auf bestimmte sondern da war schon ein Fundus. Künstler innerhalb von Gruppen. Am Wie passte denn der ins Konzept? Schluss hat es mein Vorgänger dort ganz Es gab einen kleinen Bestand schon in allein gemacht. Was wir anschaffen, ent- der alten Hauptstelle. Der war außerordent- scheiden wir persönlich. Es gibt keine offizi- lich heterogenen Ursprungs und passte auch ellen Berater, aber ich schätze das Urteil nur zum Teil zusammen. Von Zolnhofer, von Leuten, die sich auskennen und in der Lauer und Collman gab es Werke. In der Kunstszene des Saarlandes mitsprechen. Bewertung kann man unterschiedlicher Ich bin selber in Fördervereinigungen tätig – Ansicht sein. Eine meiner ersten Taten, für die Stadtgalerie, für die Hochschule der als ich 1991 in die Bank gekommen bin, Bildenden Künste Saar, das schafft eine war der Erwerb einer frühen Mappe von Basis auch für individuelle Entscheidungen. Holweck. Auch ein paar Bilder von Bettina van Haaren besaßen wir, weil ihr Vater bei der Bank arbeitete. Es war aber Wie würden Sie denn Ihre eigene Tätigkeit natürlich überhaupt nicht systematisch in Sachen Kunst bezeichnen: eher corporate gesammelt worden. Wir haben dann im collecting oder corporate sponsoring? 5 Ich denke, es ist ein bisschen ein corpo- Ein paar renommierte Namen fehlen der- rate collecting. Der Begriff ist vielschichtig. zeit noch: Annegret Leiner & Horst Hübsch In der Nebenwirkung entsteht eine Art & Gerd Eich & Barbara Caveng und noch Sponsoring. Der Künstler lebt davon, dass ein paar mehr... er seine Werke auch verkauft – und indem Da gibt es noch eine ganze Reihe. wir ein Bild in die Sammlung aufnehmen, Aber es ist auch nicht so, dass wir zu sponsern wir auch den Künstler. Sponso- einem bestimmten Zeitpunkt endgültig ring machen wir im Übrigen aus einem fertig sein wollten. Auch in die Ver- bescheidenen Spendenetat. Wir fördern gangenheit muss man schauen – ein die Verbreitung von Kunst, wenn wir zum Werk aus der kreativen Schaffensphase Beispiel einen Katalog mitfinanzieren oder von Lackenmacher gehört zum Beispiel dem Saarland Museum für seine Wieder- rein. Aber da müssen wir weitersuchen, eröffnungsaktion Geld zur Verfügung und da werden wir auch noch was finden. stellen, wenn wir Ausstellungszuschüsse Otto Steinert ist inzwischen sehr schwierig geben oder der Hochschule der Bildenden zu kriegen, wie man weiß. Also: die Künste die Beschaffung von videotechni- Sammlung ist noch nicht fertig – sie hat schen Geräten ermöglichen. ein offenes Ende, was die Gegenwart angeht.

H. J. Baumgart von Daimler-Benz sagte, man prüfe Sponsoring stets unter zwei Gehören auch Leute dazu, die hier nur Aspekten: trägt es zur Imagebildung bei, zeitweise gearbeitet haben? können wir es künstlerisch verantworten? Für ergänzende Hinweise bin ich sehr Ist das auch Ihr Standpunkt? dankbar. Grundsätzlich sollen alle drin sein, Wir müssen nicht um Kunden werben, die im Saarland Bedeutung gewonnen weil wir ein Monopolbetrieb sind – die haben. Deswegen sind auch die nicht mehr Banken müssen zu uns kommen, wir hier Lebenden wie Max Neumann oder müssen uns nicht wie eine Produkte her- Roger Herman oder Galli mit dabei. Und stellende Firma um das Image kümmern. vielleicht schaut man auch den ehemaligen Es gibt aber so etwas wie eine Grundüber- Schülern von Steinert nach. Also, da bin ich zeugung in der Bundesbank, dass stabiles noch offen. Deshalb werden wir auch Geld eine stabile Gesellschaft voraussetzt. irgendwann einen zweiten Band unserer Eine stabile Gesellschaft ohne Kunst ist Dokumentation brauchen. aber nicht vorstellbar. Also muss die für stabiles Geld zuständige Institution etwas für Kunst tun, um die Gesamtstabilität zu Zur Finanzierung – der Kunst-im-Bau-Topf fördern. ist ja wohl verbraucht. Woher stammt das Geld für weitere Ankäufe? Wir haben natürlich neben den Mitteln, »Der Sammler ergänzt das Museum, er tritt die sich aus dem Neubau ergeben, auch in die Lücken ein« (Emil Waldmann, 1920) einen regelmäßigen Sachetat, mit dem wir Ist das auch Ihr Vorgehen? Das Saarland einkaufen. Auch in Mainz kaufen wir noch Museum verfügt ja über eine Abteilung dazu. Das wird sich auch hier fortsetzen. saarländischer Kunst des 20sten Jahrhun- Das ist ein Topf – wenn Sie so wollen – für derts. die Ausstattung der Büros. Über seine Dass wir eine Lücke schließen ist viel- Höhe entscheidet der Vorstand. leicht zu anspruchsvoll. Aber wir wollen mit dafür sorgen, dass die Lücken nicht zu groß werden. Und irgendwann kann dar- Und weswegen haben Sie vorzugsweise aus auch mal der Grundstock einer kom- Saarländer der mittleren Generation pletten Sammlung werden. erworben? 6 Ich würde gerne alle vorzeigbaren saar- ren Mitarbeitern reden müssen. Der Schock ländischen Künstler hier zeigen. Und vor- über die kühle Architektur und vor allem zeigbar heißt für mich, dass sie in der Kunst über die moderne Kunst wäre so entschei- nach 45 einen Beitrag geleistet haben, den dend gemildert worden«. Ist so etwas für man im Vergleich mit anderen sehen möchte Sie ein Thema? und sehen sollte. Das ist natürlich nicht so Also, unsere Mitarbeiter waren natürlich einfach, weil es noch keine gesicherte ein bisschen vorgewarnt. Sie kannten das Beurteilung dieser ganzen Zeit gibt, das Haus und das Prinzip in Mainz, waren ja weiß ich wohl. Wir haben jetzt ja auch bei regelmäßig auch dort hingekommen. Sie der Herstellung der Dokumentation ge- hatten schon einen kleinen Vorgeschmack sehen, dass man nicht einfach irgendwohin im alten Bau. Sie konnten jetzt auch für greifen kann und sagen: nun ziehe ich mal ihre Zimmer aus den Beständen individuell einen Artikel über die Nachkriegskunst im etwas aussuchen. Saarland raus! (Woher kommt sie, wie Viele der heutigen Bauwerke haben in der waren ihre Einflüsse, wer sind die wesent- Tat häufig wenig haptische Qualität, das lichen Personen?) Das wissen wir noch kaum. heißt, die Leute fühlen sich schon in dem Insofern betreten wir Neuland. Und das ist Gebäude nicht wohl. Und vor einem auch die Absicht dabei: den Blick darauf zu solchen Hintergrund ist natürlich die Gegen- richten. Einiges wird Bestand haben, anderes wartskunst noch schwieriger zu akzeptieren, wird vergänglich sein, war vielleicht nur als weil sie zunächst eine gewisse Distanz Anregung für andere Künstler wichtig. schaffen will. Und in einem ohnehin distan- zierten Umfeld rückt sie dann nochmal ein Stück weiter weg. Ich glaube nicht, dass wir Nochmals zur ästhetischen Vereinbarung ein solches Gebäude errichtet haben. Darauf dessen, was wir als Kunst betrachten. Wer habe ich von Anfang an auch ein bisschen sind für Sie die Verwalter des Kunstbegriffs? geachtet. Wir haben auch in der Material- Das sind die Künstler und Künstlerinnen. wahl versucht, haptische Qualitäten hinein- Und wir als Betrachter und Sammler müssen zubringen ... Insgesamt sind die Menschen uns entscheiden, ob wir dem jeweils ange- sehr zufrieden mit den Arbeitsplätzen hier botenen Begriff folgen wollen oder nicht. im Haus. Und dann hat die abstrakte Kunst stellt das Leben auf eine andere Moderne in unserem Haus eine größere Weise dar, als wir es im Alltäglichen wahr- Chance. nehmen.

Ihre Mitarbeiter finden also meist eine Die Herren der Bayerischen Rückversiche- Kunst vor, mit der sie ungefragt leben rung klagten: »Wir hätten vor Eröffnung müssen? Gibt es kein demokratischeres unseres neuen Hauses viel mehr mit unse- Verfahren... 7 Das halte ich für eine ganz schwierige Sie sammeln ja auch als Privatmann. Frage, zu der ich auch keine überzeugen- In Deutschland wurden Mitte der 90er Jahre den Antworten kenne, etwa dergestalt, rund 7 Milliarden für Kunst und kunstver- dass Mehrheitsentscheidungen getroffen wandte Aktionen ausgegeben. Eine Viertel- werden könnten, aber im Einzelfall kann milliarde davon privat. Hätten diese privaten jeder sagen: das gefällt mir überhaupt Förderer nicht ein Anrecht auf Änderung nicht. des Steuersystems? In Ordnung. Aber nun zu sagen, ich will Die Frage wird ja in diesen Tagen um mich herum am Arbeitsplatz nur Bilder diskutiert. Der Bundestag hat gerade ein aus Rembrandts Zeit – das würde ich nicht neues Stiftungsgesetz beschlossen. Das sind für zeitgemäß halten ... Ich habe im erste Ansätze, um die Förderung durch übrigen auch Bilder von Künstlern gekauft, Private auch über den steuerlichen Weg zu die ich mir persönlich zu Hause nicht hin- unterstützen. Das begrüße ich sehr. Es ist hängen würde, die aber in dieses Haus wegen der Hebelwirkung auf das Steuer- gehören aufkommen ein leider erst sehr vorsichtiger Schritt. Den muss man noch verstärken. Amerikanische Verhältnisse haben wir lange Sie haben ja meist klassische Postmoderne noch nicht. Ich glaube, der Staat darf sich erworben, kaum Provokantes. nicht über diesen Weg ganz aus der Mitwir- Provokant nicht für Leute, die das anzu- kung an der Kunstförderung verabschieden. sehen gelernt haben wie Sie ... Aber die Das würde ich für gefährlich halten, denn Objekte von Katharina Krenkel sind zum der Staat hat aus meiner Sicht eine Aus- Beispiel Gegenstand vieler Gespräche. Wir gleichsfunktion. Es könnte ja sein, dass haben ja auch ihren »Müllsack« gekauft, durch private Initiativen nur einseitige auf einem rollenden Podest. Er wandert – Kunstförderung stattfände, dass Minder- je nachdem, wo die Leute ihn als störend heitenmeinungen zu kurz kämen. Der Staat empfinden – mal in die Ecke, mal in den muss Rahmenbedingungen schaffen, die Nebenraum ... Ich stelle ihn dann wieder rechtlichen Grundlagen klären und vor irgendwohin und gucke nach einiger Zeit, allem die Kunstfreiheit garantieren. Und er wo es wieder abgeblieben ist: es gibt im muss auch Wege finden, die allgemeine wahrsten Sinne des Wortes Reaktionen dar- Künstlerförderung im Bereich der sozialen auf. Ich gestehe: ich würde die Auswahl nicht Systeme nicht einfach irgendwo hängen zu treffen, um von vornherein stark zu provozie- lassen. Also: Künstlersozialversicherung ren. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regeln, Kunsthandel regeln, denn Künstler müssen sich hier zwangsweise aufhalten. Es werden bei Ausstellungen oft ausgebeutet. ist etwas anderes, ob ich in eine Ausstellung Unser Staat sollte im Gegensatz zu gehe oder in ein Museum und in einer der Situation in den USA stärker im Spiel Stunde wieder draußen sein werde. bleiben. 8 Was heißt das präzise? Ob Private fördern sollen oder ob das nur der Staat tun soll, wird ja häufig sehr ideologisch diskutiert. Kunst richtet sich nicht an den Staat als abstrakte Institution, sondern an einzelne Menschen. Von daher ist sie hoch individuell. Alles, was man der Kunst gegenüber als Urteil abgibt, ist ein persönliches Urteil und entzieht sich daher auch einer demokratischen Entscheidung. Man kann aber demokratisch darüber disku- tieren, welchen Rahmen es geben soll. Und von daher hat der Staat als verfasste Institution schon einen Einfluss darauf, was Nachsatz künstlerisch sichtbar wird. Wenn zum Bei- spiel zu viele private Sammler eben nur ein- »Kunstwerke sammeln dient nicht nur der seitige Sammlungen anböten und alle Befriedigung der Eitelkeit oder eines mehr Museen voll davon wären, dann müsste oder weniger stark in jeder Seele vorhanden der Staat sagen: das nehme ich nicht mehr, Triebs zum Besitz, nicht nur der Ausspannung dafür baue ich kein Museum. und Erholung von allerlei Berufsarbeit...« Alfred Lichtwark, 1911

Und was passiert, wenn Ihrem Nachfolger Das Sammeln ist ein recht archaisches Erbteil. Ihre Kunst überhaupt nicht passt? Schon unsere Vorfahren haben vor Jahrtau- Unser Kunsterwerb ist ja nicht nur auf senden ihre Entdeckerlust mit seltsamen Saarbrücken beschränkt. Die Bundesbank Funden gestillt und darüber eine Neigung selbst sammelt seit längerer Zeit Kunst, hat zum Kostbaren entwickelt, dessen Besitz den auch in Frankfurt eine sehr breite Samm- eigenen sozialen Status bestätigte oder för- lung, die von den Expressionisten bis in die derte. Die Kunst- und Wunderkammern in Gegenwart reicht. Ich gehe nicht davon aus, den fürstlichen Residenzen und großbürger- dass ein Nachfolger – falls es noch einen lichen Anwesen seit der Renaissancezeit feiern gibt: die Bundesbank muß sich grundlegend diese private Passion fürs möglichst Kuriose umstrukturieren – das einfach alles aus- und Rare. Dass damit eine Freude am Ordnen räumen und in den Keller stellen würde. und Klassifizieren einhergeht, war in den 50er Für den Fall, der eher mal relevant werden Jahren im französischen Pau einmal Thema auf kann – wenn die Bundesbank nicht mehr einem Kongress der Irren- und Nervenärzte. gebraucht wird, weil es andere Formen des Eine wissenschaftlich abgepolsterte These Geldes gibt – dann denke ich schon, dass behauptet keck, dass das Sammeln »eine der die Werke der Öffentlichkeit weiter zugäng- besten kompensierenden Tätigkeiten« dar- lich gemacht werden. Darüber wird sicher- stellt (Maurice Rheims). Kleine Länder, klein- lich die Bundesbank eine vernünftige Ent- gewachsene Menschen, religiöse oder soziale scheidung fällen. Mein Gedanke, meine Minderheiten (Juden und Junggesellen Hoffnung: die Sammlung bleibt hier in werden da aufgeführt) seien »für den Saarbrücken und ergänzt unsere Museums- Sammelbazillus ganz besonders anfällig«. landschaft. In welchem Gebäude auch Der Sammler, sagte Balzac über seinen Vetter immer! Pons, sei »...ein zähes Wesen, zurückhaltend, fein organisiert, scharfsinnig, das sich des unendlich wertvollen Dienstes nicht bewußt ist, den es seinem Land und dem Kunst- geschmack erweist...«

9 Kennst du das Land ... – 50 Jahre Einsamkeit? Kunst im Saarland vom Kreislauf zum offenen Prozess – die Sammlung der Landeszentralbank als Symptom

Sabine Graf

Ja, ja, Authentizität gönnerhaft mit Nachahmung ich fürchte keine Stunde, aktueller Gesten. Im Sog des Glaubens an daß sie nichts bringe deren Verwertbarkeit auf nationaler oder an Neuigkeiten,... internationaler Ebene verstärkt sich der Johannes Kühn, Schienenreise Druck auf eine Szene, die nie von einer Geschlossenheit oder einer von ihr aus- Unweigerlich führte oftmals der Versuch, die gehenden Abschottung gegen ein Draußen Kunst im Saarland in einen größeren bestimmt war. Unterstellt man dies, ver- Zusammenhang einzuordnen, an die Gren- wechselt man eine, durch die politischen zen der Peinlichkeit. Schnell waren Klischees Gegebenheiten in der Zeit verzögerte Wahr- als Eideshelfer zur Stelle, um das Gespenst nehmung des Draußen mit einem selbst des Provinziellen zu verscheuchen. Jawohl, gewählten Dasein am Rande. man habe etwas zu bieten und zitierte die Die saarländische Kunst war nie ein geschlos- Leo Grewenig, Winterlandschaft einschlägigen Künstler und deren Leistungen. sener Kreislauf. Wegzugehen gehört hierzu- 1925, Öl auf Holz Und trieb nur tiefer in die Enge der Vorurteile, lande notwendig dazu, Nebenwege einzu- 50 x 41,5 cm indem man auf sie einging. Nicht anders die schlagen, vielleicht auch. Inseln zu bilden Klage vom Land als abgelegenem Dorf am ebenso. Nur dadurch erwuchs und wächst Rande der Republik. Diese eilfertige Buße die Chance, dass sich der Kreis zum offenen drängte dazu, alles im Sog des Provinziellen Prozess, zum Weg in die Welt wandelt. zu sehen. Während die einen mit der »Wir sehen nicht mehr ein Nichts, sondern Leistungsschau den Gegenbeweis antraten, konkrete (wenn auch durchsichtige) Bezie- schütteten andere sich verblendet vom hungsfelder.« Mit diesem Zitat des Philoso- Metropolenwahn Asche aufs Haupt. Die phen Villém Flusser gab sich die 1989 ge- Stunde der Qualitätsprüfer, Oberlehrer und gründete Hochschule der Bildenden Künste Büßer schlug und schlägt von Zeit zu Zeit. Saar eine Selbstverpflichtung, über den inne- Ihr Grundton ist die fehlende Souveränität ren Zirkel der Kunst hinaus zu Fragen der zwischen engstirnigem »Wir sind auch Ökonomie, Ökologie oder der Neuen Tech- Wer«, »Wir waren einmal« und »Wir sind nologien zu arbeiten. Es kann zugleich als nichts«. Wir sind. Nichts weiter. Mag das Modell für die Kunst im Saarland seit 1945 Land geschichtlich und geographisch lange stehen. Denn das Bild des mehr oder weni- Zeit eine Randerscheinung gewesen sein. ger geschlossenen Kreislaufs, des Geflechts und heute des mehr oder weniger linear ab- Ob man sich die darauf fußenden Vorurteile laufenden Prozesses beschreibt auch die Ge- der anderen zu eigen machen muss, bleibt schichte der Kunst im Saarland nach dem die Frage. Ob man die von außen kommen- Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Sammlung de Betrachtung der saarländischen Kunst der Landeszentralbank Rheinland-Pfalz/Saar- zum Prüfbericht werden lässt ebenso, wie land stellt dieses Modell in ihrem Haus nach. noch bei Uwe Rüth im Jahr 1985, in seinem mit Zusammenfassung (!) überschriebenen Eine kontinuierliche Entwicklung der Kunst Schlusskapitel seines Katalogbeitrags in der Region lässt sich nicht idealtypisch »Kunstszene Saar – von außen betrachtet« feststellen. Sprünge und Schnitte fallen vor- aus Anlass einer Gesamtschau der saarländi- dergründig ins Auge. Sofern man auf die schen Kunst: »Bei einer kritischen Würdigung Konstruktion eines gradlinigen Verlaufs setzt. der hier gezeigten ›Kunstsituation Saar‹ Die Veränderung, der Wechsel und das kommt man zu dem Schluss, dass neben Wiederanknüpfen bestimmen über die Zeit dem Fehlen experimenteller Kunstgattungen die Kunst der Region. und hervorragender Maler-Persönlichkeiten insgesamt eine qualitätvolle Breite und Viel- Die Gemäldesammlung im Schloss Karlsberg, falt zu erkennen ist.« Kunst verstanden als das 1793 von französischen Revolutions- Leistungsschau, als Wettbewerb im Sinne truppen niedergebrannt wurde, rettete der eines Schneller-Höher-Weiter verwechselt Maler Johann Christian von Mannlich nach 10 München. Sie bildete den Grundstock der Die Auszeichnung mit dem Kunstpreis des Pinakothek. Mit der Brandschatzung des Saarlandes 1964 markiert den Schnittpunkt Saarbrücker Schlosses verloren die dort zwischen Werk und Herkunft. Will Faber, in ansässigen Maler ihre Lebensgrundlage. Saarbrücken geboren, der in München Karl Caspar Pitz und Johann Ludwig Lex oder studierte, Mitte der zwanziger Jahre in der in Ottweiler geborene Johann Heinrich lebte, ließ sich Anfang der dreißiger Jahre in Schmidt, genannt Fornaro gingen ins Aus- Barcelona nieder. Der Mitbegründer des land. Prag und Neapel hießen deren Lebens- Bundes Bildender Künstler an der Saar gehör- räume fortan. München und Paris waren es te auch dem 1946 gegründeten Saarländi- rund 100 Jahre später für Maler wie schen Künstlerbund an. Nicht anders der Carl Johann Becker-Gundahl aus Ballweiler St. Ingberter Jean Schuler, der nach seiner Boris Kleint, Geometrischer Garten, oder Albert Weisgerber aus St. Ingbert. Studienzeit in München in den dreißiger Jah- hell, 1943, Öl auf Leinwand Der in Friedrichsthal geborene Maler und ren Paris-Aufenthalte nach 1945 folgen ließ. 62 x 59,5 cm Grafiker Otto Weil studierte in Auch er kein Rückkehrer, aber einer, der den und München, zog danach nach Saar- Kreislauf saarländischer Kunst weiten half. brücken, um später berufsbedingt zwischen seinem Wohnsitz am Ammersee und Saar- Zugleich waren Künstler wie Faber sympto- brücken zu pendeln. Auch der in Saar- matisch für die Generation der in den zwan- brücken geborene Surrealist Edgar Jené ziger und dreißiger Jahren ausgebildeten studierte in München. Weisgerber war bei- Malern. Wenn nicht räumlich, so blieb man den in diesen Jahren eine Leitfigur. Sein Tod doch seiner künstlerischen Herkunft verbun- zerschnitt diese Verbindung. Mit der Grün- den. Die Jahre der Herrschaft des National- dung der Staatlichen Schule für Kunst und sozialismus und der Krieg bedeuteten auch Kunstgewerbe in Saarbrücken im Jahr 1922 für die in Deutschland gebliebenen Kollegen, kamen Lehrer, die in und Karlsruhe in der Stille weiter zu arbeiten. Es hieß vor studiert hatten, nach Saarbrücken. Expressio- allem aber, von jeglicher Entwicklung abge- nismus und Neue Sachlichkeit fanden durch schnitten zu sein. Andere, wie Fritz Zolnhofer, August Clüsserath, Ohne Titel, 1958, Lack/Holz, 125 x 125 cm den Bildhauer Christoph Voll und die Maler setzten auf regionale Themen und führten Oskar Trepte und Fritz Grewenig ihren sie dem Un-Geist der Zeit zu. Niederschlag in Saarbrücken. Entsprechend hielten sie an der frühen Moderne fest oder knüpften nach 1945 an Es formierte sich außerhalb Schule die Ver- die Malerei der zwanziger Jahre wieder an. einigung Fortschrittlicher Künstler, aus der Faber ging als einer der wenigen den konse- kurz darauf der Bund Bildender Künstler an quenten Schritt in die Gegenwart. Material- der Saar hervorging, dem unter anderem arbeiten, kubistische Abstraktion, Gegen- Otto Weil, Christoph Voll, Fritz Grewenig, standslosigkeit zugunsten einer reichen Edgar Jené, Fritz Zolnhofer und Hermann Stofflichkeit bestimmt das Werk und öffnete Keuth, Maler und Leiter des neugegründeten auch für die Zeitgenossen an der Saar einen Heimatmuseums angehörten. Ausstellungen Spalt zur Kunst nach 1945 hin. Wer blieb dokumentierten die Arbeit dieser Jahre. oder, wie Richard Eberle, Helmut Collman Jeweils um bestehende Institutionen bildeten oder Fritz Berberich, die, nachdem die sich Gruppen. Es waren leicht geknüpfte Saarbrücker Kunstschule 1936 von den Natio- Netzwerke, die Identität geben sollten. Sie nalsozialisten geschlossen wurde, in Mün- lösten sich durch die politische Situation der chen bei Karl Caspar weiter studierten und Hans Dahlem, Paysage II, 1972 anbrechenden dreißiger Jahre auf. nach dem Krieg nach Saarbrücken zurück- Öl auf Leinwand, 80 x 100 cm Oder: Sie spannten sich über das Saarland kamen, war zuerst einmal von der Kunstwelt hinaus. Edgar Jené ging nach Studienjahren abgeschnitten. Dort weiter zu machen, wo in München und Paris nach 1935 wiederum man vor dem Krieg und der nationalsoziali- nach Paris und lebte in seinen letzten Jahren stischen Diktatur aufgehört hatte, schien ein in Burgund. Ohne dass die Beziehung zum Ansatz zu sein. Impressionismus, Expressio- Saarland je gekappt worden wäre. nismus, sanfter Kubismus, Surrealismus, 11 das für diese Generation unumgängliche an die Schule. Dessen künstlerische Hoch- Leitbild Picasso bestimmten die künstlerische Zeit lag allerdings schon viele Jahre zurück. Auseinandersetzung. Manch einer blieb ein Andererseits lehrten an der Schule auch bis Leben lang unter diesem Einfluss. Der Maler in die Gegenwart hinein wirkende Künstler Fritz Berberich verband Expressionistisches wie Boris Kleint oder später Oskar Holweck. mit einer abstrakten, farbigen Formensprache Die unter der französischen Militärverwal- in seinen Mosaikbildern. Ganz aus der Zeit tung gegründete Schule bot ihren Studieren- fielen als Verkapselungen im sich zum Netz den Stipendien für Studien- und Arbeitsauf- weiter entwickelnden Kreislauf der saarländi- enthalte an der Académie de la Grande schen Kunstszene Maler wie Helmut Collman Chaumière in Paris, um das damalige Saar- und Volkmar Groß. Collman porträtierte im gebiet auch kulturell an Frankreich zu binden. Auftrag Zeitgenossen oder malte Stilleben in Die meisten Studenten der ersten Schüler- von Impressionismus wie auch Neuer Sach- generation an der Schule für Kunst und Leo Erb, Linienbild, 1971 lichkeit gleich weit entferntem eigenen Stil. Handwerk gingen für eine Zeit nach Paris. Es Holz, weiß gespritzt, 120 x 100 cm Er blieb eine künstlerische Einzelexistenz war, so lauten die Erzählungen übereinstim- ganz so wie auch Volkmar Groß. Seine in der mend, der erste Kontakt nach dem Krieg mit Luft schwebende Menagerie, die abge- Ausstellungen, Katalogen, jedweder künstle- brochenen Bewegungen, die zu Masken rischer Äußerung außerhalb der Region. gefrorenen Gesichter ließen nicht nur einen Paris war Wendepunkt – hin zu einer hierzu- sehr eigenen Stil jenseits der Gesten der lande weitgehend figurativen Moderne. Dazu seinerzeit allgegenwärtigen Maler-Genies kamen die Reisen nach Spanien und Italien, spüren, sondern bewahrten eine seltsame die Berberich, Collman, Eberle und Groß in Spannung, die ihnen etwas Sinnbildhaftes den frühen fünfziger Jahren unternahmen. jenseits einer abgegriffenen Symbolik gibt. Kleine Fluchten, die sich in Landschaften, Bis heute. Mancher Weggefährte aus diesen Stilleben und Zirkusbildern wieder fanden. Jahren geriet mit seiner Bild- und Motiv- Dem Welterwerb in der Kunst ging ein sprache ebenfalls allmählich aus der Zeit. Erschließen von neuen Welten für die Kunst Anders gesagt: Deren Werk wurde museal. im Saarland einher. Fast geschlossene Kreis- Oskar Holweck, Papierobjekt 12 IV 82 Fälle für die Kunstgeschichte und weniger läufe auf der einen Seite, offene Prozesse auf Papier, 70 x 70 x 21,5 cm Impulsgeber für einen weiter führenden der anderen. Die von Boris Kleint auf der Prozess der Kunst. Tradition des Bauhauses entwickelte Grund- und Bildlehre beeinflusste mehr als eine Im Jahr 1945 war der Kreis eng. Kein Ausweg, Generation saarländischer Künstler. Ihm zur man schloss sich wiederum zusammen, um Seite waren Künstler wie Max Mertz, August sich als Künstler im Austausch mit Kollegen Clüsserath und Leo Erb, die ebenfalls ihren und seiner Kunst selbst zu vergewissern. Weg in die Moderne suchten. 1946 gründete sich zum Teil mit den Mit- Informelles und Geometrisches, Subjektives streitern aus dem Jahr 1922 der Saarländi- und Objektives trat in diesem Werk des sche Künstlerbund neu. Die Auflösung und Malers, »der eben nicht nur malt, sondern Wiedergründung im Jahr 1950 war durch auch denkt«, wie sein Schüler Jo Enzweiler die Auflage bedingt, zugleich auch gewerk- die Leistung des Lehrers zuspitzte. Mit diesem schaftliche Aufgaben übernehmen zu müs- Blick und der darin wohnenden Verantwor- sen. Die Rückschau auf die Kunst der ver- tung für das eigene Werk, wie auch für die gangenen Jahrzehnte, verbunden mit dem Lehre, legte Kleint eine Spur hin zur Gegen- Bedürfnis, auszubrechen und im Schnitt- wart. Er öffnete, so wie es auch Otto Steinert punkt der zeitgenössischen Kunst zu arbei- mit seiner Professur tat, den Kreislauf hin zu Monika von Boch ten, spiegelte sich in der Gründung der einem wirklichen Austausch mit der Kunst Weißbleck-Serie XVIIId, 1970 Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk der Zeit. Konstruktion, Rhythmus, Variationen Vergrößerung aus solarisierter 1946. Einerseits holte man mit dem expres- um Punkt, Linie und Fläche beanspruchten in Sandwichmontage, 40,5 x 30 cm sionistischen Holzschneider Frans Masereel den Arbeiten ihren Platz, um das »unerhört einen Künstler mit internationalem Ansehen neue zu ergründen«, wie es in einem 12 Ausstellungskatalog der neuen gruppe saar für sie das Bild von den unter der Haut liegen- aus dem Jahr 1966 heißt. Das, was hinter den Adern gelten, mit dem sich auch die den sichtbaren Dingen liegt. Ihr Konzentrat, saarländische Kunst der letzten 50 Jahre den konkreten Stoff, wie er schon längst in zwischen Neubeginn und Traditionssuche den Arbeiten von Otto Steinert und seinen fassen lässt: Sie sind da, sorgen für Leben Schülern, von Oskar Holweck, der Kleints und treten nur zeitweise, provoziert durch Lehre an der zur Werkkunstschule gewandel- außergewöhnliche Anstrengungen hervor. ten Kunstschule weiter gab, seine Gestalt Das Verdienst der neuen gruppe saar ist, dass fand. »Subjektive Fotografie heißt vermensch- sie das Werk eines bis heute aktuellen Malers lichte, individualisierte Fotografie, bedeutet wie August Clüsserath in einen Kontext Handhabung der Kamera, um den Einzelob- bettete, der dessen Arbeit als gegenwarts- Christiane Mewes, 06/08/90, 1990 jekten ihrem Wesen entsprechende Bildsich- bezogen würdigte. Reißrelief - Graphit auf Fotokarton ten abzugewinnen«, definierte Otto Steinert Oskar Holweck, der Mitte der fünfziger Jahre 70 x 70 x 8 cm seine Arbeit, lehrte diesen Blick hinter die mit seinen strengen Prüfungen des Papiers Dinge und fand für diesen bahnbrechenden als Material und Zeichengrund begann, war Ansatz der zeitgenössischen Fotografie welt- Gast bei Ausstellungen der Gruppe. Zugleich weite Beachtung. Schüler aus ganz Europa bestanden Kontakte zur Gruppe ZERO. Auch kamen an die Saarbrücker Schule, um bei das ein Neuanfang, ein Schnitt mitten in die ihm zu studieren. Sein durch die veränderten Gegenwart hinein. Die Tropfenfiguren folg- Umstände und fehlenden Arbeitsbedingun- ten dem Rhythmus des auf den Tisch gestos- gen der Schule für ihn notwendiger Weg- senen Blattes, schrieben ihre eigene wunder- gang erweist im Rückblick wenig Weitsicht bare Schrift auf das Papier. Oder das einzeln der damaligen Entscheider. genommen, leichte Blatt Papier erhält als Bündel eine Wucht, die in den Raum wie ein Bereits 1957 hatte sich unter Boris Kleint die Wasserfall stürzte. Diese energetische Hoch- neue gruppe saar gegründet. Die Steinert- spannung kehrte in den graphit-glänzenden Schüler Monika von Boch und Kilian Breier, Arbeiten von Christiane Mewes, in denen August Clüsserath, der Graphik-Professor das Papier unter dem schnell und fest hin- Hannes Neuner, Willi Spiess, Albert Fürst und herstreichenden Stift aufplatzte. gehörten dazu. Der Klee-Schüler Leo Grewenig Nicht fern waren diese Tropfbilder Holwecks brachte sein lyrisches Naturbild mit ziselierten den Drippings von Jackson Pollock. Ebenso Sigurd Rompza, Polyform 1989-18, 1989, Acrylfarbe auf Aluminium Strukturen in die Ausstellungen ein und rettete die Aufnahmen von Teerstrukturen, die aus 120 x 85 x 28 cm einen Rest von Tradition der Vorkriegs- der Steinert-Klasse den Weg in die Fachzeit- moderne in die sechziger Jahre. Hans Dahlem schriften und überregionalen Feuilletons – Gast bei Ausstellungen – setzte diesen fanden und mit Pollocks Arbeiten verglichen Weg mit seinen Werden und Zerfall gleicher- wurden. Der Kreis war plötzlich weit gewor- maßen bestimmenden Kosmogonien fort. den und auch zwischen den Saarländern spannen sich die Beziehungen. Holwecks Später kamen die damaligen Studenten am Liniengeflechte und Monika von Bochs an der Werkkunstschule ansässigen Institut Aufnahmen aus der Weißblech-Serie kamen für Kunst- und Werkerziehung, Jo Enzweiler, sich, trotz verschiedener Medien und Techni- Horst Linn oder Rolf Duroy dazu. Offenheit ken, nah. gegenüber den jungen, angehenden Kunst- vermittlern in den Schulen, Offenheit in den Wie lebendig die Arbeiten dieser Jahre bis künstlerischen Ausdrucksformen Malerei, heute sind, zeigte sich, wenn dem Informel Plastik, Grafik, Fotografie, Offenheit gegen- verwandte Gouachen von Willi Spiess, einem Leo Kornbrust, Saarbrücker Schriftsäule, 1989, Granit über zu Ausstellungen geladenen Künstlern Mitbegründer der neuen gruppe saar, in 998 x 60 x 60 cm von außerhalb, Offenheit gegenüber Fragen Gruppenausstellungen jüngerer Vergangen- der Gestaltung überhaupt bestimmte die heit auftauchten: So wild war kaum ein Arbeit und Darstellung der Gruppe, die sich anderer geblieben. Lebensraum zu gestalten, bis heute nicht aufgelöst hat. Vielleicht mag dieser findet sich auch in den Textilarbeiten 13 Dorothea Zechs, die ebenfalls an der Werk- Symposien immer Gäste von außerhalb kunstschule studierte, wieder und halten geladen waren. diese Tradition wach. Zeichen kehren in den Raum – als Vorhang oder Wandteppich – ein Im öffentlichen Raum siedelte auch notwen- und formen ihn neu. Mitstreiter der Gruppe dig das Projekt Hommage à El Lissitzky, das bestimmten in den siebziger Jahren die saar- Jo Enzweiler 1978 auf dem St. Johanner Markt ländische Kunst. Nicht ohne für sich neue in Saarbrücken durchführte. Die Absicht nach Wege zu suchen. So auch Sigurd Rompza, dem Vorbild der russischen Konstruktivisten der mit seinen Licht und Schatten leitenden »das vorgefundene Material des Alltags in Formen den Raum neu definiert. ihre Welt, Kunstwelt miteinzubeziehen«, führte zum Bau einer Pyramide aus Altpapier- Kunst kam in den öffentlichen Raum, nicht ballen. Kunst kam in der Wirklichkeit des mehr als Akzidens oder schmückendes Alltags an. Im Inneren der Pyramide schärfte Paul Schneider, Würfelstufenstein, 1987, Granit-Amazonit Detail, sondern gab sich den Auftrag, den sich der Blick über den Horizont hinaus. Die 30 x 30 x 29 cm Raum zu gestalten. dem Werk Enzweiler untrennbaren Horizont- Die Bildhauer-Symposien Anfang der linien überzogen die Wände. Der Horizont siebziger Jahre in St. Wendel auf Initiative als Symptom für die Bedrohung und zugleich von Leo Kornbrust und das von als Öffnung zu einer dahinter liegenden Paul Schneider zur Gestaltung der Saar- Welt. »Als Möglichkeit der Bewältigung der brücker Fußgängerzone organisierte Inter- Umwelt mit den Augen«, beschreibt es Jo nationale Bildhauersymposion 1978 holten Enzweiler für sich. Der Horizont als Flucht- die Kunst auf die Straße und zehn Jahre punkt durchbricht Kreisläufe und führt nicht später mit dem Projekt Steine an der Grenze nur die Kunst, den Künstler, jeden Menschen in die Landschaft von Merzig-Büdingen. über sich hinaus. Fernziel und Bedrohung, es Die Wandlung vom Kubus zur Kugel bei ist beides: »Alles, was wir einordnen, wird ja Leo Kornbrust vollzog sich im öffentlichen am Horizont gemessen, das geht wahrschein- Raum. Den Stein als bewegte Form mussten lich zurück auf ganz atavistische Vorgänge Augen und Hände zugleich erfassen. Den der Bedrohung des Menschen in der Natur. Körper in seiner Verletzlichkeit und seiner Er hat die Bedrohung immer vom Horizont auf Jo Enzweiler, Wendalinusprojekt, 1991, Kartoncollagen gelb-grau- Schönheit legte er in den Arbeiten zur Inne- sich zu kommen sehen. Und die Fluchtbewe- weiß, 12 von 40 Teilen ren Linie frei. Dieses durch die Konfrontation gung, die in uns steckt, ist ja auch verbunden 235 x 315 cm von Mensch und Stein aufgebaute Span- mit der Fähigkeit zu gucken: was passiert da, nungsfeld konnte sich nur in der Weite der wo komme ich jetzt aus der Gefahr heraus?«, Landschaft oder im öffentlichen Stadtraum fasste es Jo Enzweiler zusammen. verwirklichen. Weil es direkt auf den Men- schen und seine Situation bezogen war und Die Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber ist, öffnet es den Kreis über die Kunst hinaus. gehört dazu wie auch die Entscheidung, Gleichzeitig wurde der Stein zum Sammel- den Kreis zu verlassen. Vier Maler aus dem punkt der Elemente. Sonne fiel durch ihn Saarland verließen in den siebziger Jahren hindurch, Wasser lief über ihn oder sammelte die Region. Hanne Braun, Galli und sich in Aushöhlungen, um das durch eine Max Neumann begannen ihr Studium an kleine Öffnung einfallende Licht in einen der Saarbrücker Werkkunstschule und trafen Max Neumann, o. T., 1981 funkelnden Stern zu verwandeln. Der aus sich nach studienbedingten Zwischen- Japanaqua auf Nessel 3 x 3 x 3 Würfeln zusammen gesetzte Würfel stationen in Karlsruhe in Berlin wieder. 120 x 140 cm als Sinnbild der Vollkommenheit des Kosmos steht für die Mitte ein. Er nimmt die Welt in Roger Herman ging nach seinem Studium in sich auf. Kunst, die diesem Ziel folgt, kann nie Karlsruhe in die USA. Nach einem Stipen- am Rande bleiben. Geschlossene Kreisläufe dienaufenthalt in San Francisco gehört er als sind ihr fremd. Sie sucht das Allumfassende. Kunstprofessor an der Universität von Kein Zufall also, dass zu den von Paul Schneider Kalifornien und Maler zur Kunstszene wie auch von Leo Kornbrust veranstalteten Los Angeles. 14 Die Grundlehre der Werkkunstschule und siebziger und achtziger Jahre wurde. Es dann der Sprung in die Malerei, das hieß, prägten sich künstlerische Handschriften und raus aus dem Saarland. Das Malen als Kata- eigene Stile aus, die genug Substanz haben, pult-Akt des Un- und Vorbewußten, als Zu- auch notwendige Neuorientierungen des standsbeschreibung mit Händen und Pinsel jeweiligen Werkes zu zulassen. Rolf Viva kam schoss über den Horizont der zur Fachhoch- von einer pastosen, farbintensiven Malerei schule gewordenen Werkkunstschule hinaus. zur strengen Arbeit im Raum mit Kohle und Es war auch ein Ausbruch aus den kühlen Mehl. Setzte auf die Gegensätze der Struk- konstruktiven Kopfwelten der sechziger Jahre. turen, um durch das karge Material den Blick Obschon ein Maler wie Roger Herman seine für seine Vielgestalt zu wecken. Galli, o. T., 1983 Bilder als abstrakt einordnet. Einfache, Till Neu übersetzte in jüngerer Zeit die Suche Mischtechnik auf Leinwand gegenständliche Motive wie Hausfassaden nach den Grenzen zwischen Farbe und Form 150 x 180 cm oder Inneneinrichtungen beherrschen seine in Grundrissfiguren von Kirchen und Kapellen Malerei. »Abbildung ist nur ein Vorwand für und ihnen zur Seite gegebenen Farbtafeln. Malerei«, erklärt er. Ihre Erprobung setzt auf Das Erlebnis der Farbe und die mit ihnen über die Variation oft eines einzigen Motivs in ver- sie hinaus gehende Transzendenz beschäf- schiedenen Formaten und Farben. tigt das Werk. Der Grenzverlauf zwischen Himmel und Erde, der das Mont Ventoux Zustandsbeschreibungen, keine Erzählungen, Projekt bestimmte, kreiste um Fragen der Protokolle einer realexistierenden Traumwelt, Naturerfahrungen, deren systematischer die sich jeglicher Deutung verweigert, liefert Umsetzung, ohne dabei ein Gran poetischer derweil Max Neumann. Gestimmtheit zu verlieren. Galli traktiert wie mit Zähnen und Klauen ihre Welt der zu Figuren geronnenen Gefühle. Waren es hier Grenzüberschreitungen, ver- Für so viel Leben schien kein Platz im Land. wickelte und konzentrierte sich das Werk der Es hätte vielleicht – für beide Seiten – zum Malerin Bettina van Haaren auf den Körper. Kollaps geführt. Farbflächen, die ihre Gefalteten, ihre Halb- Bettina van Haaren, Leda, sich körper und Körperhüllen trugen, verschwan- drückend, 1990 Dafür kehrten andere Malerinnen und Maler den allmählich aus den Bildern. Feinstrukturen Eitempera, Öl auf Leinwand von ihren Studienorten zurück. Bettina van wie Holzmaserungen, großporige Brotschei- 195 x 155 cm Haaren, Volker Lehnert, Volker Scheiblich ben, schuppige Fisch- und faltige Menschen- hatten in Mainz Kunsterziehung studiert. haut, Falten im Stoff, Strick- und Stoffstruk- Zusammen mit Lukas Kramer, der an der turen sahen sich neben mit groben Linien Werkkunstschule Trier, an den Kunstakade- gezogene Körper gesetzt. Seine Auflösung mien Straßburg und Urbino studiert hatte, als vollgültige Gestalt erlebte der Körper als dem an der Kunstakademie Karlsruhe ausge- Wiedergeburt in einer neuen Gestalt. Die bildeten Bildhauer Thomas Wojciechowicz, sinnliche Qualität des Materials – geknautscht, dem Fotografen und Maler Dietmar Binger, gefaltet, geknittert, als Kombination verschie- den Absolventen der hiesigen Fachhoch- dener Stoffe in einer Plastik – fördert auch schule Werner Constroffer, Hans Huwer und das Werk der erst in den späten achtziger Horst Hübsch, den in Nancy und München Jahren für das Saarland entdeckten Plastike- ausgebildeten Malern Francis Berrar und rin Eva Niestrath heraus. Die 1914 in Thomas Gruber sowie dem Maler und Instal- Wallerfangen geborene Künstlerin lebte im lationskünstler Rolf Viva die Szene einer Jun- westfälischen Hagen. Ein Solitär, der doch in gen Saarländischen Kunst, die sich noch ein- die Region strahlte und sich mit der konkret- mal zu einem geschlossenen Kreis formierte. konstruktiven Tradition der Region verband Volker Lehnert, Liegestück, 1990 Die Grundlehre Oskar Holwecks wirkte auch und dafür einsteht, dass der Bogen der Holzbeize, Leimfarbe, Eitempera, Kreide auf Leinwand, 155 x 181 cm hier, und aus dem Kreis der ehemaligen Kunst im Land weit gespannt ist. Studierenden entstand auch die Saarbrücker Galerie Weinand-Bessoth, die zum Forum für Nach Studienjahren in Karlsruhe kam der die Junge Saarländische Kunst der späten Bildhauer Thomas Wojciechowicz nach 15 Saarbrücken und nahm in seinen Holzskulp- Künstlerin beweist sich die Schule als not- turen den Kampf gegen das Material auf. wendiger Motor im saarländischen Kunst- Höhlte es aus, schlug mit ihm Kreise in den prozess. Aus ihr kommt auch Alex Gern, Raum, nicht ohne die Energie seines Gegen- Schüler von Jo Enzweiler. In seinen Farb- übers zu zerstören, sondern immer noch karten knüpft er an die Traditionen der dessen ungeheure Wucht spürbar zu machen. Lehrergeneration an. Doch die Horizont- In den letzten Jahren entstanden in und mit linien sind gefüllt, die Farbe herrscht und Wachs gezogene Zeichnungen, die das Ver- greift über hin hinaus. So scheint es. Die hältnis von Raum und Figur prüften. Form der Farbe jenseits einer Anbindung Die Energie des Lichtes, das sich in Röhren an Gegenständliches spielt im Werk des sammelt oder sich im blinden Fleck stumpf Malers Armin Rohr eine Rolle. Als Absolvent brach, erfüllt die Arbeiten von Lukas Kramer. der Grundlehre bei Oskar Holweck an der Bewegung in den Raum hinein bewirken die Fachhochschule und Schüler von Bodo Vibrant und Pulsation genannten Bilder. Baumgarten an der Kunsthochschule verei- Rolf Viva, Flächenbrand, 1991 Kramer, der in den siebziger Jahren mit der nigt seine Arbeit gleich zweierlei Tradition in Öl, verbranntes Holz auf Leinwand neuen gruppe saar ausstellte, entwickelte sich. Den Kreis endgültig sprengen die 200 x 153 cm seine Lichträume sehr konsequent aus geo- Häkelarbeiten von Katharina Krenkel auf. metrischen Teilformen über surreale Nacht- Kunst und Design überschreiten frech Szenarios zu den sich wiederum in Licht und Grenzen. Auch hier wird Material geprüft. Bewegung auflösenden Röhren. Auch hier Aus der pragmatischen Sicht des Alltags, kein Kreislauf, sondern ein prozesshafter den die Kunst reflektiert. Mitunter geht das Ablauf nach vorne. Wo Licht wirkt, ist immer nur mit Ironie und der Fähigkeit zum komi- Bewegung, das stellen die sinnlichen wie schen Ernst, wie es die Arbeiten des ins konkreten Objekte und Plastiken aus Licht- Saarland zurück gekehrten Malers Hermann sammelfolie oder Silicon von Werner Bauer Becker zeigt. Lukas Kramer, Lichtraum III, 1989 klar. Die Geste überflügelt die Geometrie und Die zur inhaltlichen und visuellen Verstärkung Fotografie, 73 x 192 cm ist ein Fingerzeig über eine Tradition hinaus des Aufsatzes herangezogenen Arbeiten aus in die Gegenwart: Sie füllt sie mit Leben. dem Bestand des Saarland Musuems bezeu- gen seine Kernthese, dass die Kunstsamm- Einen neuen Punkt im Prozess markierte lung der Landeszentralbank die Entwicklung die Gründung der Hochschule der Bildenden der saarländischen Kunst in der zweiten Hälfte Künste Saar im Jahr 1989. Neue Medien, des 20. Jahrhunderts spiegelt. neue künstlerische Strömungen kamen ins Provinz ist dabei etwas anderes. Sie existiert Spiel und verbanden sich mit vorhandenen nur im Kopf. Mit der Kunst über sie hinaus Wurzeln. Die Grundlehre Oskar Holwecks gehen, sie frei zugeben, darin liegt die wirkte noch in den Materialarbeiten von Chance. Identität nicht als stehendes Wasser Johannes Fox nach. Dachpappen schlinger- verstehen. Es modert. Es ist ein lebendiger ten wie Pflanzen und Drähte sprießten wie Kreislauf mit vielen Verästelungen und Haare aus einem hölzernen Block. Das Wegen nach Draußen. Und nach Drinnen. Spröde lud sich mit Sinnlichkeit auf und Kunst im Saarland ist keine Insel der Glück- Werner Bauer, Lichtobjekt L 43, zog, dem Charakter nach eine Zeichnung, seligen, keine Sandbank, erst recht keine 1991, 68 x 68 x 14,5 cm in den Raum. Die Erforschung des Materi- vertrocknete Wüste am Rande des Univer- als jenseits geometrischer Strenge überlistet sums. Dass dies so bleibt, bestimmt der Wille die Kopfgeburten mit schwer scheinendem zu Offenheit und Austausch. Papier und leicht anmutendem Holz. Auch um den Preis, Liebgewonnenes zu verlieren. Und es dennoch erst dadurch für Die Begegnung von Himmel und Erde hielten sich gewinnen. Aber sicher ist nichts. Verän- die Plastiken der Isländerin Sigrùn Olafsdòttir derung alles: »Jede Form ist das Momentbild im Bild des Steigens und Fallens von halb- eines Prozesses. Also ist das Werk Haltestelle kugelartigen Formen in der Spannung. des Werdens und nicht erstarrtes Prinzip.« Gerade im Fall der in Saarbrücken lebenden El Lissitzky 16 Monika von Boch Weißblech-Serie Montage der zwei Ursprungsnegative Sandwichmontage 1963 und 1966 39,9 x 30,4 cm

Abbildungen von Seite 10 bis 17 zeigen Werke aus dem Bestand des Saarland Museums Saarbrücken

17 Lukas Kramers Bilder in der Landeszentralbank Saarbrücken in der Perspektive einer Reflexion über das Verhältnis von Geld und Kunst

Lorenz Dittmann

Den Aufenthaltsraum der Landeszentralbank unsichtbar werden. Die Formen tauchen auf Saarbrücken schmücken sechs hochformatige und entziehen sich, verschwinden in die Bilder Lukas Kramers. Jumping lautet der Titel Spiegelreflexe der gegenüberliegenden Fenster. dieser 1997 entstandenen Folge. Sie schließt Unterschiedliche Raumdistanzen erscheinen an die Reihe von Röhrenbildern an, die Kramer wie ineinandergeblendet. Die Nahbetrach- in den vorangegangenen Jahren geschaffen tung aber zeigt die Präzision und Freiheit der hat. Das Neue ist, dass sich die Röhren hier zu Malerei. straffen, in sich zurücklaufenden Formen zu- Die Motive dieser Kramerschen Bilder kehren sammengeschlossen haben, zu Fragmenten in seinem Werk nicht wieder. Haben sie zu zweier Ringe, die eine Klammer aus zwei Recht ihren Ort in der Landeszentralbank geraden Röhren trennt und verbindet. So Saarbrücken gefunden, oder ist es einer entstehen Gebilde hochkonzentrierter, nach beliebigen Wahl zu verdanken, sie gerade innen gewandter Energie, Energie, die in den hier zu präsentieren? Kurvenbögen expandiert, in den Klammern komprimiert wird. Auch die Kurvenbögen Die Landeszentralbank Saarbrücken beher- selbst werden als Kraftträger unterschieden, bergt eine Sammlung von Meisterwerken ein Bogen bewahrt seine Röhrenglätte, um saarländischer Kunst. Die Tatsache, dass ein den anderen aber zuckt und flimmert es, und Geldinstitut zugleich die Funktion eines ein in Punkte sich lösender Farbschleier ver- Museums übernimmt, erlaubt, – ja vielleicht hüllt die Form. Die Energie der Gebilde ent- sogar: fordert – die Frage nach dem Verhält- lädt sich zudem in ihrer Stellung innerhalb der nis von Geld und Kunst. Bildfläche: sie schweben oben, nahe der Bild- mitte oder unten, vertikal, horizontal oder Diese Frage sei unter Rückgriff auf Simmels schräg, vor homogenem Grund. Meist wer- Philosophie des Geldes versuchsweise den sie vom Bildrand überschnitten, strahlen beantwortet. ihre Energie über die Bildfläche in den umge- Georg Simmel (1858-1918) gilt als ein Klassiker benden Raum. In dieser Wirkung unterstützen der Soziologie und zudem als »erster Soziologe sie schwarze punktartige Halbkreise an je der Moderne«.1) Seine Philosophie des Geldes anderen Orten der Bildränder. erschien erstmals im Jahre 1900 und erfreut Die Werke sind in einer strengen und span- sich seit einiger Zeit wachsender Wertschät- nungsreichen Farbigkeit gehalten. Messing- zung, wird nun in ihrem weit voraus weisen- gelb glänzen die Kurven auf, das Grau der den Gedankenreichtum erkannt. Ich zitiere Klammer verbindet auch im Farbton und dieses Werk nach dem sechsten Band der schlägt die Brücke zum Grau des Grundes, Georg Simmel – Gesamtausgabe im Suhrkamp das stellenweise in einen Gelblichton sich Verlag, Frankfurt am Main, 1989. 2) weitet. Grau- und braunviolette Bahnen tropfen von den Formen ab. Zum Violetten In Simmels Untersuchung durchdringen und wird auch das Grau induziert, entsprechend stützen einander soziologische, geldwissen- dem hier waltenden Komplementärkontrast schaftliche, psychologische, ästhetische, wert-, von Gelb und Violett. kultur- und lebensphilosophische Ideen und An der Längswand des Aufenthaltsraumes Argumente. In seiner geistvollen, metaphern- bilden die sechs Gemälde drei verschiedene reichen, vielfältig um Analogien bemühten Ordnungen, – links eine Zweiergruppe, in der Denk- und Darstellungsweise wechseln Mitte, zwischen zwei Wandöffnungen zum ständig die Betrachtungsperspektiven und die Innenhof hin, eine Dreiergruppe, rechts ein Sachaspekte. Gleichwohl finden sich immer Einzelbild. Horizontale und vertikale Ausrich- wiederkehrende Kategorien, um die sich die tung kontrastieren in der Zweiergruppe, die Beobachtungen und Gedanken sammeln. Dreiergruppe veranschaulicht Steigen, Einige dieser Orte der Kristallisation, dieser Stürzen, Schweben, das Einzelbild rechts wirkt Elemente der Strukturierung, seien zur als Schlussmotiv. Das intensive Spiegeln der Ermöglichung eines Vergleiches von Geld Verglasung lässt die Bilder bisweilen fast und Kunst herausgegriffen. 18 Der Zentralbegriff der Simmelschen Soziologie Eine prägnante Form von Wechselwirkung tionsprozesse einen erheblichen Vorsprung ist der der Wechselwirkung. Simmel geht aus stellt der Kreis dar, eine von Simmel bevor- verleihen.« (S. 170) »Die Steigerung der intel- vom Tausch und stellt fest: »Man muß sich... zugte Metapher: »Eines der häufigsten Bilder, lektuellen, abstrahierenden Fähigkeiten klar machen, daß die Mehrzahl der Beziehun- unter denen man sich die Organisation der charakterisiert die Zeit, in der das Geld immer gen von Menschen untereinander als Tausch Lebensinhalte deutlich zu machen pflegt, ist mehr zum reinen Symbol ... wird. (S. 171/172) gelten kann; er ist die zugleich reinste und ihre Anordnung zu einem Kreise, in dessen »(Das Geldgeschäft) drückt sozusagen das gesteigertste Wechselwirkung, die ihrerseits Zentrum das eigentliche Ich steht.«(S. 658) reine Geschäft an der geschäftsmäßigen das menschliche Leben ausmacht, sobald es Oder, spezieller: »Wenn nun das Denken in Behandlung (der Dinge) aus, wie die Logik die einen Stoff und Inhalt gewinnen will.« (S. 59) seinen allgemeinsten Grundlagen und als Begreiflichkeit an den begreiflichen Dingen Wechselwirkung bestimmt auch das Wesen Ganzes angesehen sich im Kreis zu bewegen darstellt. Und indem nun das abstrakte Gebilde, des Geldes: »Indem der Grundzug aller er- schien, weil es sich `durch eigenes Schweben das den aus den Dingen herausgezogenen kennbaren Existenz, das Aufeinander-Ange- halten` muß ... – so ist damit das Verhältnis Wert ihrer ausmacht, die Form arithmetischer wiesensein und die Wechselwirkung alles zwischen den Inhalten des Denkens bezeich- Genauigkeit und damit die unbedingte ratio- Daseienden den ökonomischen Wert auf- net.« Simmel fährt an dieser Stelle fort:«Der nale Bestimmtheit besitzt, muß dieser Charak- nimmt und seiner Materie dieses Lebensprinzip Prozeß dagegen, in dem sich dieses Verhältnis ter auf die Dinge selbst zurückstrahlen. Wenn erteilt, wird nun erst das innere Wesen des nun psychologisch realisiert, folgt dem konti- es wahr ist, daß die jeweilige Kunst allmählich Geldes verständlich. Denn in ihm hat der Wert nuierlichen, geradlinigen Verlauf der Zeit, er die Art bestimmt, wie wir die Natur sehen, der Dinge, als ihre wirtschaftliche Wechsel- geht seinem eigenen und inneren Sinne nach wenn die spontane und subjektive Abstraktion wirkung verstanden, seinen reinsten Ausdruck ins Unendliche, obgleich der Tod des Individu- aus der Wirklichkeit, die der Künstler vollzieht, und Gipfel gefunden.«(S. 121) An einer ande- ums seinen Weg verendlicht.« (S. 115) Ver- das scheinbar so unmittelbare sinnliche Bild ren Stelle spricht Simmel von der »steigenden bindet man in der Vorstellung Kreis und kon- derselben für unser Bewußtsein formt – so Vergeistigung des Geldes«: »Erst im Geiste tinuierlichen, linearen, zeitlich gestreckten wird wohl der Überbau der Geldrelationen wird die Wechselwirkung der Elemente ein Verlauf, so entsteht die Spirale. Ist es bloßer über der qualitativen Wirklichkeit in noch viel wirkliches Sichdurchdringen. Den Werten Zufall, dass die Spirale dreimal bei Werken der eingreifenderer Weise das innere Bild dersel- bereitet die Wechselwirkung im Tausche diese Landeszentralbank Saarbrücken erscheint: ben nach seinen Formen bestimmen.« (S. 615) geistige Einheit. Darum kann das Geld, die monumental in der orangefarbenen Spirale Simmel konnte im Jahre 1900 von einer Abstraktion der Wechselwirkung, an allem Sigurd Rompzas, die den Innenhof ausmisst, abstrakten Kunst noch nichts ahnen.3) Aber es Räumlich-Substanziellen nur ein Symbol finden, an dessen Längswänden immer nur ausschnitt- ist zu vermuten, dass deren Entstehung auch denn das sinnliche Außereinander desselben haft sichtbar wird und so konzeptuell zu er- in der zunehmenden Abstraktheit aller Lebens- widerstrebt seinem Wesen.« (S. 246) gänzen ist, – als Lichtglasspirale in der Wendel- beziehungen grundgelegt war. Es nimmt nicht wunder, dass Wechselwirkung treppe Werner Bauers, klar und zugleich in auch eine zentrale ästhetische Kategorie dar- ihrer Transparenz das Rationale transzendie- Abstraktion steht in Zusammenhang mit stellt, – und als solche, wenngleich nur sym- rend, – ins Lebensweltlich-Expressive über- Distanz. Simmel entwickelt diesen Begriff aus bolisch – auf das Wesen des Geldes verweisen führt im sechsteiligen Bild von Thomas dem psychologischen Ursprung der wirt- kann. Von Wechselwirkungen mannigfach- Wojciechowicz in der Kundenhalle, eine rote schaftlichen Bewegung: für ihn ist erforder- ster Art sind Lukas Kramers Bilder bestimmt, Spirale über vielen spiraligen dünnen dunkel- lich, »als das definitiv entscheidende Moment Wechselwirkungen innerhalb der Einzelbilder roten Linien in weißlich abgestuftem Grund? für die wirtschaftliche Bewegung die Begehrt- und ihrer Gruppierungen. heit der Objekte anzusetzen.« (S. 75) Aber Und nur nebenbei sei bemerkt, dass sich Immer wieder taucht in Simmels Ausführun- »wir begehren erst wirklich, wo der Genuß Wechselwirkungen auch entfalten zwischen gen auch der Begriff Abstraktion auf: »... die des Gegenstandes sich an Zwischeninstanzen allen anderen Werken, – bei ihrer Betrachtung reinste Wechselwirkung hat (im Geld) die mißt, wo mindestens der Preis der Geduld, im zeitlichen Vollzug. Wechselwirkungen ent- reinste Darstellung gefunden, es ist die Greif- des Aufgebens anderen Strebens oder Ge- falten sich in den Bezügen zwischen Bildern barkeit des Abstraktesten, das Einzelgebilde, nießens uns den Gegenstand in die Distanz und Wänden hinsichtlich Proportion und das am meisten seinen Sinn in der Übereinzel- rücken, deren Überwindenwollen das Begeh- Farbigkeit, zwischen Skulptur und Ort, so heit hat...« (S. 137) »Sobald das Leben nicht ren seiner ist.« (S. 76) Distanz aber benennt beim geistig-naturhaft in sich ruhenden Stein mehr zwischen sinnlichen Einzelheiten ver- auch ein prinzipielles Weltverhältnis: »Es gibt Paul Schneiders, beim zart in sich bewegten, läuft, sondern sich durch Abstraktionen, einen Modus des Verhältnisses zwischen dem grau-ockerfarbigen Stein der Inneren Linie Durchschnitte, Zusammenfassungen bestim- Ich und den Dingen, Menschen, Ideen, Inter- von Leo Kornbrust vor rötlichbrauner Ziegel- men läßt, so wird insbesondere in den Bezie- essen, den wir nur als Distanz zwischen bei- wand und dem Grau der übrigen Wand- und hungen der Menschen untereinander der den bezeichnen können. Was uns zum Objekt Bodenflächen. schnellere und genauere Vollzug der Abstrak- wird, das kann, inhaltlich ungeändert 19 Lukas Kramer, Jumping-Serie bleibend, nahe an das Zentrum (das Ich) ihre eigene sachliche Bedeutung rückt dem 6-teilig, 1997, Acryl auf Karton heran- oder bis zur Peripherie unseres Blick- Bewußtsein ferner, weil ihr Geldwert diese je 140 x 100 cm Raum 2. 11 und Interessenkreises abrücken...« Simmel aus ihrer Stelle in unseren Interessen- verwendet folgerichtig den Distanz-Begriff zusammenhängen mehr oder weniger dann auch zur Charakterisierung von Kunst- herausdrängt.« (S. 665/666) stilen: »Die innere Bedeutsamkeit der Kunst- stile läßt sich als eine Folge der verschiedenen In einer Landeszentralbank macht sich das Distanz auslegen, die sie zwischen uns und Prinzip der Distanzierung bis zur, aus Sicher- den Dingen herstellen.« (S. 658) heitsgründen notwendigen Distanzierung Distanz fordert zur Überwindung der Distanz aller unberufenen Besucher geltend. heraus: »... diese ganze Distanzierung geht Distanz ist auch ein ästhetisches Prinzip. Aber Hand in Hand mit der Knüpfung von Bezie- jedes Kunstwerk spannt um sich seine eigene hungen zu dem Fernsten, mit dem Interessiert- Distanz, wird Zentrum seines eigenen Ortes. sein für weit Entlegenes, mit der Gedanken- Zugleich jedoch strahlt von ihm Nähe aus, – gemeinschaft mit Kreisen, deren Verbindung eine Nähe, die weitaus mehr ist als bloße alle räumliche Nähe ersetzen.« »Der Umfang Distanzüberwindung. Denn es ist Nähe als und die Intensität der Rolle, die das Geld in Medium einer Kundgabe von Subjekt zu Sub- diesem Doppelprozeß spielt, ist zunächst als jekt. Solche Nähe ist dem Geld prinzipiell un- Überwindung der Distanz sichtbar« (S. 663), erreichbar. wichtiger aber wird das Geld »als Träger der Als weiterer Vergleichsbegriff zwischen Geld entgegengesetzten Tendenz«, der Distanzie- und Kunst sei der des Rhythmus angeführt. rung also. (S. 664) »Die entweder offenbare Simmel beschreibt eindringlich den Rhythmus oder in tausend Gestalten verkleidete Geld- von Hebung und Senkung als Rhythmus des haftigkeit der Beziehungen schiebt eine un- Lebens und der Natur, als Rhythmik von sichtbare, funktionelle Distanz zwischen die Lebensreihen und Kulturentwicklungen Menschen« (S. 665) und auch zwischen (S. 677 ff.) und kontrastiert dagegen die »Mensch und Ware. Seit der Geldwirtschaft Eigenart des entwickelten Geldwesens als stehen uns die Gegenstände des wirtschaft- »Kontinuität des Sich-Darbietens ..., mit der es lichen Verkehrs nicht mehr unmittelbar ge- sich allen sachlichen und persönlichen Notwen- genüber, unser Interesse an ihnen wird erst digkeiten, frei von dem Zwange eines rhythmi- durch das Medium des Geldes gebrochen, schen ... Schemas, anschmiegt.« (S. 686) Geld 20 selbst »ist absolut formlos, es enthält in sich spezialisierter Teile zusammengesetzt sind, Bedeutung nach. Die Wirkung, die es unter nicht den geringsten Hinweis auf eine desto weniger kann die Persönlichkeit des Umständen im ruhenden Zustand ausübt, regelmäßige Hebung und Senkung der Arbeitenden sich durch sie hindurch aus- besteht in einer Antizipation seiner Weiterbe- Lebensinhalte, es bietet sich jeden Augenblick drücken, desto weniger ist seine Hand im wegung. Es ist nichts als Träger einer Bewe- mit der gleichen Frische und Wirksamkeit dar, Produkte zu erkennen. Die Werkzeuge, mit gung, in dem eben alles, was nicht Bewegung es nivelliert durch seine Fernwirkungen wie denen die Kunst arbeitet, sind relativ ganz ist, völlig ausgelöscht ist. ...« So gibt es »für durch seine Reduktion der Dinge auf ein und undifferenziert und geben deshalb der Per- den absoluten Bewegungscharakter der Welt dasselbe Wertmaß unzählige Schwankungen, sönlichkeit den weitesten Spielraum, sich mit- ... sicher kein deutlicheres Symbol als das gegenseitige Ablösungen von Distanz und tels ihrer zu entfalten; sie stellen sich ihr nicht Geld.« (S. 714) Annäherung, Schwingung und Stillstand, die gegenüber wie die industrielle Maschine, die Menschliche Existenz aber bedarf auch der dem Individuum sonst allgemeingültige Ab- durch ihre spezialistische Komplikation selbst Dauer und der Ruhe. Und so bedarf auch wechslungen in seinen Betätigungs- und gleichsam die Form personaler Festigkeit und Geld einer Sinnerfüllung in Dauer und Ruhe. Empfindungsmöglichkeiten auferlegten.« Umschriebenheit hat, so daß der Arbeiter sie Kunstwerke stehen ein für Dauer und in sich (S. 691) nicht mehr wie jene, an sich unbestimmteren, lebendige Ruhe. Dazu stehen Werke der Kunst in entschiede- mit seiner Persönlichkeit durchdringen kann.« Dass die Landeszentralbank Saarbrücken zu nem Gegensatz. Sie bewahren und vermitteln (S. 636) »Der automatische Charakter der einem Schatzhaus saarländischer Kunst den Rhythmus des individuell Lebendigen, – modernen Maschine ist der Erfolg einer weit wurde, zu einer vielstimmigen Einheit aus auch die hier versammelten Werke bezeugen getriebenen Zerlegung und Spezialisierung von Architektur und bildender Kunst, ist das dies durch ihre je eigene Rhythmik. – Stoffen und Kräften. ... Indem die Maschine große Verdienst ihres Präsidenten aber zur Totalität wird, einen immer größeren Hans-Jürgen Koebnick. Er vereint in sich Schließlich sei, im Hinblick auf Kramers Bilder, Teil der Arbeit auf sich nimmt, steht sie eben- Kompetenz im Geldwesen und in der Kunst- der Zusammenhang von Geldwesen und so dem Arbeiter als eine autonome Macht kennerschaft. »Man muß doch Spuren Maschinentechnik kurz angesprochen. gegenüber, wie er ihr gegenüber nicht als hinterlassen«, kann als ein Motto seines Simmel verweist mehrmals auf diesen Zusam- individualisierte Persönlichkeit, sondern nur Handelns gelten. menhang: In der »Leistung des Geldes, Werte als Ausführer einer sachlich vorgegebenen zu kondensieren, ... schließt es sich den großen Leistung wirkt.« (S. 636/637) »Die stark Kulturmächten an, deren Wesen es ist, überall arbeitsteilige, mit dem Bewußtsein dieses Anmerkungen in einem kleinsten Punkt die größte Kraft zu Charakters vollbrachte Leistung drängt ... 1) Vgl.: Simmel und die frühen Soziologen. Nähe und sammeln und vermöge der Form der Konzen- in die Kategorie der Objektivität, die Betrach- Distanz zu Durkheim, Tönnies und Max Weber. trierung der Energien die passiven und aktiven tung und Wirkung ihrer als einer rein sach- Herausgegeben von Otthein Rammstedt. suhrkamp Widerstände gegen unsere Zwecke zu über- lichen und anonymen wird für den Arbeiten- taschenbuch wissenschaft. Frankfurt/M.1988. winden. Hier ist vor allem an die Maschine zu den selbst immer plausibler, der sich nicht Georg Simmel. Schriften zur Soziologie. Eine Auswahl. erinnern und zwar nicht nur nach der auf der mehr in die Wurzel seines Gesamtlebens- Herausgegeben und eingeleitet von Heinz-Jürgen Dahme Hand liegenden Seite, daß sie die Naturkräfte systems hinabreichen fühlt.« (S. 630) Solche und Otthein Rammstedt. suhrkamp taschenbuch in konzentrierter Weise in die Bahnen uns Objektivität – als Entfremdung – entspricht wissenschaft. Frankfurt/M. 1983. erwünschter Betätigung lenkt; sondern auch der Objektivität des Geldwesens. 2) Georg Simmel. Gesamtausgabe. Herausgegeben von nach der hin, daß jede Verbesserung der Gerade weil Lukas Kramer in seinen früheren Otthein Rammstedt. Band 6: Philosophie des Geldes. Maschine und Erhöhung ihrer Geschwindig- Werken Gebilde der Maschinentechnik, Herausgegeben von David P. Frisby und keit den Arbeiter zu erhöhter Intensifikation Apparate, Aggregate, Stationen, Systeme Klaus Christian Köhnke. Frankfurt/M. 1989. seines Krafteinsatzes zwingt.« (S. 243) Unter (Fluid Systems) in ihrer Faszination, Gefährlich- 3) Zur historischen Situation Simmels vgl.: dem Aspekt der Arbeitsteilung heißt es: »Hat keit, Zwanghaftigkeit darstellen konnte 4), Hannes Böhringer, Karlfried Gründer (Hrsg.): Ästhetik und bisher die Arbeitsteilung als eine Spezialisie- kann er nun in seiner Jumping – Folge auch Soziologie um die Jahrhundertwende: Georg Simmel. rung der persönlichen Tätigkeiten gegolten, Aspekte des Geldwesens anschaulich symbo- Frankfurt/M. 1976; aber auch: Hannes Böhringer: Die so wirkt die Spezialisierung der Gegenstände lisieren, – positiv als Wechselwirkung, ambi- »Philosophie des Geldes« als ästhetische Theorie. Stich- selbst nicht weniger dazu, sie in jene Distanz valent im Verhältnis von Nähe und Distanzie- worte zur Aktualität Georg Simmels für die moderne zu den Subjekten zu stellen, die als Selbstän- rung, kontrastierend im eigenen lebendigen bildende Kunst. In: Heinz-Jürgen Dahme, Otthein digkeit des Objekts erscheint, als Unfähigkeit Rhythmus der Werke. Rammstedt (Hrsg.): Georg Simmel und die Moderne. des Subjekts, jenes sich zu assimilieren und Neue Interpretationen und Materialien. Frankfurt/.M. seinem eigenen Rhythmus zu unterwerfen. »Die Bedeutung des Geldes liegt darin, daß es 1984, S. 178-182. Dies gilt zunächst für die Arbeitsmittel. Je fortgegeben wird; sobald es ruht, ist es nicht 4) Vgl.: Lukas Kramer. Meßstation. Arbeiten 1990 – 98. mehr diese differenziert, aus einer Vielheit mehr Geld seinem spezifischen Wert und St. Ingbert 1998. 21 »Methode und Material« – zu den Arbeiten von Thomas Wojciechowicz und Sigrún Olafsdóttir

Michael Jähne

Eine Bildhauerin und ein Bildhauer, wenn verletzen sich, grenzen sich ab, ziehen sich man denn Verfertiger skulpturaler Objekte so an. Zwar handelt es sich bei Wojciechowicz´ nennen mag, sind in der Kunstsammlung der flächenkünstlerischen Arbeiten durchaus um Landeszentralbank Rheinland-Pfalz/Saarland eine autonome Werkgruppe, die Grenz- (bis jetzt nur) mit flächenkünstlerischen bereiche zwischen Malerei und Graphik aus- Arbeiten vertreten: Thomas Wojciechowicz lotet, sie hat aber nach Bekunden des und Sigrún Olafsdóttir. Künstlers jedoch immer einen Charakterzug Dennoch – oder selbstverständlich – besitzt des Skizzenhaften, der Vorstufe dessen, was die Landeszentralbank von beiden Künstlern sich in der skulpturalen Arbeit vollendet. typische, charakteristische Werke. Als Beispiel für das skulpturale Schaffen in Charakteristisch für beide Künstler ist eben- Wojciechowicz´ Werk mag hier eine skulptu- so, dass Holz als Material bzw. Werkstoff an rale Arbeit stehen, die als Teil der Ausstel- zentraler Stelle steht. lung der Landesgalerie des Saarland Museums bekannt und zugänglich ist. In Sturz von Wojciechowicz geht scheinbar grob – und 1987 bilden verschieden starke, grob und doch sehr sensibel mit seinem Material um. ungleichmäßig behauene Vierkanthölzer Dabei drängt sich sehr rasch das Attribut einen stumpfen, auf dem Boden aufruhen- archaisch auf. Gelegentlich ist dieses den Winkel. Aus dem niedrigeren der Adjektiv für Wojciechowicz ´ Arbeit zur beiden Schenkel des Winkels steigt ein etwa Diskussion gestellt, das mag für etliche trapezförmiger leicht kurvig laufender Block Konnotionen des Begriffs berechtigt sein – auf, der sich in einer zweibahnigen Gabel es trifft aber eine wesentliche Eigenschaft fortsetzt, deren beide Zinken spitz zulau- der Arbeiten des Künstlers sehr genau. Für fend, eine deutlich Kurve beschreiben. Thomas Wojciechowicz, Sturz, Wojciechowicz’ Arbeiten ist wohl die Wort- Dabei sind zwei Leserichtungen zulässig: 1987, Buche, Kirsche, Farbe αρχ zweiteilig, 260 x 120 x 180 cm bedeutung ursprünglich (griech.: d. i. von unten nach oben: das rasche Aufstei- Saarland Museum Saarbrücken Ursprung, Ursache, Veranlassung, von An- gen und Gipfeln in den zusätzlich rot ein- fang an, von vornherein, zuerst, von hause gefärbten Spitzen – und von oben nach aus) sehr treffend. Er steht der Auffassung unten: aus der zweiläufigen Gabel in einer nahe, die sich in den Artefakten primitiver schnellen Fallkurve nach unten in die massive oder Naturvölker kundtut, etwa in den grob Bodenform, was den Titel Sturz unter- gehauenen Fetischfiguren des westafrikani- streicht. In beide Richtungen lesbar ist aus schen Volkes der Lobi (auf den ersten Blick der Naturform das ihr innewohnende denkt man auch Wojciechowicz` figürliche Signum extrahiert worden; kündet der Stelen, die 1983 in einer Ausstellung der Bodenwinkel von schwerer erdverbundener Galerie Weinand-Bessoth in Saarbrücken zu Materialität, so weisen die beiden Läufe der sehen waren). Die Lobi-Schnitzer bearbeiten Gabel auf Beweglichkeit und Raumdurch- ihr Material – Holz – gerade soviel, wie nötig dringung und damit auf den Raum selbst ist, die dem Material innewohnende Kraft, hin. sein geistiges Potential in eine dem Betrachter Wojciechowicz arbeitet dabei nur die Essenz (und Benutzer) visuell rezipierbare Form, eine heraus, die in der Vegetationsform, dem menschenähnliche Figur, zu bringen. Baumstamm, vorhanden ist: Dies wird in Archaischer Idolcharakter und Offenlegen anderen Werken noch etwas deutlicher, von Materialstrukturen fließen auch in dort etwa wo Wojciechowicz Stamm- und Wojciechowicz´ Arbeiten zusammen, den Astformen oder gar die Baumrinde sichtbar im Material verborgenen geistigen Gehalt belässt. freilegend. Archaische Eindringlichkeit ist auch in sei- Jean Giono formuliert zu Beginn seines nen graphischen und malerischen Arbeiten Romans Das Lied der Welt: »Antonio um- spürbar: große Farbmaterieflächen, mit faßte die Eiche. In seinen Händen spürte er flackerndem Gestus aufgetragen, dringen das Zittern des Baumes. Es war eine alte ineinander, schieben sich übereinander, Eiche, stark wie ein Mann der Berge und sie 22 stand gerade da, wo die Strömung sich fing hauer geht bei seinen flächenkünstlerischen verhalten präsenter Energie, die der Künstler (…) »Wie geht´s ?« fragte Antonio den Arbeiten hier über das Bewegen eines in einer mehrläufigen, aus der Tiefe hervor- Baum. Der Baum hörte nicht auf zu zittern. Zeichenstiftes auf einer Fläche (Papier)hin- drängenden Spirale in den Raum befreit. »na«, sagte Antonio, »es scheint nicht so aus. Er trägt entweder die Farbe in dicker Die Energie wird deutlich in der Form gut zu gehen«. Mit seiner schmalen Hand Schichtung pastos auf oder er bedient sich (Spirale) selbst, wie auch in der rotbraunen streichelte er sanft den Baum.«1) und be- der alten Technik der Enkaustik. Die Farbe Färbung der Spirale, die Wojciechowicz als schreibt damit ein Einfühlungsvermögen, wird in Wachs gebunden und dann verar- Kratzspur in die Wachsfläche eintieft. Wenn das auch Wojciechowicz eignet. beitet, d. h. es steht eine Masse zur Ver- im Objekt Sturz die aufsteigenden Astläufe Ursula Giessler formuliert es 1991 so: fügung, die – cum grano salis – als Material mit ihren roten Spitzen den Raum deutlich »Überall horcht Wojciechowicz dem Holz plastisch formbar ist, sowohl im schichtigen machen, sichtbar werden lassen, so erzeugt nach, erfühlt es und gibt ihm dennoch Auftragen, als auch in der Möglichkeit in die die Spirale in der sechsteiligen Arbeit o. T. einen unbeirrbaren sicheren Stand« – oder Masse kratzend, schneidend, pressend oder den Raum, visualisiert die raumschaffende anders ausgedrückt: aus der Naturform, schiebend einzugreifen. Die Enkaustik bietet, Energie. dem ausgewählten Teil der Vegetation fast noch stärker als der pastose Auftrag in Man wird bei Thomas Wojciechowicz von stemmt, meißelt und sägt Wojciechowicz in verschiedenen Schichten die Möglichkeit einer Transposition des skulpturalen Gestal- lauschender Sensibilität das Allgemeingültige, des lasierenden oder pastosen Auftrages, tens ins Flächenkünstlerische sprechen die Essenz, die sichtbar gewordene Welter- des Ineinanderdrückens der Farbe, des dürfen, wobei sich die gleiche Syntax nur fahrung heraus. Schabens, Ritzens, Punktierens und Linie- eines anderen Materials bedient. rens im schichtigen Auftrag, d. h. einer fast Er nimmt in seinen Holzskulpturen Wachs- reliefierenden Bearbeitung und mehr als Hier berühren sich die Vorgehensweisen von tumsformen auf, konzentriert oder erweitert jede andere Maltechnik, eine elementar Thomas Wojciechowicz und Sigrún Olafsdóttir. mit seinen Eingriffen die vegetabilischen bildhauerische Art der Bearbeitung. Sigrún Olafsdóttir geht von einer anderen Gegebenheiten z. T. zu neuen Raumformen Seite auf ihr Ziel zu. Bei ihr steht offenbar bis der Ausgangspunkt, Ast oder Stamm In Chauffage (Acryl auf Bütten) von 1992 zunächst die Idee oder besser das »endon zum Zeichen zur Geste geworden ist. prallen zwei Farbflächen oder besser zwei eidos« als Substrat, das Erfühlen oder die Wojciechowicz tut dies mit Respekt vor der Farbplatten – rot und schwarz – gegenein- Vorstellung von Räumlichkeit, Bewegung, natürlichen Formgebung, die er aufnimmt, ander, eine vertikale Linie energetischer Ent- Aufwachsen, Fallen, Schweben, Körperlich- herausarbeitet und in die Ausdruckskraft ladung entsteht; bogige, vibrierende Linie, keit als erahntes inneres Bild (endon eidos) seiner Skulpturen einfließen lässt. In diesem kurvig, gerade oder gebündelt rasen wie die zu dessen Visualisierung sie Ausdruck und Ergebnis sind »das Allgemeine und Wesent- Materieeruptionen der Sonnenoberfläche Werkstoff sucht oder besser: findet liche, der Gehalt, die Aussage, das Typische über das Blatt, schaffen räumliche Effekte So sind denn ihre graphischen Arbeiten, wie (…) in das Gewand sinnlicher Einzelheiten über die Oberfläche der Wachsplatte das Blatt im Besitz der Landeszentralbank, gehüllt« so das Lexikon der Ästhetik2) . (virtuell) hinausgehend. im besten Wortsinn Entwurfsskizzen, die Finden und Erfinden der Form sind für Wojciechowicz bindet die Farbe in die über Bildhauerzeichnungen im engeren Wojciechowicz die beiden untrennbaren Materie um ihre energetische, räumliche Sinne weit hinausgehen. Es sind zunächst Seiten eines Vorganges; es ist kein Oszillie- Potenz zu visualisieren oder anders ausge- Planspiele, Denkmodelle, die eine Fülle von ren zwischen künstlerischer und natürlicher drückt: er zieht wie im Objekt Sturz die Möglichkeiten durchspielen, dann aber dar- Form – der künstlerische Eingriff macht viel- Farbe heran um die Energie, die seinem über hinaus Facetten einer Idee, die in ihrem mehr das in der Vielfalt der natürlichen Material innewohnt verstärkend sichtbar zu ganzen Umfang eigentlich nicht realisierbar Form angelegte Wesentliche sichtbar. Der machen. ist und deren Umsetzung in ein Raumobjekt Künstler legt die innere Form (Plotins »en- oft nur ein Filtrat oder einen Teilaspekt don eidos«) frei, die – nach Plotin – als Vor- Energie, hier von Licht und Farbe, lässt wiedergibt. aussetzung in der Seele des Schaffenden Wojciechowicz auch in seinem Entwurf für Sigrún Olafsdóttir verwendet für ihre Objekte ebenfalls bereits angelegt sein muss. die Gestaltung des Innenhofes der Landes- in großem Umfang industriell vorgefertigte Vor diesem Hintergrund müssen auch die zentralbank agieren, wenn auch mit völlig Werkstoffe: industriell geformte Holz- flächenkünstlerischen Arbeiten von anderen Materialien (Glas, Edelstahl, Eternit). produkte, etwa schichtverleimtes Sperrholz, Thomas Wojciechowicz betrachtet werden, Papier, Leinwand, Ramin, auch Metall und die die Landeszentralbank in ihrem Kunst- In der sechsteiligen Arbeit o. T. im Kassen- formt exakt durchkonstruierte stereometri- besitz aufbewahrt. raum der Landeszentralbank bildet die sche Gebilde, die in ihren Einzelformen Auch hier ist zunächst ein Aspekt des Hand- Wachsmasse eine scheinbar wabernde, wiederum materialbedingt die geometrische werklichen, der Technik wichtig – der Bild- grün-graue Fläche über schlummernder Exaktheit verlassen – kaum merkliche 23 Ungenauigkeiten im Holz etwa halten, wie skulpturales Objekt scheint technisch kaum die Kurvaturen (kaum zu erkennende denkbar, ohne dass Bewegung, Schweben, Krümmungen) in den Steinblöcken des Leichtigkeit, energetischer Kern, Lebendig- Gebälks klassischer griechischer Tempel die keit verloren gingen. Anmutung des Lebendigen deutlich spür- bar. Dabei definiert sie in ihren Arbeiten Erinnert die Erwachende Muse an das Raum, in der Durchdringung des Raumes Gehäuse eines Nautilus als eine Konstruktion Bewegung, in der rhythmischen Folge ein- des Lebens selbst, so lässt die Pinselzeich- zelner Elemente Beweglichkeit, Gleichge- nung an einen sanft kreisend sich trennen- wicht und Stabilität, Wachstum, Mobilität – den Kokon denken, der Licht wie ein Lebendigkeit. Zeichen von Lebendigkeit schimmerndes Insekt entlässt. zeigen sich auch in Zartheit und Fragilität Es sind Arbeiten von fast mathematischer von Gebilden, denen gleichzeitig Kraft und Klarheit des Aufbaus, die zugleich erfüllt Dynamik innewohnt, wie dem Flügel eines sind von der tiefen Poesie des Lebendigen: Vogels oder Schale eines Nautilus3), die Leichtigkeit und Beweglichkeit, harmonisches schützende Wohnung und Fortbewegungs- Gleichgewicht, Fliegen können... mittel zugleich ist: Synonyme und Zeugnisse des Lebens, man vergleiche dazu etwa Das Gleichgewicht zwischen ungebundener Sigrún Olafsdóttir, Erwachende Muse, 1994, Sperrholz, Seide Erwachende Muse, Landeskunstausstellung Lebendigkeit und geometrischer Konstruk- 240 x 65 x 70 cm Kunstszene Saar 19954). tion lässt an musikalische Kompositionen denken; ein Vergleich, den Olafsdóttir selbst Die Lebendigkeit wird oft in der vorher- gerne heranzieht. So fasst sie den Kontrast gehenden Zeichnung im fließenden Strich in zwischen dem strengen Lineament des Neu- Bündel aus flatternden Reuestrichen oft baus der Landeszentralbank und ihren, für noch wesentlich deutlicher als im aus- dessen Innenhof entworfenen, Spiralobjekt geführten Objekt – das mitunter, wie aus- als Kontrapunkt auf. »Kontrapunkt bedeu- geführt nur einen Teilaspekt zeigen kann. tet aufstrebende Bewegung« (Olafsdóttir) – Die Pinselzeichnung o. T. (Tusche, laviert auf eine Bewegung, die sich in der festen siche- Bütten, ca. 106 x 78 cm) im Besitz der ren Schale der Architektur zu einer spirali- Landeszentralbank lässt beim Betrachter gen schier unendlichen Bewegung, zu zunächst offen, ob sie vorhergehender Ent- Lebendigkeit selbst verdichtet. Dabei tritt wurf oder konsequentes Weiterdenken ist. der Werkstoff, in diesem Fall Stahlrohr, Sie zeigt zwei steilkuppelige Kalotten- unter seiner gelben Lackierung als mit- formen; zwei Hälften einer horizontal sprechendes Element völlig zurück. In den durchtrennten Eiform, wie aus dünnem Holz/Papier/Stoffobjekten verstärkt die Faden dichtgewebt, die in gewissem Ab- Stoffsichtigkeit mit ihrem spezifischen Aus- stand, im Winkel von etwa 70° voneinander druck die Anmutung des Lebendigen. weg kippen, die Öffnungen dem Betrachter Holz, textiler Stoff oder Stahl sind hier weni- zugewandt. Von den Rändern jeder Kokon- ger Material als Werkstoff, die dazu dienen, hälfte ziehen fadendünne kurvige Linien in Raum, Räumlichkeit, Bewegung, Lebendig- raschem Schwung zur jeweils anderen Hälfte. keit zu definieren und zu visualisieren, in Beide kokonartige Schalen wirken schwe- flächenkünstlerischen Arbeiten entwerfend bend, umeinander kreisend, sich öffnend angelegt oder – wie in der Pinselzeichnung aus dem Inneren das in ihnen geborene der Landeszentralbank – weitergedacht. Licht als Form von Energie sanft entlassend; »In meiner Synonymik ist ›lebendig‹ gleich- Sigrún Oláfsdóttir, o. Titel, 1997 zarte raumhaltige Gespinste, die Kraft und bedeutend mit ›Bewegung‹, Wechsel, stän- Tusche auf Bütten, 106 x 78 cm Landeszentralbank Saarbrücken Energie erzeugend und in Bewegung dige ›Veränderung‹, ist gleichbedeutend mit Raum 3.10 geraten an ihre Umgebung weiterleitend. ›Entwicklung‹, das laut meiner optimis- Die Betrachtung beantwortet die Frage, ob tischen Synonymik gleichbedeutend mit diese Pinselzeichnung Entwurf oder eigen- ›Verbesserung‹« ist«, schreibt William Faulkner ständige Arbeit ist; eine Umsetzung in 1959 an Albert Erskine.5) 24 Sigrún Olafsdóttir behandelt ihr Material, innewohnende Energie, Beweglichkeit, Kraft d.h. ihren Werkstoff anders als Thomas im hölzernen Artefakt wahrnehmbar Wojciechowicz, zivilisatorischer, intellektueller, werden, fordert innerliches Mitbewegen des planender (dies zeigt sich auch in den grafi- Rezipienten heraus. schen Arbeiten) – hier bildet die Idee die Olafsdóttirs Arbeit bannt Energie, Beweg- Prämisse. Raum, Form, Bewegung etc. lichkeit, Kraft, Räumlichkeit mit Hilfe des bilden die geistige Grundlage, die Olafsdóttir Werkstoffes in ihr Artefakt, dieses Konstrukt mit ihrem Stoff ins Werk zu setzen versucht. ist sichtbar gewordene Idee. Der Inhalt ihrer Arbeiten ist zunächst geisti- William Faulkner schreibt 1941 an Warren ger Natur, d. h. Idee, Gehalt oder Aussage Beck: »Bis jetzt habe ich noch keinen glück- werden durch Interpretation des Werkstoffes lichen Ausgleich zwischen Methode und erschließbar. Material gefunden. (..) Wie Sie sehen, habe ich noch immer Mühe, Methode und Mate- Ist bei Thomas Wojciechowicz der Inhalt rial in Einklang zu bringen.7) objektiv das, was im Material, in der Natur Sigrún Olafsdóttir und Thomas Wojciechowicz gegeben ist, ist er bei Olafsdóttir Ausdruck gelingt es, in ihren Arbeiten nicht nur Mate- der Sichtweise des Künstlers, der dem Stoff rial und Methode in Einklang zu bringen; eine besondere Bedeutung unter Berück- beide Künstler gewinnen einen unmittel- sichtigung seiner Eigenschaften verleiht baren Zugang zum Rezipienten und ver- Thomas Wojciechowicz, Wettbewerbs- bzw. auch das, was der Rezipient in ihn hin- schaffen sowohl in ihrem Hauptwerk, dem entwurf für den Innenhof der Landes- einlegt oder hineinlegen kann. skulpturalen Schaffen, als auch in den nicht zentralbank in Saarbrücken, 1996 minder wichtigen flächenkünstlerischen Die Theorie der Ästhetik unterscheidet Arbeiten nicht nur ein sinnliches Erlebnis zwischen dem Inhalt, der als Sujet oder sondern auch Erkenntnis. Fabel abgelöst (Adorno) werden kann und dem Material, womit der Künstler arbeitet. Anmerkungen Der Inhalt wird durch das Material bestimmt 1) Jean Giono, Das Lied der Welt. Roman. Paris 1934, S. 5. in der Art, als der Mensch und seine Welt 2) Henckmann/Lotter, Lexikon der Ästhetik. nur durch das Medium der jeweiligen künst- München 1922, S. 63. lerischen Tat gestaltet und wahrgenommen 3) Nautilus pompilius oder Perlboot, Kopffüßler, lebt wird. im Indischen und Pazifischen Ozean in Tiefen von min- destens 100 m. »Die vielen Scheidewände seines in- Hier unterscheiden sich die Vorgehens- wendig perlmutterglänzenden (…) Gehäuses verstär- weisen der beiden Künstler: wählt Olafsdóttir ken (…) dessen Widerstandsfähigkeit und geben dem den Werkstoff mit dem sich das Sujet in der Tier durch ihren Gasinhalt einen guten Auftrieb.« bestmögliche erscheinenden Weise verbild- H. W. Smolik, rororo Tierlexikon. Bd. 5. Hamburg 1968, lichen lässt, spürt Wojciechowicz im Material S. 157. die innewohnende Idee auf, arbeitet sie her- 4) Kunstszene Saar. Landeskunstausstellung 1995. Sigrún Olafsdóttir, Wettbewerbsentwurf aus und verstärkt und verdichtet sie zum Katalog. Saarbrücken 1995, S. 100f. für den Innenhof der Landeszentral- visuellen Erlebnis. 5) William Faulkner, Briefe. Zürich 1980, S. 308. bank in Saarbrücken, 1996 6) Adolf Hildebrand, Das Problem der Form in der Beide Künstler stoßen mit ihren Arbeiten – Bildenden Kunst. Straßburg 1910, S. 77. und das ist ihre große Stärke – das Weiter- 7) William Faulkner, Briefe. Zürich 1980, S. 115. denken im Kopf des Betrachters an. »Mit ihrer Wahrnehmung stellt sich die Vor- stellung des Vorganges ein, wir empfinden ihn mit, indem wir ihn sozusagen innerlich mitagieren und diese Aktion der äußeren Erscheinung als Ursache unterlegen«; schreibt Adolf Hildebrand 1910.6) Wojciechowicz’ Arbeit lässt die dem Material 25 Architektur und Kunst Architektonische Konzeption des Gebäudes der Landeszentralbank in Saarbrücken

Rena Wandel-Hoefer

Die Proportionen des Baukörpers und die äußere Materialwahl sind städtebaulich bestimmt, viele Details in der Gestaltung der Fassaden resultieren aus der inneren Struktur. Der aus abgewinkelten Klinker-Wand- scheiben gefügte Sockel gibt dem Gebäude die erforderliche Basis, um neben der domi- nierenden Westspange ein Gegengewicht bilden zu können. Zugleich schafft er durch seine Höhenstaffelung für die in den Bürgerpark führenden Fußwege maßstäb- liche Proportionen. Die Räume zwischen den parallel verschobenen Wandscheiben nehmen Einfahrtstore, Treppenhäuser, Rampenabfahrten und Technikebenen auf, so dass trotz des beengten Umfeldes großzügige und öffentlich zugängige Freiflächen unmittelbar bis ans Gebäude reichen können. Auf diesem Sockel wird ein weiterer Teil der überbauten Grundstücksflächen als Dach- garten für die Natur zurückgewonnen.

Verwaltungs- und Wohnungsgeschosse geben dem Komplex zusammen mit den gläsernen Treppentürmen die für die städte- bauliche Fernwirkung erforderliche Höhe.

Eine Landeszentralbank stellt von ihren räumlichen Anforderungen her eine große architektonische Herausforderung dar. Hier werden im Grunde unkompatible Funk- tionen und Raumzuschnitte miteinander kombiniert: LKW-Ladehallen und hoch- gesicherte Kassenräume, ein eleganter Kunden-Empfangsraum neben einer fast in- dustriellen Geldbearbeitung, ein tausend Tonnen schwerer zweigeschossiger Tresor und darunter hochwassergesicherte Garagen, Verwaltungs- und Repräsen- tationsräume und über allem Wohnungen, die völlig autark vom Sicherheitsbereich der Bank funktionieren müssen. Dieses Raumprogramm wird vom Bauherrn nach Bundesstandards bis auf 1/10 qm ge- nau und detailliert nachzuweisende Kosten- ansätze festgelegt und ergänzt durch kom- plexe Sicherheitskonzepte, die elektronisch, konstruktiv und in der Organisation der Raumfolgen koordiniert werden müssen. 26

Zu diesen LZB-spezifischen Anforderungen beiläufige Zufälligkeit, sondern als immer kommen in Saarbrücken die Besonderheiten wieder neu zu entdeckendes Bild erleben. des Baugrundstückes: Die Lage im Alten Saarbett erfordert eine anspruchsvolle und Andere Details im Gebäude interpretieren auf die extremen Lasten angepasste Pfahl- Gewohntes in etwas anderer Sichtweise gründung. Die unmittelbare Nachbarschaft – so schweben in den Büros der Oberge- der haushohen, vielbefahrenen Westspange schosse weiße Kühldeckensegel unter som- verlangt adäquate städtebauliche Antwor- merhimmelblauen Betondecken oder ein in ten. die Wandverkleidung integrierter Akten- schrank wird zum schildförmigen »Sesam- All diese Anforderungen sind mit einem Öffne Dich« kompetenten und engagierten Team von Ingenieuren, Sonderfachleuten auf Planer- Dank des besonderen Engagements und und Bauherrenseite lösbar: organisatorisch, Kunst-Verständnisses des Bauherren ist es technisch, funktional. gelungen, die Beiträge von Künstlern zum integralen Bestandteil des Gebäudes zu Doch die uns wichtigste Frage ist damit machen. noch nicht beantwortet: 80 Frauen und Männer verbringen einen In drei Gebäudebereichen konnten wir be- erheblichen Teil ihrer Lebenszeit in diesem reits während der Bauzeit gemeinsam mit Gebäude unter alles anderem als alltäg- Künstlern diesen Dialog zwischen Raum und lichen Arbeitsbedingungen. In hermetisch Kunst begleiten: abgesicherten Räumen, umfassend elektro- Die Spirale von Sigurd Rompza spannt sich nisch überwacht und mit sicherlich auch zwischen Wände im Lichthof des 2. und 3. persönlich belastender Verantwortung. Obergeschosses, kontrastiert und interpre- tiert den strengen Raum mit beherrschter Wie können für sie Räume geschaffen Dynamik. werden, die die geschilderten funktionalen und sicherheitstechnischen Zwänge in den Die interne Treppenverbindung zwischen Hintergrund treten, im besten Fall vielleicht 1. und 2. OG, geboren aus der Notwendig- sogar manchmal vergessen lassen? Wie keit eine kurze Verbindung unter Umge- Landeszentralbank in Saarbrücken kann hier das Komplizierte einfach gemacht hung der Sicherheitskontrollen im Haupt- – Innenhof mit der Orange Spirale von Sigurd Rompza werden? treppenhaus zu schaffen, wurde durch die – Südansicht Kunst Werner Bauers zur begehbaren Licht- Gelingt es, ohne aufgesetzte Attitüde oder plastik. Mit der Dynamik ihrer Lichtwirbel modische Eitelkeiten aus der Zweckmäßig- adelt sie die Banalität des Aufstiegs zum keit eine selbstverständliche Ästhetik zu ent- Augen-sinnlichen Luxus. wickeln? Dem Büro des Präsidenten schenken ver- An verschiedenen Stellen und mit den schießbare transluzente Stoffpaneele von unterschiedlichsten Mitteln wurde versucht, Dorothee Zech als lichtdurchflutete, textile Freiräume zwischen Ästhetik und Funktion Kunstwerke subtile Lichtstimmungen. zu schaffen, die man als Nischen für die Freude apostrophieren könnte. Die meisten Kunstwerke der Landeszentral- Überall im Gebäude findet man – von bank, die unabhängig vom Gebäude ent- außen nicht zu vermutende – Innenhöfe standen sind, haben hier, auch in für uns und Dachgärten, die neben die unmaßstäb- bisweilen überraschenden Perspektiven, liche, unwirtliche Nähe der Straßenbrücke ideale Raum-Symbiosen gefunden. Diesen kleine grüne Oasen setzen. häufig spontanen Dialog empfinden wir als Fenster und Fassadenöffnungen lassen – wo Bereicherung für Gebäude, Bauherr und möglich – den Blick nach draußen nicht als Besucher. 28 Zum Wettbewerb für die künstlerische Gestaltung des Bereichs Innenhof im neuen Dienstgebäude für die Hauptstelle Saarbrücken der Landeszentralbank in Rheinland-Pfalz und im Saarland

Werner Bauer Die Durchführung des Wettbewerbs geht auf mehrere gedankliche Ansätze zurück. Der erste hat seine Wurzeln in einer mit dem Neubau des Landeszentralbank in Mainz begründeten Tradition, das Konzept Kunst am Bau grundsätzlich im Bereich der darstel- lenden Gegenwartskunst zu verwirklichen und das Ergebnis auch in einer Dokumenta- tion zu veröffentlichen. In diese Tradition ließ ich mich bei der Übernahme des Präsidenten- amtes der Landeszentralbank in Rheinland- Pfalz und im Saarland gerne einbinden. Bodo Baumgarten Mein eigenes Kunstverständnis machte es mir leicht.

Als die Entscheidung für den Neubau der Hauptstelle der Landeszentralbank in Saar- brücken, Hafenstraße, gefallen war, stand daher für mich und meinen Vorstandskolle- gen Leopold fest, daß die neubegründete Tradition in Mainz, die gleichzeitig auch ein starkes Element der Förderung regionaler Künstlerinnen und Künstler umfaßte, nach Saarbrücken übertragen werden sollte. Im Saarbrücker Gebäude werden also bedeuten- Lukas Kramer de Künstlerinnen und Künstler aus unserer Region – also auch die Ausgewanderten – mit hervorragenden Arbeiten repräsentiert sein: die Bank als eine Art Schaufenster.

Diese Idee erfuhr im Gespräch mit Bernd Schulz, dem Direktor der Stadtgalerie in Saar- brücken, insoweit eine Erweiterung, als er dafür warb, im Rahmen der Ausgestaltung unseres Baus mit Kunst auch die wiederge- gründete Hochschule der Bildenden Künste Saar in angemessener Form zu beteiligen. Könnte man nicht, so sein Gedanke, einen Raum für einen Wettbewerb, z. B. für Studenten, öffnen?

Mittlerweile schritt die Planung unseres Gebäudes fort und der Vorstand konnte die Vorstellung von der künstlerischen Ausgestal- tung konkretisieren. Er entschied sich, keinen künstlerischen Großakzent vor dem Gebäude vorzusehen. Die stark strukturierte Glashaut vor dem ziegelummauerten Kubus des unte- ren Gebäudeteils setzt einen hinreichenden eigenständigen Akzent. Kunst wird also erst im Gebäude wirksam sein, in Teilen durch die 29 Glashaut sichtbar, in anderen – ja den pfälzische Bereich der gemeinsamen Landes- 1996 wurden acht Künstlerinnen und meisten – Teilen nur den Benutzern des zentralbank in Rheinland-Pfalz und im Künstler von der Landeszentralbank zur Gebäudes nach Überwinden der Sicherheits- Saarland tatsächlich unrepräsentiert. Den Teilnahme am Wettbewerb eingeladen: schranken zugänglich: es wird also Kunst im Wunsch, auch einen kongenialen Teilnehmer – Werner Bauer, Völklingen Bau geben! aus der französischen Nachbarregion dabei- – Bodo Baumgarten, Saarbrücken zuhaben, erfüllte uns Jean-Luc Vilmouth, in – Ursula Bertram, Mainz Bei den Baubesprechungen wurde uns be- Creuzwald/ Lothringen geboren und in Paris – Lukas Kramer, Saarbrücken wußt, daß ein sich aus technischen Gründen lebend, mit seiner Zusage. – Sigrún Olafsdóttir, Saarbrücken ergebender Lichtschacht mit ca. 6 auf 12 m – Sigurd Rompza, Saarbrücken Grundfläche, der für viele Nutzer des Gebäu- Der Vorstand sieht sich durch das Ergebnis – Jean-Luc Vilmouth, Paris des wie eine Vitrine wirken wird, gestaltet des Wettbewerbes mehrfach bestätigt. Eine – Thomas Wojciechowicz, Saarbrücken werden müßte. Zwar überzeugte auch die beachtliche Vielfalt von Entwürfen ist ent- entwickelte Architekturlösung. Aber heraus- standen, die sich oft einer schnellen und ein- Die Unterlagen wurden am 28.5.1996 an fordernd wirkte der Gedanke, diesen Raum deutigen Zuordnung zu den entwerfenden die Künstler versandt. Nach dem Kolloquium zur künstlerischen Gestaltung anzubieten. Künstlern entzieht. Mancher Teilnehmer hat vom 14.6.1996 wurde die Abgabefrist auf So wurde hier der Ort eines Wettbewerbs mit dem Entwurf seine traditionellen Dimen- den 6.9.1996 festgelegt. gefunden. sionen verlassen. Mehrere realisierbare Ent- Am 2.10.1996 erfolgte die Vorprüfung der Ein Wind und Wetter ausgesetztes, nur je- würfe liegen vor. Schließlich konnte die Jury sieben eingereichten, den Auslobungs- weils in Teilen sichtbarwerdendes Kunstwerk eine Arbeit prämieren, die allen Anforde- bedingungen entsprechenden Arbeiten. war gefordert; hinzu traten weitere Restrik- rungen des Auslobers gerecht wird. Sie soll tionen: der Innenhof kann grundsätzlich deshalb auch verwirklicht werden. Das Preisgericht: nicht begangen werden und der Boden hat – Hans-Jürgen Koebnick, Präsident der eine begrenzte Belastbarkeit, was schwere Seit der grundlegenden Entscheidung über Landeszentralbank in Rheinland-Pfalz und Stein- oder Stahlskulpturen ausschließt. den Wettbewerb bestand die Absicht, den im Saarland, Mainz Wir waren uns angesichts dieser Umstände Prozeß, der zur Kunst im Bau führen wird, – Bolko Leopold, Vizepräsident der Landes- schnell klar darüber, daß ein offener Wettbe- auch sichtbar zu machen. Deshalb wird der zentralbank in Rheinland-Pfalz und im Saar- werb – etwa an Studenten gerichtet – wohl Wettbewerb in Text und Bild dokumentiert land, Mainz kaum zu brauchbaren Vorschlägen führen und veröffentlicht, werden die Arbeiten – Andrea Wandel, Architektin des Büros würde. Denn das sollte ja das Ergebnis sein: öffentlich ausgestellt. Und deshalb wird unsere Wandel-Hoefer-Lorch, Saarbrücken ein realsierbarer Wettbewerbsentwurf! Dokumentation in einem gemeinsamen – Bernd Schulz, Leiter der Stadgalerie Saar- Schuber mit der Dokumentation von Kunst im brücken Das Nachdenken über die einzuladenden öffentlichen Raum in Saarbrücken, die das – Prof. Jo Enzweiler, Hochschule der Bilden- Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zumal sie Institut für Aktuelle Kunst in Saarlouis erarbei- den Künste Saar, Saarbrücken aus der Region kommen und wettbewerbs- tet hat, verklammert. Das neue Kunstwerk in – Prof. Horst Gerhard Haberl, Hochschule erfahren und -bereit sein sollten, zog sich unserer Hauptstelle wird Teil der Kunst im der Bildenden Künste Saar, Saarbrücken deshalb über einige Monate hin. Die unge- öffentlichen Raum in Saarbrücken. Es setzt – Rolf Peter Hennes, Architekt, Mainz wöhnliche Wettbewerbsaufgabe erforderte eine langjährige, beachtenswerte Tradition in einerseits Beschränkung des Teilnehmer- Saarbrücken fort. Die Verbreitung beider Das Preisgericht tagte am 11.10.1996 unter kreises, andererseits eine Vielfalt der künstle- Dokumentationen soll deshalb verdeutlichen, Vorsitz von Rolf Peter Hennes. Es empfahl rischen Äußerungen. daß nicht die endgültige Plazierung eines einstimmig die Arbeit von Sigurd Rompza zur Jo Enzweiler und Bernd Schulz ist für manchen Kunstwerkes im öffentlichen Raum oder Ausführung: »Die Konzeption der Orange Hinweis zu danken, der den Vorstand schließ- einem öffentlichen Gebäude die Aufgabe Stahlspirale überzeugt durch ihre Reduzie- lich zu seiner Auswahl von sechs Künstlern einer öffentlichen Institution sein kann und rung. Sie schafft als Kraftlinie im Raum ein und zwei Künstlerinnen befähigte, unter deren Rechtfertigung für die Verwendung von interessantes Spannungsfeld zur Architektur. ihnen zwei von außerhalb des Saarlandes. Steuermitteln, sondern das Bewußtmachen Die Farb-Formbeziehung ist logisch und kon- Mit Ursula Bertram wurde eine in Rheinland- von Kunst als unverzichtbarem, konstitutivem sequent. Die Detailansichten, die bei den ver- Pfalz mit zahlreichen Arbeiten im öffentlichen Bestandteil des demokratischen Gemeinwesens. schiedenen Betrachtungswinkeln entstehen, Raum erfolgreiche Künstlerin eingeladen. stehen im spannungsvollen Verhältnis zum Leider konnte sie wegen eines Krankheits- Hans-Jürgen Koebnick. In: Wettbewerbe logischen Ganzen.« falles in der Familie dann doch keine Wettbe- Kunst im öffentlichen Raum im Saarland 3. werbsarbeit abgeben. So blieb der rheinland- Saarbrücken 1996, S. 8 30 Sigrún Olafsdóttir

Sigurd Rompza

Jean-Luc Vilmouth

Thomas Wojciechowicz

31 Sigurd Rompza Orange Spirale, 1998 Stahlrohr, pulverbeschichtet Außendurchmesser: ca. 6 m Durchmesser des Stahlrohrs: 12 cm

»Dem von mir vorgestellten Modell für den künstlerischen Wettbewerb in Verbindung mit dem Neubau der Landeszentralbank in Saarbrücken liegen folgende Vorüberlegungen zugrunde: Gegeben ist ein Innenhof, der von allen Seiten und von verschiedenen Höhen einsehbar ist. Er ist oben offen. Das Kunstwerk ist dem Wetter ausgesetzt. Es soll auf den Raum, für den es vorgesehen ist, Bezug nehmen. Zudem soll es den Kontext Bank eindeutig symbolisie- ren. Die von mir vorgeschlagene künst- lerische Lösung ist eine exakt konstruierte Spirale, die den Raum des Innenhofs gliedert und eine direkte Beziehung zur Architektur aufnimmt. Visuell drückt sie gegen die Wände links und rechts, an denen sie nicht sichtbar befestigt werden soll. In syntaktischer Hin- sicht ist wichtig, dass das lineare Zeichen auch in Ausschnitten, z.B. beim Blick durch die schmalen Fenster, je andere, jedoch stets gültige Formen bildet. Aufgrund des Lichteinfalls von oben projiziert das Objekt Schattenlinien auf die Wände, die sich während des Tages stets verändern. Die Farbe Orange ist sehr lichthaft und geht eine Verbindung mit der kraftvollen Form ein. Das spiralförmige Objekt symboli- siert Entwicklung und Fortschritt. Die runden Formen verweisen im Kontext der Bank auf Geld.« Sigurd Rompza

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Kunstsammlung der Landeszentralbank in Rheinland-Pfalz und im Saarland Hauptstelle Saarbrücken

35 Werner Bauer Treppe 1999 Edelstahl, Verbundsicherheitsglas, Acrylglas, Lichtleitfasersysteme 6 m Höhe

Die Treppe ist eine Wendeltreppe Werner Bauer wollte nicht nur den und steht im architektonischen dunklen Treppenschacht beleuch- Zusammenhang mit dem Gebäude- ten, sondern auch zur Benutzung kern. Auf den Grundriss bezogen der Treppe ermuntern, indem er stellt sie eine vertikale Verbindung die gravierten Linien in gegenläufi- auf enger Basis zwischen dem er- gen konzentrischen Bogen gestal- sten und zweiten Obergeschoss dar. tete. So lädt der Bogen in der Mitte Die Treppe ist rund geführt. Keilför- der Stufe eher zum Treppensteigen mige Stufen winden sich um eine und der Gegenbogen außen eher Lichtsäule in die Höhe. Diese dient zum Hinabgehen ein. Beide Bogen hier jedoch nicht der Befestigung bilden eine graphische Einheit, die der Wendelstufen, sondern be- durch die teilweise Verzahnung leuchtet zusammen mit den Stufen ihrer Anfänge oder Enden verstärkt den zylinderförmigen Treppenauf- wir und eine Balance schafft, die gang. der zunächst nur als Lichtkunst- Die Stufen sind in die umgebenden werk angesehenen Treppe zu ihrer Wände eingelassen, die mit Buchen- funktionalen Bestimmung verhilft. holz verkleidet sind. Von hier aus Mit dieser Treppe ist ein hervorra- wird das Licht über Lichtleitfasersy- gendes Beispiel für die Beteiligung steme in die Acrylstufen und die eines Künstlers im Bereich der Lichtsäule eingespeist. Setzstufen, Architektur realisiert worden. In der Handlauf und Geländer bestehen engen Zusammenarbeit von Archi- aus Edelstahl. tekt und Künstler konnte Werner Die Auftritte sind von oben nach Bauer seine lichtbildnerischen unten aus dreischichtigem Ver- Gestaltungsprinzipien in eindrucks- bundsicherheitsglas und darunter voller Weise raumfunktional montiertem Acrylglas zusammen- anwenden. gesetzt. Die Acrylglasplatten sind Isolde Köhler-Schommer künstlerisch gestaltet, die Lineatur ist in das Glas graviert. So wie die unsichtbare Lichtquelle die Kontu- ren der Gravur auf dem Auftritt, wie mit einem scharfen Stift zeich- net, evoziert sie zusammen mit den graphischen Gestaltungselementen in den Setzstufen Spiegelungen und neue visuelle Überraschungen. Um die Sicherheit der Benutzer nicht zu gefährden, sind die Auf- tritte im Vorderteil der Glasplatte aufgerauht. Die Aufrauhung des Glases ist formal dem Lineament der Gravur angepasst.

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Hermann Becker Errungenschaften der Volks- wirtschaft. Erholungszone 1. Morgens am linken Ufer 2. Ruderpaar 3. Abends am rechten Ufer dreiteilig, 1997 Elektronische Datenverarbeitung, Tinte auf Papier, 60 x 160 cm

Stark retuschierte Propagandafotos aus sowjetischen Bildbänden der Stalinzeit dienten als Ausgangs- material dieser Arbeit, selbst wiederum Teil eines größeren Projektes. Winzige Details jener Panoramabilder isolierte ich und unterzog ihre Daten umfang- reichen Neuberechnungen. Sie führten zu einer frühmodernen Bildsprache, aus einer Epoche, als Karl Marx gerade tot und Josef Stalin noch ein Kind war. Rückblende zu einem Punkt, an dem das vergangene Jahrhundert, das letzte historische und die Moderne gleichermaßen, vielleicht noch anders möglich gewesen wären. Hermann Becker

38 Walter Bernstein Francis Berrar Industrielandschaft Edition 5 Laboratorium 16/1997 Öl auf Leinwand Mappe mit einer Hinterglasmalerei 55 x 90 cm Öl und Acryllack auf Acrylglas Format: DIN A 3 Auflage: 50 40 x 29,5 cm

»... Vielfach nimmt das Industriebild landschaftlichen Charakter an, ver- wachsen die Hochöfen, Fördertürme und die rauchenden Schlote auf’s Engste mit ihrer Umgebung. Aus rhythmisch über die Fläche verteilten Farbflecken baut Bernstein die Kom- … Seit Frühjahr 1997 experimentiert positionen auf, wobei betont graphi- Francis Berrar mit den malerischen sche Elemente die malerischen Farb- Möglichkeiten der Hinterglasmalerei, zonen gegeneinander abgrenzen zunächst auf Bruchstücken, dann und das Bildgefüge strukturieren. auf rechteckigen Glas- und Plexiglas- Architektonisches und Landschaft- scheiben. Rahmenlos, frei aufge- liches wird farblich einander ange- hängt bzw. -gestellt treten die Hin- glichen. Aus dem spannungsreichen terglasbilder dem Betrachter als ver- Miteinander von warmen Rotbraun- letzliche visuelle Körper mit neuer und Ockergelbtönen und kühlen, oft objekthafter und materieller Identität metallisch schimmernden Blauwerten entgegen. … Der Betrachter sieht erwächst die für Bernstein so typische durch die diaphane Raumschicht des farbige Grundstimmung, die auch Glases genaugenommen auf die viele seiner Figurenbilder auszeichnet. Rückseite von Berrars Malerei. Indem Starke Hell-Dunkel-Kontraste, die bis – umgekehrt wie in den Leinwand- zur Gegeneinandersetzung von bildern – die zu vorderst sichtbaren Schwarz und Weiß reichen können Farbschichten nicht die letzten, son- und vornehmlich in den Arbeiten der dern die ersten sind, die Berrar auf letzen Jahrzehnte auftreten, ergän- die Glasplatte aufgetragen hat, sieht zen die Farbwirkung und verleihen man tatsächlich in den in großen, dem Bildganzen seine kompositio- spontanen Zügen gemalten grauen nelle Festigkeit....« und weißen Farbflächen auf den Grund des Bildes. … Nicole Nix. Walter Bernstein. Christoph Wagner. In: Edition 5, 1997 In: Walter Bernstein. 1901-1981. Malerei und Graphik. Museum im Bürgerhaus. Neunkirchen 1993, S. 9

39 Dietmar Binger Dietmar Binger Altes Saarland-Museum Saarbrücker Block 6.8.1982 (1996) 1999 Dispersion, Acryl auf Leinwand Triptychon, 21-teilig 200 x 100 cm Polaroids in Doppelpassepartouts

In den Jahren 1996-98 hatte ich ständig eine Polaroid-Kamera dabei. Es entstanden in dieser Zeit spontan 4500 Fotos in und um Saarbrücken. Eine Auswahl von 150 Polaroids, angeordnet als virtueller Spazier- gang, wurde 1999 in einer Aus- stellung gezeigt. Der »Saarbrücker Block« war zentraler Teil dieser Ausstellung. Die Gesamtheit meiner Fotos ver- stehe ich als Teil eines verdinglichten, gleichsam nach außen gestülpten Gedächtnisses. Dietmar Binger

1962 besuchte ich erstmals das alte Saarland-Museum am St. Johanner Markt (heute Stadtgalerie). 1982 hatte ich ein eigenes Atelier in den durch Umzug des Museums freigewordenen Räumen. An den Wänden fand ich noch die Bild- legenden-Schildchen der Gemälde. In Erinnerung an den ersten ehr- furchtsvollen Besuch 20 Jahre zuvor löste ich die Namensschildchen von den Wänden und fügte sie als hommage in meine Arbeit »Altes Saarland-Museum« ein. So sicherte ich mir dinglich ein Stück eigener Biographie. Dietmar Binger

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Monika von Boch Fichtenwald Oberstdorf 1957 Fotografie 61 x 52 cm

»...Die aus großer Distanz foto- grafierten Bilder verschiedener Waldstücke bestechen durch ihre Präzision und bestätigen Monika von Bochs Blick für die Feinteiligkeit eines Naturgewebes wie es dichte Baumbestände aus dem jeweils gesuchten Abstand des Betrachters bilden. Im Grunde ist es immer wie- der die Faszination vor sich flächen- haft ausbreitenden, also bildmäßi- gen Strukturen verschiedenster Zu- sammensetzung und Ausdrucks- qualität....«

J. A. Schmoll genannt Eisenwerth: Monika von Boch. Das fotografi- sche Werk 1950-1980. Dillingen 1982, S. 95

42 August Clüsserath o.T. 1956-65 Pastell 48 x 61 cm

»...Ende der 50er Jahre sind Malerei und Zeichnung nicht mehr zu tren- nen. Breit, weich und flüssig gibt sich die Linie. Linie, Farbe, Form sind sich Aussage genug. Das Bild ent- steht nun ganz aus der Intuition: das innere Erlebnis und nicht mehr der Natureindruck gibt den Impuls zur Bildentstehung. …«

Dorothee Schank: Arbeiten auf Papier. In: August Clüsserath. Retro- spektive. Stadtgalerie Saarbrücken 1990

43 August Clüsserath o.T. 1965 Pastell 48 x 63 cm

44 Helmut Collman Helmut Collman Blick von der Schloßmauer Alt-Saarbrücken 1949 Öl auf Leinwand Öl auf Leinwand 70 x 83 cm 59 x 71 cm

Das 1949 entstandene Ölgemälde ist Das Bild zeigt eine Ansicht der Häuser chronologisch dem Frühwerk des hinter der Friedenskirche. In den 60er Künstlers zuzuordnen. Zu diesem Jahren häufen sich die Architektur- Zeitpunkt arbeitet Collman zusam- Motive. Gleichzeitig ändert sich die men mit dem Architekten Peter Paul Darstellungsweise. Die rein naturalisti- Seeberger für die Stadt Saarbrücken. sche Abbildung schwindet zugunsten Die beiden sind maßgeblich am Neu- einer strengeren Geometrisierung bau und Wiederaufbau des im und perspektivischen Verdichtung. 2. Weltkrieg zerstörten Schulraums Dies wird auch durch den veränderten beteiligt. Wie in vielen der frühen Betrachterstandpunkt verdeutlicht, der Werke ist der Betrachterstandpunkt eine Darstellung von Räumlichkeit erhöht und ermöglicht eine Aufsicht. kaum noch ermöglicht. Wilhelm Die perspektivische Wirkung wird Weber bezeichnet diese Annäherung noch verstärkt durch eine starke an die Konstruktionsprinzipien des Betonung der Senkrechten, angefan- Kubismus als »Einbruch kubo- gen bei den Straßenlaternen im Vor- expressionistischer Ausdrucksformen«. dergrund bis hin zu den Schornstei- Später entwickeln sich hieraus die nen der Brebacher Hütte. Auch in der sog. »Fassaden- und Plakatbilder«, Farbgebung bleibt die Darstellung bei denen Formen und Schriften in realistisch. Der Künstler orientiert sich das Bildgefüge einbezogen werden. weitgehend an der Lokalfarbe, wenn Auch die Farbpalette wird heller und sich auch die Palette im Bereich der durchscheinender. Die Gegenstands- Braun-Grüntöne bewegt. farben sind aufeinander abgestimmt Stellenweise klingt in diesem Bild und bilden durch das harmonisieren- schon der für Collman typische Duk- de Element »Weiß« einen Farbklang. tus an, bei dem die Farbe nicht Die Farben sind aus Einzeltönen flächig, sondern beinahe akribisch, in zusammengesetzt. feinen Strichlagen aufgetragen wird. Claudia Burkhardt

45 Hans Dahlem Jo Enzweiler Rauhreif ohne Titel 1966 Karton-Collage, Gelb-grau-weiß Öl auf Leinwand 1991 100 x 100 cm Karton 240 x 90 x 8 cm

»… In der Kunst Enzweilers durch- dringen sich Schemata »geometri- scher« und »empirischer Begriffe«. Hinzu kommt der Charakter des Schemas als »Zeitbestimmung«, der nach Kant sich insbesondere beim Schema der »reinen Verstan- desbegriffe« zeigt. Jo Enzweilers Werke sind »Zeit- bestimmungen« nach mehreren Hinsichten. Das Prinzip der »Wie- derholung«, das aller »Serialität« zugrundeliegt, ist eine »Zeitbestim- mung«. Aber mit bloßer »Wieder- holung« ist es ja nicht getan, das Wichtige bei Enzweiler ist die »Variation« in der Wiederholung. Enzweilers Kunst lebt aus der Fülle der Variationen. Nur aus solcher Fülle von Variationen rechtfertigen sich die Wiederholungen innerhalb eines eng gefaßten Konzepts. Variationen aber fordern Vergleiche, fordern den ständig wandernden und abwägenden Blick, den Blick, der sich an keine vorgegebenen Leserichtungen mehr hält und der endlich über alle Vergleichungen sich erhebt und zur Ruhe kommt, zu einer Ruhe, die Jetztpunkte zusammenfaßt. Dann wird er der »... einem tiefdunklem Blaugrund häufigem Richtungswechsel. Auch »Einheit der Mannigfaltigen der erwächst ein vegetabiles Gebilde, wenn der Bildgegenstand hier die Anschauung« inne. …« vergleichbar einer Nachtpflanze, Assoziation mit der Pflanzenwelt die zur Dunkelheit hin ihren Blüten- ermöglicht, so haben doch keines- Lorenz Dittmann: »Schema« und kelch öffnet. Ein sukzessives Sich- falls nur Wachstum und Entstehen »Horizont« in der Kunst Entfalten zum Licht erfolgt, wobei im biologischen Sinn Gestalt ange- Jo Enzweilers. In: Jo Enzweiler das Licht entgegen der wahrnehm- nommen.... Dahlem kommt in die- Karton-Collagen. Saarbrücken baren Natur nicht einem Außen sem Punkt wiederum der Auffas- 1999, S. 38 entspringt. Es handelt sich vielmehr sung Paul Klees sehr nah, daß das um ein der Pflanzenform immanen- Werden über dem Sein steht. tes Licht und Weiß ist der Licht- Durch die Darstellung und das Fest- träger. Zwei Bewegungsarten sind halten von Bewegung im Bild wird hier miteinander verknüpft. Eine das Kunstwerk zu einem Beispiel kontinuierlich von unten nach oben für geordnetes Werden... « verlaufende Bewegung resultiert aus den an der Vertikalen orientier- Waltraud Huth-Fox: Die bildkünst- ten Linienbezügen. Die zweite er- lerische Idee Hans Dahlems. gibt sich aus den kurzen, unzusam- In: Hans Dahlem. Retrospektive menhängenden Linien der Blüten- 1948-1993. Ausstellungskatalog blätter und wird bestimmt von Orangerie Blieskastel 1993, S. 20

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Jo Enzweiler Edition Freese 19/1997/98 Horizonte Mappe mit drei Prägedrucken mit Stiftzeichnungen Gelb-Rot-Blau Druck auf Bütten Auflage: 50 und 10 e.A. Format: 41 x 30 cm

»… Im Räumlich-Flächigen vollzieht sich das Wechselspiel von Bewegung und Ruhe im Phänomen der »Hori- zonte«. … Er stellt eine Grenze dar, über die man im Bewußtsein schon hinaus ist, in ihm symbolisiert sich ein Verlangen, ins Unerschlossene vorzudringen und darin sich selbst zu entgrenzen. … Die Werke Enzweilers intensivieren noch den zeitlichen Charakter der »Horizonte«, indem sie die Horizont-»Linien«, d.h. die Rißkanten, durch die sie assoziiert werden können, in anschauliche Be- wegung versetzen. In unterschied- lichen Bewegungscharakteren, weicheren oder wilderen, flammen die Kanten aus, hintereinander auf- steigende Schichten führen die Bewe- gung in die Ferne und die Höhe. …«

Lorenz Dittmann: »Schema« und »Horizont« in der Kunst Jo Enzweilers. In: Jo Enzweiler, 1999, S. 39

48 Jo Enzweiler aus der Serie Albufera 1998 Gouache 80 x 60 cm

»… So lassen sich Enzweilers Gouachen als Charakterisierung des Jetzt ansprechen und lassen stärker noch als die Kartoncollagen (deren materialimmanente Kräfte stärker spürbar bleiben) das Verhältnis von Subjekt und Welt erkennen, zeigen noch stärker die Reflexion des Künstlers. Er erreicht doch mit zunächst rein maleri- schen, gegenstandsfreien Mitteln eine nicht meßbare, gedankliche, Tiefenräumlichkeit und mit dem Unterwerfen der Einzelbilder unter geometrische Rasterung und serielle Reihung die Immanenz der Veränderlichkeit in der Dar- stellung. …«

Michael Jähne: Die Gouachen von Jo Enzweiler. In: Jo Enzweiler im Kunstverein Dillingen im Alten Schloß, Saarbrücken 1999, S. 28

49 Leo Erb Linienbild 1981 Karton 32 x 35 cm

»… Entsprechend der in allen Bild- mitteln angelegten Ruhe bleiben die seriellen Abfolgen der Linien bzw. der Linienelemente im Bilde Leo Erbs immer »Klassisch statisch«. Die gerade, waagerechte Linie be- ginnt nicht wie in den Nagelforma- tionen Ueckers oder den farbigen Sehpunktreihen Macks durch eine Formierung ein eigenes Leben und eine eigene Dynamik zu entwickeln. Bewegte Formierungen würden Erbs waagerechten Linien in Hin- blick auch auf ihren Anteil am Gesamtbild ihren Sinn rauben. Die gerade, waagerechte Linie ist ein imaginäres Gut. Das Unbehagen der bildenden Künstler an der geraden Linie rührt aus ihrer beson- deren Eigenschaft als »imaginäre Grenzlinie« zwischen Flächen einer Formung im Bild her. Die Linie hat keinen Formkörper. Sie verliert ihre Eigenschaften, wenn sie sich krümmt oder abbricht, weil sie dann zur Formung wird. Nur als gerade Linie kann sie das in ihr ruhende Unbehaglichkeitspotential entfalten. Das hat Leo Erb erkannt und ausgenutzt. So wie die Linie im wahren Sinne des Wortes an der Grenze zwischen Flächen liegt, so liegt das Weiß an der Grenze zu allen Farben. Die Farben sind durch das Licht im Weiß, indem sie als zarte »Quanten« durch das Licht im Weiß lebendig werden können. …«

Meinrad Maria Grewenig: Zur Linie im Werk Leo Erbs. In: Leo Erb. Linienbilder, 1968-1988. Saarbrücken 1988

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