Kulturinitiative 89 Und Das Erste Kulturwissenschaftliche Institut in Der DDR
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SYMPOSIUM CULTURE @ KULTUR Non research paper • DOI: 10.2478/sck-2019-0011 • Symposium • 2(1) • 2020 • 23–31 Kulturinitiative 89 und das erste kulturwissenschaftliche Institut in der DDR. Gespräch mit Dietrich Mühlberg. Interview mit Dietrich Mühlberg (DM) am 9.5.2019 in Berlin Bundesrepublik verhandelt. Honecker durfte nicht nach durch Françoise Knopper (FK) und Dorothee Röseberg (DR). Bonn fahren. Denn : Helmut Kohl hatte Gorbatschow mit Transkription : DR, Übersetzung ins Französische : FK Goebbels verglichen. Darum musste er auf Drängen Moskaus die Reise nach Bonn absagen. DR Die Kulturinitiative 89 wird in diesem 30. Jubiläumsjahr Und wir Ahnungslosen machten in dieser Situation eine des Mauerfalls ebenfalls 30 Jahre. Wir wollten gern wis- Tagung über Europa und den europäischen Charakter sen, was die Kulturinitiative 89 im Jahr 1989 war und was unserer sozialistischen Kultur. Ermuntert hatte uns, dass sie heute ist ? Sie gehören dem Gründungskomitee an ; wer nicht nur von der westdeutschen SPD eine Politik vertreten waren Ihre Mitstreiter ? wurde, die – wie wir meinten – auf Annäherung, Zusammen- DM Die Kulturinitiative 89 ist heute ein kleiner gemeinnüt- arbeit und eine mögliche Konföderation beider deutscher ziger Verein. Er ist hier in Berlin Ende der 1980er Jahre aus Staaten hinauslief. Wir machten also eine recht spannende einem Verbund von Kulturwissenschaftlern hervorgegan- Tagung, zusammen mit den „Problemräten“ für Kulturso- gen. In diesem Kreise waren wir schon zu Beginn der 80er ziologie und für internationale Kulturprozesse. Dafür wurden Jahre der Meinung, dass es nötig wäre, all diejenigen, die wir dann hart abgestraft. Bis hin zur Forderung, den Studi- auf unserem Gebiet studiert haben und dann im „kulturellen engang Kulturwissenschaft aufzulösen. Das mag auch mehr Leben“ arbeiteten, die promoviert waren, inzwischen lehrten eine Geste nach Moskau hin gewesen sein. Das konnte ich und forschten, sie alle in einem Verband zu vereinen – nachträglich nicht klären, obwohl ich mir im Bundesarchiv ähnlich den Künstlerverbänden. Wir wollten damit gemein- inzwischen alles angesehen habe, was die Kulturabteilung same Interessen geltend machen und die Kommunikation des ZK, was Kurt Hager und was Erich Honecker dazu unter uns verstetigen. Solchen Austausch hatten wir schon in notiert hatten. Es war jedenfalls recht dramatisch. Helmut einem Arbeitskreis Kulturtheorie (er nannte sich „Problemrat“), Hanke wurde rausgeworfen und sein Chef Hans Koch, an der war bei der Akademie für Gesellschaftswissenschaften der Gewi-Akademie (also der Akademie für Gesellschafts- beim ZK der SED (also beim Zentralkomitee der Sozialis- wissenschaften beim ZK der SED) verantwortlich für alle Kul- tischen Einheitspartei Deutschlands) angesiedelt. Ihn leitete turwissenschaften, beging Selbstmord. Solche Situationen der Kulturwissenschaftler Helmut Hanke, bis er 1986 nach schweißen zusammen. Zwar blieben danach einige weg, Potsdam strafversetzt worden ist. In diese Diskussionsrunde aber die meisten dachten, wir müssen weitermachen. Das kamen auch Kollegen aus Leipzig, wie Michael Hofmann und ging auch, denn Helmut Hanke wurde nur nach Babelsberg Lothar Parade. Aus Jena nahm Dieter Strützel teil, er war dort an die Filmhochschule versetzt, zu Lothar Bisky, der kurz an der Universität für Kulturwissenschaft „zuständig“. Von den davor dort als Rektor eingeführt worden war. Die Strafverset- in Leipzig ansässigen „Jugendforschern“ war Lothar Bisky zung war also nicht so schlimm. Auch ich wurde für meinen dabei, zuständig für Kultursoziologie. Wir kamen regelmäßig Vortrag nicht abgesetzt, doch es wurde eine Kommission zusammen und haben neben wissenschaftlichen Themen gebildet, die zu prüfen hatte, ob unser Studiengang nicht immer auch die politische Großwetterlage behandelt. besser aufgelöst werden sollte. DR Das war wann genau, im November 89 ? Das passte alles so gar nicht in die Zeit, geprägt von Reform- DM Unser Problemrat existierte seit den 1970er Jahren. debatten und neuen kulturpolitischen Ideen. Auch das führte Der Entschluss, einen eigenen Verband zu gründen, reifte dazu, dass wir in den 80ern so eine Art Berufsverband grün- mit den Jahren. Vor allem durch gemeinsame Veranstaltun- den wollten. Wir kannten die Kulturpolitische Gesellschaft im gen. Entscheidend war 1986. Da haben wir versucht, unsere Westen und unseren Kulturbund, der eine Dachorganisation Position in der europäischen Kultur zu bestimmen. Ein aller Arten von Kulturvereinen der DDR war – beides kein ungünstiger Zeitpunkt, denn es gab gerade Streit zwischen Modell für uns. Wir mussten etwas Eigenes erfinden, speziell Moskau und Honecker. Gorbatschow wollte verhindern, dass für Kulturwissenschaftler mit kulturpolitischen Ambitionen. die DDR auch auf „höchster Ebene“ eigenständig mit der (Ich bleibe hier etwas in der Sprache der Zeit, wenn ich die Open Access. © 2020 Dorothee Röseberg / Françoise Knopper, published by Sciendo. This work is licensed under the Creative Commons Attribution NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License. 23 SYMPOSIUM CULTURE @ KULTUR Non research paper • DOI: 10.2478/sck-2019-0011 • Symposium • 2(1) • 2020 • 23–31 männliche Form benutze ; selbstverständlich gehörten dazu mehreren Instituten Thema. Ich war der Koordinator auf mit den Jahren auch immer mehr Wissenschaftlerinnen.) DDR-Seite. Allerdings kannten wir uns alle schon länger. Seit Im September 89 haben wir angefangen unser Programm Mitte der 1970er Jahre gab es da Austausch, wechselseitige thesenartig zu skizzieren. Ein wenig vermischt mit unseren Einladungen zu Vorträgen und Tagungen. So kamen die Reformvorstellungen für den Studiengang Kulturwissen- Experten für Arbeiterkultur bereits im Juni 1985 in Paris zu schaft. Wichtig waren die Debatten über die Rechtsform einer „Zwischenbilanz“ für die Forschungen zu den 1920er unserer Gemeinschaft, es gab in der DDR ja kein Vereins- und 1930er Jahren zusammen. Eine der vielen Ost-West- recht. Aber zu unserem Kreis gehörte auch Dietmar Keller, Begegnungen. Für uns der Beginn einer Serie von Gemein- der damals stellvertretender Kulturminister war und der auch schaftsprojekten, die teils bis in die frühen 90er Jahre liefen. zu Neuerungen entschlossen war. Wir sind dann die ersten DR Können Sie Namen nennen ? gewesen, die beim Kulturministerium einen Antrag auf Ver- DM Da müsste ich eine ganze Reihe von Instituten einsgründung gestellt haben. aufzählen – von Tübingen und Marburg bis nach Biele- DR : Und das wurde genehmigt ? feld und Bremen. Wichtiger Partner hier in Berlin war die DM Es wurde genehmigt. Der Minister hatte selbst dazu Hochschule der Künste (HdK), die mit Ulrich Roloff-Momin geraten, und er gehörte ja zu unserer Runde. Dann ging es seit 1977 einen eher linken Präsidenten hatte. Der stand politisch hin und her, und es war nicht klar, wie wir uns nen- auch der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGbK) nen werden. Dies vor allem, weil inzwischen allenthalben vor, dem linken der beiden Westberliner Kunstvereine. An kulturpolitische Reformer sich meldeten und debattierten. der HdK hatten sie Anfang der 70er Jahre die Idee, eine Sollten wir die Kulturpolitische Gesellschaft nach west- zusätzliche Ausbildung für Künstlerinnen und Künstler zu deutschem Vorbild werden ? Vielleicht eine „Gesellschaft für machen, die ihnen ermöglichen sollte, auch in der kom- demokratische Kultur“ ? Schließlich kam es zu einem Grün- munalen Kulturarbeit mitzuwirken – als zweites Standbein. dungskongress mit mehreren hundert Teilnehmern, die alle Dafür hatten sie ab 1974 eine Finanzierung. Wir hatten reden wollten und demokratisches Mitwirken einforderten. 1964 unser Fernstudium Kulturwissenschaft begonnen und Als Kompromiss setzte sich durch, dass wir Kulturinitiative inzwischen einige Erfahrungen damit. Und so besuchte uns hießen. Und weil einer meinte, es müsste 1989 vorkommen, das ganze Team vom „Modellversuch Künstlerweiterbil- kam das Jahr dazu. Weil eine große Gruppe das forderte, dung“ – angereist im VW-Bus – zum Erfahrungsaustausch hießen wir schließlich Kulturinitiative 89 – Gesellschaft für über wissenschaftliche Zusatzausbildung von Praktikern. demokratische Kultur – so die offizielle Bezeichnung im Ver- Ein Kontakt, der über die Jahre für uns immer wieder wich- einsregister. Namen und Gemeinnützigkeit haben wir dann tig sein sollte. Bis hin zu ganz praktischen Dingen – wir auch in der Bundesrepublik behalten. ließen einen Tagungsband auf unsere Druckgenehmigung DR Ist das Gründungsdatum der 11. November 1989 ? herstellen, die Freunde von der HdK besorgten uns dafür DM : Das ist schwer festzulegen. Die ersten thesenartigen Disketten für unseren PC (der auch aus dem Westen war). Papiere habe ich im Oktober 1989 in unsere Runde gegeben, Die Ausstellung über Arbeiterfreizeit, mit der wir unser dann einige Vorschläge (vor allem die von Helmut Hanke) „Museum Arbeiterleben“ im Berliner Festjahr 1987 auf- eingearbeitet, am 6. November verteilt und auf den 11. Novem- gemacht haben, ging zuerst in die Bundesrepublik. Wir ber zu einer „Beratung über die mögliche Gründung einer kul- waren damit in Hannover und Bremen und schließlich waren turpolitischen Vereinigung in der DDR“ eingeladen. Allerdings die Ost-West-Beziehungen so weit, dass wir sie im Sommer in kleiner Runde – außer mir nahmen Lothar Bisky, Thomas 1989 sogar in West-Berlin zeigen konnten – eingeladen von Flierl, Horst Groschopp und Helmut Hanke teil. Da verständig- unseren Freunden. Ein wichtiger Nebeneffekt mit Zukunft – ten wir uns über die Motive der Gründung, über die Verfahrens- wie wir damals