Analysen & Alternativen in Memoriam JK 100

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Analysen & Alternativen in Memoriam JK 100 Monatliche Publikation, . herausgegeben von der 172 Februar 2005 Rosa-Luxemburg-Stiftung VorSatz 99 Essay MICHAEL BRIE Der Funken der Hoffnung im Vergangenen. In Erinnerung an den Herbst 1989 101 15 Jahre PDS WOLFRAM ADOLPHI PDS. Partei des Demokratischen Sozialismus Skizzen zu ihrer Geschichte 113 ROLF REISSIG Linkssozialistische Politik in Regierungsverantwortung 126 Gesellschaft – Analysen & Alternativen ULRICH BUSCH Ostdeutschland: Wirtschaftspolitische Optionen für 2005 bis 2019 135 In Memoriam Gundermann 50 147 MAX KOCH »Noch nie war so viel Ideologie wie heute«. Zu Sebastian Herkommers Buch: Metamorphosen der Ideologie 153 J. K. 100 JÖRG ROESLER Der Relativlohn. Jürgen Kuczynskis Instrument zur Einschätzung der Lage der arbeitenden Klassen 159 WOLFGANG GIRNUS Jürgen Kuczynski. Kolloquium zum 100. Geburtstag 166 Konferenzen & Veranstaltungen JAN REHMANN, MICHAEL WUTTKE »Eine epochale Leistung im Marxismus«. Workshop zur Marxismusrezeption des Historisch-Kritischen Wörterbuches 172 Festplatte WOLFGANG SABATH Die Wochen im Rückstau 178 Bücher & Zeitschriften Roland Haug: Putins Welt. Russland auf dem Weg nach Westen (SWR Schriftenreihe Grundlagen 5) (HORST SCHÜTZLER) 180 Peter von Oertzen: Demokratie und Sozialismus zwischen Politik und Wissenschaft, hrsgg. von Michael Buckmiller, Gregor Kritidis und Michael Vester (MICHAEL ROHR) 181 Résistances – mouvements sociaux – alternatives utopiques. Hommage à Jean Mortier (JÖRG ROESLER) 182 Günter Wirth: Auf dem »Turnierplatz« der geistigen Auseinandersetzungen. Arthur Liebert und die Kantgesellschaft (1918-1948/49) (KAI AGTHE) 184 Isabel Maria Loureiro: Rosa Luxemburg. Os dilemas da acão revolucionária (HARALD HILDEBRAND) 185 Mario Keßler: Arthur Rosenberg. Ein Historiker im Zeitalter der Katastrophen 1889-1943 (STEFAN BOLLINGER) 187 Heidi Behrens, Andreas Wagner (Hrsg.): Deutsche Teilung, Repression und Alltagsleben. Erinnerungsorte der DDR-Geschichte. Konzepte und Angebote zum historisch-politischen Lernen (HELMUT MEIER) 189 Summaries 190 An unsere Autorinnen und Autoren Impressum 192 VorSatz Die fürchterliche Flutkatastrophe in Asien und ihre verheerenden Folgen haben den Blick der Öffentlichkeit seit dem zweiten Weih- nachtsfeiertag auf sich gezogen und standen und stehen noch immer im Zentrum der Aufmerksamkeit. Opferzahlen, Vermißte, Seuchen- gefahr, ökologische Folgeschäden sind die Begriffe, die den Tenor medialer Berichterstattung widerspiegeln. So berechtigt die Fokus- sierung auf die entfesselten Naturgewalten und die von ihnen verur- sachte, ständig steigende Opferzahl ist, möchte ich mich einem anderen, stetig aus dem Fokus der medialen Aufmerksamkeit glei- tenden außenpolitischen Thema widmen: dem Irak. Abgesehen da- von, daß Opferzahlen, Vermißtenmeldungen, Seuchengefahren und ökologische Folgeschäden auch Bestandteil eines jeden Krieges sind – ich also das Vokabular an dieser Stelle kaum zu wechseln bräuchte –, vollziehen sich zwischen Euphrat und Tigris politisch bemerkenswerte Ereignisse. Im Irak sollen und werden am 30. Januar, also zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Heftes, die ersten unfreien Wahlen nach dem Sturz Saddam Husseins stattfinden. In dem vornehmlich von Sunni- ten bevölkerten Gebiet des Iraks herrscht ein Aufstand gegen die Be- satzungsmächte. Ganze Städte entreißen die Aufständischen den Besatzungsmächten, die diese dann in auf beiden Seiten Menschen- leben verschleißenden Offensiven zurückerobern, nur um zu errei- chen, daß sich zeitgleich andere Städte befreien, um anschließend zu neuen Kriegsgebieten zu werden. Falludscha, Ramadi, Bakuba sind nur einige Namen, die synonym für den Widerstand gegen eine Fremdherrschaft stehen. Der Irak konnte nach dem erfolgreichen Feldzug der Amerikaner und ihrer Alliierten gegen die Armee Sad- dam Husseins nicht befriedet werden. Militärisch bezwungen wurde nur das alte System, nicht die Iraker. Vor wenigen Wochen hat die größte sunnitische Partei ihren Ver- zicht auf die Teilnahme an den Wahlen verkündet. Die schiitische Be- völkerungsmehrheit im Irak verhält sich abwartend, erhofft sie sich doch durch die Wahlen die Übernahme der wichtigsten politischen Ämter des Iraks. Die Wahlen des 30. Januar, erdacht, um dem Be- satzungsregime zu Legitimität zu verhelfen, werden das Land ein weiteres Stück dem Bürgerkrieg entgegenführen. Dafür, daß sie den Charakter einer Farce tragen werden, sorgen die Ankündigungen von Anschlägen und Attentaten auf diejenigen Iraker, die sich am 30. Januar an die Wahlurne begeben. Um die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen zu verringern, werden 9 000 Wahllokale eingerich- tet, deren Vielzahl dazu dient, die Menschenmengen niedrig zu hal- ten und die geringst mögliche Angriffsfläche zu bieten. Dennoch werden diese Wahlen, gleichgültig wie sie ausgehen und wer sich als Sieger deklarieren wird, nur ein Ergebnis kennen: Die Wahlen führen, entgegen ihrer ursprünglichen Intention, zu einer Delegitimierung des Besatzungsregimes. Werden sie massiv und erfolgreich von den Aufständischen gestört, bedeuten sie in erster Linie eine Niederlage für die Vereinigten Staaten und ihre Absichten im Nahen Osten, da sie die Supermacht der Schwäche zeihen. Ver- laufen sie relativ ruhig, aber unter Ausschluß der Sunniten, wird sich eine von Schiiten dominierte politische Landschaft etablieren, die die Gräben tiefer reißt, die Spannungen wachsen und eskalieren läßt. Auf Kosten vieler Leben der Soldaten der Supermacht. Der Irak lehrt, daß eine vermeintlich allmächtige Armee nur dazu taugt, die Diktatoren und Demokraten der Welt zu schrecken und im Zaum zu halten, da sie um ihre Macht fürchten. Trifft sie auf ein wie auch immer geartetes, fanatisch verteidigtes Ideal, relativiert sich die Allmacht auf ein überschaubares Maß an Strafaktionen, Gewalt- einsatz gegen die Zivilbevölkerung und Gefangene, den illegalen Einsatz geächteter Waffensysteme, kurzum: den ganzen dreckigen Sumpf konventioneller Kriegsführung. Für den 23. Februar ist ein Besuch George W. Bushs in Deutsch- land vorgesehen. Ein Anlaß, der sich hervorragend eignet, zu de- monstrieren. Gegen den ganzen dreckigen Sumpf von dessen höchst konventioneller Politikführung. Gegen seinen militärisch fundierten Lobbyismus, gegen seine auf eine religiöse Ebene gehobene Kriegs- erklärung an die Aufklärung, gegen die Verdunkelung der abendlän- dischen und morgenländischen Vielfalt, gegen die Vereinheitlichung des Denkens in so schlichte Kategorien wie Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Christentum und Islam. Es gilt, das politische System zu delegitimieren, das mutwillig militärische Katastrophen herbeiführt, die ähnlich hohe Opferzahlen fordern wie die Flutwelle in Asien. MARTIN SCHIRDEWAN UTOPIE kreativ, H. 172 (Februar 2005), S. 101-112 101 MICHAEL BRIE Der Funken der Hoffnung im Vergangenen. In Erinnerung an den Herbst 1989 Der heimliche Index der Geschichte Die folgende »Erzählung« von Geschichte ist bewusst parteiisch. Sie erinnert nicht, was »in Wirklichkeit« gewesen ist, sondern sieht sich Walter Benjamins Forderung nach einer historisch-materialistischen Geschichtsschreibung verpflichtet, die sich nicht vom Konformismus überwältigen lässt, sich nicht in die Sieger »einfühlt«1, sondern ver- sucht, »im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen«. Es geht immer um die Befreiung, es geht um das »Messianische« in der Gegenwart, es geht darum, »das Kontinuum der Geschichte« aufzu- sprengen2 und die Chancen für eine soziale und demokratische Trans- formation, für eine Emanzipation von Kapitaldominanz, Patriarchat und imperialer Herrschaft freizusetzen. Noch einmal Walter Benja- min: »Die jeweils Lebenden erblicken sich im Mittag der Geschichte. Sie sind gehalten, der Vergangenheit ein Mahl zu rüsten. Der Histori- Michael Brie – Jg. 1954, ker ist der Herold, welcher die Abgeschiedenen zu Tische lädt.«3 Prof. Dr., Philosoph, stell- Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, Geschichten wie die fol- vertretender Vorsitzender genden zu erzählen. Der Abstand zu 1989 beträgt schon fünfzehn der Rosa-Luxemburg- Stiftung; zuletzt in UTOPIE Jahre. Wie lang dies ist, verdeutlicht der Umstand, dass fünfzehn kreativ: Welcher Marxismus Jahre nach der Novemberrevolution von 1918 die Macht in Deutsch- und welche Politik? Heft land durch die herrschenden Eliten schon fast ein Jahr an Hitler und 165/166 (Juli/August 2004) die NSDAP übergeben worden war. Und fünfzehn Jahre nach dem Foto: privat Ende des II. Weltkrieges, 1960, standen die neuen Probleme der Nachkriegsordnung im Zentrum, die in der Kuba-Krise und dem Gekürzte Fassung eines Vortrages, der am 6. No- Bau der Berliner Mauer mühsam gebändigt wurden. Es wäre zu hof- vember 2004 im Haus der fen, dass der historische Abstand mehr Souveränität erlaubt, als dies Geschichte Leipzig gehalten unmittelbar nach 1989 möglich war, in Zeiten, da die Geschichte des wurde. Der vollständige ist Staatssozialismus Hauptwaffe politischer Kämpfe war. Jetzt könnte publiziert in: Klaus Kinner es auch möglich sein, jenen »heimlichen Index« aufzuspüren, durch (Hg): Unabgegoltenes im den diese Vergangenheit »auf die Erlösung verwiesen wird«4. Kommunismus. Der Funken Hoffnung im Vergangenen, Rosa-Luxemburg-Stiftung Das Ende Sachsen, Leipzig 2004. Das Ende wirft Licht auf das Ganze. Es ist Vollendung und Abbruch. Mit dem Ende zu beginnen, heißt, Bilanz zu ziehen. Anfänge sind 1 Walter Benjamin: [Aus voller Unklarheit. Es können nur Prognosen mit einem bestimmten dem Passagen-Werk. Grad an Wahrscheinlichkeit getroffen werden. Sie stehen im Mor- Erkenntnistheoretisches. genlicht großer gespannter Erwartungen. Vor jedem Ende kann es Theorie
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