SPD – 04. WP Fraktionssitzung: 06. 11. 1962

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6. November 1962: Fraktionssitzung

AdsD, SPD-BT-Fraktion 4. WP, Ord. 25.௔10. 62 – 11.௔12. 62 (alt 1032, neu 7). Überschrift: »Protokoll der Fraktionssitzung am Dienstag, 6. November 1962, Beginn 11.15 [Uhr], Vorsitz: «. Anwesend: 163 Abgeordnete. Prot.: Niemeyer. Zeit: 11.15 – 14.00 Uhr.

Erich Ollenhauer eröffnet die außerplanmäßige Sitzung, die der Information der Frak- tion über die Aktion gegen den »Spiegel«1 und der Vorbereitung unserer weiteren Schritte in dieser Frage dienen soll. berichtet über die bis jetzt bekanntgewordenen Vorgänge der Justizaktion gegen den »Spiegel« und über die Stellungnahmen der Partei, die in den letzten Tagen zu diesem Komplex abgegeben wurden.2 Unabhängig von der Klärung der Frage des Landesverrates sind die bei dieser Aktion angewendeten Methoden genau zu prüfen. Eine Reihe von Fraktionsmitgliedern hat daher 18 Dringlichkeitsfragen für die Fragestunde eingereicht.3 Um nicht dem Vorwurf eines Eingriffes in ein schwebendes Verfahren ausgesetzt zu werden, wurde die rechtli- che Würdigung des möglichen Tatbestandes zunächst bewußt ausgeschlossen. Das weitere Vorgehen soll von dem Ergebnis der Fragestunde abhängig gemacht werden, die für den 7. November angesetzt ist.4

1 Über Ablauf und Anlaß der Maßnahmen gegen den »Spiegel« vgl. bes. ausführlich SEIFERT, Spiegel- Affäre I, S. 56 ff.; David SCHÖNBAUM, »Ein Abgrund von Landesverrat«. Die Affäre um den »Spie- gel«, Wien-München-Zürich 1968; Joachim SCHOEPS (Hrsg.), Die Spiegel-Affäre des Franz Josef Strauß, 1983. Für eine zeitgenössische Bewertung vgl. Theodor ESCHENBURG, Die Affäre. Eine Analyse, Hamburg 1962. Für eine Übersicht und zu den Hintergründen siehe SCHWARZ, Ära Adenauer 1957-1963, S. 261-272. 2 Vgl. besonders die Verlautbarung des SPD-Präsidiums vom 29. 10. 1962 »zu den Maßnahmen« gegen den »Spiegel«; abgedr. in JAHRBUCH SPD 1962/63, S. 515; SEIFERT, Spiegel-Affäre I, S. 250 f. Zuvor hatte schon Wehner am 27. 10. für die SPD eine Erklärung abgegeben, in der er u. a. ein entschiedene- res Vorgehen gegen den Informanten im BMVtdg forderte. Die Maßnahmen erweckten zunächst den Eindruck, als sei eine »nach unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarende Aktion geführt worden«; Wortlaut in SPD-Pressemitteilungen Nr. 289/62 vom 29. 10. 1962. Zur Beurteilung dieser Stellungnahmen der SPD vgl. SOELL, Erler II, S. 736 f. und S. 1036 (Anm. 183). 3 Von diesen gemäß § 111 der GO eingereichten Anfragen betrafen 3 den Geschäftsbereich des BMI, 9 den des BMJ, 5 den des BMVtdg und 1 den des BM für das Post- und Fernmeldewesen. Fragesteller waren Arndt (mit 3 Fragen), Erler (2), Jahn (1), Mommer (3), Schäfer (3), Schmitt-Vockenhausen (3) und Wittrock (3); Wortlaut in BT Anl. 81, Drs. IV/708. Bei SOELL, Erler, S. 1037 (Anm. 189) heißt es irrtümlich, Erler habe in dieser Fraktionssitzung von 17 Fragen gesprochen. – Die von Schmitt- Vockenhausen gestellte Frage II, 6, warum der amtierende Generalbundesanwalt den BMJ »nicht persönlich« vor Einleitung der »Verhaftungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen« aufgesucht habe, zog der Fragesteller zurück. BT Sten. Ber. 51, S. 1760. 4 Zum Ablauf dieser Fragestunde am 7. 11. 1962, in der nur die ersten 10 der von der SPD gestellten Fragen zur Sprache kamen, siehe BT Sten. Ber. 51, S. 1949-1963. – Die am 7. 11. unterbrochene Erör- terung der Frage II, 7 (Wittrock) wurde am 8. 11. fortgesetzt; ebd., S. 2013-2021. Anschließend wur- den die Fragen II, 8 und 9 und III, 1 und 2 behandelt, ebd. S. 2021-2026. Die begonnene Erörterung der Frage III, 3 wurde am 9. 11. beendet, anschließend Frage III, 4 behandelt. Die Frage III, 5 (Schmitt-Vockenhausen) wurde zurückgezogen und danach kam die Frage IV (Schäfer) zur Sprache; ebd. S. 2075-2086.

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Karl Wittrock ergänzt den Bericht mit einer Erklärung über die Vertagung des Rechts- ausschusses. Die SPD-Mitglieder im Rechtsausschuß haben der Vertagung widerspro- chen. Der Antrag der CDU auf Vertagung wurde bei Stimmengleichheit abgelehnt.5 Franz Marx verweist auf die außerordentliche Erregung in der Öffentlichkeit. Wir sollten daher deutlich sagen, daß diese Angelegenheit auch durch einen Untersuchungs- ausschuß geklärt werden wird. Marx betont, daß in der Öffentlichkeit auch eine Ver- bindung der Spiegel-Affäre mit der Notstandsgesetzgebung gesehen wird.6 Lucie Beyer meint, es müßte deutlich werden, daß die Fragestunde nur ein erster Schritt in der Behandlung dieser Angelegenheit sein kann. Das sei auch im Hinblick auf die politische Diffamierung der Partei in der Vergangenheit nötig. Sie habe den Ein- druck, daß die Fibag-Debatte7 für uns einen unguten Ausgang gehabt hätte. Die Spie- gel-Affäre habe eine große Resonanz in der Öffentlichkeit. Daher sei nun die Frage nach dem Handeln der Opposition besonders dringend. Gegen einen Untersuchungs- ausschuß müsse sie allerdings große Bedenken erheben. Dennoch sei eine Klarstellung wichtig, um herauszubringen, wer hinter dieser Aktion stehe. Es müsse hier geklärt werden, welche Möglichkeiten dazu bestehen. räumt ein, daß es im Augenblick leider nur die Möglichkeit der Frage- stunde gäbe. Dies reiche jedoch nicht aus, da die Geschäftsordnung dem Fragesteller Grenzen setze. Bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen sei Vorsicht gebo- ten. Die Regierung kann mit Mehrheit beschließen, was Wahrheit ist. Wir müßten da- her mit den Mitteln, die wir haben, eine Debatte suchen. Dies könne anläßlich der Haushaltsdebatte geschehen oder über die Einbringung von Anfragen erreicht werden. Es sei sehr schwierig, die Frage zu klären, wer hinter dieser Aktion steht. In gewisser Weise sei es allerdings notwendig, in ein schwebendes Verfahren einzugreifen, da die Bundesanwaltschaft offensichtliche Fehler mache. Ulrich Lohmar berichtet über eine Podiumsdiskussion in Hamburg.8 Es müsse alles vermieden werden, was in diesem Zusammenhang den Eindruck einer operettenhaften Atmosphäre mache. Nachdem die FDP sich gefügt habe9, bestehe er nicht auf der von

5 Die Einberufung des Rechtsausschusses war zuvor von Arndt und Jahn gefordert worden; vgl. SEI- FERT, Spiegel-Affäre I, S. 250; SPD-Pressemitteilungen Nr. 287/62 und 292/62 vom 29. 10. 1962. Gerstenmaier hatte jedoch zunächst seine Einwilligung versagt. »Sitzung des Präsidiums am 29. 10. 1962«, AdsD, Präsidium vom 8. Januar 1962 bis 8. Juli 1963. Schreiben von Walter Menzel an Mom- mer vom 5. 11. 1962, AdsD, IV BT Protokolle Fraktionsvorstand A, B 1020. Zur Vertagung der Sit- zung des Rechtsausschusses am 6. 11. siehe »Die SPD-Fraktion teilt mit« Nr. 292/62 und 293/62 vom 6. 11. 1962. 6 Zur Reaktion der Öffentlichkeit vgl. vor allem die Dokumentation und Darstellung bei SEIFERT, Spiegel-Affäre II. 7 Gemeint ist die Debatte am 25. 10. 1962 über den 2. Bericht des sog. Fibag- Untersuchungsausschusses; vgl. Nr. 29, TOP 20 und Nr. 30, TOP 1. 8 Die zunächst für den 31. 10. in der Hamburger Universität angesetzte Podiumsdiskussion konnte wegen des großen Andrangs nicht abgehalten werden; sie fand unter Leitung von Prof. Dr. Eugen Kogon dann am 1. 11. statt. Vgl. dazu SEIFERT, Spiegel-Affäre I, S. 253 und II, S. 158 und 170. Text- auszüge der Hamburger Podiumsdiskussion veröffentlicht in: »Die Zeit« vom 9. 11. 1962. 9 Am 2. 11. hatten Parteivorstand und Bundestagsfraktion der FDP in ultimativen, bis zum 5. 11. 1962 befristeten Forderungen u. a. verlangt: 1. Rücktritt der Staatssekretäre Volkmar Hopf (BMVtdg) und Walter Strauß (BMI), 2. Betrauung von BMJ Stammberger mit einer Untersuchung der Spiegel- Aktion, 3. strafrechtliches Vorgehen gegen Personen, die bei dieser Aktion rechtsstaatliche Normen verletzt hätten. In einer Besprechung am 5. 11. zwischen Vertretern der CDU/CSU und der FDP- Fraktion unter dem Vorsitz Adenauers wurde die Koalitionskrise durch ein Zurückstecken der FDP zunächst beigelegt. In dem Kommuniqué hieß es, BMJ Stammberger bestehe nicht mehr auf einem

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Kogon10 und ihm erhobenen Forderung nach Einsetzung eines Untersuchungsaus- schusses. In der Öffentlichkeit bestünden starke Zweifel an der Integrität der Aus- schüsse. Es herrsche vielfach die Meinung, im Parlament würde nur geredet, an den Tatbeständen würde sich jedoch nichts ändern. Das Wirken der Opposition bliebe ohne Erfolg. Daher wäre es jetzt besser, über eine Große Anfrage eine Debatte zu er- zwingen. Werner Jacobi befürchtet, daß das Interesse an dieser Angelegenheit abflauen könnte. Man sollte daher nicht nachlassen, diese Dinge zu kritisieren. Die Opposition habe das Recht und die Pflicht zur Besorgnis. Jede offiziöse Stellungnahme zum Notstandsge- setz11 solle im Augenblick besser unterlassen werden. Die polizeistaatlichen Methoden sollten angeprangert werden. Jacobi hält einen Untersuchungsausschuß nicht für sinn- voll. Es sei jetzt Aufgabe des Parlamentes, über diese Aktion zu sprechen. Je nach dem Ausgang der Fragestunde müßten eine oder mehrere Große Anfragen eingebracht wer- den. Wir sollten den Mut haben, die Beteiligung der SPD am Widerstand gegen Terror- Regime klarer hervorzuheben. Rudi Heiland verweist auf die Problematik des Landesverratsbegriffes. Es sei eine Fra- ge, wer bestimmt, was Landesverrat ist.12 Politisch Unbeliebte könnten leicht über solche Methoden zur Strecke gebracht werden. Bemerkenswert sei, daß ein ähnlicher Artikel in der »Deutschen Zeitung«13 nicht belangt würde. Heiland sieht die Rechts- und Freiheitsgrundlage in Gefahr. Max Brauer hält die Kritik, die Lucie Beyer an der Rede von anläßlich der Fibag-Debatte geübt hatte, für unberechtigt. Der Abg. Benda habe bewußt in die Fibag-Debatte die Frenzel-Affäre hineingebracht.14 Es sei ungeheuerlich, daß die SPD immer wieder als politisch unzuverlässig hingestellt werden soll. Die Spiegel-Aktion habe zu einer Welle von Empörung geführt und die stärkste politische Erregung seit 1949 hervorgerufen. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sollten wir uns

Rücktrittsgesuch, Hopf sei auf seinen Antrag hin »bis auf weiteres« beurlaubt, Walter Strauß solle von seinen Aufgaben als Staatssekretär des BMI »entbunden« und die »bisherige Koalition unverän- dert fortgesetzt« werden. Vgl. SEIFERT, Spiegel-Affäre I, S. 199 f. (Darstellung), S. 253 und 255 f. (Chronik). 10 Eugen Kogon (2. 2. 1903-24. 12. 1987), Professor für Politische Wissenschaften, Mitherausgeber der »Frankfurter Hefte«. Er leitete die Podiumsdiskussion in Hamburg am 1. 11. 1962. Vgl. SEIFERT, Spiegel-Affäre I, S. 253 und II, S. 158 f. und 170. 11 Zur Vorlage des sog. Höcherl-Entwurfs am 31. 10. 1962 siehe Nr. 29, Anm. 7. 12 Zur Einführung der Landesverratsbestimmungen mit den Gesetzen zum politischen Strafrecht in den Jahren 1949-1951 siehe SCHIFFERS, Bürgerfreiheit, bes. die im Register unter »Landesverrat« ausge- wiesenen Stellen. Zur Problematik der Differenzierung zwischen sog. »gemeinen« (durch Agenten und Spione) und sog. »publizistischen« Landesverrat vgl. SEIFERT, Spiegel-Affäre II, S. 144 f., 213 f., 255 f.; zur Beurteilung aus Sicht eines SPD-Politikers bes. , Der publizistische Landesverrat, in: »Neue Juristische Wochenschrift«, 16. Jg., 10. Jan. 1963, H. 1/2. 13 Gemeint ist der Artikel: »Ergebnis der NATO-Stabsübung: Chaos bei Überraschungsangriff. Fallex 62 offenbart große Mängel in der deutschen Notstandsplanung«, in: »Deutsche Zeitung« 29. 9. 1962. 14 (geb. 1925), MdB (CDU) 1957-8. 12. 1971, hatte am Schluß seiner Ausführungen am 25. 10. 1962 kurz auf die Frenzel-Affäre angespielt; BT Sten. Ber. 51, S. 1890. – Herbert Wehner äu- ßerte sich daraufhin in einem längeren Redebeitrag zu dem Frenzel-Komplex, in dem er sich scharf gegen die »Kampagne« verwahrte, die SPD als Helferin des »Treibens« dieses »Mannes« zu verun- glimpfen und sie als eine »landesverräterische Partei« abzustempeln; ebd., S. 1905-1911, bes. S. 1906 f. und 1911. – Alfred Frenzel (1899-1968), MdB (SPD) 1953-1960, war 1960 wegen Spionageverdachts festgenommen und 1961 wegen Landesverrats zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Vgl. AdG 1960, S. 8733 und 1961, S. 9065.

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noch vorbehalten. Vor einem solchen Ausschuß sollten die Staatssekretäre aussagen, wer sie zu ihrem Tun veranlaßt hat. Peter Jacobs wendet sich gegen die Verdächtigungen, die der CSU-Abgeordnete Zim- mermann gegen die Opposition erhoben hat.15 Er schlägt vor, Gegenanzeige zu erstat- ten wegen evtl. Geheimnisverrates, der durch Meldungen an die spanische Polizei oder durch Äußerungen von Verteidigungsminister Strauß in der Öffentlichkeit begangen wurde. Heinrich Ritzel meint, man könne sich eine Große Anfrage sparen, wenn man eine ausführliche Haushaltsdebatte auch über die gesamte Politik der Regierung führen würde. Ritzel hat unter den heutigen Verhältnissen große Bedenken, der Notstandsge- setzgebung zuzustimmen. Erwin Lange bezweifelt die Wirksamkeit von Untersuchungsausschüssen. Entschei- dend sei aber die Frage der Verfassungsbeugung oder des Verfassungsbruchs. Die Ver- antwortlichen sollten unter Verfassungsklage gestellt werden. Es müsse den Juristen überlassen bleiben, zu prüfen, welche Möglichkeiten dazu vorhanden sind. Lange hält es nicht für gut, die Fibag-Debatte mit dieser neuen Affäre zu verknüpfen. Die Not- standsdebatte dürfe nicht ausschließlich mit der Spiegel-Affäre verbunden werden. Gerhard Koch äußert, daß Staatssekretär Hopf16 von seiner Unzuständigkeit gewußt, aber unter dem Einfluß von Minister Strauß gehandelt habe. Ein Untersuchungsaus- schuß sei nicht der Weisheit letzter Schluß. Das weitere Vorgehen müsse sich jedoch nach dem Ausgang der Fragestunde richten. Holger Börner richtet starke Bedenken gegen Verteidigungsminister Strauß, der trotz schwerer Vorwürfe nicht zurückgesteckt habe. Dies beweise das Auftreten von Strauß in der Fibag-Debatte. In der Haushaltsdebatte sollte die zentrale Frage der Bedrohung des Grundgesetzes behandelt werden. Börner verlangt auch eine bessere Sicherung der Mitglieder des Verteidigungsausschusses. Erich Ollenhauer verweist auf den Minderheitsbericht in der Fibag-Debatte. Es sei ein Fraktionsbeschluß gewesen, in der Fibag-Debatte auf die Frenzel-Frage einzugehen, wenn sie von der Gegenseite angesprochen wird.17 Dies sei geschehen. Strauß habe vor dem Parlament zugeben müssen, daß die Angelegenheit Frenzel in Berlin 195718 nichts

15 (geb. 1925), MdB (CSU) seit 1957, Generalsekretär der CSU 1956-1965, Schatzmeister 1963-1967, 1965-1972 Vors. des Verteidigungsausschusses. Gemeint sein dürfte die Reaktion Zimmermanns auf den Appell der Gruppe 47 vom 31. 10. (bei SEIFERT Spiegel-Affäre II, S. 382), den er »fast« als »Anstiftung zum Landesverrat« bezeichnete, ebd., S. 177; »Die Welt« vom 31. 10. 1962. 16 Volkmar Hopf (geb. 1906), 1959-1964 Staatssekretär im BMVtdg, 1964-1971 Präsident des Bundes- rechnungshofes. 17 Ein förmlicher Fraktionsbeschluß wird in dem betr. Prot. der Sitzung vom 25. 10. 1962 nicht er- wähnt. Wehner berief sich zu Beginn seiner Plenarrede am 25. 10. darauf, er habe »meiner Fraktion, als davon gesprochen wurde, hier werde der Fibag-Bericht diskutiert, gesagt, daß ich mir vorbehalten wolle, wenn hier das Stichwort ›Frenzel‹ fällt, dazu zu sprechen«. Vgl. BT Sten. Ber. 51, S. 1905 f., 1908-1910. 18 1957 hatte es Hinweise gegeben, daß Frenzel anläßlich einer Bundestagssitzung in Berlin mit einer angeblichen Agentin der DDR gesprochen habe, dann den anderen sagte, daß er kein Agent sei. Vgl. »Sitzung des Präsidiums am 3. 9. 1962« und »am 10. 9. 1962«, AdsD, Präsidium vom 8. Januar 1962 bis 8. Juli 1963. In seiner Plenarrede vom 25. 10. 1962 erklärte Wehner, diese »Wahrnehmungen« von 1957 hätten mit der »Landesverratssache Frenzel nichts zu tun«. BT Sten. Ber. 51, S. 1909.

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mit Landesverrat zu tun hatte.19 Herbert Wehner habe daher recht gehabt, wenn er diese falschen Behauptungen aus der Welt geschaffen hat. Die Situation nach der Akti- on gegen den »Spiegel« sei nicht klar. Von bestimmter Seite werden Versuche unter- nommen, um die SPD in die Nähe des Landesverrates zu bringen. Die Reaktion in der Öffentlichkeit sei an sich gut. Die Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit dürfen nicht abgewertet werden. Unser weiteres politisches Verhalten werde eine Vorklärung durch die bevorstehende Fragestunde erfahren. Entscheidende Tatbestände könnten erst spä- ter behandelt werden. Die Generaldebatte des Haushalts könne aber an dieser Angele- genheit nicht vorbeigehen. Daher sollten wir unsere politische Verantwortlichkeit her- ausstellen und alle Möglichkeiten des weiteren Vorgehens wie Anfragen oder auch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses offen lassen. Die Fragestunde sei nur ein erster Anfang.20 Die Frage der Notstandsgesetzgebung dürfe man nicht so einfach im Zusammenhang mit der Spiegel-Affäre behandeln. Dieser Komplex müsse sehr genau geprüft werden. Wir könnten die Notstandsgesetzgebung nicht einfach ablehnen. Zur Frage der Geheimhaltung im Verteidigungsausschuß meinte Erich Ollenhauer, daß Vorschläge im Gespräch seien und alle Formen der Sicherheit gewahrt werden soll- ten.21 Hans-Jürgen Junghans äußerte sich zu der zwielichtigen Person des Herrn von der Heydte22, der sich in der Vergangenheit schon mehrmals gegen die parlamentarische Demokratie gewendet habe. Junghans fragt, ob auch das nicht Vorbereitungen zum Hochverrat sein können. Kahn-Ackermann kritisiert die Auslegung des Begriffes Landesverrat durch das Ver- teidigungsministerium. Es sei unerträglich, daß über die Sicherheit des Staates Leute wachen, die diese Aufgaben schon in früheren Zeiten gehabt haben.23

19 Strauß ging in seiner Rede am 25. 10. zwar auf den Fall Frenzel ein (BT Sten. Ber. 51, S. 1915 f.), äußerte sich aber expressis verbis nicht in dem obigen Sinne. Strauß hatte bei einem Empfang in Schloß Brühl am 24. 10. 1962 gegenüber C. Schmid und in Anwesenheit von weiteren SPD- Vertretern und dem Journalistenehepaar Schulze-Vorberg gedroht, »daß auf die SPD etwas zukom- me, was noch schlimmer sei als der Fall Frenzel« und »die Bombe« in etwa 4 Wochen platze und da- bei die Namen , Stefan Thomas (Leiter des Ostbüros der SPD) genannt. Siehe »Sitzung des Präsidiums am 29. 10. 1962 (Ausführungen Wehner, C. Schmid und Kahn-Ackermann), AdsD, Präsidium vom 8. Januar 1962 bis 8. Juli 1963. 20 Für jeden der Fragesteller von der SPD-Fraktion war eine Reihe von Zusatzfragen vorbereitet und im Fraktionsvorstand am 6. 11. besprochen worden. Vgl. »Protokoll der Vorstandssitzung am Diens- tag, d. 6. 11. 1962«, AdsD, IV BT Protokolle Fraktionsvorstand A, B 1020; SOELL, Erler II, S. 1037 (Anm. 194). 21 Nach dem in der vorigen Anm. zitierten Prot. erhielt Mommer vom Fraktionsvorstand »für die bevorstehenden Besprechungen über eine Geheimschutzordnung im den Auftrag, streng- ste Regelungen zu befürworten«. – Erst am 28. 6. 1964 erfolgte im Zusammenhang mit einer Geheim- schutzordnung des Bundestages auch eine Neuregelung über die Geheimhaltung bzw. Vertraulich- keit von Ausschußberatungen. Vgl. DATENHANDBUCH 1949-1982, S. 887. 22 Friedrich August Freiherr von der Heydte (geb. 1907), Professor für Öffentliches Recht in Würzburg und seit 22. 10. 1962 Brigadegeneral d. Reserve. Zur Kritik an seinen Vorstellungen und Aktivitäten vgl. die Titelgeschichte in »Der Spiegel« Nr. 47 vom 21. 11. 1962: »Von der Heydte«, S. 55-66. Von der Heydte hatte den »Spiegel« schon am 1. 10. und erneut am 11. 10. bei der Bundesanwaltschaft wegen »Landesverrat und landesverräterischer Fälschung« angezeigt. dpa hatte am 29. 10. gemeldet, daß Heydtes Anzeigen die Aktionen ausgelöst hätten. Heydte bestätigte am 2. 11. 1962, daß er die Anzeigen erstattet habe. Vgl. SEIFERT, Spiegel-Affäre I, S. 77 f., 236 f., 251, 255. 23 Es ist nicht zu klären, ob Kahn-Ackermann auf Kriminalrat Theo Saevecke, den Leiter des Referats »Hoch- und Landesverrat« bei der Sicherungsgruppe , einen früheren SS- Obersturmbannführer, anspielt. Zum Fall Saevecke vgl. SEIFERT, Spiegel-Affäre I, S. 195 und II, S. 328. Anfänglich bestand zunächst der Verdacht, daß der mit der Begutachtung des betr. Spiegel-

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Herbert Wehner befaßte sich in seinen Ausführungen mit der politischen Einschätzung der Lage. Er glaubt, daß die CDU/CSU Außergewöhnliches tun müsse, da sonst klar würde, daß die SPD regierungsfähig sei. Die Situation verlange eine nüchterne Betrach- tung. Sehr wahrscheinlich würde die gesamte Aktion auf ihre Initiatoren zurückschla- gen. Aber noch sei die Situation sehr undurchsichtig. Wir könnten es uns daher nicht erlauben, mit Vermutungen zu argumentieren. Wehner gibt im einzelnen einen Bericht über die Hintergründe zu unseren Stellungnahmen in der Spiegel-Affäre. In der ersten Lesung des Haushalts sollten die Hauptpunkte dieser Affäre behandelt werden, evtl. auch später in einem Untersuchungsausschuß. Auch Wehner meint, daß die Klärung der Frenzel-Angelegenheit während der Fibag-Debatte unumgänglich gewesen sei. Der Vorsitzende unterbricht die Debatte, die nach Ablauf der Fragestunde weiterge- führt werden soll.24 Die nächste Sitzung des Fraktionsvorstandes wird am Mittwoch, d. 7.௔11. um 13.00 Uhr stattfinden. Die nächste Fraktionssitzung ist am gleichen Tage um 15.00 Uhr. Ende der Sitzung um 14.00 Uhr R. Niemeyer

Artikels beauftragte Beamte im Verteidigungsministerium früher einen hohen SS-Rang bekleidet ha- ben sollte. Darauf bezog sich die Frage III, 5 der SPD (vgl. Anm. 4) nach dem Beamten im Verteidi- gungsministerium, »der Gutachten« über den betr. Spiegel-Artikel »in bezug auf einen möglichen Landesverrat erstattet hat«. Diese Anfrage wurde zurückgezogen, wahrscheinlich weil der FDP-Abg. Kohut am 8. 11. in Zusatzfragen direkt den SS-Rang des begutachtenden Beamten angesprochen hat- te; BT Sten. Ber. 51, S. 2024 f. Möglicherweise bezog sich Kahn-Ackermann aber auch auf die im März 1962 erfolgte Berufung von Wolfgang Fränkel zum Generalbundesanwalt. Wegen seiner be- kannt gewordenen Rolle in der NS-Justiz schied er im Juli 1962 wieder aus dem Amt. 24 Ein Prot. über die Fortsetzung der Fraktionssitzung ist nicht in den Akten.

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