Vorwort Preface

Im November 1909 hatte Franz Schreker im By November 1909 Franz Schreker had an Wiener Musikleben schon ein klares Profil established profi le on Vienna’s musical hori- gewonnen: Man kannte ihn als kreativen und zon. He was known as a creative and inspiring anregenden Lehrer, als guten Organisator und teach er, an energetic organizer, and a talented als talentierten Dirigenten – der von ihm neu conductor (his recently founded Philharmonic gegründete Philharmonische Chor hatte zuvor Chorus had given its fi rst concert earlier that in diesem Jahr sein Debut im Konzertsaal ge- year). Nearly a decade after his concert debut geben. Fast ein Jahrzehnt nach seinem ersten Schreker was also a known quantity as a com- öffentlichen Konzert war Schreker in Wien auch poser. In 1900 this student of Robert Fuchs had als Komponist schließlich ein Begriff. Im Jahr graduated with distinction from the Vienna Con- 1900 hatte der damalige Schüler von Robert servatory, where his setting of Psalm 116 for Fuchs sein Studium am Wiener Konservatori- a three-part women’s chorus and orchestra had um erfolgreich beendet; seine Vertonung des been the featured work of the commencement 116. Psalm für dreistimmigen Frauenchor und concert. Just eight months later Ferdinand Löwe Orchester war das Glanzstück im Abschlußkon- performed the same work in the concerts of the zert. Schon acht Monate später führte Ferdinand Gesell schaft der Musikfreunde, where it earned Löwe das Werk bei einem Gesell schafts konzert the composer the praise of both Eduard Hans- im Musikverein auf, wo es den Komponisten den lick and Max Kalbeck. Performances of other Beifall der Kritiker Eduard Hanslick und Max works followed, including a concert presenta- Kal beck gleichermaßen einbrachte. Aufführun- tion of his fi rst , Flam men, in 1902, but gen von anderen Werken Schrekers folgten, dar- Schreker was slow to develop an independent unter 1902 die konzertante Wiedergabe seiner compositional style. In 1921 he recalled the te- ersten Oper . Schreker war jedoch kein nor of the critical reception of his early works: Komponist, der rasch einen unabhängigen Per- “Words such as ‘conventional,’ ‘pleasing,’ ‘ec- sonalstil entwickelte. 1921 erinnert er sich, mit lectic’ embittered me – precisely because I knew welchem Grundtenor seine frühen Stücke bei they were justifi ed.” der Kritik aufgenommen worden waren: Worte wie „konventionell“, „gefällig“, „eklektisch“ erbitterten mich – gerade darum, weil ich ihre Berechtigung empfand. Im Jahr 1908 war ihm dann schließlich By 1908, however, Schreker had found doch der Durch bruch gelungen: Die Premiere his voice, and the premiere of his pantomime von Der Geburtstag der Infantin, einer Tanzpan - Der Geburtstag der Infantin, written for the to mime für die Schwestern Wiesen thal, wurde Wie senthal sisters, was an unqualifi ed success. zu einem uneingeschränkten Erfolg. Im darauf- The next year he signed a general contract with folgenden Jahr schloß er mit der Universal Edi- Universal Edition, and there were prospects that tion einen Generalvertrag ab, und es bestanden the major project of these years, the still un- nun Aussichten, daß sein Hauptprojekt dieser fi nished opera, , might at last Jahre, die noch immer unfertige Oper Der ferne receive a hearing. It was with Der ferne Klang Klang, endlich Gehör fi nden würde. Als Oskar in mind that Schreker seized upon Os kar Ned- Ned bal ein neues Stück zur Aufführung in sei- bal’s request for a new work for the concerts of nen Konzerten mit dem Tonkünstler-Orchester his Tonkünstler Orchestra and offered him the suchte, griff Schreker zu und bot ihm das sym- premiere of the symphonic interlude from Act phonische Zwischenspiel aus dem 3. Akt dieser III of his opera. Nothing Vien nese audiences seiner Oper zur Uraufführung an. Nichts von had heard before from Schre ker, not even Der dem, was das Wiener Konzertpublikum bis da- Geburtstag der Infantin, could have prepared

II hin je von Schreker gehört hatte – auch nicht them for what they heard on that night of No- Der Geburtstag der Infantin – hatte es auf das vember 25, 1909. “The picture, intentionally Hörerlebnis vom 25. November 1909 vorbe- confused and fragmented, dissolves in a chro- reiten können. Das Bild, absichtlich zerrissen matic fog which only those who are favorably und gestückelt, verschwin det in einem chroma- disposed can penetrate,” wrote one critic, who tischen Nebel, den nur Wohlwol lende zu durch- continued, “a penchant for philosophical brood- dringen vermögen. [...], schrieb ein Kritiker, ing seems to have been artifi cially grafted onto und weiter Herrn Schrekers liebenswürdiger Herr Schreker’s engaging talent.” Another crit- Begabung erscheint der Hang zu philosophi- ic, who termed the work “a fairly nasty affair,” schem Grübeln wie künstlich aufgepfropft. Ein wrote, “he seems intent upon avoiding any kind anderer Rezensent nannte das Stück eine recht of plasticity, his style is bombastic, and in his böse Sache und tadelte den Komponisten mit dissonant bliss he does not shrink from using den Worten: Wie absichtlich vermeidet er jedes the harshest cacophony.” And a third reviewer plastische Gestalten, schreibt schwulstig und lamented that “even this strong talent has been scheut in seiner Dis sonanzenseligkeit nicht vor lured along the tortuous path of a musical excess der ärgsten Kakophonie zurück. Wieder ein an- that lacks what is most important: a future.” In derer bedauert, daß auch dieses starke Talent in her review Elsa Bie nenfeld was philosophical: die krausen Irrwege einer Übermusik verstrickt “The interesting work [...] sounded so surprising ist, der das Wichtigste fehlt: Entwicklungsmög- and new that it provoked immediate opposition; lichkeit. El sa Bienenfeld wird in ihrer Kritik in Vienna that is the fi rst and infallible proof philosophisch: Das interessante Stück [...] klang that a composition is at least not boring or with- so überraschend und neu, daß es sogleich den out talent.” This one premiere, Schre ker’s fi rst Widerspruch hervorrief: das ist in Wien der erste “scan dal,” catapulted him to the front ranks of und untrüglichste Beweis, daß eine Kompositi- Vienna’s “diffi cult” composers (it was, inciden- on zu mindestens nicht langweilig oder talent- tally, around this time that Schreker began his los wirkt. Mit dieser einen Uraufführung hatte lifelong friendship with Arnold Schönberg) and Schreker also seinen ersten „Skan dal“ und fand paved the way for the opera that would make sich mit einem Schlag in der vordersten Rei- him famous. he der „schwierigen“ Komponisten von Wien wieder (in etwa die gleiche Zeit fällt auch der Beginn seiner lebenslänglichen Freundschaft mit Arnold Schönberg) – dies ebnete den Weg für die Oper, die ihn berühmt machen sollte. Man weiß nicht genau, wann Schreker mit der Niederschrift von Der ferne Klang begonnen hat, jedoch wahrscheinlich im April 1902, nach It is unclear just when Schreker began der Konzertaufführung seines Opernerst lings writing Der ferne Klang, although it was in all Flammen. 1930 erinnert sich Schreker, wie er likelihood after the concert premiere of his fi rst damals auf der Suche nach einem geeigneten opera, Flammen, in April 1902. In 1930 Schre- Libretto war: ker recalled his search for a suitable libretto: Da besann ich mich zu rechter Zeit auf mich selbst. Auf das Drama des Werdenden; auf das Narrenspiel dieses Lebens mit unsicherem Aus- “Then, just in time, I thought of myself. gang; auf all die Tragödien, die hart an uns vor- Of the drama of becoming; of that fool’s game beistreifen und uns hin und wieder – oft fl üch- called life with all its uncertainties; of all the tig nur – in ihr Szenengewirr verstricken. Und tragedies that brush past us and which now and schrieb den Fernen Klang, aus mir selbst heraus, then – if only fl eetingly – entangle us in their aus meinem eigenen jungen Erleben. confusion. And I wrote Der Ferne Klang out of Das autobiographische Element im Libretto myself, out of my own youthful experiences.” und der Musik zu Der ferne Klang kann nicht One cannot overemphasize the auto bio- genug betont werden: Die Entstehung zieht graphical element in the libretto and score of

III sich über Jahre einer persönlichen Krise und Der ferne Klang, for their genesis accompanied zeichnet die Herausbildung der künstlerischen Schreker through years of struggle and traces Persönlichkeit nach. Irgendwann um 1905 brach the emergence of his artistic personality. At one Schreker die Arbeit mitten im 2. Akt entmutigt point, around 1905, Schreker, discouraged and und desillusioniert ab. Ende 1906 nahm er das disillusioned, broke off his composition mid- Projekt schließlich wieder auf, aber nicht an der way in the second act. When he returned to Stelle im 2. Akt, sondern mit dem Zwischen- the project at the end of 1906 it was not to the spiel, das die beiden Szenen des 3. Akts trennen second act but to the interlude that separates sollte. Heureka! Etwas ist fi nis, schrieb er am the two scenes of Act III. “Eureka! Something 15. Dezember dieses Jahres euphorisch an Greta is fi nished,” he wrote in exultation to a Greta Jonasz. Mit diesen Worten kündigt er die Fer- Jonasz on 15 December of that year. His letter tigstellung der ersten skizzierten Niederschrift announces the completion of what would prove von Nachtstück an. In den darauffolgenden Wo- to be the fi rst draft of the Nacht stück. Over the chen revidierte er diesen Entwurf grund legend; following weeks this draft underwent substan- bis Ende Jänner lag dann die Rein schrift vor tial revision and by the end of January, with the und er konnte sich rühmen: Noch nie habe completion of the fair copy, he could boast: “I ich etwas ähnliches auch nur geschaffen. Du have never written anything like it. You’d be würdest staunen – das ist etwas ganz anderes amazed – it is quite different from anything als ich bis jetzt zuwege brachte – groß – eine else I’ve ever done – big – a climax the likes Steigerung wie ich sie selten noch hörte. [...] of which I’ve seldom heard before. [...] The Fabelhaft schwierig, aber wirklich wunderbar piece has turned out to be extremely diffi cult, ist das Stück geworden. Zauberhaft sag ich Dir. but really fabulous. Magical, I tell you.” (30 (30. Jänner 1907) January 1907) Es ist nicht verwunderlich, daß Schrekers Partitur bei Kritik und Publikum in Wien auf It is little wonder that Schreker’s score en- so viel Widerstand stieß, denn sie ist wirklich countered so much resistance among Vienna’s von nahezu unerhörter Komplexität. Der Kom- critics and audiences, for it was indeed a work ponist spricht selbst von harmonische[n] Merk- of nearly unprecedented complexity. Schreker würdigkeiten die ihresgleichen nicht haben (21. himself spoke of “harmonic curiosities that are Jänner 1907) und vom Gefl echt thematischer without parallel” (21 January 1907) and of a Bezüge als rätselhaft compliciert (17. Jänner network of thematic relationships that was “en- 1907); rhythmisch läßt sich einzelnes nur dann igmatically intricate” (17 January 1907). And gleich erfassen, wenn man die Einteilung sich “rhythmically,” he wrote, “there are things that vorher am Papier ausgerechnet hat. Ich mußte can only be grasped by working them out on das auch tun, aber was kann ich dafür wenn mir paper beforehand. Even I had to, but what can so etwas einfällt. (21. Jänner 1907) Mit diesen I do – that’s the way I heard it.” (21 January Vorgaben ist es kaum auszumalen, wie die Pre- 1907) Given these factors it is hard to say what miere von 1909 geklungen haben muß! that 1909 premiere must have sounded like! Nur wenn man die dramatische Funktion des Nacht stücks innerhalb der Oper nachzuvoll- The key to unravelling the Nachtstück’s zieht, erhält man den Schlüssel zum Entfl echten complexities lies in an understanding of its des komplexen Gebildes. Der ferne Klang ist dramatic function within the opera. Der ferne die Geschichte des jungen Komponisten Fritz, Klang is the story of a young composer, Fritz, der seine Verlobte Grete verläßt, um sich auf who leaves his fi ancée, Grete, to search for the die Suche nach einem fernen Klang zu machen, distant sound he hears. Years later, and no closer den er vernimmt. Als er Jahre später – seinem to his elusive goal, he encounters Grete (Act II) seltsamen Ziel noch keinen Schritt näher gekom- who is now a courtesan in an elegant Venetian men – Grete wiederbegeg net, ist diese Kurtisane bordello. Although their love is rekindled he in einem eleganten Venediger Bordell (2. Akt). rejects her in disgust when he realizes what she Obgleich beider Liebe wieder auffl ammt, weist has become. Act III takes place fi ve years later; er sie empört zurück, als er dahinterkommt, was Grete is now a common streetwalker and Fritz a

IV aus ihr geworden ist. Der 3. Akt spielt fünf Jahre famous composer whose opera, Die Harfe (The später: Grete ist inzwischen ein gewöhnliches Harp), is receiving its world premiere. The two Strichmädchen, Fritz ein berühmter Komponist, scenes of Act III portray Grete’s reaction to the dessen Oper Die Harfe eben ihre Weltpremiere failure of Fritz’s opera and her reunion with the erlebt. Die zwei Szene des dritten Akts schildern dying composer who realizes too late that it is den Mißerfolg der Oper und Gretes Reaktion only in Grete’s presence that he hears the dis- darauf: sie verbindet sich wieder mit ihm, dem tant sound. The Nachtstück connects these two nunmehr sterbenden Komponisten, und er be- scenes and in his letter of 15 December 1906 merkt zu spät, daß er den fernen Klang immer Schreker wrote to Grete Jonasz: “I believe this nur in Gre tes Gegenwart vernimmt. Nachtstück piece, which is not really indicated in the libretto, steht zwischen diesen beiden Szenen und verbin- has added something new to the plot, something det sie. In seinem Brief vom 15. Dezember 1906 that isn’t expressed in the text; that is, that in schrieb Schreker dazu: Ich glaube mit diesem [Fritz’s] dreams – understandably – the longing Stück welches eigentlich in dieser Art im Buche for that one night that he could have spent with nicht direct angedeutet ist, der Handlung gera- her [...] still looms large.” dezu etwas neues angegliedert zu haben, etwas was im Text nicht so ausgedrückt ist; daß in seinen [Fritzens] Träumen nämlich – wie be- greifl ich – doch, die Sehnsucht nach jener einen Nacht die er mit ihr verbringen hätte können [...] eine große Rolle spielt. Nachtstück schildert also eine Traumwelt; und mit seinen motivischen, harmonischen und rhythmischen Überlagerungen, der brillanten The Nachtstück, then, describes a dream- und oftmals verschwenderischen Orchestrie- scape, and its motivic, harmonic, and rhythmic rung spiegelt es die Fiebergedanken wider, die layerings, its brilliant and often luxuriant or- Fritz nach dem Fehlschlag seiner Oper heim- chestration, mirror the fevered thoughts that suchen. follow upon the failure of Fritz’s opera. In seiner bahnbrechenden Studie über die harmonische Sprache im Fernen Klang (Die Harmonik in der Oper “Der ferne Klang” von In his ground breaking study of the harmonic Franz Schreker, Regensburg, 1972) beschreibt language of Der ferne Klang (Die Harmonik in Gösta Neuwirth das Nachtstück als eine Art der Oper “Der ferne Klang” von Franz Schrek- „Nervenzentrum“ der Oper, als Psychogramm er, Regensburg, 1972), Gösta Neu wirth describes ihrer klangliche[n] Sinnbilder. Traumartiges the Nacht stück as a kind of nerve center of the Aufl eben früherer Motive bildet das Herzstück opera, a psychogram of its “sonic symbols”. seiner strukturellen Logik. Neuwirth sieht eine Dream-like recall of earlier motives lies at the direkte Parallele zwischen der von Sigmund heart of its structural logic and Neuwirth sees Freuds in seiner Traumdeutung beschriebenen a direct parallel between Sigmund Freud’s de- Regression der Traumgedanken und Schrekers scription of the retrograde dream process in Die eng verwandten musikalischen Formen und Traumdeutung (The Interpretation of Dreams) Techniken. Das Nachtstück ist laut Neuwirth and Schreker’s use of closely related musical das erste konsequent durchgeführte Manifest forms and techniques. The Nacht stück, accord- der rückläufi gen Form, ein „monologue inté- ing to Neuwirth, is “the fi rst consistently realized rieur“, entfaltet aus der intuitiv nachvollzoge- manifesto of retrograde form, a ‘monolgue in- nen Logik des Traums. (Neuwirth 169) terieur,’ developed out of the intuitively grasped Nachtstück nimmt auch in Ulrike Kienz- logic of the dream.” (Neuwirth, 169) les Studie über die Oper (Das Trauma hinter dem Traum; Franz Schrekers Oper „Der ferne The Nachtstück likewise fi gures promi- Klang“ und die Wiener Moderne, Schliengen nently in Ulrike Kienzle’s study of the opera 1998) einen wichtigen Platz ein. Sie bezeichnet (Das Trauma hinter dem Traum; Franz Schre- kers Oper “Der ferne Klang” und die Wiener V das Stück als „musikalisches Seelendrama“, Moderne, Schliengen 1998). She calls the piece denn „Schreker entwickelt die Prozesse der a “musical drama of the soul” in which Schreker motivisch-thematischen Arbeit in Analogie zu develops “motivic and thematic processes that dem Ablauf einer Assoziationsreihe im Be wußt- are analogous to the stream-of-conscious as- sein eines refl ektierenden Subjekts.“ (Kienz le, sociations of a refl ecting subject.” (Kienz le, 298f.) Von Neuwirth unterscheidet sich ihre Auf- 298f.) Kienzle differs from Neuwirth, however, fassung insofern, daß sie feststellt, Grete und in asserting that both Grete and Fritz are pres- Fritz seine beide gleichermaßen als Subjekte in ent as subjects in the interlude. Through care- diesem orchestralen Zwi schenspiel vertreten. ful motivic analysis Kienzle demonstrates how Mittels genauer moti vischer Analyse vollzieht the Nachtstück grows out of Gre te’s refl ections, sie nach, wie die Musik von Nachtstück sich which only in the course of the piece give way zunächst aus Gretes Refl exionen entwickelt und to Fritz’s perspective. erst allmählich im Verlauf des Stücks den Ge- danken von Fritz Raum gibt. Wie so vieles andere in dieser autobio- graphischen Oper ist auch das Nachtstück ein Like so much else in this autobiographical Spiegel jenes Zustands nervöser, schlafl oser opera, the Nachtstück is a mirror of that state of Rastlosigkeit, in der Schreker das Werk schrieb nervous, sleepless agitation in which Schreker – ein Zustand, in dem er permanent von stets wrote the work, a state in which he felt he was neuen motivischen Kombinationen heimgesucht being bombarded by ever changing combina- wurde, die sozusagen gewaltsam aus seinem Un- tions that were forcing their way, as it were, out terbewußten hervorquollen. Ähnliches muß drei of his subconscious. It was an experience not Jahre später Schönberg während seiner Kom- unlike that which would characterize Schön- position der Erwartung durchgemacht haben. berg’s composition of Erwar tung three years Anders jedoch als Erwartung, dessen Stil der later. But unlike Erwar tung, whose stream-of- freien Assoziation einen kontinuierlichen Fluß consciousness style is an uninterrupted fl ow of thematischer Erfi ndung schafft, ist Nachtstück, thematic generation, Schre ker’s Nachtstück, wie überhaupt Der ferne Klang als Ganzes, ein like Der ferne Klang as a whole, is a mine of Kosmos von eng verwobenen Bezügen, die ein tightly woven interrelationships that create a dichtes Netz von motivischen und harmonischen dense web of motivic and harmonic associa- Assoziationen webt – nicht vergleichbar mit al- tions unlike anything else Schre ker had written lem, was Schreker bis dahin geschrieben hatte. to that date. Harmonically these processes lead In harmonischer Hinsicht führte dieser Prozeß Schreker to the brink of polytonality and to the Schreker an den Rand der Polytonalität und zur use of timbral fi elds (Klangfelder) which would Verwendung von Klangfeldern – einem Phä- have a signifi cant infl uence on, among others, nomen, das eine unleugbare Bedeutung unter Alban Berg, who helped prepare the piano vocal anderem für Alban Berg erlangen sollte, der sei- score of Der ferne Klang. nerseits an der Herstellung des Klavierauszugs zum Fernen Klang wesentlich beteiligt war.

Unsere Ausgabe von Schrekers Nachtstück, das 1909 das einzige Mal zu Lebzeiten des Kompo- nisten aufgeführt worden ist, basiert auf einer The basis for this edition of the Nachtstück, autorisierten Abschrift des Zwischenspiels, das, whose 1909 premiere was its only performance mit Eintragungen und Korrekturen Schre kers during Schreker’s lifetime, is a manuscript in a versehen, in die autographe Partitur der Oper copyist’s hand (with corrections by Schreker) which is bound into the autograph full score of

VI eingebunden ist. Diese liegt als Leihgabe der Der ferne Klang located in the Universal Edi- Universal Edition in der Musiksamm lung der tion collection on loan to the Musik sammlung Österreichischen Nationalbibliothek. Während of the Österreichische Natio nal bibliothek in das Nacht stück in dieser Partitur und auch in Vienna. This original version of the Nacht stück, Alban Bergs Klavierauszug der Oper, der 1911 which is refl ected in Alban Berg’s 1911 piano veröffentlicht wurde, noch vollständig enthalten reduction of the opera, was shortened by 79 ist, wurde es für die Frankfurter Premiere der bars (bars 154–232 of the present edition) for Oper am 18. August 1912 in der Mitte um 79 the Frankfurt premiere (18 August 1912), a cut Takte gekürzt (T. 154–232 in dieser Ausgabe); that is refl ected in Ferdinand Rebay’s simplifi ed in dieser gestrafften Version scheint das Zwi- piano reduction of 1912. schenspiel dann auch im Klavierauszug von Ferdinand Rebay von 1912 auf. Der cis-Moll-Konzertschluß T. 258–264 (im Manuskript von Kopistenhand eigens The C sharp major concert ending of bars eingefügt und mit Schluß für Concertauf füh- 258–264 (it is in a copyist’s hand in the manu- rungen überschrieben) wurde wohl ziemlich script and labelled “Conclusion for Concert Per- sicher bei der Aufführung 1909 verwendet, formances”) was presumably used at the 1909 auch wenn Schreker am 15. Dezember 1906 premiere of the work, although in his 15 Decem- an Grete Jonasz schreibt, daß sein erster Ent- ber 1906 letter to Grete Jonasz Schreker writes wurf in d-Moll endet. Es gibt dazu keine weitere that his fi rst draft ends in D minor. There is no Quelle, und Schrekers Analyse im Merker von other source and the composer’s 1909 analysis 1909 (siehe Faksimile) trägt zu diesem Punkt in Der Mer ker is inconclusive on this point. nichts bei. Ähnlich wie der Schluß läßt auch Likewise open to speculation is the work’s pre- der eigentliche Anfang des Stücks viel Raum cise starting point. In the theater the orchestral für Spe kulation. In der Bühnenfassung fängt interlude begins with the fall of the curtain at das Orchesterzwischenspiel an, wenn 1 Takt 1 bar before rehearsal number 31 (bar 47 in the vor Ziffer 31 der Vorhang fällt (Takt 47 unserer present edition). However, during the genesis Partitur). Zur Zeit der Entstehung des Werks of the work Schreker’s letters indicate that the lassen Schrekers Briefe jedoch den Schluß zu, concert version of the interlude was to start daß die Konzertfassung des Zwischenspiels an at the point in the fi rst scene of Act III where der Stelle in der 1. Szene von Akt III beginnen the theater patrons begin talking about Fritz’s soll, wenn in der Oper die Theatermäzene über health (i.e., 5 bars before rehearsal number 26 Fritzens Gesundheit zu sprechen beginnen (d.h. in the published full score). Both passages begin 5 Takte vor Zi. 26 in der gedruckten Partitur). with a statement of what Schreker in his letters Beide Stellen beginnen mit dem von Schre ker identifi es as the motive of Fritz’s Todesahnung selbst so bezeichneten Todes ahnungs -Motiv (“premonition of death”) motive and which in Frit zens, das er in der Merker-Analyse als ein the Merker analysis he describes as ein düsteres düsteres Motiv bezeichnet. Die Merker-Analyse Motiv (“a somber motive”). The Merker analy- beginnt ohne Zweifel beim zweiten Auftreten sis no doubt begins with the second appearance dieses Motivs (T. 47), aber der frühere beginn of this mo tive (bar 47), but taking the earlier würde erklären, warum Schreker in Briefen von starting point helps explain why Schreker in his seinem Nachstück stets als Werk von 18 bis 20 letters consistently referred to his Nacht stück as Minuten Dauer spricht (obwohl es in der gegen- a work of eighteen to twenty minutes in length wärtigen, „längeren“ Fassung auch nur knapp (although even in the present “longer” version 17 Minuten dauern kann). Da beide Versionen the score is still barely seventeen minutes long). ihre historische Rechtfertigung haben, kann der Since both options have historical justifi cation Dirigent selbst entscheiden, mit welcher Stelle the conductor is free to select either starting er beginnen will (T. 1 oder T. 47). point (bar 1 or bar 47). Orchesterzwischenspiele haben eine wich- Orchestral interludes play an important role tige Funktion in allen reiferen Opern von Schre- in all of Schreker’s mature , although ker; dennoch ist nur das Zwischenspiel aus dem only the Zwischenspiel from Act III of Der

VII 3. Akt von Der Schatzgräber unabhängig publi- Schatzgräber was ever published independent- ziert worden (UE 7231, 1923). Die Zwischen- ly (UE 7231 in 1923). These interludes form a spiele verkörpern einen bemerkenswerten Fun- remarkable body of orchestral works that focus dus von Orchestermusik, in dem die Quintessenz and distill the essence of Schre ker’s gifts as a von Schrekers Begabung als Musikdra matiker musical dramatist, and it was the Nachtstück wie gebündelt erscheint, und das Nachtstück aus from Der ferne Klang that fi rst established be- Der ferne Klang dokumentiert zum ersten Mal yond question the originality and scope of that die Originalität und Reichweite dieser Gabe. gift. Es folgt Schre kers Analyse des Nachtstücks im Faksimileabdruck aus Der Merker I/2 vom Schreker’s analysis of the Nachtstück, pub- 25. Oktober 1909. Hauptanliegen Schrekers ist lished in Der Merker (I/2, 25 October 1909), is darin, das motivische Material vorzustellen; der reprinted below. It is principally concerned with etwas krampfhafte Versuch, das Nachtstück in introducing the motivic material; its attempt to eine Art Sonatensatz-Schema zu pressen, ist si- force the Nachtstück into a kind of sonata-like cherlich auch mit Blick auf die Kritiker und das schema was no doubt written with Vienna’s eher konservative Wiener Publikum geschehen. critics and generally conservative audiences in – In den oben genannten Publikationen von mind. More detailed analyses of the work can Gösta Neuwirth und Ulrike Kienzle fi nden sich be found in the aforementioned books by Gösta noch detailliertere Analysen des Werks. Neuwirth and Ulrike Kienzle. (Übs.: R. Stark-Voit) Christopher Hailey

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