Münsterland zu Fuß

Hauptwanderweg X 9

Von Vreden - Oldenkott bis nach Groß auf einer Länge von 51 Kilometern 9

Von der zu den Ausläufern der Hohen Mark (Hamaland - Weg) von Thomas Starkmann

Der X 9 ist so etwas wie die Sprintstrecke sen. Und das ist nun ganz und gar nicht neun Mal kreuzt der Weg auf den ersten unter den Wanderwegen des Westfäli- im Sinne dieser Wegbeschreibung. Denn zwanzig Kilometern das Flüsschen, das schen Heimatbundes. Die 51 Kilome- es lohnt durchaus, sich den Schönheiten auch die umgebende Landschaft stark ter von der holländischen Grenze bei und Eigentümlichkeiten des Hamalan- geprägt hat. Die Berkel führt uns auch Vreden-Oldenkott nach Groß Reken des zu widmen, das diesem Weg seinen in die beiden Städte, die am X 9 liegen. schaffen Langstreckenläufer locker an Namen gibt. Sowohl Vreden als auch sind einem Tag. Allerdings nur dann, wenn Die Berkel bestimmt zumindest in der typisch für das Westmünsterland und sie die großen und kleinen Sehenswür- ersten Hälfte das Gesicht unserer Wan- können Einflüsse aus den benachbarten digkeiten am Wegesrand außer acht las- derung. Wer mitzählen möchte: Exakt Niederlanden nicht verleugnen.

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Wanderung von Vreden - Oldenkott bis Groß Reken Hengelo

Gronau Emsdetten

Oldenkott Greven Steinfurt 1 Vreden

x9 31 B 219 Münster Havixbeck Telgte Coesfeld Nottuln 43 Bocholt B 54 Sendenhorst Reken Senden X 9 ca. 51 km Dülmen 1 Oldenkott, Kirche 0,0 Crosewick, Abzweig X 6 2,2 Lüdinghausen Ellewick 5,0 Ascheberg Vreden, Hamaland-Museum, Treffen X 8 10,9 B 58 Stadtlohn, Treffen X 8 16,7 Nordkirchen Stadtlohn, Wenningfeld, Abzweig X 8 18,0 Stadtlohn, Kirche 21,4 B 63 Nordvelen, Treffen X 10 32,1 Rauschenburg Nordvelen, Gasthaus, Treffen X 10 33,8 Werne Velen, Schloss, Treffen X 4 39,2 Datteln Hamm Waldvelen, Abzweig X 4 40,6 B 233 Schwarzer Berg, Treffen X 4 46,5 Groß Reken, Abzweig X 3 50,4 Lünen Groß Reken, Alte Kirche 51,0 Weiterführung als Hauptwanderweg X 9 des SGV bis Gladbeck Dortmund Unna

Nachdem die Berkel sich verabschiedet Eine Kirche zu Beginn Bernhard Graf von Galen die Baugeneh- hat, sind es vor allem die Ausläufer der migung für eine Kapelle in Oldenkott. Hohen Mark, die dem Weg ihr Geprä- Zu bewältigen ist der X 9 sicher auch Gedacht war sie allerdings mehr für die ge geben. Zwar werden nicht gerade ohne kirchlichen Beistand. Doch wenn niederländischen Nachbarn katholischen schwindelnde Höhen erreicht, aber die ein Gotteshaus schon der Startpunkt ei- Glaubens. Sie durften zu dieser Zeit nach 100 Meter, die es am Schwarzen Berg ner Wanderung ist, dann sollte man sich dem Spanisch-Niederländischen Krieg zu überwinden gilt, sind für das west- auch etwas Zeit dafür nehmen. und der Reformation keine eigenen Kir- liche Münsterland schon eine stattliche Zumal das Kirchlein St. Antonius von Pa- chen errichten. Marke. Dafür geht es am Ende wieder dua in Vreden-Oldenkott eine durchaus So entstanden mehrere Seelsorgestatio- bergab, bis der Wanderer im staatlich interessante Geschichte hat, die bis in die nen an der deutsch-niederländischen anerkannten Erholungsort Reken end- Mitte des 17. Jahrhunderts zurückreicht. Grenze, darunter eine 1652 errichtete gültig verschnaufen kann. 1657 erteilte Fürstbischof Christoph Kapelle in Zwillbrock. Als sie zu klein

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Wir verlassen den beschaulichen Ort, der nur aus wenigen Häusern besteht, und überqueren kurz danach zum ersten Mal die Berkel. Der Fluss ist hier stark be- gradigt und hat vor allem die Funktion übernommen, das Wasser aus den tiefen Gräben aufzunehmen, mit denen der ursprünglich hohe Grundwasserstand in dem Gebiet gesenkt werden konnte. Dass die Berkel zum Glück auch anders kann, werden wir später auf unserer Wande- rung noch feststellen. Was man sich heute allerdings kaum noch vorstellen kann: Es gab seit Mitte des 17. Jahrhun- derts immer wieder Versuche, die Berkel schiffbar zu machen, vor allem auf dem Abschnitt zwischen Vreden und dem hol- ländischen Zutphen. Das damals schma- le und oft stark gewundene Flussbett erwies sich dabei ebenso als hinderlich wie die stark schwankende Wasserfüh- Grenzstein mit Wegmarkierung Kirche von Ellewick rung des 119 Kilometer langen Flusses, der in den Baumbergen bei Billerbeck wurde, machten sich die holländischen entspringt und bei Zutphen in die Ijssel aber noch bis 1890 dauern, ehe sie end- Katholiken aus der Umgebung von mündet. Spezielle Schiffe mit geringem gültig aufgegeben wurde. für einen neuen Kirchbau Tiefgang, die bis zu 14 Meter langen stark. Es entstand die Antoniuskirche in „Berkelschüten“, schipperten über die Der Weg verläuft rund zwei Kilometer Oldenkott, damals vermutlich der erste Berkel. Nachdem 1772 in Vreden eine parallel zum X 6 des Westfälischen Hei- massive Steinbau in der Bauerschaft Schleuse errichtet wird, schaffen es hol- matbundes und zum LAW 10, einem Wennewick. Nachfolgebau ist seit 1923 ländische Schiffe sogar bis Coesfeld. Ih- Teilstück des „Noaberpads“ (Nachbar- die heutige kleine Dorfkirche im histori- ren Höhepunkt erreicht die Berkelschiff- weg), über den sich auf rund 380 Ki- sierenden Stil mit teils neuromanischen, fahrt Anfang des 19. Jahrhunderts. 1840 lometern das deutsch-niederländische teils neugotischen Anklängen. Die In- verlassen 737 beladene Schiffe und 385 Grenzgebiet vom Dollart bis zum Rhein nenmauer, die Orgelempore sowie das Holzflöße Vreden in Richtung Holland. erwandern lässt. Nummerierte Grenz- Dachgerüst stammen noch aus der ur- Trotzdem konnte sich die Berkelschiff- steine markieren den Verlauf der Grenze. sprünglichen Kapelle. fahrt nie richtig durchsetzen. Es sollte Hüben wie drüben wird eine Landwirt- schaft betrieben, die sehr intensiv ist. Sowohl der Kreis Borken auf deutscher Blick über die Grenze: Intensive Landwirtschaft in den Niederlanden Seite als auch die angrenzenden hollän- dischen Provinzen Overijssel und Gelder- land zählen zu den landwirtschaftlich produktivsten Regionen ihres Landes. Das war nicht immer so. Vor allem Ac- kerbau war hier lange Zeit nur auf weni- gen Flächen möglich. Denn die vorherr- schenden Sandböden sind von Natur aus wenig fruchtbar. Über viele Jahrhunder- te wurden auf die Äcker Plaggen aufge- tragen, die zuvor in der gemeinen Mark gestochen und im Winter als Einstreu in den Ställen vom Vieh gedüngt worden waren. In den Marken, die hier meist als „Feld“ bezeichnet wurden (z.B. Ellewic- ker Feld, Crosewicker Feld) entwickelten sich aufgrund des permanenten Nähr- stoffentzugs Heidelandschaften, die im Westmünsterland bis Mitte des 19. Jahrhunderts große Flächen einnahmen. Erst als die Marken im 19. Jahrhundert geteilt und in Privatbesitz überführt

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Hof Früchting

wurden, intensivierte sich die landwirt- fügt über eine eigene Grundschule und re Pause. Vreden hat durch Brände und schaftliche Nutzung. Die kargsten Flä- einen Kindergarten und hat rund 1.500 zuletzt durch massive Zerstörungen im chen wurden mit Kiefern aufgeforstet. Einwohner. 2. Weltkrieg oft stark gelitten. Von unse- Die zunehmende Verbreitung des Kunst- rem Wanderweg entlang der Berkel aus düngers ermöglichte später sogar eine Von Ellewick aus geht es schnurgerade ergeben sich aber immer wieder hüb- ackerbauliche Nutzung der armen Bö- in Richtung Vreden. Der „Lange Diek“ sche Ansichten. Dazu trägt nicht zuletzt den. Heute nimmt der Maisanbau große ist ein alter Rosenkranzweg, der vor über auch ein liebevoll gepflegtes Ensemble Flächen ein. 300 Jahren als Zeichen des Glaubens aus landwirtschaftlichen Gebäuden bei. entstand. Die Marienfrömmigkeit hat in Auch wenn es sich harmonisch in die Ellewick-Crosewick ist eines der fünf den Bauerschaften eine lange Traditi- Umgebung einfügt – ursprünglich stand Kirchdörfer, die zur Stadt Vreden gehö- on. Noch heute wird in vielen Familien keines der Gebäude hier. ren. Die älteren Häuser im Dorf sind fast der Rosenkranz gebetet. Eine Station ist alle aus Backstein erbaut. Die Herstel- auf gut halber Strecke ein Ende des 19. Vielmehr besteht der gesamte Komplex lung von Ziegeln und Backsteinen hat Jahrhunderts errichtetes Kreuz, das die aus ehemals vom Abriss bedrohten Bauten im Westmünsterland eine lange Traditi- damals meist verfallenen Stationen er- aus der näheren Umgebung, die sorgfäl- on, denn in dem waldarmen Gebiet griff setzen sollte. Der kleine Hügel, auf dem tig abgetragen und im Vredener Stadt- man in Ermangelung natürlich anste- es steht, wird landläufig auch als Kalva- park ebenso sorgfältig Stück für Stück henden Gesteins und zur Schonung der rienberg bezeichnet. Eine 1988 von der wiederaufgebaut wurden. Zu verdan- geringen Holzreserven bereits frühzeitig Nachbarschaft errichtete Kapelle befin- ken ist diese immense Arbeit dem bereits auf andere Baumaterialien zurück. Er- det sich direkt am Beginn des Langen 1926 gegründeten Vredener Heimatver- ste Ziegeleien sind hier bereits für das Dieks. ein. Das Haupthaus als Mittelpunkt der 13. Jahrhundert belegt. Der Ton wurde Anlage stammt vom Hof Früchting aus aus „Lehmpütten“ in der näheren Umge- Ländliche Idylle in der Stadt der Bauerschaft Ellewick. Es wurde Mit- bung gewonnen. te der 1960er Jahre an seinen heutigen Der Weg führt uns am Berkelufer ent- Standort versetzt oder „transloziert“, Kern der Siedlung ist die 1678 erbaute lang und durch den Stadtpark in die In- wie die Wissenschaftler sagen. Nach Kreuzkapelle. Direkt daneben steht die nenstadt von Vreden. Hier lohnen gleich und nach kamen weitere Gebäude wie Kirche aus dem Jahr 1903. Ellewick ver- mehrere Sehenswürdigkeiten eine länge- Schafstall, Heuerlingshaus oder zuletzt

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Berkelkraftwerk Vreden eine funktionstüchtige Wassermühle aus „Achterhoek“ auf niederländischer Seite sterland tatsächlich Teil des damaligen der Umgebung von Vreden hinzu und entspricht. Die erste schriftliche Erwäh- Hamalands war. Der Begriff selbst ver- gaukeln so eine ländliche Idylle inmitten nung des Wortes „Hamaland“ stammt schwand im 11. Jahrhundert und erlebte der Stadt vor. Für den stimmungsvol- aus dem 9. Jahrhundert. Die ehemalige erst spät wieder eine Renaissance. len Hintergrund sorgt die Stiftskirche, in Grafschaft Hamaland ist in ihrer geogra- der das berühmte Vredener Hungertuch phischen Ausdehnung umstritten, teil- Gegenüber vom Freilichtmuseum ver- aufbewahrt wird, das 1619 von der Äb- weise wird bezweifelt, ob das Westmün- blüfft am Berkelufer ein überraschen- tissin Agnes gestiftet wurde und Szenen aus dem Leben Jesu in der Karwoche Berkel zwischen Vreden und Stadtlohn zeigt. Weitere Teile des Kirchenschatzes befinden sich im Hamalandmuseum, das den Besuchern einen hervorragen- den Einblick in die Kulturgeschichte des Westmünsterlandes vermittelt.

Der Weg zum Museum führt über den Butenwall, der die historische Innenstadt ringförmig umgibt. Eines bleibt an dieser Stelle aber noch zu klären, nämlich was es eigentlich mit dem Begriff „Hamaland“ auf sich hat. Ganz einfach zu beantwor- ten ist diese Frage nicht. Vermutlich geht der Name „Hamaland“ zurück auf die Chamaven, ein altes germanisches Volk, das im 1. - 3. Jahrhundert zwischen der Ijssel und einer Linie Ahaus - Dülmen lebte, was heute einem großen Teil des Kreises Borken und dem sogenannten

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kam, für deren Unterbau Bodenmaterial benötigt wurde.

Die Baggerarbeiten brachten auch Re- ste eines großen Gehöftes ans Tages- licht, das aus der Zeit um Christi Geburt stammte. Auf dem sechs Hektar große See dürfen kleine Boote ohne Motor- antrieb fahren. Abkühlung nach einer langen Wanderung bietet er allerdings nicht, das Baden im Sommer ist ebenso verboten wie das Schlittschuhfahren im Winter.

Wir verlassen Vreden so, wie wir es be- treten haben, nämlich entlang der Ber- kel, die hier immer noch begradigt ist, aber immerhin mit einer Kopfbaumreihe aus Silberweiden geschmückt ist. Direkt an der Umgehungsstraße befindet sich am Fluss ein Sandfang. Hierzu wurde das Flussbett künstlich aufgeweitet, so dass sich die Fließgeschwindigkeit des C-Falter in der Berkelaue Wassers verringert und der Sand, den die Berkel reichlich mit sich führt, auf dem Gewässerboden absetzt und in regelmä- der Anblick den Wanderer. Ein hölzerner hochwertigen Schmucks, vor allem Trau- ßigen Abständen geräumt werden kann. Hubschrauber schwebt über dem Fluss. ringen, spezialisiert hat. Damit wird eine Versandung im Unter- „Die solide Wirklichkeit des Bedingten“, Wir verlassen den Stadtkern von Vreden lauf des Flusses verhindert. Auch dies ist so der Titel des Kunstobjekts, stammt und gelangen zum Berkelsee, einem eine „Nebenwirkung“ der Flussbegradi- von der Skulptur Biennale Münsterland, wichtigen Naherholungsgebiet für die gung, weil die Berkel sich seitdem immer die 2005 im Kreis Borken stattfand. Vredener Bevölkerung. Der künstliche tiefer in den sandigen Untergrund ein- Kunst wird auch im Berkelkraftwerk ge- See entstand Anfang der 1980er Jahre, gräbt und entsprechend mehr Material boten, in dem regelmäßig Ausstellungen als Vreden eine Umgehungsstraße be- transportiert. zu sehen sind. Früher drehten sich hier die Mühlräder der Vredener Stiftsmüh- le, an deren Neubau die Inschrift eines Wappensteins von 1704 der Äbtissin des Der Flussläufer, ein seltener Gast an der Berkel Hochgräflichen Stifts zu Vreden erinnert. Die Mühle war eine Doppelanlage mit Korn-, Öl-, Walk- und Lohmühle. Mit täglich rund 800 bis 1000 Kilogramm gemahlenen Korns gehörte sie zu den größeren Mühlen im Münsterland. 1896 wurde die Mühle in ein Kraftwerk um- gewandelt.

Über den Busbahnhof kommen wir in ein stadtnahes Gewerbegebiet, in dem sich einige interessante Unternehmen angesiedelt haben. Am auffälligsten ist wohl der hohe Schornstein der Vrede- ner Papierfabrik, die 1952 gegründet wurde. Der Betrieb, der zunächst Papier aus Stroh von den Feldern der näheren Umgebung herstellte, verarbeitet heute ausschließlich Altpapier, von dem täglich 250 Tonnen verbraucht werden. Eben- falls weltweit agiert das Unternehmen Niessing, das sich auf die Herstellung

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Ein Fluss mit Vorbildcharakter

Ab dem Sandfang zeigt die Berkel ihr anderes, viel hübscheres Gesicht. Der Berkelabschnitt zwischen Vreden und Stadtlohn ist wohl das landschaftlich schönste Teilstück unseres Wanderwe- ges. Er folgt einem längeren Abschnitt des Flusses, der nicht begradigt worden ist. Allerdings dominierte bis Ende der 1980er Jahre in der Aue eine intensive Grünlandwirtschaft, die vielfach bis an das Flussufer reichte. Wegen des gro- ßen Entwicklungspotenzials wurde der Berkelabschnitt dann für ein Renaturie- rungsprojekt mit Modellcharakter aus- gewählt. Ziel sollte es sein, mit möglichst geringem Aufwand dem Fluss zu neuer Dynamik zu verhelfen und zugleich eine natürliche Entwicklung in der Aue ein- zuleiten. Umgesetzt wurde das Projekt im Rahmen eines so genannten „Erpro- bungs- und Entwicklungsvorhabens“ (kurz E+E-Vorhaben). Hinter dem sperri- Teufelsschlucht gen Namen verbergen sich Förderprojek- te des Bundes. Ziel der rund 50 teilweise noch laufenden, teilweise bereits ab- Menschen zu initiieren. Ein Schwerpunkt gen mit auentypischen Gehölzen wie geschlossenen E+E-Vorhaben ist es, die war es, Auwälder zu entwickeln, die als Roterle und Esche sollen der Natur ein biologische Vielfalt zu erhöhen und dabei von Natur aus fruchtbare Standorte wenig auf die Sprünge zu helfen. Ent- einen Vorbildcharakter für vergleichbare schon früh gerodet und als Grünland wässerungsgräben wurden geschlossen, Gebiete zu haben. Bei der Berkel ging es bewirtschaftet wurden. Dazu nahm man um das Wasser in der Aue zu halten. vor allem darum, die eigendynamische viele Flächen beiderseits der Berkel aus Vor allem im Nahbereich von Stadtlohn Entwicklung des Flusses und seiner Aue der Nutzung und überließ sie sich selbst. behielt die Aue ihren offenen Charakter, ohne und mit Beeinflussung durch den Stellenweise angelegte Initialpflanzun- um bei Hochwasser der Gefahr von Über- schwemmungen durch einen Rückstau vorzubeugen. Die Wiesen und Weiden wurden aber extensiviert. Elf Jahre lang Zarte Schönheit: Sauerklee beobachteten Wissenschaftler, wie sich die Berkel und ihr Umfeld entwickelten. Pflanzen und verschiedene Tiergruppen wie Vögel, Schmetterlinge und Heu- schrecken - alles kam regelmäßig unter die Lupe. Damit zählt unser kurzes Stück Berkel wohl zu den am besten erforsch- ten Fließgewässerabschnitten weit und breit. Das Ergebnis der Renaturierung kann sich sehen lassen. Bei fast allen untersuchten Gruppen stieg die Zahl der Arten deutlich an, bei den Pflanzen bei- spielsweise von 220 auf 350. An vielen Stellen kam es zu Uferabbrüchen und Anlandungen, die neuen Lebensraum für spezialisierte Arten boten. Viele Maß- nahmen waren aber nur möglich, weil zuvor ein Großteil der Flächen in öffent- lichen Besitz gebracht werden konnte.

Zunächst entfernen wir uns aber ein we- nig von der Aue. Der Weg führt auf der höher gelegenen Terrasse durch sandi-

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stände, mal dominieren Nadelhölzer wie Kiefer, Fichte oder auch Lärche. Die Pflanzenwelt ist eher artenarm, eine üppig blühende Krautschicht aus Früh- jahrsblühern, wie wir sie aus dem Kern- münsterland mit seinen schweren Böden kennen, fehlt. Eine Ausnahme macht im Mai der zierliche Sauerklee, dessen „Kleeblätter“ eigentlich gar keine sind, denn mit den eigentlichen Kleearten ist er nicht verwandt. Wer sich die Mü- he macht, das zarte Pflänzchen einmal genauer zu betrachten, entdeckt eine Schönheit im Verborgenen: Die weißen Blütenblätter mit der blasslila Äderung sind sehr apart. Dabei ist der Sauerklee äußerst genügsam, schon zwei Prozent des einfallenden Sonnenlichts genügen ihm zum Gedeihen.

Erneut überqueren wie den Fluss, natür- lich trockenen Fußes über eine Brücke. Das war nicht immer so. Denn an Stel- le der heutigen Brücke befand sich hier früher nur eine Furt, die je nach Was- serstand des Flusses mehr oder weniger beschwerlich den Übergang ermöglichte. Als eine der wenigen passierbaren Stel- len entlang der Berkel hatte die Furt aber zumindest lokale Bedeutung. Unter der Brücke brütet häufig die Gebirgsstel- ze, die im Unterschied zur verwandten Bachstelze eine gelbe Brust hat und fast ausschließlich an Fließgewässern lebt. Direkt hinter der Brücke befindet sich am linken Ufer eine der Initialpflanzungen aus Eschen und Erlen, mit der die Ent- wicklung eines Auenwaldes beschleunigt

Bronzetafel Hünenburg

Hudebuche an der Terrassenkante ges Gebiet. Die frühere Heidelandschaft Berkelufer machen. Hier kann man gut ist Kiefernforsten gewichen. Wir nähern sehen, wie Flüsse sich ihr Bett gestal- uns wieder der Berkel und gelangen zu ten, wenn man sie nur in Ruhe lässt. einem kleinen, im Sommer oft trockenen Uferabbrüche, Anlandungen und Wei- Bächlein, das sich an der Mündung zur dengebüsche sorgen für jene Vielfalt, die Berkel tief in den sandigen Untergrund ausgebauten Gewässern völlig fehlt. eingegraben hat. Das hat die Fantasie offensichtlich so beflügelt, dass der An einem Bildstock unter einer mäch- Volksmund den Mündungsbereich als tigen Eiche, die als Naturdenkmal ge- „Teufelsschlucht“ bezeichnet. Ganz so schützt ist, fällt der Blick auf den Hof dramatisch ist das Landschaftsbild zwar Kleverth, der von einer großen Obstwie- nicht, aber die freigelegten Wurzeln se umgeben ist. Der Wanderweg führt der Eichen sorgen für einen durchaus weiter oberhalb der Berkelaue durch bizarren Anblick. Unbedingt sollte man häufig wechselnde Waldbilder. Mal sind deshalb den kurzen Abstecher bis zum es naturnahe ältere Buchen-Eichenbe-

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Wandern zwischen Sonnenblumen

werden soll. Nur wenige Meter weiter, an den benachbarten Hof auch als Wall- Der leitet uns von dort weiter an einer dort, wo der Weg sich hohlwegartig in burg Bockwinkel Erwähnung findet. Die weniger mit Mythen behaftete Ein- die Terrassenkante eingeschnitten hat, ursprünglich mit rund zwei Hektar ge- richtung vorbei – der Kläranlage von stoßen wir auf einen viel älteren Zeu- waltigen Ausmaße der Ringwallanlage, Stadtlohn. Bedeutsam ist sie dennoch. gen menschlicher Nutzung. Eine mäch- die sich bis an das Südufer der Berkel Immerhin trägt die Ende 1980er in Be- tige Buche „bewacht“ linker Hand den erstreckt, lassen sich in dem heute mit trieb genommene Anlage ihren Teil dazu Durchgang. Mit ihren kandelaberartig Wald und dichtem Adlerfarnbewuchs bei, dass die Wasserqualität der Berkel aufragenden Ästen wirkt sie fast ein we- bestandenen Gelände nur erahnen. Al- sich drastisch verbessert hat. Hatte das nig gespenstig und unterscheidet sich lerdings hat die Burg auch schon einige Wasser noch vor 30 Jahren noch die Ge- deutlich von den langschäftigen Bu- Jahrhunderte auf dem Buckel. Archäo- wässergüte III-IV – was bedeutet, dass chen, die uns aus schattigen Wäldern logische Funde belegen, dass sie um das das Wasser ziemlich dreckig war – so vertraut sind. Die bizarre Form ist Folge Jahr 800 entstanden ist, wahrscheinlich ist der Verschmutzungsgrad heute bei der Schneitelnutzung, die früher weit erbaut von den Franken. Mittelalterliche Gewässergüte II nur noch als „mäßig“ verbreitet war. Dazu wurden die Bäume, Ringwallanlagen sind fast im ganzen eu- zu bezeichnen. Trotzdem gibt es sowohl meist Buchen, Eichen oder auch Eschen, ropäischen Raum zu finden. an der Berkel als auch an vielen anderen geschnitten (geschneitelt), um so einen Gewässern noch viel zu tun. Das verlangt vielästigen Austrieb mit entsprechend Die Größe vieler Wallanlagen lässt ver- nicht zuletzt die Europäische Wasser- reicher Belaubung zu fördern. Die Laub- muten, dass sie als Fluchtburgen bei rahmenrichtlinie, die bis zum Jahr 2015 heugewinnung erfolgte im Spätsommer. kriegerischen Auseinandersetzungen für natürliche Gewässer einen „guten Die belaubten Triebe wurden getrocknet dienten. Vielfach erhielten diese Anlagen ökologischen Zustand“ einfordert – ei- und im Winter verfüttert. später von der Bevölkerung die Bezeich- ne Aufgabe, mit der die entsprechenden nung „Hünenburg“ oder „Hunnenburg“. Behörden noch weit über den anvisier- Wallburgen, Schlachten Wer sich einen Eindruck von den Dimen- ten Zeitpunkt hinaus beschäftigt sein und ein unbekannter Heiliger sionen verschaffen will, kann über den werden. am Findling mit der Bronzetafel abzwei- Der X 9 führt weiter über den Hof Bock- genden Weg die Wallanlage umrunden Wir erreichen bereits die Außenbezirke winkel zur Hünenburg, die in Anlehnung und auf den X 9 zurückkehren. von Stadtlohn, bevor wir noch einmal

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Stadtlohner Wassermühle die Berkelaue durchwandern. Wir laufen scheint erstmals 1411. Das Stadtlohner de mollen to Stadloen“. In der ersten durch Wiesen, die extensiv genutzt und Stadtbild hat durch Katastrophen und Hälfte des 17. Jahrhunderts brachte die nur wenig gedüngt werden. Nährstoffe Kriege immer wieder stark gelitten. Im Mühle dem Fürstbischof jährlich unge- erhalten sie, wenn die Berkel über die Jahre 1611 zerstörte ein Brand fast alle fähr 300 bis 400 Reichstaler an Pacht. Ufer tritt und die Aue überflutet. In sol- Häuser. Die „Schlacht von Stadtlohn“, die Ab dem Wirtschaftsjahr 1659/60 flos- chen als Flutrasen bezeichneten Wiesen am 6. August 1623 etwas nördlich der sen die Einnahmen an das Kloster Varlar wachsen vor allem Pflanzen, die sich Stadt im Lohner Brook geschlagen wur- bei Coesfeld, nachdem der Fürstbischof durch Ausläufer rasch ausbreiten können. de, zählt zu den wichtigen Schlachten Christoph Bernhard von Galen die Müh- Dazu gehören das Flechtstraußgras, der im 30-jährigen Krieg. Christian Herzog le sowie zahlreiche weitere Grundstücke Knickfuchsschwanz und der Brennende von Braunschweig, der „Tolle Christian“, des Hofes zu Lohn gegen Ländereien bei Hahnenfuß. Am Berkelufer selbst fallen wurde von Truppen der Katholischen Li- Coesfeld getauscht hatte. Das Kloster er- im Spätsommer die üppigen Bestände ga unter Führung des kaiserlichen Feld- richtete gegenüber der Kornmühle eine des Drüsigen Springkrauts auf, eine ur- herrn Tilly vernichtend geschlagen. Im 2. zweite kleinere Mühle, die der Ölgewin- sprünglich aus dem Himalaya-Gebiet Weltkrieg schließlich gehörte Stadtlohn nung diente. Ein verheerender Brand stammende Pflanze, die sich an vielen zu den am stärksten zerstörten Städten zerstörte 1911 die alte Kornmühle. Die Flussufern breit gemacht hat. im Münsterland. wiederaufgebaute Mühle wurde im März Die Stadtlohner Wassermühle bildet für 1945 durch Bomben erneut zerstört, je- Stadtlohn verdankt seinen Namen den den Wanderer gleichsam das Tor zur In- doch nur zwei Jahre später in veränder- Herren von Lohn, die erstmals im Jahr nenstadt. Hier heißt es auch Abschied ter Form neu errichtet. An die Stelle des 1085 in einer Urkunde des Bischofs Er- nehmen von der Berkel, die wir ein letz- Mühlrades trat nunmehr eine Turbine. pho von Münster erwähnt werden. Der tes Mal überqueren. Das genaue Alter Die Reste der nur teilweise zerstörten Öl- bischöfliche Haupthof Lohn war später der Kornmühle ist nicht bekannt, doch mühle wurden 1951 abgetragen. Oberhof für einen Verband von über 80 gab es sie vermutlich bereits lange vor Höfen, vor allem um Stadtlohn, in Reken der ersten urkundlichen Erwähnung im Der X 9 führt mitten durch die Fußgän- und in . Der Ort erhielt wohl im Jahr 1364. In einer münsterischen Chro- gerzone, die von der mächtigen Pfarr- 14. Jh. durch die Bischöfe von Münster nik des Mittelalters heißt es von Bischof kirche St. Otger beherrscht wird. Wem Stadtrechte. Der Name Stadtlohn er- Otto IV. (1392-1424), er „tymmerde ock der heilige Otger nicht ganz geläufig

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Weidelandschaft nördlich Velen ist: An seiner theologischen Kompe- Jahrhundert durch eine gotische Kirche Hinter der Siedlung Immingfeld durch- tenz muss niemand zweifeln. Immerhin ersetzt, der wiederum 1892 ein neugoti- wandern wir eine landwirtschaftlich ist das Patrozinium der St. Otger-Kir- sches Gotteshaus folgte, das am 11. und geprägte Landschaft. Der Weg führt chengemeinde in Stadtlohn einzigartig 21. März 1945 bis auf die Umfassungs- parallel zu einem tief ausgebauten Gra- im gesamten deutschsprachigen Raum. mauern von Bomben zerstört und später ben, durch den die Schlinge fließt, die Aber wer war Otger eigentlich? Otger wiederaufgebaut wurde. ganz in der Nähe in der Bauerschaft stammte aus England und bekam An- Gescher-Estern entspringt. Die Schlin- fang des 8. Jahrhunderts vom Papst den Wie in allen Städten des Westmünster- ge wurde frühzeitig begradigt, weil sie, Auftrag, zusammen mit den Bischöfen landes war die Textilindustrie lange Zeit man mag es beim Anblick des hier eher Wiro und Plechelmus, an der Missionie- der mit Abstand größte Arbeitgeber mickrig erscheinenden Bächleins kaum rung der damals noch heidnischen Sach- in Stadtlohn. Mittlerweile hat sich der glauben, früher in Südlohn und Oeding sen mitzuwirken. Sie bauten in der Nähe Strukturwandel erfolgreich vollzogen regelmäßig für Überschwemmungen der holländischen Stadt Roermond auf und die Wirtschaftskraft verteilt sich auf sorgte. Außerdem schaffte sie es, dort einer Anhöhe, die später den Namen St. mehrere Standbeine. und auch im holländischen Winterswijk Odilienberg erhielt, eine Kirche und ein Wassermühlen anzutreiben. Woher der Kloster, von dem aus sie in das Gebiet Wir verlassen Stadtlohn in südlicher Name Schlinge stammt, ist nicht ge- der heutigen Niederlande und in das Richtung. Für Kinder und Nostalgiker sichert. Einerseits kann er vom Lauf westliche Münsterland vordrangen, um unter den Erwachsenen lohnt noch ein des Gewässers mit ursprünglich vielen dort erstmals Taufen vorzunehmen. Zu kurzer Abstecher zu einem ungewöhn- Krümmungen und Windungen abgelei- Gemeindegründungen kam es aber noch lichen Museum. Das Siku-Museum prä- tet sein. Andererseits wird als Schlinge nicht. Die waren Bischof Liudger vorbe- sentiert fast 10 000 Spielzeugmodelle auch der Durchbruch einer Landwehr halten, unter dessen Stiftungen St. Ot- des Herstellers Siku aus rund 60 Jahren, bezeichnet. Heute herrscht im Umfeld ger eine Vorrangstellung einnahm, weil vom Mobilkran bis zum Mähdrescher. der Schlinge Ackernutzung vor. Grün- sie auf Liudgers eigenem Grund erbaut Das Museum hat nicht täglich geöffnet, land nimmt auch hier immer mehr ab, und somit eine bischöfliche Eigenkirche deshalb sollten sich Liebhaber von Fort- weil die Milchwirtschaft kaum noch ren- war. Der ursprüngliche romanische Bau bewegungsmitteln im Miniaturformat tabel ist und der Bedarf an Ackerflächen wurde an der Wende vom 14. zum 15. vorher schlau machen. durch Biogasanlagen steigt.

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Borken zu fruchtbarem Kompost umge- wandelt wird.

Schloss mit „langer Kieke“

Wir wandern ein Stück entlang der Kreis- straße und zweigen dann nach rechts ab. Nördlich des Weges befinden sich grö- ßere Grünlandflächen, die zum Natur- schutzgebiet „Feuchtwiesen östlich Gut Barnsfeld“ gehören. Sie sind zwar über- wiegend entwässert, beherbergen aber noch einige Flutrasenarten wie Knick- fuchsschwanz oder Flutender Schwaden. Im Frühjahr machen Kiebitze mit ihren markanten Balzflügen darauf aufmerk- sam, dass sie hier einige Brutreviere für sich beanspruchen. Um die Lebensbedin- gungen für sie und andere Wiesenvögel zu verbessern, hat man einige Blänken in den Wiesen angelegt. Mit der Pferdekutsche über den X 9 Nach einer Linkskehre, bei der wir auf den X 10 stoßen, geht es hinauf auf Nicht weit von der Stelle, an der wir vor der Bundesstraße 525 fallen rechter den Lobbenberg, mit 66 Metern Höhe die Kreisstraße überqueren, liegt et- Hand Gebäude mit einem kuppelartigen die erste markante Erhebung unserer was westlich des X 9 in einem kleinen Dach auf. Wanderung. Die Kiefernwälder auf dem Waldstück eine weitere mittelalterliche Sie gehören zur Kompostierungsanlage Lobbenberg sind durch forstliche Maß- Fluchtburg, die „Versunkene Borg“. Kurz Gescher, in der der Bioabfall des Kreises nahmen stark aufgelichtet worden. Lei-

Schön, aber giftig: Fliegenpilz

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Schloss Velen der hat man bei der Wiederaufforstung wurde. Es geht weiter durch die typische Klimawandels zurecht kommt. Dem steht erneut auf Nadelhölzer wie Kiefer und Parklandschaft des Münsterlandes. Über gegenüber, dass die Roteiche als nicht Lärche zurückgegriffen. Ein standort- den „Fischediek“ nähern wir uns Velen. heimische Baumart weniger Tierarten gerechter Laubwald aus Buchen, Eichen Fischediek ist ein im Münsterland recht Lebensraum bietet. Hinzu kommt, dass und Birken wäre angesichts „Kyrill“ und häufiger Straßenname und weist dar- sich ihr Laub nur schwer zersetzt und so seiner möglichen Nachfolger vielleicht auf hin, dass es in der Nähe Fischteiche krautige Pflanzen in ihrem Wachstum die bessere Lösung gewesen. Einzelne gab. Kurz vor Velen biegen wir ab und behindert sind. Viele negative Beispie- Flecken mit Calluna (Besenheide) deuten durchqueren das Waldgebiet „Schwarze le zeigen, dass beim Einbringen nicht darauf hin, dass der Lobbenberg vor der Kott“. Hier wachsen viele Roteichen, eine einheimischer Pflanzen- und Tierarten Aufforstung mit Kiefern eine Heidefläche amerikanische Eichenart, die seit Anfang Vorsicht das oberste Gebot sein sollte. war. Der Boden ist sehr sandig, neben des 18. Jahrhunderts auch in Mitteleu- Der X 9 streift lediglich den Ortskern von der Besenheide wachsen in den Wäldern ropa kultiviert wird und an ihren großen, Velen. Velen wird im Jahre 890 erstmals vor allem Schlängelschmiele, Heidel- tief eingeschnittenen Blättern leicht zu urkundlich erwähnt. Seine Entwicklung beere und Pfeifengras. Gelegentlich ist erkennen ist. Anfangs schätzte man sie wurde lange Zeit bestimmt durch die Her- im Frühjahr der markante, im langsa- wegen ihres markant gefärbten Herbst- ren von Velen, einem der bedeutendsten men Sinkflug vorgetragene Gesang des laubes vor allem als Park- und Allee- westfälischen Adelshäuser. Ihr Stamm- Baumpiepers zu hören, der solche offe- baum. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts sitz, das Wasserschloss Velen, prägt nen Wälder gerne besiedelt. bekam sie auch forstliche Bedeutung, noch heute das Ortsbild. Die Ursprünge weil sie resistenter als die einheimischen des Wasserschlosses liegen im 13. Jahr- Erneut erreichen wir an einer Gaststät- Stiel- und Traubeneichen gegenüber hundert. Im Laufe der Zeit hat es durch te die Kreisstraße, biegen aber schnell Luftverschmutzungen ist. Ihr Holz er- Vergrößerungen und Anbauten sein Ge- wieder rechts ab. Es geht leicht bergan reicht allerdings nicht deren Qualität. sicht mehrfach verändert. Die heutige zu einer auffallende Eiche. Wir sind auf Dennoch ist ein verstärkter forstlicher Anlage stammt aus dem 17., 18. und dem Barger Esch, altes Ackerland, das Anbau der Roteiche in der Diskussion, 19. Jahrhundert und wurde von nam- früher vermutlich mit den auf den Lob- weil sie als anspruchslose Baumart mög- haften Architekten ihrer Zeit entworfen, benberg gestochenen Plaggen gedüngt licherweise besser mit den Folgen des darunter Ambrosius von Oelde, der die

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Die ehemalige Fasanerie von Schloss Velen

Vorburg als Dreiflügelanlage entwarf, haben die Nord-Süd-Sichtachse, die VII. von Velen (1516-1595) , der das Ge- und dem berühmten Barockbaumeister sich im angrenzenden Tierpark fortsetzt, biet aufforsten ließ. Dort tummelten sich Johann Conrad Schlaun, von dem die empfindlich gestört. Erhalten geblieben dann Rehe, Wildschweine und Rotwild, Pläne für den 1744/45 im Wesentlichen sind einige Gehölzinseln am Westrand allerdings nicht, um mit ihrem Anblick neu erbauten Südflügel stammen. 1931 des Parks mit alten Rosskastanien, Hain- den Schlossherrn zu erfreuen, sondern brannte das Schloss bis auf die Grund- buchen, Rotbuchen, Linden und Blutbu- um bei Hofjagden mit der Flinte aufs mauern nieder, wurde danach aber nach chen, die Anfang des 19. Jahrhunderts Korn genommen zu werden. Tiergärten alten Plänen wiederaufgebaut und wird angepflanzt wurden. Pflanzenlisten und galten als Statussymbole für Reichtum heute als Sporthotel und Tagungsstätte Quittungen aus dieser Zeit geben de- und Macht. Daneben hatten sie aber ei- genutzt. tailliert Auskunft über 124 Staudenarten nen ganz praktischen Zweck, denn das Frisch renoviert präsentiert sich die und die verwendeten Gehölze. Darunter Wild sicherte auch die Ernährung des Orangerie oder „Zitronenburg“, wie sie befinden sich auch seltene Arten wie Hofes – insbesondere in schwierigen Zei- auch im Volksmund heißt. Sie wurde Maulbeere, Blasenstrauch und eini- ten wie nach dem 30-jährigen Krieg. Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst ge Nadelbäume. Einige „Exoten“ wie von Schlaun konzipiert und dann nach Baumzypresse, Tulpenbaum und Trä- Der Tiergarten in Velen ist in den Jah- Plänen seines Mitarbeiters Gerhard van nenkiefer stehen heute noch im Bereich ren 2005 und 2006 behutsam erneuert der Giese erbaut. Während früher hier des ehemaligen Schlossparks. worden, wobei Wege und Alleen nach die Zitruspflanzen der Herren von Velen historischem Vorbild rekonstruiert und überwinterten, können sich die Besucher Wer beim Begriff „Tiergarten“ automa- neu erschlossen wurden. Wir wandern der Orangerie heute kulinarisch verwöh- tisch an Löwe, Pinguin und Co denkt, über die als „lange Kieke“ bezeichne- nen lassen. der liegt ziemlich falsch. Bereits im 13. te Sichtachse zwischen Tiergarten und Jahrhundert ließen sich Adlige weitläu- Schloss. Die Allee wurde ergänzt mit Der Schlosspark, durch den der X 9 führt, fige Wildparks anlegen, im 16. Jahrhun- über 100 Kaiserlinden, einer Zuchtform unterlag mehrfach gestalterischen Ver- dert fand man sie dann an vielen Höfen. des Bastards aus Sommer- und Winter- änderungen. Vor allem die Anfang der Der rund 55 ha große Tiergarten von linde. Der Weg überquert zunächst den 1980er Jahre angelegten Tennisplätze Schloss Velen geht zurück auf Hermann Weißen Vennbach, der die Schlossgräfte

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speist. Dann sehen wir linker Hand ein Dichten sind jedoch nur dank regelmä- Wir wandern weiter in südlicher Rich- langgestrecktes Gewässer, das eben- ßiger Nachzucht und Winterfütterung tung. Während bisher Getreide- und falls längere Zeit kaum noch erkennbar möglich. Nur so lässt sich auch die hohe Maisfelder die ackerbauliche Nutzung war. Es trägt die treffende Bezeichnung Jagdstrecke von bundesweit 350 000 bestimmten, stoßen wir plötzlich auf „Langer Fischteich“ und diente früher Tieren im Jahr erzielen. große Gemüsefelder. Spinat, Porree oder zur Fischzucht. Wir passieren zwei Ge- Grünkohl sorgen für einen im Münster- bäude, rechts das alte Forsthaus, schräg In Velen betreten wir auch erstmals den land eher ungewöhnlichen Anblick, der gegenüber die 1755 erbaute Fasane- Naturpark Hohe Mark. 1964 gegründet, aber rund um Reken keine Rarität ist. rie, in der Wanderer sich heute stärken zählt er zu den älteren der mittlerwei- Denn hier befindet sich ein Produkti- können. Die Jagd auf die extra in den le über 100 Naturparke in Deutschland, onsstandort der Firma Iglo. Rund 100 Fasanerien gezüchteten Vögel gehörte von denen der 1957 gegründete Natur- Landwirte in der Region erzeugen auf im Barock zu den höfischen Vergnü- park Vogelsberg der erste war. Anders rund 3500 Hektar Fläche im Vertragsan- gungen. Wie das „schrille Outfit“ der als in Nationalparken und Naturschutz- bau das Gemüse, das von den Äckern männlichen Tiere schon vermuten lässt, gebieten, in denen der Schutz von Flo- auf kurzem Weg in die Tiefkühlpackung ist der Fasan kein ursprünglich einhei- ra und Fauna im Vordergrund steht, wandert. Dank der garantierten Abnah- mischer Vogel. Die Heimat liegt in den spielte in Naturparken lange Zeit die memengen ist der Anbau für die Bauern zentralasiatischen Trockengebieten. Der Erholung die dominierende Rolle. Nach durchaus lukrativ. Die Firma bemüht sich heute bei uns verbreitete Jagdfasan ist der Wiedervereinigung bekamen Ziele zudem um nachhaltige Anbaumethoden. eine Züchtung aus unterschiedlichen wie Regionalvermarktung, Umweltbil- So wurde in Reken in einem Pilotprojekt Rassen. Vermutlich brachten die Römer dung und nachhaltiger Tourismus ein der Spinatbau im Hinblick auf Kriterien den Hühnervogel mit nach Mitteleuro- stärkeres Gewicht. Seit November 2005 wie Bodenfruchtbarkeit und Artenviel- pa. Fränkische Quellen von 800 n. Chr. werben die Naturparke gemeinsam mit falt untersucht, um daraus neue Anbau- weisen erstmals eindeutig auf seine Nationalparken und Biosphärenreser- richtlinien abzuleiten. Haltung hin. Erste sichere Hinweise auf vaten unter der Dachmarke „Nationale das Vorkommen freilebender Fasanen Naturlandschaften“ für die Großschutz- Wir überqueren die Bundesstraße 67, kommen aus dem Rheinland und stam- gebiete in Deutschland. Im 1040 km2 die wichtigste Straßenverbindung zwi- men aus dem 12. und 13. Jahrhundert. großen Naturpark Hohe Mark hat die Er- schen dem westlichen und dem zentra- Zwar kann der Fasan sich in klimatisch holung wegen der Nähe zum Ballungs- len Münsterland, deren durchgängiger nicht zu ungünstigen Tieflagen auch raum Ruhrgebiet aber immer noch einen Ausbau zwischen Bocholt und Dülmen ohne menschliche Hilfe halten, größere großen Stellenwert. von der regionalen Wirtschaft schon seit

Grünkohlfeld bei Reken

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det und wandern durch die Bauerschaft Voßplacke. Während „Voß“ für Fuchs steht, deutet die Bezeichnung „Placke“ darauf hin, dass hier früher Plaggen zum Düngen der Äcker gestochen wurden. Noch einmal geht es kurz bergauf, bevor wir dann mit Gefälle zum Endspurt auf Reken ansetzen können. Der staatlich anerkannte Erholungsort entstand 1969 durch Zusammenschluss der Ortsteile Groß Reken, Klein Reken und Hülsten. Zu den Sehenswürdigkeiten gehört die alte Wehrkirche, die heute ein Museum beherbergt und zugleich der Endpunkt unserer Wanderung ist. Wer etwas über das Ziel hinausschießt, landet bei der Windmühle von 1807, die vom Heimat- verein Reken mit viel Mühe restauriert wurde und heute ein kleines Museum beherbergt. Wer dann immer noch keine müden Füße hat: Der X 9 führt weiter Ungenießbar: Früchte des Faulbaums als Wanderweg des Sauerländischen Ge- birgsvereins bis nach Gladbeck. Jahrzehnten gefordert wird. Derzeit be- Arzt und Botaniker Jacobus Theodorus stehen noch zwei Lücken, von denen der Tabernaemontanus (1522–1590) in sei- Abschnitt zwischen und Borken nem 1588 erschienenen „New Kreuter- im Frühjahr 2010 wohl geschlossen wird. buch“ sehr anschaulich beschreibt: „Viel „Münsterland zu Fuß“ erscheint als Beilage in Nach wie vor umstritten ist die Strecke brauchen die Rinden allein / gebens ge- der Zeitschrift „Heimatpflege in Westfalen“, Dülmen-Reken, die durch die Merfelder dörrt und gepulvert ein / treibt oben und herausgegeben vom Westfälischen Heimat- Niederung führt und dort unter anderem unten aus.“ bund, Münster. Weitere Informationen dort: Brutgebiete für Wiesenvögel zerschnei- Fachbereich Wandern, Stefan Herringslack, det. Wir überqueren die Autobahn A 31, die Tel.: 0251/203810-15, E-Mail: stefan.her- das Ruhrgebiet mit Ostfriesland verbin- [email protected] Vom höchsten Punkt zum Ziel

Hinter der B 67 geht es bergauf. Wir erklimmen den höchsten Punkt unserer Am Ziel in Groß Reken Wanderung. Der „Schwarze Berg“ er- reicht eine Höhe von 103 Metern. Un- ter unseren Füßen liegen die Halterner Sande, die teilweise eine Mächtigkeit von 250 Metern haben und ein immens wichtiger Grundwasserspeicher für die Wasserversorgung des Ruhrgebiets sind. Am Schwarzen Berg sind sie von einer rötlichen Flugsanddecke überlagert. Der Weg hat sich stellenweise etwas in den Untergrund eingegraben. Die Vegetation mit Pfeifengras, Heidel- beere und einzelnen Heideresten ist ar- tenarm. Recht häufig ist der Faulbaum, der im Hochsommer dadurch auffällt, dass Blüten, reife und unreife Früchte an einem Strauch gleichzeitig zu finden sind. Ein anderer Name für den Faul- baum lautet Pulverholz und bezieht sich auf die frühere Nutzung des Holzes als Schießpulverkohle. Friedlicher, aber auch nicht ganz ohne, ist die Verwendung der Rinde als Abführmittel, die der berühmte

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