Inhaltsverzeichnis

Donnerstag, 20. März 2014

Festvortrag

Jurij Andruchowytsch: Die Polen. Aus der Perspektive eines Angenäherten ...... 9

Theateraufführung

Studententheater Sfinga ...... 10 Das Stück »Circe« ...... 10 Die Autorin: Dr. Anna Maciejewska ...... 10

Freitag, 21. März 2014

Projektvorstellungen

Leitung: Peter Oliver Loew (Darmstadt) ...... 11

Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte

Maisch, Christoph (/Oder): Polens kritische Theoretiker: Adorno und Ludwik Fleck. Überschneidungen in der Ästhetik der Wissenschaft ...... 11 Heinecke, Steffi (Wuppertal): Das polnische Wissenschaftssystem im Postsozialismus: Stillstand und (institutioneller) Wandel ...... 12 Waibel, Isabella (München/Posen): Akademische Mobilität am Beispiel von deutsch- polnischen Master- und Promotionsprogrammen: Befragungen und Symposium mit Studierenden und Studiengangexperten ...... 12 Łopatka, Tomasz (Marburg): Möglichkeiten des elektronischen Publizierens im Rahmen des Fachrepositoriums zur Geschichte des östlichen Europa »OstDok« ...... 13

Kultur und Literatur

Kuroczyński, Piotr (Marburg): Virtuelle Rekonstruktionen in transnationalen Forschungs- umgebungen – Das Portal: Schlösser und Parkanlagen im ehemaligen Ostpreußen ...... 14 Ackermann, Ines (Warschau): Grenzen von Sprache. Sprachliche und kulturelle Selbstbeschreibungen als Pole/Polin in Belarus und Litauen ...... 14 May-Chu, Karolina (Madison, WI): From Literature about the Border to Border Poetics. German-Polish Literary Encounters after 1989 ...... 15 Vatter, Theresa (Passau): Homosexualität und Spiel in der polnischen Literatur ...... 15 Neca, Lukasz (Mainz): Sakrale Semantik in der polnischen Gulag-Literatur ...... 16

Geschichte

Metan, Saskia (Dresden): Zur Rezeption, Edition und Übersetzung des Tractatus de duabus Sarmatiis ...... 16 Bezold von, Andreas (Hagen): Die parlamentarische Vertretung der dänischen und der polnischen Minderheit im Deutschen Kaiserreich 1871-1918 im Deutschen Reichstag – Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Kooperationen ...... 17

1 Frysztacka, Clara Magdalena (Siegen): Nationale Geschichte in einer transnationalen Gegenwart schreiben? Polnischsprachige Geschichtskultur(en) zwischen drei Imperien am Ende des ›langen‹ 19. Jahrhunderts ...... 18 Schimsheimer, Christof (Mainz): Litauische, polnische, ukrainische und weißrussische Erin- nerungsdiskurse über die östlichen Territorien der Rzeczpospolita seit dem 19. Jahrhundert . 19 Klann, Andree (Siegen): Vertrauen und Misstrauen zwischen Deutschen und Polen in der Zweiten Polnischen Republik ...... 19

Zeitgeschichte

Schmidt, Annalena (Gießen/Marburg): (Selbst-)Hilfe in Zeiten der Hilflosigkeit? Die »Jüdische Soziale Selbsthilfe« und die »Jüdische Unterstützungsstelle« im Generalgouvernement 1939-1945 ...... 20 Grygier, Jonas (Frankfurt/Oder): Die Umsetzung von (neuer) Ordnung – Die soziale Praxis lokaler Verwaltung unter Bedingungen sozialistischer Staatlichkeit in der Volksrepublik Polen am Beispiel der Wojewodschaft Breslau (1953-1973) ...... 21 Plate, Silke (Bremen): Die »Untergrundpost« der polnischen Oppositionsbewegung der 1980er Jahre ...... 22 Jaskulowski, Tytus (Dresden): Von einer Freundschaft, die es nicht gab. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974-1990 ...... 22 Straube, Sophie (München): Polen und die US-amerikanische Polonia seit 1989: Diskurse über »Nation« und »Diaspora« ...... 23

Erinnerungskulturen

Röttjer, Julia (Mainz): Das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz als UNESCO Weltkulturerbe ...... 24 Ipgrave, Francis (Gießen): Europa in den deutschen und polnischen Narrativen zum Zweiten Weltkrieg. Eine komparative Studie zu den medialen Diskursen über den Zweiten Weltkrieg 24 Hinrichsen, Kerstin (Siegen): Kulturelle Aneignung in der Ziemia Lubuska (1945-1975) ...... 25 Kretschmann, Vasco (): Musealisierung der Breslauer Stadtgeschichte im 20. Jh...... 26 Lang, Ulrike (München): Der Wandel der Erinnerungskultur in Łódź nach 1945 ...... 27

Politik

Zaganczyk-Neufeld, Agnieszka (Bochum): Der Begriff des Politischen in Polen 1976-1997 .... 27 Bader, Katarina (München): Medialisierung der Parteien, Politisierung der Medien. Interdependenzen zwischen Medien und Politik im postsozialistischen Polen ...... 28 Becht, Lukas (München): Politische Zeithorizonte und demokratisches Regieren in der 3. Polnischen Republik ...... 28 Traupe, Dorothea (Breslau): Identität und Bedrohung. Eine diskursanalytische Untersuchung polnischer Außenpolitik nach 2001 ...... 29 Szczerbak, Paweł (Göttingen): Die europäischen »policies« in Polen, Deutschland und Frankreich diskutieren. Direkte Parlamentsbeteiligung in EU-Angelegenheiten und Politischer Diskurs im Vergleich ...... 30

2 Sektion 1 Nachhaltigkeit und Naturschutz. Umweltbezogene Kooperation in Ostmitteleuropa

Leitung: Thomas Bohn (Gießen) ...... 32 Moderation: Henadz´ Sahanovič (Minsk) ...... 32

Bohn, Thomas (Gießen): Zusammenarbeiten in der Peripherie? Der Nationalpark von Białowieża als polnisch-sowjetisches Projekt 1932-1991 ...... 32 Krzoska, Markus (Gießen): Machbarkeitsphantasien im Naturschutz. Deutsche und polnische Bemühungen zur Rettung und Rückzüchtung von Wisent, Ur und Wildpferd in der Zwischenkriegszeit ...... 32 Kühne, Olaf (Saarbrücken): Nachhaltige Raumentwicklung in Polen? Aspekte des Übergangs der sozialistischen Moderne zu Postmoderne ...... 33 Obertreis, Julia (Erlangen): Kommentar ...... 33

Sektion 2 Evaluating 1989 Critically: An Interdisciplinary Panel

Leitung: Mark Keck-Szajbel (Frankfurt/Oder) ...... 34 Moderation: Dagmara Jajeśniak-Quast (Frankfurt/Oder) ...... 34

Keck Szajbel, Mark (Frankfurt/O.): Home on the Grain: the Strange Death of Polish GMOs .... 34 Kraft, Claudia (Siegen): On the Possibility of Historicizing 1989 ...... 35 Krapfl, James (Montreal): From Socialist Media to Social Media: Comparing Languages of Revolution, 1989-2013 ...... 35 Stykow, Petra (München): Kommentar ...... 36

Sektion 3 Wilna im 19. Jahrhundert als Ort von Kulturtransfer

Leitung: Mirja Lecke (Bochum) ...... 36

Bednarczuk, Monika (Bochum): Studenten und Absolventen der Universität Wilna im Russischen Imperium in der ersten Hälfte des 19. Jhs. (Anpassungsstrategien, Karrieren, Auswirkung) ...... 37 Weeks, Theodor (Carbondale, Ill.): Competing Histories: Vilnius/Wilno in Lithuanian and Polish historical writing in the 19th century ...... 37 3) Lecke, Mirja (Bochum): Pan Podstolis Reise über Wilna nach Russland. Faddej Bulgarin und der Sittenroman ...... 38 4) Lawaty, Andreas (Lüneburg): Kommentar zu den Beiträgen ...... 38

Sektion 4 Modi der Kommunikation in Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen

Leitung: Jan Kusber (Mainz) ...... 39

Borchers, Sebastian (Berlin): Zeitgenössische polnische Musik im Wechselspiel mit dem bundesdeutschen Musikleben der 1960er und 1970er Jahre ...... 39 Gawlitta, Severin (Essen): »Aus dem Geist des Konzils! Aus der Sorge der Nachbarn!« Die Polenarbeit der katholischen Bischöfe Deutschlands 1965-1972 ...... 40 Bicknell, Lisa (Mainz): Schwer zu vermitteln. Die Haltung Helmut Schmidts und Willy Brandts zu KOR und Solidarność ...... 41 Ritter, Rüdiger (Bremen): Solidarität mit Vorbehalten. Das Bremer Koordinationsbüro der Solidarność ...... 41

3 Zwischenzeiten I

A | Projektvorstellungen | Internetplattformen Plattform »Pol-int.org« | Zentrum für Interdisziplinäre Polenforschung, Frankfurt (Oder) ...... 43 Plattform »Polen in der Schule« | Deutsches Polen-Institut, Darmstadt ...... 44

B | Projektvorstellungen | Deutsch-Polnische Erinnerungsorte & Modi Memorandi Zentrum für Historische Forschungen der PAN, Berlin ...... 45

C | Kurzdiskussion | Polen in Europa – ein politikwissenschaftlicher Blick Andrea Gawrich (Gießen), Stefan Garsztecki (Chemnitz), Tytus Jaskułowski (Dresden), Dorothea Traupe (München) ...... 46

D | Vorstellung | Das Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien (Halle/Jena) Perspektiven in Forschung und Graduiertenförderung Yvonne Kleinmann (Halle), Achim Rabus (Jena) ...... 46

E | Buchvorstellung | Reinhold Vetter: Bronisław Geremek. Der Stratege der polnischen Revolution ...... 47

Sektion 5 Der Erste Weltkrieg und Polen

Leitung: Peter Haslinger (Marburg/Gießen, derzeit Jena) ...... 49

Pieniazek, Wojciech (Gießen): Urbane Gewalt in Oberschlesien: Kriminelle Gruppen während der Abstimmungszeit (1918-1921) ...... 49 Reder, Eva (Wien): Praktiken der Gewalt: Das polnische Militär und die Pogrome während des polnisch-sowjetischen Krieges (1919-1920) ...... 50 Braun, Brigitte (Trier): Polnische Freiheitskämpfe im deutschen Film – Propagandistische Verständigungsversuche im Ersten Weltkrieg ...... 50 Spät, Robert (Freiburg/Br.): Deutsche und Polen zwischen Verständigung und Konfrontation. Die Proklamation des Königreichs Polen am 5. November 1916 als Zäsur in der öffentlichen Debatte über die »polnische Frage« ...... 51

Sektion 6 Polnisch-Jüdischer Wissenstransfer in der Neuzeit

Leitung: François Guesnet (London), Katrin Steffen (Lüneburg) ...... 52

Guesnet, François, (London): Die Plica Polonica zwischen 1600 und 1900: Bilder-, Wissens- und Begriffstransfer um eine erfundene Krankheit ...... 52 Steffen, Katrin (Lüneburg): Die Konstruktion von Differenz: Anthropologische und medizinische Vorstellungen über die Juden in Polen im 19. und 20. Jahrhundert ...... 53 Warneck, Dorothea (Jena): Samuel Dickstein, Majer Bałaban und Maximilian Goldstein als Kuratoren. Zu den Anfängen einer Museologie des Jüdischen in Polen ...... 54 Stach, Stephan (Leipzig): Experten in eigener Sache – Jüdische Wissenschaftler in der Politikberatung in Piłsudskis Polen ...... 55 Kleinmann, Yvonne (Leipzig): Kommentar ...... 55

4 Sektion 7 Literaturwissenschaftliche Sektion

Leitung: Alfred Gall (Mainz) ...... 56

Pörzgen, Yvonne (Bremen): Im Zweifel entscheidet die Münze: Stanisław Lem und die Willensfreiheit ...... 56 Różańska, Katarzyna (Hamburg): Gedächtnis der Orte – polnische Auseinandersetzungen mit der jüdischen Geschichte in der neueren Prosa (Stacja Mokotów von Beata Chomątkowska, Fabryka muchołapek von Andrzej Barth und Festung Warschau von Elżbieta Janicka) ...... 56 Heinzmann, Uwe (Mainz): Gustaw Herling-Grudziński im literarischen Dialog mit Italien ...... 57 Schuster, Karlheinz (Mainz): Das Einverständnis der Orientierungslosen ...... 58 Freise, Matthias (Göttingen): An Heraklits Fluss – Czesław Miłosz und die Geschichtlichkeit .. 58

Sektion 8 Politische Mobilisierung und gesellschaftliche Rahmung

Leitung: Jörn Ahrens (Gießen) ...... 60

Alber, Ina (Marburg/Göttingen): Erinnerungs- und Erzählmuster oppositioneller Kategorien in der heutigen polnischen Gesellschaft ...... 60 Bonn, Lisa (Göttingen): Ethnonationale Deutungsmuster in der polnischen Politik aus aktueller und historischer Perspektive ...... 61 Dietz, Hella (Göttingen): Die »neuen Aufbegehrenden« vor und nach 1989. Zur Entstehung des KOR und zur Bedeutung eines neuen Milieus der Aufbegehrenden für die polnische Politik ...... 61 Andreas Langenohl (Gießen): Kommentar ...... 62

Zwischenzeiten II & III

A | Vorstellung polenbezogener Studiengänge | Kiel, Tübingen, Jena/Halle, Regensburg . 63

B | Round-Table-Talk des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität | Kontinuität und Wandel. Beziehungen und Wahrnehmungen zwischen den beiden deutschen Staaten und ostmitteleuropäischen Ländern 1970-1989 ...... 64

Teilnehmer: Olschowsky, Burkhard (Warschau) ...... 64 Pick, Dominik (Warschau) ...... 64 Schmidt-Schweizer, Andreas (Budapest) ...... 64 Zimmermann, Volker (München) ...... 64

C | Kurzsektion | Soziologie des Nachbarn: Gießen/Lodz ...... 65

Leitung:Langenohl, Andreas (Gießen) ...... 65 Motowidło, Jagoda (Gießen): Medialer Alltag polnischer Transmigrant_innen. Eine empirische Fallstudie aus Frankfurt am Main ...... 66 Czyżewski, Marek (Lodz): Öffentliche Debatten über den Rechtsextremismus und die Frage nach der Vermittlungsarbeit ...... 66

D | Buchvorstellung | WBG Deutsch-Polnische Geschichte, Band 2 Hans-Jürgen Bömelburg, Edmund Kizik: Altes Reich und alte Republik. Deutsch-polnische Beziehungen und Verflechtungen 1500-1806 ...... 67 Deutsches Polen-Institut, Wissenschaftliche Buchgesellschaft

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E | Projektvorstellung | Interkulturelle Kompetenz in der deutsch-polnischen Zusammenarbeit an Hochschulen und in der Wirtschaft ...... 68 Schmid, Stefan (München); Bauer, Aleksandra (Regensburg) ...... 68

F | Projektvorstellung | Das Verhältnis zur Nachbarsprache im polnisch-sächsischen Grenzgebiet ...... 69 Buraczyński, Radosław Marek (Dresden); Schulz, Nathalie (Dresden) ...... 69

Sektion 9 Normalitäten (über-)setzen

Leitung: Kolja Lichy (Gießen) ...... 70

Heyde, Jürgen (Halle/Jena): Owszem ... Das Problem der Normalität in den polnisch-jüdischen Beziehungen ...... 71 Garsztecki, Stefan (Chemnitz): Normalität in den deutsch-polnischen Beziehungen nach 1945 ...... 72 Marszałek, Magdalena (Potsdam): »Normale« Erinnerungskulturen: Reenactment-Konjunkturen in Polen und Deutschland (Arbeitstitel) ...... 72 Lichy, Kolja: (Gießen): Der verzweifelte Stolz der Besonderen? »Normalität« in polnischen und deutschen Entwürfen von Nationalgeschichte (19./20. Jh.) ...... 73 Bömelburg, Hans-Jürgen (Gießen): Kommentar ...... 74

Sektion 10 Polnische Gewerkschaften in der EU

Leitung: Christin Landgraf (Bremen) ...... 74

Krzywdzinski, Martin (Berlin): Polnische Gewerkschaften zwischen Stagnation und Wandel .. 74 Trappmann, Vera (Magdeburg): Postkommunistische Schwächen durch externen Druck überwinden? ...... 74 Lis, Aleksandra (Posen): The Europeanization of Polish trade unions. Results of an empirical study ...... 75 Landgraf, Christin (Bremen): Die Repräsentation polnischer Gewerkschaften auf der EU-Ebene in vergleichender Perspektive ...... 75 Hürtgen, Stefanie (Frankfurt/Main): Kommentar ...... 76

Sektion 11 Polnisch als Herkunftssprache

Leitung: Agnieszka Pustoła (Freiburg/Br.) ...... 77

Pustoła, Agnieszka (Freiburg/Br.): Die Sprachverwendung von Zahlwörtern im Polnischen bei Herkunftssprechern des Polnischen in Deutschland ...... 77 Müller, Anna Marta (Freiburg/Br.): Zwischen Erosion und unvollständigem Spracherwerb. Defizite in der Morphosyntax des Polnischen als Herkunftssprache unter besonderer Berücksichtigung des Adjektivs ...... 78 Błaszczyk, Izabela (Regensburg): Polnisch im Sprachkontakt. Beschreibung und empirische Analyse zu Entlehnungshierarchien und Spracherosion im Bezug auf die Kategorie Modus .. 78 Hadam, Johanna (Bochum): Die Sprachverwendung und Sprachwahrnehmung polnisch-deutscher Jugendlicher der zweiten Generation ...... 79 Daiber, Thomas (Gießen): Kommentar ...... 80

6 Sektion 12 Wissenschaft als Übersetzung? Translation und Wandel polnischsprachiger Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Leitung: Jan Surman (Wien/Warschau), Katharina Kreuder-Sonnen (Bonn/Gießen) ...... 81

Górny, Justyna (Warschau): »Die zugenagelten Fenster auf Europa entriegeln« – Ostap Ortwin übersetzt Otto Weiningers »Geschlecht und Charakter« ...... 81 Górny, Maciej (Warschau): Der »Deutsche Weg« der polnischen Wissenschaften vom Menschen ...... 82 Kreuder-Sonnen, Katharina (Bonn/Gießen): Labormedizin in Warschau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – ein Übersetzungsprodukt ...... 82 Surman, Jan (Wien/Warschau): Polnischer Traum. Polnische nationale Philosophie und/als kulturelle Übersetzung ...... 83 Wendland, Veronika (Marburg): Kommentar ...... 84

Sektion 13 Polnisch-osmanische Nachbarschaft

Leitung: Stefan Rohdewald (Gießen), Dirk Uffelmann (Passau) ...... 85 Moderation: Yaşar Sarıkaya (Gießen) ...... 85

Rohdewald, Stefan (Gießen): »Die Polen sind unsere ältesten Freunde« und sächsisches Porzellan »à la Turque« als polnisches Gastgeschenk: Polnisch-osmanischer Allianzpoker um 1790 ...... 85 Uffelmann, Dirk (Passau): Reale Nachbarn und imaginierte Identität. Osmanische ›Sarmatica‹ im aufklärerischen Polen ...... 85 Kirschbaum, Heinrich (Berlin): Entführung aus dem Serail oder Salon-Orientalismen eines Provinz-Dandys ...... 86 Blaszczyk, Arkadiusz (Gießen): Franciszek Henryk Dusiński und Mustafa Celaleddin Paşa. Zwei polnische Exilanten und ihr Beitrag zum »Turanismus« ...... 87

Sektion 14 Erinnerungskulturelle Sektion

Leitung: Robert Traba (Berlin) ...... 88

Mann, Katharina (Köln): Polonia – eine Nationalallegorie als Erinnerungsort in der Polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts ...... 88 Woniak, Katarzyna (Berlin): Verspätetes Verständnis. Deutsche Kommunen und ihre Erinnerungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter ...... 89 Heinemann, Monika (München): Nationale Minderheiten in musealen Geschichtsbildern der Republik Polen, 1980–2010 ...... 89 Chu, Winson (Milwaukee, WI): »Das wiederhergestellte Gedächtnis«: Deutsch-polnische Erinnerungspolitik in Łódź nach 1989 ...... 90

7 Sektion 15 Übersetzung/Translation

Leitung: Bożena Chołuj (Frankfurt/Oder) ...... 91

Düring, Michael (Kiel): Warschau übersetzen: Anmerkungen zur Neuübersetzung von Antoni Słonimskis Roman Dwa końce świata (1936) ...... 91 Eberharter, Markus (Warschau): Literarische ÜbersetzerInnen als Akteure der Vermittlung deutschsprachiger Literatur in Polen nach 1945. Am Beispiel von Wanda Kragen ...... 92 Wojcik, Paula (Jena): Antisemitismus als Diskursfeld in der deutschsprachigen interkulturellen Literatur aus Polen ...... 92 Wöll, Alexander (Greifswald): Hybridität und Übersetzung bei Miron Białoszewski ...... 93

Sektion 16 Nachbarinnen stellen sich vor. Übersetzungspraktiken als Verständigungs-prozesse? Die Ge- schlechterperspektive im deutsch-polnischen Kontext um 1900

Leitung: Dietlind Hüchtker (Leipzig) ...... 94

Dadej, Iwona (Berlin): Übersetzungspraktiken in der Frauenbewegung um 1900. Wissensgewinnung und -weitergabe durch Übersetzungen der programmatischen Schriften der Frauenbewegung ...... 94 Turkowska, Justyna A. (Gießen): Die Wissensvermittlung in den Händen der Hebammen: Deutsche und polnische Hebammen zwischen beruflicher Ermächtigung und nationaler Bevormundung um 1900 ...... 95 Lausen, Sabrina (Paderborn): Nur »Zuschauerinnen« ? – Frauenrollen aus der Sicht deutscher und polnischer studentischer Verbindungen im frühen 20. Jahrhundert ...... 96

Posterpräsentationen, Aussteller

Posterpräsentationen ...... 97 Aussteller (Institutionen, Verlage) ...... 99

Impressum ...... 100

8 Donnerstag, 20. März 2014

xFestvortragx

Jurij Andruchowytsch Die Polen. Aus der Perspektive eines Angenäherten

Jurij Andruchowytsch (geb. 1960 in Ivano-Frankivs’k / Stanislau / Stanisławów) zählt zu den führen- den Intellektuellen der Ukraine. Er spricht über die Rolle der polnischen Literatur in seinem Leben, ihre Bedeutung für seine Sicht der Welt, über ihre literarisch-ästhetischen und gesellschaftlich- politischen Prinzipien und das ganz Besondere in ihr.

Ausgewählte Auszeichnungen: Herder-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung (2001) Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück (2005) Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD (2005) Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (2006)

Ausgewählte Veröffentlichungen in deutscher Sprache: Perversion, Roman. Berlin 2011 Geheimnis. Frankfurt am Main 2008 Engel und Dämonen in der Preipherie. Essays. Frankfurt am Main 2007 Zwölf Ringe, Roman. Frankfurt am Main 2005

9 STUDENTENTHEATER SFINGA

Das Studententheater »Sfinga« ist im Rahmen des Instituts für Klassische Philologie an der Adam- Mickiewicz-Universität in Poznań tätig. Als ein nichtprofessionelles Universitätstheater führt »Sfinga« verschiedene antike Stücke unterschiedlicher Arten und Traditionen auf. Sein Debüt hatte es 1997 mit Miles gloriosus in der Übersetzung und unter der Leitung von Frau Professor Ewa Skwara. Seit je- ner Zeit ist »Sfinga« ohne Pause aktiv und führt für ein breites Publikum vor allem Komödien auf. In letzter Zeit fanden die Aufführungen kostenlos statt: sowohl in Poznań als auch in anderen polni- schen Städten, im Rahmen von Theaterfestspielen. Bemerkenswert ist es, dass »Sfinga« die Stücke immer in neuen, oft noch nicht veröffentlichen Übersetzungen aufführt. Deswegen sind alle Insze- nierungen praktisch Uraufführungen. Im Sommer 2013 nahmen die Schauspieler am 14. Kolloqui- um der Société Internationale pour l’étude du Théâtre Médiéval teil, mit einer Episodenauswahl aus Terenz’ Eunuchus, die ausnahmsweise in der Originalsprache gespielt wurde. Zurzeit wird die Theatergruppe von Dr. Katarzyna Kaniecka-Juszczak und Mgr. Łukasz Berger begleitet.

Circe: Zusammenfassung des Theaterstücks

Ulisses ist am Ufer der Insel gestrandet, auf der die schöne und gefährliche Kirke regiert. Sie ist Schiffbrüchigen gegenüber keineswegs freundlich gesonnen und verwandelt alle männlichen Gestrandeten in Schweine. Ulisses aber gelingt es, seine Gestalt zu bewahren, Dank magischer Kräuter, die er von Satyrn erhalten hat, die er zuvor getroffen hatte. Ulisses ist so zwar imstande, Kirkes Zauber zu entfliehen, aber er kann nichts gegen ihren weiblichen Charme tun. Er verliert den Kopf, verliebt sich in sie, doch nach einiger Zeit kommt er wieder zur Vernunft und erinnert sich an seine Familie. Die verachtete Zauberin lässt ihn fluchend und seine männlicher Natur verwün- schend frei.

Zur Autorin

Dr. Anna Maciejewska arbeitet an der Universität Łódź. Sie ist eine aktive Verfechterin der Verbrei- tung der Latinitas in der modernen Kultur sowie im modernen Schulwesen. Sie leitete mehrere Un- terrichtsprojekte an Schulen zum »lebendigen Latein« (Viva Latina), mit musikalischen und theatra- lischen Umrahmungen. Das von ihr verfasste Satyr-Musical Circe verbindet lateinische Sprache und Kultur mit guter Laune und polnischen Hits. Das Stück wurde 2010 in Łódź uraufgeführt.

10 Freitag, 21. März 2014

xProjektvorstellungenx

Leitung: Dr. Peter Oliver Loew (Darmstadt)

Peter Oliver Loew (geb. 1967). Historiker, Kulturwissenschaftler. Stellvertretender Direktor in wissen- schaftlichen Fragen am Deutschen Polen-Institut (seit 2002). Wissenschaftliche Schwerpunkte: Ge- schichte Polens, Deutschlands und der deutsch-polnischen Beziehungen in der Neuzeit, Geschich- te und Gegenwart Danzigs, Pommerns und Pommerellens, Geschichte Schlesiens, Geschichte der Geschichtskultur, Erinnerungskultur, Literatur- und Musikgeschichte, vergleichende Geschichte Ostmitteleuropas. Veröffentlichungen: Danzig. Biographie einer Stadt. München 2011 (poln.: Gdańsk 2013); Wir Unsichtbaren. Geschichte der Polen in Deutschland. München 2014 (im Druck).

I Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte

Christoph Maisch, M.A. (Frankfurt/Oder) Polens kritische Theoretiker: Adorno und Ludwik Fleck. Überschneidungen in der Ästhetik der Wissenschaft

Christoph Maisch M.A., studierte Europa-, Politik- und Kulturwissenschaften in Bremen, Berkeley, Poznan und Frankfurt Oder. Seit 2012 ist er mit seinem Dissertationsprojekt »Eine kritische Theorie Polens« Doktorand bei Prof. Bożena Chołuj. Neben seiner Mitarbeit an der HTW Berlin ist er im deutsch-polnischen Austausch tätig und beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von Ästhetik und Wissenschaft.

Die Grundlage dieses Beitrages sind die äs- wissenschaftlich-theoretischen Grundlagen thetisch theoretischen Konzepte Adornos beruhende Schriften unter einem essayisti- und Ludwik Flecks Schriften zu Wissenschafts- schen ästhetischen Paradigma gelesen. kritik. Adorno bietet dabei keine praktische Flecks Analyse der kollektiven Generierung Anleitung, sondern ein nicht durch die Praxis von Wissen wird hier als eine Kombination korrumpiertes Ideal, in der kritisches Denken von »Form« (das Ästhetische) und »Inhalt« entwickelt werden soll. Dabei bedeutet für (das Naturwissenschaftliche) in praktischer Adorno das Schreiben eines Essays, sich Anwendung gelesen. Untersuchungsgegen- selbst in den Diskurs zwischen Rationalität und stand ist dabei Flecks Aufsatz zum Pathogen Irrationalität der Gesellschaft und des Denk- der Syphilis, der in Teilen in der poetischen kollektivs zu begeben, und somit (Wissen- Form eines Dialoges dargestellt wird. Dieser schafts-)Kritik von einer ästhetischen Perspek- wird ähnlich dem platonischen Dialog in ION tive zu betreiben. Fleck definiert Denkkollekti- gestaltet, in welchem Form und Inhalt durch- ve als isolierte Gruppen von Personen die in gängig im Austausch stehen. Flecks Beitrag einem diskursiven Ideenaustausch stehen. kombiniert somit natur- und literaturwissen- Dieser Diskurs ist dominiert durch eine Grup- schaftliche Ideen durch die Ästhetik und pe, die als Träger eines historisch entwickel- macht sie für die Wissenschaftskritik nutzbar. ten Denkgebiets fungiert, das einen spezifi- Jahre vor Adorno wird damit versucht, seine schen Denkstil definiert. Um nicht durch einen metatheoretischen Ideale praktisch zu reali- spezifischen Denkstil eingegrenzt zu werden, sieren. Diese ästhetische Untersuchung muss dieser durch periphere Ansätze unter- Flecks zeigt damit eine Forschungslücke auf. laufen werden, z.B. durch die Ästhetik. Wäh- rend Adorno also den Essay als theoretisches Ideal für die Forschung betrachtet, versucht 1 Fleck, Ludwik (2011): Denkstile und Tatsachen. Ge- Fleck bereits seine praktische Realisierung. sammelte Schriften und Zeugnisse. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. (S.181-211) Um dies zu zeigen, werden Flecks auf natur-

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Dipl.-Soz. Steffi Heinecke (Wuppertal) Das polnische Wissenschaftssystem im Postsozialismus: Stillstand und (institutioneller) Wandel

Dipl.-Soz. Steffi Heinecke (geb. 1985) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Organisati- onssoziologie an der Bergischen Universität Wuppertal, wo sie in einem Forschungsprojekt zu »Me- chanismen der Erneuerungsfähigkeit der universitären und außeruniversitären Forschung: Deutsch- land und die USA im Vergleich« tätig ist. In ihrem Dissertationsprojekt, an welchem sie seit 2012 ar- beitet, beschäftigt sie sich mit dem institutionellen Wandel des polnischen Systems der Wissen- schaft und Forschung nach 1989. Ihre Forschungsinteressen und Lehrbereiche umfassen weiterhin die Wissenschaftssoziologie, den Neo-Institutionalismus, die sozialwissenschaftliche Transforma- tionsforschung in post-sozialistischen Ländern sowie die Organisationssoziologie.

Mit dem Zusammenbruch des Staatssozialis- Wissenschaften (PAN) und FuE-Einheiten mus zum Ende der 1980er Jahre wurde in Po- deutlich. Eine vergleichsweise gemäßigte len ein immenser Wandlungsprozess in Gang Reduzierung des Personal- und Institutsbe- gesetzt, welcher sich in verschiedenen gesell- stands, konstant niedrige finanzielle Ressour- schaftlichen Teilbereichen mit unterschiedli- cen, kognitive und institutionelle Hinterlassen- chen Dynamiken vollzog. Die dramatischsten schaften des Staatssozialismus sowie das Feh- Veränderungen erfuhren das politische Sys- len wirksamer policies prägten das polnische tem und die Ökonomie. Andere gesellschaft- Wissenschaftssystem in den ersten 20 Jahren liche Teilbereiche erhielten aufgrund ihrer nach 1989. Der sich hierbei vollzogene Wan- vergleichsweise geringfügigeren Dringlichkeit del kann, bis zur Schaffung des Ministeriums und politischen Brisanz, sowohl während des für Wissenschaft und höhere Bildung Ende unmittelbaren Systemumbruchs als auch in der 2000er Jahre, eher als graduell denn als der darauffolgenden Erforschung der postso- radikal bezeichnet werden. zialistischen Transformation, ein geringeres Das vorgestellte Projekt versucht, diesen mit- Maß an Aufmerksamkeit. So auch der Be- hilfe geeigneter Daten zu Finanzen, Personal, reich der Wissenschaft und Forschung, des- Publikationen und Organisationsbestand sen Entwicklung im postsozialistischen Polen nachzuzeichnen und unter Verwendung Gegenstand des vorgestellten Dissertations- theoretischer Konzepte des soziologischen In- projektes ist. stitutionalismus einzuordnen. Hiernach soll der Nach einer ersten Reformwelle zu Beginn der Bedeutungswandel der PAN, als einer stark 1990er Jahre, in welcher die zunächst vor- sozialistisch geprägten Institution, untersucht rangigen Ziele der Autonomie der Forschung und mit dem Schicksal der Akademien der und der weitreichenden Demokratisierung Wissenschaften anderen MOEL verglichen des gesamten Sektors verwirklicht wurden, werden. Aufschlüsse über verschiedene Ent- blieb das polnische Wissenschaftssystem, trotz wicklungspfade innerhalb des polnischen der sich radikal verändernden Umwelt, relativ Wissenschaftssystems soll schließlich eine de- stabil. Diese Stabilität wird v.a. in der Repro- taillierte Fallstudie zu zwei Forschungsinstitu- duktion der ererbten dreigliedrigen Struktur ten im Bereich der Synchrotronstrahlung lie- aus Universitäten, Polnischer Akademie der fern.

Dr. Isabella Waibel (München/Posen) Akademische Mobilität am Beispiel von deutsch-polnischen Master- und Promotionsprogrammen: Befragungen und Symposium mit Studierenden und Studiengangexperten

Dr. Isabella Waibel, geb. in Poznań/Polen, wissenschaftliche Mitarbeiterin (zus. mit Prof. R. Tippelt Leitung des DPWS-Projekts »Akademische Mobilität am Beispiel von deutsch-polnischen Master- und Promotionsprogrammen« und Koordinatorin der Projektabschlusstagung an der LMU Mün- chen (14./15. Nov. 2014), Schwerpunkte in Lehre & Forschung: Internationale Hochschulkooperati- on und Mobilität, Arbeitsmarkt und Berufstätigkeit.

12 Das in Kooperation zwischen der LMU Mün- Das Projekt will am Beispiel der deutsch- chen und der UAM Poznań stattfindende Pro- polnischen Master- und Promotionspro- jekt (Projektdauer: Juni 2013-Januar 2015) ist gramme die Strukturen der internationalen eingebettet in die Arbeitsbereiche »Empiri- Studiengänge in den Blick nehmen und die sche Bildungs- / Hochschul- und Studieren- Motive, Erwartungen und Erfahrungen von denforschung«. Im Mittelpunkt der explorati- Studiengangleitern und Studierenden be- ven Studie stehen die deutsch-polnischen leuchten. Master- und Promotionsprogramme sowie Die Ergebnisse werden in einer Daten- und deren Studierende. Derartige Studienpro- Perspektiven-Triangulation analysiert und im gramme werden von verschiedenen Hoch- Rahmen einer internationalen Tagung an der schulen partnerschaftlich, meist in bilateraler LMU München 14./15. Nov. 2014 präsentiert. Kooperation, konzipiert und implementiert. Das Projekt wird von der Deutsch-Polnischen- Obgleich der Stellenwert der genannten Wissenschaftsstiftung und durch die LMU gemeinsamen Studienprogramme als sehr München gefördert. hoch angesehen wird und deren Zahl welt- Weitere Infos zum Projekt und zur Tagung sind weit steigt, ist das Interesse der Forschung an abrufbar unter: www.edu.lmu.de/dp diesen Angeboten bisher gering.

Dr. Tomasz Łopatka (Marburg) Möglichkeiten des elektronischen Publizierens im Rahmen des Fachrepositoriums zur Geschichte des östlichen Europa »OstDok«

Dr. Tomasz Łopatka, geb. 1982, Studium der Geschichte in Wrocław und Berlin, im Anschluss Pro- motion am Historischen Institut der Uniwersytet Wrocławski mit der Arbeit »Das Täufertum im polni- schen Antitrinitarismus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts«. Forschungsinteressen: Reforma- tionsgeschichte, Erinnerungskulturen sowie Provenienzrecherche. Seit September 2013 wissen- schaftlicher Mitarbeiter am Herder-Institut im Rahmen des Fachrepositoriums OstDok. Łopatka, Tomasz (Marburg): Möglichkeiten des elektronischen Publizierens im Rahmen des Fach- repositoriums zur Geschichte des östlichen Europa »OstDok«

Das Fachrepositorium OstDok (www.ostdok. Publikationen. Im Rahmen des Repositorium de), gefördert durch die Deutsche For- OstDok sind zwei digitale Reihen entstanden: schungsgemeinschaft und betrieben durch - DigiOst – eine betreute und redigierte digi- das Herder-Institut, die Bayerische Staatsbib- tale Reihe vornehmlich für wissenschaftliche liothek München, das Collegium Carolinum Sammelbände, die eine schnelle Veröffentli- und das Institut für Ost- und Südosteuropafor- chung von Konferenz- und Tagungsbänden schung in Regensburg, ist die zentrale Platt- ermöglicht, wobei durch eine gründliche Re- form für elektronische Volltexte der Osteuro- daktion und Begutachtung die Beiträge die paforschung mit derzeit über 2500 Publikatio- gleiche Wertigkeit besitzen wie solche in refe- nen. Neben den Recherchemöglichkeiten rierten Zeitschriften. Als Herausgeber der Rei- bietet OstDok den Wissenschaftlerinnen und he fungieren Prof. Ulf Brunnbauer, Prof. Martin Wissenschaftlern, die sich mit der ost-, südost- Schulze Wessel und Prof. Peter Haslinger. und ostmitteleuropäischen Kultur, Geschichte Die »Digitale Reihe der Graduierungsschrif- und Sprache beschäftigen, die Möglichkeit, ten« – eine vom Collegium Carolinum betreu- ihre Forschungsergebnisse schnell, kostenfrei te Reihe, die Nachwuchswissenschaftlerinnen und gleichzeitig unter Beibehaltung einer und -wissenschaftlern die Möglichkeit bietet, Qualitätssicherung zu publizieren. Die auf ihre Master-, Magister- und Diplomarbeiten zu OstDok publizierten Dokumente sind dem publizieren. Die wissenschaftliche Qualität Open-Access-Prinzip entsprechend weltweit dieser Publikationen wird durch den Heraus- kostenfrei verfügbar und werden von der geberkreis sichergestellt, dem Prof. Martin Bayerischen Staatsbibliothek langzeitarchi- Schulze Wessel, Prof. Dietmar Neutatz, Prof. viert. Ein Redaktionsausschuss der beteiligten Joachim von Puttkamer, Prof. Stefan Troebst, Institute garantiert durch die Begutachtung Prof. Peter Haslinger und Prof. Jörg der Texte das wissenschaftliche Niveau der Baberowski angehören.

13 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der diesem Fall koordiniert der Redaktionsaus- Veröffentlichung von Publikationen, die nicht schuss die Qualitätskontrolle und den gesam- in das Profil der digitalen Reihen passen. Auf ten Redaktions- und Bearbeitungsprozess der diese Weise können z.B. Dissertationen und Manuskripte bis zur Veröffentlichung. Habilitationsschriften publiziert werden. In

II Kultur und Literatur

Dr. Piotr Kuroczyński (Marburg) Virtuelle Rekonstruktionen in transnationalen Forschungsumgebungen Das Portal: Schlösser und Parkanlagen im ehemaligen Ostpreußen

Biogramm und Abstract sind nicht rechtzeitig vor Drucklegung eingegangen

Ines Ackermann, M.A. (Warschau) Grenzen von Sprache. Sprachliche und kulturelle Selbstbeschreibungen als Pole/Polin in Belarus und Litauen

Ines Ackermann (geb. Steger) ist Stipendiatin des Promotionskolleg der Fakultät »Artes Liberales« der Universität Warschau und schreibt ihre Dissertation über Sprache und Identifizierung polnisch- sprachiger Bewohner des litauisch-belarussischen Grenzraums. Ihr Magisterstudium (Polonistik, Ost- europastudien, DaF) absolvierte sie an der Humboldt Universität Berlin mit Auslandssemestern in Wrocław (Polen) und Tomsk (Russland). Für ihre Abschlussarbeit erhielt sie den wissenschaftlichen Förderpreis des Botschafters der Republik Polen sowie den Humboldt-Preis. Sie arbeitet freiberuflich als Dolmetscherin und Fachreferentin für internationale Bildungs- und Forschungseinrichtungen.

In der Dissertation werden die Idiolekte von cher Generationen aufgezeichnet; die teil- Vertretern unterschiedlicher Altersgruppen nehmenden InterviewpartnerInnen erklärten aus dem Umfeld der polnischen Minderheit sich beim Erstkontakt als Polen/Polinnen und im belarussisch-litauischen Grenzgebiet un- waren in der Lage, flüssig Polnisch zu spre- tersucht und in Zusammenhang mit der je- chen. Die Interviews wurden von der Autorin weiligen soziokulturelle Selbstbeschreibung auf Polnisch nach halb-standardisiertem Leit- gebracht. Ziel ist es, die zahlreichen individu- faden geführt und mit MAXQDA11 qualitativ ellen Identitäten herauszuarbeiten, die sich und quantitativ ausgewertet. hinter der direkten Antwort »Ich bin Po- In der Analyse der Interviews standen dann le/Polin« verstecken und die auf unterschied- folgende Fragen im Zentrum: In wiefern lichste Art und Weise mit der Aussage »ich weicht der Idiolekt der InterviewpartnerInnen spreche Polnisch« korrelieren. vom Standardpolnischen ab? Was hat in den Anhand von 25 Interviews mit Angehörigen Augen der Befragten besonders starken Ein- von sieben Familien aus dem Gebiet, das in fluss auf den Erhalt der polnischen Sprache in der Zwischenkriegszeit zu Polen gehörte, Belarus bzw. Litauen? Wie schätzen sie selbst werden Brüche und Kontinuitäten in Idiolekt, die Vitalität des Polnischen vor Ort ein? Wie Sprachgebrauch und der kulturellen Identität charakterisiert sich die individuelle Sprachein- zwischen den Generationen festgemacht stellung der InterviewpartnerInnen? Und wie sowie überregionale Gemeinsamkeiten und gestalten sich das imaginierte Bild von Polen Unterschiede aufgezeigt. als Staat sowie die Kontakte der Interviewten Dafür wurden aus jeder Familie Gespräche zur Referenznation? mit mindestens drei Vertretern unterschiedli-

14 Karolina May-Chu, M.A. (Madison, WI) From Literature about the Border to Border Poetics. German-Polish Literary Encounters after 1989

Karolina May-Chu ist Doktorandin am Department of German der University of Wisconsin-Madison in den USA. Zuvor studierte sie Germanistik und American Studies an der Universität Potsdam, wo sie ihr Studium 2006 mit einer Magisterarbeit über die armenische Diaspora in den USA abschloss. Während und nach ihrem Studium arbeitete sie für die Vortragsreihe »Berlin Dialogues« der Har- vard University und später auch im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Seit 2007 lebt Karolina in den USA, wo sie zunächst als Übersetzerin arbeitete und u.a. Maria Höhn’s GIs and Fräuleins: The German-American Encounter in 1950s West Germany ins Deutsche übersetzte. Seit 2009 ist sie an der UW-Madison, wo sie sich mit der Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts beschäf- tigt sowie mit Border Studies und Weltliteratur.

Mit den politischen Umbrüchen von 1989/90 nischen Literatur eine neue und sehr spezifi- kam es in Deutschland und Polen auch zu ei- sche Weise der Auseinandersetzung mit dem ner erneuten Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Grenzland gibt. Dabei geht es deutsch-polnischen Grenze. Jenseits der poli- in meinem Projekt vor allem darum, das Ent- tischen Spannungen brachte ein neu er- stehen einer Poetik der Grenze deutlich zu wachtes Bewusstsein für die Vermischung un- machen: Aus der Auseinandersetzung mit terschiedlicher Kulturen und Religionen in der Fluidität von Grenzen, der Hybridität von den polnischen Grenzregionen ab Mitte der Identitäten und der Unschärfe des Grenz- 90er Jahre eine »neue Grenzlandliteratur« raumes entsteht eine besondere Poetik, die (Stefan Chwin) hervor, die sich deutlich von starke Verbindungslinien zwischen ›deutscher‹ dem bisherigen Umgang mit der deutsch- und ›polnischer‹ Literatur sichtbar macht. In polnischen Thematik abhob. Jenseits nostal- diesem deutsch-polnischen Austausch wer- gischer Verklärung und stereotyper Darstel- den nationale und regionale Grenzziehun- lungsweise geht es in dieser neuen polni- gen in Frage gestellt, während gleichzeitig schen Grenzlandliteratur um das Insistieren multidimensionale transkulturelle und globale auf »unscharfe Identitäten« sowie das Begrei- Verbindungen offen gelegt werden. Zur Ana- fen des Raumes selbst als dynamisch und lyse dieser zwar lokal situierten aber doch hybrid. global verfassten Transiträume stützt sich Auch in der deutschsprachigen Literatur hat meine Dissertation vor allem auf Theorien von eine derartige Auseinandersetzung mit Tran- Border Studies, Transkulturalität, Kosmopoli- siträumen zugenommen. Dabei sind dicho- tismus und Weltliteratur. Mein Projekt zeigt, tomische Konzepte wie das ›Eigene‹ und das wie Grenzen im engeren und im übertrage- ›Fremde‹ als Bezugsgrößen ebenso instabil nen Sinne in diversen Texten auf die Probe geworden wie nationale oder sogar regiona- gestellt und durch multidirektionale Überset- le Identitäten. In meiner Dissertation zeige zungsprozesse stetig neu ausgehandelt wer- ich, dass es in der deutschen und in der pol- den.

Theresa Vatter, M.A. (Passau) Homosexualität und Spiel in der polnischen Literatur

Biogramm und Abstract sind nicht rechtzeitig vor Drucklegung eingegangen.

15 Łukasz Neca, M.A. (Mainz) Sakrale Semantik in der polnischen Gulag-Literatur

Łukasz Neca studierte Slavische Philologie, Betriebswirtschaftslehre und Osteuropäische Geschich- te an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Zur Zeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Institut für Slavistik. Zu seinen Interressensgebieten zählen Literaturtheorie, literarische Übersetzung sowie Traumatheorie in Kontexten der Kulturanthropologie und der polnischen Litera- tur des zwanzigsten Jahrhunerts.

Die Texte ehemaliger polnischer Gefangenen kann. Die Auseinandersetzung mit einer der sowjetischen Zwangs- und Umerziehungs- fremden und unmenschlichen Wirklichkeit lager (Gulag) lassen sich auf vielfältige Weise des permanenten Identitäts- und Überle- lesen: als Zeugnisse mit dokumentarischen benskampfes wird zu einer Herausforderung Anspruch, als Erinnerungsarbeit, als politisch- für das Inventar der Kultur. Lager-Literatur als historische Systemanalyse und nicht zuletzt als Trauma-Literatur unter den Bedingungen des Versuche individualpsychologischer Bewälti- Kultur- und Zivilisationsbruches zu lesen be- gung. Deportation, Haft, Folter, Zwangsar- deutet somit, den Fokus auf die verwendeten beit, physischer und geistiger Verfall müssen Vokabulare und Beschreibungsstrategien zu dabei als traumatische und disruptive Erfah- richten. Im Hinblick auf sakrale Beschrei- rungen begriffen werden. Die Opfer erleben bungsmuster und Bedeutungsangebote, die mehrere Brüche, sei es durch gewaltsame unser Weltbild absichern und setzen sollen, Entwurzelung oder durch den Zusammenprall stellt sich in aller Dringlichkeit die Frage, worin mit der stalinistischen Gefängniszivilisation. die Leistung solcher semantischen Systeme Bezeichnend ist, dass die radikale Andersar- besteht. Dabei zeigt sich ein breites Spektrum tigkeit der Lager die Autoren vor die Aufga- der Lösungen bei der Vertextlichung des be stellt ein Phänomen zu beschreiben, für Traumas, sowohl beim Umgang mit dem das der eigene kulturelle Hintergrund über sprachlichen Material, als auch mit den be- keine erprobte Sprache verfügt. Die Kluft zwi- deutungsstiftenden Potentialen religiöser Me- schen der Extremerfahrung und ihren Aus- taphorik. Dies reicht von einer unterschiedlich drucksmöglichkeiten resultiert in einem Er- starken Anlehnung an einen geistig- schreiben der anderen Welt begriffen als Su- kulturellen (christlichen, polnischen, westlich- che nach Kontexten, in welchen das Erlebte europäischen) Bedeutungshorizont, bis hin zur überhaupt erst greifbar gemacht werden seiner performativen Negation.

III Geschichte

Saskia Metan, M.A. (Dresden) Zur Rezeption, Edition und Übersetzung des Tractatus de duabus Sarmatiis

Saskia Metan, geb. 1978. Magisterstudium der Germanistik, Slavistik und Romanistik an der TU Dresden. Dort seit 2012 Koordinatorin des Master-Studiengangs »Europäische Sprachen«, seit 2013 Wissenschaftliche Hilfskraft der Professur für Polnische Landes- und Kulturstudien am Institut für Sla- vistik. Promotionsvorhaben zum frühneuzeitlichen Transfer des Tractatus de duabus Sarmatiis des Maciej z Miechowa. Auszeichnung mit der Lohrmann-Medaille der TU Dresden als beste Absolven- tin der Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften 2012/2013. Auszeichnung der Magis- terarbeit mit dem »Wissenschaftlichen Förderpreis des Botschafters der Republik Polen« 2013 in der Kategorie Abschlussarbeit.

Der Tractatus de duabus Sarmatiis des Kra- des bis dahin unscharf kartierten östlichen Eu- kauer Gelehrten Miechowita stellte zu Beginn ropa bereit. Die Reichweite des 1517 ge- der Neuzeit begehrte Informationen über die druckten landeskundlichen Werkes belegen Geographie, Geschichte und Bevölkerung mehrere lateinische Neuauflagen außerhalb

16 Polens, insbesondere aber auch Übersetzun- re, das Textumfeld der Neuauflagen und gen ins Polnische, Deutsche, Niederländische Übersetzungen sowie die formalen, inhaltli- und Italienische, die zwischen 1518 und 1634 chen und sprachlich-stilistischen Abweichun- veröffentlicht wurden – und somit für eine gen der Übersetzungen vom Ausgangstext längerfristige Popularisierung des für Polen erschlossen werden. Im Vordergrund steht die zentralen Sarmatien-Begriffs sorgten. Frage, wie die Übersetzer bei der Vermittlung Unter Bezugnahme auf Ansätze der Kultur- des geographischen, historischen und ethno- transferforschung wird dieser multilaterale logischen Wissens verfahren und inwiefern Transfer des Tractatus im Rahmen eines Dis- die Übertragung in die Volkssprachen zu ei- sertationsvorhabens erstmals analysiert, wo- ner Transformation dieses Wissens führt. Es bei die vorrangig geschichtswissenschaftliche wird deutlich, dass Miechowitas Sarmatien- Perspektivierung der Kulturtransferforschung Traktat durch die editorische Kontextualisie- um philologische Blickpunkte erweitert wird. rung z.B. mit Entdeckerberichten in den früh- Die Beurteilung des Transfers im historischen neuzeitlichen Raumdiskurs eingebettet und Kontext umfasst interpersonale, intertextuelle durch die Übersetzer funktional modifiziert und interlinguale Aspekte, indem die Akteu- wird.

Andreas von Bezold, M.A. (Hagen) Die parlamentarische Vertretung der dänischen und der polnischen Minderheit im Deutschen Kaiserreich 1871-1918 im Deutschen Reichstag – Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Kooperationen

Geboren 1970 in München, 1990 – 1994 Studium der osteuropäischen Geschichte, slawischen Phi- lologie und Philosophie an der Georg-August-Universität in Göttingen, ab 1994 verschiedene be- rufliche Tätigkeiten, ab 2001 Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie an der FernUniversität in Hagen, als berufsbegleitendes Teilzeitstudium im Magisterstudiengang, 2008 Ab- schluss Bachelor of Arts (B.A.), 2012 Magisterabschluss, ab 2013 Promotionsprojekt »Die parlamen- tarische Vertretung der dänischen und der polnischen Minderheit im Deutschen Kaiserreich 1871- 1918 – Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Kooperationen«, Betreuer: Herr Prof. Dr. Peter Brandt, FernUniversität in Hagen. Wissenschaftliche Interessen: Nationale Minderheiten, speziell im 19. Jahrhundert; Geschichte Polens; Geschichte Schleswig-Holsteins; Geschichte Preußens; Geschich- te Südafrikas; Religionssoziologie; Geschichte und Soziologie der Kindheit.

Das 1871 gegründete Deutsche Kaiserreich Repräsentanten innerhalb der parlamentari- war keineswegs ein rein deutscher National- schen Institutionen des von einer deutschen staat. In dessen größtem, politisch wie militä- Mehrheitsbevölkerung getragenen Staates, risch dominierendem Teilstaat Preußen lebte dem die Minderheiten ungefragt zugeschla- in den östlichen Provinzen eine bedeutende gen wurden, als interessant und gewinnbrin- polnische und im äußersten Norden, im Lan- gend erscheinen. Es ist die Frage zu diskutie- desteil Schleswig der Provinz Schleswig- ren, inwieweit die genannten Unterschei- Holstein, eine dänische Minderheit. Beide dungsmerkmale grundlegend für unter- Minderheiten und die damit zusammenhän- schiedliches Vorgehen waren. genden Fragen und Probleme wurden von Anhand einer Untersuchung des Verhaltens Preußen mit in das Deutsche Kaiserreich ein- im Parlament, und der Frage, wie ausgeprägt gebracht. Beide Minderheiten wurden im die Bezugnahme auf die jeweiligen Wähler Deutschen Reichstag von gewählten Vertre- und deren Erwartungen war, soll die Positio- tern repräsentiert, entsprechend der jeweili- nierung der jeweiligen Minderheitenvertre- gen Bevölkerungs- und damit Wählerzahl die tung zum Staat und seinen Institutionen her- Dänen mit fast durchgängig nur einem Ab- ausgearbeitet werde. geordneten in weit geringerem Ausmaß als Eine a priori anzunehmende skeptische bis die Polen, die je nach Legislaturperiode zwi- ablehnende Haltung gegenüber einem schen 13 und 20 Mitgliedern stellten. Staatswesen, dem man nicht freiwillig ange- Gerade diese offenkundigen Unterschiede in hörte, soll im Hinblick auf eine möglicher- der Quantität dieser Minderheiten lassen ei- weise unterschiedlich ausgeprägte Intensität nen Vergleich des Agierens der jeweiligen bei den beiden hier im Fokus stehenden

17 Volksgruppen geprüft werden, mit besonde- te und was solchen möglicherweise im Wege rem Augenmerk auf möglichen Veränderun- stand und somit ein koordiniertes Vorgehen gen dieser Einstellung im Laufe der Geschich- trotz ähnlicher Interessenlage erschwerte te des Deutschen Kaiserreichs, parallel zu bzw. ganz verhinderte. Änderungen der politischen und gesellschaft- Abschließend bleibt zu untersuchen, inwie- lichen Rahmenbedingungen. weit das Verhalten der parlamentarischen Im Anschluss an eine Darstellung von offen- Vertreter der Minderheiten und die Art und kundig gemeinsamen Interessen sowie von Weise, wie diesen und den Minderheiten feststellbaren Unterschieden soll als zentraler überhaupt von der Reichsleitung gegen- Punkt die Frage stehen, in welchem Ausmaß übergetreten wurde, die Situation nach der und mit welchen Resultaten Kooperationen Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten der beiden Minderheitenvertretungen statt- Weltkrieg beeinflusste. fanden, was diese Kooperationen begünstig-

Clara Magdalena Frysztacka, M.A. (Siegen) Nationale Geschichte in einer transnationalen Gegenwart schreiben? Polnischsprachige Geschichtskultur(en) zwischen drei Imperien am Ende des ›langen‹ 19. Jahrhunderts

Clara Frysztacka begann ihr Geschichtsstudium 2005 an der Universität Mailand und schloss den Bachelor 2008 erfolgreich ab. In dieser Zeit verbrachte sie ein Jahr als Erasmusstipendiatin an der Freien Universität Berlin, an der sie anschließend das Masterstudium »Osteuropastudien« mit dem Schwerpunkt Geschichte aufnahm. Im Jahr 2011 reichte sie ihre Abschlussarbeit zum Thema: Die polnische Geschichtsschreibung über die Akcja Wisła nach 1989 ein. Diese wurde mit einer Aus- zeichnung beim »Förderpreis des Botschafters der Republik Polen« honoriert. Das Jahrbuch »Histo- rie« der PAN Berlin veröffentlichte im Jahr 2013 einen Aufsatz aus ihrer Masterarbeit. Seit April 2012 promoviert sie an der Universität Siegen im Projekt: »Geschichte für alle in europäische Zeitschriften des 19. Jahrhunderts« über polnische Geschichtskulturen dieser Zeit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Claudia Kraft.

In meiner Dissertation befasse ich mich mit und mittels Geschichtserzählungen verhan- historischen Artikeln, die in den um die Jahr- delt wurden. hundertwende entstehenden polnischspra- Der Zeitraum von den 80er Jahren bis 1914 chigen Massenzeitschriften veröffentlicht wirkten große soziale, wirtschaftliche und poli- wurden. Anhand dieser Artikel möchte ich tische Veränderungen im gesamten polnisch- die Geschichtskultur und insbesondere die sprachigen Raum bei einer breiten gesell- Vergangenheitsdeutungs- und -darstellungs- schaftlichen Mobilisierung mit, die sowohl so- muster, die am Ende des ›langen‹ 19. Jahr- ziale als auch nationale Nuancen umfasste hunderts in den drei Teilungsgebieten präsent und deren Konfliktpotential von Diskursen und waren, in den Blick nehmen. Praktiken imperialer Herrschaft verschärft Ziel meiner Forschung ist es, mit der Vorstel- wurde. Durch die Fokussierung auf drei lung eines schlicht nationalen und einheitli- Hauptthemen – Formen der nationalen Ge- chen Vergangenheitsnarrativs in den drei Tei- schichtscodierung bzw. Selbstentwürfe; Alteri- lungsgebieten zu brechen und vielfältige tätsproduktion durch Geschichte bzw. Ab- hybride Elemente in den Geschichtskultur(en) grenzung des Eigenen nach außen; Narrative der Zeit ans Licht zu bringen. Den Schwer- des Fortschritts und neue Zeitwahrnehmun- punkt der Arbeit bildet die Frage, wie kon- gen in einer rasanten Modernisierung bzw. textbedingte Dynamiken der Eigen- und zeiträumliche Selbstverortung in einer immer Fremdkonstruktion, Reaktionen auf koloniale globaleren Welt – hinterfragt meine Arbeit Zuordnungen sowie Entwürfe eigener kolo- die Vermittlung in dieser Zeit durch Geschich- nialer Diskurse, Zentrum-Peripherie-Bezie- te sowohl von nationalen als auch von trans- hungen und Formen der Selbstverortung in nationalen Orientierungs- und Identifizie- europäischen und globalen Prozessen in den rungsangeboten. historischen Artikeln miteinander interagieren Die ersten polnischsprachigen Massenzeit- schriften stellen in diesem Zusammenhang

18 eine extrem interessante Quellenart dar. Sie schriftenartikel an der Schnittstelle zwischen befassen sich inhaltlich mit den oben ge- einem wissenschaftlichen Geschichtsdiskurs nannten Phänomenen und gleichzeitig ge- und einer populären und hoch differenzier- stalten sie mit. Darüber hinaus stehen die Zeit- ten Produktion historischen Wissens.

Christof Schimsheimer, M.A.(Mainz) Litauische, polnische, ukrainische und weißrussische Erinnerungsdiskurse über die östlichen Territori- en der Rzeczpospolita seit dem 19. Jahrhundert

Christof Schimsheimer wurde 1986 in Mainz geboren. Er studierte von 2005 bis 2013 Polnische Philo- logie, Osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, an der Universität Warschau und als GFPS-Stipendiat an der Nikolaus Kopernikus-Universität Thorn (Toruń). Seine 2012 verfasste Magisterarbeit trägt den Titel »Erschreiben eines umstrittenen Raumes: die ›Kresy‹ im Prosawerk Józef Mackiewiczs«. Seit April 2013 ist Schimsheimer Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Osteuropäische Geschichte des Historischen Seminars der JGU. In seiner Dissertation befasst er sich mit den ehemaligen polnischen Ostgebie- ten als Erinnerungsort.

Im Dissertationsprojekt zu den ehemaligen ian literature and culture in the context of polnischen Ostgebieten wird der Frage ›Borderlands‹ studies« (Bakuła 2009). Es sind nachgegan-gen, wie diese Gebiete in den hierbei die unterschiedli-che Wahrnehmun- nationalen Diskursen der Litauer, Polen, Ukra- gen, die eine Beschäftigung mit den nationa- iner und Weißrus-sen seit dem 19. Jahrhun- len Narrativen über diesen Raum so interes- dert erinnert werden. Damit gehen unter- sant machen. Während für Polen der Grenz- schiedliche Strategien der Aneignung und landcharakter der Gebiete im Vorder-grund Verlustbewältigung einher. Die jeweiligen na- steht, handelt es sich beispielsweise aus litaui- tionalen Narrative, die nicht nur einem histori- scher Perspektive um litauisches Kernland. schen Wandel unterliegen, sondern auch zu Wie integrieren die Ukraine und Weißrussland bestimmten Zeitpunkten in sich hete-rogen hingegen nationalen Raum, wenn beide sind, werden hierbei miteinander verglichen. Länder zu großen Teilen ihrer Geschichte Zwar wird die mythische Erinnerung an die über keine souveräne Staatlichkeit verfüg- »Kresy Wschodnie« seit einigen Jahren von ten? polni-scher Seite verstärkt erforscht, doch Zu den für das Projekt relevante Quellen zäh- mangelt es bisher an vergleichenden Per- len neben der Publizistik (Zeitungen und Zeit- spektiven: »In Poland there are only a few schriften), Belletristik, Historiographie aber experts in the field of Polish literature and cul- auch Denkmäler. Als Theoretische Grundla- ture with compe-tence in Lithuanian, and a gen sind Texte zur Nationsbildung, Mythenfor- few also make use of Ukrainian sources […] schung, Erinnerungskultur/Kulturelles Ge- To date, no well-known Polish studies expert dächtnis, Diskursanalyse und die Postkolonia- has tried to address the question of Belarus- le Studien zu nennen.

Andree Klann, M.A. (Siegen) Vertrauen und Misstrauen zwischen Deutschen und Polen in der Zweiten Polnischen Republik

Andree Klann, geb. 1983, hat von 2004 bis 2008 Geschichte und Sozialwissenschaften an den Uni- versitäten Siegen und Turku studiert. Daran schloss er ein Master-Studium im internationalen Studi- engang »Roads to Democracy(ies)« an den Universitäten Siegen und Uppsala an. In seiner Mas- ter-Arbeit beschäftigte Andree Klann sich mit Identitäten von Deutschen im westlichen Polen zu Beginn der Zweiten Polnischen Republik. Seit 2012 promoviert Andree Klann an der Universität Sie- gen bei Prof. Dr. Claudia Kraft zu »Vertrauen und Misstrauen zwischen Deutschen und Polen in der Zweiten Polnischen Republik«. Interessenschwerpunkte sind die deutsch-polnischen Beziehungen und Erinnerungskulturforschung.

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Mit dem Promotionsprojekt unter dem Ar- welche Beziehungen und Interaktionen zwi- beitstitel »Vertrauen und Misstrauen zwischen schen Bürgern deutscher und polnischer Na- Deutschen und Polen in der Zweiten Polni- tionalität bestanden und wie sie sich im Ver- schen Republik« führt Andree Klann eine mik- lauf der Zwischenkriegszeit entwickelten. Dies rohistorische Analyse durch. Die übergeord- soll vor allem auf lokaler Ebene untersucht nete Fragestellung lautet dabei: Wie stellte werden, wobei es noch offen ist, ob dies eher sich das wechselseitige Verhältnis von Bür- in Richtung einer Stadtgeschichte oder orts- gern deutscher und polnischer Nationalität in übergreifend geschieht. Bezug auf gegenseitiges Vertrauen oder Miss- Vertrauen wird in diesem Promotionsprojekt trauen dar? Wer vertraute oder misstraute nicht nur als rationale Entscheidung und Er- wem und in welchen Zusammenhängen? wartung, sondern auch als persönliche Ein- Diese Fragen sind von besonderem Interesse, stellung und Gefühl betrachtet. Der Schwer- weil das Verhältnis zwischen Deutschen und punkt des Quellenkorpus auf der Analyse von Polen in der Zwischenkriegszeit häufig sehr Ego- und »Alltags«-Dokumenten (z.B. Rech- stark unter dem Gesichtspunkt von deutscher nungen, Vereinsberichte, aber auch Polizei- Minderheit und polnischer Mehrheit betrach- und Prozessakten), die insbesondere unter- tet wurde. Der Fokus lag damit wesentlich schwelliges Vertrauen beinhalten bzw. aus- mehr auf Konflikten (z.B. Minderheitenrechte drücken. Das Promotionsvorhaben kann als vs. mangelnde Loyalität), als auf einem Zu- Beitrag sowohl zur Alltags- und Erfahrungsge- sammenleben oder Modus Vivendi in der schichte, als auch in Teilen zur Mentalitätsge- multiethnischen Zweiten Republik. Es er- schichte von Deutschen in der Zweiten Re- scheint daher spannend zu untersuchen, publik Polen gesehen werden.

IV Zeitgeschichte

Annalena Schmidt, M.A. (Gießen/Marburg) (Selbst-)Hilfe in Zeiten der Hilflosigkeit? Die »Jüdische Soziale Selbsthilfe« und die »Jüdische Unterstützungsstelle« im Generalgouvernement 1939-1945

Annalena Schmidt (geb. 1986) studierte an der Universität Gießen den B.A.-Studiengang Ge- schichts- und Kulturwissenschaften und schloss dieses Studium 2010 mit einer universitätshistori- schen Arbeit ab. Im Anschluss studierte sie bis 2012 ebenda den M.A.-Studiengang Geschichtswis- senschaft, den sie mit einer Arbeit über »Żydowska Samopomoc Społeczna/Jidische Aleinhilf. Die ›Jüdische Soziale Selbsthilfe‹ im Spiegel von Selbstzeugnissen Michał Weicherts« beendete. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Herder-Institut in Marburg und Doktorandin an der Universität Gießen. Das Dissertationsprojekt wurde durch ein Stipendium des DHI Warschau und ein EHRI- Fellowship für Yad Vashem gefördert.

Kurz nach dem Überfall auf Polen im Jahr ten. Im Jahr 1942 wurde die Arbeit der Orga- 1939 schlossen sich jüdische Organisationen nisation von den Besatzer untersagt, wenn- zu einer »Koordinierungskommission« zusam- gleich diese kurz darauf eine Anordnung zur men, um in Warschau gezielter Hilfe für die Gründung der »Jüdischen Unterstützungsstel- jüdische Bevölkerung leisten zu können. Diese le« erteilten, die mit veränderter Struktur und Einrichtung nannte sich ab 1940 »Jüdische Aufgaben ihre Tätigkeit bis in das Jahr Soziale Selbsthilfe« und wurde noch im ersten 1944/45 fortsetzte. Halbjahr von den Besatzungsbehörden aner- Forschung zu der »Jüdischen Sozialen Selbst- kannt beziehungsweise ihnen unterstellt. Die hilfe« und der »Jüdischen Unterstützungsstel- Tätigkeit der Organisation weitete sich damit le« liegt bisher nicht vor – in diesem Projekt auf das gesamte Generalgouvernement aus soll die erste Studie zu den beiden im Gene- – in den Städten wurden Hilfskomitees und in ralgouvernement zwischen 1939 und 1945 tä- den Ortschaften Delegaturen gegründet, die tigen Organisationen entstehen. Das Projekt vor Ort Hilfe für die Bevölkerung leisten soll- ist als Institutionengeschichte angelegt, in

20 dem unter anderem aber auch mit Fragen Besatzung Polens bestehen konnte; was die und Methoden der Holocaustforschung, der Intentionen der beteiligten Gruppen waren; Kommunikationsgeschichte und der Neuen welche Kommunikationswege für die jüdi- Kulturgeschichte gearbeitet werden soll. sche Bevölkerung aus dem Generalgouver- Zentrale Frage ist dabei, wie eine jüdische nement heraus zu anderen Organisationen Hilfsorganisation von den Besatzern toleriert – möglich waren; und nicht zuletzt wie die Zu- und teilweise auch subventioniert – in den sammenarbeit zwischen den unterschiedli- Jahren der Verfolgung und Ermordung der chen Akteuren funktionierte. Juden durch die Nationalsozialisten und der

Jonas Grygier, M.A. (Frankfurt/Oder) Die Umsetzung von (neuer) Ordnung – Die soziale Praxis lokaler Verwaltung unter Bedingungen sozialistischer Staatlichkeit in der Volksrepublik Polen am Beispiel der Wojewodschaft Breslau (1953-1973)

Jonas Grygier studierte Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Greifswald und Posen. Sein Magisterstudium schloss er mit einer Arbeit zur loka- len Verwaltungsperspektive auf die deutsche Minderheit in der Zweiten Polnischen Republik ab. Danach war er in verschiedenen deutsch-polnischen und wissenschaftlichen Projekten tätig. Ge- genwärtig ist er Stipendiat des Zentrums für interdisziplinäre Polenstudien (ZiP) an der Europa- Universität Frankfurt (Oder). Dort befasst er sich im Umfeld seines Dissertationsprojekts mit der sozia- len Praxis lokaler Verwaltung unter Bedingungen sozialistischer Staatlichkeit am Beispiel der Volks- republik Polen.

Nach gängiger Auffassung »durchherrsch- sen zu. Verwaltung bringt Staatlichkeit erst mit ten« die sozialistischen Regime sowjetischen hervor, sie ist »der Staat in Aktion« (Pates). Der Typs die ihnen zugehörigen Gesellschaften. Prozess der Umsetzung von staatlicher Ord- Mit Hilfe der Sicherheitsbehörden, eines um- nung, an dem lokale Verwaltung maßgeblich fassenden Parteiapparats, vergesellschafte- beteiligt ist, unterliegt in einem System »sozia- ten Institutionen und nicht zuletzt mit Hilfe der ler Kräftefelder« (Lüdtke) mannigfaltigen Be- zivilen Verwaltung, die bis in die kleinsten lo- dingungen der Macht, Epistemologien des kalen Ebenen vordrangen, versuchten diese Alltags, sozialen Identitäten, Routinen, um nur Regime nicht nur eine massenwirksame Mo- einige zu nennen. Das alles erst in der Zu- bilisierung für ihre politische Herrschaft dau- sammenschau bestimmt den sogenannten erhaft zu generieren, sondern beanspruchten »Eigen-Sinn« (Lüdtke) von Akteuren in gesell- ebenso, die Lebenswirklichkeit der Menschen schaftlichen Institutionen. umfassend zu steuern, also den Bürgern auch Und doch handelt es sich bei der Volksrepub- ›vor Ort‹ Denk- und Verhaltensstile vorzuge- lik Polen unzweifelhaft um ein Gewaltregime, ben. das nicht davor zurückschreckte, auch ver- Auch das kommunistische Regime der Volks- schiedenste Formen von Zwang und Repres- republik Polen kann zu diesem Herrschaftstyp sion gegenüber seinen Bürgern anzuwenden. hinzugezählt werden. Doch besteht ein be- In meinem Dissertationsprojekt untersuche ich rechtigter Zweifel an einer vollkommenen anhand der Wojewodschaft Breslau (später Durchherrschung durch diese Regime. Nicht Niederschlesien) die soziale Praxis von Ver- alleine aus dem bloßen Grund, dass Herr- waltung in der Volksrepublik Polen für den schaftsanspruch und gesellschaftliche Wirk- Zeit-raum 1953-1973. Es wird der Frage nach- lichkeit nie deckungsgleich sind, sondern weil gegangen, welchen Anteil lokale und regio- verschiedene systemische und sich immer nale Verwaltungsinstanzen bei der Umset- wieder erneuernde Begrenzungen die Gren- zung Sozialistischer Staatlichkeit hatten? Die zen des Handlungsspielraums für alle Akteure Arbeit widmet sich also dem Spannungsfeld dieser Gesellschaften stetig neu bestimmten. zentralstaatlicher Vorgaben, regionaler Ei- Dabei fällt gerade der zivilen Verwaltung als geninteressen und der Machtausübung in Träger und Umsetzer von Staatlichkeit in sol- Staaten sowjetischen Typs. Sie leistet damit chen monozentrischen Systemen eine ent- einen Beitrag zur geschichtswissenschaftli- scheidende Rolle bei staatsbildenden Prozes- chen Forschungsdebatte über das Verhältnis

21 von diktatorisch-zentralistischen Strukturen schaftlichen Subsystemen in Staaten sowjeti- und eigendynamischen bzw. eigen-sinnigen schen Typs. Entwicklungen in staatlichen und gesell-

Silke Plate, M.A. (Bremen) Die »Untergrundpost« der polnischen Oppositionsbewegung der 1980er Jahre

Silke Plate, Studium der Germanistik, Philosophie und Polonistik an der Georg-August Universität Göttingen, der Universität Leipzig und der Uniwersytet Warszawski. 1998-2000 Entsendung als Kul- turassistentin des ifa (Stuttgart) zum Bund der deutschen Minderheit in Danzig, Durchführung kultu- reller Veranstaltungen, Tätigkeit als Deutschlehrerin. 2000-2005 DAAD-Lektorin am Institut für Ger- manistik der Uniwersytet Marii Curie-Skłodowskiej (UMCS) in Lublin, Regisseurin des Studententhea- ters, Organisatorin literarisch-kultureller, historischer Studentenprojekte. 2005-2006 Dozentin am Lehrstuhl für Angewandte Linguistik an der UMCS. Seit 2006 Redakteurin der Polen-Analysen an der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, seit Herbst 2009 dort Doktorandin.

Im Rahmen des »zweiten Umlaufs« (drugi o- »zweiten Umlaufs« standen. Dieser visuellen bieg) wurden in den 1980er Jahren in der Selbstdarstellung wurde zusätzlich Nachdruck Volksrepublik Polen parallel zu zahlreichen verliehen, indem die oppositionellen Herstel- Untergrundzeitungen, Flugschriften und Bü- ler die unzensierte Kleingrafik mit dem Medi- chern auch Untergrundbriefmarken in Tau- um Briefmarke kombinierten, das konventio- senderauflagen konspirativ und dezentral nell einen Staat repräsentiert. Das Engage- hergestellt und landesweit verbreitet. Unter ment der Akteure der Untergrundpost ist da- dem Begriff »Untergrundpost« bekannt, erfüll- her nicht als unpolitische, schöngeistige Be- ten die Briefmarken mit den unzensierten schäftigung einzuordnen, sondern als Angriff Bildmotiven jedoch keine postalische Funkti- auf das staatliche Informationsmonopol und on; ihr Verkaufserlös diente der Unterstützung die staatliche Legitimierung der Volksrepublik weiterer oppositioneller Aktivitäten (Druck Polen sowie umgekehrt als Mittel, die Deu- unabhängiger Publikationen, Hilfe für die Op- tungshoheit über bestimmte Themen zu er- fer staatlicher Repressionen u.ä.). Im Namen langen und die Konsolidiertheit der oppositi- der Solidarność und anderer oppositioneller onellen Bewegung zu demonstrieren. Die lau- Gruppierungen (Solidarność Walcząca, KPN, fende Dissertation an der Forschungsstelle NZS, WiP u.a.) visualisierten die Bildurheber Osteuropa an der Universität Bremen vereint historische, gesellschaftspolitische und kultu- die Analyse des Mediums, der Bildmotive so- relle Themen, die in den staatlichen Medien wie der Herstellungs- und Verbreitungsprozes- tabuisiert oder verfälscht vermittelt wurden. se (Zeitzeugeninterviews) und leistet damit Dem kleinen Format geschuldet, handelte es einen Beitrag, die Visual History für die Erfor- sich um verdichtete Botschaften, die häufig schung der polnischen Oppositionsbewe- in Form von Symbolen zusammenfassend für gung der 1980er Jahre fruchtbar zu machen. ein ganzes Bündel an Diskursthemen des

Dr. Tytus Jaskułowski (Dresden) Von einer Freundschaft, die es nicht gab. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974-1990

Dr. Tytus Jaskułowski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismus- forschung an der Technischen Universität Dresden sowie Mitglied der International Intelligence His- tory Association.

Die umfassende Monographie basiert auf der gänzt durch Interviews mit Zeitzeugen, u. a. vergleichenden Analyse von polnischen und hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern ostdeutschen geheimdienstlichen Akten, er- der polnischen und ostdeutschen Geheim-

22 dienste. Die polnische Fassung (Verlag der c) Die in der Literatur vertretene These über Uni Warschau, 2014) liegt inzwischen vor. Die uneingeschränkte Kapazitäten und Möglich- deutsche Fassung befindet sich noch in der keiten der DDR-Staatssicherheit in Polen Lektorats- und Übersetzungsphase. konnte infrage gestellt werden. Umfang: ca. 700 Seiten (1,5 Mio. Zeichen) d) Offensive und bisher unbekannte Aktivitä- Die wichtigsten Thesen: ten polnischer Geheimdienste gegen die a) Das MfS und das volkspolnische Innenmi- DDR, einschl. Doppelagententätigkeit, sind nisterium nutzten die bestehenden Kontakte ebenso nachzuweisen wie die Aktivitäten der vor allem als Durchsetzungsinstrument der ei- ostdeutschen Geheimdienste gegen die VR genen und nicht bilateralen Interessen. Polen. b) Die bilaterale Zusammenarbeit war mini- e) Die in der Fachliteratur genannte Zahl der mal im Vergleich zu den eigenen Aktivitäten IM des MfS in Polen ist eindeutig falsch. (2-3 % im Vergleich mit den eigenen operati- ven Vorgängen)

Sophie Straube, M.A. (München) Polen und die US-amerikanische Polonia seit 1989: Diskurse über »Nation« und »Diaspora«

Geb. 1984. 2004-2007 Bachelorstudium der Deutsch-Französischen Studien in Regensburg und Clermont-Ferrand. 2007-2010 Masterstudium der Ost-West-Studien in Regensburg mit den Schwer- punktfächern Geschichte Osteuropas und Vergleichende Kulturwissenschaft (gefördert durch die Studienstiftung des deutschen Volkes), Masterarbeit zur Bedeutung der vormärzlichen deutschen Polenfreundschaft im deutsch-polnischen Erinnern (ausgezeichnet mit dem 1. Förderpreis des Ge- neralkonsulats der Republik in Polen in München 2010). Seit 2011 Promotion an der LMU München zum Thema »Polen und die US-amerikanische Polonia um 1989: Diskurse über ‚Nation’ und ›Diaspo- ra‹« (gefördert von der Konrad-Adenauer-Stiftung). Seit 2013 assoziiertes Mitglied der Graduierten- schule für Ost- und Südosteuropastudien an den Universitäten München und Regens-burg.

Am Beispiel der traditionell national- von »Nation« und »Diaspora« sich als Katego- politisierten US-amerikanischen Polonia stellt rien eines grenzüberschreitenden Gemein- das Dissertati-onsvorhaben die Frage nach schaftsbe-wusstseins in der wandelnden Be- der Bedeutung des systempolitischen Um- ziehungspraxis niederschlagen. bruchs um 1989 für das ge-schichtsträchtige Das Projekt stützt sich auf eine repräsentative Verhältnis zwischen Polen und Auslandspo- Auswahl polnischer und auslandspolnischer len. Tageszei-tungen und analysiert ergänzend Ausgangspunkt bildet zum einen die Be- politische Dokumente der beteiligten Akteu- obachtung, dass sich gerade die politischen re. Indem es das polni-sche Transformations- Akteure der US-Polonia unmittelbar am polni- geschehen als einen sensiblen Moment für schen Transformationsgeschehen beteiligten, das Verhältnis zwischen Polen und Auslands- indem sie zunächst die Demokratisierung und polen thematisiert, kann es exemplarisch später die transatlantische Integration aus ih- verdeutlichen, dass Demokratisierung und rer amerikanischen Position heraus mit voran- euroat-lantische Integration in Polen keines- trieben. Zum anderen musste die systempoliti- wegs allein eine innerstaatliche und binnen- sche Wende in Polen eine grundsätzliche gesellschaftliche An-gelegenheit darstellten. Neuverhandlung des polnischauslandspol- Vielmehr verliefen sie wesentlich in transnati- nischen Beziehungsverhältnisses in Gang set- onalen Konstellationen und zeitigten grenz- zen, das zuvor von der Blockkonfrontation übergreifend Rückkoppelungseffekte, die mit des Kalten Krieges und vom Selbstverständnis den amerikanischen Polonia-Eliten auch eine der Polonia-Eliten als Anwalt polnischer Un- außereuropäische Tragweite innehatten. abhängigkeit und Demokratie geprägt war. Damit werden Emigration und Diaspora als Beiden Aspekten geht die Arbeit gleicher- ent-scheidende Elemente der Vernetzung maßen nach und verfolgt dabei auf diskurs- Polens mit anderen Ländern und Weltregio- geschichtlicher Ebene, welche Vorstellungen nen erfasst.

23 V Erinnerungskulturen

Julia Röttjer, M.A. (Mainz) Das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz als UNESCO Weltkulturerbe

Julia Röttjer M.A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz‐Institut für Europäische Geschichte Mainz (IEG). Zu ihren Forschungsinteressen zählen das UNESCO-Welterbe, Geschichtspolitiken, his- torische Vermittlung und materielle Kultur, Urbanistik sowie antireligiöse Politik im Kommunismus. Sie studierte Osteuropäische Geschichte, Mittlere und Neuere Geschichte, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte in Kiel (1997-2005), mit Studienaufenthalten in Irkutsk sowie Chicago. Von 2005 bis 2012 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin Projektleiterin in Bildungs- und Netzwerkvorhaben aus den Bereichen Kinder- und Jugendhilfe, soziale Strafrechtspflege und wissenschaftliche beruf- liche Weiterbildung – teils in deutsch-russischer Kooperationsvorhaben.

Das Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit Weltkulturerbes hatte. Im Mittelpunkt stehen der Geschichte des UNESCO-Weltkulturerbes dabei also nicht nur kulturpolitische Prozesse im polnischen Kontext anhand des ehemali- auf globaler und transnationaler Ebene, son- gen Konzentrations- und Vernichtungslagers dern auch im regionalen osteuropäischen Auschwitz: Nach der Verabschiedung der sowie im polnischen Kontext. Anhand der Un- UNESCO Convention Concerning the Protec- tersuchung der Aufnahme von Auschwitz- tion of World Cultural and Natural Heritage Birkenau im Kontext der anderen polnischen im Jahr 1972 gehörte Polen zu den aktivsten Beiträge zum Welterbe sowie einiger weiterer, Mitgliedern und zu jenen Staaten, welche als mit negativer historischer Bedeutung beleg- erste Vorschläge für die auf dieser Basis zu er- ter Stätten, lässt sich eine neue Perspektive stellende Liste einreichten. Zu den polnischen auf das Welterbe und die Geschichtspolitik Nominierungen zählten 1978 nicht nur die Alt- der UNESCO gewinnen. Nicht zuletzt wurde stadt von Krakau und die Wielicka-Salzmine, aber auch die UNESCO ein Akteur in der sondern auch das ehemalige Konzentrations- Aushandlung von Konflikten um die ge- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. schichtspolitische Deutung von Auschwitz im Das Vorhaben analysiert die Vorgänge, die polnischen wie im internationalen Kontext. zur Einschreibung von Auschwitz in das Kon- Das Projekt ist Teil einer Forschungsgruppe zept des Weltkulturerbes führten und die Ent- am Leibniz‐Institut für Europäische Geschich- wicklung dieser Stätte in dieser Perspektive te Mainz (IEG), die sich mit d. Geschichte der ab 1979. Zugleich sollen die Auswirkungen Welterbekonvention im Rahmen einer Längs- untersucht werden, welche die Inklusion von schnittstudie und vier Fallstudien (Aachen, Auschwitz auf die Idee und Konzeption des Galapagos, Jerusalem, Auschwitz) befasst.

Francis Ipgrave, M.A. (Gießen) Europa in den deutschen und polnischen Narrativen zum Zweiten Weltkrieg Eine komparative Studie zu den medialen Diskursen über den Zweiten Weltkrieg

Francis Ipgrave ist Geschäftsführer des Gießener Zentrums östliches Europa (GiZo) und Doktorand an der Justus-Liebig-Universität (JLU). Die Begutachtung seiner in der Ostereuropäischen Ge- schichte angesiedelten Promotion übernahm Herr Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg. An der Univer- sität Glasgow machte er einen Masterabschluss in Geschichte und Polonistik wie auch einen In- ternational Master in Osteuropastudien. Herr Ipgrave war zudem zu Forschungszwecken zwei Jah- re an der Universität Warschau und der Jagiellonenuniversität in Krakau tätig. Er ist seit 2010 an der JLU Gießen und arbeitet seit 2011 für das GiZo, seit Sommer 2012 als Geschäftsführer. Er hat an der JLU mehrere Seminare zur Osteuropäischen Geschichte in englischer Sprache geleitet. Darüber hinaus arbeitet er als freier Übersetzer von wissenschaftlichen Texten und Publikationen.

Ziel des laufenden Promotionsprojekts ist die stetig verändernden historischen Narrative Untersuchung der unterschiedlichen und sich zum Zweiten Weltkrieg in Polen und Deutsch-

24 land. Im Fokus des Projektes steht hierbei al- Deutschland vorherrschenden Polen-, lem voran die Frage, welchen Einfluss der öf- Deutschland- und Europabilder geklärt wer- fentliche Weltkriegsdiskurs in Polen und den. Die Verflechtungen zwischen den in Deutschland auf die in beiden Ländern un- Deutschland und Polen unterschiedlich ver- terschiedlichen Europabilder hatte bzw. hat. standenen Konzeptionen von »Nation« und Insbesondere nach der Erweiterung der Eu- »Europa« sind in der Forschung bisweilen nur ropäischen Union im Jahre 2004 bildete die tangiert worden. Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs in deut- Das hier vorgestellte Forschungsprojekt – das schen und polnischen Medien einen wichti- in erster Linie für die wissenschaftliche Rezep- gen Aspekt bei der Beantwortung der Frage tion im angelsächsischen Raum verfasst wird nach dem Sinn und der Bedeutung des »Pro- – versucht deshalb zum einen einen vom rein jektes Europa« bzw. Europas als Kultur- und nationalen Standpunkt gelösten Überblick zu Wertegemeinschaft schlechthin. Die 60-, 65- den deutschen und polnischen Diskursen und 70-Jahresgedenkfeiern verschiedener über den Zweiten Weltkrieg zu geben und mit dem Zweiten Weltkrieg verbundener Jah- die Frage nach der Bedeutung der Jahre restage wurden in den deutschen und polni- 1939-1945 für die jeweiligen Identitätsdiskurse schen Medien mit viel Aufwand aufgearbei- zu beantworten. Zum anderen soll die Unter- tet. Das Promotionsprojekt versucht somit vor suchung auch Aufschluss über die entschei- allem die mediale Kommemoration des Zwei- dende aber oft vernachlässigte Rolle von his- ten Weltkriegs und seiner in Deutschland und torischen Verständnis und der Erinnerungskul- Polen unterschiedlich bewerteten »Schlüs- tur auf die sehr aktuellen Debatten über die selmomente« zu untersuchen. Dabei sollen Bedeutung und Zukunft von Europa, der Eu- auch die korrelativen Einwirkungen der jewei- ropäischen Union und europäischer Identität ligen Weltkriegsdiskurse auf die in Polen und allgemein geben.

Kerstin Hinrichsen, M.A. (Siegen) Konstruktion der Ziemia Lubuska (1945-1975)

Kerstin Hinrichsen studierte von 2002 bis 2007 Kulturwissenschaften und Geschichte Ostmitteleuro- pas in Frankfurt (Oder), Wrocław und Berkeley. Nach dem Studium arbeitete sie bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin und am Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Seit 2010 promoviert sie an der Universität Sie- gen über die Konstruktion der Ziemia Lubuska nach 1945.

Infolge der durch die Alliierten beschlossenen Lubuska. Es wird darüber hinaus gefragt nach Westverschiebung Polens im Jahr 1945 wur- der kulturellen und wissenschaftlichen Aneig- den die östlich der Oder gelegenen Teile der nung der Region durch ihre Bevölkerung und preußischen Provinz Brandenburg polnisch. deren Popularisierung vor Ort und in den üb- Die Region, die mit Teilen Schlesiens und rigen Teilen Polens in den Jahren 1945 bis Großpolens zur Ziemia Lubuska zusammenge- 1975. Welche Bilder von der Ziemia Lubuska fasst wurde, erlebte einen kompletten Bevöl- wurden entworfen? Wie wurde der Begriff kerungsaustausch. In den folgenden Jahren »Ziemia Lubuska« verwendet? Welche Identi- galt es, hier eine neue Region entstehen zu fikationsangebote wurden den Lebusern und lassen – sowohl im Bewusstsein der Menschen den Polen zur Verfügung gestellt? Welche als auch institutionell. Zu den wichtigsten Versuche wurden unternommen, die Region Aufgaben gehörte es, die Fremdheit, die bei bekannter und attraktiver zu machen? Wel- vielen Neusiedlern gegenüber ihrem neuen che Formen von Wissensproduktion und Wohnort herrschte, zu überwinden, um eine -verbreitung lassen sich identifizieren? Wer möglichst rasche Entwicklung der Region so- waren die Akteure dieser Prozesse? Die Ar- wie ihre vollständige Integration in den polni- beit hat es sich zum Ziel gesetzt, anhand des schen Staat zu ermöglichen. Geschichtsbildes, des regionalen Kulturle- Vor diesem Hintergrund steht im Zentrum der bens, der sich herausbildenden Regionalfor- vorzustellenden Arbeit die auf verschiedenen schung und des Tourismus Antworten auf die- Ebenen stattfindende Konstruktion der Ziemia se Fragen zu finden.

25 Vasco Kretschmann, M.A. (Berlin) Musealisierung der Breslauer Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert

Vasco Kretschmann, M.A. (geb. 1985 in Aachen). Doktorand am Fachbereich für Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin, Betreuung durch Univ.-Prof. Dr. Martin Lücke (Ar- beitsbereich Didaktik der Geschichte). Seit 2013 Stipendiat der Graduiertenförderung. Fritz-Stern- Stipendiat in Breslau (Juni 2013). 2009-2012: Masterstudium Public History (FU Berlin/ZZF Potsdam). Abschlussarbeit: Die neue Dauerausstellung des Breslauer Stadtmuseums und das multikulturelle historische Erbe der Stadt. 2006-2009: Bachelorstudium Geschichte und Politikwissenschaften (FU Berlin und Uniwersytet Warszawski, 2008/09). Beschäftigung mit Themen der deutsch-polnischen und europäischen Geschichtskultur in Museen und Ausstellungen. Graduiertes Mitglied der Aus- wahlkommission der Gemeinschaft für Studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa e.V. (GFPS).

Als Institutionen der Geschichtskultur und ler Umbau der ästhetisch-kunsthistorischen Agenturen historischer Sinnbildung geben his- Stuben in eine zeitdynamische Ordnung und torische Museen und Ausstellungen Auskunft zugleich eine politisch-erzieherische Instru- über Vergangenheitsdeutungen und Ge- mentalisierung der Museumsobjekte als genwartswahrnehmungen ihrer Entstehungs- »Kronzeugen des schlesischen Deutschtums«. zeit. In dem Promotionsprojekt »Die Museali- Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in den sierung der Breslauer Stadtgeschichte im 20. ersten Ausstellungen des Schlesischen Muse- Jahrhundert« wird der sich wandelnde öffent- ums Breslau der »urslawische Charakter« der liche Umgang mit Stadtgeschichte anhand Stadt betont und eine polnische Geschichts- von Fallbeispielen aktueller und vergangener kontinuität propagiert. musealer Präsentationen in der niederschlesi- Historische Museen und ihre Ausstellungen schen Hauptstadt mit einer mehrdimensiona- sind jedoch komplexer als bloße Spiegel ge- len Methode zur empirischen Analyse von schichtspolitischer Trends – als Institutionen Geschichtskultur untersucht: Es werden ne- der Geschichtskultur pflegen sie lokalge- ben der Inhalts- und Präsentationsebene schichtliche Bestände und generieren Neuin- auch die politische Absichts- und Rezepti- terpretationen, die nicht zwangsläufig den onsebene historischer Ausstellungen zwischen historischen Zäsuren von 1945 und 1989 ent- 1900 und 2010 in Betracht genommen. sprechen. An der Exposition alter Ansichten Kennzeichnend für die Museumslandschaft Breslaus aus dem 19. und frühen 20. Jahrhun- der größten Stadt Ostmitteleuropas mit ei- dert wie auch dem Kulturerbe der jüdischen nem geschichtskulturellen Bruch infolge eines Stadtbewohner eröffnet sich die Vielfalt der umfassenden »Bevölkerungsaustausches« ist, musealen Definition von Stadtgeschichte in dass weder in der deutschen noch in der einem historisch mehrschichtigen Stadtraum. polnischen Zeit im 20. Jahrhundert eine Mit der 2009 eröffneten Dauerausstellung stadtgeschichtlich-chronologische Gesamt- wurde nicht nur erstmalig tausend Jahren schau realisiert wurde. Bis zur Eröffnung der Stadtgeschichte im öffentlichen Raum dar- Dauerausstellung »1000 Jahre Breslau« des gestellt, sondern auch durch konzeptionelle Städtischen Museums (2009) wurde die lokale Bezüge zur Vorkriegszeit eine Synthese deut- Geschichte zumeist partiell und graduell poli- scher und polnischer Geschichtskulturen ver- tisch stark vereinnahmt präsentiert. In der sucht. Ausgehend von den aktuellen Befun- Weimarer Republik und im Nationalsozialis- den wird ein Rückblick auf das Spannungs- mus erfolgte im Schlesischen Museum für verhältnis zwischen radikalen Neuinterpreta- Kunstgewerbe und Altertümer wie auch im tionen und Kontinuitäten in den historischen Schloßmuseum ein ausstellungskonzeptionel- Ausstellungen Breslaus gezeichnet.

26 Ulrike Lang, M.A. (München) Der Wandel der Erinnerungskultur in Łódź nach 1945

Studium der Slavistik und Germanistik in Dresden mit Auslandsaufenthalten in Wrocław und Mos- kau 2003-2012; studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für slavische Literaturen (TU Dresden) 2006- 2011. 2012/13 DAAD-Sprachassistentin am Lehrstuhl für Literatur und Kultur Deutschlands, Öster- reichs und der Schweiz an der Universität Łódź. Seit 2013 Projektmitarbeiterin des Collegium Caro- linum im Rahmen des Forschungsprojekts »Die Transformation der Erinnerung« und Promotionsstu- dium der Osteuropäischen Geschichte an der LMU München. Titel des Promotionsprojekts: »Nation und Klasse im Stadtgedächtnis. Zum Wandel der Erinnerungskultur in Łódź nach 1945«.

Das lokale Geschichtsbild und die Erinne- vate Wohltätigkeit; »Masse« vs. Individuum; rungskultur der einst multiethnischen Industrie- Arbeiterstolz vs. Unternehmergeist), wobei der stadt Łódź waren nach 1945 stets von einem Fokus auf der unmittelbaren Nachkriegszeit spezifischen, wenngleich sich wandelnden, sowie den Jahren um 1989 liegt. Im »Mnemo- Verhältnis der Kategorien Nation und Klasse top« Łódź wurden sechs exemplarische Erin- geprägt. Während in der Zeit der Volksrepub- nerungsorte identifiziert, deren Genese es zu lik die multiethnische (polnische, jüdische, untersuchen gilt: Getto Litzmannstadt und jü- deutsche, z.T. russische) Vorkriegsvergangen- discher Friedhof, ehemaliges Polizeigefängnis heit von Łódź entweder verschwiegen wurde Radogoszcz, Textilfabrik und Palais des Fabri- oder als Konstruktion nationaler Antagonis- kanten Izrael Poznański, Denkmal für die Re- men mit dem marxistischen Klassengegen- volutionstat, Bürgerhaus-Denkmal ul. Piotr- satz Hand in Hand ging, brachte die Hinwen- kowska 164 sowie der sog. »alte« katholisch- dung zum multikulturellen Erbe der Stadt um evangelisch-orthodoxe Friedhof. Diese Orte 1989 zugleich die Aufwertung des »bürgerli- werden als Kreuzungspunkte lokaler, nationa- chen Ethos des Unternehmers« mit sich. Im ler und globaler Erinnerungsinteressen und Zentrum des Promotionsprojekts steht daher -diskurse aufgefasst, sodass verschiedene Ak- die Analyse der sich verändernden Korrelati- teure inner- und außerhalb der Stadt mit ih- on beider Kategorien sowie damit verbun- ren Intentionen in den Blick geraten. Über dener Erinnerungstopoi seit 1945 (nationale den lokalen Kontext hinaus verspricht das Homogenität vs. ethnische Diversität; Klas- Projekt daher Einsichten in Prozesse der inte- senkampf und Revolution vs. Toleranz und rethnischen und interinstitutionellen Erinne- Gemeinschaft; soziale Verelendung vs. pri- rungstransmission.

VI Politik

Dr. des. Agnieszka Zaganczyk-Neufeld (Bochum) Der Begriff des Politischen in Polen 1976-1997

Geb. in Warschau. 1999-2004 Studium der Politikwissenschaft an der Universität Warschau; 2004- 2005 Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung zur Förderung der polnischen Sprache und Kultur an der Philipps-Universität Marburg; 2005-2012 Promotion an der Philipps-Universität Marburg und der Ruhr-Universität Bochum (2005 wissenschaftliche Hilfskraft im Herder-Institut Marburg, 2006-2010 Graduiertenstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung); seit 2011 Mitarbeiterin und Dozentin am Lehr- stuhl für Osteuropäische Geschichte der Ruhr-Universität Bochum.

Die (abgeschlossene) Dissertation Der Begriff sowie die Friedlichkeit des oppositionellen des Politischen in Polen 1976-1997 widmet Protests selbstverständlich vor. Doch bis 1989 sich dem demokratischen Umbruch in Polen waren die kommunistischen Herrscher immer 1989. Warum war er so friedlich, gewaltfrei bereit, ihre Macht mit allen Mitteln zu vertei- und erfolgreich? Ex post kommt uns der Ge- digen. 1989 schien es dagegen auf beiden waltverzicht des kommunistischen Regimes Seiten der Barrikade einen Konsens zu geben,

27 dass die Anwendung der physischen Gewalt Die Analyse hat gezeigt, dass dem Umbruch nicht in Frage kommt. Aber wie kam es zu in der praktischen Politik 1989 der Umbruch diesem Konsens? Und welche Traditionen des im Denken über das Politische vorausgegan- polnischen politischen Denkens spielten hier gen ist, der nicht erst 1989, sondern 1982-1983 eine entscheidende Rolle? – also während des Kriegsrechts – stattgefun- Um diese Frage zu beantworten, werden die den hat. Eine zentrale Rolle spielte hier der Ursachen, der Verlauf und die Folgen des Diskurs des polnischen Positivismus, dessen Umbruchs mithilfe der Diskurstheorie von Er- Wurzeln in das späte 18. Jahrhundert reichen. nesto Laclau und Chantal Mouffe analysiert. Die Untersuchungsergebnisse leisten einen Auf der Grundlage der Diskurstheorie wird ein Beitrag zu einer theoriegeleiteten Diskussion Modell zur Untersuchung politischer Diskurse über die sozialistische Herrschaft 1945-1989 in demokratischen und nicht-demokratischen und über den Charakter der demokratischen Kontexten entwickelt. Umbrüche in Ostmitteleuropa.

Dr. Katarina Bader (München) Medialisierung der Parteien, Politisierung der Medien. Interdependenzen zwischen Medien und Politik im postsozialistischen Polen

Katarina Bader, Jahrgang 1979, studierte in München, Warschau und Krakau Politikwissenschaft, Journalistik und Osteuropäische Geschichte. Eine journalistische Ausbildung erhielt sie an der »Deutschen Journalistenschule«. Seit 2006 ist sie Dozentin für Politikwissenschaft im Elitestudiengang »Osteuropastudien« der LMU München und außerdem als freie Journalistin und Autorin tätig. 2007 wurde sie mit dem Deutsch-Polnischen Journalistenpreis ausgezeichnet. 2010 erschien ihr journalis- tisches Sachbuch »Jureks Erben«. 2012 schloss sie ihre Promotion ab, in der sie sich mit Wechselwir- kungen zwischen Medien- und Parteienentwicklung im postkommunistischen Polen befasst.

Als in den frühen 90er Jahren in Polen die stimmte politische Nischen mit bestimmten Zensur abgeschafft wurde und die Privatisie- Marktnischen verknüpft sind. Allerdings sind rung der Medien begann, gingen die meis- diese kommerziell bedingten medialen Loya- ten westlichen Beobachter davon aus, dass litäten meist nur von kurzer Dauer und des- sich im Zuge der Kommerzialisierung überpar- halb für die Parteien weit weniger verlässlich teiliche Medien etablieren würden. Mehr als als klassische, institutionalisierte Formen der 20 Jahre später ist das polnische Mediensys- politischen Einflussnahme. tem stark kommerzialisiert, dennoch sind die Welche Handlungsstrategien leiten sich für politischen Loyalitäten vieler Medien eindeu- die politischen Parteien aus dieser besonde- tig. ren medialen Konstellation ab? Im Rahmen In meinem Dissertationsprojekt untersuche ich meiner Arbeit habe ich die Medienstrategien die Wechselwirkungen zwischen Medien- und der polnischen Parteien auf Grundlage von Parteienentwicklung im postsozialistischen zahlreichen Leitfadeninterviews mit Parteiak- Polen und zeige, dass die Politisierung der teuren und Pressesprechern untersucht und Medien in den vergangenen 25 Jahren nicht verglichen. Als besonders erfolgreich erwei- kontinuierlich abnahm, sondern in Phasen sen sich dabei Parteien, denen es gelingt, ei- der politischen Polarisierung sogar wieder zu- ne Doppelstrategie zu entwickeln: Sie passen nahm. Basierend auf der Idee der Pfadab- einerseits ihre Organisationsstruktur, Mobilisie- hängigkeit argumentiere ich, dass in politi- rungsstrategie und Programmatik der kom- schen Systemen, in denen die Liberalisierung merziellen Medienlogik an (Medialisierung), erst im Zeitalter des Multi-Kanal-Fernsehens andererseits versuchen sie aber auch über eingeleitet wurde, Parteilichkeit auch für verschiedene politische Kanäle auf die Me- kommerzielle Medien eine erfolgverspre- dien Einfluss zu nehmen (Politisierung). chende Strategie darstellen kann, weil be-

28 Lukas Becht (München) Politische Zeithorizonte und demokratisches Regieren in der 3. Polnischen Republik

Geboren 1986 in Wiesbaden. 2005-2012 Studium der Wissenschaftlichen Politik, Soziologie und Phi- losophie an den Universitäten Freiburg und Warschau. Magisterarbeit zum Thema »Der polnische Senat als Kammer der Reflexion. Eine Studie über die Stabilität politischer Institutionen«. Von April bis Juni 2012 Stipendiat im Rahmen des Internationalen Parlaments-Praktikums (IPP) am Sejm der Republik Polen. Seit Januar 2013 Promotion am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU München zum Thema »Politische Zeithorizonte und demokratisches Regieren in der Re- publik Polen« (Betreuer: Prof. Dr. Karsten Fischer). Seit Januar 2014 Kollegiat des Promotionskollegs »Deutschland und Polen im modernen Europa« an der LMU München.

Fremd- und Selbstbeschreibungen politischer sprechende Rhetorik ist in diesem Kontext Akteure benutzen bemerkenswert häufig überall präsent. Zeitsemantiken: Regierung und Opposition So lässt sich ein interessanter Zugriff auf die beanspruchen langfristige Perspektiven oder spezifischen Logiken und Rationalitäten polni- kurzfristige Reaktionsfähigkeit, markieren ihr scher Politik seit dem Umbruch 1989 gewin- Handeln als Politik ›der kleinen Schritte‹ oder nen. Dazu stelle ich mir vor allem die folgen- der ›großen Visionen‹, stellen sich in Traditio- den systematischen Leitfragen: Welche Kon- nen, insistieren auf Zukunftsfähigkeit. Weit da- zeptionen politischer Zeit fungieren als die von entfernt, bloße Rhetorik zu sein, konstruie- zentralen institutionellen und kulturellen Leit- ren derartige Semantiken die Wirklichkeit, von bilder des Regierens in der polnischen Re- der sie sprechen: die Zeithorizonte, an denen publik? Welche strategische Wirksamkeit ent- sich Politik orientiert. falten diese jeweiligen Zeitkonstruktionen? Diese Grundannahme bildet den Ausgangs- Kristallisieren sich hierbei als spezifisch ›demo- punkt meiner Dissertation. Insofern lässt sich kratisch‹ verstandene Zeithorizonte heraus? das zunehmende Interesse der qualitativen Anhand einer auf Zeitbegriffe und politikwissenschaftlichen Forschung für diskur- -metaphern fokussierten Analyse maßgebli- sive Formate im Hinblick auf die politiktheore- cher politischer Reformdiskurse seit 1989 tisch und empirisch immer stärker diskutierte möchte ich dieses Programm umsetzen. Da- Problematik untersuchen, wodurch sich in für greife ich exemplarisch folgende Etappen demokratischen Kontexten der politische heraus: Die schocktherapeutische Einführung Umgang mit dem Faktor Zeit kennzeichnet. der Marktwirtschaft durch den Balcerowicz- Diese Thematik ist für die Politik in der Repub- Plan 1990-92, die Debatte um die Verfassung lik Polen in besonderem Maße prägend. Im- der 3. Republik und ihre Institutionalisierung mer wieder wird darauf hingewiesen, dass konstitutioneller Zeitrhythmen, die Debatte politische Auseinandersetzungen in Polen um das große Reformpaket der AWS- stets Aushandlungsprozesse über das richtige Regierung 1997 und schließlich die seit 2005 Verhältnis zur Vergangenheit, aber auch der virulenten Konfliktlinien um Vergangenheits- Gegenwart und Zukunft des Landes sind. Ent- politik und die unter heutigen Bedingungen angemessene Rationalität des Regierens.

Dorothea Traupe, M.A. (Breslau) Identität und Bedrohung. Eine diskursanalytische Untersuchung polnischer Außenpolitik nach 2001

Dorothea Traupe studierte Politikwissenschaft, Englische und Polnische Literaturwissenschaft an der Universität Passau, der University of Sheffield/UK, der Katholischen Universität Lublin/PL und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Magisterarbeit schrieb sie über »Polnische Ge- schichtskonstruktionen. Mythisierung und Narrativisierung nach dem Flugzeugabsturz bei Smo- lensk«. Sie ist seit mehreren Jahren als Trainerin in der deutsch-polnischen Jugend- und Erwachse- nenbildung tätig und promoviert seit 2011 bei Prof. Dr. Petra Stykow an der LMU München zu polni- scher Sicherheitspolitik und Bedrohungskonstruktionen nach 2001. Gegenwärtig hält sie sich für ei- nen Forschungsaufenthalt am Willy-Brandt-Zentrum in Wrocław auf.

29 Seit 1989 stehen Selbstbestimmung, nationale In meiner Dissertation beschäftige ich mich Souveränität und die Integration in westliche mit polnischer Außen- und Sicherheitspolitik Bündnissysteme im Mittelpunkt der polni- nach 2001, und analysiere im Rahmen einer schen Außen- und Sicherheitspolitik. Zum pol- narrativen Diskursanalyse vor allem Zeitungs- nischen Engagement gehörten seit NATO- artikel im Hinblick auf Narrative, Metaphern, Beitritt 1999 auch die militärische Beteiligung Argumentationsfiguren und Diskurskoalitio- an Auslandseinsätzen, erstmals 1999 im Jugo- nen. Ausgangpunkt ist die Frage nach der slawien-Konflikt, seit 2002 in Afghanistan und narrativen (Re-) Konstruktion von (sicherheits- 2003-2008 im Irak. Auch für Polen bedeuteten politischen) Identitäten. Welche Bedrohungs- die Anschläge vom 11.September 2001 einen szenarien lassen sich anhand der Debatten Einschnitt im Hinblick auf die Wahrnehmung um die polnische Beteiligung am »Krieg ge- von Bedrohung und Sicherheit. An der Seite gen den Terror« (z.B. Irakkrieg und CIA- der USA wurde man zum Partner im globalen Gefängnisse) identifizieren und wie verän- »Krieg gegen den Terror«. Gesellschaftliche dern sich diese? Entstehen neue Feindbilder Diskussionen lösten in diesem Kontext vor al- oder werden bereits bestehende reaktiviert? lem die im Nordosten Polens vermuteten CIA- Welche Rückschlüsse lassen sich hieraus für Gefängnisse aus. sich möglicherweise wandelnde sicherheits- politische Identitäten ableiten?

Paweł Szczerbak, M.A. (Göttingen) Die europäischen »policies« in Polen, Deutschland und Frankreich diskutieren Direkte Parlamentsbeteiligung in EU-Angelegenheiten und Politischer Diskurs im Vergleich

Paweł Szczerbak, M.A., 1984 in Częstochowa geboren, studierte Politikwissenschaft, Öffentliches Recht und Ethnologie an der Universität Heidelberg und am Institut d´Études Politiques de Paris (Sciences Po). Im Anschluss war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Heidel- berg, Kaiserslautern und Göttingen tätig. Seit August 2012 ist er Doktorand an der Universität Göt- tingen. In seinem Dissertationsprojekt vergleicht er die Beteiligung der nationalen Parlamente in Polen, Deutschland und Frankreich in europäischen Angelegenheiten.

Seit dem Vertrag von Lissabon erlebt die di- Abgelehnt werden somit die Argumente, die rekte Beteiligung der nationalen Parlamente die Brisanz europäischer Themen, die Betrof- ihre Renaissance und geht über eine reine fenheit der jeweiligen nationalen EU-Bürger Kontrolle hinaus. Ein Beispiel dafür sind schrift- oder die Ressourcen als maßgebliche Erklä- liche Parlamentsäußerungen zu legislativen rungsfaktoren der Parlamentsbeteiligung in Kommissionsvorhaben. Auffallend ist dabei, EU-Materien betonen. dass die Intensität dieses »early warning sys- Das Ergebnis wird mittels method of agree- tem« nach Politikbereich stark variiert. ment with shadow case mit einem Fokus auf Die Idee ist, die Parlamente dreier diskursiv Text- und Diskursanalyse erzielt. Ich konzipiere unterschiedlicher Systeme miteinander zu diesen Beitrag ausgehend von meinem Dis- vergleichen. Der Fokus liegt bei Deutschland, sertationsprojekt als qualitatives small-N Polen und Frankreich. Fokussiert wird auf zwei comparative reserach design. europäische Politikfelder, die ein unterschied- In der Forschung wurde die parlamentarische liches Aktivitätsniveau der nationalen Parla- Mitwirkung in EU-Angelegenheiten bisher mente aufweisen. Ich argumentiere, dass die schwerpunktmäßig über die Kontrollfunktion Parlamente sich dann beteiligen, wenn sie der nationalen Exekutive definiert (z.B. Berg- dies anhand des politischen Diskurses für ver- man (1997), Rozenberg (2002) oder Raunio hältnismäßig halten. Dabei spielen unter- (2005)). Nach dem Vertrag von Lissabon ha- schiedliche Interessen, die im Diskurs mit Hilfe ben Auel und Raunio (2011) einen weiteren von »frames« zum Ausdruck kommen eine Beteiligungsaspekt untersucht, indem sie die entscheidende Rolle. Die daraus resultieren- nationalen parlamentarischen Debatten zu de Forschungsfrage lautet: Wie motiviert der europäischen Themen erforscht haben. Da- politische Diskurs das nationale Parlament zur bei betrachten sie nach wie vor jedoch nur direkten Beteiligung in EU-Angelegenheiten? die indirekte legislative Beteiligung. Meine

30 Untersuchung stellt die bisher kaum als solche lative in EU-Angelegenheiten entgegenwir- beachtete direkte Beteiligung in den Mittel- ken. Diese urdemokratische Idee der Teil- punkt. Diese starke Beteiligungsform kann der nahme an dem politischen Prozess sollte stär- Entparlamentarisierung der nationalen Legis- ker in die EU-Forschung Einzug finden.

31 xSektion 1x

Nachhaltigkeit und Naturschutz. Umweltbezogene Kooperation in Ostmitteleuropa Leitung: Prof. Dr. Thomas Bohn (Gießen) Biogramm s.u. Moderation: Dr. Henadz´ Sahanovič (Minsk)

Dr. Henadz‘ Sahanovič, Dozent an der Europäischen Humanistischen Universität seit 2005; 1990 Promotion über »Das Schmiedehandwerk Weißrusslands vom 14. bis 18. Jahrhundert« am Institut für Archäologie Akademie der Wissenschaften der Ukraine, Kiew, 1990-2005 wissenschaftlicher Mitar- beiter am Institut für Geschichte Akademie der Wissenschaften Weißrusslands, Minsk. Forschungs- schwerpunkte: Geschichte des Großfürstentums Litauen und Weißrusslands, Geschichtsschreibung über das östliche Europa.

Zu dieser Sektion gerückt. Unter Bezugnahme auf die Schlag- worte Nachhaltigkeit und Naturschutz sollen Das Verhältnis von Mensch und Natur respek- die Beiträge des Panels das Verhältnis von tive von Mensch und Tier ist im Rahmen der Stadtlandschaft und Nationalpark im Zentrum Umweltgeschichte erst allmählich in die Auf- und an der Peripherie zueinander in Bezug merksamkeit der Ostmitteleuropaforschung setzen.

Prof. Dr. Thomas Bohn (Gießen) Zusammenarbeiten in der Peripherie? Der Nationalpark von Białowieża als polnisch-sowjetisches Projekt 1932-1991

Prof. Dr. Thomas Bohn, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Justus-Liebig Universität Gießen seit 2009; 1996 Promotion über »Russische Geschichtswissenschaft von 1880 bis 1905« an der Universität Hamburg, 2004 Habilitation über »Minsk -- Musterstadt des Sozialismus« an der Fried- rich-Schiller-Universität Jena, 2007-2009 Professor für Ostmitteleuropäische Geschichte im Elitestu- diengang Osteuropastudien der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunk- te: Historiographiegeschichte und Erinnerungskulturen, Stadtgeschichte und Urbanisierungsfor- schung, Geschichte Weißrusslands.

Der Urwald von Białowieża befindet sich un- schäftigt sich mit konkurrierenden räumliche gefähr gleich weit von Warschau und Minsk Konzepte zu dem 1932 in der Zweiten Polni- entfernt in einer jahrhundertealten polnisch- schen Republik gegründeten und 1991 durch belarussischen Kontaktzone, in der nationale die Republik Belarus erweiterten National- Festlegungen im Unterschied zu religiösen park, der sowjetischerseits seit 1957 als exklu- und sozialen erst sehr spät eine prägende siver Staatsforst diente. Rolle zu spielen begannen. Der Vortrag be-

PD Dr. Markus Krzoska (Gießen) Machbarkeitsphantasien im Naturschutz. Deutsche und polnische Bemühungen zur Rettung und Rückzüchtung von Wisent, Ur und Wildpferd in der Zwischenkriegszeit

PD Dr. Markus Krzoska, Privatdozent an der Justus-Liebig-Universität Gießen, 2012 Habilitation über »Polen seit 1945. Eine Kultur- und Gesellschaftsgeschichte«, 2008-2012 wissenschaftlicher Mitarbei- ter in Gießen, 2001 Promotion zu »Zygmunt Wojciechowski als Wissenschaftler und Publizist« an der Freien Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: Zeitgeschichte Polens, Geschichte der altost- deutschen Gebiete, Stadtgeschichte.

Die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen nalen Naturschutzes dar, in der sich weltweit stellten eine wichtige Epoche des internatio- Experten auf koordinierte Weise Gedanken

32 über eine Rettung vom Aussterben bedrohter Allmachtsvorstellungen, während in Polen die Pflanzen und Tiere machten. Die nationalisti- internationale Kooperation bis 1939 fortge- sche und rassische Aufladung der Politik sollte führt wurde. Der Vortrag soll Ähnlichkeiten jedoch diese Formen von Zusammenarbeit und Unterschiede der Konzepte am Beispiel zum Scheitern bringen. In Deutschland wurde dreier Tiergattungen aufzeigen. Naturschutz zum Teil pseudogermanischer

Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne (Saarbrücken) Nachhaltige Raumentwicklung in Polen? Aspekte des Übergangs der sozialistischen Moderne zu Postmoderne

Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne, Stiftungsprofessor für »Nachhaltige Entwicklung« der Europäischen Aka- demie Otzenhausen gGmbH an der Universität des Saarlandes seit 2010; 1999 Promotion in Geo- graphie an der Universität des Saarlandes, 2006 Habilitation in Geographie an der Johannes- Gutenberg-Universität Mainz; 2006 Promotion in Soziologie an der Fernuniversität Hagen. 2006-2010 Direktor des Instituts für Landeskunde im Saarland e.V. (IfLiS), 2009-2010 Leiter der Stabstelle »De- mographischer Wandel« im saarländischen Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz. Forschungsscchwerpunkte: Landschaft und Nachhaltigkeit, Arbeitswelt und Nachhaltigkeit, Migra- tion und Nachhaltigkeit.

Mit dem Wandel der gesellschaftlichen Ord- entstanden, die einen hohen Grad an Frag- nung hat sich auch die Art der Inanspruch- mentierung und Individualisierung aufweisen. nahme von Raum in Polen gewandelt. Dem In dem Vortrag sollen diese Entwicklungen Bestreben, über Raum Gesellschaft zentral vor dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung re- beherrschbar zu machen, ist eine Raumor- flektiert und anhand der Entwicklungen der ganisation getreten, die in der Regel einer Metropole Warschau exemplifiziert werden. ökonomischen Logik folgt. So sind Räume

Prof. Dr. Julia Obertreis (Erlangen): Kommentar

Prof. Dr. Julia Obertreis, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt der Geschichte Osteuropas an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen seit 2012; 2001 Promotion über »'Wohnen in Petrograd/Leningrad 1917-1937« an der FU Berlin; 2012 Habilitation über »Imperi- al Desert Dreams. Cotton Growing and Irrigation in Uzbekistan and Turkmenistan 1860s-1991« an der Universität Freiburg. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Infrastruktur- und Umweltgeschichte, Mediengeschichte, Außenbeziehungen der Sowjetunion.

33 xSektion 2x

Evaluating 1989 Critically: An Interdisciplinary Panel Leitung: Mark Keck-Szajbel, Ph.D. (Frankfurt/Oder) Biogramm s.u. Moderation: PD Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast (Frankfurt/Oder)

PD Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast, Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien (ZIP) der Europa-Universität Viadrina und des Graduiertenkollegs Interdisziplinäre Polenstudien. Die Wirt- schaftswissenschaftlerin und -historikerin habilitierte 2013 an der Universität Siegen mit ihrer Arbeit »Zwischen Hammer und Amboss – Konzepte und Praxis wirtschaftlicher Integration in Ostmitteleu- ropa von der Zwischenkriegszeit bis zur Gegenwart«. Sie forschte und lehrte u.a. am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam, der Universität Erfurt, dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig und dem Netherlands Institute for Advanced Study (NIAS) in Wassenaar.

Mark Keck-Szajbel, Ph.D. (Frankfurt/Oder) Home on the Grain: the Strange Death of Polish GMOs

Mark Keck-Szajbel is a historian and philologist specializing in twentieth century East Central Euro- pean cultural history. He received his Ph.D. in history from the University of California, Berkeley in 2013 with his dissertation on East bloc travel and tourism in late state socialism. His current research focuses on the cultural afterlife of state socialism: more precisely, he is studying the economic, so- cial and cultural remnants of totalitarian systems a generation after its demise.

In discussions of 1989, research generally fo- wide, Poland did not pursue importation of cuses on the freedoms gained by the fall of western seeds from companies like Mon San- state socialism. After regimes fell, ordinary to. After the political change, farmers were people were confronted not only with new too poor to afford expensive equipment from laws, but also a new economy. In Poland, as the West. across the former East bloc, that generally With Poland’s ascension to the European Un- meant the collapse of industries previously ion – as well as access to EU agricultural sub- solvent only thanks to huge subsidies. In this sidies – small farms faced a new threat: Euro- paper, I focus on agricultural developments pean regulation. It was true that the agricul- in Poland after 1989. ture sector of the Polish economy was rela- Poland’s agriculture was on the same path tively weak and inefficient: but would the as other East bloc countries until the revolts of small farmer have to change in order to suit 1956 ushered in Władysław Gomułka. In ad- King Corn? The paper explores the discourse dition to a change in leadership, the gov- in international media and in Poland to trace ernment agreed to stop collectivization, where Euroscepticism ends and (n)ostalgia which had been a hated policy in Poland. begins, and also looks for alternative visions The decision to halt the policy was greeted of Polish agriculture in the age of mass con- with fanfare. By the 1980s, only a quarter of sumption. Indeed, that Poland’s farmers were Polish agricultural land had been collecti- so poor and inefficient meant that traditional vized, and most of those remaining were pri- production techniques and »organic« farm- vatized after the political change in the ing could be maintained into the twenty-first 1990s. century. Small farms are now being forced to For a variety of reasons, Polish agriculture did become more efficient, and to follow Euro- not go through the »Green Revolution« seen pean health codes. Hence it is the case that in the first and third worlds. Globally, agricul- something that survived communism was on- tural processes were radically changed in ly forced to collectivize with the advent of the 1970s. Since the growth of GMOs world- modern open market democracy.

34 Prof. Dr. Claudia Kraft (Siegen) On the Possibility of Historicizing 1989

Prof. Dr. Claudia Kraft, seit 2011 Professorin für Europäische Zeitgeschichte an der Universität Sie- gen. Forschungsschwerpunkte: Geschichte Mittel- und Osteuropas im 19. und 20. Jahrhundert, transnationale Rechtsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Geschichte des Staats- sozialismus im östlichen Europa, Geschlechtergeschichte, Geschichte der Zwangsmigrationen im 20. Jahrhundert, Geschichtskultur(en) und Geschichtspolitik(en) in Europa.

Der Vortrag fragt nach der Möglichkeit einer wenn man nicht das Weiterwirken des Sys- Historisierung des Jahres 1989 und der sich temkonflikts und der unterschiedlichen einst- daran anschließenden Entwicklungen. Ent- mals antagonistisch gegeneinander stehen- gegen transformationshistorischer Ansätze soll den Gesellschaftsmodelle in der Gegenwart das Nararrativ der »Rückkehr nach Europa« in ein Forschungstableau einbezieht, das dekonstruiert und statt dessen untersucht eben nicht die europäische Nachkriegsge- werden, wie man über die sozialistische Epo- schichte quasi teleologisch auf »1989« zulau- che sprechen kann, ohne diese als glücklich fen sieht. Gerade der polnische Fall scheint überwundenen Totalitarismus zu verdammen für eine solche Perspektivverschiebung ein oder (n)ostalgisch zu verklären. Geht man besonders geeigneter Untersuchungsgegen- davon aus, dass die Folgen der staatssozialis- stand zu sein, bedenkt man allein die zahlrei- tischen Zeit auch in der Gegenwart nachwir- chen Auseinandersetzungen in den vergan- ken, so bieten die postcolonial studies ein gu- genen Jahren über die Bewertung des Jahres tes Instrumentarium für eine Historisierung des 1989 und die sich daran anschließenden poli- Postsozialismus. Gerade in letzter Zeit haben tischen Entwicklungen. Der Streit darüber, in historisch und vor allem historisch- welcher (III. oder IV.) Republik man lebe oder anthropologisch arbeitende Forschende da- die camouflierenden Aussagen von SLD- rauf hingewiesen, dass nicht nur die Gesell- Mitglieder, dass alle Polen »Postkommunisten« schaften des östlichen Europas, sondern alle seien, weisen nicht nur auf eine engere wis- anderen auch in einer »post cold war condi- senschaftliche, sondern auch auf eine aktu- tion« (z. B. Katherine Verderey, Christopher elle gesellschaftspolitische Relevanz der skiz- Hann) leben und dass die heutigen politi- zierten Forschungsfrage hin. schen Konstellationen nicht zu verstehen sind,

Prof. Dr. James Krapfl (Montreal) From Socialist Media to Social Media: Comparing Languages of Revolution, 1989-2013

James Krapfl teaches European history at McGill University in Montreal, specializing in modern central Europe and the comparative cultural history of revolutions. He is the author of Revolution with a Human Face: Politics, Culture, and Community in Czechoslovakia, 1989-1992 (Ithaca, NY: Cornell University Press, 2013). Dr. Krapfl completed his Ph.D. at the University of California, Berke- ley, in 2007 and is currently commencing a new project on the popular experience of 1968 in east central Europe.

In this paper, James Krapfl uses his extensive worked communally to define their revolution research on the revolutions of 1989 to com- and guide the state through the transition. pare the peaceful transitions of 1989-1992 While they did not use the World Wide Web, and the wave of uprisings across the globe actors networked and organized quickly to since 2010. In the latter, news media outlets harness the momentum which had been from all sides of the spectrum have focused building since Hungarian officials cut the on social media. The quick dissemination of »Iron Curtain« to Austria. Like the Arab Spring information meant that otherwise repressive in 2011, the revolutions of 1989 also spread at regimes had to answer to an increasingly- an incredible speed. Also similar to 2011, the informed (global and local) population. In masses which had come to protest the East Central Europe in 1989-1992, individuals heavy-handed tactics of repressive regime

35 rapidly found themselves in a battle to con- change discourse and the geography of trol the message of the revolution. Here, revolution. How do everyday individuals pro- Krapfl focuses particularly on attempts at the cess, internalize, and guide historical events? district level and amongst small actors to

Prof. Dr. Petra Stykow (München) Kommentar

Seit 2004 Professorin für Politikwissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians- Universität München mit einem Regionalschwerpunkt für Ostmitteleuropa und Eurasien; 1997-2002 wissenschaftliche Assistentin am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin; 1993-1996 wissenschaftliche Mitarbeiterin der »AG Transformationsprozesse in den Neuen Bundes- ländern« der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin; 1979-1984 Studium der Geschichte an der Lomono- ssov-Universität Moskau. Forschungsschwerpunkte: politische Prozesse in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, Vergleichende Autoritarismusforschung, Demokratisierungsprozesse.

xSektion 3x

Wilna im 19. Jahrhundert als Ort von Kulturtransfer Leitung: Prof Dr. Mirja Lecke (Bochum) Biogramm s.u.

Zu dieser Sektion schiedlicher sozialer Herkunft »wanderten« über Wilna, z.B. aus polnisch Litauen ins Inne- An wenigen Städten werden die Konstruiert- re des Russischen Reichs, um dort Karriere zu heit nationaler Exklusivität und die Überlage- machen. Wie stifteten sie dabei ihren Biogra- rung unterschiedlicher Zugehörigkeitsdiskurse phien Sinn und in welchen Domänen der rus- so evident wie am litauischen Wilna. Gilt die sischen Imperialkultur (Bildungssystem, Litera- Stadt in der Polonistik als Wiege der roman- tur, Wissenschaft) engagierten sie sich? Be- tisch geprägten Nationalbewegung, so wird deutend für das Verständnis der Kulturge- sie in jüngeren historischen Forschungen als schichte Ostmitteleuropas sind aber auch die Aushandlungsort multipler ethnischer und re- kulturellen Übersetzungsprozesse, die sich ligiöser Konzepte präsentiert. Dieses Panel dabei vollzogen: Wie funktionierten etwa möchte am Beispiel des 19. Jahrhunderts Textgattungen der polnischen Aufklärung, nach den konkreten Transfer- und Migrati- wenn sie in die russische Literatur »übersetzt« onsprozessen fragen, die sich in der Stadt wurden? Ergänzt werden diese Studien um vollzogen und dabei literaturwissenschaftli- Analysen historiographischer Traditionen, in che, kulturgeschichtliche und historische Per- denen die Stadt Vilnius des 19. Jahrhunderts spektiven bündeln. Personen ganz unter- konstruiert und historisch kontextualisiert wird.

36 Dr. Monika Bednarczuk (Bochum) Studenten und Absolventen der Universität Wilna im Russischen Imperium in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Anpassungsstrategien, Karrieren, Auswirkung)

Monika Bednarczuk, Polonistin, Literaturwissenschaftlerin; seit 2009 wissenschaftliche Assistentin am Seminar für Slavistik der Ruhr-Universität Bochum. Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Aktivitäten sind: nationale Identität(en) in der Literatur, Funktionalisierungen bestimmter Chronotopoi (Spani- en-, Deutschland- und Russlandbilder; Imaginationen des Mittelmeerraumes und der Ukraine; pol- nisch-jüdische Beziehungen) sowie Genderkonstellationen. Publikationen: Kobiety w kręgu prawi- cy międzywojennej: idee, sylwetki, strategie pisarskie (Wrocław 2012); Obraz hiszpańskiej wojny domowej lat 1936-1939 w piśmiennictwie polskim (Toruń 2008) sowie (zusammen mit Ewa Pogo- nowska) Znani, Nieznani, Nierozpoznani (Warszawa 2009).

Anhand von Lebenswegen einiger Personen nacy Chodźko, als auch um andere Alumni aus dem Umkreis der Universität Wilna soll ein der damals größten (und bis 1830 eigentlich wenig beachteter Aspekt der polnisch-russi- polnischen) Universität im Zarenreich (u.a. die schen Kulturbeziehungen untersucht werden, Mitglieder der Gesellschaft der Lumpen, To- nämlich die Karrierechancen und Strategien warzystwo Szubrawców). Zahlreiche Wilnaer literarischer Identitäts-Verhandlungen von wurden bedeutende Vertreter des polni- Polen in Russland. Dabei geht es sowohl um schen oder/ und russischen Geistes- und Wirt- Polen, die aufgrund ihrer Beteiligung an ge- schaftslebens. Ihre unterschiedlichen Strate- heimen patriotischen Bünden verbannt wur- gien im Umgang mit der imperialen Situation den, wie Adam Mickiewicz, Tomasz Zan, Ig- stehen im Zentrum der Reflexion.

Prof. Theodor Weeks, Ph.D. (Carbondale, Ill.) Competing Histories: Vilnius/Wilno in Lithuanian and Polish historical writing in the 19th century

Theodore R. Weeks, Professor of History, Southern Illinois University at Carbondale. Ph.D. History, University of California, Berkeley, 1992, M.A. German Literature, University of Colorado, Boulder, 1984, B.A. German, University of Colorado, Boulder, 1980 With Honors. Fellow at Imre Kertész Kolleg, Friedrich-Schiller-U., Jena, Germany, November 2012 to August 2013. Research Fellow at Slavic Re- search Center, Hokkaido University, Sapporo Japan, June – October 2012. Scholar Excellence Award, Southern Illinois at Carbondale, May 2012. East European Studies, Woodrow Wilson Center, Washington DC. Short-term research grant, July 2011. Outstanding Scholar, College of Liberal Arts, Southern Illinois University at Carbondale. 2009. Fulbright Distinguished Chair, University of , Poland. September 2008 - July 2009. Publications: Nation and State in Late Imperial Russia: Na- tionalism and Russification on Russia's Western Frontier 1863-1914. DeKalb: Northern Illinois University Press, 1996. From Assimilation to Antisemitism: the »Jewish Question« in Poland, 1850-1914. DeKalb: Northern Illinois University Press, 2006. Making Europe: People, Politics and Culture (chapters 20-25 [1815-1918]; co-author with Frank Kidner et al.). Boston: Houghton Mifflin, 2008; second edition Cengage Publishing, 2013. Across the Revolutionary Divide: Russia 1861-1945. Oxford: Wiley- Blackwell, 2010. And numerous articles about Wilna and interethnic contact in the Russian Em- pire’s West.

As is well known, one of the tools used by na- that Wilno was »really« a Polish or Lithuanian tionalists in the 19th century (and much later) city from early on), my tentative research into was historical research and writing. In my Polish historiography (esp. Michał Baliński and paper I would look to examine the images of Józef Ignacy Kraszewski) suggests that their Vilnius/Wilno history in Polish and Lithuanian approach is actually quite nuanced. Hence historical writing in the period up to 1914. a more sophisticated look at the question is, I While I would expect to see some fairly believe, merited. standard tropes of »national ownership« (i.e.,

37 Prof. Dr. Mirja Lecke (Bochum) Pan Podstolis Reise über Wilna nach Russland. Faddej Bulgarin und der Sittenroman

Mirja Lecke, Professorin für literaturwissenschaftliche Slavistik. Studium der Slavistik, Kommunikati- onswissenschaft, Wirtschaftspolitik und Volkswirtschaftslehre in Münster und St. Petersburg, 1998 Magistra Artium, 2001 Promotion in Münster »Erzählte Aufklärung. Studien zum polnischen Roman um 1800«. 2004/5 und Sommer 2008 Visiting fellow (Feodor Lynen Stipendium) an der University of California, Berkeley, USA. 2009 Habilitation in Münster »Literatur für Imperialbürger. Zur Repräsenta- tion der westlichen Reichsgebiete in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts« und Ruf an die Ruhr-Universität Bochum.

Der »Spion« und gebürtige Pole Faddej Bul- frühen polnischen Sittenromanen, die Bulga- garin hat Ende der 1810er Jahre einige ent- rin zweifellos kannte, über Bulgarins Wilnaer scheidende Jahre in Wilna verbracht, bevor Aktivitäten bei den Szubrawcy und seine er als Journalist und Schriftsteller in Peters- Publikationen in liberalen Blättern hin zu sei- burg, insbesondere als Autor des ersten russi- nem russischen Sittenroman führen, der wie- schen Sittenromans, Ivan Vyžigin (1829), be- derum sehr bedeutend für Gogols Prosa wur- kannt wurde. Im Vortrag wird die Frage ge- de. stellt, welche Verbindungslinien von Krasickis

Dr. Andreas Lawaty (Lüneburg) Kommentar zu den Beiträgen

Dr. Andreas Lawaty, geb. 1953, wiss. Mitarbeiter am Nordost-Institut (IKGN e.V.) in Lüneburg, Histo- riker und Literaturwissenschaftler. Forschungen zur Kultur- und Ideengeschichte in Ostmitteleuropa, deutsch-polnischen Beziehungen, Historiographie- und Literaturgeschichte. Herausgeber, zuletzt: Czesław Miłosz im Jahrhundert der Extreme. Ars poetica – Raumprojektionen – Abgründe – Ars translationis. Hrsg. v. Andreas Lawaty / Marek Zybura. Osnabrück: fibre 2013. (Studia Brandtiana; 8).

38 xSektion 4x

Modi der Kommunikation in Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen Leitung: Univ.-Prof. Dr. Jan Kusber (Mainz)

Jan Kusber, geb. 1966 in Husum, Studium der Osteuropäischen Geschichte, und der Slavistik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Kiel. Dort auch Promotion 1995 und Habilitation 2001. Seit Sommersemester 2003 ist er Professor für Osteuropäische Geschichte an der Johannes Gutenberg Universität Mainz, seit 2009 1. Vorsitzender des Verbanden der Osteuropahistorikerinnen und - historiker Deutschlands (VOH). Zu Arbeitsgebieten gehören Geschichtspolitik und Geschichtskultur in Russland und Polen, zu seinen Veröffentlichungen zählen u.a.: Krieg und Revolution in Russland, 1904-1906 (1997); Eliten- und Volksbildung im Zarenreich während des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (2004); Kleine Geschichte St. Petersburgs (2009).

Sebastian Borchers, M.A. (Berlin) Zeitgenössische polnische Musik im Wechselspiel mit dem bundesdeutschen Musikleben der 1960er und 1970er Jahre

Sebastian Borchers M. A. studierte an der Ruhr-Universität Bochum Musik- und Geschichtswissen- schaften. Aktuell befasst er sich als Doktorand der Folkwang Universität der Künste in Essen und in Zusammenarbeit mit dem Instytut Muzykologii der Uniwersytet Warszawski mit den deutsch- polnischen Wechselbeziehungen in der Neuen Musik (1956-89). Hierfür durchgeführte Archiv- recherchen 2011/12 in Polen wurden durch Stipendien des DHI in Warschau und den DAAD ge- fördert. 2011 erhielt er zudem ein Forschungsstipendium des DPI in Darmstadt. Daneben unterstützt er den Moeck-Verlag bei der Systematisierung des Privatarchivs zeitgenössischer Komponisten, ist als Autor tätig und arbeitet als Tontechniker.

Die kulturpolitischen Lockerungen infolge des Musik bedeutend waren, steht im Zentrum »Tauwetters« 1956 in Polen ebneten vor allem meines Vortrags. Der schrittweise Ausbau kul- der zeitgenössischen Musikszene Polens die tureller Förderungsmaßnahmen nach 1945 Möglichkeit, sich wieder frei zu entfalten. Die hatte die westdeutsche Szene zeitgenössi- Bedingungen des 2. Weltkrieges, aber auch scher Musik zu einem der wichtigsten interna- die Durchsetzung der Kunstdoktrin des »Sozia- tionalen Schauplätze erhoben und so sym- listischen Realismus« ab 1948/49, verhinderten bolträchtige Orte wie die Internationalen Fe- musikalische Weiterentwicklungen und isolier- rienkursen für Neue Musik in Darmstadt her- ten das polnische Musikleben weitgehend vorgebracht. Neben einer Teilnahme an die- vom internationalen zeitgenössischen Musik- sen bietet besonders die rege Beteiligung an geschehen. Die Kontaktaufnahme mit dem anderen Veranstaltungen Neuer Musik im westlichen Ausland ab 1956, versinnbildlicht Bundesgebiet aufschlussreiche Einblicke in durch die Etablierung des Internationalen ein Beziehungsgefüge, das sich »hinter den Musikfestivals »Warszawska Jesień« im selben Kulissen« der präsentierten Werke herausbil- Jahr in Warschau, war wesentlich für das wei- dete. Komponisten wie K. Penderecki, W. tere Fortkommen der polnischen Musik. Sie Lutosławski oder H. M. Górecki, aber auch in führte letztendlich zur Herausbildung einer Deutschland heute weniger bekannte Musi- »polnischen Musikavantgarde«, die sich vor- ker wie W. Kotoński oder K. Serocki, standen nehmlich durch das Komponieren mit Klang- teils bis in die 1980er Jahre hinein in fortlau- farben auszeichnete und alsbald als »polni- fendem Kontakt mit westdeutschen Rund- sche Komponistenschule« bezeichnet wurde. funkanstalten und deren Vertretern wie Otto Dass zudem enge Verbindungen mit dem Tomek und arbeiten intensiv mit Musikverla- Musikleben der Bundesrepublik Deutschland gen wie dem Hermann Moeck-Verlag zu- für die internationale Reputation polnischer sammen.

39 Dr. Severin Gawlitta (Essen) »Aus dem Geist des Konzils! Aus der Sorge der Nachbarn!« Die Polenarbeit der katholischen Bischöfe Deutschlands 1965-1972

Severin Gawlitta, geb. 1975, Studium der Neueren, Neuesten und Osteuropäischen Geschichte sowie der Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Fernstudium der Ka- tholischen Theologie (seit 2011). 2007 Promotion mit der Arbeit: »Zwischen Einladung und Auswei- sung. Deutsche bäuerliche Siedler im Königreich Polen 1815-1915«. Seit 2009 Mitarbeiter des Bis- tumsarchivs Essen. Forschungsschwerpunkte: Deutsch-polnische Beziehungen im 19. und 20. Jahr- hundert; Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa; Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert. Zuletzt veröffentlicht: »Ein Politikón hohen Ranges« – Der Kardinal Bertram-Nachlass im Erzbischöflichen Archiv Breslau, in: ASKG 70 (2012), S. 317-331.

Der aufsehenerregende Briefwechsel zwi- genommen haben, um auf diese Weise ihr schen den polnischen und deutschen Bischö- ›Versprechen‹ einzulösen, die mentale Aner- fen vom Spätherbst 1965 gehört inzwischen kennung der Oder-Neiße-Grenze in der deut- zum historischen Kanon der deutsch- schen Gesellschaft zu fördern. Exemplarisch polnischen Beziehungen. Er wird häufig als hierfür steht das Bistum Essen, an dem an- »Gründungsakt« der Verständigung und schaulich dargelegt werden kann, mit wel- Normalisierung des Verhältnisses zwischen chen Mitteln und Erfolgsaussichten in den Deutschen und Polen gesehen und dient bis (west)deutschen Diözesen auf dieses Ziel hin- in die Gegenwart als Vorbild und Muster für gearbeitet wurde. Neben den Ansprachen die Überwindung von nationalen Gegensät- des Bischofs von Essen stellten vor allem der zen und Antagonismen. ›Polendiskurs‹ in der Bistumszeitung Ruhrwort Seine Präsenz im kollektiven Erinnern und sowie die Auseinandersetzung mit dem The- damit verbunden seine überaus positiv kon- ma ›Polen‹ in den kirchlichen Organisationen notierte öffentliche Wahrnehmung stehen und in den Kirchengemeinden seit 1966 die jedoch in einem Spannungsverhältnis zum zentralen Instrumente dar, mit denen der fachpublizistischen Urteil über seine Wir- Wandel der Einstellungen gegenüber Polen kungsgeschichte. Vor allem für die erste De- bewirkt werden sollte. kade nach dem Austausch der bischöflichen Besondere Beachtung gilt dabei dem ersten Briefe wird häufig angeführt, dass sowohl vor Ruhrbischof, Franz Hengsbach, der für seine dem Hintergrund des vermeintlich »kühlen« Verdienste um die Verständigung zwischen und »enttäuschenden« deutschen Antwort- Deutschen und Polen als »Wortführer der Ver- schreibens als auch infolge der antikirchli- söhnung« gewürdigt wird. Polen blieb für ihn chen Kampagne des kommunistischen Re- während seiner gesamten Amtszeit (1958- gimes in Polen der Vorstoß der polnischen Bi- 1991) eine »große Sache«. Er gehörte zu den schöfe »versandet« sei. Der angestrebte epi- konsultierten deutschen Bischöfen bei der skopale Dialog hätte damit nicht nur eine Vorbereitung der polnischen Versöhnungs- »Stagnation«, sondern gar einen »Rück- botschaft und verteidigte entschlossen den schlag« erfahren. in Rom begonnen deutsch-polnischen Dialog Neueste, von der Forschung bisher kaum er- der Episkopate. Seine ausgesprochene Po- schlossene Dokumente bischöflicher Proveni- lenfreundlichkeit und sein Engagement für enz lassen jedoch berechtigte Zweifel an die- die Verständigung leitete er aus seiner Erfah- ser Behauptung aufkommen. Vielmehr zeigt rung in der Polenseelsorge ab, die er in den es sich darin, dass die deutschen Kirchenhie- 1930er Jahren als Kaplan in Herne gesammelt rarchen unmittelbar nach der Rückkehr vom und auf die er auch als Bischof häufig zu- Konzil sich einer intensiven ›Polenarbeit‹ an- rückgegriffen hatte.

40 Lisa Bicknell, M.A. (Mainz) Schwer zu vermitteln. Die Haltung Helmut Schmidts und Willy Brandts zu KOR und Solidarność

Lisa Bicknell studierte von 2004 bis 2010 Osteuropäische Geschichte, Russische Philologie und Poli- tikwissenschaften auf Magister in Mainz und Riga. Studienbegleitend absolvierte sie die Polonicu- msprogramme in Mainz und Krakau (2007) sowie in Warschau (2010). Seit 2010 ist sie Doktorandin und Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte in Mainz und verfasst ihre Promotion zum Thema »Mehr Sozialdemokratie wagen. Mieczysław Rakowski, die SPD und die deutsch- polnischen Beziehungen«. Aktuell lebt und forscht sie in Chicago, sowie im Sommer 2014 im Archiv der Hoover Institution der University of Stanford, welche den Nachlass Rakowskis besitzt.

Ein Lob der sozialdemokratischen Ostpolitik können. Ich greife damit Ergebnisse der 2011 unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und erschienenen Monographie Dominik Picks zu Helmut Schmidt wird in Polen und Deutsch- »Helmut Schmidt und Polen« auf und verbin- land nicht selten mit einem Verweis auf eine de sie mit den aktuellen Forschungen meines geradezu schizophren-vorsichtige Haltung laufenden Dissertationsprojekts zur Rolle gegenüber den polnischen Gewerkschafts- Mieczysław Rakowskis in den deutsch- bewegungen in den späten 1970er und polnischen Beziehungen. Bisherige Publikati- 1980er Jahren zu relativieren versucht. Tat- onen zu dem Thema beziehen sich haupt- sächlich werfen die Regime-stützende Positi- sächlich auf Erinnerungen der Altbundes- onierung Schmidts und die berühmte Weige- kanzler und deren Umfeld, die kaum Einblicke rung Brandts, sich 1985 mit dem Gewerk- in die Hintergründe der sozialdemokratischen schaftsführer Lech Wałęsa im Rahmen seines Meinungsfindung ermöglichen. Die ausführli- Besuches in Warschau zu treffen, berechtigte chen Tagebuchnotizen des polnischen Jour- Fragen auf. nalisten und Politikers Rakowski, welche für Mein Vortrag verfolgt bei der Beantwortung einen Zeitraum von über dreißig Jahren dieser Fragen die These, dass politische (1958-1990) vorliegen, liefern für eine Erklä- Freundschaften und daraus resultierendes rung der Haltung der SPD-Führung hingegen Vertrauen zu bestimmten Vertretern der pol- entscheidende Hinweise. Sie bestätigen den nischen Regierung – allen voran zu Parteichef Verdacht von freundschaftlichen Verflech- Edward Gierek (1970-1980) und dem stellver- tungen und ermöglichen auf dieser Grundla- tretenden Ministerpräsidenten Mieczysław ge eine Einordnung in den übergeordneten Rakowski (1981-1985) – sowie ein bereits in Kontext der deutsch-polnischen Beziehungen den 1970er Jahren intensiv gepflegter, friedli- der Nachkriegszeit. cher Dialog die Fehleinschätzungen erklären

Dr. Rüdiger Ritter (Bremen) Solidarität mit Vorbehalten. Das Bremer Koordinationsbüro der Solidarność

Dr. Rüdiger Ritter, Osteuropahistoriker und Musikwissenschaftler, 2002 Dissertation (Musik für die Na- tion: Stanisław Moniuszko in der polnischen Nationalbewegung). Forschung u.a. in den Projekten »Das Deutschlandbild der Russen und das Russlandbild der Deutschen« (Universität Wuppertal), »Kollektive Identitäten und Geschichte in postsozialistischen Diskursen: Belarus, Litauen, Polen, Uk- raine« (Universität Bremen), »Widerständigkeit durch Kulturtransfer – Jazz im Ostblock« (FU Berlin), »Amerikaner in Bremerhaven« (Museum der 50er Jahre Bremerhaven) »Europadiskurse im polni- schen Zweiten Umlauf« (FSO Bremen). Derzeit Habilitation (Jazz-Radiosendungen im Kalten Krieg, FU Berlin).

Im Dezember 1981 kam eine Delegation der wurde, war die Delegation gezwungen, vor- Gewerkschaft Solidarność nach Bremen, die erst in Bremen zu bleiben. Es konnte schließ- den Auftrag erhalten hatte, sich hier über die lich das Bremer Koordinationsbüro der Soli- praktische Organisation von Gewerkschafts- darność eingerichtet werden. Seine Mitglie- arbeit zu informieren. Da einen Tag nach ihrer der koordinierten Hilfsaktionen für in Polen in- Ankunft in Polen das Kriegsrecht verhängt haftierte Gewerkschaftsmitglieder und ver-

41 breiteten Informationen aus Polen im Westen ren Hilfen, deren Halbherzigkeit das gegen- – sowohl an die Polonia als auch an die deut- seitige Missverständnis noch vertiefte. Die sche Öffentlichkeit. Oppositionsparteien konnten verbal ent- Schon bald jedoch kam es zwischen den schiedener auftreten, da sie nicht das Prob- Mitgliedern des Büros und dem Deutschen lem der Regierungsverantwortung hatten. Gewerkschaftsbund zu Missverständnis- Das Bremer Büro rivalisierte mit den Ausland- sen.Unterschiedliche Auffassungen (Sozialis- sorganisationen der Solidarność in Paris und musverständnis, Freiheitskampf) führten dazu, Brüssel, es unterlag letzterem schließlich und dass der DGB dem Büro die finanziellen Mittel wurde 1983 geschlossen. Damit verlor das Bü- entzog. Als Folge verlagerte sich die anfangs ro seine Stellung im zentralen Geschichtsnar- wichtige, überregionale Rolle des Büros bei rativ der Solidarność. In Deutschland ver- der deutschen Polenhilfe der Zeit auf andere mochte es sich nur in begrenztem Maße Organisationen. Sympathie zu verschaffen und geriet in Ver- Die regierenden Parteien unterstützten das gessenheit. In Bremen ist es kaum bekannt, Büro einerseits, waren andererseits auch der war aber mittelbar einer der Anlässe zur heu- bundespolitischen Entspannungspolitik mit ih- te noch bestehenden Forschungsstelle Ost- rer Rücksicht auf die Sowjetunion und auf die europa. polnische Führung verpflichtet. Ergebnis wa-

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x» Zwischenzeiten « Ix

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Projektvorstellungen Internetplattformen

Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien (ZIP), Frankfurt (Oder) Die Plattform »pol-int.org« PD Dr. Barbara Jajeśniak-Quast (Frankfurt/Oder) Biogramm S. 34 Dr. Tim Buchen; Katharina Kinga Kowalski, M.A.; Katarzyna Jez, M.A. (alle Frankfurt/Oder)

Tim Buchen ist Historiker und seit Oktober 2012 akademischer Mitarbeiter am Zentrum für Interdis- ziplinäre Polenstudien (ZIP) der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Zuvor war er wissen- schaftlicher Mitarbeiter der Professur für Geschichte Mittel- und Osteuropas der Otto-Friedrich- Universität Bamberg und Gastwissenschaftler am Deutschen Historischen Institut in Warschau. Die Promotion erfolgte 2011 am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin mit einer Arbeit über Antisemitismus in Galizien vor dem Ersten Weltkrieg. Buchen studierte Geschichte, Neuere deut- sche Literatur und Osteuropastudien in Berlin.

Katharina Kinga Kowalski, M.A., Kulturanthropologin, Slawistin und Expertin für Geschlechterfor- schung. Sie studierte an der Universität Göttingen und promoviert zurzeit über die Frauenbewe- gungen in Polen. In ihrer bisherigen Forschungsarbeit war bei der Stiftung des Collegium Poloni- cum in Słubice (Polen) sowie dem Center for Urban History of East Central Europe in Lemberg (Uk- raine) tätig. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören u.a. Geschlechtergeschichte, Frauenbewe- gung und Feminismus in Mittel- und Osteuropa, Wissenschaftsgeschichte und -kritik sowie Intellek- tuellensoziologie.

Katarzyna Jez M.A., Sprachwissenschaftlerin und Expertin für European Studies. Sie studierte in Po- sen, Berlin und Frankfurt (Oder) und beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit der integrativen Raumentwicklung in Europa, der Regional- und Strukturpolitik der Europäischen Union sowie den Migrationsströmen in Ost- und Mitteleuropa. In ihrer bisherigen Tätigkeit an der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften arbeitete sie in diversen wissenschaftlichen Projekten im Bereich der Sprachwissenschaft und Soziologie. Sie wirkte an einem Filmprojekt zur jü- dischen Alltagskultur im Auftrag der Deutschen Welle mit und engagierte sich im internationalen Austauschzentrum für Jugendliche in Berlin.

Polenstudien.Interdisziplinär (Pol-Int) ist DIE Polenstudien zu bündeln und an einem Ort wissenschaftliche Online-Plattform für den frei zugänglich zu machen. Austausch und die Vernetzung der wissen- Das charakteristische Merkmal der Plattform schaftlichen Beschäftigung mit Polen. ist ihre Interaktivität und die usergenerierten Pol-Int ist ein gemeinschaftliches Projekt pol- Inhalte. Eine Vielzahl an WissenschaftlerInnen nischer und deutscher Partner mit internatio- und MultiplikatorInnen aus Polen, Deutsch- naler und interdisziplinärer Ausrichtung. Die land und der ganzen Welt sind als NutzerIn- Plattform ist am Zentrum für Interdisziplinäre nen, BeiträgerInnen und ehrenamtliche Re- Polenstudien (ZIP) an der Europa-Universität dakteurInnen einbezogen. Es gibt die Mög- Viadrina in Frankfurt (Oder) und dem Colle- lichkeit, ein Forschungsprofil anzulegen und gium Polonicum in Słubice angesiedelt. mit anderen registrierten Usern Projekt- und Das Portal setzt sich zum Ziel, Forschungser- Kooperationspartnerschaften zu schließen. gebnisse (Rezensionen von neuerscheinen- Die Interaktivität von Pol-Int findet zudem den Publikationen, Tagungs- und Konferenz- Ausdruck in den vielseitigen Diskussionsmög- berichte und Diskussionen) sowie relevante lichkeiten und Kommentarfunktionen. Informationen (Forschungsprojekte, Jobs- und Auf der einen Seite wird regelmäßig eine Fördermöglichkeiten, Stipendien, wissen- Vielzahl von Rezensionen von neu erschei- schaftliche Veranstaltungen) im Bereich der nenden Büchern aus dem Bereich Polenstu-

43 dien publiziert und von einem interdisziplinä- Das Interface der Plattform ist dreisprachig – ren Redaktionsteam betreut. Auf der ande- deutsch, polnisch und englisch. In diesen ren Seite unterstützt ein sich aus einem inter- Sprachen werden auch Inhalte publiziert. nationalen Expertenteam zusammensetzen- Im Rahmen der Dritten Tagung Deutsche Po- der wissenschaftlicher Beirat die inhaltliche lenforschung möchten wir die Screendesigns Ausrichtung und die hohe Qualität der redak- der Online-Plattform präsentieren und die tionell betreuten Inhalte. Konferenzteilnehmer als Beta-Tester gewin- nen.

Deutsches Polen-Institut Die Plattform »Polen in der Schule« Dr. Matthias Kneip (Darmstadt), Manfred Mack (Darmstadt)

Dr. Matthias Kneip, geboren 1969 in Regensburg, ist seit dem Jahr 2000 als Wissenschaftlicher Mit- arbeiter am Deutschen Polen-Institut tätig. Von Beginn an legte er dort seinen Schwerpunkt auf die Entwicklung von Schulmaterialien zum Thema Polen Mit seinem Kollegen Manfred Mack veröf- fentlichte er seitdem mehrere Lehrwerke. Außerdem ist Matthias Kneip als Schriftsteller und Publizist tätig. Er lebt in Regensburg und Darmstadt.

Manfred Mack, Historiker und Slavist. Seit 1980 Dozent in der politischen Bildung, seit 1989 wissen- schaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Polen-Institut. U.a. Redakteur des Panoramas der polni- schen Literatur des 20. Jahrhunderts, zusammen mit Matthias Kneip Projektleiter für die Schulpro- jekte des DPI. Wissenschaftlicher Betreuer der Bibliothek und der Archive.

Das Deutsche Polen-Institut (DPI) in Darm- kompakte Informationen zu ausgewählten stadt entwickelt in den Jahren 2014 – 2016 Themen über Polen und die deutsch- ein Internetportal www.poleninderschule.de. polnischen Beziehungen. Die Idee basiert auf der Tatsache, dass im- Zunächst werden Materialien für die Fächer mer mehr Schulen in Deutschland auf com- Geschichte, Deutsch und Politik bereitge- putergestützte Whiteboards umsteigen und stellt. Ergänzt werden diese durch Angebote für diese Art der Unterrichtsform bislang kaum zu Polnisch als Fremdsprache und zur Lan- oder nur wenig systematisierte Unterrichtsma- deskunde. terialien zum Thema Polen zur Verfügung ste- In einer kommentierten Linksammlung wird hen. Die Seite soll zum einen die vorliegen- auf im Internet verfügbare, für den Unterricht den Lehrwerke des DPI für das Internet aus- geeignete Texte und Filme hingewiesen. Ge- bauen, zum anderen die technischen Mög- plant ist, in Kooperation mit dem Filmema- lichkeiten dieses Mediums zur Vermittlung von cher Andrzej Klamt, eigene Kurzfilme zu unter- polenbezogenen Inhalten für den Unterricht richtsrelevanten Themen zu erstellen nutzen. Die Freischaltung der Plattform ist für Es wird auch einen Newsletter geben, in dem den 1. April 2014 geplant, dann soll sie konti- kontinuierlich über Veranstaltungen, Fortbil- nuierlich erweitert werden. dungen und Neuerscheinungen informiert Ziel ist es, die Seite als zentrale Plattform für wird. Zu einem späteren Zeitpunkt ist auch polenbezogene Themen im Unterricht zu die Einrichtung einer Facebook-Seite ge- etablieren. Sie wendet sich gleichermaßen plant, die dem Erfahrungsaustausch zum an Lehrer und Schüler, bietet darüber hinaus Thema »Polen in der Schule« dienen soll. aber jedem Interessierten zuverlässige und

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Projektvorstellungen des Zentrums für Historische Forschung der PAN, Berlin Deutsch-Polnische Erinnerungsorte Modi Memorandi Anna Labentz, M.A. (Berlin)

Anna Labentz studierte von 2006-2009 Kommunikationswissenschaften mit Schwerpunkt Osteuro- pa sowie Anglistik und Amerikanistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, von 2009-2012 European Studies mit Schwerpunkt Kultur an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Seit 2012 ist sie Wissenschaftsmanagerin am Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften und koordiniert dort das Forschungsprojekt »Deutsch- Polnische Erinnerungsorte«.

Das Projekt »Deutsch-Polnische Erinnerung- Ihr liegt eine innovative Verschränkung zwei- sorte« ist ein gemeinsames Forschungsvorha- er historiographischer Ansätze – der Erfor- ben des Zentrums für Historische Forschung schung von Erinnerungskulturen mit der Berlin der Polnischen Akademie der Wissen- (deutsch-polnischen) Beziehungsgeschichte schaften und des Instituts für Geschichte der – zugrunde. Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg in Die Ergebnisse des Projekts werden in einer Zusammenar-beit mit dem Deutschen Polen- umfangreichen Publikationsreihe in deut- Institut (DPI) und dem Institut für Geschichte scher und polnischer Sprache veröffentlicht der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Erscheinungsdatum: 2012-2014). In den ins- (IH PAN). Die Initiatoren des Projektes, Prof. gesamt neun Bänden finden sich um die 100 Dr. Hans Henning Hahn und Prof. Dr. Robert Beiträge von deutschen, polnischen, französi- Traba, entwickelten gemeinsam mit den Mit- schen, italieni-schen, tschechischen und gliedern des Konzeptuali-sierungsteams, Dr. schweizerischen Autoren. Es ist das derzeit Maciej Górny und Kornelia Kończal, eine größte gemeinsam durch-geführte deutsch- neue Perspektive zur Betrachtung und Unter- polnische Forschungsprojekt auf dem Gebiet suchung der deutsch-polnischen Geschichte. der Geisteswissenschaften.

Das interdisziplinäre Lexikon zum kollektiven ziplinäre Anwendbarkeit in der Forschung, Gedächtnis »Modi Memorandi« ist zum einen Analysen und Interpretationen von mit dem ein Unterfangen mit dem Ziel, das Wissen zum Gedächtnis verbundenen Phänomenen. Das Gedächtnis zu ordnen, zum anderen handelt Lexikon soll somit vier Grundsätze erfüllen: In- es sich um ein einzigartiges Forschungspro- terdisziplinarität, Pluralismus, Systematisierung jekt, dessen Gegenstand die Sprache und und interdisziplinären Transfer. die Tradition der Gedächtnisforschung ist. Folgende Gruppen sind potenzielle Hauptad- Das Lexikon soll zur Integration im entspre- ressaten des Lexikons: a) Wissenschaftler, b) chenden polnischen Forscherkreises beitra- Studie-rende geistes- und sozialwissenschaft- gen. Kriterien für die Aufnahme von Begriffen licher Fachrichtungen, c) Journalisten und in den Stichwortkatalog sind u.a. ihre interdis- Publizisten.

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Kurzdiskussion Polen in Europa – ein politikwissenschaftlicher Blick Prof. Dr. Andrea Gawrich (Gießen) Dr. Tytus Jaskułowski (Dresden) – Biogramm siehe S. 22 Prof. Dr. Stefan Garsztecki (Chemnitz) – Biogramm siehe S. 73 Dorothea Traupe, M.A. (München) – Biogramm siehe S. 29

Prof. Gawrich ist sei 2012 Professorin für internationale Integration an der JLU Giessen. Zuvor war sie wissenschaftliche Assistentin und akademische Rätin an der CAU Kiel, Programmleiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin in an der Ruhr-Universität Bochum. 1997 erlangte sie ihren Magisterabschluss an der Universität Bo- chum und 2002 wurde sie dort promoviert. 2011 habilitierte sie sich im Fach Politikwissenschaft an der CAU Kiel.

Das Panel hat zum Ziel, aus politikwissen- le stärken oder nicht? Welche Bedeutung hat schaftlicher Perspektive einen Blick zu werfen heute, mehr als zehn Jahre nach dem Beginn auf die Rolle Polens in Europa. Hierbei geht es des Irak-Kriegs, die transatlantische Orientie- zum einen um die Frage welche europäische rung Polens für die europäische Integration? Identität sich in Polen zeigt. Welche deutsche Die politikwissenschaftlichen Schwerpunktset- Wahrnehmung gibt es hierzu? Welche Be- zungen der drei DiskutantInnen beziehen sich deutung hat die Brückenfunktion Polens in zum einen auf einen vergleichenden Blick Richtung östliches Europa heute innerhalb auf europäische politische Kulturen in (Ost- der EU? Welche Bedeutung hat die Wirt- )Mitteleuropa durch Prof. Garsztecki, zum schafts- und Finanzkrise für die polnische Eu- anderen auf die Rolle der polnischen Demo- ropastrategie? Besteht die Gefahr, dass Po- kratieentwicklung für die Integration in die EU len durch die Wirtschafts- und Finanzkrise als durch Dr. Jaskulowski sowie zum Dritten auf europäischer Nicht-Euro-Staat marginalisiert die internationale sicherheitspolitische Positi- wird? Kann Polen im Zuge der ukrainischen onierung Polens durch Frau Traupe. Revolutionsbewegung seine europäische Rol-

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Vorstellung Das Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien (Halle/Jena) Perspektiven in Forschung und Graduiertenförderung Prof. Dr. Yvonne Kleinmann (Halle) – Biogramm siehe S. 55 Prof. Dr. Achim Rabus (Jena)

Achim Rabus ist seit dem Wintersemester 2013 Professor für Slawistische Sprachwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er studierte von 1999 bis 2004 Slawistik, Musikwissenschaft und BWL an den Universitäten Freiburg i.Br., Basel und Kazan’. Von 2005 bis 2013 war er Wissenschaftli- cher Mitarbeiter bzw. Akademischer Rat am Slavischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Im September 2011 wurde er in das Akademiekolleg der Heidelberger Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Das Sommersemester 2012 verbrachte er an der UC Berkeley im Rahmen eines von der Alexander von Humboldt-Stiftung geförderten Forschungsaufenthalts.

Die Präsentation gilt dem 2012 gegründeten Universität Jena, die durch die Stiftung für und Ende 2013 eröffneten Aleksander- deutsch-polnische Zusammenarbeit, die Brückner-Zentrum für Polenstudien, einer Ko- Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung und operation der Martin-Luther-Universität Halle- den Deutschen Akademischen Austausch- Wittenberg und der Friedrich-Schiller- dienst gefördert wird.

46 Zunächst skizzieren wir die Ziele des Zentrums, Zur Konkretisierung dieser Felder stellen wir die Schwerpunkte der beiden Stiftungsprofes- die beiden ersten größeren Veranstaltungen suren sowie die gemeinsam erarbeiteten im Jahr 2014 vor: das Symposium »Aleksander Epochen übergreifenden und interdisziplinär Brückner revisited: Diskurse um Polonität in angelegten Forschungsfelder: Geschichte und Gegenwart« und die inter- • Plurale Polonität: Sprachen, Gesellschaften nationale Konferenz »Imaginations and Con- und Kulturen figurations of Polish Society from the Middle • Konfigurationen und Rekonfigurationen von Ages through the 20th Century«. Gemeinschaft und Gesellschaft Abschließend entwerfen wir ein längerfristiges • Polen in seinen europäischen und internati- Modell für die Graduiertenförderung im onalen Verflechtungen Rahmen des Universitätsverbundes Halle – Jena – Leipzig.

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Buchvorstellung Reinhold Vetter: Bronisław Geremek. Der Stratege der polnischen Revolution Reinhold Vetter (Berlin/Warschau)

Reinhold Vetter, Jahrgang 1946, studierte zunächst Geodäsie und arbeitete als Diplomingenieur insbesondere bei der Baufirma Hochtief. Dann folgten Studien in Politikwissenschaft und Publizistik, die er ebenfalls mit Diplomen abschloss. 1984-88 Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk in Köln, ging Vetter anschließend nach Warschau, um von dort für die ARD (Hörfunk) über Polen und die baltischen Staaten zu berichten. In den Jahren 1994-2000 war Vetter Korrespondent der Neu- en Zürcher Zeitung und des Handelsblattes in Warschau, 2000-2004 Korrespondent des Handels- blattes für Südosteuropa in Budapest. Dann ging er zurück nach Warschau, um erneut für ver- schiedene Zeitungen über Polen und ganz Ostmitteleuropa zu schreiben. Vetter hat Kunst- Reiseführer und politisch-historische Monografien über Polen und Ungarn sowie Biografien von Lech Wałęsa und Bronisław Geremek publiziert. Hinzu kommen zahlreiche Aufsätze in Osteuropa, Südosteuropa, BIOS, Internationale Politik, Polen-Analysen und Dialog.

Wenn ein Mann wie Bronisław Geremek im des außenpolitischen Ausschusses Sejm. In Jahr 1997 das Amt des polnischen Außenmi- diesem Zusammenhang sammelte er weitere nisters übernahm, dann war das ein regel- Auslandserfahrung und festigte sein internati- rechter Glücksfall für das Land. onales Kontaktnetz. Seine Weltoffenheit, sein Wissen über andere Als Geremek im Oktober 1997 sein Amt als Staaten besonders in Europa und seine Außenminister antrat, befand sich Polen in enormen Sprachkenntnisse sind bis heute einer Phase stärker außenpolitischer Veranke- nicht gerade typisch für die politische Klasse rung. Er hat wesentlich dazu beigetragen, in Polen. diesen Prozess zu intensivieren. Schon in den 1950er und 1960er Jahren hatte Dabei bewegte sich sein außenpolitisches er sich zu Studienzecken und als kulturpoliti- Denken in einem klaren Koordinatensystem. scher Repräsentant Polens wiederholt im Aus- Auch wenn er nicht von amerikanisch- land aufgehalten – so als Leiter des polni- polnischen »Sonderbeziehungen« träumte, schen Kulturinstituts an der Sorbonne in Paris, war der Kontakt zu »Washington« doch ein Ende der 1970er Jahre auch am Woodrow Faktor, der seiner Meinung nach wesentlich Wilson Center in Washington. Gerade seine über Polens internationale Zukunft entschei- Beziehungen zu den Historikern der »Annales« den sollte. in Frankreich haben ihn stark geprägt. Vor allem war Geremek bekennender Euro- Als Berater Wałęsas in den 1980er Jahren ko- päer. Ihm ging es darum, Polen seinen ange- ordinierte er die »Außenpolitik« der Soli- stammten Platz in Europa zurückzugeben darność. Ab 1989 war Geremek Vorsitzender und in den europäischen Bündnissen zu ver- der Parlamentsfraktion der Solidarność und ankern. Seine große Liebe galt Frankreich,

47 wenngleich er wusste, dass sich Polen in len gehört, die sich eine deutsche Vereini- schwierigen Situationen nicht unbedingt auf gung unter Einhaltung bestimmter Prinzipien dieses Land verlassen konnte. vorstellen konnten. Deutschland sah Geremek als wichtigsten Auch als Historiker, als Mediävist genoss Ge- »Spieler« in Europa und als verlässlichen An- remek internationale wissenschaftliche Aner- walt Polens auf dem Weg in die westlichen kennung. Seine enormen historischen Kennt- Bündnisse an, wenngleich er immer darauf nisse und seine wissenschaftliche Arbeit ga- achtete, dass Polen gegenüber Deutschland ben ihm auch die Kraft, komplizierte innen- Eigenständigkeit, Selbstbewusstsein und »Kon- und außenpolitische Aufgaben zu bewälti- takt auf Augenhöhe« bewahrte. gen. Schon in den späten 1970er Jahren hatte Ge- remek zu denjenigen polnischen Intellektuel-

48 xSektion 5x

Der Erste Weltkrieg und Polen Leitung: Prof. Dr. Peter Haslinger (Marburg/Gießen/Jena)

Peter Haslinger ist seit 2007 Direktor des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung, dem in Marburg ansässigen Institut der Leibniz-Gemeinschaft, und Professor für Geschichte Ostmit- teleuropas an der Universität Gießen. Er ist Mitglied im Direktorium des Gießener Zentrums Östliches Europa (GiZo) und am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC). Stationen seiner wissenschaftlichen Laufbahn waren die Universitäten Wien und Freiburg, das Collegium Carolinum und die LMU München. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Ostmitteleuropafor- schung und Herausgeber zahlreicher Bände zur Geschichte Ostmitteleuropas im 19. und 20. Jahr- hundert. Zur Zeit ist er Fellow am Imre Kertész Kolleg in Jena und widmet sich seinem neuen For- schungsprojekt zu Expertenkulturen und Raumwissen am Beispiel Polens, Ungarns und der Tsche- choslowakei in der Zwischenkriegszeit.

Mgr. Wojciech Pieniazek (Gießen) Gewaltraum Oberschlesien: Bewaffnete Gruppen während der Abstimmungszeit (1918-1921)

Wojciech Pieniazek wurde am 1. Juli 1983 in Hannover geboren. Er studierte von 2005 bis 2010 Neuere Geschichte, Politikwissenschaft und Pädagogik an der Universität Vechta und neure pol- nische Geschichte an der Universität Zielona Góra. Seine Magisterarbeit schrieb er zum Thema: »Insurrektion in Oberschlesien (1919/1920/1921) – Kriegsführung in einem multiethnischen Grenz- gebiet«. Seit 2012 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Herder-Institut im Rahmen des DFG- Projekts Gewaltgemeinschaften. Der Titel seiner Dissertation lautet: Paramilitärische Verbände in Ostmitteleuropa der Zwischenkriegszeit: Gewaltgemeinschaften im Konflikt um Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg – ein deutsch-polnischer Vergleich und wird von Prof. Dr. Haslinger be- treut.

Mit dem Ende des »Great War« kam es in agierenden Gewaltgemeinschaften, da bei- Ostmitteleuropa zu neuartigen Konflikten mit de in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ste- niedriger Intensität, in denen Polen im Westen hen scheinen. Die verschiedenen Gewalt- mit dem Deutschen Reich um seine Grenze gemeinschaften und ihr aggressives Auftre- kämpfte. Speziell im multiethnischen Ober- ten zeigen auf, dass es weniger Ideologien schlesien gab es während der Plebiszitzeit und unterschiedliche Motive waren die für (1918-1921) teilweise zu bürgerkriegsähnliche den Zusammenhalt und das Handeln in Ge- Zuständen. Unterschiedlich motivierte Grup- meinschaften verantwortlich zeichneten, pierungen führten, oft zu Lasten der ober- sondern die Gründe hierfür vielmehr in der schlesischen Bevölkerung, Gewalttaten mit Gewalt als gewohnheitsmäßige und rituelle hoher Brutalität aus. Oberschlesien wurde zu Ausübung zu suchen sind. einem Gewaltraum, in dem das Gewaltmo- Es sollen die Formen und Funktionen von nopol des Staates zeitweise schwach ausge- Gewaltanwendung und Gewaltexzessen, die prägt war und durch nicht staatliche Akteure spezielle Gruppendynamik der Vergemein- unterlaufen wurde. schaftungsprozesse sowie deren Auswirkun- Das entstandene Machtvakuum wurde in gen auf die oberschlesische Gesellschaft un- Oberschlesien von Paramilitärs ausgefüllt, tersucht werden. Folgende Fragen ergeben welche sich durch ein wechselseitig ver- sich hierbei: Wie kamen die Gewaltgemein- schränktes exzessives Gewaltverhalten aus- schaften zustande und wie gestaltete sich zeichneten und sich durch die explizite An- deren Binnenstruktur? Welche genaue Funk- wendung und Androhung von physischer tion, Motivation und Legitimation lag der Gewalt sowohl konstituierten als auch stabili- Gewalt zu Grunde? Vertraten die verschie- sierten. Die bislang gemachten Erkenntnisse denen Gruppen von Anfang an politisch- verdeutlichen den strukturellen Zusammen- soziale Ziele oder wurden diese lediglich hang zwischen dem Gewaltraum und den nachträglich implementiert? Wie gestaltet

49 sich die Wechselwirkung zwischen den ge- Strukturen der Gesellschaft? Wie wurden die walthaft agierenden Gruppen und Außen- gemachten Erfahrungen und Erlebnisse indi- stehenden? Kam es nach dem Ende der viduell verarbeitet? Diese Fragen lassen sich Gewaltgemeinschaften zu einer Reintegrati- exemplarisch am Beispiel des Gewaltraumes on der einzelnen Mitglieder in die normalen Oberschlesien diskutieren.

Mag. Eva Reder (Wien) Praktiken der Gewalt: Das polnische Militär und die Pogrome während des polnisch-sowjetischen Krieges (1919-1920)

Eva Reder, Doktorandin am Institut für Osteuropäische Geschichte/Zeitgeschichte, Universität Wien mit dem Dissertationsprojekt »Pogrome in Polen 1918-20 und 1945/46: Auslöser, Motive, Prak- tiken der Gewalt«, derzeit junior fellow am Wiener Wiesenthal Institut für Holocauststudien. 2013/14 Stipendiatin am Herder-Institut Marburg sowie am Deutschen Historischen Institut Warschau. 2010- 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Österreichischen Mediathek/Technisches Museum Wien, im Rahmen des FWF-Projektes »Journale – The Radio News of ORF, 1990-1999«. 2009 Forschungs- aufenthalt in Warschau und Lemberg/L’viv im Rahmen des MOEL-Stipendiums der Österreichi- schen Forschungsgesellschaft.

Der Vortrag widmet sich Pogromen, die von Gewalt verspricht Erkenntnisse über die Pog- polnischen militärischen Einheiten während romdynamik und das Selbstbild der Täter und des Polnisch-Sowjetischen Krieges 1919-1920 wie sie dieses gegenüber Opfern und Zu- verübt wurden und konzentriert sich auf Aus- schauern kommunizierten. Darüber hinaus ist löserfaktoren, Pogromdynamik und Rechtfer- auf das Verhältnis zur sich konsolidierenden tigungsstrategien der Täter. Hauptmotiv für polnischen Staatsmacht hinzuweisen, in de- die Pogrome war in den meisten Fällen eine ren Namen die Täter handelten. Insofern gibt vermeintliche Gewaltausübung der Juden, die ausgeübte Gewalt Auskunft über Macht- etwa Gerüchte, Juden hätten auf polnische verhältnisse, da die Verteidigung des polni- Soldaten geschossen sowie ihre angebliche schen Staates und dessen Etablierung der Zusammenarbeit mit der Roten Armee. In- Grenzen ein Bezugspunkt der Täter war, die dem die Täter scheinbar lediglich auf die die Juden für vermeintliche Grenzüberschrei- vermeintliche jüdische Aggression reagierten, tungen mit öffentlicher, ritualisierter Gewalt erschienen sie als Verteidiger ihrer eigenen bestraften. Gemeinschaft. Der Blick auf die Praktiken der

Brigitte Braun, M.A. (Trier) Polnische Freiheitskämpfe im deutschen Film – Propagandistische Verständigungsversuche im Ersten Weltkrieg

Brigitte Braun ist Historikerin und Medienwissenschaftlerin. Promotion zum Thema »Politik im Kino? Deutsche und französische Filmpolitik und - im besetzten Rheinland 1918-1925«. Lang- jährige Mitarbeiterin im Fach Medienwissenschaft der Universität Trier, zur Zeit Mitarbeiterin an der WHU Vallendar. Diverse Veröffentlichungen , u.a.: »Brennende Grenzen«. Revisionspropaganda im deutschen Kino der 1920er Jahre. In: Aufbruch und Krise. Das östliche Europa und die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg, hg. von B. Störtkuhl u.a., München 2010, S. 99-112. Demnächst: B. Braun/ A. Dębski / A. Gwózdz (Hg.): Das polnische und deutsche Kino zwischen den Kulturen, Trier 2014.

Eine seit Mitte 1915 von deutschen Regie- durch den Film: Polen als Kulturnation, der rungskreisen propagierte Verständigungspoli- unbedingte polnische Patriotismus und der tik bildete die Grundlage für die massenwirk- selbstlose Einsatz polnischer Helden für ihr Va- same Verbreitung eines neuen Polenbildes terland rückte das Nachbarvolk kurzzeitig in

50 die Nähe der eigenen, deutschen Helden res Kampfes für Freiheit und Unabhängigkeit, und machte sie so als Verbündete attraktiv gegen russischer Unterdrückung und Gräuel und die deutsche Unterstützung eines unab- wurden die Polen auch in weiteren Filmpro- hängigen Königreichs Polen plausibel. Die duktionen für die deutschen Zuschauer als Wochenschau präsentierte exponiert Auf- »schützenswerte Opfer« und Helden gezeich- nahmen von der Wiedereröffnung der Uni- net, die der Unterstützung bedurften. versität Warschau machte so Polen als Kultur- Letztendlich konnte die Filmpropaganda die und Wissenschaftsnation wieder sichtbar. wahren Absichten der Mittelmächte nicht Auch die Nationalfeier der befreiten Polen verschleiern. Mit dem Ende des Ersten Welt- und der »welthistorischen Moment der Pro- kriegs war dieses polenfreundliche Bild im klamation des Kaisermanifestes in Warschau« deutschen Film vorbei und kehrte sich ins 1916 flimmerten über deutsche Leinwände. Gegenteil. Erst am Vorabend des Zweiten Das größte Filmprojekt war jedoch die Weltkriegs wurden die oben geschilderten deutsch-polnisch-österreichische Spielfilm- Muster wiederholt, die polnische Vaterlands- Koproduktion Tyrannenherrschaft. Aus Polens liebe und Opferbereitschaft in der Folge des schwerer Zeit. Erstmals im Film wurde hier die deutsch-polnischen Nichtangriffspakts für die polnische Geschichte zur Zeit Kościuszkos nationalsozialistische Filmpropaganda attrak- thematisiert und mit der gegenwärtigen (des tiv. Weltkriegs) verknüpft. Mit der Schilderung ih-

Dr. Robert Spät (Freiburg/Br.) Deutsche und Polen zwischen Verständigung und Konfrontation. Die Proklamation des Königreichs Polen am 5. November 1916 als Zäsur in der öffentlichen Debatte über die »polnische Frage«

Robert Spät (geb. 1980), Studium der Neueren und Neuesten Geschichte und Europäischen Eth- nologie in Freiburg und Paris. 2007 Magister Artium an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit einer Ma-gisterarbeit über die Politik und das Polenbild des deutschen Generalgouverneurs in Warschau im Ersten Weltkrieg, Hans Hartwig von Beseler. Studien- und Forschungsaufenthalte in Posen, Krakau und War-schau. 2012 Promotion an der Universität Freiburg mit einer Dissertation zur öffentlichen Debatte über die »polnische Frage« im Deutschen Reich, 1894-1918.

Am 5. November 1916 proklamierten die Kai- die Schaffung eines abhängigen polnischen ser des Deutschen Reichs und Österreich- Satellitenstaates. Ungarns auf dem Gebiet des besetzten Kon- In dem Vortrag soll die vordergründig para- gresspolens ein selbständiges, eng mit den doxe Situation untersucht werden, dass die Mittelmächten verbündetes König-reich Po- Proklamation des Königreichs Polen zwar ei- len. Um den Staatsakt zu begründen, bezo- nerseits eine politische Zäsur markiert und als gen sie sich auf die seit Kriegsbeginn geführte Schritt hin zur Verständigung zwischen Deut- öffent-liche Debatte über eine mögliche schen und Polen galt. Andererseits kenn- deutsch-polnische Verständigung und Wie- zeichnet sie aber auch eine bedeutende Zä- dererrichtung des polnischen Staates. Deut- sur in der öffentlichen Debatte über die »pol- sche und polnische Politiker, Intellektuelle und nische Frage«, denn trotz der beginnenden Publizisten hatten sich in ihren deutschspra- Verwirklichung ihrer Ziele traten die Befürwor- chigen Veröffentlichungen für ein konfliktfrei- ter einer deutsch-polnischen Verständigung es Zusammenleben beider Nationalitäten öffentlich kaum mehr für ihre Vorstellungen eingesetzt und damit öffentlichkeitswirksam ein, während vor allem die deutschen Rech- ihre Gegenentwürfe zur repressiven Polenpo- ten und die polnischen Nationaldemokraten litik in den preußischen Ost-provinzen präsen- diese Politik zunehmend attackierten. Im Fo- tiert. Die Proklamation schien der erste Schritt kus steht die Frage, wie die Diskrepanz zwi- zur Verwirklichung einer Verständigungspolitik schen der einsetzenden Verständigungspoli- zu sein, jedoch konnte die große politische tik und dem Verlust der Deutungshoheit in Geste die eigentlichen Ziele kaum verschlei- der öffentlichen Debatte auf Seiten der »Ver- ern: die Gewinnung polnischer Rekruten und ständigungsbefürworter« zu erklären ist.

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Polnisch-Jüdischer Wissenstransfer in der Neuzeit Leitung: Dr. François Guesnet (London) Biogramm s.u. Dr. Katrin Steffen (Lüneburg) Biogramm s.u.

Zu dieser Sektion genüber den Juden oder über eine spezielle Anthropologie der Juden, die in Polen im 19. Die Beiträge dieses Panels betrachten die und 20. Jahrhundert von Juden und Nichtju- polnisch-jüdische Geschichte als eine Facet- den geführt wurden, stehen im Fokus des te eines komplexen europäischen Austau- zweiten Vortrags. Er fragt danach, wie »Kultu- sches von Begriffen und Konzepten. Rah- ren von Differenz« entstanden und mit wel- menthema ist der Wissenstransfer, der als ein chem Wissen sie konstruiert wurden. dynamischer Prozess aufgefasst wird und Ein Beitrag zur Entstehung jüdischer Museen in komplexe Selektions- und Adaptionsmecha- Ostmitteleuropa, die vor allem am Beispiel nismen von Wissen und Praktiken umfasst. Polens thematisiert werden, schließt an brei- Transferiertes Wissen kann dabei mit beste- tere europäische Diskurse im 19. und 20. hendem Wissen in eine Wechselbeziehung Jahrhundert an. Im Mittelpunkt steht die Fra- treten, wodurch sich sowohl neue Erkenntnis- ge, welches Wissen über die Juden in Muse- se ergeben können als auch bestehendes en kanonisiert und welche Narrative jüdischer Wissen stabilisiert werden kann – dies ist unter Identität vermittelt werden sollten. Der letzte anderem abhängig von den kulturellen Be- Vortrag reflektiert, wie jüdische Wissenschaft- dingungen für den jeweiligen Wissenstransfer, ler und Experten, u.a. Aleksander Hafftka und die in die Analyse mit einbezogen werden. Arieh Tartakower, versuchten, ihr Wissen in Um solche Überlegungen zu konkretisieren, staatliche Politik zu transferieren und die Poli- werden unterschiedliche Formen von Wissen- tik gegenüber den Juden auf diese Art und stransfer von der Frühen Neuzeit bis zum Ende Weise zu beeinflussen. der Zwischenkriegszeit vorgestellt. Anhand Somit präsentiert das Panel Formen von Wis- der Plica Polonica, einer vorgestellten Krank- senstransfer zu unterschiedlichen Zeiten und heit infolge von Verfilzung von Köperbehaa- auf unterschiedlichen Gebieten. Eine Antwort rung, werden transeuropäische Stereotypen auf die Frage, wie stark sich diese Transfer- (»Judenzopf«) als auch volksmedizinische prozesse unterscheiden bzw. ähneln, und ob Vorstellungen und Praktiken analysiert. Wis- sich hieraus möglicherweise Spezifika des Zu- senschaftlich geführte Debatten über den sammenlebens von Juden und Nichtjuden in »biologischen Wert der jüdischen Massen«, Polen ableiten lassen, wird ein abschließen- über spezielle eugenische Maßnahmen ge- der Kommentar versuchen.

Dr. François Guesnet (London) Die Plica Polonica zwischen 1600 und 1900 Bilder-, Wissens- und Begriffstransfer um eine erfundene Krankheit

François Guesnet ist Sidney and Elizabeth Corob Reader in Modern Jewish History am Department of Hebrew and Jewish Studies, University College London. Er promovierte an der Albert-Ludwigs- Universität, Freiburg im Breisgau, und hat sich auf osteuropäisch-jüdische Geschichte spezialisiert. In jüngerer Zeit erschien Der Fremde als Nachbar. Polnische Positionen zur jüdischen Präsenz in Po- len. Texte seit 1800 (Suhrkamp-Verlag: Frankfurt am Main 2009). In Zusammenarbeit mit Gwenyth Jones erscheint in Kürze Antisemitism in an Era of Transition: Continuities and Impact in Post- Communist Poland and Hungary (Peter Lang Verlag: Frankfurt/Main, 2014).

Aufgrund einer Korrespondenz zwischen pol- Krankheit handele, die den Namen Plica Po- nischen und italienischen Akademikern setzte lonica erhielt. Dies führte zu einer fast drei- sich um 1600 die Vorstellung durch, dass es hundertjährigen Debatte um Ursachen, Ver- sich bei verfilzter Kopf- und Körperbehaarung breitung, und Ansteckungsmöglichkeiten die- um eine für Polen spezifische, eigenständige ser Erkrankung, an der sich Mediziner, Rei-

52 sende, und Gebildete aller Stände beteilig- heblichen Zeitraum nicht unwesentlich zu ei- ten. Zu den Faktoren, die zu der Komplexität ner europaweiten Stereotypenbildung zum dieser Debatte beitrugen, sind magische und östlichen Europa beigetragen hat, nicht zu- volksmedizinische Vorstellungen um verfilztes letzt durch die Verbreitung spektakulärer Vi- Haar zu zählen, wie auch die Ausprägung sualisierungen monströser Beispiele verfilzten von regionalen und nationalen Stereotypen. Haares. Im germano-slavischen Grenzbereich So lautete die Bezeichnung der im Polnischen trugen die Versuche einer Einhegung dieser bis heute als kołtun bekannten Plica im Deut- vorgeblich ansteckenden Krankheit zwischen schen auch Weichselzopf oder Judenzopf. dem späten 18. und der Mitte des 19. Jahr- Der Vortrag stellt die Bandbreite des Schrift- hunderts zur Durchsetzung von gesundheits- tums über die Plica vor, die über einen er- polizeilichem Handeln bei.

Dr. Katrin Steffen (Lüneburg) Die Konstruktion von Differenz: Anthropologische und medizinische Vorstellungen über die Juden in Polen im 19. und 20. Jahrhundert

Katrin Steffen ist seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nordost-Institut Lüneburg an der Uni- versität Hamburg mit Schwerpunkt Polen; darüber hinaus lehrt sie moderne europäische Ge- schichte an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg. Sie hat an den Universitäten Gießen, Mainz und der FU Berlin studiert, 2002 promoviert und war von 2002-2008 wiss. Mitarbeiterin am DHI Warschau und Forschungsstipendiatin der Max-Weber-Stiftung an der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ihre Forschungsinteressen sind die Geschichte von Juden in Ost- und Ostmittel- europa, europäische Geschichts- und Gedächtniskulturen, die Geschichte der Zwangsmigratio- nen im 20. Jahrhundert, transnationale Wissenschafts- und Migrationsgeschichte und internationa- le Netzwerke.

Im Zentrum des Vortrags stehen wissenschaft- ten wurden damit Vorstellungen von Wertig- liche und »pseudowissenschaftliche« medizi- keit verbunden. Nichtjüdische Wissenschaftler nische und anthropologische Debatten über gingen in einer Art biopolitischem Antisemi- Juden in Polen, die sowohl von Nichtjuden als tismus davon aus, dass eine Assimilation von auch von Juden in Polen vor allem im 20. Juden »aus eugenischer Sicht« unerwünscht Jahrhundert geführt wurden. Der bekannte sei. Jüdische Mediziner hingegen konstatier- Anthropologe Jan Czekanowski konstatierte ten – vor allem in Verteidigung und Reaktion 1927 aufgrund von in Polen durchgeführten auf solche Diskurse – gelegentlich eine höhe- anthropologischen Reihenuntersuchungen, re Wertigkeit des »jüdischen Körpers«, womit Juden seien aufgrund ihrer physischen Konsti- sie ihrerseits zu einer »Kultur der Differenz« bei- tution die schlechtesten Soldaten. Jüdische trugen. Auch sie nutzten den Körper im Sinne Ärzte und Anthropologen diskutierten zur sel- von Foucault als einen Ort, in den sich Diskur- ben Zeit den Einfluss von »rassischen« Fakto- se, kulturelle Praktiken und Macht einschrei- ren auf die geringere Verbreitung von Tuber- ben. Der Vortrag re-konstruiert diese Differenz kulose und anderer Krankheiten innerhalb und geht der Frage nach, welches Wissen der jüdischen Bevölkerung. Sie berieten, ob verhandelt wurde – ob und woher es aus ei- spezielle eugenische Maßnahmen den »bio- nem europäischen Kontext nach Polen trans- logischen Wert der jüdischen Massen« stei- feriert wurde, wie es an die Verhältnisse in Po- gern könnten und vermaßen Schädel, Ge- len angepasst bzw. transformiert wurde oder sichter und Nasen von Juden, um sie mit de- ob es sich um transnationales Wissen handel- nen von Nichtjuden zu vergleichen. Nicht sel- te.

53 Dorothea Warneck, M.A. (Jena) Adam Czerniaków, Majer Bałaban und Maksymilian Goldstein als Kuratoren Zu den Anfängen einer Museologie des Jüdischen in Polen

Dorothea Warneck studierte von 2003 bis 2010 in Mainz, Leipzig und Lublin Westslawistik, Ost- und Südosteuropäischen Geschichte und Politikwissenschaften. M.A. mit einer Arbeit zu Narrativen über das jüdische Lublin der Zwischenkriegszeit in Zeitzeugnissen, Erinnerungsdokumenten und lite- rarischen Bearbeitungen. Seit 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Imre Kertész Kolleg Jena, Koordinatorin des Projektbereiches »Geschichte und Öffentlichkeit« und Mitherausgeberin des on- line-Portals Forum »Geschichtskulturen«. Promotionsprojekt zur Entstehung Jüdischer Museen in Ostmitteleuropa im 19./ 20. Jahrhundert.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts begannen »Ausdruck kultureller Modernisierungs- und sich jüdische Kunstsammler in Europa, so Säkularisierungsprozesse sowie politischer auch in Polen, für Judaica zu interessieren Umwälzungen [gelesen werden], die zu ei- und sie in ersten privaten Sammlungen zu- nem veränderten jüdischen Selbstverständnis sammenzutragen. Waren diese ersten Samm- führten.« (Kugelmann, 2013:274) lungsbestände zunächst nur für eine Präsen- Der Vortrag wird am Beispiel des Lemberger tation im privaten Kontext gedacht, entstan- Kunstsammlers Maksymilian Goldstein, dem den wenig später zuerst im deutschsprachi- langjährigen Kurator des Jüdischen Museums gen Raum, zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Warschauer Gemeinde, Adam Czerni- auch in Ostmitteleuropa erste öffentliche aków, sowie dem Historiker, Förderer und Bei- Ausstellungen und Museen. Während der ratsmitglied verschiedener jüdischer Museen, Lemberger Sammler und Bankangestellte Majer Bałaban, zum einen die Frage verhan- Maksymilian Goldstein seine umfängliche deln, welche Vorstellungen und Konzepte jü- volkskundliche Sammlung bis 1941 v.a. in sei- discher Kultur, Kunst und Geschichte in den ner Privatwohnung der Öffentlichkeit zugäng- verschiedenen Ausstellungsprojekten ver- lich machte und nur einen kleinen Teil dem handelt wurden, welche Narrative jüdischer 1934 gegründeten Jüdischen Museum der Identität vermittelt werden sollten und zum Gemeinde Lemberg übergab, stiftete der anderen versuchen, diese ersten polnisch- Warschauer Bankkaufmann und Philanthrop jüdischen Museumsprojekte innerhalb des Mathias Bersohn seine Sammlung der War- Gesamtphänomens der Entstehung jüdischer schauer Jüdischen Gemeinde mit der Aufla- Museen vor dem Zweiten Weltkrieg in Europa ge, ein nach ihm benanntes Museum zu zu verorten. Dabei soll sowohl auf die Frage gründen. Zwar waren konkrete Auslöser und eingegangen werden, inwieweit es zwischen individuelle Motive für die Gründung jüdi- den einzelnen jüdischen Museen einen Aus- scher Museen, ebenso wie die Ausrichtung tausch und Wissenstransfers, als auch da- ihrer Sammlungen und Ausstellungen indivi- nach gefragt werden, inwiefern sich an an- duell verschieden, das Gesamtphänomen deren Museumsprojekten sowie aktuellen der Entstehung jüdischer Museen um die museologischen Diskursen orientiert wurde. Jahrhundertwende in Europa kann aber als

54 Stephan Stach (Leipzig) Experten in eigener Sache – Jüdische Wissenschaftler in der Politikberatung in Piłsudskis Polen

Stephan Stach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Emmy-Noether-Gruppe »Wege der Rechtsfin- dung in ethnisch-religiös gemischten Gesellschaften. Erfahrungsressourcen in Polen-Litauen und seinen Nachfolgestaaten« an der Universität Leipzig und promoviert über die polnische Minderhei- tenpolitik und Konzepte zur Einbindung jüdischer und ukrainischer Staatsbürger in der Zweiten Re- publik. Daneben forscht er zum polnisch-jüdischen Verhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg und dem ostmitteleuropäischen Dissens der 1980er Jahre.

In der Zweiten Polnischen Republik stellten Auch das regierungsnahe Institut für Nationa- Juden etwa 10 % der Bevölkerung und waren litätenfragen (Instytut Badań Spraw Naro- nach den Ukrainern damit die zweitgrößte dowościowych) in Warschau hatte enge nationale Minderheit des Landes. Angesichts Kontakte zu jüdischen Wissenschaftlern ge- der Tatsache, dass die Verwaltungen und In- knüpft. So brachten etwa der Soziologe Arieh stitutionen des jungen Staates fast ausschließ- Tartakower und der Statistiker und Ökonom lich mit katholischen Polen besetzt waren, Izaak Bornstein ihren Sachverstand in ver- wurde den Bedürfnissen der jüdischen Bevöl- schiedene Expertengremien ein, die sich mit kerung im staatlichen Handeln kaum Rech- Religions-, Schul und Wirtschaftspolitik befass- nung getragen. ten. Außerhalb des politischen Tagesge- Nach dem Putsch Józef Piłsudskis im Mai 1926 schäfts und der Beobachtung durch die Öf- gab es Versuche diesem Problem abzuhel- fentlichkeit gab es hier für jüdische Experten fen, indem verstärkt jüdische Experten als Po- und Vertreter der Regierung und Staatsver- litikberater in die Erarbeitung von Gesetzen waltung die Möglichkeit, sich über minderhei- einbezogen wurden. Zu ihnen gehörte etwa tenpolitische Themen und konkrete Geset- Aleksander Hafftka, der von 1927-1937 in der zesvorhaben auszutauschen. In meinem Vor- Minderheitenabteilung des Innenministeriums trag möchte ich der Frage nachgehen, in- für jüdische Angelegenheiten zuständig war wieweit diese »Experten in eigener Sache« und zugleich über gute Netzwerke zu jüdi- Einfluss auf die Regierungspolitik gegenüber schen Parteien und Persönlichkeiten verfüg- der jüdischen Bevölkerung Polens nehmen te. konnten.

Prof. Dr. Yvonne Kleinmann (Halle) Kommentar

Yvonne Kleinmann ist Professorin für Osteuropäische Geschichte und leitet das Aleksander- Brückner-Zentrum für Polenstudien in Halle. Sie studierte Osteuropäische Geschichte, Slavistik, so- wie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft in Köln, Mainz und Paris. 2003 promovierte sie mit einer Arbeit zur russisch-jüdischen Geschichte im 19. Jahrhundert. Als Leiterin der Emmy-Noether-Gruppe »Wege der Rechtsfindung in ethnisch-religiös gemischten Gesellschaften« untersuchte sie die In- teraktion von Recht und Religion im frühneuzeitlichen Polen-Litauen und seinen Nachfolgestaa- ten. Ihre Schwerpunkte liegen auf Migrationsgeschichte und -theorie, Stadtgeschichte sowie Rechts- und Religionsgeschichte.

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Literaturwissenschaftliche Sektion Leitung: Univ.-Prof. Dr. Alfred Gall (Mainz)

Univ.-Prof. Dr. Alfred Gall, Professor für westslavische Literatur- und Kulturwissenschaft am Institut für Slavistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und wissenschaftlicher Leiter des Mainzer Polo- nicums. Forschungsgebiete: Polnische Literatur v. a. des 19. und 20. Jhs. (Romantik, Literatur nach 1945), Postkolonialismus, Poststrukturalismus. Publikationen (Auswahl): Performativer Humanismus. Die Auseinandersetzung mit Philosophie in der literarischen Praxis von Witold Gombrowicz. Mundus Polonicus, Bd. 1. Dresden 2007; Schreiben und Extremerfahrung – die polnische Gulagliteratur in komparatistischer Perspektive. Polonistik im Kontext, Bd. 1. Münster 2012; Handlungsmacht und Sakralisierung: Eine postkoloniale Relektüre messianistischer Texte von Juliusz Słowacki. In: Zeitschrift für Slavische Philologie 67 (1/2011), S. 99–123.

Dr. Yvonne Pörzgen (Bremen) Im Zweifel entscheidet die Münze: Stanisław Lem und die Willensfreiheit

Dr. Yvonne Pörzgen (*1977) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen. Ihre Dis- sertation Berauschte Zeit. Drogen in der russischen und polnischen Gegenwartsliteratur erschien 2008 bei Böhlau. 2012 erhielt sie ein Forschungsstipendium des Deutschen Polen Instituts Darm- stadt, 2011 lehrte sie als DAAD-Dozentin an der Pädagogischen Universität Čita (Russ. Föderation). Zuletzt war sie im Frühjahr 2014 als Scholar in Residence des Goethe-Instituts an der University of Bristol tätig.

Der philosophische Diskurs um die menschli- fiktionalen und philosophisch-theoretischen che Willensfreiheit schien abgeschlossen, als Texte Stanisław Lems vor allem bezüglich der Neurowissenschaftler ihn Ende des 20. Jahr- Rolle, die er dem Zufall zumisst, in das Denk- hunderts wiederaufgriffen und nach und system zu Willensfreiheit einordnen. nach die Grundpositionen von Determinis- Im Vortrag werden ausgewählte fiktionale mus, Indeterminismus und Kompatibilismus Texte analysiert und Lems literarisches Werk ausbauten. Die Neukonzeptionen umfassen als »Schöpfungsakt zweiten Grades« präsen- die Bereiche der Ratio, des Bewusstseins und tiert. des Zufalls. Mit ihrer Kenntnis lassen sich die

Dr. Katarzyna Różańska (Hamburg) Gedächtnis der Orte – polnische Auseinandersetzungen mit der jüdischen Geschichte in der neueren Prosa (Stacja Mokotów von Beata Chomątkowska, Fabryka muchołapek von Andrzej Barth und Festung Warschau von Elżbieta Janicka)

Dr. Katarzyna Różańska ist Polonistin, Germanistin und staatlich geprüfte Übersetzerin. Sie arbeitet am Institut für Slavistik der Universität Hamburg. Frau Dr. Różańska hat an der Adam-Mickiewicz- Universität in Poznań zum Thema »Obraz Napoleona w literaturze polskiej i niemieckiej II połowy XIX wieku« promoviert. Ihre Hauptarbeitsgebiete und Forschungsprojekte umfassen sowohl die Ge- schichte der polnischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts als auch die deutsch-polnischen Beziehungen in der Literatur. Frau Dr. Różańska setzt sich mit den Erkenntnissen der kulturwissen- schaftlichen Forschung auseinander und beschäftigt sich mit den Erinnerungskulturen in Polen und Deutschland, darunter auch mit der Erinnerung an den Holocaust in der gegenwärtigen polni- schen Literatur.

Die polnische Literatur der letzten Jahre zeigt setzt sich erneut mit der eigenen Geschichte reges Interesse an der Vergangenheit und auseinander. In den Fokus rücken hier Ereig-

56 nisse des letzten Jahrhunderts – vor allem des eine besondere Rolle spielt. Durch sie gelingt Zweiten Weltkrieges und der Zeit des Stalinis- es den Autoren, die schwierige Geschichte mus. Nachdem Jan Tomasz Gross mit der polnisch-jüdischen Nachbarschaft zu er- Sąsiedzi: historia zagłady żydowskiego mi- zählen und eine Brücke zwischen der Ver- asteczka (2000) die öffentliche Debatte über gangenheit und der Gegenwart über einen das Verhältnis der Polen zu ihren jüdischen Fluss des Vergessens zu schlagen. Im Fokus Mitbürgern entfacht hat, spielt die Neuauf- stehen u.a.: Andrzej Barts Fabryka much- wertung dieser Nachbarschaft eine große ołapek (2008), Elżbieta Janickas Festung Rolle. Inzwischen ›erinnert sich‹ schon die drit- Warschau (2011), Beata Chomątkowskas te Generation, die zu den vergangenen Er- Stacja Muranów (2012) und Igor Ostacho- eignissen kaum einen direkten Zugang hat, wicz’ Noc żywych Żydów (2012). Schwieriger sondern auf die Quellenarbeit, Überlieferun- konnte die Auswahl der Werke nicht sein: sie gen, Zeugenberichte und Erinnerungen an- unterscheiden in der literarischen Form und derer angewiesen ist. den erzählerischen Strategien. Das was sie Im Beitrag soll ein Versuch unternommen verbindet ist der Versuch auf eine Leerstelle, werden, neuere polnische Literatur auf ihre eine Abwesenheit hinzuweisen und zu erin- Darstellungen der jüdischen Nachbarschaft nern. Im Beitrag soll untersucht werden, wie zu analysieren und zu interpretieren. Unter- diese Leere erzählt und gedeutet wird. sucht werden Werke, in denen Topographie

Uwe Heinzmann, M.A. (Mainz) Gustaw Herling-Grudziński im literarischen Dialog mit Italien

Uwe Heinzmann lehrt an der Hochschule Rhein-Main.. Nach Diplomabschlüssen in Physik und Ma- thematik studierte er Polonistik, Soziologie und Musikwissenschaft an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz. Im Rahmen seiner Magisterarbeit befasste er sich mit den Themen Transkulturali- tät und Selbstverortung im Tagebuch von Gustaw Herling-Grudziński. Dieses Thema vertieft er in seiner laufenden Doktorarbeit.

Gustaw Herling-Grudziński wird am 20. Mai ling-Grudziński einen tiefgründigen Wandel. Er 1919 in Kielce geboren und verbringt eine macht sich auf den Weg zu seinem persönli- glückliche Kindheit in Suchedniow-Berezow. chen Genre, zu seinem persönlichen literari- Während seiner Gymnasialzeit in Kielce er- schen Stil. Ein Meilenstein dieser Entwicklung kundet Herling das Heiliggeistgebirge, auf ist die 1960 erschienene Doppelerzählung Die welches er in seinen Erzählungen immer wie- Flügel des Altars (Skrzydla Oltarza), welche der Bezug nimmt. Nach Ausbruch des Zwei- die Erzählungen Der Turm (Wieża) und Die In- ten Weltkrieges engagiert er sich in einer Un- sel (Pietà dell'Isola) umfasst. Sie stellt eine Art tergrundorganisation und wird auf der Flucht Keimzelle für weitere Geschichten dar: Viele vom NKWD verhaftet. Er durchlebt das russi- Motive aus Die Flügel des Altars tauchen in sche Lagersystem bis er im Rahmen des seinem umfangreichen Werk Jahre später Sikorski-Majski-Abkommens entlassen wird wieder auf. Im Zentrum dieser Dyptyk steht und sich der Armee General Anders' an- das Doppelkreuz des Leidens und der Ein- schließt. Nach Kriegsende zieht Herling mit samkeit. Herlings Erzählkunst ist in einem dunk- seiner Frau Krystyna nach London. Hier ent- len Raum zwischen Faktizität und Fiktionalität stehen seine Lagererinnerungen. Durch den verortet. Italienisch-polnische und auch wei- Freitod seiner Frau Krystyna gerät er in eine tere transnationale Bezüge, die Entwicklung Krise, jedoch zerbricht er dank seiner späte- einer eigenen italienischen Kunstästhetik und ren Frau Lydia Croce nicht daran. Gemein- die Folgen der Emigration auf den Autoren sam ziehen beide nach Neapel. Die neuen selbst stiften eine subtile Kohärenz im Werk Lebensumstände und die Auseinanderset- dieses vielschichtigen im Jahre 2000 verstor- zung mit den literarischen und kulturellen benen Autors. Gegebenheiten bewirken bei Gustaw Her-

57 Dr. Karlheinz Schuster (Mainz) Das Einverständnis der Orientierungslosen

Dr. Karlheinz Schuster (1959) studierte Philosophie, Germanistik und Geschichte, Mathematik und Physik in Mainz, Innsbruck und Frankfurt am Main. Er promovierte 1991 in Frankfurt am Main: Zu Paul Natorps systematischem Entwurf einer praktischen Philosophie. Zwischen 2006 und 2012 Über- setzung sämtlicher Stücke Stanisław Ignacy Witkiewiczs (»Witkacy«) ins Deutsche; vierbändige zweisprachige Ausgabe (gemeinsam mit Ewa Makarczyk-Schuster). 2008: Übersetzung von sieben polnischen Theaterstücken der jüngsten Zeit (gemeinsam mit Ewa Makarczyk-Schuster). 2012: Ver- öffentlichung der Monografie Theaterstücke ohne Sinn – Eine kurze Einführung in Witkacys Büh- nenwelt. 2010: Übersetzerpreis der polnischen Autorenvereinigung ZAiKS (gemeinsam mit Ewa Ma- karczyk-Schuster). Seit 2011: Lehrauftrag für polnische Literatur an der Universität Mainz. Derzeit be- schäftigt mit der deutschen Übersetzung einer Auswahl von theoretischen Schriften Witkacys.

Die jungen polnischen Dramatiker der jüngs- den zu gestalten, in kaum noch erträglichen ten Zeit haben sich auf dem internationalen Betrachtungen über Alltagsbanalitäten. Markt gut positioniert. Mit geringsten Anpas- In dem Stück Powierzchnia von Szymon sungen ließen sich die Stücke verlustfrei an Wróblewski (2004) ist die Unverständlichkeit – fast jeden Ort zumindest Europas übertragen. die Verständnislosigkeit der Figuren unterei- Diese Übertragbarkeit ergibt sich nicht aus nander wie auch die Verständnisvermeidung inhaltlicher oder gestalterischer Beliebigkeit für den Leser – auf mehreren Ebenen kunst- oder gar Schlichtheit, sondern eher daraus, voll auf die Spitze getrieben ist. Schon die dass gerade die Unverständlichkeit und die Frage, ob es sich überhaupt um ein Stück Sinnleere zum Stückkern wird. Scheinbar pa- handelt, wer die Figuren sind, in welchem radoxerweise ist es gerade der Mangel an Verhältnis sie zueinander stehen, an welchen Gewissheit, ist es die Verständnis- und Orien- Stellen sich Szenenwechsel vollziehen, mitun- tierungslosigkeit, die dem nachbarschaftli- ter gar: wo ein Satz aufhört und der nächste chen Einvernehmen dienlich ist. beginnt, wird zu einer Gleichung, bei der es Da reden z.B. zwei anscheinend debile Alte stets eine Unbekannte zu viel gibt. Passt ein (Michał Bajer: Verklärte nacht, 2003) endlos Puzzlestück an einer Stelle, wird sogleich ein aneinander vorbei, immer dieselben uralten anderer Bereich, der sich gerade noch so Geschichtchen wiederholend; in Pierwszy raz treffend fügte, wieder löchrig. (Michał Walczak, 2004) üben zwei junge Leu- Nie wird es dem Leser gelingen, eine Welt, te ihr »Erstes Mal« – zu spontanen menschli- die nur noch in Fetzen vorliegt, zu einem ge- chen Beziehungen anscheinend nicht mehr schlossenen Sinnganzen zu runden. Anschei- imstande, lieben sie »vom Blatt«; in Dziecko nend ist es gerade diese Unverständlichkeit in (Maria Spiss, 2003) ergehen sich zwei junge einer als sinnlos erscheinenden Welt, die das Menschen, die nichts anderes kennen als das gute Verständnis der Orientierungslosen Streben nach beruflichem Erfolg, dabei au- grenz- und sprachübergreifend erleichtert. ßerstande, auch nur ihre freien Wochenen-

Prof. Dr. Matthias Freise (Göttingen) An Heraklits Fluss – Czesław Miłosz und die Geschichtlichkeit

Matthias Freise, Professor für Slavische Literaturen an der Universität Göttingen. Studium der Slavi- schen Philologie und Philosophie und Promotion über die Ästhetik Bachtins an der Universität Hamburg, Wiss. Assistent an der Universität Oldenburg, dort Habilitation zur Prosa Čechovs, Projekt- leiter am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig, Professur in Salzburg und seit 2003 in Göttingen. Gastdozentur in Toruń und Gastprofessur in Sankt Petersburg. Seit 2008 in der Jury zum Samuel Bogumil Linde Literaturpreis. 2012 erschien seine Ein- führung Bachelor-Wissen Slawistische Literaturwissenschaft.

Kein Essay- oder Gedichtband von Czesław über die geschichtliche Dimension unseres Miłosz bringt so sehr das Staunen und Fragen Lebens zum Ausdruck wie der 1984-1985 ent-

58 standene Gedichtband Kroniki und innerhalb oder erfahrene Detail, über das Schicksal des dieses Bandes besonders der Zyklus Dla Her- konkreten einzelnen Menschen erfahrbar. aklita (Für Heraklit). Diese geschichtliche Di- Diesen Menschen und seine Situation kann es mension ist jedoch in keinem Fall die »große nur im Singular geben, doch die große Ge- Geschichte«, die Geschichte der Verallge- schichte lockt uns mit der Mehrzahl. In dem meinerungen, Tendenzen und Ideen, der Ge- Vortrag wird diese konkret erlebte und erfah- setze, der Notwendigkeit und der Theorie. Ei- rene Geschichte über die Detailanalyse eini- ne solche Geschichte ist, so mahnt der Dich- ger Gedichte aus dem Zyklus nachvollzogen. ter, der Feind des Menschen. Und seine Bei- Als Fazit könnte man sagen, dass das Erleben spiele in dem Gedichtzyklus zeigen, warum: von Geschichte angetrieben wird von einer Geschichte lebt in der menschlichen Bezie- Dislokation, die eine nie endende Suche hung zum Vergangenen, und eine solche Be- nach der Idylle nach sich zieht. ziehung ist ausschließlich über das erlebte

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Politische Mobilisierung und gesellschaftliche Rahmung Leitung: Prof. Dr. Jörn Ahrens (Gießen)

Jörn Ahrens, Professor für Allgemeine Kultursoziologie mit Schwerpunkt Transformation von Kultu- ren, Universität Gießen. Jüngste Publikationen: Wie aus Wildnis Gesellschaft wird. Kulturelle Selbst- verständigung und populäre Kultur am Beispiel von John Fords Film The Man Who Shot Liberty Va- lance, Wiesbaden 2012: VS Verlag; Anthropologie als Störfall. Gesellschaftliche Bearbeitungen von Gewalt, in: Zeitschrift für Kulturwissenschaft, Heft 01/2011, Lars Koch/Christer Petersen/Joseph Vogl (Hg.), Thema: »Störfälle«, Bielefeld 2011: transcript

Ina Alber, M.A. (Marburg) Erinnerungs- und Erzählmuster oppositioneller Kategorien in der polnischen Zivilgesellschaft

Ina Alber studierte Politikwissenschaft, Soziologie, Medien- und Kommunikationswissenschaft in Göttingen und Toruń. Sie promoviert im Fach Soziologie über »Zivilgesellschaftliches Engagement unter Transformationsbedingungen in Polen« an der Universität Göttingen. Sie forscht und lehrt in Deutschland und Polen zu den Themen Demokratie, Zivilgesellschaft und postsozialistische Trans- formation sowie zur qualitativen Sozialforschung, insbesondere Biographie- und Diskursforschung. Seit 2012 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Herder-Institut für historische Ostmitteleuropafor- schung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft in Marburg und Geschäftsführerin der Leibniz Graduate School »Geschichte, Wissen, Medien in Ostmitteleuropa«.

Oppositionelles Denken ist ohne Abgrenzung lektivs zwar in der heutigen Erinnerung und im und Selbstverständigung nicht möglich. Ent- Diskurs dominiert, aber häufig zum damaligen sprechend entwickelte sich nicht nur das Zeitpunkt von anderen (biographischen) Er- Selbstverständnis der politischen Opposition eignissen überlagert war. in Polen historisch im Wechselspiel von Inklu- Ein biographie- und diskursanalytischer Zu- sion und Abgrenzung. Das soziale Ord- gang aus einer wissenssoziologischen Per- nungsmuster »wir gegen sie« lässt sich über spektive, der die Interdependenzen von Erle- gesellschaftliche Transformationen hinweg ben – Erinnern Erzählen in den Fokus rückt, bis hin zur heutigen Zivilgesellschaft und Politik bietet die Möglichkeit, diese sozialen Ord- in Polen rekonstruieren. Doch die diskursiven nungsmuster genauer zu beleuchten. Der Zuschreibungen und symbolischen Elemente Beitrag stützt sich auf das empirische Material verändern sich. biographisch-narrativer Interviews aus mei- Die Narrative heutiger polnischer Zivilgesell- nem Promotionsprojekt zu zivilgesellschaftli- schaftsaktivistInnen verweisen auf eine kollek- chem Engagement in Polen unter Transfor- tive Ordnung, in der »alle« Polinnen und Po- mationsbedingungen. Anhand von Fallbei- len Teil der Opposition waren. Jedoch zeigt spielen soll eine theoretische Verallgemeine- sich in der Rekonstruktion des individuellen Er- rung der Deutungsmuster dargestellt werden. lebens, dass diese Wahrnehmung eines Kol-

60 Dipl. Sozw. Lisa Bonn (Göttingen) Ethnonationale Deutungsmuster in der polnischen Politik aus aktueller und historischer Perspektive

Lisa Bonn, Dipl. Sozw., hat Politikwissenschaften und Soziologie in Göttingen studiert und arbeitet hier seit 2008 als wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte. Sie promoviert mit einer nationentheoretischen Arbeit am Institut für Soziologie in Hannover, Arbeitsti- tel: »Nationale Kategorien in der polnischen Politik und Öffentlichkeit nach 1989«. Die Fallstudie zielt darauf ab, die postsozialistische Konstellation in der polnischen Demokratie im Lichte der neueren Erkenntnisse aus der Nationalismusforschung aufzuarbeiten. Die theoretisch und historisch starke Nationenforschung soll auf diese Weise um aktuelle Entwicklungen ergänzt und begrifflich weiterentwickelt werden.

Alle Nationen neigen dazu, sich selbst als In der polnischen Politik und Öffentlichkeit Gemeinschaft und Geschichte, verbreitete nach 1989 sind ethnonationale Deutungs- Werte und Eigenheiten als nationale Ge- muster weit verbreitet und zwar nicht nur in meinsamkeiten zu interpretieren. In den eu- ethnozentrischer Ausprägung sondern auch ropäischen Gesellschaften – und zwar auch in banaler Form, etwa als national kodierte in den so genannten Staatsbürgernationen – Interessenspolitik. Die dabei für Polen typi- ist es zudem verbreitet, in der Titularnation ei- schen Inhalte lassen sich aus historischer Per- ne historisch weit zurückreichende Herkunfts- spektive als Ausfluss einer wechselvollen Ge- gemeinschaft zu sehen und sie auf diese schichte verstehen, in der vom kommunisti- Weise zu ethnisieren. Andersherum existieren schen Regime und der Solidarność in der in Gesellschaften, in denen ethnisch- jüngeren Vergangenheit zwei machtvolle In- kulturellen Attributen ein wichtiger Stellenwert terpretationen der polnischen Realität in na- für die nationale Zugehörigkeit zukommt, tionalen Kategorien vorgelegt worden sind. auch politische Gemeinschaftsvorstellungen. Aus aktueller Perspektive stellen sich die häu- In beiden Fällen handelt es sich um staatlich fig gebrauchten ethnonationalen Topoi hin- verfasste Nationen, in denen sich ethnische gegen nicht so sehr als Überbleibsel einer mit politischen Aspekten vermischen. Als eth- vergangenen Epoche dar, sondern als mo- nonational lassen sich vor diesem Hinter- dernisierte Versionen tradierter Glaubenssät- grund solche Argumentationen beschreiben, ze, die es in einer postsozialistischen Gesell- die nicht so sehr an die nationalistische Ideo- schaft erlauben, Wut und Enttäuschung zu logie im Sinne des frühen Liberalismus im 19. kanalisieren, ein positives Selbstwertgefühl zu Jht. anknüpfen, sondern an alltägliche Glau- suggerieren, den politischen Gegener zu de- bensvorstellungen, wie Geschichtsmythen, legitimieren oder den eigenen Machtan- populäre Annahmen über kollektive Stärken spruch zu begründen. und Schwächen oder ressentimentgeladene, stereotype Wahrnehmungsmuster.

Dr. des. Hella Dietz (Göttingen) Die »neuen Aufbegehrenden« vor und nach 1989. Zur Entstehung des KOR und zur Bedeutung eines neuen Milieus der Aufbegehrenden für die polnische Politik

Dr. des. Hella Dietz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Georg-August-Univer-sität Göttingen, Schwer- punkte: Sozialtheorie, historische Soziologie, Pro-test¬forschung. 2007 Dissertation Von der Opposi- tion der Werte zu den Werten der Oppo-sition. Eine pragmatistische Rekonstruktion der zivilgesell- schaftlichen Opposition in Polen am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. 2008 Dritter Preis des Botschafters der Republik Polen in der Kategorie Dissertation. 2008 Postdocaufenthalt an der Uni- versity of Chicago. Habilitationsprojekt »The Making and Transformation of Truth in Truth Commis- sions«. Ausgewählte Publikationen: »Nowi niepokorni«. Powstanie Komitetu Obro-ny Robotników jako wyzwanie dla teorii socjologicznej, in: Studia socjologiczne 3, S. 97-121 (2013); Deweys Prag- matismus als kritische Soziologie, in: Berliner Journal für Soziologie 23 (3-4), 329-343 (2013).

61 Gegenstand des Vortrages sind die »neuen wickelt worden sind und die spezifischen Ge- Aufbegehrenden« (nowy niepokorni). Im An- gebenheiten des Staatssozialismus nur unge- schluss an eine polenweit bekannte, wenn nügend erfassen können. Diese Erklärung auch gegenwärtig kaum noch gelesene Stu- trägt zugleich zu einer sozialtheoretischen die von Bohdan Cywiński (1971) nenne ich so Fundierung der Kritik am Totalitarismusbegriff jenes Milieu, das in den 1970er Jahren die bei, weil sie zeigt, dass und wie Selbstorgani- Gründung des Komitees zum Schutz der Ar- sation auch innerhalb so genannter »totalitä- beiter (Komitet Obrony Robotników, KOR) rer« Regime funktioniert hat. Im zweiten vorbereitet und mit dessen Aktivitäten sym- Schritt soll gezeigt werden, dass dieses Milieu pathisiert hat. Im ersten Schritt soll die Entste- auch nach der Auflösung des KOR 1981 und hung von Milieu und Protestbewegung jener nach dem Umbruch 1989 eine zentrale Rolle Aufbegehrenden erklärt werden. Hierzu müs- in der polnischen Politik gespielt hat. Die spe- sen Konzepte aus der soziologischen Protest- zifischen Erfahrungen der 1970er Jahre prä- forschung reformuliert werden, da diese gen diese Politik auch noch nach 1989, größtenteils in Reaktion auf Protestbewegun- wenngleich sich die politische Zielrichtung gen in demokratischen Gesellschaften ent- seit Mitte der 1980er Jahre verändert hat.

Prof. Dr. Andreas Langenohl (Gießen) Kommentar

Andreas Langenohl ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Allgemeiner Gesellschaftsvergleich an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Vorstandsmitglied des Gießener International Gradua- te Centre for the Study of Culture (GCSC). Forschungsschwerpunkte: Soziologie der Finanzmärkte; Modernisierungstheorie; Epistemologie der Sozial- und Kulturwissenschaften; Transformation öffent- licher Praktiken. Ausgew. Publ.: (mit D.J. Wetzel, Hg.), Finanzmarktpublika: Moralität, Krisen und Teilhabe in der ökonomischen Moderne, Wiesbaden 2014; Finanzmarkt und Temporalität. Imagi- näre Zeit und die kulturelle Repräsentation der Gesellschaft, Stuttgart 2007; Tradition und Gesell- schaftskritik: Eine Rekonstruktion der Modernisierungstheorie, Ffm./New York 2007.

62 x» Zwischenzeiten « II & IIIx

A

Vorstellung polenbezogener Studiengänge

Interkulturelle Studien: Polen und Deutsche in Europa (Universität Kiel) Vorgestellt von Prof. Dr. Michael Düring (Kiel) Biogramm S. 92

Deutsch-Polnischer Studiengang (Universität Regensburg) Vorgestellt von Izabela Błaszczyk, M.A. (Regensburg) Biogramm S. 79

Interdisziplinäre Polenstudien (Universität Halle/Universität Jena) Vorgestellt von Dr. Claudia Schneider (Halle), Magda Wlostowska (Jena)

Claudia Schneider ist seit 2012 Projektkoordinatorin am Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstu- dien in Halle. Sie studierte von 1999 bis 2005 Politikwissenschaften, Ost- und Südosteuropäische Geschichte und Historische Hilfswissenschaften in Leipzig, Halle (Saale) und Wrocław. 2013 pro- movierte sie an der Universität Halle mit einer Arbeit zu Migrationen aus Polen in die DDR und er- hielt für diese Arbeit den Wissenschaftlichen Förderpreis des Botschafters der Republik Polen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Geschichte der DDR und der Volksrepublik Polen.

Magda Wlostowska ist seit Oktober 2013 wiss. Mitarbeiterin des Aleksander-Brückner-Zentrums für Polenstudien an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie studierte 2004–2012 Politikwissenschaft, Ost- und Südosteuropawissenschaften sowie Polonistik an der Universität Leipzig und absolvierte Praktika bei der EU-Informationsstelle Europe Direct in Słupsk und bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau. Anschließend war sie als wissenschaftliche Hilfskraft am GWZO an der Universität Leipzig tätig. Seit 2010 ist sie staatlich geprüfte Übersetzerin für Polnisch. Im Rahmen des europäi- schen Literatur- und Übersetzungsprojektes TransStar überträgt sie den Roman Dzidzia von Sylwia Chutnik ins Deutsche.

Deutsch-polnische transkulturelle Studien (Universität Tübingen) Vorgestellt von Christian Nastal, M.A. (Tübingen)

Christian Nastal, M.A., 1979 in Gdynia geboren, studierte Rhetorik, Anglistik und Komparatistik in Tübingen, wo er seit 2010 als Projektkoordinator am Slavischen Seminar arbeitet (2010-2012 für das Filmprojekt Der polnische Film – eine europäische Filmkultur, seit 2013 für den Doppelmasterstudi- engang Deutsch-polnische transkulturelle Studien). Übersetzer wissenschaftlicher Texte aus dem Polnischen und Teilnehmer am EU-Projekt für literarisches Übersetzen und Literatur- und Kulturver- mittlung TransStar Europa.

63 B

Round-Table-Talk des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität Kontinuität und Wandel. Beziehungen und Wahrnehmungen zwischen den beiden deutschen Staaten und ostmitteleuropäischen Ländern 1970-1989 Dr. Burkhard Olschowsky (Oldenburg) Dr. Dominik Pick (Warschau) Dr. Andreas Schmidt-Schweizer (Budapest) PD Dr. Volker Zimmermann (München)

Dr. Burkhard Olschowsky: Historiker und Politologe, 2002 Promotion, 2003-2005 Lehrbeauftragter für Zeitgeschichte und Politik an der Humboldt-Universität, seit Mai 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, seit 2010 im Euro- päischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität tätig.

Dr. Dominik Pick: Historiker, Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2011 Promotion zum Thema »Kul- turtransfer und gesellschaftliche Transformationen im 20. Jahrhundert«, seit 2011 im Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität tätig.

Dr. Andreas Schmidt-Schweizer: Historiker, Tätigkeit für das Ungarische Institut und das Südost- Institut in München, seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaft an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest.

PD Dr. Volker Zimmermann: Historiker, 1998 Promotion, 2005 Habilitation, 2000-2006 Wissenschaftli- cher Mitarbeiter/Assistent am Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa der Universität Düsseldorf, 2006-2010 Gastprofessor des DAAD an der Universität Prag, seit März 2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Collegium Carolinum.

Die zwei Jahrzehnte vor dem Fall der kom- innerung, andererseits prägten die so konstru- munistischen Regime in Mittel- und Osteuro- ierten Bilder weitere Phasen der Wahrneh- pa 1989 waren nicht nur von großen politi- mung. Diese Entwicklung beeinflussten äuße- schen Konjunkturen, sondern auch von einer re und innere Faktoren: Neben der Entspan- Vielfalt der Vorstellungen gekennzeichnet, nungspolitik der 1970er Jahre auch grenz- die in den Gesellschaften dieser Länder hin- überschreitende (globale) Tendenzen der sichtlich politischer, sozialer, kultureller, religiö- Zeit wie eine kulturelle Liberalisierung und der ser und anderer Ordnungen bestanden. Generations- und Wertewandel. Wachsende grenzüberschreitende Kontakte Auf dem Panel sollen u.a. folgende Fragen und Erfahrungen führten ab den 1970er Jah- Beachtung finden: ren zu einer allmählichen Horizonterweiterung - Welchen Einfluss hatten die zwischenstaatli- und einer Ausdifferenzierung von Denk- und chen Beziehungen auf die gesellschaftlichen Verhaltensweisen sowie zu einer entspre- Kontakte? chend komplexeren Wahrnehmung anderer - Welche Wechselwirkungen gab es zwischen Länder und Gesellschaften. den Erfahrungen mit Bürgern anderer Länder Mit dem Panel sollen die Veränderungen in und den staatlichen Vorgaben bzgl. der er- den staatlichen Beziehungen mehr noch wünschten »Bilder vom Anderen«? aber bei den gesellschaftlichen Kontakten - Welche Bedeutung hatten positive, negati- nachgezeichnet werden. Ein wichtiger Fokus ve und neutrale Stereotypen – auch noch wird auf den Kontakten und Perzeptionen aus der Zeit vor 1945 – für die Wahrnehmung zwischen den beiden deutschen Staaten und des Anderen? Polen liegen. Komplementär und verglei- - Welche Bedeutung hatte die Wahrneh- chend sollen auch die Beziehungsebenen mung eines gemeinsamen europäischen zwischen anderen ostmitteleuropäischen ›Schicksals‹ im Kalten Krieg für die individuel- Ländern in den Blick genommen werden. len und kollektiven Identitäten? Die Perzeption anderer Länder und Personen - Welche Rolle spielten Modernisierungsphä- war einerseits die Folge von Erfahrung und Er- nomene (Wertewandel, Migration in die

64 Städte, Bildung) für die Lebenswelt von Per- che Kontakte und Begegnungen untersucht sonen und Gesellschaften? werden, bei denen langlebige Bilder und kul- - Wie wurden innerhalb eines Landes die ei- turelle Muster interferierten. In der Terminolo- genen Lebensumstände mit denen anderer gie der historischen Gedächtnis¬forschung Personen(gruppen) verglichen? gefasst, geht es um das Verhältnis von indivi- Ein besonderes Augenmerk des Panels gilt duellem, kollektivem und kulturellem Ge- dem Kulturtransfer über System- und Landes- dächtnis vor allem in den realsozialistischen grenzen hinweg. Insbesondere mit Hilfe der Gesellschaften. Perspektive »von unten« sollen gesellschaftli-

C

Kurzsektion Soziologie des Nachbarn: Gießen/Lodz Moderation: Prof. Dr. Andreas Langenohl (Gießen) Biogramm siehe S. 62

Jagoda Motowidło, M.A. (Gießen) Medialer Alltag polnischer Transmigrant_innen. Eine empirische Fallstudie aus Frankfurt am Main

Jagoda Motowidlo ist seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie mit dem Schwerpunkt Mediensoziologie an der Universität Gießen. Dort ist sie an der Durchführung des Pro- jektes »Mediale Dimensionen der Herstellung und Repräsentation transnationaler Familien- und Versorgungsarrangements« beteiligt, dass sich unter anderem auch mit polnischen Arbeitsmig- rant_innen in Frankfurt am Main beschäftigt. In ihrer Dissertation untersucht sie die Sozialität trans- nationaler Familien in medial vermittelten Kontexten zwischen Polen und Deutschland und befasst sich darin sowohl ihren thematischen Schwerpunkten Medien, transnationale Migration und Gen- der als auch ihrer methodischen Fokussierung der qualitativen Sozialforschung, insbesondere Eth- nomethodologie, Ethnografie und Konversationsanalyse.

Aufgrund globaler, meistens arbeitsbedingter und Deutschland bezieht. Die wesentlichen Migration führen immer mehr Familien ein sozio-politischen Rahmenbedingungen für gemeinsames Leben auf räumlicher Distanz. diese Pendelmigration sind die geographi- Besonders betroffen von diesen Bedingungen sche Nähe der Länder zueinander, eine lan- sind transnationale Familien, die entstehen, ge gemeinsame Historie, finanzierbare Reise- wenn mindestens ein Familienmitglied mig- kosten sowie die Möglichkeit einer legalen riert. Grenzüberquerung. Gleichzeitig stellen sie Bei der Herausforderung eines Familienlebens auch die Prämissen für ein Familienleben dar, auf Distanz im transnationalen Kontext erwei- das stark von regelmäßigen Ab- und Anwe- sen sich neue Medien als fruchtbare Unter- senheitsphasen der Migrant_innen geprägt stützung. Diese Funktion erlangen Medien je- ist. doch nicht erst seit Beginn des digitalen Zeit- Doch wie sieht die familiäre Praxis polnischer alters. Wo früher Briefe, Postkarten oder Au- Familien in der Pendelmigration unter der dio-Kassetten versandt wurden, werden Bedingung einer Omnipräsenz neuer Informa- heutzutage neue globale Informations- und tions- und Kommunikationstechnologien aus? Kommunikationstechnologien genutzt, wie E- Wie gestaltet sich soziale Reproduktionsar- Mail, SMS oder Videotelefonie per Skype. In- beit, wie die Herstellung von Sorge-, Liebe- dem Lebensgemeinschaften mithilfe von und Intimitätsbeziehungen, aber auch Haus- Medien geografische Distanz überwinden, haltsführung und Pflege sowie Erziehung und werden neue mediale Formen der Sozialität Sozialisation der Kinder in transnationalen und im Alltag konstruiert (vgl. Greschke 2009). mediengestützen Haushalten, die eigentlich Im Vortrag wird eine Fallstudie präsentiert, die eine leibliche Präsenz der Eltern fordern? sich auf Pendelmigrant_innen zwischen Polen

65 In der Präsentation wird zunächst die ethno- ßend werden Videodaten präsentiert, die grafisch angelegte Fallstudie über polnische medial vermittelte Alltagspraktiken dieser transnationale Familien vorgestellt. Anschlie- Familien darstellen.

Prof. Dr. Marek Czyżewski (Lodz) Öffentliche Debatten über den Rechtsextremismus und die Frage nach der Vermittlungsarbeit

Marek Czyżewski, Leiter der Abteilung für die Forschung über Soziale Kommunikation am Institut für Soziologie, Universität Łódź, Polen. Dissertation Soziologe und Alltag wurde 1984 mit dem Stanislaw Ossowski Preis der Polnischen Soziologischen Gesellschaft ausgezeichnet. Habilitation 2006 an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg mit dem Studium Öffentliche Kommunikation und Rechtsextremismus. Wissenschaftliche Interessen: Diskursanalyse, qualitative Sozialforschung, Sozi- altheorie, öffentliche Meinung und Demokratie, Wissensgesellschaft und Gouvernementalität. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. Mitverfasser der Bücher Probleme der Anderen (1990, 2. Aus- gabe 2010) und Rituelles Chaos (1997, 2. Ausgabe 2010).

Die Leitfrage meiner Untersuchung lautete: unvermittelten und unergiebigen Widerstreit Wie wird das Thema »Rechtsextremismus«, zwischen der »externen« und der »internen« insbesondere das Thema »rechtsextremisti- Stimme. sche Gewalt gegen Fremde«, in der Öffent- Unterscheidet man zwischen der hegemonia- lichkeit »erklärbar« gemacht? Von der Mate- len, der symmetrischen und der asymmetri- rialienanalyse ging das folgende Modell der schen Vermittlungsarbeit in öffentlichen De- öffentlichen Auseinandersetzungen mit dem batten, so erweist sich die asymmetrische Rechtsextremismus hervor. Zum einen wird Vermittlungsarbeit in erster Linie in den tief- der Rechtsextremismus als Resultat von Fakto- greifend problematischen und grundsätzlich ren angesehen, die ursprünglich mit dem asymmetrischen Situationen der Gewalt, des Rassismus (der Fremdenfeindlichkeit) nichts zu Leidens und der Demütigung – sowie im tun haben. Solche »täterorientierten« Erklä- Rahmens des Debattierens über solche Situa- rungsansätze bezeichne ich als »externe« tionen – als hilfreich. Folglich plädiere ich für Stimme. Zum anderen wird der Rassismus (die eine dezidierte Opferzentrierung der Rechts- Fremdenfeindlichkeit) geradezu als Grund- extremismus- und generell der Gewaltbegriff- bedingung der Entwicklung rechtsextremisti- lichkeit, m.a.W. dafür, dass als Schlüsselkate- cher Gewalt angesehen. Solche »opfer- gorien im Bereich der Rechtextremismus- und zentrierten« Erklärungsansätze bezeichne ich Gewaltdebatten nicht mehr das handelnde als »interne« Stimme. Die meisten deutschen (d.h. Gewalt ausübende) Subjekt, sondern massenmedialen und wissenschaftlichen der »Betroffene« und seine »Verlaufskurve des Auseinandersetzungen bestanden in einem Erleidens« (Schütze) einträten.

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Buchvorstellung WBG Deutsch-Polnische Geschichte, Band 2 Hans Jürgen Bömelburg, Edmund Kizik: Altes Reich und alte Republik. Deutsch- polnische Beziehungen und Verflechtungen 1500-1806 Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg (Gießen) – Biogramm siehe S. 74 Prof. Dr. Dieter Bingen (Darmstadt) Dr. Peter Oliver Loew (Darmstadt) – Biogramm siehe S. 11

Dieter Bingen, Prof. Dr. phil., 1973-1978 Studium der Politischen Wissenschaft, Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte u.a. an der Universität Bonn; 1979 Promotion. 1981-1999 Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln, seit 1999 Direktor des Deutschen Polen- Instituts Darmstadt, Honorarprofessor für das Gebiet »Kultureller Wandel und gesellschaftliche Transformationsprozesse in Europa« Hochschule Zittau/Görlitz; Gastprofessor Politikwissenschaft an der TU Darmstadt. Forschungsschwerpunkte: Zeitgeschichte, Politik und politisches System Polens, Religion und Kirche in Polen nach 1945, polnische Außen- und Sicherheitspolitik, politische Systeme Ostmittel- und Südosteuropa, deutsch-polnische Beziehungen, dazu über 250 Veröffentlichungen.

Als erster Band der WBG Deutsch-Polnischen »Die Geschichte von Deutschen und Polen ist Geschichte erscheint im März 2014 als erster eng miteinander verwoben, ja man kann so- der von Hans-Jürgen Bömelburg und Ed- gar von einer historischen Symbiose beider mund Kizik verfasste Band zur Frühen Neuzeit. Völker und Nationen sprechen. Er zeichnet die gemeinsame Entwicklung von Auf die vielen Jahrhunderte einer Nachbar- 1500 bis 1806 nach: von der polnischen ›Alten schaft, die von engster Verflechtung und um- Republik‹ und dem deutschen ›Alten Reich‹ fangreichen Wanderungsbewegungen ge- über die Zeit der sächsisch-polnischen Union, prägt war, hat sich das 20. Jh. mit einem gro- der Teilungen Polens bis hin zum Ende der äl- ßen Schatten gelegt: Die tragischen Ge- teren deutschen und polnischen Staatlichkei- schehnisse vor allem des Zweiten Weltkriegs ten in den Napoleonischen Kriegen. Nach versperrten lange den Blick auf eine faszinie- einer chronologischen Darstellung der histori- rende Beziehungsgeschichte, die erst von der schen Entwicklung gehen in einem zweiten modernen Forschung wiederentdeckt wird. Teil thematische Kapitel vertieft auf einzelne Die ›WBG Deutsch-Polnische Geschichte‹, Aspekte ein. verfasst jeweils von einem deutsch- Die jeweiligen wirtschaftlichen und sprachli- polnischen Autorenteam unter Federführung chen Verflechtungen, die konfessionelle Ent- des Deutschen Polen-Instituts, wird das Ver- wicklung, sächsisch-polnische und preußisch- ständnis füreinander weiter fördern: Europa polnische Beziehungen sowie ältere nationa- braucht solche Geschichten.« le Prägungen stehen im Zentrum der Betrach- (Prof. Dr. Rita Süssmuth) tungen.

Beachten Sie das Einführungsangebot: Kostenloser Band bei neuer WBG-Mitgliedschaft. Weitere Informationen in Ihren Tagungsmaterialien oder am Stand der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft

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E

Projektvorstellung Interkulturelle Kompetenz in der deutsch-polnischen Zusammenarbeit an Hochschulen und in der Wirtschaft Dr. Stefan Schmid (München) Aleksandra Bauer, M.A. (Regensburg)

Dr. Stefan Schmid ist seit 2000 in Fragen der interkulturellen Zusammenarbeit und Organisations- psychologie beratend tätig. Seine Ausbildung als Psychologe absolvierte er an der Metropolitan University in London und der Universität Regensburg. Er promovierte 2010 an der Universität Hildes- heim zum Themenbereich Migrationspsychologie. Nach mehrjähriger Tätigkeit für ein Münchner Beratungsunternehmen forschte und lehrte er an der Universität Regensburg am Lehrstuhl für Sozi- al- und Organisationspsychologie und unterrichtete im Rahmen eines Dozentenaustauschs an der Szkoła Wyższa Psychologii Społecznej in Warschau. Seit 2006 arbeitet er ausschließlich als freier Be- rater für international tätige Firmen, Institutionen und Behörden. Zwischenzeitlich hat er 2010/11 eine Professur für Organisationskommunikation und interkulturelles Management an der Fach- hochschule Koblenz vertreten.

Aleksandra Bauer ist gebürtige Polin, die seit 2002 in Deutschland lebt. Sie ist Magister der Germa- nistik (Uniwersytet Łódzki, Polen) sowie M.A. der Ost-West-Studien (Universität Regensburg). Stu- dienbegleitend hat sie an der Universität Regensburg die Zusatzstudien Interkulturelle Handlungs- kompetenz und Deutsch als Fremdsprachenphilologie absolviert. Zusätzlich vervollständigte sie ihr Profil mit dem Aufbaustudium des Human Ressource Management an der Hochschule Regens- burg. Aleksandra Bauer ist seit 2006 nebenberuflich als interkulturelle Trainerin und seit 2010 auch als Lehrbeauftragte an einigen Hochschulen in Deutschland tätig. Hauptberuflich ist sie seit 2011 Mitarbeiterin am Secondos-Programm der Universität Regensburg.

Kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen ten etc. (z.B. Wiskoski, Schroll-Machl 2003; und Polen werden zu Beginn von bilateralen Boski, 2003; House et al 2004; Fischer, Dünstl Kooperationen von den Akteuren oft als ne- et al 2007) bensächlich für das Gelingen angesehen. Dieser Beitrag zeigt in einer psychologischen Räumliche Nähe, die geteilte Identität als Eu- Analyse in welcher Form kulturelle Unter- ropäer, schlichte Unkenntnis oder die ausge- schiede zwischen Polen und Deutschen im prägte Sprachkompetenz der (meist polni- Kontext von Hochschul- und Wirtschaftsko- schen) Kooperationspartner verleiten zu die- operationen auftreten können. Anhand von ser Annahme. praktischen Beispielen aus der Lehr- und Be- Der Erfolg populärwissenschaftlicher oder bi- ratungstätigkeit der Autoren wird die Hand- ographisch basierter Bücher (z.B. Möller, 2004, lungsbedarf in beiden Handlungsfeldern ver- 2012; Wojciechowski 2002), die sich den deutlicht. deutsch-polnischen Missverständnissen wid- Es werden Maßnahmen zur Prävention und men scheint jedoch zu belegen, dass der Er- Verbesserung der deutsch-polnischen Zu- klärungsbedarf im Verlauf der Zusammenar- sammenarbeit vorgestellt und ein Trainingsvi- beit beträchtlich steigt. Die angewandten in- deo präsentiert, das in mehreren deutschen terkulturellen Forschung liefert ebenfalls Bele- Hochschulen zur interkulturellen Sensibilisie- ge für polnisch-deutsche Unterschiede im rung und Förderung interkultureller Kompe- Arbeitsverhalten, Führungsstil, Konfliktverhal- tenz der Studierenden eingesetzt wird.

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Projektvorstellung Das Verhältnis zur Nachbarsprache im polnisch-sächsischen Grenzgebiet Dr. Radosław Marek Buraczyński (Dresden) Nathalie Schulz, B.A. (Dresden)

Radosław Buraczyński ist 1982 in Lubań (Polen) geboren. Er hat Soziologie, Politikwissenschaft und Arabistik an der Freien Universität in Berlin studiert. In den Jahren 2008-2013 hat er als wissenschaft- licher Mitarbeiter an der TU Chemnitz unter wiss. Leitung von Prof. Garsztecki seine Dissertation ge- schrieben, die er im Juli 2013 mit summa cum laude verteidigt hat. Seit zwei Jahren ist er wissen- schaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden, an der er als Projektleiter eines Forschungsteams tätig ist. Die Forschungsinteressen von Radosław Buraczyński liegen im Schnittpunkt von Soziologie und Politikwissenschaften. Regional konzentriert er sich insbesondere auf Mittel- und Osteuropa; seine bisherigen Arbeiten behandeln Prozesse der europäischen Integration, Grenzkonstruktion und Migration.

Nathalie Schulz ist 1984 in Himmelpforten geboren. Sie hat im Sommer 2013 ihr Studium der Euro- pastudien (B.A.) mit Schwerpunkt auf Ost- und Mitteleuropa an der TU Chemnitz abgeschlossen. Seit dem Wintersemester 2013/14 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt »Sprache als Schlüssel zur Zusammenarbeit« an der TU Dresden tätig. Gleichzeitig studiert sie dort den Master Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Polonistik.

Der Erfolg von Kooperationen im deutsch- räumen bildet die wertende Einstellung zur polnischen Grenzgebiet hängt nach wie vor Nachbarsprache, zumeist im direkten Ver- von der Durchlässigkeit der sprachlichen Bar- gleich zur Muttersprache bzw. zu anderen riere ab. Verglichen mit der deutsch- Fremdsprachen. Das jeweils vertretene Mo- französischen Grenzregion, wo beide Koope- dell der Sprachhierarchisierung der Regionen rationspartner häufig über ähnliche Kenntnis- trifft bereits im Vorschulbereich die Entschei- se der Sprache des Nachbarlandes verfügen, dung für oder gegen zweisprachige Kinder- lässt sich in der deutsch-polnischen Grenzre- gärten und somit für oder gegen ein mögli- gion eine starke Asymmetrie feststellen: Wäh- ches, frühes Interesse für die Nachbarspra- rend viele Bürgerinnen und Bürger aus den che. polnischen Städten über deutsche Sprach- Das Projekt »Sprache als Schlüssel zur Zusam- kenntnisse verfügen, ist bei ihren deutschen menarbeit – Status und Prestige der Nach- Nachbarn ein deutlich niedrigeres Interesse barsprachen im polnisch-sächsischen Grenz- an der polnischen Sprache zu verzeichnen. gebiet« wird von der TU Dresden in Koopera- Dass Probleme in der grenzübergreifenden tion mit der Universität in Zielona Góra grenz- Zusammenarbeit vieler Regionen durch übergreifend umgesetzt. Ziel dieses Projektes sprachliche und kulturelle Unterschiede be- ist es, eine grundlegende empirische Studie stehen, ist ein bekanntes Phänomen. In die- zur Situation im ostsächsisch-polnischen sem Zusammenhang fordert der Europarat Grenzgebiet zu schaffen, um die Einstellung Universitäten und Forschungseinrichtungen gegenüber der jeweiligen Nachbarsprache explizit auf, gründlichere Studien zur Situation als potenzielles Kommunikationsmittel bei der in den Grenzregionen durchzuführen und grenzübergreifenden Zusammenarbeit zu er- mögliche Einflüsse auf bilinguale, bikulturelle forschen. Es wird dabei hauptsächlich unter- und grenzübergreifende Identitäten sowie sucht, inwieweit Sprachkenntnisse der jewei- auf Bildungsentscheidungen zu untersuchen. ligen Nachbarsprache vorhanden sind, wel- Darüber hinaus soll ein akademisches und che Einstellungen zur jeweiligen Nachbar- wissenschaftliches Netzwerk der Zusammen- sprache bestehen und welche Sprachper- arbeit aufgebaut werden. Ein wesentliches formanz in diversen Kontaktsituationen ge- Element der Situationsbestimmung in Grenz- zeigt wird.

69 xSektion 9x

Normalitäten (über-)setzen Leitung: Kolja Lichy, M.A. (Gießen) Biogramm s.u.

Zu dieser Sektion erweist. So konnte man etwa die kontroverse Auseinandersetzung über die polnisch- In der »Normalität« anzukommen, »Normali- jüdischen Beziehungen der Kriegszeit einer- tät« herzustellen – angesichts der Omniprä- seits darauf reduzieren, dass es sich dabei um senz solcher Wendungen, ist dies sowohl in das Zeichen einer »normalność« Polens in der Polen als auch in Deutschland ein dominan- Gegenwart handele (Szarota 2002). Anderer- tes Ziel jeglichen Handelns. Nicht zuletzt die seits entfachte sich genau an der Interpreta- bilateralen Beziehungen scheinen, glaubt tion der Frage, was zeitgenössisch als »nor- man den Titeln und inhaltlichen Stoßrichtun- malność« der polnisch-jüdischen Beziehun- gen politikberatender Studien der letzten Zeit, gen zu verstehen war, ein erbitterter Konflikt. auf einem guten Weg hin »in Richtung Nor- Hier scheint es bezeichnend, dass eine der malität« (SDPZ/Allensbach 2011, Walter 2003). Hauptthesen von Jan Tomasz Gross – anders Auch die jüngst im öffentlichen TVP organi- als in der englischen Ausgabe seines Golden sierte Podiumsdiskussion anlässlich der polni- Harvest – in der polnischen Version die Er- schen Ausstrahlung des ZDF-Films »Unsere mordung von Juden als »normalność« be- Mütter – unsere Väter« provozierte in den zeichnet (Gross 2011, Gross 2012). »Normali- eingeblendeten Zuschauerreaktionen nicht tät« und »normalność« können in diesem Sin- nur kontroverse Reaktionen, sondern gleich- ne auch als negative Zustände bewertet falls den Wunsch nach »normalność« in der werden (Lipiński 2013). Vor »Normalität« mag Auseinandersetzung mit deutscher und polni- gewarnt werden und dies sowohl in innen- scher Geschichte. Doch schon im politischen wie in außenpolitischer Hinsicht: »Normalität« Diskurs der Zwischenkriegszeit war etwa die droht in diesem Zusammenhang nicht nur mit Herstellung »normaler« außenpolitischer Be- dem Vergessen historischer Belastungen wie ziehungen Maßstab. So kommentierte Józef »Sonderwege« einherzugehen, sie gerät Beck 1935 im »Völkischen Beobachter«, die schnell in Verdacht, mit Routine und Lange- deutsch-polnische Nichtangriffserklärung von weile identifiziert zu werden (Ash 1999). 1934 ermögliche »die normale Zusammenar- Jürgen Link hat mit seiner Theorie des »Nor- beit« (Beck 1939). malismus« einen diskurstheoretischen Entwurf Insbesondere das Ende der Blockbildung, die vorgelegt, der sich mit der Funktion von Nor- Demokratisierung und wirtschaftliche Trans- mativität in modernen Gesellschaften ausei- formation in Polen und die deutsche Vereini- nandersetzt (Link 2006, Jäger/Jäger 2007). gung katalysierten mit voller Kraft in den Dabei kommt Link zu dem Schluss, dass insbe- 1990er Jahren die Dominanz einer idealen sondere im späten 20. Jahrhundert ein nor- »Normalität« auf verschiedenen Diskursebe- malistisches Schema dazu führe, klare norma- nen. Entstand in Deutschland etwa eine tive Zuweisungen, die in früheren Zeiten Aus- Kontroverse über die »Normalität einer Berli- und Abgrenzungen des gesellschaftlich Zu- ner Republik« (Habermas 1995, Kirsch 1999), lässigen etablierten, im Wesentlichen wei- entflammte in Polen eine Auseinanderset- chen Grenzen im Sinne einer Gaußschen zung über »Normalität« und »Amnesie« (Koby- Normalverteilung gewichen sind. Unter dem lińska, 1995) als Voraussetzungen einer Neu- dominanten Einfluss statistischer Denkkatego- bestimmung der Gesellschaft. Einerseits konn- rien wird in somit eine mehr oder weniger flie- te und kann »Normalität« dabei in beiden ßende Normalität als Richtwert etabliert und Ländern als positiver Zielwert verstanden der statistische Durchschnitt erscheint als ge- werden. Nicht umsonst warb beispielsweise sellschaftliche Orientierungsmarke. Die damit das konservative Wahlbündnis Blok dla Polski einhergehende Ausrichtung verschiedenster in seiner Kampagne 1997 sogar mit dem Slo- Diskurse an der dominanten Kategorie (»In- gan, es sei endlich »czas na normalność«. terdiskurs«) der »Normalität« ist hingegen kei- Jedoch zeigte sich am Beispiel der mit ne Erfindung der jüngsten Vergangenheit. Jedwabne begonnen Debatte über die pol- Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts etab- nisch-jüdischen Beziehungen wie janusköpfig lierte sie sich im Gefolge medizinischer und sich die Rede von der »Normalität« potentiell mathematisch-naturwissenschaftlicher For-

70 schung und deren diskursmächtiges Ausgrei- wird und welche Divergenzen sich hinter ver- fen auf andere Gesellschaftsbereiche. Im schiedenen Vorstellungen des scheinbar so Gegensatz zum späten 20. Jahrhundert hält eindeutigen Normalitätsbegriffs verbergen. Link allerdings die vorhergehende Orientie- Die gilt ebenso für die diachrone Betrach- rung an »Normalität« für in seiner Begrifflich- tung – drängt sich doch die Frage auf, ob keit »protonormalistisch«, da die Toleranz- beispielsweise die »Normalität« der 1930er grenzen zwischen »normal« und »anormal« Jahre den gleichen Kriterien und Denkmus- auf der Basis einer wesentlich engeren und tern gehorchen konnte wie die gegenwärti- undurchlässigeren Konzeption von Normativi- ge. Weiterhin ist zu thematisieren, inwieweit tät gezogen wurden. »Normalität« ist mithin die »Normalität« als Richtwert mit anderen differenziert zu kontextualisieren und zu fra- Begriffsclustern und sich darum gruppieren- gen, mit welchen normativen Implikationen den Diskursen konkurriert, die gesellschaftli- Vorstellungen von »Normalität« historisch ver- che Idealzustände definieren. Die Sektion knüpft waren. orientiert sich somit an folgenden Leitfragen: Vor dem Hintergrund der Linkschen Ansatzes 1) Wie und wann werden Erwartungen an soll in der Sektion dem Phänomen »Normali- gesellschaftliche Idealzustände in die Kate- tät/normalność« in Polen beziehungsweise im gorie der »Normalität« übersetzt? deutsch-polnischen Vergleich sowie hinsicht- 2) Welche Implikationen von »Normali- lich der deutsch-polnischen Beziehungen tät/normalność« finden sich in Polen, welche nachgegangen werden. Angesichts der De- in Deutschland. Welche Übereinstimmungen batten auch der jüngsten Vergangenheit oder Divergenzen lassen sich konstatieren? und der Gegenwart drängt sich hierbei die 3) Welche andere bzw. konkurrierende nor- Frage auf, inwieweit die Rede von der »Nor- mative Konzepte bestehen neben der »Nor- malität« in Polen wie in Deutschland tatsäch- malität« und zu welchen Zeitpunkten lassen lich einer engen Normativität entkleidet ist. In sich deren Auftreten und deren Konjunkturen diesem Kontext muss hinterfragt werden, wie feststellen? »Normalität« in beiden Ländern konnotiert

PD Dr. Jürgen Heyde (Leipzig) Owszem ... Das Problem der Normalität in den polnisch-jüdischen Beziehungen

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ost- mitteleuropas e.V. in Leipzig, Privatdozent an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; stu- dierte 1987-1993 osteuropäische Geschichte, Slavistik und mittlere Geschichte in Giessen, Mainz, Warschau und Berlin; Promotion 1998 an der Freien Universität Berlin; 1998 bis 2003 wiss. Mitarbeiter am DHI Warschau; 2003-2009 wiss. Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg (dort Habilitation 2009); 2010-2013 DFG-Projekt: »Der ›Ghetto‹-Begriff in der polnisch-jüdischen Historiographie und Publizistik 1868-1918. Eine begriffs- und kommunikati- onsgeschichtliche Untersuchung«; 2013 Fellow am Imre-Kertesz-Kolleg Jena.

Der Vortrag nimmt die oben zitierte Äußerung lässige wirtschaftliche Konfrontation (sichtbar von Jan Tomasz Gross über die »Normalität« in der Äußerung des polnischen Premiers der Ermordung von Juden durch Polen zum Sławoj-Składkowski aus dem Jahre 1936) als Anlass nachzuvollziehen, wie sich die norma- Regelfall interpretiert wurden. Es geht mithin tiven Vorstellungen über die Ausgestaltung nicht um die Beschreibung einer Normalität, der polnisch-jüdischen Beziehungen im polni- sondern um das Aufzeigen, wie durch willkür- schen nationalistischen Diskurs zwischen 1880 lich gesetzte Narrative und deren fortwäh- – als Juden auch von sich selbst als antisemi- rende Reproduktion und Adaption Vorstel- tisch bezeichnenden Schriftstellern noch als lungen von Normalität verschoben werden (potentieller) Teil der polnischen Nation ge- können. Dabei wird versucht, das publizistik- dacht wurden – und dem Beginn des II. Welt- wissenschaftliche Konzept der »Schweigespi- kriegs veränderten, als die völlige Segregati- rale« (E. Noelle-Neumann) auf einen histori- on der jüdischen Bevölkerung und die unab- schen Diskursverlauf anzuwenden.

71 Prof. Dr. Stefan Garsztecki (Chemnitz) Normalität in den deutsch-polnischen Beziehungen nach 1945

Inhaber der Professur Kultur- und Länderstudien an der TU Chemnitz. Nach Tätigkeiten u.a. am For- schungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im Bundestag und am Bundesin- stitut für Gesamtdeutsche Aufgaben Dozent für Politikwissenschaften und Journalismus an der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań und von 1996 bis 2005 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Se- minar für Ost- und Mitteleuropäische Studien an der Universität Bremen. Derzeit bereitet er seine Habilitationsschrift unter dem Titel Die aktuelle polnische politische Kultur: zwischen Verwestlichung und Retraditionalisierung zum Druck vor. Er ist u.a. Mitherausgeber der 2011 bzw. 2012 publizierten Sammelbände Collective identity, international cooperation and national interest in Europe and beyond und Politics, History and Collective Memory in East Central Europe.

Im Rahmen des Vortrages sollen die bilatera- den deutschen Staaten und Polen, gesell- len Beziehungen in ihrer politischen und ge- schaftliche Distanz und Nähe, Partnerschaft, sellschaftlichen Dimension nach 1945 schlag- Kooperation, aber auch Distanz und Konflikte lichtartig skizziert werden. Ausgehend von dargestellt werden. Die Analyse lässt sich da- der sogenannten Stunde Null und der bezie- bei von Konzepten der Europäisierung, Trans- hungslosen Zeit werden die verschiedenen nationalisierung und von beziehungsge- Phasen der politischen Annäherung zwischen schichtlichen Ansätzen leiten.

Prof. Dr. Magdalena Marszałek (Potsdam) »Normale« Erinnerungskulturen: Reenactment-Konjunkturen in Polen und Deutschland

Professorin für Slavische Literatur- und Kulturwissenschaft / Schwerpunkt Polonistik am Institut für Slavistik der Universität Potsdam. Nach dem Studium der polnischen Philologie und Theaterwissen- schaft in Krakau sowie Zweitstudium der Slavistik, Kunstgeschichte, Theater-, Film- und Fernsehwis- senschaft in Bochum wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für westslawische Literaturen (Polonistik) am Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin. Promotion (2002) mit einer Ar- beit zum autobiographischen Projekt Zofia Nałkowskas. 2006 bis 2011 Juniorprofessorin für Polni- sche Literatur am Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin. In den Jahren 2006-2010 externe Projektleiterin am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL) im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundprojekts Topographie Pluraler Kulturen Europas in Rücksicht auf die ›Verschiebung Europas nach Osten‹. Zwischen 2009 und 2010 assoziierte wissenschaftliche Mit- arbeiterin am Institut für Slavistik der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau. 2010 erschienen die von ihr mitherausgegebenen Sammelbände Nach dem Vergessen. Rekurse auf den Holocaust in Ostmitteleuropa nach 1989 und Geopoetiken. Geographische Entwürfe in den mittel- und osteuropäischen Literaturen.

Der Vortrag widmet sich gedächtniskulturel- zeichnender-weise für beide Konfliktparteien len Aspekten des gegenwärtigen polnischen typisch. Ausgehend von dieser kulturellen Po- ›Kultur-kriegs‹, in dem die aus dem traditionel- larität, die auch die erinnerungspolitischen len, historischen Selbstverständnis abgeleite- Konflikte prägt, wird den aktuellen Auseinan- ten normati-ven Denkweisen mit den Diskur- dersetzungen um die »nor-male« Erinnerung sen eines flexiblen kulturellen Normalismus nachgegangen. Besonderes Augenmerk gilt (Link) kollidieren. dabei der gegenwärtigen extre-men Kon- Die Rede vom »normalen« Polen (auch im junktur des Reenactments in der populären Gegensatz zum »kranken« Polen) sind be- memorialen Kultur in Polen.

72 Kolja Lichy, M.A. (Gießen) Der verzweifelte Stolz der Besonderen? »Normalität« in polnischen und deutschen Entwürfen von Nationalgeschichte (19./20. Jh.)

Studium der Geschichte, Polonistik und Bohemistik in Krakau, Berlin und Brünn. Seit 2008 Wissen- schaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte Ostmitteleuropas an der Justus-Liebig- Universität Gießen.

Anfang der 2000er Jahre erklärte Marcin Kula wohl jede europäische Nationalhistoriogra- wohl in gezielter verkaufsfördernder Provoka- phie für ihre eigene Geschichtskonstruktion. tion die polnische Geschichte zu einer Europa scheint angesichts seiner nationalen »zupełnie normalną« und recht zeitgleich sah Meistererzählungen geradezu als eine einzige Janusz Tazbir endlich die Chance für die pol- Kumulation von Sonderwegen. Wie sich da- nische Geschichte, sie könne sich »wybić na bei die Entwürfe nationaler Geschichte in Po- normalność«. Dass in der einen und anderen len wie in Deutschland seit dem 19. Jahrhun- Weise die »Normalität« abgefeiert wurde, dert implizit wie explizit an einer Marke der bedeutet zugleich die plakative Aufgabe ei- »Normalität« messen und gemessen haben, nes Sonderweges. Mit letzterem hat auch die welche jeweiligen Implikationen mit solch ei- deutsche Nationalhistoriographie ihre ein- ner Normalität verbunden wurden und wel- schlägigen Erfahrungen. Doch auch die che Parallelen, Differenzen und Wechselwir- Deutschen durften sich zur gleichen Zeit histo- kungen zwischen beiden Nationalhistorio- riographisch auf ihrem »langen Weg nach graphien zu konstatieren sind, ist Gegenstand Westen« endlich als Ankömmlinge in einer des Vortrags. Normalität fühlen. Sonderwege reklamiert

Prof. Dr. Hans-Jüren Bömelburg (Gießen) Kommentar

Inhaber der Professur für Geschichte Ostmitteleuropas an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Zu- vor Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Stellvertreter des Direktors am DHI Warschau sowie Wissen- schaftlicher Mitarbeiter am Nordost-Institut in Lüneburg. Mitglied der Gemeinsamen deutsch- polnischen Schulbuchkommission, Inhaber eines Herder Chairs am Herder-Institut Marburg, Mithe- rausgeber der Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung (ZfO), der Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde des Ermlandes (ZGAE), Mitglied des Redaktionskomitees des Przegląd Historyczny (PH), von Odrodzenie i Reformacja w Polsce (ORP) sowie von Barok. Herausgeber des Teilbandes zur Frühen Neuzeit des Handbuchs Polen in der europäischen Geschichte und gemeinsam mit Edmund Kizik Verfasser einer deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte in der Frühen Neuzeit. 2011 erschien seine Monografie Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen. Ereignis- und Erinne- rungsgeschichte.

73 xSektion 10x

Polnische Gewerkschaften in der EU Leitung: Christin Landgraf, M.A. (Bremen) – Biogramm s.u.

Dr. Martin Krzywdzinski (Berlin) Polnische Gewerkschaften zwischen Stagnation und Wandel

Dr. Martin Krzywdzinski ist Leiter der Projektgruppe »Globalisierung, Arbeit und Produktion« am Wis- senschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Er hat Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin und an der Université Paris VIII studiert und am Otto-Suhr-Institut, Fachbereich Politik- und So- zialwissenschaften, Freie Universität Berlin promoviert.

Since the beginning of the transformation in at the workplace level in the 1990s made the Poland, trade unions have experienced adaptation to new conditions more difficult. nearly two decades of declining membership During the last years, however, several inno- numbers and influence. The proposed vations started to change the industrial rela- presentation will show that not only the re- tions in Poland: organizing activities, experi- structuring of the economy but also the trade ments with organizational structures above union policies and organizational forms the workplace level, and the introduction of themselves contributed to the decline. The works councils. With the background of the absence of strong industry-level organiza- coming generational change in which older tions, the neglect of membership recruitment unionists are passing on the leadership to due to the engagement in party politics, and younger activists, these steps towards reform the abandonment of co-determination rights could be a starting point for greater chang- es.

Jun. Prof. Dr. Vera Trappmann (Magdeburg) Postkommunistische Schwächen durch externen Druck überwinden?

Jun. Prof. Dr. Vera Trappmann ist Juniorprofessorin für Makrosoziologie und Europäische Gesell- schaften. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Arbeitsbeziehungen, Restrukturierung von Unternehmen und Corporate Social Responsibilty in West- und Osteuropa.

Based on a micro-level analysis of the devel- cable to CEE. Rather, the overcoming of opments in the steel sector, the proposed postcommunist legacy is linked to the power paper examines the effects of multinational of transnational capital. Through attritional corporations (MNCs) on labour unions in Cen- and enabling effects, ownership by MNCs tral and Eastern Europe. forces the unions to focus their efforts on ar- It makes a three-fold argument. First, it shows ticulating workers’ interests. that union weakness can be attributed to un- The paper examines the emerging system of ions’ strategies during the restructuring and industrial relations in the sector and explores privatization processes of postcommunist the development of the capabilities needed transition. Consequently, tactics used for un- to overcome postcommunist legacies, with a ion regeneration in the West are less appli- particular focus on Poland.

74 Dr. Aleksandra Lis (Posen) The Europeanization of Polish trade unions. Results of an empirical study

Aleksandra Lis is an assistant professor at the Adam Mickiewicz Unioversity in Poznań. She holds a PhD in sociology and social anthropology from Central European University in Budapest. She par- ticipated in several projects on the Europeanization of trade unions’ carried out by the For- schungsstelle Osteuropa at the Bremen University.

Polish trade unions have been active at the amined whether their presence at the EU European arena long before the EU acces- level has an impact on their activities at the sion. This is in particular the case of Solidar- national level. Third, based on the case study ność which leaders often emphasize that Sol- of Solidarność it is shown that when a par- idarność has been a part of the European ticular trade union organization is studied it and world trade union family from the begin- might be useful to distinguish between three ning of its existence and that Solidarność types of Europeanization: the first one con- does not need to be Europeanized. The con- cerns Solidarność as an organization, its struc- tradiction between such statements and the ture and resources; the second one concerns interest in Europeanization of trade unions political values of Solidarność and its subjec- from the »new« EU Member States coming tive feeling of political agency in Europe and from European studies and political science outside of Europe; the third one concerns the should be addressed through a more nu- expert level of Europeanization and the ca- anced and empirically grounded study of pacity of Solidarność to generate expertise what Europeanization stands for. that would allow for an engaged participa- This paper tries to tackle this problem. It tion in policy debates. gauges Europeanization of Polish trade un- The paper concludes that Europeanization is ions in its various aspects. First, it is shown how still a useful concept but that it should be de- Polish trade unions try to represent their inter- fined with regard to various aspects of trade ests at the EU level – what kind of venues for unions’ activities. Moreover, as the analysis interest representation they use, how they will show, Europeanization in one area does make coalitions and how they assess their not necessarily imply Europeanization in other own impact at the EU level. Second, it is ex- aspects of trade unions’ activities.

Christin Landgraf, M.A. (Bremen) Die Repräsentation polnischer Gewerkschaften auf der EU Ebene in vergleichender Perspektive

Christin Landgraf, MA ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Sie hat Politikwissenschaft, Anglistik und Osteuropäische Geschichte an der Universität Göttingen und der Central European University Budapest studiert.

Der Beitrag wurde im Rahmen eines For- darność, von der Interessenvertretung aus schungsprojektes zur Europäisierung der Ge- den post-sozialistischen EU-Mitgliedsländern werkschaften aus den EU-Mitgliedsstaaten unterscheidet. Das Projekt erfasst etwa 30 der der Osterweiterung erarbeitet. Er gibt einen größten Gewerkschaften aus Bulgarien, Po- Überblick über die Interessenvertretung der len, Rumänien, der Slowakei, Tschechien und Gewerkschaften aus den neuen Mitglieds- Ungarn über Interviews und Fallstudien sowie staaten auf der EU Ebene. Des Weiteren wird ergänzenden Datenrecherchen. Die Ergeb- untersucht, inwieweit sich die Interessenver- nisse zu Polen, die im Beitrag von Aleksandra tretung der polnischen Gewerkschaften auf Lis vorgestellt werden, können so in eine ver- europäischer Ebene, u.a. bedingt durch die gleichende Perspektive eingeordnet werden. besondere Rolle der Gewerkschaft Soli-

75 Dr. Stefanie Hürtgen (Frankfurt am Main) Kommentar

Dr. Stefanie Hürtgen, Politikwissenschaftlerin und Arbeitssoziologin, ist Mitarbeiterin am Frankfurter Institut für Sozialforschung und Dozentin an der Hochschule Luzern Wirtschaft. Sie hat u.a. zur Ge- schichte der polnischen Gewerkschaften und später zu Fragen der Transnationalisierung und Eu- ropäisierung von Arbeitsverhältnissen geforscht. Ihr Fokus liegt auf der konzeptionellen Verbindung der Transformationsprozesse in Ost- und Westeuropa. Jüngere Veröffentlichungen: From Silicon Valley to Shenzen. Global Production and Work in the IT Industry. Lanham u.a. 2013 (mit B. Lüthje, P. Pawlicki und M. Sproll); Standortkonkurrenz in Ost- und Westeuropa. In: E. Ahlers u.a. (Hg.): Be- schäftigte in der Globalisierungsfalle. Baden-Baden 2009: Nomos, S. 107-136.

76 xSektion 11x

Polnisch als Herkunftssprache Leitung: Agnieszka Pustoła, M.A. (Freiburg/Br.) Biogramm s.u.

Agnieszka Pustoła, M.A. (Freiburg/Br.) Die Sprachverwendung von Zahlwörtern im Polnischen bei Herkunftssprechern des Polnischen in Deutschland

Agnieszka Pustola, geboren 1984 in Polen. Nach dem Abitur Beginn mit dem Philosophie Studium an der Warschauer Universität. Magisterarbeit zum Thema »Die Theorie des gerechten Krieges vs. Realpolitik. Eine kontrastive Analyse«. Ab 2010 Masterstudium im Fach Slavistik an der Universität Freiburg. Russischstudium in Warschau (Sommer 2010), Moskau (WS 2012) und Tschechisch in Prag (Sommer 2013). In den Jahren 2012/13 Stipendiatin der Adelhausen Stiftung. Arbeit am Slavischem Seminar als Wissenschaftliche Hilfskraft am Projekt »Linguistische und sprachdidaktische Aspekte der unvollständigen deutsch-polnischen Zweisprachigkeit«. Masterarbeit zum Thema: »Gebrauch der Zahlwörtern bei Herkunftssprechern des Polnischen in Deutschland«.

Im Rahmen meiner Masterarbeit untersuche Zahlwörtersystem auch von den monolingua- ich die Sprachverwendung der Zahlwörter len Polen, die in Polen leben, vereinfacht bei Herkunftssprechern (heritage language wird. speakers) der polnischen Sprache in Ich werde die Sprachproben von 20 Proban- Deutschland. Meine Untersuchung basiert den, die die schriftlichen Tests (Lückentest, auf der Analyse der schriftlichen Tests, die für Grammatikalitätsurteile) für das Projekt lösten, das Projekt »Linguistische und sprachdidakti- analysieren und untersuchen welche Verän- sche Aspekte der deutsch-polnischen unvoll- derungen und Abweichungen von der ständigen Zweisprachigkeit« durchgeführt sprachlichen Norm zu beobachten sind. Ab- wurden. Die Herkunftssprecher stammen aus schließend werden die Ergebnisse aus der zweiten Generation der polnischen Mig- Deutschland (heritage language speakers) ranten und wurden entweder in Deutschland mit den Ergebnissen einer Kontrollgruppe in geboren oder waren bei der Emigration Polen (Monolinguale, 10 Personen) und mit nach Deutschland nicht älter als 5 Jahre. Sie einer Kontrollgruppe aus Deutschland (spät waren also nie in dem polnischen Schulsys- Bilinguale, 10 Personen) verglichen. tem integriert und haben ihre Polnischkennt- In meinem Vortrag möchte ich die Ergebnisse nisse im deutschsprachigen Raum erworben. meiner Masterarbeit präsentieren. In dieser Im Rahmen meiner Masterarbeit untersuche analysiere ich, welche Abweichungen von ich die Sprachverwendung von Zahlwörtern. der sprachlichen Norm in der Sprachverwen- Es wird angenommen, dass das komplizierte dung von Zahlwörtern sich als »typisch« für Zahlwörtersystem von den Herkunftsspre- heritage speakers charakterisieren lassen, chern vereinfacht wird (vereinfachte Deklina- und welche auch für Muttersprachler kenn- tion, undeklinierte Formen, substantivierte zeichnend sind. Zahlwörter). Meine Hypothese ist, dass das

77 Anna Marta Müller, M.A. (Freiburg/Br.) Zwischen Erosion und unvollständigem Spracherwerb. Defizite in der Morphosyntax des Polnischen als Herkunftssprache unter besonderer Berücksichtigung des Adjektivs

Absolventin der Angewandten Linguistik an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań. Bachelor- studium der Slavistik als Hauptfach und Anglistik/Amerikanistik als Nebenfach, anschließendes Masterstudium der Europäischen Sprachwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Seit 2012 Doktorandin im Slavischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, Stipendiatin der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung und Mitarbeiterin am Projekt »Linguistische und sprachdidaktische Aspekte der deutsch-polnischen unvollständigen Zweisprachigkeit«. For- schungsschwerpunkt: Morphosyntaktische Spracherosion im Polnischen als Herkunftssprache unter besonderer Berücksichtigung des Adjektivs.

Die sogenannten Herkunftssprecher (heritage im Rahmen dieses Projektes ist in einen münd- language speakers) konstituieren die zweite lichen und einen schriftlichen Teil gegliedert Migrantengeneration, die in Familien gebo- und auf drei Stunden angelegt. Das auf die- ren ist, deren Sprache eine andere als die sem Wege gewonnene Sprachkorpus, wel- Umgebungssprache ist. Die Sprachkompe- ches aus insgesamt 70 Interviews besteht, tenz dieser spezifischen frühbilingualen Spre- stellt den Analysegegenstand dar. Eine mo- chergruppe ist in der Regel von bestimmten nolinguale polnischsprachige sowie eine bi- Defiziten gekennzeichnet. Die Problematik linguale deutsch-polnischsprachige Kontroll- der Herkunftssprache aus der slavischen Per- gruppe werden herangezogen. Die Untersu- spektive wurde bisher vor allem am Beispiel chung geht der Frage nach, inwieweit die des Russischen diskutiert (Anstatt 2009, 2011; Rektions- und Kongruenzprinzipien in Bezug Dieser 2011, 2013; Polinsky 1997, 2008, 2009; auf das maskulin-persönliche Genus der pol- Protassova 2007, 2008; Romanova 2008; Titus nischen Adjektive in der Sprachproduktion 2012). Die bis jetzt nicht zahlreich erschiene- der Herkunftssprecher verletzt werden. Es wird nen Publikationen zum Thema Polnisch als davon ausgegangen, dass der Sprachkon- Herkunftssprache in Deutschland beschäfti- takt keine ausreichende Erklärung für Defizite gen sich vor allem mit der Analyse des lexika- in der Syntax darstellt. lischen Transfers aus der deutschen in die Aus der Studie ergibt sich, dass die Liste der polnische Sprache (Brehmer 2008) sowie mit problematischen Bereiche für die polnischen den in der Verbalphrase zu beobachtenden Herkunftssprecher um einige weitere Phäno- Phänomenen (Anstatt 2013, Breh- mene ergänzt werden kann. Die Ergebnisse mer/Rothweiler 2012, Brehmer/Czachór 2012, deuten darauf hin, dass die beobachteten Czachór 2012). Spracherosionserscheinungen nicht alleine Mein Dissertationsprojekt erforscht den Ge- auf den Sprachkontakt zurückzuführen sind, brauch von Adjektiven in der Nominalphrase sondern mit weiteren Faktoren wie dem un- sowie als Prädikatsnomen bei Herkunftsspre- vollständigen Spracherwerb oder den inne- chern des Polnischen in Deutschland. Das In- ren Entwicklungsprozessen einer Sprache be- terview als Methode der Datenbeschaffung gründet werden können.

Izabela Błaszczyk, M.A. (Regensburg) Polnisch im Sprachkontakt. Beschreibung und empirische Analyse zu Entlehnungshierarchien und Spracherosion im Bezug auf die Kategorie Modus

Izabela Maria Błaszczyk studierte von 2005-2010 Polnische Philologie und Politikwissenschaft an der Universität Regensburg. Dort ist sie zurzeit Assistentin am Lehrstuhl für Slavische Sprach- und Kultur- wissenschaft von Prof. Dr. Björn Hansen und promoviert zum Thema »Polnisch im Sprachkontakt. Beschreibung und em-pirische Analyse zu Entlehnungshierarchien und Spracherosion in Bezug auf die Kategorie Modus«. Publikationen u.a.: Der Gebrauch des Demonstrativum ten und des Zahl- wortes jeden durch polnischspra-chige Bilinguale in Deutschland – ein Fall von kontaktinduzierter Grammatikalisierung?, in: Bester-Dilger, Juliane / Schöller, Uliana: Slavischer Sprachkontakt, Frei- burg 2013.

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* By się ucieszyłam! dig erworben? Ist dies ein Fall von Sprachero- * To Ø mi brakowało chyba coś, jakbym tam sion oder ist der Konditionalgebrauch bei mieszkała. polnisch-deutschen Bilingualen nur ein Zei- Ein wenig »eigen« klingen diese Konditionals- chen für eine eigene Variante des Polni- ätze (=entsprechen etwas den Konjunktivsät- schen, die gesondert betrachtet werden soll- zen wie »Ich hätte / Ich würde« im Deut- te? schen) für einen monolingualen Sprecher des Die sprachwissenschaftliche Untersuchung Polnischen. Ein Sprecher des Polnischen in des Konditionalgebrauchs bei polnisch- Deutschland, der sowohl mit dem Deut- deutschen Bilingualen liefert uns Antworten schen, als auch dem Polnischen aufgewach- auf diese Fragen. Am Fall des Konditionals sen bzw. mit beiden Sprachen sehr gut ver- kann zudem gezeigt werden, welche Wan- traut ist, findet an diesen Sätzen jedoch meist del- und Umbauprozesse in der gesamten nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil: Äuße- Kategorie Modus unter den Bedingungen ei- rungen, wie die beiden obigen werden von nes intensiven Sprachkontakts auftreten kön- bilingualen Sprechern des Polnischen und nen, worüber in der Linguistik noch wenig be- Deutschen als völlig korrekt akzeptieren. kannt ist. Dies ist sowohl aus kontrastiver, als Warum ist dies so? Was genau machen pol- auch typologischer Sicht von großem Interes- nisch-deutsche bilinguale Sprecher in se. Deutschland anders als monolinguale Spre- Grundlage für die Untersuchung stellt die cher in Polen und weshalb? Spielt hier das Analyse von eigens erhobenen Sprachdaten Deutsche als Kontaktsprache eine Rolle oder sowie die Auswertung von 60 Interviews aus beherrschen die Sprecher das Polnische nicht dem »Hamburg Corpus of Polish in Germany« mehr vollständig bzw. haben es nie vollstän- (HamCoPoliG) dar.

Johanna Hadam, M.A. (Bochum) Die Sprachverwendung und Sprachwahrnehmung polnisch-deutscher Jugendlicher der zweiten Generation

Johanna Hadam, geboren am 22. Februar 1977 in Kędzierzyn-Koźle, Polen. 2005-2008 B.A. Studium der Slavischen Philologie und Russischen Kultur am Seminar für Slavistik/Lotman-Institut der Ruhr- Universität Bochum. 2008-2011 M.A. Studium der Slavischen Philologie am Seminar für Slavis- tik/Lotman-Institut der Ruhr-Universität Bochum. 2011-2013 Wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt »Die zweite Generation« am Lehrstuhl für slavistische Linguistik an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 10/2011 Promotionsstudium Slavische Philologie an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema »Die Sprachverwendung und Sprachwahrnehmung polnisch-deutscher Jugendlicher der zweiten Ge- neration« bei Prof. Dr. Tanja Anstatt. Seit 10/2013 Promotionsstipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung.

Im Rahmen meines Dissertationsprojekts un- mir Modifikationen zur usuellen Norm, d.h. zur tersuche ich die Sprachverwendung und verwendeten Sprache in Polen aufzeigen soll. Sprachwahrnehmung bilingualer deutsch- Die erhobenen Daten werden auf mögliche polnischer Jugendlicher in der zweiten Gene- Korrelationen zwischen soziolinguistischen Pa- ration. Die Jugendlichen gehören zu der rametern und auftretenden Modifikationen Gruppe der »heritage speakers«1, die mit der hin untersucht. Diese Vorgehensweise ermög- Herkunftssprache Polnisch als Familienspra- licht es mir, zum einen Aussagen über die che aufgewachsen ist und bei der die Um- sprachlichen Fähigkeiten der Jugendlichen gebungssprache Deutsch seit der Kindheit unter Bedingungen der Diaspora zu machen dominiert. und zum anderen die Auswirkung bestimmter Die Studie umfasst soziolinguistische Daten Faktoren auf den Spracherhalt abzuleiten. Im und Sprachproduktionsdaten von 40 bilin- Vortrag werde ich dazu erste Ergebnisse prä- gualen Jugendlichen sowie einer monolin- sentieren. gualen polnischen Kontrollgruppe. Anhand der Sprachdaten führe ich eine qualitative 1 Polinsky, M. (2011): Reanalysis in adult heritage lan- Analyse auf der lexikalischen, morphologi- guage: A case for attrition. In: Studies in Second Lan- guage Acquisition 33, 305-328. schen und syntaktischen Ebene durch, die

79 Prof. Dr. Thomas Daiber (Gießen) Kommentar

Prof. Dr. Thomas Daiber, Justus-Liebig-Universität, Slavische Sprach- und Kulturwissenschaft. Schwerpunkte: Hist. Sprachwissenschaft, Textlinguistik, Philologia sacra. Neuere Aufsätze: Wisset! Zu einem angeblichen Anakoluth in Mk 2,10 bzw. zum ὅτι recitativum. ZNW 104/ 2, 2013, 277-285. • Paulus und Petrus, Zur Ikonographie des Apostel Paulus auf russischen Ikonen. Paulus und Paulus- bilder. Konstruktion - Reflexion, Transformation, ed. M. Lang 2013, 377-416. • Modalität der Rede- wiedergabe (Jako recitativum im Codex Marianus). Dt. Beiträge zum 15. Int. Slavistenkongress, ed. S. Kempgen et al. 2013, 109-116. • Lingual performance and attitude towards regional move- ments: Silesia. Konferenzband, ed. St. Konopacki, Universität Łódź, im Druck.

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Wissenschaft als Übersetzung? Translation und Wandel polnischsprachiger Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Leitung: Dr. Jan Surman (Wien/Warschau), Katharina Kreuder-Sonnen, M.A. (Bonn/Gießen) Biogramme s.u.

Dr. Justyna Górny (Warschau) »Die zugenagelten Fenster auf Europa entriegeln« Ostap Ortwin übersetzt Otto Weiningers Geschlecht und Charakter

Dr. Justyna Górny (geb. 1976) Übersetzerin, Literaturwissenschaftlerin, hat den interdisziplinären Studiengang Kollegium MISH an der Universität Warschau abgeschlossen und 2011 zum Thema »Krytyka literacka jako forma dyskursu kobiecości – analiza tekstów krytycznoliterackich na temat twórczości Clary Viebig, Franziski zu Reventlow, Zofii Nałkowskiej, Marii Kuncewiczowej i Elfriede Je- linek« promoviert. 2007 erhielt sie das Stipendium der Adamas-Stiftung und 2009 das Paul Celan Fellowship für Übersetzer am IWM in Wien. Als Übersetzerin arbeitet sie an wissenschaftlichen Tex- ten zur polnischen und deutschen Geschichte. Ihre Forschungsschwerpunkte als Literaturwissen- schaftlerin sind Rezeption der Literatur, Geschichte des Weiblichkeitsdiskurses und des Antisemitis- mus in Polen, Kulturtransfer. Seit Oktober 2011 ist Justyna Górny wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Germanistik der Universität Warschau.

In meinem Beitrag beschäftige ich mich mit polnische Frauenbewegung ein schon »erle- dem Kontext, in dem die Abhandlung Ge- digtes« Thema. Das relativiert auf interessante schlecht und Charakter von Otto Weininger Art und Weise die Rolle der Übersetzung als in Polen rezipiert und ins Polnische übertra- Vermittlerin zwischen den Kulturen. gen wurde. Das besondere Augenmerk gilt in meinem Die Übersetzung von Otto Weiningers Ge- Vortrag der Person und der Tätigkeit des schlecht und Charakter ins Polnische wurde Übersetzers, Ostap Ortwin. Er arbeitete mit von Ostap Ortwin (Pseudonym von Oskar übersetzten Texten als Verlagslektor und woll- Katzenellenbogen) angefertigt und 1911 un- te die Übersetzung als ein Mittel einsetzen, ter dem Titel Płeć i charakter. Rozbiór zasad- Polens Kultur zu beleben. Ich unternehme in niczy veröffentlicht. Die nächsten Auflagen meinem Beitrag den Versuch, die Motivatio- erschienen 1921, 1926, 1932, 1935 [zwei ver- nen dieses konkreten Übersetzers herauszu- schiedene] und 1994. Die Inhalte des Buches arbeiten. Dieses Unternehmen ist mit großen wurden in zwei Randgruppen der polnischen praktischen und methodischen Schwierigkei- Gesellschaft – Frauenbewegung, assimilierte ten behaftet – die Übersetzung wurde/wird Juden – genutzt, um die eigenen Positionen als zweitrangiges geistiges Produkt betrach- herauszuarbeiten und zu stärken. tet und die betreffenden Materialien werden Die Rezeption des Textes von Weininger be- nur im kleinen Umfang gesichert und bear- gann in Polen jedoch, noch bevor die Über- beitet. setzung erschien. Die polnischen Frauen- Am Beispiel der polnischen Karriere von Ge- rechtlerinnen in Lemberg lasen Geschlecht schlecht und Charakter kann man verfolgen, und Charakter auf Deutsch und zwar schon wie die Übersetzung als ein bewusst einge- 1905. Als die polnische Übersetzung dann setztes, aber nicht exklusives Mittel von Wis- herausgegeben wurde, war Weininger für die senstransfer funktionierte.

81 Dr. Maciej Górny (Warschau) Der »Deutsche Weg« der polnischen Wissenschaften vom Menschen

Maciej Górny, 2006 promovierte an der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau und am BKVGE mit dem Projekt »Marxistische Geschichtsschreibung in Ostmitteleuropa und die Tradition der nationalen Geschichtsschreibung des 19. Jhs. (in der DDR, in der Volksrepublik Polen und in der Tschechoslowakei« (Publikation 2007, deutsche Übersetzung 2011, englische 2013). Mitherausgeber der Reihe »Discourses of Collective Identity in Central and Southeast Europe (1770-1945)« (Budapest 2006-2014). Ab 2006 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PAN, Institut für Geschichte. In den Jahren 2006-2010 im Zentrum für Historische Forschung der PAN in Berlin. Ab 2014 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Warschau. Redaktionsmit- gied der Acta Poloniae Historica.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts transfers zwischen dem deutschsprachigen kam es in Ostmitteleuropa zu einem zwar Raum und Ostmitteleuropa. Bei den polni- wenig spektakulären aber für die Ideenge- schen Autoren stieß diese Entwicklung je- schichte wichtigen Wandel. Die immer noch doch auf ein Problem: Während die deut- lebhaften intellektuellen Verbindungen mit schen und österreichischen Vertreter der Frankreich ließen nach, die deutsche Wissen- modernsten Forschungsrichtungen (wie z.B. schaft gewann an Bedeutung und Prestige. Albrecht Penck, Gustaf Kossinna, Rudolf Diese Tatsache bezeugt u. a. die wachsende Pöch, Rudolf Martin) nicht selten ihren deut- Studentenzahl aus der Region an den deut- schen Nationalismus manifestierten, war die- schen und österreichischen Universitäten in se Einstellung ihren polnischen Schülern und den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg. Kollegen im besten Fall fremd. Daraus ergab Parallel dazu erlebten die Wissenschaften sich eine faszinierende Umdeutung der aus vom Menschen im Westen Europas und in dem deutschsprachigen Raum kommenden den USA eine Entwicklung. Das Neue, unter wissenschaftlichen und quasiwissenschaftli- verschiedenen Namen und im Rahmen meh- chen Theorien. In dem Prozess einer ›schöpfe- rerer Fachdisziplinen, steuerte in die Richtung rischen Übersetzung‹ wurden sie jetzt an den von Darwinismus und Rassentheorien. Diese polnischen Nationalismus angepasst. Entwicklung manifestierte sich in Form von In meinem Beitrag wird dieser Prozess am Bei- neuen oder modernisierten Forschungsrich- spiel einiger polnischer Wissenschaftler (u.a. tungen wie Anthropogeographie oder Ras- Jan Czekanowski, Eugeniusz Romer, Sta- senanthropologie; in der Soziologie war es nisław Pawłowski, Józef Kostrzewski, Jan K. u.a. die Idee des »Rassenkampfs« (Ludwik Kochanowski) analysiert. Zusätzlich wird ver- Gumplowicz), in der Psychologie wiederum sucht, dieses Phänomen des deutschpolni- die Rassenpsychologie usw. schen Wissentranfers in den regionalen Kon- Die Kongruenz dieser beiden Phänomene re- text Ostmitteleuropas zu setzen. sultierte in der Intensivierung des Wissens-

Katharina Kreuder-Sonnen, M.A. (Bonn/Gießen) Labormedizin in Warschau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – ein Übersetzungsprodukt

Katharina Kreuder-Sonnen hat Geschichte, Öffentliches Recht und VWL an den Universitäten Tü- bingen und Krakau studiert. Seit 2010 arbeitet sie als Mitglied des International Graduate Centre for the Study of Culture an ihrer Promotion zum Thema Wie man Mikroben auf Reisen schickt. Transfer bakteriologischen Wissens nach und in Polen, 1885 – 1939. Zur ihren Forschungsschwer- punkten gehören die Geschichte der Bakteriologie, Wissenstransfer und transnationale Geschich- te. Seit Sommer 2013 ist Katharina Kreuder-Sonnen wissenschaftliche Mitarbeiterin des Medizinhis- torischen Instituts der Universität Bonn.

Ein Großteil der Ärzte (es gab nur wenige Ärz- zierten, hatte im Ausland studiert. Deutsche tinnen), die in der zweiten Hälfte des 19. und französische Universitäten gehörten zu Jahrhunderts im polnischen Königreich prakti- den beliebtesten Studienorten, wobei Berlin

82 und Breslau im letzten Jahrhundertdrittel Paris Dabei wird das Augenmerk weniger auf von seiner Spitzenposition verdrängten. Zu- sprachlichen als auf kulturellen Translations- rück zu Hause trafen dann ganz unterschied- vorgängen liegen. Es soll herausgearbeitet lich ausgebildete Mediziner aufeinander. Der werden, wie die diskursive Aufladung der La- Professor für Histologie an der Warschauer bormedizin als »modern« unter Warschauer Universität, Henryk Hoyer, stellte deshalb im Ärzten eine spannungsreiche Verhandlung Jahr 1903 rückblickend fest: Das Charakteris- über die Frage nach der Verortung »polni- tikum der polnischen Medizin in der zweiten scher« Medizin zwischen Westen und Osten Hälfte des 19. Jahrhunderts hätte in erster Li- einerseits und zwischen »eigen« und »fremd« nie darin bestanden, dass es ein Konglome- andererseits hervorrief. Positivistische Stimmen rat aus deutschen, französischen und russi- forderten eine schnelle Einführung laborme- schen medizinischen Schulen darstellte. dizinsicher Techniken, um die Medizin im Kö- Die »wissenschaftliche Medizin«, die sich ab nigreich auf »modernem« und »westlichen« Mitte des Jahrhunderts insbesondere in Frank- Standard zu halten – ein Postulat, das durch- reich (Claude Bernard) und Deutschland aus nationalen Interessen dienen sollte. Die (Rudolf Virchow) zu etablieren begann, wur- Warschauer Ärztegesellschaft hingegen de von dieser international vernetzten War- pochte auf die besonderen Qualitäten der schauer medizinischen Elite von Beginn an Medizin am Krankenbett und verknüpfte ihre rezipiert. Die »wissenschaftliche«, von Zeitge- Vorteile auch mit der politischen Situation im nossen auch »moderne« Medizin genannt, Königreich. verlagerte diemedizinische Wissensprodukti- Um den Arzt Tytus Chałubiński entstand eine on vom Krankenbett ins Labor. Nicht im direk- »polnische« medizinphilosophische Schule, ten Kontakt mit den Patienten sollte nun me- die die Individualität und Spezifizität eines je- dizinisches Wissen weiterentwickelt werden, den Falles betonte, der ein Arzt nur im unmit- sondern durch das Studieren von Zellstruktu- telbaren Patientenkontakt gerecht werden ren oder Mikroorganismen an der Laborbank. konnte. Aus dieser Konfliktlage gingen lokal Der vorgeschlagene Beitrag möchte die spezifische labormedizinische Praktiken her- Übersetzung der Labormedizin in das War- vor, die der Beitrag genauer beleuchten schauer medizinische Milieu untersuchen. wird.

Dr. Jan Surman (Wien/Warschau) Polnischer Traum. Polnische nationale Philosophie und/als kulturelle Übersetzung

Jan Surman hat Geschichte und Soziologie an der Universität Wien studiert und sich 2012 mit einer Arbeit über »Habsburg Universities 1848-1918. Biography of a Space« promoviert. Die Arbeit wurde mit dem Doc.Award der Stadt Wien ausgezeichnet. Zu seinen weiteren Forschungsschwerpunkten gehören das Verhältnis von Wissenschaft und Nation, die Geschichte der Soziologie, Postkoloniale Theorie und Ostmitteleuropa sowie Wissenschaft und Übersetzung. Jan Surman ist Postdoktorand an der Leibniz Graduate School Geschichte, Wissen, Medien in Ostmitteleuropa.

Polnische Philosophie war zwischen 1840 und zweifacher Weise: 1860 durch idealistische und messianische Zuerst wird gefragt, welche Strömungen Experimente gekennzeichnet, die das göttli- wann, von wem und mit welchem Ziel in die che Absolut mit kultureller Mission der Slaven polnischssprachige philosophische Literatur und der Polen insbesondere vereinbaren aufgenommen wurden. Theorien werden hier wollten. Als polnische oder slawische Philoso- als symbolische Elemente gelesen, die kultu- phie bezeichnet, charakterisierte sich diese relle und epistemische Argumentationssträn- mannigfaltige Bewegung durch starke Re- ge hervorheben und unterstreichen. Es han- zeption deutscher, englischer und französi- delt sich daher nicht um »Rezeption« im her- scher Philosophie. Der Beitrag widmet sich kömmlichen Sinne, sondern um eine interes- diesem Prozess interkultureller Vermittlung am sensgeleitete selektive Aufnahme mit gleich- Beispiel von Bronisław Trentowski, August zeitiger Veränderung der Inhalte durch Neu- Cieszkowski und Józef Gołuchowski aus der kontextualisierung. Perspektive der »cultural translation« in

83 Translation ist aber auch Übersetzung im Sin- Trentowski könnte man, zum Beispiel, von ei- ne von »translation proper« und jede philoso- ner doppelten Übersetzung sprechen – der phische Innovation ist mit Kreation neuer Be- Inhalte des deutschen Idealismus und dessen grifflichkeiten verbunden. Im zweiten Teil der Zugang zur Sprache, des »Idealismus des Präsentation werden daher die lexikalischen Deutschen«, um es mit Orrin F. Summerell Strategien der drei genannter Autoren bei auszudrücken. Die Hervorhebung dieses und Appropriation der im »Original« sehr differen- weiterer sprachlicher und parasprachlicher zierten Terminologien untersucht. In einer Zeit, Phänomene der Translation wird den Mehr- als die polnische philosophische Sprache erst wert der Verbindung zwischen »cultural trans- im Aufbau begriffen war, waren die Spiel- lation« und »translation proper« für die Wis- räume sehr breit und die Publikationen der senschafts- und Ideengeschichte Zentraleu- drei Autoren könnten, trotz gemeinsamer Re- ropas aufzeigen. ferenzen, kaum unterschiedlicher sein. Bei

Dr. Veronika Wendland (Marburg) Kommentar

Ein Biogramm ist nicht rechtzeitig vor Drucklegung eingegangen

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Polnisch-osmanische Nachbarschaft Leitung: Prof. Dr. Stefan Rohdewald (Gießen), Prof. Dr. Dirk Uffelmann (Passau) Biogramme s.u. Moderation: Prof. Dr. Yaşar Sarıkaya (Gießen)

Yaşar Sarιkaya ist Professor für Islamische Theologie und ihre Didaktik an der JLU Gießen. Er studier- te islamische Theologie (Ankara) und Orientalisitk, Islamwissenschaft und Pädagogik (Bochum). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Islamischen Religionspädagogik und Fachdidaktik, in der Islamischen Bildungs- und Ideengeschichte sowie in der Prophetenbiographie und Prophe- tenüberlieferung. Drei neuere Publikationen: Abū Sa‘īd Muhammad al-Hādimī (1701-1762): Netz- werke, Karriere und Einfluss eines osmanischen Provinzgelehrten. Hamburg 2005. Entwicklung der modernen Islamischen Religionspädagogik in der Türkei im 20. Jahrhundert (mit Bülent Ucar). Hamburg 2009. Hadithe für den Islamunterricht. Hückelhoven 2011. http://www.uni- giessen.de/cms/fbz/fb04/institute/islamtheo/personen/sarikaya.yasar

Prof. Dr. Stefan Rohdewald (Gießen) «Die Polen sind unsere ältesten Freunde« und sächsisches Porzellan »à la Turque« als polnisches Gastgeschenk: Polnisch-osmanischer Allianzpoker um 1790

Stefan Rohdewald ist Professor für Südosteuropäische Geschichte an der JLU Gießen. Seine For- schungsschwerpunkte betreffen Erinnerungsdiskurse, Kommunikationsgeschichte der Stadt, der Region und des Staates, Zugänge zu Transkulturalität und Transkonfessionalität in der frühen Neu- zeit sowie Sport-, technik- und wissenschaftsgeschichtliche Verflechtungen zwischen Ost- und Westeuropa im 20. Jh. Zwei neue Publikationen: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Kon- stitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff, hg. v. Joachim Bahlcke, Stefan Rohdewald, Thomas Wünsch. Berlin 2013; Das osmanische Europa. Methoden und Perspektiven der Frühneuzeitforschung zu Südosteuropa, hg. v. Andreas Helmedach, Markus Kol- ler, Konrad Petrovsky und Stefan Rohdewald. Leipzig 2014.

Die polnisch-osmanische »ewige Friede« von schlugen. Das Referat beleuchtet die intensi- 1533 erfolgte vor der Übereinkunft Frankreichs ven Verhandlungen zwischen Konstantinopel mit der Hohen Pforte und galt nahezu 100 und dem gezeichneten Polnisch-Litauischen Jahre lang. Das 15., 16. und das 18. Jh. wa- Commonwealth in den letzten Jahren seiner ren trotz der Kriege des 17. Jhs. von friedli- Existenz im europäischen Zusammenhang auf chen Beziehungen gekennzeichnet, die sich der Grundlage polnischer, französischer und nicht nur im Handel mit Luxusgütern nieder- osmanischer Quellen.

Prof. Dr. Dirk Uffelmann (Passau) Reale Nachbarn und imaginierte Identität. Osmanische ›Sarmatica‹ im aufklärerischen Polen

Dirk Uffelmann studierte Slavistik und Germanistik in Tübingen, Wien, Warschau und Konstanz. Pro- motion in Konstanz 1999, Habilitation in Bremen 2005. Er lehrte und forschte an den Universitäten Bremen, Erfurt, Edinburgh, Bergen, Kalamazoo (MI), Cambridge und München und ist Professor für Slavische Literaturen und Kulturen an der Universität Passau. Seine Arbeitsgebiete sind russische, polnische, tschechische und slowakische Literatur-, Philosophie- und Religionsgeschichte, Interkul- turalität, Migration, postkoloniale Theorie, Masculinity und Internet Studies. Uffelmann ist Mithe- rausgeber von »Contemporary Polish Migrant Culture and Literature in Germany, Ireland, and the UK«, der »Zeitschrift für Slavische Philologie« und der Reihen »Postcolonial Perspectives on Eastern Europe« und »Polonistik im Kontext«.

85 Der Vortrag kombiniert Ansätze aus Material Schritt geht es um die materiellen Anzeiger Culture, Masculinity Studies und Postcolonial der Krise des Sarmatismus in der Zeit der pol- Studies. Im Fokus steht die Krise der mythi- nischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts schen Selbstidentifikation des polnischen und deren literarische Umsetzung, besonders Adels mit den antiken Sarmaten. Es wird im bei Kitowicz und Karpiński (Żale Sarmaty). Ab- ersten Schritt untersucht, wie männliche Adli- schließend wird die Frage gestellt, auf wel- ge sich in der frühen Neuzeit mit materiellen chen Zeitraum die Sattelzeit im polnischen Metonymien orientalischer Herkunft (wie per- Verhältnis zum Orient zu datieren ist, das Kip- sischen Krummsäbeln und türkischen Ge- pen exzeptioneller positiver Selbstorientalisie- wänder) zu ›Sarmaten‹ stilisierten, wie also rung in modernen europäischen Orientalis- mittels imaginierter ›Sarmatica‹ positive Selbs- mus im Sinne Edward Saids. torientalisierung betrieben wurde. Im zweiten

Jun.-Prof. Dr. Heinrich Kirschbaum (Berlin) Entführung aus dem Serail oder Salon-Orientalismen eines Provinz-Dandys

Heinrich Kirschbaum (geb. 1974) ist seit Wintersemester 2013 Juniorprofessor für westslawische Lite- raturen und Kulturen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Arbeitsgebiete sind polnisch- ostslavische und slavisch-deutsche Kultur und Literaturbeziehungen, postkoloniale Theorie, Inter- textualität und Interkulturalität, (Neo)Tropologie, Romantik, ost(mittel)europäische Lyrik. Monogra- phien: Valgally beloe vino. Nemeckaja tema v poėzii O. Mandel’štama [Walhallas weißer Wein. Das deutsche Thema in der Lyrik Osip Mandel’štams] (Moskau 2010) sowie Postkolonialismus und Intertextualität. Adam Mickiewicz und polnisch-russisches (anti)imperiales Schreiben (in Druckvor- bereitung).

Im Vortrag werden drei nicht kanonische Tex- der äsopischen Figur des »litauischen Ja- te aus Adam Mickiewicz’ Frühwerk analysiert, nitscharen« Konrad Wallenrod herausarbei- in denen sich die für die Generation der ten wird. Wie tiefgründig scheinbar spieleri- 1820er Jahre charakteristische (anti)koloniale sche orientalistische Diktionen mit Mickiewicz’ Identität stiftende Verschränkung von Nord antikolonialen Identitätsstrategien zusam- und Orient-Diskursen niederschlägt. Mit kolo- menhängen, illustriert das Gedicht Wschód i nial-exotischen Realien wird in Zima miejska północ (1825), geschrieben ins Album der (1818) der Alltag eines Wilnaer Dandys deko- Gattin des Orientalisten Józef Sękowski, des- riert: Orientalismen stellen einen untrennba- sen selbstrussifizierendes Integrationsverhal- ren Teil der Selbsturbanisierungs und somit ten Mickiewicz missbilligte. Die ästhetische Selbsteuropäisierungsstrategien des aus der Metonymie »Orient – Norden« polarisiert sich Provinz stammenden Dichters dar. Komplexe- hier zu einer ethischen Dychotomie. In re Funktionen und Konnotationen erfahren Wschód i północ nimmt Mickiewicz Abschied orientalische Bilder in der »türkischen Ballade« sowohl von den ornamentalen Salon- Renegat (1824), in der reziproke Polonisierun- Orientalismen (wie in Zima miejska) als auch gen des Orientalischen und Osmanisierungen von den hypertrophierten Osmanismen wie in des Polnischen selbstironisch verhandelt wer- Renegat. Die Botschaft, die Mickiewicz mit den. In diesem orientalischen Metasujet übt dem Gedicht an Sękowski, vor allem aber sich Mickiewicz in der modischen Poetik des auch als Warnung an sich selbst richtet, lau- Exotischen, karikiert jedoch zugleich Klischees tet: Dem Orientalismus fehlt, trotz all seiner li- des europäischen Orientalismus. Außerdem terarischen Attraktivität und Aktualität, die für enthält die orientalistische Renegatenthema- die polnische Identitätsstiftung entscheiden- tik bereits das Sujet des verschwörerischen de mnemonisch-historische Dimension. (Pseudo-)Verrats, das Mickiewicz später in

86 Arkadiusz Blaszczyk, M.A. (Gießen) Franciszek Henryk Dusiński und Mustafa Celaleddin Paşa Zwei polnische Exilanten und ihr Beitrag zum »Turanismus«

Arkadiusz Blaszczyk, 2008-2012: BA-Studium der Osteuropäischen Geschichte, Slavistik und Turko- logie an der JLU Gießen, WS 2010/2011: Erasmus-Semester an der YTÜ Istanbul, 2012/2013: Master- Studium Geschichte an der JLU Gießen, seit Sept. 2013: BA-Studium der Orientwissenschaften an der Universität Marburg, seit Okt. 2013: Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt »Gewaltge- meinschaften« zum Thema »Nogaier und Tataren als Gewaltgemeinschaft«.

Der Ethnograph Franciszek Henryk Duchiński dieser Duchińskis Thesen radikal um – er ver- ist eine kontroverse Gestalt der Wissenschaft eint Turanier und Arier zu Turo-Ariern, wobei er des 19. Jahrhunderts. Seine anti- die Russen selbstverständlich ausschließt. Mit panslawistisch motivierte Theorie, die Russen seinen ethnographisch-historischen Ausfüh- seien keine Slawen, sondern »Turanier«, die rungen und zahlreichen Sprachvergleichen das Slawentum usurpiert hätten, genoss in versucht er nachzuweisen, dass die Türken den 1860er-1880er Jahren unter Polen einige die Urzivilisation Europas stellten und ein Popularität, in den 1860ern auch in Frank- Bündnis der Türken mit Europa nur ihrem We- reich. Zu den Turaniern gehörten Duchiński sen entsprechen würde. Obwohl Mustafa zufolge nicht nur die Finnen und Mordwinen Celaleddin Duchiński als seinen »intime ami« und ihre sich unter einem russisch-slawischen bezeichnete, bleibt ihr gegenseitiges Ver- Tarnmantel versteckenden Brüder, die mos- hältnis quellentechnisch im Dunkeln. Mustafa kali, sondern auch Chinesen, Semiten und Celaleddins Werk ist dabei der erste »türki- natürlich die Türken/Osmanen. Während Du- sche« Versuch der eurozentrischen Wissen- chiński Theorie in Polen recht bald verworfen schaft Europas mit ihren eigenen Paradig- wurde, fand sie im anti-russischen nationaluk- men die Stirn zu bieten und gleichzeitig Vor- rainischen Diskurs weiter fruchtbaren Boden. bote des türkischen Nationalismus. Jedoch Weniger bekannt ist dagegen ihre Spur ins findet das Buch aufgrund seines amateurhaf- Osmanische Reich. Duchiński hielt sich zwi- ten Charakters zeitgenössisch keinen Wider- schen 1849 und 1856 als Agent des Hotel hall im Osmanischen Reich und anderswo. Al- Lambert in Istanbul auf und war gleichzeitig lerdings wurden seine Ideen in und von der publizistisch aktiv. Es gibt Hinweise auf eine eigenen Familie weitergetragen. So war der Rezeption von türkischer Seite, die jedoch Schwiegersohn von Mustafa Celaleddins weiterer Recherche bedürfen. Sicher ist, dass Sohn Hasan Enver, Samih Rifat, ein Vertrauter seine Thesen keine nachhaltige Resonanz er- Atatürks, Initiator der These des Türkischen als fuhren, abgesehen von der Arbeit eines pol- Ursprache, die später in der vom türkischen nischen Konvertiten namens Mustafa Celale- Staat offiziell vertretenen Sonnensprachtheo- ddin Pascha (Konstanty Borzęcki). In seinem rie ihren Höhepunkt fand. Buch Les Turcs anciens et modernes wertet

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Erinnerungskulturelle Sektion Leitung: Prof. Dr. Robert Traba (Berlin)

Robert Traba, Prof. Dr., geb. 1958, Historiker, Politik- und Kulturwissenschaftler; Direktor des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin, Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission, Chefre- dakteur der Zeitschrift „Borussia“, Mitglied zahlreicher polnischer und internationaler Wissen- schaftsgremien, u.a. im Vorstand der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit; Co- Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission; stellvertretender Vorsitzender des In- ternationalen Beirats der Stiftung Topographie des Terrors; Forschungsschwerpunkte: Deutsche und polnische Kulturgeschichte, Regionalismusforschung.

Dr. Katharina Mann (Köln) Polonia – eine Nationalallegorie als Erinnerungsort in der Polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts

Dr. Katharina Ute Mann erwarb den Titel »Meisterschüler« (2004) und ihr Diplom in freier Malerei bei Prof. Rissa an der Kunstakademie Düsseldorf (2006). Im Jahre 2007 folgte der interne Magister an der Universität zu Köln, woraufhin sie zum Promotionsstudium zugelassen wurde. Der akademische Grad »Doktor der Philosophie« wurde ihr 2013 nach der binationalen Promotionsordnung Cotutelle von der Universität zu Köln gemeinsam mit der Akademia Ignatianum in Krakau verliehen. Die Doktorarbeit Polonia – eine Nationalallegorie als Erinnerungsort in der polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts wurde im selben Jahr veröffentlicht.

Mein Dissertationsprojekt mit dem Titel »Polo- nen differenzierten Blick auf die 123 Jahre nia – Eine Nationalallegorie als Erinnerungsort Fremdherrschaft Polens zu erhalten, indem in der polnischen Malerei des 19. Jahrhun- nicht nur historische Fakten aufgeführt wur- derts« analysiert vaterländische Kunstwerke den, sondern durch das Prisma der nationa- und ihre Schöpfer in Hinblick auf die selbstre- len Malerei geblickt werden sollte. Gleichzei- flektierende Sicht auf einen nicht existenten tig wurde der Nationalallegorie »Polonia«, als Staat. eines der vielseitigsten Beispiele der Entwick- Hervorhebend wurde untersucht, wie Künstler lung von polnischen Erinnerungsorten im 19. Werke schufen, die den Betrachter an die Jahrhundert, ein größerer Rahmen dargebo- einstige Erhabenheit der Nation erinnerten, in ten. Es wurde darauf eingegangen, wie diese einer Zeit, in denen polnische Schulen verbo- besondere nationale Identifikationsfigur von ten und von den Teilungsmächten eine Künstlern verwendet wurde, um eine starke Germanisierung bzw. Russifizierung der Bevöl- Impression auf den Betrachter zu erwirken kerung verfolgt wurde. Diesbezüglich konnte und somit nachhaltigen Einfluss auf die kollek- beobachtet werden, dass die Künstler in ih- tive Erinnerung zu erzielen. ren unterschiedlichen Medien »Erinnerungsor- Die Studie konnte dabei abschließend auf- te« schufen, um ein kollektives Gedächtnis zeigen, dass Polonia ein atypischer Erinne- aufzubauen sowie die eigene nationale rungsort ist, der sich nicht auf eine eigene Bi- Identität zu bewahren, vor allem mittels ografie stützt, sondern durch Assoziationen Rückgriff auf die eigene Geschichte als wich- kreiert wird, sei es durch christliche Ikonogra- tige Quelle. fie oder die Biografie anderer Personen, da- Die neu konzipierte Geschichtsbetrachtung mit der Betrachter die Idee eines nicht exis- von Pierre Nora, die er als Erinnerungsorte be- tenten Staates erhält. zeichnet hat, diente in dieser Studie dazu, ei-

88 Dr. Katarzyna Woniak (Berlin) Verspätetes Verständnis Deutsche Kommunen und ihre Erinnerungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter

Dr. Katarzyna Woniak ist Historikerin und Ethnologin. Seit 2013 ist sie als wissenschaftliche Mitarbei- terin am Zentrum für Historischen Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften tätig und arbeitet an ihrem Habilitationsprojekt zu Lebenswelten polnischer Zwangsarbeiter in Ber- lin 1939-1945. Sie studierte Geschichte an der Universität in Posen sowie Neuere und Neueste Ge- schichte, Mittelalterliche Geschichte und Europäische Ethnologie/Volkskunde an der Universität Augsburg. 2012 wurde sie im Rahmen einer binationalen Promotion zwischen der Universität Augsburg und Universität Posen mit der Dissertation: »Von Verdrängen bis Wiederentdecken. Die Erinnerungskulturen in den west- und nordpolnischen Kleinstädten Labes und Flatow seit 1945. Eine vergleichende Studie« promoviert.

Das Thema »Zwangsarbeit während des Zwei- ligen Zwangsarbeitern auf und organisierten ten Weltkrieges« wurde bis in die 1980er Jahre Begegnungen, bei denen die früher dort in Deutschland sowohl im wissenschaftlichen eingesetzten Polen 60-70 Jahre später die Or- Umfeld als auch in der Gesellschaft kaum te ihrer Zwangsarbeit besuchen konnten. Die- wahrgenommen. Nur sehr zögernd griffen die se Treffen erwiesen sich als beispielhafte Bil- Historiker die Erforschung der Problematik der dungsarbeit, denn die Zeitzeugen trugen mit nahezu 12 Millionen in der NS-Wirtschaft ihren Erinnerungen wesentlich zur Herausbil- zwanghaft eingesetzten ausländischen Ar- dung des Verständnisses der heutigen loka- beitskräfte auf. Erst die Auseinandersetzung len Bevölkerung für dieses sensible Thema mit der Entschädigung der Zwangsarbeiter in bei. Die Zwangsarbeiter selbst erhielten hin- den 1990er Jahren setzte die Zwangsarbeit gegen die Möglichkeit, ihre Schicksäle auf- auf die Agenda der historischen Forschung. zuarbeiten. Auf lokale Initiativen hin wurden Es entstanden dabei zahlreiche Studien über Gedenksteine und andere Erinnerungsorte die lokale Dimension des Ausländereinsatzes. gestiftet, die an den Einsatz der Zwangsarbei- Mehrere deutsche Gemeinden beauftragten ter in den Dörfern und Städten erinnerten. Im Historiker (häufig Ortshistoriker ohne universi- Vortrag wird an einem konkreten Beispiel die täre Praxis) mit der wiss. Analyse der ortsbe- kommunale Erinnerung an die Zwangsarbei- zogenen Geschichte der Zwangsarbeit. Über ter dargestellt. Zu fragen ist, wie tragfähig die Zusammenstellung der Fachexpertisen und nachhaltig sind für die jeweilige lokale Er- hinaus arrangierten sich einige Kommunen in innerungskultur und die Betroffenen selbst die Erinnerungs- und Bildungsarbeit. In örtlichen gestifteten symbolischen Orte? Was können Schulen wurden nicht selten Workshops zu sie zum Verstehen der Ereignisse, die fast 70 dieser Problematik veranstaltet. Zudem nah- Jahre zurückliegen, und zum gegenseitigen men die Kommunen Kontakt zu den ehema- Verständnis der Nachbarn beitragen?

Monika Heinemann, M.A. (München) Nationale Minderheiten in musealen Geschichtsbildern der Republik Polen, 1980–2010

Historikerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Collegium Carolinum in München. 2002–2007 Studi- um der Volkswissenschaften, osteuropäischen Geschichte und Politikwissenschaften in Bamberg, St. Petersburg (Russland) und München. Seit Ende 2008 Promotion zum Thema »Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg im Spiegel historischer Ausstellungen – Die Republik Polen 1990–2010« (Be- treuer: Prof. Dr. Martin Schulze Wessel, LMU München). 2012 Halbjahresstipendiatin des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich Erinnerungskulturen im öst- lichen Europa mit Schwerpunkt auf Polen sowie der Museologie.

Historische Museen sind Institutionen, in de- nist der meisten musealen Geschichtsbilder nen Eigen- und Fremdbilder sowohl konstru- ist, ist dabei eng mit der Abgrenzung von iert als auch perpetuiert werden. Die Definiti- »Anderen« oder »Fremden« verbunden. Histo- on der eigenen Gemeinschaft, die Protago- rische Ausstellungen transportieren daher

89 auch immer Vorstellungen darüber, welche men diese beiden Gruppen eine wesentliche ethnischen, nationalen und religiösen Grup- Rolle in der Geschichte des Zweiten Weltkrie- pen als Teil der »eigenen«, meist national ges, in seiner nachträglichen Wahrnehmung konnotierten Geschichte begriffen werden. durch die polnische Gesellschaft und in den Im Beitrag wird die Wandlung der musealen Debatten darüber ein. Während beide Min- Wahrnehmung und Darstellung einzelner na- derheiten während der Volksrepublik in den tionaler Minderheiten – als Feindbilder, musealen Erzählungen weitgehend margina- Fremdkörper oder Teil polnischer Geschichte lisiert waren – durch eine Vereinnahmung un- – in historischen Museen der Republik Polen in ter das polnische Martyrium im ersten und ei- den vergangenen drei Jahrzehnten analy- ne generelle Zuordnung zum deutschen Ag- siert. Gegenstand der Analyse sind Dauer- gressor im zweiten Fall –, haben sich die Dar- ausstellungen, die die Geschichte des Krie- stellungsmodi in Museen in den letzten 10–15 ges und der Besatzungen der Jahre 1939– Jahren gewandelt und differenziert. Der Bei- 1944/45 thematisieren. trag analysiert Hintergründe der Bandbreite Im Zentrum der Betrachtungen stehen zwei an Gemeinschaftsvorstellungen, die die ge- Minderheiten, die eine lange Geschichte der genwärtige polnische historische Museums- Nachbarschaft, des Konflikts und des Zu- landschaft kennzeichnet, und gibt einen Ein- sammenlebens mit der Titularnation kenn- blick in die Funktion einzelner Darstellungs- zeichnet – die jüdischen und deutschen Bür- weisen für das jeweils präsentierte Ge- ger der Polnischen Republik. Zugleich neh- schichtsbild.

Prof. Dr. Winson Chu (Milwaukee, WI) »Das wiederhergestellte Gedächtnis«: Deutsch-polnische Erinnerungspolitik in Łódź nach 1989

Winson Chu ist Associate Professor of Modern Central European History an der University of Wis- consin-Milwaukee. Er erhielt seinen Ph.D. von der University of California, Berkeley. Sein Buch The German Minority in Interwar Poland (Cambridge University Press, 2012) erschien in der Schriftenrei- he des Deutschen Historischen Instituts Washington. Er ist Mitautor des Artikels A Sonderweg through Eastern Europe? The Varieties of German Rule in Poland during the Two World Wars, der 2013 in German History erschien und mit dem German History Article Prize ausgezeichnet wurde. Gegenwärtig arbeitet Dr. Chu an einer Geschichte der Stadt Łódź mit besonderem Blick auf die Konkurrenz zwischen deutschen, polnischen und jüdischen Nationalismen von 1880 bis 2009. Er ist zur Zeit Fellow am Imre Kertész Kolleg Jena.

Die gegenwärtige Suche nach deutschen Seit 1989 haben Polen und Deutsche die mul- Spuren in Polen ist von lokalen, nationalen tiethnische Vergangenheit wieder aufgegrif- und internationalen Interessen geleitet. Diese fen und die komplizierten Verflechtungen vielseitigen Motivationen führen dazu, dass zum lehrreichen Leitfaden für eine gemein- die deutsche Vergangenheit oft auf wider- same europäische Zukunft uminterpretiert. sprüchliche Weise eingesetzt wird. Sehr deut- Mein Vortrag argumentiert, dass Politiker, lich lässt sich diese Entwicklung an der Stadt Schriftsteller und Vertreter der Stadt eine nos- Łódź beobachten. Diese Stadt verkörpert die talgische Vision von Łódź aufgebaut haben, großen Umbrüche der neueren europäischen in der nationale Identität essentialisiert wird. Geschichte. Im neunzehnten Jahrhundert Dieser Prozess der Rückeroberung einer ver- wurde Łódź ein wichtiges Industriezentrum meintlich multikulturellen bzw. europäischen und wuchs dann schnell zur zweitgrößten Koexistenz wird auch an der Wiederentde- Stadt in den polnischen Gebieten heran. Die ckung des Namens »Litzmannstadt« deutlich, Stadt hatte einst eine deutschsprachige der die Besatzungszeit von der allgemeinen Mehrheit und war zudem ein Zentrum jüdi- Stadtgeschichte abzugrenzen sucht. Dieser schen Lebens in Mitteleuropa. Łódź wurde Vorgang eröffnet einen diskursiven Raum, der sowohl im Ersten als auch im Zweiten Welt- Platz für positive multikulturelle Narrative in krieg von den Deutschen besetzt, und wurde der Stadtgeschichte bietet. Gleichzeitig sind 1940 in »Litzmannstadt« umbenannt. Das diese deutsch-polnischen Erzählungen oft im Ghetto im Norden der Stadt spielte eine Widerspruch mit allgemeinen Trends in der wichtige Rolle im Holocaust. europäischen Erinnerungspolitik zu sehen.

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Übersetzung/Translation Leitung: Prof. Dr. Bożena Chołuj (Frankfurt/Oder)

Prof. Dr. Bożena Chołuj, Warschauer Universität (Germanistik und Gender Studies); Europa- Universität Viadrina in Frankfurt/Oder (Lehrstuhl für Deutsch-polnische Kultur- Literaturbeziehungen und Gender Studies). Autorin des Begleitprogramms zum Dedecius-Archiv am Collegium Poloni- cum in Slubice, das literarische und wissenschaftliche Übersetzung umfasst. Mitglied von Deut- schem Hochschulverband, IVG, IAPh, Erich Mühsam-Gesellschaft, Otto Gross-Gesellschaft. Mitbe- gründerin und Kooredaktorin von »Katedra« und »Ost-West-Diskurse«, Herausgeberin und Hauptre- dakteurin vom deutsch-polnischen Translationsjahrbuch »OderÜbersetzen«. Sie publiziert auf Pol- nisch und Deutsch zu unterschiedlichen Themen aus dem Bereich der Literaturwissenschaft und Gender Studies, sowie Kulturwissenschaft. Autorin von folgenden Büchern: Deutsche Schriftsteller im Banne der Novemberrevolution 1918 (Wiesbaden 1991) und Alltag als Enge in deutschen Pro- sawerken vom Ende des 19. Jhs. bis zur Gegenwart. (Warschau 1999).

Prof. Dr. Michael Düring (Kiel) Warschau übersetzen: Anmerkungen zur Neuübersetzung von Antoni Słonimskis Roman Dwa końce świata (1936)

Michael Düring, geboren 1963, studierte 1984-1992 Englische Philologie, Ostslavische Philologie und Westslavische Philologie an der Westfälischen-Wilhelms-Universität zu Münster. 1994 Promotion an der Westfälischen-Wilhelms-Universität zu Münster. 1995-2001: Assistent am Lehrstuhl für Slawi- sche Literaturwissenschaft der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 2001: Habilitation. 2002- 2006: Oberassistent am Lehrstuhl für Slawische Literaturwissenschaft der Ernst-Moritz-Arndt- Universität Greifswald. WS 2003/04: Vertretungsprofessur am Institut für Slavistik der Universität Wien (Westslavistik). Seit Oktober 2006: Professur für Slavistische Kultur- und Literaturwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Als Antoni Słonimski seinen Roman Dwa ßen, Plätze und Architektur Warschau der końce świata im Jahr 1936 in Fortsetzungen 1930er Jahre beschreibt. für die Wiadomości Literackie sehr schnell, ja Übersetzer/innen des Słonimskischen Romans fast in Form einer Karikatur verfasste, be- stehen nun unter anderem vor der Aufgabe, schrieb er darin, als Handlungsgegenwart Rezipienten, die mit dem polnischen Kultur- das Jahr 1950, als Handlungsort Warschau raum nicht vertraut sind, das Warschau der wählend, die Auslöschung der Menschheit 1930er Jahre, wie Słonimski es im Roman be- auf der gesamten Welt durch eine neuartige schreibt, näher zu bringen. Dazu können ver- Waffe, die so genannten »Blauen Strahlen«, in schiedene Möglichkeiten gewählt werden. der einschlägigen Forschung als »Vorläufer Im vorliegenden Fall bietet sich eine kom- der Neutronenbombe« apostrophiert. mentierende, Eigennamen und Realia be- In dieser apokalyptischen Phantasie überle- wahrende Übersetzungsstrategie an, die in ben allerdings einzelne Menschen die Kata- Fuß- oder Endnoten notwendige Kommenta- strophe, darunter ein Buchhandelsgehilfe re anführt um dem Leser/der Leserin der namens Henryk Szwalba, der in Warschau zu- Übersetzung entsprechende Verständnishil- nächst allein zurechtkommen muss. Wie ihm fen zu geben. Zudem kann in einem Anhang dies in der entvölkerten Großstadt gelingt, Bild- und Kartenmaterial ergänzt werden, so gehört zu den faszinierendsten Sequenzen wie es inzwischen auf zahlreichen Internetsei- des Romans, insofern Słonimski darin ein lite- ten zugänglich ist. Auf diese Weise entsteht rarisches Bild Warschaus entwirft, das verein- auch in Übersetzungen ein anregendes Bild zelt zwar Ähnlichkeit mit dem hat, das wir aus Warschaus der 1930er Jahre, das trotz der historischen Aufnahmen aus der Zeit nach Restaurierungsarbeiten und Wiederaufbau- dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Erinne- maßnahmen zu großen Teilen unwiederbring- rung haben, zugleich aber anschaulich Stra- lich verloren gegangen ist.

91 Dr. Markus Eberharter (Warschau) Literarische ÜbersetzerInnen als Akteure der Vermittlung deutschsprachiger Literatur in Polen nach 1945. Am Beispiel von Wanda Kragen

Markus Eberharter, Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte Linguistik der Universität Warschau. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Germanistik in Inns- bruck und Wien, Promotion mit einer Arbeit über Tytus Czyżewski und den polnischen Formismus an der Europa-Universität-Viadrina in Frankfurt (Oder). Die Schwerpunkte der aktuellen wissen- schaftlichen Forschung liegen in den Bereichen literarische Übersetzung zwischen Polen und den deutschsprachigen Ländern nach 1945 sowie Literatur- und Translationssoziologie. Publikationen aus diesen Bereichen auf Deutsch und Polnisch.

Die Leistung literarischer ÜbersetzerInnen für sich zu deutsch-polnischen Fragen äußert. So den interkulturellen Dialog beruht nicht allein plädiert sie als eine der ersten dafür, das darauf, Texte zu übertragen. Übersetzer sind schwarz-weiße Deutschlandbild, das in Polen vielmehr aktive Kulturmittler, die sich in vielfäl- bis 1956 vorherrscht, zu relativieren und ver- tiger Weise in kulturelle Transferprozesse ein- weist auf die Notwendigkeit einer differenzier- bringen. Sie können Autoren oder einzelne ten gegenseitigen Wahrnehmung. In einem Werke zur Übersetzung vorschlagen, durch weiteren Schritt soll versucht werden, über- publizistische Texte das Interesse für bestimm- setzerische Entscheidungen oder Strategien, te Autoren fördern oder schließlich durch die die bei konkreten Texten eingesetzt werden, Übersetzungsstrategien, die sie in den von zum einen mit dem Erwartungshorizont des ihnen übersetzten Texten anwenden, konkre- polnischen Leserpublikums sowie mit der so- te Vorgaben für die Rezeption eines Textes zialen oder biographischen Verortung der machen. In all den genannten Fällen neh- Übersetzerin in Verbindung zu bringen. men sie Einfluss auf das Bild, das sich die Ziel- Ziel des Referates ist es, an einem konkreten kultur von der Ausgangskultur macht. Beispiel die vermittelnde Rolle und die Leis- Im Referat möchte ich am Beispiel der Über- tung von ÜbersetzerInnen insgesamt im litera- setzerin Wanda Kragen die oben erwähnten rischen und kulturellen Austausch zwischen Aspekte deutlich machen. Analysiert werden Polen und den deutschsprachigen Ländern nicht nur ihre einzelnen Übersetzungen z. B. stärker in den Vordergrund zu rücken sowie von Heinrich Böll oder Stefan Zweig, sondern sie als Persönlichkeiten des interkulturellen auch ihre publizistische Tätigkeit, in der sie Transfers sichtbar zu machen.

Dr. Paula Wojcik (Jena) Antisemitismus als Diskursfeld in der deutschsprachigen interkulturellen Literatur aus Polen

Paula Wojcik, geboten 1979 in Wrocław, ist Geschäftsführerin des Forschungszentrums »Laborato- rium Aufklärung« an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie studierte in Bremen Germanistik/ Philosophie, absolvierte Forschungsaufenthalte an der University of Southern California, Los Angeles (USA), und an der Universität Warschau; 2008-2011 Stipendiatin an der Doktorandenschule »Laboratorium Aufklärung«, Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2012 Promo- tion in Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft an der Friedrich-Schiller Universität Jena. »Das Ste- reotyp als Metapher. Zur Demontage jüdischer Stereotype in der Literatur.«

Wie gehen Menschen mit der Vergangenheit Wege der literarischen Auseinandersetzung eines Landes um, das nicht ihre Heimat ist, in mit Themenkomplexen um Schuld, Vergan- das sie eingewandert sind? Wie gehen sie genheitsbewältigung, Opfer- und Täterrollen insbesondere mit einer problematischen Ver- und damit zusammenhängenden Identitäts- gangenheit um, wenn die Geschichte ihres bestimmungen und -zuschreibungen finden Herkunftslandes und des Referenzlandes so Autoren, die als Vertreter der sogenannten eng miteinander verwoben sind, wie dies bei interkulturellen Literatur gelten? Wie sehen sie Polen und Deutschland der Fall ist? Welche als Polen den Umgang mit der Vergangen-

92 heit in dem »Täterland« und wie beurteilen sie sich die Autoren bedienen, um diese zu in- aus der Perspektive der Diaspora den Diskurs szenieren. im eigenen Land? Am Beispiel von Vertretern Die leitende These des Beitrags ist, dass in der der deutschsprachigen interkulturellen Litera- Auseinandersetzung mit dem Zweiten Welt- tur aus Polen wie Artur Becker, Dariusz Muszer krieg die interkulturelle Literatur aus Polen mit oder Sabrina Janesch soll in dem Beitrag un- zahlreichen Perspektiven aufwartet und sie tersucht werden, welche Formen die literari- im Lichte des historisch belasteten Verhältnis- sche Auseinandersetzung mit der deutschen ses zwischen Deutschen und Polen themati- und polnischen Geschichte zur Zeit des Zwei- siert. Das Dreieck Polen- Juden-Deutsche ten Weltkrieges, dem Thema der Judenver- wird genutzt um auf allen Seiten herrschende nichtung und vor allem dem historischen Missverständnisse, Vorurteile und Wissenslü- aber auch aktuellen Antisemitismus in beiden cken auszuloten, was jedoch ohne erhobe- Ländern annimmt und welcher Strategien nen Zeigefinger geschieht.

Prof. Dr. Alexander Wöll (Greifswald) Hybridität und Übersetzung bei Miron Białoszewski

Professor Dr. Alexander Wöll, 1968 in Kempten (Allgäu) geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Slawistik an der Ludwig Maximilians Universität München, der Humboldt Universität zu Berlin und der Staatlichen Linguistischen Universität Moskau. Nach seiner Promotion 1997 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Regensburg, war mit einem Stipendium der Alexan- der von Humboldt-Stiftung an der Karls-Universität Prag und habilitierte sich 2006. Im Anschluss da- ran war er Dozent für tschechische, slowakische und russische Philologie an der Universität Oxford und nahm 2008 einen Ruf auf eine Professur für Ost- und Westslawische Philologie an der Ernst- Moritz-Arndt-Universität Greifswald an. Er ist Vorsitzender des polenmARkT e.V. und der Deutschen Assoziation der Ukrainisten (DAU) sowie Autor zahlreicher Bücher.

Miron Białoszewski ist ein Autor von Hybridität matisieren, vielmehr überwindet er die gän- par excellence. Er mischt in seinem Schaffen gigen pathetischen polnischen Mythen eines nicht nur weit auseinander liegende Textgat- katholischen Messianismus und der Selbstde- tungen, sondern spielt auch derart stark mit finition eines Bollwerks gegen das östliche den Geschlechterrollen, wobei er das Weibli- Asien. Der Vortrag wird anhand ausgewähl- che übertreibt, dass am Ende die gesamte ter Gedichte die Wechselwirkung zwischen Opposition zwischen Männlich und Weiblich poetischen Verfahren und der vielschichti- in sich zusammenbricht. Der Begriff der Hybri- gen Hybridität beleuchten und darüber hin- dität muss in einer breiten Definition verwen- aus das Motiv in sich verschwimmender det werden, da Białoszewskis Texte weder Grenzen als programmatisch für Białoszewskis Postkolonialismus, noch Multikulturalität the- Schreiben definieren.

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Nachbarinnen stellen sich vor. Übersetzungspraktiken als Verständigungsprozesse? Die Geschlechterperspektive im deutsch-polnischen Kontext um 1900 Leitung und Kommentar: Dr. Dietlind Hüchtker (Leipzig)

Dietlind Hüchtker, Promotion 1996 an der Technischen Universität Berlin mit einer Studie zu Ge- schlecht und Armenpolitik in Berlin vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit 2003 am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig. Habilitation 2012 (MLU Halle-Wittenberg) »Geschichte als Performance. Politische Bewe- gungen in Galizien um 1900«, erscheint 2014 bei Campus in der Reihe Geschichte und Geschlech- ter. Forschungsschwerpunkte: Geschlechtergeschichte, Körpergeschichte, Armut und Sozialpolitik, Politische Bewegungen. Projekte: Arbeit, Liebe, Gewalt in ländlichen Gesellschaften, Geschlech- terbeziehungen und Utopie. Mitherausgeberin der WerkstattGeschichte.

Iwona Dadej, M.A. (Berlin) Übersetzungspraktiken in der Frauenbewegung um 1900. Wissensgewinnung und -weitergabe durch Übersetzungen der programmatischen Schriften der Frauenbewegung

Iwona Dadej, M.A., Historikerin, Doktorandin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Dis- sertationsthema »Die Frau von Morgen« Frauenpolitisch aktive Akteurinnen der Zwischenkriegszeit. Transnationale Verflechtungen der deutschen und polnischen Akademikerinnen. Forschungs- schwerpunkte: Geschichte der mitteleuropäischen Frauenbewegung um 1900, Migration (insbe- sondere Bildungsmigration), Wissenschaftsgeschichte

Die europäische Frauenbewegung stellte in barland große Bekanntheit und wurden breit ihrer Hochphase um 1900 eine eigene starke rezipiert. Die Texte von Dohm und Orzeszko- frauenpolitische Öffentlichkeit dar, die unter wa gaben – unabhängig von ihrem Genre – anderem auf ein breites Netzwerk sprach- die Stoßrichtung für gesellschaftspolitische gewandter Übersetzerinnen zurückgreifen Debatten im eigenen Lande und im grenz- konnte. Auch wurde die Frauenbewegung überschreitenden Kontext vor. von Anfang an von Personen unterstützt, die Vor diesem Hintergrund werden folgende weit über das frauenpolitische Milieu hinaus Fragen näher beleuchtet: Welche Rolle spiel- einen wissens- und erfahrungsbezogenen Ex- ten die Übertragungsbemühungen und Über- pertinnenstatus genossen und deren Werke setzungspraktiken programmatischer Schrif- vielfach übersetzt worden sind. ten in die jeweils andere Sprache und damit In der Präsentation wird exemplarisch Wis- in einen divergierenden kulturellen und politi- sensweitergabe innerhalb der Frauenbewe- schen Kontext? Wie trugen sie zu einem tex- gung dargestellt und damit die Prozesse des tuellen Dialog zwischen den Nachbarinnen Verstehens unter »benachbarten« Frauen- bei? Welche Elemente von Wissen sind als rechtlerinnen skizziert. Als Fallstudien dienen universelle und grenzüberschreitende Erfah- hierfür die Studie von Hedwig Dohm Über die rung zu verzeichnen? Zuletzt gilt das Interesse wissenschaftliche Emanzipation der Frau so- auch den Übersetzerinnen selbst und ihrem wie Roman Marta von Eliza Orzeszkowa. Bei- Status innerhalb der Frauenbewegung. de Schriften erlangten im jeweiligen Nach-

94 Justyna A. Turkowska, M.A. (Gießen) Die Wissensvermittlung in den Händen der Hebammen: deutsche und polnische Hebammen zwischen beruflicher Ermächtigung und nationaler Bevormundung um 1900

Justyna Aniceta Turkowska ist Doktorandin am Historischen Institut der Justus-Liebig-Universität Giessen (JLU) und zur Zeit Stipendiatin des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz. Sie hat Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie an den Universitäten Warschau, an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Leibniz Universität in Hannover studiert. Sie ist Mitglied des International Center for the Study of Culture (GCSC) an der JLU sowie seit 2012 Mitglied des DFG- geförderten wissenschaftlichen Netzwerks zum Thema »Sozialfürsorge und Gesundheit in Ost- und Südeuropa im langen 20. Jahrhundert«. Mit ihrem Dissertationsprojekt war sie von 2010 bis 2013 Sti- pendiatin der Leibniz Graduate School for Cultures of Knowledge in Central European Transnatio- nal Context im Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg.

Entlang der Untersuchung der Hebammen- nen zwischen den Ärzten und der lokalen Be- professionalisierung in der preußischen, völkerung, deren Werte und medizinische deutsch-polnisch geprägten Provinz Posen Vorstellungen sie nicht selten selbst verkörper- verfolgt der Beitrag die Frage, wie die stei- ten, aber von der sie auch teilweise misstrau- gende Beteiligung der Akteurinnen an der isch angesehen wurden, anderseits. In dieser medizinischen Wissensweitergabe die wis- doppelten Position mussten sie sich zunächst senskulturellen Zirkulationsprozesse um die einmal behaupten und ihre eigene Stimme Jahrhundertwende beeinflusste und wie die gewinnen. durch diese Beteiligung beschleunigte Er- Spätestens seit den 1880er Jahren wurde die mächtigung der Hebammen durch sprachli- Nationalität der Hebammen zu einem ihrer che, nationale und konfessionelle Spannun- wichtigsten Merkmale, die ihre berufliche Si- gen geprägt war. tuation – sowohl den Zugang zu staatlichen Die um die 1880/1890er Jahre einsetzenden Ressourcen als auch die Vermarktung ihrer bzw. intensivierten staatlich geförderten Me- Dienste – und ihre gesellschaftliche Wahr- dikalisierungs- und Hygienisierungsprozesse nehmung stark bestimmte. bedeuteten nämlich nicht nur eine Heraus- Indem die Stellung der Hebammen innerhalb forderung für die Regierungen und staatli- der medizinischen Wissensvermittlungsprozes- chen Einrichtungen, eine medizinisch- se und in ihren lokalen Settings skizziert sowie hygienische Expertise flächendeckend nach den Verständigungsprozessen zwischen durchsetzungsfähig etablieren zu wollen und den vorwiegend deutschen Kreisärzten, zu können, sondern auch eine Herausforde- deutschsprachigen und polnischsprachigen rung für die an diesen Prozessen beteiligten Hebammen und nach der sich aus dieser Akteure und Akteurinnen. Indem die hier zu Konstellation ergebenen (hierarchischen) Po- skizzierenden Hebammen unter anderem sitionierungen gefragt wird, werden die stark durch mehrmonatige Kurse, Nachprü- Kommunikations- und Übersetzungsprozesse fungen, die Errichtung von Entbindungsstati- zwischen den Hebammen und dem Staat onen etc. gefördert wurden, wurden sie zu sowie unter den Hebammen selbst beleuch- Vertreterinnen staatlicher medizinischer Deu- tet. tungsmacht einerseits, zu Wissensvermittlerin-

95 Sabrina Lausen, M.A. (Paderborn) Nur »Zuschauerinnen« ? – Frauenrollen aus der Sicht deutscher und polnischer studentischer Verbindungen im frühen 20. Jahrhundert

Sabrina Lausen M.A. studierte die Fächer Neuere und Neueste Geschichte, Mittelalterliche Ge- schichte und Pädagogik an der Universität Paderborn und an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań. 2008 erfolgte das Magisterexamen. 2008 bis 2011 war sie Promotionsstipendiatin der Uni- versität Paderborn sowie Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Universität Paderborn. Seit 2012 arbeitet sie als Assistentin am Lehrstuhl für Neueste Geschichte. Ihre For- schungsschwerpunkte liegen in der transkulturellen bzw. transnationalen Geschichte Deutschland und Polens, vor allem im Hinblick auf die Studenten- und Universitätsgeschichte.

Das frühe 20. Jahrhundert markiert den Be- schwor man das Ideal der »holden Jungfrau« ginn einer Ära, in der vielen Frauen neben und der fürsorglichen Gemahlin und Mutter. dem politischen Partizipationsrecht allmäh- Auf der anderen Seite liebäugelte man mit lich auch der Zugang zu den Hochschulen dem neuen souveränen Frauentypus, der zu- gewährt wurde. Die Chance auf einen Stu- gleich potentielle Partnerin, Kommilitonin und dienplatz und damit auf den Erwerb bürgerli- »guter Kumpel« war. Im Rahmen des Vortrags cher Bildungspatente, die bisher vornehmlich werden diese und andere Frauenbilder, die dem männlichen Bildungsbürgertum bzw. der unter den männlichen Verbindungsmitglie- männlichen Intelligenz zugestanden hatten, dern in beiden Ländern kursierten, analysiert. implizierten eine Entwicklung, die die Rolle Im Vordergrund steht hierbei neben länder- der Frau als Gattin und Mutter in Frage stellte spezifischen Haltungen vor allem die Frage und die von vielen Männern als akute Bedro- nach einem transnationalen Kanon an Deu- hung der alten bipolaren Gesellschafts- und tungsmustern innerhalb der männerbündi- Geschlechterordnung interpretiert wurde. schen Wahrnehmung von Frauenrollen, da Exemplarisch für die männlich-bürgerlichen die polnischen Verbindungen mit ihren Diskussionen um die Rolle der Frau in der Ge- deutschsprachigen Pendants durch vielfälti- sellschaft war die Berichterstattung in den ge Transferprozesse seit dem frühen 19. Jahr- Organen der deutschen und polnischen stu- hundert in Kontakt standen und unterschied- dentischen Verbindungen. Hier wird deutlich, liche politische wie gesellschaftliche Entwick- wie sehr die zukünftigen Funktionseliten in- lungen des Nachbarn daher aktiv mitverfolg- nerhalb ihrer Gruppierungen zwischen zwei ten. Extrema schwankten: Auf der einen Seite be-

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xPosterpräsentationenx

Stand: 5.3.2014

Projekte

Anna Baumgartner, M.A. (München) Die Münchener Polenschule. Abenteuer, Exotik und Orientalismus in der Malerei um Jozef Brandt

Andreas von Bezold, M.A. (Hagen) Die parlamentarische Vertretung der dänischen und der polnischen Minderheit im Deutschen Kaiserreich 1871-1918

Friedrich Cain, M.A. (Konstanz) Workshop: Ein Neues Organon. Wissen(schafts)forschung im Polen der Zwischenkriegszeit

Natalija Ivanova (St. Petersburg) Beutebrücke: aus Polen und Deutschland nach Sowijetunion

Robert Kędzierski, M.A. (Regensburg) Herrschaftspraxis im preußischen Teilungsgebiet am Beispiel des Fürstentums Krotoschin in der Provinz Posen

Vasco Kretschmann, M.A. (Berlin) Die Musealisierung der Breslauer Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert

Agnes Laba, M.A. (Marburg) Herder-Institut Digitaler Atlas politischer Raumbilder zu Ostmitteleuropa im 20. Jahrhundert – Geoimaginaries

Dr. Artur Niedźwiedzki (Lodz) Between Centre and Periphery of European Integration? Ten years of Polish membership in the European Union

Agata Nörenberg, M.A. (Konstanz) Den Warschauer Aufstand erinnern. Polnische Erinnerungsdiskurse in Heimat und Exil am Beispiel des Warschauer Aufstandes (1945-1990)

Prof. Dr. Bianka Pietrow-Ennker (Konstanz) Polnische Außenpolitik im 20. Jahrhundert Zum Zusammenhang von Nationsbildungsprozessen, Geschichtskonstruktionen und außenpoliti- schen Strategien – Opus magnum Programm

Annalena Schmidt (Marburg) Herder-Institut GeoBib – Frühe deutsch- bzw. polnischsprachige Holocaust- und Lagerliteratur (1933 – 1949) Annotierte und georeferenzierte Online-Bibliographie Verbundprojekt GeoBib Marburg/Gießen

Sophie Straube, M.A. (Siegen) Polen und die US-amerikanische Polonia seit 1989: Diskurse über 'Nation' und 'Diaspora'

97 Dr. Magdalena Telus (Saarbrücken) Visualisierung von zwei Studienreisen zum Thema Hybridisierung in der Kultur

Dr. Isabella Waibel (München) Deutsch-Polnische Master- und Promotionsstudiengänge...

Aleksandra Wrona Polnische Schriftsteller in (West)Berlin nach 1968

Einrichtungen, Veranstaltungen

Mgr. Anja Golebiowski (Gießen) Forschungskreis Holocaustliteratur und -kultur im mittleren und östlichen Europa

Astrid Kasperek (Frankfurt am Main/Wiesbaden) Deutsches Filminstitut / goEast Filmfestival Symposium "Nouvelle Vague Polonaise? Auf der Suche nach einem flüchtigen Phänomen der Filmgeschichte"

Christian Nastal, M.A. (Tübingen) Universität Tübingen Deutsch-polnische transkulturelle Studien Binationaler Master an den Universitäten Tübingen und Warschau

Dr. Magdalena Telus (Saarbrücken) Die ersten Polnischen Kulturtage im Saarland, Herbst 2013

98 xAusstellerx

Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien Jena/Halle

Arbeitsstelle Holocaustliteratur, Institut für Germanistik, Universität Gießen

Verlag C.H. Beck (München)

Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (Oldenburg)

Deutsches Polen-Institut (Darmstadt) u.a.: Neue Internetplattform „Polen in der Schule“

Fibre Verlag (Osnabrück)

Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. (GWZO) (Leipzig)

Gemeinschaft für Studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS)

Gießener Zentrum Östliches Europa, Universität Gießen

Harrassowitz Verlag (Wiesbaden)

Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft (Marburg/Lahn) u.a.: Möglichkeiten des elektronischen Publizierens im Rahmen des Fachrepositoriums zur Geschichte des östlichen Europa „OstDok“?

Online-Plattform pol-int.org (Frankfurt/Oder)

Ost-West-Wissenschaftszentrum (Kassel)

Polnisches Institut Wien

Schöningh-Verlag (Göttingen)

Universität Gießen / Universität Lodz Die Universitätspartnerschaft

Universität Lodz

Universität Mainz, Polonicum

Universität Regensburg Der neue Studiengang Deutsch-Polnische Studien

Universität des Saarlandes Lehrbücher für Polnisch und Informationen zur Situation des Polnischen in Deutschland

Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt)

Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Berlin)

Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien (Frankfurt/Oder)

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Dritte Tagung Deutsche Polenforschung

Wissen, Verstehen, Übersetzen: Nachbarn im Dialog

Gießen, 20. bis 22. März 2014

Veranstaltet von Deutsches Polen-Institut Darmstadt Gießener Zentrum Östliches Europa / Universität Gießen, Herder-Institut Marburg

Projektpartner Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung

Gefördert von Hessische Landeszentrale für politische Bildung

Organisationskomitee Prof. Dr. Dieter Bingen, Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg, Prof. Dr. Thomas Daiber, Prof. Dr. Alfred Gall, Prof. Dr. Peter Haslinger, Dr. Peter Oliver Loew, Prof. Dr. Monika Wingender, Prof. Dr. Klaus Ziemer

Reader Umschlaggestaltung: Edith Steffens, Darmstadt Grafische Gestaltung des Readers: Peter Oliver Loew Auflage: 300 Ex. Darmstadt 2014

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