Justus Delbrück (25.11.1902 – 23.10.1945) - Jurist, Mensch Und Christ Im Widerstand Gegen Das NS-Unrechtsregime (Zum 75
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„In den Tiefen, die kein Trost erreicht, lass doch Deine Treue mich erreichen.“ Justus Delbrück (25.11.1902 – 23.10.1945) - Jurist, Mensch und Christ im Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime (zum 75. Todesjahr) Von Pfr. i.R. Dr. Günter Ebbrecht, Einbeck Prolog In diesem Jahr 2020 wird und wurde vielfältig, zumeist schriftlich, da das Coronavirus öffentliches Gedenken teilweise verhindert hat, an die ermordeten Widerstandskämpfer gegen das barbarische und verbrecherische NS-Regime gedacht. Dabei wird und wurde auch an die vier Söhne und Schwiegersöhne der Familie Karl und Paula Bonhoeffer erinnert. Zu der Familie gehören auch die näheren und ferneren Verwandten, die ebenfalls im Widerstand aktiv waren und zum Teil ermordet wurden. Einer von ihnen ist der Bruder Emmi Bonhoeffers und Freund ihres Mannes Klaus Justus Delbrück. Er wurde zwar nicht von NS-Hand ermordet sondern starb in einem sowjetischen Lage in Lieberose-Jamlitz am 23.10.1945 an Erschöpfung und Diphterie. Heute befindet sich dort das Justus- Delbrück-Haus, die Akademie für Mitbestimmung Bahnhof Jamlitz, mit einer Ausstellung über Justus Delbrück.1 Meine erneute Beschäftigung mit den Ermordeten der Familie Bonhoeffer, in diesem Frühjahr vor allem mit Klaus Bonhoeffer, brachte mich auf die Spur, mithilfe der mir zugänglichen Texte ein ‚Lebensbild‘ Justus Delbrücks zu schreiben. Texte von Delbrück selbst waren mir nur wenige, teilweise auszugsweise in gedruckten Werken zugänglich, vor allem die Texte aus der von Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn und Reinhold Schneider herausgegebenen Anthologie ‚Du hast mich heimgesucht bei Nacht‘2 sowie aus den von Eberhard und Renate Bethge herausgegebenen ‚letzten Briefen aus dem Widerstand aus dem Bereich der Familie Bonhoeffer‘3. Um so mehr habe ich in der Sekundärliteratur gesucht und gefunden, vor allem in den verschiedentlich aufgeschriebenen Erinnerungen seiner Schwester Emmi sowie in den Biografien über Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi und Christine Bonhoeffer sowie in dem Lebensbild über Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg4. Bei meinen Recherchen und Rekonstruktionen bin ich auf die Lebensgeschichte eines Menschen gestoßen, der als schweigsam und verschlossen galt, es aber nicht war, auf Freundschaften, die sich über die Jahre oder zuletzt im Widerstand festigten und standhielten, auf einen unbestechlichen Gerechtigkeits- und Rechtssinn, auf ein großes Interesse für Bücher und vor allem für große Literatur, auf eine starke Liebe zu seiner Frau und eine herzliche Zuneigung zur Welt seiner Kinder, die er mitprägte, sowie auf einen tiefen christlichen Glauben, der über seine liberal protestantische 1 S. www.demokratiebildung.info/informieren-erinnern-und-lernen ; zum 115 Geburtstag Delbrücks fand dort eine Ausstellungseröffnung und Filmpremiere statt, bei der auch der Sohn Delbrücks Hans – Jürgen Delbrück anwesend war. Zugleich feierte der Film über Delbrück ‚Denn in der Liebe sind und leben wir wirklich.‘ Premiere. Leider habe ich bisher weder die Ausstellung noch den Film gesehen, erhoffe mir davon aber noch mehr Informationen über den Lebensweg Justus Delbrücks. 2 Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider (hg.), Du hast mich heimgesucht bei Nacht. Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 bis 1945, München 1954, Siebenstern Taschenbuch 9, 1969. 3 Eberhard und Renate Bethge (hg.), Letzte Briefe im Widerstand. Aus dem Kreis der Familie Bonhoeffer, München 1984 4 Die Quellen jeweils angegeben bei der Erstzitierung. Darüber hinaus habe ich auf Sekundärliteratur zum Widerstand zurückgegriffen. 1 Prägung hinausreichte in die Universalität der katholischen Kirche, zu der er in der Haft konvertierte, ohne die lutherische Prägung aufzugeben. In der Haft schrieb er unter anderem das gedichtete Gebet ‚In den Tiefen, die kein Trost erreicht…‘, welches inzwischen weitbekannt ist. So habe ich für dieses ‚Lebensbild‘ die ersten beiden Zeilen aus diesem Gebet gewählt. Ebenso zutreffend und vielleicht von ihm selber ausgewählt hätte es die Passage aus seinem Hafttagebuch sein können: der Graf aus Gottfried Kellers Roman ‚Der grüne Heinrich‘ sagt von Heinrich Lee, dem ‚Helden‘ des Romans, zwei Dinge, „von denen ich gern hätte, daß man sie auch von mir sagen könnte – er nennt ihn einmal einen wesentlichen Menschen, ein andermal einen maßhaltenden Menschen“. So hätte der Untertitel dieses Lebensbildes auch lauten können: ein wesentlicher und ein maßhaltender Mensch. Was das heißt, wird aus dem vorliegenden ‚Lebensbild‘ selber klar. Ebenso hätte der schriftlich formulierte Ausruf seiner Schwester in ihren Kalendernotizen aus dem Jahr 1945 zum Titel werden können, nachdem sie wahrscheinlich als erste Delbrücks Hafttagebuch gelesen hat. Ihr Eindruck und Fazit: „Ich schöpfe Kraft aus seinem Tagebuch. Was für ein Mann!“5 Als Untertitel habe ich schlicht den Dreiklang gewählt: ‚Jurist, Mensch und Christ im Widerstand gegen das NS-Unrechtregime‘. Das folgende ‚Lebensbild‘ wird umrahmt von einem Prolog und Epilog. Es gliedert sich in vier Abschnitte unterschiedlicher Länge: I. Herkunft, Kindheit, Jugend, Studium, Berufs- und Familienleben II. Die Beteiligung im aktiven Widerstand gegen das NS- Unrecht III. Hafterfahrungen und Haftgedanken - im Zellengefängnis Lehrterstraße 3 IV. Entlassung aus der Haft – Interniert vom russischen Geheimdienst I. Herkunft, Kindheit, Jugend, Studium, Berufs- und Familienleben „So sehr ich aber auch von meinem Vater den Geist der Unabhängigkeit und sogar des Widerspruchs geerbt habe, …“ – Die Prägung durch den Vater, die Mutter und das Elternhaus Justus Delbrück ist das fünfte Kind, der zweite Sohn des Ehepaares Hans Delbrück und Lina Delbrück, geborene Thiersch. Er wird am 25.11.1902 in Berlin geboren. Der Vater Hans Delbrück ist ein bekannter Hochschullehrer für Geschichte und Autor eines vierbändigen Standardwerkes über die Militärgeschichte.6 Er wird am 11.11.1848 – im Jahr der Paulskirchenversammlung in Frankfurt mit der ersten demokratischen Verfassung Deutschlands - in Bergen auf Rügen als Sohn eines Kreisrichters geboren und stammt aus einer angesehenen Beamten- und Gelehrtenfamilie. Hans Delbrück studiert historische Wissenschaften in Greifswald, Heidelberg und Bonn. Er zieht 1870 / 71 als Freiwilliger in den Deutsch-Französischen Krieg. 1873 promoviert er in Bonn über einen mittelalterlichen Geschichtsschreiber und erhält ab 1874 die Stelle als Erzieher des Prinzen Waldemar am Hofe des Kronprinzen Friedrich Wilhelm. 1881 habilitiert er sich und wird als Mitglied der ‚Freikonservativen‘ ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt. Sowohl seine Tätigkeit als Prinzenerzieher wie sein Mandat im preußischen Abgeordnetenhaus weisen auf seine 5 In Sigrid Grabner / Hendrik Röder, Emmi Bonhoeffer, Berlin 2004, S. 16 6 Die folgende biografische Skizze folgt den Lebensdaten Hans Delbrücks bei www.dhm.de/lemo/biografie/hans-delbrueck; s. auch den Artikel in Wikipaedia www.wikipedia/wiki/Hans_Delbrück; 2 politische Einstellung hin: ein Vertreter und Verteidiger der preußischen Monarchie, doch im Sinne einer konstitutionellen Monarchie. In den Jahren 1884-1890 nimmt er ein freikonservatives Mandat im Reichstag wahr.7 Er wird publizistisch tätig und versteht sich als „aufgeklärter Konservativer“. Dabei geht er selbstkritisch mit sich und seinesgleichen um, kritisiert Konservative und Nationalliberale und äußert Ansichten in der Linie der Sozialdemokraten, die aber seine Gegner sind. Er vertritt in sozialen Fragen die Positionen des sog. ‚Kathedersozialismus‘. Zusammen mit Wilhelm Dilthey und Adolf Harnack gehört er der 1893 von Helene Lange gegründeten ‚Vereinigung zur Veranstaltung von Gymnasialkursen für Frauen‘ an. Der weitere berufliche Weg führt Hans Delbrück im Jahr 1885 als außerordentlicher Professor an die Philosophische Fakultät der Friedrich-Wilhelm- Universität zu Berlin. 1895 wird er zum Ordinarius berufen und erhält 1896 den Lehrstuhl für ‚Allgemeine und Weltgeschichte‘ des verstorbenen Kollegen Treitschke (1834-1896), mit dem er 1882-1885 die ‚Preußischen Jahrbücher‘ herausgegeben hat. Hans Delbrück kommentiert darin jeden Monat innen- und außenpolitische Ereignisse. Nach dem Ausscheiden Treitschkes führt er die Herausgeberschaft bis ins Jahr 1919 fort. In den Jahren 1900 – 1920 erscheint sein vierbändiges Hauptwerk ‚Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte‘.8 Während des 1. Weltkrieges wandelt sich seine Stellung und Haltung zu diesem Krieg. Zu Beginn begeistert er sich für das Kriegsgeschehen Preußens und Deutschlands. Zunehmend setzt er sich für die Erhaltung eines europäischen Gleichgewichts ein. Er verwirft die völkischen Ideen der Alldeutschen und ihre Pläne einer Hegemonie Deutschlands. Er tritt für einen ‚Versöhnungs- bzw. Verständigungs-Frieden‘ gegen einen ‚Macht-Frieden‘ bzw. ‚Sieg- Frieden‘ ein.9 Deutschland könne nicht so stark werden, dass es „der ganzen Welt trotzen“ könne. Denn „eine so große Überlegenheit, dass sie gegen jede politische Kombination Sicherheit gewähre, kann es im modernen Staatensystem nicht geben“. So ließen sich die Völker „unter keinen Umständen eine unbedingte Übermacht eines Staates gefallen.“10 Politisch setzt er sich ab 1914 für die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen ein und attackiert die Vaterlandspartei. Mit dem ‚Bund Neues Vaterland‘ sammelt er einen Kreis von Verfechtern maßvoller Ziele der Kriegspolitik um sich. Sie reichen am 27.7.1915 eine Eingabe an Reichskanzler von Bethmann-Hollweg ein, die sich gegen deutsche Annexionsbestrebungen richtet. Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg kritisiert Hans