„Von guten Mächten wunderbar geborgen…“

Dietrich Bonhoeffer sein Weg - sein kurzes Leben Siegfried Kratzer am kommenden Tag neue Mieter einquartiert werden. Eine halbe Stunde später bat Nachbarin Schöne die Bonhoeffers flehentlich, dass doch das junge Paar bei ihr einziehen möge, bevor fremde Mieter ihr zugewiesen werden würden.

Theologie – seine Entscheidung

Als Dietrich seiner Familie eröff- Wohnhaus der Familie Bonhoeffer von 1916 bis 1935 in Berlin Grunewald nete, dass er Theologe werden wolle, erntete er bei seinem Vater Kopfschütteln und bei seinen Brüdern Spott. Ihm, dem Prägung in Elternhaus und Familie 17jährigen Abiturienten, der mit schulischen und musikalischen stammte aus einem gut bürgerlichen Haus. Sein Vater, Karl Höchstleistungen glänzte, stan- Bonhoeffer, war anerkannter Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Berliner den doch ganz andere Mög- Charité. Dessen liberale Vorfahren bekleideten als Ratsherren und Bürgermeister in lichkeiten offen. Und als sein Schwäbisch Hall und Ulm hohe Ämter. Bruder Karl ihm vorhielt, was für Die Mutter, Paula Bonhoeffer geb. von Hase, war Lehrerin und hatte Künstler, Musiker ein »kleinbürgerliches, langwei- und bekannte Theologen in ihrer Ahnenreihe. Die Kinder unterrichtete sie bis zum liges und schwächliches Gebilde achten Lebensjahr selbst, weil sie den deutschen Schulen preußischer Prägung sehr die Kirche sei«, entgegnete ihm skeptisch gegenüberstand. Bekannt ist ihr Ausspruch, dass den Deutschen im Leben Dietrich: »Dann werde ich eben zweimal das Rückgrat gebrochen werde, zuerst in der Schule, dann beim Militär. Durch diese Kirche reformieren.« ihren früheren Kontakt mit der Herrnhuter Brüdergemeine war Paula Bonhoeffer auch Waren es möglicherweise prä- pietistisch geprägt, pflegte aber trotz der weit entfernten bürgerlichen Kirchlichkeit gende Kindheits- und Jugend- ihrer Familie durch Singen von Kirchenliedern und gemeinsames Lesen in der Bibel erlebnisse, die ihn zu diesem einen mehr »hausgemachten« Frömmigkeitsstil. Ihr Vorbild war prägend für die spätere Schritt veranlassten? Es wird »Selbstlosigkeit, Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft« ihrer acht Kinder. eine Mutmaßung bleiben. Die Dietrichs Vater schrieb später, dass die reiche Welt der Vorfahren seinem Sohn die häuslichen Andachten der Maße für das eigene Leben vermittelt habe, dass er dieser Herkunft eine »Sicherheit Mutter, die Erzählungen bibli- des Urteils und des Auftretens« verdanke, »wie sie nicht in einer Generation erworben scher Geschichten, eine beein- werden kann.« druckende Evangelisationsver- Carl Friedrich von Weizsäcker hat Bonhoeffers Familie, und hier v.a. seine Brüder und sammlung mit dem Gründer der seinen Vater, zu den »intellektuellen Trägern des modernen Bewusstseins« gezählt, Heilsarmee, General Bramwell eine Schicht, die »den christlichen Inhalten ständig ferner rückt.« Booth – all dies, hinterließ Es ist mehr als eine lustige Geschichte, die von dem jugendlichen Bonhoeffer berich- sicherlich bei dem feinfühligen tet wird, weil sie bereits Intentionen seiner späteren »Ethik der Verantwortung« und Kind Dietrich tiefe Spuren. Weit seines Einsatzes für den Menschen schlechthin erkennen lässt: über das zehnte Lebensjahr Die Hausangestellte der Bonhoeffers, Maria Horn, hatte Dietrichs Lehrer geheiratet. Das hinaus erinnerten sich er und junge Paar suchte intensiv, aber vergeblich, nach einer Wohnung. Auch die Nachbarin seine Zwillingsschwester Sabine in Grunewald war trotz Bitten der Bonhoeffers nicht bereit, ein oder zwei ihrer drei täglich vor dem Einschlafen, unbelegten Zimmer herzugeben. Daraufhin rief Dietrich bei ihr an und gab sich als intensiv an das Wort »Ewigkeit« Angestellter des Wohnungsamtes Grunewald aus. Mit verstellter Stimme teilte er im zu denken, um ihr dadurch amtlichen Ton mit, dass auf Grund der noch freien Räume im Hause Schöne schon auch näher zu kommen. Auch die Abendmahlsfeier bei der Sein positives Verhältnis zum Katholizismus Konfirmation seiner jüngeren Schwester war für Bonhoeffer Ein einschneidendes Erlebnis war für den achtzehnjährigen Bon- ein tiefgehendes Erlebnis. Als hoeffer der Besuch in Rom bei einer Studienreise, die er zusammen er von da an möglichst oft mit seinem Bruder Klaus unternahm. Dabei faszinierten ihn die zum Abendmahl gehen wollte, katholische Atmosphäre, die hinreißenden Gottesdienste mit der bremste ihn seine Mutter mit gewaltigen Musik im Petersdom und in anderen Kirchen. Immer dem Hinweis auf die protestan- wieder zog es ihn dorthin. Tief bewegt war er von der Inbrunst von tische Tradition, am Abendmahl Kindern und Erwachsenen bei deren Beichte. In seinem Tagebuch nicht so häufig teilzunehmen. notierte er: »Die Beichte ist für primitive Menschen die einzige Darauf Dietrich bestimmt: »Ich Möglichkeit, mit Gott sprechen zu können, für religiös Weiterbli- bin gern eingeladen, wo man ckende die Vergegenständlichung der Idee der Kirche, die sich in mich gern hat.« Beichte und Absolution vollzieht.« Und weiter: »…ich fange, glaube Der Kriegstod seines Bruders ich, an, den Begriff ‚Kirche‘ zu verstehen«– und damit meinte er Walter und die nachfolgend die Einheit der Kirche über Rassen- und Landesgrenzen hinweg. lange und tiefe Depression In einer Diskussion mit einem Priesterschüler unterschied er aber seiner Mutter werden auch nicht auch schon damals: »Beichte und Beichtdogmatik ist ein gewaltiger ohne Wirkung auf die Entschei- Unterschied. ‚Kirche‘ und ‚Kirche in der Dogmatik‘ leider ebenso.« dung des 13jährigen gewesen Es kann getrost behauptet werden, dass bereits bei der Romreise sein. Paula Bonhoeffers Glaube 1924 der Grundstein für seine spätere ausgeprägte ökumenische war so groß, dass sie gegen Gesinnung gelegt worden ist. den Wunsch ihrer Familie durch- setzte: »Bei Walters Beerdigung soll das Lied ‚Was Gott tut, das ist wohlgetan‘ gespielt werden.« Suche nach dem eigenen Standpunkt Carl Friedrich von Weizsäcker hat es 1976 in einer Gedenk- Die Begegnungen des jungen Theologiestudenten mit den aka- feier für Bonhoeffer mit Rück- demischen Lehrern Adolf von Harnack, Karl Barth und Karl Holl sicht auf die religiösen aber führten anfänglich zu einer tiefen Zerrissenheit. Der theologisch auch antikirchlichen Tendenzen liberale Harnack galt in Nachfolge von Friedrich Schleiermacher in dessen Familie so gesagt: als der Hauptvertreter der historisch-kritischen Methode. Für ihn »Ein Kind kann, unbeschadet war es unwissenschaftlich und auch irreführend, biblische Texte, seiner kindlich-natürlichen so wie sie in der Bibel stehen, unreflektiert in voller Gültigkeit Entwicklung ein schweigsames stehen zu lassen. Erst nach einer religionsgeschichtlichen und und intensives Leben mit Gott historisch-kritischen Untersuchung sollten sie nach ihrer gegenwär- haben, für das ihm die Umwelt tigen Bedeutung befragt und so für den Zeitgenossen zugänglich nur die kulturell geprägten gemacht werden. Formen bietet, in welchen es Für Karl Barth hingegen waren biblische Texte nicht historische seine innere Erfahrung ausbil- Quellen, die es zu untersuchen galt; für ihn waren sie »Träger der den kann. Es scheint mir, dass Offenbarung«, »heiliger Kanon«. Biblische Texte sprechen seiner Dietrich Bonhoeffers Lebens- Meinung nach den Leser und Hörer direkt an. Barths Theologie quelle bis zu seinem Tode eine hob sich damit auch deutlich von der Konzeption Karl Holls ab, solche in der Kindheit eröffnete der als Vertreter der »Luther-Renaissance« galt mit ihrer »strikten und vielleicht nie einem Men- Orientierung am lutherischen Bekenntnis«. schen gegenüber voll ausge- Obwohl Bonhoeffer die Barthsche Theologie tief beeindruckte – sprochene Erfahrung war.« auch deshalb, weil er darin eine Möglichkeit sah, seine Vorstellung von Kirche und Gemeinschaft Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus der Gläubigen zu verwirklichen. Er versuchte jedoch auch den Die Familie Bonhoeffer stand bereits zur Zeit der Weimarer Republik dem aufkom- kritischen Ansatz Harnacks auf- menden Denken der Nationalsozialisten sehr kritisch gegenüber. Die demagogischen zugreifen, und in seinen kämpfe- Propagandareden Hitlers – noch vor seiner Machtergreifung – wurden von Vater rischen Auseinandersetzungen mit Bonhoeffer als »psychopathisch« eingestuft. Auch der Antisemitismus war der den »Deutschen Christen« 1933 Familie fremd. Die Tochter Sabine und Zwillingsschwester von Dietrich hatte sich berief er sich auf das lutherische mit einem judenchristlichen Juristen verlobt. Franz Hildebrandt, Dietrichs engster Bekenntnis. Studienfreund, war ebenfalls jüdischer Abstammung, und die Bonhoeffers hatten Trotz der hohen Verehrung für in Grunewald gute Beziehungen zu ihren jüdischen Nachbarn. seine akademischen Lehrer und Zwei Tage nach der Machtergreifung setzte sich Dietrich Bonhoeffer mit kritischen im Besonderen für Karl Barth war Anmerkungen zum Führerprinzip in einer Rundfunkrede auseinander und warnte Bonhoeffer stets bemüht, nicht davor – ohne Hitler namentlich zu erwähnen – dass aus einem Führer sehr schnell als »Schüler« oder Epigone eines ein Verführer werden kann. Vermutlich wegen Überlänge wurde diese Rundfunk- anderen zu gelten. Konsequent sendung vorzeitig abgeschaltet. versuchte er in der Tradition seines Elternhauses seinen eige- nen theologischen Standpunkt zu entwickeln: Jesus als Grund der Kirche war für ihn nicht »Lehrer« oder »Vorbild«, wie etwa bei Mauerinschrift Harnack; er war auch nicht der gegen die »Auferstandene« wie es Karl Barth »Bekennende Kirche« gesagt hat; für Bonhoeffer war Jesus der auferstandene »Christus Durch die nationalsozialistischen Aktivitäten wurde mit dem Jahre 1933 auch als Gemeinde existierend.« in der Kirche die »Judenfrage« immer drängender. Die staatliche Einführung und Im aufkommenden Nationalismus Durchsetzung des Arierparagraphen – zynisch »Gesetz zur Wiederherstellung wurde die ökumenische Arbeit, die des Berufsbeamtentums« genannt – hatte zur Folge, dass von den »Deutschen sich gerade auch auf das Ausland Christen« auf der sog. »Braunen Synode« von 1933 alle »Nichtarier« von allen erstreckte, von führenden deut- kirchlichen Ämtern ausgeschlossen wurden. schen Theologen kritisch beurteilt. Für Bonhoeffer war damit der »status confessionis« gegeben. In seiner Abhandlung Bonhoeffer hingegen formulierte »Die Kirche vor der Judenfrage« formulierte er angesichts des für ihn skandalösen in seinen zahlreichen Vorträgen Verhaltens der »Deutschen Christen« drei nötige Bereiche des kirchlichen Handelns: im In- und Ausland ganz anders: Er gestand zu, dass die Kirche »auch in der Judenfrage heute nicht dem Staat Kirche kann nur allein der Boden unmittelbar ins Wort fallen und von ihm ein bestimmtes andersartiges Handeln sein, »auf dem das sonst so frag- fordern« kann. Aber sie habe zum andern den Staat stets darnach zu fragen, ob er würdige internationale Gespräch seiner Verantwortung gerecht werde, und habe den staatlichen Opfern zu helfen. offen und sachlich geführt werden Zuletzt gilt es »nicht nur, die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem kann. Es ist … etwas ganz Über- Rad selbst in die Speichen zu fallen.« wältigendes …, den Anderen in Diese dritte Variante kirchlichen Handelns könnte bereits ein Hinweis auf den seiner Andersartigkeit zu hören, späteren kämpferischen Widerstand Bonhoeffers sein, zumal er sich später auch zu sehen und einfach einmal so deutlich von Richtungen in der »Bekennenden Kirche« absetzte, die im NS-Staat zu lassen, wie er ist, und von hier immer noch eine von Gott gesetzte Obrigkeit sehen wollten. Zusammen mit Martin aus dann erst sich selbst wieder zu Niemöller und anderen gründete er nach dem verheerenden Beschluss der »Brau- entdecken.« nen Synode« der »Deutschen Christen« den Pfarrernotbund, der dann Ende Mai 1934 unter Federführung von Karl Barth mit der »Barmer Erklärung« auf der Bekenntnissynode von Barmen zur »Bekennenden Kirche« wurde – eine deutliche Abgrenzung von der Pseudotheologie der »Deutschen Christen«.

In Folge der nächsten Bekenntnissynode 1935 in Dahlem nahm die »Bekennende Kirche« die Ausbildung ihrer Pfarrer selbst in die Hand. Bonhoeffer wurde Leiter des Predigerseminars Finkenwalde. Seine Beziehung zur Ökumene und zur Bekennenden Kirche gestaltete sich aber immer schwieriger. Zu sehr setzten für ihn beide Parteien noch immer auf Dialog, v.a. auch dann, als 1935 die sog. »Nürnberger Rassengesetze« erlassen wurden, die u.a. Eheschließungen und außereheliche Beziehungen zwischen Juden und deutschen Staatsangehörigen unterbanden. In diese Zeit fiel auch sein nach Eberhard Bethge zitierter berühmter Ausspruch: »Nur wer für die Mauerinschrift Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.« gegen die erkennt im Amt der die nützlichen »Bekennende Kirche« Auslandskontakte seines Schwagers Dietrich und bewegt ihn – nach Rücksprache mit und – zur offiziellen Mitarbeit und zum aktiven Widerstand im Untergrund

Sein Weg in den aktiven Widerstand

Nach der offiziellen Schließung des Predigerseminars Finkenwalde macht unterstand Admiral Wilhelm Canaris. Oberst arbeitete Bonhoeffer in einem der sog. Sammelvikariate in Groß- Hans Oster war der Chef von Hans von Dohnanyi. Schlönwitz/Hinterpommern an der Ausbildung junger Pfarrer weiter Trotz der verschiedenen Aufgabenbereiche bestand – jetzt im Untergrund bis zur Schließung im Jahr 1940 durch die zwischen Abwehr und eine tiefe Rivalität. Gestapo. Vorübergehend unterbrach Bonhoeffer sein nicht erlaubtes Von Dohnanyi erfuhr Bonhoeffer schon relativ Amt, um ökumenische Kontakte in England und den USA zu pflegen. früh von geplanten Umsturzplänen, und sein Diese Auslandsaufenthalte waren zugleich die Begründung, einen Schwager bat ihn, in diesem Amt mitzuarbeiten. einjährigen Aufschub des mittlerweile eingetroffenen Einberufungs- Dabei kalkulierte er auch, dass Bonhoeffer bei der bescheids zur Wehrmacht zu erwirken. militärischen Abwehr nicht mehr in der Schussli- Nach der Rückkehr aus den Vereinigten Staaten und der Schließung nie der Gestapo sein und nicht zum Militärdienst seines »Sammelvikariats« durch die Gestapo tat sich für Bonhoeffer eingezogen würde. Zusätzlich könnten seine zahl- aber eine völlig neue Situation auf. reichen ökumenischen Kontakte mit dem Ausland Der Jurist Hans von Dohnanyi, ehemals Schulkamerad aus der Nach- als hervorragender Vorwand gelten, bei der Abwehr barschaft der Bonhoeffers, jetzt Schwager von Dietrich, war zum nützliche Dienste zu leisten. Bonhoeffer wurde militärischen Geheimdienst, Amt Ausland/Abwehr, berufen worden. V-Mann in München, weil er hier noch weniger Die Leitung dieser Organisation unter dem Oberkommando der Wehr- im Visier der Gestapo war als in Berlin. Er nutzte Eingesperrt, aber innerlich frei – bis zum Tod

Am 5. April 1943 wurden Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi verhaftet und in das Militärgefängnis Tegel eingeliefert. Hans Oster stand unter Hausarrest. Bei Dohna- nyis Verhaftung wurden Notizzettel über eine mögliche Nachkriegsordnung sichergestellt; sie belasteten auch Bonhoeffer. In den Verhören ging es um die aufgedeckten Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel »Unregelmäßigkeiten« im Amt der Abwehr. Von Umsturz- plänen wusste der skrupellose, verhörende Oberkriegsge- richtsrat Manfred Roeder allerdings noch nichts. Bonhoeffer war gezwungen, durch Lügen Hans von Dohnanyi, Wilhelm Canaris und die anderen zu schützen. Ein falsches Wort – und deren Tod wäre schon zu diesem Zeitpunkt entschieden dieses Amt zu zahlreichen weiteren Auslandskontakten gewesen. und traf sich dort mit führenden Männern aus Kirche und In späteren Briefen aus der Haft suchte Bonhoeffer dies mit Politik. Die Alliierten sollten davon überzeugt werden, dass einem Beispiel auch theologisch zu rechtfertigen: Wenn ein es in Deutschland großen Widerstand gegen den NS-Staat Kind die Frage seines Lehrers vor der ganzen Klasse verneint, gab und dass nach einem Umsturz das ausländische Militär ob es stimme, dass sein Vater immer betrunken nach Hause nicht mehr einen Vernichtungsfeldzug gegen Deutschland käme, dann kann man »nun zwar die Antwort des Kindes eine führen müsse. Lüge nennen; trotzdem enthält diese Lüge mehr Wahrheit, Allerdings begegnete man Bonhoeffer auch mit großer d.h. sie ist der Wirklichkeit gemäßer, als wenn das Kind die Skepsis, weil man im Ausland nicht glauben wollte, dass Schwäche seines Vaters vor der Schulklasse preisgegeben ein Mitglied der »Bekennenden Kirche« Mitarbeiter beim hätte. … Die Schuld der Lüge fällt allein auf den Lehrer deutschen NS-Geheimdienst war und sogar mit Erlaubnis zurück.« Dem Fragenden geht es gar nicht um die Wahr- der Nationalsozialisten ins Ausland reisen durfte. Selbst heitsfindung, er will lediglich den Befragten erniedrigen Karl Barth war vorübergehend von der neuen Rolle Bon- und bloßstellen. hoeffers irritiert. Die katastrophalen Haftbedingungen in Tegel änderten sich Mit vielen anderen setzte Bonhoeffer – nach den Erfah- für Bonhoeffer, nachdem sich der Stadtkommandant von rungen in der Weimarer Republik – für die Zeit nach dem Berlin, General Paul von Hase, zu einem offiziellen Besuch Krieg nicht auf eine Demokratie, sondern auf eine starke des Gefängnisses Tegel angesagt hatte. Von Hase war der »Obrigkeit von oben, von Gott her…, in der ihr göttlicher Bruder von Bonhoeffers Mutter und damit Dietrichs Onkel. Ursprung am hellsten durchscheint.« Bonhoeffer nutzte seine nunmehr privilegierte Stellung, Die Rettungsaktion von Juden durch die Abwehr (Deck- um auch seinen Mitgefangenen zu helfen. Er informierte in name »U 7«) brachte den Stein ins Rollen. Als »Agenten einem Bericht Behörden über die schlimmen Zustände in der Abwehr« sollten ursprünglich sieben, dann aber doch Tegel. Durch sein Auftreten gewann er das Vertrauen seiner 14 jüdische Bürger in die Schweiz eingeschleust werden. Wärter und durfte neben den erlaubten Briefkontakten auch Als neutrales Land weigerte sich aber die Schweiz, Juden zusätzlich Briefe hinausschmuggeln. Seine Eltern konnten aufzunehmen und ihnen Arbeitserlaubnis zu erteilen. Nur für ihn Bücher mitgeben – und auch den geliebten Tabak, mit einem größeren Geldbetrag in ausländischer Währung von dem er bis zu seiner letzten Fahrt nach Flossenbürg war dies dann doch möglich geworden. Die der Abwehr immer wieder auch anderen abgab. gegenüber misstrauische Gestapo aber entlarvte diesen In dieser Zeit entstanden neben dem umfangreichen Brief- Deal als »Devisenschwindel«. Reinhard Heydrich, der Leiter wechsel mit seinem Freund Eberhard Bethge (»Widerstand und des Reichssicherheitshauptamtes und Heinrich Himmler, Ergebung«), literarische Abhandlungen, Predigten, Andach- sein Chef, waren hellhörig geworden. ten, Gedichte und auch die berühmten »Brautbriefe Zelle 92«. 1942 hatte sich der 36jährige Bonhoeffer – nach dem Ende …, die von Gott ganz absehen können. Menschen einer früheren, mehr platonischen Beziehung mit seiner Cousine werden faktisch – und so war es zu allen Zeiten – auch Elisabeth Zinn – bei einer Begegnung in Hinterpommern in die ohne Gott mit diesen Fragen fertig.« »Immer wieder 18 Jahre jüngere Maria Wedemeyer verliebt. Wegen des großen werde Gott von der Kirche ‚an irgendeiner allerletzten Altersunterschieds, aber auch auf Wunsch der Großmutter von heimlichen Stelle hinein(ge)schmuggelt‘, anstatt die Maria, legten sich Dietrich und Maria nach einer brieflichen Mündigkeit der Menschen, ihre Religionslosigkeit Verlobung ein halbjähriges Schreib- und Begegnungsverbot auf. einfach anzuerkennen.« Ganz hielten sie diese Zeit nicht durch, aber bereits nach dem Abgelehnt war damit von ihm auch die metaphy- ersten wieder aufgenommenen Briefwechsel wurde Dietrich ver- sische Vorstellung von einem »allmächtigen« Gott: haftet. Eine Begegnung konnte dann nur bei wenigen Besuchen Auch wenn ein Mensch leidet, wenn er sich von Gott Marias in Tegel stattfinden. Welch eine tragische Verlobungszeit! verlassen fühlt, wenn er nicht zu einem – von außen Zugreifenden – Zuflucht nehmen kann, ist er nicht Ein erheblicher, oft auch stark missdeuteter Einschnitt sind die von Gott getrennt. Der »mündige« Mensch »kann und theologischen Reflexionen Bonhoeffers in seinen Briefen aus muss selbständig mit seinem Leben zurechtkommen dem Gefängnis ab April 1944. Hier sprach er in seinen sozialen – und gleichzeitig wissen, dass er ‚in der Nähe und Betrachtungen zum ersten Mal von einer »religionslosen Zeit« unter der Gegenwart Gottes leben‘ darf.« Und noch und stellte Überlegungen an, wie eine entsprechend »nichtreligi- mehr wollte Bonhoeffer von Gott »nicht an den Gren- öse Interpretation« des christlichen Glaubens zu sein habe. Auch zen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, für die »letzten Fragen« gibt es »heute menschliche Antworten sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld,

(korrigierte) Abschrift aus dem Jahr 1945 Geschwistern in großer Liebe und Dankbarkeit gegrüßt. Es umarmt Dich Dein Dietrich« Dass dieses Gedicht überhaupt aus dem Gestapo-Gefängnis, in das Bonhoeffer Skulptur Bonhoeffer mittlerweile überstellt worden war, herausgeschmuggelt von Karl Biedermann werden konnte, grenzt an ein Wunder. Maria Wedemeyer versuchte an der Westseite der mehrmals, Dietrich im Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht- Zionskirche in Berlin. Straße zu besuchen. Ihr Bemühen um eine Besuchserlaubnis war Kreuzessymbol und vergeblich. Der diensttuende Kommissar Sonderegger war von ihrem knieende Person Auftreten jedoch so beeindruckt, dass er ihr die Briefe des Gefan- in einem genen übergab – entgegen aller Vorschriften. Ab dem 7. Februar 1945 war aber auch dies nicht mehr möglich, weil Bonhoeffer in das KZ Buchenwald überstellt worden war. Von dort ging es Anfang April auf einer bewegten Fahrt im Holzvergaser über Weiden nach Regensburg und Schönberg im Bayerischen Wald. Hitler hatte mittlerweile – nach der Entdeckung der »Zossener Akten«, in denen Canaris und Dohnanyi zahlreiche Verbrechen des NS-Staates dokumentiert hatten – das Todesurteil über die Männer der ehemaligen Abwehr gesprochen. Deshalb wurde Bonhoeffer sondern im Leben und im Guten des Menschen eigens von Schönberg aus nach Flossenbürg abgeholt, und mit sprechen… Die Kirche steht nicht dort, wo das Wilhelm Canaris, Ludwig Gehre, Hans Oster, Friedrich von Rabenau, menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, Karl Sack und Theodor Strünck in den Morgenstunden des 9. April sondern mitten im Dorf.« 1945 nach einem kurzen, menschenverachtenden und mörderischen Scheinprozess im KZ Flossenbürg durch den Strang hingerichtet. Nicht von Gott getrennt sein, von guten Mächten Die letzten Worte, die uns von Dietrich Bonhoeffer überliefert sind, wunderbar geborgen leben dürfen – ganz gleich, drücken in Erwartung »was kommen mag« seinen in der Beziehung wie das Leben läuft – diese Erkenntnis strahlt aus zu Gott tief gegründeten und im Diesseits verankerten Glauben aus: Bonhoeffers bekanntem Gedicht, das er ein halbes »Dies ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.« Jahr später nach der Wende in seinem theo- logischen Denken an seine Braut und an seine Familie aus dem Kellergefängnis der Gestapo mit folgenden Begleitworten senden konnte: »Meine liebe Maria, ich bin so froh, dass ich Dir Weihnachten schreiben kann, und durch Dich auch die Eltern u. Geschwister grüßen und Euch danken kann. Es werden sehr stille Tage in unseren Häusern. … Es sind nun fast 2 Jahre, dass wir aufeinander warten, liebste Maria. Werde nicht mutlos! Ich bin froh, dass Du bei den Eltern bist. Grüße Deine Mutter und das ganze Haus sehr von mir. Hier noch ein paar

Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen. Hinweis: Sie sind der Weihnachtsgruß für Dich und die Auf unserer Internetseite findet sich dieser Beitrag in leicht erweiterter Form mit Eltern und Geschwister. ...- Sei mit Eltern und Zitatbelegen, umfassenden Literaturangaben und einer Zeittafel.

Begegnung und Gespräch - online: www.lehrerbibliothek.de/BuG

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