Wie Harry Sich Taufen Ließ, Um Als Heinrich
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Dietrich Bonhoeffers Weg vom unbedingten Gehorsam in den Spielraum der Freiheit Theologie des Gehorsams und Theologie der Freiheit „Gehorsam ist ein Wort, das wir heute nicht sehr gern hören.“ (9,542). Mit diesem Satz wäre der 20-jährige Dietrich Bonhoeffer wohl einer von uns, die wir das Wort auch nicht mehr besonders schätzen. Sieben Jahre später, 1933, wird „Gehorsam“ dann aber zu einem Schlüsselbegriff der Bonhoeffer‘schen Theologie, und das heißt: Wir dürfen uns nicht einzelne Sätze Bonhoeffers heraussuchen, die uns besonders zusagen, sondern müssen ihm zunächst einmal zuhören. Wenn man die Schriften Bonhoeffers untersucht, legt sich im Blick auf das Thema Gehorsam eine Dreiteilung nahe. Man hat in den frühen Schriften den Sohn einer großbürgerlichen Familie vor sich, bei der – wie folglich auch bei ihm – das Wort Gehorsam keine, oder jedenfalls eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hat. Am 30. Januar 1933 ändert sich das mit der „Machtergreifung“ Hitlers radikal. Jetzt rückt das Wort „Gehorsam“ – zusammen mit dem Wort „Zucht“, das in unseren Ohren geradezu grässlich klingt – mehr und mehr in den Vordergrund. Vom Sommer 1939 an kommt es erneut zu einer deutlichen Veränderung. Der Begriff Gehorsam tritt wieder in den Hintergrund und an seine Stelle tritt das Wort „Freiheit“, das in der theologisch-ethischen Diskussion in Deutschland erst in der Mitte der 50er-Jahre den „Gehorsam“ als Zentralbegriff abgelöst hat. Bonhoeffer war der innerkirchlichen Diskussion damit weit voraus. Bei ihm wird die Freiheit zum Mittelpunkt seines Denkens und ab 1943 zu einem der Schlüsselbegriffe seiner „Gefängnistheologie“. Da aber das Wort „Zucht“ auch in dieser dritten Periode seines Lebens – und sogar an einer entscheidenden Stelle – wiederkehrt, zeigt sich, dass er es uns bei unseren Überlegungen nicht leicht macht. Der jüngste Sohn einer großbürgerlichen Familie Es gab bei den Eltern Bonhoeffer eine klare Aufgabenteilung: Der Vater, Karl Bonhoeffer, war Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Berliner Universität. Er sprach im Kreis der Familie nur wenig und immer aus ruhiger Überlegung. Damit war er für seine Kinder eine Art „letzte Instanz“. Mittelpunkt der Familie war die impulsive Mutter, Paula Bonhoeffer, geb. von Hase, die für ihren Mann und die Kinder lebte und den Haushalt mit acht Kindern und fünf Angestellten so lenkte, dass Gäste kaum merkten, wie sie ihre Anordnungen erteilte, die es natürlich in Fülle gab. Paula Bonhoeffer war der Auffassung, in Deutschland würde der männlichen Jugend zweimal das Rückgrat gebrochen: in der Schule und beim Militär. Sie unterrichtete darum als ausgebildete Lehrerin ihre Kinder – zusammen mit einigen Nachbarskindern – in den ersten Jahren selbst; und wenn die Kinder danach in eine öffentliche Schule kamen, konnten sie eine oder sogar zwei Klassen überspringen. Auch Dietrich hat mit 17 Jahren Abitur gemacht. Dass man in der Schule zu den Besten zu gehören hatte, galt in der Familie als so selbstverständlich, dass darüber nicht geredet wurde. Ängstlichkeit oder gar Feigheit waren verpönt. Als eins ihrer Kinder sich bei der ersten Schwimmstunde nicht ins Wasser traute, sprang Paula Bonhoeffer vollständig bekleidet voran. Man hatte dann allerdings etwas Mühe, sie wieder aus dem Wasser zu bekommen; sie selbst hatte nie schwimmen gelernt. Die Bonhoeffer-Kinder durften Fehler machen; aber sie durften sich dann nicht herausreden, sondern mussten für das, was sie gesagt oder getan hatten, geradestehen. Man durfte auf andere Menschen nicht herabsehen und hatte sich Älteren gegenüber respektvoll zu verhalten. Bei Tisch durfte man nicht ungefragt reden; und wer redete, musste sich schlicht ausdrücken. Für eine zu gewählte Ausdrucksweise wurde man ausgelacht. Bonhoeffers Schwestern haben das in persönlichen Erinnerungen amüsant beschrieben. Im Tegeler Gefängnis schreibt Bonhoeffer im Rückblick: „Ich habe es als einen der stärksten Erziehungsfaktoren in unserer Familie empfunden, dass man uns so viele Hemmungen zu 1 überwinden gegeben hat (in Bezug auf Sachlichkeit, Klarheit, Natürlichkeit, Takt, Einfachheit etc.) bevor wir zu eigenen Äußerungen gelangen konnten.“ (8,568; i.e. Dietrich Bonhoeffer, Werke, Bd. 8, S. 568; im Folgenden zitiert: Bandnr., Seitenzahl) Man spürt, wenn man sich mit der Familiengeschichte befasst, überall große Freiheit, viel Zutrauen in die natürliche Entwicklung und so gut wie keine Ängstlichkeit oder Zwang. Der jüngste Sohn einer solchen Familie pflegt sehr genau auf die älteren Brüder zu achten; bei Dietrich waren es drei. Danach waren zwei Mädchen gekommen, dann er mit seiner Zwillingsschwester, und das Schlusslicht bildete eine drei Jahre jüngere Schwester. Ältere Brüder – vor allem der nächst ältere – werden fast immer auch als Konkurrenten empfunden, von denen man sich absetzen möchte; und dabei entwickelt ein starker und begabter kleiner Bruder einen Ehrgeiz, der umso kräftiger wird, als sich der ärgerliche Altersvorsprung ja nie überwinden lässt. Bonhoeffer hat den im Geschwisterkreis entwickelten Ehrgeiz später als Charakterfehler empfunden und zu unterdrücken versucht. Aber es ist faszinierend zu lesen, wie ein amerikanischer Freund, der Theologe Paul Lehmann, den von den Schergen Hitlers ermordeten Dietrich Bonhoeffer in den 50er-Jahren seinen Hörern im britischen Rundfunk vorgestellt hat. Er schildert zunächst, wie die elitäre, großbürgerliche Erziehung seinen Freund geprägt hatte: „Er war deutsch in seiner Leidenschaft für Perfektion, sowohl was die Manieren anging, als auch in seiner Art zu arbeiten. In allem, was man unter ‚Kultiviertheit‘ versteht, war er perfekt. Hier hatte man, um es kurz zu sagen, einen der denkbar besten Vertreter des Geistesadels vor sich. [...] Man nahm das wahr, aber es hatte überhaupt nichts Aufdringliches, und das lag, wie ich denke, einmal an der grenzenlosen intellektuellen Neugier, die er jeder neuen Umgebung gegenüber an den Tag legte und zum andern an seinem nie versagenden Humor. [...] Er hatte die Fähigkeit, sich selbst und die Welt auch von einem anderen als dem eigenen Standpunkt aus zu betrachten.“ (DB 192f.)1 Einem Menschen dieser Herkunft und mit Eigenschaften, wie Bonhoeffer sie hatte, hätte die Welt offen gestanden. Dass er sich für die Theologie entschieden hat, war schon damals ganz ungewöhnlich, und er wusste das auch. Er hatte sein späteres Fach bereits mit 14 oder 15 Jahren gewählt, und die spürbare Verwunderung des Vaters und der Spott der älteren Brüder hatten ihn nicht davon abbringen können. Ich denke, dass hier mehrere Faktoren zusammengewirkt haben. Der Tod des zweitältesten Bruders Walter im Ersten Weltkrieg und die tiefe Trauer der Mutter darüber gehörten zu Bonhoeffers stärksten Kindheitserinnerungen. Der Zwölfjährige grübelt: Was bedeutet es, dass unser Leben so plötzlich zuende sein kann? Und wohin gehen die Toten? Das waren Fragen, die ihn lange beschäftigt haben. Dazu kommt, dass die „drei Kleinen“, Dietrich, Sabine und Susanne, eine Erzieherin hatten, die sie sehr liebten: Maria Horn, genannt „Hörnchen“. Sie war eine Herrnhuterin, deren Frömmigkeit bei den drei jüngsten Bonhoeffers deutliche Spuren hinterlassen hat. Nicht weniger entscheidend aber scheint mir auch zu sein, dass Dietrich sich mit seinem künftigen Beruf klar von den älteren Brüdern absetzen wollte. Auf ihren Spott: „Was willst du denn damit, die Kirche ist doch passé“, soll der Fünfzehnjährige geantwortet haben: „Dann werde ich die Kirche eben reformieren.“ Für unser Thema ist vor allem die Feststellung wichtig, dass es in Bonhoeffers Kindheit und Jugend erkennbare Gehorsamsforderungen nicht gegeben hat. Prägend waren für ihn die Liebe der Mutter, das stille und darum besonders starke Vorbild des Vaters und natürlich das fordernde Zusammenleben mit älteren Geschwistern. Gehorsam war bei den Bonhoeffers etwas, das sich in entscheidenden Augenblicken2 von selbst verstand, im Übrigen aber keine Rolle spielte. Die so erworbene Haltung nahm Bonhoeffer in sein Studium mit. 1 Die Sigle DB verweist auf Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie, 9. Aufl. Gütersloh 2005. 2 Da Freunde von mir, die das Manuskript gelesen haben, mit dem Ausdruck „entscheidende Augenblicke“ nichts anzufangen wussten, sei er hier erklärt. Wenn die Bonhoefferkinder merkten, die Eltern wünschten, dass sie etwas so und nicht anders machten, dann wurde darüber nicht diskutiert, sondern es wurde so gemacht. 2 Nun gab es in seinem Leben auch andere Einflüsse als die des Elternhauses, das für das Leben insgesamt außerordentlich viel, für die „theologische Existenz“ eines Pfarrers aber fast nichts zu bieten hatte. Ein Mann hatte während der Studienjahre Bonhoeffers den Weg dieses außergewöhnlich begabten Studenten im Auge behalten und ihn dabei so behutsam beeinflusst, dass Bonhoeffer das gar nicht bemerkt zu haben scheint. Es war der Berliner Superintendent Max Diestel, der den 19-jährigen Studenten gebeten hatte, für einen erkrankten Pfarrer einzuspringen. Bonhoeffer hatte eingewilligt, aber darum gebeten, der Superintendent möge die Predigt vorab mit ihm durchsprechen. Diese erste Predigt beginnt mit dem Satz „Christentum bedeutet Entscheidung.“ Die drei Worte wurden zu einem Lebensprinzip, dessen Radikalität der junge Theologe zunächst selbst entdecken musste, das er dann aber in die Tat umzusetzen versucht und bis 1939 immer weiter verschärft hat. Hier kommen wir an die Quelle seiner Gehorsamstheologie. Bonhoeffers Weg dahin beginnt mit der ersten Predigt. Max Diestel hatte ein untrügliches Gespür für Menschen und hat sich wohl damals gesagt: Dieser