Sport

Testfahrer Wurz im McLaren-Mercedes (in Monza)

WOLFGANG WILHELM

FORMEL 1 Sherpas im Kreisverkehr Nach knapp drei Monaten Fahrverbot beginnt der Grand-Prix-Zirkus diese Woche mit den Testläufen für die nächste Saison. Bis zur Premiere Anfang März müssen die neu entwickelten Rennwagen schnell und zuverlässig gemacht werden – eine Materialschlacht an den Grenzen der Physik.

lexander Wurz ist der meistbe- in Melbourne nicht mal acht Wochen ver- cher Techniker wird bis zum Grand-Prix- schäftigte Fahrer der Formel 1. bleiben, um die neu entwickelten Renn- Auftakt nicht mehr nach Hause kommen. AMehr als 14 000 Kilometer hat er autos schnell und zuverlässig zu machen, „Bis Ende Februar“, glaubt Mercedes-Mo- voriges Jahr in McLaren-Mercedes-Renn- wird das eingesparte Geld nun mit Vollgas torsportchef Norbert Haug, „wird es kei- wagen zurückgelegt. An Grand-Prix-Wo- hinausgeblasen. „Das werden die stressigs- nen Tag geben, an dem sich nicht irgendwo chenenden waren seine Fähigkeiten am ten, aber auch interessantesten Wochen ein Formel-1-Rad dreht.“ Selbst wenn die Lenkrad indes nicht gefragt. Da saßen im des Jahres“, sagt Wurz. Einsatzautos schon im Cargo-Jumbo nach Silberpfeil die Stars: Mika Häkkinen und Der Druck auf die Teams ist enorm. Nie Australien unterwegs seien, prophezeit der . zuvor haben die Ingenieure ihre Hightech- Schwabe, „wird weiter getestet“. Denn Wurz, 27, hat den eigentümlichen Ideen so komprimiert ausprobieren müs- Schließlich gehört es schon länger zum Job eines Testpiloten. Und das bedeutet: sen. Und nie zuvor nahmen mehr Auto- teuren Brauch der Rennställe, dass sie se- keine Gegner, keine Zweikämpfe, keine mobilkonzerne den Kampf um die Formel- parate Testcrews unterhalten – mit eigenen Überholmanöver. Kein Publikum, kein 1-Weltmeisterschaft auf: Mit der Rückkehr Autos, eigenen Mechanikern und eigenem Ruhm, keine Niederlagen. Kein Sport. Nur von Renault und dem Einstieg von Fahrer. Während die Rennmannschaften Kilometer. sind nunmehr sieben Werke am Start. von März bis Oktober alle 14 Tage einen Von dieser Woche an ist der Österreicher Die Folgen der globalen Marketing- Grand Prix bestreiten, ziehen die 30 bis wieder ausgebucht. Das fast dreimonatige schlacht werden dieser Tage auf dem Circuit 50 Mitarbeiter starken Versuchsabteilungen Testverbot, auf das sich die Formel-1- de Catalunya in Barcelona sichtbar: Die in ihrem eigenen Takt von Strecke zu Teamchefs zwecks Kostendämpfung erst- großen Teams sind zum Testbeginn am 7. Ja- Strecke: ein Paralleluniversum, der be- mals verständigt hatten, ist vorüber. Und nuar mit jeweils drei Rennwagen angereist, rühmten Showtruppe immer ein wenig vor- weil bis zur Saisonpremiere Anfang März das Personal wurde aufgestockt, und man- aus. Denn alles, was in den Laboratorien

106 der spiegel 2/2002 Lehrfahrten Testkilometer mit Formel-1- Quelle: Rennwagen 2001 „Sport Auto“

1. Fahrer km McLaren-Mercedes ohne 2. Grand- km 3. Marc Gené Prix- BMW-Williams Einsatz km 4. Pedro de la Rosa Arrows, Prost, Jaguar km 5. BAR km 6. Juan-Pablo Montoya BMW-Williams km 7. Ferrari km 8. Prost, Jordan km WOLFGANG WILHELM WOLFGANG 9. McLaren-Testcrew: Ein Paralleluniversum, der Showtruppe immer voraus Ferrari km 10. lautet ein Gesetz des Rennsports, ist bierte Alexander Wurz einen neuen Ent- Jordan km …… … nur durch Fahren zu ersetzen. wurf aus – mit dem David Coulthard beim 14. Und wer sein Auto während der dritten Rennen prompt zum Sieg fuhr. Sauber km Saison nicht kontinuierlich weiter- Für komplexere Bauteile sind die Vor- …… … entwickelt, so heißt ein anderer laufzeiten deutlich länger. Bereits im ver- 16. Lehrsatz, der wird in der Startauf- gangenen August testete Wurz in Monza BMW-Williams km …… … stellung rasch nach hinten durch- Getriebeteile des McLaren Jahrgang 2002, 24. Heinz-Harald Frentzen gereicht. Das Wettrüsten im Grenz- der erst am übernächsten Samstag zur Jordan, Prost km bereich der Physik hat mit dem Jungfernfahrt starten wird und Ferrari den Dauerduell Ferrari gegen McLaren- WM-Titel wieder abjagen soll. Mercedes längst absurde Formen an- Nur zwei Teams, Toyota und BAR, ha- der Formel-1-Industrie ersonnen und er- genommen. Doch Geld spielt fast keine ben ihre Modelle für diese Saison schon schaffen wird, muss sich vor dem Renn- Rolle mehr, seit Firmen wie Daimler- fertig. Alle anderen präsentieren ihre Krea- einsatz erst bei Probefahrten bewähren – Chrysler, BMW oder Ford den Grand-Prix- tionen in den kommenden Wochen – und und landet nicht selten auf dem Sondermüll. Zirkus als jene Bühne entdeckt haben, auf behelfen sich bis dahin bei den Tests mit Von , dem renommierten der Marktanteile zu erobern sind. Über Vorjahres- oder Interimsautos, in denen Ferrari-Konstrukteur, wird berichtet, dass eine Milliarde Euro hat Toyota für seine neue Komponenten wie Motor oder Auf- er es auf der Suche nach Sekundenbruch- ersten drei Formel-1-Jahre veranschlagt. hängungsteile schon eingebaut sind. teilen in einem Jahr mal auf 45 verschiede- Ein neuer Schub für die Kostenlawine. So werden die Frontberichte von den ne Frontflügel gebracht hat. Jede Variante Seit 1993 hat McLaren seinen Testaufwand ersten Fahrten, wechselweise aus Barcelo- versprach am Computer einen Zeitgewinn, auf fast 40000 Kilometer in 90 Tagen pro na und Valencia, auch kaum zur Standort- jede musste im Windkanal ihre Tauglichkeit Jahr verdoppelt, Ferrari und Williams mel- bestimmung dienen: Die kleineren Teams, beweisen, doch keine bestand die Praxis den ähnliche Umfänge. die ihre Sponsoren-Akquise noch nicht ab- auf Asphalt. Zwar bedienen sich Ingenieu- Den Stammpiloten ist das nicht mehr geschlossen haben, versuchen mit fabulö- re wie Byrne modernster Rechner, die fast zuzumuten. „Wenn so einer das volle Test- sen Rundenzeiten Schlagzeilen zu machen alles simulieren können. Doch Fahren, so programm abwickeln müsste“, sagt Patrick und sich als Geheimfavoriten zu stilisieren Head, Technikchef im BMW- – was mit einem untergewichtigen Auto Williams-Team, „wäre er im nicht allzu schwierig ist. Die großen Teams Mai ausgebrannt.“ konzentrieren sich auf den ersten Grand Bei den großen Rennstäl- Prix. „Was bis dahin passiert“, sagt Welt- len sitzen deshalb manche meister Michael Schumacher, „ist mir Testfahrer häufiger im Cock- wurscht.“ Dass sein Ferrari anfänglich von pit als ihre prominenten Kol- Kinderkrankheiten gebremst werden könn- legen. Ihr Geschäft ist, te, hält der gelernte Kfz-Mechaniker für • das Fahrzeug für das fol- normal: „Im Prinzip ist ein Formel-1-Auto gende Rennen zu trimmen, doch ein kompletter Prototyp.“ • langfristig technische Neu- Und weil mit jedem Entwicklungsschritt heiten zu erproben, übers Jahr neue Krankheiten dräuen, hat • kurzfristig auf Defekte Ferrari eine zusätzliche Planstelle geschaf- oder Schwächen beim letz- fen: Neben dem Italiener Luca Badoer, der ten Rennen zu reagieren. voriges Jahr 13963 Kilometer zum Wohle So erwies sich etwa der Schumachers absolvierte, verstärkt der Frontflügel des McLaren im ersten WM-Lauf des Vorjah- * Mit Michael Schumacher, Teamchef und Schu-

BAZUKI / REUTERS MUHAMMAD res als nicht konkurrenzfähig. macher-Manager Willi Weber nach dem WM-Sieg am Ferrari-Testpilot Badoer (hinten)*: Absurdes Wettrüsten Gut zwei Wochen später pro- 22. Oktober 2000 in Sepang (Malaysia).

der spiegel 2/2002 107 Sport WOLFGANG WILHELM (L.); STEVE MITCHELL / EMPICS (R.) MITCHELL (L.); STEVE WILHELM WOLFGANG Testpilot Wurz (mit McLaren-Ingenieur), BAR-Rennfahrer Panis (Mitte)*: „In höheren Sphären bewegen“

Brasilianer Luciano Burti als vierter Werks- ihren Fahrstil auf das Auto ein, die ande- Doch für Rennfahrer wie Wurz, der im fahrer die Test-Equipe aus Maranello. ren stellen das Auto auf ihren Fahrstil ein. Benetton-Team nach vier Jahren und 52 Der Zwang zum Perfektionismus reißt Wurz kann sich keine Eigenheiten leisten. WM-Läufen keine Zukunft mehr hatte, alle mit: Insider erwarten, dass 2002 die „Ich musste meinen Stil aufgeben, um als kam die Offerte von McLaren einem Sti- ersten Teams gleichzeitig auf zwei Test- Teammitglied zu funktionieren.“ pendium in Harvard gleich. Sein Vorgänger strecken ins Manöver ziehen werden. Da hilft es zwar, dass die Techniker na- Panis hatte gar einen gut dotierten Job als McLaren-Mercedes hat für einige Tage das hezu alle Funktionen der Rennwagen auf Stammfahrer bei einem Mittelklasseteam Rollfeld eines englischen Provinzflugha- ihren Monitoren abrufen können, insge- abgelehnt: „Ich wollte wissen, was ich leis- fens angemietet. Dort wird Darren Turner, samt 2500 Parameter. „Doch bei der Feh- ten kann, wenn ich im besten Auto sitze.“ der vierte Mann im Rennstall, am Steuer leranalyse kommt es immer noch auf den Als McLaren-Testfahrer stieß der Fran- sitzen. Es gilt, auf den langen Geraden Da- Fahrer an“, sagt Wurz. „Wenn ich ein über- zose dann in Geschwindigkeitsbereiche, die ten aus dem Windkanal mit dem Wider- steuerndes Auto habe, dann fahre ich nicht er nicht kannte. Er sah, dass er von Welt- stand britischer Landluft zu vergleichen. so, dass das Problem auftaucht, sondern meister Häkkinen nicht weit entfernt war: Die Bosse von McLaren-Mercedes wa- ändere meine Fahrweise so, dass ich das „Das gab mir wieder Selbstvertrauen.“ Wie ren es auch, die 1999 bei der Rekrutierung Problem nicht habe. Die Sensoren kriegen nach einer Frischzellenkur für die Psyche des Testpersonals neue Maßstäbe setzten: das nicht mit. Also muss ich es mündlich kehrte Panis ins Grand-Prix-Geschehen Sie verpflichteten Olivier Panis, der mit 91 vortragen.“ zurück – und war 2001 im BAR-Rennstall Grand-Prix-Einsätzen und einem Sieg Das ist vor allem bei der dieses Jahr des öfteren schneller als sein Teamgefähr- mehr Meriten vorzuweisen hatte als die so bedeutenden Reifenentwicklung wich- te, Ex-Weltmeister . meisten Stammpiloten der Konkurrenz. tig. Denn McLaren-Mercedes hat den Von so einem Comeback träumen sie Das englisch-deutsche Team hatte er- Partner gewechselt, von zu alle, die Sherpas im Kreisverkehr: Wurz kannt, dass junge Talente, die bislang gern Michelin. bei McLaren, Badoer (50 Grand-Prix- als Tester angeheuert wurden, oft sinnlee- Die optimale Laufflächenmischung zu Einsätze) bei Ferrari, der Spanier Marc re Runden drehen. Arrivierte Formel-1-Pi- finden ist heikel: Dazu werden zunächst Gené (33 Rennen) bei Williams und künf- loten verlangen zwar siebenstellige Dollar- Runden gedreht mit dem bislang besten tig der Spanier (17 Ren- Honorare; doch dafür konnte Panis das Reifen. Dann wird eine erste Neuentwick- nen) bei Renault. „Ich werde technisch und Auto mit sicherer Hand am Limit balancie- lung aufgezogen und die Zeit gemessen. fahrerisch gestärkt aus den beiden Jahren ren – und den Ingenieuren anschließend Es folgt die zweite Neuentwicklung. Dann bei McLaren herausgehen“, glaubt Wurz, präzise Beobachtungen mitteilen. wird wieder der Ausgangsreifen montiert: „ich werde gelernt haben, mich in höheren Auch die Stammfahrer Häkkinen und Back-to-back heißt die Methode. Sphären zu bewegen.“ Coulthard waren über die Kompetenz des Sie fußt auf der Erkenntnis, dass sich Bei jedem Grand-Prix-Wochenende hat Kollegen erfreut. Denn oft wurden sie am der Asphalt durch Gummiabrieb oder Wet- der Österreicher Präsenzpflicht. Er Rennwochenende mit technischen Neu- tereinflüsse ständig verändert. In Monza schwärmt davon, wie es sei, bei allen Mee- heiten konfrontiert, die nur der Franzose etwa rechnet man vormittags zu jeder hal- tings und Briefings Vorschläge einzubrin- zuvor ausprobiert hatte. „Sie mussten mir ben Stunde mit einem Temperaturanstieg gen, das komplette Bild zu sehen, die Kon- vertrauen“, erinnert sich Panis. von zwei Grad. „Nur wenn man immer kurrenz an der Strecke zu beobachten und Zu ambitioniert sollten Testfahrer jedoch wieder zur Ausgangsmischung zurück- deren Strategie auszuspionieren: „Mir nicht sein. So achten die Ingenieure darauf, kehrt“, sagt Wurz, „weiß man, ob das Auto macht es nichts aus, Zuträger zu sein.“ das Auto nicht auf die Eigenarten des Do- schneller geworden ist oder die Strecke.“ Ein frommer Selbstbetrug. Denn als mestiken auszurichten. „Wenn wir alles auf Selbst Spitzenkräfte im Formel-1-Ge- Häkkinen seinen Rücktritt bekannt gab meinen Stil abstimmen“, sagt Alexander werbe, die ansonsten für ihre Arbeitsmo- und ein finnischer Wunderknabe namens Wurz, der Panis nach einem Jahr ablöste, ral berühmt sind, verzichten gern auf der- Kimi Räikkönen im Herbst zu dessen „dann kann es sein, dass es den Grand- lei Mühsal. „Wenn man mich fragt, ob ich Nachfolger berufen wurde, fühlte sich Prix-Piloten nicht mehr hilft.“ Jeder Renn- lieber teste oder Fußball spiele“, gesteht Wurz schmählich übergangen. fahrer besitzt seine Bewegungsmuster, wie Champion Schumacher, „muss ich sagen: In einem Augenblick von Nachdenk- er aufs Gas tritt, einlenkt oder die Bremse Fußball macht mehr Spaß.“ lichkeit stellte er sich neulich die Frage, ob bedient – so wie jeder Tennisprofi sich ei- er überhaupt noch „Sportler“ sei, „oder nen individuellen Aufschlag angewöhnt hat. nur Testfahrer?“ Er fühle sich, befand er * Mit Teamkollege Jacques Villeneuve und Teamchef Grundsätzlich unterteilt Wurz Formel-1- David Richards bei der Präsentation des neuen Autos am dann, „wie der Reservetorwart bei einer Piloten in zwei Lager: Die einen stellen 18. Dezember 2001 in Brackley (England). Fußball-WM“. Alfred Weinzierl

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