IV Der Wiederaufbau von Wirtschaft und Verwaltung

Neuanfang unter amerikanischer Flagge

Wiederbelebung sozialdemokratischer Ortsvereine

Wilhelm Hoegners erste Regierungszeit

Die Wiedergründung des bayerischen Landesverbandes der SPD

Der Bayerische Beratende Landesausschuss

Der Weg zur Bayerischen Verfassung

Erster Bayerischer 1946: Koalition mit der CSU

Bayerns SPD erstmals in der Opposition (1947–1950)

Streitfall Grundgesetz – Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag

Zweiter Bayerischer Landtag 1950: erneute Koalition mit der CSU

Dritter Landtag 1954: die Viererkoalition und ihr Ende

Bayerische Landtagswahl 1958: SPD wieder in der Opposition Wirtschaft Die bayerische SPD und das Godesberger Programm Wiederaufbau Fünfter Bayerischer Landtag 1962: Generationswechsel in der SPD Verwaltung 95 IV DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Neuanfang unter amerikanischer Flagge

Das Ende der Die Einnahme Bayerns durch US-amerikanische Schiefer und mit Thomas Wimmer, dem späteren nationalsozialistischen Tr uppen vollzog sich innerhalb weniger Wochen; sie Oberbürgermeister von München. Die beiden Sozial- Diktatur begann am 25. März 1945 nördlich von Aschaffen- demokraten sandten Schäffer am 22. Mai 1945 eine burg und endete am 4. Mai mit der Übergabe von Liste mit Personalvorschlägen „ministrabler“ SPD- Berchtesgaden. Mit der bedingungslosen Kapitula- Kandidaten, auf der unter anderem die früheren tion des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 war die Landtagsabgeordneten Albert Roßhaupter, Wilhelm zwölfjährige nationalsozialistische Diktatur zu Ende. Hoegner und Georg Hagen notiert waren. Schäffer

Die US-Militärbehörden begannen sofort mit dem Aufbau einer entnazifizierten Verwaltung und Wirt- schaft. Von Anfang an wirkten dabei auch bayerische Sozialdemokraten entscheidend mit, sei es in öffent- lichen Ämtern, in betrieblichen oder in partei- und verbandspolitischen Positionen.

Insbesondere bei der Vergabe der höchsten Ämter griffen die amerikanischen Befreier auf politisch un- belastete Personen mit Regierungs- und Verwal- Albert Roßhaupter tungspraxis aus der Zeit vor 1933 zurück. So wurde (Arbeitsminister am 28. Mai 1945 Fritz Schäffer, der von 1931 bis 1933 1945–1947) geschäftsführender Leiter des bayerischen Finanzmi- nisteriums und Vorsitzender der Bayerischen Volks- partei (BVP) gewesen war, zum „Temporary Minister- Präsident for “ ernannt. Damit besaß Bayern als erstes deutsches Land wieder einen Regierungs- chef. Schäffer war zwar nicht parlamentarisch legiti- miert und an die Weisungen der Militärregierung ge- bunden, er hatte jedoch das Vorschlagsrecht bei der Berufung der Kabinettsmitglieder.

Bei der Regierungsbildung bevorzugte Schäffer seine alten Parteifreunde, führte aber auch Gespräche mit Gustav Schiefer Beim Schutträumen half auch der Münchner (1876–1956) Kommunisten und – bereits am 19. Mai 1945 – mit Oberbürgermeister Thomas Wimmer (Mitte). Rechts dem führenden Gewerkschaftsfunktionär Gustav neben ihm Stadtrat Gottlieb Branz Wiederbelebung sozialdemokratischer Ortsvereine 97

Wiederbelebung sozialdemokratischer Ortsvereine empfahl der Militärregierung jedoch lediglich die Be- Die amerikanische Militärregierung hatte am 25. Mai Neuaufbau der Parteien rufung des allseits angesehenen 67-jährigen Albert 1945 zunächst ausdrücklich alle Parteien und Organi- von unten nach oben Roßhaupter, der als ehemaliger Minister für militäri- sationen verboten. Ziel der Besatzungsbehörden war sche Angelegenheiten im Kabinett Eisner 1918/19 als es, politische Parteien von unten nach oben aufzubau- Einziger der Genannten über Regierungserfahrung en. Der Wiederaufbau der SPD in Bayern begann aus der Zeit vor der Diktatur verfügte. Roßhaupter denn auch in der Regel dort, wo bis 1933 Ortsvereine übernahm zunächst die Leitung der Abteilung „Arbeit bestanden hatten. Meist ließen die früheren Vorsit- und Fürsorge“ im Staatsministerium des Innern; mit zenden – wie etwa Thomas Wimmer in München – der Verselbständigung dieser Abteilung zu einem ei- ihre alten Ämter einfach wieder aufleben. Auch pro- genen Ressort am 20. Juni 1945 wurde Roßhaupter grammatisch konnte nahtlos an die Weimarer Zeit Arbeitsminister. angeknüpft werden. So formulierte der Nürnberger Sozialdemokrat Josef Simon in der Präambel des ört- An den Ministerratssitzungen, die bereits seit dem lichen SPD-Programms: 8. Juni 1945 wieder regelmäßig stattfanden, nahmen später noch zwei weitere Sozialdemokraten teil: Wil- „Die Sozialdemokratische Partei brauchte weder Jean Stock (1893–1965), helm Hoegner, der am 6. Juni aus seinem Schweizer ihren Namen noch ihr Programm zu ändern. Sie ab 1919 MdL, 1946 Exil nach Bayern zurückgekehrt war und von Schäffer bekannte sich von jeher zur demokratischen Staats- Mitglied VerfgLV, 1946–1950 SPD- mit dem Wiederaufbau der Justizverwaltung betraut auffassung, zur Völkerverständigung und zur inter- Fraktionsvorsitzender. wurde, sowie der Münchner Stadtrat Karl Sebastian nationalen Zusammenarbeit.“ Preis als Wohnungs- und Siedlungsreferent. In vielen bayerischen Städten wurden Sozialdemokra- Schäffers Regierungszeit dauerte aber nur 123 Tage: ten aufgrund ihrer anerkannten antifaschistischen Auf Befehl von General Dwight D. Eisenhower, dem Haltung mit öffentlichen Ämtern betraut; in Ansbach, Militärgouverneur der US-Zone, wurde Schäffer am Augsburg und Nürnberg stellten sie den Oberbürger- 28. September 1945 entlassen. Ausschlaggebend hier- meister. Auch in Aschaffenburg wurde mit Jean Stock für waren zum einen die auch in der amerikanischen ein Sozialdemokrat als Oberbürgermeister eingesetzt, Öffentlichkeit vorherrschende Kritik an der bayeri- später Regierungspräsident von Unterfranken und schen Entnazifizierungspraxis, zum anderen die ein- SPD-Fraktionsvorsitzender im ersten Nachkriegs- seitig katholisch-konservative Ausrichtung des von landtag. Schäffer gebildeten Kabinetts. Noch am selben Tag wurde zum neuen Bayerischen Ministerpräsidenten ernannt. Er blieb dies bis zur Josef Simon (1865–1949) Wahl des ersten regulären bayerischen Nachkriegs- Nürnberger Sozial- im Dezember 1946. demokrat DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Wilhelm Hoegners erste Regierungszeit

Die Ernennung von Wilhelm Hoegner zum „Minis- re Lehrer und Schulexperte Franz Fendt führte das ter President of the State of Bavaria“ (also ohne das Kultusministerium und Albert Roßhaupter blieb einschränkende Attribut „temporary“) am 28. Sep- weiterhin an der Spitze des Arbeitsministeriums. tember 1945 durchkreuzte die Bemühungen des Tr otz dieses sehr uneinheitlichen Kabinetts aus SPD-, CSU-Mitbegründers Josef Müller, der selbst Fritz CSU- und KPD-Mitgliedern spielten in der täglichen Schäffer nachfolgen wollte. Wie seitens der Militärre- Regierungsarbeit weltanschauliche Unterschiede kaum gierung gewünscht, saßen im neu gebildeten Kabinett eine Rolle. Hoegners, der seit dem 18. Oktober 1945 auch als Jus- tizminister fungierte, mehr Politiker des linken Par- Am Beginn seiner Amtszeit definierte Hoegner in ei- teienspektrums als zuvor. So leitete Josef Seifried, der ner im Rundfunk verlesenen Regierungserklärung schon 1932 der SPD-Fraktion im Bayerischen Land- vom 22. Oktober 1945 die primäre Aufgabe seines Ka- tag angehört hatte, das Innenministerium, der frühe- binetts: Überwunden werden sollten der Nationalso- zialismus im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben sowie dessen weltanschauliche Hinterlassenschaft, die zu einer „sittlichen Verwahrlosung“ geführt habe. Die Bewältigung der Entnazifizierung stand für Hoegner daher an erster Stelle. In seine Amtszeit fiel die defini- tive gesetzliche Regelung in der US-Zone durch das am 5. März 1946 in München feierlich in Kraft ge- setzte „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“. Weitere wichtige Schwerpunkte seiner ersten Regierungstätigkeit bildeten die Wohn- raumbeschaffung, die Unterbringung von Flüchtlin- gen, die Sicherung der Versorgungslage sowie der personelle und strukturelle Wiederaufbau der bayeri- schen Verwaltung.

Zudem mussten die rechtlichen Grundlagen für die Erste Regierung Hoegner 1945: Der aus dem Schweizer Exil zurückgekehrte Wilhelm ersten Kommunalwahlen in Bayern geschaffen wer- Hoegner (sitzend) und das Kabinett (von links): Hans Meinzolt (Staatssekretär), Albert den; die Wahlen in Gemeinden mit bis zu 20.000 Roßhaupter (Arbeitsminister), Anton Pfeiffer (Staatssekretär), Hans Ehard (Staatssekretär), Einwohnern am 27. Januar 1946 sollten nach dem Ludwig Erhard (Wirtschaftsminister), Josef Seifried (Innenminister), Franz Fendt (Kultusminister), Fritz Terhalle (Finanzminister), Heinrich Krehle (Staatssekretär), Willen der Militärregierung den Anfang machen. Joseph Baumgartner (Landwirtschaftsminister), Heinrich Schmitt (Sonderminister für Voraussetzung hierfür war aber die rechtzeitige Zu- Entnazifizierung) und Hans Müller (Staatssekretär) lassung von Parteien auch auf Landesebene. 99

Die Wiedergründung des bayerischen Landesverbandes der SPD

Die amerikanische Genehmigungspolitik formte die neue Parteienlandschaft in Bayern. Denn nach der Zulassung von CSU und SPD (beide am 8. Januar 1946), KPD (27. Januar 1946), WAV (Wirtschaftliche Aufbauvereinigung, 25. März 1946) und FDP (15. Mai 1946) auf Landesebene verweigerte die Militärregie- rung weitere Zulassungen, um eine Parteienzersplit- terung wie in der Weimarer Republik zu verhindern. Der Bayernpartei blieb aus diesem Grund bis zum 29. März 1948 ein landesweites Auftreten verwehrt.

Der Aufbau des Landesverbandes der Sozialdemo- kratischen Partei hatte lange vor der offiziellen Li- zenzierung eingesetzt. Zur ersten vorbereitenden Besprechung zwischen süd- und nordbayerischen Sozialdemokraten war es schon im Sommer 1945 in Pfaffenhofen gekommen. Organisiert vom sozialde- mokratischen Landrat Ernst Vetter fand dort am 11. und 12. November 1945 im „Moosburger Hof“ die erste inoffizielle Landestagung statt. Zwar waren noch keine gewählten Delegierten entsandt worden, aber die wichtigen Parteizentren Augsburg, Ansbach, Auf dem Weg zur Volkspartei: Großkundgebung der SPD mit Kurt Schumacher Nürnberg und München (vertreten durch Thomas und Wilhelm Hoegner Wimmer und Wilhelm Hoegner) nahmen daran teil. mend in Gegensatz zur deutschen Sozialdemokratie Nicht nur wegen seines Ministerpräsidentenamtes fiel unter Kurt Schumacher, der weiter den zentralisti- Hoegner dabei die parteipolitische Führungsrolle zu. schen Denkmustern der Weimarer SPD folgte. Er hatte bereits im September 1945 ein Aktionspro- Hoegner plädierte darüber hinaus (noch) für eine ge- gramm zur Zulassung der SPD in München verfasst. nossenschaftlich-sozialistische Wirtschaftsweise, die Mit seiner an erster Stelle stehenden Forderung nach er als Gegenkonzept zu Nationalsozialismus und einer „föderalistischen Gliederung des Reichs“ stellte Staatssozialismus stalinistischer Prägung verstand. sich Hoegner bewusst in die Tradition der „königlich- Zukunftsweisend war dagegen Hoegners deutliche bayerischen Sozialdemokratie“ eines Georg von Voll- Absage an die SPD als Klassenpartei: „Wir müssen „Wir müssen Volkspartei mar. Diese Überzeugung brachte ihn später zuneh- Volkspartei werden!“ werden!“ DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Wilhelm Hoegner (1887–1980), Wilhelm Hoegner wurde am 23. September 1887 als Vater der Bayerischen Verfassung siebtes von dreizehn Kindern einer Münchner Eisen- bahnerfamilie geboren. Er besuchte Gymnasien in Zu den bedeutendsten Politikern der bayerischen Burghausen und München. Seine juristischen Studien SPD im 20. Jahrhundert gehört zweifellos Wilhelm in Berlin, Erlangen und München schloss er 1917 – Hoegner, der dem Landtag insgesamt 32 Jahre lang nach der bereits 1912 erfolgten Promotion zum Dok- angehörte (1924–1932 und 1946–1970). Seine histori- tor der Jurisprudenz – mit der Großen Juristischen sche Leistung in der Zeit als Ministerpräsident der Staatsprüfung ab. Von 1920 bis 1933 arbeitete er als Jahre 1945/46 liegt in der entscheidenden Mitwirkung Staatsanwalt und Richter in München (zuletzt als an der Wiedererrichtung eines lebensfähigen und de- Landgerichtsrat). Aus seiner 1918 geschlossenen Ehe mokratischen bayerischen Staates. Dessen zukunfts- mit Anna Woock (1892–1984) gingen zwei Kinder weisende Ausgestaltung prägte er – auch dies einma- hervor. lig in der Geschichte der SPD – ein zweites Mal als Ministerpräsident der so genannten Viererkoalition Hoegner, der 1919 Mitglied der SPD geworden war, (1954–1957). machte sich bereits als Landtagsabgeordneter 1924 ei- nen Namen, als er einen Untersuchungsausschuss über die Hintergründe des Hitlerputsches vom 9. No- vember 1923 beantragte, in dem er dann die Verbin- dungen von Polizei, Reichswehr und Schwerindustrie zum Nationalsozialismus aufdeckte (siehe Kapitel 2). Von1930 bis 1933 war Hoegner auch Mitglied des Reichstages. Wegen seiner Gegnerschaft zum Natio- nalsozialismus wurde Hoegner aus dem Staatsdienst entlassen und musste im Juni 1933 nach Tirol fliehen, im Februar 1934 in die Schweiz (vgl. Kapitel 3). Dort arbeitete er die Grundzüge einer neuen Bayerischen Verfassung aus, wobei er Anregungen aus dem föde- ralistischen Staatsrecht seines Gastlandes übernahm.

Nach seiner Rückkehr im Juni 1945 wurde er zunächst mit dem Wiederaufbau der bayerischen Justizverwal- tung betraut. Am 28. September 1945 ernannte ihn die amerikanische Militärregierung zum Ministerprä- Gehört zu den bedeutendsten bayerischen sidenten, gleichzeitig führte er das Justizministerium. Politikern des 20. Jahrhunderts: Wilhelm Hoegner In seine Amtszeit fiel das Inkrafttreten der Bayeri- Wilhelm Hoegner (1887–1980), Vater der Bayerischen Verfassung 101

schen Verfassung, die er in verschiedenen Gremien – und trat am 8. Oktober 1957 als Bayeri- vor allem in der Verfassunggebenden Landesver- scher Ministerpräsident zurück. Dem sammlung – mitgestaltet hatte. Unter seiner Feder- Bayerischen Landtag gehörte er weiter- führung wurden auch die bayerischen Kommunalge- hin als SPD-Fraktionsvorsitzender und setze ausgearbeitet. Im August 1946 wurde Hoegner Vorsitzender des Ausschusses für Sicher- zum Honorarprofessor für Bayerisches Verfassungs- heitsfragen an (1958–1962), in der 4. und recht an der Universität München berufen. 5. Legislaturperiode amtierte er als Vize- präsident (1962–1970). Nach der Eine führende Rolle spielte Hoegner auch in der Bundestagswahl 1961 übernahm er für bayerischen SPD, zu deren Landesvorsitzenden er am ein Jahr auch ein Mandat im Bonner Ministerpräsident in charmanter Begleitung: Hoegner mit der persischen Kaiserin Soraya 2. Februar und erneut am 4. Mai 1946 gewählt wurde. Bundestag. beim Galadiner (1955) Nach der ersten Landtagswahl behielt Hoegner (zu- Außer seinem fachwissenschaftlichen nächst Stimmkreis Burghausen-Altötting, später Kommentar zur Bayerischen Verfassung München XI) in der am 22. Dezember 1946 gebilde- im Jahr 1965 veröffentlichte Hoegner un- ten Koalitionsregierung das Justizministerium und ter dem Titel „Der schwierige Außensei- wurde stellvertretender Ministerpräsident im Kabi- ter“ seine sehr lesenswerten Erinnerun- nett von Hans Ehard. Sein unbedingtes Festhalten an gen eines Abgeordneten, Emigranten der Koalition mit der CSU führte zu seiner Abwahl und Ministerpräsidenten. Am 5. März aus dem Parteivorstand am 11. Mai 1947, neuer Lan- 1980 ist Wilhelm Hoegner in München desvorsitzender wurde nun Waldemar von Knoerin- gestorben. gen. Am 20. September 1947 trat Hoegner mit den anderen sozialdemokratischen Ministern aus der Re- Zur Erinnerung an Wilhelm Hoegner gierung Ehard aus. Bereits einen Tag später über- verleiht die SPD-Fraktion im Bayeri- nahm er das Amt eines Senatspräsidenten am Ober- schen Landtag alljährlich einen nach ihm Alphornbläser-Ständchen zum Geburtstag: landesgericht München, ein Jahr später war er Staats- benannten Preis, der 1987 zu seinem Am 23. September 1967 wurde Wilhelm rat und Generalstaatsanwalt beim Bayerischen Ober- 100. Geburtstag gestiftet wurde. Mit die- Hoegner 80 Jahre alt. Mit ihm freut sich sten Landesgericht. Nach der Landtagswahl 1950 sem Wilhelm-Hoegner-Preis wird das seine Frau Anna. kehrte Hoegner als stellvertretender Ministerpräsi- gesellschaftliche und politische Engage- dent und Innenminister in das Kabinett Ehard zurück. ment von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gewürdigt. Zu den bisherigen Preisträgern zählen Im Jahr 1954 wurde Hoegner nach der Landtagswahl Hubert Weinzierl (Ehrenvorsitzender des Bundes Chef einer aus SPD, BHE (Bund der Heimatvertrie- Naturschutz), Kabarettist Dieter Hildebrandt, die benen und Entrechteten), Bayernpartei und FDP ge- Musiker Hans, Michael und Christoph Well („Bier- bildeten Regierungskoalition. Wegen Differenzen in mösl Blosn“) sowie die Politiker Hildegard Hamm- den eigenen Reihen geriet er in eine schwere Krise Brücher und Hans-Jochen Vogel. DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Vorparlament: der Bayerische Beratende Landesausschuss

Auf der Grundlage dieses Aktionsprogramms hatte Obwohl auch Hoegners Regierung nicht parlamenta- die bayerische SPD ihre Zulassung als Landespartei risch legitimiert war, versuchte er doch eine Demo- erlangt. Die erste Landestagung nach der Zulassung kratisierung seiner Politik. Ein erster Schritt hierzu am 8. Januar 1946 fand am 2.Februar 1946 wiederum war die Schaffung des Bayerischen Beratenden Lan- Heimatvertriebene in Pfaffenhofen statt. Zum Landesvorsitzenden wur- desausschusses. Allerdings wies ein am 1. Februar 1946 Sozialdemokraten de unangefochten Wilhelm Hoegner gewählt. Die in Kraft getretenes Gesetz diesem Gremium nur eine gründen viele Aufgabe des provisorischen Landesvorstandes war es beratende Funktion vor dem Erlass wichtiger Gesetze Ortsvereine vor allem, eine aus Delegierten bestehende Landes- und vor der Festlegung des Haushaltsplanes zu. Der konferenz vorzubereiten, die dann am 13. und 14. Landesausschuss sollte aus nicht mehr als 130 Mit- April 1946 in Erlangen stattfand. Der dort durch gliedern bestehen, was in etwa der Größe des letzten Wahl bestimmte Landesvorstand wählte in seiner ers- Bayerischen Landtages vor 1933 entsprach. Die vom ten Sitzung am 4. Mai 1946 Wilhelm Ministerpräsidenten ernannten Mitglieder (darunter Hoegner erneut zum Landesvorsitzenden. 31 Sozialdemokraten) setzten sich aus Vertretern der zugelassenen politischen Parteien, der Berufsstände, Damit war die Wiedergründung des baye- der Hochschulen, der Kirchen sowie der Städte, Land- rischen Landesverbandes abgeschlossen, kreise und ländlichen Gemeinden zusammen. Zum nicht aber die Neuorganisation der Orts- Präsidenten dieses „Vorparlamentes“ berief Hoegner vereine. Hierbei halfen die vielen Sozial- den letzten Bayerischen Landtagspräsidenten der Wei- demokraten unter den mehr als zwei marer Republik, den früheren BVP-Politiker Georg Millionen Heimatvertriebenen, die vor al- Stang; Vizepräsident wurde Georg Hagen, sozialde- lem aus dem Sudetenland und aus Schle- mokratischer Oberbürgermeister von Kulmbach und sien nach Bayern gekommen waren: Sie bereits vor 1933 Mitglied des Bayerischen Landtages. gründeten, wo immer sie angesiedelt wur- den, neue Ortsvereine. Durch diese Neu- Da das alte Parlamentsgebäude an der Prannerstraße gründungen hat sich damals die Zahl der im Krieg völlig zerstört worden war, fanden die insge- sozialdemokratischen Ortsvereine gegen- samt drei Tagungen des Gremiums in der Aula der über der Zeit vor 1933 fast verdoppelt. Bis Münchner Universität (26.–28. Februar und 12./13. Ende 1948 stieg die Zahl der SPD-Mit- Juni 1946) und im Hotel „Bayerischer Hof“ (9. April) glieder in Bayern auf über 120.000 an, ein statt. Die Beratungen im Februar und im Juni standen Viertel davon waren Sudetendeutsche. Bis im Zeichen der politischen Berichterstattung des Mi- 1954 sank die Mitgliederzahl des Landes- nisterpräsidenten sowie der einzelnen Minister und verbandes allerdings auf 81.000, danach Staatssekretäre, die zweite Tagung befasste sich aus- Das Vorparlament tagte im Februar und Juni stieg sie kontinuierlich an und überschritt schließlich mit der Durchführung des Entnazifizie- 1946 in der Aula der Münchner Universität. 1962 wieder die 100.000. rungsgesetzes. Der Weg zur Bayerischen Verfassung 103

Der Weg zur Bayerischen Verfassung

Parallel zum Bayerischen Beratenden Landesaus- schuss bildete Hoegner auf Initiative der Militärregie- rung im Februar 1946 einen neunköpfigen Vorberei- tenden Verfassungsausschuss. Neben drei Delegierten der CSU (darunter Justizstaatssekretär Hans Ehard) und Heinrich Schmitt von der KPD war die SPD mit Innenminister Josef Seifried, Arbeitsminister Albert Roßhaupter und dem Zweiten Münchner Bürgermei- ster Thomas Wimmer vertreten. Auf der konstituie- renden Sitzung des Gremiums am 8. März 1946 legte Hoegner einen Entwurf der „Verfassung des Volks- staates Bayern“ vor, der auf seine Arbeiten im Exil zurückging. Die nun folgenden Beratungen in 15 Sit- zungen dauerten bis zum 24. Juni 1946. Der erarbei- tete Verfassungsentwurf ging zwar auch an die Mitglie- der des Bayerischen Beratenden Landesausschusses, wurde dort jedoch nicht diskutiert. Diese Aufgabe kam der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversamm- lung zu, die am 30. Juni 1946 gewählt wurde.

Bei diesen ersten freien landesweiten Wahlen nach 14 Jahren erreichte die SPD 28,8 Prozent der Stim- men und erlangte 51 der 180 Mandate. (Zum Ver- gleich: Von den 128 Abgeordneten des Bayerischen Landtages 1932/33 waren nur 20 Mitglieder der SPD- Fraktion.) 13 der 51 SPD-Abgeordneten hatten be- reits dem Bayerischen Landtag zwischen 1919 und 1933 angehört, 15 Mitglieder waren auch im Bayeri- schen Beratenden Landesausschuss vertreten gewesen. Mit drei Frauen (unter ihnen Rosa Aschenbrenner) stellte die SPD-Fraktion die Hälfte aller weiblichen Abgeordneten in der Landesversammlung. Vorsitzen- der der SPD-Fraktion wurde zunächst Albert Roß- Entwurf für die Bayerische Verfassung mit handschriftlichen Änderungen von haupter, der die sozialdemokratische Parlamentstradi- Wilhelm Hoegner DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

tion in Bayern personifizierte: Noch am 29. April 1933 hatte Roßhaupter als Fraktionsvorsitzender die ableh- nende Haltung der Landtagsfraktion gegen das baye- rische Ermächtigungsgesetz begründet (vgl. Kap. 3).

Die Beratungen der Verfassunggebenden Landesver- sammlung fanden vom 15. Juli bis zum 26. Oktober Bayerische Verfassunggebende Landesversammlung Der Nürnberger Partei- 1946 wieder in den Räumen der Münchner Universi- sekretär Franz Haas tät statt. Den Vorsitz hatte Michael Horlacher (CSU) wurde Fraktions- inne; die SPD stellte mit dem Nürnberger Gewerk- Die zentrale Frage eines Bayerischen Staatspräsiden- vorsitzender in der Landesversammlung. schafter Matthäus Herrmann den Vizepräsidenten. ten gelangte im Plenum am 12. September 1946 zur Zentrales Gremium der Verfassunggebenden Landes- Abstimmung und wurde mit 85 zu 84 Stimmen abge- versammlung war jedoch der aus 21 Mitgliedern be- lehnt. Aus der SPD-Fraktion stimmten nur die vier stehende Verfassungsausschuss. Ihm gehörten aus der SPD-Fraktion – wie schon im Vorbereitenden Verfas- sungsausschuss – Wilhelm Hoegner als Meinungsfüh- rer und die beiden Minister Roßhaupter und Seifried sowie der Münchner Bürgermeister Wimmer an, hin- zu kamen aus Franken Wilhelm Fischer und Claus Pittroff.

Bei einigen Verfassungsfragen gab es unter den Abge- ordneten der Landesversammlung – auch innerhalb ihrer jeweiligen Parteien – heftige Konflikte. So plä- dierte etwa Wilhelm Hoegner vehement für das Amt Georg Hagen eines Bayerischen Staatspräsidenten, lehnte aber – dies (1887–1958), Lehrer in ein weiterer Streitpunkt – die Errichtung einer Zwei- Kulmbach, SPD-Vors., 1932–33 MdL, 1933 ten Kammer ebenso entschieden ab. Die SPD-Frak- und Aug. 1944 tion rückte dabei immer stärker von der politischen Verhaftung, ab 1945 Linie der SPD-Regierungsmitglieder ab. Dies kam Oberbürgermeister von auch durch einen Wechsel an der Fraktionsspitze zum Kulmbach, 1946 Mit- glied VerfgLV, bis 1958 Ausdruck: Ab der vierten Plenumssitzung übernahm So konnten Bayerns Bürgerinnen und Bürger am 30. Juni MdL, erster Vizepräsi- der Nürnberger Parteisekretär Franz Haas den Frak- 1946 über die Verfassunggebende Landesversammlung dent des Landtags. tionsvorsitz. abstimmen. Erster Bayerischer Landtag 1946: Koalition mit der CSU 105

Erster Bayerischer Landtag 1946: Koalition mit der CSU

Regierungsmitglieder (also Hoegner, Roßhaupter, Zugleich mit dem Verfassungsrefe- Seifried und Fendt) sowie der Abgeordnete Hans rendum fand am 1. Dezember 1946 Gentner für die Schaffung dieses Amtes. auch die erste freie Landtagswahl seit 14 Jahren statt. Mit 52,3 Prozent der Erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Stimmen gewann die CSU die abso- CSU und SPD gab es auch in der Frage des Wahl- lute Mehrheit (104 von 180 Sitzen), rechts und bei der Formulierung des Schulartikels. die SPD erzielte 28,6, die WAV 7,4, Obwohl die SPD in der Landesversammlung nicht die KPD 6,1und die FDP 5,7 Prozent. die Mehrheit hatte, konnte sie aufs Ganze gesehen zusammen mit der CSU etwa die Hälfte ihrer Vor- Die 54 Mitglieder der SPD-Land- stellungen in die Verfassungsberatungen einbringen. tagsfraktion – unter ihnen übrigens Erste Landtagswahl in Bayern nach dem Krieg. Eindeutig sozialdemokratisch geprägt sind beispiels- keine einzige Frau – wählten den Wilhelm Hoegner gibt seine Stimme ab. Zugleich weise der Verfassungsabschnitt „Wirtschaft und Ar- Aschaffenburger Jean Stock zum wurde über die Bayerische Verfassung abgestimmt. beit“, dem – ganz zeitgemäß – ein lenkungs-, kein Vorsitzenden, sein Stellvertreter planwirtschaftliches Ordnungskonzept zugrunde liegt wurde Waldemar von Knoeringen, der innerhalb von (Art.152), die Bestimmungen über die Sozialpflichtig- Fraktion und Partei zunehmend an Ansehen gewann. keit des Eigentums (Art. 158) und ebenso das Mitbe- stimmungsrecht der Arbeitnehmer (Art. 175). Beson- In der konstituierenden Sitzung des Bayerischen ders erwähnt sei auch der von Hoegner formulierte Landtages am 16. Dezember 1946 in der Aula der Art. 141 über den Natur- und Denkmalschutz, der in Münchner Universität trat das Kabinett von Wilhelm Absatz 3 den Genuss der Naturschönheiten, die Er- Hoegner zurück. Obwohl er rechtlich nur der Mili- holung in der freien Natur und den freien Zugang zu tärregierung gegenüber verantwortlich war, legte den Bergen, Flüssen und Seen für die Allgemeinheit Hoegner dem Landtag in Form einer Regierungser- sicherstellt (siehe Kapitel 5). klärung einen Rechenschaftsbericht vor. Dieses Vor- Ein Rechenschaftsbericht gehen stellte einen weiteren Schritt der von ihm be- als Regierungserklärung Bei der Schlussabstimmung am 26. Oktober 1946 wusst herbeigeführten, gleitenden Parlamentarisie- wurde der ausgearbeitete Verfassungsentwurf mit 136 rung dar. gegen 14 Stimmen angenommen. Beim anschließen- den Volksentscheid am 1. Dezember 1946, bei dem Der erste Bayerische Landtag wählte den CSU-Abge- erstmals in der bayerischen Geschichte das „Staats- ordneten Michael Horlacher zu seinem Präsidenten, volk“ selbst über seine Verfassung entscheiden konn- Stellvertreter Horlachers wurde der Kulmbacher te, erhielt die Bayerische Verfassung bei einer Wahl- SPD-Oberbürgermeister Georg Hagen, der dieses beteiligung von rund 75 Prozent die Zustimmung von Amt bis zu seinem Tod am18. November 1958 inne- 70,6 Prozent der Bevölkerung. hatte. Die folgenden SPD-Abgeordneten leiteten 5 DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Rudolf Zorn (1893–1966), Verwaltungsjurist aus Kempten; als Student Beitritt zur SPD, vor 1933 im bayer. Innenministerium und in der Kommunalverwaltung tätig, zuletzt rechtskundiger Bürger- meister in Oppau/Pfalz; 1933 Entlassung und Schutz- haft, ab 1934 Industrieange- stellter in Dresden; Herbst 1946 Flucht nach Bayern, Hans Gentner 1946–1947 und 1950–1951 bayerischer Wirtschafts- Die einzige bekannte (Teil)aufnahme des Kabinetts Ehard (1877–1953),1908–1920 minister, ab 1949 Vorsitzender des Bayerischen zeigt Ministerpräsident Hans Ehard nach der Vereidigung und 1928–1933 MdL, Sparkassen- und Giroverbands. am 21. Dezember 1946. Die Mitglieder von links: Joseph 1946–1947 Staats- Baumgartner (CSU), Staatsminister für Ernährung, sekretär. Landwirtschaft und Forsten; Albert Roßhaupter (SPD), der 16 Landtagsausschüsse: der Münchberger Land- Staatsminister für Arbeit und soziale Fürsorge, Alois Hundhammer (CSU), Staatsminister für Unterricht und Die SPD-Vorsitzenden rat Friedrich Zietsch (Ausschüsse für Wahlprüfung Kultus; Ministerpräsident Hans Ehard (CSU); Josef Seifried der Landtagsausschüsse und Entnazifizierungsfragen), der Traunsteiner Josef (SPD), Staatsminister des Innern; Wilhelm Hoegner (SPD), Kiene (Ernährung und Landwirtschaft) und der Staatsminister der Justiz; (WAV), Münchner Staatswissenschaftler Arnold Hille (Ge- Staatsminister für Sonderaufgaben schäftsordnung sowie Rechts- und Verfassungsfragen). war, gehörte dessen erstem Kabinett als Justizminister Bei der Ministerpräsidentenwahl am 21. Dezember und stellvertretender Ministerpräsident an – diese 1946 konnte sich die in zwei Flügel gespaltene CSU Konstellation wiederholte sich im dritten Kabinett Vertrauensbeweis nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen. Ehards nach 1950 ein weiteres Mal. der SPD für CSU-Mann Daraufhin wurde der bis dahin eher unbekannte Hans Ehard CSU-Politiker Hans Ehard mit den Stimmen der ge- Außer mit Hoegner war die SPD in Ehards erstem samten SPD-Fraktion gewählt. Für Ehard lag es nicht Kabinett wieder mit Josef Seifried als Innen- und mit nur wegen dieses Vertrauensbeweises der SPD nahe, Albert Roßhaupter als Arbeitsminister vertreten. eine große Koalition zu bilden: Er war genau wie Neuer Wirtschaftsminister wurde – auf Anraten Hoegner davon überzeugt, dass angesichts der drän- Knoeringens – der erst im Herbst 1946 nach Bayern Neuer genden Probleme der Nachkriegszeit die beiden gro- gekommene Rudolf Zorn, der Leiter des Amtes für Wirtschaftsminister: ßen Volksparteien in die Pflicht der Regierungsver- Vermögensverwaltung. Da Zorn kein Landtagsman- Rudolf Zorn antwortung genommen werden sollten. Wilhelm dat besaß, war er zu dieser Zeit vielen Mitgliedern der Hoegner, dem Hans Ehard als ebenso überzeugter SPD-Fraktion noch unbekannt. Später trug Zorns Föderalist zeitlebens auch menschlich sehr verbunden Politik viel zum marktwirtschaftlichen Denken auch Erster Bayerischer Landtag 1946: Koalition mit der CSU 107

innerhalb der SPD bei. Die drei sozialdemokratischen Staatssekretäre Claus Pittroff (Kultusministerium), Hans Gentner (Landwirtschaftsminis- terium; dort war er als Staatsrat bereits 1918/19 Mitglied der Regierung Eis- ner gewesen) und Arthur Höltermann (Sonderministerium) vervollständig- ten das Koalitionskabinett.

Unter gegenseitiger Anerkennung des von der SPD-Landeskonferenz am 14./15. Dezember 1946 beschlossenen Aktionsprogramms und eines „30-Punkte-Programms“ der CSU entwarfen beide Parteien am 23. De- zember 1946 eine Koalitionsvereinbarung. Die Fraktionsvorsitzenden von SPD und CSU unterzeichneten diesen Vertrag am 28. Januar 1947.

Da in der Koalition jedoch statt der Umsetzung von Parteiprogrammen viel mehr ein konstruktives und pragmatisches Arbeiten im Vordergrund stand, fehlte innerhalb der Anhängerschaft von CSU und SPD auch noch nach ei- nigen Monaten jegliche Regierungsakzeptanz. Zudem misstraute der SPD- Bundesvorsitzende Kurt Schumacher dem föderalistischen Kurs Hoegners schon seit längerem und hätte die bayerische SPD lieber in der Opposition gesehen, um eine sozialdemokratische Politik besser verdeutlichen zu kön- nen. Auf der Landeskonferenz der bayerischen SPD am 10./11. Mai 1947 in Landshut bekam Hoegner die innerparteiliche Ablehnung zu spüren: Die Delegierten wählten statt seiner Waldemar von Knoeringen zum Landes- vorsitzenden. Zwar musste sich Knoeringen noch auf dem Parteitag einer heftigen Diskussion über die von ihm – wenn auch nicht bedingungslos – befürwortete Regierungsbeteiligung stellen, aber mit einer vom Landes- vorstand beantragten Resolution konnte der Austritt aus der Koalition ge- gen 52 Stimmen noch einmal abgewendet werden. Drei Tage später sandte Knoeringen ein neues Arbeitsprogramm der SPD-Fraktion an Minister- Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CSU vom präsident Ehard und forderte ultimativ neue Koalitionsgespräche. Diese 23. Dezember 1946 fanden zwar am 15. und 17. Juli statt, verliefen jedoch völlig unbefriedigend.

In jenen Tagen läuteten auch die Entwicklungen im vereinigten Wirtschaftsgebiet der amerikanischen und briti- schen Zone das Ende der Koalition mit der CSU in Bayern ein. In Frankfurt/M. war im Juni 1947 ein 52-köpfiger Wirtschaftsrat als Parlament der Bizone ins Leben gerufen worden. Dieser Wirtschaftsrat bestand aus von den Abgeordneten der verschiedenen Länderparlamente gewählten Parteivertretern und war eine der entscheidenden DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Bayerns SPD erstmals in der Opposition (1947–1950)

Auf Druck Stationen auf dem Weg zur Bildung eines Weststaa- Für die restlichen drei Jahre der ersten Legislaturpe- Kurt Schumachers tes. Der Bayerische Landtag hatte am 20. Juni 1947 riode verblieb die SPD-Fraktion gegenüber der in die Opposition die zwölf ihm zustehenden Vertreter gewählt, unter CSU-Regierung unter Ministerpräsident Ehard in ihnen die SPD-Abgeordneten Valentin Baur und der Opposition. In seiner Stellungnahme zur Regie- Gerhard Kreyssig (beide später Bundestagsabgeord- rungserklärung des Ministerpräsidenten verzichtete nete) sowie Georg Reuter. Bei einer am 23./24. Juli der SPD-Fraktionsvorsitzende Jean Stock am 30. Ok- 1947 stattfindenden Debatte im Wirtschaftsrat, in der tober 1947 aber weitgehend auf Polemik. Angesichts es um die personelle Besetzung der Direktorenposten der besonderen Notlage der bayerischen Bevölkerung der fünf Zentralämter – der eigentlichen Exekutive vor dem dritten Nachkriegswinter sicherte er der Re- der Bizone – ging, gelang es der SPD-Fraktion nicht, gierung sogar die Solidarität der Opposition zu, die einen sozialdemokratischen Wirtschaftsdirektor generell ihre Aufgabe darin sehe, „die Regierung zu durchzusetzen. Unter dem Druck Kurt Schumachers größter Anstrengung zur Überwindung aller Schwie- überließ die SPD daraufhin die Exekutive völlig der rigkeiten anzuspornen“. CDU/CSU und entschied sich für die Rolle einer „praktischen, konstruktiven Opposition“. Ta tsächlich hatte sich die bayerische SPD jedoch durch ihren Rückzug aller konkreten Einfluss- und Auswirkungen auf die Die Auswirkungen dieser Haltung auf die bayerische Gestaltungsmöglichkeiten beraubt. Die vielen pro- bayerische SPD SPD ließen nicht lange auf sich warten. Formulie- gressiven Gesetzesvorschläge, Interpellationen, An- rungen von Ministerpräsident Ehard in seiner Grund- träge und Anfragen, die die SPD-Fraktion in diesen satzrede am 30. August 1947 vor der Landesversamm- drei Jahren einbrachte, verpufften zumeist als „bloß lung der CSU in Eichstätt, in denen er Sozialismus propagandistische Luftblasen“. Die größte politische mit Kommunismus gleichgesetzt und als unvereinbar Wirkungsmöglichkeit bot in dieser Situation das par- mit der Demokratie bezeichnet hatte, boten den An- lamentarische Mittel des Untersuchungsausschusses lass für die SPD-Fraktion, die Koalition aufzukündi- – die Mehrzahl der zehn bewilligten Anträge kam von gen – allerdings gegen den Willen Wilhelm Hoeg- Seiten der SPD-Fraktion. ners. Der Landesvorstand der bayerischen SPD be- fürwortete auf seiner Sitzung am 13./14. September Obwohl formell nur stellvertretender Fraktionsvor- den Koalitionsaustritt, und am 15. September über- sitzender, wurde in dieser Zeit Waldemar von Knoe- reichten die sozialdemokratischen Regierungsmit- ringen eindeutig zur bestimmenden Persönlichkeit glieder ihre Rücktrittsgesuche, denen der Landtag innerhalb der SPD-Landtagsfraktion, zumal Jean am 20. September zustimmte. Der Antrag der SPD- Stock im August 1948 in den Parlamentarischen Rat Fraktion auf Landtagsauflösung wurde jedoch von in Bonn gewählt worden war. Innerparteilich ist mit der CSU-Mehrheit mit 129 zu 49 Stimmen abge- Knoeringen der Beginn der intellektuellen Erneue- lehnt. rung der bayerischen SPD anzusetzen: Auf seine Ini- Streitfall Grundgesetz – Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag 109

Streitfall Grundgesetz – Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag tiative zurück geht etwa die Gründung der Georg- Die Ausarbeitung eines Grundgesetzes für die von-Vollmar-Schule (ab 1968: -Akademie), die am Bundesrepublik Deutschland oblag dem von den 25. Juli 1948 ihren Seminarbetrieb auf Schloss Aspen- westlichen Länderparlamenten gewählten und aus 65 stein am Kochelsee aufnahm. Mitgliedern bestehenden Parlamentarischen Rat in Bonn. Der Bayerische Landtag bestimmte am 25. Au- Bayerische gust 1948 die dreizehn auf den Freistaat entfallenden SPD-Abgeordnete im Parlamentarischen Rat Vertreter. Die sozialdemokratische Landtagsfraktion hatte zunächst einstimmig Wilhelm Hoegner und Jo- sef Seifried nominiert, die dann aber beide wegen der zu erwartenden Differenzen mit der Gesamtpartei auf ihre Wahl verzichteten. Als bayerische SPD-Vertreter wurden (der spätere Bundestagsabgeordnete) Willi- bald Mücke, Hannsheinz Bauer, Jean Stock und Albert Roßhaupter (nach dessen Erkrankung rückte Seifried doch noch nach) gewählt. Nach der Eröff-

Die Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel geht auf eine Initiative Waldemar von Knoeringens zurück.

Den entscheidenden Hebel, mit dem die SPD in Bay- ern schnell wieder mehrheitsfähig werden könnte, sah Knoeringen in der „Beseitigung des Wohnungselen- des“ (Artikel 13 des Aktionsprogramms der SPD vom Dezember 1946) durch sozialen Wohnungsbau. In enger Zusammenarbeit mit dem ehemaligen bayeri- schen Wirtschaftsminister Rudolf Zorn entwickelte er ein eigenes Wiederaufbauprogramm. Der so genann- te „Aufbauplan A“, mit dem die Vorstellungen der bayerischen SPD bezüglich demokratischer Planung und regulierter Marktwirtschaft realisiert werden soll- ten, wurde mit zwei im Mai und August 1948 in hohen Auflagen erscheinenden Broschüren und zahlreichen Werbekampagnen publik gemacht. Dieses Programm erschien denn auch so erfolgversprechend, dass es auf Regierungsseite hektische Aktivitäten auslöste. Vorstellung des Aufbauplans A auf einer Kundgebung in Nürnberg am 13. Juni 1948 DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

nungssitzung des Parlamentarischen Rates am 1. Sep- Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands, dessen tember 1948 bildeten diese vier mit 23 weiteren Sozi- Wirkung umso eindrucksvoller sei, je geschlossener aldemokraten aus den anderen Länderparlamenten die Zustimmung dazu ausfalle. Bei der Abstimmung unter dem Vorsitz des Tübinger Justizministers Carlo stimmten alle Abgeordneten der SPD für das Schmid eine Fraktion. Grundgesetz, die Landtagsmehrheit mit 101 Stim- men jedoch dagegen. Die zweite Abstimmung über Wegen der unterschiedlichen verfassungspolitischen die Anerkennung der Rechtsverbindlichkeit des Vorstellungen der Parteien zogen sich die Beratungen Grundgesetzes für den Fall des Zustandekommens über das Grundgesetz länger hin als ursprünglich ge- der notwendigen Zweidrittelmehrheit in den ande- plant. Vor allem um die Ausgestaltung der ren Länderparlamenten erachtete die SPD-Fraktion bundesstaatlichen Ordnung gab es hitzige Debatten. nach ihrem eindeutigen Votum für sich als überflüs- Die CSU konnte zwar den aus Vertretern der Län- sig und enthielt sich aus Protest der Stimme (Ergeb- derregierungen bestehenden Bundesrat als föderati- nis: 97 Jastimmen, 70 Enthaltungen und 6 Nein- ves Organ im Grundgesetz durchsetzen, musste sich stimmen). aber bei der Regelung der Finanzfragen, die zu Un- gunsten der Länder ausfiel, geschlagen geben. Des- Bei der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag am wegen stimmten am 8. Mai 1949 sechs CSU-Mitglie- 14. August 1949 gehörte die CSU mit nur noch Hitzige Debatten der (mit sechs anderen Abgeordneten) dem im Parla- 29,2 Prozent der abgegebenen Stimmen zu den Ver- um die bundesstaatliche mentarischen Rat ausgehandelten Kompromissent- lierern. Die großen Sieger hießen Bayernpartei und Ordnung wurf nicht zu, der jedoch mit 53 Stimmen angenom- WAV mit 20,9 bzw. 14,4 Prozent. Doch auch die SPD men wurde. hatte gegenüber der Landtagswahl von 1946 (damals 28,6 Prozent) Stimmenverluste zu verzeichnen (nun- Diese Ablehnung durch die CSU ließ auch für die mehr 22,8 Prozent). Knoeringen musste in einer bevorstehende Ratifizierung des Grundgesetzes durch Wahlanalyse feststellen: „Die SPD ist bis zum Augen- das bayerische Parlament nichts Gutes erwarten. Vor blick noch keine Volkspartei, die die breiten Massen dieser Abstimmung am 20. Mai 1949 fand im Baye- des arbeitenden Volkes gewonnen hat.“ rischen Landtag – der übrigens am 11. Januar 1949 als Mieter in das Maximilianeum eingezogen war – Nur 18 der 78 bayerischen Abgeordneten im ersten eine aufsehenerregende zweitägige Debatte statt. Deutschen Bundestag gehörten der SPD an. Von ih- Waldemar von Knoeringen betonte, die SPD bringe ren 11 Direktmandaten wurden drei von Mitgliedern durch die Zustimmung zum Grundgesetz ihre Be- der SPD-Landtagsfraktion gewonnen: Franz Marx reitschaft zum Ausdruck, „Westdeutschland auf dem (München-Ost), Matthäus Herrmann (Bayreuth) und Boden der Demokratie aufzubauen“. Er bewertete Arno Behrisch (Hof). Über die Landesergänzungs- das Grundgesetz als entscheidenden Beitrag auf dem vorschläge kamen neben der späteren Bundesfami- Zweiter Bayerischer Landtag 1950: Erneute Koalition mit der CSU 111

Zweiter Bayerischer Landtag 1950: erneute Koalition mit der CSU lienministerin Käte Strobel aus Nürnberg auch die Das schlechte Abschneiden der CSU bei der Bundes- SPD-Landtagsabgeordneten Valentin Baur aus Augs- tagswahl 1949 wiederholte sich am 26. November burg und Waldemar von Knoeringen in den Bundes- 1950 bei der Landtagswahl in Bayern: Sie erhielt auf- tag. Der in Rosenheim angetretene SPD-Landesvor- grund der starken Gewinne der Bayernpartei und der sitzende behielt als Einziger sein Landtagsmandat neuen Flüchtlingspartei Deutsche Gemeinschaft/ und wurde in Bonn zudem in den Fraktionsvorstand Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten gewählt. Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der (DG/BHE) nur noch 27,4 Prozent. Die SPD dage- SPD-Landtagsfraktion Ende 1950 gab Knoeringen gen wurde mit 28,0 Prozent der abgegebenen Stim- aber am 3. April 1951 sein Bundestagsmandat wegen men (63 Sitze) stärkste Partei. Infolge von zwei Über- der zu großen Arbeitsbelastung wieder auf. hangmandaten stellte die CSU jedoch am Ende einen Abgeordneten mehr als die SPD, so dass die Initiative Kurz nach der Bundestagswahl musste die bayerische zur Regierungsbildung beim bisherigen Ministerprä- SPD den Verlust einer großen politischen Persönlich- sidenten und CSU-Vorsitzenden (seit 1949) Hans keit beklagen: Albert Roßhaupter starb am 14. De- Ehard lag. zember 1949 und wurde in Olching beerdigt. Im Nachruf des Landesvorstandes der SPD heißt es:

„Seine Mitgliedschaft im Parlamentarischen Rat und seine Mitarbeit am Bonner Grundgesetz war seine letzte politische Funktion, die er im Auftrag Die SPD wird Bayerns seiner Partei ausgeübt hat. Als handelnder Politiker 28,0 27,4 stärkste Partei! hat er drei Staatsumwälzungen miterlebt und hat noch teilgenommen an der Schaffung eines neuen Staates auf den Trümmern der nationalsozialisti- schen Welt. So ist Albert Roßhaupter nicht nur ein 17,9 Symbol der geschichtlichen Entwicklung der Sozi- aldemokratie, sondern auch ein Wegbereiter in 12,3 die Zukunft.“ 7,1 2,8 1,9

SPD CSU BP BHE FDP WAV KPD Landtagswahl 1950: SPD wird stärkste Partei in Bayern. Durch zwei Überhangmandate erhält die CSU dennoch die Mehrheit. DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Obwohl Bundeskanzler Konrad Adenauer, Bundes- den Jean Stock (Rechts- und Verfassungsfragen), finanzminister Fritz Schäffer und nicht zuletzt der Heinrich Stöhr aus Weißenburg (Sozialpolitische An- bisherige CSU-Kultusminister Alois Hundhammer gelegenheiten), der oberpfälzische Gewerkschafter ein Bündnis mit der Bayernpartei favorisierten, ent- Leopold Hofmann (Besoldungsfragen) und wiederum CSU-Ehard trotz schloss sich Ehard zu einer Neuauflage der Koalition Friedrich Zietsch (Wahlprüfung) zu Ausschussvorsit- innerparteilicher mit der seiner Ansicht nach verlässlicheren SPD und zenden gewählt. Widerstände für dem BHE. Auch der SPD-Landesvorsitzende Walde- Koalition mit der SPD mar von Knoeringen setzte sich für eine große Koali- Bei der Neuwahl des SPD-Fraktionsvorstandes wech- tion ein, wobei er bei den Verhandlungen seine Be- selten der SPD-Landesvorsitzende Waldemar von dingung durchsetzen konnte, dass Hundhammer Knoeringen und Jean Stock nun auch offiziell ihre nicht wieder Kultusminister werden sollte. Im Fraktionsposten, Knoeringen hatte jetzt also beide Gegenzug lehnte die CSU den von der SPD vorge- Führungsämter inne. Der neue SPD-Fraktionsvorsit- schlagenen heimatvertriebenen Schlesier Franz Zdra- zende umriss am 23. Januar 1951 in seiner Stellung- lek als Finanzminister ab, worauf der frühere bayeri- nahme zur Regierungserklärung des Ministerpräsi- sche Wirtschaftsminister Rudolf Zorn für eine Über- denten das Profil der SPD im Rahmen der Koalition gangszeit erneut ins Kabinett eintrat. Am 18. Dezem- und betonte dabei besonders die Meinungsunter- ber 1950 stellte Hans Ehard seine neue Regierung vor: schiede zur CSU hinsichtlich Schulreform und Leh- Stellvertretender Ministerpräsident wurde wieder rerbildung. Die Aufstellung eines Landesentwick- Wilhelm Hoegner (diesmal als Innenminister), die lungsplans („Bayernplan“) war eine Kernforderung Die bayerischen anderen sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder der SPD aus Oppositionszeiten und sollte von der Re- Sozialdemokraten im waren neben Rudolf Zorn der Ministerialdirektor Ri- gierung zügig in Angriff genommen werden. Im Be- zweiten Kabinett Ehard chard Oechsle als Arbeitsminister sowie die Staatsse- reich der inneren Verwaltung setzte Knoeringen kretäre Fritz Koch (Justiz), Eduard Brenner (Kultus) wegen der damit verbundenen stärkeren Demokrati- und Johann Maag (Landwirtschaft). Zwei Staatssekre- sierung große Erwartungen in die rasche Verabschie- täre stellte der BHE, wobei es gegen Theodor Ober- dung der Gemeinde-, Landkreis- und Bezirksord- länder, den späteren Bundesminister für Vertriebene, nung. wegen seiner Tätigkeit während des Nationalsozia- lismus große öffentliche Proteste gab. Diese Kommunalgesetze, die alle unter der Schirm- herrschaft von Innenminister Hoegner ausgearbeitet Die 63 Mitglieder der SPD-Fraktion, darunter als wurden, zählen zur positiven Bilanz der Regierungs- Neuzugang der 27-jährige Volkmar Gabert, hatten koalition. Bei der Abstimmung über die neue Bayeri- mit Maria Günzl, Rosa Hillebrand, Gertrud Krüger sche Gemeindeordnung nahm der Landtag am 21. und Eva Narr erstmals auch Frauen in ihren Reihen. Dezember 1951 den von Hoegner verfassten Gesetz- Neu im Landtag: In den 14 Landtagsausschüssen dominierten jedoch entwurf (unter anderem mit Volkswahl der Bürger- Volkmar Gabert nach wie vor die Männer. Aus der SPD-Fraktion wur- meister auf sechs Jahre) jedoch nur in Teilen an; das Zweiter Bayerischer Landtag 1950: Erneute Koalition mit der CSU 113

von Hoegner vorgesehene demokratische Element ei- nes Volksentscheides auf kommunaler Ebene lehnte die CSU zusammen mit der oppositionellen Bayern- partei ab. (Das „Bürgerbegehren“ wurde erst 1995 durch einen Volksentscheid Wirklichkeit.) Reibungs- loser verliefen die Verabschiedungen der Landkreis- ordnung (mit Hoegners Vorschlag der Direktwahl der Landräte) am 6. Februar 1952 und der Bezirksord- nung am 7. Mai 1953.

Insgesamt zeichnete sich die zweite Wahlperiode des Bayerischen Landtages durch eine von Pragmatismus gekennzeichnete Regierungspolitik aus, deren Erfolg auf dem harmonischen Gespann der beiden Persön- lichkeiten Hans Ehard und Wilhelm Hoegner beruh- te. Auch schwierige Situationen wie etwa im Januar 1952 der Rücktritt von CSU-Justizminister Josef Müller wegen einer Parteispendenaffäre oder der Metallarbeiterstreik im August 1954 konnten die Ko- alition nie gefährden. Die SPD-Landtagsfraktion 1950 bis 1954. Wilhelm Hoegner ist der Fünfte, Waldemar von Knoeringen der Siebte von links. Auf schul- und kulturpolitischem Gebiet, vor allem im Bereich der Lehrerbildung, konnte die SPD-Frak- tion jedoch aufgrund „des konservativen Grundcha- hört hatten. Nicht zufällig entstand 1952 auf Initiative rakters bayerischer Politik“ (Zitat aus ihrem Bericht Knoeringens unter dem Vorsitz des Staatssekretärs „Halbzeit in der bayerischen Koalition“) so gut wie und späteren Justizministers Fritz Koch die Arbeits- gar keine Fortschritte erzielen. Diesbezüglich gelan- gemeinschaft sozialdemokratischer Akademiker. Ge- gen der SPD erst in der von ihr nach der Landtags- schäftsführer dieses Zusammenschlusses war übrigens wahl 1954 gebildeten Viererkoalition entscheidende der junge Amtsgerichtsrat Hans-Jochen Vogel, den Weichenstellungen. Hoegner später als Ministerpräsident mit der Samm- lung und Bereinigung des bayerischen Landesrechts Voraussetzung hierfür war auch, dass sich die bayeri- betraute. sche SPD unter Waldemar von Knoeringen verstärkt Aus den 50ern: Der solchen gesellschaftlichen Gruppierungen öffnete, die junge Amtsgerichtsrat bislang nicht zu den traditionellen SPD-Wählern ge- Hans-Jochen Vogel DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Dritter Landtag 1954: die Viererkoalition und ihr Ende

Nach der Bundestagswahl des Jahres 1953 rückte die CSU wieder nahe an die absolute Mehrheit heran (Stimmenanteil 47,9 Prozent), während die SPD stag- Die CSU denkt bereits nierte (23,3 Prozent). Die CSU richtete sich darauf- ans Alleinregieren … hin in Bayern auf das Alleinregieren ein und betonte im folgenden Landtagswahlkampf die alten, auch weltanschaulichen Gegensätze zwischen CSU und SPD. Der SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Ministerpräsident Wilhelm Hoegner an seinem Knoeringen kämpfte unter dem Schlagwort „Licht Schreibtisch übers Land“ mit aufklärerischem Ansatz gegen Kon- servativismus und Klerikalismus. schule. Den Kontakt zwischen Knoeringen und der Bayernpartei unter ihrem Vorsitzenden Joseph Baum- Bei der Landtagswahl am 28. November 1954 wurde gartner hatte der ebenfalls an einer Veränderung die CSU stärkste Partei (38,4 Prozent der abgegebe- interessierte Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- nen Stimmen, 83 Mandate), während die SPD ihr al- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Wilhelm Ebert, tes Ergebnis nur leicht (auf 28,1 Prozent) steigern hergestellt. Bereits am 10. Dezember 1954 unter- konnte. Die Bayernpartei (BP) erreichte 13,2, der Ge- zeichneten die vier Parteien eine zehn Punkte umfas- samtdeutsche Block (GB)/BHE 10,2 und die FDP 7,2 sende Koalitionsvereinbarung sowie ein vertrauliches Prozent der Stimmen. Zusatzprotokoll (darunter Punkt 1: „Die Bayernpartei erklärt, daß sie nicht daran denkt, einen wilden Baju- … doch die Sensation Doch statt einer zunächst auch von Knoeringen und warismus zu betreiben“). ist perfekt: Hoegner beabsichtigten Neuauflage der Koalition die Viererkoalition von SPD und CSU – oder auch einer Koalition aus Am 14. Dezember 1954 wählte der Bayerische Land- entsteht CSU und BP, die starke Kräfte in der CSU favorisier- tag Wilhelm Hoegner mit 112 von 197 Stimmen zum ten – kam es zur Bildung einer Viererkoalition aus Ministerpräsidenten. Er bekleidete damit dieses Amt SPD, BP, GB/BHE und FDP, die im Landtag über zum zweiten Mal nach1945. Die SPD stellte mit Fried- 121 Sitze verfügte. Die Initiative zu dieser ungewöhn- rich Zietsch den Finanzminister und mit Fritz Koch lichen und bundesweit als Sensation empfundenen den Justizminister. Knoeringen, der Architekt der Kombination ging von Waldemar von Knoeringen Viererkoalition, trat nicht ins Kabinett ein, blieb aber aus. Der wesentliche gemeinsame Nenner der vier Vorsitzender der 61 Mitglieder zählenden SPD-Frak- Initiator der Parteien war die Ablehnung der auf den Status quo tion, zu denen nur drei Frauen (unter ihnen als Neu- Viererkoalition: Waldemar von zielenden kulturpolitischen Positionen der CSU be- zugang die spätere kulturpolitische Sprecherin Gerda Knoeringen züglich Volksschullehrerbildung und Bekenntnis- Laufer aus Würzburg) gehörten. Des Weiteren über- Dritter Landtag 1954: die Viererkoalition und ihr Ende 115

nahm Knoeringen den Vorsitz im Landtagsausschuss für Sicherheitsfragen. Jean Stock und Heinrich Stöhr behielten den Vorsitz ihrer Ausschüsse; an der Spitze zweier weiterer Ausschüsse (von insgesamt 16) stan- den der neu gewählte Landtagsabgeordnete und bis- herige Staatssekretär Richard Oechsle (Wirtschaft und Verkehr) und der bereits seit1946 im Landtag sit- zende Schlesier Ewald Bitom (Angelegenheiten der Heimatvertriebenen).

Im Mittelpunkt der Regierungserklärung Hoegners am 11. Januar 1955 standen kulturpolitische Refor- men, vor allem die künftige Ausbildung der Volks- schullehrer in „hochschulmäßiger Form“. Weil dieses Reformziel – es stellte die bisher nach Bekenntnissen getrennte Ausbildung der Volksschullehrer in Frage – offensichtlich das Verhältnis zu den großen christ- lichen Kirchen belasten würde, betonte Hoegner aus- drücklich die Einhaltung des Konkordates und des Kirchenvertrages mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Doch gerade am Widerstand der katholischen Kirche scheiterte dann die Umsetzung des am 14. Juli 1955 beschlossenen neuen Lehrerbil- dungsgesetzes. Im Januar 1956 entschied Hoegner ge- gen manche Widerstände in seiner Koalition, die Re- form der Lehrerbildung nicht weiterzuverfolgen. So wurde erst nach dem Ende der Viererkoalition ein allerdings nicht mehr den Vorstellungen der SPD- Fraktion entsprechendes Lehrerbildungsgesetz end- gültig verabschiedet (am 2. Juni 1958). Auch so genannte Volksschullehrer sollten nach dem Willen der SPD endlich eine In einem 17-Punkte-Programm stellte Wilhelm Hochschulausbildung erhalten. Doch erst nach Ende der Viererkoalition konnte das Hoegner am 17. Januar 1956 im Bayerischen Landtag Lehrerbildungsgesetz verabschiedet werden. DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

deszentrale für Heimatdienst beschlossen worden (seit 1964: Bayerische Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit), die der Staatskanzlei unterstand. Am 27. Mai 1957 wurde per Gesetz und gegen die Stim- men der CSU die Akademie für Politische Bildung geschaffen, die im Oktober 1958 ihre Arbeit in Tut- zing aufnahm. Der im November 1956 dem Landtag vorgelegte „Rucker-Plan“ des Kultusministers war der Beginn einer staatlichen Politik, die Hochschulen und Wissenschaft förderte, um international wettbewerbs- fähig zu bleiben. Im Zusammenhang mit der Vorlage dieses ersten Bedarfsplanes stand auch Hoegners In- itiative zur Schaffung eines Wissenschaftsrates, der Die SPD-Fraktion (1954–1958) stellt sich im Senatssaal des Landtags den Fotografen: am 5. September 1957 als ein Bund-Länder-Gremium Wilhelm Hoegner sitzend in der Mitte, links neben ihm Waldemar von Knoeringen zur bundesweiten Koordination und Finanzierung der wissenschaftlichen Forschung errichtet wurde. die Ziele seiner Regierung vor: Mit der Erschließung von Bodenschätzen (insbesondere von Öl und Uran) Als Hoegner genau ein Jahr nach der Vorlage seines Regierungsziele: und dem Ausbau von Kraftwerken (auch dem von 17-Punkte-Programms im Landtag Bilanz zog, konn- Abbau von Atomkraftanlagen) sollten die Voraussetzungen für te er noch weitere Erfolge nennen. Dazu zählten im Bodenschätzen, die weitere Industrialisierung geschaffen werden. Bereich Wissenschaft die Übersiedlung des von Wer- Kraftwerksausbau, Sozialwohnungen, Auch der von Knoeringen bereits Anfang 1951 ange- ner Heisenberg geleiteten Max-Planck-Instituts für Fremdenverkehr mahnte Landesentwicklungsplan fand sich unter den Physik und Astrophysik von Göttingen nach Mün- Programmpunkten. Weitere Ziele waren der soziale chen und die in Aussicht stehende Inbetriebnahme Wohnungsbau und der Ausbau des Fremdenverkehrs, des Forschungsreaktors („Atom-Ei“) in Garching. In verbunden mit einem Aufruf zum Naturschutz. jenen Jahren bestand noch ein Grundkonsens über die Schließlich kündigte Hoegner die Schaffung von Ein- friedliche Nutzung der Kernenergie – insbesondere richtungen der Politischen Bildung an, um „den de- die SPD verband damit die Erwartung einer „Zweiten mokratischen Gedanken“ in der Bevölkerung un- Industriellen Revolution“ (Waldemar von Knoerin- widerruflich zu verankern. gen am 6. November 1955 auf der Landeskonferenz in Kempten; siehe im Übrigen auch Kapitel 5). So be- Kulturpolitische Offensive Auch und gerade diese kulturpolitische Offensive im schloss der Bayerische Landtag am 9. Juli 1957 trotz Bereich der Politischen Bildung trug zur Erfolgsbi- der mittlerweile einsetzenden Diskussion um die lanz der Viererkoalition bei. So war bereits am 11. No- Atombewaffnung der Bundeswehr einstimmig das vember 1955 die Errichtung einer Bayerischen Lan- erste Atomgesetz der Bundesrepublik. Dritter Landtag 1954: die Viererkoalition und ihr Ende 117

Eine sehr persönliche Initiative des Ministerpräsiden- ten war der mit großer Mehrheit des Landtages am15. Mai 1957 geschaffene Bayerische Verdienstorden, den Hoegner als Symbol bayerischer Souveränität und Ausdruck der Staatlichkeit Bayerns bezeichnete.

Während der Viererkoalition entschieden sich auch die seit Kriegsende offen gebliebenen territorialen Fragen: Seit dem 1. September 1955 gehörten Stadt und Landkreis Lindau, die nach 1945 zunächst Teil der französischen Besatzungszone gewesen waren, wieder zu Bayern. Dagegen kehrte die seit 1816 zu Bayern zählende linksrheinische Pfalz – seit 30. Au- gust 1946 Bestandteil des von der französischen Mili- tärregierung geschaffenen Landes Rheinland-Pfalz – Mitglieder des Kabinetts der Viererkoalition im Sommer 1956 in Wilhelm Hoegners trotz intensiver Bemühungen aller Ministerpräsiden- Urlaubsdomizil im österreichischen Hintersee. Von links: Hans Meinzolt (Staatssekretär), ten nicht nach Bayern zurück. Ein entsprechendes Albrecht Haas (Leiter der Bayerischen Staatskanzlei), Otto Bezold (Wirtschaftsminister), Kurt Eilles (Staatssekretär), Wihelm Hoegner (Ministerpräsident), Joseph Panholzer Volksbegehren verfehlte im April 1956 ungeachtet der (Staatssekretär), August Geislhöringer (Innenminister), Friedrich Zietsch (Finanzminister), von Ministerpräsident Hoegner am 31. Januar 1956 Joseph Baumgartner (Landwirtschaftsminister), Karl Weishäupl (Staatssekretär) und vor dem Landtag verkündeten Zusagen („Pfalz-Mani- Willi Guthsmuths (Staatssekretär) fest“) die vorgeschriebene Zahl von10 Prozent der ab- gegebenen Stimmen. schuss dieser Wahlperiode, der am 27. Oktober 1955 unter dem Vorsitz von Martin Hirsch (SPD) seine Ar- Getrübt wurde die erfolgreiche Arbeit der Viererkoa- beit aufnahm. Die Korruptionsvorwürfe gegen die lition durch die so genannte Spielbankenaffäre. Auf beiden Spitzenpolitiker der BP, den stellvertretenden Antrag der Koalitionsparteien (federführend war die Ministerpräsidenten und Landwirtschaftsminister Korruptionsvorwürfe Bayernpartei) genehmigte der Landtag am 21. April Joseph Baumgartner und den Innenminister August gegen Funktionäre der 1955 die Errichtung von Spielbanken in Bayern. Mit Geislhöringer, konnte der Untersuchungsausschuss Bayernpartei der Opposition dagegen stimmten auch zwei sozialde- in seinem Abschlussbericht vom 20. Mai 1957 jedoch mokratische Abgeordnete und Ministerpräsident nicht bestätigen. Ihre Aussagen im Untersuchungs- Hoegner, der noch 1951 und 1952 als Innenminister ausschuss wurden den beiden Ministern, und damit einschlägige Anträge hatte abwehren können. Wegen letztlich auch der Bayernpartei, zwei Jahre später zum angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der Verhängnis: Auf erneutes Betreiben der CSU wurde Konzessionen an die neuen Spielkasinos beantragte ein politischer Meineidsprozess inszeniert, in dem am die CSU daraufhin den einzigen Untersuchungsaus- 8. August 1959 Baumgartner zu zwei Jahren Zucht- DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

haus und Geislhöringer zu 15 Mo- Am 16. Oktober 1957 wählte der naten Gefängnis verurteilt wurden. Landtag (CSU) zum Falsches Spiel von Die später in erhebliche Zweifel neuen Bayerischen Ministerpräsi- „Old Schwurhand“? gezogene Aussage des damaligen denten. Seidel ging entgegen allen CSU-Generalsekretärs Friedrich Erwartungen keine Koalition mit Zimmermann spielte dabei eine der Bayernpartei ein, sondern ver- wesentliche Rolle. bündete sich mit GB/BHE und FDP. In der Debatte über die Regie- Der Ausgang des Spielbankenpro- rungserklärung schlug Oppositions- zesses besiegelte die politische Be- sprecher Knoeringen am 4. De- Austritt der deutungslosigkeit der Bayernpartei. zember 1957 im Landtag moderate Bayernpartei aus der Vorbote hierzu war der in grober Töne an: Seidels Programm setze Viererkoalition Fehleinschätzung der politischen die praktische Arbeit der Viererkoa- Lage bewusst herbeigeführte, vor- lition fort, die „zu den fruchtbarsten zeitige Austritt der BP aus der Vie- Perioden des Aufbaus nach 1945 rerkoalition. Den Auslöser stellte zählt“. Für die – wie Knoeringen der sensationelle Ausgang der Bun- seinerzeit annahm – nur vorüberge- destagswahl vom 15. September hende Zeit der Opposition bot er 1957 dar, bei der die CDU/CSU die konstruktive Mitarbeit der Sozi- bundesweitmit50,2 Prozent die ab- aldemokraten an, mahnte allerdings solute Stimmenmehrheit erreichte. Wahlbrief von den „Vorrang der Kulturpolitik auf Die CSU kam im Freistaat auf Waldemar von Knoeringen allen Ebenen“ an. Im Oktober 1957 57,2, die SPD auf 26,4 Prozent, tritt Wilhelm Hoegner während die BP auf 3,2, die FDP auf 4,5 und der Am 28. Mai 1958 übergab Waldemar von Knoerin- zurück GB/BHE auf 6,8 Prozent zurückfielen. Da vor allem gen, der kurz zuvor als stellvertretender Vorsitzender die Bayernpartei befürchtete, bei der Landtagswahl in den SPD-Bundesvorstand gewechselt war, den 1958 wegen ihrer Koalition mit der SPD abgestraft zu Vorsitz der Landtagsfraktion an Wilhelm Hoegner. werden, beschlossen am 27. September 1957 Vertreter Zum Stellvertreter Hoegners wurde der gebürtige von CSU, GB/BHE und BP – Letztere allerdings oh- Sudetendeutsche Volkmar Gabert gewählt, der nach ne Autorisierung durch Fraktions- oder Parteigre- der Landtagswahl 1958 auch den stellvertretenden mien – einen Vorvertrag über eine neue Koalition. Vorsitz im Landtagsausschuss für Staatshaushalt und Nach dem Austritt von GB/BHE und BP aus der Re- Finanzfragen innehatte und sich so für weitere gierung trat Ministerpräsident Hoegner am 8. Ok- Spitzenfunktionen innerhalb der SPD qualifizieren tober 1957 von seinem Amt zurück. konnte. Bayerische Landtagswahl 1958: SPD wieder in der Opposition 119

Bayerische Landtagswahl 1958: SPD wieder in der Opposition

Auch nach der Landtagswahl am 23. November 1958 blieb die bayerische SPD in der Opposition. Sowohl CSU (45,6 Prozent, 101 Sitze) als auch SPD (30,8 Prozent, 64 Sitze) steigerten zwar ihren Stimmenan- teil, der am 9. Dezember 1958 wiedergewählte Minis- terpräsident Hanns Seidel setzte jedoch die bisherige Koalitionsregierung fort.

Die neu gewählte SPD-Fraktion (erneut nur mit drei Frauen) bestätigte Wilhelm Hoegner als Vorsitzen- den und Volkmar Gabert als Stellvertreter. In 4 der 12 Landtagsausschüsse behielten Jean Stock (Verfas- sungs- sowie Rechtsfragen) und Richard Oechsle (Wirtschaft, Verkehr) den Vorsitz, im Sozialpoliti- schen Ausschuss ersetzte Karl Weishäupl den im De- zember 1958 verstorbenen Heinrich Stöhr, Wilhelm Hoegner übernahm von Knoeringen den Ausschuss für Sicherheitsfragen. Auch im Landtagspräsidium hatte es einen Wechsel gegeben: An die Seite von Landtagspräsident Hans Ehard, der das Amt schon seit der Viererkoalition ausübte, rückte als einstimmig gewählter Vizepräsident der Hofer Oberbürgermeis- ter Hans Högn (der bisherige Amtsinhaber Georg Hagen war kurz vor der Landtagswahl verstorben).

In der Aussprache nach Seidels Regierungserklärung erinnerte Hoegner am 28. Januar 1959 an den de- struktiven Konfrontationskurs der Opposition zu sei- nen Regierungszeiten, den er seinerseits aber nicht fortsetzen wolle: Wahlplakat aus dem Jahr 1958

„Wir Sozialdemokraten werden die Regierung Sei- Fortschritt zu fördern, eine unparteiische Justiz zu del unterstützen, soweit sie gewillt ist, die Rechte gewährleisten und überhaupt im Geiste der demo- Bayerns zu wahren, den kulturellen und sozialen kratischen Bayerischen Verfassung zu regieren.“ DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Die bayerische SPD und das Godesberger Programm

Das für die SPD verheerende Ergebnis der Bundes- tagswahl 1957, bei der die Union – bisher einmalig in der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik Neuorganisation Deutschland – mehr als 50 Prozent der Stimmen er- der Bundes-SPD hielt, hatte nicht nur das Ende der Viererkoalition in Bayern zur Folge, sondern führte auch zu weitrei- chenden Veränderungen innerhalb der Gesamt-SPD. Ihr Vorsitzender Erich Ollenhauer, der seit dem Tod von Kurt Schumacher 1952 die Partei führte (bis 1963), änderte nach langem Zögern die Führungs- struktur, indem der geschäftsführende Vorstand in der legendären Bonner Parteizentrale („Baracke“) durch ein elfköpfiges Präsidium ersetzt wurde. Auf dem Stuttgarter Parteitag von 1958 kam überdies in den Parteivorstand, nachdem er auf den Parteitagen 1954 und 1956 (in München) noch „durchgefallen“ war. Stellvertretende Parteivorsitzen- de wurden in Stuttgart Herbert Wehner, der sich zum eigentlichen Parteiführer entwickelte, und Waldemar Der langjährige Das Wahlziel wurde nur teilweise erreicht: Der frühere von Knoeringen (bis 1961). Fraktionsvorsitzende Kulturminister Alois Hundhammer (CSU) wurde nach der Volkmar Gabert war Landtagswahl 1958 nur noch Landwirtschaftsminister. Knoeringen leistete einen wesentlichen Beitrag zur unter Hoegner Fraktionsvize. großen programmatischen Wende der SPD, die mit Die Arbeit der SPD-Fraktion ist in den jährlichen Ar- den strukturellen und personellen Veränderungen beitsberichten dokumentiert. Nur ein Beispiel: Im Hand in Hand ging. Er wirkte bei den kulturpoliti- Jahresbericht für das Jahr 1959 sind 34 Fraktionsvor- schen Aussagen des neuen Grundsatzprogramms mit standssitzungen notiert, 43 Fraktionssitzungen, 9 Ar- und verteidigte dieses Programm zusammen mit Her- beitstagungen, 301 Sitzungen in den 12 Ausschüssen bert Wehner auf dem außerordentlichen Parteitag in sowie 37 Plenumssitzungen. Im Berichtszeitraum Bad Godesberg (13.–15. November 1959). Das dort reichte die SPD-Fraktion 14 Gesetzentwürfe, 6 beschlossene „Godesberger Programm“ bedeutete Dringlichkeitsanträge, 41 Anträge der Fraktion, 87 den Abschied von der bisherigen Orientierung an Einzelanträge von Abgeordneten, 25 interfraktionelle Klassenkampf und Marxismus. Konkret stellte das Anträge, 24 schriftliche und 29 mündliche Anfragen neue Programm ein Bekenntnis zur sozialen Markt- sowie zwei Interpellationen ein. wirtschaft, zur Westorientierung und zur vorsichtigen Die bayerische SPD und das Godesberger Programm 121

Fünfter Bayerischer Landtag 1962: Generationswechsel in der SPD

Öffnung nach Osten dar. In wirtschaftsprogrammati- In Bayern hatte der Landtag am 26. Januar 1960 den Auch Hans Ehard scher Hinsicht bestätigte es den Sonderweg, den die seit 1954 amtierenden Landtagspräsidenten Hans wird zum zweiten Mal bayerische SPD bereits zehn Jahre früher vor allem Ehard zum Nachfolger des aus gesundheitlichen Ministerpräsident unter dem Einfluss von Rudolf Zorn und seinem Mo- Gründen zurückgetretenen Ministerpräsidenten dell der „regulierten Marktwirtschaft“ beschritten Hanns Seidel gewählt. Als Ehard ein Jahr später, am hatte. 17. Januar 1961, eine Regierungserklärung abgab, unterstrich der SPD-Fraktionsvorsitzende Hoegner Auch Wilhelm Hoegner fühlte sich durch das Godes- in seiner Antwort am 7. Februar 1961 die Gemein- berger Programm mit seinen früheren Äußerungen samkeiten von Regierung und sozialdemokratischer anerkannt. Das galt in besonderer Weise für seine Landtagsopposition. Forderung nach einer sozialdemokratischen Volks- partei und hinsichtlich seines Kampfes für eine föde- Nach der Bundestagswahl am 17. September 1961, bei ralistische Gliederung der Bundesrepublik: Der zen- der die SPD mit Willy Brandt erstmals – allerdings ver- tralistische Einheitsstaat wird im Godesberger Pro- geblich – mit einem eigenen Kandidaten für das Amt gramm ausdrücklich abgelehnt. des Bundeskanzlers angetreten war, bemühte sich

SPD-Parteitag 1959: Godesberger Programm DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

rung verfügten, so Richard Oechsle, Friedrich Zietsch, Johann Maag und Gerda Laufer; als Repräsentant des Bayerischen Senats fungierte Ludwig Linsert, der Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschafts- bundes; die Städte waren durch vier Oberbürgermeis- ter vertreten: Hans-Jochen Vogel (München), An- dreas Urschlechter (Nürnberg), Rudolf Schlichtinger (Regensburg) und Hans Högn (Hof).

Diese Personalisierung der Landespolitik ging mit ei- ner durch Waldemar von Knoeringen angeregten an- spruchsvollen programmatischen Erneuerung einher, die auch über den Wahltag hinaus Bestand haben soll- te. Das „Bayernprogramm“ – es umfasste unter der Überschrift „Mehr Gerechtigkeit“ 108 Seiten und enthielt 20 pointiert zugespitzte Forderungen – prä- sentierte die SPD am 4. April 1962 der Öffentlichkeit. Im Vorwort schrieb Knoeringen:

„Demokratie ist mehr als Stimmabgabe am Wahl- tag. Der einzelne Bürger – und das ist neu an un- serem Beginnen – soll bereits bei der Entwicklung konkreter Vorschläge mitwirken können. Wir ha- ben uns deshalb für einen Programmentwurf ent- Waldemar von Knoeringen schieden, der eine offene Diskussionsgrundlage sein soll für das Gespräch mit jedermann.“ auch die bayerische SPD um eine stärkere Personali- sierung. So wurde im Hinblick auf die bevorstehende Bei der Landtagswahl am 25. November 1962 wurden Schaffung des Landtagswahl am 18. November 1961 ein Landesrat die Bemühungen der bayerischen SPD nur teilweise Landesrates im mit zwölf sozialdemokratischen Persönlichkeiten vor- belohnt. Zwar konnte sie den stärksten Stimmenzu- November 1961 gestellt. An seiner Spitze standen der Landesvor- wachs seit 1946 verzeichnen, nämlich um 4,5 auf nun- sitzende Waldemar von Knoeringen, der Fraktions- mehr 35,3 Prozent (79 Sitze). Aber die CSU erreichte vorsitzende Wilhelm Hoegner und sein Stellvertreter trotz einer bescheidenen 1,9-prozentigen Stimmen- Volkmar Gabert; ferner gehörten dem Gremium steigerung mit 47,5 Prozent die absolute Parlaments- Landtagsabgeordnete an, die über Regierungserfah- mehrheit von 108 Sitzen. Obwohl sie allein hätte re- Fünfter Bayerischer Landtag 1962: Generationswechsel in der SPD 123

gieren können, nahm die CSU die zusammenge- mit und konzentrierte sich ganz auf den Bereich der schrumpfte Bayernpartei (8 Abgeordnete) mit in die Gesellschafts- und Kulturpolitik. Weitere eigenver- Regierung. Von den bisherigen Koalitionspartnern antwortliche Vorstandsmitglieder wurden Willi Rei- FDP (9 Sitze) und BHE war Letzterer gar nicht mehr land (Arbeitsbereich Jugendpolitik), Hans-Jochen Vo- im Landtag vertreten. gel (Kommunalpolitik), Johann Maag (Agrarpolitik), Karl Weishäupl (Sozialpolitik und Gesundheitswe- Für die SPD-Landtagsfraktion bedeutete diese Wahl sen) und Richard Oechsle (Arbeit und Wirtschaft). eine große Zäsur: 25 ihrer 79 Abgeordneten zogen Mit Gabert an der Spitze wurde also die bisher stark erstmals in den Landtag ein. Zudem lag ein Wechsel von der Person Knoeringens geprägte Führung des in der Führung nahe, da der Fraktionsvorsitzende Landesverbandes durch eine eher kollektive Führung Wilhelm Hoegner bereits 75 Jahre alt war. Sein un- abgelöst. umstrittener Nachfolger wurde Volkmar Gabert (sie- he nächstes Kapitel); Hoegner wiederum übernahm Der Waldemar-von-Knoe- nun die wichtigste parlamentarische Funktion, die die ringen-Preis wurde 1981 SPD damals zu vergeben hatte: das Amt des Land- von der Georg-von-Voll- tagsvizepräsidenten. mar-Akademie gestiftet. Die bayerische Sozialdemokratie Der Generationswechsel wurde aber auch in der Lan- zeichnet mit ihm besondere despartei vollzogen. Bereits vor der Landtagswahl Leistungen in Politik, Bil- 1962 hatte Knoeringen sich entschlossen, das Amt des dung, Wissenschaft, Jour- Landesvorsitzenden abzugeben. Da sich die Personal- nalismus, schriftstellerischer union von Landes- und Fraktionsvorsitz bewährt hat- und anderer künstlerischer te, konnte er vor der am 28./29. September 1963 in Tätigkeit aus, die den Zielen Landshut stattfindenden 14. Landeskonferenz den des demokratischen Sozia- sich zunächst sträubenden Volkmar Gabert für die lismus und der Tradition der Kandidatur gewinnen. Auf dem Parteitag konnte sich Arbeiterbewegung entspre- der jüngere Gabert gegen den früheren Minister chen. Der Preis wurde bis- Friedrich Zietsch durchsetzen und blieb bis zum Jahr her 14 Mal verliehen, Preis- 1972 SPD-Landesvorsitzender. träger sind Georg Leber Preisverleihung an Georg Leber (von links: Holger Börner, Renate Schmidt, Georg Leber, Hedda Jungfer, (siehe Foto), Hans-Peter Ulrike Mascher) Für einen harmonischen Übergang sorgte auch Wil- Dürr, , helm Hoegner, der bereits seit 1958 als stellvertreten- Helga Grebing, Dieter Hildebrandt, Richard Löwen- der SPD-Landesvorsitzender amtiert hatte und nun thal, Volkmar Gabert, Karl Anders und Emil Werner, für weitere vier Jahre seine Erfahrungen einbrachte. Hermann Glaser, Peter Glotz, Senta Berger, Max Auch Knoeringen arbeitete weiter im Landesvorstand Mannheimer, Käthe Strobel und Hans-Jochen Vogel.