Dr. Wolfgang Schüssel Bundeskanzler Österreich 2000-2007 Im Gespräch Mit Werner Reuß
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 26.1.2010, 20.15 Uhr Dr. Wolfgang Schüssel Bundeskanzler Österreich 2000-2007 im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser Gast ist heute Dr. Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler der Bundesrepublik Österreich in den Jahren 2000 bis 2007. Und er war länger als jeder andere Bundesparteiobmann, also Bundesvorsitzender der ÖVP, der Österreichischen Volkspartei. Ich freue mich, dass er hier ist, ganz herzlich willkommen, Herr Bundeskanzler. Schüssel: Guten Abend, grüß Gott. Reuß: "Politik ist die Kunst, dem lieben Gott so zu dienen, dass es dem Teufel nicht missfällt", meinte einst der englische Prediger Thomas Fuller. Sie machen seit Jahrzehnten an herausragender Stelle Politik: als Bundeswirtschaftsminister, als Bundesaußenminister, als Vizekanzler, Bundeskanzler, EU-Ratspräsident usw. Was ist denn Politik für Dr. Wolfgang Schüssel? Schüssel: Harte Arbeit, sehr professionelle Arbeit, schwieriger vielleicht als in früheren Zeiten, weil gerade für Länder wie Bayern oder Österreich mit Europa eine ganz neue Ebene dazugekommen ist, die es in dieser Form früher nicht gegeben hat. Europa ist ein einmaliges Projekt, zu dem gerade solche Länder wie Bayern und Österreich beitragen wollen und müssen. Das ist Politik aus meiner Sicht. Und das muss ein Arbeiten in Generationen sein: Nur zu reagieren, wäre also zu wenig. Ich war immer stolz darauf, einer Regierung anzugehören und nicht einer Reagierung. Aber es gehört selbstverständlich mit zur Politik, dass sie auch manchmal sehr kontrovers abläuft. Reuß: Politiker werden von den Beobachtern und auch aufgrund der Berichterstattung oft etwas eindimensional wahrgenommen. Für Sie gilt das entschieden nicht: Ich habe nachgelesen, dass Sie hervorragend Klavier und Cello spielen, dass Sie sehr gut Ski fahren und leidenschaftlich gerne Fußball gespielt haben. Und Sie zeichnen auch sehr gut, und zwar nicht nur Cartoons und Karikaturen, sondern Ihre Eindrücke. Wir werden jetzt gleich einige Zeichnungen von Ihnen eingeblendet bekommen. Sind Sie denn jemand, der nur schlecht nichts tun kann? Schüssel: Ich bin ein Zwilling, wie Sie nicht vergessen dürfen, und Zwillinge haben ja immer viele Gesichter und manche Talente und manche Begabungen, die man allerdings auch richtig einordnen muss. Sie dürfen natürlich nicht glauben, dass ich vor lauter Zeichnen, Fußballspielen, Bergsteigen oder Musizieren nicht zum Arbeiten komme. Denn das sind Freizeitaktivitäten, die ohnedies sehr zu kurz gekommen sind. Aber um auf das Zeichnen zurückzukommen: Ich habe mir mein Studium u. a. als freier Mitarbeiter im Österreichischen Rundfunk verdient und als Zeichner. Ich habe mich sogar einmal als Karikaturist bei einer namhaften Wiener Tageszeitung beworben, bin aber nicht genommen worden. Ich bin dann allerdings daraufgekommen, dass der damalige Chefredakteur ein Intimfeind meines Vaters gewesen ist, der ebenfalls Journalist gewesen ist. Gut, aus diesem Grund nahm mein Leben dann eben einen anderen Weg. Derjenige, der an meiner Stelle damals engagiert wurde, ist heute einer der besten Zeichner von Österreich. Es war also keine Schande, gegen ihn zu verlieren. Reuß: Sie haben auch viele Sachbücher und sogar Kinderbücher geschrieben. In einem davon heißt es so schön: "Merke dir, es gibt eine Zeit zum Lachen und eine Zeit zum Weinen, es gibt eine Zeit zum Kämpfen und eine Zeit zum Frieden schließen, es gibt eine Zeit zum Drängen und eine zum Warten." War das denn nur auf die Kinder gemünzt oder galt das schon auch ein bisschen als Richtschnur für Sie und Ihre Politik?` Schüssel: Dieser Satz hat schon etwas für sich. Dieser Text stammt ja in abgewandelter Form eigentlich aus dem Buch Kohelet aus dem Alten Testament, d. h. diese Weisheit ist mittlerweile um die 3000, 4000 Jahre alt. Nachdem ich ja auf dem Gymnasium noch Griechisch gelernt habe, weiß ich, dass eines der wichtigsten Wörter für uns Menschen der "Kairos" ist: der richtige Zeitpunkt. Diesen richtigen Zeitpunkt gibt es in jedem Leben: Wenn man z. B. die Frau trifft, die einem fürs Leben bestimmt ist, dann ist das der Augenblick, der entscheidend ist. Es gibt auch in der Politik so etwas: Man kann eine Wahrheit richtig erkennen und sie dann auch vor das Volk bringen, aber wenn der Zeitpunkt dafür nicht gekommen ist, dann wird man damit keine Chance haben, dann wird das nicht funktionieren. Wenn dagegen der richtige Zeitpunkt gekommen ist und wenn man ihn als solchen erkennt, dann geht plötzlich alles. Das ist also eine Kunst, die nicht leicht ist, und man braucht viel Fingerspitzengefühl und schon auch Glück, um diesen richtigen Zeitpunkt erkennen zu können. Manchmal ist es eben auch klug, nur zu warten und die Dinge an sich herankommen zu lassen, eine gewisse Gelassenheit gegenüber dem Zeitgeist und manchmal gegenüber den Medien zu entwickeln. Aber das ist natürlich leichter gesagt als getan. Reuß: Wahrheit ist ein sehr gutes Stichwort: Der österreichischer Schriftsteller Stefan Zweig meinte einmal, Wahrheit und Politik wohnen selten unter einem Dach. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer äußerte einmal: "Der Umgang mit der Wahrheit ist ein Problem in der Politik." Und ein Buchautor schrieb, Sie hätten trotz guter Ausgangslage 1995 die Nationalratswahlen verloren, und zwar möglicherweise deswegen, weil Sie mit der ehrlichen Botschaft angetreten sind: "Wir müssen sparen!" Damit hätten Sie den Menschen damals vielleicht zu viel zugemutet, so dieser Autor. Welche Rolle spielt die Wahrheit in der Politik für Sie? Wie offen, wie ehrlich kann man in der Politik sein, wie offen und ehrlich konnten Sie immer in der Politik sein? Schüssel: Wahrheit und Unwahrheit sind natürlich oft nicht so ganz leicht voneinander zu unterscheiden. Das, was heute wahr scheint, ist vielleicht in einem mittel- oder längerfristigen Zeitrahmen falsch. Wenn man etwa in der Wirtschaftspolitik sagt: "So, jetzt in der Krise muss mit vollen Kräften gegengesteuert werden, jetzt muss Geld ausgegeben werden!", dann kann das heute kurzfristig richtig sein, ist aber möglicherweise gegenüber künftigen Generationen mittel- und langfristig nicht verantwortbar. Im Jahr 1995 habe ich zwar nicht verloren, aber nur wenig dazugewonnen, während die Sozialdemokraten sehr stark dazugewonnen haben, weil ich damals der Meinung war, wir müssen das Pensionssystem nachhaltig reformieren. Kurzfristig habe ich damit nicht Erfolg gehabt, langfristig war das absolut richtig. Das Interessante war: Nach der Wahl, die ich also nicht gewonnen habe, sind dann plötzlich Dinge möglich geworden, die ohne diese Wahl undenkbar gewesen wären. Daher ist auch die Einschätzung von Sieg oder Niederlage zu relativieren: Es gibt in der Politik keine endgültigen Siege und wahrscheinlich auch keine endgültigen, dauerhaften Niederlagen. Man braucht Geduld und auch Härte und Zielstrebigkeit, um manche Themen eben auch länger zu erklären und durchzusetzen. Man darf also in der Politik nicht nur dem Augenblick verhaftet sein. Prinzipiell aber, um Ihre Frage wirklich ehrlich zu beantworten, halte ich es für notwendig, dass man den Menschen die Wahrheiten zumutet, die sie auch vertragen können. Auf der anderen Seite muss man aber auch nicht alles sagen, was man weiß, denn das gehört auch dazu. Das heißt nicht, dass man die Unwahrheit sagt, aber ich glaube nicht, dass die Menschen ein riesiges Interesse daran haben, wirklich ganz genau zu wissen, wie sich bestimmte Dinge hinter den Kulissen tatsächlich abgespielt haben. Da muss man manchmal schon auch etwas zurückhaltender sein und muss nicht immer alles sofort dem Boulevard erzählen, was aber ganz offensichtlich so manchem nicht leicht fällt. Reuß: Sie haben das Problem um die notwendigen Entscheidungen, die sich nicht kurzfristig, sondern erst langfristig auszahlen, angesprochen. Karl Friedrich von Weizsäcker hat einmal die Frage gestellt: "Wie kann eine Regierung das langfristig Notwendige entscheiden, wenn es kurzfristig unbeliebt ist und den Wahlerfolg bedroht?" Ist das ein Problem gerade für demokratische Systeme? Schüssel: Ich bin ja nun schon seit Langem in der Politik praktisch tätig: Ich bin seit über 30 Jahren Mitglied des österreichischen Parlaments, ich war 19 Jahre lang in der Regierung, habe 50 verschiedene europäische Räte miterlebt und z. T. auch selbst mitgestalten können. Ganz ehrlich gesagt, habe ich gelernt, dass man doch mehr bewegen kann, als man sich am Anfang selbst zutraut. Man kann daher den Jungen nur Mut zusprechen: "Traut euch was! Lasst euch ja nicht abschrecken davon, dass das, was Ihr wollt, zunächst einmal nicht populär zu sein scheint. Versucht, eine Linie durchzukämpfen und dafür auch einzustehen!" Für etwas zu stehen, zahlt sich also immer noch aus – und ist besser, als "im Liegen umzufallen". Das mag nicht immer honoriert werden, das ist schon richtig, aber ich glaube, langfristig braucht das die Demokratie, denn die Demokratie braucht auch streitbare Demokraten, die sich etwas trauen und die für eine Sache, für eine Weltanschauung, für einen Wert, für ein ganz bestimmtes Ziel eintreten. Immer nur niemandem wehtun, sich wie ein Wattebäuschchen zu verhalten, sich immer nach allen Seiten absichern und immer den Fallschirm im Rucksack dabei haben, das bringt nichts in der Politik: Da soll man sie lieber gleich bleiben lassen. Reuß: Sie haben es damit schon angedeutet: Es gehört also zur Politik eine klare Haltung und eine klare Position. Aber es gehört sicherlich nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik Führung dazu.