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Sendung vom 26.1.2010, 20.15 Uhr

Dr. Wolfgang Schüssel Bundeskanzler Österreich 2000-2007 im Gespräch mit Werner Reuß

Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser Gast ist heute Dr. Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler der Bundesrepublik Österreich in den Jahren 2000 bis 2007. Und er war länger als jeder andere Bundesparteiobmann, also Bundesvorsitzender der ÖVP, der Österreichischen Volkspartei. Ich freue mich, dass er hier ist, ganz herzlich willkommen, Herr Bundeskanzler. Schüssel: Guten Abend, grüß Gott. Reuß: "Politik ist die Kunst, dem lieben Gott so zu dienen, dass es dem Teufel nicht missfällt", meinte einst der englische Prediger Thomas Fuller. Sie machen seit Jahrzehnten an herausragender Stelle Politik: als Bundeswirtschaftsminister, als Bundesaußenminister, als Vizekanzler, Bundeskanzler, EU-Ratspräsident usw. Was ist denn Politik für Dr. Wolfgang Schüssel? Schüssel: Harte Arbeit, sehr professionelle Arbeit, schwieriger vielleicht als in früheren Zeiten, weil gerade für Länder wie Bayern oder Österreich mit Europa eine ganz neue Ebene dazugekommen ist, die es in dieser Form früher nicht gegeben hat. Europa ist ein einmaliges Projekt, zu dem gerade solche Länder wie Bayern und Österreich beitragen wollen und müssen. Das ist Politik aus meiner Sicht. Und das muss ein Arbeiten in Generationen sein: Nur zu reagieren, wäre also zu wenig. Ich war immer stolz darauf, einer Regierung anzugehören und nicht einer Reagierung. Aber es gehört selbstverständlich mit zur Politik, dass sie auch manchmal sehr kontrovers abläuft. Reuß: Politiker werden von den Beobachtern und auch aufgrund der Berichterstattung oft etwas eindimensional wahrgenommen. Für Sie gilt das entschieden nicht: Ich habe nachgelesen, dass Sie hervorragend Klavier und Cello spielen, dass Sie sehr gut Ski fahren und leidenschaftlich gerne Fußball gespielt haben. Und Sie zeichnen auch sehr gut, und zwar nicht nur Cartoons und Karikaturen, sondern Ihre Eindrücke. Wir werden jetzt gleich einige Zeichnungen von Ihnen eingeblendet bekommen. Sind Sie denn jemand, der nur schlecht nichts tun kann? Schüssel: Ich bin ein Zwilling, wie Sie nicht vergessen dürfen, und Zwillinge haben ja immer viele Gesichter und manche Talente und manche Begabungen, die man allerdings auch richtig einordnen muss. Sie dürfen natürlich nicht glauben, dass ich vor lauter Zeichnen, Fußballspielen, Bergsteigen oder Musizieren nicht zum Arbeiten komme. Denn das sind Freizeitaktivitäten, die ohnedies sehr zu kurz gekommen sind. Aber um auf das Zeichnen zurückzukommen: Ich habe mir mein Studium u. a. als freier Mitarbeiter im Österreichischen Rundfunk verdient und als Zeichner. Ich habe mich sogar einmal als Karikaturist bei einer namhaften Wiener Tageszeitung beworben, bin aber nicht genommen worden. Ich bin dann allerdings daraufgekommen, dass der damalige Chefredakteur ein Intimfeind meines Vaters gewesen ist, der ebenfalls Journalist gewesen ist. Gut, aus diesem Grund nahm mein Leben dann eben einen anderen Weg. Derjenige, der an meiner Stelle damals engagiert wurde, ist heute einer der besten Zeichner von Österreich. Es war also keine Schande, gegen ihn zu verlieren. Reuß: Sie haben auch viele Sachbücher und sogar Kinderbücher geschrieben. In einem davon heißt es so schön: "Merke dir, es gibt eine Zeit zum Lachen und eine Zeit zum Weinen, es gibt eine Zeit zum Kämpfen und eine Zeit zum Frieden schließen, es gibt eine Zeit zum Drängen und eine zum Warten." War das denn nur auf die Kinder gemünzt oder galt das schon auch ein bisschen als Richtschnur für Sie und Ihre Politik?` Schüssel: Dieser Satz hat schon etwas für sich. Dieser Text stammt ja in abgewandelter Form eigentlich aus dem Buch Kohelet aus dem Alten Testament, d. h. diese Weisheit ist mittlerweile um die 3000, 4000 Jahre alt. Nachdem ich ja auf dem Gymnasium noch Griechisch gelernt habe, weiß ich, dass eines der wichtigsten Wörter für uns Menschen der "Kairos" ist: der richtige Zeitpunkt. Diesen richtigen Zeitpunkt gibt es in jedem Leben: Wenn man z. B. die Frau trifft, die einem fürs Leben bestimmt ist, dann ist das der Augenblick, der entscheidend ist. Es gibt auch in der Politik so etwas: Man kann eine Wahrheit richtig erkennen und sie dann auch vor das Volk bringen, aber wenn der Zeitpunkt dafür nicht gekommen ist, dann wird man damit keine Chance haben, dann wird das nicht funktionieren. Wenn dagegen der richtige Zeitpunkt gekommen ist und wenn man ihn als solchen erkennt, dann geht plötzlich alles. Das ist also eine Kunst, die nicht leicht ist, und man braucht viel Fingerspitzengefühl und schon auch Glück, um diesen richtigen Zeitpunkt erkennen zu können. Manchmal ist es eben auch klug, nur zu warten und die Dinge an sich herankommen zu lassen, eine gewisse Gelassenheit gegenüber dem Zeitgeist und manchmal gegenüber den Medien zu entwickeln. Aber das ist natürlich leichter gesagt als getan. Reuß: Wahrheit ist ein sehr gutes Stichwort: Der österreichischer Schriftsteller Stefan Zweig meinte einmal, Wahrheit und Politik wohnen selten unter einem Dach. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer äußerte einmal: "Der Umgang mit der Wahrheit ist ein Problem in der Politik." Und ein Buchautor schrieb, Sie hätten trotz guter Ausgangslage 1995 die Nationalratswahlen verloren, und zwar möglicherweise deswegen, weil Sie mit der ehrlichen Botschaft angetreten sind: "Wir müssen sparen!" Damit hätten Sie den Menschen damals vielleicht zu viel zugemutet, so dieser Autor. Welche Rolle spielt die Wahrheit in der Politik für Sie? Wie offen, wie ehrlich kann man in der Politik sein, wie offen und ehrlich konnten Sie immer in der Politik sein? Schüssel: Wahrheit und Unwahrheit sind natürlich oft nicht so ganz leicht voneinander zu unterscheiden. Das, was heute wahr scheint, ist vielleicht in einem mittel- oder längerfristigen Zeitrahmen falsch. Wenn man etwa in der Wirtschaftspolitik sagt: "So, jetzt in der Krise muss mit vollen Kräften gegengesteuert werden, jetzt muss Geld ausgegeben werden!", dann kann das heute kurzfristig richtig sein, ist aber möglicherweise gegenüber künftigen Generationen mittel- und langfristig nicht verantwortbar. Im Jahr 1995 habe ich zwar nicht verloren, aber nur wenig dazugewonnen, während die Sozialdemokraten sehr stark dazugewonnen haben, weil ich damals der Meinung war, wir müssen das Pensionssystem nachhaltig reformieren. Kurzfristig habe ich damit nicht Erfolg gehabt, langfristig war das absolut richtig. Das Interessante war: Nach der Wahl, die ich also nicht gewonnen habe, sind dann plötzlich Dinge möglich geworden, die ohne diese Wahl undenkbar gewesen wären. Daher ist auch die Einschätzung von Sieg oder Niederlage zu relativieren: Es gibt in der Politik keine endgültigen Siege und wahrscheinlich auch keine endgültigen, dauerhaften Niederlagen. Man braucht Geduld und auch Härte und Zielstrebigkeit, um manche Themen eben auch länger zu erklären und durchzusetzen. Man darf also in der Politik nicht nur dem Augenblick verhaftet sein. Prinzipiell aber, um Ihre Frage wirklich ehrlich zu beantworten, halte ich es für notwendig, dass man den Menschen die Wahrheiten zumutet, die sie auch vertragen können. Auf der anderen Seite muss man aber auch nicht alles sagen, was man weiß, denn das gehört auch dazu. Das heißt nicht, dass man die Unwahrheit sagt, aber ich glaube nicht, dass die Menschen ein riesiges Interesse daran haben, wirklich ganz genau zu wissen, wie sich bestimmte Dinge hinter den Kulissen tatsächlich abgespielt haben. Da muss man manchmal schon auch etwas zurückhaltender sein und muss nicht immer alles sofort dem Boulevard erzählen, was aber ganz offensichtlich so manchem nicht leicht fällt. Reuß: Sie haben das Problem um die notwendigen Entscheidungen, die sich nicht kurzfristig, sondern erst langfristig auszahlen, angesprochen. Karl Friedrich von Weizsäcker hat einmal die Frage gestellt: "Wie kann eine Regierung das langfristig Notwendige entscheiden, wenn es kurzfristig unbeliebt ist und den Wahlerfolg bedroht?" Ist das ein Problem gerade für demokratische Systeme? Schüssel: Ich bin ja nun schon seit Langem in der Politik praktisch tätig: Ich bin seit über 30 Jahren Mitglied des österreichischen Parlaments, ich war 19 Jahre lang in der Regierung, habe 50 verschiedene europäische Räte miterlebt und z. T. auch selbst mitgestalten können. Ganz ehrlich gesagt, habe ich gelernt, dass man doch mehr bewegen kann, als man sich am Anfang selbst zutraut. Man kann daher den Jungen nur Mut zusprechen: "Traut euch was! Lasst euch ja nicht abschrecken davon, dass das, was Ihr wollt, zunächst einmal nicht populär zu sein scheint. Versucht, eine Linie durchzukämpfen und dafür auch einzustehen!" Für etwas zu stehen, zahlt sich also immer noch aus – und ist besser, als "im Liegen umzufallen". Das mag nicht immer honoriert werden, das ist schon richtig, aber ich glaube, langfristig braucht das die Demokratie, denn die Demokratie braucht auch streitbare Demokraten, die sich etwas trauen und die für eine Sache, für eine Weltanschauung, für einen Wert, für ein ganz bestimmtes Ziel eintreten. Immer nur niemandem wehtun, sich wie ein Wattebäuschchen zu verhalten, sich immer nach allen Seiten absichern und immer den Fallschirm im Rucksack dabei haben, das bringt nichts in der Politik: Da soll man sie lieber gleich bleiben lassen. Reuß: Sie haben es damit schon angedeutet: Es gehört also zur Politik eine klare Haltung und eine klare Position. Aber es gehört sicherlich nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik Führung dazu. Sie haben einmal über Ihren Führungsstil gesagt: "Der Hirtenhund umkreist seine Herde." Das kann ja nun Verschiedenes bedeuten. Das kann bedeuten, dass man die Herde zusammenhält und darauf achtet, dass da niemand ausbüchst. Das kann aber auch bedeuten, dass man die Herde umkreist, um zu hören, wie die Stimmung in der Herde ist. Was ist denn Ihr Verständnis von Führung? Wie haben Sie geführt? Schüssel: Ich habe im Jahr 1995 die Führung der ÖVP übernommen, die damals total zerstritten war. Wir hatten einen liberalen und einen konservativen Flügel, der in und auch personalisiert wurde. Beide sind von mir sehr geschätzte Persönlichkeiten, wobei ich aber doch eher im urbanen und liberaleren Segment zu Hause gewesen bin. Aber ich habe immer gewusst, dass es wichtig ist, die ganze Bandbreite einer christlich- sozialen Partei darzustellen: Da kann nicht nur ein Segment ziehen! Daher war es mir wichtig, das wieder zusammenzuführen. Wir waren damals in den Umfragen bei unter 20 Prozent angekommen: Als ich vor einiger Zeit mein Amt übergeben habe, hatten wir bei den letzten Wahlen ein wesentlich besseres Ergebnis erzielt. Dazu gehört, dass man einbindet, dass man Brücken baut. Gerade eine Volkspartei, die mehrheitsfähig sein will – und beim Wahlsieg im Jahr 2002 konnte ich immerhin 42 Prozent der österreichischen Wählerinnen und Wähler für mich gewinnen –, schafft das nicht, wenn sie sich nur auf den härtesten Kern derer bezieht, die immer schon dabei gewesen sind; die vom Großvater über den Vater bis zum Enkel und von der Großmutter über die Mutter bis zur Enkelin immer schon schwarz gewählt haben. So funktioniert das nicht. Das heißt, man muss sich viel breiter aufstellen, und dazu gehört, dass man die eigenen Reihen zusammenhält, aber sich trotzdem öffnet für neue Ideen, für neue Generationen, für neue Themen und neue Talente und Begabungen. Das ist die Kunst, wie ich glaube, und deswegen habe ich eben dieses Bild gebraucht vom Hirtenhund, der die Herde umkreist. Da gehört natürlich schon auch dazu, dass man gelegentlich bellen und auch Zähne zeigen muss, damit nicht jeder macht, was ihm gerade einfällt. Denn ansonsten wäre das ja nur ein organisiertes Chaos, das niemandem etwas bringt. Reuß: Wir kommen gleich wieder zur Politik zurück, aber ich würde hier gerne eine kleine inhaltliche Zäsur machen, um unseren Zuschauern den Menschen Wolfgang Schüssel näher vorstellen zu können. Wer über Sie und Ihren gesamten Werdegang mehr wissen möchte, kann das alles wunderbar nachlesen in Ihrem Buch, das ich nun gerne vorstellen würde und das den Titel trägt "Offengelegt". Für mich war das eine enorm bereichernde und fesselnde Lektüre. Geboren sind Sie am 7. Juni 1945 in Wien, Ihr Vater war Sportjournalist und hat die Familie relativ früh verlassen. Ihre Mutter hatte, wenn ich das richtig nachgelesen habe, eine sehr ordentliche Anstellung in der Handelskammer Niederösterreichs. Diesen Beruf gab sie aber auf, um mehr Zeit für Sie zu haben, und hat dann als Handarbeitslehrerin gearbeitet. Wie sind Sie aufgewachsen? Was hat Sie in Ihrer frühen Kindheit und Jugend geprägt? Schüssel: Zunächst einmal muss ich Ihnen dafür danken, dass sie aus patriotischen Gründen für mich extra eine rot-weiß-rote Krawatte angelegt und sie noch dazu perfekt gebunden haben. Es ist eine große Freude für mich, wenn ich so an meine Heimat erinnert werde. Ich bin so alt wie die Republik, also in den ersten Friedenstagen geboren. Aufgewachsen bin ich dann auf der Mariahilfer Straße, wo meine Mutter mit mir alleine gelebt hat. Durch einen Bombentreffer auf unser Haus war meine Mutter mit mir im Bauch drei Tage lang verschüttet. Sie wohnte in der Nähe des Westbahnhofs und die Alliierten haben bei ihrer Bombardierung Wiens eben nicht immer den Bahnhof getroffen, sondern auch ganz normale Wohnhäuser, weil sie nämlich, egal wie, ihre Bomben möglichst rasch abwerfen wollten, denn Wien ist damals durch Luftabwehrgeschütze sehr stark verteidigt worden. Daher rührt vielleicht auch die ganz besondere Nähe, die ich zu meiner Mutter immer gehabt habe: Sie war, wie viele Tausende andere damals, eine alleinerziehende Mutter in dieser Nachkriegszeit. Sie hat sich sehr um mich gekümmert und war nicht nur Handarbeits-, sondern auch Kochlehrerin. Daher schätze ich ja auch die Wiener Küche so. Meine Großmutter war übrigens Köchin in der amerikanischen Botschaft. Wir hatten also durchaus auch Beziehungen zum guten Leben. Ich selbst bin daher ein typischer Wiener, das bedeutet, ich bin eine gute Mischung: Mein Großvater war an der Außenfront der österreichisch-ungarischen Monarchie stationiert gewesen. Mein Vater wurde daher in Bielsko-Biala im heutigen Polen geboren. Daher hat mich auch immer schon dieses größere Österreich interessiert. Das war nämlich etwas, das wir bei uns in Österreich jahre- und jahrzehntelang verdrängt haben. Ich bin also in Wien aufgewachsen und habe das Schottengymnasium besucht. Studiert habe ich ebenfalls in Wien und … Reuß: Darf ich kurz unterbrechen an dieser Stelle? Schüssel: Aber selbstverständlich. Reuß: Das war und ist ja ein sehr renommiertes Gymnasium: Bis 2004 war das eine reine Knabenschule und es haben sehr viele spätere Politiker, Künstler und Wissenschaftler diese Schule besucht wie z. B. Johann Strauß, Ernst Jandl, Konrad Lorenz, Karl von Frisch und viele andere. Wie war denn Ihre Schulzeit? Waren Sie ein guter Schüler? Schüssel: Als Kind geschiedener Eltern hätte ich damals noch nicht einmal zur Aufnahmeprüfung antreten dürfen – ausgenommen ein renommierter Geistlicher bürgte für einen. Das war in meinem Fall der Benediktinerabt von der Abtei Seckau, Benedikt Reetz: ein Deutscher, der dann später Erzabt in Beuron wurde. Er hat für mich gebürgt, sodass ich zur Aufnahmeprüfung durfte, die ich dann auch tatsächlich gut bestanden habe. Das Witzige war, dass er mich in der Folge davon dann jedes Jahr gebeten hat, ihm mein Zeugnis vorzuzeigen. Er hat sich also nicht nur einmalig für mich eingesetzt, sondern er war jemand, der sich auch später noch für mich verantwortlich gefühlt hat. Ich bin dann immer voller Aufregung hingegangen zu ihm, um ihm mein Zeugnis, meistens lauter Einser, zu präsentieren. Ja, das war für mich schon ein Ansporn, etwas zu leisten für diese damalige Investition in mich. Ich finde, das war ein sehr schönes Bild. Dieses Gymnasium war in der Tat eine sehr gute Schule –aber halt eine reine Knabenschule: Mädchen lebten daher für uns auf einem anderen Planeten. Aber auch das hat sich dann irgendwann einmal geändert. Reuß: Sie haben nach der Matura an der Universität in Wien Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaften studiert und dann auch in Jura promoviert. Sie haben es vorhin bereits angesprochen: Sie waren während des Studiums beim ORF auch als Radiojournalist tätig, und zwar beim dortigen Jugendradio. War das eine Spielerei, war das "nur" eine Gelegenheit, Geld zu verdienen, oder hätten Sie sich auch vorstellen können, in diesem Beruf als Journalist tätig zu sein? Schüssel: Ich hätte mir viel vorstellen können. Mein Traum war aber immer, an die Universität zu gehen. Ich wollte dann auch noch ein Postgraduierten- Studium machen, musste aber warten, weil man dort immer nur alle zwei Jahre jemanden aufnahm. Daher bin ich dann plötzlich – zunächst nur interimistisch – im Parlamentsklub der ÖVP gelandet. Und wie das oft so ist in Wien: Ein Provisorium wird plötzlich zur Dauerlösung. Das heißt, ich bin dort hängengeblieben und war dann die rechte Hand von Klubobmann Stephan Koren, dem früheren Finanzminister. Das war ein wirklich toller Mann, einer der besten Ökonomen, die Österreich je gehabt hat. Ich war fünf Jahre lang seine rechte Hand in der Opposition. Für uns von der ÖVP war das Dasein als Opposition ja etwas völlig Neues. Reuß: Der Klubobmann ist in Österreich das, was bei uns in Deutschland der Fraktionsvorsitzende im Bundestag ist. Schüssel: Im Jahr 1975 bin ich dann Generalsekretär des Wirtschaftsbundes geworden. Das war damals auch so eine ganz eigenwillige Entscheidung. Denn Rudolf Sallinger war damals der Obmann des Wirtschaftsbundes und er fand, er bräuchte irgendeinen ganz anderen Typen an seiner Seite. Daher holte er mich in diese Position, was damals so manche alteingesessene Kommerzialräte sehr erstaunt hat. Aber ich habe mich dort sehr wohlgefühlt und war dann auch 17 Jahre lang der Sprecher der Klein- und Mittelbetriebe in Österreich. Reuß: Sie waren dort wirklich sehr aktiv: Sie haben in dieser Zeit auch einige Bücher publiziert, Sie haben einen Managementclub gegründet, in dem dann auch viel diskutiert wurde usw. 1979 wurden Sie dann in das österreichische Bundesparlament, in den Nationalrat gewählt. Ich mache jetzt einen kleinen Sprung, weil das für Österreich ein wirklich entscheidendes Jahr gewesen ist, dieses Jahr 1986: wurde zum Bundespräsidenten gewählt. Seine Wahl war nicht unumstritten, es gab heftige Kritik daran und das Ganze hat die Bevölkerung und auch das Ausland doch ein wenig polarisiert. Kurt Waldheim war davor UNO- Generalsekretär gewesen, aber es tauchten dann Dinge aus seiner Vergangenheit auf: Man hat ihn mit der NS-Zeit in Verbindung gebracht, der Jüdische Weltkongress hat protestiert gegen seine Wahl. Nach der Wahl Waldheims traten der damalige Bundeskanzler, Fred Sinowatz von der SPÖ, und auch der Außenminister zurück. Gegen Sinowatz wurde später im Zusammenhang mit Äußerungen über Kurt Waldheim ein Verfahren eröffnet, in dem er wegen falscher Zeugenaussage sogar rechtskräftig verurteilt wurde. Da war also eine Menge los in diesem Jahr 1986. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Schüssel: Ich bin 1979 ins Parlament gewählt worden und habe daher noch die letzten Regierungsjahre von erlebt. Nach Kreisky kam es im Jahr 1983 zu der Kleinen Koalition aus SPÖ und FPÖ. Das wird manchmal gerne verdrängt: Es hatte also bereits vor uns, vor meiner Zeit als Bundeskanzler von 2000 bis 2007, einmal eine Koalition der Sozialdemokraten mit der FPÖ gegeben. Diese Koalition damals war nicht sehr erfolgreich, weil die FPÖ nicht das gehalten hat, was sie vorher versprochen hatte. Sie SPÖ hat diese ganze Koalitionsangelegenheit innerlich z. T. sehr zerrissen. In dieser Not kam dann noch dazu die Causa Waldheim dazu, die in Wirklichkeit eine zutiefst unfaire Angelegenheit war. Kurt Waldheim war weder ein hochrangiger Nazi gewesen noch hatte er persönlich an irgendwelchen Verbrechen der Wehrmacht teilgenommen. Das wurde am Schluss dann aber auch von niemandem mehr behauptet. Letztlich war ganz klar, dass er das Opfer einer internationalen Kampagne geworden ist, die z. T. natürlich schon auch von innen her, also von Österreich aus betrieben worden ist. Kurt Waldheim hat damals auf die Vorwürfe nicht gut reagiert, das muss man so offen sagen. Er hätte sich viel erspart, wenn er all die Dinge, die er dann im Laufe seiner Amtszeit ohnedies gesagt hat, von Anfang an auf den Tisch gelegt hätte. Mir hat er sehr leidgetan, denn diese Entscheidung, ihn auf die Watch List zu setzen und ihn nicht in die USA einreisen zu lassen, war für ihn als ehemaligen UNO-Generalsekretär, der damals ja mit den Stimmen der Amerikaner für zwei Wahlperioden in diese Position gewählt worden war, der Schock seines Lebens. Das hat ihn wirklich gebrochen. Aus dieser Zeit sind positive und negative Dinge entstanden. Positiv war sicherlich, dass damit eine sehr ernste und auch ehrliche Auseinandersetzung Österreichs mit unserer eigenen Geschichte möglich wurde: eine Auseinandersetzung, die sich auch darauf bezog, wie wir Österreicher uns in der Nazizeit verhalten hatten. So gesehen war Waldheim ein Katalysator, der auch viel dazu beigetragen hat, dass diese Auseinandersetzung überhaupt stattgefunden hat. Auf der anderen Seite war natürlich diese totale Polarisierung sehr, sehr negativ, diese Polarisierung, die bis heute anhält. Was mich wirklich oft stört, ist, wenn heutzutage gerade jüngere Abgeordnete im Parlament mit Vergleichen zwischen der Nazizeit und den heutigen Entwicklungen herumwerfen, die vollkommen haltlos sind, weil man damit das NS-Regime mit all seinen Schrecken verharmlost. Reuß: Im Herbst 1986 wurde ja auch Jörg Haider zum FPÖ-Vorsitzenden gewählt, was Bundeskanzler Vranitzky, der Nachfolger von Fred Sinowatz, dazu veranlasste, diese Koalition zu beenden und Neuwahlen anzusetzen. Nach diesen Wahlen gab es eine Große Koalition aus SPÖ und ÖVP. Die ÖVP kam damit wieder in die Regierung und Sie selbst wurden dann in dieser Regierung später auch Wirtschaftsminister. Allerdings hatte man den Eindruck, dass die Große Koalition damals der ÖVP eher geschadet als genutzt hat. Die SPÖ hielt so in etwa ihre Stimmen bzw. verlor nur leicht, während die ÖVP im Laufe dieser Großen Koalition von Wahl zu Wahl immer mehr Stimmen verlor. Das war letztlich fast schon wie bei kommunizierenden Röhren, denn was die ÖVP verlor, gewann Jörg Haider mit der FPÖ hinzu. Woran lag es, dass die ÖVP nicht der Nutznießer dieser Großen Koalition war, sondern argen Schaden genommen hat? Schüssel: Das muss ich korrigieren, denn das stimmt nicht ganz: Beide Großparteien haben damals massiv verloren, und zwar in Richtung der Grünen, die es am Anfang ja noch nicht gegeben hat, und in Richtung FPÖ. Wir von der ÖVP haben lediglich früher verloren als die SPÖ: Mit einer gewissen Zeitverzögerung hat die SPÖ dann ganz genauso viel verloren wie wir. Sie fiel von fast 50 Prozent in der Ära Kreisky auf 35 Prozent. Genauso sind wir sozusagen parallel nach unten gerauscht bei den Wahlen. Ich glaube, dass eine Große Koalition dann sinnvoll ist, wenn sie etwas Großes weiterbringen kann und will. Ich habe übrigens alle diese Koalitionsverträge mitverhandelt: Ich war immer im Verhandlungsteam mit dabei, d. h. ich habe 20 Jahre lang all das z. T. sogar mitformuliert, weil ich entweder Schriftführer oder Chef-Verhandler der ÖVP in diesen Koalitionsrunden war. Große Koalitionen sind darüber hinaus aber ein Ausnahmefall: Wenn etwas Großes gelingen soll, dann haben sie Sinn und können sich bewähren. Das war für uns in der Vorbereitung des EU-Beitritts Österreichs absolut entscheidend. Wir hätten damals den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft – heute Europäische Union – niemals so erfolgreich geschafft, wenn wir nicht den breiten Konsens aller Sozialpartner, aller Bundesländer und in der Großen Koalition der großen Parteien gehabt hätten. Nachdem das dann 1994/95 gelungen ist, war dieses Projekt dann eigentlich zu Ende und der Frust fing an: Da war dann sehr viel Stillstand, sehr viel Reformverweigerung, innere Blockade usw. Die Große Koalition hat dabei ganz einfach ihre Daseinsberechtigung verloren. Reuß: Sie selbst wurden dann Bundesparteiobmann der ÖVP, wurden Vizekanzler und folgten letztlich dem Außenminister Alois Mock nach, der aus Gesundheitsgründen sein Amt aufgeben musste. Man hatte dann den Eindruck, dass die Konfrontation zwischen den beiden großen Parteien – zumindest in der Retrospektive sieht es so aus – ein bisschen zugenommen hat und dass auch, wie von Ihnen bereits gesagt, der Frust zugenommen hat. Schließlich kam es zum Bruch der Großen Koalition und zu Neuwahlen, die aber das Ergebnis brachten, dass letztlich erneut nichts anderes als eine Große Koalition aus ÖVP und SPÖ möglich war. Ist es nicht schwierig, mit denselben Menschen nun erneut verhandeln zu müssen, wegen denen man ja diese Koalition gerade aufgekündigt hatte? Schüssel: Jein. Das kann sehr schwierig sein, wenn wirklich menschliche Verletzungen geschehen sind: Da ist es dann in psychologischer Hinsicht sehr schwierig, sich erneut zusammenzusetzen. Das war aber bei uns in Österreich eigentlich nur selten der Fall. Es ist schon ein großer Vorteil bei uns, dass letztlich jeder mit jedem reden kann. Ich war auch selbst immer stolz darauf, dass ich praktisch mit allen politischen Gruppen – und zwar über all die Jahre hindurch – persönlich ein sehr gutes Gesprächsklima hatte, und das trotz so mancher wirklich harter inhaltlicher politischer Auseinandersetzungen. Das halte ich wirklich für wichtig: Bei uns können Grüne mit den Freiheitlichen, die Sozialdemokraten mit der Volkspartei oder mit dem BZÖ reden. Das ist auch gut so und das möchte ich auch als kostbare Errungenschaft einer parlamentarischen Demokratie bezeichnen: Es darf niemand ausgegrenzt werden. Das war auch immer mein eigenes Prinzip: Wenn jemand kandidieren darf zum Parlament, denn dafür muss er ja erst einmal bestimmte Kriterien erfüllen, dann darf er oder sie auch nicht ausgegrenzt werden vom politischen Wettbewerb und dann ist es auch möglich, so jemanden in einer Landesregierung oder in einer Bundesregierung zu haben – wenn die Inhalte stimmen, d. h. wenn man sich auf ein gemeinsames Programm einigen kann. Es war 1995 schwierig, das stimmt, aber nachdem nach der Wahl die Sozialdemokraten unter Vranitzky eigentlich genau das gemacht haben, was wir vor der Wahl vorgeschlagen hatten, war diese Große Koalition ganz in Ordnung. Ich habe es damals als durchaus sinnvoll erachtet, dass die SPÖ da über ihren eigenen Schatten gesprungen ist. Vielleicht war das auch deswegen leichter, weil sie stärker dazugewonnen hatte als wir. Reuß: Ich mache erneut einen großen Sprung zur Nationalratswahl 1999, die ebenfalls bemerkenswert war. Die ÖVP rutschte zum ersten Mal auf den dritten Platz hinter die SPÖ und die FPÖ. Der Abstand zur FPÖ war dabei ganz, ganz knapp: Das waren gerade einmal 415 Stimmen. Schüssel: Ich kenne jeden von denen mit Vor- und Zunamen, der damals nicht zur Wahl gegangen ist! (lacht) Ich hätte das nie für möglich gehalten! Reuß: Sie hatten vor der Wahl gesagt: "Wir werden unter keinen Umständen an einer Regierung teilnehmen, wenn wir nicht zumindest Zweite sind." Sie waren dann aber nur Dritte und das, was Sie soeben gesagt haben, dass es nämlich in einer großen Konsensgesellschaft möglich sein sollte, dass jeder mit jedem kann, war in dieser Situation nicht ganz so: Die SPÖ hatte keine Mehrheit mit den Grünen und schloss eine Koalition mit der FPÖ aus. Es gab auch sehr intensive Verhandlungen zwischen der ÖVP und der SPÖ, die aber auch nicht zu einem Ergebnis führten. Letztendlich kam es dann aber doch zu einer schwarz-blauen Koalition, die auf sehr, sehr viel Kritik stieß und schon auch Häme und Bösartiges nach sich zog. Sie jedenfalls hatten vor der Wahl festgelegt: "Ich werde auf keinen Fall mitregieren!" Ich glaube, Sie hatten auch innerparteilich Ihren Rücktritt angeboten. Wieso kam es dann doch dazu? Jörg Haider konnte ja nach diesem Ergebnis vor Kraft sicherlich kaum laufen: War es denn einfach für ihn, zu akzeptieren, dass er als stärkerer Koalitionspartner dem minimal kleineren Koalitionspartner das Kanzleramt überlassen musste? Schüssel: Sie haben völlig Recht, ich hatte das mit dieser Ansage wirklich ernst gemeint: "Wenn wir Dritter werden, gehen wir in die Opposition!" Ich hätte es auch für völlig vernünftig gehalten, wenn etwa die Sozialdemokraten mit den Freiheitlichen eine Regierung gebildet hätten. Das haben sie dann zwar am Ende auch tatsächlich versucht: Die SPÖ verhandelte ganz am Schluss mit der FPÖ über eine von ihr zu tolerierende SPÖ-Minderheitsregierung mit zwei, drei oder vier Fachministern, die durch die FPÖ hätten nominiert werden können. Auf jeden Fall hätte das vonseiten der SPÖ aus keine offizielle Koalition werden dürfen: Nach eineinhalb Jahren hätte man dann Neuwahlen angesetzt und anschließend einer fixen Koalition mit der FPÖ zugestimmt. Dieses Angebot lehnte, wie man immer wieder in Erinnerung rufen muss, Haider ab. Es kommt, um eine wirklich ganzheitliche Sicht auf die damalige Situation zu erhalten, noch ein weiterer Punkt dazu: Wir hatten mit der SPÖ ein fix und fertig ausgearbeitetes Koalitionsprogramm vorliegen: Das war wirklich komplett fertig und ungefähr 120 Seiten stark, auf denen alles minutiös ausgetextet war. Dieses Koalitionsprogramm ist aber im SPÖ-Parteivorstand abgelehnt worden. Der damalige Bundesparteiobmann der SPÖ und Bundeskanzler Klima ist also mit diesem Vorschlag bei den eigenen Leuten nicht durchgekommen. Erst dann haben wir mit den Freiheitlichen ernste und klare Gespräche mit dem Ziel geführt, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Die Alternative wäre gewesen, sofortige Neuwahlen anzusetzen. Und dann, das sage ich Ihnen ganz klar und offen, wäre es mit Sicherheit so gewesen, dass die FPÖ stärkste Partei geworden wäre. Das aber wollte niemand riskieren. Daher habe ich von meiner Seite auch angeboten: "Ich mache nicht den Bundeskanzler. Mein Versprechen von vor der Wahl zählt." Ich weiß, dass mir das ewig vorgehalten werden wird. Ich habe jedenfalls damals tatsächlich die damalige Frau der Steiermark, Waltraud Klasnic, oder die frühere Nationalbankpräsidentin Maria Schaumayer gefragt, ob sie nicht eventuell dieses Amt übernehmen wollten. Beide haben abgelehnt und so blieb der Ball erneut bei mir hängen. Aber das war schon ehrlich gemeint gewesen von mir. Die Entscheidung war dann auch sehr, sehr bitter und fiel mir nicht leicht. Ich habe damals auch prompt alle möglichen Bandscheibenprobleme bekommen: Das Rückgrat war also wirklich in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich bekam Zahnprobleme, hatte mir also die Zähne ausgebissen. Die Psychosomatik hat da tatsächlich ihr Recht eingefordert. Reuß: Das Ganze musste für Sie ja auch aufgrund der Reaktionen auf diese Koalition sehr schwierig gewesen sein. Der Bundespräsident hat, ich glaube, das war in Österreich erstmalig so, nicht beauftragt, dass diese Regierung zustande kommen soll. Sie haben trotzdem verhandelt und der Bundespräsident hat immer wieder zu verstehen gegeben, dass er das eigentlich nicht möchte. Ich glaube, er hat sogar angedeutet, er würde die Regierung dann nicht anloben – was er dann aber letztlich doch getan hat. Es gab nicht nur innerhalb Österreichs heftigen Protest, sondern auch außerhalb. Kamen Ihnen selbst da auch gelegentlich Zweifel, ob Sie das Richtige tun? Ich habe nachgelesen, dass Sie damals bei der Anlobung gar nicht über die Straße gehen konnten: Sie mussten einen unterirdischen Tunnel als Weg zum Bundespräsidenten wählen. Kamen Ihnen selbst irgendwann auch mal Zweifel, ob das der richtige Weg ist? Schüssel: Ich habe am Anfang extrem intensiv überlegt, ob das zu verantworten ist und wie eventuelle Alternativen aussehen. Diese damalige Zeit war wirklich interessant – auch im Hinblick auf das vorhin angesprochene Zitat mit dem "Hirtenhund". In dieser Zeit sind sämtliche ÖVP-Landeshauptleute, also die Ministerpräsidenten der verschiedenen Länder, in der Woche drei Mal nach Wien gekommen. Zum Teil sind sie gleich in Wien geblieben bis zum nächsten Treffen. Das heißt, wir haben jeden einzelnen Schritt mit ihnen und mit den Teilorganisationen der Partei genau besprochen. Ich habe also nichts alleine gemacht, sondern wir haben wirklich gemeinsam überlegt und durchgeplant, wie man mit einer solchen Situation verantwortungsvoll umgehen kann. Ich habe mir diese Dinge überhaupt nicht leicht gemacht und sogar mit meiner Frau und mit meiner Tochter – beide sind ja Psychologinnen und Psychoanalytikerinnen – eine Aufstellung gemacht, wie das gehen könnte. Das war interessant für mich und hat mir auch durchaus geholfen. Im Rückblick und mit dem Abstand von neun Jahren kann ich nur sagen: Es hätte gar nicht anders gehen können! Ich bin heute hundertprozentig davon überzeugt, dass dieser Schritt richtig gewesen ist. Damals war ich mit Sicherheit nicht so überzeugt davon, hatte viel eher meine Zweifel. Ich verbrachte sogar schlaflose Nächte, obwohl ich ansonsten wie ein Murmeltier schlafe. Ich habe mir diese Entscheidung also nicht leicht gemacht. Die Reaktion des Auslandes war entsetzlich für mich, denn ich bin ein überzeugter Europäer. Aber da machten 14 EU- Mitgliedsländer einen derartigen Schwachsinn und beschlossen quasi Sanktionen gegen ein demokratisches Land, das jede Spielregel immer hundertprozentig eingehalten hat! Aber wir haben letztlich gewonnen, was nicht nur für uns, sondern auch für die Union selbst gut war. Denn aus dieser Krise ist ja etwas Positives entstanden: Es ist daraus z. B. der Artikel 7 des neuen Vertrags entstanden, sodass es heute ein verrechtlichtes Verfahren in dieser Situation gibt. Das heißt, heute kann man sich wehren, wenn solche Sanktionen verhängt werden. Damals war das noch unmöglich und ich musste wirklich mit allen möglichen Tricks und mit aller Härte und Zähigkeit darum kämpfen, dass wir das wegbekommen. Aber mit Hilfe von vielen Freunden ging das dann: Geholfen haben uns vor allem auch etliche deutsche Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg, aber auch sozialdemokratisch regierte Bundesländer. Sie waren absolut an unserer Seite. Geholfen hat uns auch der viele Zuspruch aus der Bevölkerung. Reuß: Selbst nach seinem Unfalltod 2008 gilt Jörg Haider als einer der umstrittensten Politiker der österreichischen Geschichte. Sie kannten ihn ja, wenn ich das richtig nachgelesen habe, bereits seit Ihrer Jugendzeit. Sie beide saßen nämlich im Bundesjugendring: Sie für die Katholische Studierende Jugend und er als Obmann des Rings Freiheitlicher Jugend. 1979 zogen nicht nur Sie, sondern auch Jörg Haider zum ersten Mal in den Nationalrat ein. Wie war er denn, bevor er ein Medienstar wurde? Wie haben Sie ihn damals erlebt? Schüssel: Ursprünglich kam er ja eigentlich vom liberalen Flügel. Er ist auch kein Kärntner gewesen, sondern kam aus dem Salzkammergut und ist dann sozusagen ein Beutekärntner geworden, der als Landeshauptmann nur noch und ausschließlich im steirischen Trachtenjanker herumgelaufen ist und sich zum kärntnerischsten Kärntner von allen entwickelt hat, wie das ja oft so ist in solchen Fällen. Ursprünglich aber kam er eigentlich von der liberalen Seite her, war sehr urban, sehr eloquent. Wir sind in unserer Jugendzeit oft gemeinsam als Diskutanten aufgetreten und haben unsere rhetorischen Klingen miteinander gekreuzt. Wir saßen von 1979 an gemeinsam im Parlament und ich habe ihn dann auch als Landesrat erlebt. Als ich Generalsekretär des Wirtschaftsbundes war, war er übrigens der Geschäftsführer des Rings Freiheitlicher Wirtschaftstreibender, vertrat also eher die Wirtschaftsschiene, während er später – in Anführungszeichen – ja der "Sozialste von allen" war. Also, der Jörg Haider ist eine Begabung gewesen, das ist keine Frage. Auch er hatte, obwohl er kein Zwilling ist, viele Gesichter und das Talent, viele Rollen gleichzeitig zu spielen und viele gegensätzliche Standpunkte hintereinander einzunehmen. Das machte es leicht, wenn man es durchschaut hat, und schwer zugleich, wenn man mit ihm arbeiten musste. Richtig ist, er hat im Jahr 2000 als Einziger seiner Partei die Chance erkannt, die in eine Regierungsbeteiligung der FPÖ liegt. Denn die Mehrheit seiner Partei war dazu noch nicht bereit. Ich habe später z. B. mit der von mir sehr geschätzten Vizekanzlerin -Passer darüber gesprochen. Ich hatte sie davor eigentlich gar nicht wirklich gekannt, lernte sie dann aber als Vizekanzlerin sehr schätzen. Aber auch sie war massiv gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ gewesen. Sie hatte gesagt: "Nein, wir sind innerlich noch nicht bereit, eine Regierungspartei zu sein, wir sind noch immer eine populistische Protestpartei und deswegen wird uns eine Regierungsbeteiligung schaden!" Aber der Jörg Haider hat immer gesagt: "Ja, ich weiß das, wir werden deswegen etwa ein Drittel bis ein Viertel der Stimmen verlieren, die nur aus Protestgründen zu uns gestoßen sind. Aber der Rest bleibt. Und wichtig ist: Wir müssen irgendwann einmal Verantwortung übernehmen und Verantwortung tragen lernen." Das heißt, er hat das durchaus ernst gemeint. Dann jedoch, als er gemerkt hat, dass dieses Projekt tatsächlich anfängt zu funktionieren, dass seine Vertreter in der Regierung – Riess- Passer als Vizekanzlerin, Grasser als Finanzminister, Scheibner als Verteidigungsminister – eigenes Profil entwickeln und erfolgreich sind, ist bei ihm der Neid hochgekommen. Da gab es aber auch gewisse Einflüsterer im Land Kärnten, die zu ihm gesagt haben: "Jörgl, lass dir das nicht gefallen! Du kannst das doch alles viel besser als die! Die nehmen zu wenig Rücksicht auf dich!" Und dann kam eben Knittelfeld, der FPÖ-Parteitag in Knittelfeld im Jahr 2002, und damit hat er das ganze Projekt zunächst wieder zerstört. Reuß: In einem Interview haben Sie einmal gesagt: "Jörg Haider hat Strömungen gut gespürt und auch gut verbalisiert." Auf die Frage, ob er denn authentisch gewirkt habe, meinten Sie: "Ist jemand authentisch, der Hunderte von Rollen spielen kann?" War das ein Stück weit sein Erfolgsgeheimnis? Schüssel: Das würde ich gar nicht mal kritisieren wollen an ihm, denn jeder Politiker muss einfach versuchen, mehrere Themen anzusprechen: Er muss in der Lage sein, z. B. mit Wirtschaftsleuten zu sprechen, ihre Sprache zu verstehen. So etwas macht man natürlich anders, als wenn man als Politiker eine Sozialeinrichtung besucht. Im ländlichen Raum wird man selbstverständlich andere Themen und eine andere Sprache an den Tag legen als im urbanen Bereich. Auch beim Gespräch mit Migranten ist das so. Politiker haben nun einmal unterschiedliche Rollen: Sie müssen entscheiden, müssen aber auch erklären, sie müssen führen, müssen aber auch zuhören, sie müssen als Generalisten – von denen es in der Gesellschaft von heute ja nur noch ganz wenige gibt – in der Lage sein, ein Problem zu verstehen, ohne dabei ein Spezialist zu werden, der außer von den fünf anderen Experten auf diesem Gebiet von niemandem mehr verstanden wird. Sie müssen auf der regionalen Ebene genauso zu Hause sein wie etwa auf der globalen bzw. zumindest der europäischen Ebene, was aber nicht immer so ganz gut funktioniert. Das gehört bei einem Politiker also ganz klar zum Rollenverständnis und Anforderungsprofil dazu. Das ist also nichts, was man dem Haider vorwerfen kann: Da war er vielleicht nur besser oder begabter als manch anderer, aber ich glaube, dass das viele andere auch gut können. Was ihm zum Vorwurf zu machen ist, ist die Tatsache, dass er sein eigenes Projekt letztlich zerstört hat oder es zumindest zugelassen hat, dass unter Berufung auf ihn dieses Projekt zerstört wurde. Und das ist schade. Das wird ihm auch immer nachhängen, so tragisch sein Unfalltod gewesen ist. Auch das Erbe, das er heute in Kärnten hinterlassen hat, ist ja alles andere als einfach. Denken Sie nur an die nun auch in Bayern sehr heftig diskutierte Hypo-Alpe-Adria-Bank, an die Verschuldung des Landes Kärnten, an die leider nicht gelöste Ortstafel- Problematik usw. Da wäre bei den vielen Talenten, die er gehabt hat, viel mehr drin gewesen. Reuß: Jörg Haider hat auch Sie einmal versucht zu beschreiben. Er sagte: "Wolfgang Schüssel kann charmant sein, wenn er etwas will, aber er hat ein mit einem dicken Eisenring verschlossenes Herz, wenn er die Nase vorne hat." Hatte er Recht? Schüssel: Nun ja, das hat er aus einer für ihn sehr verständlichen Verbitterung heraus so gesagt. Denn er hatte nicht damit gerechnet, dass ich das durchziehe, was ich ihm vorher gesagt hatte. Denn im Jahr 2002 gab es ja nicht nur in Deutschland, in der Tschechischen Republik und in Ungarn, sondern eben auch in Österreich diese schwere Hochwasserkatastrophe. Wir haben damals irrsinnig viel Geld – ich glaube, das waren zwei Milliarden Euro – eingesetzt für die Hilfe für die Betroffenen und haben zur Finanzierung, damit wir das Budget nicht überfordern, die geplante Steuerreform, also die Steuerentlastung, um ein Jahr verschoben. Das hat er nicht verkraftet. Reuß: Das führte dann auch zu diesem Rücktritt der FPÖ-Minister in Ihrer Regierung. Schüssel: Zuerst hat er diese Entscheidung mitgetragen und dann hat er plötzlich dagegen Stellung bezogen und hat in Knittelfeld den Rücktritt der Minister aus seiner Partei verlangt. Diese Minister traten dann auch tatsächlich alle zurück. Ich hatte ihm eine Woche, bevor das alles geschehen ist, gesagt: "Wenn das geschieht, dann gibt es Neuwahlen!" Er hatte mir das aber nicht geglaubt. Bevor das alles also irgendwo in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist, hatte ich ihm gesagt: "Wenn du das machst oder es zulässt, dann wird das Konsequenzen haben, die die Koalition sprengen." Das war dann auch so der Fall. Und aus dieser Verbitterung heraus, dass ich gemacht habe, was ich ihm ehrlicherweise vorher gesagt hatte, kam es zu diesem Zitat. Damit kann ich leben, denn ich weiß ja, warum es gesagt wurde. Reuß: Es kam dann im November 2002 tatsächlich zu Neuwahlen, die auch wieder völlig anders ausgingen, als prognostiziert worden war. In den Medien war zu lesen, dass womöglich die SPÖ die Nase vorne haben würde. Es kam anders, die ÖVP wurde mit einem Rekordergebnis von 42,3 Prozent erstmals seit 1966 wieder stärkste Partei, die FPÖ stürzte ab auf nur noch gut zehn Prozent und auch die SPÖ blieb weit hinter der ÖVP zurück. Das war ein Erdrutschsieg für Sie damals und ein Fernsehkommentator hat das in Österreich gar eine "Kontinentalverschiebung" genannt. Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb: "Das Jahr 2002 brachte Wolfgang Schüssel einen großen Erfolg und den Triumph seines Lebens." War da auch für Sie ein ganz persönlicher Triumph gerade nach den Anfangszeiten Ihrer Koalitionsregierung, als es diese massiven Proteste gegeben hatte und jeder meinte, dass das eh nicht lange halten wird? Schüssel: Natürlich ist ein solcher Wahlsieg einmalig. 15 Prozentpunkte dazugewinnen zu können, das hat es weder vorher noch nachher – zumindest nicht bis heute – je gegeben. Ich war an diesem Wahlabend allerdings gleichzeitig auch innerlich sehr traurig: Ich fühlte mich nicht in triumphaler Stimmung und ich glaube, das hat man auch gemerkt bei den Bildern und bei meinen Ansprachen, als ich alles sehr abgedämpft habe. Denn ich habe gewusst, dass damit gleichzeitig auch ein Projekt, an das ich geglaubt hatte, zumindest nicht mehr in dieser Form weitergeführt werden wird. Die Sache war dann auch tatsächlich eine andere: Wir waren von da an nicht mehr auf gleicher Augenhöhe und wir haben auch den Reformelan nicht mehr so fortsetzen können wie vorher. Ich wollte damals nach diesem Sieg natürlich auch eine andere Koalition: Ich habe deswegen Ende 2002 und zu Beginn des Jahres 2003 sehr intensiv mit den Grünen verhandelt. Ich glaube, es wäre auch für die Grünen sehr interessant gewesen, zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte Österreichs in eine Regierung hineinzukommen. Ich bedaure es bis heute, dass sich damals die Führung der Grünen gegen die eigene Basis nicht durchgesetzt hat. So wie im Jahr 2000 Jörg Haider die Chance erkannt und ergriffen und sie dann auch in der eigenen Partei durchgesetzt hat, hat auch Alexander van der Bellen, der damalige Chef der Grünen in Österreich – ein Mann, den ich sehr schätze, der hervorragende Begabungen hat und ein wirklich seriöser Politiker gewesen ist – diese Chance erkannt. Er hat das auch versucht, aber er ist dann an seiner eigenen Parteibasis gescheitert, was ich bis heute bedaure. Reuß: Sie haben es vorhin angesprochen: Die Rentenreform durchzusetzen, war nicht so ganz einfach. Es gingen damals Hunderttausende auf die Straße, der Bundespräsident rief zur Mäßigung auf und die Zeitungen haben u. a. geschrieben: "Wolfgang Schüssel verlässt die landesübliche Konsenskultur." Die "Stuttgarter Zeitung" schrieb: "Wolfgang Schüssel setzt durch, er wirbt nicht um Zustimmung, er fragt nicht um Rat, er erklärt nicht." Andererseits schrieb aber dieselbe Zeitung auch: "Vielleicht scheitert Wolfgang Schüssel letztlich daran, dass er den Österreichern eine Wahrheit sagt, die sie absolut nicht hören wollen." War das so? Schüssel: Das ist ein schwieriges Thema. Die Pensions- und Rentenproblematik ist ja in allen europäischen Ländern vorhanden. Wir sind nun einmal eine "aging society", denn wir werden Gott sei Dank immer älter. Ich prophezeie jetzt schon – und zwar nicht nur ich, sondern jeder Experte sagt das –, dass in den nächsten drei Dekaden unsere durchschnittliche Lebenserwartung noch einmal um zehn Jahre steigen wird. Heute leben wir durchschnittlich 80 Jahre und in drei Dekaden werden wir durchschnittlich 90 Jahre alt werden. Da funktioniert es dann eben nicht mehr, dass man 35 Jahre lang erwerbstätig ist, mit 60 Jahren in Pension geht und dann 30 Jahre lang eine stabile, sichere und fürs Leben ausreichende Pension bekommt. Das funktioniert einfach nicht und deswegen muss schrittweise das Pensionsantrittsalter nach oben gehen. Nichts anderes wollte ich und ich halte das bis heute für vollkommen richtig und notwendig. Man muss als Politiker dann auch zu seinen Ansichten stehen. Und jetzt komme ich auf eine Frage zurück, die Sie am Anfang gestellt hatten: Nach einer solchen Wahl, die ja mit einem Triumph geendet hat, muss man meiner Meinung nach einen solchen Triumph auch einsetzen. Es hat keinen Sinn, dann anschließend nur das Populäre zu sagen. Nein, da muss man dann einfach in den folgenden eineinhalb Jahren die notwendigen Reformen durchsetzen. So etwas kann man selbstverständlich nicht ein Jahr oder ein halbes Jahr vor einer Wahl machen, nein, so etwas muss man unmittelbar nach einer Wahl machen. Das habe ich damals so durchgezogen und das ist auch bis heute geltendes Recht geblieben: Dieses Gesetz hat bis heute niemand zurückgenommen. Das spricht dann halt doch für die damalige Sicht der Dinge. Wir haben die Beamtenpension abgeschafft, wir haben eine lebenslange Durchrechnung gemacht, wir haben aber auch gleichzeitig die Erziehungszeiten besser angerechnet. In der Summe ist also diese Reform meiner Meinung nach sehr, sehr sinnvoll. Ich habe sie auch mit den Sozialpartnern intensivst beraten: Ich habe als Chef der Regierung diese Verhandlungen selbst geführt und 20 Verhandlungsrunden mit den Sozialpartnern und dem Koalitionspartner gemacht. Ich bereue keine Stunde dabei. Dass ich da "drübergefahren" wäre, ist daher ein lächerlicher Vorwurf. Reuß: Meine allerletzte Frage wird diesem großen Thema kaum gerecht: Sie sind ein großer Europäer und haben sich immer sehr stark für die europäische Einigung eingesetzt, zunächst als Außenminister und später als Bundeskanzler und als Ratsvorsitzender. Sie haben auch die Osterweiterung der Union sehr stark vorangetrieben und immer gesagt, dass die Kernbotschaft Europas auch eine Friedensbotschaft sei. Aber Sie haben eben auch gesagt: "Europa war früher ein Herzthema, heute ist es ein Kopfthema. Es ist heruntergerutscht zum Portemonnaie, jeder fragt nur noch: "Was nützt mir Europa, was habe ich davon?'" Wie wird Europa wieder ein Herzthema? Schüssel: Jetzt eher denn je, denn die Menschen beginnen nun doch auch zu begreifen, dass gerade in der Krise Europa schützt und nützt. Wie würde es denn ohne den Euro aussehen? Wo würden denn kleine und mittlere Länder wie Österreich oder die Mittelmeerländer wie Griechenland oder Spanien und Portugal dastehen, hätten wir diesen Euro nicht? Denn der Euro ist uns in dieser Krise letztlich ein sicherer Schild gewesen. Manche Länder der Eurozone hätten nämlich sonst möglicherweise ein Schicksal wie Island oder Lettland genommen und würden mit riesigen Problemen kämpfen müssen. Dass das wieder ein Herzthema wird, ist also meiner Meinung nach heute leichter denn je zu bewerkstelligen. Die Zustimmungsrate zur Europäischen Union ist übrigens in dieser Krise auf Rekordhöhen angestiegen: 80 Prozent der Österreicher sagen, dass das eigentlich eine gute Sache ist, dass wir unbedingt in der EU bleiben müssen und auf keinen Fall rausgehen dürfen. Aber es braucht natürlich schon auch Politiker, die mit Herz und auch mit Feuer an dieses Projekt glauben und auch darüber so reden, dass man das Strahlen in ihren Augen und ihren Herzen merkt. Wir Österreicher haben ja immerhin ein bisschen was dazu beigetragen: Die Eurobanknoten wurden von einem Österreicher designt, d. h. die Banknoten stammen sozusagen von uns; der EZB-Tower in Frankfurt wird von einem österreichischen Architektenteam gebaut. Beethoven, ein Deutscher, hat in Wien seine 9. Sinfonie komponiert, die heute die Europahymne ist: Und bitte, das ist eine "Ode an die Freude" und nicht an den Frust. Reuß: Ein schöner Schlussappell, ein schönes Schlusswort. Herr Bundeskanzler, ganz herzlichen Dank für Ihr Kommen und für das sehr angenehme Gespräch. Ich würde gerne mit einem kleinen Zitat des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl über Sie enden. Er sagte einmal: "Wolfgang Schüssel ist zugleich überzeugter Österreicher und überzeugter Europäer, beharrlicher Reformer und unermüdlicher Kämpfer, gläubiger Katholik und loyaler Freund. Wolfgang Schüssel hat Österreich aus der Provinz auf die Weltbühne geführt, er hat aber dabei nie vergessen, woher er kommt und was seine Wurzeln sind. Seine darin begründete Gradlinigkeit und Treue sind bis heute Grundlage seines Erfolges im Politischen wie im Persönliche." Dem ist nichts hinzufügen, noch einmal ganz herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler. Verehrte Zuschauer, das war unser alpha-Forum, heute mit Dr. Wolfgang Schüssel, dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Österreich in den Jahren 2000 bis 2007. Herzlichen Dank für Ihr Interesse, fürs Zuschauen und Zuhören, auf Wiedersehen. Schüssel: Auf Wiedersehen.

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