Militarisierung Der Polizei
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Ausdruck April 2/2017 11 auf Taktik und Bewaffnung an Militarisierung der Polizei militärischen Spezialeinheiten orientierte.3 Zwei Jahre später Massive Aufrüstung im Namen der beschloss die Innenminister- Terrorabwehr konferenz ein „Konzept für die Aufstellung und den Einsatz von von Martin Kirsch Spezialeinheiten der Länder und des Bundes für die Bekämpfung von Terroristen“.4 Dementspre- chend wurden in der Zuständig- Ob Fußfesseln für Gefährder, mehr Videoüberwachung, Pre- keit der Länderpolizeien Spezialeinsatzkommandos (SEK) und dictive Policing oder neue Spionagesoftware für das BKA - Mobile Einsatzkommandos (MEK) eingerichtet, die ebenfalls Polizei und Geheimdienste befinden sich international und mit militärischen Waffen und Ausrüstung bestückt wurden. insbesondere in Europa auf dem Vormarsch. Neben neuen Diese paramilitärischen Spezialeinheiten sollten in absoluten Ermittlungs- und Überwachungsmethoden findet aktuell eine Ausnahmesituationen wie Geiselnahmen und Terroranschlägen massive Aufrüstung der Polizeikräfte von Spezialeinheiten bis reaktionsfähig sein, aber explizit keine Rolle im polizeilichen zu den Streifenwagen statt, die in den Medien fast ausschließ- Alltagsgeschäft spielen. Nachdem diese Einheiten allerdings lich als Gewinn an Sicherheit gefeiert wird. Ausgangspunkt für erst einmal arbeitsfähig waren, stieg auch die Verlockung, sie die derzeitigen Aufrüstungsvorhaben, deren Ende nicht abzu- einzusetzen. Die Gewalteskalation im Rahmen der Bekämp- sehen ist, waren die Terroranschläge auf die Redaktion des Sa- fung linker Stadtguerillagruppen in den 1970er und 80er Jah- tiremagazins Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt ren trug ihr Übriges dazu bei. in Paris im Januar 2015. So forderte Roger Lewenz, Innen- Mittlerweile ist der Einsatz von Spezialeinsatzkommandos Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen - Hechinger Str. Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. minister von Rheinland-Pfalz und damaliger Vorsitzender der zumindest statistisch zu einer Alltäglichkeit geworden. So Innenministerkonferenz daraufhin in einem Interview mit der kam das SEK in Berlin 2015 als bundesweiter Spitzenreiter Welt: „Wir müssen für Waffengleichheit sorgen.“1 auf mehr als 500 Einsätze,5 im Schnitt also rund eineinhalb Das Szenario, für das sich die Polizei rüsten soll, sind isla- am Tag. Dabei geht es in einer Vielzahl der Einsätze nicht um mistisch motivierte Anschläge, ausgeführt von militärisch aus- akute Terrorakte, Geiselnahmen oder bewaffnete Banküberfäl- gebildeten Terroristen, die mit Sturmgewehren, Sprengsätzen le, sondern um die Durchsetzung von Haftbefehlen und Razzi- und geschützt durch militärische Schutzwesten in europäischen en, wenn Zielpersonen als gefährlich oder bewaffnet gelten. Es Innenstädten agieren. Dem entsprechend werden für die Poli- reicht aber auch eine vermutete politische oder religiöse Mo- zei aktuell neue Schutzwesten, Stahlhelme, Sturmgewehre und tivation von Tatverdächtigen, die aus Sicht der Polizei schnell Radpanzer eingekauft und das polizeiliche Training mit militä- zum Vorwurf des Terrorismus führt, um ein SEK auf den Plan rischen Szenarien angereichert. Wichtig für die Einschätzung zu rufen. So nehmen z.B. Razzien wegen des Verdachts auf der Entwicklung ist allerdings, dass sämtliche Aufrüstungsbe- islamistischen Terrorismus seit der Festnahme der sogenannten mühungen der Polizei ihren Ursprung nicht in den Anschlägen Sauerlandgruppe 2007 kontinuierlich zu. von 2015 und 2016 haben, sondern auf älteren Entwicklungen Gründe für eine Vielzahl der Einsätze sind also nicht mehr und Strukturen aufbauen. Die medial vermittelten Horrors- akute Notsituationen, in denen die SEKs reagieren sollen. zenarien von schießwütigen Attentätern in Paris und Brüssel Vielmehr sind die Spezialeinheiten zu einem aktiven Teil der und zunehmenden Anschlägen auch in Deutschland haben polizeilichen Einsatzgestaltung geworden. So werden aktiv lediglich eingängige Bilder geliefert, um die Finanzmittel zu Situationen geschaffen, in denen nach militärischem Vorbild mobilisieren, mit denen bereits angestoßene Prozesse massiv Wohnungen, Geschäftsräume und die Menschen darin überfal- beschleunigt wurden. len werden. Das birgt ein hohes Risiko für alle Beteiligten mit Außerdem ist die Präsentation von neuer Ausrüstung und sich, wie zwei prägnante Beispiele zeigen: Bei einem Einsatz Waffen dienlich, um vermeintliche Handlungsfähigkeit der In- des SEK in Köln 2011 wurde über 100 mal auf die Zielper- nenminister_innen und ihrer Polizeien unter Beweis zu stellen. son geschossen, die schwer verletzt überlebte.6 Während ei- Völlig unabhängig von der Frage, was die Attentäter motiviert ner Razzia gegen einen Hells Angel in Rheinland-Pfalz 2010 und welche gesellschaftlichen Umstände, z.B. Ausgrenzung schoss der Hausbesitzer durch die geschlossene Wohnungstür, von Migrant_innen und Kriegseinsätze deutscher Soldat_in- weil er die Polizeibeamten für Einbrecher oder Mitglieder ei- nen von Afghanistan bis Mali, sie möglicherweise radikalisiert ner verfeindeten Rockergruppe hielt, und tötete einen SEK- haben. Nach dem Anschlag in Berlin im Dezember 2016 konn- Beamten.7 Vor Gericht wurde er in der höchsten Instanz wegen ten so bereits in den Folgetagen auf Weihnachtsmärkten und Notwehr freigesprochen.8 in Zeitungen in der ganzen Republik neue Waffen und Schut- Mit dem bereits angeführten Argument der Waffengleichheit zausrüstungen bestaunt werden. Bis der tatsächliche Atten- werden seit 2015 in diversen Bundesländern die SEKs auf- täter allerdings identifiziert, gefunden und seine Kontakte zu gestockt und die Ausrüstung und Bewaffnung noch weiter an V-Leuten des Verfassungsschutzes2 öffentlich bekannt wurden, militärische Spezialeinheiten angepasst, falls dies nicht schon dauerte es deutlich länger. zuvor geschehen war. G36-Sturmgewehre, wie sie sonst die Bundeswehr einsetzt, sollen die effektive Bekämpfung eines Alltägliche Spezialeinheiten? Anschlags wie in Paris sicherstellen. Auch haben einige SEKs die GSG 9 der Bundespolizei angefragt, um von ihr eine Zu- Nach der missglückten Befreiung israelischer Sportler_innen satzausbildung im paramilitärischen Häuserkampf zu erhal- während der Olympischen Spiele 1972 in München begann der ten.9 Bundesgrenzschutz noch im selben Jahr mit dem Aufbau der Eliteeinheit Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9), die sich bezogen 12 Ausdruck April 2/2017 Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen - Hechinger Str. Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Paramilitärische Polizeien als Vorreiter der Wiederbewaffnung Um von einer Militarisierung der Poli- um.5 Dass er einer Riege von ehemaligen militärischem Vorbild wurde der BGS zei zu sprechen scheint es angemessen, Wehrmachtsoffizieren angehörte, die ab mit Sturmgewehren, Maschinengeweh- kurz deren historischen Ausgangspunkte 1949 eine Geheimarmee in Westdeutsch- ren, Granatwerfern und Panzerwagen, in den Blick zu nehmen. Denn die BRD land planten, wurde erst 2014 öffentlich. z.T. mit Maschinenkanonen, bewaff- war von den 1950er bis in die 1970er Ein Musterverwaltungsabkommen net.13 Ausgebildet wurden die BGS- Jahren mit einer hochgradig militarisier- zwischen Bund und Ländern wurde Beamten für eine Militärische Konfron- ten Polizei ausgestattet, was mittlerweile ab 1951 von den jeweiligen Landesre- tation an der Grenze zur DDR und zur weitgehend vergessen ist. gierungen unterzeichnet und führt zur Niederschlagung innerer Unruhen. Auf der Konferenz von Jalta im Febru- Aufstellung von kasernierten Bereit- 1956 diente der mittlerweile auf rund ar 1945 beschlossen die Alliierten noch schaftspolizeien (BePo) der Länder.6 17.000 Beamte angewachsene BGS im vor Kriegsende die konsequente Denazi- Mit einer nie erreichten Zielgröße von Zuge der formalen Wiederbewaffnung fizierung, Demilitarisierung und Dezen- 30.000 Mann7 sollten die BePo bei in- der BRD als Personalpool für die neue tralisierung des deutschen Staats- und neren Unruhen und im Kriegsfall dem Bundeswehr. Über die Hälfte der BGS- Verwaltungsapparates und damit auch Inspekteur der Bereitschftspolizeien ler wechselten zur neu gegründeten Ar- der Polizei.1 Dabei war die formelle der Länder im Innenministerium unter- mee.14 Der Seegrenzschutz wurde sogar Trennung von Militär, Polizei und Ge- stellt werden.8Ausgerüstet wurden sie vollständig in Bundesmarine umgetauft. heimdiensten in der Nachkriegszeit nicht mit Helmen aus Wehrmachtsbeständen, „Ein typischer Karriereverlauf der Jahre nur eine Konsequenz aus Nationalsozia- neuen Flecktarnuniformen, Schnellfeu- 1940 bis 1960 konnte also lauten: Wehr- lismus und zweitem Weltkrieg. Auch der erwaffen, Granaten und Panzerspäh- macht, Bundesgrenzschutz, Bundes- preußischem Militarismus auf dem Weg wagen.9 Die bundesweit einheitliche wehr.“15 Der paramilitärische Charakter zum ersten Weltkrieg, die militärische Ausbildung, Taktik und Ausrüstung der des BGS wurde 1965 auch per Gesetz Unterdrückung von Aufstandsbewegun- Bereitschaftspolizeien wurde an den Prä- festgeschrieben. Als potenzielle Kriegs- gen während der Weimarer Republik und missen des „Polizeikampfs“, sprich Bür- partei erhielten die Grenzschützer den die Rolle der Polizei für den Aufbau der gerkriegsszenarien, ausgerichtet. Kombattantenstatus.16 Wehrmacht lieferten Argumente. Unruhen nach dem Vorbild der Arbei- Mit der Verabschiedung der Not- Die guten Vorsätze wurden allerdings teraufstände der 1920er Jahre, Saboteure standsgesetze 1968 veränderte sich die schnell über Bord geworfen. Mit der und Terroristen,