Haben Tiere Rechte? In: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft Tierethik Heidelberg (Hrsg.), Tierrechte
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Menschenrechte für Menschenaffen Dieter Birnbacher 1. Alte und neue Argumente für und gegen Tierrechte Die Forderung nach Rechten für Tiere ist keineswegs neu. Bereits zu Hochzeiten der Aufklärung, genauer: im Jahr 1787, forderte Wilhelm Dietler in einem in Mainz erschienenen Traktat mit dem Titel "Gerechtigkeit gegen Thiere" die Anerkennung von Tierrechten ein. Die Autorin des Nachworts zur Neuausgabe von 1997, Manuela Linnemann, vermutet, dass Dietler als erster den deutschen Terminus "Tierrechte" verwendete.1 Diese Rechte sollten nach Dietler nicht so weit gehen, dass es dem Menschen verboten wäre, Tiere zu seiner Nahrung und zu seiner Sicherheit zu töten. Aber der Mensch solle die Tiere lediglich "auf die schnellste, gelindeste, schmerzenloseste Art" töten dürfen. Auch dürfe er sie nicht allein zum Zweck des Vergnügens jagen oder seine Launen an Haustieren abreagieren. Während es sich bei den von Dietler postulierten Rechten um moralische, nicht unmittelbar justiziable Rechte handelte, wurde kurz darauf für Tiere auch die Anerkennung juridischer, gesetzlicher oder anderweitig im Rechtssystem verankerter Rechte gefordert. Einer der ersten war der Hegelianer Karl Christian Friedrich Krause, bekannt durch den südamerikanischen "Krausismo". In Vorlesungsmanuskripten, die vermutlich zwischen 1820 und 1830 entstanden und später unter dem Titel "System der Rechtsphilosophie" herausgegeben worden sind, spricht Krause von dem "Recht der Thierheit im Verhältnisse zu dem Rechte der Menschheit" und weist den Tieren ein "bestimmtes Gebiet ihres Rechts" zu, zu dem u. a. das Recht auf leibliches Wohlbefinden, das Recht auf Schmerzlosigkeit und sogar das Recht auf die "erforderlichen Lebensmittel" gehörten.2 1 Wilhelm Dietler: Gerechtigkeit gegen Thiere, Mainz 1787. Neudruck Bad Nauheim 1997. 2 Karl Christian Friedrich Krause: Das System der Rechtsphilosophie, hrsg. von Karl David August Röder, Leipzig 1874, 246. - 2 - Seit den Anfängen bei Dietler und Krause sind Rechte der Tiere immer wieder gefordert worden, und – ähnlich wie in der Geschichte der Menschenrechte – mit in der Zeit zunehmendem Umfang. Während Krause noch vor dem ethischen Vegetarismus haltmachte und lediglich forderte, dass Naturgebilde "bloß für Vernunftzwecke insoweit als Mittel angewandt, gebraucht und verbraucht werden, als es zugleich der Wesenheit und Würde der Natur gemäß ist", haben spätere Tierschutzdenker und -aktivisten wie Henry Salt, Albert Schweitzer und Leonard Nelson den weiteren Schritt getan und für Tiere – mit unterschiedlichen Begründungen – zusätzlich auch ein Lebensrecht im Sinne eines Rechts, nicht getötet zu werden, postuliert. Seitdem ist der Begriff "Tierrechte" und insbesondere der Begriff "Tierrechtler" für die Vertreter dieser Rechte unauflösbar mit der Forderung nach einer weitgehenden Ausdehnung der im allgemeinen Menschen zugestandenen Rechte auf Tiere verbunden, einschließlich des Rechts auf Lebens, des Rechts auf Schutz vor Gefangenschaft und des Rechts auf einen würdeangemessenen Umgang. Zugleich hat eine Ausweitung der geforderten Tierrechte in formaler und prozeduraler Hinsicht stattgefunden,. Nicht nur ist der Inhalt der geforderten Rechte zunehmend angereichert worden, die Forderung nach Anerkennung objektiver Rechte für Tiere im Sinne eines rechtlichen Schutzes bestimmter tierischer Rechtsgüter ist zum Teil auch durch die Forderung nach der Anerkennung subjektiver Rechten ergänzt worden, d. h. durch die Zuerkennung einer durch Fürsprecher wahrzunehmenden Klagebefugnis in eigener Sache. Dennoch stößt Redeweise von "Rechten der Tiere" und erst recht gegen das Vorhaben, Tieren Rechte oder sogar Grundrechte zuzusprechen, immer wieder auf tiefsitzende Bedenken und Vorbehalte. Eines der immer wiederkehrenden Argumente lautet, dass Rechte nur haben kann, wer diese auch kennen und geltend machen kann. Dazu sind auch die höchstentwickelten Tiere nicht in der Lage. - 3 - Dagegen ist zu sagen, dass diese Bedingung ist klarerweise zu anspruchsvoll ist. Sie trifft nicht einmal auf dauerhaft unmündige Menschen zu, denen wir ebenfalls Rechte zusprechen. Auch verfügen nicht alle Angehörigen der Gattung Mensch über die Fähigkeiten, die die Vertreter dieses Arguments bei Tieren vermissen: Handlungsfähigkeit, Ich-Bewusstsein oder Moralfähigkeit. Ebenso verbreitet ist ein zweites, bis in die Antike zurückgehende Argument: Tiere könnten deshalb keine Rechte haben oder in anderer Weise "am Gesetz teilhaben", weil sie mit dem Menschen keinen Vertrag schließen können. Insofern könnten sie nicht zur Rechtsgemeinschaft des Menschen gehören.3 Eine sehr grundsätzliche Formulierung dieses Einwand gibt der griechische Umweltethiker Protopapadakis in einer neueren Publikation: Aufgabe der Ethik sei die Koordination von Handlungen innerhalb einer moralischen Gemeinschaft. Moralische Normen seien von Menschen für Menschen geschaffen, um ihre gemeinsamen Angelegenheiten zu regeln. Wie entstehen innerhalb dieser Gemeinschaft aber moralische Rechte? Durch einen impliziten Gesellschaftsvertrag (covenant of ethics). Erst dieser ermögliche es, Rechtsansprüche gegeneinander geltend zu machen. Moralische Rechte seien Instrumente (tools) für Wesen, die in vertragliche Verhältnisse zueinander eintreten können. Insofern seien Rechte und Gerechtigkeit Begriffe, die auf das Tier-Mensch- Verhältnis grundsätzlich nicht anwendbar seien.4 Es ist jedoch nicht zu sehen, warum Rechte – moralische wie juridische – nicht auch unabhängig von einem realen oder möglichen Vertragsschluss zugesprochen werden können. Damit Tiere als Teil der moralischen Gemeinschaft des Menschen betrachtet werden können, reicht ihre passive Mitgliedschaft aus. Dasselbe gilt für menschliche Föten, Schwachsinnige oder Angehörige zukünftiger Generationen.5 3 Vgl. Günter Erbel: Rechtsschutz für Tiere. Eine Bestandsaufnahme anläßlich der Novellierung des Tierschutzgesetzes, Deutsches Verwaltungsblatt 1986, 1235-1258, 1253. 4 Evangelos D. Protopapadakis: Animal rights, or just human wrongs? In: E. D. Protopapadakis (Hrsg.), Animal ethics. Past and present perspectives, Berlin 2012, 279-292. 5 Die gegenteilige Auffassung wird vertreten von Thomas Benedikt Schmidt in: Thomas Benedikt Schmidt, Das Tier – Ein Rechtssubjekt? Eine rechtsphilosophische Kritik der Tierrechtsidee, Regensburg 1996, 56 ff. - 4 - An dieser Stelle setzt ein dritter Einwand ein – dass Tieren nur dann zugesprochen werden können, wenn sie als Teil der menschlichen Gemeinschaft betrachtet werden könnten. Menschliche Föten, Schwachsinnige oder Angehörige zukünftiger Generationen erfüllen diese Bedingung, Sie sind zweifellos "Teil der menschlichen Gemeinschaft", auch wenn sie – jedenfalls nicht aktuell – ihre Recht geltend machen können. Selbstverständlich haben Rechte ihre "Wurzeln in der moralischen Welt des Menschen", wie der Tierrechtsgegner Carl Cohen meint.6 Aber das heißt nicht, dass sie nicht auf Tiere übertragen werden können. Ein weiterer, diesmal pragmatischer Einwand lautet, dass die Zuerkennung von Rechten an Tiere die Wertabstufung zwischen Mensch und Tier einebnet. Er würde zu einer Nivellierung von Menschen- und Tierrechten führen oder sogar zu einer Herabstufung der Menschenrechte führen. Dagegen ist zu sagen, dass auch dann, wenn man Tierrechte anerkennt, es gute Gründe gibt, dem Menschen eine Sonderstellung und weitergehende Rechte als den Mitgliedern anderer Gattungen zuzuschreiben. Auch dann etwa, wenn man von dem Prinzip der Interessengleichheit ausgeht, nach dem gleiche Bedürfnisse und Interessen gleich viel zählen, gleichgültig ob sich diese bei Menschen oder Nicht-Menschen finden, scheint eine Ungleichbehandlungen von Menschen und Tieren in einem gewissen Maße gerechtfertigt. Menschen sind im Allgemeinen leidensfähiger als Tiere. Tod und Leiden werden von Menschen als schwerwiegender erlebt. Tod und Leiden haben darüber hinaus für Menschen gravierendere Begleiterscheinungen – einerseits für den Betroffenen selbst, infolge seiner Fähigkeit zur gedanklichen Vorwegnahme seiner persönlichen Zukunft, andererseits für andere aufgrund ihrer Fähigkeit und Neigung zur Identifikation. Menschlicher Tod und menschliches Leiden werfen nicht nur auf das Leben derer, die sie treffen, einen Schatten voraus, der sich bei Tieren nicht oder nur in Ausnahmefällen findet. Menschliches Leben und 6 Carl Cohen: Haben Tiere Rechte? In: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft Tierethik Heidelberg (Hrsg.), Tierrechte. Eine interdisziplinäre Herausforderung, Erlangen 2007, 89-104, 95. Vgl. auch Roger Scruton: Animal rights and wrongs, London 1996, 90, der die Zuerkennung von Rechten von der Möglichkeit eines Dialogs mit den Rechteinhabern abhängig macht. - 5 - menschliche Glücks- und Leidenszustände werden von anderen Menschen auch in der Regel intensiver gespiegelt als ihre tierischen Entsprechungen.7 Diese berechtigte Abstufung ist in der Geschichte der westlichen Philosophie immer wieder durch fragwürdige Konstruktionen überhöht worden, etwa die, dass allein der Mensch über eine unsterbliche Seele verfügt, in der biblischen Tradition durch die Redeweise von der "Gottesebenbildlichkeit des Menschen", aber auch durch die Kantische Konstruktion einer "intelligiblen Person", durch die der Mensch mit einem Teil seines Wesens außerhalb der Naturordnung stehen soll. In unseren "nachmetaphysischen" Zeiten wird man mit diesen Kategorien kaum noch Gehör finden. In der Tat berufen sie sich auf Spekulationen und Glaubenssysteme, über die ein rationaler Diskurs und ein rational begründetes Einverständnis schwer erreichbar scheint. Stattdessen wird zumeist