DEUTSCHE VEREINIGUNG FÜR POLITISCHE BILDUNG E.V. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung Niedersachsen 1967 gegründet D Politik_____ V ______unterrichten P B Jahrgang 28 Heft 1/2013

Foto: edition Körber-Stiftung Politik unterrichten 1/2013

Impressum

Herausgeber: Markus W. Behne, MA Lerchenweg 14 26209 Hatten - Sandkrug

Roland Freitag, StD i.R. Altenhäger Straße 75 31558 Hagenburg Prof. i.R.. Dr. Gerhard Himmelmann Bäckerplatz 8 31234 Edermissen Prof. Dr. Dirk Lange Leibniz Universität Hannover Institut für Politische Wissenschaft 30167 Hannover Henrik Peitsch, StR i.R. Grundbreehe 9 49170 Hagen a.T.W. Manfred Quentmeier, StD i.R.. Stargardstraße 18 38124 Braunschweig für die: Deutsche Vereinigung für Politische Bildung e.V. Landesverband Niedersachsen Redaktion: Gerd Höfinghoff, StD i.R. Henrik Peitsch, StR i.R. - [email protected] Auflage: 600 Ausgabe: 1/2013 Jahrgang: 28 Erscheinungsweise: Zwei Ausgaben im Jahr, Einzelpreis: 6,00 Euro einschl. Versandkosten Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. ISSN: 0930-2107 Redaktionsschluss: Ausgabe 2/2013 - 14. Okotober 2013 Druck: Druckerei Rietbrock, Natruper Straße 87, 49170 Hagen a.T.W. - 05405/98050 Die DVPB im Internet: www.dvpb-nds.de Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne vorherige Zustimmung der Herausgeber unzulässig.

Die abgedruckten Beiträge geben die Meinung der Verfasser wieder.

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Inhalt dieser Ausgabe Seite

Editorial 4 Ankündigung – 21. Niedersächsischer Tag der Politischen Bildung 12. September 2013 im Leibnizhaus Hannover 5 Roland Roth Bürgermacht 6

Rainer Eisfeld Vom „rechtsradikalen“ Tübinger Studenten zum Verfechter einer staatszentrierten „Betriebswirtschafts- lehre der Politik“: Theodor Eschenburg 13

Wolfgang Merkel Gibt es eine Krise der Demokratie? Mythen, Fakten und Herausforderungen 18

Moritz-Peter Haarmann Über eindimensionale Kompetenz. Eine Analyse des Kapitels „Unternehmen“ aus dem Schulbuch „Kompetenz Politik-Wirtschaft" 22

Eitel von Maur Wirtschaftsethik in Schule und Universität? - Der Unterschied zwischen Dogmen-Affirmation und Bildung als vitaler Reflexion 31 Drucksache 17/12252 – 2 – Deutscher – 17. Wahlperiode - Kleine Anfrage vom 30. Januar 2013 - Zur Lage der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland 41

Markus W. Behne How to do Planspiel. Zu Strukturelementen, Konstruktionsprinzipien und Möglichkeiten der Makrome- thode in der Politischen Bildung. 42 Werner Fink Die Fachgruppe Gymnasien der GEW-NDS initiiert die Veranstaltung: „Kerncurricula `POLITIK- WIRTSCHAFT´ in der Kritik“ 49

Ankündigungen  6. und 7. September in Esterwegen: "Was nicht in Vergessenheit geraten darf. Zur Geschichte der NS-Justiz und der Nachkriegsjustiz"  5.10. bis 10.10. Studienreise nach Istanbul  Auszeichnung für Facharbeiten Wettbewerb für Oberstufenschülerinnen und ‐schüler 51

Wolfgang Sander Unterricht, Wissen, Fehlkonzepte - Postskriptum zum Konflikt in der Didaktik der politischen Bildung 52 Buchbesprechungen Detjen, Joachim/Massing, Peter/Richter, Dagmar/Weißeno, Georg: Politikkompetenz – ein Modell. Detjen, Joachim: Streitkultur. Konfliktursachen, Konfliktarten und Konfliktbewältigung in der Demokratie. Moegling, Klaus: Ökonomische Bildung im Politikunterricht. Didaktische Konzepte, Modelle und Praxis politisch- ökonomischer Bildung. Scherb, Armin: Erfahrungsorientierter Politikunterricht in Theorie und Praxis. Wagschal, U.; Eith, U.; Wehner, M. (Hg.): Der historische Machtwechsel: Grün-Rot in Baden-Württemberg. 54

Dietrich Zitzlaff/Jürgen Walther PuLs XI (2013) POLITIK unterrichten Literaturservice (Nr. 293 - 327) Eine Auswahlbibliografie zu Arbeitsfeldern der politischen Bildung 58 Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe 63

Bitte Termin vormerken! 21. Niedersächsischer Tag der Politischen Bildung Donnerstag, 12. September 2013 in Hannover „Naher Osten - Stagnation oder Aufbruch?“ 3 Politik unterrichten 1/2013

Editorial

Liebe Mitglieder der DVPB-Niedersachsen, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Kontroversen – dies könnte die Überschrift über dieser Ausgabe der „Politik unterrichten“ sein. In Politik, Wirt- schaft und Wissenschaft sind Kontroversen – auch wenn sie ökonomisch als Wettbewerbsphänomene einer ei- genen Logik unterliegen – konstitutiv. Streit ist eine für demokratische Gesellschaften notwendige Konstante, um Fortschritt im Erkennen, Entwickeln und Vermitteln zu bewerkstelligen. Kontroversitätskompetenz könnte als eine Grundfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger bezeichnet werden. Es geht dabei einerseits um die konsequente Formulierung und Präsentation der eigenen (oder gemeinsamen) Position und darum, diese gegen Widerspruch zu verteidigen. Andererseits geht es um die Akzeptanz und nötigenfalls das Hinnehmen von Positionen, auch wenn sie die eigene Position nicht nur zurückweisen, sondern fundamental in Frage stellen. Ambiguitätstoleranz ist die eine Möglichkeit der Reaktion, Nutzung von rechtlichen Wegen eine weitere, Ignoranz eine dritte und der Einstieg in eine produktive Dialektik eine vierte. Die Art der Reaktion hat viel mit einer tradierten Kultur der jewei- ligen Organisation zu tun.

Wir haben in dieser Ausgabe gleich mehrere Beiträge, die entweder ganz direkt oder im jeweiligen Inhalt die eine oder andere Form von Kontroversitätskompetenz beweisen. Zum Teil liegt dies an der Reaktionskultur der jewei- ligen Kontroversenpartner – eine wahrhaft interkulturelle PU.

„Es geht dabei nicht um Kaffeekränzchen, sondern Einmischung, Protest und Widerspruch“, so Roth in seinem Vortrag „Bürgermacht“ vom letztjährigen Tag der Politischen Bildung. Einmischen und Protest, eine Fähigkeit, die nicht nur die aktiven Bürgerinnen und Bürger voraussetzt, sondern auch ein staatliches Machtsystem, das diese Aktivität zulässt. Mit Blick auf den diesjährigen Tag der Politischen Bildung am 12. September - wieder im Leib- nizhaus in Hannover - ein verbindendes Element. Diesmal diskutieren wir die Situation im weiten „Nahen Osten“, in Ägypten und Syrien und die Frage von Stagnation oder Aufbruch. Beiträge zu didaktischen Kontroversen sind die Texte von Haarmann, Fink und Sander. Alle drei sind Auseinandersetzungen, die uns als DVPB ganz funda- mental beschäftigen und an denen wir seit Jahren beteiligt sind. Dazu zählen natürlich auch die Kontroversen um die Bedeutung von Wirtschaft in der Politikdidaktik. In diesem Kontroversenraum findet auch von Maurs Beitrag statt. Den in sich kontroversen Lebensweg von Theodor Eschenburg zeichnet Eisfeld nach. Ein Lebensweg, der für eine ganze Reihe von Gründervätern und –müttern der Demokratie in der Bundesrepublik nicht ungewöhnlich war. Merkel unterzieht die „Krisenpolitik“ der letzten Jahre einer kritischen Untersuchung und fragt, ob es sich wirklich um eine Krise der Demokratie handelt oder ob Krise ein breit akzeptiertes Deutungsmuster ist, das Politik einfacher und kommunizierbarer macht. Behnes Beitrag reißt das Deutungsmuster „Kriegsspiele sind die Vorläu- fer der Planspiele“ in eine Kontroverse. Allgemein akzeptierte Deutungen müssen ganz selbstverständlich dann und wann einer kontroversen Betrachtung unterzogen werden. Ankündigungen und Buchbesprechungen runden wie immer den Band ab.

Ich wünsche, mit Grüßen aus dem 28. EU-Mitgliedsstaat – Kroatien – ,anregende Kontroversen.

Ihr

Markus W. Behne 1. Vorsitzender

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21. Niedersächsischer Tag der Politischen Bildung Naher Osten Stagnation oder Aufbruch? Donnerstag, 12. September 2013 8:30 bis 16:00 Uhr Leibnizhaus • Hannover Die dritte Welle der Demokratisierung? Durchaus noch möglich, aber der Roll-back wird stärker! Es ist einiges in Bewegung geraten in unsere Nachbarschaft. Noch schaut Europa weitgehend nur zu. Auf die Dauer aber brauchen die Bürgerinnen und Bürger im arabischen Raum nicht nur unsere ideelle Solidarität.

Der diesjährige Kongress wird sich mit den Ursachen und Strukturen des Aufbruchs und der Stagnation auseinandersetzen sowie die Folgen für den Nahen Osten und uns selbst reflektieren. Für die Didaktik der Politik reicht es nicht, die motivieren- den Bilder zu duplizieren. Die langfristigen Konsequenzen müssen ebenso bedacht und für den Unterricht in Schulen und Erwachsenenbildung aufbereitet werden. Hierzu soll unser Kongress beitragen. Stichworte werden sein: Neue Führungs- mächte, Sicherheit, Israel-Palästina, Neo-islamische Herrschaft und Bürgerkrieg.

Wir freuen uns auch, zwei Schulprojekte aus Niedersachsen zu Gast zu haben, die unmittelbar beispielhaft ihre Erfahrungen im Foyer vor- und zur Diskussion stellen. Die Öffentlichkeitsarbeit des Niedersächsischen Landtags wird sich dort ebenfalls präsentieren und der Präsident des Landtags Herr Bernd Busemann eröffnet dankenswerterweise den Tag der Politischen Bildung.

Programm: ab 8:30 Uhr Anmeldung – Empfang - Besuch der Schulbuchausstellung verschiedener Verlage

9:30 bis 10:00 Uhr Eröffnung und Grußworte Prof. Dr. Dirk Lange, Direktor der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung Niedersachsen Bernd Busemann, Präsident des Niedersächsischen Landtages

10:00 bis 11:15 Uhr „Ägypten nach der Revolution – Führungsmacht im arabischen Frühling“ Prof. Dr. Thomas Demmelhuber Universität Hildesheim

11:15 bis 11:30 Uhr Schulprojekte - Präsentation 11:30 Uhr Kaffeepause

11:45 bis 13:00 Uhr „Syrien im Bürgerkrieg – Akteursgruppen, Ursachen und Folgen“ Rolf Tophoven, Direktor des Instituts für Krisenprävention (IFTUS)

13:00 bis 14:00 Uhr Mittagspause 14:00 bis 16:00 Uhr Workshops

Workshop I - „Sicherheitspolitik im Unterricht der Sek II am Beispiel des arabischen Frühlings“ Referent: Dr. Hans-Joachim Reeb, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Workshop II - „Entwicklung braucht Frieden – Der Konflikt Israel/Palästina“ Referent: Kai-Uwe Dosch, Bund für Soziale Verteidigung

Workshop III - „Das Thema Naher Osten in der Erwachsenenbildung. Beispiele aus der Praxis.“ Referent: Dr. Hans-Joachim Schepker 16:30 Uhr Mitgliederversammlung mit Vorstandswahlen

Anmeldung spätestens bis Montag, 2. September 2013! Sie können sich auf der Website online anmelden - www.roland-freitag.de - oder bei: Roland Freitag, Altenhäger Str. 75, 31558 Hagenburg - Tel.: 05033/7895 - Fax: 5033/69215 - [email protected]

Informationsanfragen richten Sie bitte an: Henrik Peitsch, [email protected] 5 Politik unterrichten 1/2013

Die Kur für die Leiden der Demokratie ist mehr Demokratie. John Dewey Bürgermacht Roland Roth

In demokratisch verfassten nom und Soziologe Thomas Gesellschaften wird eine aktive H. Marshall bereits Ende der Bürgerschaft nicht nur geduldet, 1940er Jahre eindrucksvoll for- sondern sie ist ein Element der muliert (Marshall 1950/1992) positiven wechselseitigen Er- und in den ersten drei Jahrzehn- wartung der Bürgerinnen und ten verzeichnete es beachtliche Bürgern untereinander. Wir er- Erfolge. Auch wenn seither die warten heute von unseren Mit- Widersprüche, Grenzen und bürgerinnen und Mitbürgern, Krisen dieser Version von „citi- I. Bürger und Macht dass sie sich in der einen oder zenship“ offen zu Tage liegen, anderen Form und bei der ei- gilt es schon um der Demokra- Die Kombination von Macht und nen oder anderen Gelegenheit tie willen, an einer inklusiven Bürger, die selbstverständlich engagieren – nicht immer und Version von Bürgerschaft fest- auch die Bürgerin einschließt, überall, aber immer mal wieder. zuhalten. Bürgermacht bezieht verlangt eine Erläuterung, ist Nicht das Aktivwerden, son- sich deshalb nicht auf die Macht doch in jüngster Zeit mit Blick dern das Nichtstun begründen einer kleinen Gruppe von Exklu- auf aktuelle Protestmobilisierung Zweifel, ob es sich um einen sivbürgern, sondern soll – zu- häufig von „Bürgerwut“ oder „Bür- „guten“ Bürger handelt. Damit mindest der Möglichkeit und der germut“ die Rede. Gemeint ist eine aktive Bürgerschaft für alle Anstrengung nach – alle einbe- mehr als eine moderate und zivile möglich wird, bedarf es einer ziehen. Neuauflage einer Barrikadenro- zeitgemäßen Ausgestaltung der Auch der Machtbegriff bedarf mantik. Wenn nachfolgend von zivilen, politischen und sozialen der Erläuterung. In der deut- der Bürgerin und dem Bürger die Bürgerrechte. Vor allem letztere schen Tradition sind wir stark Rede ist, dann im Sinne des „citi- sollen dafür sorgen, dass ge- von einem staatszentrierten zen“, der sich in die öffentlichen sellschaftliche Teilhabe im Sin- und dezisionistischen Macht- Angelegenheiten einmischt, d.h. ne aktiver Bürgerschaft für alle verständnis geprägt. Macht sich um die Dinge kümmert, die möglich wird. Im Zentrum sozi- konzentriert sich demnach bei jenseits der Privatsphäre gemein- aler Bürgerrechte steht dabei den „Entscheidungsträgern“ samer Gestaltung bedürfen. Die- das Recht auf Bildung. Gerade an der Spitze des Staates, die se bürgerschaftliche Beteiligung politische Beteiligung ist in all ih- von den übrigen Gesellschafts- am Gemeinwesen kann verschie- ren Formen, wie zahlreiche em- mitgliedern Gehorsam erwarten dene Formen annehmen. Jen- pirische Studien immer wieder können. Im Alltag entspricht ihr seits der Wahlbeteiligung geht es bestätigt haben, in hohem Maße eine Durchsetzungsmacht, die vor allem um diverse Spielarten bildungsabhängig. Ungleich- Max Weber in die Formel geklei- der Selbstorganisation (in Verei- heiten und Benachteiligung im det hat, Macht sei die Gelegen- nen, Initiativen, Selbsthilfegrup- Bildungswesen führen zu un- heit, den eigenen Willen auch pen etc.), um bürgerschaftliches gleicher politischer Beteiligung gegen Widerstreben durchzu- Engagement (vom klassischen und verletzen so die demokrati- setzen, gleichgültig worauf die Ehrenamt bis zur Unterstützung sche Basisnorm der politischen Chance beruhe. In der Gestalt einer Flüchtlingsinitiative) und po- Gleichheit. So lautete zumindest der „Basta-Politik“ hat dieses litische Partizipation, die von der das demokratische Versprechen auf Durchsetzungsfähigkeit Petition ans Parlament bis zum des Wohlfahrtsstaats der langen beruhende Machtverständnis Straßenprotest und zur Platz- Nachkriegsphase, in der ökono- noch im letzten Jahrzehnt eine besetzung à la Occupy! reichen mische Ungleichheiten und Klas- späte Blüte erlebt. Meist wurde kann. senverhältnisse sozialstaatlich übersehen, dass mit der Macht- entschärft werden sollten und konzentration an der Spitze die damit das demokratische Ideal demokratische Substanz von Vortrag auf dem 20. Nie- politischer Gleichheit trotz weiter Entscheidungsprozessen leidet. dersächsischen Tag der bestehenden gesellschaftlicher Auf Dauer führt sie in eine Falle, Politischen Bildung am und ökonomischer Ungleichhei- die als „Torheit“ und „Dummheit“ 27.09.2012 in Hannover zum ten erreichbar erschien. Dieses der Mächtigen häufig genug be- Thema „Demokratie stärken“ wohlfahrtsstaatliche Nachkriegs- schrieben worden ist. Der Poli- programm hat der britische Öko- tologe Karl W. Deutsch hat die- 6 1/2013 Politik unterrichten se Erfahrung auf die nüchterne derspruch gehören stets dazu, Die Politik scheint verstärkt be- Formel gebracht hat, dass unter denn sie machen uns klüger, reit, auf die Beteiligungsansprü- diesen Umständen Macht die indem sie uns zum Lernen und che aus der Bürgerschaft einzu- Chance bedeute, nicht lernen Umlernen zwingen. gehen. Der Schwerpunkt liegt zu müssen. dabei auf kommunaler Ebene Hier setzt ein alternatives II. Trend in Richtung Bürger- und bei einigen Bundesländern: Machtverständnis an, wie wir beteiligung Der Senat von Berlin hat ein um- es in der pragmatischen Tradi- fassendes Beteiligungshand- tion eines John Dewey oder im Seit den Konflikten um Stuttgart buch herausgegeben; Städte aristotelischen Politikverständ- 21 ist auch in Deutschland eine wie Filderstadt, Heidelberg oder nis der aus Deutschland vertrie- Protest- und Beteiligungswelle haben kommunale Be- benen Hannah Arendt finden. sichtbar geworden, die interna- teiligungssatzungen erarbeitet; Politische Macht zielt in dieser tional wesentlich mehr Aufmerk- Mannheim hat durch eine Kon- Perspektive auf die kollektive samkeit erfahren hat. Die Pro- versionsplanung auf sich auf- Gestaltungsfähigkeit eines Ge- testierenden wurden 2011 vom merksam gemacht, in der auch meinwesens. In Demokratien US-Magazin „Time“ zur „Person aufsuchende Formen der Bür- geht es deshalb nicht in erster des Jahres“ erkoren. Trotz aller gerbeteiligung eingesetzt wur- Linie um die Mehrheitsregel Vielfalt der Motive und Protest- den, um Migrantengemeinden bei politischen Entscheidun- anlässe bestätigen solche Mo- und benachteiligten Bevölke- gen, sondern um die Gestal- bilisierungen einen Trend, der rungsgruppen eine Stimme zu tung politischer Prozesse, die bereits in den 1970er Jahren als geben. es möglichst allen Mitgliedern „partizipatorische Revolution“ Mit dieser Praxis geht auch einer Gemeinschaft erlauben, (Max Kaase) oder als „stille Re- ein verstärktes wissenschaft- ihre Sicht der Dinge, ihre Ide- volution“ (Ronald Inglehart) pro- liches Interesse am Partizi- en und Vorschläge einzubrin- gnostiziert wurde. Gemeint ist pationsthema einher, wie die gen. Erst aus dieser Vielfalt, ein Drängen der Bürgerschaft in jüngsten Weltkongresse der aus dem Gebrauch des „Wis- Richtung aktive und direkte Be- einschlägigen Professionen zei- sens der Vielen“ erwächst die teiligung, die auch zur Form des gen. Die Zahl der Handbücher, spezifische Stärke von Demo- Protests greift, wenn andere Ein- die über Beteiligungsformate kratien. Dies macht Demokra- flusswege verstopft sind. Heute informieren, ist kaum noch zu tien im Vergleich mit anderen scheint die lange angekündigte überblicken. Seit kurzem er- Herrschaftsformen – so bereits „partizipatorische Revolution“ scheinen wieder Studien zu die antike Sicht (Ober 2008) Wirklichkeit geworden zu sein. lokalen und regionalen Bürger- - besonders stabil, weil sie of- Erstmals verlangt eine gro- initiativen, nachdem das The- fen für Veränderungen sind, ße Mehrheit der Bürgerinnen ma seit dreißig Jahren von der Abweichungen zulassen, auf und Bürger – wie zahlreiche wissenschaftlichen Bildfläche kollektive Lernprozesse setzen Umfragen belegen - nach mehr verschwunden schien. Die letz- und so einen ständigen Wandel direkter politischer Beteiligung, te repräsentativ angelegte Stu- ermöglichen. Politische Beteili- nach Mitsprache bei großen In- die zu Bürgerinitiativen erschien gung und öffentliche Debatten frastrukturprojekten, aber auch Ende der 1970er Jahre und hat verbessern nicht nur die Quali- im Alltag vieler öffentlicher Ein- bislang noch keine Neuauflage tät, Legitimation und Akzeptanz richtungen. Dass auf die Bürger erfahren. von Entscheidungen, sondern mehr gehört werden sollten, fin- Zum Beteiligungsboom ge- sie steigern gleichzeitig die kol- den neun von zehn Bürgern, da- hört auch eine wachsende Zahl lektive Handlungsfähigkeit einer runter auch jene, die sich nicht von einschlägigen professio- Gesellschaft, denn es werden zutrauen, selbst Vorschläge zu nellen Dienstleistungsunter- frühzeitig Entwicklungen und machen. nehmen. Sie informieren über Fehlentwicklungen, Alternati- Bürgerinitiativen sind so po- die vielfältigen Methoden und ven, Folgen und Nebenfolgen pulär wie nie zuvor. Nur noch ihre Einsatzmöglichkeiten, or- zur Sprache gebracht. Wenn eine kleine Minderheit ist mit ganisieren und moderieren Be- von Bürgermacht die Rede ist, den zur Zeit gegebenen Mit- teiligungsverfahren, erarbeiten geht es um diese deliberative, sprachemöglichkeiten zufrieden. Qualitätsmaßstäbe und Evalu- genuin demokratische Qualität Mehrheiten halten dagegen die ationsstandards für das Hand- von politischen Entscheidungs- Blockade von Bahn- und Flug- und Gestaltungsprozessen, hafenprojekten auch dann für die nach Möglichkeit nieman- legitim, wenn sie im parlamen- den strukturell ausschließen tarischen Rahmen auf korrekte 1 Vgl. Thomas Petersen: Au- sollten. Es geht dabei nicht Weise beschlossen wurden. Bei torität in Deutschland. Bad um Kaffeekränzchen, sondern den unter Dreißigjährigen sind Homburg: Herbert Quandt- Einmischung, Protest und Wi- es sogar zwei Drittel1 . Stiftung 2011. 7 Politik unterrichten 1/2013

lungsfeld. Allerdings sind wir mit einer Verschärfung sozialer Das Beispiel Bürgerhaushalt noch weit von US-Verhältnissen Ungleichheiten zu rechnen – ein zeigt, dass die Potenziale guter entfernt, wo bereits über eine Prozess, der die Zweifel am Se- Praxis nicht erschöpft sind: In Beteiligungsindustrie gespro- gen von Wachstumsprozessen der Ära Lula (2003-2010) wur- chen wird, die Bürgerbeteili- verstärkt. de der Versuch unternommen, gung à la carte anbietet. Es gibt jedoch nicht nur Pro- durch eine Serie von National-, blemzonen und Krisen, die zur Regional- und Themenkonfe- III. Triebkräfte und Entwick- Suche nach mehr Beteiligung renzen und Nationale Räte ein lungstrends, Krisen und motivieren. Einige Potenziale nationales Beteiligungsbudget Potentiale haben sich auch verbessert. An zu errichten. Daran haben ins- erster Stelle ist der Abschied gesamt 3,4 Millionen Bürger Vieles spricht dafür, dass es von autoritären Familienstruk- teilgenommen und mehr als 14 sich bei der Bürgerbeteiligung turen zu nennen. Zwei von drei TSD Vorschläge eingebracht. nicht um einen schnell vorüber Kindern wachsen heute in „Ver- Das Experiment scheiterte am gehenden Trend handelt. Zu handlungsfamilien“ auf, in denen fehlenden politischen Willen den Triebkräften gehört sicher- die Kinder mitreden und erste einer Koalitionspartei bzw. im lich die Erosion der Grundlagen Beteiligungskompetenzen erler- Parlament. Wie populär Bürger- des Nachkriegs-Demokratiemo- nen können. Genauso bedeut- haushalte sind, hat ein Wettbe- dell mit seinem repräsentativen sam ist die Expansion tertiärer werb der Bertelsmann-Stiftung Überhang an „demokratischer Bildung. Vor ein paar Jahrzehn- „Vitalisierung der Demokratie“ Elitenherrschaft“. So haben sich ten bewegte sich Deutschland im letzten Jahr verdeutlicht, als z.B. die Erfolgs- und Funktions- noch die Zahl der Menschen mehrere Tausend repräsentativ bedingungen von Parteien und eines Jahrgangs, die über eine ausgewählte TeilnehmerInnen Verbände dramatisch verän- Hochschulzugangsberechtigung der Bürgerforen des Bundes- dert. Repräsentierten sie einst im einstelligen Bereich, heu- präsidenten drei Bürgerhaus- eine weitgehend passive, in die te ist es fast die Hälfte, in eini- halte aus Lateinamerika an die jeweiligen Milieus eingebunde- gen OECD-Ländern sogar weit Spitze setzten. Sieger wurde die ne Mehrheit der Bürgerschaft, darüber hinaus. Das Gewicht brasilianische Stadt Recife (1,6 die bereit ist, einmal gefällte des Faktors Bildung für Betei- Millionen Einwohner), wo sich politische Entscheidungen hin- ligungsprozesse kann kaum jährlich mehr als 100 Tausend zunehmen, so verfügt heute nur überschätzt werden. Er spielt Erwachsene und Jugendliche in noch maximal ein Viertel der bei allen Formen der Beteiligung Versammlungen und über das WählerInnen über eine Partei- eine wichtige Rolle, mit ihm Internet einmischen. 70 Haupt- bindung. In die gleiche Richtung steigen die Beteiligungserwar- amtliche und 80 ehrenamtliche weisen seit den 1970er Jah- tungen und Kompetenzvermu- Mitarbeiter unterstützen den ren trotz einiger Neugründung tungen in der Bürgerschaft. Auf Prozess, der von hunderten von insgesamt sinkende Mitglieds- diesem Wege ist auch die Kluft informellen Treffen und öffentli- zahlen von Parteien und Ver- zwischen dem „Expertenwissen“ chen Versammlungen begleitet bänden. Anhänger mobilisieren in Politik, Wirtschaft, Technik ei- wurde. Zusätzlich gibt es stadt- heute neue Parteien vor allem nerseits und dem der „normalen“ weite themenorientierte Ver- dann, wenn sie eine Parteipra- Bürgerinnen und Bürger ande- sammlungen und alle zwei Jah- xis versprechen, die Wählern rerseits kleiner geworden und re einen Beteiligungsprozess und Mitgliedern mehr Beteili- rechtfertigt keine Herrschaftsan- an den öffentlichen Schulen. gung versprechen. Zuletzt ha- sprüche mehr. Das „Wissen der Die Kosten für die Beteiligungs- ben dies mit Anfangserfolgen Vielen“, das bereits ein zentrales instrumente belaufen sich auf - in der Nachfolge der Grünen - Motiv der attischen Demokratie knapp 400 TSD Euro pro Jahr. die „Piraten“ mit ihrem Verspre- war, wird aktuell zu einer wichti- Die ärmeren Bevölkerungsgrup- chen permanenter Partizipation gen Ressource, wenn sie durch pen stellen in Recife sogar die durch „liquid democracy“ getan. Beteiligungsprozesse produktiv Mehrheit der Teilnehmer. Die Auch die ökonomische Grundla- genutzt werden kann. aufsuchende Struktur des Betei- gen der Nachkriegsdemokratie Zu den Verstärkern des aktu- ligungsprozesses und die Mo- sind brüchig geworden, han- ellen Beteiligungsbooms gehö- bilisierungsstärke der dortigen delte es sich doch um ein dy- ren globale Vernetzungen. Neue Zivilgesellschaft dürften dafür namisches Wachstumsmodell, Beteiligungsmodelle (Planungs- ausschlaggebend sein. Aktuell in dem der soziale Fahrstuhl- zellen, Bürgerhaushalte, delibe- wird das Modell Schülerhaus- Effekt (für fast alle ging es nach rative Formen aller Art) reisen halt des brasilianischen Recife oben) potentielle gesellschaft- unterstützt von internationalen in Wennigsen und Rietberg er- liche Konflikte kompensieren Organisationen und Stiftungen probt. konnte. Heute ist auch bei ver- und erleichtert durch Internet stärktem Wirtschaftswachstum und soziale Medien um die Welt. 8 1/2013 Politik unterrichten

IV. Widerstände und Wider- -- Ist nicht mit einem über- der aktuellen Beteiligungsde- sprüche – einige skepti- wiegend symbolischen Ge- batte handelt es sich demnach sche Nachfragen brauch von Beteiligung zu um von der Bertelsmann Stif- rechnen? Durch entspre- tung und Bundesverkehrsmi- Das aktuelle Interesse an mehr chende Ausgestaltungen nister Ramsauer eingerichtete Bürgerbeteiligung hat eine Rei- lassen sich Beteiligungsver- postdemokratische Spielwie- he von skeptischen Nachfragen fahren wirkungslos machen, sen, um inszenierte kapital- ausgelöst, auf die hier nur ver- so z.B. wenn es beim ledig- konforme Betrugsmanöver, die wiesen wird, ohne selbst nach lich empfehlender Charakter letztlich das Gegenteil von dem Antworten zu suchen: der Ergebnisse bleibt. Selbst anstreben, was sie vorgeben2. Stuttgart 21 kann letztlich Solange nicht Herrschaftsfrei- -- Kommt die Beteiligungs- als Beispiel dafür gewertet heit und Wirtschaftsdemokratie welle nicht zu spät? Ist die werden, wie Entscheidungs- auf der Agenda stehen, bleiben Demokratie im Sinne der träger Projekte auch gegen partizipative Landgewinne blo- politischen Gestaltungs- massiven und andauernden ßer Schein, tönt es von links. fähigkeit wichtiger öffentli- Protest durchsetzen können. Auch elitäre Reaktionen gegen cher Bereiche nicht längst die Beteiligungsansprüche „der abgesoffen? Haben nicht -- Wird es nicht zu einer Pri- Massen“ lassen auch nicht auf die Banker, die globalen vatisierung der Partizipation sich warten: „Der rote Faden un- Finanzmärkte und ihre In- kommen? In dem Maße, in serer politischen Gegenwart ist stitutionen (IWF, Weltbank, dem Beteiligung zur Norma- der Ruf nach Teilhabe aller an WTO, Ratingagenturen) das lität in staatlichen Planungs- allen Entscheidungsprozessen. Ruder übernommen? Be- prozessen werden wird, ist Auf gut Deutsch: jeder Depp soll teiligungspolitik kann wohl mit entsprechenden Investiti- immer überall mitmachen... In kaum eine neoliberal aus- onen von Lobbygruppen und Deutschland wird Partizipation gehöhlte Postdemokratie interessierten Unternehmen besonders hemmungslos ver- (Colin Crouch 2008) erneu- zu rechnen (Beteiligungs- klärt... Die ergebensten Jünger ern, deren Folgen aktuell vor agenturen etc.). Bei mehr Be- der Heilslehre Partizipation sind allem im Süden und Osten teiligung werden private und unsere Piraten“3. Europas besichtigt werden öffentliche Vorhabenträger in Einflussreicher und beden- kann. Die Politik der EU- entsprechende Verfahren in- kenswerter ist eine andere Li- Rettungsschirme wiederholt vestieren. Zeichnet sich dies nie der Kritik. Mehr Beteiligung eine Strukturanpassungs- nicht bereits bei der Energie- trage demnach zu mehr poli- politik, mit der Institutionen wende ab? tischer Ungleichheit bei, mehr wie der Internationale Wäh- Demokratie sei letztlich weni- rungsfond oder die Weltbank Es gibt keine sicheren Vor- ger Demokratie. Bezugspunkt bereits den globalen Süden kehrungen gegen solche Wi- ist das Faktum, dass politische heimgesucht hatten. Mit der dersprüche und Ambivalenzen. Beteiligung bei Wahlen noch im- Wanderung nach Norden Allerdings können mehr Trans- mer die breiteste Resonanz in werden nun auch innerhalb parenz in den Verfahren, eine allen Bevölkerungsgruppen er- der EU die sozialstaatlichen verbesserte Informationsfrei- zielt und damit ein Höchstmaß Errungenschaften der Nach- heit, ein Whistle-Blower Act, an politischer Gleichheit, einer kriegszeit geschliffen. die öffentliche Debatte über demokratischen Zentralnorm, Qualität von Beteiligung, eine verwirklicht. Je anspruchsvol- -- Ist der Beteiligungshype Rechenschaftspflicht bezüglich ler und aufwändiger die poli- nicht ein neuerliches Eliten- der Umsetzung, neutrale Beteili- tische Beteiligung wird (etwa projekt, eine Privilegierung gungsagenturen und die geziel- bei Sachvoten zu komplizierten der ohnehin Privilegierten? te Unterstützung von schwachen Themen), desto mehr bleiben Dafür sprechen die schein- Interessen (aufsuchende Verfah- bar unüberwindlichen Bil- ren, Empowerment) dazu beitra- dungsbarrieren, die stets gen, die in Frageform benannten aufs Neue zur Reproduktion Gefahren einzugrenzen. sozialer Ungleichheit bei- Der Ruf nach mehr Beteili- 2 So etwa Thomas Wagner: tragen. Eine im Namen der gung ist nicht ohne öffentlichen Demokratie als Mogelpa- Partizipation vorangebrach- Widerspruch geblieben. Es for- ckung – Oder: Deutschlands te Abwertung von repräsen- miert sich ein politischer Wider- sanfter Weg in den Bonapar- tismus. Köln 2011 tativen Formen führt nicht in stand, der politisch von „links“ 3 Markus Miessen: Albtraum mehr, sondern zu weniger bis „rechts“ reicht. Noch sind Partizipation. Berlin 2012, S. Demokratie. es eher vereinzelte Beiträge, 7. aber ihre Dichte nimmt zu. Bei 9 Politik unterrichten 1/2013

ärmere, schlechter gebildete über alle Politikfelder. Es beteiligen. Durch Dezentrali- Bevölkerungsgruppen vor der gehört zu den Grundzügen sierung und die Kombination Tür. Beteiligungsdemokratie ist repräsentativer Demokrati- unterschiedlicher Verfahren demnach – zugespitzt formu- en, dass dieser „generalized – etwa ein Bürgerentscheid liert – etwas für Reiche oder support“ durch Wahlen kei- am Ende deliberativer Pro- Zeitreiche, d.h. ein Eliten- oder ne Bindungswirkung für ein- zesse – lassen sich deutlich Rentnerprojekt. Die oft zitierten zelne Themen entfaltet. In höhere Beteiligungsquoten Perlenketten von Stuttgarter jüngster Zeit konnte dieser erzielen. Montagsdemonstrantinnen die- Mechanismus der Abkopp- nen als anschaulicher Beleg lung am Schicksal der Steu- -- Mit dem Hinweis auf die so- für diese These, die z.B. in ver- ersenkungspartei FDP oder ziale Selektivität von Beteili- schiedenen Studien und Kom- den Atombefürwortern in der gungsprozessen wird häufig mentaren des „Göttinger Insti- Unionswählerschaft studiert die Vermutung verbunden, tuts für Demokratieforschung“ werden. Bei direkter Beteili- die Gemeinwohlorientierung vertreten wird. gung geht es stattdessen um der Politik leide unter mehr Auch wenn Augenschein spezifische Entscheidungen, direkter Beteiligung, denn und Empirie für diese Beteili- die nicht alle betreffen und Sonderinteressen könnten gungskritik zu sprechen schei- nicht alle interessieren. sich so leichter Zugang zu nen, zieht sie Gegenargumente politischen Entscheidern ver- auf sich. Auf einige wenige sei -- Die geringeren Beteiligungs- schaffen. In dieser Unterstel- hier verwiesen: quoten bei Abstimmungen lung stecken zwei empirisch über Sachthemen oder bei unbestätigte Annahmen. -- Ihr Gelegenheitsmaterialis- der Partizipation an Infra- Zum einen fehlt der positive mus ignoriert die wachsen- strukturentscheidungen sind Nachweis, dass repräsen- de politische Ungleichheit in auch Ausdruck ihrer schwa- tative Strukturen, in denen den repräsentativen Formen chen und unzureichenden In- die Zusammensetzung der selbst4. Längst ist die größer stitutionalisierung. Wären sie Bevölkerung annähernd pro- werdende Partei der Nicht- auch nur annähernd so gut portional abgebildet wird, wähler keine Volkspartei ausgestattet wie die Kern- prinzipiell gemeinwohlorien- mehr, sondern vielmehr ein institutionen repräsentativer tierter seien. Wie ließe sich Sammelbecken der sozial Politik (Parteienfinanzierung, sonst die enorme Ungleich- Marginalisierten. Wachsen- Wahlkampfkostenerstattun- de politische Ungleichheit gen, Ämterpatronage etc.), 4 Erst allmählich wird die sozi- hat die repräsentativen De- könnten partizipative Ange- ale Selektivität des repräsen- mokratieformen ausgehöhlt, bote leicht höhere Beteili- tativen Gefüges Gegenstand ohne dass dies ernsthaft gungsraten erzielen. Unter systematischer Untersuchun- zum Thema gemacht wird5. den Bedingungen eines re- gen. Sidney Verba u.a. ha- präsentativen Übergewichts ben dazu eine umfassende -- Wer die Beteiligung an Wah- stellt sich Beteiligungsdemo- Studie für die USA mit dem len mit der an anderen For- kratie als eine Entwicklungs- Titel „The Unheavenly Cho- men der politischen Partizi- aufgabe dar, die besonderer rus. Unequal Political Voice pation misst, läuft Gefahr, Unterstützung und Inves- and the Broken Promise of American Democracy“ Äpfel mit Birnen zu verglei- titionen bedarf. Ihr Auftrag (2012) vorgelegt. Sie können chen. Auch wenn sich die lautet, keinen Bürger, keine zeigen, dass die bekannte 6 Beteiligung an Bürger- und Bürgerin zurück zu lassen . Selektivität des US-Wahl- Volksentscheiden in der Dahinter steht die Überzeu- und Parteiengefüges auch Nähe der Wahlbeteiligung gung, dass es möglich ist, die nicht durch zivilgesellschaftli- bewegen kann, bleiben Wah- Beteiligung an deliberativen che Organisationen oder das len die anspruchsloseste und und direkt-demokratischen Internet korrigiert, sondern inklusivste Veranstaltung. Es Verfahren zu steigern, in- eher verstärkt wird. geht eben in der Regel nicht dem institutionelle Barrieren 5 Aktuelle Daten bietet Se- bastian Bödeker: Soziale um ein konkretes Projekt abgebaut und aufsuchende Ungleichheit und politische und Vorhaben, das zumeist bzw. ermöglichende Formen Partizipation in Deutsch- nur Teile der Bürgerschaft der Ansprache gewählt wer- land. Grenzen politischer berührt und interessiert, den. In einigen brasiliani- Gleichheit in der Bürgerge- sondern um eine unspezifi- schen Bürgerhaushalten ist sellschaft. Frankfurt/M 2012 sche Unterstützung für eine es z.B. gelungen, sozial be- (Otto Brenner Stiftung). Partei oder Person. Dieses nachteiligte Gruppen, Kinder 6 Vgl. Meira Levinson: No Citi- allgemeine Mandat erstreckt und Jugendliche, aber auch zen Left Behind. Cambridge sich ohne Bindungswirkung Frauen überproportional zu 2012. 10 1/2013 Politik unterrichten

heitsdynamik in vielen west- den, die für eine Entwicklung in weitgehend auch für Erwachse- lichen Demokratien erklären, Richtung Beteiligungsdemokra- ne sagen. Auch für sie, für uns die bis zur Ausgrenzung von tie und Bürgermacht zu gehen alle geht es darum, ihre alltägli- großen Bevölkerungsgrup- sind. Es geht dabei nicht um chen Lebensräume durch Betei- pen, zu enormer Jugendar- ein Phasenmodell, sondern um ligung zu gestalten. Dies setzt beitslosigkeit und wachsen- wichtige Grundlagen: Machtabgabe bei anderen Ak- den Armutszahlen reicht? teuren voraus. Dies wird nicht Sie dürften wohl kaum das Beispiel Kinder- und Jugendbe- nur durch bessere Argumente Ergebnis direkter Demokra- teiligung. und die Einsicht von Experten tie sein. „Die allgemeinste und Machthabern zu erreichen Quelle der Unzufriedenheit Das Recht von Kindern, gehört sein, sondern nach allen Erfah- mit der (repräsentativen) De- und bei Entscheidungen be- rungen – zuletzt des Protestjah- mokratie liegt darin, dass pe- rücksichtigt zu werden, die sie res 2011 - nur durch Druck der riodische Wahlkämpfe und betreffen, ist ein wichtiger nor- bislang Nichtbeteiligten, durch Wahlen die Bürgerebene ge- mativer Ausgangspunkt (Kinder- Widerspruch und Protest. Dies rade nicht in Stand setzen, rechtskonvention der Vereinten scheint auf Dauer auch die die Politiker zu kontrollieren, Nationen Art. 12). Ergebnisse einzige Chance, das sinkende und dass sie durchaus nicht von empirischen Beteiligungs- Schiff „Demokratie“ im Sinne die Präferenzen der gewähl- studien zeigen, wie wenig die- demokratischer Gestaltungs- ten Führer mit den Präfe- se verpflichtende Norm bisher fähigkeit zu stabilisieren und renzen der Wählerschaft umgesetzt worden ist. Lediglich schließlich instandzusetzen. in Einklang bringen“7. Zum die Familien konnten als Betei- Wichtige Etappen auf dem anderen ist zwar unleugbar, ligungsraum „erobert“ werden, Wege zu mehr Bürgerbeteili- dass Einzelne und gele- auf die Verbreitung von Ver- gung bestehen sicherlich im Ab- gentlich auch Bürgerinitiati- handlungsfamilien wurde bereits schied von repräsentativen Al- ven besondere, womöglich hingewiesen. Ganz anders sieht leinvertretungsansprüchen und privilegierte oder bornierte es in Kitas, Schulen und ande- in der wachsenden Bereitschaft Interessen in Beteiligungs- ren Bildungseinrichtungen aus. und Fähigkeit in öffentlichen verfahren vertreten. Dies gilt Neun von zehn Kindern erle- Verwaltungen, die Koproduktion jedoch für den an das Parla- ben in ihren Einrichtungen keine und Mitwirkungsansprüche von ment und die Verwaltung an- nennenswerten Beteiligungsan- Bürgerinnen und Bürgern anzu- gedockten Lobbyismus und gebote, obwohl es längst erprob- erkennen und zu fördern. Die- die Verbandspolitik in glei- te und ausgezeichnete Modelle se Entwicklungsaufgabe sollte cher Weise. Im Unterschied gibt. Vorzeige-Einrichtungen ha- nicht unterschätzt werden, denn zum Lobbyismus und der ben „Kita-Verfassungen“, nen- die Kluft zwischen Rhetorik und stillschweigenden Berück- nen sich „Kinderstube der Demo- Praxis ist gerade in diesem sichtigung privilegierter Inte- kratie“, Schülerräte & -haushalte Kontext enorm, weil heute (fast) ressen (als „non-politics“) im tragen zu einer demokratischen niemand offen gegen mehr Bür- parlamentarischen Prozess Schulkultur bei. Obwohl es z. B. gerbeteiligung auftritt. sind Sonderinteressen in verpflichtende und empfehlende Bürgerinitiativen und Betei- Paragraphen im SGB VIII oder Beteiligung als Grunderfahrung. ligungsverfahren jedoch ge- in Kommunalverfassungen gibt, zwungen, sich öffentlichen sind auch die Kommunen über- Beteiligung will stets aufs Neue Debatten zu stellen. Gele- wiegend nicht zu Beteiligungs- gelernt sein und verlangt die gentlich verändern sich da- räumen geworden. Gelegenheit zu Selbstwirksam- bei auch die Protagonisten Noch düsterer sieht es in der keitserfahrungen. Eine beteili- – nicht von ungefähr gelten Gesetzgebung des Bundes und gungsfreundliche Alltagskultur Bürgerinitiativen und öffent- der Länder aus. Bei zentralen, in Familien, Schulen, Kommu- liche Formen der Deliberati- Kinder und Jugendliche betref- nen, Sportvereinen kann dabei on als besonders produktive fende Reformen und Modellen Orte politischen Lernens. (Bildungslandschaften, Über- gangssysteme, G 8/G 9, Bolo- gna-Prozess) haben sie in der 7 Stephen Holmes: Die globa- V. Schritte in Richtung Bür- Regel keine Mitsprachemöglich- le Demokratieverdrossen- gerdemokratie keiten. Damit haben die Haupt- heit. In: Blätter für deutsche betroffenen keine Stimme. Bes- und internationale Politik Ohne den Anspruch auf Voll- tenfalls ist nachträglicher Protest 11/2012, S. 45. Der Autor ständigkeit sollen abschließend möglich, wie dies bei den Bolog- bietet auch eine Reihe von Erklärungen für diese Ent- einige Etappen benannt wer- na-Reformen geschehen ist. wicklung an. Was für Kinder gilt, lässt sich 11 Politik unterrichten 1/2013

hilfreich sein. Hier liegt der be- Vorhabens steigt auch die Wahr- ment brauchen Bürgerinnen sondere Wert und die Chance scheinlich, dass es zu Wider- und Bürger ein realistisches und von Kinder- und Jugendbeteili- spruch und Blockaden kommt. attraktives Leitbild. Auch wenn gung. Befragungen der letzten Beteiligungsprozesse sind poli- die Zahl derer, die gefragt, be- Jahre haben gezeigt, dass es tisch klug und unabdingbar. Über teiligt und engagiert sein will, eine provozierend große Kluft die Standards solcher Verfahren deutlich zugenommen hat, sind zwischen der grundsätzlichen wissen wir einiges. Sie müssen es keineswegs alle, oft nicht ein- Beteiligungsbereitschaft von frühzeitig eingesetzt werden, sie mal Mehrheiten, die sich für die Kindern und Jugendlichen ei- brauchen Transparenz und eine Anforderungen aktiver Bürger- nerseits und den Beteiligungs- verständliche, bürgerfreundliche schaft erwärmen lassen. Selbst angeboten in Schulen und Ge- Aufbereitung. Eine unabhängige die Aktivsten wollen in der Regel meinden gibt. Am Beispiel der Moderation steigert die Qualität nicht zu nimmermüden Partizi- Senioren und ihrer Zusammen- und die Akzeptanz der Ergebnis- pationsprofis werden, die sich schlüsse lässt sich zeigen, dass se. Schließlich sind Beteiligungs- zu allem und jedem einmischen. die Chance Beteiligung und En- prozesse sinnlos, wenn keine Gefragt sind Institutionen, die gagement zu lernen, kein Alter Alternativen ins Spiel gebracht sich bei Bedarf – vor allem bei kennt. Mehr als ein Drittel der werden können. Anders als in zentralen politischen Weichen- aktiven älteren Generation en- den vorhandenen Informations- stellungen und auf Anfragen gagiert sich erstmals in ihrem freiheitsgesetzen, die Betriebs- aus der Bürgerschaft - für Be- Leben. Besonders wichtig sind und Geschäftsgeheimnissen teiligung öffnen und „stand-by Formen der öffentlichen Aner- einen höheren Rang zubilligen, citizen“ als AktivbürgerInnen kennung für Engagierte. muss dabei das Transparenz- willkommen heißen. gebot auch für Private gelten, Mehr Alltagsdemokratie. die sich für öffentliche Aufträge Die Gestaltungsspielräume des bewerben. Was ein Großprojekt Grundgesetzes nutzen. Beteiligung sollte nicht nur für darstellt, ist notwendig relativ. wichtige Ausnahmen zugestan- Nach Ortsgrößen gestufte Auf- Die politische Debatte über Be- den sein, sondern das Alltags- tragssummen können dafür sor- teiligung wird in der Bundesre- leben prägen. Die Geschichte gen, dass ab einer bestimmten publik oft mit dem Hinweis auf der neueren Selbsthilfe- und Größe Beteiligung obligatorisch Verfassungsnormen beendet, Protestbewegungen ist voll von gemacht wird. bevor sie richtig begonnen hat. Initiativen, in denen es darum Gegen ein restriktives und oft geht, Institutionen, die unser Eingreifende, „große“ Reformen autoritär eingesetztes Verständ- Leben „programmieren“, für erfordern Beteiligung. nis von einer starren „freiheitlich Alternativen und Gestaltungs- demokratischen Grundordnung“ möglichkeiten zu öffnen. Dies Der Protestherbst von 2004 ge- gilt es festzuhalten, dass im gilt für die medizinische Versor- gen Hartz IV-Gesetzgebung, an Grundgesetz kein bestimmtes gung ebenso, wie für die Art zu dem sich mehrere hunderttau- Modell demokratischer „Ord- sterben, auf die nicht zuletzt die send Menschen zum Teil über nung“ fixiert ist. Es ist prinzipiell Hospizbewegung Einfluss neh- mehrere Wochen beteiligt ha- offen für legale Veränderungen, men konnte. Es sind diese kul- ben, die zahlreichen Bildungsre- die sich im Rahmen demokra- turellen Selbstverständlichkei- formen ohne Schüler und Eltern, tisch-menschenrechtlicher Prin- ten, etwa der Umgang zwischen die mit dem Namen Bologna ver- zipien bewegen. Für die Ver- Angehörigen unterschiedlicher bundenen Hochschulreformen fassungsgenese gilt, dass ein Religionsgemeinschaften, in ohne die Beteiligung von Studie- selbst bestimmendes Volk von denen auch politische Brisanz renden und Selbstverwaltungs- heute dem der Zukunft nicht steckt. Demokratische Aus- gremien sollten ausreichen, um seine Selbstbestimmung vor- handlungsprozesse können er- die Einsicht wachsen zu lassen: enthalten darf. Umso mehr sind heblich zur Zivilität beitragen, Große, tiefgreifende Reformen wir mehr als 60 Jahre später wenn es Institutionen gelernt können heute ohne breite Betei- aufgefordert, den Verfassungs- haben, davon einen vernünfti- ligung nicht gelingen – oder ihre rahmen für die Entfaltung einer gen Gebrauch zu machen. Resultate sind so ungenügend, Bürgerdemokratie zu nutzen dass die Betroffenen protestie- und ihn dort, wo dies nötig ist, Großprojekt nur mit intensiver rend Korrekturen einfordern (s. auch neu abzustecken. Auch Beteiligung Hochschulproteste). für die Demokratie in der Bun- desrepublik steht ein Erneue- Nicht erst der Großkonflikt um Ein attraktives Leitbild engagier- rungsprozess an. Ihre Lern- und Stuttgart 21 hat deutlich ge- ter Bürgerschaft Veränderungsfähigkeit wird macht: Mit der Zahl der Betrof- zwar unterschätzt, wenn von fenen und der Eingriffstiefe des Für Beteiligung und Engage- einer scheinbar unverrückba- 12 1/2013 Politik unterrichten ren „freiheitlich demokratischen allgemeine, gar finale Demokra- in Richtung Demokratie ist ein Grundordnung“ die Rede ist. tiekrise, denn das Unbehagen Lernprojekt, das in besonde- Immerhin ist das Grundgesetz der Bürger und ihre gesteigerten rem Maße politische Bildung bis Ende 2010 durch insgesamt Erwartungen an politische Teil- und Selbstaufklärung erfordert. 58 Änderungsgesetze auf den habe sind ja gerade überwiegend Meist vollzieht sie heute eher in doppelten Umfang angewach- demokratisch motiviert. Eine Bürgerinitiativen und Protesten. sen und nur 83 Artikel haben Vitalisierung der Demokratie ist Gleichwohl wäre es für die ver- noch ihren ursprünglichen Wort- deshalb möglich und angesagt. schiedenen Orte der politischen laut, so Dieter Grimm. Dennoch Die Demokratie in Deutschland Bildung sehr hilfreich, wenn sie sieht der prominente ehemalige steht jedoch vor mindestens sich für die veränderten An- Verfassungsrichter in vielen die- drei großen Herausforderungen, forderungen öffnen, die eine ser Änderungen eher eine Ten- die bewältigt werden müssen, bewegte Bürgerschaft, die auf denz zur Versteinerung des po- um weiterhin handlungsfähig zu mehr Selbstgestaltung drängt, litischen Systems und empfiehlt bleiben. gegenwärtig stellt. grundlegende demokratische Erneuerungen (Volksbegehren, Politische Bildung aufwerten und Referenden, unabhängige Be- erneuern. ratungsgremien, Bürgerforen etc.). Es geht somit nicht um eine Die Vertiefung der Demokratie

Vom „rechtsradikalen“ Tübinger Studen- ten zum Verfechter einer staatszentrier- ten „Betriebswirtschaftslehre der Politik“: Theodor Eschenburg Rainer Eisfeld

I den von ihm als - mindestens potentielle - „Störungen und Be- Nach 1918 wie nach 1945 einträchtigungen des staatlichen kreiste Theodor Eschenburgs Handlungsraumes gesehen.“ politisches Denken vorrangig Seine Aufgaben kann der Staat um staatliche Institutionen und laut Eschenburg „nur erfüllen, staatliche Autorität. Institutionel- wenn seine Institutionen in Dis- le Sorgen (Eschenburg 1961b), tanz zur Gesellschaft, zu Partei- („Wie wird regiert im weitesten Über Autorität (Eschenburg en und Verbänden stehen, wel- Sinne?“). Streitfragen – die Kon- 1965), Den Staat denken (Ru- che ständig bemüht sind, diese troverse etwa um das passive dolph 1990) sind Buchtitel, ei- Distanz abzubauen und sich den Wahlrecht der Beamten, oder gene beziehungsweise fremde, Staat einzuverleiben“ (Rupp/No- um die Unternehmensfinanzie- die sein Werk charakterisieren. etzel 1991, S. 112, 116). rung der Parteien – gehörten in Der Weimarer Republik stand Solches Politikverständnis seinen Augen zu den „nicht für er, mit den Worten Hans Karl schlug sich auch in der Arbeit den Unterricht sich eignende(n) Rupps und Thomas Noetzels, der Kommission nieder, die der Themen“ (Eschenburg 1985, S. „seltsam unentschieden“ ge- baden-württembergische Kul- 30/31, 36, 39). genüber (Rupp/Noetzel 1991, tusminister Wilhelm Simpfen- Eschenburgs Betonung in- S. 113) – „immerhin wurde re- dörfer 1955 zur Einführung des stitutioneller Autorität während giert“, so Eschenburg (1995, Fachs Staatsbürgerkunde an der 1950er und frühen 1960er S. 113) im ersten Band seiner höheren Schulen des Landes Jahre mochte einer Phase der Autobiographie. Auch in der einsetzte. Zusammen mit Arnold westdeutschen politischen Kul- Bonner Republik, für deren par- Bergsträsser (Freiburg) prägte tur nicht unangemessen sein, lamentarische Demokratie er Eschenburg, den Simpfendör- in deren Verlauf passive Un- sich engagierte, blieb Politik für fer als Vorsitzenden berief, ein tertanen sich erst allmählich zu Eschenburg, mit der treffenden Verständnis des Schulfachs als aktiven Staatsbürgern entwi- Formulierung von Rupp/Noe- „Betriebswirtschaftslehre der ckelten. Für einen Großteil der tzel (1991, S. 112), „vor allem Politik“, das sich „auf die Be- Gesellschaft musste der demo- über den Staat definiert“. Ge- schreibung der geltenden Ord- kratische Staat sich zunächst sellschaftliche Interessen wur- nung zu beschränken“ hatte „bewähren“, hatte seine „Leis- 13 Politik unterrichten 1/2013

tungsfähigkeit“ unter Beweis wollte. Hier tritt zu Tage, was zid an den europäischen Juden zu stellen (vgl. Almond/Verba mit Bezug auf Arnold Berg- trug laut Eschenburg im Grunde 1963, bes. S. 19, 429. Die zu- strässer und dessen „Freiburger nur „der Führer“, allenfalls noch grunde liegenden Erhebungen Schule“ der Politikwissenschaft das Reichssicherheitshauptamt. wurden 1959 durchgeführt). Die bereits vor einem Jahrzehnt Bezüglich der billigenden Stel- Dynamik der Demokratie, die konstatiert wurde: Gewandelte lungnahmen zu Judendeporta- Eschenburg durchaus sah und Fragestellungen erfordern neue tionen, welche das AA, speziell in Rechnung stellte, allerdings Forschungsprogramme (Schmitt Weizsäcker, abgegeben hatte, zügeln wollte, hat sich seitdem 1999, S. 234/235). entfiel jede Verantwortlichkeit, beschleunigt in Richtung auf denn Weizsäcker, so Eschen- verstärkt erhobene politische II burg, „war außerstande, die Ver- Mitgestaltungsforderungen ei- nichtungsaktion zu verhindern, ner Bevölkerung, der Eschen- Politik wird folglich in Eschen- nicht einmal sie in ihrer Wirkung burg noch Mitte der 1960er burgs Staats- und Demokra- herabzudrücken“ (Eschenburg Jahre jeglichen „schöpferi- tieverständnis wesentlich ‚von 1987, S. 35). schen Willen“ absprach: „Die- oben’ bestimmt, durch die Insti- Auf solche Bekundungen sen kann [ein Volk] gar nicht tutionen und regierenden Perso- ist neues Licht gefallen, seit haben“ (Eschenburg 1966). nen der Staatsspitze. Ihre Stüt- Akten des Reichswirtschafts- Dreißig Jahre danach, 1995, ze bildet ein Berufsbeamtentum, ministeriums ergeben haben, erblickte er in Alfred Webers das nach überkommenem dass Eschenburg 1938 an der sechs Jahrzehnte früher vor- Selbstverständnis vorgeblich zwangsweisen „Arisierung“ ei- gelegtem „Führerdemokratie“- neutral, als rein ausführendes nes Berliner Kunststoffunter- Konzept - mit der Kompetenz zu Organ, agiert: Nach 1933 hatte nehmens mitgewirkt hat (Eisfeld parlamentarisch unkontrollierter die Beamtenschaft sich „mit dem 2011; ders. 2013a; ders. 2013b, „selbständiger Entscheidung“ ihr eigenen Beharrungsvermö- S. 163-169). Nicht nur diesen der gewählten „Führerspitze“ gen gehalten“. Nach 1945 war Umstand – samt einem Teil der (Weber 1925, S. 138) – nach sie „bereit, sich führen zu las- Funktionen, die er unter dem wie vor „die optimale Lösung sen“ (Eschenburg 1974, S. 16, NS-Regime im Rahmen der des demokratischen Problems“ 24). Reichsgruppe Industrie innehat- (Eschenburg 1995, S. 138). Ausschließlich bei der te – verschwieg er nach 1945. Forderungen nach mehr Staatsspitze liegt deshalb nach Auch mit Bezug auf die Weima- Bürgerbeteiligung sind jedoch Eschenburg die Verantwor- rer Republik ist eine Tendenz nicht zuletzt angesichts der zu- tung für die Konsequenzen po- Eschenburgs konstatiert wor- nehmenden Langzeitwirkungen litischen Handelns. Als Hans den, „seine keineswegs über je- politischer Entscheidungen be- Globke - durchsetzungsfähiger den Zweifel erhabene politische rechtigt. Immer mehr derartige Leiter des Bundeskanzleramts Vergangenheit … zu glätten… Entscheidungen erweisen sich, seit 1953, zuvor Kommentator und schließlich auch neu zu er- auch durch veränderte demo- der NS-Rassengesetze – 1961 finden“ (Rohstock 2012: S. 198). kratische Mehrheiten, als immer wegen seiner Tätigkeit als NS- schwerer revidierbar. Dies gilt Jurist scharf angegriffen wurde, III erst recht angesichts der viel- meinte Eschenburg nur folge- fältigen Verflechtung nationa- richtig zu erkennen, dass die Theodor Eschenburg und Ar- ler und europäischer Politiken Attacken sich „im Grunde gegen nold Bergsträsser, die bei der zu einem komplexen, schwer Adenauer“ richteten, um „die Einführung des Schulfachs durchschaubaren „Mehrebe- Wirkungskraft seines Regierens Staatsbürgerkunde in Baden- nensystem“ des Regierens, wie zu lähmen“. Globke bescheinig- Württemberg zusammengear- es sich in der Europäischen te er, unter dem NS-Regime hin- beitet hatten, waren sich bereits Union herausgebildet hat und ter seiner „damaligen Tarnung… während der Weimarer Jahre wie es Eschenburg noch kei- „ innere(n) Widerstand“ geleistet begegnet. In seinen Erinne- neswegs vor Augen stand. zu haben (Eschenburg 1961a, S. rungen erwähnte Eschenburg Zur Umsetzung des Verlan- 5; auch ders. 1961b, S. 262/263, einen „jungen renommierten gens nach verstärkter politischer 264; ders. 1967, S. 248/249, Intellektuellen“, der 1932 in Ber- Mitwirkung bedarf es institutio- 250). Ähnlich reagierte Eschen- lin vor einem illustren Kreis aus neller Phantasie und Flexibilität burg, als zweieinhalb Jahrzehn- Industriellen, Verbandsvertre- heute weit mehr als der bloßen te später die Verstrickung des tern, Beamten und Professoren Bewahrung existierender Ins- Auswärtigen Amts, einschließ- einen Vortrag mit der „zentralen titutionen, die Eschenburg als lich des damaligen AA-Staatsse- These“ gehalten habe: „Das „statisches Element“ demo- kretärs Ernst von Weizsäcker, in Zeitalter der Demokratie ist ab- kratischer Regierungssysteme den Holocaust offengelegt wur- gelaufen.“ Sein Name lautete verstand und behandelt wissen de: Verantwortung für den Geno- Arnold Bergsträsser (Eschen- 14 1/2013 Politik unterrichten burg 1995, S. 295/296). Ge- Verbindung Germania bei, die aller inneren Staatspolitik“ habe prägt durch die „ragende Höhe wie Tübingens übrige Korporati- die Staatsspitze „von sich aus des Gemeinschaftserlebnisses“ onen seit 1919 keine „Juden und (zu) bestimmen, welches „Maß von 1914 (Bergsträsser 1929, Abkömmlinge von Juden“ mehr und Ziel“ politische Reformen S. 147), bekräftigte Bergsträs- aufnahm. Als HdA-Vorsitzender besitzen sollten, „ohne dass sie ser nach der NS-Machtüber- verantwortete er die Verbreitung sich die Führung aus der Hand nahme in London, er habe „seit eines Plakats, auf dem Gumbel nehmen ließ.“ Diese Position vielen Jahren empfunden, dass aufgefordert wurde, einen Vor- bezeichnete Eschenburg als nur eine Diktatur Ordnung und trag abzusagen, zu dem eine „staatskonservativ“ (Eschen- Zuversicht in Deutschland wie- kleine sozialistische Studen- burg 1929, S. 281). Ihr gehörte derherstellen würde“ (ders. tengruppe ihn eingeladen hatte seine erkennbare Sympathie. 1934, S. 44). Bergsträssers (Lange 1999, S. 33). Hermann Dietrich, von Theodor „Bündnisangebot“ scheiterte Nach eigenem Bekunden Eschenburg hochgeschätzter an der rassistischen Politik des war Eschenburg anwesend, als Vorsitzender der Deutschen Regimes, das ihm 1936 als „jü- die Vortragsveranstaltung von Staatspartei (nomen est omen), dischem Mischling“ die Lehrbe- Studenten gewaltsam gesprengt der Eschenburg sich 1930 an- fugnis entzog. wurde, noch ehe Gumbel zu schloss, formulierte dazu pas- Von solchen Zusammen- Wort kam (Eschenburg 1995, send: „Der einzelne Bürger hängen war später in der Bun- S. 176). Als der Vortrag in eine muss zur Staatsidee erzogen desrepublik lange Jahre keine Gaststätte des Tübinger Vor- werden“ (Stephan 1973, S. Rede mehr; ebenso wenig von orts Lustnau verlagert und zur 483). dem Umstand, dass beide noch geschlossenen Veranstaltung eine andere, wenig rühmliche erklärt wurde, belagerten Hun- IV Gemeinsamkeit verband: Der derte von Studenten das Gast- Tübinger Student Eschenburg, haus und warfen dessen Fens- 1930 nahm Eschenburg für zwei Vorsitzender des aggressiv terscheiben ein. Darauf gingen Jahre eine Referentenstelle nationalistischen, antisemiti- Anwohner, Feuerwehr sowie beim Verein Deutscher Maschi- schen Hochschulrings deut- Angehörige des sozialdemokra- nenbauanstalten an und wech- scher Art, hatte sich 1925 an tischen Reichsbanners gegen selte anschließend in die Kurz- der Hetzkampagne gegen den sie vor, während Eschenburg warenbranche. Seit dem 30. 6. Heidelberger Statistiker und rechtzeitig „kehrt machte“ und 1933 wurde er als SS-Anwärter Justizkritiker Emil Julius Gum- „nach Hause“ ging (ders. 1995, geführt. Am 6. März 1934 wurde bel beteiligt. Der Heidelberger ebd.), Die „Lustnauer Schlacht“ er mit der Nummer 156 004 in Extraordinarius für Staatswis- forderte mehr als ein Dutzend die SS aufgenommen und dem senschaft und Auslandskunde Verletzte. Um seine Mitverant- Motor-Sturm 3/III/3 zugewiesen Bergsträsser hatte 1932 maß- wortung zu kaschieren, erfand (Bundesarchiv Berlin [früher geblich mitgewirkt am Entzug Eschenburg später die Behaup- Berlin Document Center], Un- der Lehrbefugnis für den enga- tung, das Plakat habe lediglich terlagen SS-Angehörige: Theo- gierten Pazifisten Gumbel (zu dafür geworben, „der Versamm- dor Eschenburg). In seinen Bergsträssers Rolle vgl. Eisfeld lung mit Gumbel fernzubleiben“ Memoiren nannte Eschenburg 2013b, S. 106 ff.). (ders. 1995, S. 175/176). eigenes Schutzbedürfnis nach Während seines Studiums 1926 wechselte Eschenburg Reibereien mit einem SA-Funk- an der Universität Tübingen ge- an die Universität Berlin. Er such- tionär als Grund für seinen Ein- hörte Eschenburg zum „Krei- te, wie Vallentin ihn zitiert, „eine tritt und gab an, er habe die SS se der Rechtsradikalen“, bevor Persönlichkeit, in der wir endlich im Spätherbst 1934 mit deren Stresemann ihn „von Hitler weg wieder einen Führer sahen“, weil „Billigung“, berufliche Verpflich- zu sich selbst bekehrte“ – so die sie „ein positive(s) Programm“ tungen vorschützend, wieder Stresemann-Vertraute, Journa- bot (Vallentin 1930, S. 234, 235). verlassen (Eschenburg 2000, listin und Publizistin Antonina Und er war auf der Suche nach S. 21 ff., 24 ff., 27/28). Eschen- Vallentin in ihrer 1930 erschie- einem Promotionsthema. Bei- nenen, jüngst durch Anne Roh- den Zielen kam die politische stock (Universität Luxemburg) und persönliche Annäherung an wieder entdeckten Biographie Gustav Stresemann entgegen: des Reichsaußenministers. Val- Der Außenminister unterstützte lentin zitierte Eschenburg mit ihn bei seinem Promotionsvor- Sätzen wie: „Wir jubelten im haben über den konservativ-li- November 1923 Hitler zu. Wir beralen „Bülow-Block“ der Jahre erwarteten alles von der Macht 1907/09. Eschenburg gelangte der Generäle“ (Vallentin 1930, in seiner Dissertation zu dem S. 234). Er trat der schlagenden Resultat, als „Alpha und Omega 15 Politik unterrichten 1/2013

burgs SS-Stammrollenblatt ent- nutzung deutscher Devisen… Eschenburgs politikwissen- hält in der Rubrik „Verwendung, im Ausland eine neue Existenz- schaftlichem Denken hat sich Versetzungen, Ausscheiden“ basis zu schaffen.“ Damit hätte- als zeitgebunden erwiesen. Bei keinen Eintrag. In einem 1936 Fischbein gegen das Ende 1936 der Auseinandersetzung mit der verfassten Lebenslauf führte erlassene Gesetz gegen Wirt- Frage, was verantwortliches Eschenburg seine SS-Mitglied- schaftssabotage verstoßen, das Handeln zwischen 1933 und schaft nicht auf. Kapitalflucht oder das Belassen 1945 bedeuten konnte, war er Zu seiner Stellung als Ge- von Vermögenswerten im Aus- gegen gravierende Fehlurteile schäftsführer in zwei Fachgrup- land mit der Todesstrafe bedroh- nicht gefeit. Die Aufdeckung ei- pen der Wirtschaftsgruppen te. Zuständig war der Volksge- gener problematischer Verhal- Bekleidungs- sowie Holzverar- richtshof. tensweisen während des soge- beitende Industrie für Der anschließend verfasste, nannten „Dritten Reiches“ sowie Eschenburg seit 1937 Tätig- Unheil kündende Aktenvermerk seines nachträglichen Umgangs keiten als Dienststellenleiter in des zuständigen Referenten damit (lange Jahre auch mit den zwei entsprechenden Prüfungs- lautete, „dass im Fall Fischbein Einzelheiten seiner zeitweiligen stellen der Reichsgruppe Indus- möglicherweise ein Interesse SS-Mitgliedschaft), seine Be- trie hinzu. Solche Stellen waren daran bestehen wird, den Juden schönigung ganzer Phasen sei- zuständig für Fragen der Preis-, nicht auswandern zu lassen“. nes Lebens haben seine morali- Markt-, vor allem aber Export/ Mitte Januar 1939 gelang dem sche Autorität geschmälert. Import-Beobachtung und –Kon- Unternehmer trotz Passentzugs Nicht an Aktualität verloren trolle. In dieser Funktion wurde die Flucht über die Schweiz hat Eschenburgs Kritik an Poli- Eschenburg Ende 1938 mit der nach England (Eisfeld 2013a, S. tikern, denen - wie Franz Josef anstehenden „Arisierung“ eines 534-538; ders. 2013b, S. 165- Strauß - der Respekt vor rechts- Unternehmens in jüdischem Be- 168). staatlichen Schranken fehlte. sitz befasst. Eschenburgs Verhalten il- Und sein Kommentar zur SPIE- Er plädierte nicht nur dafür, lustriert die Beflissenheit („vor- GEL-Affäre trifft keineswegs nur dem deutsch-jüdischen Firmen- sorglich“, „Vermutung“) jener diese eine politische „Affäre“ inhaber den Pass zu entziehen, konservativen Bürokratie, die (Eschenburg 1962, S. 10): auch wenn er diesen Stand- sich dem NS-Regime andiente „Wir leben nicht im Zeitalter Ce- punkt kurz darauf mit wirtschaft- und zu seinem Funktionieren sare Borgias. Wir leben nicht lichen Begründungen revidierte. wesentlich beitrug. Antisemitis- einmal in der Zeit Franz von In demselben Brief, in dessen mus war dazu nicht erforderlich. Papens. Aber Kleinvieh macht Betreff er das Opfer als „den Die „Anfälligkeit“ eines Denkens auch Mist. Und an dem Rie- Juden Wilhelm J. Fischbein“ ti- genügte, das staatliche Führung senhaufen Mist können wir die tulierte, teilte er außerdem mit, überhöhte, Demokratie jedoch Produktion des Kleinviehs er- er habe „vorsorglich“ (!) dem relativierte. kennen. Reichswirtschaftsministerium Es sind alles Bagatellfälle, (RWM) von der „Vermutung“ (!) V die uns erregen, mediokre Fäl- Kenntnis gegeben, der Fabri- le. Aber in ihrer Summe sind sie kant sei dabei, sich „unter Be- Der staatszentrierte Kern in beängstigend.“

Literatur

Almond,Gabriel A./Verba, Sidney (1963): The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton: Princeton University Press. Bergsträsser, Arnold (1929): „Erinnerung des deutschen Krieges”, in: Europäische Revue, Jg. 5, S. 145-150. Bergsträsser, Arnold (1934): „The Economic Policy of the German Government“, in: International Affairs, Vol. 13, 26-46. Bundesarchiv Berlin (früher Berlin Document Center), Unterlagen SS-Angehörige: Theodor Eschenburg. Eisfeld, Rainer (2011): „Theodor Eschenburg: Übrigens vergaß er noch zu erwähnen”, in: Zeitschrift für Geschichts- wissenschaft, Jg. 59, S. 27-44. Eisfeld, Rainer (2013a): „Theodor Eschenburg (II): ‚Der innere Widerstand gegen ein totalitäres Regime verlangte eben besondere Verhaltensweisen’“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 61, S. 522-542. Eisfeld, Rainer (2013b): Ausgebürgert und doch angebräunt, 2., erw. Aufl., Baden-Baden: Nomos. Eschenburg, Theodor (1929): Das Kaiserreich am Scheideweg. Bassermann, Bülow und der Block, Berlin: Verlag für Kulturpolitik. Eschenburg, Theodor (1961a): „Globke im Sturm der Zeiten”, DIE ZEIT, Nr. 11, 10. 3. 1961, S. 5; unter dem Titel „Globke“auch in: ders. (1961b), S. 260-265, sowie in: ders. (21967), S. 246-250. Eschenburg, Theodor (1961b): Institutionelle Sorgen in der Bundesrepublik. Politische Aufsätze 1957-1961, Stuttgart: Curt E. Schwab (1964 beim Piper-Verlag München unter dem Titel: Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik, Bd. 1). 16 1/2013 Politik unterrichten

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Rainer Eisfeld

Ausgebürgert und doch angebräunt Deutsche Politikwissenschaft 1920-1945 Mit einer Würdigung des Autors von Hubertus Buchstein

2. überarbeitete Auflage 2013, 322 S., Broschiert, ISBN 978-3-8487-0554-2 Nomos 39,00 €

Verlagsankündigung

Bereits die 1. Auflage dieser wegweisenden Studie räumte vor 20 Jahren auf mit ei- ner Legende der deutschen Politikwissenschaft: Keineswegs war die Deutsche Hoch- schule für Politik (Berlin) während der Weimarer Republik ein ausschließlich republi- kanisches Unternehmen, noch war Politologie eine reine Demokratiewissenschaft. So wenig wie die Soziologie, die Psychologie oder die Geschichtswissenschaft blieb das Fach vor und nach 1933 immun gegen die antidemokratische Versuchung. Neben er- zwungene Gleichschaltung traten Ansätze einer Selbstgleichschaltung, am deutlichs- ten in Form einer Beschränkung der Disziplin auf „Auslandskunde“. Zwischen bloßen Handlangerdiensten für das NS-Regime und geringen Resten professioneller Distanz überlebte das reduzierte Fach bis 1945.

Eingehender als die 1. Auflage geht die überarbeitete und erweiterte Neuausgabe der Frage nach: Was bedeuten diese Feststellungen für die (west)deutsche Nachkriegspolitologie? Offenkundig schöpfte sie nicht nur aus demokratisch unan- fechtbaren Quellen des Exils und der „inneren Emigration“. Arnold Bergstraesser, Theodor Eschenburg, Michael Freund, Adolf Grabowsky, Ernst Jäckh – die Namen mehrerer ihrer „Gründerväter“ stehen für unterschiedliche Arrangementversuche mit dem Nationalsozialismus. Politologen und Historikern mit ideen- und fachgeschichtlichen Interessen bietet das Werk des emeritierten Professors für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück reiches Material zum Thema „NS-Kontinuität“.

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Gibt es eine Krise der Demokratie? Mythen, Fakten und Herausforderungen Wolfgang Merkel

Es gibt kaum einen Begriff in den Theorie hat sich von Anfang an Politik- und Sozialwissenschaf- das Verdikt durchgesetzt, dass ten, der so häufig auftaucht wie Demokratie ohne Krise nicht zu das Wort „Krise“. Krise des So- denken ist. Die Aussage von zialstaats, Krise der politischen links bis rechts, von Postmar- Summary: The discourse about Parteien, des Parlaments, Euro- xisten bis Neokonservativen ist the crisis of democracy is as old krise, Krise im Mittleren Osten, klar: Die Demokratie befindet as democracy itself. While politi- Krise der Diktaturen und - schon sich in einer Krise. Die empiri- cal theorists and the media domi- seit je: Krise der Demokratie. sche Demokratieforschung ist nate these debates, their claims Krise und Demokratie wurden vorsichtiger. Zwar konzediert are rarely based on empirical von Anfang an begrifflich als sie partielle Herausforderungen evidence. The initial results of siamesische Zwillinge betrach- und Probleme der Demokratie an empirical research project at tet. Dies gilt für die Wahrneh- wie das abnehmende Vertrauen the WZB show how opaque the more or less metaphoric termi- mung Platons und Aristoteles’ in in die politischen Eliten oder nology in this discourse is. There der Antike über die des Thomas die nachlassende Leistungsfä- is no doubt, however, that demo- Hobbes in der beginnenden higkeit demokratischer Instituti- cracy faces serious challenges Neuzeit bis hin zu den Schrif- onen. Aber von einer System- in the 21st century, especially in ten so unterschiedlicher Denker krise der Demokratie wagen die regard to problems of participa- wie Karl Marx, Max Weber oder Empiriker nicht zu sprechen. tion and representation. Another Carl Schmitt. Ist also die Krise der Demo- core question is: Who actually Zu Beginn der 1970er Jahre kratie eine Erfindung komplex rules our democracies? nahm der Krisendiskurs erneut denkender, aber empirieferner Kurz gefasst: Die Rede von der an Fahrt auf. Claus Offe sprach Theoretiker, die zudem meist Krise der Demokratie ist so alt von Strukturproblemen der einem überzogenen normativen wie diese selbst. Sie wird vor al- (spät)kapitalistischen Demokra- Demokratie-Ideal folgen? Oder lem von der politischen Theorie, tien (1972), Jürgen Habermas bleiben die empirischen Analy- aber auch von publizistischen von einer Legitimationskrise sen zu sehr einer Partialdiag- Medien geprägt, selten jedoch (1973) und Samuel Huntington nostik verhaftet, die sich mit der mit systematischen empirischen und andere von einer Überlas- Oberfläche von Umfragedaten Analysen überprüft. Erste Ana- tung der zu liberal geworde- und Wähleranalysen zufrieden- lysen zeigen die analytische nen Demokratie (1975). Colin gibt, ohne die tieferen Krisen- Unergiebigkeit eines meist nur metaphorisch verwendeten Kri- Crouch gelangte 2004 mit ei- phänomene zu erkennen, die senbegriffs. Dennoch steht die nem dünnen Büchlein und der sich gerade aus der kumulie- Demokratie vor erheblichen He- großen These von der „Postde- renden Wirkung singulärer Kri- rausforderungen im 21. Jahr- mokratie“ zu Weltruhm. senphänomene ergeben? hundert. Dies gilt vor allem für Gegenwärtig lassen sich im Die Frage nach einer Kri- Probleme der Partizipation und Krisendiskurs drei große De- se der Demokratie lässt sich Repräsentation sowie die Frage: battenlinien erkennen. Zunächst weder allein mit empirieabsti- Wer regiert eigentlich in unseren der öffentliche Diskurs. Hier do- nenten Theorien noch mit the- Demokratien? miniert die Meinung, dass sich oriefernen empirischen Ana- Dieser Artikel erschien zuerst in viele Teilkrisen, wie die Vertrau- lysen lösen. Beide Stränge den Mitteilungen des Wissen- enskrise der politischen Eliten, müssen miteinander verknüpft schaftszentrums Berlin (WZB) der Parteien, Parlamente und werden. Dabei wird es be- - Heft 139 - März 2013 - Seite 6 - Regierungen, zu einer allgemei- sonders darauf ankommen, 9. Der Abdruck erfolgt mit freund- nen „Krise der Demokratie“ ver- präzise zu klären, was unter licher Genehmigung des Autors. dichten. Auch in der politischen den beiden zentralen Begriffen

http://www.bpb.de/lernen/unterrichten/planspiele/ 18 1/2013 Politik unterrichten

„Demokratie“ und „Krise“ zu Kurzum: Je nachdem, welches muss er konzeptualisiert wer- verstehen ist. Dies unterbleibt Demokratiemodell man heran- den. Eine solche Konzeptua- in den meisten Untersuchun- zieht, wird man kaum oder fast lisierung erfordert die Bestim- gen. immer von einer „Krise der De- mung der systemrelevanten Der Demokratiebegriff ist mokratie“ sprechen können. Krisensymptome, eine Diagno- umstritten: Konservative, libe- Der Begriff der Krise ist nicht se der Krisenverläufe, das He- rale, soziale, pluralistische, eli- nur umstritten, sondern auch dif- rausarbeiten der Faktoren, die täre, dezisionistische, kommu- fus. Er wird inflationär in Sozio- eine Demokratiekrise auslösen, nitaristische, kosmopolitische, logie, Politikwissenschaft und und schließlich das Entwickeln republikanische, deliberative, Publizistik verwendet, aber nur von Kriterien für den Anfang partizipative, feministische, selten definiert. Auch stellt kaum und das Ende einer Krise. kritische, postmoderne und jemand die Frage, wann eine multikulturalistische Demokra- Krise der Demokratie beginnt Dies kann hier nicht gesche- tie bilden nur die Spitze eines und wann sie endet. Vereinfacht hen, ist vielmehr Grundlage begrifflichen Eisbergs. Verein- lassen sich bei den Krisentheo- des aktuellen empirischen For- facht lassen sich drei Gruppen rien zumindest zwei Verwendun- schungsprojekts „Krise der De- von Demokratietheorien unter- gen des Begriffs unterscheiden: mokratie?“ am WZB. Wir gehen scheiden: das minimalistische, davon aus, dass Demokratien das mittlere und das maxima- -- Die akute Krise, die die Exis- nicht einfach Opfer sich än- listische Modell. tenz bedroht und sofortiges dernder ökonomischer und ge- Schumpeters „realistische“ Handeln erfordert. Die Krise sellschaftlicher Umwelten sind. Demokratietheorie (1942) ist wird als Vorbote eines De- In den Demokratien gibt es In- der Klassiker des demokrati- mokratiekollapses gesehen. stitutionen, Verfahren, Reform- schen Minimalismus. Für ihn Es geht um Demokratie oder und Handlungsmöglichkeiten, sind Wahlen nicht nur der Kern Diktatur. um sich den Herausforderun- der Demokratie, sondern die- gen wie der Globalisierung, se selbst. Vertreter mittlerer -- Für die entwickelten Demo- deregulierten Finanzmärkten, Demokratiemodelle wie etwa kratien der (alten) OECD- der Bankenmacht, Währungs- der „eingebetteten Demokratie“ Welt wird der Begriff der la- krisen, Politikverdrossenheit argumentieren, dass freie und tenten Krise herangezogen. oder wachsender sozioökono- allgemeine Wahlen nur dann Latent heißt zum einen, dass mischer Ungleichheit zu stel- demokratisch wirkungsvoll die Krise sich lange hinzieht len. Deshalb ist es sinnvoll, zu- sind, wenn sie in gesicherte und ein Ende nicht in Sicht nächst die Herausforderungen Bürgerrechte und Gewalten- ist. Zum anderen verbirgt sich reifer Demokratien zu bestim- kontrolle eingebettet sind und darin die Annahme, dass die men, dann die Reaktionswei- tatsächlich die gewählten Re- Krise zu einem Qualitätsver- sen der Demokratien zu ana- gierungen regieren und nicht fall der Demokratie führt, ihre lysieren, um schließlich fundiert etwa „Märkte“, (Zentral-)Ban- normative Substanz von in- diagnostzieren zu können, wel- ken oder andere demokratisch nen ausgehöhlt wird und am che Bereiche der Demokratie nicht legitimierte Akteure. Den Ende nur noch Schwund- Krisenentwicklungen zeigen, Maximalisten ist dies nicht ge- stufen der Demokratie übrig welche Segmente heute viel- nug. Sie wollen Politikergebnis- bleiben. leicht sogar eine höhere de- se, vor allem soziale Gerech- mokratische Qualität aufweisen tigkeit und soziale Sicherheit, Je nachdem, welchen Begriff als im sogenannten Goldenen in die Definition der Demokra- man zugrunde legt, sieht man Zeitalter der Demokratie vor 50 tie mit einbeziehen. eine Krise oder nicht. Die An- Jahren - und ob wir von ei- Folgt man dem normativ hänger Schumpeters und des ner Krise des demokratischen anspruchslosen Demokratie- akuten Krisenbegriffs erkennen Systems insgesamt sprechen verständnis Schumpeters, wird praktisch nie eine, während können. man unter den entwickelten der latente Krisentheoretiker mit Dies soll hier auf drei Ebe- Demokratien kaum Krisen- einem maximalistischen Demo- nen untersucht werden: der anzeichen erkennen. Fühlt kratieverständnis die Demokra- Partizipation, der Repräsenta- man sich aber dem normativ tie permanent in der Krise sieht. tion und des effektiven Regie- höchst anspruchsvollen Kon- Wenn aber Krise zum Normal- rungshandelns. zept der „sozialen Demokratie“ zustand wird, wird die Diagno- verpflichtet, wittert man aller- se begriffslogisch unsinnig und Herausforderung Partizipati- orten nichts als Krise. Sozia- analytisch unbrauchbar. on le Ungerechtigkeit wird dann Soll der Krisenbegriff für die umstandslos zu einer Krise der empirisch vergleichende Demo- In Deutschland, West- und Demokratie hochgerechnet. kratieforschung sinnvoll sein, noch viel stärker in Osteuropa 19 Politik unterrichten 1/2013

geht die Wahlbeteiligung zu- sozial hochgradig selektiv: Hier sie weiter an Integrationskraft, rück. In Westeuropa gaben im engagieren sich vor allem jun- wird das erhebliche Rückwir- Jahr 1975 durchschnittlich noch ge, gut ausgebildete Menschen kungen auf die Kohäsion unse- 82 Prozent, 2012 nur noch 72 für die Demokratie; Immigran- rer Gesellschaften haben. Die Prozent der Wahlberechtig- ten sowie bildungsferne un- Ausdifferenzierung etwa des ten bei nationalen Wahlen ihre tere Schichten trifft man kaum deutschen Parteiensystems Stimme ab. In Osteuropa ist der an. Dies trifft übrigens auch auf mag zwar eine größere Plura- Wählerrückgang dramatischer: Referenden zu. An den soge- lität des politischen Angebots Von 72 Prozent im Jahr 1991 nannten Volksabstimmungen bedeuten, wird aber mit einem sank die Wahlbeteiligung 2012 beteiligt sich vor allem das bes- Verlust an Integration bezahlt. auf 55 Prozent. Für die USA ser gebildete Volk, die unteren Die Wettbewerbslogik zwingt wären selbst diese Zahlen al- Schichten fehlen meist. Kurzum: die Parteien dazu, ihre Wähler les andere als alarmierend; die Weder zivilgesellschaftliches in Abgrenzung zu den anderen durchschnittliche Beteiligung an Engagement noch Volksabstim- Parteien zu mobilisieren. Inso- den Kongresswahlen betrug in mungen vermögen das Problem fern trägt der Niedergang der den letzten zwei Jahrzehnten der sozialen Selektion zu lösen. Volksparteien auch zur Frag- dort nicht mehr als 44 Prozent. Im Gegenteil, sie verstärken es mentierung und Segmentierung Amerikanische Wahlforscher sogar noch. in unseren Gesellschaften bei tendieren deshalb häufig dazu, – ein Problem, das bisher we- die europäische Entwicklung Herausforderung Repräsenta- der in der Wissenschaft noch in als gesunde Normalisierung der tion der Politik diskutiert wird. bisherigen Überpartizipation Ein weiterer beunruhigender zu deuten. Einer solchen Argu- Parteien sind im 20. Jahrhun- Befund ist die immer geringe- mentation mag man mit guten dert zu den wichtigsten Ver- re Zustimmung der Bevölkerung normativen Argumenten nicht mittlern zwischen Gesellschaft zu den Parlamenten. Polizei, folgen. Zudem, und das ist be- und Staat aufgestiegen. Sie Militär, Kirche, Expertengremi- sonders problematisch, steigt haben die Meinungen der Bür- en, Verfassungsgerichte und mit der sinkenden Wahlbeteili- ger aggregiert, artikuliert und im Zentralbanken erzielen deutlich gung die soziale Exklusion. Die Parlament repräsentiert. Den höhere Unterstützungswerte. Je unteren Schichten steigen aus, Parteien aber laufen seit drei weiter öffentliche Institutionen die Mittelschichten bleiben. Die Jahrzehnten die Mitglieder da- vom Kerngeschäft der Politik amerikanische Krankheit der von. Sie drohen zu mitgliedsar- entfernt sind, umso bessere Unterschichtsexklusion beginnt men Kartellen mit einem mono- Umfragewerte erhalten sie. Es nun auch die europäische polistischen parlamentarischen droht eine Verschiebung der Wahlbevölkerung zu ergreifen. Repräsentationsanspruch zu Legitimitätsachse von „majoritä- Der Wahl-Demos bekommt verkommen. Alternative Orga- ren“ demokratischen Verfahren Schlagseite: Die Dominanz der nisationen, die die demokrati- zu „nichtmajoritärer“ Fachexper- Mittelschichten droht sich zu schen Funktionen im 21. Jahr- tise. verstärken, die unteren Schich- hundert übernehmen könnten, ten bleiben bei den Wahlen au- sind nicht in Sicht. Herausforderung Regieren ßen vor. Gesellschaften verändern Allerdings gilt es, die Ab- sich - und damit auch ihre Die These der Postdemokratie nahme der Wahlbeteiligung kollektive Organisationsbereit- suggeriert, dass zwar die forma- und vor allem der Parteimit- schaft. Die klassischen Massen- len Partizipations-, Repräsenta- gliedschaft mit neuen Formen und Volksparteien mit ihren ho- tions- und Entscheidungsver- nichtkonventioneller Partizi- hen Mitgliedszahlen und catch fahren der Demokratie bestehen pation zu verrechnen. Solche all-Programmen drohen in den bleiben, gesellschaftlich wirksa- aktiven Formen der Beteiligung individualisierten Gesellschaften me Entscheidungen aber zu- und Einmischung haben ge- anachronistisch zu werden. Das nehmend außerhalb demokra- genüber dem vermeintlichen Menetekel steht längst an die tischer Institutionen getroffen Goldenen Zeitalter der 1950er Wand europäischer Wahllokale werden. Die Entscheidungsare- und 1960er Jahre erheblich geschrieben. In den letzten fünf nen verlagerten sich vermehrt zugenommen. Dabei verschärft Jahrzehnten sank der durch- auf deregulierte Märkte, globa- sich jedoch das soziale Se- schnittliche Wähleranteil der le Firmen, weltumspannende lektionsproblem. Aktivitäten Volksparteien Westeuropas von Banken, finanzstarke Lobbys in zivilgesellschaftlichen Orga- 60 auf 40 Prozent. Die Volkspar- sowie supranationale Organi- nisationen wie Amnesty Inter- teien waren aber die politischen sationen und Regime. Zentrale national, Greenpeace, Attac, Integrationsmaschinen par ex- Politikfelder wie die Finanz- und Human Rights Watch oder cellence in den Nachkriegsde- Fiskalpolitik, aber auch Berei- Transparency International sind mokratien Europas. Verlieren che wie die Sozial- und Bil- 20 1/2013 Politik unterrichten dungspolitik würden maßgeb- und empirisch meist nicht be- Hochzeit der politischen Partei- lich von außen bestimmt. Ganz gründet. Auch die postdemo- en gehört dem 20. Jahrhundert im postdemokratischen Sinne kratische Annahme, dass es an; die unteren Schichten wer- deklarieren Regierende biswei- früher - in einem imaginierten den politisch marginalisiert; die len zentrale Entscheidungen Goldenen Zeitalter der Demo- Macht der Banken und globa- wie die Bankenrettung, Hilfspa- kratie - besser gewesen sei, ist ler Unternehmen ist immens kete zur Rettung des Euro oder kaum haltbar. Man frage nur, ob angestiegen; die Globalisierung den Export deutscher Sparpoli- ein Afroamerikaner in den USA der Märkte, der Probleme und tik kurzerhand als Sachzwänge, der 1950er Jahre, eine Schwei- der politischen Entscheidungen zu denen es keine Alternativen zer Frau in den 1960er Jahren fordert die nationalstaatlichen gebe. Wäre dies der Fall, wür- oder Homosexuelle in Europa Demokratien zu Beginn des de die Demokratie tatsächlich und anderswo in den 1970er 21. Jahrhunderts heraus. Die- eine ihrer zentralen Legitima- Jahren nicht lieber heute leben se Probleme ernst zu nehmen, tionsquellen verlieren, nämlich würden als damals, und die ihre unterschiedlichen Wirkun- die demokratische Auseinan- Annahme glorreicher demokra- gen auf die Demokratien so- dersetzung darüber, welches tischer Vergangenheit entpuppt wie deren Reaktionsweisen zu die besten Lösungen sind, die sich als eine Chimäre. Auch verstehen, bedarf theoretisch dem Gemeinwohl, das heißt wäre zu fragen, warum nach fundierter und empirisch solider den Bürgern dienen. Wie weit 50 Jahren permanenter Krise Analysen. Gerade daran man- eine solche Delegitimierung keine der entwickelten Demo- gelt es. Unser Forschungspro- schon stattgefunden hat, kann kratien je zusammengebrochen jekt zur Krise der Demokratie erst eine empirische, internati- ist. Dennoch ist die Krisenfra- soll diesen Mangel beheben onal vergleichende Analyse zu- ge ernster zu nehmen, als sie helfen. tage fördern. der empiriefernen postdemo- Alarmistische Krisenszenari- kratischen Empörungsliteratur- en für die Zukunft der entwi- zu überlassen. Es verschieben ckelten Demokratien sind the- sich die Legitimitätsachsen de- oretisch wenig überzeugend mokratischen Regierens; die

Literatur

Crozier, Michel/Huntington, Samuel P./Watanuki, Joji: The Crisis of Democracy. Report on the Governability of Democracies to the Trilateral Commission. New York: New York University Press 1975. Crouch, Colin: Post-Democracy. Cambridge: Polity Press 2004. Merkel, Wolfgang (2004): „Embedded and Defective Democracies“. In: Aurel Croissant/Wolfgang Merkel (Eds.): Consolidated or Defective Democracy? Problems of Regime Change. Special Issue of Democratization, Vol. 11, No. 5, 2004, S. 33-58. Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. Schumpeter, Joseph A.: Capitalism, Socialism, and Democracy. New York: Harper & Brothers 1942.

Friedensbildung an Schulen - Praxis und Prinzipien Fortbildung für LehrerInnen, LehramtsanwärterInnen und -StudentInnen Sek. I + II

Was? Präsentation didaktisch und methodisch aufgearbeiteter Unterrichtseinheiten zu (gewaltfreien) Interventionen in gewalttätigen Konflikten (in Lateinamerika, Afrika und Asien), mit deren Ursachen, Verläufen und möglichen Lösungen sowie Diskussion grundsätzlicher Fragestellungen der Indoktri- nation und Kontroversität sowie der Bedeutung von Frieden im Unterricht. Wann? 5.9.13 (9.30-16.30) Wo? Essen Wie? Anmeldung: Kai-Uwe Dosch, BSV, Tel. 0571 29456, E-Mail [email protected] Preis: GEW-Mitglieder 30,- €, Nichtmitglieder 60,- €

Gewerkschaft Deutscher Bund für Soziale Erziehung und Gewerkschaftsbund Verteidigung Wissenschaft NRW NRW Bildungswerk

21 Politik unterrichten 1/2013

Über eindimensionale Kompetenz. Eine Ana- lyse des Kapitels „Unternehmen“ aus dem Schulbuch „Kompetenz Politik-Wirtschaft" Moritz-Peter Haarmann

teraturverzeichnis aufgeführten an der Sache vorbeigeht (also Link zur Mediathek des ZDF meiner Einschätzung, dass die oder das Manuskript zum Bei- Perspektiven der Beschäftigten trag: Bühren/Doyé/Stoll 2013, im Rahmen des Kapitels allen- 3). falls eine untergeordnete Rolle Meine Einschätzung er- spielen). scheint mir unter fachdidakti- Zunächst ist zu konstatieren, schen Gesichtspunkten als in dass das IÖB die Inhalte der der Sache zurückhaltend. Trotz- ersten vier Unterkapitel vollstän- dem reagiert das IÖB in einer dig übergeht und stattdessen Replik auf den Frontal-21-Bei- schlagwortartig die unverfängli- trag wenig sachlich auf meine chen Themen der zweiten Hälf- Im Rahmen des Beitrages Äußerung (vgl. IÖB 2013, 5 f.). te des Schulbuchkapitels skiz- "Schüler unter Einfluss - Lob- Diesen Stil möchte ich nicht ziert.1 byisten im Klassenzimmer", der erwidern. Eingehen muss ich Damit verschweigt das IÖB Teil der Sendung „Frontal 21“ aber auf die Behauptung des einen für meine fachdidaktische vom 30. April 2013 war, wurde u. IÖB, dass die Interessen der Einschätzung des Schulbuchka- a. die Arbeit des Instituts für Öko- Beschäftigten in dem Kapitel pitels sehr relevanten Teil! Denn nomische Bildung (IÖB) mit Sitz „angemessen herausgearbeitet“ als maßgeblich für meine Ein- in Oldenburg (Niedersachsen) würden (IÖB 2013, 5). schätzung, dass die Perspek- beleuchtet. In diesem Zusam- Die Vernachlässigung der tiven der Beschäftigten durch menhang wurde auch eine von Arbeitnehmerperspektive wer- das Kapitel stark vernachlässigt meiner Person vorgenommene de ich im Folgenden durch eine werden, erscheint die eingangs fachdidaktische Einschätzung Analyse des Schulbuchkapitels im Schulbuchkapitel formulier- eines Kapitels aus dem Schul- belegen (vgl. I.: Analyse des te Leitfrage „Was sind die un- buch „Kompetenz Politik-Wirt- Schulbuchkapitels; S. 22-29). terschiedlichen und was sind schaft“ (Kaminski 2007) zitiert. Der Analyse des Schulbuchka- die gemeinsamen Ziele in ei- Das Buch richtet sich an den 9. pitels nachtragen möchte ich Jahrgang des Gymnasiums. wenige Bemerkungen über den Am einleitenden Kapitel Zusammenhang, in den das IÖB (das den Titel „Unternehmen“ seine Gegenbehauptung stellt 1 Vorenthalten wird den Lese- trägt) habe ich kritisiert, dass (vgl. II: Nachtrag und Schluss;S. rinnen und Lesern der Replik die Schülerinnen und Schüler 29 f.). nicht nur der für meine Aus- sage besonders maßgebli- sich vorrangig mit der Arbeit- Insgesamt komme ich zu che Inhalt des Unterkapitels gebersicht konfrontiert sehen, dem Ergebnis: Das niedersäch- 2 (vgl. die nachfolgenden während die Perspektiven der sische Kultusministerium sollte Ausführungen). Außerdem Beschäftigten allenfalls eine un- die Zulassung des Lehrwerks ungenannt bleiben das eine tergeordnete Rolle spielen. Im für das Unterrichtsfach Politik- Seite umfassende einfüh- vollen Wortlaut habe ich in der Wirtschaft dringend überprüfen! rende erste Kapitel, in dem kurzen Interviewpassage, die in sich die Lernenden vor al- dem Beitrag von mir zu hören I. Analyse des Schulbuchka- lem mit den betrieblichen Grundfunktionen auseinan- war, gesagt: „Am Beispiel des pitels dersetzen sollen (Kaminski Kapitels ‚Das Unternehmen‘ 2007, 10), das Unterkapitel würde sich zum Beispiel zeigen Das IÖB behauptet in seiner 3, in dem (beschränkt auf die lassen, dass die Schülerinnen Stellungnahme zu dem Frontal- Unternehmer- bzw. Eigentü- und Schüler dort vor allen Din- 21-Beitrag, dass meine oben im mersicht) Aspekte der Unter- gen mit der Perspektive des vollen Wortlaut zitierte Einschät- nehmensführung behandelt Unternehmers konfrontiert wer- zung des Schulbuchkapitels werden (ebd., 16 ff.) und das den, und diese Perspektive wird „schlichtweg falsch und unhalt- der betriebswirtschaftlichen auch als legitim dargestellt. Die bar“ sei (IÖB 2013, 5). Als Nach- Organisation (Aufbau- und Perspektiven der Beschäftigten weis für diesen Vorwurf soll eine Ablauforganisation eines Un- ternehmens) gewidmete Ka- spielen allenfalls eine unterge- defizitäre inhaltliche Skizze der pitel 4 (ebd., 19-23). ordnete Rolle“ (vgl. den im Li- Lehrbuchdarstellung dienen, die 22 1/2013 Politik unterrichten nem Unternehmen?“ (Kaminski „preislich attraktive Ware bis hin analysiert werden. Der Inhalt 2007, 9).2 Dieser Leitfrage wird zu hochwertigen Markenartikeln“ des umfangreichen Interviews in dem Schulbuch das Unterka- anbietet. Dass Frankreich das (als Quelle wird ausgewiesen: pitel 2 zugeordnet, das den Titel offensichtlich maßgebliche Ex- „Eigeninterview vom 24. Ap- „Unternehmen und Beschäftig- portland von entsprechenden ril 2007“) ist wie folgt zusam- te haben Ziele“ trägt (vgl. ebd., Modeartikeln ist, haben die Ju- menzufassen (vgl. Kaminski 11) und die Seiten 11-15 des gendlichen dann bereits mittels 2007, 12f.): Ein Unternehmer Lehrwerks umfasst. Daher be- der dem „Steckbrief“ unmittel- müsse unbedingt Gewinne er- fasse ich mich im Folgenden bar vorausgehenden Grafik 11.1 zielen, auch um Arbeitsplätze zunächst mit der didaktischen „Ein Einzelhandelsgeschäft hat schaffen zu können. Außerdem Strukturierung dieses Unterka- viele Aufgaben“ (ebd.) erfahren, könne er mit den Gewinnen pitels. Daran anschließend folgt mittels derer dieser Fehlschluss soziale Projekte unterstützen, eine Auseinandersetzung mit tatsächlich nahegelegt wird.5 um die sich sonst niemand den durch das IÖB zu seiner Dieser Einstieg erscheint kümmere (vgl. ebd., Z1-32). Es Entlastung vorgebrachten Un- zwar in seiner konkreten Form gebe zwar in der Öffentlichkeit terkapiteln. als problematisch und didak- auch noch dieses andere Un- Unterkapitel 2 wird den tisch fragwürdig – schließlich Schülerinnen und Schülern handelt es sich um eine Schul- damit eröffnet, dass hier eine buchdarstellung und nicht um Auseinandersetzung „mit den eine Werbebroschüre des Mo- 2 Auf der einführenden Dop- Zielen und Aufgaben von Unter- dehauses, das zumindest in der pelseite des Kapitels werden nehmen sowie mit den Perso- 160. 000-Einwohnerstadt Olden- den Schülerinnen und Schü- lern durch Leitfragen die In- nen (Unternehmer, Arbeitneh- burg jeder Schüler kennen dürf- halte der acht Unterkapitel mer und Arbeitnehmerinnen)“ te. eröffnet. 3 erfolgen soll (ebd., 11). „Als Dass aber an dieser Stelle 3 Man beachte die Geschlech- anschauliches Beispiel“ soll zunächst eine allgemeine Aus- terzuschreibung, die hier vor- „ein Einzelhandelsgeschäft“ einandersetzung mit den Zielen genommen wird: Warum wird dienen (ebd.). Als „Modell“ wur- des Unternehmens als Wirt- in einer Schulbuchdarstel- de dabei das real existierende schaftsakteur evoziert wird, ist lung die Gruppe der Unter- Oldenburger Einzelhandelsun- aus meiner Sicht ein gangbarer nehmer auf das generische ternehmen Leffers GmbH & Co. Weg. Zu fordern ist dann aber Maskulinum beschränkt, während bei den Beschäf- KG gewählt, das in Niedersa- unbedingt, dass auf diese allge- tigten an beide Geschlechter chen über Standorte in Olden- meine Einführung eine gleich- gedacht wird? Wie für die 4 burg und Leer verfügt. berechtigte Auseinandersetzung hier analysierte Lehrbuch- Jeweils ein Foto von der Fi- mit den speziellen Interessen darstellung typisch, handelt liale des Modehauses in Olden- der Beschäftigten und mit den es sich bei der Textgrundla- burg sowie von der Geschäfts- speziellen Interessen des Arbeit- ge übrigens um einen Auto- führung des Unternehmens ist gebers folgt. rentext (es ist also keine Ver- den Schülerinnen und Schülern Und an diesem zentralen antwortungsdelegation an übrigens schon im Rahmen Punkt scheitert die Schulbuch- beispielsweise den Verfasser einer Primärquelle möglich). der einführenden Doppelseite darstellung: Der Arbeitgeber- 4 Außerdem war das Unter- begegnet – das Foto von dem perspektive widmet sich das nehmen zum Zeitpunkt der Oldenburger Standort des Un- Lehrbuch auf breitem Raum. Veröffentlichung des Schul- ternehmens, bei dem Logo und Zunächst wird dem Inhaber des buchs in zwei weiteren Bun- Schriftzug von Leffers ins Auge Modehauses Leffers auf einer desländern mit jeweils einem fallen, wurde dort prominent vollen Doppelseite ausführ- Standort präsent (vgl. Ka- platziert und füllt mehr als die lich Gelegenheit gegeben, sein minski 2007, 11). Hälfte des Platzes der Doppel- unternehmerisches Interesse 5 Im Rahmen der Grafik 11.1 seite aus (ebd., 8 f.). Auf Sei- darzustellen (Kaminski 2007, („Ein Einzelhandelsgeschäft hat viele Aufgaben“), die te 11 nun wird den Lernenden 12 f.). Das entsprechende In- unmittelbar unter der Über- das Unternehmen mittels eines terview liest sich, als ob es der schrift 2.1 „Das Modehaus Steckbriefes vorgestellt. Unter Marketingabteilung eines Wirt- Leffers: ein Einzelhandels- anderem ist dort die „Besonder- schaftsverbandes entstamme unternehmen“ platziert wur- heit am Standort Oldenburg“ zu – Zielrichtung: Verbesserung de, heißt es unter der Rubrik erfahren: „Leffers ist das größte des Unternehmerbildes in der „Raumüberbrückung“ (unge- Modehaus der Stadt mit über 10 Bevölkerung und unkritische kürzt zitiert): „Überbrückung 000 qm Präsentations- und Ver- Akzeptanz der Marktwirtschaft. der räumlichen Distanz zwi- kaufsfläche“. Unter der Rubrik Fachdidaktisch sinnvoll könnte schen Produkt und Verbrau- cher (Frankreich-Deutsch- „Preispolitik“ lernen die Jugend- der Inhalt des Interviews z. B. land)“ (Kaminski 2007, 11). lichen, dass das Modehaus unter Marketinggesichtspunkten 23 Politik unterrichten 1/2013

ternehmerbild, demgemäß der gesamten Kapitel vergeblich! zu unterscheiden. Die fiktive Unternehmer nur eigennützig Überhaupt fehlt dem Interview Person erklärt, „viel Verantwor- handele. Dieses Bild werde vergleichbares Material, das tung“ zu haben, für die sie „aber der Realität aber nicht gerecht. die Lernenden dazu animiert, in auch nicht schlecht bezahlt“ wer- Profite seien schließlich nichts ähnlicher Weise die Perspekti- de. Zudem verfüge sie über vie- Schlechtes für Unternehmen. ven der Arbeitnehmerinnen und le Freiheiten bei der Gestaltung Und bei dem Typus des unso- Arbeitnehmer zu erschließen. ihres Arbeitsalltages. Maßgeb- zialen Unternehmers handele Nach einem kurzen Exkurs auf lich ist für sie außerdem die im es sich um Einzelfälle. Typisch Seite 14, der öffentlichen Unter- zurückliegenden Quartal erziel- sei vielmehr der sozial verant- nehmen gewidmet ist, wird das te Absatzsteigerung, auf die sie wortungsvolle Unternehmer, der Unterkapitel stattdessen mit ei- auch ganz persönlich stolz sei, zum Wohle seiner Mitarbeiter nem Rollenspiel abgeschlossen, und die Tatsache, dass es nicht und seiner Region handelt (vgl. das sich ausweislich seines Sze- immer leicht sei, die Mitarbeiter ebd., Z 33-86).6 Persönliche narios („Unterschiedliche Ziele auf die harten Wettbewerbsbe- Ziele habe man als Unterneh- von Unternehmen und Beschäf- dingungen einzuschwören, die mer aber auch: unternehme- tigten“) endlich auf die Leitfrage nun einmal im Textileinzelhan- risch handeln können, am liebs- des Unterkapitels zu beziehen del und im Unternehmen herr- ten ohne Hierarchien im Betrieb scheint (ebd., 15).7 schen (ebd., 15). (vgl. ebd., Z 87-131). Eigen- Doch auf welcher inhaltlichen Die ihr untergebene „Ver- schaften, die man als Unterneh- Grundlage findet dieses Rollen- käuferin“ führt zunächst aus, mer benötige, seien Mut, soziale spiel statt? Zunächst wird hier dass in der Abteilung „ein ganz Kompetenz sowie Spaß an der die Rolle „Eigentümer des Unter- gutes Arbeitsklima“ herrsche. Arbeit und Spaß an Entschei- nehmens“ genannt. Als Grund- Auch ihre Abteilungsleiterin hält dungen (vgl. ebd., Z 132-160). lage der Auseinandersetzung sie für „ganz nett“, allerdings Die unangenehmste Aufgabe soll abermals das doppelseitige sei es, Mitarbeiter zu entlassen. Interview genutzt werden, das Das mache kein Unternehmer den Schülerinnen und Schülern gerne (vgl. ebd., Z 161-195). inzwischen ja gut bekannt sein Ethische Maßstäbe gehörten dürfte. Als weitere Rollen sind 6 Es wird übrigens nicht proble- zum unternehmerischen Han- vorgesehen: Abteilungsleiterin, matisiert, dass die beiden in deln unbedingt dazu. Man müs- Verkäuferin, Handwerksmeister, diesem Kontext explizit vom se jeden Mitarbeiter lieben [sic!] Leiterin eines Museums. Interviewpartner genannten und ihm das auch zeigen, z. B. Wer nun aber erwartet, zu- ‚heimischen‘ Modeausstatter durch übertarifliche Leistungen. mindest für die beiden klassi- „S. Oliver (Rottendorf)“ und „Gerry Weber (Halle/Westfa- Außerdem versorge man ja die schen Arbeitnehmerrollen auf len)“ – wie in der Textilindus- Konsumenten oder andere Un- ähnlich umfangreiches Material trie üblich – an den genann- ternehmen. Und auch soziales zu stoßen, wie es zur Assoziation ten Standorten lediglich ihren oder ökologisches Engagement mit der Rolle des Unternehmers Sitz haben und noch nie in gehöre dazu (vgl. ebd., Z 196- geboten wird, wird enttäuscht. einem erwähnenswerten 240). „Aber noch einmal [zum Es sind lediglich zwei vorformu- Umfang in Deutschland pro- dritten Mal auf zwei Seiten, M-P. lierte Rollenkärtchen, die den duziert (S. Oliver) bzw. ihre H.]: All diese Ziele lassen sich Schülerinnen und Schülern zur Produktion bereits vor vielen nicht anstreben, wenn ein Un- Einfühlung in die Perspektiven Jahren ins Ausland ausge- lagert haben (Gerry Weber). ternehmen keine Gewinne er- der Beschäftigten geboten wer- Übrigens nicht nach Frank- zielt“ (ebd., Z 241-244; zugleich den. Quantitativ machen sie reich … Schlusssatz). zusammen etwa 25% des Um- 7 Als Leitfrage von Unterkapi- Die Lernenden sollen auf fangs der Antworten des Mode- tel 2 wurde von den Autoren Grundlage dieses Interviews hausinhabers aus, anhand derer formuliert: „Was sind die un- zwei Aufgaben lösen: „1. Su- sich die Lernenden abermals die terschiedlichen und was sind che im Interview nach ökono- Perspektive des Unternehmers die gemeinsamen Ziele in mischen und sozialen Zielset- erschließen sollen.8 In qualitati- einem Unternehmen?“ (Ka- zungen des Unternehmers. 2. ver Hinsicht fragt man sich, wie minski 2007, 9 / Zuordnung der Leitfrage zu Unterkapitel Stelle die deiner Ansicht nach Schülerinnen und Schüler sich 2: vgl. ebd., 11). wesentlichen Zielsetzungen ei- auf Grundlage des hier gebo- 8 Vgl. den textlichen Umfang nes Unternehmens zusammen“ tenen Materials überhaupt typi- der beiden vorformulierten (Kaminski 2007, 13). sche Perspektiven von Beschäf- Rollenkärtchen (Kaminski Entsprechende Fragen bzgl. tigten erschließen sollen. 2007, 15) mit dem textlichen der Interessen von Beschäftig- So ist die Rolle der Abtei- Umfang der Antworten des ten sucht man sowohl in dem lungsleiterin nur unwesentlich zu seinen Zielen interviewten Unterkapitel als auch in dem von der Rolle des Unternehmers Unternehmers (ebd., 12 f.) 24 1/2013 Politik unterrichten verlange diese auch viel. „Und sprechende Perspektive aus gung einer entsprechenden Ar- wenn es nicht so richtig läuft, Arbeitnehmersicht gegenüber- beitnehmerperspektive verzich- dann kann sie ganz schön ner- gestellt (z. B. durch ein entspre- ten! vig werden. Ich verstehe das ja, chend unkritisch-affirmatives Mit dieser einseitigen Dar- aber sie verdient schließlich gut Interview mit einem Gewerk- stellung über die Ziele von Un- und dafür kann sie auch mehr schaftsvertreter oder einem Be- ternehmern und Beschäftigten tun“ [sic!]. Auch die Verkäuferin triebsrat, der Beschäftigte aus ist die Beantwortung der Leit- erlebt ihre Arbeit manchmal als dem Einzelhandel vertritt) – es frage nach den „unterschied- anstrengend, weil sie viel auf braucht wenig Phantasie, dass lichen und (…) gemeinsamen den Beinen sei und den Kun- dann die meisten der oben von Ziele[n] in einem Unternehmen“ den stets freundlich begegnen mir genannten Punkte berück- (Kaminski 2007, 9) in diesem müsse. Auch dafür zeigt sie sichtigt worden wären. In Er- Schulbuch abgeschlossen. Lei- aber Verständnis, denn „Wenn mangelung einer entsprechen- der ignorieren die Vertreter des ich mich falsch verhalte, dann den Gegenperspektive muss IÖB in ihrer Stellungnahme zum kommt er oder sie nie wieder in aber konstatiert werden: Hier Frontal-21-Beitrag diese sehr unseren Laden“ (ebd.). wird nicht nur sehr einseitig in- offensichtliche Schieflage hin- Wo finden sich in einer formiert, hier scheint darüber sichtlich der Berücksichtigung dieser hier sinngemäß wie- hinaus sogar der Weg zur Über- von Arbeitgeber- und Arbeitneh- dergegebenen Rollenkarten wältigung der Schülerinnen und merinteressen völlig! die klassischen Probleme von Schüler beschritten zu werden! Stattdessen behauptet das Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Die inhaltlich belanglosen Rol- IÖB, dass die Arbeitnehmerin- nehmern im Einzelhandel? Bei- lenkärtchen, die den Lernenden teressen „im genannten Kapitel spielhaft genannt seien: hier als Arbeitnehmerperspekti- (…) dezidiert und angemesse- ve verkauft werden, erscheinen nen herausgearbeitet werden“ -- Die Frage nach einem Min- als falsch betitelt und daher als (IÖB 2013, 5). Diese Gegen- destlohn für die einfachen irreführend: Die Rollenzuschrei- behauptung wird durch keine Beschäftigten. bungen „Abteilungsleiterin, wie Sachargumentation begründet. -- Die Behinderung der Bildung sie sich der Arbeitgeber wünscht“ Als vermeintlichen Beleg für die von Betriebsräten durch die und „Verkäuferin, wie sie sich angeblich ausgewogene Schul- Filial- oder Geschäftsleitun- der Arbeitgeber wünscht“ wären buchdarstellung skizzieren die gen. treffender. Vertreter des IÖB lediglich in -- Das verbreitete Problem von Auf der Grundlage des hier wenigen Zeilen schlagwortartig regelmäßigen Überstunden. gebotenen Materials aber muss die thematischen Aspekte, die in -- Die weite Verbreitung von der Schüler glauben (sofern er den Unterkapiteln 5 („Arbeitsbe- Beschäftigungsverhältnis- nicht über ein wirksames Kor- ziehungen in einem Unterneh- sen, die nicht sozialversi- rektiv wie eine kritische Fachleh- men“), 6 („Mitbestimmung – die cherungspflichtig sind und rerin/einen kritischen Fachlehrer gesetzlichen Regelungen“), 7 damit u. a. in die Altersarmut oder ein kritisches Elternhaus („Wie gerecht kann Lohn sein?“) führen. verfügt), dass es selbst auf der und 8 („Tarifverträge und Tarif- -- Die Frage der Organisation Ebene der einfachen Einzel- autonomie“) behandelt werden. und Finanzierung der Kin- handelskaufleute (bzw. der vie- Es wird innerhalb der Fach- derbetreuung. len ungelernten Verkäuferinnen didaktik unumstritten sein, dass -- Die Sorge vor Entlassun- und Verkäufer) keine Probleme die Behandlung entsprechender gen. mit Lohn, sozialer Absicherung thematischer Aspekte des Un- -- Der niedrige gewerkschaft- oder betrieblicher Mitsprache terrichtsgegenstandes „Unter- liche Organisationsgrad im gibt. Und gerade auch durch das nehmen“ in einem für das Un- Einzelhandel. ausführliche Interview mit dem terrichtsfach Politik-Wirtschaft -- Die verbreiteten illegalen Inhaber des Modehauses Lef- zugelassenen Schulbuch für Kontrollen der Beschäftigten fers (der u. a. auf die übertarif- sich genommen keinen Aus- z. B. durch Detekteien und/ lichen Leistungen seines Unter- weis einer besonderen Ausge- oder interne Videoüberwa- nehmens verweist) erschließen wogenheit darstellt. Die Berück- chungen. sich die Schülerinnen und Schü- sichtigung solcher Unterthemen -- Die (gerade auch für den ler ein Bild, das wohl kaum als erscheint schlichtweg als Einzelhandel typische) Ver- repräsentativ für die Realität im selbstverständlich. Man stelle breitung von befristeten Be- deutschen Einzelhandel gelten sich einmal den Kultusminister schäftigungsverhältnissen. kann. Im Hinblick auf die poli- einer „Volkspartei“ vor, der sei- tisch-ökonomische Bildung der nen Wählerinnen und Wählern Hätten die Autoren der aus- Lernenden erscheint es umso erklären muss, dass ihren Kin- führlich dargestellten Arbeit- dramatischer, dass die Autoren dern bei der Behandlung des geberperspektive eine ent- konsequent auf die Berücksichti- Themas „Unternehmen“ im Un- 25 Politik unterrichten 1/2013

terrichtsfach Politik-Wirtschaft z. chend lebensnahe, problem- ze gekündigt, weil ihm we- B. die bestehenden gesetzlichen orientierte und auf den Erwerb gen Trunkenheit am Steuer Regelungen zur betrieblichen von kritischer Urteils- und Hand- die Fahrerlaubnis entzogen Mitbestimmung vorenthalten lungskompetenz ausgerichtete wurde (außerordentliche werden. Ob solche Inhalte in ei- Behandlung des Themas ver- Kündigung)“. Obwohl die ner entsprechenden Schulbuch- zichtet? Berichterstattung von Nach- darstellung behandelt werden, Dann wird i. d. R. im Sinne ei- richtenmagazinen, Wochen- ist deshalb eine Frage, die ledig- ner affirmativen und relativ abs- zeitungen oder überregiona- lich mit „selbstverständlich ja!“ trakt bleibenden Wirtschaftskun- len Tageszeitungen voll von beantwortet werden kann. Ent- de verfahren, die lediglich den aussagekräftigen Praxisbei- scheidend ist, wie diese Themen „status quo“ thematisiert – also spielen ist – über relevante durch ein Schulbuchkapitel ver- etwa die Lernenden mit den ge- Auseinandersetzungen aus mittelt werden. Als interessant setzlichen Regelungen konfron- dem Arbeitsrecht wird ja erscheinen dabei beispielsweise tiert, die nun einmal hinsichtlich regelmäßig und anschau- die folgenden Fragen: der betrieblichen und der unter- lich berichtet - wird in dem nehmerischen Mitbestimmung in Schulbuchkapitel konse- 1. Wird bei der Darstellung der Deutschland gelten. Dabei wird quent darauf verzichtet, ent- politisch-ökonomischen Rea- dann z. B. darauf verzichtet, die sprechende Praxisbeispiele lität hinreichend problemori- historische Genese dieser Re- zu nutzten. Stattdessen wird entiert verfahren, so dass die gelungen zu beleuchten oder lediglich eine Aufgabe, in Lernenden z. B. bei dem The- die Jugendlichen (entweder in der Schülerinnen und Schü- ma „betriebliche Mitbestim- diesem Zusammenhang oder ler dazu angeregt werden, mung“ vor dem Hintergrund separat) mit typischen Beur- „Beispiele für die einzelnen konkreter und hinreichend teilungen hinsichtlich der Voll- Ebenen der Mitbestimmung“ komplexer Praxisbeispiele ständigkeit oder der Legitimität bei einem Betriebsrat in Er- nachvollziehen können, in dieser Regelungen bekannt zu fahrung zu bringen, geboten welchen Situationen diese machen (z. B. aus Sicht der Ar- (ebd., 29). Hier sticht einmal überhaupt greift (bzw.: wo sie beitnehmer: „soziale Errungen- mehr die unterschiedliche nicht greift)? schaft“ oder „nicht weitgehend Berücksichtigung der Inter- genug“ / aus Sicht der Arbeit- essen von Arbeitgebern und 2. Wird z. B. problematisiert, geber: „Beispiel eines legitimen Arbeitnehmern hervor: Wäh- dass Beschäftigte in einigen Interessenausgleiches durch die rend erstere den Lernenden Branchen regelmäßig syste- Wirtschaftspolitik“ oder „Weg in in der Schulbuchdarstellung matisch daran gehindert wer- die Enteignung“). wie oben gezeigt gewisser- den, ihre mit der betrieblichen Eine Analyse der Darstellung maßen auf einem Silbertab- Mitbestimmung verbundenen des Themas „Mitbestimmung“ lett serviert werden, müssen Rechte zu nutzen (z. B. einen im entsprechenden Unterkapi- sich die Lernenden beim Betriebsrat überhaupt zu bil- tel von „Kompetenz Politik-Wirt- Thema „betriebliche Mit- den)? schaft“ zeigt, dass dort ziemlich bestimmung“ allen Ernstes konsequent der Weg einer sol- selbst einen adäquaten In- 3. Wird z. B. deutlich gemacht, chen affirmativen Wirtschafts- terviewpartner organisieren, was für eine soziale Errun- kunde beschritten wird (vgl. Ka- um sich in vergleichbarer genschaft die Durchsetzung minski 2007, 27-33): Weise mit der Arbeitnehmer- einer breiteren unternehme- perspektive auseinanderset- rischen Mitbestimmung in (1) Mit den Mitwirkungs- und Mit- zen zu können. den 1970er Jahren aus Ar- bestimmungsrechten des Be- Von einem inhaltlich ausge- beitnehmersicht war, wie un- triebsrates werden die Schü- wogenen Schulbuch wäre vollkommen diese aus Arbeit- lerinnen und Schüler durch an dieser Stelle zu erwarten, nehmerperspektive trotzdem entsprechende Zitate aus dass die Arbeit des Betriebs- erscheinen kann (mit Aus- dem Betriebsverfassungs- rates im Gang der Darstel- nahme der Montanindustrie gesetz konfrontiert (ebd., 30 lung hinreichend mit Praxis- mangelnde Parität zwischen ff.). Der Geltungsbereich der beispielen illustriert wird. Es Arbeitgeber- und Arbeitneh- Gesetzesauszüge wird da- erscheint hingegen kaum mervertretern, Beschränkung bei teilweise anhand eines realistisch, dass Lehrerinnen auf große Personengesell- fiktiven Beispiels illustriert, und Lehrer diese Aufgabe schaften) oder wie kritisch etwa beim Anhörungsrecht in einem „Nebenfach“ und sie nach wie vor von vielen des Betriebsrates durch das einem thematisch dichten Arbeitgebern beurteilt wird? folgende Fallbeispiel: „Bei Lehrplan im Unterricht stel- 2. der Speditionsfirma Gust- len. Wie das IÖB im Rahmen Oder aber wird auf eine entspre- wird dem Fernfahrer Hen- seiner Replik auf den Fron- 26 1/2013 Politik unterrichten

tal-21-Beitrag korrekt darge- trieblichen oder unterneh- Gedanken zu machen (ebd., 34 stellt hat, umfasst allein das merischen Mitbestimmung f.). Dass es dabei z. B. nicht um hier geprüfte Kapitel ins- hinreichend ist (oder, wie die Frage geht, ob oder inwie- gesamt 47 Seiten (vgl. IÖB aus Arbeitgeberperspektive fern die Millionengehälter deut- 2013, 5) – und diese sind ja teilweise nahegelegt wird, scher Top-Manager leistungs- im Rahmen einer einzigen bereits zu starke Eingriffe in gerecht sind, vermag vor dem Unterrichtseinheit abzuhan- das Eigentumsrecht beinhal- Hintergrund der in dieser Analy- deln. tet). se schon deutlich gewordenen Einseitigkeit der hier behandel- (2) Situationen, in denen Arbeit- Die durch das Unterkapitel ver- ten Schulbuchdarstellung nicht nehmer an der Ausübung mittelte Arbeitnehmerrolle för- zu überraschen.10 Themati- ihrer Mitbestimmungsrech- dert eine unkritisch-affirmative siert werden Lohnunterschiede te behindert werden, fehlen Einfügung in die bestehende der berufstätigen Mittelschicht. komplett – es wird sogar Arbeitswelt. Die Entwicklung ei- Die Darstellung in „Kompetenz nahegelegt, dass es sie gar gener Ansprüche an die soziale Politik-Wirtschaft“ führt zu der nicht geben kann. So wird Realität in Unternehmen wird Behauptung „dass die Frage, den Gymnasiasten (neun- nicht gefördert, sondern im Ge- welcher Lohn ‚gerecht‘ ist, ob- te Jahrgangsstufe!) „Harry genteil eher behindert. jektiv nicht zu beantworten“ sei Hurtig“ vorgestellt - „eigent- (ebd., 34). lich ein netter Kollege, aber Auch das anschließende Un- Diese Behauptung spiegelt ein geborener Pessimist, terkapitel 7 „Wie gerecht kann freilich keine Sachlage, sondern dem manchmal die Fanta- Lohn sein?“ (Kaminski 2007, eine Meinung wider - einen sie durchgeht“ (ebd., 28). 34-41) ist – trotz der vielverspre- wirtschaftsliberalen Standpunkt, Harry Hurtig personifiziert chenden Fragestellung – nicht wie er im Hinblick auf das The- deutlich sichtbar den Typus geeignet, um meinen Vorwurf zu ma selbstverständlich vertreten eines Arbeitnehmers, der widerlegen. Im Gegenteil wird werden kann und (insbesonde- von den meisten Arbeit- die von mir gezogene Bilanz, re in Arbeitgeberkreisen) auch gebern weniger geschätzt die im Frontal-21-Beitrag im Hin- regelmäßig vertreten wird. Die wird – er berichtet dem Be- blick auf das Schulbuchkapitel gleiche Legitimität kommt al- triebsratsmitglied „Hansi zu hören war (die Vernachlässi- lerdings dem gegensätzlichen Löb“ u. a. Folgendes (ebd.): gung der Arbeitnehmerperspek- Standpunkt zu, wonach es ei- „Kemper und Voss können tive durch die Schulbuchdarstel- nen objektiven Maßstab zur Be- in zwei Monaten gleich zu lung), bei einer Analyse dieses urteilung der Lohnhöhe gibt. Hause bleiben. Dann kom- Teils abermals bestätigt. In der Fachdidaktik Politik- men die neuen Maschinen Zu erwarten wäre unter der Wirtschaft kann diese Gegenpo- und daran sind beide nicht Voraussetzung einer ausgewo- sition stark ausdifferenziert wer- ausgebildet.“ Die Antwort genen Schulbuchdarstellung u. den – das Spektrum relevanter seines fiktiven Kollegen fällt a., dass in diesem Zusammen- Positionen ist so breit, dass un- barsch aus: „‘Harry (…) halt hang das gesellschaftliche Pro- möglich alle diese Standpunkte lieber die Klappe, du redest blem prekärer Beschäftigungs- innerhalb einer Schulbuchdar- dummes Zeug!‘“.9 Grund für verhältnisse behandelt wird. stellung berücksichtigt werden diese Reaktion: „Hansi Löb Schließlich sind ausweislich können. In entsprechenden kennt sich aus“ und weiß diverser Studien Millionen von Fällen ist den Schülerinnen deshalb u. a., dass der „Vor- Arbeitnehmerinnen und Arbeit- und Schülern aber wenigstens gesetzte mit Kemper und nehmern von diesem sozialen Voss z. B. eine innerbetrieb- Problem betroffen – mit all den liche Weiterbildung erörtern damit für den Einzelnen und die [müsste]“ (ebd.). Gelernt Gesellschaft verbundenen nega- 9 Hier wird die volle Antwort werden kann an diesem Bei- tiven Folgewirkungen wie gegen- der fiktiven Person zitiert, die von mir lediglich um den Ein- spiel also unter anderem: Als wärtige niedrige Kaufkraft und schub „mischt sich Betriebs- Arbeitnehmer auf gar keinen zukünftige Altersarmut. In dem ratsmitglied Hansi Löb ein“ Fall zu kritisch sein, es hat der Frage der Lohngerechtigkeit gekürzt wurde (vgl. ebd.). schon alles seine Ordnung gewidmeten Unterkapitel von 10 Vor dem Hintergrund des im Betrieb! „Kompetenz Politik-Wirtschaft“ gewaltigen öffentlichen Inte- finden die Lernenden diese Pro- resses, das diesem Thema (3) Ebenso vergeblich sucht blematik aber mit keinem Wort seit Jahren ausweislich der man nach Materialien, die erwähnt (!). medialen Berichterstattung zu Diskussionen darüber Stattdessen sind die Schüle- zukommt, wäre eine Berück- sichtigung natürlich wün- führen könnten, ob die ge- rinnen und Schüler aufgefordert, schenswert gewesen. genwärtige Form der be- sich über das „Leistungsprinzip“ 27 Politik unterrichten 1/2013

die ergebnisoffene Auseinan- chen) Bezahlung von Frauen he oben), im Gegensatz zu den dersetzung mit einer zentralen gegenüber ihren männlichen (zumindest von ihren Titeln her Gegenposition zu ermöglichen Kollegen sind Ansätze einer ja vielversprechenden) Unter- – andernfalls wird der Weg zur politisch-ökonomischen Bildung, kapiteln 6-8 erschließt sich mir Überwältigung beschritten. die Schülerinnen und Schüler aber nicht, inwiefern den ent- Ausgehend von dem im zu einer selbstständigen ge- sprechenden drei Seiten irgend- Schulbuchkapitel gewählten sellschaftlichen Urteilsfähigkeit eine Relevanz bzgl. der von mir Fallballspiel - zwei ehemalige qualifiziert, auch in diesem Un- kritisierten erdrückenden Domi- Realschüler stellen auf einem terkapitel nicht zu entdecken. nanz der Arbeitgeberperspekti- Klassentreffen fest, trotz einer Im Gegenteil erscheint die voll- ve in dem Kapitel zukommt.11 identischen beruflichen Ausbil- ständige Ausblendung prekärer Vor dem Hintergrund des Rah- dung und einem identischen Beschäftigungsverhältnisse und menthemas des Frontal-21-Bei- Stellenprofil sehr unterschiedlich die Fokussierung auf die so ge- trags allerdings („Lobbyisten im bezahlt zu werden; vgl. Kaminski nannte Leistungsgerechtigkeit Klassenzimmer“) erscheint es 2007, 34 - wäre bei einer ausge- abermals als didaktisch defizi- aber als bemerkenswert, dass wogenen Schulbuchdarstellung tär, da Schülerinnen und Schü- dort wieder einmal das Olden- wenigstens ein Verweis auf das ler hierdurch regelrecht in die burger Modehaus Leffers in Er- Menschenrecht auf eine „ge- Perspektive hineingezwungen scheinung tritt (vgl. die „interne rechte und befriedigende Entloh- werden, die „Gerechtigkeit“ von Stellenausschreibung“ 26.1; Ka- nung“ (Vereinte Nationen 1948, Löhnen (die es ja ohnehin laut minski 2007, 26). Artikel 23) zu erwarten. Immer- der vorliegenden Schulbuchdar- Außerdem in diesem Aufsatz hin heißt es in Artikel 23, § 2 der stellung nicht geben kann) aus- bisher nicht berücksichtigt wur- UN-Menschenrechtskonvention schließlich auf Grundlage des de der separate methodische von 1948 wörtlich: „Jeder, ohne Leistungsprinzips zu beurteilen Teil des Schulbuchkapitels. Die- Unterschied, hat das Recht auf (bzw. dem, was die Autoren des ser widmet sich dem Betriebs- gleichen Lohn für gleiche Arbeit.“ Schulbuchkapitels unter diesem praktikum (ebd., 46f.) sowie der Die Existenz des entspre- Prinzip verstehen). Gründung einer Schülerfirma chenden Menschenrechts wird Das zwei Doppelseiten um- (ebd., 48-53) und mündet in in „Kompetenz Politik Wirtschaft“ fassende Unterkapitel 8, mit der abschließenden Doppel- nicht erwähnt. Stattdessen mün- dem „Tarifverträge und Tarifauto- seite zur „Lernbilanz“ (ebd., 54 det das Fallbeispiel in dem inak- nomie“ behandelt werden (ebd., ff.). Bzgl. der Methodenseiten zeptabel verkürzten Fazit: „Die 42-45), erweist sich dann hin- ist festzustellen, dass sich die Geschichte [der beiden Schul- sichtlich der Berücksichtigung für den darstellenden Teil ty- freunde, M-P. H.] zeigt, (…) dass von Arbeitgeber- und Arbeitneh- pische Ausrichtung im Sinne die Frage, welcher Lohn ‚gerecht‘ merinteressen tatsächlich als einer affirmativen und eindi- ist, objektiv nicht zu beantworten ausgewogen: Gewerkschaften mensionalen Wirtschaftskunde ist“ (Kaminski 2007, 34). Hier wird und Arbeitgeberverbände wer- fortsetzt – z. B. wird bei der den Lernenden ein Standpunkt den hinsichtlich ihrer Organisa- Vorbereitung auf das Betriebs- als Sachlage dargestellt! tion und Zielsetzungen gleich- praktikum auf konkrete Fragen Dieser problematischen Form berechtigt vorgestellt (dabei verzichtet, die dabei unterstüt- der Thematisierung von Lohn- wird den Gewerkschaften – u. a. zen, das Unternehmen als „so- unterschieden folgt eine im Stil aufgrund ihrer höheren Ausdiffe- ziales Aktionszentrum“ (Nieder- einer oberflächlichen Wirtschafts- renzierung – sogar mehr Raum sächsisches Kultusministerium kunde gehaltene Abhandlung von als den Arbeitgeberverbänden 2006, 14) zu erschließen.12 „Arbeitsbewertungen“ (Kaminski eingeräumt, vgl. ebd. 42 f.) und 2007, 36 f.), eine Doppelseite, die auch die doppelseitige Darstel- sich der ungleichen Bezahlung lung von Tarifverhandlungen ist von Frauen und Männern widmet zwar ziemlich abstrakt gehalten, 11 In diesem Unterkapitel wird (ebd. 38 f. – dieser thematische jedoch in ihrer Perspektive neu- im Stil einer Wirtschaftskun- Aspekt wird in dem Lehrbuch üb- tral (ebd., 43 f.). Allerdings han- de (vgl. S. 26 dieses Aufsat- rigens m. E. in akzeptabler Form delt es sich hier lediglich um ein zes) vor allem der Weg „von behandelt) und das abermals einziges der acht Unterkapitel der Stellenausschreibung sehr im Sinne einer eindimensi- (bzw. um vier Schulbuchseiten). zum Arbeitsvertrag“ skizziert (Kaminski 2007, 25 f.). Dem onalen Wirtschaftskunde gehal- Das innerhalb dieses Aufsat- voraus geht eine Einordnung tene Unterkapitel über „Lohnfor- zes bisher nicht berücksichtigte des Unternehmens in die men“ (ebd., 40 f.). Unterkapitel 5 übrigens („Die Rechtsordnung (ebd., 24 f.). Festzuhalten ist: Mit Aus- Arbeitsbeziehungen in einem 12 Betriebswirtschaftliche Fra- nahme der thematisierten Unternehmen“; Kaminski 2007, gestellungen nehmen dage- ungerechten (bzw. in der 24 ff.) wird zwar vom IÖB zu sei- gen breiten Raum ein (vgl. Nomenklatur des Unterkapitels: unglei- ner Entlastung vorgebracht (sie- ebd.). 28 1/2013 Politik unterrichten

Die detaillierten Anregungen plik aber sogar noch einen we- Erstens geht diese vom IÖB zur Gründung einer Schüler- sentlichen Schritt weiter und gewählte Verteidigungsstra- firma (Kaminski 2007, 48-53) bezichtigt mich der Denunziati- tegie am Kern der Sache erweisen sich zur praktischen on (vgl. IÖB 2013, 6).15 Dieser vorbei: Ich habe das Schul- Umsetzung eines entsprechen- Vorwurf erscheint nicht nur an- den Projektes zumindest dann gesichts der oben transparent als hilfreich, wenn sich die Si- gemachten Sachlage als eine in- mulation auf rein betriebswirt- akzeptable Entgleisung. Vor dem 13 Dieser Befund soll den Auto- schaftliche Aspekte beziehen Hintergrund der historischen und ren hier nicht angelastet wer- soll.13 zeithistorischen Kontexte, mit den - wohl aufgrund der Do- Im Rahmen des Erwar- denen die Vokabel des Denunzi- minanz einer monodisziplinär tungshorizontes, der den Schü- anten vorrangig assoziiert wird, ausgerichteten Ökonomiedi- lerinnen und Schülern mit der ist es bemerkenswert, wenn die- daktik in der Fachliteratur ist abschließenden „Lernbilanz“ ses Attribut am IÖB tatsächlich diese Einseitigkeit typisch für (ebd., 54 f.) eröffnet wird, wer- für angemessen gehalten wird, Anregungen zu dieser Metho- de. Sofern die methodische den die Lernenden mit Aufga- um fachdidaktischer Kritik zu Großform der Schülerfirma ben konfrontiert, die sie nicht lö- begegnen. Übrigens finde ich, mehr als der bloßen Entre- sen können – jedenfalls sofern dass meine oben im vollen Wort- preneurship-Education dienen sich ihr Wissenserwerb auf die laut zitierte Äußerung über die soll, ist natürlich zu überlegen, Lektüre des vorhergegangenen ungleiche Berücksichtigung der wie im Rahmen dieses Ansat- Schulbuchkapitels beschränkt Arbeitgeber- und Arbeitnehmer- zes auch „typische Interessen“ hat. Unter anderem wird näm- interessen durch „Kompetenz der Beschäftigten adäquat si- lich danach gefragt, „welche Politik-Wirtschaft“ angesichts muliert werden können (z.B. wesentlichen Interessen“ Un- der didaktischen Qualität des die Arbeit des Betriebsrates). 14 Als ebenso bemerkenswert ternehmer und Beschäftigte ha- Schulbuchkapitels zurückhal- 14 erscheint es mir, dass das ben (ebd., 54). tend formuliert war (vgl. S. 22-29 Verstehen einer Karikatur er- Wie aufgezeigt wurde, dieser Darstellung). wartet wird, mittels derer im werden die Schülerinnen und Aufgrund der in einer wis- Sinne von Charly Chaplins Schüler zumindest dann an die- senschaftlichen Auseinanderset- „Modern Times“ monotone ser Aufgabe scheitern, wenn zung gebotenen Sorgfalt weise Arbeitsschritte in der Industrie unter Arbeitnehmerinteressen ich an dieser Stelle außerdem kritisiert werden (vgl. Kaminski mehr verstanden wird, als das darauf hin, dass ich durch das 2007, 54f.). Gelingt den Ler- bloße „Funktionieren“ inner- IÖB fehlerhaft zitiert werde. nenden die Lösung dieser Auf- gabe, so haben sie das dafür halb des Betriebes und seines Demnach hätte ich im Frontal- erforderliche Wissen jedenfalls rechtlichen Rahmens. Mit typi- 21-Beitrag behauptet, dass die nicht mittels der vorausgegan- schen Problemen der abhängig Schülerinnen und Schüler in genen Schulbuchdarstellung Beschäftigten im Deutschland dem Kapitel „v. a. mit der Per- erworben. des 21. Jahrhunderts und da- spektive des Unternehmens 15 Das IÖB begründet diesen raus resultierenden Forderun- [statt – wie im Manuskript zur Vorwurf nicht, sondern stellt le- gen sind die Lernenden in dem Sendung vermerkt und auch im diglich die abschließende Fra- Schulbuchkapitel nicht konfron- Beitrag deutlich zu vernehmen ge: „Worauf fußt die denunzie- tiert worden. – „des Unternehmers“] konfron- rende Äußerung Haarmanns?“ (ebd., S. 6). tiert“ würden (IÖB 2013, S. 5).16 16 Aus fachlicher Sicht wird mei- III. Nachtrag und Schluss ne Aussage mit dieser fehler- Abschließend muss noch auf die haften Zitation ihres eigentli- Die Behauptung des IÖB, dass verblüffende Argumentation ein- chen Sinnes beraubt – denn meine im Rahmen des Frontal- gegangen werden, die das IÖB eine „Unternehmenssicht“ 21-Beitrags eingespielte fach- seiner Gegenbehauptung vor- bezieht sich ja auf alle Ange- didaktische Einschätzung des ausschickt: Das IÖB leitet seine hörigen eines Unternehmens, Schulbuchkapitels „falsch und Verteidigung des Schulbuchka- denen in diesem Fall z.B. ein unhaltbar“ sei, erweist sich vor pitels mit den folgenden Worten homogenes Interesse gegen- über Dritten unterstellt wird. dem Hintergrund der Sachlage ein: „Festzuhalten ist, dass die Daher wäre es m. E. wün- als unangemessen. Als bedau- inhaltliche Schwerpunktsetzung schenswert, dass das IÖB erlich empfinde ich es, dass ein nicht durch den Herausgeber bei entsprechenden Ausein- wissenschaftliches und öffent- oder das Autorenteam, sondern andersetzungen die gebotene lich gefördertes Institut einen durch das zugrundeliegende Sorgfaltspflicht nicht verletzt. solchen Vorwurf ohne Sachar- Curriculum für das Fach „Poli- Oder sind im Denken des IÖB gumentation vornimmt (vgl. S. tik-Wirtschaft“ an niedersäch- tatsächlich „Unternehmens- 25 meiner Ausführungen). sischen Gymnasien erfolgte“ sicht“ und „Unternehmersicht“ Das IÖB geht in seiner Re- (IÖB, S. 5). identisch? 29 Politik unterrichten 1/2013

17 Als Mitglied der Lehrplankommissi- buchkapitel nicht hinsichtlich sierten Schulbuchkapitels kann on konnte Hans Kaminski das Curri- seiner inhaltlichen Auswahl m. E. nur konstatiert werden: culum nachweislich stark prägen: So (also der Behandlung des Un- Die eindimensionale Betrach- beschränkt sich das Curriculum bei- ternehmens als Unterrichtsge- tungsweise des Unterrichtsge- spielsweise bei der Beschreibung der genstand und dessen themati- genstandes „Unternehmen“ ist „Sach- und Analysekompetenz“ für die sche Strukturierung), sondern für eine Schulbuchdarstellung Domäne des ökonomischen Lernens hinsichtlich der didaktischen absolut inakzeptabel und ver- auf drei „Kompetenzen“ (das „Denken Strukturierung, die dabei vorge- letzt das didaktische Gebot der in“ ökonomischen Funktions-, Ord- nungs- und Kreislaufzusammenhän- nommen wurde, kritisiert (das Berücksichtigung fachlicher gen), die sich in ihrem Wortlaut nahezu Unternehmen und seine thema- und gesellschaftlicher Kontro- unverändert in einem Fachaufsatz Ka- tischen Aspekte werden in dem versen. Bezogen auf das maß- minskis wiederfinden (vgl. Niedersäch- Kapitel meiner Einschätzung gebliche Lehrwerk „Kompetenz sisches Kultusministerium 2006, 14 nach vorrangig aus Arbeitgeber- Politik-Wirtschaft“ (Kaminski und Kaminski 2006, 152). Als ähnlich perspektive erschlossen). 2007) kann die Empfehlung an bemerkenswert erscheinen die inhaltli- Zweitens verwundert dieser das niedersächsische Kultus- chen Parallelen zu einem von Kaminski Versuch einer Verantwortungs- ministerium daher nur lauten: bereits erstmals 1996 skizzierten „Ziel- delegation auf das maßgebli- Die amtliche Zulassung dieses Inhaltskonzept für ein Fach Wirtschaft (7-10 Klasse)“ für Gymnasien und der che Kerncurriculum, wenn man Schulbuches ist dringend zu Auswahl der wirtschaftlichen Themen, bedenkt, dass Prof. Dr. Dr. h. c. überprüfen! die mit dem niedersächsischen Kern- Hans Kaminski (Institutsdirektor curriculum für das Unterrichtsfach und Geschäftsführer des IÖB) Politik-Wirtschaft (8-10 Klasse) vorge- maßgeblich an der Erarbeitung nommen wurde: Der hier maßgebliche des Lehrplans beteiligt war.17 Gegenstand „Das Unternehmen als Angesichts dieser Sachlage wirtschaftliches und soziales Aktions- erscheint es als bemerkenswert, zentrum“ (Niedersächsisches Kultusmi- dass vom IÖB tatsächlich nahe- nisterium 2006, 15) findet sich wieder fast wortwörtlich bei Kaminski (1996, legt wird, etwaige Defizite des 49). Doch an einer entsprechenden Lehrwerks (Herausgeber: Hans didaktischen Strukturierung scheitert – Kaminski) ließen sich mit dem wie oben gezeigt - das von mir im Rah- „zugrunde liegenden Curriculum men des Frontal-21-Beitrags kritisierte für das Fach ‚Politik-Wirtschaft‘“ Schulbuchkapitel (vgl. S. 22-29 meiner (IÖB 2013, 5) entschuldigen. Darstellung). Hinsichtlich des oben analy-

Literatur und Internetressourcen

Bühren, Lisa/Doyé, Werner/Stoll, Ullrich (2013): Schüler unter Einfluss - Lobbyisten im Klassenzimmer. Manuskript zur Sendung, abrufbar auf der Internetpräsenz des ZDF, Pfad: http://www.zdf.de/ZDF/zdfportal/blob/27762644/1/data.pdf (letzter Zugriff am 08.05.2013); Der Beitrag als Video ist online abrufbar unter: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/ video/1892810/#/beitrag/video/1892810/Lobbyisten-im-Klassenzimmer (abgerufen am 08.05.2013). IÖB [Institut für Ökonomische Bildung Oldenburg] (Hrsg): Frontal 21 „Lobbyisten im Klassenzimmer“ vom 30.04.2013 – Rich- tigstellung des Instituts für Ökonomische Bildung vom 02.05.2013. Internetpräsenz des IÖB, Pfad: http://www.ioeb.de/ sites/default/files/pdf/Frontal21_Stellungnahme%20I%C3%96B.pdf (abgerufen am 08.05.2013). Kaminski, Hans (1996): Ökonomische Bildung und Gymnasium. Ziele, Inhalte, Lernkonzepte des Ökonomieunterrichts. Initi- ative Wirtschaft und Gymnasium, Neuwied/Kriftel/Berlin: Luchterhand. Kaminski, Hans (2006): Wie viel Politik braucht die ökonomische Bildung? In: Georg Weißeno (Hrsg.) (2006): Politik und Wirtschaft unterrichten. Schriftenreihe Bd. 483, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 144-160. Kaminski, Hans (Hrsg.) (2007): Kompetenz Politik-Wirtschaft 9. Gymnasium Niedersachsen. Braunschweig: Westermann. Niedersächsisches Kultusministerium (2006): Politik-Wirtschaft. Kerncurriculum für das Gymnasium Jahrgang 8-10, Hanno- ver: Niedersächsisches Kultusministerium. Vereinte Nationen (1948): Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948. Internetpräsenz der Vereinten Nationen, Pfad: http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3. html (abgerufen am 08.05.2013).

30 1/2013 Politik unterrichten

Wirtschaftsethik in Schule und Universität? - Der Unterschied zwischen Dogmen-Affir- mation und Bildung als vitaler Reflexion Eitel von Maur

Es lässt sich ein zunehmender Ökosystem(zer)störungen, Wunsch nach der Etablierung Atommülllagerung resp. -unfäl- des Fachs Wirtschaftsethik be- le, oder auch Ressourcenver- obachten, zumindest für die knappungen treffen zwar nicht wirtschaftswissenschaftlichen jeden im selben Maße, treffen Studiengänge (Bergius 2010). aber letztlich doch jeden, sofern Warum nicht gleich auch in er sich den Auswirkungen nicht anderen Fächern verankern, rechtzeitig durch sein Ableben in der Schule, oder, in anderer entziehen kann. Eine Auslage- Form, sogar schon im Kinder- rung der (dem Markt externen) ser: Wie „sehen“ wir es, und garten? Das wirkt verrückt! Bis- „Kosten“ ist nur noch einge- zwar so, dass wir entsprechend her galt dieses Fach als subver- schränkt möglich, wie dies bei handeln? Deshalb veranschauli- siv, ideologisch (ebenda) oder Menschen (z.B. Arbeitsbedin- che ich anschließend an einem als Paradoxie, weil zwei dicho- gungen, Krankenversicherung) recht simplen, aber konkreten, tome Sphären nicht in Verbin- oder Tieren (z.B. Tierproduktion) bodenständigen Beispiel, wa- dung gebracht werden könnten bisher recht „gut“ gelingt. Das rum ein Begriff „durchdringen“ (Luhmann 1993). Doch die als nährt Zweifel, auch grundsätzli- wichtig ist, wie dies ganz prak- allzu unangenehm empfunde- che, vielleicht Sprengstoff. tisch gelingen kann und warum nen Auswüchse einer radikali- Kann ein Fach(-anteil) Wirt- damit „gesunde“ Veränderun- sierten Marktwirtschaft sollen schaftsethik diese Probleme zu gen möglich werden, die durch begrenzt werden. Sozial(er) lösen helfen? Oder soll damit Utopien, Moden oder Skandale soll die Marktwirtschaft, die Ge- nur der Status quo bewahrt, eine nur unzureichend bleiben. sellschaft wieder werden. Die „Beruhigungspille“ verabreicht Ich selbst habe in den letzten Begriffe „Finanzkrise“, „Ban- werden? Es kommt darauf an. Jahren einige solcher Kurse an kenrettung“, „Verschuldungs- Und zwar kommt es darauf an, der Universität Duisburg-Essen krise“, „Managergehälter“, „Bil- was überhaupt unter Wirtschaft- durchgeführt. Die tiefgreifenden liglöhne“, „Steueroasen“ sind sethik verstanden wird, d.h. was Veränderungen bei vielen der Beispiele für medial ausrei- in einem solchen Unterricht kon- Studierenden haben mich sel- chende Skandalisierungen, um kret stattfindet. Das aber ist alles ber sehr erstaunt, umso mehr Veränderungen zu fordern, zu- andere als selbstverständlich. erfreut. Echte Bildung, Denken mindest eine Art Arzt, der sich Die Forderungen nach Wirt- lernen, hilfreicher Unterricht ist um die schlimmsten Sympto- schaftsethikunterricht sind inso- auch unter äußerst ungünstigen me kümmert. Auch konkrete fern wichtig, aber zu naiv. Ich Bedingungen möglich. Sogar Unternehmen und Branchen werde deshalb im Folgenden totale „Destruktivisten“, in den werden an den Pranger ge- zunächst die ernsthafte Gefahr z.T. sehr heterogenen Studie- stellt, wie Foxconn, Kik, IKEA, solcher Naivität aufzeigen, in- rendengruppen, die nichts als Amazon, Lidl bzw. die Scho- dem ich zwischen bestehenden ihre Credits „ersitzen“ wollten koladen- oder Textilindustrie. Lehrmeinungen differenziere (wie sie sagten), sind in relativ Neben diesen vielfach als zu und deren Verständnis von Wirt- kurzer Zeit zu begeisterten Wirt- ungerecht empfundenen „Ver- schaftsethik skizziere, um dann schaftsethikern geworden, die teilungskonflikten“, zu denen auszuführen, warum ich nach- den Wert tiefer philosophischer u.a. auch der „Kampf“ um die drücklich für eine Lernform des Reflexionen erkannten und US-amerikanische Krankenver- Denkens plädiere, für etwas, praktisch in ihrem Leben um- sicherung gezählt werden kann, das ich „durchdringen“ nenne, setzten.1 (von Maur 2012) oder die hoch effiziente indus- das mir aber gerade von denen, trielle Tierproduktion, gibt es die dies in ihren Sonntagsre- Der ethische Wandel der Öko- zunehmende Bedenken gegen- den verwenden, nur sehr unzu- nomie über Auswirkungen, die sich nur reichend „durchdrungen“ wor- schlecht oder überhaupt nicht den zu sein scheint. Manches In der Schule müssten wieder (auf Andere) begrenzen lassen. davon ist vielleicht offen-sicht- Werte vermittelt werden, sagte Veränderungen wie Klimawan- lich, doch warum „sehen“ wir der ehemalige Bundespräsi- del, Umweltverschmutzung, es dann so schlecht. Oder bes- dent Horst Köhler. Er engagier- 31 Politik unterrichten 1/2013

te sich mit kritischen Worten dogmatisch-verharrend immer naturalistisch begründet und gegen Bankenmanager und für weiter behaupten können, diese empirisch beobachtbar missver- eine Veränderung der Armut in Annahmen resp. Voraussetzun- standen. Die Differenzierung zu Afrika. Vorher war er der Chef gen des Modells hätten keine machen bzw. den riesengroßen des Internationalen Währungs- entscheidenden Auswirkungen Spielraum zu sehen, zwischen fonds (IWF) und wesentlich ver- auf die Ergebnisse, damit auch einem gesunden Eigeninter- antwortlich für das, was er nun auf unser Denken und Handeln, esse und der Egomanie eines anprangerte. Ausgerechnet ein ist mit der Vorstellung vernünfti- Psychopathen, gelingt dann nur Herausgeber der FAZ schreibt ger Diskursteilnehmer, die psy- noch schwerlich, sogar ausge- ein Buch, indem er den Egois- chisch gesund sind und nach sprochen intelligenten Studie- mus und die Fixierung auf die Wahrheit streben, nicht mehr zu renden. Der Psychopath wird zur Spieltheorie geißelt, obwohl ge- erklären. Sogar der Begriff der Norm für Vernunft! Wenn aber rade er sich über Jahre für die Vernunft wird durch den homo die Metaphysik solcher Dogmen Umsetzung dieser sog. neoli- oeconomicus einfach ersetzt, nicht erkannt werden kann, feh- beralen Ideen eingesetzt hat. ersetzt durch radikales Eigen- len die Spielräume, dann gibt Diese Liste ließe sich fortset- interesse. Wer etwas tut, das es nur noch „Sachzwänge des zen. Doch sind das glaubhafte nicht seinen eigenen Nutzen Systems“ und „Alternativlosig- Wandlungen? Ist das Zeitalter maximiert, handelt irrational. Er keit“. Um ein Beispiel zu den- des Neoliberalismus vorbei, wie ist mithin verrückt! Etwas für an- ken: Vielleicht reichen schon manche behaupten? Ich sehe dere zu tun, z.B. eine Flasche 20% meiner persönlichen Res- kaum Anzeichen für einen sol- Rotwein zu verschenken, ist nur sourcen aus, um für mich selbst chen Wandel. Die ökonomisti- dann vernünftig, wenn es einem und meine Nächsten ein sehr schen Überzeugungen sitzen selber nützt, also besser ist als gutes Leben zu ermöglichen, tief eingebrannt im Denken den Rotwein selber zu trinken und ich habe deshalb noch 80% unserer Gesellschaft. Vielen, oder zu verkaufen. Der Arzt hilft zur Verfügung, die ich beliebig gerade „Experten“, scheint es nur noch, wenn er im Moment anderweitig verwenden kann, extrem schwer zu fallen, über- keine lukrativere Gelegenheit z.B. auch sinnvoll, in einer Wei- haupt an den metaphysischen hat, oder seine Freizeitpräfe- se, die mir selber überhaupt Dogmen dieses Paradigmas renzeneinheiten geringer sind nichts nützt, die aber einer Ver- zu zweifeln, sie überhaupt als (gossensche Gesetze(!), Op- nunftvorstellung folgt, die ganz solche erkennen zu können. portunitätskosten). Liebe wird anders aussieht?2 Führte ein Dies zeigt sich z.B. an den Re- zur reinen Egomanie, einer Aus- solches Denken nicht zu ganz aktionen des Leiters des ZEIT- tauschbeziehung zur Selbstbe- anderen Möglichkeiten? Wirtschaftsressorts, Uwe-Jean friedigung. Diese Behauptungen Heuser auf das „Memorandum entziehen sich jeder Kritikmög- besorgter Wissenschaftlerin- lichkeit, weshalb sie sogar nach nen“ (Thielemann et al. 2012). Karl Popper als unwissenschaft- Er scheint sich zu bemühen, lich zurückzuweisen sind. Statt- 1 Leider gibt es zahlreiche die Zusammenhänge eines viel- dessen überzeugt eine solche Philosophen, die den Zu- leicht neuen Zeitgeistes zu ver- rhetorische Form nicht nur Ge- sammenhang von Philoso- stehen, doch scheitert er damit nerationen von Ökonomie-Stu- phie und (Lebens-)Praxis gründlich und verharrt im selben dierenden sogar so weitgehend, nicht zu verstehen schei- Zustand wie die Jahrzehnte zu- dass sie dies nicht mehr anders nen, sich gegen einen Zu- sammenhang verwehren. vor. Es ist für ihn anders nicht denken können. Dieses Denken Philosophie bleibt dann z.B. „denkbar“. (Heuser 2012, Thie- wurde, als wissenschaftliche Er- Trost in der Erkenntnis der lemann 2012) Auch etliche an- kenntnis geadelt, normativ zur eigenen Sterblichkeit, oder dere der dort erschienenen Ar- Vernunft erhoben, während es Glasperlenspiel. Mich irritiert tikel zeigen dieses Phänomen sich nach den kohlbergschen diese (Nicht-)Sicht sehr und des Nicht-denken-könnens von Moralstufen um das Verharren ich stehe immer wieder fas- (für andere) Offensichtlichem in einer regressiven Phase han- sungs- und sprachlos davor, (z.B. Jungbluth 2013). delt, auf der zweiten von sechs verpflichtet Offen-sichtliches So wird auch nach jahrzehn- Entwicklungsstufen. Der Schritt be-greiflich zu machen. Auch in meinen Kursen stehe ich telanger Kritik am homo oeco- zum Sozialdarwinismus ist dann immer wieder vor ernsthaft nomicus immer noch behaup- konsequent, wie ihn bspw. die Fragenden, wozu es denn tet, es handele sich lediglich Verweigerung medizinischer Hil- sinnvoll sei zu denken. Das um eine hinreichende Modell- fe darstellt. Das (dann wieder) muss ich dann für sie „durch- annahme, die keine empirische anders zu denken gelingt vielen dringbar“ machen, sonst Geltung beanspruche. (Kirch- nur noch sehr schwer. Auf diese kommen sie nicht weiter. Und gässner 2000) Wie aber beson- Weise geistig tief verankert, wird das ist überhaupt nicht ein- ders „strenge Wissenschaftler“ diese Metaphysik auch noch als fach. 32 1/2013 Politik unterrichten

Eine Wirtschaftsethik, die in eine solche vorübergehende um andere zu bevormunden bisherigen Paradigmata verhaf- Pointierung, um bestimmte As- und zu versklaven, sie seien tet bleibt, von denselben Öko- pekte herauszuarbeiten. Zudem stets totalitär. Alles Ökono- no-men vertreten und gelehrt wäre eine sechste Gruppe von mische müsse deshalb ge- wird, dürfte kaum dazu geeignet Ökonomen zu nennen, die sich nauso wie die Wissenschaft sein hilfreichere Erkenntnis zu in die vorherigen nicht sinnvoll wertfrei sein. Milton Fried- stiften. Solange wir nicht durch- einordnen lassen. Das wäre die man bringt es auf den Punkt: dringen, wie es überhaupt dazu Gruppe heterodoxer, stark dif- „The business of business is kommen kann, dass Menschen ferenzierter Ansätze, denen ich business!“ Diese Theorien so offensichtlich völlig krude meine „Grobheit“ der Pointie- greifen sehr praktisch in die Theorien für vernünftig halten rung in diesem kurzen Aufsatz Lebenswelt ein, indem die und damit Mehrheiten überzeu- nicht zumuten möchte. Zu dieser Chicago Boys ihre „reine“ gen können, habe ich wenig Gruppe dürften sich vermutlich Ökonomie im Chile Pino- Hoffnung, dass wir qualitativ auch die meisten der Unter- chets „ausprobieren“, womit ausreichend weiter kommen. zeichner des bereits erwähnten sie ein Menschen verach- Wie ist es möglich, dass wir Aufrufs für eine Erneuerung der tendes System umsetzen, diesen eklatanten Zynismus, Ökonomie zählen (Thielemann indem Margret Thatcher die dessen Ausdruck wir ständig et al. 2012) oder die Mitglieder Vorstellung von Gesellschaft vernehmen können, „normal“ der World Economics Associati- schlicht leugnet, womit es nur finden? Wieso überzeugen uns on3. noch Ziele von Egomanen Menschen mit Aussagen, wir gibt, indem Josef Ackermann müssten doch Realisten sein, Gruppe 1: Ökonomisten der gesellschaftliche Aufgaben wenn sie die physische Unmög- Chicagoer Schule der Deutschen Bank bestrei- lichkeit grenzenlosen Wachs- tet, womit Unternehmen nur tums mit begrenzten Ressour- Nicht sämtliche Ökonomen der noch Selbstzwecke sind, um cen für logisch halten und den ersten Gruppe sind Befürwor- Renditen für Anteilseigner zu Klimawandel zu lösen versu- ter einer reinen Marktradikalität, erbringen. Werte haben da chen, indem sie die Berichte wie sie die „Chicago Boys“ ver- nichts verloren! Diese Vor- der Wissenschaftler fälschen? treten. Angemessen scheint mir stellungen gehen sogar so Ständig wird in den Medien jedoch die Beschreibung, dass weit, dass manche an ein von sog. Klima-Skeptikern be- es ein gemeinsames, homoge- postideologisches Zeitalter richtet, die eine Verursachung nes Paradigma gibt, das den glauben, also tatsächlich durch unsere Lebensweise des- Mainstream darstellt. Durch die einen Zustand der vollkom- halb bestreiten, weil sie nicht universitäre (Selbst-)Berufungs- menen Wertfreiheit erreicht 100%ig bewiesen werden kön- praxis wurde dann systemisch zu haben. Es ist eine interes- ne. Wie wenig können angeb- bedingt eine ausgeprägte Ho- liche Wissenschaftler von Wis- mogenität der Lehrmeinungen senschaftstheorie verstehen?! erzeugt, die sich entsprechend Doch selbst unbedarfte Laien, auch in Forschungseinrichtun- die absolute Beweise für mög- gen, Gremien und der Politik 2 Sogar die Nobelpreisträ- lich halten, werden ihr Leben wiederfindet. Wer aus der Sicht ger Reinhard Selten und wohl kaum nach solchen Stra- von Berufungskommissions- Herbert Simon setzten dieser Extremform das tegien gestalten und nicht aus mehrheiten „Unsinn“ vertritt, wird Konzept eines „satisfying Flugzeugen springen, solange kaum eine Chance auf Berufung man“ entgegen. Viele kön- die tödliche Gefahr ihres Han- durch die Andersdenkenden er- nen aber nicht denken, delns nicht vollständig bewie- halten. dass es ein „Genug“ für sen wurde. Wenn aber jemand Dieser Mainstream glaubt an sie geben könnte. Obwohl ein Buch schreibt, indem steht: etwas wie „den Markt“, der be- es keinen nachvollziehba- „Alles kein Problem! Mach so freit sein müsse von Regeln, um ren, vernünftigen Grund weiter!“, dann wird das sicher dann selbst ethisch optimal wir- für ein „Mehr“ jenseits des ein Bestseller. Das gibt es jetzt ken zu können. Gleichzeitig leh- „Genug“ gibt, der jenseits eines pathologischen Irr- sogar für Adipositaspatienten nen sie alle Wert(urteil)e ab, weil tums liegt. Selbst in einer (Peters 2013). Wie werden wir diese mit wissenschaftlichen Mit- simplen ökonomischen nur vernünftiger? teln nicht zu bestimmen seien, Theorie wird deutlich, Um zu zeigen, wie dies es sich dabei stets um Ideologie dass es keine Nutzenstei- gelingen kann, werde ich zu- handle. Ideologien verstehen sie gerungen jenseits eines nächst fünf Gruppen von „Wirt- als etwas schwer Verwerfliches sogar eher „bescheide- schaftsethikern“ unterscheiden. wie den Kommunismus oder den nen“ Einkommens gibt. Diese Klassifikation ist notge- Nationalsozialismus. Ideologien 3 http://www.worldecono- drungen sehr „grob“, doch hilft seien Herrschaftsinstrumente, micsassociation.org 33 Politik unterrichten 1/2013

sante Vorstellung, was spätere Bluewashing ist eine legitime schen Dogmen und weist nicht Generationen über diese selt- Form. Diese zweite Gruppe un- darüber hinaus. Der Markt regelt same Mischung aus Natura- terscheidet sich paradigmatisch (fast) alles. Das ökonomistische lismus, Metaphysik und Para- nicht von der ersten, weil sie Prinzip bleibt erhalten, nachdem doxien denken werden. Sogar sich streng an die „Gesetze des erst Geld verdient werden muss, der Widerspruch zwischen Na- Marktes“ hält. wie auch immer, innerhalb der turgesetzen und grenzenlosem bestehenden Spielregeln, bevor Wachstum wird zwar irgendwie Gruppe 3: Ökonomistische es verteilt werden kann. Ethik verstanden, aber nicht begriffen Wirtschaftsethik ist dann etwas für gute Zei- – wie auch immer das gelingt. ten, eine Frage, ob wir uns das Da die Ethik genau die Auch die dritte Gruppe bleibt „leisten können“. Es gibt dann Wahrheiten in Frage stellt, die wesentlich im ökonomistischen immer wieder den Verweis auf sakrosankt sind, die als unwis- Paradigma des Mainstreams. Sachzwänge, die ethische Ver- senschaftlich aus dem Diskurs Ethik wird jedoch als wesentli- änderungen verhindern, weil die ausgeschlossen werden, kann cher Faktor begriffen, der auch Realität nicht zu verändern sei. man diese Gruppe Wirtschaft- über reine eigennützige Ge- Die Hartz-IV-Reformen basieren sethik nur als etwas in sich völ- winnmaximierungsinteressen hi- auf diesem Gedanken. Wieder lig absurdes begreifen. Selbst nausgeht. Sie glauben zwar wei- und wieder wurde erklärt, dass für „Oma Erna“ ist eine solch terhin an fundamentale Dogmen die Sozialsysteme zu teuer sei- krude Gedankenkonstrukti- der „Marktmetaphysiker“ (Peter en, wie auch bei der erheblichen on gänzlich verrückt. Sie wird Ulrich 2007, Brodbeck 2011), Gegenwehr gegen die US-ame- auch nicht nachvollziehen kön- sehen aber gleichzeitig, dass rikanische Krankenversicherung nen, warum Generationen von der Markt Regeln unterliegt, von zu sehen, die sich der Staat Studierenden ihre Examen nur diesen mithin nicht befreit son- nicht leisten könne. Diese PR dann erhalten, wenn sie das in dern geregelt wird. In Analogie (z.B. INSM) war sehr wirkungs- dieser Weise auswendig lernen zu dem Spiel des Gefangenen- mächtig, demonstrierten doch und als Wahrheiten in Prüfun- dilemmas leiten sie Spielregeln Nicht-Versicherte gegen Obama gen schreiben. Ein solches Stu- und Spielzüge ab. Erstere sind Care, weil dies Sozialismus sei dium als „Gehirnwäsche“ (Einer Gesetze, Vorschriften, Normen und den Staat ruiniere, und so- 2011) zu bezeichnen ist mir etc. Sie bestimmen, was ethisch gar deutsche Arbeiter, weil ihre insofern nachvollziehbar, war- legitim ist und was nicht. Unter- Löhne zu hoch seien, um noch um für solche durch und durch nehmen können nun Spielzüge wettbewerbsfähig zu sein. Ist widersprüchlichen Theorien machen, also handeln, müssen es logisch, dass in einer Ge- Nobelpreise verliehen werden, sich dabei aber immer an die sellschaft mit stark steigendem dagegen nicht. Adam Smith war Spielregeln halten. Wer sich materiellem Wohlstand, der pri- Ethikprofessor und entwickelte ethisch wertvoller verhält, als es mär auf technologischem Fort- seine Ideen zur Marktwirtschaft die Spielregeln vorgeben, z.B. schritt beruht, mehr gearbeitet gerade als Teil seiner Ethik, die Öko- statt Atomstrom verwen- werden muss und weniger für selbstverständlich wertegelei- det, höhere Löhne bezahlt als Soziales zur Verfügung steht? tet war, für eine lebenswerte die anderen, scheidet durch den Wie kommt es zu diesem umge- Gesellschaft. Für Adam Smith Mechanismus des Wettbewerbs kehrten Schlaraffenlandgesetz? wäre die Vorstellung einer Tren- aus dem Markt aus. Verände- Das erinnert mich an die grauen nung von Ökonomie und Ethik rungen des ethischen Verhal- Herren von der Zeitsparkasse. überhaupt nicht verstehbar. tens erfolgen dann ausschließ- Die Konsequenzen dieser lich über Ordnungspolitik, die zu Form der Wirtschaftsethik sind Gruppe 2: Ethik als Kosten- veränderten Spielregeln führt. die, dass Unternehmen von faktor Diese Überzeugungen bilden ihrer Verantwortung entlastet den Mainstream der Wirtschafts- werden, genauso wie die Mitar- Eine zweite Gruppe versteht ethiker, soweit sie sich (über- beiter. Alle sind nur Bausteine Ethik, wie alles andere auch, haupt) als solche begreifen. in einem System, mit Zwängen; als Kostenfaktor. Handlungen Die prominentesten Vertreter in Zahnräder, die (ohnehin) nichts werden als mehr oder weniger Deutschland gehören zur Schu- ändern können. Alles kann so ethisch wertvoll verstanden. le von Karl Homann. bleiben wie es ist. Es besteht Wenn die Kosten höher sind, Wirtschaftsethikunterricht gar keine Möglichkeit zur Ver- als die damit verbundenen Er- nach dieser dritten Gruppe ist änderung. Und das ist in dieser träge, wird das ganze gelassen. damit fast ausschließlich die Modelllogik auch korrekt, weil Es kommt dabei alleine auf die erneute Vermittlung der Inhalte (wieder einmal) die Grenzen Wahrnehmung der Kunden etc. des üblichen Volkswirtschafts- des Modells (des Diskurses) an. Marketing ist daher wich- unterrichts. Das Paradigma be- so gewählt werden, dass über- tiger als die Handlung selbst. ruht auf denselben metaphysi- haupt keine Alternativen mehr 34 1/2013 Politik unterrichten vorhanden sind, ein (üblicher) ganze Produktion ist lediglich dards. Da die Spielregeln so Reduktionismus, der genau das Ausdruck seiner Präferenzen – sind, ist daran nichts zu ändern. aus dem Denken entfernt, das so das Dogma. Warum aber Un- Demnach ist das alles aus- die Alternativen ermöglichen ternehmer und Wissenschaftler, sichtslos! Es ist bereits „die bes- könnte. die für eine angebotsorientierte te aller Welten“, und wer mehr Unternehmen dürfen mithin Politik mit geringen Löhnen und fordert, ist ein Utopist!? Echte nichts verändern. Es sind die Steuern eintreten, weil das An- Fragen gibt es nicht. Das öko- Politiker, sie müssen die Regeln gebot sich die Nachfrage schaf- nomistische Grundparadigma ändern. Politiker können dies fe, gleichzeitig alle Verantwor- bleibt erhalten. Die Aufgabe des allerdings auch nicht einfach. tung bei dem Einzelnen sieht, Wirtschaftsethikers besteht da- Sie sind z.B. dem Einfluss von bleibt mir nicht nachvollziehbar. rin, Korrekturen vorzunehmen, unzähligen Lobbyisten ausge- Wer Werbebudgets und Profes- um der als allzu unangenehm setzt. Selbst wenn ordnungs- sionalität von Werbung und PR empfundenen Auswüchse Gren- politische Ideen bis zu Abge- zur Kenntnis nimmt, weiß doch zen zu setzen und die Gemüter ordneten so weit vorgedrungen recht gut, dass die „Güter“ (also zu beruhigen. Ethiker sind dann sind, dass sie diese nachvoll- Produkte), die gut für mich sind eine Art Arzt, die Schmerzen ziehen können (was syste- und die von mir gekauften sehr lindern, Medikamente geben misch bedingt alles andere als deutlich voneinander abwei- oder trösten. Sie reparieren die selbstverständlich ist) und sich chen? Doch selbst bei bestem Schäden der Betroffenen, be- diese Abgeordneten für die Um- Willen eines Kunden, seinen seitigen Symptome von Krank- setzung einsetzen, kann dies Präferenzen Ausdruck zu verlei- heiten. Gesundheit(-svorsorge) deutlich mehr Zeit in Anspruch hen, wie viel Wirkung kann er er- ist nicht ihre Aufgabe. Ein sol- nehmen, um kompromissfähige zielen, wie weit geht die „Macht cher Wirtschaftsethikunterricht Mehrheiten zu organisieren, als des Kunden“? beabsichtigt lediglich Dogmen- Legislaturperioden dauern. Die- Damit folgt insgesamt aus Affirmation, erzeugt im besten se Kompromisse führen jedoch diesem homannschen Ansatz, Falle Zyniker, im schlechtesten nicht unbedingt zum gewünsch- dass alles so bleibt, wie es ist Überzeugungstäter, Gläubige, ten Ergebnis. Beispiele für zent- und wir nichts oder bestenfalls Marktmetaphysiker, wie die rale Anliegen der Grünen waren nur sehr, sehr langsame Verän- meisten der heutigen Lehrstuhl- der Atomausstieg, der von der derungen bewirken können. In inhaber für Ökonomie. CDU/FDP-Regierung schlicht den Zeiten zwischen ordnungs- revidiert wurde, oder der Zerti- politischen Veränderungen oder Gruppe 4: Gutmenschen und fikatehandel mit CO2-Emissio- einem Ausdruck von Verbrau- Zyniker nen, der zwar eingeführt wurde, chermacht warten Unternehmen aber in einer Weise, die erstens nicht ab. Der systemische Anreiz Eine vierte Gruppe besteht aus völlig wirkungslos4 blieb und besteht gerade darin, die „Un- (diesen?) Zynikern. Sie glau- zweitens emittierenden Unter- geregeltheiten“ in den Regeln ben nicht (mehr?) an Machbar- nehmen ausgerechnet noch zu finden und auszunutzen. Re- keit, halten Veränderungen für Zusatzgewinne beschert hat. geln sind immer Abstraktionen, sinnlos, das System für durch Abgeordnete können selbst bei die nie exakt die ursprüngliche und durch verderbt. Ich kann bestem Willen oft kaum mehr Motivation erfassen. Alles ist auch die Sicht dieser Grup- erreichen, als von ihrer Partei dann eine Frage der Interpreta- pe verstehen, sie haben sehr auf einen aussichtslosen Lis- tionen, der Auslegungen, auch gute Gründe für ihre Analyse. tenplatz gesetzt zu werden vor Gerichten. Genau damit, Doch es gibt viele, die treffsi- oder vom Wähler bestraft mit der Nutzung der externen chere Analysen machen, dann zu werden – ich denke dabei an Effekte, also der Kosten, die an in ihren Lösungsansätzen aber die Auswirkungen der medialen andere auslagerbar sind, der genauso naiv sind, wie die von Inszenierung nach der 5-DM- Regelungslücke, lässt sich Geld ihnen Kritisierten. Das ist ge- pro-Liter-Benzin-Forderung verdienen, das als homo oeco- fährlich! Die Motivation dieser oder der „Clement-Ypsilanti-Af- nomicus auch verdient werden Gruppe kann religiös sein oder färe“. Politik gelingt auch, ist un- muss. Das ist gut am staatli- verzichtbar, dauert aber oft viel chen Wettbewerb um niedrige zu lange und erzeugt Regeln, Steuern zu erkennen, oder bei die naturgemäß Abstraktionen Umweltauflagen, wie dem CO2- 4 Gerade hat das EU-Parla- sind. Unternehmen dagegen Ausstoß. Weil sich die Politik als ment beschlossen diese Wir- können i.d.R. deutlich schneller unfähig erweist, entsprechende kungslosigkeit aufrecht zu Anpassungen vornehmen. internationale Regelungen zu erhalten. Sogar Bundesum- Also liegt alle Last auf dem treffen, gibt es einen Trend zur weltminister Altmaier wirkte Bürger, dem Kunden? Der Absenkung der ethischen Stan- davon emotional deutlich be- Kunde will das alles so, die troffen. 35 Politik unterrichten 1/2013

nationalistisch, oder es sind allem, ist aber nicht klug, meist Wert sind neben den sonst pri- „Gutmenschen“, verstanden in ethisch unerträglich. Deshalb ist mär in diesem Zusammenhang der zu Recht kritisierenswerten es wichtig Radikalisierte immer fokussierten „Gegenständen“ Form. In ihrer radikalen Ableh- wieder „abzuholen“, ihnen zu Ziel der Betrachtung, Auflösung nung des Bestehenden betrei- helfen zu begreifen, warum sie und Konstruktion. Das mag ben auch sie einen radikalen sich dem Denken verweigern, manchem geneigten Leser et- Reduktionismus. Sie weigern das bescheiden macht, und wa- was verrückt vorkommen, was sich zur Kenntnis zu nehmen, rum sie psychologisch diesen es auch gut trifft, geht es doch wie komplex Wirklichkeit ist, unbändigen Willen zur Kom- gerade darum, etwas zu ver-rü- wie wenig wir überhaupt dazu plexitätsreduktion haben, nicht cken. Es geht nicht schlicht um in der Lage sein können, zu er- selten manichäisch, binär, was andere Perspektiven, sondern fassen, was ist und was unsere dann zur Weltsicht eines G. W. um die Fähigkeit (ganz) anders Handlungen bewirken, welche Bush führt – und zu den mit die- zu denken, die Kontingenz von Neben- und Fernwirkungen sie sem Denken verbundenen Kon- Wirklichkeit zu durchdringen, haben. Dietrich Dörner hat eini- sequenzen. Die Geschichte ist die „Leerheit“ bzw. „Offenheit“ ges über unsere Unfähigkeit mit voll davon. Wir könnten davon (Brodbeck 2011), damit den komplexen Situationen umzuge- lernen? „Möglichkeitssinn“ (Musil 1970, hen, geschrieben und über den Kap. 3, Welzer 2013, Negt radikalen Zynismus der in die- Gruppe 5: Wirtschaftsethik als 2013) zu erlernen, zu üben. Das sen Situationen Überforderten. „kritische Grundlagenreflexi- scheint uns ganz besonders (Dörner 1992) Wer ein System on“ einer „Ökonomie der Le- schwer zu fallen, in einer Welt zerstört hat, keine schlechten bensfülle“5 die alles aus Abbildern von Re- Chancen die Situation deutlich alität ableiten möchte, gerade zu verschlechtern (z.B. Ent- In die fünfte Gruppe teile ich die- auch das, was dort nicht zu fin- wicklungshilfe, Irakkrieg). Zum jenigen ein, die erst das betrei- den sein kann. Beispiel für die Vertreibung der ben, was ich unter Wirtschafts- Was könnte Wissenschaft weißen Farmer in Simbabwe ethik verstehe. Der Unterschied oder Bildung sein, wenn nicht gab es sehr gute Gründe. Aber zu den vorhergehenden besteht die Aufgabe genau das zu tun, die Konsequenzen dieser „Ge- in der Einsicht in erstens, die zu zweifeln, wo vermeintliche rechtigkeit“ sind ausgesprochen Notwendigkeit einer Diskursin- Klarheit die Dogmatisierung der ungerecht. Es ist eine m.E. völ- tegration von Ethik, wobei die- metaphysischen, stillschwei- lig falsche Interpretation von se immer das Primat hat, und gend gemachten Vor-aus-Set- Gesinnungsethik, weil es immer zweitens, die grundsätzliche Un- zungen, der Präsuppositionen um konkurrierende Prinzipien zulänglichkeit von wissenschaft- macht? Es geht mir dabei um geht, die zu einer Verantwor- lichem Instrumentarium, die die Kombination der oft getrenn- tungsethik führen, die wiederum einen unaufhörlichen Wissen- ten Sphären von u.a. Dekons- auf einer Gesinnungsethik ba- schaftsprozess erfordert. Wis- truktion und Konstruktion, die siert. Der Zweck heiligt nicht die senschaft bleibt stets prekäre nicht in ihrer theoretischen Ab- Mittel! Das Problem von radika- Erkenntnissuche, steter Diskurs gehobenheit verharrt, sondern lem Denken ist, dass es fokus- voller Zweifel, dabei aber kon- ganz konkret, ganz praktisch siert, also abstrahiert, also ig- struktiv und lösungsorientiert. das Leben betrifft, und erkennt, noriert, was für Konsequenzen Lösungsorientierung verstehe verändert, bereichert. Wenn die es gibt. Es gibt Gutmenschen, ich instrumentalistisch, pragma- popperschen Utopien als totali- die sind sich dieser Unzuläng- tisch, aber gerade nicht im Sinne täre Täuschungen erkannt, die lichkeit bewusst, sie handeln eines reduktionistischen, naiven „großen Erzählungen“ von den entschlossen, machen auch Naturalismus, einer Markttaug- Postmodernen als Märchen von Fehler, sind aber vorsichtiger lichkeit oder eines frühzeitigen Radikalen entlarvt sind, was und verlieren ihre Zweifel nicht. Reflexionsabbruchs6, sondern bleibt dann, um das „Gute“ zu Sie machen das im Kontext bezogen auf die dauernde Fra- Bestmögliche, nicht das einer ge, wie wir unsere lebensweltli- Theorie nach Angemessene, che Praxis bewältigen können die vom Wesentlichen absieht, oder (mit Peter Ulrich resp. Aris- 5 Ulrich 2007. sondern das einer jeweiligen toteles) wie wir das „gute Leben“ 6 Der Begriff Pragmatismus Theorie Entsprechende, das verwirklichen. „Lösungen“ finden wird leider sehr häufig in die- versucht zu begreifen, soweit sich dann nicht in einer wie auch sem Sinne verwendet, insbe- dies möglich scheint. Dieser immer objektiv zu erkennenden sondere umgangssprachlich, Unterschied ist fundamental, Realität. Gerade individuelle Re- im politischen Diskurs etc., aber nicht so einfach zu durch- flexion resp. persönliches Geis- was dann als Rechtfertigung dringen. Wie auch immer. Radi- tesleben, Kultur resp. Sozialkon- behauptet wird, wo keine zu kalität, Revolution zerstört vor struktionen, Sinn, Bedeutung, finden ist. 36 1/2013 Politik unterrichten finden und zu verwirklichen, um Wirtschaftsethikunterricht Ein simples, praktisches Bei- im Bewusstsein der Relativität indoktriniert damit möglichst spiel mit Wirkung von Fakt wie Wert jenseits der wenig, kann und will aber nicht erneuten irrigen Illusion von wertfrei sein. Das Ziel liegt klar Jetzt ganz praktisch! Stellen Beliebigkeit sinn-volles Leben in einer Aufklärung in der kan- wir uns vor, ich hätte einen et- umzusetzen? Spielregeln und tschen Tradition (die dort aber was skurrilen Freund mit einer -züge versperren den „Blick“ nicht stehen bleibt), in „echter“ Hausbrauerei, ein Stockwerk für Spielräume und -lust! Wirt- Bildung, die Theorien wert- unter mir, der mir in die Küche schaftsethik ist in diesem Ver- schätzt, auch ver-rückt, soweit eine Leitung legt, aus der ich ständnis keine unverständliche sie Erkenntnis stiften, klüger frisches, köstliches Bier zap- Spezialwissenschaft für Einge- machen und zumindest mittelbar fen kann. Es kommt einfach weihte, sondern ein Teil diskur- helfen, die lebensweltliche Pra- aus dem Zapfhahn, endlos. Es siver Lebenspraxis, es ist Auf- xis zu bereichern. Es geht dabei kostet mich nichts. Aber ich trin- klärung, „echte“ Bildung. nicht um einen großen Entwurf, ke nur selten von dem guten Als Vertreter eines solchen eine poppersche Utopie, die to- Bier aus dem Hahn in meiner Ansatzes behaupte ich Peter talitär wird, sondern gerade um Küche, ich kaufe lieber impor- Ulrich, Karl-Heinz Brodbeck das Gegenstück, ständige Of- tiertes mexikanisches Bier in und Ulrich Thielemann, selbst fenheit, Möglichkeitssinn ohne schlanken Flaschen, in das ich wenn sie in einigen Punkten Wirklichkeitsignoranz. Was ich Zitronenscheiben stecke, damit ganz anderer Auffassung sein damit meine, ist auf diese Weise das blasse Zeug einigermaßen mögen als ich. Verkürzungen kaum zu verstehen, schon gar Geschmack annimmt. Das ist sind alle meine Aussagen. nicht „mal eben“. Ich kann auch irgendwie cool, finde ich. Das Der Ausgangspunkt aller mit meinen Lehrveranstaltungen macht man halt so. Im Moment. Überlegungen ist immer die nur Einstiege ermöglichen und Das machen doch alle!? Dieses Ethik („Das Primat der Ethik“, Methoden vermitteln, manchmal Verhalten ist grober Unfug. Es Ulrich 2007). Damit ist diese etwas „verschieben“, damit sich macht überhaupt keinen Sinn Wirtschaftsethik „fundamen- überraschende Erkenntnisse Bier zu kaufen, wenn bereits tal“ anders. Ökonomie ist dann öffnen. Das könnte etwas „eso- Bier vorhanden ist. Ich habe kein Gegensatz von Ethik, son- terisch“ klingen, ist aber recht auch keine sonstigen Gründe, dern sie ist Ethik, reintegriert schlichtes wissenschaftsthoe- denn es schmeckt mir nicht bes- in die Ethik. Ökonomie hat die retisches Instrumentarium und ser, ist nicht gesünder und diese Aufgabe das „gute Leben“ zu Ethik, praktisch angewendet, Mode ist eine recht triviale Kons- ermöglichen. Es sollen „Güter“ also etwas recht „Normales“, truktion, deren illusionären Cha- und nicht „Schlechter“ produ- kaum Neues. Trotzdem ist es rakter ich ganz gut durchschau- ziert werden, auf „gute“ und nicht einfach sprachlich-analy- en könnte. Was hindert mich, nicht „schlechte“ Weise. Das ist tisch zu lernen, es braucht Zeit oder besser, wieso hindere ich nicht auf materielle Güter be- und Erfahrung. Immer wieder mich daran? Warum bin ich un- grenzt, sondern durchdrungen habe ich Studierende erlebt, die fähig das zu „durchdringen“ und von der Leitfrage: „Wie wollen mit ganz einfachen Beispielen mich vernünftig zu verhalten? wir leben?“ Dazu gehört ganz „Erleuchtungserlebnisse“ hat- Ich sehe einige Ansätze, auch wesentlich das Geistige und ten – irgendwann. Ich versuche sehr unterschiedliche, die ich Soziale. Das ist sehr boden- Beispiele zu finden, die mit der für erklärungsmächtig halte. Ein ständig, ganz einfach, für vie- konkreten Lebenswelt der Stu- Denkkonstrukt scheint mir be- le aber (nicht mehr) denkbar. dierenden verbunden sind. Das sonders fruchtbar zu sein, wes- Wirtschaftsethik ist dann ein geht sehr spontan, eher intuitiv. halb ich mich im Folgenden auf Prozess steter (Grundlagen-) Wichtig ist, dass sie davon „be- dieses konzentriere. Reflexion, immer auch Metakri- troffen“ sind, dass es sie direkt Dieses Denkkonstrukt be- tik. Sie kann dann, so behaupte „packt“, sonst steigen sie nicht in steht darin, dass ich mir vor- ich, auch nicht mehr libertären den Lernprozess ein. Wenn sie stelle, meine Wirklichkeit sei Überzeugungen folgen, nicht aber „drin“ sind, den Zusammen- kontingent, d.h. sie ist nicht einmal mehr einem naiven Uti- hang zwischen ihrem Leben und vollständig fest-gelegt. Einiges litarismus, sondern folgt dem den (dann) oft sehr abstrakten könnte auch völlig anders sein. mit den Ideen eines „republika- Theorien der Wirtschaftsethik Das ist gar nicht so ver-rückt, nischen Liberalismus“ (Ulrich begreifen, wenn sie die ersten wie es im ersten Moment klin- 2007) verbundenen Prozess, Überraschungen erleben, fängt gen mag. Menschen vor hun- der nicht gleichmacht, sondern es an, eine Öffnung, die einen dert Jahren hatten in vielen Be- Unterschiede wertschätzt, da- Prozess in Gang bringt, der viel- reichen erheblich abweichende bei aber Gerechtigkeitsfragen leicht sehr viel erlaubt. Vorstellungen, Ziele, Wünsche, beantwortet und nicht ver- Sehnsüchte etc. Wirken nicht drängt. schon zehn, zwanzig, dreißig 37 Politik unterrichten 1/2013

Jahre alte Filme oft sehr skur- überlebenswichtig, vieles zu nicht gelöst, wie Menschen „ra- ril? Wissenschaftsgeschicht- verdrängen, schön zu reden, tionale“ Argumente denn über- liche Bücher sind nicht selten einfach nicht wissen zu wollen. haupt „annehmen“ sollen. Wer ein großes Amüsement. Wer Das ist gleichzeitig das zentra- das Ausmaß dieses Problems kann glauben, was Menschen le Problem. Wir verwenden ex- nicht begriffen hat, wird keine für Ideen hatten, auf welche treme Anstrengungen darauf, Lösungen umsetzen können. Weise sie die Wahrheit über die von Erkenntnis „verschont“ zu Diese brauchen wir aber, um Welt finden würden? Das wird werden, erzählen uns schöne überhaupt zukunftsfähig sein sich vermutlich nicht ändern, ich Geschichten, die wir für die ein- zu können. Wirtschaftsethik ist habe bei einigen unserer For- zig mögliche Wirklichkeit halten, ohne die Lösung dieses Pro- schungsgebiete den Eindruck, und handeln ständig völlig unan- blems sinnlos. Worum es mir dass in einigen Jahren Men- gemessen – Hauptsache unse- deshalb ganz zentral geht, ist zu schen kopfschüttelnd vor dem re schön geordnete, heile Welt erlernen, wie ich Dinge ansehen stehen, womit sich intelligente bleibt auf diese Weise erhalten. und aushalten kann, um sie so Menschen beschäftigt haben, Oft sind Menschen erst dann weit zu durchdringen, dass ich statt ernsthafte Probleme zu zu Veränderungen bereit, wenn „vernünftig“ handle. lösen. Manches allerdings wird sie in existenzielle Krisen ge- Jetzt löse ich mein Beispiel sich in meiner Wirklichkeit ver- raten und ihr destruktives Han- auf. Mir geht es nicht um Bier. mutlich nicht stark verändern, deln überhaupt keine Fortset- Mir geht es um Wasser. Wir ha- vermutlich werde ich nie durch zung mehr erlaubt. Menschen ben zuhause alle eine Wasser- Wände gehen, keinen Iron Man nach einer solchen Krise wirken leitung. Wir drehen am Hahn mitmachen können und auch manchmal ganz schön weise. In und es fließt in ein Glas. Das keine Mode entwerfen können. vielen Fällen ist es aber zu spät, könnten wir trinken. Es ist frisch, Formen dieser Denkkonstruk- weil das spielende Kind auf der gesund, spottbillig, unfassbar te sind u.a. in der Soziologie Straße vielleicht keine zweite praktisch und es schmeckt. Wir und Philosophie lange schon Chance bekommt, auch nicht trinken das aber nicht. Wir fah- Mainstream-Überzeugungen. der Alkoholiker, der keine Spen- ren zu Getränkemärkten und Oft werden sie leider völlig ver- derleber erhält. kaufen in Flaschen abgefülltes zerrt dargestellt, um sich nicht Jürgen Kritz hat dies in ähn- Wasser, das, wollen wir uns als damit beschäftigen zu müssen. licher Weise als Wechselspiel etwas ganz besonderes fühlen, Sie stellen zu viel in Frage. Die zwischen Ordnung und Chaos aus anderen Ländern kommt, in Einsicht in Kontingenz erzeugt beschrieben und eindrückliche schönen Verpackungen ist und Ängste, existenzielle Ängste, bis Beispiele gegeben, gerade auch mit noch schöneren Geschich- zur Psychose. Es ist eben - in Bezug auf Wissenschaftler, ten vermarktet wird. Jetzt denkt de nicht richtig, dass Menschen die zu viel Erkenntnisinteresse der analytisch geschulte Spru- nach tiefer Erkenntnis streben. gezeigt, mithin die bestehende deltrinker sofort, warum das Das hat sehr gute Gründe. Ordnung zu stark in Frage ge- genau auf diese Weise sinnvoll Wenn ich über manche Zusam- stellt hatten. (Kritz 1997) Die Fä- ist. Das ist es aber nicht. Die Ar- menhänge nachdenke, erken- higkeit, diese Kontingenz mei- gumente sind alle ausreichend ne ich keine Lösung, die mein ner Wirklichkeit zu durchdringen erörtert, es gibt zahlreiche Un- Leben besser macht, sondern und damit in einem ständigen tersuchungen dazu. Kein Argu- kann dabei völlig verzweifeln Prozess echte Erkenntnis zu- ment ist haltbar. Es lässt sich und Widersprüche erkennen, lassen zu können, ohne dabei an der Form der Argumentatio- die ich nicht auflösen kann, weil gesundheitliche Schäden davon nen sehr schön zeigen, wie der es evtl. überhaupt nicht geht. zu tragen, wofür z.B. psychische Abwehrprozess in uns funktio- Arno Gruen schreibt deshalb in Resilienz erforderlich ist, ist ein niert. Aber es sind alles Illusio- seinem Buch mit dem bezeich- Teil von „echter“ Bildung, ohne nen. Es kommt immer jemand, nenden Titel „Der Wahnsinn der den ich den Bildungsbegriff nicht der von Ausnahmen spricht, Normalität“ (Gruen 1992), dass sinnvoll begreifen kann. weil er eine Bleileitung habe. ihm Schizophrene sympathi- Die für uns „normale“ Reak- Ausnahmen sind aber gera- scher seien, da sie an den Wi- tion auf Kritik ist immer Abwehr, de keine Argumente, sondern dersprüchen zerbrächen, statt Angriff, Leugnung, Verdrängung. Ausnahmen. Statt aber seine sie zu verdrängen. Wir müssen Selbst bei einem so harmlosen ganze Energie für die Lösungs- aber sehr vieles verdrängen, Beispiel wie dem mit dem Bier abwehr einzusetzen, wäre es weil wir sonst nicht handlungs- reagiere ich sofort extrem. Wie doch vielleicht sinnvoller, sich fähig bleiben. Wenn wir alle Er- soll es dann gelingen ernsthafte mit der Frage zu beschäftigen, kenntnis, die uns aufnehmbar Probleme zu lösen? Bei Haber- wie man zu gesundem Wasser wäre, aufnähmen, zerbrächen mas‘ Diskurstheorie, die ich für kommt. Kocht er mit diesem wir daran. Das ist nicht harmlos. ausgesprochen hilfreich halte, Wasser? Wer in diesem Den- Deshalb ist es gesund, sogar ist u.a. ein zentrales Problem ken steckt, sieht i.d.R. einfach 38 1/2013 Politik unterrichten nicht, wie blöd-Sinn-ig das ist. beschäftigen, wenn sie besser schon Dinge auswendig zu ler- Er kauft Wasser! Bezahlt Geld etwas Sinnvolles machenkönn- nen und zu wissen, wo die Da- dafür! Schleppt Kisten! Und das ten? Das Bruttosozialprodukt ten dann untergebracht werden ist dann ein homo oeconomic- würde sinken, aber sänke auch müssen. Es ist nicht notwendig us? Das ist der Ausdruck der die Gesamtanzahl der „Güter“? zu verstehen, worum es geht. persönlichen Präferenzen? Be- Dann wäre das, wie jetzt schon, Searles Chinesisch-Zimmer-Ex- steht nicht eher ein erheblicher vielleicht ein Verteilungspro- periment ist ein gutes Beispiel Anteil unserer Marktwirtschaft blem? Das ist alles nicht einfach dafür. Der (gedachte) Proband gerade darin, die extreme Irra- zu erfassen, die Zusammen- sitzt in dem Zimmer und lernt tionalität unserer Verhaltens- hänge sind sehr komplex. Es ist im Laufe der Zeit die Symbole weisen zu erzeugen und zu aussichtslos, dafür einfache Lö- (Schriftzeichen) zu unterschei- nutzen? Auch ich habe Mine- sungen entwickeln zu wollen. Ich den und wann auf welche Frage ralwasser gekauft und völlig habe auch nicht den Eindruck, welche Antwort positiv quittiert sinnlos durch die Gegend ge- dass selbst die „Experten“ auch wird. Er lernt überhaupt nichts schleppt. Jahrelang! nur annähernd begreifen, was über die Inhalte. Viele E-Klau- Das ZDF hat sogar eine sie selbstsicher verkünden. Es suren in der industriellen Absol- skandalisierende Sendung zur gibt aber vielleicht einen ande- ventenproduktion haben diesen Gesundheitsgefährdung von ren Weg. Wir könnten lernen Charakter, womit es für den Mineralwässern gemacht. (ZDF schrittweise Zusammenhänge Studierenden zur Erfolgsstrate- 2012) Das Thema Leitungs- zu durchdringen und etwas zu gie wird, sich auf eine spezielle wasser haken sie schnell ab, in- verändern. Wer das Problem mit Form des Memorierens zu fo- dem sie einen Wassersomme- dem Wasser durchdrungen hat, kussieren. Wer auf dieser Stufe lier einladen, der ihnen sofort hört sofort auf Mineralwasser zu ist, beschränkt sein ethisches bestätigt, dass Leitungswasser trinken. Es gibt viel schwierigere Engagement, indem er z.B. ungenießbar schmecken wür- Probleme, uneindeutige, viele, Fairkaffee kauft oder aktuellen de. Einen Wassersommelier! die etwas fordern, unbequem Modetrends folgt, mal Bionade, Noch ein drittes Mal: Einen sind, oder von anderen abhän- mal Sekt in Dosen. Wassersommelier!!! Die ganze gen. Aber es gibt auch solche: Etwas zu verstehen ist oft Sendung ist überflüssig, weil durchdrungen, gehandelt! Wer gar nicht so einfach. Wir ver- Mineralwässer ein völlig absur- das mit dem Wasser nicht ernst stehen in Modellen, durch Ge- des Konstrukt sind. Die gan- nimmt, nicht durchdringt, lernt schichten, in Zusammenhän- ze Mineralwasserindustrie ist nicht, verändert nicht, bewegt gen, erkennen Widersprüche ganz schlicht überflüssig, sie keine großen Dinge. Wer immer etc. Vieles bleibt jedoch seltsam stellt nur „Schlechter“ her. In tiefer durchdringt, WIE verrückt abstrakt, lässt uns ungerührt, einer lebensdienlichen Ökono- es ist Mineralwasser zu kaufen, wie der chinesische Sack Reis mie gibt es solche „Schlechter“ wie un-Sinn-ig es ist, verändert oder Statistiken. nicht, sie halten der Grundfra- sich selbst, ist in einem Prozess Beim Be-greifen wird der ge einer Wirtschaftsethik nicht des Denkens. körperliche Aspekt deutlicher, stand, der Frage, ob das etwas wie auch das Emotionale. Es zum „guten Leben“ beiträgt. Der Erkenntnisprozess bedeutet etwas anderes, wenn Auf dieser Grundlage lässt sich wir Dinge berühren, sie spüren, jetzt sehr schön weiterdenken. Wassertrinken ist nur ein sehr sie erleben. Wer Fahrradfahren Ist nicht auch die ganze Limo- simples Beispiel, an dem ich versteht, kann es noch nicht. nadenindustrie ein vollkommen verdeutlichen wollte, wie wir in Wer es begreift, hat eine ganz künstliches, schlicht überflüssi- einen Lernprozess einsteigen andere Form der Erkenntnis. ges Konstrukt, weil es seit Jahr- können, wie das persönliche Be- Noch immer gibt es die Vorstel- zehnten Konzentrate gibt, die dürfnis nach Bildung entsteht, lung, Lernen müsse „trocken“ ins Leitungswasser gemischt in einen Erkenntnisprozess ein- sein, sachlich etc. Der Main- werden könnten, auch in der- zusteigen, der extrem komplex stream ist inzwischen der Über- selben Qualität wie die kaufba- werden kann, voller abstrakter, zeugung, dass es emotionsfrei- ren Produkte, wenn der Wille anfänglich oft wenig intuitiver es Lernen nicht geben kann. Mit dazu da wäre? Was ist dann Theorien, aber immer mit dem dem Einbezug der Emotionen Bionade? Oder noch grotesker: Ziel, die lebensweltliche Praxis und dem Körperlichen meine Bio-Mineralwasser!!!7 zu gestalten. Ich unterscheide ich jedoch noch etwas mehr, Dann könnte die Frage der vier Erkenntnisformen: Memo- Arbeitsplätze diskutiert wer- rieren, Verstehen, Begreifen und den, die angeblich das Wich- Durchdringen, von denen erst 7 Das ist wirklich kein Scherz: tigste sind. Macht es aber die letzte hilfreich ist, weil sie zu http://www.bio-mineralwas- Sinn, Menschen mit sinnloser, Handlungen führt. ser.de sogar schädlicher Arbeit zu Beim Memorieren reicht es 39 Politik unterrichten 1/2013 nämlich die Auffassung, dass Emo- grundsätzlich keine Lebensmit- der Reflexion verweigern. Das hal- tionen selbst Erkenntnis verkörpern tel weg, oder bin ich nicht mehr te ich für wichtig! Das ist kein uto- und nicht bloße Gehirnaktivität korrumpierbar, weil ich die Sinn- pischer Ansatz. Manchmal mag es sind. Erst ein solches Begreifen, losigkeit durchdrungen habe. auch nur in kleineren Schritten vo- was es auf einer reinen Verstehen- Denken und Praxis durchdringen rangehen, aber es scheint mir ein sebene nicht gibt, führt überhaupt sich, werden zum vitalen Prozess, „gesunder“ Weg zu sein, der ganz zu Handlungen (Ciompi 1997), jenseits von Destruktion, von Still- im Sinn der Aufklärung steht, in der weshalb so viele Theorien, Vor- leben. Ich probiere, mache unzäh- Tradition einer Bildung, verstan- sätze, Wünsche nutzlos bleiben. lige Fehler und verbessere dann – den als Persönlichkeitsentwicklung Wenn ich früher Geringverdiener Stück für Stück. Wesentlich ist, die (Humboldt), dabei das enorme Po- bei der Benutzung ihres Mobilte- Getrenntheiten von Werten, Den- tenzial einer postmodernen Philo- lefons gesehen habe, ist mir im- ken und Leben aufzuheben und sophie erkennend, die nicht in Be- mer etwas schlecht geworden, sich gegenseitig durchdringen zu liebigkeit mündet, sondern in eine ich wurde nervös, habe „gespürt“ lassen. Alles wird stete Übung, ge- vitale Lebenspraxis, basierend auf wie sie anschließend „ackern“ müs- rade auch der Lernprozess, denn humanistischen Werten, stets im sen, um dieses viele Geld wieder die(se) Übung macht den Meister. Fluss. zu verdienen. Wie viele Stunden Nochmal sehr deutlich: Es geht Das alles habe ich einige Jah- Haareschneiden, um eine Stunde in dieser Form der Wirtschaftsethik re ausprobiert, ganz praktisch. Die telefonieren zu können? nicht darum, andere zu überzeu- Evalutationsergebnisse (von Maur Den Begriff des Durch-drin- gen Veganer zu werden. Es geht 2012) können nicht wiedergeben, gens habe ich gewählt, weil erst auf darum, sie vom ganz praktischen was dort entstanden ist, immer wie- dieser vierten Stufe von Erkenntnis Sinn von Reflexion zu überzeugen, der, sprechen aber eine deutliche etwas passiert, das handlungslei- damit sie die Konsequenzen ihrer Sprache. Es war Universität, wie tend ist. Erst wenn die Erkennt- Handlungen sehen (können), sie ich sie mir immer vorgestellt habe, nis von mir durchdrungen wurde, wissenschaftstheoretisches Inst- schon als Student. Das kann jeder mich selbst durchdrungen hat, rumentarium anzuwenden lernen, machen. Wenn er will. Am besten verinnerlicht ist, fester Bestand- täglich, überall, ihnen zu zeigen, wie schon in der Schule. Und warum teil meiner Gewohnheit geworden sich Ethiken unterscheiden lassen, nicht auch, in anderer Form, im Kin- ist, ist es „echte“ Erkenntnis. Erst dass es mithin eine Wahl gibt, die dergarten? auf dieser Stufe kaufe ich kein Mi- auf Gründen basiert, dass sie aber neralwasser mehr, schmeiße ich immer wählen, auch wenn sie sich

Literatur

Bergius, Susanne (2010): Wenn die Moral zu kurz kommt, in: Stuttgarter Nachrichten – Sonntag Aktuell 18.4.2010. Brodbeck, Karl-Heinz (2011): Buddhistische Wirtschaftsethik – Eine Einführung, 2011, ISBN 3942085143. Ciompi, Luc (1997): Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik, 3. Auflage, 1997, ISBN 3525014376. Dörner, Dietrich (1992): Die Logik des Mißlingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen, 1992, ISBN 3498012606. Eimer, Annick (2011): Ökonomie ist Gehirnwäsche, Spiegel Online, http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/0,1518,748834,00. html, 5.4.2011. Gruen, Arno (1992): Der Wahnsinn der Normalität – Realismus als Krankheit – Eine Theorie der menschlichen Destruktivität, 1992, ISBN 3423350024. Heuser, Uwe Jean (2012): Einstürzende Altbauten, in ZEIT 19.4.2012. Jungbluth, Rüdiger (2013): Jan Müller hat nicht genug – Die Wirtschaft wächst und wird weiter wachsen, in ZEIT 14.3.2013. Kirchgässner, Gebhard (2000): Homo oeconomicus, 2008, 2. Auflage, ISBN 3161473566. Kritz, Jürgen (1997): Chaos, Angst und Ordnung – Wie wir unsere Lebenswelt gestalten, 2. Auflage, 1997, ISBN 3525017286. Luhmann, Niklas (1993): Wirtschaftsethik – als Ethik?, in: Wieland, Josef (Hrsg.) Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, S. 134-147. von Maur, Eitel (2012): Lehrevaluationen zur Wirtschaftsethik, http://www.eitelvonmaur.de/evm/lehre.html. Musil, Robert (1970): Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, 1970, ISBN 3498092766, http://gutenberg.spiegel.de/musil/ mannohne/mannohne.xml. Negt, Oskar (2013): Philosophisches Radio, WDR5, 22.2.2013, http://podcast.wdr.de/radio/philosophischesradio.xml. Peters, Achim (2013): Mythos Übergewicht – Warum dicke Menschen länger leben – Überraschende Erkenntnisse der Hirn- forschung, 2013, ISBN 3570101495. Thielemann, Ulrich (2012): Das Imperium schlägt zurück, http://www.mem-wirtschaftsethik.de/memorandum-2012/repliken/ die-zeit, 27.4.2012. Thielemann, Ulrich; von Egan-Krieger, Tanja; Thieme, Sebastian (2012): Für eine Erneuerung der Ökonomie – Memorandum 40 1/2013 Politik unterrichten

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Drucksache 17/12252 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Kleine Anfrage vom 30. Januar 2013

der Abgeordneten (Leipzig), Dr. Hans-Peter Bartels, Marco Bülow, (Hil- des-heim), , Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger, , Iris Gleicke, , Wolfgang Gunkel, Michael Hartmann (Wackernheim), Dr. Barbara Hendricks, (Essen), Frank Hofmann (Volkach), , Ute Kumpf, , Kirsten Lühmann, , , , , Gerold Reichenbach, Sönke Rix, Michael Roth (Heringen), , Dr. Martin Schwanholz, , , Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, , Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Zur Lage der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland

„Man kann sich verwirklichte Demokratie nur als Gesellschaft von Mündigen vorstellen“ (Theodor W. Adorno). Da politische Mündigkeit von jeder Bürgerin und jedem Bürger selbst erworben werden muss, bedarf es der politischen Bildung. Eine Demokratie, die sich nicht um die Förderung der demokratischen Kenntnisse und Fähigkeiten kümmert, wird aufhören, Demokratie zu sein. In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist politische Bildung und die Diskussion über politische Bildung ein wesentlicher Teil der politischen Kultur.

Ziel der politischen Bildung muss sein, die aktive Wahrnehmung der bürgerlichen Rechte in unserem demo- kratischen Rechtsstaat zu fördern. Politische Bildung soll und muss Bürgerinnen und Bürger im Sinne einer gelebten Demokratie dazu befähigen und motivieren, eigene Ansprüche an die Gesellschaft zu stellen und für die Verwirklichung dieser Ansprüche einzutreten.

Viele Bürgerinnen und Bürger engagieren sich fallweise gegenüber konkreten Projekten und fordern Be- teiligung ein. Es sind aber immer weniger Menschen in Deutschland bereit, sich allgemeinpolitisch z. B. in Parteien zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Die Beteiligung an Wahlen sinkt. Zudem deuten manche Darstellungen und Kommentare – beispielsweise die Shell-Jugendstudie 2010 oder die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung e. V. „Demokratie in Deutschland 2011“ – darauf hin, dass es auch eine verbreitete Unkenntnis über die Funktionsweise unserer parlamentarischen Demokratie oder den Staatsaufbau gibt.

Gleichzeitig steht unsere demokratisch verfasste Gesellschaft vor der Herausforderung, den Feinden unse- rer Demokratie vereint und entschlossen entgegenzutreten. Die Taten der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und die Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung e. V., die zeigen, dass rechtsextreme Einstellungen in bedrückendem Ausmaße auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind, belegen dies besonders für die Gefahr von rechts.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die politische Bildungsarbeit in der Bundesrepublik Deutsch- land weiter intensiviert werden kann, um die verschiedenen Akteurinnen und Akteure der politischen Bildung in der Schule, Hochschule und den außerschulischen Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung besser zu unterstützen.

Wir fragen die Bundesregierung: 1. Von welchem Grundverständnis lässt sich die Bundesregierung bei der politischen Bildung leiten? 2. Ist „politische Bildung“ für die Bundesregierung Bildung? 3. Wie beurteilt die Bundesregierung die Arbeit und die Rolle der politischen Stiftungen in der politischen Bildungsarbeit? 4. .... Den Text dieser Drucksache – Anfrage und Antwort der Bundesregierung – finden Sie im Internet:

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/122/1712252.pdf 41 Politik unterrichten 1/2013

How to do Planspiel. Zu Strukturelementen, Konstruktionsprinzi- pien und Möglichkeiten der Makromethode in der Politischen Bildung. Markus W. Behne

derne Brettspiele andererseits entstehen und für einen be- hin. Der Siegcharakter bezie- stimmten Zeitraum bestehen zu hungsweise das Gewinnziel lassen. Diese Struktur schaffen scheinen die bestimmenden sich die Spieler selbst: durch Faktoren für diese Kategorie von Planspielen zu sein. Politi- sche Planspiele weisen selten ein echtes „Gewinnziel“ als be- 1 von Hilgers, Philipp 2000, Planspiele haben in der politi- stimmenden Faktor auf. Koope- Eine Anleitung zur Anlei- schen Jugend- und Erwachse- ration, Diskussion und Konsens tung. Das taktische Kriegs- nenbildung, schulisch wie non- beziehungsweise Kompromiss spiel 1812-1824, erschienen formal, eine inzwischen überaus sind Ziele politischer Planspiele, im Journal of International große Bedeutung. Dies hat auch so dass „Gewinnen“ eher unprä- Board Game Studies (http:// dazu geführt, dass die Methode zise eine positive Problemlösung www.boardgamestudies. info/pdf/issue3/BGS3Hilgers. deutlich ausdifferenziert wur- oder eine Ergebniserreichung pdf letzter Zugriff: 5.3.2013). de und einige Planspiele eher darstellen könnte. Darüber hi- „Board Games Studies ist Konferenzsimulationen oder er- naus sind Kabinettskriege bis eine wissenschaftliche Zeit- weiterte Rollenspiele darstellen. ins 19. Jahrhundert vielleicht schrift, die sich der histori- Dieser Beitrag ist zum Teil aus ei- noch modernen Planspielen ver- schen und systematischen nem Vortrag aus dem Jahr 2012 wandt, totale Kriege oder asym- Erforschung des Brettspiels hervorgegangen. Zum anderen metrische Konflikte werden eher widmet. Sie hat sich zur Auf- gibt er die Erfahrungen aus der durch Manöverformen simuliert gabe gemacht, ein Forum für internationalen Planspielpraxis denn durch Planspiele im enge- die Brettspiel-Forschung al- ler Fachrichtungen zu bieten, nicht nur mit Schülerinnen und ren Sinne2. um das Verständnis für die Schülern, sondern weitgehend Planspiele weisen auch Ge- Entstehung und Verbreitung allen Altersgruppen wieder. Der meinsamkeiten mit kindlichem von Brettspielen im Rahmen Essay will einen Beitrag zur Spielen auf. Die Rahmenset- eines interdisziplinären An- Klärung des Begriffs und der zung, die Rollenzuweisung, die satzes zu fördern.“ (zitiert Didaktik von Planspielen leisten Interaktion und die Offenheit nach: http://www.boardga- und gleichzeitig Impulse für die des Spielverlaufs sind Merkma- mestudies.info/studies/) Praxis der Planspielkonstruktion le, die Kinder im Alter von 3 bis 2 Zu den Strukturmerkmalen geben. vielleicht 10 Jahren nutzen, um unterschiedlicher Kriegsty- pen vgl.: Jäger, Thomas / in Gruppen oder mit Spielfigu- Beckmann, Rasmus 2011 Wurzeln des politischen Plan- ren (Puppen, Play-Mobil, Lego- (Hg.), Handbuch der Kriegs- spiels Figuren, Masken und Acces- theorie, Wiesbaden: VS Ver- soires) bestimmte Spielformen lag für Sozialwissenschaften; Ob Planspiele tatsächlich aus zu gestalten. Fritz (2004)3 hebt besonders die Beiträge von, militärischen Kriegsspielen1 für diese Spiele, Spieltypen und S. 405-412; Externbrink, hervorgegangen sind, wie in Spielmomente unter ihrer Kons- Sven, Die Grenzen des „Ka- der Regel historisierend herge- truktionsdimension hervor, dass binettskriegs“: Der Sieben- leitet wird, darf bezweifelt wer- sie ein „Konstrukt aus Verabre- jährige Krieg 1756-1763, S. 350-358; Pöhlmann, Markus, den. Kriegsspiele weisen sicher dungen, Regeln und Materiali- Der Zweite Weltkrieg – ein Strukturmerkmale auf, die auch en“ (S. 32) seien und führt weiter Totaler Krieg; sowie Vad, auf Rollen- und Planspiele zu- aus: Erich, Asymmetrischer Krieg treffen. Insgesamt weisen diese „Damit sich eine Spielwelt als Mittel der Politik, S. 586- Strukturmerkmale aber in der aus der realen Welt herauslösen 593. einfachen Genese eher auf PC- kann, ist es notwendig, einen 3 Fritz, Jürgen (2004), Das und Internet-Rollenspiele wie Spielraum zu schaffen, der Rah- Spiel verstehen. Eine Einfüh- Warcraft, SimCity oder diverse mungshandlungen und Spiel- rung in Theorie und Bedeu- Fantasy-Abenteuer-Spiele ei- prozesse ermöglicht. Es bedarf tung, Weinheim / München: Juventa Verlag. nerseits und klassische wie mo- einer Struktur, um die Spielwelt 42 1/2013 Politik unterrichten

Verabredungen, durch Abklären Charakteristika von Planspie- in der Betriebswirtschaftslehre von Regeln, durch Vereinbaren len intensiv genutzt werden. Holz- von Modifikationen, durch Ein- bauer5 definiert ein Planspiel beziehung ausgewählter Mate- Planspiele sind, will man der als „[…] ein Spiel, das gespielt rialien und der Bestimmung ih- Taxonomie von Peter Baum- wird, um Erfahrungen in Pla- rer Bedeutung und Funktionen. gartner4 folgen, eine Unter- nung und Entscheidung zu Die Konstruktdimension ist die richtstechnik, die in Abgrenzung bekommen. Über die betriebs- geistige Struktur der Spielwelt zu Unterrichtsprinzipien, Sozi- wirtschaftlichen Planspiele und und zugleich ihre konsensu- alformen und Medienwahl, der Unternehmenssimulationen hin- eller Hintergrund. Die Kon- Realisierung der Prinzipien des aus können wir ein Planspiel all- struktdimension des Spiels ist Unterrichts dienen. Der Begriff gemein beschreiben [Holzbauer das `Drehbuch` für potentielle Methode scheint aber auch wei- 2000] als ein Lehrverfahren, bei Spielprozesse und das `Skript`, terhin angebracht, da hier auf die dem am Modell einer Situation das den Spielern die notwendi- Vermittlungsabsicht, die Zielset- dem Lernenden Handlungsent- gen Orientierungshilfen bietet. zung, die Material-, Sozialform- scheidungen abverlangt wer- Sie bezeichnet die strukturel- und Medienauswahl sowie die den, deren Auswirkungen dann len Vorgaben einer Spielwelt Wegdefinition inklusive der Be- überprüft werden.“ und steckt damit Ziele, Verhal- stimmung des Lerngegenstands tensweisen, Möglichkeiten und - des Inhalts – in einer weitaus Grenzen der Spieler im Rahmen komplexeren Form abgehoben dieser Spielwelt ab. Der Raum wird. Die Methodenwahl ist ein 4 Baumgartner, Peter 2011, für die Konstruktion des Spiels wesentlicher Bestandteil der Un- Taxonomie von Unterrichts- liegt außerhalb der Spielwelt“. terrichtsplanung und die Metho- methoden, Münster: Wax- mann. (ebd.) denkompetenz ein selbstständi- 5 Holzbauer, Ulrich (2005), Die Regellastigkeit und Of- ges Ziel der Unterrichtspraxis. Spieltheoretische Aspekte fenheit stehen für diese Gruppe Ein Blick über die eh schon im Planspiel Optimierung, von Spielen im Vordergrund und erstaunlich offenen Fachgren- Entscheidung und Strategie die Strukturmerkmale weisen zen der Politikdidaktik hinaus (http://www.bibb.de/doku- tatsächlich erheblich Ähnlich- lohnt sich im Bereich Planspiele mente/pdf/1_14.pdf, letzter keiten mit politischen Planspie- besonders, da Planspiele auch Zugriff 5.3.2012). Verweis len auf. in anderen sozialwissenschaftli- Holzbauer 2000 dort. chen Didaktiken wie zum Beispiel

Abb.1: Eigenschaften eines BWL-Planspiels nach Holzbauer. (Eigene Zusammenstellung) 43 Politik unterrichten 1/2013

Die Ähnlichkeiten zu politischen einfühlender Empathie ge- standen. Sie gilt nicht nur als Planspielen sind so groß, dass nügend Raum zur Entfaltung formaler Gehalt von Demokra- mit leichten Einschränkungen lässt und positiv verstärkt; tie, sondern in einem weiterge- eine allgemeine Struktur der Ei- • ein situativer Prozess, so henden und empathischen Sinn genschaften von didaktischen dass die spezifische Lern- als aktive Teilhabe der Bürgerin- Planspielen in den Sozialwis- situation antizipiert werden nen und Bürger an allen öffent- senschaften hiervon abgeleitet muss, um einer klaren di- lichen Entscheidungs(findungs) werden könnte. daktischen Strukturierung zu prozessen, was Verantwortung Die Einschränkungen bezie- folgen; für die Zukunft der (Zivil-)Ge- hen sich auf die Konzentration • ein sozialer Prozess, der die sellschaft einschließt. […] Diese der Bedeutung des einzelnen Interaktion in den Mittelpunkt zunächst menschenrechtlichen, Spielers beziehungsweise im- der Wissensaneignung und gesellschaftspolitischen und plizit auch der einzelnen Spie- der Entwicklung sozialer demokratietheoretischen Über- lerin. Der Unterschied beruht Deutungsmuster als Schnitt- legungen bilden auch den Kern nicht nur sprachlich in der Ver- menge individueller Vorstel- bildungstheoretischer Konzep- wendung von Singular und Plu- lungen stellt, ohne den so- te, […]“ 10 ral, sondern in der Herleitung zialkulturellen Kontext der Die Partizipation als aktive aus einem individuell gedachten Lernenden zu missachten.6 Teilnahme ist eine Eigenart von und geplanten Lernfortschritt Planspielen und ermöglicht es, Einzelner und einem sozial- Die Konstruktion von Planspie- eines der Hauptziele von po- konstruktivistisch gedachten len, die diesen Charakteristika litischer Bildung anzustreben: und geplanten Lernprozess ei- genügen sollen, weicht nicht Erhöhung von demokratischer ner sozialen Gruppe. von der erwähnten Regellastig- Urteils- und Handlungsfähigkeit Planspiele sind aus der Sicht keit ab, muss aber so heraus- durch Praxis und Reflektion. der sozial-konstruktivistischen fordernd gestaltet sein, dass Hierzu müssen die gesellschaft- Lerntheorie mehr als nur die die Spielenden selbst das prä- lichen Bedingungen von politi- Summe individueller Lernereig- sentierte Modell der Wirklich- schem Handeln, ihre Prozesse nisse und die Steigerung einer keit weiterentwickeln, also an Problemlösungskompetenz. Die ihm partizipieren wollen. Die- in dieser Lerntheorie zu finden- se Partizipation zu fordern und den Formulierungen weichen hierdurch zu fördern stellt den nur graduell vom Eigenschafts- Kern eines politischen Plan- 6 Vgl. Reinmann Gabi / Mandl, modell bei Holzbauer ab, stellen spiels dar.7 Wenn Planspiele, Heinz 2006, Unterrichten und Lernumgebungen gestalten, aber die motivationale und emo- wie viele andere Methoden der in: Krapp, Andreas / Weide- tionale Ebene eines interaktiven politischen Bildung, auch „nur“ mann, Bernd (Hg.), Pädago- Prozesses in den Mittelpunkt. eine Simulation darstellen, muss gische Psychologie, 5. Aufl., In der wissensbasierten, so- doch die Bedeutung der prakti- Weinheim, S. 613-658, hier: zial-konstruktivistischen Didak- zierten und trainierten Partizipa- S. 638. tik kann Lernen charakterisiert tion hervorgehoben werden. Be- 7 Reich, Kersten (Hg.) 2007ff, werden als: cker (2012)8 weist, neben dem Planspiel (http://www.uni-ko- ersten Begriff der gegenseitigen eln.de/hf/konstrukt/didaktik/ • ein aktiver Prozess, der die Anerkennung, dem Begriff der download/planspiel. pdf) in: Methodenpool (http://metho- Lernenden selbst motivieren Partizipation die Zentralstelle für denpool.uni-koeln.de, letzter muss, aktiv zu werden; postmoderne, globalisierte Ge- Zugriff: 25.08.2011), S. 6-13. • ein selbstgesteuerter Pro- sellschaften zu, was auch als 8 Becker, Helle 2012, Politi- zess, der die Lernenden Herausforderung für die politi- sche Bildung in Europa, in: selbst in der Verantwortung sche Bildung in diesen Gesell- APuZ 46-47, S. 16-22. nimmt, ihren Lernprozess zu schaften zu verstehen ist: „So 9 Globalisierung als Heraus- steuern und zu kontrollieren; spielt Partizipation als zweiter forderung an die politische • ein konstruktiver Prozess, Begriff in dieser Argumentation Bildung zuletzt zum Beispiel der die vorhandenen Wis- eine Schlüsselrolle für Wege bei: Steffens, Gerd 2011, Politische Bildung zwischen sensbestände, Kompeten- und Instrumente, Konflikte fried- Selbstgenügsamkeit und zen und Vorstellungen der lich zu lösen und Entscheidun- Globalisierungskrise, in: Lernenden ansprechen gen tragfähig herbeizuführen Lösch, Bettina / Thimmel, An- muss und zur Weiterentwick- und abzusichern. Partizipation dreas (Hg.), Kritische politi- lung anregen soll; wird so als notwendige Voraus- sche Bildung. Ein Handbuch, • ein emotionaler Prozess, setzung für die Legitimierung hrsg.v.d. Bundeszentrale für der dem Einfluss von in- und Steuerung schnelllebiger, politische Bildung: Bd. 1085, trinsischer Motivation, per- pluralistischer und multipers- Bonn, S. 25-36, hier: 32. sönlicher Betroffenheit und pektivischer Gesellschaften ver- 10 Ebd.: S17f.. 44 1/2013 Politik unterrichten und Strukturen aufgenommen ren, würden sie ihrer Aufgabe in die Beantwortung der Frage und didaktisch anwendbar ge- als Lehrende oder Lehrender einfließen müssen, was wegge- stalten werden, ohne diese nicht gerecht werden können. lassen werden muss im Plan- aufzulösen und zunächst auch Zudem ist die Sache selbst nie spiel selbst, was weggelassen ohne eine abstrakte Position abgeschlossen zu analysieren, werden kann in der dem Plan- zu beziehen. Ein inhaltlicher dafür ist der wissenschaftliche spiel folgenden Evaluation und wie struktureller Konflikt muss Fortschritt zu rasant oder - be- was weggelassen werden darf erlebbar und durchlebbar kon- sonders in den gesellschafts- in Anbetracht der Zielgruppe, struiert werden. Alternativlose wissenschaftlichen Fächern - zu auch wenn dieser oder jener oder umständlich konstruierte sehr im Fluss. Auch sollte ein Aspekt in der Politik von höhe- Themen, Inhalte und Situatio- pragmatisches Zeitmanagement rer Bedeutung war oder ist. nen lassen weder einen Dis- der Analyse Grenzen ziehen. sens zu, noch bilden sie das Umgekehrt ist die Herangehens- Prinzipien der Konstruktion demokratieimmanente Problem weise „immer schon aus Schü- von Planspielen der Mehrheitsfindung und der lersicht“ zu kurz gesprungen Minderheitenrechte ab. Sowohl für eine fachliche Analyse. Wer Politik ist die konfliktive Aus- Dissens-Konsens-Dialektik als so analysiert, nimmt nicht nur einandersetzung mit anderen auch Mehrheiten-Minderheiten- der Zielgruppe die Möglichkeit, Meinungen zur gemeinsamen Dualismus sind aber durch ihre einen größeren oder anderen Bestimmung von Zukunft. Po- individuelle wie kollektive Di- Erkenntnisgewinn zu generie- litische Bildung kann sich aber mension von hoher Bedeutung ren, als der Lehrende für mög- auch mit Grundbedingungen, für politisches Lernen. Und die lich hält. Er oder sie nimmt sich regional-kulturellen Besonder- angesprochene Anerkennung vor allem aber auch selbst die- heiten und einer weiteren, gro- des und der Anderen, seiner se Möglichkeit, falsche oder zu ßen Vielfalt von Themen und und ihrer Situation, Meinungen kurze Schlüsse eingeschlossen. Inhalten beschäftigen. Wenn und Rechte ist Grundbedingung Es gibt eine große Zahl von Ein- mit Konflikten in der politischen des Erkennens und der Aner- führungen in die Sachanalyse. Bildung gearbeitet werden soll, kennung der eigenen Situation, Brauchbar unter anderem die kann die Planspielmethode an- Meinungen und Rechte. Dieses Einführung von Retzmann unter: gewandt werden. Nach Klafki individuell-kollektive Lernen in http://www.wida.wiwi.uni-due. (1998) und Steffen (2011, S. der Auseinandersetzung mit de/fileadmin/fileupload/BWL-WI- 32) bedeutet Konflikte in der anderen befördert die von Klaf- DA/Aktuelles/Leitfaden_Unter- politischen Bildung zu thema- ki (1998)11 formulierten gesell- richtsentwurf__3__01.pdf . tisieren, nicht im Allgemeinen schaftlichen Basiskompetenzen In der Regel stellen Sach- zu bleiben oder diese Konflikte zur Selbstbestimmung, zur Mit- analysen aus den genannten im Sozialen Lernen aufzuhe- bestimmung und zum solidari- Gründen noch keine didakti- ben. Gleichwohl darf konstatiert schen Handeln. schen Überlegungen mit dar. werden, dass das Ergebnis der Gleichwohl weiß jede und jeder Entscheidung durch die Gesell- Zur Bedeutung der Sachana- Lehrende, dass hier ein Unter- schaft, die Grundrechte oder lyse richtsstoff geplant wird. Dieses ethische Prinzipien hinnehmbar Hintergrundwissen steht auch sein müssen. Kann es eine vorpädagogische bei jedem Autor oder jeder Au- Es lassen sich für die Kon- Sachanalyse geben? Diese torin als Adressatenorientierung struktion eines Konflikts und Frage beschäftigte vor rund 10 fest. Es zu ignorieren, würde be- des geplanten Konfliktlösungs- Jahren die Fachdidaktiken in- deuten, eine Sachanalyse nur für prozesses in einem politischen tensiv. Der hier vertretene An- sich selbst, aus Liebhaberei, In- Planspiel mehrere Prinzipien satz nimmt eine klare, abduk- teresse oder Freizeitgestaltung formulieren: tive Position ein. Beide Seiten vorzunehmen. Diese Sachanaly- argumentieren in Richtung ihrer se wird wenig professionell aus- • Authentizität-Prinzip, Zielsetzung zumeist stringent, sehen. Wer ein Planspiel plant, • Realitäts-Prinzip, jedenfalls schlüssig. Das ist si- nimmt auch diese methodische cher sinnvoll für die Argumenta- Entscheidung vorweg. Die Sa- tion. Die Realität trifft sowohl die chanalyse wird dann zwangsläu- eine Seite als auch die andere fig darauf ausgerichtet sein, be- 11 Klafki, Wolfgang 1998, aber wohl nur in den seltensten stimmte Momente der Analyse Grundzüge kritisch-kon- Fällen. Die meisten Lehrenden zu betonen, die für die Konstruk- struktivistischer Erzie- sind keine Spezialisten für das tion eines Planspiels notwendig hungswissenschaft, (http:// gegebene Thema. Würden sie sind. Andere Aspekte werden archiv.ub.uni-marburg.de/ nur das Thema oder die The- ebenfalls auf ihre Bedeutsam- sonst/1998/0003/k04.html), o.S. men ihres Spezialwissens leh- keit hin untersucht werden und 45 Politik unterrichten 1/2013

• Prinzip der grundsätzli- der Auseinandersetzung mit an- Sinne eines Aufnehmens, im chen Lösbarkeit, deren zu schärfen. Realistisch besten Falle eines Thematisie- • Prinzip der Polity-Orientie- müssen auch unterschiedliche, rens der aktuellen institutionel- rung, alternative Lösungen sein. Die len und rechtlichen Rahmen- • Prinzip der Inszenierung Reflektion kann an den unter- bedingungen. Eine kritische von Politik, schiedlichen Lösungen, in der Positionierung von Teilnehmen- • Prinzip der Einhaltung von Realität und in der Simulation, den sollte die Kritik adressieren Phasen der Problemlö- ansetzen. Ein realistischer Kon- können. Der Polity-Rahmen sung. flikt steht einer kritischen Reflek- muss die wesentlichen Faktoren tion, die auch Grundsätzliches fokussieren, um eine pragmati- Authentizitäts-Prinzip in Frage stellt, dabei durchaus sche Handhabung zu generie- nicht im Weg, sondern kann ren und eine analytische Posi- Planspiele müssen einen wahr- diese erst gangbar machen. tion zu gewinnen. Um eigene haftigen und ernsthaften In- Die Arbeit mit utopischen Ide- Deutungsmuster mit denen real teressendissens konstruieren, en, selbst wenn sie durch die agierender Politikerinnen und der nicht durch einfache Kom- Planspiel-Reflektion angesto- Politikern oder allgemeiner von promisse beigelegt werden ßen wurde, kann aber besser Akteurinnen und Akteuren ver- kann. Eine Problemlösung, die mit anderen Methoden wie etwa gleichen zu können, müssen die schlicht die eigenen Interes- einer Zukunftswerkstatt oder der Rollenprofile eines Planspiels sen zur Geltung bringen lässt, Szenariomethode geschehen. realistisch am Handlungsumfeld kann nicht zu einer erhöhten Planspiele sind und bleiben nur der darzustellenden realen Rol- Ambiguitätstoleranz führen. eine der vielen Makromethoden len entlang geplant und umge- Die Anerkennung der berech- der politischen Bildung. setzt werden. tigten Interessen anderer findet dann nicht statt. Das Aushalten- Prinzip der grundsätzlichen Prinzip der Inszenierung von können einer ungewünschten Lösbarkeit Politik Situation verlangt von mündi- gen Bürgerinnen und Bürgern Unlösbare Situationen sind zwar Der beliebte Blogg http://kim- nicht, sich mit der Situation im realen politischen Handeln jongunlookingatthings.tumblr. abzufinden oder sogar aus Op- vorhanden, die Auseinanderset- com/12 gibt ein klassisches portunitätsgründen die Position zung folgt hier dann aber in der Beispiel, wie Politiker Politik der Mehrheitsentscheidung zu Regel um die Folgen der vorerst inszenieren. Hier statisch, au- übernehmen. Demokratische unlösbaren Situation, oder die tokratisch, gönnerhaft, lobend Aushandlungsformen beinhal- Blockade wird in der politischen und damit eigenlobend. Auch ten auf die Dauer die Möglichkeit Auseinandersetzung taktisch demokratische Politik ist aber der Mehrheitsänderung und mit oder sogar strategisch einge- darauf angewiesen, die eigenen dieser die Änderung bisheriger setzt. Lösbarkeit im Sinne einer Meinungen, Inhalte und Leistun- Entscheidungen. Authentische nicht alternativlosen und somit gen zu inszenieren. Planspiele Konflikte geben die Möglichkeit aussichtslosen Situation ist für geben jedem Teilnehmer und der Einsicht in die demokrati- die Erprobung von Lösungsan- jeder Teilnehmerin eine Bühne, sche Mehrheitsmacht, die den sätzen und Kompromisslinien um die eigene Rolle zu inszenie- Minderheitenrechten nicht ent- aber eine Voraussetzung. Schie- ren. Dies ist Teil der Faszination, gegensteht. re Unlösbarkeit lässt einen argu- die von Planspielen ausgeht, es mentativen Streit ebenso wenig ist aber auch Teil des Lernpro- Realitäts-Prinzip zu, wie eine allzu leicht konstru- zesses. Ganz unterschiedliche ierte Lösung, die nur noch von Gruppenerlebnisse sind durch Der Konflikt in einem Planspiel den Planspielteilnehmenden er- diese Inszenierung möglich: muss nicht real sein. Er muss kannt werden muss. Diese Form Jugendliche, die sonst nichts aber im Sinne eines auch tat- entdeckenden Lernens macht im Politikunterricht sagen, nut- sächlich vorhandenen Gegen- politische Lerner zu unpoliti- zen ihre Chance. Gruppen, die stands der politischen Ausein- schen Entdeckern. sonst eher durch stilles Arbeiten andersetzung realistisch sein. beeindrucken, werden in der Eine frei erfundene politische Prinzip der Polity-Orientie- Auseinandersetzung sehr laut Auseinandersetzung ermöglicht rung (kommt zum Beispiel bei Grup- kaum Lernen über die Simulati- pen vor, die sich als reine Mäd- onssituation hinaus. Außerdem Der Polity-Rahmen kann auch bietet sie den Teilnehmenden im Sinne von authentisch oder kaum die Möglichkeit, sich mit realistisch verstanden werden. der Rolle zu identifizieren und Das Prinzip der Polity-Orientie- 12 Letzter Zugriff: 1.03.2013 die rolleneigenen Argumente in rung ist aber zu verstehen im 46 1/2013 Politik unterrichten chengruppen finden). Gruppen, tion nicht befördern. Notwendig umfänglich über den Sachinhalt in denen einzelne Schülerinnen ist die Konzentration auf das aufzuklären. oder Schüler bemerken, wie sie Prinzip selbst. Einleitung und Die Rolle in einem Planspiel ihre Gruppe steuern können, Evaluation sind klar strukturiert bietet den Spielenden eine werden schließlich von diesen und geplant. Eine einphasige Handreichung, um sich mit dem dominiert. Jede dieser Gruppe- und nur ein- oder zweistündi- jeweiligen konstruierten oder nerlebnisse sollten in die Reflek- ge Spielzeit (Phasen 3 bis 6 aus der Realität entliehenen tion mit einfließen, um Schlüsse im Muster) kann kein Planspiel Akteur im Prozess zu identifi- zum Lernen und Verhalten in leisten. Diese Methoden wer- zieren. Die notwendige Iden- anderen Lernsituationen zu er- den eher als Rollenspiele oder tifizierung kann durch das frei möglichen. Konferenzsimulationen anzu- gegebene, individuelle Finden sprechen sein. Das Herauslö- eines passenden Namens kre- Prinzipien: Phasen der Prob- sen einzelner Phasen aus einem ativ unterstützt werden. Es ist lemlösung komplexen Planspiel kann eben- notwendig klar zu machen, dass falls in diese Richtung gehen. sich der Spieler oder die Spiele- Diese „Kürzung“ kann zeitliche rin an die Vorgaben des Rollen- Politische Behandlung von Fra- oder spezifische Gründe haben profils hält. Andererseits muss gen, Themen, Problemen er- und deshalb sachdienlich sein. das Profil so offen konstruiert folgt in Phasen, da jede Phase Gleichwohl würde hier auch eine sein, dass der Spieler oder die für verschiedene Akteursgrup- Kürzung der Lernmöglichkeiten Spielerin die Rolle ausfüllen pen Möglichkeiten zur Partizipa- und des Kompetenzgewinns hin- und weiterentwickeln kann. Ein tion bereit hält. Die Möglichkeit genommen werden. Rollenprofil in einem Planspiel der intensiven Diskussion einer wird keine Entscheidung vor- Fragestellung bietet die reale Fallstudie – Rollenspiel - Plan- schreiben, auch wenn von der Möglichkeit, die eigene Mei- spiel Spielleitung in der Einleitung nung weiterzuentwickeln. Mehr- von vornherein klar gemacht heiten-Minderheiten-Rechte ha- Planspiele sind in einem be- werden muss, dass Rollenbe- ben ihre Berechtigung und ihre stimmten Verständnis die Kom- schreibungen, Gruppenprofile, Zeiten zur Äußerung. bination aus unterschiedlichen, Szenario (Gegenstand) selbst eigenständigen Methoden. Zu- nicht durch die Spielenden vor- Phasen13 mindest Fallstudie und Rollen- gegeben sind, sondern durch spiel sind in jedem Planspiel die Spielleitung. „Denn das al- 1. Spieleinführung enthalten und haben ihre beson- lein ist deine Aufgabe: Die dir 2. Informations- und Lesepha- dere Bedeutung für diese multi- zugeteilte Rolle gut zu spielen; se methodische Makromethode. sie auszuwählen, ist Sache ei- 3. Meinungsbildung und Stra- Die Einleitung sowie die Infor- nes anderen.“ Epiktet15. tegieplanung mations- und Lesephase haben Dagegen sind das Spiel, der 4. Interaktion zwischen den im Planspiel die Bedeutung, die Prozess selbst und das zu fin- Gruppen Lernenden mit der Methode, be- dende Ergebnis, die Lösung, 5. Vorbereitung eines Plenums sonders der Plan- und der Rol- nicht durch die Autor/-innen und 6. Durchführung eines Ple- lenfunktion und dem politischen, die Spielleitung vorgegeben. nums kulturellen oder ökonomischen Das Planspiel muss nicht nur 7. Spielauswertung Fall vertraut zu machen. In die aus didaktischen Erwägungen Fallstudie werden die wesentli- Partizipation generieren, es lebt Die Umsetzung der Phasen chen Elemente der Sachanalyse auch schlichtweg vom Spielen in der konkreten Planspielkon- einfließen und das Szenario des der Rollen. „Spiele keine Rol- struktion kann vom Grundmus- Spiels beherrschen. Gleiches le, sei sie!“, ist ein möglicher ter nach Klippert (2002) und gilt aber auch in die unterschied- Schlüsselsatz in der Einleitung anderen sehr wohl abweichen. lichen Rollen- und Gruppenbe- Kulturelle, ökonomische, politi- schreibungen bzw. -profile. Re- sche Problemlösungspfade sind alistische Problembeschreibung, 13 Reich 2007ff. allesamt mit Besonderheiten mögliche kontroverse Lösungs- 14 Nach: Klippert, Heinz: Plan- und Ähnlichkeiten ausgestat- wege und Alternativen können in spiele – Spielvorlagen zum tet. Die Sachanalyse muss die unterschiedlichem Maße ange- sozialen, politischen und me- Phasen des Polity-Rahmens er- deutet oder konkret dargestellt thodischen Lernen in Grup- kennen und in ein mehr-phasi- werden. Die Fallstudie sollte in pen. Beltz Verlag. Weinheim ges Planspiel einarbeiten. Eine einem umfangreicheren Maße und Basel. 4. Auflage, 2002 hochkomplexe, gemeingültige auch in der schriftlichen Einlei- und anderen. Phasenbeschreibung kann die- tung eines Planspiels enthalten 15 Epiktet (50-125), Handbüch- se Arbeit der Planspielkonstruk- sein, um die Planspielleitung lein der Moral. 47 Politik unterrichten 1/2013

zu einem Planspiel. Eine Rolle zuüben. Das Spiel ist ein gefah- ziehbar, was die Nachhaltigkeit spielen bedeutet, in eine fremde renfreier Raum, in dem verschie- der Lernerfahrung gefährdet. Identität schlüpfen. Grundsätzlich dene Wege genutzt werden kön- Die Erfahrung zeigt, dass dieser sollte kein Spielender eine Rol- nen ohne die Konsequenzen in Effekt manche Rollen im Beson- le spielen, die er/sie sowieso im allen Details befürchten zu müs- deren betrifft (Mediengruppe, bürgerlichen Leben „spielt“. Je sen. Deshalb ist auch die Simu- Lobby-Rollen, Antragsteller, die ambitionierter die Spielenden ihre lation, didaktisch betrachtet, ein nicht in die Prozesse in den ent- Rolle spielen, desto intensiver und Vorteil gegenüber der realen scheidenden Gremien involviert nachhaltiger ist die (Lern-)Erfah- Handlung. Auf der anderen Sei- sind). Eine Möglichkeit diesem rung. Dies gilt für die eigene Rolle te bedeutet diese Offenheit aber Effekt entgegenzuwirken ist es, genauso wie für die Rolle der an- auch einen Kontrollverlust der den Gruppenmitgliedern die be- deren. Die gelegentlich zu findende Lehrenden. Die Reflektion benö- obachtende Teilnahme an den Problematisierung des psychologi- tigt daher in besonderem Maße Gruppensitzungen entscheiden- schen Verhältnisses von Rolle und Zeit, Stringenz und Flexibilität. der Gremien zu ermöglichen. Identität mag in besonderen Fäl- Lehrziel und Lernergebnis kön- Positiv für die Auswertung kann len zu beobachten sein, wenn das nen in einem viel weiteren Um- sich diese Variante niederschla- Verlassen der gespielten Rolle am fang als in anderen Methoden gen, weil zusätzliche, mehr oder Ende des Planspiels als besondere nicht deckungsgleich sein. Weil weniger objektive Betrachtun- Herausforderung betrachtet wird. oft die sozial-emotionale Erfah- gen hinzu gezogen werden In der Regel sind Schülerinnen und rung zunächst stärker im Vorder- können und nicht nur die Spiel- Schüler oder andere Jugendliche grund steht als bewusste Kogni- leitung berichtet, was sie wahr- und auch Erwachsene hierzu ohne tion, muss sowohl diese Ebene genommen hat. Wenn diese weiteres in der Lage. erarbeitet werden, als auch das Teilnahme aber in Ruhestörung Anders als die vorgegebenen Ergebnis selbst. Bei diesem ist umschlägt, muss es den Gre- oder zu findenden Ergebnisse in vor allem darauf zu achten, dass mienleitungen möglich gemacht der Einzelmethode Fallstudie und Spielergebnis und Realität ver- werden, den Gremienfremden die zumeist vorgegebenen und glichen werden und die Unter- die Teilnahme zu untersagen. nur zum Teil offenen Lösungen in schiede im Lösungsfindungspro- der Einzelmethode Rollenspiel, zess herausgearbeitet werden. Definition eines Planspiels sind Planspiele vom Prinzip her Ist das Ergebnis unter-komplex offen. Dieses Charakteristikum er- kann der Eindruck entstehen: Unterschiedliche Definitionen möglicht es den Spielenden frei „Die Politiker tun immer so wich- zu Planspielen sind gebräuch- Entscheidungskompetenzen ein- tig, dabei ist eine Lösungsfin- lich, da auf unterschiedliche As- dung ganz einfach!“ Allerdings pekte fokussiert wird. Insofern 16 Detjen, Joachim 2004, „Europäische Un- ist diese Sichtweise tatsächlich ist jede Definition ein Versuch, übersichtlichkeiten“. Wie soll die politische viel weniger häufig als dies man- einem Teilbereich der Methode Bildung mit der Kompliziertheit und In- che theoretische Betrachtun- nahe zu kommen. Die hier vor- transparenz der Europäischen Union um- gen zu den Möglichkeiten und geschlagene, einfache Defini- gehen?, in: Weißeno, Georg (Hg.), Europa Fehlerquellen von Planspielen tion geht von der Betrachtung verstehen lernen. Eine Aufgabe des Poli- annehmen oder suggerieren16. der zumindest stets inkludierten tikunterrichts, Bonn: Bundeszentrale für Ist das Ergebnis über-komplex, Teil-Methoden und der Gesamt- politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 423, ist es für die Schülerinnen und methode aus. S. 126-134, hier: S. 140. Schüler nur zum Teil nachvoll

Element Planspiel Rollenspiel Fallstudie Akteur Rollenübernahme: Rollenübernahme: Keine Rollenübernah- Subjektiv-simulativ in Subjektiv-simulativ in me: Objektiv-analy- Gruppenprozess Reaktions-verhältnis tisch Empathie In der Rolle komplex In der Rolle situativ Von außen möglich Fall/Modell Fiktiv o. real: komple- Fiktiv o. real: Ein- Real xes, sich frei entwi- faches, statisches ckelndes Modell Modell Konflikt Realistisch, komplex, Realistisch, situativ Real, objektiv emphatisch Lösung Offen Vorgegeben oder Vorgegeben offen.

Abb. 2: Elemente und Elementausprägungen in Planspiel, Rollenspiel und Fallstudie. 48 1/2013 Politik unterrichten

Wenn festgestellt werden kann, Modell der Wirklichkeit. Ein- Bewertung von Planspielen die- dass sowohl notwendige Ähn- Planspiel integriert Elemente nen. Diese Aussage wird kon- lichkeiten in den Elementen der von Rollenspielen und Fallstudi- textualisiert durch das Wissen, drei Methoden vorliegen, als en, geht aber in den Bereichen dass die Methode zurzeit im dass auch Unterschiede in den soziale Interaktion, Offenheit deutschsprachigen Raum und Ausprägungen der gemeinsa- und Komplexität über beide hi- darüber hinaus eine rasante men Elemente der Methoden naus. Entwicklung nimmt, welche ei- vorherrschen, kann eine Defini- Diese Definition kann nicht nerseits die Halbwertzeit von tion eines Planspiels diese Ka- nur zur Konstruktion von Plan- Definitionen begrenzt, anderer- tegorisierung aufnehmen. spielen in kulturellen, ökonomi- seits aber gerade eine notwen- Ein Planspiel ist simuliertes schen und vor allem politischen dige Orientierungshilfe verlangt. Handeln mehrerer Akteurs- Kontexten herangezogen wer- gruppen in einem lösungsoffe- den, sondern könnte auch als nen, konfliktiven, mehrphasigen Bestandteil eines Maßstabs zur

Die Fachgruppe Gymnasien der GEW-NDS initiiert die Veranstaltung: „Kerncurricula `POLITIK-WIRTSCHAFT´ in der Kritik“ Werner Fink

Viele KollegInnen, die das Fach eine Veranstaltung „Kerncurri- `POLITIK-WIRTSCHAFT` in cula ´Politik-Wirtschaft`“ in der den Gymnasien Niedersach- Kritik“ am 6. Februar 2013 in sens unterrichten, sind sehr Oldenburg durchzuführen. Die unzufrieden mit den zurzeit Veranstaltung beinhaltete einen geltenden Kerncurricula. Unab- Input von Professor Dr. Reinhold hängig von Parteizugehörigkeit Hedtke (Universität Bielefeld) und politischen Positionen wird und endete damit, dass Kritik von z.T. heftigste Kritik geäußert. LehrerInnen systematisiert wur- Die Notwendigkeit einer Neuer- de und Erwartungen der Lehren- zialwissenschaftliche Bildung; arbeitung der Kerncurricula für den an neue Curricula unter be- (4) thematisiert Wirtschaft in die „Sek I“ und die „Sek II“ des sonderer Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen Kontexten; Gymnasiums war offensichtlich Alltagspraxis formuliert werden (5) steht für paradigmatische auch dem KUMI der abgewähl- konnten. Entsprechend wollen Offenheit und pragmatische ten Landesregierung bewusst, sich DVPB und GEW nun bemü- Pluralismen.“ Sozioökomische denn eine „Arbeitsfassung“ hen, die Ergebnisse der Tagung Bildung wird also als ein politi- zur Über(Neu)erarbeitung des in die Diskussion um die Neu- sches Projekt verstanden, das Kerncurriculums für die „Sek I“ fassung der Kerncurricula einzu- sich besonders auf die Lebens- liegt bereits seit Januar 2013 bringen. Angesichts einer neuen welten unserer SchülerInnen vor. Hier finden sich (noch?) Landesregierung sind diese Vor- bezieht. Das Thema WIRT- keine konkreten Unterrichtsin- haben inzwischen von großer SCHAFT hat sich zu orientieren halte und –themen. Der derzei- Erfolgszuversicht geprägt. an dieser Bildung, die kritisches tige Stand der Darstellung zeigt sozialwissenschaftliches Refle- aber, dass zentrale Aspekte Sozioökonomische Bildung xionswissen vermittelt. der Kritik, die sich auf die noch geltenden Curricula beziehen, Im Zentrum des Vortrags Hedt- „Aufklärung statt Gegenauf- auch in Bezug auf diese „Ar- kes „Zum Verständnis von politi- klärung.“ beitsfassung-Sek I“ erneut rele- scher und ökonomischer Bildung vant sind. - Für eine bessere politische Die derzeitig geltenden Curri- Deshalb war es wichtig, dass Bildung“ stehen Charakteristi- cula in Niedersachsen stehen sich die Fachgruppe Gymnasi- ka, die eine soziökonomische im Geist der Gegenaufklärung, en der GEW (Niedersachsen) Bildung ausmachen, sie ist: „(1) denn es gibt gewissermaßen entschloss, gemeinsam mit dem pragmatisch, personzentriert, ein „Teilfach Politik“ und ein Kreisverband Oldenburg der kontextorientiert; (2) orientiert „Teilfach Wirtschaft“. Letzteres GEW und der Deutschen Ver- sich an den Subjekten und der wird mit der Referenzdisziplin einigung für Politische Bildung Diversität der Lebenswelten; (3) traditioneller Wirtschaftswissen- (Landesgruppe Niedersachsen) ist auf Wirtschaft fokussierte so- schaft gleichgesetzt (Didaktis- 49 Politik unterrichten 1/2013 mus). Und sogar Innerhalb Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Sek I“ dieser Bezugnahme auf die Referenzdisziplin finden sich wiederum Einengungen und Interdisziplinärer Ansatz nachhaltige Entwicklung Parteinahmen für bestimm- te Denkschulen, die mit den Gesetzter Joker: Begriffen der „Ordnungstheo- Reduzierung der „rein ökonomischen Anteile“ rie“ und der „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ beschrieben Beispiele für Jg. 8 Beispiele für Jg. 10 • Dorfgründung (Öffnung und Sensibilisie- • Leben und arbeiten in Europa werden. Zudem wird von einer rung für politische, ökonomische, sozio- „nationalistischen Perspektive“ logische, psychologische, rechtliche (…) • Institutionenkundliches Thema (Standortdebatte) ausgegan- Fragegestellungen. an aktuellen Beispielen gen. Damit sind die geltenden Curricula normativ-ideologisch • „Fleisch“ aufgeladen. Entsprechend - Produktionsbedingungen zieht Hedtke in Bezug auf eine Curriculumrevision folgende - Eigener Konsum Schlüsse: „Wissenschaftsori- entierung (wissenschaftlich - Politisches Handeln begründete, problembezogen relevante Denkweisen) statt - Werteorientierung Didaktismus; exemplarischer 1/3 der realen Unterrichtszeit muss zu freien Verfügung bleiben Pluralismus (unterschiedli- che wissenschaftliche Denk- weisen ausprobieren) statt Arbeitsgruppen „Sek II“ Dogmatismus (Dominanz des Ordoliberalismus); Euro- AG Sek II A AG SEK II B paperspektive (unterschied- • Integration von Fachdisziplinen, weniger • Integration (ersichtlich auch liche Institutionenlösungen „Ausspielen der Disziplinen gegeneinan- in Umbenennung des Faches kennenlernen und damit po- der“ „Sozialwissenschaften“ oder litische Alternativen erfahren) „Gesellschaftslehre“) • Problemorientierung und Kontroversität statt Kryptonationalismus. Ab- als Konstruktionsprinzip • Problemorientierung und Kont- schließend entwickelt Hedt- roversität ke Fachkompetenzen für das • Fachwissenschaftlich abgesicherte Plu- Fach POLITIK-WIRTSCHAFT, ralität • Aufnahme alternativer Theorien die die vorliegende Trennung als Ausdruck von Pluralität auf • in die „Fächer“ „Politik“ und Exemplarisches Arbeiten statt frei hän- allen Ebenen gender Begriffe (z. B. „WTO“), weniger „Wirtschaft“ aufheben wür- Institutionenkunde • Rücksicht auf den Beutelsba- den und durch gemeinsame cher Konsens übergeordnete didaktische • Mehr Mut zu echter Kompetenz-Orientie- Kategorien zu einer sinnvollen rung im Abitur; weniger Spiegelstrichver- • Anknüpfen am Handlungswis- Neustrukturierung des Faches bindlichkeit im Unterricht sen und Lebensweltbezug der führen können. SchülerInnen und „Personeno- rientierung“ (Hedtke) Im zweiten Teil der Veran- staltung fanden sich folgende • Für´s Abi Pflicht- und Wahl- Ergebnisse der Arbeitsgrup- pflichtbereiche, jeweils kompe- pen in Bezug auf Erwartens- tenzorientiert haltungen an neue Kerncurri- • cula. Die Arbeitsgruppe „Sek I“ Mehr eigenverantwortliche Mitbestimmung fixierte sehr konkrete Themen- bereiche und Ansprüche, die • Reduzierung der Stoff-Fülle beiden Arbeitsgruppen „Sek II“ nahmen vielfältige Aspekte auf (s. Tabelle).

Texte und Materialien zum Thema findet man unter folgendem Link: -- http://www.gew-nds.de/gym/termine.php -- Arbeitsfassung Kerncurriculum Politik Wirtschaft Sek I (Stand: Februar 2013) findet sich unter: http://nline.nibis.de/cuvo/ forum/upload/public/moderator/E348mode-2012.12-arbeitsfassung-kc-politik-wirtschaft-sek-i_01.2013.pdf -- Die Präsentation Hedtkes und weitere Materialien sind über Karin Fabian ([email protected]) erhältlich.

50 1/2013 Politik unterrichten

"Was nicht in Vergessenheit geraten darf. Zur Geschichte der NS-Justiz und der Nachkriegsjustiz"

Die Tagung findet am 6. und 7 September 2013 in der Gedenkstätte Esterwegen statt. Das Lager Esterwegen, 1933 als staatliches Konzentrationslager errichtet, wurde Anfang 1937 von der Justizverwaltung übernommen und von ihr bis zum Kriegende als Straflager unter anderem für deutsche und ausländische Widerstandskämpfer genutzt. Die 2012 eröffnete Gedenkstätte Esterwegen zeigt die Geschichte des Konzentrationslagers und des Strafgefangenenlagers Esterwegen sowie die Geschichte der weiteren Emslandlager.

Die Tagung hat folgende Schwerpunkte:

 Justiz und Strafvollzug in der NS-Zeit  Umgang mit den NS-Verbrechen, insbesondere den Verbrechen der deutschen Justiz, in der Zeit nach 1945  Möglichkeiten der Vermittlung von NS-Geschichte durch die Gedenkstätte Esterwegen  Gedenkstätten und Geschichtsvermittlung aus der Perspektive eines Geschichtsdidaktikers

Die Tagung findet als Kooperationsveranstaltung der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen, des Niedersächsischen Geschichtslehrerverbandes und des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie" statt.

Anmeldungen nimmt die Gedenkstätte Esterwegen, Hinterm Busch 1, 26897 Esterwegen, entgegen.

Gespräche in Istanbul İstanbul'da görüşmeler

Studienreise nach Istanbul vom 5. 10. – 10. 10. 2013 (Herbstferien in Nds.)

Diese Reise bietet die Möglichkeit, sich über politische, wirtschaftliche und soziale Aspekte in der heutigen Türkei zu informieren.

Hierfür sind u. a. Gespräche mit Vertretern des Deutschen Konsulats, des Archäologischen Instituts und Mitarbei- tern von Stiftungen und Kirchen geplant.

Selbstverständlich steht genügend Zeit z. B. für den Besuch herausragender Sehenswürdigkeiten wie der Blauen Moschee, dem Topkapi Palast oder dem Großen Bazaar zur Verfügung.

Die Kosten betragen 695 € für Flug, Übernachtung im Doppelzimmer und Frühstück.

Nähere Information: Leonhard Soppa - Telefon: 05121-924652

Auszeichnung von Facharbeiten durch die Deutsche Vereinigung für Politische Bildung e.V. (DVPB) Landesverband Niedersachsen

Die DVPB Niedersachsen schreibt in diesem Jahr erstmalig einen Wettbewerb für Oberstufenschülerinnen und ‐schüler der Gymnasien und Gesamtschulen in Niedersachsen aus.

Im Rahmen des Seminarfachs werden immer wieder hervorragende Arbeiten im Fach Politik‐Wirtschaft erstellt, die durch einen Preis des Fachverbandes gewürdigt werden sollen.

Wir bitten unsere Fachkolleginnen und ‐kollegen in Niedersachsen, Facharbeiten in digitaler Form mit den entsprechenden Gutachten der DVPB Niedersachsen zuzuschicken. ‐ Selbstverständlich werden die Gutachten nur für die Auswahlentscheidung der Jury verwendet. Einsendeschluss ist der 30.9.2013.

Eine Jury der DVPB wird die Arbeiten begutachten. Die drei besten Arbeiten sollen mit einem Geldpreis

1. Preis 200,00 €, 2. Preis 150,00 € und 3. Preis 100,00 €. ausgezeichnet werden. Die VerfasserInnen der besten Arbeiten erhalten zusätzlich eine Anerkennungs‐Urkunde.

Als Anregung für unsere Fachkolleginnen und –kollegen sowie für die interessierte Öffentlichkeit möchten wir die drei ausgezeichneten Arbeiten auf unserer Homepage präsentieren.

Senden Sie die Arbeiten bitte an: Hans‐Joachim Rödiger ‐ mail: [email protected] 51 Politik unterrichten 1/2013

Wolfgang Sander

Editorischer Hinweis zum nachfolgenden Text

In der Zeitschrift „politische bildung“ wurde in den Jahren 2011 und 2012 eine kontroverse Debatte über das 2010 erschienene Buch „Konzepte der Politik“ von Georg Weißeno et al. geführt. Zuletzt haben die Autoren dieses Buches in Heft 2/2012 von „politische bildung“ auf meine Kritik an dem Buch reagiert. Mit dem nachfolgenden kurzen Postskriptum, das ich unmittelbar nach Erscheinen von Heft 2/2012 den Herausgebern von „politische bildung“ angeboten habe, wollte ich darauf bezogen einige wenige Klarstellun- gen vornehmen. Die Herausgeber haben eine Publikation mit der Begründung abgelehnt, dass an dem Thema kein Interesse mehr bestehe. Da ich einen solchen einseitigen Abbruch einer für das Fach wichtigen Debatte nicht für glücklich halte, stelle ich das Postskriptum auf diesem Wege zur Lektüre und Weiterverbreitung in der Fachöffentlichkeit zur Verfügung.

Gießen, im Januar 2013 Unterricht, Wissen, Fehlkonzepte - Postskriptum zum Konflikt in der Didaktik der politischen Bildung

„Alles Verstehen ist ... immer zugleich ein Nicht-Verstehen.“ (Wilhelm von Humboldt)

Auch wenn eine erneute Antwort auf die Replik von Joachim Detjen, Peter Massing, Dagmar Richter und Georg Wei- ßeno im Streit um Wissen (politische bildung 2/2012) die Gefahr mit sich bringt, dass sich die Debatte im Kreise dreht (und obendrein der unzutreffende Eindruck entstehen könnte, es gehe um einen Streit zwischen den vier Autoren und mir und nicht, was wesentlich zutreffender ist, zwischen den vieren und einem breiten Kreis von Kritikern an ihrem Buch von 2010), möchte ich doch noch einmal in aller Kürze auf den Punkt zu bringen versuchen, worum es aus meiner Sicht in diesem Konflikt geht. Ich beziehe mich auf die drei von Detjen/Massing/Richter/Weißeno formulierten Überschriften.

1. Unterricht

Detjen et al. schreiben, es bliebe mein Geheimnis, woher ich wisse, was guter Unterricht sei, denn es gebe ja un- terschiedliche Antworten auf diese Frage. Ich habe in meiner Replik (politische bildung 4/2011) lediglich notiert, dass eben diese Frage ein Gegenstand des Streits ist und dass nach meinem Eindruck das im Buch von Wei- ßeno et al. (2010) publizierte Unterrichtsbeispiel „hinter die etablierten Qualitätsvorstellungen für guten Unter- richt in der Didaktik der politischen Bildung zurückfällt“. Solche etablierten Qualitätsvorstellungen ließen sich bei- spielsweise aus den Antworten von 17 Professorinnen und Professoren aus der Politikdidaktik auf Kerstin Pohls Frage „Können Sie in einem Absatz formulieren, was für Sie ‚guter’ Politikunterricht ist?“ rekonstruieren (Pohl 2004). Ich habe dann angedeutet, dass hierzu die Vorstellung von einem „schülerorientierten, multiperspektivi- schen, methodisch vielfältigen und auf ergebnisoffene Frage und Probleme ausgerichteten Unterricht“ gehört. Nun betonen Detjen et al. in ihrer Replik auf meine Replik, mit diesen Anforderungen stimmten sie durchaus überein (gibt es demnach also doch solche etablierten Qualitätskriterien?). Mehr noch, sie betonen, dass es in ihrem Buch „mitnichten pri- mär um die Vermittlung der konstituierenden Begriffe“ gehe (Detjen et al., 153), das sei eine „Fehlrezeption“ ihres Ansatzes. Diese „Fehlrezeption“ habe ich mit ausführlichen Zitaten aus dem kritisierten Unterrichtsbeispiel bei Weißeno et al. begründet (Sander 2011, 158). Darauf geht die Antwort von Detjen et al. mit keinem Wort ein. Es lässt sich an den be- gründenden Texten dieses Unterrichtsbeispiels zweifelsfrei nachweisen, dass es um die instruktionsorientierte, durch Test überprüfbare Vermittlung von 25 so genannten konstituierenden Begriffen geht. Dies muss auch nicht umständlich herausinterpretiert werden, denn es wird in aller Offenheit gesagt - vgl. die von mir zitierten Passagen. Gerade dieses Unterrichtsbeispiel ist in der Fachöffentlichkeit auf massive Kritik gestoßen. Sollten die (jetzt) vier Autoren nun dessen Ansatz relativieren wollen, könnte es eine produktive Entwicklung der weiteren Diskussion um kompetenzorientierten Unterricht im Fach sehr befördern, dieses Unterrichtsbeispiel zurückzuziehen.

2. Wissen

Die Debatte um Lesarten von Gregory L. Murphys „Big Book auf Concepts“ nimmt inzwischen leicht komische Züge an. Im Kern referiert Murphy in einem großen Standardwerk den Stand der psychologischen Forschung zu Konzeptbildungen. Darin bezeichnet er den Versuch, Konzepte durch eindeutige Definitionsmerkmale klar zu bestimmen und von anderen abzugrenzen, als veralteten Forschungsstand („klassische Sicht“ der Konzepttheorie). Ich habe das aufgegriffen, weil ich genau diesen veralteten Zugang im Ansatz des Buches von Weißeno et al. wiederzuerkennen meine. Murphy illustriert die Probleme dieser klassischen Sicht exemplarisch am Konzept „Hund“ und erläutert an Beispielen, warum es nicht gelingen 52 1/2013 Politik unterrichten könne, „Hund“ so klar zu definieren, dass diese Definition alle empirisch vorfindlichen, von uns als „Hund“ kategorisierten Tiere ein- und alle anderen Tiere ausschließt (es gibt empirisch nicht nur vierbeinige Hunde, es gibt welche ohne Fell, solche, die nicht bellen etc.). Nun merken Detjen et al. in ihrer Replik lapidar an: „In der Biologie kann natürlich definiert werden, was ein Hund ist.“ Interessanterweise gilt nun der Hund in der biologischen Artentheorie gerade als Musterbeispiel dafür, dass das biologi- sche Artenkonzept (vereinfacht gesagt: Arten als Fortpflanzungsgemeinschaften) trennscharfe Unterscheidungen eben nicht immer ermöglicht (denn nicht alle Hunde paaren sich untereinander, hingegen manche Hunde durchaus mit Wölfen). Nun geht es in unserem Fach nicht um die Artentheorie, sondern um politische Theorie - und hier ist meine kritische These zu Weißeno et al., dass deren Versuch, Konzepte politischen Denkens durch klare Definition einer (als „richtig“) geltenden „Essenz“ von „Fehlkonzepten“ eindeutig abgrenzen zu können, nicht funktioniert.

3. Fehlkonzepte

Dies habe ich aus Platzgründen in meiner Replik an nur zwei Beispielen aus Weißeno et al. illustriert. Auf eines der Beispiele gehen Detjen et al. nun in ihrer Antwort ausführlich ein: auf die Streitfrage, ob die Vorstellung, Demokratie er- mögliche dem Einzelnen Selbstbestimmung, tatsächlich, wie von Weißeno et al. postuliert wurde, als „Fehlkonzept“ zu klassifizieren ist. Ich hatte das unter anderem mit Verweisen auf Grund- und Menschenrechte sowie auf die amerikani- sche Unabhängigkeitserklärung bezweifelt. Detjen et al. halten mir nun entgegen, ich verwechsele gesetzlich gewährte Freiheitsräume mit Selbstbestimmung. Selbstbestimmung sei aber auch in einer Demokratie nicht möglich, da Demokratie eine Herrschaftsordnung sei, die durch bindende Gesetze den Entfaltungsraum des Einzelnen reguliere und damit einschränke. In einer Art Kurzvorlesung zur Vertragstheorie wird dann Selbstbestimmung dem (gedachten) Naturzustand des Menschen zugeordnet, den dieser in der politischen Ordnung, auch der demokratischen, gerade aufgebe. Die Argumentation endet mit einem längeren Zitat von Peter Graf von Kielmansegg, das mit einer pointierten Kritik der Vorstellung, Demokratie bedeute Selbstbestimmung, die Position von Detjen et al. politikwissenschaftlich beglaubigen soll. Was aber Detjen et al. offenbar nicht registriert haben, ist, dass Kielmansegg in der zitierten Textpassage Jürgen Habermas paraphrisiert und kritisiert. Er nennt Habermas nicht ausdrücklich, vermutlich weil er das Zitat als bekannt voraussetzt. Kielmanseggs Text beginnt so: „Demokratie bedeutet nicht Selbstbestimmung, politische Beteiligung kann unter keinen Umständen mit Selbstbestimmung identisch sein - der Schluss bleibt ein Trugschluss, ein höchst gefähr- licher übrigens ...“ Die von Kielmansegg damit angegriffene Referenzstelle lautet bei Habermas: „Demokratie arbeitet an der Selbstbestimmung der Menschheit, und erst wenn diese wirklich ist, ist jene wahr. Politische Beteiligung wird dann mit Selbstbestimmung identisch sein.“ (Habermas 1961, 15). Kielmangsegg referiert somit in der bei Detjen et al. zitierten Passage nicht den Stand der politikwissenschaftlichen Forschung, sondern bezieht Position in einem kontroversen Feld der Sozialwissenschaften. Und genau dies tun auch Weißeno et al. mit ihren Unterscheidungen zwischen „richtigem“ Fachwissen und Fehlkonzepten an vielen Stellen ihres Buches. Im hier in Rede stehenden Beispiel läuft diese Unterscheidung schlicht darauf hinaus, den demokratietheoreti- schen Ansatz von Jürgen Habermas zum Fehlkonzept zu erklären. Hierin liegt eine starke Anmaßung, selbst wenn dies nicht so beabsichtigt gewesen sein sollte. Es geht mir überhaupt nicht um die Frage, ob aus meiner persönlichen Sicht eher Kielmansegg oder eher Habermas zuzustimmen wäre. Es geht mir darum, dass die Didaktik keine Legitimation hat, stellvertretend für die Schülerinnen und Schüler zu entscheiden, welche Positionen aus dem kontroversen Feld der De- mokratietheorie als „richtig“ und welche als „falsch“ zu bezeichnen sind - und darum, dass diese Drift zu ganz bestimmten wissenschaftlichen und politischen Positionen und zur Ausgrenzung anderer bei Weißeno et al. strukturell in deren Un- terscheidung von „Essenz“ und „Fehlkonzept“ angelegt ist und sich an zahlreichen weiteren Beispielen nachweisen lässt.

Literatur

Autorengruppe Fachdidaktik 2011: Konzepte der politischen Bildung. Eine Streitschrift. Schwalbach/Ts. Detjen, Joachim/Massing, Peter/Richter, Dagmar/Weißeno, Georg 2012: Unterricht - Wissen - Fehlkonzepte. Eine Replik auf Wolfgang Sanders Replik zu den Konzepten der Politik. In: politische bildung 2/2012 Habermas, Jürgen 1961: Reflexionen über den Begriff der politischen Beteiligung. In: ders. et al.: Student und Politik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten. Neuwied und Berlin Massing, Peter/Richter, Dagmar/Detjen, Joachim/Weißeno, Georg 2011: „Konzepte der Politik“- Eine Antwort auf die Kritikergruppe. In: politische bildung 3/2011 Pohl, Kerstin (Hrsg.) 2004: Positionen der politischen Bildung 1. Ein Interviewbuch zur Politikdidaktik. Schwalbach/Ts. Sander, Wolfgang 2011: Konzepte in der politischen Bildung - eine Replik zum Streit über Wissen. In: politische bildung 4/2011 Weißeno, Georg/Detjen, Joachim/Juchler, Ingo/Massing, Peter/Richter, Dagmar 2010: Konzepte der Politik. Ein Kompe- tenzmodell. Schwalbach/Ts.

53 Politik unterrichten 1/2013

Buchbesprechungen

Detjen, Joachim/Massing, Pe- vorliegende Buch präsentiert mehrfacher Hinsicht tiefgreifen- ter/Richter, Dagmar/Weißeno, vier Kompetenzdimensionen: de Brüche gegenüber der bishe- Georg: Politikkompetenz – Neben die Kompetenzdimensi- rigen didaktischen Denkweise. ein Modell. Wiesbaden 2012. on „Fachwissen“, dessen Um- Zunächst werfen sich die Au- Springer Fachmedien. 147 schreibung aus dem früheren toren ohne vertiefte Erklärung Seiten. 24,95 Euro. Entwurf übernommen wurde, einseitig auf die kognitionspsy- treten die Kompetenzdimensio- chologische Sichtweise. Sie Seit die Diskussion über „Nati- nen „Politische Urteilsfähigkeit“, wenden sich damit grundlegend onale Standards“ des Lehrens „Politische Handlungsfähigkeit“ vom bisherigen erziehungswis- und Lernens läuft, schlägt sie und schließlich „Politische Ein- senschaftlichen Bildungs- und hohe Wellen. Sie führte zu- stellung und Motivation“. Vor Kompetenzdiskurs ab. Aus nächst zu einem Entwurf über allem mit der Einführung der dieser recht einseitigen kogni- die Anforderungen an solche vierten Kompetenzdimension tionspsychologischen Perspek- „Standards“ in der politischen („Politische Einstellung und Mo- tive erscheint den Autoren die Bildung. Daran schlossen sich tivation“) versuchen die Autoren, bildungstheoretische Position ambitionierte Versuche zur die eklatanten Schwächen ihres in der Politikdidaktik „nur vage Entwicklung von „Kompetenz- früheren Entwurfs im Bereich bestimmt“, „nicht recht definier- modellen“ in der politischen Werte und Normen auszuglei- bar“, „zu allgemein“, „zu einfach“ Bildung an. Gleichzeitig muss- chen. Insgesamt bestätigen die oder schlicht „unscharf“ (S. 9). te die eigene „Domäne“ in ih- Autoren damit die heftige Kritik Man ist erstaunt, auch ein we- rer Fachlichkeit definitorisch an ihrem früheren Ansatz. Im nig erschrocken und besorgt, genauer erfasst werden. Mit Übrigen muss es erstaunen, wie in der Kognition der Autoren neuartigen Begriffen wie „Ba- dass die Autoren erst vier Kom- die gesamte erziehungs- und sis- und Fachkonzepte“ wurden petenzdimensionen ansprechen fachwissenschaftliche Theo- fachlich einschlägige Begriffs- und ausformulieren, dann aber rie, Philosophie und Tradition gruppen gebildet, die die fach- empfehlen, die Kompetenzdi- (von Heinrich Roth über Wolf- liche Substanz der Domäne mension „Politische Handlungs- gang Klafki bis Walter Gagel) umschreiben sollten. Nunmehr fähigkeit“ und „Politische Ein- mit leichter Hand entsorgt wird. steht die Konkretisierung einer stellung und Motivation“ in den Kognitionspsychologische Be- eigenen „Politikkompetenz“ an. leistungsbezogenen Zielen des griffsartistik und -ästhetik schaf- Sie soll helfen, den Weg zu ei- Unterrichts außen vor zu las- fen allerdings noch keineswegs ner „kompetenzorientierten“ Un- sen und „nicht zu bewerten“ (S. ein neues Fundament für eine terrichtsplanung bzw. zu einem 28). Politisches Handeln, so die zukünftige Fachdidaktik. kompetenzorientierten Lehren Begründung, sei ihrer Meinung Einen weiteren Bruch voll- und Lernen zu ebnen. nach in der Schule ohnehin nicht ziehen die Autoren, wenn sie Selbst erfahrene Fach- und einzuüben und auch „Politische erneut die Politikwissenschaft Seminarleiter haben in diesem Einstellung und Motivation“ zum einzigen Bezugspunkt der Kontext erhebliche Schwierig- zählten nicht zu den „fachlichen Kompetenzdimension Fachwis- keiten, den Überblick zu behal- Kompetenzen“. So wird die Hälf- sen machen und die curricular ten. Dabei gehen die meisten te der eben noch geforderten verflochtenen Wissenschaftsbe- Bundesländer in ihren neuen Kompetenzdimensionen für die züge von Politik zu Wirtschaft, Kerncurricula bereits vom Voll- Praxis gleich wieder für obsolet Gesellschaft und Recht ignorie- zug der Umstellung auf kom- erklärt. ren. Die entsprechenden The- petenzorientiertes Lehren und Die Autoren führen im weite- menverflechtungen, wie sie im Lernen aus. Die Lehrkräfte an ren Verlauf ihrer Schrift die von alltäglichen Unterricht anfallen, der Basis wiederum fühlen sich ihnen präferierten vier Kompe- versinken damit ins Abseits. in ihrer alltäglichen Praxis in tenzdimensionen einigermaßen Auch die klassischen Bezü- hohem Maße überfordert, was schlüssig aus. Sie fügen „Anre- ge zwischen Sozialkunde/Po- denn nun konkret zu tun sei. gungen für die Planung des Po- litik, Geographie und vor allem Hilft hier die wissenschaftliche litikunterrichts“ hinzu (S. 111f.), Geschichte fallen in der Kogni- Politikdidaktik? obwohl sie schon prophylaktisch tion der Autoren der fachlichen Ein früherer Entwurf zum warnen: Das Modell eignet sich Engführung zum Opfer. Es feh- Thema „Konzepte der Politik“ „nicht zum Nachmachen“ (S. len im Übrigen Hinweise auf (2010), an dem die o. g. Auto- 116). Verstehe das, wer unbe- eine schulform- und schulstu- ren ebenfalls beteiligt waren, dingt will. fenspezifische Ausformung der stellte allein auf die Kompetenz- In ihren gesamten Ausfüh- Kompetenzdimensionen. Auch dimension Fachwissen ab. Das rungen vollziehen die Autoren in hier fällt der vorliegende Ansatz 54 1/2013 Politik unterrichten hinter den Stand der bisherigen gaben von Ralf Dahrendorf, der licher Streit- und Konfliktaus- – recht offenen – Fachdiskussi- schon in den 70er Jahren des tragung“ (S. 109f.) auf seine on zurück. Schade, die Chan- 20. Jahrhunderts darauf hin- Fahnen schreibt. Die praktische cen einer breiter angelegten wies, dass Konflikte im Alltag, Bedeutung „gegengewichti- sozialwissenschaftlichen Fun- im überschaubaren Nahraum, ger Kräfte“ und der „Ausba- dierung von „civic literacy“ wer- in der Gesellschaft und im in- lancierung von gegenseitigen den auch hier vertan. ternationalen Bereich in der Rechts- und Machtstrukturen“ Bleibt als Letztes zu erwäh- vielfältigsten Form vorkommen führt Detjen nicht weiter aus. nen, dass ein Brückenschlag und nicht einfach „abgeschafft“ Stattdessen treten bei Detjen zur internationalen Diskussion, werden können. Gegen die oft die subjektiven Kategorien von eine Annäherung zur Demo- zutage tretende Negativbewer- „Tapferkeit, Standhalten und kratiedidaktik/Demokratiepäda- tung von Streit und Konflikt argu- Zivilcourage“ in den Vorder- gogik und eine Öffnung hin zu mentierte Dahrendorf, dass die grund. Folgt Detjen letztlich den Anforderungen einer auch Existenz von Konflikten vielmehr einem subjektiv harmonisieren- kritischen Politikdidaktik nicht grundsätzlich anerkannt werden den Politik- und Gesellschafts- einmal versucht wurde. Ein ge- müsste, ja dass sie sogar durch- bild? wisser Fleiß ist den Autoren si- aus produktive Funktionen für Immerhin, hier liegt eine cher nicht abzusprechen. Doch die Dynamik einer Gesellschaft leicht lesbare, übersichtliche das Publikum bleibt ratlos und hätten. Es komme auf den kons- und fachlich versierte Kurzex- fragend zurück. truktiven Umgang mit Konflikten pertise zum Thema demokrati- an und auf die Schaffung von sche Streitkultur vor. Gerhard Himmelmann sozialzuträglichen Austragungs- bahnen für die Regelung von Gerhard Himmelmann Die Rezension erscheint auch Konflikten. in POLIS 2/2013 Joachim Detjen analysiert in Moegling, Klaus: Ökonomi- der vorliegenden Schrift Kon- sche Bildung im Politikunter- Detjen, Joachim: Streitkultur. flikte im Alltag, im sozialen Nah- richt. Didaktische Konzepte, Konfliktursachen, Konfliktar- bereich, interkulturelle Konflikte Modelle und Praxis politisch- ten und Konfliktbewältigung und Konflikte in Wirtschaft und ökonomischer Bildung. Im- in der Demokratie. Schwal- Politik. Sehr intensiv beleuchtet menhausen 2012. Prolog-Ver- bach/Ts. 2012: Wochenschau Detjen zwischenmenschliche lag. 186 S. 28,80 Euro Verlag. 125 Seiten. 12,80 Konflikte in der Perspektive der Euro. Psychologie, soziale Konflikte Klaus Moegling, Jg. 1952, ist aus der Sicht der Soziologie, po- Studiendirektor und Fachleiter Joachim Detjen ist ein aner- litische Konflikte aus dem Blick- für „Politik und Wirtschaft“ am kannter Autor in der Politischen winkel der Politikwissenschaft Studienseminar für Gymnasien Bildung und Inhaber des Lehr- und internationale Konflikte, wie in Kassel. Als solcher war er stuhls für Politikwissenschaft sie die Disziplin der Internationa- maßgeblich an der Konzipie- III der Katholischen Universi- len Beziehungen analysiert. In rung des neuen Kerncurricu- tät Eichstätt-Ingolstadt. Er hat einem weiteren Schritt befasst lums für dieses Fach in Hes- sich insbesondere als Vertre- sich der Autor mit den verschie- sen beteiligt. Er hatte bereits ter einer engen fachwissen- denen psychologischen, soziolo- im Jahre 2010 zusammen mit schaftlichen Ausrichtung der gischen und politikwissenschaft- Bernd Overwien und Wolfgang Politischen Bildung einen Na- lichen Konflikttheorien. Sachs einen Sammelband men gemacht. Ganz in dieser In die Nähe einer politikdi- zum Thema „Globales Lernen Tradition will Joachim Detjen daktischen Betrachtung zieht im Politikunterricht“ veröffent- im vorliegenden Bändchen für es Detjen, wenn er das Thema licht. Im Jahre 2011 folgte, zu- eine „ungehinderte Konfliktaus- der positiven Streit- und Konflikt- sammen mit Horst Peter und tragung als Merkmal freiheitli- bewältigung erörtert. Hier treten Bernd Overwien, ein ebenfalls cher politischer Ordnungen“ (S. die Handlungsdimensionen: Ver- im Prolog-Verlag herausgege- 11) Verständnis wecken. Doch handeln, Vermitteln und Schlich- bener Sammelband zum An- man stutzt schon früh: Müsste ten in den Blick, ohne allerdings satz einer „Politischen Bildung es nicht um eine angemessen politikdidaktisch oder demokra- für nachhaltige Entwicklung“ „regulierte“ Konfliktaustragung tiepädagogisch weiter vertieft zu (Besprechung PU H. 1/2012). gehen? „Reguliert“ spricht die werden. Nunmehr legt er einen höchst Sache, um die es geht, besser Erstaunlich normativ und beachtenswerten Ansatz zum an als „ungehindert“. subjektiv kommt Detjen daher, Thema „Ökonomische Bildung Joachim Detjen folgt in wenn er schließlich „Vertrauen, im Politikunterricht“ vor. seiner anschließenden Dar- Fairness und Kompromissbe- Moegling eröffnet sein Werk stellung weitgehend den Vor- reitschaft als Bedingung fried- mit grundlegenden Ausfüh- 55 Politik unterrichten 1/2013

rungen zur Didaktik politisch- deckt damit also nicht das gan- zugleich auf entsprechende Ge- ökonomischer Bildung im Poli- ze Feld des Faches „Politik und dankengänge bei Bernhard Su- tikunterricht. Hier zeigt er sich Wirtschaft“ ab. Moegling räumt tor und Tilman Grammes. souverän auf der Höhe der Zeit, ein, dass der Inhalt dieses Dop- Der pragmatische Ansatz indem er Kompetenzen, Stan- pelfaches schon in seinen öko- bezieht sich vor allem auf John dards und Indikatoren politisch- nomisch-politischen Anteilen Dewey und dessen Hauptwerke ökonomischer Bildung mit Über- eine „hoch komplexe Thematik“ „Demokratie und Erziehung“. legungen zu Basiskonzepten, umfasse (S. 67). Das Fach dürf- Das Buch erschien zuerst im Inhaltsfeldern und Themen der te seiner Meinung nach „eines Jahre 1916 und gehört – nach politisch-ökonomischen Bildung der am schwierigsten zu unter- langer Zeit der Vergangenheit – verknüpft und dabei didaktisch- richtenden Fächer im Fächer- inzwischen auch in Deutschland methodische Überlegungen mit kanon der Schule sein“ (S. 68). zu den am meisten gelesenen einschließt. Vor allem besticht Der zeitliche Rahmen sei der- Büchern in der Pädaggik. John Moeglings Ansatz dadurch, zeit „viel zu knapp bemessen“, Dewey entwickelt darin eine dass er die ökonomische Bil- zumal die zahlreichen weiteren allgemeine Lern- und Erkennt- dung konsequent als „integralen Themenfelder der eigentlichen nistheorie, der ein demokratie- Bestandteil politischer Bildung“ politischen Bildung noch hinzu pädagogischer Anspruch inne- begreift (S. 12). kämen. So fordert Moegling, wohnt. Dieser Ansatz müsste Im weiteren Teil entwickelt dass das Fach „den Charakter eigentlich die Bedeutung als Moegling „Bausteine“ eines po- eines Hauptfaches mit einem maßgebliche Bezugstheorie der litisch-ökonomischen Wissens Stundendeputat von mind. 4 Un- politischen Bildung haben, wird für Politiklehrerinnen und Poli- terrichtsstunden erhalten“ müss- jedoch von den meisten Autoren tiklehrer. Hier geht er vor allem te (S. 68). der Politikdidaktik – aus vieler- auf ökonomische Themen ein: Allen Lehrkräften, die sich lei Gründen – immer noch ver- auf das Problem ökonomischer einen fundierten Überblick zum nachlässigt. Desto wichtiger ist Ordnungssysteme und auf den ökonomischen Teil im Kombina- es, dass Armin Scherb den An- Zwiespalt von Makro- und Mik- tionsfach „Politik und Wirtschaft“ satz von John Dewey nun zum roökonomie. Er behandelt dann verschaffen wollen, sei dieses Mittelpunkt seiner Theorie und die Mechanismen der Marktwirt- Buch nachhaltig empfohlen. Es Praxis des Politikunterrichts ge- schaft einschließlich sozialpo- sticht hervor durch die konse- macht hat. litischer und umweltbezogener quente Einordnung der ökono- Zentrale Orientierungspunk- Politikfelder. Schließlich wendet mischen Themen in eine erwei- te bei Armin Scherb sind die er sich der Europäischen Uni- terte Didaktik der politischen Erfahrungs- und Handlungsori- on, der Globalisierung und den Bildung. entierung des Unterrichts. Diese internationalen Wirtschafts- und didaktischen Prinzipien ziehen Finanzkrisen zu. Gerhard Himmelmann sich durch das ganze Werk. Im dritten Teil präsentiert er Scherb zitiert die Volksweisheit: einzelne Unterrichtsmodelle Scherb, Armin: Erfahrungs- „Aus Erfahrung wird man klug“ und Praxisbeispiele des poli- orientierter Politikunterricht (S. 17). Er beharrt jedoch dar- tisch-ökonomischen Lernens im in Theorie und Praxis. Immen- auf, dass es in der Nachfolge Politikunterricht. Dazu zählen: hausen 2012: Prolog Verlag. von John Dewey nicht allein auf das Modellbeispiel einer Unter- 176 Seiten. 24,80 Euro. die Kurzformel „learning by do- nehmensgründung, das Projekt ing“ ankomme, sondern auf die einer gesellschaftspolitischen Armin Scherb lehrt als Profes- Reflexion der erlebten Praxis: Schülerzeitung und das Lernen sor für Didaktik der Sozialkun- „learning by thinking about what im Betriebspraktikum. Im weite- de an der Friedrich-Alexander- we are doing“ (S. 17). ren Rahmen entwickelt Moeg- Universität Erlangen-Nürnberg. Armin Scherb entfaltet im ling den Ansatz des forschen- Seit langem hat er sich einen vorliegenden Buch zunächst den Lernens am Beispiel der Namen als Befürworter der pä- den Pragmatismus als allge- Überschuldung Griechenlands. dagogischen Philosophie des meine pädagogische Theorie Moegling schließt sodann ab Pragmatismus in der Politischen des Lernens und der Schule. Er mit dem politisch-ökonomi- Bildung gemacht. Der Untertitel präzisiert den Ansatz dann als schen Lernen am Beispiel der seines Buches heißt infolgedes- Theorie des politischen Lernens Planung einer Unterrichtsreihe sen auch: „Pragmatismus als und der politischen Bildung. Im zur internationalen Wirtschafts- Grundlage des politischen Ler- zweiten Teil entwickelt er die di- und Finanzkrise. nens“. Schon Walter Gagel stell- daktischen Bausteine des erfah- Klaus Moegling beschränkt te fest, dass es sich beim Prag- rungs- und handlungsorientier- sich in diesem Buch auf die Be- matismus um eine „verborgene ten Politikunterrichts und führt handlung von ökonomischen Bezugstheorie der politischen das ergänzende Prinzip der Themen im Politikunterricht. Er Bildung“ handele. Gagel verwies „Sinnorientierung“ ein. Reflexi- 56 1/2013 Politik unterrichten vität und Moralität denkt er als Baden-Württemberg“ die erste den Grünen gelegen, möglicher- Kern einer politischen Urteils- wissenschaftliche Aufarbeitung weise ein wahlentscheidender bildung (S. 65f.). Anschließend der Wahl und der damit verbun- Faktor gewesen wäre. Ob diese geht Scherb über den Unter- denen Veränderungen im „Länd- Befunde Auswirkungen auf die richt hinaus und plädiert für die le“ vor. Ausgestaltung zukünftiger Ver- innere und äußere Offenheit Die Beiträge des Buchs fo- anstaltungen dieser Art haben der Schule. Dabei findet der kussieren dabei folgende Be- werden, bleibt allerdings abzu- Ansatz der „Demokratischen reiche: den Wahlkampf, das warten. Schulgemeinde“ seinen beson- Ergebnis der Wahl sowie das Zu den weiteren Ergebnis- deren Stellenwert (S. 94f.). Zum baden-württembergische Wahl- sen des Buchs, die über Baden- Abschluss präsentiert Armin system; die mit der Wahl einher- Württemberg hinausweisen, Scherb sechs erfahrungsorien- gegangenen Veränderungen der gehört u.a. der Beitrag Micha- tierte Praxisbeispiele, die den Parteienlandschaft; den Protest el Wehners. Er beleuchtet die Lehrkräften vielfältige Anregun- gegen und die Volksabstimmung Ursachen für das Scheitern gen für ihren eigenen Unterricht über „Stuttgart 21“ sowie die bis- der CDU und macht neben der geben können. her verstrichene Regierungszeit Unbeliebtheit des Spitzenkan- Armin Scherb ist hier das der Landesregierung Kretsch- didaten auch langfristige struk- theoretisch fundierte Haupt- mann. turelle Veränderungen wie das werk seiner bisherigen wissen- Die Analyse der Wahl und Akzeptanzproblem der CDU bei schaftlichen Karriere gelungen. des Abstimmungsverhaltens weiblichen und jungen Wählern Man kann nur hoffen, dass der Bürgerinnen und Bürger ist sowie ihre Stimmenverluste bei die überaus fruchtbaren Anre- gründlich und räumt auch mit Beamten und Selbständigen gungen zur Erfahrungs- und dem einen oder anderen Vorur- aus. Handlungsorientierung auf der teil auf. So belegt etwa Dieter Ein weiterer Themenbereich, Grundlage des Pragmatismus- Roth in seinem Beitrag, dass, der in diesem Band nicht fehlen Ansatzes von John Dewey entgegen der landläufigen Mei- darf, ist „Stuttgart 21“. Neben nachhaltige Wirkung in der bun- nung, die Atomkatastrophe von den konkreten Ergebnissen der desdeutschen Politikdidaktik Fukushima den Grünen nicht Volksabstimmung wird etwa in zeitigen möge. den Weg ins Parlament geebnet dem Aufsatz von Ulrich Eith und hat. Vielmehr konnten sie bereits Gerd Mielke auch das span- Gerhard Himmelmann vor dem Unglück in Japan hohe nungsreiche Verhältnis zwi- Zustimmungswerte in allen Poli- schen der Parteiendemokratie Wagschal, U.; Eith, U.; Weh- tikfeldern verzeichnen und diese und Volksabstimmungen im All- ner, M. (Hg.): Der historische Werte haben sich, so zeigt der gemeinen beleuchtet. Machtwechsel: Grün-Rot in Autor, auch nach der Katastro- Insgesamt ein lohnendes Baden-Württemberg. Baden- phe nicht mehr wesentlich ver- Buch – nicht nur für Baden- Baden (Nomos) 2013, 272 ändert. Württemberger – und ein ge- S. ISBN 978-3-8487-0034-9. Aufschlussreich ist auch der lungener erster Band der neuen 46,00€ Beitrag der Kommunikationswis- Schriftenreihe „Vergleichende senschaftler Frank Brettschnei- Analyse politischer Systeme“, Der Ausgang der baden-würt- der und Markus Bachl, die die der nach diesem Auftakt viel Er- tembergischen Landtagswahl Wahrnehmung und Wirkung des folg zu wünschen ist. am 27. März 2011 ist in mehr- TV-Duells zwischen Stefan Map- facher Hinsicht als „historisch“ pus (CDU) und seinem Heraus- Tonio Oeftering zu bezeichnen. Die CDU wurde forderer (SPD) kurz nach 58 Jahren Regierungsbe- vor der Wahl untersuchen. Inte- teiligung und steter Bekleidung ressant ist hierbei nicht nur die des Ministerpräsidentenpos- Beschreibung des methodischen tens abgewählt, die SPD fand Vorgehens und der Ergebnisse sich unerwartet erstmals auf der „real-time response (RTR)- Landesebene als Juniorpartner Messung“ während des Duells, in einer Koalition mit den Grü- sondern auch das im Rückblick nen wieder und mit Winfried pikante Detail, dass der späte- Kretschmann wurde erstmals re Ministerpräsident Winfried ein grüner Politiker Ministerprä- Kretschmann bei der Sendung sident eines deutschen Bun- gar nicht dabei war. Die Autoren deslandes. Nun, knapp zwei kommen zu dem Schluss, dass Jahre nach der Wahl, liegt mit die Besetzung des Duells ohne dem Buch „Der historische Kretschmann, hätte die SPD Machtwechsel: Grün-Rot in bei der Wahl doch knapp vor 57 Politik unterrichten 1/2013

PuLs XI (2013) POLITIK unterrichten Literaturservice (Nr. 293 - 327)

Eine Auswahl von Titeln der Bundeszentrale für politische Bildung/BpB, erstellt von Dietrich Zitzlaff (Kampstr. 12, 23714 Bad Malente; Tel. 045 23/65 84) mit technischer Unterstützung von Jürgen Walther (Berlin), übersicht- lichen Bestellens wegen in Bestellnummernfolge geordnet und ergänzt durch Informationen und Meinungen. Die Präsentationsformen wurden im (293) *bpb:magazin 03 März 2013 (Adenauerallee 86, 53113 Bonn/ magazin@ bpb.de) trotz wertvoller Angebote wiederum nicht verbessert! Die Titel - hier eine Auswahl - sind im magazin auf den Seiten 18f., 23-27, 35, 40-43 in (293) aufgeführt; hinzu kommen auf S. 48 befristete Angebote für 1 Euro.

* = Bibliografie; *SR = Sammelrezension/Literaturbericht; wLiA = wichtige Literatur in Anmerkungen; *INT = In- ternetangaben // kls. = kostenlos // La = Lizenzausgabe eines Verlages // Wenn kein anderes Jahr genannt ist, Erscheinungsjahr 2013; es werden neu aufgenommene Titel von 2012/13 vorgestellt. - Sie können wie zuvor bei BpB c/o Versandservice GmbH, Kastanienweg 1, 18184 Roggentin ordern (Bestellkarte oder Tel. +49(0)38 204/66 200) bis zu 20 kg für 4,60 Euro bestellen. - (294) Beachten Sie bitte, dass viele Ausgaben von BpB- Periodika kls. mitbestellbar sind! // Vom Bearbeiter besonders empfohlen: 298, 300f., 305-307, 310f., 313f., 317, 320-323, 325, 327.

• (BpB-)„Schriftenreihe“: 32 ausgesuchte Titel 295 D. konstatiert im Schlussabschnitt, der Prozess sei bei „weitem nicht abgeschlossen“; er habe zudem neue, ungeahnte Probleme in den befreiten Ländern geschaffen. „Vor allem aber hat das Ende der Konfronta- tion der Blöcke zu keinem stabilen und dauerhaften Friedenszustand in der Welt geführt ...“ (S. 157): (Best.-Nr. 1208) GYÖRGY DALOS (freier Schriftsteller in Berlin) / ELSBETH ZYLLA (Deutsche Bearb.): Lebt wohl, Genossen! Der Untergang des sowjetischen Imperiums, BpB (La C.H. Beck, München 2011); 174 S./ 7 Euro (*S. 73 / Zeittafel 1985-1992; S. 163-172 / 65 Abb.). - Hauptteile: ,I. Kosmische Erfolge, irdische Sorgen (1975-1980)‘; S. 7-34 //,II. Kränkelnde Staatsmänner, marode Staaten (1980-1985)‘; S. 35- 51 // ,III. Der Gorbatschow-Moment (1985–1988)‘; S. 53-78 // ,IV. Kontrollverlust (1988-1989)‘; S. 79-96 // ,V. Beschleunigung der Geschichte (1989)‘; S. 97-122 // ,VI. Das Ende der Sowjetunion (Jan. 1990-Dezem- ber 1991)‘; S. 123-157 // ,Nachwort‘ CHRISTIAN BEETZ; S. 159-162 296 TH. K. / TH. V.: „Ein Zurückgibt es nicht“ - (S. 267): (Best.-Nr. 1216) THOMAS KUNZE (Historiker) / THOMAS VOGEL (Journalist; Reportagen, Filmberichte: Internationale Zeitgeschichte): Von der Sowjetunion in die Unabhängigkeit. Eine Reise durch die 15 früheren Sowjetrepubliken, Bpb (La Christoph Links Verl. 2011); 287 S. / 4,50 Euro (wLiA S. 1-283 / statist. Übersich- ten S. 284). - Nach ,Ein Koloss am Ende. Der Zusammenbruch der Sowjetunion‘; S. 10-24 u. a. ,Parallele Entwicklungen zu neuen nationalen Identitäten‘; S. 25-53. - Die 15 Staaten sind in die Buchteile ,Das Bal- tikum auf dem Weg nach Europa‘, ,Von der UdSSR zu neuen Bündnissen‘, ,Die Kaukasus-Republiken‘, ,Mittelasien: Die ,Stan-Länder‘ eingeordnet. 297 „... Je geringer das Wissen über ein Ereignis ist, desto leichter ist es, dieses zu trivialisieren, zu manipulie- ren, zu verdrehen, oder sogar zu leugnen ...“ (S. 11): (Best.-Nr. 1235) AVRAHAM MILGRAM / ROBERT ROZELL (Hg.): Der Holocaust. FAQs - Häufig gestellte Fragen. Deutsch/Englisch, BpB (La Wallstein Verl., Göttingen 2012); 76 S. / 4,50 Euro [Engl. Originalausg. 2005, Yad Vashem (Jerusalem) in Zusammenarbeit mit der Knesset.] - Unter den 32 Fragen: ,Was ist der Holocaust bzw. die Shoah?‘ (S. 13f.) - ,Was war das Novemberpogrom?‘ (S. 16f.) - ,Warum konnten nicht mehr Juden Europa vor Kriegsbeginn verlassen?‘ - ,Wer baute die Gaskammern? Welches Gas wurde ein- gesetzt, um die Juden zu töten, und von wem wurde es geliefert?‘ (S. 25f.) - ,Was waren die Todesmärsche?‘ (S. 28) - ,Warum haben die Alliierten Auschwitz nicht bombardiert?‘ (S. 31) - ,Was ist Holocaust-Leugnung?‘ (S. 39) - ,Wie war die Ermordung der Juden menschlich möglich?‘ (S. 41f.) 298 Vielseitig, tolerant-weltoffen, aufwendig ausgestattet: (Best.-Nr. 1236) KATHARINA KUNTER (Privatdoz. Neuere Geschichte Univ. Karlsruhe): 500 Jahre Pro- testantismus. Eine Reise von den Anfängen bis in die Gegenwart, BpB 2012 (La Palmedia Publishing Ser- vices GmbH, München 2011); 240 S. Din A4 / 7 Euro (*Literaturempfehlungen; S. 238-240). Hauptkapitel: ,I. Europa, die alte Kirche und die neuen Ideen‘ (S. 11-19) - ,II. Aufbruch, Widerspruch und Umbruch: Die Reformation in Deutschland‘ (S. 18-49) - ,III. Vielfältig, radikal und alternativ: Die Reformation in Europa (S. 50-95) - ,V. Der Protestantismus gewinnt Profil: Das 17. und 18.Jahrhundert‘ (S. 96-135) - ,VI. Protestantis- mus in einer Welt der Möglichkeiten: Das 20. Jahrhundert‘ (S. 174-233) / ,Zeitstrahl „Vor 1500“ bis „Ab 2000“‘ (S. 234-237) // Gegl. *S. 238-240. 299 Im Vorwort (S. 7–9) u. a.: „Denn auch das zeigen die Forscher: Hilfe kann so einfach sein. Sie muss nur früh genug beginnen und die richtigen Kinder unterstützen ...“ (S. 9): (Best.-Nr. 1253) FELIX BERTH (Deutsches Jugendinstitut): Die Verschwendung der Kindheit. Wie Deutsch- land seinen Wohlstand verschleudert, BpB 2012 (La Beltz, Weinheim/ Basel 2011); 205 S. / 4,50 Euro (*S. 195-208 u. nach Kapiteln) - Unter 15 Kap.: ,Der umgebaute Fahrstuhl. Aus der Traum: Der gemeinsame 58 1/2013 Politik unterrichten

Aufstieg aller Bürger ist vorbei‘ (S. 10-17) - ,Ein geteiltes Land. Der soziale Zerfall der Bundesrepublik‘ (S. 27-44 / 1 Schb.) - ,Adenauers Gießkanne. Die deutsche Familienpolitik kostet viel und nützt wenig‘ (S. 60-71 / 1 Schb.) - ,Zauberformeln. Die richtige Politik‘ (S. 167-188 / 1 Schb.) - ,Die Aufstiegsrepublik. Chancen für die Schwächsten zum Nutzen aller‘ (S. 189-193) 300 Am Schluss seines Textbuches zitiert E. P. den Historiker Raul Hilberg; letzter Satz: „Diese Vergangenheit nicht zu kennen, heißt, sich selbst nicht zu kennen“ (S. 287): (Best.-Nr. 1255) ERNST PIPER (Privatdoz. Neuere Geschichte Univ. Potsdam): Nationalsozialismus. Seine Geschichte von 1919 bis heute, BpB 2012 (La Prospero Verl., Münster & Berlin); 336 S. / 4,50 Euro (Zeittafel S. 289-324 / *Hinweise auf die weitere Lektüre; S. 327-329) / Personenverz. (S. 331-336) 301 In der Einleitung: „Sie waren gutaussehend, intelligent und kultiviert. Sie sind verantwortlich für den Tod von Hunderttausenden. Geschildert werden die Lebenswege von 80 Hochschulabsolventen - Ökonomen, Juristen, Sprachwissenschaftlern“: (Best.-Nr. 1257) CHRTSTIAN INGRAO (Direktor des Institut d’Histoire du Temps Présent, Paris): Hitlers Elite. Die Wegbereiter des nationalsozialistischen Massenmords, BpB 2012 (La Ullstein Buchverlage / 2010 Originalausg. Librairie Arthème, Paris); (wLiA! S. 402-508 / *S. 509-560 / Abkürzungen S. 561f./ Perso- nenreg. S. 563–569!). - Forts. des Vorspanns: „Philosophen, Historiker, Geographen -, die im Rahmen der Repressionsorgane des Dritten Reichs, vor allem im Sicherheitsdienst (SD) der SS, Karriere gemacht und an der Formulierung von Grundsätzen, an der politischen Überwachung und der nachrichtendienstlichen Aufklärung ... mitgewirkt haben. Ab Juni 1941 waren die meisten Männer als Angehörige mobiler Tötungs- kommandos ... an der Ausrottung der Juden in Osteuropa beteiligt ...“ (S. 9). 302 Im Vorwort: „... (U)m eine zumindest moderate historische Tiefenschärfe zu erhalten, reicht die Auswahl bis in das späte 19. Jahrhundert zurück ... - Außer der Bundeszentrale gilt unser besonderer Dank ... Jürgen Faulenbach ...“ (S. 8f.). - Unter den Vorgestellten sind acht Frauen: (Best.-Nr. 1287) DANIEL GERLACH (Chefred. des Deutschen Levante Verlags u. Mithg. der Orient-Zeit- schrift „zenith“) / CHRISTIAN A. MEIER (Red.-leiter „zenith“): Der Nahe Osten in hundert Köpfen. Biografi- sche Skizzen zu Zeitgeschichte und Gegenwart, BpB 2012; 211 Großseiten / 4,50 Euro (Verz. d. 30 Autoren; S. 202f. / Erläuterung zur Umschrift der Namen u. Begriffe / Personenindex; S. 206-208 / Sachindex S. 209- 211 / ohne *). - 4 Hauptteile: Politik (S. 14-105) - Wirtschaft (S. 106-128) - Religion (S. 130-158) - Kultur u. Gesellschaft (S. 160-201). 303 E.H. schließt: „... Allgemein wird nicht eine völlige Angleichung der Lebensverhältnisse erwartet, wohl aber, dass knappe öffentliche Güter gerecht verteilt werden. Wenn sich die politische Elite auf diesen dem Land vertrauten Pfad zurückbesinnt, wird der Prinzipal, das Volk, mit seinen politischen Agenten im Parteienstaat weniger hadern“ (S. 257): (Best.-Nr. 1289) EVERHARD HOLTMANN (ab Okt. 2012 Forschungsdirektor am Zentrum f. Sozialfor- schung in Halle/Saale): Der Parteienstaat in Deutschland. Erklärungen, Entwicklungen, Erscheinungsbilder, BpB 2012; 302 S. / 4,50 Euro (*S. 285-302 / Abb. u. Tab.; S. 283f.). - Mit Einführung ,Ist der Parteienstaat ein Auslaufmodell? Krisenzeichen in Vergangenheit und Gegenwart‘ (S. 11-26) - Hauptteil I ,Erklärungen‘ (S. 27-60) - ... II ,Entwicklungen‘ (S. 61-136) - III ,Erscheinungsbilder‘ (S. 131-149) - ,Ausblick: Auf dem Weg in den defekten Parteienstaat? ‘ (S. 250-257). 304 Im Schlusssatz des Abstracts auf der letzten Umschlagseite: W. bringe „Ordnung ins Energie-Wirrwarr und gebe einen Überblick über die zahlreichen diskutierten Energiekonzepte; er wäge Vor- und Nachteile ab und entwickle streitbare Thesen zu Deutschlands Energiezukunft: (Best.-Nr. 1293) JOHANNES WINTERHAGEN (Technikjournalist): Abgeschaltet. Was mit der Energiewen- de auf uns zukommt, BpB 2012 (La Carl Hanser Verl., München); 252 S. / 4,50 Euro (Quellen; S. 239-257). - Unter den Kapiteln: ,Kommt das Elektroauto?‘ (S. 115-122) - ,Ins Netz gegangen: Immer mehr Stromlei- tungen?‘ (S. 143-153) - ,Erdöl: Das dicke Ende kommt noch‘ (S. 155-158) - ,Saubere Kohle - ein Traum?‘ (S. 159-180) - ,Die Kernenergie: Hauptsache ohne Kohlendioxid?‘ (S. 189-202) - ,Insel der Seligen? Wie die Umstellung auf erneuerbare Energien gelingen kann‘ (S. 217-227). 305 Am Schluss des letzten Kapitels: „Manchmal wissen wir nicht, wer wir sind. Manchmal wissen andere nicht, wer wir sind. Aber eines ist uns nun bewusst: Wir sind deutscher, als wir denken. Was kann daran schon schlimm sein?“ (S. 175): (Best.-Nr. 1295) ALICE BOTA (1988 aus Polen nach Deutschland gekommen) / KHUE PHAM (1982 in Ber- lin geboren; ZEIT-Politikredakteurin) / ÖZLEM TOPÇU (1977 in Flensburg geboren, ZEIT-Politikredakteu- rin): Wir neuen Deutschen. Warum das Land Menschen wie uns braucht, BpB (La Rowohlt, Reinbek); 176 S. / 4,50 Euro. - Unter den Kapiteln: ,Eigentlich ganz schön hier‘ (S. 7-17) - ,Wer wir sind‘ (S. 21-47) - ,Unser anderes Land‘ (S. 61-87) - ,Scheitern ist keine Option‘ (S. 117-145) - ,Wir sind alle Muslime‘ (S. 147-160)- ,Neue Deutsche braucht das Land‘ (S. 161-175). 306 Im Vorwort: „... Meine persönliche Haltung zu den Risiken der Kernspaltung hat sich nach Fukushima verän- dert, jetzt bin ich jemand, der zum Ausstieg ,je schneller, desto besser‘ sagt. Nicht zuletzt diese Gedanken brachten mich zur notwendigen Überarbeitung dieser vierten Auflage ...“ (S. 10): 59 Politik unterrichten 1/2013

(Best.-Nr. 1296) SVEN PLÖGER (Dipl.-Meteorologe u. Moderator in Funk & Fernsehen): Gute Aussichten für morgen. Wie wir den Klimawandel bewältigen und die Energiewende schaffen können; BpB 2012 (La d. 4., überarb. Aufl. Westend Verl., Frankfurt/M.); 314 S. / 4,50 Euro (*S. 312-314). - Teil I ,Den Klimawandel verstehen‘ (S. 19-142) - II ,Die Stimmen der Interessengruppen‘ (S. 145-224) - III ,Die Chancen für morgen‘ (S. 227-307). 307 „… Im Februar 2005 fällt die junge türkischstämmige Hatun Sürücü einem Mordanschlag auf offener Straße zum Opfer. Der Täter: Ihr jüngerer Bruder, der sich mit dem selbstbestimmten Lebensstil seiner Schwester nicht abfinden wollte.“ (Abstract; letzte Umschlagseite): (Best.-Nr. 1297) MATTHIAS DEISS (2007-2012 Tagesschau-Korrespondent beim rbb in Berlin) / JO GOLL (Red. u. Reporter ARD-Tagesschau): Im Namen der Ehre? Ein deutsches Schicksal, BpB 2012 (La Hoff- mann & Campe, Hamburg 2011); 256 S. / 4,50 Euro. 308 Im Abstract (letzte Umschlagseite): „... Erstaunlicherweise zieht sich … durch die Vielzahl der Studien zum SED-Staat eine scharfe Trennung in die gründlich untersuchte politische und die dagegen eher marginal behandelte Alltagsgeschichte - als habe es die DDR zweimal gegeben ...“: (Best.-Nr. 1299) Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR / Autoren ELKE KIMMEL, ANDREAS LUD- WIG, MARCUS MERKEL, MARIO STUMPFE: Alltag: DDR. Geschichte/Fotos/Objekte, BpB 2012 (La Chris- toph Links Verl., Berlin); 335 S. / 21 x 25 cm / 7 Euro (*Anhang: *Einführende Lit.; S. 325-329). - Nach Gruß- worten von , SABINE KUNST u. WOLFGANG KASCHUBA Einleitungen von THOMAS LINDENBERGER u. ANDREAS LUDWIG (nach dem Mauerbau u. das Buchthema) Buchteil „Eisenhütten- stadt - Neue Stadt“ (- dort ist das Museum) und u. a. Teile ,Macht‘, ,Grenzen und Freiheit‘, ,Bildung‘, ,Kom- munikation‘, ,Familie‘, ,Arbeit‘, ,Konsum‘, ,Lebensweise‘, ,Milieus‘ - jeweils mit Essay, Objektgeschichten u. Katalog; Abb. vieler Ausstellungsstücke. 309 „Wer sich mit offenen Augen und Ohren durch dieses Land bewegt, spürt, dass das Unbehagen an einer immer stärker auf Wettbewerb und Statuskonkurrenz ausgerichteten Gesellschaft wächst ...“ S. 209): (Best.-Nr. 1303) STEFFEN MAU (Prof. f. polit. Soziologie u. vergleichende Analyse von Gegenwartsgesell- schaften, Univ. Bremen): Lebenschancen. Wohin driftet die Mittelschicht?, BpB 2012 (La Suhrkamp Verl., Berlin); 274 S. / 4,50 Euro (*!S. 251-270 / mit ausführl. Inhaltsverz. S. 273f., Quellen u. Daten; S. 272). - Die Hauptkap.: ,1. Mittelschicht: Leben in der Komfortzone‘ (S. 13-46) - ,2. Erschütterungen der Mitte‘ (S. 47-96, - ,3. Statuspanik: Reale Gefahr oder falscher Alarm?‘ (S. 97-131) - ,4. Die Mühen der Selbstbehauptung‘ (S. 132-176) - ,5. Neue Kälte in der Mitte?‘ (S. 177-208) - ,6. Für eine Politik der Lebenschancen‘ (S. 209-250). - ST. M. äußert, der Leser werde „merken, dass das Buch betont populär gehalten ist“ (S. 12). 310 In ,VI. Schlussfolgerungen‘: „... Die Schuldenkrise der Europäischen Union ist zu einer Krise des Euro ge- worden. Dem liegen gravierende Konstruktionsfehler des Euro zugrunde, die nun offensichtlich geworden sind ...“ (S. 116): (Best.-Nr. 1304) HANNO BECK (Prof. d. Volkswirtschaftslehre, Hochschule Pforzheim) / ALOYS PRINZ (Prof. f. Finanzwissenschaft, Univ. Münster): Staatsverschuldung. Ursachen, Folgen, Auswege, BpB 2012 (Beck Wissen, München 2011); 127 S. / 4,50 Euro (*S. 123-125 / Index S. 126f. / 5 Abb.). 311 Das Buch eines lange in Österreich Wohnenden, vielseitig, flüssig; man kann sich eine angemessenere Karte, reichhaltig-gründlichere Statistik und ein übersichtliches Literaturverzeichnis wünschen. Bitte, die auf- schlussreichen Anmerkungen beachten! Keineswegs unpolitisch: (Best.-Nr. 1305) NORBERT MAPPES-NIEDIEK: Österreich für Deutsche. Einblicke in ein fremdes Land, BpB 2012 (La Christoph Links Verl., Berlin; 5., aktualis. Aufl.); 189 S. / 4,50 Euro (wLiA S. 183-189). - Unter d. Kap.: ,Oben, unten, draußen: Wo liegt Österreich? Geschichte und Nationalgefühl‘ (S. 17-47) - ,Links und rechts, oben und unten: Wer regiert wen? Das politische System‘ (S. 48-100) - ,A bissl eine Pest. Nazizeit und Ausländerfeindlichkeit‘ (S. 101-133) - ,Geh, könnten S’ grad so lieb sein? Das Gesellschaftssystem‘ (S. 134-171) - ,Österreich und sein Europa. Ausblick‘ (S. 172-181). 312 Das Buch bleibt trotz allem kursorisch: Wird es den Genannten immer gerecht? Nach wie vor bedarf es - auch - gründlicher Teilstudien: (Best.-Nr. 1306) CARSTEN KRETSCHMANN (Wiss. Mitarb. am Histor. Inst., Univ. Stuttgart): Zwischen Spaltung und Gemeinsamkeit. Kultur im gemeinsamen Deutschland, BpB 2012 (be-bra Verl., Berlin); 200 S. / 4,50 Euro (*S. 193f. / Namenreg. S. 195; u. a. WOLFGANG ABENDROTH, TH. W. ADORNO, WOLF BIERMANN, CHRISTA WOLF bis hin zu ). In der Auswahlbibliografie „(a)usschließ- lich Titel, die sich im größeren Kontext mit Aspekten der Kultur ... beschäftigen und zugleich einen sinnvollen Einstieg in die Thematik erlauben“ (S. 193). - Hauptkap.: ,Trümmerkultur‘ (S. 11-36) - ,Moderne Zeiten‘ (S. 37-89) - ,Zwischen Politisierung und Autonomie‘ (S. 90-139) - ,Der kleine Grenzverkehr‘ (S. 140-166) - ,Aus- blick: Auf der Suche nach der verlorenen Identität‘ S. 167-174). 313 Von J. O. erschien 2010 das Forschungswerk „Migration im 19. und 20. Jahrhundert“. Der hier gen. Titel ist „trotz“ Kürze prägnant-wesentlich und differenziert. Die gen. Reihe des Verlages verdient immer wieder Erwerb und gründliche Lektüre. - Der Titel ist KLAUS J. BADE gewidmet: (Best.-Nr. 1309) JOCHEN OLTMER (apl. Prof. f. Neueste Geschichte u. Vorstand des Instituts f. Migrations- 60 1/2013 Politik unterrichten

forschung u. Interkulturelle Studien (IMS), Univ. Osnabrück): Globale Migration. Geschichte und Gegenwart, BpB 2012 (La Beck Wissen, München); 128 S. / 4,50 Euro (gegl. *S. 123-125 / Register Länder, Regionen, Orte; S. 126-128 / 3 Karten, 4 Tab.).- Die 6 Hauptteile reichen von ,Migrationsgeschichte als Menschheits- geschichte‘ (S. 8-14) u. a. über ,Bedingungen, Formen und Folgen weltweiter Wanderungen in der Neuzeit‘ (S. 14-32) bis ,Neue Weltordnung und globale Handlungsräume: Migrationsverhältnisse im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert‘ (S. 108-122). 314 „... Mit dem Ende der DDR ... dramatischer Wandel ... (H)erber Bevölkerungsschwund, sterbende Infra- struktur, schwindende Kaufkraft und vielfältige psychosoziale Auswirkungen ... 2007 bis 2010 haben Sozio- logInnnen, EthnologInnen und Theatermacher die städtische Gesellschaft ... und die Folgen des extremen Umbruchs begleitet: Mit den Instrumenten der Wissenschaft und der Kunst sollen die vielfältigen sozioöko- nomischen und -psychologischen Brüche sichtbar gemacht und den EinwohnerInnen Raum zur eigenen Artikulation, zum ,ÜberLeben‘ ... gegeben werden ....“ (Abstract; 4. Umschlagseite): (Best.-Nr. 1310) HEINZ BUDE (Prof. f. Makrosoziologie, Univ. Kassel) / THOMAS MEDICUS u. ANDREAS WILLISCH (Hg.): Überleben im Umbruch. Am Beispiel Wittenberge: Ansichten einer fragmentierten Gesell- schaft, Sonderausg. f. BpB 2012 (2011 Hamburger Edition HIS Verl.-ges.); 360 S. 20,7 x 26,8 cm / 7 Euro (*!S. 351-354 / *Nachweise / Theaterstücke; S. 355 / *Links / AutorInnen S. 356-358 / Üppige Bildausstat- tung / H. B.: Ein natürliches Experiment; S. 13-30. 315 „… Biotreibstoffe bedrohen Entwicklungsländer auf eine dreifache Weise ...“ (S. 128): (Best.-Nr. 1311) JAMES SMITH (Prof. f. Afrika- u. Entwicklungsstudien, Edinburgh): Biotreibstoff. Eine Idee wird zum Bumerang, BpB 2012 (deutsche Ausg. Verl. Klaus Wagenbach, Berlin, engl. bei Zed Books, Lon- don 2010); 142 S. / 1,50 Euro (*S. 133-142). - Unter 6 Kap. ,Systeme: Komplexität und Wissen‘ (S. 47-70) - ,Synergien und Interessen‘ (S. 71-100) - ,Nachhaltigkeit? Die Globalisierung des Risikos‘ (S. 123-129). 316 Beginn: „... Es war im Winter 1999. Das ehemalige Jugoslawien lag hoffnungslos in Trümmern. Die freund- liche Donaustadt Novi Sad war immer wieder von den Alliierten bombardiert worden ... (S. 7). - Gegen Bu- chende: „Das Wichtigste ist, dass innerhalb Europas die Politik und die Demokratie wieder in den Mittelpunkt gestellt werden ...“ (S. 142): (Best.-Nr. 1313) GEERT MAK (niederländischer Publizist, Leipziger Buchpreis 2008 für europäische Ver- ständigung): Was, wenn Europa scheitert, BpB 2012 (La Pantheon Verl., München & Uitgeverij Atlas, Ams- terdam); 144 S. / 4,50 Euro. 317 „... (Z)wei Internet-Vorreiter ... führen kenntnisreich und unterhaltsam in den Diskurs zwischen Netz-Skepti- kern und Netz-Optimisten ein ... Führt das Netz zu mehr Demokratie oder aber zu stärkerer Überwachung? ...“ (Letzte Umschlagseite): (Best.-Nr. 1315) KATHRIN PASSIG (Red. Weblog „Riesenmaschine“) / SASCHA LOBO (Spiegel Online): Internet. Segen oder Fluch, BpB-Sonderausg. 2012 (Rowohlt, Berlin); 317 S. / 4,50 Euro (wLiA! S. 303-316). - U. a. ,Das missverstandene Neue. Vom Entstehen und Vergehen‘ (S. 53-70) - ,Faster, Pussycat! Von der Beschleunigung‘ (S. 152-176) - ,Und der ganze Rest. Was in diesem Buch noch hätte stehen sollen‘ (S. 299-102). 318 Abschließend: „... Verteilungsfragen stehen in Zeiten der Schrumpfung und Verknappung in neuer Weise auf der Agenda. Mehr politische Bereitschaft zum Konflikt ist dann nicht die Schlechteste aller Handlungs- maximen“ (S. 140): (Best.-Nr. 1317) JENS KERSTEN (Prof. f. Öffentl. Recht u. Verwaltungswissenschaft, Univ. München) / CLAUDIA NEU (Prof. f. Allgem. Soziologie Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach) / BERTHOLD VO- GEL (Direktor des Soziolog. Forschungsinstituts, Univ. Göttingen): Demografie und Demokratie. Zur Poli- tisierung des Wohlfahrtsstaates, BpB 2012 (La Hamburger Edition); 151 S. / 1,50 Euro (*!S. 141-151). - ,I. Demografie und Demokratie‘ (S. 7-16) - ,II. Verfassungsstruktur‘ (S. 17-61) - ,III. Infrastruktur‘ (S. 62-91) - ,IV. Wohlfahrtsstruktur‘ (S. 92-127) - ,V. Zur Politisierung des Wohlfahrtsstaates‘ (S. 128-140). 319 „... Wir brauchen ein System, das es den Menschen ermöglicht, komplexe und Anreize bietende Transak- tionen zum Vorantreiben ihrer Ziele zu tätigen, und das ein Ventil für unsere Aggressionen und unsere Machtgier bietet ...“ (S. 325): (Best.-Nr. 1318) ROBERT J. SHILLER (Prof. f. Wirtschaftswissenschaften, Yale University): Märkte für Men- schen. So schaffen wir ein besseres Finanzsystem, BpB 2012 (La Campus Verl., Frankfurt/M.); 376 S. / 4,50 Euro (wLiA! / *!S. 350-370 / Reg. S. 371-376). - ,Vorwort‘ (S. 7-15) - ,Einführung‘ (S. 17-36) // Teil I: ,Funk- tionen und Aufgaben‘ (S. 37-183) / Von ,Die Topmanager‘ bis ,Die Philanthropen‘) // T. II: ,Das Unbehagen in der Finanzwirtschaft‘ (S. 185-313) // ,Epilog‘: ,Finanzwesen, Macht und menschliche Werte‘ (S. 314-325); auch dort wird noch einmal SH.’s Position deutlich: „:.. Letztlich bringt ein wohlgestalteter Finanzkapitalis- mus eine sicheren, gewaltfreien Schauplatz für Machtkämpfe hervor ...“ (S. 324). 320 Im Vorwort: „Die Arbeit ist ein Versuch, eine Brücke zu schlagen zwischen Theorie und Praxis ...“ (S. 7); G. H. dankt u. a. GERHARD LUF und HEINER BIELEFELDT für Anregungen und Hilfen: (Best.-Nr. 1319) GRET HALLER (Schweizer Juristin, Politikerin, Autorin): Menschenrechte ohne Demo- kratie? Der Weg der Versöhnung von Freiheit und Gleichheit, BpB (La Aufbau Verl., Berlin 2012; 238 S. 61 Politik unterrichten 1/2013

/ 4,50 Euro (*S. 211-219 / Personenreg. S. 231f., Sachreg. S. 232-238). - Hauptteile: ,I. Grundlagen der Menschenrechte bis 1789‘ (S. 9-58) - ,II. Menschenrechte 1789-1989‘ (S. 59-120) - ,III. Die Krise der Men- schenrechte seit 1989‘ (S. 120-165) - ,IV. Entwicklungsperspektiven‘ (S. 166-210). 321 Im Vorwort von JOHANNES HÜRTER (Deutsches Histor. Inst., London): „... Der Autor, seit seine hoch- gelobte Dissertation zum ,Kommissarbefehl‘ einer der besten Kenner der Wehrmacht, liefert dem Entwurf von Neitzel/Welzer die notwendige Feinarbeit nach, ohne die übergreifenden Fragen aus den Augen zu ver- lieren ...“ (S. 13 / N./W.: Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, Frankfurt/M. 2011): (Best.-Nr. 1323) FELIX RÖMER: Kameraden. Die Wehrmacht von innen, BpB 2012 (La Piper, München); 544 S. / 4,50 Euro (wLiA! S. 487-533 / *S. 534-538 / Personenreg. S. 539-544 / 30 Abb.). - Unter 10 Kap.: ,Gefangenschaft‘ (S. 27-59) - ,Ideologie‘ (S. 60-110) - ,Soldatenethos‘ (S. 111-157) - ,Kameradschaft‘ (S. 158-204) - ,Kriegsverbrechen‘ (S. 404-466). 322 STEFAN TROEBST (Prof. f. Kulturstudien Ostmitteleuropas, Univ. Leipzig) in ,Zum Geleit‘: „... Und drittens handelt es sich nicht um einen Atlas im klassischen Sinne ... sondern um ein Mehrgenrewerk, das neben Textteilen und Karten zahlreiche Abbildungen ... vor allem eine große Zahl von aussagekräftigen Quellen- auszügen enthält ...“ (S. 11): (Best.-Nr. 1324) GRZEGORZ HRYCIUK / MALGORZATA RUDNIEWICZ / BOZENA SZAYNIOK / ANDRZEJ ZBIKOWSKI: Umsiedlungen, Vertreibungen und Fluchtbewegungen 1939–1959. Atlas zur Geschichte Ost- mitteleuropas, BpB 2012 (La Demart S.A., Warszawa); 254 S. Din A4 / 4,50 Euro. – Die Hauptteile: ,Zum Geleit‘, ,Einleitung‘ (S. 12-33)- ,Polen‘ (S. 34-105) - ,Juden‘ (S. 106-159) - ,Deutsche‘ (S. 160-205) - ,Uk- rainer‘ (S. 206-231) - ,Andere Nationalitäten‘ (S. 232-239: Weißrussen, Litauer, Tschechen, Slowaken …) - ,Schlussbetrachtung‘ (S. 240-243) - ,Anhang‘ (S. 244-253 / persönliche u. amtliche Texte) // Der PuLs- Erarbeiter kann hier dem unglaublich reichhaltigen Werk nicht gerecht werden - bitte unbedingt beschaffen! 323 „...Als ,Wegweiser zur Erinnerung‘ richtet sich diese Handreichung in erster Linie an Multiplikatoren in Deutschland, Polen und Tschechien, die eine Gedenkstättenfahrt ins Nachbarland planen ...“ (S. 5). - U. a. mit Angaben zu 15 Orten u. Förderungsmöglichkeiten: (Best.-Nr. 1326) Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. / BpB / Deutsch-Polnisches Jugendwerk / Ko- ordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch - Tandem (Hg.): Wegweiser zur Erinnerung. Informationen für Jugendprojekte in Gedenkstätten der NS-Verfolgung ...; BpB , 155 S. Din A4/ 4,50 Euro (*S. 138-142). 324 „... Kommune als ,Schule der Demokratie‘ sollte das wesentliche Ziel sein, von dem viele Städte allerdings noch weit entfernt sind. Dieses Ziel sollten Politikwissenschaft und politische Bildung nicht zu ,demokrati- schen Märchenerzählungen‘ (Detjen ...) veranlassen, vielmehr sind auch partizipative Initiativen kritisch zu begleiten ...“ (S. 214): (Best.-Nr. 1329) JÖRG BOGUMIL (Prof. f. Öffentl. Verwaltung, Stadt- u. Regionalpolitik, Univ. Bochum) / LARS HOLTKAMP (Prof. f. Politik u. Verwaltung, Fernuniversität Hagen): Kommunalpolitik und Kommunal- verwaltung. Eine praxisorientierte Einführung; BpB 263 S. / 4,50 Euro (wLiA S. 215-221 / *!S. 222-260 / 28 Abb., 35 Tab. / Lehrbuch von 2006 neugefasst). - U. a. mit ,5. Kommunalpolitik zwischen Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie‘ (S. 148-168) - ,7. Demokratisierung der Demokratie von unten‘ (S. 185-214). 325 „... Das Werk entschlüsselt die Welt der Wirtschaft in rund 2750 Stichwörtern ...“ (S. 5): (Best.-Nr. 1330) MICHAEL BAUER (red. Leitung) / ACHIM POLLERT (Koordination) / BERND KIRCHNER, JAVIER MORATO POLZIN (wie A. P. Autoren): Das Lexikon der Wirtschaft. Grundlegendes Wissen von A bis Z, (Sonderausg. der 5. Aufl. f. BpB, 2013 (Bibliographisches Institut, Berlin); 520 S. / 4,50 Euro (Regis- ter / !S. 500-512/ mit wichtigen Adressen). - 12 Kap.: Grundlagen: Was bedeutet Wirtschaften? (S. 9-59), Mikroökonomie (Preisbildung auf Märkten), Makroökonomie: Auf und Ab der Wirtschaft, Wirtschaftspolitik, Finanzwissenschaft, Weltwirtschaft, Betriebswirtschaft, Arbeitswelt: Rechte u. Pflichten Arbeitnehmer, Ver- braucherschutz, Bank-, Börsen-, Versicherungsgeschäfte. 326 „... Mit der ... Studie zur Lebenssituation der 65- bis 85-jährigen Bevölkerung legt der Generali Zukunfts- fonds eine Grundlagenuntersuchung vor, die - gemessen an Befragungsumfang und Themendichte - bis- lang erstmalig in dieser Form die Lebensumstände, Einstellungen und Befindlichkeiten dieser Generation umfassend analysiert ...“ (S. 9): (Best.-Nr. 1348) RENATE KÖCHER, OLIVER BRUTTEL (Inst. f. Demoskopie Allensbach / Autoren) / Ge- nerali Zukunftsfonds (Hg.) / Institut f. Demoskopie Allensbach: Generali Altersstudie 2013. Wie ältere Men- schen leben, denken und sich engagieren, BpB 2012 (La Fischer Taschenbuch Verl., Frankfurt/M.); 592 S. / 4,50 Euro. Im Anhang (S. 537-587) Angaben zur Methodik (S. 537-541), Fragebogen (S. 542-585 / 64 Fragen), Autoren (S. 588-590), Mitglieder des wissenschaftl. Beirats (S. 589f., ein Glossar S. 586f.). Unter den 7 Hauptkap.: ,Lebensgefühl und materielle Lebenssituation‘ (S. 31-131) - ,Alltagsgestaltung und Me- diennutzung in der älteren Generation‘ (S. 133-166) - ,Persönliche Netzwerke - die besondere Rolle von Partnerschaft und Familie‘ (S. 167-250) - ,Erwartungen an staatliche und gesellschaftliche Akteure‘ (S. 321- 340) - ,Bürgerschaftliches Engagement‘ (S. 364-382) - ,Vielfalt des Alters: 20 Porträts einer Generation‘ (S. 383-522) - ,Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse‘ (S. 523-535 / erste Zwischenüberschrift: ,Ver- 62 1/2013 Politik unterrichten

schiebung von Altersschwellen‘ (S. 523f.), letzte ,Beachtliches Potenzial für (stärkeres) Engagement vor- handen‘ (S. 535). Innerhalb der Hauptteile zahlreiche Schb., Tab. u. 11 Einzelbeiträge von ROLF G. HEINZE, THOMAS KLEIN, ANDREAS KRUSE, GERHARD NAEGELE u. INGMAR RAPP; mit **. - DIETMAR MEIS- TER, Vorstandsvorsitzender der Generali Deutschland Holding AG, befindet im einleitenden Geleitwort u. a.: „Um das große bürgerschaftliche Potenzial älterer Frauen und Männer einzubringen, muss zunächst das gesellschaftlich vorherrschende, defizitorientierte Altersbild überwunden werden“ (auch - s.o. - S. 9).

• Aus der Reihe „Themen und Materialien“ 327 „... Die neue ... ,GrafStat 4‘ weist eine Reihe ... Änderungen auf, die die Anwendungsmöglichkeiten ... er- weitert. So wurde die Handhabbarkeit ... weiter ausgebaut ...“ (W. S.; S. 8): (Best.-Nr. 2423) (mit Plastikordner) WOLFGANG SANDER (Münster) / ANGELA GRALLA / JULIA HAAR- MANN / SABINE KÜHMICHEL: Wahlen in der Demokratie. Analysen und Prognosen mit der Software für empirische Umfragen GrafStat; 2., überarb. u. aktualis. Aufl. (Redaktionsschluss Nov. 2012); 272 S. Din A4 / mit CD / 7 Euro.

Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe

Behne, Markus W., M.A., 1. Vorsitzender Deutsche Vereinigung für Politische Bildung e.V. – Landesverband Nieder- sachsen, Geschäftsführer Civic-Institut für Internationale Bildung, Düsseldorf Eisfeld, Rainer, Prof. em. Dr., Fachbereich Sozialwissenschaften – Vergleichende Politikwissenschaften, Universität Osnabrück Fink, Werner, StD a.D., 30161 Hannover Haarmann, Moritz-Peter, MA, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft - Agora Politische Bildung der Leibniz-Universität Hannover Himmelmann, Gerhard, Prof. a.D. Dr., Technische Universität Braunschweig, Institut für Sozialwissenschaften, Politi- sche Wissenschaft und Politische Bildung Merkel, Wolfgang, Prof. Dr., Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung beim Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) Oeftering, Tonio, Dr., Vertretung der Professur Didaktik der Politischen Bildung, Agora Politische Bildung der Leibniz- Universität Hannover Roth, Roland, Prof. Dr., Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen Sander, Wolfgang, Prof. Dr., Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften - Didaktik der Sozialwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen von Maur, Eitel, Dr., Decision Support, Lohstraße 33, 49074 Osnabrück, [email protected] Walther, Jürgen, Altenhofer Straße 13, 13055 Berlin Zitzlaff, Dietrich, Kampstraße 12, 23714 Bad Malente

BNE-LIT ONLINE

Literaturdatenbank Bildung für nachhaltige Entwicklung - BNE

Autor: UBINOS, Universität Osnabrück - Erscheinungsjahr: 2008

BNELIT-Online enthält derzeit etwa 27.000 Nachweise von Monographien und Aufsätzen mit dem thematischen Schwerpunkt Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Erfasst werden auch allgemeine interdiszi- plinäre Grundlagenliteratur aus den Bereichen Ökologie, Nachhaltige Entwicklung, Bildungstheorie, Didaktik so- wie ausgewählte Titel aus verwandten Gebieten wie Globales Lernen, Interkulturelle Bildung, Politische Bildung / Demokratiepädagogik, Friedenspädagogik. Für einen stetig wachsenden Anteil der nachgewiesenen Titel werden Abstracts, Inhaltsverzeichnisse u. ä. bereitgestellt. Seit Sommer 2012 werden auch Internettexte eingestellt.

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