Das Andere Kino 1968
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Das andere Kino 1968 Enno Patalas, Thomas Struck und Werner Nekes bei den Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen 1968 Westdeutschen Nekes bei den Werner Thomas Struck und Enno Patalas, Vor 50 Jahren, genau: vom 16. bis 18. Februar 1968 5. Filme, die wegen ihrer ungewöhnlichen Technik fand in einem alten Kino in der Grindelallee die ers- (z.B. 16mm-Filme, Mehrfachprojektionen, Inter- te Hamburger Filmschau statt. Gezeigt wurden in drei medium etc.) eine neue Vertriebs-Organisation Tagen und Nächten alle eingereichten Filme, ohne benötigen. Auswahlgremien oder Beschränkungen wie bei den etablierten Festivals in Oberhausen und Mannheim, Dietrich Kuhlbrodt schreibt rückblickend: »Die erste die 1967 viele Werke des jüngsten Filmnachwuchses freie, unabhängige Filmschau. In diesen drei Tagen bot nicht zugelassen oder in Nebenprogramme verbannt sich bereits das komplette Bild eines Neuen Deutschen hatten. Helmut Herbst, einer der Organisatoren und Films. Und, zurückgeblickt, es war als Einheit, als ein engagierter Filmemacher, definierte Das andere Kino Anderes, so deutlich und so schön, wie später nicht sehr weitgefasst: wieder.« In der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung« gab 1. Filme mit einem hohen Anteil an Innovation, die Winfrid Parkinson im Mai 1968 die Aufbruchsstimmung Das andere Kino von den traditionellen Gewohnheiten des Film- der Filmemacher wieder, die von Überschwang und 74 konsums benachteiligt werden. großen Hoffnungen geprägt war: »Parallel zu der Ent- 2. Politische Filme, die wegen ihrer System-Kritik wicklung in den Vereinigten Staaten des New American bisher keine Chance hatten. Cinema entstand in den letzten Jahren in Deutschland 3. Filme, denen die sogenannten bürgerlichen eine neue Art von Filmen, die auf Festivals, in Museen, Sittengesetze gleichgültig sind. Galerien und Filmklubs bereits ein großes Publikum 4. Filme, die eher dem Bereich der bildenden Kunst gefunden hat. Diese Filme brechen zum Teil mit den zuzurechnen sind als den traditionellen Filmkate- hergebrachten Formen der Vorführung und stehen der gorien, denen die Filmkritik hilflos gegenübersteht. Bildenden Kunst oft näher als den traditionellen Filmka- tegorien. Die sogenannten bürgerlichen Sittengesetze h sind ihnen meist gleichgültig oder werden von ihnen hemmungslos aufs Korn genommen. Wegen der formalen Eigenwilligkeit und der Sys- temkritik, die fast allen diesen Filmen eigen sind, werden sie von breiten Kreisen der Filmkritik nur allzu gern über einen Kamm geschoren und als Spielerei- en, Provokationen oder gar ›Ferkeleien‹ abgetan. Die Filmmacher glauben aber, dass ihre Filme auf die Dauer einen erheblichen gesellschaftlichen Effekt er- zielen, dessen Wirkung durchgreifender ist, als man bei oberflächlicher Betrachtung glauben mag. Ihr Ziel ist es, die ›etablierte Filmkultur, die sich mit Hilfe von 11.54 9.12.1967, KASSEL, WINKELMANN, ADOLF Selbstkontrolle, Bewertungsstelle und Filmförderungs- Unbewegliche – Häuser, wartende Passanten, Straßen- gesetz am Leben hält, durch eine eigene Verleihorga- züge – gespenstisch um ihn herumbewegt. Der dazu nisation zu überrunden‹. Diese Verleihorganisation, die erklingende Gregorianische Gesang verdichtet den sogenannte Cooperative unabhängiger Filmemacher, seltsam sakralen Eindruck, den dieses Selbstporträt erlaubt schon jetzt kleinen Gruppen Interessierter, diese auf den Zuschauer macht. Die Anstrengung, die man Filme zu erschwinglichen Preisen zu entleihen. Auf dem dem frierenden Akteur ansieht, ist auf das ungeheure IV. Experimentalfilmfestival, das im Dezember 1967 in Gewicht der Kameraapparatur zurückzuführen. Vor ei- Knokke stattfand, traten Lutz Mommartz, Werner Nekes ner Bratwurstbude findet die Tortur ein Ende: Adolf Win- und Hellmuth Costard zum ersten Mal mit ihren Filmen kelmann stärkt sich an einer Bratwurst. Damit endet in den internationalen Wettbewerb. Einige dieser Filme das Acht-Minuten-Protokoll. Der unabweisbar doku- wurden mit Preisen ausgezeichnet, u.a. Mommartz für mentarische Charakter des Films erlaubt einem nicht, SELBSTSCHÜSSE. das in der Schlussaktion sich aufhellende Gesicht, die Wenige Monate zuvor hatte die Jury der Mannhei- ersichtliche Zufriedenheit, allegorisch zu verstehen. Der mer Filmwoche noch den Hamburger Filmern den Ein- Akteur reagiert nicht versöhnlich oder gar beglückt auf tritt in den Wettbewerb verweigert. Kurzentschlossen seine Mitpassanten, sondern auf seine Bratwurst... kündigten sie daraufhin in Mannheim ein eigenes Fes- Es ist der Filmkritik und der Öffentlichkeit inzwi- tival an, die Hamburger Filmschau. Diese Repräsentati- schen deutlich geworden, dass das sogenannte Andere on des Anderen Kinos wurde im Februar dieses Jahres Kino keine Modeerscheinung ist. Hinter den Exponen- in Hamburg angeboten. Das Festival war in seiner Art ten dieser Entwicklung – Mommartz, Nekes, Winkel- einmalig. Jeder rechtzeitig angemeldete Film war zuge- mann und Costard – steht eine Reihe von Regisseuren, lassen, die Jury, die den Preis vergab, bestand aus den die dem Anderen Kino zum Durchbruch verhelfen wer- Regisseuren, die Filme eingereicht hatten. Es wurden den. Auf den II. Internationalen Filmtagen, die Ende Mai insgesamt 139 Beiträge von über fünfzig Filmemachern in Hof stattfinden, wird man sehen, welche weiteren gezeigt. Talente sich um die Gunst des progressiven Filmpub- Starke Beachtung fand der inzwischen vom Fern- likums bewerben.« sehen mehrfach gezeigte Film ADOLF WINKELMANN, In der ersten Aprilwoche 1968 kam es bei den KASSEL, 9.12.1967, 11.54h, der den gleichnamigen Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen zum Regisseur bei einem Spaziergang durch das dezember- Eklat, als die Festivalleitung auf politischen Druck den kalte Kassel zeigt. Dieses Selbstporträt entstand ohne vom Hamburger Filmemacher Hellmuth Costard ein- jede fremde Mithilfe: An seinem Oberkörper hat Win- gereichten provokanten Film BESONDERS WERTVOLL Das andere Kino kelmann eine Stützapparatur befestigt, auf der er seine kurzfristig aus dem Programm nahm, weil sie ein Ein- 75 Kamera vor sich herträgt. An der Kamera ist ein Rück- schreiten der Staatsanwaltschaft befürchtete. Mehrere spiegel angebracht, in dem er die Reaktionen der Pas- Dutzend Filmemacher unterzeichneten daraufhin eine santen verfolgen kann, Gelächter, Grinsen, Gleichgül- Solidaritätserklärung und zogen ihre Filme zurück. Eini- tigkeit, belustigtes Einverständnis. Da die Kamera alle ge davon liefen dann wenige Wochen später auf den 2. Richtungsänderungen des Akteurs Winkelmann mit- Internationalen Hofer Filmtagen, dem selbsternannten macht, steht der sich bewegende Filmer Winkelmann »Kleinsten Filmfestival der Welt«, zu dem Filmema- im Film starr an derselben Stelle, während sich alles cher Heinz Badewitz einlud: »Filme werden nicht nur für die Filmer und Kritiker gemacht, meinen wir, des- chern der Hamburger geforderten Abkapselung gegen halb sind alle, die lange, kurze, bunte, schwarzweiße, die ›etablierte Filmkultur‹ verurteilen sie sich selbst zu stumme und laute Filme lieben, herzlich eingeladen, einem Ghettodasein. Je mobiler die Filmemacher sein ihren Mai-Ausflug diesmal nach Hof zu unternehmen. werden, je leichter sie es sich machen, über die Gren- Gastgeber sind Heinz Badewitz und die Galerie Werner zen zwischen kommerziellem und nichtkommerziellem Weinelt.« Die in vier Kinos stattfindenden Filmtage in Film zu wechseln, desto freier wird der Film sein.« Im familiärer Atmosphäre (Badewitz: »In Oberhausen und Januar 1969 notierte er: »Was ist nun mehr zu wün- anderswo reden die Offiziellen, und die Regisseure schen: Der Amateurismus, der dieses Kino weiterhin schweigen. Warum soll es mal nicht umgekehrt sein?«) sporadischen Nachtvorstellungen an drei oder fünf etablierten sich als zweites von Filmemachern selbst Orten vorbehalten, für aber vom Druck des Marktes be- organisiertes Festival neben der Hamburger Filmschau. wahren würde – oder der Professionalismus, der eini- Im Herbst stand München im Mittelpunkt der Ent- gen Filmen eine weitere Verbreitung und ihren Autoren wicklung: Am 1. Oktober eröffneten Helmut Rings eine wirtschaftliche Basis verschaffen würde, sie aber und Hannes Fuchs in der Westendstraße Das andere alle in die Disziplin des Konkurrenzkampfes nähme?« Kino, das täglich ein »permanentes Festival« bieten Beim Stuttgarter Wochenende der Filmemacher sollte, ausschließlich mit 8mm- und 16mm-Filmen und der 2. Hamburger Filmschau im März 1969 zeigten »ohne FSK-Zensur«, nach der Devise »Papas Kino ist sich die immer größer werdenden Risse der Bewegung. noch nicht tot, Bubis Kino ist es schon«. Doch mangels Die in München organisierten Filmemacher zogen ihre Zuschauerresonanz musste es bereits Ende Januar Filme aus dem Hamburger Programm zurück und prä- 1969 wieder schließen. Das undependent film cen- sentierten sie außerhalb der Filmschau. Der in Stuttgart ter (ufc) hingegen zeigte ab 1968 Undergroundfilme gegründete Südcoop-Filmförderungs-Verein trat als in Einzelveranstaltungen in einem angemieteten Kino weiterer Verleih für Underground-Filme in Erscheinung. (zunächst im Occam-Studio, dann in der Filmburg, in Enno Patalas stellte fest: »Das andere Kino, der unab- den Augusta-Lichtspielen und schließlich ab 1969 im hängige Film als Gegenmilieu zum kommerziellen Kino, Rottmann-Theater). Vom 12. bis 17. November 1968 hat sich sehr schnell als Ideologie entlarvt«. Die Szene veranstaltete es in den Augusta-Lichtspielen und im zersplitterte, der Traum von einem »Sammelbecken Künstlerhaus das Erste europäische Treffen unabhän- aller subterranen Filmaktivitäten« zerbrach. Nachdem giger Filmemacher.