Mülheim an Der Ruhr in Literatur Und Film Der Postindustriellen Zeit Ernst, T
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UvA-DARE (Digital Academic Repository) „Das ist hier keine Imbissbude, Schimanski!“ Mülheim an der Ruhr in Literatur und Film der postindustriellen Zeit Ernst, T. Publication date 2017 Document Version Final published version Published in Mülheimer Jahrbuch 2018 License CC BY-SA Link to publication Citation for published version (APA): Ernst, T. (2017). „Das ist hier keine Imbissbude, Schimanski!“: Mülheim an der Ruhr in Literatur und Film der postindustriellen Zeit. In Mülheimer Jahrbuch 2018 (Vol. 73, pp. 130- 143). (Mülheimer Jahrbuch; Vol. 73).. General rights It is not permitted to download or to forward/distribute the text or part of it without the consent of the author(s) and/or copyright holder(s), other than for strictly personal, individual use, unless the work is under an open content license (like Creative Commons). 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UvA-DARE is a service provided by the library of the University of Amsterdam (https://dare.uva.nl) Download date:27 Sep 2021 „Das ist hier keine Imbissbude, Schimanski!“ Mülheim an der Ruhr in Literatur und Film der postindustriellen Zeit Thomas Ernst dem einparkenden Schimanski markiert ein großes Plakat mit der Aufschrift „Ruderverein Mülheim/ Ruhr seit 1893“, dass sich das edle Restaurant of- fenbar in der hier als wesentlich chicer dargestell- ten Nachbarstadt befindet.3 Raum- und Städtebilder des Ruhrgebiets Diese Tatort-Szene belegt erstens, dass fiktive Fi- guren in Filmen – wie auch in der Literatur und auf dem Theater – mit bestimmten Orten ver- bunden werden, denen spezifische Eigenschaften Gehobene Küche, keine Imbissbude: Horst Schimanski in zugeschrieben werden, die bei der Profilierung der Mülheim. Figuren helfen: Mülheim an der Ruhr als die grü- ne und bürgerliche Stadt des Kriminaloberrats im „Ich finde, an dem was und wie der Mensch isst, Gegensatz zur Proletarierstadt Duisburg. Zweitens zeigt sich seine Kultur“,1 konstatiert Kriminal- zeigt diese Szene, dass Städte eigene Zuschreibun- oberrat Hans-Hermann Ossmann, bevor er seinen gen erhalten, darum jedoch konkurrieren: Dem Mitarbeitern Christian Thanner und ‚Hänschen’ Topos vom reichen und bürgerlichen Düsseldorf Scherpenzeel in einem distinguierten Waldrestau- folgend, hätte das polizeiliche Diensttreffen ebenso rant mit französischer Küche das ‚Du’ anbietet. rheinabwärts stattfinden können; die Filmemacher Hauptkommissar Horst Schimanski, gespielt von entschieden sich jedoch für eine Stadt im Ruhrge- Götz George, kommt verspätet zum Dienstessen, biet als Konkurrenz zu Duisburg. einen jungen Delinquenten in der Resozialisations- phase an seiner Seite, und echauffiert sich über das Kulturproduzenten gehen sehr bewusst mit den Menü: „Sag mal, gibt’s hier nichts Anständiges zu Konnotationen von Stadträumen um: Die Berliner essen? Ich meine: ’ne Frikadelle oder vielleicht ’ne Mauer symbolisiert die deutsche Teilung, Bonn am ordentliche Wurst mit Fritten?“ Der Kriminalober- Rhein die alte Bundesrepublik, Karl-Marx-Stadt rat weist seinen Kommissar zurecht: „Das ist hier verwies schon in seinem Namen auf den Anspruch, keine Imbissbude, Schimanski.“2 ein Ort der gelebten Gesellschaftsutopie zu sein (und heißt heute wieder Chemnitz). Im Ruhrgebiet mit sei- Wer einen der 29 Schimanski-Tatorte gesehen ner fehlenden politischen Einheit und seiner zersplit- hat, kennt die proletarische Symbiose der Arbeiter- terten Landschaft der Städte (Stichwort: ‚Kirchturm- stadt Duisburg mit dem ‚Schmuddel-Kommissar’, denken’) kommt der symbolischen Raumkonstruktion weshalb die beschriebene Szene aus Katjas Schweigen eine besondere Rolle zu, denn das ‚Ruhrgebiet’ bzw. kurzerhand aus Duisburg ausgelagert wurde: Über die ‚Ruhrstadt’ muss mit Selbstkonstruktionen wie ‚Schmelztiegel’, ‚Kohlenpott’ oder ‚Metropole Ruhr’ Seit den 1960er Jahren haben sich die Arbeits- „das von den realen Gegebenheiten her nur schwer verhältnisse im Ruhrgebiet und somit auch die auszuweisende Zentrum, also das, was die Einheit des kulturellen Konstruktionen des Raumes nachhaltig Ruhrgebiets ausmachen könnte, wenigstens symbo- gewandelt: Der Begriff der postindustriellen Epo- lisch (...) besetzen“4 , wie der Kultur- und Medienwis- che fasst eine Entwicklung, in der die Industrien senschaftler Prof. Dr. Rolf Parr von der Universität zwar noch präsent sind, allerdings ihre frühere zen- Duisburg-Essen konstatiert. trale ökonomische Position eingebüßt haben. Die Ausrufung der ‚Metropole Ruhr’ im Kontext des Regionale Selbst- und Fremdzuschreibungen Europäischen Kulturhauptstadtjahres Ruhr.2010 befinden sich in einem stetigen historischen und markierte final diesen Übergang in die postindus- medialen Wandel. Unter den gegenwärtigen Be- trielle Zeit und ist weniger mit der Ruhrgebietsin- dingungen einer ökonomischen, medialen und dustrie als vielmehr mit der Dienstleistungs- und zunehmend auch kulturellen Globalisierung sind Informationsgesellschaft verbunden. traditionelle Konzepte einer regionalen Kultur und Identität noch problematischer geworden, sie Diese Konstruktion als postindustrieller Raum werden heute vor allem als vergleichende „Kon- korreliert mit einer größeren Vielfalt der Literatu- kurrenzrankings“ zwischen verschiedenen Me- ren, die sich gegenwärtig mit dem Ruhrgebiet befas- tropolregionen inszeniert: Hamburg vs. Berlin, sen: Standen früher vor allem die Prosa und Lyrik Ruhrgebiet vs. Rhein-Main-Metropole.5 Schon in der Arbeiterliteratur mit ihren realistischen Darstel- der Vergangenheit implizierte die Konstruktion ei- lungen der Arbeitsverhältnisse und ihrer Effekte auf ner regionalen Identität, einer ‚Heimat’, zugleich das Private im Zentrum (man denke beispielsweise den Ausschluss des Anderen, des Fremden. In ge- an Max von der Grün und die Dortmunder Gruppe steigerter Form vollzieht sie sich als ein defensiv- 61), so kann heute eine ganze Bandbreite literari- aggressiver Sprechakt: Lokalpatriotismus sei im- scher Strömungen betrachtet werden, die sich mit mer nur verletzter Lokalpatriotismus, erklärte der dem Ruhrgebiet befassen. Dazu zählen unter ande- Frankfurter Schriftsteller Jürgen Roth apodiktisch. rem die experimentelle Literatur, die Popliteratur, die interkulturelle Literatur, der HipHop, die Slam Wenn man den Konstruktionen des Ruhrgebiets Poetry oder die digitale Literatur. Bei der Analyse in Kultur und Medien nachspürt, können unter- dieser Gegenstände sollte allerdings nicht der pro- schiedliche Medien in den Fokus rücken: Zeitun- blematische Versuch gemacht werden, aus ästhe- gen und Zeitschriften, Fernsehen und Radio, Mu- tischen Texten eine spezifische ‚Mentalität’ einer sik und soziale Medien, Literatur und Film. An der ‚Heimat’ abzuleiten, sondern die Untersuchung hy- Universität Duisburg-Essen arbeiten Prof. Dr. Rolf brider (gemischter) Konstruktionen desselben Rau- Parr und Prof. Dr. Werner Jung mit ihren Mitar- mes in (widersprüchlichen) ästhetischen Werken.7 beitern aktuell an einem DFG-Forschungsprojekt, das eine „Geschichte der Ruhrgebietsliteratur seit Das postindustrielle Mülheim in Literatur 1960“ schreiben will. Dabei müssen sie erstens die und Film theoretische Frage klären, wie sich in Zeiten der Globalisierung überhaupt noch eine Regionalli- Während meine Essener Kollegen in ihrem teraturgeschichte schreiben lässt. Zweitens ist der Forschungsprojekt literarische Texte aus dem ge- Begriff der Ruhrgebietsliteratur eng mit der indus- samten Ruhrgebiet untersuchen, erscheint es mir triellen Entwicklung verknüpft, wie Projektmitar- interessant, eine ähnliche Fragestellung auf eine beiter Dr. Dirk Hallenberger in seiner grundlegen- konkrete Stadt zu applizieren, und die Perspekti- den Arbeit über die Ruhrgebietsliteratur gezeigt ve medial leicht zu erweitern: Dieser Beitrag fragt hat: Ruhrgebietsliteratur erscheint vor allem als danach, wie Mülheim an der Ruhr in literarischen eine Literatur, die in einem intensiven Verhältnis Texten und Filmen in der postindustriellen Zeit, zu industriellen Arbeitsprozessen und ihren räum- also seit den 1960er Jahren, dargestellt worden ist, lichen Verortungen steht.6 und vor allem, welche Auffälligkeiten sich dabei er- geben. Mülheim eignet sich aus kulturwissenschaftli- kulturelle (wie Stadthalle oder Ringlokschuppen), cher Perspektive für diese Fragestellung in besonderer wissenschaftliche (wie die Max-Planck-Institute für Weise, weil hier der Prozess der Deindustrialisierung Kohlenforschung und Strahlenchemie), kommerzi- besonders früh einsetzte: Die Stadt war die erste elle (wie das Rhein-Ruhr-Zentrum oder die Cara- Ruhrgebietsstadt ohne Stahlproduktion, und mit der van-Straße) oder solche der Erholung (wie Ruhrtal, Schließung der Schachtanlage Rosenblumendelle Weiße Flotte und Wasserbahnhof). wurde die Stadt bereits 1966 bergbaufrei. Aus die- ser frühen Notwendigkeit, in der Stadtplanung öko- Früher Strukturwandel und innovative nomisch und kulturell innovativ zu handeln, folgten Theaterstadt ehrgeizige Projekte: Mit dem Rhein-Ruhr-Zentrum wurde 1973 eines der größten überdachten Einkaufs- Die Darstellung Mülheims in Film und Litera- zentren Deutschlands eröffnet, 1980 das Theater