„Schlesische Begegnung“ Im Haus Schlesien
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
36. Jahrgang | 2017 | Nr. 1 Original-Steiffbär, aus Hirschberg „vertrieben“ „OHNE HEIMAT SEIN Vertreibung oder die Not der ersten Jahre, Not behoben war, sie Arbeit gefunden HEISST LEIDEN“ die die Betroffenen bis ins hohe Alter be- und wieder ein eigenes Dach über dem lasten, sondern es bedrückt sie auch im- Kopf hatten. Seit sie durch den wirtschaft- Dieses Leid, von dem Dostojewski 1867 in mer noch der Verlust ihrer angestammten lichen Aufschwung den Einheimischen einem Brief an seinen russischen Schrift- Heimat. Die Polen, die in den neuen West- finanziell und sozial mehr oder weniger stellerkollegen Apollon Majkow schrieb, gebieten siedelten, fühlten sich trotz der gleich gestellt waren, setzte sich weithin haben viele Millionen Deutsche, die nach Propaganda von den „wiedergewonnen die Auffassung durch, dass die Vertriebe- dem Zweiten Weltkrieg aus Schlesien ver- Gebieten“ fremd. In Deutschland machten nen in die Gesellschaft integriert seien. trieben wurden, und auch die Polen, die die Heimatvertriebenen die Erfahrung, Das Gefühl der Entwurzelung aber blieb. nach 1945 dort angesiedelt wurden, am dass man ihrer Sehnsucht nach der alten Es war nicht nur die ungewohnte Land- eigenen Leib erfahren müssen. So sind es Heimat vielfach Unverständnis entgegen- schaft oder der fremde Dialekt, sondern nicht nur die traumatischen Erlebnisse der brachte, vor allem, nachdem die größte der Verlust des sozialen Umfelds und all Ausstellung BRIEF AUS DEM HAUS SCHLESIEN – NR. 1 | 2017 spiele von Heimatverlust und der Suche nach Heimat diskutiert wurden. Ein The- ma waren dabei natürlich auch die Hei- matvertriebenen, ihr Umgang mit dem Heimatverlust und ihre Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft. Aufmerk- sam geworden auf diesen Aspekt durch die aktuelle Ausstellung, trat der Bund Heimat und Umwelt mit der Bitte an HAUS SCHLESIEN heran, einen Beitrag zu dieser Konferenz zu leisten. Dies zeigt deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dieser Thematik als unzureichend empfunden wird, wenn dieser einschneidende Teil der Nachkriegsgeschichte nicht berücksich- tigt würde. Es unterstreicht damit auch die Notwendigkeit, die Erinnerung an Flucht Deutsche und polnische Teilnehmer der 2. Kuratorentagung im HAUS SCHLESIEN und Vertreibung und die Leistung der Ver- triebenen zu bewahren. Zwar wird schnell dessen, was einem vertraut war. Wie jeder um die Menschen zu überzeugen, vor Ort deutlich, dass die Situation damals mit Einzelne damit fertig wurde, hing von vie- statt im Internet einzukaufen –, in Regio- den heutigen Flüchtlingsströmen kaum len Faktoren ab, in starkem Maße aber von nalkrimis und einer wachsenden Nach- vergleichbar ist, aber dennoch lässt sich der Aufnahme in der neuen Gesellschaft frage nach Dirndln und Lederhosen, son- daraus manche Erkenntnis ziehen, die das und den persönlichen Erfahrungen. Wenn dern auch auf dem Buchmarkt und in den Verständnis für die Flüchtlinge wie für die der Umgang mit dem Heimatverlust auch Medien. Beispielhaft zu nennen sind hier aufnehmende Gesellschaft erhöhen kann. individuell unterschiedlich war, so eint ein jüngst erschienenes Spiegelheft zum doch alle, Deutsche wie Polen, dass die Thema „Heimat“, Publikationen, die sich Auch die bereits zum zweiten Mal abge- Bedeutung der Heimat nur erkennt, wer mit Brauchtum und regionalen Spezialitä- haltene Kuratorentagung im HAUS SCHLE- sie verloren hat. ten befassen, oder die ARD-Themenwoche SIEN, zu der sich Museumskollegen aus „Heimat“. Deutschland und Polen trafen, hat sich Mit den vielfältigen Facetten dieses The- vom 22. bis 25. Januar mit dem Phänomen mas befasst sich die Ausstellung „Zu Hau- Verantwortlich für diese Renaissance des Heimatverlust und der musealen Darstel- se und doch fremd. Vom Umgang mit Ent- Heimatbegriffs und der Auseinanderset- lung dieses Themas auseinandergesetzt. wurzelung und Heimatverlust am Beispiel zung mit regionaler Identität und Verwur- In kurzen Referaten präsentierten die Schlesiens“, die noch bis zum 19. März im zelung sind neben der Globalisierung und Teilnehmer dabei eigene Ausstellungen HAUS SCHLESIEN zu sehen ist und später der zunehmend geforderten Mobilität und Projekte, mit denen sie ihren Besu- als Wanderausstellung auch an anderen vermutlich zwei weitere Aspekte: zum ei- chern die Problematik vermitteln und die Orten gezeigt werden wird. Sie ist nicht nen die Tatsache, dass die Generation, die Erinnerung an das Erbe der Heimatver- nur eine logische Fortsetzung der im ver- Vertreibung und Heimatverlust nach dem triebenen bewahren. Dabei zeigte sich, gangenen Jahr präsentierten Ausstellung Zweiten Weltkrieg selbst erlebt hat, lang- dass trotz aller Unterschiede in der histo- „Der Weg ins Ungewisse. Flucht und Ver- sam ausstirbt und ihre Kinder und Enkel rischen Ausgangslage und der Mentalität treibung aus und nach Schlesien 1945 – mit einem unbestimmten Gefühl der Hei- die Herausforderungen an die Museen 1947“, sondern scheint auch den Nerv der matlosigkeit zurücklässt, und zum ande- und Kultureinrichtungen ähnlich waren Zeit zu treffen. Die Frage nach der Bedeu- ren die nach Europa kommenden Flücht- und sind. Besuche im Haus der Geschichte tung von Heimat und die Auseinander- lingsströme, die die Gesellschaft darüber und in der Bunzlauer Heimatstube in Sieg- setzung mit den Folgen von Heimatver- nachdenken lassen, was Heimat ist und burg rundeten die Tagung ab. Die rege lust bewegen zunehmend Öffentlichkeit ob es gelingen kann, Fremden eine neue Diskussion nach den einzelnen Beiträgen und Wissenschaft. Lange war „Heimat“ als Heimat zu schaffen. Dass es hierauf keine zeigte das Bedürfnis der Fachleute, sich spießig und etwas angestaubt verpönt, einfachen Antworten gibt, zeigten auch unter Kollegen auszutauschen und die Ge- man verband damit altmodische Heimat- zwei Tagungen, die sich jüngst mit diesem schichte über den eigenen Arbeitsbereich filme und Gamsbartträger. Heimatmuseen Thema auseinander gesetzt haben. und den nationalen Tellerrand hinaus zu nannten sich lieber in Regionalmuseum betrachten. Der begrenzte Teilnehmer- um und Heimatvereine klagten über Mit- Mitte November veranstaltete der Bund kreis ermöglichte dabei einen persönli- gliederschwund. Doch in den letzten Jah- Heimat und Umwelt in der Thomas-Mo- chen Kontakt, intensive Gespräche und ren, so kann man beobachten, gewinnt rus-Akademie in Bensberg eine Konferenz die Chance, über das konkrete Thema hin- „Heimat“ wieder an Bedeutung. Das zeigt unter dem Titel „Heimat neu finden“, bei aus Kontakte zu knüpfen und neue Koope- sich nicht nur in Trends wie „Heimat shop- der neben theoretischen Überlegungen rationsprojekte auf den Weg zu bringen. pen“ – einer Initiative des Einzelhandels, zum Begriff „Heimat“ auch konkrete Bei- SF 2 BRIEF AUS DEM HAUS SCHLESIEN – NR. 1 | 2017 Ausstellung ES IST GESCHAFFT – UND NOCH VIEL MEHR! Meine Geschichte begann im Urlaub 2015. über die sehr steilen Holztreppen hoch- Denkmalamt einschaltete und ein 150-sei- Es ging nach Schreiberhau. Dort bin ich klettern, das traue sich keiner mehr zu, so tiges Gutachten über den desolaten Zu- geboren und von dort als Flüchtlingsmäd- der Pfarrer. Doch vielleicht gäbe es eine stand der Kirche verfasste. Was zur Freude chen 1946 in den Westen gekommen. Es Möglichkeit, die Uhren am Laufen zu hal- aller Beteiligten dabei herausgekommen zog mich in meinem Leben immer wieder ten, indem man Elektro-Strippen verle- ist: der behördliche Beschluss zur Kir- dorthin zurück. Dieses Mal hatten wir ei- ge und die Uhren digital schalte. Aber es chensanierung. Nun zeigen nicht nur drei ne Ferienwohnung gegenüber der Kirche fehle natürlich am nötigen Geld, ergänzte alte, wunderschöne Uhren satellitenge- in Nieder Schreiberhau. Für mich war es der Pfarrer noch, und so stehen die Uhren steuert die Stunde an, sondern die ganze eine besondere Freude, ganz in der Nähe seit langem still. Ich versprach ihm, mich Kirche erscheint in neuem Glanz. meines Elternhauses Urlaub zu machen, darum zu kümmern – und ahnte nicht, auf hier wo ich als Kind mit meinen Freunden was ich mich da eingelassen hatte! Ich denke, die Motivation, sich für die Kir- gespielt hatte. Die Kirche prägte schon in che zu engagieren, liegt für alle Beteilig- früheren Zeiten als weithin sichtbarer Mit- Mit „ein paar Strippen ziehen“ war es lei- ten in den Jahren der Kindheit begründet. telpunkt das gesamte Ortsgeschehen, war der nicht gemacht. Das Ganze versprach Beide Seiten haben Kindheitserinnerun- Dreh- und Angelpunkt für Jung und Alt. teuer zu werden. Zum Glück folgten mei- gen, die mit der Kirche und den Glocken Der Blick hinauf zum Kirchturm zeigte uns nem Spendenaufruf in der „Schlesischen zusammenhängen, für Deutsche wie für die Zeit an. Und wenn am Abend die Glo- Bergwacht“ viele ehemalige Schreiber- Polen war und ist die Kirche ein wichti- cke geläutet wurde und der kleine Zeiger hauer, und durch Herrn Lewandowski, der ger Bezugspunkt und Schreiberhau oder auf der 6 stand, hieß es „heimkommen“. vor Ort alles in die Hand nahm, konnte das Szklarska Poręba die Heimat. Es ist ein Nun, 71 Jahre später, standen die drei Uh- Projekt „Kirchturmuhr“ begonnen werden. „aufeinander Zugehen“ auf unterer Ebene. ren still. Und so werden wir am 18. Juni 2017 ein Die Uhren wurden heruntergeholt und gemeinsames Kirchenfest anlässlich des Was war los mit den Uhren? So richtig nach Krakau gebracht. Doch die Löcher guten Gelingens feiern. kaputt war wohl nichts. Um die drei Uh- im Turm erregten den Argwohn der Be- Ruth Monicke ren aufzuziehen, müsse man aber immer völkerung und führten dazu, dass sich das LUTHERS ERBE Die so oft beklagte