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SPD – 04. WP Fraktionssitzung: 08. 12. 1964 98 8. Dezember 1964: Fraktionssitzung AdsD, SPD-BT-Fraktion 4. WP, Ord. 23.6. 1964 – 16.2. 1965 (alt 1036, neu 16). Über- schrift: »Protokoll der Fraktionssitzung vom 8.12. 1964«. Anwesend: 163 Abgeordnete; Fraktionsassistenten: Bartholomäi, Bermeitinger, Gaebler, Goller, E. Heinrich, Jäger, Laabs, List, Niemeyer, Scheele, P. Schmidt, Selbmann, Winkel, Winninger; PV: Nelke, Storbeck; SPD-Pressedienst: Dux; außerdem: Brandt. Prot.: Drenhaus. Zeit: 15.00 – 17.35 Uhr. Beginn der Sitzung: 15.00 Uhr Eröffnung der Sitzung durch Fritz Erler, der an die Gedenkrede am Grabe Ollenhauers sowie an den Geburtstag von Heinrich Deist erinnert1 und die Umbesetzungen im Verteidigungsausschuß bekannt gibt. Er dankt in diesem Zusammenhang Ernst Paul im Namen der Fraktion für dessen langjährige Mitarbeit im Verteidigungsausschuß vor allem in der Frage des Wehrbeauftragten und verbindet damit die Bitte, auch im Unter- ausschuß bei der Wahl eines neuen Wehrbeauftragten mitzuwirken.2 Zu Punkt 1 der Tagesordnung bilanziert zunächst Willy Brandt das außerordentliche Echo des Karlsruher Parteitages.3 Dieser Parteitag sei durch die Klärung wichtigster Fragen sachlich ein großer Schritt nach vorn gewesen, wenn auch der Generalnenner nicht immer und nicht genug ge- würdigt worden sei: »Die Demokratisierung und Modernisierung unserer Gesell- schaft.« Wenn bis in die letzten Monate in der Partei nicht überall ein einheitlicher Erfolgswille und oft auch Kleinmut geherrscht habe, so sei dies durch die sachliche Überzeugung in Karlsruhe ausgeräumt worden. Willy Brandt verweist auf die mangelnde Logik in den Gegenargumenten unserer politischen Gegner, die einmal behaupten, es handele sich bei unseren Vorschlägen um alte Sachen, gleichzeitig aber den Vorwurf erheben, wir forderten soviel Neues, daß dies gar nicht zu bezahlen wäre. Hauptaufgabe der Partei bleibe es, die finanzpolitische Solidität unserer Forderungen immer wieder zu bewei- sen. Was die Mannschaft anginge, sei darüber in Karlsruhe genug gesagt worden. Eine mög- lichst enge Verzahnung mit der Fraktionsarbeit müsse schon im Januar beginnen.4 1 Ollenhauer war am 14. 12. 1963 gestorben; der am 7. 3. 1964 verstorbene Deist am 10. 12. 1902 gebo- ren. 2 Zu den Umbesetzungen im Verteidigungsausschuß vgl. Nr. 96. Erler und Paul verzichteten darauf- hin auf ihren Sitz als stellv. Mitglied des Verteidigungsausschusses. Ein Unterausschuß, dem auch Paul angehörte, war für die Vorbereitung der Wahl des Wehrbeauftragten zuständig. Vgl. »Die SPD- Fraktion teilt mit« Nr. 395/64 vom 8. 12. 1964. Ernst Paul, MdB (SPD) 1949-1969, galt als Hauptini- tiator der Einrichtung eines Wehrbeauftragten des Bundestages durch das Gesetz vom 26. 6. 1957. Vgl. Ernst PAUL, in: Abgeordnete, Bd. 2, S. 169-172. Zu dem »Unterausschuß« und zur Wahl Hoogen siehe unten TOP 2. 3 Der XI. ordentliche Bundesparteitag der SPD hatte vom 23.-27. 11. 1964 in Karlsruhe stattgefunden. 4 Zur Funktion der »Mannschaft« und ihrer Tätigkeit vgl. KLOTZBACH, S. 592 und STRUVE, S. 85-88. In der »Sitzung des Präsidiums am 11. 12. 1964«, AdsD, Präsidium. Vom 27./28. 6. 1964 bis 11. 12. 1964, wurde der 8. 1. 1965 als 1. Sitzung der »Mannschaft« bestimmt. Nach kontroverser Diskussion wurde ferner beschlossen, daß an den Sitzungen der »Mannschaft« der Parlamentarische Gschf. der Fraktion Schäfer »kontinuierlich« teilnehmen und der zweite parlamentarische Gschf. Mommer nur Copyright © 2017 KGParl Berlin 1 SPD – 04. WP Fraktionssitzung: 08. 12. 1964 Besonders unterstrich Willy Brandt die Nowendigkeit, auf keinen Fall den Eindruck aufkommen zu lassen, wir kümmerten uns nicht genug um die Vertriebenen und Flüchtlinge, und kam dann auf die Panne mit den Wissenschaftlern zu sprechen, die vermeidbar gewesen wäre.5 Allerdings könne man hier nicht einseitig Ulrich Lohmar oder auch der Pressestelle einen Vorwurf machen.6 Alle Beteiligten hätten sich gründ- licher untereinander und auch mit ihm abstimmen müssen. In der Zwischenzeit habe er eine Reihe von Briefen erhalten, mit denen sowohl in Karlsruhe genannte als auch in diesem Zusammenhang nicht genannte Wissenschaftler ihren ausdrücklichen Willen zur Zusammenarbeit bestätigten bzw. bekundeten.7 Die Angelegenheit sei also wieder in Ordnung zu bringen und würde in Ordnung gebracht. Ganz allgemein hielte er es für entscheidend, sich nicht in Fragestellungen verwikkeln zu lassen, die uns nichts angingen (Kontroverse Kalbitzer/Schmidt, Hamburg).8 Genau von Fall zu Fall zugezogen werden solle. – Zu der Kooperation von »Mannschaft« und Bundestags- fraktion vgl. auch »Sitzung des Parteivorstandes am 26. 11. 1964«, AdsD, Parteivorstand. Vom 30. Juni 1964 bis 11. Dezember 1964. 5 Brandt hatte am 24. 11. 1964 in seiner Grundsatzrede auf dem PARTEITAG SPD Nov. 1964, S. 134 f., angekündigt, der »Mannschaft« und einer künftigen sozialdemokratisch geführten Bundesregierung werde ein »Kreis anerkannter wissenschaftlicher Berater zur Seite« stehen. Eine solche Ankündigung war von H. Schmidt angeregt worden; siehe: Sitzung des Präsidiums am 21. 11. 1964, AdsD, Präsidi- um. Vom 27./28. 6. 1964 bis 11. 12. 1964. In einer dazu veröffentlichten Presseerklärung mit der Überschrift »Wissenschaftler als Berater der SPD«, die u. a. im Parlamentarisch-Politischen Presse- dienst – PPP Nr. 225 vom 24. 11. 1964 erschien (abgedr. bei FLECHTHEIM, Dokumente, Bd. 5, S. 133 f.), hieß es, folgende Wissenschaftler hätten sich bereit erklärt, die SPD und eine SPD-geführte Bun- desregierung »fachlich zu beraten«. Es folgten die Namen der Professoren Heinrich Abel, Helmut Arndt, Hans Paul Bardt, Helmut Becker, Wolfgang Bley, Ernst Boettcher, Karl Martin Bolte, Ralf Dahrendorf, Friedrich Edding, Horst Ehmke, Iring Fetcher, Fritz Fischer, Ludwig von Friedeburg, Dietrich Goldschmidt, Otto Walter Haseloff, Gottfried Hausmann, Rudolf Hillebrecht, Walter Jaide, Harald Jürgensen, Hans Joachim Lieber, Elisabeth Liefmann-Keil, Richard Löwenthal, Alfred Mar- chionini, Ernst May, Alexander Mitscherlich, Peter von Oertzen, Heinz-Dietrich Ortlieb, Erich Pott- hoff, Ludwig Raiser, Gisbert Rittig, Hans Schaefer, Karl Steinbuch, Willy Strzelewicz, Thure von Uexküll, W. Woermann. Die genannten Professoren hatten sich mit an dem Gesprächskreis »Wissen- schaft und Politik« der Friedrich-Ebert-Stiftung beteiligt, der unter der Leitung Lohmars im Okto- ber 1963 gebildet worden war. Ein Teil hatte an der im Rahmen dieses Kreises erarbeiteten Studie »Deutschland 1975« mitgewirkt. Vgl. PARTEITAG SPD Nov. 1964, S. 812 f. Sowohl Ralf Dahrendorf wie Ludwig Raiser hatten sofort energisch protestiert, daß sie als wissenschaftliche Berater der SPD genannt würden. Die »Panne mit den Wissenschaftlern« (Brandt) wurde ausführlich in der »Sitzung des Parteivorstandes am 11. 12. 1964« erörtert, AdsD, Parteivorstand. Vom 30. Juni 1964 bis 11. De- zember 1964. Vgl. ferner »Der Spiegel« Nr. 49 vom 2. 12. 1964, S. 34; SOELL, Erler II, S. 872 f.; STRUVE, S. 172. 6 Wie Lohmar am 26. 11. auf dem PARTEITAG SPD Nov. 1964, S. 813, mitteilte, hatte er die betr. Erklärung nach Absprache mit Brandt an die Pressestelle gegeben. Sie enthielt noch einen Vorspann, die genannten Wissenschaftler hätten »zum großen Teil an der Studie ›Deutschland 1975‹ als Gutach- ter mitgewirkt oder sind zu ähnlichen Formen der Zusammenarbeit bereit«. Dieser Satz wurde in der Presseerklärung ausgelassen. Lohmar räumte ferner ausdrücklich ein, der genannte Kreis von Wis- senschaftlern sei nicht um eine Beratung der SPD »gebeten worden und soll darum auch nicht gebe- ten werden, weil es sich darum in der Form und in der Sache nicht handeln kann«. 7 Vgl. dazu die in Anm. 5 zitierte Sitzung des Parteivorstandes vom 11. 12. 1964. Es wurde gleichzeitig in dieser Sitzung beschlossen, »daß sich 3 Mitglieder der Mannschaft«, C. Schmid, Schiller, von Kno- eringen der Fragen der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern annehmen sollten. 8 Helmut Kalbitzer, MdB (SPD) 1949-1965, stellv. Landesvors. der SPD in Hamburg, hatte in einem Artikel im »Hamburger Abendecho« vom 2. 12. 1964 Helmut Schmidt zu verstehen gegeben, das Amt des Innensenators in Hamburg und die Zugehörigkeit zur Regierungsmannschaft der SPD (für Bonn) sei nicht miteinander zu vereinbaren. Er könne nicht gleichzeitig »auf zwei Hochzeiten tan- zen«. Der Vorstand der SPD-Hamburg rügte nach einer Sitzung am 3. 12. 1964 Kalbitzer wegen die- Copyright © 2017 KGParl Berlin 2 SPD – 04. WP Fraktionssitzung: 08. 12. 1964 so wenig bestünde Anlaß, jetzt in irgend einer Form zur Koalitionsfrage Stellung zu nehmen. Damit würde doch nur wieder jener Kleinmut in die parteiinterne Diskussion hineingetragen, der in Karlsruhe überwunden worden wäre. Was das Jahr 1965 anginge, sollte überall der Dreiklang von Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik herausgestellt werden. Nach dem CDU-Parteitag9 würden in jedem Land Konferenzen mit unseren Kandidaten durchgeführt werden, die ihre Fortsetzung in allen Wahlkreisen der Bundesrepublik finden würden. Darüber hinaus würden Kon- ferenzen zu Sachfragen etwa für die Jugend, für Juristen und Sozialpolitiker durchge- führt werden.10 Willy Brandt unterstrich in diesem Zusammenhang noch einmal die Vorlage eines Konzepts für eine Volksversicherung, die den deutschen Verhältnissen angepaßt sei und auf den gewachsenen Einrichtungen aufbauen würde.11 Den Höhepunkt soll die Wiesbadener Tagung darstellen, die in Karlsruhe bereits von Waldemar von Knoerin- gen angekündigt wurde und sich mit der Raumordnung im weitesten Sinne beschäfti- gen werde.12 Das Deutschlandtreffen in Bochum im August 1965 müsse, auch unter Verzicht