Goethes Briefwechsel Mit Einem Kinde. Seinem Denkmal
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Brigham Young University BYU ScholarsArchive Prose Fiction Sophie 1959 Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Seinem Denkmal Bettina von Arnim Follow this and additional works at: https://scholarsarchive.byu.edu/sophiefiction Part of the German Literature Commons BYU ScholarsArchive Citation Arnim, Bettina von, "Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Seinem Denkmal" (1959). Prose Fiction. 6. https://scholarsarchive.byu.edu/sophiefiction/6 This Article is brought to you for free and open access by the Sophie at BYU ScholarsArchive. It has been accepted for inclusion in Prose Fiction by an authorized administrator of BYU ScholarsArchive. For more information, please contact [email protected], [email protected]. Bettina von Arnim Goethes Briefwechsel mit einem Kinde Seinem Denkmal Bettina von Arnim: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Seinem Denkmal Erstdruck: Grünberg und Leipzig (Friedrich Wilhelm Levysohn) 1840. Textgrundlage ist die Ausgabe: Bettina von Arnim: Werke und Briefe. Herausgegeben von Gustav Konrad, Bde. 1–5, Frechen: Bartmann, 1959. Die Paginierung obiger Ausgabe wird hier als Marginalie zeilengenau mitgeführt. Erster Teil Dem Fürsten Pückler Haben sie von deinen Fehlen Immer viel erzählt, Und fürwahr, sie zu erzählen Vielfach sich gequält. Hätten sie von deinem Guten Freundlich dir erzählt, Mit verständig treuen Winken Wie man Bess’res wählt: O gewiß! Das Allerbeste Blieb uns nicht verhehlt, Das fürwahr nur wenig Gäste In der Klause zählt. – (Westöstlicher Divan Buch der Betrachtung) Es ist kein Geschenk des Zufalls oder der Laune, was Ihnen hier darge- bracht wird. Aus wohlüberlegten Gründen und mit freudigem Herzen biete ich Ihnen an, das Beste was ich zu geben vermag. Als Zeichen meines Dankes für das Vertrauen, was Sie mir schenken. Die Menge ist nicht dazu geeignet, die Wahrheit, sondern nur den Schein zu prüfen; den geheimen Wegen einer tiefen Natur nachzuspüren, das Rätselhafte in ihr aufzulösen ist ihr versagt, sie spricht nur ihre Täuschungen aus, erzeugt hartnäckige Vorurteile gegen bessere Überzeu- gung und beraubt den Geist der Freiheit, das vom Gewöhnlichen Abwei- chende in seiner Eigentümlichkeit anzuerkennen. In solchen Verwirrun- gen waren auch meine Ansichten von Ihnen verstrickt, während Sie aus eigner Bewegung, jedes verkleinernde Urteil über mich abweisend, mir freundlich zutrauten: »Sie würden Herz und Geist durch mich bereichern können«, wie sehr hat mich dies beschämt! – Die Einfachheit Ihrer An- sichten, Ihrer sich selbst beschauenden, selbstbildenden Natur, Ihr leiser Takt für fremde Stimmung, Ihr treffendes fertiges Sprachorgan; sinnbild- lich vieldeutig in melodischem Stil innere Betrachtung wie äußere Ge- genstände darstellend, diese Naturkunst Ihres Geistes, alles hat mich 3 vielfältig über Sie zurechtgewiesen und mich mit jenem höheren Geist in Ihnen bekannt gemacht, der so manche Ihrer Äußerungen idealisch parodiert. Einmal schrieben Sie mir: »Wer meinen Park sieht, der sieht in mein Herz.« – Es war im vorigen Jahr in der Mitte September, daß ich am 9 frühen Morgen, wo eben die Sonne ihre Strahlen ausbreitete, in diesen Park eintrat; es war große Stille in der ganzen Natur, reinliche Wege leiteten mich zwischen frischen Rasenplätzen, auf denen die einzelnen Blumenbüsche noch zu schlafen schienen; bald kamen geschäftige Hände, ihrer zu pflegen, die Blätter, die der Morgenwind abgeschüttelt hatte, wurden gesammelt und die verwirrten Zweige geordnet; ich ging noch weiter an verschiedenen Tagen und zu verschiedenen Stunden nach allen Richtungen, so weit ich kam, fand ich dieselbe Sorgfalt und eine friedliche Anmut, die sich über alles verbreitete. So entwickelt und pflegt der Lie- bende den Geist und die Schönheit des Geliebten, wie Sie hier ein anver- trautes Erbteil der Natur pflegen. Gern will ich glauben, daß dies der Spiegel Ihres tiefsten Herzens sei, da es so viel Schönes besagt; gern will ich glauben, daß das einfache Vertrauen zu Ihnen nicht minder gepflegt und geschützt sei als jede einzelne Pflanze Ihres Parks. Dort hab ich Ihnen auch aus meinen Briefen und dem Tagebuch an Goethe vorgelesen, Sie haben gern zugehört; ich gebe sie Ihnen jetzt hin, beschützen Sie diese Blätter wie jene Pflanzen, und so treten Sie abermals hier zwischen mich und das Vorurteil derer, die schon jetzt, noch eh sie es kennen, dies Buch als unecht verdammen und sich selbst um die Wahrheit be- trügen. Lassen Sie uns einander gut gesinnt bleiben, was wir auch für Fehler und Verstoße in den Augen anderer haben mögen, die uns nicht in demselben Lichte sehen, wir wollen die Zuversicht zu einer höheren Idealität, die so weit alle zufällige Verschuldungen und Mißverständnisse und alle angenommene und herkömmliche Tugend überragt, nicht auf- geben. Wir wollen die mannigfaltigen edlen Veranlassungen, Bedeutungen und Interesse, verstanden und geliebt zu werden, nicht verleugnen, ob andre es auch nicht begreifen, so mag es ihnen ein Rätsel bleiben. Im August 1834 Bettina Arnim 10 4 Vorrede Dies Buch ist für die Guten und nicht für die Bösen. Während ich beschäftigt war, diese Papiere für den Druck zu ordnen, hat man mich vielfältig bereden wollen, manches auszulassen oder anders zu wenden, weil es Anlaß geben könne zu Mißdeutungen. Ich merkte aber bald, man mag nur da guten Rat annehmen, wo er der eignen Neigung nicht widerspricht. Unter den vielen Ratgebern war nur einer, dessen Rat mir gefiel; er sagte: »Dies Buch ist für die Guten und nicht für die Bösen; nur böse Menschen können es übel ausdeuten, lassen Sie alles stehen, wie es ist, das gibt dem Buch seinen Wert, und Ihnen kann man auch nur Dank wissen, daß Sie das Zutrauen haben, man werde nicht mißdeuten, was der gute Mensch nie mißverstehen kann.« – Dieser Rat leuchtete mir ein, er kam von dem Faktor der Buchdruckerei von Trowitzsch und Sohn, Herrn Klein, derselbe, der mir Druck und Papier besorgte, Orthographiefehler korrigierte, Komma und Punkt zurechtrück- te und bei meinem wenigen Verstand in diesen Sachen viel Geduld be- wies. Diese seine ausgesprochne Meinung bestärkte mich darin, daß ich den bösen Propheten und den ängstlichen Ansichten der Ratgebenden nicht nachgab. Wie auch der Erfolg dieses Rates ausfallen mag, ich freue mich seiner, da er unbezweifelt von den Guten als der edelste anerkannt wird, die es nicht zugeben werden, daß die Wahrheit eines freudigen Gewissens sich vor den Auslegungen der Bösen flüchte. – Auch dem Herrn Kanzler von Müller in Weimar sage ich Dank, daß er auf meine Bitte sich bemühte, trotz dem Drang seiner Geschäfte, meine Briefe aus Goethes umfassendem Nachlaß hervorzusuchen, es sind jetzt achtzehn Monate, daß ich sie in Händen habe; er schrieb mir damals: »So kehre denn dieser unberührte Schatz von Liebe und Treue zu der reichen Quelle zurück, von der er ausgeströmt! Aber eins möchte ich mir zum Lohn meiner gemess’nen Vollziehung Ihres Wunsches und Willens wie meiner Enthaltsamkeit doch von Ihrer Freundschaft ausbit- ten. – Schenken Sie mir irgendein Blatt aus dieser ohne Zweifel lebens- wärmsten Korrespondenz; ich werde es heilig aufbewahren, nicht zeigen noch kopieren lassen, aber mich zuweilen dabei still erfreuen, erbauen oder betrüben, je nachdem der Inhalt sein wird; immerhin werde ich ein zweifach liebes Andenken, einen Tropfen gleichsam Ihres Herzbluts, das dem größten und herrlichsten Menschen zuströmte, daran besit- zen.« – Ich habe diese Bitte nicht befriedigt, denn ich war zu eifersüchtig 5 auf diese Blätter, denen Goethe eine ausgezeichnete Teilnahme geschenkt hatte, sie sind meistens von seiner Hand korrigiert, sowohl Orthographie als auch hie und da Wortstellung, manches ist mit Rötel unterstrichen, 11 anderes wieder mit Bleistift, manches ist eingeklammert, anderes ist durchstrichen. – Da ich ihn nach längerer Zeit wiedersah, öffnete er ein Schubfach, worin meine Briefe lagen, und sagte: »Ich lese alle Tage darin.« Damals erregten mir diese Worte einen leisen Schauer. Als ich jetzt diese Briefe wieder las, mit diesen Spuren seiner Hand, da empfand ich denselben Schauer, und ich hätte mich nicht leichtlich von einem der geringsten Blätter trennen mögen. Ich habe also die Bitte des Kanzler von Müller mit Schweigen übergangen, aber nicht undankbar vergessen; möge ihm der Gebrauch, den ich davon gemacht habe, beides, meinen Dank und meine Rechtfertigung, beweisen. 12 6 Briefwechsel mit Goethes Mutter Liebste Frau Rat! Am 1. März 1807 Ich warte schon lange auf eine besondere Veranlassung, um den Eingang in unsere Korrespondenz zu machen. Seitdem ich aus Ihrem Abrahams- schoß, als dem Hafen stiller Erwartung, abgesegelt bin, hat der Sturmwind noch immer den Atem angehalten, und das Einerleileben hat mich wie ein schleichend Fieber um die schöne Zeit gebracht. Wie sehr bejammere ich die angenehme Aussicht, die ich auf der Schawell zu Ihren Füßen hatte, nicht die auf den Knopf des Katharinenturms, noch auf die Feu- eresse der rußigen Zyklopen, die den goldnen Brunnen bewachen; nein! die Aussicht in Ihren vielsagenden feurigen Blick, der ausspricht, was der Mund nicht sagen kann. – Ich bin zwar hier mitten auf dem Markt der Abenteuer, aber das köstliche Netz, in dem mich Ihre mütterliche Begeistrung eingefangen, macht mich gleichgültig für alle. Neben mir an, Tür an Tür, wohnt der Adjutant des Königs; er hat rotes Haar, große blaue Augen, ich weiß einen, der ihn für unwiderstehlich hält, der ist er selber. Vorige Nacht weckte er mich mit seiner Flöte aus einem Traum, den ich für mein Leben gern weiter geträumt hätte, am andern Tag be- dankt ich mich, daß er mir noch so fromm den Abendsegen