Surfology. Oder Bretter, Die Die Welt Bedeuten (PDF)
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Feature Hörspiel Radiokunst Freistil Surfology Oder Bretter, die die Welt bedeuten Von Juliane Stadelmann Produktion: NDR 2020 Redaktion Dlf: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 28.02.2021, 20:05-21:00 Uhr Regie: Eva Solloch Es sprachen: Mohamed Achour, Sonja Beißwenger, Sebastian Jakob Doppelbauer, Torben Kessler, Amelle Schwerk, Hajo Tuschy und die Autorin Musik: Lukas Raabe Technische Realisation: Markus Freund und Corinna Kammerer Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Juliane: Ich stehe auf der Düne wie Napoleon. Es ist früh am Morgen irgendwo an der französische Atlantikküste. Es ist gerade hell geworden und ich schaue konzentriert aufs Meer als würde ich einen Angriff erwarten. 4 Fuß bei 10 Sekunden, leichter offshore, Mid-Tide... Das sind die Daten aus dem Netz, frisch von der Messboje. Von hier oben sehe ich, wie der ablandige Wind den Wellen ins Gesicht weht, die Gischt sprüht wie eine feine Mähne von den Wellenkämmen Richtung Horizont, wenn sie brechen. Es ist die 3. Stunde nach Tiefstand. Bald wird das Wasser zu hoch über der Sandbank stehen. Der Wind wird drehen. Ich bin mit meinen Füßen tief in den Sand der Düne gesunken. Ich gebe mir einen Ruck, löse mich aus meinem Sandsockel und gehe zurück Richtung Zelt, um mich fertig zu machen. Sprecher Ansage: Surfology – oder Bretter, die die Welt bedeuten Ein Feature über das Wellenreiten von Juliane Stadelmann Geräusch vom Waxen des Brettes. Juliane: Kitzelt dieses Geräusch angenehm im Ohr? Kribbelt es jetzt in der Magengrube? Kam da etwa ein Seufzer über die Lippen? Wenn ja, dann gehört ihr vielleicht zu den knapp 2,2 Millionen Menschen in Deutschland, die 2019 nach eigenen Angaben „ab und zu“ surfen. Und wenn wir hier vom Surfen sprechen, dann ist das Wellenreiten gemeint, also dieser zauberhafte Sport, bei dem man mit nichts als einem Brett eine Wasserwand entlang gleitet und dabei natürlich einfach gut aussieht. NICHT Windsurfen. Achtung nicht verwechseln: Wellenreiten ist dieser coole Sport, Windsurfen ist das mit Ralph Bauer auf ARD in den späten 90ern. 2 Waxen im Hintergrund 2,2 Millionen Deutsche schmieren also „ab und zu“ Wachs auf ihr Brett, um darauf Halt zu finden. Waxen im Hintergrund. Wobei man nicht genau weiß, was diese 2,2 Millionen wirklich unter Surfen verstehen: Eine Welle im Stehen absurfen? Ein Surfbrett neben sich im Sand liegen haben während man sich bräunt? Ein Surfbrett im Laden anschauen...? Wer zählt, wer nicht? Zahlen zum Sport sind deshalb schwer auszuwerten. 2,2 Millionen Deutsche scheinen aber zumindest schon mal vom Surfen gehört oder geträumt zu haben. Nur zum Vergleich: ca. 2,8 Millionen Deutsche gaben 2019 an, häufig Yoga zu praktizieren. Bemerkenswert: Yoga geht immer und überall. Surfen eigentlich nur an einem Meer mit genug Welle. Philipp Keese: Für Deutsche Surfer ist surfen auch deswegen besonders, weil man dafür reisen muss, das heißt man muss an einen Sehnsuchtsort fahren. Juliane : Das ist Philipp Keese. Philipp und ich haben viele Sommer zusammen in Cap de L`Homy im Surfcamp gearbeitet. Cap de L`Homy – das ist so ein Sehnsuchtsort für mich. Als ich 2016, quasi am Anfang meiner Reise mit Philipp spreche, ist er im Leistungsausschuss des Deutschen Wellenreitverbandes, kurz DWV, aktiv. Zu diesem Zeitpunkt ist der Deutsche Wellenreitverband ein relativ kleiner Verband aus Ehrenamtlichen, der sich auf die Fahne geschrieben hat, die 3 Interessen der deutschen Surfszene zu vertreten. Seinen Hauptsitz hat er damals in Philipps WG. Und klar ist schon mal: Philipp: Um surfen zu gehen braucht man keinen Vereins- oder Verbandsausweis. Das heißt surfen, ganz ähnlich wie skaten, das sind informelle Sportarten, die unorganisiert gemacht werden. Also man meldet sich nicht per se in nem Verein an, wenn man surfen lernen will, sondern man steigt ins Auto, fährt nach Frankreich oder Spanien oder irgendwo anders hin in die Welt, geht in eine Surfschule und lernt das. Juliane : Denn zunächst einmal ist es so: Surfer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind „landlocked“. Jingle Waxikon Sprecher: Waxikon – das Lexikon des Surfens „Landlocked“ Von Land eingeschlossen. Eigentlich ein Begriff aus der Wirtschaft, der für Länder ohne direkten Meereszugang benutzt wird. Im Surfer-Slang heißt es: ich muss reisen, um zu surfen. Jingle Waxikon Sand quietscht Juliane: Das ist übrigens der Sand am Strand von Cap de L`Homy. Der quietscht, wenn man drüber läuft. Früher habe ich nach langen Tagen im Wasser und am Strand nachts nicht etwa vom Meeresrauschen und von perfekten Wellen geträumt, sondern von diesem Geräusch. Stundenlang quietschte es durch meine Träume. Wie ein Tinnitus. Manchmal auch noch, wenn ich längst zurück in Deutschland war. 4 Philipp: Man muss sagen, dass Surfer, wenn sie ein gewisses Level erreicht haben auch nicht in ihrem Heimatland besonders oft sind und dort trainieren. Das sind Reisende. Die fahren um die Welt, (...) ob jetzt in der QS oder der CT, ob jetzt in der ersten Liga oder der zweiten Liga, (...) ums verständlich zu machen, muss man wie in der Formel 1 um die ganze Welt reisen, verschiedene Wettkämpfe fahren und Punkte sammeln.(..) Und ansonsten ist es auch so, dass die Top-Surfer in Deutschland zum großen Teil gar nicht in Deutschland aufgewachsen sind, sondern aus Ländern kommen, wo entsprechende Wellen sind, weil eine Profi-Karriere fängt schon in ganz, ganz jungen Jahren an und dann wächst man am besten irgendwo auf, wo gute Wellen sind. Und das... Juliane : ..ist nicht Deutschland. Oder Österreich. Oder die Schweiz. Der DWV setzt sich also für junge Surftalente aus dem Ausland ein, die mit deutschem Pass surfen. Leon Glatzer: Hallo, ich bin Leon Glatzer, ich bin 22 Jahre alt und ich bin deutscher Surfer für ähm...Team Germany. Juliane: Zum Beispiel Leon Glatzer, Sohn deutscher Auswanderer aus Kassel. Auf Maui geboren, in Costa Rica aufgewachsen, surft nun fürs Deutsche Nationalteam. Oder Rachel Presti, 17 Jahre alt: Rachel Presti: So basically my Mom was born and raised in Berlin. So she has the German passport and German citizenship. I was surfing for the US Team for a few years. And ended up going one year for the ISA for the US. That`s actually where I met the German Team… Sprecherin Overvoice Rachel : 5 Also meine Mutter kommt aus Berlin, deshalb hat sie einen deutschen Pass und die deutsche Staatsbürgerschaft. Erst hab ich ein paar Jahre für das amerikanische Team gesurft und für die USA bei den Wettkämpfen des internationalen Surfverbandes mitgemacht. Auf einem dieser Wettkämpfe traf ich dann das deutsche Team. Rachel: My Mom is German and I was thinking of getting a German Passport and maybe switching teams just because it gives me better opportunities for the Olympics coming up and qualifying for all of that. (…) and so we looked into it and I ended up getting a German passport and I just: switched! Sprecherin Overvoice Rachel: Ich habe eine größere Chance mich über das deutsche Team für Olympia zu qualifizieren- also habe ich den deutschen Pass beantragt und gewechselt. Juliane : Das war 2017. Rachel wurde dann 2018 Deutsche Meisterin und im gleichen Jahr als erste deutsche Juniorin sogar Weltmeisterin im Surfen. Rachel bescherte Deutschland durch ihren Passwechsel tatsächlich den ersten Weltmeistertitel im Surfen. O-Juliane: So here you are surfing for Germany being an Olympic Hope for Germany! Rachel: ...Yeah. O-Juliane: Do you think the Olympic Games are able to transform Surfing as a sport? Juliane: Glaubst du die Olympischen Spiele verändern den Surfsport? 6 Leon: They have already. (…) Everybody is becoming a super athlete. Everybody has coaches, everybody has trainers, everybody has sports psychologist, everybody is really aware of the anti-doping. Everybody has just become a super athlete that has evolved surfing and it has made it a bigger sport and a harder sport. Sprecher Overvoice Leon: Das haben sie schon. Jeder wird ein Super-Athlet. Jeder hat Trainer und Psychologen, jeder ist sich der Dopingkontrollen bewusst. All das hat das Surfen vorangebracht, es zu einem wichtigeren und auch härteren Sport gemacht. Juliane: Rachel und Leon – zwei aufsteigende Sternchen am Surfer- Firmament. Beide werden vom DWV und mittlerweile auch von der Deutschen Sporthilfe gefördert. O-Juliane: Do you also go surfing just for fun? Leon: Yeah of course...but not often. Nowadays it`s all training. Sprecher Overvoice Leon: Ja, natürlich, aber jetzt gerade ist es nur Training. Juliane : Schade eigentlich, denn der Spaß beim Surfen, der Stoke - um den soll es hier auch gehen. Jingle Waxikon Sprecher Waxikon: Waxikon – das Lexikon des Surfens 7 Sprecher Waxikon : „Stoked sein“ – englisch für beheizt, angeheizt, begeistert, hingerissen oder einfach nur Wohoo. Ist DAS emotionale Großereignis beim Entlangleiten oder Herunterrutschen einer Welle. Von der englischen Bedeutung her hat der Stoke auch mit dem Brandherd oder mit der Glut zu tun. Ich würde daher auf Deutsch eher von einem inneren Funkenschlag sprechen: es ist pures, glühendes Adrenalin, das oft auch nach dem Surfen noch stundenlang in unseren Gehirnen schwelt. Opt. Jingle Waxikon Juliane : Zurück zur Realität deutschsprachiger Hobby-Surfer und - Surferinnen. Die hat meistens nicht unbedingt mit krassen Wellen zu tun. Geschweige denn mit den olympischen Spielen. Atmo Cap de L`Homy. Neoprendusche, Stimmen, Campingplatz Philipp Kuretzky: Der deutsche Wellenreiter liegt im Durchschnitt auf seinem Brett und bekommt wahrscheinlich fünf bis zehn Wellen pro Session. Session ist die Zeit, in der er im Wasser ist und dieser Zeit fährt er dann n paarmal an der Schulter parallel entlang, was nicht besonders spektakulär ist. Juliane : Das hier ist Philipp Kuretzky. Er ist der Präsident des Deutschen Wellenreitverbandes. 2016, als wir uns zum ersten Mal zum Gespräch treffen, wohnt er ebenfalls in der WG von Philipp Keese, dem damaligen Hauptsitz des DWVs.