Feature Hörspiel Radiokunst

Freistil Surfology Oder Bretter, die die Welt bedeuten Von Juliane Stadelmann Produktion: NDR 2020

Redaktion Dlf: Klaus Pilger

Sendung: Sonntag, 28.02.2021, 20:05-21:00 Uhr

Regie: Eva Solloch Es sprachen: Mohamed Achour, Sonja Beißwenger, Sebastian Jakob Doppelbauer, Torben Kessler, Amelle Schwerk, Hajo Tuschy und die Autorin Musik: Lukas Raabe Technische Realisation: Markus Freund und Corinna Kammerer

Urheberrechtlicher Hinweis

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Juliane: Ich stehe auf der Düne wie Napoleon. Es ist früh am Morgen irgendwo an der französische Atlantikküste. Es ist gerade hell geworden und ich schaue konzentriert aufs Meer als würde ich einen Angriff erwarten.

4 Fuß bei 10 Sekunden, leichter offshore, Mid-Tide...

Das sind die Daten aus dem Netz, frisch von der Messboje.

Von hier oben sehe ich, wie der ablandige Wind den Wellen ins Gesicht weht, die Gischt sprüht wie eine feine Mähne von den Wellenkämmen Richtung Horizont, wenn sie brechen.

Es ist die 3. Stunde nach Tiefstand. Bald wird das Wasser zu hoch über der Sandbank stehen. Der Wind wird drehen. Ich bin mit meinen Füßen tief in den Sand der Düne gesunken. Ich gebe mir einen Ruck, löse mich aus meinem Sandsockel und gehe zurück Richtung Zelt, um mich fertig zu machen.

Sprecher Ansage:

Surfology – oder Bretter, die die Welt bedeuten

Ein Feature über das Wellenreiten von Juliane Stadelmann

Geräusch vom Waxen des Brettes.

Juliane:

Kitzelt dieses Geräusch angenehm im Ohr? Kribbelt es jetzt in der Magengrube? Kam da etwa ein Seufzer über die Lippen? Wenn ja, dann gehört ihr vielleicht zu den knapp 2,2 Millionen Menschen in Deutschland, die 2019 nach eigenen Angaben „ab und zu“ surfen. Und wenn wir hier vom Surfen sprechen, dann ist das Wellenreiten gemeint, also dieser zauberhafte Sport, bei dem man mit nichts als einem Brett eine Wasserwand entlang gleitet und dabei natürlich einfach gut aussieht. NICHT Windsurfen. Achtung nicht verwechseln: Wellenreiten ist dieser coole Sport, Windsurfen ist das mit Ralph Bauer auf ARD in den späten 90ern.

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Waxen im Hintergrund

2,2 Millionen Deutsche schmieren also „ab und zu“ Wachs auf ihr Brett, um darauf Halt zu finden.

Waxen im Hintergrund.

Wobei man nicht genau weiß, was diese 2,2 Millionen wirklich unter Surfen verstehen: Eine Welle im Stehen absurfen? Ein Surfbrett neben sich im Sand liegen haben während man sich bräunt? Ein Surfbrett im Laden anschauen...? Wer zählt, wer nicht? Zahlen zum Sport sind deshalb schwer auszuwerten. 2,2 Millionen Deutsche scheinen aber zumindest schon mal vom Surfen gehört oder geträumt zu haben. Nur zum Vergleich: ca. 2,8 Millionen Deutsche gaben 2019 an, häufig Yoga zu praktizieren. Bemerkenswert: Yoga geht immer und überall. Surfen eigentlich nur an einem Meer mit genug Welle.

Philipp Keese:

Für Deutsche Surfer ist surfen auch deswegen besonders, weil man dafür reisen muss, das heißt man muss an einen Sehnsuchtsort fahren.

Juliane :

Das ist Philipp Keese. Philipp und ich haben viele Sommer zusammen in Cap de L`Homy im Surfcamp gearbeitet. Cap de L`Homy – das ist so ein Sehnsuchtsort für mich.

Als ich 2016, quasi am Anfang meiner Reise mit Philipp spreche, ist er im Leistungsausschuss des Deutschen Wellenreitverbandes, kurz DWV, aktiv. Zu diesem Zeitpunkt ist der Deutsche Wellenreitverband ein relativ kleiner Verband aus Ehrenamtlichen, der sich auf die Fahne geschrieben hat, die

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Interessen der deutschen Surfszene zu vertreten. Seinen Hauptsitz hat er damals in Philipps WG. Und klar ist schon mal:

Philipp:

Um surfen zu gehen braucht man keinen Vereins- oder Verbandsausweis. Das heißt surfen, ganz ähnlich wie skaten, das sind informelle Sportarten, die unorganisiert gemacht werden. Also man meldet sich nicht per se in nem Verein an, wenn man surfen lernen will, sondern man steigt ins Auto, fährt nach Frankreich oder Spanien oder irgendwo anders hin in die Welt, geht in eine Surfschule und lernt das.

Juliane :

Denn zunächst einmal ist es so: Surfer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind „landlocked“.

Jingle Waxikon

Sprecher: Waxikon – das Lexikon des Surfens

„Landlocked“

Von Land eingeschlossen. Eigentlich ein Begriff aus der Wirtschaft, der für Länder ohne direkten Meereszugang benutzt wird. Im Surfer-Slang heißt es: ich muss reisen, um zu surfen.

Jingle Waxikon

Sand quietscht

Juliane:

Das ist übrigens der Sand am Strand von Cap de L`Homy. Der quietscht, wenn man drüber läuft. Früher habe ich nach langen Tagen im Wasser und am Strand nachts nicht etwa vom Meeresrauschen und von perfekten Wellen geträumt, sondern von diesem Geräusch. Stundenlang quietschte es durch meine Träume. Wie ein Tinnitus. Manchmal auch noch, wenn ich längst zurück in Deutschland war. 4

Philipp:

Man muss sagen, dass Surfer, wenn sie ein gewisses Level erreicht haben auch nicht in ihrem Heimatland besonders oft sind und dort trainieren. Das sind Reisende. Die fahren um die Welt, (...) ob jetzt in der QS oder der CT, ob jetzt in der ersten Liga oder der zweiten Liga, (...) ums verständlich zu machen, muss man wie in der Formel 1 um die ganze Welt reisen, verschiedene Wettkämpfe fahren und Punkte sammeln.(..) Und ansonsten ist es auch so, dass die Top-Surfer in Deutschland zum großen Teil gar nicht in Deutschland aufgewachsen sind, sondern aus Ländern kommen, wo entsprechende Wellen sind, weil eine Profi-Karriere fängt schon in ganz, ganz jungen Jahren an und dann wächst man am besten irgendwo auf, wo gute Wellen sind. Und das...

Juliane :

..ist nicht Deutschland. Oder Österreich. Oder die Schweiz. Der DWV setzt sich also für junge Surftalente aus dem Ausland ein, die mit deutschem Pass surfen.

Leon Glatzer:

Hallo, ich bin Leon Glatzer, ich bin 22 Jahre alt und ich bin deutscher Surfer für ähm...Team .

Juliane:

Zum Beispiel Leon Glatzer, Sohn deutscher Auswanderer aus Kassel. Auf Maui geboren, in Costa Rica aufgewachsen, surft nun fürs Deutsche Nationalteam. Oder Rachel Presti, 17 Jahre alt:

Rachel Presti:

So basically my Mom was born and raised in . So she has the German passport and German citizenship. I was surfing for the US Team for a few years. And ended up going one year for the ISA for the US. That`s actually where I met the German Team…

Sprecherin

Overvoice Rachel :

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Also meine Mutter kommt aus Berlin, deshalb hat sie einen deutschen Pass und die deutsche Staatsbürgerschaft. Erst hab ich ein paar Jahre für das amerikanische Team gesurft und für die USA bei den Wettkämpfen des internationalen Surfverbandes mitgemacht. Auf einem dieser Wettkämpfe traf ich dann das deutsche Team.

Rachel:

My Mom is German and I was thinking of getting a German Passport and maybe switching teams just because it gives me better opportunities for the Olympics coming up and qualifying for all of that. (…) and so we looked into it and I ended up getting a German passport and I just: switched!

Sprecherin

Overvoice Rachel:

Ich habe eine größere Chance mich über das deutsche Team für Olympia zu qualifizieren- also habe ich den deutschen Pass beantragt und gewechselt.

Juliane :

Das war 2017. Rachel wurde dann 2018 Deutsche Meisterin und im gleichen Jahr als erste deutsche Juniorin sogar Weltmeisterin im Surfen. Rachel bescherte Deutschland durch ihren Passwechsel tatsächlich den ersten Weltmeistertitel im Surfen.

O-Juliane: So here you are surfing for Germany being an Olympic Hope for Germany!

Rachel: ...Yeah.

O-Juliane: Do you think the Olympic Games are able to transform Surfing as a sport?

Juliane:

Glaubst du die Olympischen Spiele verändern den Surfsport?

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Leon:

They have already. (…) Everybody is becoming a super athlete. Everybody has coaches, everybody has trainers, everybody has sports psychologist, everybody is really aware of the anti-doping. Everybody has just become a super athlete that has evolved surfing and it has made it a bigger sport and a harder sport.

Sprecher

Overvoice Leon:

Das haben sie schon. Jeder wird ein Super-Athlet. Jeder hat Trainer und Psychologen, jeder ist sich der Dopingkontrollen bewusst. All das hat das Surfen vorangebracht, es zu einem wichtigeren und auch härteren Sport gemacht.

Juliane:

Rachel und Leon – zwei aufsteigende Sternchen am Surfer- Firmament. Beide werden vom DWV und mittlerweile auch von der Deutschen Sporthilfe gefördert.

O-Juliane: Do you also go surfing just for fun?

Leon: Yeah of course...but not often. Nowadays it`s all training.

Sprecher

Overvoice Leon:

Ja, natürlich, aber jetzt gerade ist es nur Training.

Juliane :

Schade eigentlich, denn der Spaß beim Surfen, der Stoke - um den soll es hier auch gehen.

Jingle Waxikon

Sprecher Waxikon:

Waxikon – das Lexikon des Surfens

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Sprecher Waxikon :

„Stoked sein“ – englisch für beheizt, angeheizt, begeistert, hingerissen oder einfach nur Wohoo. Ist DAS emotionale Großereignis beim Entlangleiten oder Herunterrutschen einer Welle. Von der englischen Bedeutung her hat der Stoke auch mit dem Brandherd oder mit der Glut zu tun. Ich würde daher auf Deutsch eher von einem inneren Funkenschlag sprechen: es ist pures, glühendes Adrenalin, das oft auch nach dem Surfen noch stundenlang in unseren Gehirnen schwelt.

Opt. Jingle Waxikon

Juliane :

Zurück zur Realität deutschsprachiger Hobby-Surfer und - Surferinnen. Die hat meistens nicht unbedingt mit krassen Wellen zu tun. Geschweige denn mit den olympischen Spielen.

Atmo Cap de L`Homy. Neoprendusche, Stimmen, Campingplatz

Philipp Kuretzky:

Der deutsche Wellenreiter liegt im Durchschnitt auf seinem Brett und bekommt wahrscheinlich fünf bis zehn Wellen pro Session. Session ist die Zeit, in der er im Wasser ist und dieser Zeit fährt er dann n paarmal an der Schulter parallel entlang, was nicht besonders spektakulär ist.

Juliane :

Das hier ist Philipp Kuretzky. Er ist der Präsident des Deutschen Wellenreitverbandes. 2016, als wir uns zum ersten Mal zum Gespräch treffen, wohnt er ebenfalls in der WG von Philipp Keese, dem damaligen Hauptsitz des DWVs.

Philipp Kuretzky:

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Das Bild, was aber vom Wellenreiten in Deutschland existiert, ist riesige Wellen, Boardshorts, Sonne, Bikinis, Bier, unfassbar spektakuläres Surfen und diese Diskrepanz, die es gibt vom Bild vom Wellenreiten und dem, was der Deutsche tatsächlich macht, da gibt’s halt diese Lücke und diese Lücke ist glaub ich der Anreiz für Deutsche immer weiter surfen zu gehen.

Juliane :

Ich laufe die Holztreppe zum Strand herunter.

An der Wasserkante. Von hier unten sehen die Wellen nochmal viel größer aus. Der Shorebreak saugt den Sand vor mir nach oben und kracht auf den Strand. Der Shorebreak - diese letzte Welle, die eine richtige Kante in den nassen Sand hacken kann - ein letztes Aufbäumen vor dem endgültigen Erlöschen dieser weitgereisten Wasserwesen. Energie, die ihren flüssigen Körper verlässt, um sich gierig den nächsten zu suchen. Eine physikalische Seelenwanderung. Mit Genickbruchpotential.

Atmo Skype-Freizeichen. Small-Talk mit Tamara.

Juliane: Hallo, ah jetzt gehts...hörst du mich?

Tamara: Ja, geht’s...?

Juliane: Ja, cool, dass das klappt...

Tamara: Ich bin schon sehr gespannt.

Juliane :

Ich erreiche Tamara Gabriel über Skype in ihrer Heimat in Wien. Tamara ist Anthropologin und Sportlerin und eine der wenigen deutschsprachigen Wissenschaftlerinnen, die zum Wellenreiten intensiv geforscht haben.

Tamara:

Früher hat von jung bis zu den sechzig-, siebzigjährigen jeder gesurft und heutzutage ist das Image eher von den Jungen, die Party machen

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und einen drauf machen und und und. Aber dass Kinder und ältere Menschen und Frau und Mann alle gleichwertig zusammen surfen, das hat sich auch irgendwie gewandelt.

(...)

Das war früher in Hawaii ein Familiensport.

Juliane :

Tamara hat ihre Forschungsergebnisse in dem Buch „Surf-Fieber auf Hawaii“ veröffentlicht.

Tamara:

(...)

Und auch vor allem, was auch ganz interessant ist; wie ist da Verhältnis zwischen Mensch und Wasser in Europa gewesen. Weil wir haben einen ganz anderen Bezug als die Menschen, die beim Meer leben. Überhaupt die Polynesier, die haben einen ganz anderen Bezug zum Wasser. Bei uns ist das Wasser assoziiert worden mit dem Tod.

Sehr viele Missionare haben darüber geschrieben

(..)

weil Polynesien hatten keine Schrift. Es ist ein schriftloses Volk. Und so ist es sehr schwer, den Ursprung jetzt wirklich zu definieren.

Juliane :

Ich will es trotzdem versuchen. Ich verabrede mich mit Tamara zu einem echten Gespräch und fange an, mich durch Berichte von den ersten Eroberern und Missionaren zu graben.

Janice:

Ke Ha`a Lâ Puna

(Anmerkung: ganzes Gedicht)

E kū, e hume a paʻa i ka malo

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O kaʻikaʻi ka lā i ka papa ʻo Halepō

A pae ʻo Halepō i ka nalu

Hoʻēʻe ka nalu mai Kahiki

Sprecherin Punas Tanz:

Steh auf, lege schnell das Gewand um.

Lass die Sonne vorreiten, um dem Brett mit Namen Halepo den Weg zu zeigen

Bis Halepo auf der Woge gleitet

Lass Halepo die Brandung besteigen,

die aus Tahiti hereingewalzt kommt

Tamara:

Wie kann man definieren, wann der Mensch zu schwimmen begonnen hat? Sehr schwer, oder? Das wird er nicht niedergeschrieben haben.

Ein Mensch versucht ein Tier nachzumachen? Ist er per Zufall ins Wasser gefallen und hat gekrault wie ein Tier? Hat er bewusst gesagt, es muss irgendwie gehen, dass man jetzt schwimmt?

Sprecherin

Gischt peitscht das Blätterdach eines Altars, Hikiaus´s Tempel

Zur Mittagsstunde sollte man diese Wellen surfen

Hüte dich vor den spitzen Korallen an der Küste

Die Wasserrinne hier ist tückisch wie der Hafen von Kākuhihewa

Janice: Ua ʻō ʻia nohā ka papa

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(Anmerkung:

Nohā Māui nāueue

Nāueue, nākelekele

Nakele ka ʻili o ka ʻī heʻe kai

Lalilali ʻole ka ʻili o ke akamai

Kāhilihili ke kai o ka heʻe nalu

ʻIkea ka nalu nui o Puna, o Hilo!

Sprecherin

Ein Brett zerschellt auf dem Riff

Maui spaltet sich, bebt,

Versinkt im Schlamm

Die Haut des Surfers ist glitschig

Nur der Beste der Besten schält sich trocken aus der Brandung

Umgeben vom fedrig fliegendem Sprüh des Wellenritts

Nun hast du großartigen Surf gesehen in Puna und Hilo!

Tamara:

Also dieser Ursprung vom Schwimmen, der ja sehr eng mit dem Surfen zusammenhängt – „Bodysurf“ ja – das ist so gut wie nicht oder sehr schwer zu rekonstruieren.

Juliane :

Was man allerdings rekonstruieren kann, ist dass man an vielen Orten der Welt Formen des Wellenreitens ausübte, z.B. in Peru oder Ägypten. Aber nur auf Tahiti nutzte man lange Bretter um Wellen aufrechtstehend zu surfen. Und ausschließlich auf den hawaiianischen Inseln, die im 12. Jahrhundert von Tahiti aus besiedelt wurden, entwickelte sich der Spaß dann zu einer Leidenschaft für die breite Bevölkerung und sogar zu einem

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Wettkampf-Sport. Nur dort entstanden so viele verschiedene Brettertypen und Surf-Stile. Als Kapitän James Cook und seine Crew dort landeten, war das Surfen schon fester Bestandteil im Alltag der Bevölkerung.

Und auch wenn die Polynesier keine Schrift hatten, gibt es trotzdem erstaunlich viele Gesänge und Tänze, die die Jahrhunderte überdauerten und mit deren Hilfe die Menschen sich Geschichten erzählten, aber auch Wissen weitergaben.

Janice:

Ku mai! Ku mai! Ka nalu nui mai Kahiki mai,

Alo po´i pu!

Ku mai ka pōhuehue

Hu! Kai ko`o loa.

Sprecherin

Erhebet euch! Erhebet euch, ihr großartigen Wogen aus Tahiti!

Die kräftigen, sich kräuselnden Wellen

Erheben sich mit den Weinreben, die wir beschwörend auf die Wasseroberfläche schlagen

Walle! Du weite, tobende Brandung!

Juliane:

Am 12 Juli 1776 setze James Cook in Plymouth Segel und brach zu seiner dritten und letzten Expedition in die Südsee auf. Über Südafrika, Neuseeland und die Tonga-Inseln ging es in Richtung Nordosten durch den Stillen Ozean. Am 20. Januar 1778 landete Cook mit seinem Schiff, der Resolution, auf Kaua`i, einer damals noch unbekannten Insel. 13

Er nannte sie und ihre Nachbarinseln, die Sandwich Inseln - heute die hawaiianischen Inseln. Mit ihm an Bord waren auch ein paar Männer, die Tagebuch führten und ihre Beobachtungen penibel festhielten. Schon bei dieser ersten Landung in Kaua´i beschrieb Kapitän Charles Clerke folgende Beobachtung:

Sprecher

Charles Clerke:

Diese Leute gehen mit großer Geschicklichkeit in ihren Booten vor und sowohl Männer als auch Frauen scheinen ihrer selbst im Wasser so Herr zu sein, dass es fast so scheint als wäre es ihr natürliches Element. Sie haben ein anderes Selbstverständnis davon, sich auf dem Wasser zu bewegen, eines das wir nie zuvor antrafen. Dies tun sie mit Hilfe eines dünnen Brettes, etwa 2 Fuß breit und 6 oder 8 Fuß lang, in der Form exakt wie unsere Brieföffner aus Horn. Auf diesen sitzen sie rittlings, dann legen sie ihre Brust darauf ab, paddeln mit ihren Händen und steuern mit ihren Füßen und bahnen sich auf diese Art so schnell einen Weg durch das Wasser, dass sie auf diesen Brettern einige unserer besten Boote, die wir auf den beiden Schiffen mit uns führen, innerhalb weniger Minuten umkreisen können - trotz größter Kraftaufwendung der Crew.

Charles Clerke, Kapitän der 'Resolution', 19. Januar bis 02. Februar 1778, Waimea, Kauai

Tamara:

Es war zum Beispiel so, wenn die Wellen perfekt waren, dann ist man lieber surfen gegangen, man hat kein Feuerholz gesammelt und dann hat`s am Abend eben nichts Warmes zum Essen gegeben. Die ganze Familie jung bis alt, Frau, Kind, Mann, alle, dick dünn, alle sind zum Strand gegangen und gingen surfen.

Und das ist für mich eigentlich schön, dass es sowas gibt.

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Sprecher

David Samwell:

(..)Dieses Volk findet sein größtes Vergnügen in etwas, das bei uns nichts anderes als Angst und Entsetzen auslöst.

David Samwell, Assistant des Chirurgens auf der 'Discovery', am 22. Januar 1779, Kealakekua Bay ( Anm.: Kea-la-ke-kua...auf ku betonen )

Musik

Tamara:

Was ganz klar ist, Hawaii hat von der Sozialstruktur ein sehr hierarchisches System. Wir denken immer alle nur an Aloha und Peace und Tschakka. Das war ganz und gar nicht so dort. Die haben wirklich ihre Kasten gehabt. Da war der König, da waren die Adeligen, die adeligen Beamten da gibt’s auch noch Untergruppen, dann gab es die Makainana, das gemeine Volk, und dann gabs die untreuen Sklaven, die Kauwa. Und man muss sich das schon vorstellen, der Sklave hatte nichts beim Adeligen, bei seinem Brett zu suchen oder zu tun und schon gar nicht in einer Welle. Also da kam schon die Hackordnung rüber.

Was nicht bedeutet, dass die Menschen ob jung oder alt nicht zusammen surfen gegangen sind, aber Reibungsstellen gab es überall.

(...)

Das hat man früher allein schon gewusst anhand der Wellenbretttypen. Das war ein Status-Symbol. So wie wir Porsche fahren, haben die dann früher ein Olo-Brett gehabt. Ein Olo Brett konnte 7m lang sein, 70-80kg. Wenn da der König gekommen ist mit seinen vier Trägern: ok, hehe, ich geh ma lieber in die andere Bucht!

Juliane :

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Es gibt immer noch diese „Porsche-Fahrer“ am Strand. Nur dass sie eher die inoffiziellen Könige sind und nicht mehr die Todesstrafe aussprechen können. Wobei sie sich so benehmen, als könnten sie. Im Gegensatz zum Snowboardfahren, wo es je nach Schwierigkeitsgrad markierte Strecken gibt, schaffen es bei kleineren Wellen und bei genug Ausdauer oft Anfänger und Fortgeschrittene ins selbe Line-Up

Jingle Waxikon

Juliane: Waxikon - „Das Lexikon des Surfens“

Sprecher

Waxikon :

Das Line-Up.

Als Das Line-Up bezeichnet man vom Strand aus gesehen, den Bereich im Meer knapp hinter der Brechungslinie der Wellen. Dort bricht keine Welle. Die Surfenden sitzen wie auf einer Perlenkette nebeneinander aufgereiht – lined up also – und warten dort auf ein Set. Oder besser gesagt, sie lauern. Schon mal Surfer im Line Up beobachtet? Wenn sich eine surfbare Welle nähert, geht ein Ruck durch die Gruppe und alle schalten in den Kampfmodus. Es gilt, wer am nächsten an der Brechungskante, also am Peak der Welle ist, hat Vorfahrt. Da, wo die Kante bricht, bildet sich eigentlich eine Warteschlange. Aber tatsächlich, werden die Karten bei jedem Set neu gemischt. Denn nur weil jemand an der Reihe ist, heißt das noch lange nicht, dass er oder sie die Welle auch bekommt. Wenn der Surfer mit Vorfahrt die Welle verhaut oder verpasst, stürzen sich die Aasgeier des Line-Ups auf den Wasserberg. Wer flink ist und genau aufpasst, bekommt das Exemplar. Dann heißt es: Welle selbstbewusst surfen und bisschen böse gucken, damit bloß keiner auf die Idee kommt, sie doch noch anzupaddeln! Die Richtung der Welle, nach links oder rechts, lässt nämlich nur einen Surfer pro Welle zu. Ansonsten: Karambolage!

Ay Caramba!

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Wenn man die Welle bis zum Strand gesurft ist, paddelt man wieder raus ins Line-Up und stellt sich dort hinten an. Theoretisch. Wie jede Schlange ist auch diese Warteschlange ein soziales Event. Jeder der drängelt, bringt ihre Daseinsberechtigung in Gefahr. Deshalb reicht oft einer aus, um im Line-Up Anarchie und Anstandslosigkeit herrschen zu lassen.

Musik Punk setzt ein.

Sprecher Waxikon:

So als würde es irgendwo Fernseher umsonst geben. Dann herrscht das Recht des Stärkeren. Das ist auch der Grund, das Vergnügen im Meer oft zur großen Geduldsprobe wird. Und warum ganze Stunden vergehen, in denen man nur eine oder zwei Wellen oder: gar keine Welle surft.

Tamara:

Das muss man sich vorstellen: da kommen Entdecker nach Hawaii und die sehen dann einen 60 Jahre alten Mann da im Wasser herumspielen und Sport machen. Das war damals in unserem Kontext hier in Europa nicht vorstellbar. Der Atlantik oder Wasser – man hat Krankheiten damit verbunden, man hat gesagt, die Leute, die sich da auf ein Schiff wagen, das sind Helden. Das sind Wahnsinns-Leute, das ist ein Kamikaze-Unternehmen. Ganz anders der Stellenwert auf Hawaii.

Juliane :

Mitte des 19. Jahrhunderts zogen die Missionare ab und der Handel mit Zuckerrohr ein. Für viele Hawaiianer und Hawaiianerinnen hieß es jetzt: arbeiten oder hungern. Noch ein Grund mehr, nicht surfen zu gehen. 1893 wurde die Königin Liliʻuokalani unter Hausarrest gestellt und 5 Jahre später wurde Hawaii von den USA annektiert.

Musik Schiefe Ukulele

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Tamara:

wir Haole sind ins Land gekommen durch Missionare, Entdecker, Reisende, Forschende, Touristen und haben sehr viele Krankheiten mitgebracht, leider. Und die hawaiiische Bevölkerungszahl dadurch stark dezimiert. Deswegen auch Surf-Fieber.

Juliane : Als James Cook 1778 ankam, lebten etwa 400.000 Menschen auf den hawaiianischen Inseln. Im Jahr 1896, also etwas mehr als 100 Jahre später, waren es gerade mal noch 30.000.

Doch der Sport war immerhin noch so sichtbar, dass er das Interesse der ersten Touristen, die die Insel besuchten weckte. Unter ihnen war auch ein gewisser Samuel Langhorne Clemens, der unter seinem Künstlernamen Mark Twain die ersten größeren Berichte übers Surfen schrieb. So wie diesen, der 1872 in seinem Reisetagebuch „Roughing it“ oder auf deutsch „Durch dick und dünn“ veröffentlicht wurde.

Musik

Sprecher Mark Twain:

An einer Stelle stießen wir auf eine große Gruppe nackter Eingeborener, beiderlei Geschlechts und aller Altersstufen, die sich mit dem Nationalsport des Wellenreitens vergnügten. Der Eingeborene paddelt dabei drei- bis vierhundert Yards hinaus aufs Meer (unter Mitnahme eines kurzen Brettes), wendet dann dem Ufer zu und wartet, bis eine besonders riesige Woge kommt, schwingt sein Brett im richtigen Augenblick auf die Schaumkrone und sich selbst auf das Brett und zischt dann wie eine Granate vorbei.

In der Folge habe ich selber versucht mal eine Welle zu reiten, aber gelungen ist es mir nicht. Ich setzte das Brett richtig an und auch im richtigen Moment, verpasste aber den Anschluss. In einer dreiviertel Sekunde schlug das Brett an Land, doch ohne jede Fracht, und ungefähr in derselben Zeit schlug ich auf Grund, allerdings mit ein paar Fässern Wasser in mir drin.

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Sprecher:

Isaiah Walker :

Für die Hawaiianer ist die „surf Zone“ seit Anfang des 19. Jhd. ein Rückzugsort und ein umkämpftes Grenzgebiet, denn es ist ein Ort, der von den Europäern nicht eroberbar ist, weil sie schlichtweg nicht in der Lage waren, sich in ihm zu bewegen. Der soziale Status der Hawaiianer steht in der Surf Zone über dem der Europäer, unabhängig davon, was an Land passiert. Dort waren die Hawaiianer immer noch unabhängig, frei und konnten eine europäische Vorherrschaft vereiteln.

Juliane: So beschreibt es zusammengefasst der Historiker Isaiah Helekuini Walker in „Waves of Resistance“.

Tamara:

Wer ganz wichtig ist, vielleicht habt ihr irgendwann am Rande mal was von dem gehört, das ist der sogenannte Duke. Duke Kahanamoku heißt der Mann. Der war Olympiasieger, Filmstar in Hollywood und und und. Und der hat wirklich durch seine Reisen, dadurch dass er als Schauspieler auch gereist ist, der war auch Rettungsschwimmer, hat er diesen Surfsport weltweit bekannt gemacht, der war in Europa, in Portugal, in Australien, der hat das wirklich langsam, wie ein Fieber sag ich mal, verbreitet.

Juliane :

Der „Duke“ war 1912 außerdem der erste farbige Olympiasieger im 100m Freistilschwimmen.

TV-Reporter: For those of you who may not know all about Duke: in 1911 he jumped into Honolulu harbor, swam a 100 yard freestyle and broke the existing world record by 4,5 seconds. He went on to compete in 4 Olympic Games in a period of 20 years and won many gold medals. I`ve always been curious Duke - was it more of a thrill for you to win those Olympic Games or ride some of those giant waves of castle surf I know you used to ride?

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Sprecher TV-Reporter:

Für die, die vielleicht nicht alles über den Duke wissen: 1911 sprang er ins Hafenbecken von Honolulu, schwamm 100 Yard Freistil und brach den aktuellen Weltrekord um 4,5 Sekunden. Er nahm während der nächsten 20 Jahre an 4 Olympischen Spielen teil und gewann viele Goldmedaillen. Ich hab mich immer gefragt, Duke, was ist spannender für dich: eine Olympiade zu gewinnen oder eine dieser riesigen Wellen abzureiten?

Duke: Oh that`s pretty both a quite thrill. But I think that surfing is much more to me. The greatest thrill of my life is riding one of those big surfs with the heavy board weighs around a 105 pounds and about 16 feet long.

Sprecher Duke:

Oh das ist beides recht spannend. Aber ich denke, das Surfen bedeutet mir sehr viel mehr. Der größte Reiz meines Lebens besteht darin, diese riesigen Wellen abzureiten mit den dicken Brettern, die um die 105 Pfund wiegen und ca. 16 Fuß lang sind.

TV-Reporter: There`s a story of Duke riding a wave at Waikiki one day for a mile and an eight. It`s a legend over here in Hawaii and so is the Duke.

Sprecher TV-Reporter:

Es gibt eine Geschichte vom Duke, dass er einmal eine 1 ½ Meilen lange Welle in Waikiki abgeritten hat. Das ist eine Legende hier in Hawaii – genau wie der Duke.

Juliane :

Der Duke, brachte das Surfen nach Australien und Europa. Durch seinen Status als olympischer Schwimmer konnte er sich Flugreisen leisten. An den Orten, an denen er Wettkämpfe hatte, surfte er, wenn es ging und begeisterte die Menschen rund um die Welt damit.

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Der Duke, aber auch der weiter aufblühende Tourismus auf den hawaiianischen Inseln sorgten dafür, dass Anfang des 20. Jahrhunderts Geschichten und Bilder von diesem abgeschiedenen Ort in die Welt getragen wurden und damit auch die ersten Klischees rund ums Surfen und die Südsee.

Surfen entwickelte sich zu einer Subkultur. Matt Warshaw schreibt in dem Buch „Surfing“:

Sprecher: Matt Warshaw :

Von dem Moment, in dem die westliche Welt das Surfen entdeckte, galt es als Sport für Außenseiter. In der Vergangenheit gibt es fast keinen Text, in dem nicht hervorkommt, was den Surfer vom Nicht-Surfer unterscheidet: Hautfarbe, Bildung, Kultur.

Juliane :

Surfen war also ideal, um in den 40er bis hinein in die 70er seine weißen, gut gekleideten, privilegierten Eltern auf die Palme zu bringen. Ein Sport der Unterprivilegierten, der Aussteiger, der Andersdenkenden, der Ungebundenen, der Jugend. Gleichzeitig entwickelt sich die Werbebranche rasant und entdeckt das Surfen als Motiv. Es tauchte in Zeitschriften, Fernsehen und in Filmen auf.

Wellenreiten ist eine vorübergehend olympische Disziplin.

Die finanzielle Zuwendung, die der DWV vom Bund bekommt, belief sich 2019 auf 355.705€. Zum Vergleich: das Klettern, ebenfalls eine vorübergehend olympische Sportart, bekommt 588.000€. Das sind für beide Sportarten Peanuts, wenn man sich das Gesamtvolumen der Fördersumme anschaut: die Rekordsumme von 82 Millionen Euro bekommen alle olympischen Sportarten 2019 insgesamt vom Bund.

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Der DWV konnte dank Olympia aus der WG aus und in ein echtes Büro einziehen. Jannik Dörr und Neele Koch sind die ersten fest Angestellten, die das deutsche Profisurfen zu bieten hat. Die ersten „Bretterbürokraten“ sozusagen. Sie teilen sich beim DWV eine Stelle als „Leistungssportreferent“. Die einzige feste Stelle, die es im ganzen Verband gibt. Alle anderen arbeiten weiter ehrenamtlich, trotz Olympia. Worin besteht ihre Arbeit? Bei so wenig Mitgliedern.

Neele:

Zentraler Punkt unserer Arbeit ist natürlich die Abwicklung der Fördergelder. Von der Abrechnung, Planung, das komplette Programm, der bürokratische Wahnsinn hinter der Sportförderung, den wir hier versuchen abzuarbeiten. Aber wir beide versuchen auch, neben unserer halben Stelle, die wir eigentlich nur haben, auch möglichst ehrenamtlich noch viel voranzutreiben und den Verband als Ganzes gut aufzustellen.

O-Juliane: Und weißt du wie das ist, ob sich theoretisch Surferinnen und Surfer aus allen Ländern der Welt qualifizieren können?

Neele:

Theoretisch schon. Ich sag mal alle, die an den Wettbewerben teilnehmen, wo es um die Qualifikation geht, können sich auch qualifizieren. Chancen sind natürlich ne andere Sache, ne..

Jannik:

In der privaten Profiliga sozusagen, der WSL (World Surfing League), dahin zu kommen auf die ersten 10 Plätze, das ist schon mit ‘nem erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden.

O-Juliane:

Das heißt, eigentlich bräuchte man ne Struktur und eine finanzielle Starthilfe, um sich an so eine Qualifikation ran zu surfen?

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Jannik:

Genau...je nachdem, ob man jetzt den Weg wählt über die Profiliga oder auf die einzelnen Events geht.

Valeska:

Also ich persönlich hab ja immer das Gefühl, dieses Surfer Girl Ding funktioniert auf Social Media besser als dieser Surfer Boy.

(...)

Ich mein eher so, dass ne Frau nicht so skills haben muss und da übers Aussehen über Social Media da mehr Aufmerksamkeit generieren kann. Und wenn sie dann noch gut surfen kann, dann ist natürlich doppelt gut.

(...) Und wenn die deutschen Jungs noch nicht sowas krasses machen wie die Hawaiianer und Australier und die irgendwie nen Turn oder nen Trick posten, dann ist es für die einfach ein bisschen schwieriger, hab ich das Gefühl einfach.

Juliane :

Das ist Valeska Schneider. Sie war 2017 Deutsche Meisterin im Longboarden und war im Kader der deutschen Surf Nationalmannschaft.

Valeska:

Dann ist es so, bei den Wettbewerben an sich, ich glaube es bessert sich minimal, aber es ist schon immer noch so, dass die Männer immer bevorzugt werden, wann die guten Wellen sind, weil dann eben die bessere Show ist für die Zuschauer oder die besseren Zeiten. Die Frauen, die sind dann nachmittags dran, wenn der Onshore kommt.

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Juliane :

Keine guten Bedingungen um zu zeigen, was man draufhat. Und von außen wahrscheinlich auch nur halb so schön zum Zugucken. Und wie sieht es mit dem Preisgeld aus?

Valeska:

Vor ein paar Jahren wurde das eben so geändert, dass es gleich ist, bei der World Surf League, bei deutschen Wettkämpfen auch. Das Problem dann ist nur, dass die Männer eben mehr Möglichkeiten haben, also Wettbewerbe. (...) da gibt’s eben mehr 10.000-Punkte Events und bei 10.000-Events kriegst du eben auch viel mehr Geld.

Atmo Plymouth

Juliane:

Ich zähle die Wellen eines Sets. Immer sechs Wellen kommen hintereinander rein. Danach ist eine Pause. Zwei Minuten, vielleicht auch mal fünf? Auf jeden Fall lang genug, um es gut raus zu schaffen, ins Line-Up. Das Meer leuchtet in der Morgensonne. Die Wellen mit ihren Gischtmähnen galoppieren immer noch atemberaubend schön über die Sandbänke. Ich laufe die Holztreppe zum Strand herunter.

Atmo Coast Lab Plymouth, Künstliche Welle.

Dassa:

We can scale down the wave height and also the structure and then we can recreate the storm which we observe in the open ocean in a small scale inside the lab.

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Sprecher Overvoice Dassa:

Wir können die Wellenhöhe und die Struktur der Welle maßstabgetreu runterrechnen und dann den Sturm, den wir im offenen Meer beobachtet haben im Labor nach modellieren.

Juliane : Ich bin in England. Im sogenannten Coast Lab der Universität Plymouth. Man hört: eine künstliche Welle aus der Maschine. Erzeugt durch ziehharmonikaähnliche Pumpen. Für rein wissenschaftliche Zwecke. Nicht zum Vergnügen. War ich auf dem Holzweg und dieser Sport, den ich als so unbändig und waghalsig empfunden habe, ist eigentlich längst gezähmt? Dr. Dassanayake führt mich durch das Coast Lab.

Dassa:

Now we are talking about sea level rise. And also severe storms. Because the climate change. Previously is what we say that there is a storm which would come one in hundred years now it could be one in 50 years. Because there is more energy in the atmosphere that could bring higher waves and higher winds.

Sprecher Overvoice Dassa:

Heute geht es viel um den Anstieg des Meeresspiegels. Und schwere Stürme. Wegen des Klimawandels. Früher sagte man, ein schwerer Sturm kommt alle 100 Jahre. Nun sind es alle 50 Jahre. Weil es mehr Energie in der Atmosphäre gibt, die führt zu höheren Wellen und stärkeren Winden. .

Juliane :

Im Coast Lab treffe ich auf Ben Howey, Ingenieur und professioneller Surfer, mehrmaliger britischer Meister im Longboard Surfen.

Ben Howey:

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Ok, so my name is Ben Howey and I`m a professional Longboarder from the UK. I`ve just complete my PhD in Wave Energy Devices and Arrays. And I`ve just also returned from the World Longboard Games in France.

Overvoice Ben Howey:

Mein Name ist Ben Howey und ich bin professioneller Longboarder aus Großbritannien. Ich habe gerade meinen Doktor gemacht über Wellenenergieanlagen und ihre Wirkungsfelder. Und ich bin auch gerade von den Longboard Meisterschaften in Frankreich zurück.

Musik

Jingle Waxikon

Sprecher:

Longboard. Beim Surfen im Meer gibt es zwei große Disziplinen. Das Shortboarden und das Longboarden. Das Longboard ist die Mutter aller Bretter. Bis ca. in die 60er/70er Jahre surfte man ausschließlich auf langen Brettern wie im alten Hawaii. Von einem Longboard spricht man ab einer Länge von 9 Fuß, also ca. 2,7m. Es hat auch eine andere Form als ein Shortboard, ist etwas runder und bauchiger mit mehr Volumen und mehr Auftrieb.

Deshalb kann man mit einem Longboard Wellen anpaddeln, die noch gar nicht gebrochen sind. Longboarder sind zum Ärger der Shortboarder deshalb oft eher auf der Welle. Das große Brett in der Wellenwand zu bewegen, wirkt oft wie ein grooviger Tanz. Wenn Shortboarden Pop ist,

dann ist Longboarden Jazz. Highlight ist der Hang Ten: das Balancieren des gesamten Körpers auf der Nase des Brettes während man weiter an der Wellenwand entlanggleitet und der hintere Teil des Brettes vom Gewicht der brechenden Welle stabil gehalten wird. Sieht lässig aus, ist wahnsinnig schwer. Man sagt Longboardern auch nach sie seien „old school“, entspannt und smooth. Wölfe im Schafspelz, würde ich mal sagen. Denn auch die Longboarder kämpfen natürlich um jede Welle. Bei den

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olympischen Sommerspielen in Tokio wird es als Disziplin leider nicht ausgetragen.

O-Juliane: What do you think about the decision that Surfing is Olympic now?

Ben Howey: I think it`s gonna change a lot about surfing.

(…)

Back in the days when people were exploring new places and beaches and deserted islands in the middle of nowhere trying to find the perfect wave with just your friends in the water. And just finding your own style. Everybody surfed differently. While somebody in a contest might get a three in other people’s eyes they might be getting tens all day long cause you just love the way they surf. Your style can develop from the people that you meet. (…) So it`s really unique.

(…)

It would be a shame if that gets lost because you`re trying to fit a sort of marking criteria to a sport that is subjective.

Sprecher Overvoice Ben Howey:

Ich glaube, es wird viel ändern. Früher als die Menschen auf die Suche nach neuen Orten gingen und abgelegene Inseln im Nirgendwo entdeckten, nur um die zu finden, da warst du nur mit deinen Freunden im Wasser. Und hast versucht deinen eigenen Stil zu entwickeln. Jeder surfte anders. Während jemand im Wettbewerb mit einer drei bewertet wird, kann er in den Augen anderer Menschen den ganzen Tag eine zehn bekommen, nur weil sie eben genau diesen Style lieben. Und dein Style entwickelt sich mit den Menschen, die du triffst. Das ist einzigartig. Es wäre schade, wenn das verloren geht, weil man versucht einen Sport, der subjektiv wahrgenommen wird, an bestimmte Bewertungskriterien anzupassen.

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Ansprache morgens

Juliane :

Langenfeld bei Leverkusen, Unit Surfpool. Meine erste Begegnung mit dem Surfen auf einer stehenden Welle. Ich bin mit der S-Bahn angereist. Der UniT Surfpool liegt in einem See, in dem schon seit Jahren eine Wasserski-Anlage ihren Dienst tut.

Quirin Moderator:

Schweres commitment am ersten Turn. Schön off the rail gewesen jetzt hier bei dem Turn. Frontside Reverse. Noch 10 Sekunden Andi. Und issa da? Fast! Der Shovel. Und up.

Juliane :

Der Wettkampf in Langenfeld startet...

Zuschauerin_04:

(...) es ist so ein bisschen so: ok, isses das jetzt? Was genau soll das? Weil die ja nur hin und herfahren. Ich weiß nicht genau, was da bewertet wird. Manche fahren ja nur hin und her. Gibt’s dafür jetzt n Punkt? Und bisher hab ich zwei Leute gesehen, wo ich dachte: geile Tricks. Aber bei den ganzen anderen hab ich gedacht: Ok, wie so kleine Kinder, die so tanzen und sich im Kreis drehen und alle klatschen und man denkt so: Herzlichen Glückwunsch.

Zuschauer_05:

Also das ist ein zweischneidiges Schwert. Das Surfen hier ist sehr viel closer. Und natürlich von den technischen Moves, die gebracht werden, da gibt’s natürlich mehr Moves, weil die Welle immer gleich läuft, also du hast wesentlich viel mehr Chancen. Aber im Meer kann`s dir mal passieren, dass du 20 Minuten draußen liegst und gar keine Welle hast. Und eigentlich gar nicht das zeigen kannst, was du kannst, weil du vielleicht jetzt den Spot nicht richtig lesen kannst.

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Juliane :

Ich geselle mich zu den Punktrichtern und denke an Ben Howeys Worte über die Subjektivität dieses Sportes. Was wird denn auf so einer stehenden Welle bewertet und wie?

Punktrichter: Mädels machen sich bereit. Rauf...tief drin...hoch raus. Einmal andere Richtung. Kleiner Verlust vom Flow. Drittes Manöver. Raus. Sind wir im guten Average Bereich. Average to good. Das wir da uns einfach jetzt Platz nach oben uns lassen- aber auch Platz nach unten.

Juliane :

Hier in Langenfeld sitzen vier junge Männer auf einer Bierbank und starren auf die vom Wasser überspülte Rampe vor sich, auf der sich Surferinnen und Surfer hin und her bewegen. Fehlt da nicht die weibliche Perspektive?

Valeska:

Ich seh da immer wenig, wer da genau judgt,(...) aber klar die ganzen Funktionäre und die die Entscheidungen treffen auch im DWV, also halt bei ner Deutschen Meisterschaft oder so, sind eigentlich schon hauptsächlich Männer. Ja und das spiegelt dann diese Entscheidungen wieder.

Juliane: Sexismus und Diskriminierung gibt es in vielen Sportarten – das Surfen ist davon leider ganz und gar nicht ausgenommen. Im Gegenteil. Manchmal habe ich den Eindruck, es gehört fast dazu. Zwar gibt es in den letzten Jahren einige Ansätze, was zu ändern, z.B. die Angleichung der Preisgelder, aber in der Realität ist es immer noch so: Wenn ich mit meinem Freund im Urlaub in einen Surf-Shop gehe, um mir ein Brett zu leihen, dann wird fast immer davon ausgegangen, dass ich Anfängerin bin und er Fortgeschrittener. Frauen können halt gut aussehen auf Brettern. Männer können surfen.

O-Juliane: (...) Geht’s sozusagen auf künstlichen Wellen gerechter zu zwischen Männer und Frauen?

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Valeska:

Ja, auf jeden Fall und das ist auch was mir an diesem Rapid Surfen sehr gut gefällt. Weil da kommt`s halt wirklich dann mehr auf die Performance an und nicht auf dieses Geschlechtermissverhältnis sich die Welle erkämpfen zu müssen.

Musik

Juliane Die Welle schlägt ein und zerfetzt meine Körper-Brett-Symbiose wie ein Hackebeil. Ich bin für einen Moment Ju-li-a-ne, in Einzelteile zerlegt. Meine Augen sind geschlossen. Ich kugel mich zusammen. Beuge einen Arm über meinen Kopf den anderen vor mein Gesicht. Es sind bestimmt keine 3 Sekunden. Aber für mich ein Moment großer Panik. Unter Wasser. Der Druck des explodierenden Schaumes über mir. Oder unter mir? Keine Ahnung.

Atmo künstliche Welle Coast Lab Plymouth.

O- Juliane: What do you think of wave pools like that that create a lot of energy...just for pleasure?

Juliane :

Was halten Sie von solchen Wellenbecken, die eine Menge Energie erzeugen...nur so zum Spaß?

Dassa:

I think it is good for the sport and I think it will also so be good for environment. When you try to engage with this kind of sport then probably people might pay a little bit more attention to their oceans or they could be more engaged with their sea and ocean. Hopefully it will increase awareness.

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Sprecher

Overvoice Dassa:

Ich glaube, das ist gut für den Sport und ich glaube, das ist auch gut für die Umwelt. Wenn man sich diesem Sport widmet, dann führt das vielleicht dazu, dass Leute mehr auf ihre Ozeane aufpassen und sich dem Meer verbundener fühlen. Und das steigert hoffentlich das Umweltbewusstsein.

Juliane :

Der Gedanke, das Surfen auf stehenden Wellen das Verantwortungsbewusstsein für die Meere steigert, bringt mich zu einer ganz grundsätzlichen Frage: Surfen und Nachhaltigkeit. Geht das überhaupt?

Atmo Straßenrauschen

Strasdas:

Nachhaltigkeit bedeutet ja ein Abwägen von ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten. Das heißt ich muss in irgendner Form ne Balance hinkriegen. Und jetzt in Zeiten von Klimadiskussionen,, wie wir sie jetzt haben, da… wenn man die Frage stellen würde, geht überhaupt klimafreundlicher Tourismus, dann ist das glaube ich schon sehr viel schwieriger zu beantworten.

(...)

Juliane :

Ich treffe Wolfgang Strasdas in einem Café in Berlin. Er ist Professor für nachhaltigen Tourismus an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.

Strasdas:

Ferntourismus ist mit Klima einfach nicht vereinbar. Das ist ganz, ganz klar so, aber wenn wir jetzt zum Nachhaltigkeitsthema kommen, 31

sozusagen wieder in diese Abwägung, diese Balance, denn muss man einfach sagen, dass viele Regionen, auch weit weg von Deutschland vom Tourismus durchaus profitieren. Nicht nur in wirtschaftlicher sondern auch in sozialer Hinsicht. Dann ist es keine Lösung zu sagen, Tourismus geht gar nicht, es müssen alle zu Hause bleiben. Damit würden ganze Wirtschaftszweige in ländlichen Regionen z.B. zusammenbrechen.

Juliane :

Tourismus also als Chance für nachhaltige Entwicklung. Und wie sieht es mit der Rolle des Surfens dabei aus?

Strasdas:

Das Problem mit Natursport in Deutschland ist, dass wir nur noch sehr begrenzte Räume übrig haben und dass es sone Art Flächenkonkurrenz gibt zwischen Natursportbedürfnis und Naturschutz, gerade bei Wassersport. Naturnahe Gewässer sind in Deutschland inzwischen selten, das heißt, dass sich dort auch diese entsprechenden, sensiblen Arten, die darauf angewiesen sind in solchen Räumen zu leben, die konzentrieren sich dort.

Motorengeräusch Havelland Motorboot.

Frank Sorge:

Jasper, probier ma noch eens, zwee Bahn`, wenn nich, nimmste Nines mal! Kannst uch Nines nehmen, ditt schiebt noch n bißchen mehr vielleicht, wenn dir das andere jetzt zu kleen is! Probier ma nochma...

Juliane :

Ich bin im Havelland. Genauer gesagt in Pritzerbe, im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Ein kleiner Ort an der Havel, ca. eine Stunde Autofahrt westlich von Berlin. Hier lotet Frank Sorge mit seinem Surfprojekt 2wave die Grenzen zwischen Natursport und Wellenkunst aus.

Frank Sorge:

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Ja, also vom Energieverbrauch her, sind wir wahrscheinlich unter dem Energieverbrauch pro Kopf wie bei nem Schwimmhallenbesuch oder inna Tennishalle oder andere Sportstätten. Da muss man ins Verhältnis setzen, das halt, wenn man irgendwo durch ne Heizung halt Erdöl verbrennt, natürlich die gleiche Energie verbrannt wird, bei allen Outdoor-Sportarten eigentlich.

(...)

Juliane :

Mit seinem umgebauten Boot pflügt Frank durch die Havel, auf einer abgesteckten Strecke von ca. 300m fährt er zwei Stunden lang hin und her und zieht Surfer auf seine Heckwelle. 275m, schreibt er auf der Homepage, kann man alle 4-5 Minuten surfen. Das ist `ne Menge!

Frank Sorge:

Det war eigentlich so der einzige Grund, warum ich überlegt hab das hier nicht zu machen war der Verbrauch ja. Wie gesagt pro Kopf so zweieinhalb Liter etwa, also so ca. 20l pro kompletter Tour verbrauchen wir hier. Det is wirklich extrem wenig.

(...)

Der Propeller is ne Sonderanfertigung. Mehrere Propeller hab ich da bauen lassen um datt Drehmoment am Motor genau an der richtigen Stelle abzufassen…und wenn man das alles so beherzt und sich da’n bisschen beliest und auskennt bißchen try and error

Juliane:

Bist du Ingenieur oder was?

Frank Sorge:

Nö, …bei mir is eher….ick bin Pragmatiker. Einfach probieren und watt funktioniert weiter entwickeln und verbessern...joa.

Das wird mir in den letzten Jahren immer bewusster, dass Surfen eigentlich nur n umweltfreundlicher Sport ist, wenn man direkt am Strand wohnt. Beim letzten Urlaub auf den Kanaren habe ich 33

festgestellt, dass die meisten Surfer, wenn die eine Woche da sind, dass die mehrere 100km fahren, allein um die Spots abzuchecken, wo die Wellen am besten sind oder wo das Line-Up am leersten ist und dann der Flug noch dazu, steht das überhaupt nicht mehr im Verhältnis.

Tosche: Hier ist das wilde Wiesel, was machen eigentlich die Mettstullen?

Funker: Der Schmierprozess beginnt jetzt, wie viele wollt ihr denn?

Tosche: Wir kommen hoch, oder?

Sven: Nee, wir bleiben hier unten.

Juliane :

Sylt im September 2019. Ich bin als Besucherin beim Longboardfestival an der Buhne 16, ein paar Kilometer nördlich von Kampen. Strandbistro mit entspanntem Ambiente, nennt es google maps. Ich nenne die Buhne 16 das heimliche Mutterschiff der deutschen Surfszene. Hier wird jedes Jahr das Longboard Festival ausgetragen. Ein fünftägiges Festival mit Surf- Wettbewerb für alle Altersklassen und Wetterlagen.

Judges

Sven: Gelb geht links.

Tosche: Schwarz hier mit Fins first ne? Und Und und?

Ohhh...schöner Take off. Ohhh!

Tosche: (...)

Fliegende Bretter ne?

Gelächter.

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Juliane: Ich stehe mit Sven Behrens und Thorsten „Tosche“ Stroezel am Strand, es ist früh am Morgen, die ersten Teilnehmer des Wettbewerbes gehen ins Wasser. Sven Behrens betreibt zusammen mit seinem Cousin die Buhne 16. Er und Tosche sind in den nächsten Tagen die Punktrichter. Von früh bis spät sitzen sie mit Klemmbrett und Kaffee in Svens Jeep direkt an der Wasserkante und begutachten die Surfer, vergeben Punkte für Manöver.

Tosche:

Hier hast du auch gerne mal drei Peaks zur gleichen Zeit. (...)

Der Wind hat einmal komplett von Süd nach Nord gedreht. Wir haben jetzt hier komplett n anderen Trecker mit anderen Strömungsverhältnissen. Die Welle ist von links nach rechts gewandert und wieder zurück. Das switcht hier im Moment im Minutentakt.

Guck doch mal, wenn du hier vorne hängst, guck dir ma den Backwash an, wenn du da raus musst, da kotzt du doch. Da haste doch schon keine Lust.

Atmo Gelächter am Strand zwischen den Teilnehmern. Ausgelassene Stimmung.

„Ich muss zur Arbeit“

Juliane :

Das Festival ist ein Spaß-Event. Zum Saisonende treffen sich seit 20 Jahren die Surferinnen und Surfer der Insel, um gegeneinander zu surfen und gemeinsam zu feiern.

Musik

Jingle „Geschichte des Surfens“

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Uwe:

Ich bin Uwe Behrens von Sylt, Westerland Sylt, 1940 geboren...und lebe seither...naja ich war einige Jahre unterwegs in der Welt...aber jetzt lebe ich nur noch hier. Auf unserer schönen kleinen Insel.

Juliane: Uwe Behrens ist der Vater von Sven Behrens. Während sein Sohn und sein Neffe vorne Im Gästebereich schwitzen, kloppt der Vater Karten mit seinen Brüdern und Freunden im extra dafür eingerichteten Zimmer. Die Buhne 16 bezeichnet er als seinen Alterssitz.

Musik

Uwe:

Schöne Welle hat er da gerade...sehr gut.

(..)

Joa die Wiege des Surfens, das kann man sagen. Wir waren wirklich die ersten Surfer auf der Insel. Wir haben 1960 ein Bild im Readers Digest gesehen. Da stand n Surfer auf ner Welle. Wir surften damals schon, aber auf Luftmatratzen und auf den Brettern der Rettungsschwimmer. Wir waren noch klein damals. Was heißt klein...jung. Und sahen da son Bild und oiiii, die surfen in riesen Wellen, ne. Da wurden wir bissig. Dann fuhren wir nach Frankreich 1962 und da kaufte ich mir Surfbrett in Biarritz bei Michel Barland...das war das erste Brett überhaupt auf der Insel

Wasser ist unser Leben kann man sagen.

O-Juliane:

Und Olympia, spielt das für euch ne Rolle auf der Insel?

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Uwe:

Nö. Überhaupt nicht.

Leon Glatzer:

(And) it was amazing! (…) So all the local people, all my friends were in the water. We were just screaming you know. Every wave we caught was full of joy and happiness. And if someone would catch a wave we`d scream at it and he`d be screaming just like “Yeaaaah go go!” So it was a very happy moment you know. It was very nice. It was just like “Wow.” I missed it so much. An everyone did. It was beautiful 3 hours.

Sprecher

Overvoice Leon:

Es war wundervoll! All die Leute von hier, all meine Freunde waren im Wasser. Wir haben die ganze Zeit geschrien! Jede Welle, die wir nahmen, war pures Glück und Freude. Wenn jemand eine Welle bekommen hat, dann haben wir ihn angefeuert und er hat dann vor Freude geschrien und alle so „Yeaaaah! Los los los!“. Ich hab das so vermisst. Jeder hat das vermisst. Es waren wunderschöne drei Stunden.

Juliane :

Ich spreche mit Leon in einer speziellen Zeit. Er ist zu Hause in Pavones, in Costa Rica und konnte in den letzten Wochen der Corona Krise nicht surfen. Nun wurden die Maßnahmen in Costa Rica etwas gelockert, die Strände sind wieder geöffnet, aber die Touristen noch nicht wieder da. Leon war das erste Mal seit langen Wochen wieder im Wasser. Und: er ist das erste Mal seit Monaten wieder richtig zu Hause.

Leon:

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(…) I live pretty much in the jungle.

(…) We have a house, we have a garden, we have food, we don`t have to go to the supermarket you know…only when we need bacon (lacht)

(…)

Mentally it`s done really well for me. It´s done pretty good.

(…)

I`ts been a break for me. The last 8 years have been full of craziness. But I`m definitely missing the competition and being with the German team. And I would like to get on track now.

(…)

It`s pretty stressful but I love it you know. If I could do it - I could do it all my life.

Sprecher Overvoice Leon:

Ich lebe so ziemlich mitten im Dschungel. Wir haben hier ein Haus, wir haben einen Garten, wir haben zu Essen, wir müssen nicht in den Supermarkt gehen, weißt du...außer wenn wir Bacon brauchen. Mental war das sehr gut für mich. Es war eine Pause. Die letzten acht Jahre waren verrückt. Aber ich vermisse auch den Wettbewerb und mit dem deutschen Team unterwegs zu sein. Ich würde jetzt gerne wieder loslegen. Es ist ziemlich stressig, aber ich liebe es auch. Wenn ich könnte, würde ich es mein ganzes Leben lang machen.

Musik

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Juliane

Die Welle hebt mich hoch, versetzt mir wieder diesen Tritt, mit der sich nach vorne werfenden Lippe. Ich springe auf, ich stehe seitlich auf dem Brett, mit dem Rücken zum Strand, mein Gesicht nah am Gesicht der Welle, frontside. Ich surfe. Ich schieße die Wasserwand entlang, ich verlagere mein Gewicht nach vorne, versuche im Rhythmus meines Atems hoch an die Kante zu kommen, und wieder runter ins Tal, um Geschwindigkeit zu machen. In Wirklichkeit, kann ich nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob ich eigentlich atme, oder die ganze Zeit die Luft anhalte. Ich surfe also. Es sind Sekunden. Ich weiß nur, dass ich es kann. Dass ich das kann und dass es in mir einen Raum auf macht, den ich jedes Mal wieder mit höchsten Freuden betrete. Ja, vielleicht ist das spirituell. Vielleicht total abgedroschen. Kitschig. Aber jetzt zum Knackpunt - zu dem, was das Surfen dem Spirituellen voraushat: es ist real. Noch jedenfalls.

Juliane: Ich lasse mich erschöpft im Sand nieder. Noch im Neo. Ich schaue aufs Meer. Mein Brett neben mir. Für einen Moment fühle ich mich tatsächlich einfach nur leer. Die Wellen brechen jetzt viel bauchiger. Der Schaum krabbelt langsam herunter. Viele Wellen sind gar nicht mehr surfbar. Mein Freund kommt mit unserem Sohn auf dem Arm zu mir gelaufen. Seine Kamera baumelt um den Hals. „Wie war`s?“ sagt er. „Ganz ok“, sag ich und ich merke wie mein linker Mundwinkel unkontrolliert nach oben zuckt, als hätte ich einen Krampf im Gesicht. „Du lügst ja!“ sagt er und lacht. Ich schaue auf meine braunen Hände und die weißen Fingernägel. Sie entfernen sich von mir. Ich merke, dass ich high bin. Die Sonne brennt jetzt schon, der Wind kommt vom Meer. Alles ist nun anders. Der Moment verflogen. Das Grübeln, der Tatendrang, die Angst, der Kampf, die Euphorie, der innere Raum, das große Glück, der schöne Krampf in meinem Mundwinkel... „Was wollen wir heute machen?“ fragt mein Freund. „Also ich hab nichts mehr vor.“, antworte ich. „Ich hab heute alles schon erlebt.“

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Sprecher Absage:

Surfology – oder Bretter, die die Welt bedeuten

Ein Feature über das Wellenreiten von Juliane Stadelmann

Es sprachen:

Die Autorin, Mohamed Achour, Sonja Beißwenger, Sebastian Jakob Doppelbauer, Torben Kessler, Amelle Schwerk und Hajo Tuschy

Musik: Lukas Rabe

Technische Realisation: Markus Freund und Corinna Kammerer

Regie: Eva Solloch

Redaktion: Martina Kothe und Joachim Dicks

Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks 2020

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