Wandsbek erinnert an 1933-1945

Wegweiser zu den Gedenkstätten

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Wandsbek erinnert an 1933-1945 Wegweiser zu den Ge- denkstätten

Herausgegeben von der Bezirksversammlung Wandsbek

Redaktion: Stefan Romey

3 Impressum

Herausgeber:

Bezirksversammlung Wandsbek Peter Pape, Vorsitzender der Bezirksversammlung Wandsbek Geschäftsstelle: Schloßstraße 60, 22041 Olaf Bertolatus, Andreas Marko E-Mail: [email protected]

Redaktion: Stefan Romey Mitwirkung: Hans-Joachim Klier, Astrid Louven, Ingo Wille

Grafische Gestaltung: Eva-Maria Nerling

Hamburg, Januar 2020

ISBN 978-3-00-064458-0

Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms

4 Zu diesem Buch

Mit diesem Buch ergänzt der Bezirk Wandsbek die von Detlef Garbe und Kerstin Klingel herausgegebene Schrift „Gedenkstät- ten in Hamburg. Ein Wegweiser zu Stätten der Erinnerung an die Jahre 1933 bis 1945.“ 1 Es stellt umfänglich die im Bezirk Wands- bek liegenden Gedenkorte vor und erweitert somit die Hambur- ger Gesamtübersicht. Dieser Wegweiser erhebt nicht den Anspruch auf Vollstän- digkeit. Gleiches gilt für die beigefügten Literaturempfehlungen. Diese sollen Interessierten ermöglichen, sich weitere Informati- onen zu den jeweiligen Gedenkorten und vertiefende Kenntnisse zu den Jahren 1933 — 1945 zu verschaffen. Geschichte vor Ort soll erlebbar werden. Es sollen Schlüsse aus der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft gezogen wer- den können. Die deutsche Kultusministerkonferenz sagt in ihren Empfehlungen zur Erinnerungskultur, dass der Besuch von Or- ten der Erinnerung die besondere Chance bietet, gerade jungen Menschen die Bedeutung der Geschichte für ihr eigenes Leben und ihre eigene Zeit deutlich zu machen. „Wer sich erinnert, fragt danach, wie sich das, was in der Vergangenheit geschah, auf Ge- genwart und Zukunft auswirkt und welche, möglicherweise auch alternativen Handlungsoptionen es in der Vergangenheit gegeben hätte.“ Gleichzeitig sollen Empathie und Respekt für die Opfer sowie Wertschätzung der Menschen mit Zivilcourage und Wi- derstandsgeist entstehen. Deshalb folgt jeder Beschreibung des Gedenkortes die Vorstellung einer Person mit Bezug zu dieser Erinnerungsstätte. Diese steht exemplarisch für viele. Erinnerung ist ein offener, niemals abgeschlossener Prozess. Deshalb bitten wir die Leser dieses Buches um Ergänzungen und Einschätzungen. 5 Bitte richten Sie Ihre Meinungsäußerungen an:

Bezirksversammlung Wandsbek Geschäftsstelle

Schloßstraße 60, 22041 Hamburg Postfach 702141 22021 Hamburg E-Mail: [email protected]

6 Vorwort

Peter Pape

In Wandsbek gibt es ver- schiedene Gedenkstätten, die größtenteils von der Wandsbeker Bezirksver- sammlung und den Orts- ausschüssen des Bezirkes zusammen mit Wandsbeker Bürgerinnen und Bürger initiiert wurden. Die Gedenkorte schaffen Zugang zur Vergangenheit. So wird es insbesondere ermöglicht, sich mit den nationalsozialisti- schen Staats- und Gesellschaftsverbrechen auseinanderzusetzen. Dieser Wegweiser soll es ermöglichen, die Gedenkorte aufzusu- chen und sich umfänglich zu informieren.

Zum Wegweiser ist eine gleichnamige Ausstellung als Wander- ausstellung erschienen, die von Schulen und interessierten Ein- richtungen ausgeliehen werden kann. Ziel des Wegweisers und der Ausstellung ist es, Gefahren für die Demokratie und für das friedliche Zusammenleben aller Bürgerinnen und Bürger aufzu- zeigen. Aus den Erfahrungen mit der NS-Zeit ergibt sich für je- den von uns, sich Ausgrenzung und Diskriminierung entgegen- zustellen.

Bei den Gestaltern der Ausstellung und der Broschüre möchte ich mich herzlich bedanken. Peter Pape, Vorsitzender der Bezirksversammlung Wandsbek

7 Geleitwort

Prof. Dr. Detlef Garbe

75 Jahre nach Ende der nationalso- zialistischen Gewaltherrschaft wird die Zahl derjenigen, die noch aus ei- genem Erleben den Schrecken be- zeugen können, immer kleiner. Doch gerade heute, wo die Notwen- digkeit des Erinnerns in Frage ge- stellt wird, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bedroh- lich ansteigen und nicht nur an Stammtischen, sondern auch in Parlamenten wieder völkisches Gedankengut zu hören ist, bedarf es der Zeitzeugen. Damit ihre Stimmen nicht verstummen, gilt es Ausdrucksformen zu finden, die ihre Erinnerungen weitertra- gen. Hier leisten Theater und Literatur, Film und Medien sehr viel. Es gibt erfreulich viele engagierte Schulprojekte wie außer- schulische Initiativen. Und es gibt die historischen Orte, die von dem zeugen, was sich von 1933 bis 1945 überall in unserem Land zugetragen hat — und so natürlich auch im einst preußischen und ab 1937 hamburgischen Wandsbek. Die historischen Orte bleiben, auch wenn die letzten Überlebenden nicht mehr spre- chen können. Und sie laden uns Nachgeborene ein, innezuhal- ten, nachzudenken. Sie zeigen, wohin Menschenverachtung füh- ren kann, wenn rechtsstaatliche Garantien und demokratische Prinzipien außer Kraft gesetzt werden. In Hamburg wird heute in vielfältiger Weise an die Zeit des Nationalsozialismus und an die Opfer des NS-Regimes erinnert. Das Internet-Portal www.gedenkstaetten-in-hamburg.de ver- zeichnet inzwischen weit über 100 Gedenkstätten. Sie befinden

8 sich auf dem Gelände einstiger Verfolgungsstätten und Lager, an Stätten jüdischen Leidens und der politischen Repression sowie an Orten, die den Schrecken des Bombenkrieges dokumentieren. Es gibt dabei unterschiedliche Wege der Annäherung, um Orte zu markieren. Die häufigste Art der Kenntlichmachung sind Informationstafeln. Dazu zählen die im Rahmen des von der Kul- turbehörde seit Anfang der 1980er Jahre entwickelten Pro- gramms „Stätten der Verfolgung und des Widerstandes 1933- 1945“ angebrachten schwarze Tafeln. In unauffälliger Weise prä- gen inzwischen auch die in den Gehwegen eingelassenen „Stol- persteine“ das Stadtbild. Sie weisen auf das Schicksal einzelner Deportierter und Ermordeter hin. Allein für den Bezirk Wands- bek verzeichnet die Website www.stolpersteine-hamburg.de 220 dieser nachhaltigen Erinnerungsmarker. Die Biografien dieser Opfer des Naziregimes lassen sich im Internet, via Mobiler App oder in der von der Landeszentrale für politische Bildung heraus- gegebenen stadtteilbezogenen Schriftenreihe leicht nachlesen. Zur Gedenkstätte im eigentlichen Sinn wird ein Ort erst, wenn auf ein historisches Ereignis in künstlerischer Form mit ei- nem Mahn- oder Denkmal hingewiesen wird oder wenn es durch eine Ausstellung erläutert wird. Dies trifft auch auf einige der Ge- denkorte zu, die sich im Bezirk Wandsbek befinden. Es ist das große Verdienst dieser Veröffentlichung, diese Stätten näher vorzustellen, sie mit vertiefenden Informationen zu erläutern und dabei ein besonderes Gewicht auf die Berichte der Zeitzeu- gen zu legen. Die biografischen Porträts veranschaulichen die Gedenkorte in besonders eindrucksvoller Weise. „Wandsbek er- innert“ ist damit ein Wegweiser, der über persönliche Geschichte in die Ortsgeschichte führt. Zugleich lenkt der Wegweiser aber auch unseren Blick von der Vergangenheit auf die Gegenwart. Auch wenn es eine andere Zeit war, sind viele der Fragestellungen und Entscheidungssitu- ationen nicht so fern, wie der Abstand von 75 und mehr Jahren 9 vermuten lässt. Gedenkstätten erinnern an Widerstand und Ver- folgung, sie berichten von der Zivilcourage einzelner und dem Mittun vieler bei der Unterdrückung jener, die aus der NS-Volks- gemeinschaft ausgestoßen wurden. Sie zeigen, dass es für die Verteidigung von Recht und Freiheit zu spät sein kann. Denn die Niederlage hatte die Demokratie schon erlitten, als der Wider- stand noch eine Chance gegen die Nazis hatte, nämlich vor dem 30. Januar 1933, als die Freiheit noch ohne elementare Lebensge- fahr hätte verteidigt werden können. Der Opfer von damals zu gedenken heißt deshalb, sich heute für eine offene und tolerante Gesellschaft zu engagieren, die die Menschenrechte und die Würde des Einzelnen achtet und schützt. Die Würde des Men- schen ist unantastbar — das ist und bleibt der Kern unseres Grundgesetzes. Dafür stehen auch die Gedenkstätten — und des- halb brauchen wir sie heute mehr denn je. Die verdienstvolle Herausgabe dieses Wegweisers durch die Bezirksversammlung Wandsbek verstehe ich deshalb als Aus- druck des gemeinsamen politischen Willens aller demokrati- schen Kräfte, sich in Kooperation mit bürgerschaftlichen Initia- tiven der hiesigen Gedenkstätten weiter anzunehmen.

Prof. Dr. Detlef Garbe, KZ-Gedenkstätte Neuengamme

10 Inhaltsverzeichnis

Impressum ...... 4 Zu diesem Buch ...... 5 Vorwort ...... 7 Geleitwort ...... 8 Inhaltsverzeichnis ...... 11 Abbildungsverzeichnis ...... 12 Zugang und Verkehrsverbindungen ...... 14 Grafik: Lage der Gedenkorte im Bezirk Wandsbek ...... 15 Stormarnhaus — Ort der parlamentarischen Demokratie ...... 16 Gedenkplatte Helmuth James Graf von Moltke ...... 25 Jüdische Gedenkorte im Bezirk Wandsbek ...... 31 Gedenkstein Wandsbeker Synagoge ...... 38 Gedenkstein für Rabbiner Simon Bamberger ...... 45 Die Frauen-Konzentrationslager im Bezirk Wandsbek ...... 49 Gedenkstätte KZ Drägerwerk ...... 52 Gedenkstein KZ Sasel ...... 62 Plattenhaus Poppenbüttel ...... 67 Gedenkort Bergstedter Kirche ...... 69 Gedenkort Versorgungsheim Farmsen ...... 73 Mahnmal Weiße Rose ...... 81 Gedenkstein Konzentrationslager Wittmoor ...... 92 Gedenkort Hohenbuchen ...... 101 Höltigbaum — Gedenkort für Deserteure ...... 107 Dank ...... 120 Anmerkungen ...... 122 Literaturempfehlungen ...... 125 Fußnoten ...... 127

11 Abbildungsverzeichnis

Ausführliche Bildquellen: siehe Anhang S.121 1 Gedenkorte in Wandsbek ...... 15 2 Stormarnhaus ...... 16 3 Bezirksamt Wandsbek ...... 17 4 Gustav Delle ...... 21 5 Stolperstein Gustav Delle ...... 24 6 Gedenkplatte Helmuth James Graf von Moltke ...... 25 7 Henning Voscherau ehrt von Moltke ...... 26 8 Helmuth James Graf von Moltke ...... 29 9 Boykottaufruf: »Deutsche kauft nicht bei Juden« ...... 33 10 Boykottmaßnahme gegen den Arzt Dr.Ernst Heppner ...... 34 11 Flugblatt der NSDAP Wandsbek (1935) ...... 35 12 Synagoge Wandsbek ...... 38 13 Einweihung des Gedenksteins für die Synagoge 1988 ...... 40 14 Stolpersteine Michelsohn ...... 41 15 Gedenkstein Simon Bamberger ...... 45 16 Porträt Simon Bamberger um 1930 ...... 46 17 Gedenkanlage Simon Bamberger ...... 48 18 Tafel KZ Drägerwerk ...... 49 19 Tafel KZ Sasel ...... 50 20 Eingang Gedenkstätte KZ Drägerwerk ...... 52 21 Alte und neue Gedenkstätte KZ Drägerwerk ...... 56 22 Gedenkstätte KZ Drägerwerk mit Chiedza Busse und Monique du Mont ...... 57 23 Ehemalige Häftlinge besuchen die Gedenkstätte KZ Drägerwerk ...... 58 24 Porträt Nada Verbič ...... 59 25 KZ-Nummer von Nada Verbič ...... 60 26 Gedenkstein KZ Sasel ...... 62 27 Zeichnung KZ Sasel ...... 64 28 Schülergruppe am Gedenkstein KZ Sasel ...... 66 29 Gedenkstätte Plattenhaus ...... 67 30 Gedenkbaum Plattenhaus Poppenbüttel ...... 68 31 Gedenkort Bergstedt ...... 69 12 32 Wanda Edelmann ...... 70 33 Suleika Klein ...... 71 34 Auszug aus dem Totenregister des Bergstedter Friedhofs ...... 72 35 Versorgungsheim Farmsen ...... 73 36 Stolpersteine Farmsen ...... 78 37 Tötungsanstalt Brandenburg ...... 79 38 Mahnmal Weiße Rose ...... 81 39 Porträt Hans Conrad Leipelt ...... 82 40 Porträt Karl Ludwig Schneider ...... 85 41 Karl Ludwig Schneider (Alstertal-Magazin Nr. 11/2005) ...... 91 42 Gedenkstein KZ Wittmoor ...... 92 43 Hamburger Fremdenblatt, 26. Mai 1933 ...... 94 44 KZ Wittmoor ...... 96 45 Emil Heitmann (Hamburger Abendblatt) ...... 97 46 Tafel Hohenbuchen ...... 101 47 Andrzej Szablewski ...... 103 48 Hildegard Lütten ...... 104 49 Stolperstein Andrzej Szablewski ...... 106 50 Gedenktafel Höltigbaum ...... 107 51 Zeichen gegen das Vergessen (Hamburger Wochenblatt) ...... 111 52 Ludwig Baumann enthüllt das Straßenschild für Kurt Oldenburg ...... 113 53 Agnes und Herbert Klein ...... 113 54 Porträt Herbert Klein ...... 115 55 Stolperstein Herbert Klein ...... 119

13 Zugang und Verkehrsverbindungen

Stolperstein vor dem Bezirksamt Wandsbek Schloßstraße 60, U-Bahn/ZOB Wandsbek-Markt Gedenkplatte auf dem Historischen Friedhof Wandsbek Historischer Friedhof Wandsbek neben der Christuskirche Wandsbek, U-Bahn/ZOB Wandsbek-Markt Gedenkstein Synagoge Wandsbek Dotzauer Weg, Nähe U-Bahn Wandsbek-Markt Gedenkstein am Alten Jüdischen Friedhof Wandsbek Kattunbleiche/Ecke Litzowstraße, Nähe U-Bahn Wandsbek-Markt Gedenkstätte KZ-Außenlager Wandsbek (Drägerwerk) Ahrensburger Straße 162, Zugang über Nordmarkstraße oder Parkplatzende McDonald's (Bus 9 ab U-Bahn Wandsbek-Markt oder S-Bahn Rahlstedt bis Nordmarkstraße) Gedenkstein KZ-Außenlager Sasel/Plattenhaus Poppenbüttel Feldblumenweg 1d (Bus 276 ab S-Bahn Poppenbüttel) Kritenbarg 8 (S-Bahn Poppenbüttel), Öffnungszeit sonntags 10-17 Uhr Gedenkort Versorgungsheim Farmsen August-Krogmann-Straße 100, Bus 27 oder 168 ab U-Bahn Farmsen bis Pflegezentrum Farmsen Mahnmal Weiße Rose Platz Weiße Rose, Nähe U-Bahn Volksdorf Gedenkstein KZ Wittmoor Bilenbarg/Am Moor, Bus 176/276 ab S-Bahn Poppenbüttel oder U-Bahn Ohlstedt bis Tannenhof Gedenktafel und Stolperstein Hohenbuchen Poppenbüttler Hauptstraße 44, Bus 276 ab S-Bahn Poppenbüttel oder U-Bahn Ohlstedt bis Maike-Harder-Weg Gedenkort Höltigbaum Ecke Neuer Höltigbaum/Sieker Landstraße, Bus 462 ab S-Bahn Rahlstedt bis Naturschutzgebiet Höltigbaum/Neuer Höltigbaum

14 Grafik: Lage der Gedenkorte im Bezirk Wandsbek

1 Gedenkorte in Wandsbek 15 Stormarnhaus — Ort der parlamentarischen Demokratie

2 Stormarnhaus

Schloßstraße 60, U-Bahn/ZOB Wandsbek-Markt

Erstmals bestand in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eine parlamentarische Demokratie in Form einer fö- deralen Republik. Sie wurde auch Weimarer Republik genannt — nach dem Ort des ersten Zusammentretens der verfassungsge- benden Deutschen Nationalversammlung, des ersten demokra- tisch gewählten Parlaments, am 6. Februar 1919. Der Reichstag selbst wie auch die Landtage wurden für eine Legislaturperiode — in der Regel vier Jahre — gewählt. Die Monarchie war endgül- tig durch die Republik abgelöst worden. Staatsoberhaupt wurde

16 jetzt ein direkt gewählter Reichspräsident, der über weitrei- chende Befugnisse verfügte, was sich später jedoch verhängnis- voll auswirken sollte. So konnte er nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung auch Grundrechte durch „Notverordnungen“ außer Kraft setzen, „wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird“. Die ersten Kommu- nalwahlen in Wands- bek fanden im März 1919 statt. Wandsbek gehörte zu diesem Zeitpunkt zum Kreis Stormarn der preußi- schen Provinz Schles- wig-Holstein und war Sitz der Kreisverwal- tung.2

3 Bezirksamt Wandsbek 1922 bis 1923 wurde nach Plänen Fritz Högers für die Verwaltung des Kreises das Stormarnhaus in Wandsbek gebaut, das heutige Bezirksamt Wandsbek, Symbol der parlamentarischen Demo- kratie. In der Weimarer Verfassung waren liberale und soziale Grundrechte als Ziele für alle Staatsbürger verankert worden (so die Gleichberechtigung von Frau und Mann, Freiheit der Person, Freizügigkeit, Post- und Fernmeldegeheimnis, Versammlungs-, Vereinigungs-, Meinungs-, Religions- und Pressefreiheit). An- ders als heute waren die Grundrechte damals von den Bürgerin- nen und Bürgern nicht einklagbar. Bereits bei Gründung der Weimarer Republik mangelte es an freiheitlich-demokratischer Kultur und an genügend selbstbe- wussten demokratischen Parlamentariern, die die neue 17 Verfassung mit Leben gefüllt hätten. Das Personal in Justiz, Ver- waltung und Militär stammte noch überwiegend aus der Kaiser- zeit und lehnte die republikanische Staatsform und die Demo- kratie weitgehend ab. Der Erste Weltkrieg hatte schwere wirtschaftliche und sozi- ale Lasten hinterlassen. Die durch den Versailler Friedensvertrag festgelegten Reparationszahlungen schwächten die deutsche Wirtschaftskraft. Eine Hyperinflation führte zu einer radikalen Geldentwertung, zum Zusammenbruch der deutschen Industrie und des Bankensystems. Die Arbeitslosigkeit stieg drastisch an. Die Löhne fielen ins Bodenlose. In dieser Zeit kam es zu Um- sturzversuchen und politischen Morden. Erst Mitte bis Ende der 1920er Jahre konnte sich die Wirtschaft stabilisieren. Nach dem Zusammenbruch der New Yorker Börse 1929 und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise kam es auch in Deutschland erneut zu dra- matischen Auswirkungen: Firmenzusammenbrüche, Banken- schließungen, Verelendung, Massenarbeitslosigkeit. Zwischen September 1929 und Anfang 1933 stieg die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland von 1,3 auf über sechs Millionen. Das Realein- kommen sank um ein Drittel, Armut und Obdachlosigkeit nah- men sprunghaft zu. Die allgemeine Katastrophenstimmung ver- änderte zunehmend die politischen Rahmenbedingungen. Mit Erfolg entfesselten die Gegner der Weimarer Republik eine bei- spiellose Hetze gegen die demokratische Ordnung. Der seit den Landtagswahlen 1929 eingesetzte Aufwärtstrend der NSDAP ver- stärkte sich mit den Reichstagswahlen 1930 und 1932 sprunghaft. Nach dem Tod des ersten Reichspräsidenten, des SPD-Politi- kers Friedrich Ebert, war 1925 mit dem ehemaligen Generalfeld- marschall Paul von Hindenburg als Vertreter des sogenannten Rechtsblocks ein antirepublikanischer Nachfolger gewählt wor- den. Nach Beginn der Weltwirtschaftskrise hebelte Hindenburg mit Hilfe von Notverordnungen die parlamentarische Demokra- tie aus. Er ernannte von 1930 bis 1933 die als Präsidialkabinette 18 bezeichneten Reichsregierungen unter Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher, ohne den Wählerwillen zu beachten. Mit einer weiteren Notverordnung vom 20. Juli 1932 setzte Hindenburg die SPD-geführte Landesregierung im größ- ten deutschen Bundesstaat, Preußen, ab und ernannte anstelle der bisherigen Landesregierung Reichskanzler von Papen zum „Reichskommissar“. In einer zweiten Verordnung vom gleichen Tag übertrug er dem Reichswehrminister die vollziehende Ge- walt und schränkte die Grundrechte ein. Papen hatte im Zusam- menwirken mit der Reichswehr das preußische Innenministe- rium, das Berliner Polizeipräsidium und die Zentrale der Schutz- polizei besetzen lassen. Gegen den sogenannten Preußenschlag gab es keinen offenen Widerstand. Der Einsatz der preußischen Polizei wurde von den bisherigen Regierungsverantwortlichen abgelehnt, weil es einen Bürgerkrieg hätte geben können. Auch ein Generalstreik wurde verworfen, weil dieser angesichts der hohen Arbeitslosigkeit kaum durchsetzbar erschien. Außerdem hätte man — so die Vertreter der abgesetzten preußischen Lan- desregierung — den Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft. Die preußische Landesregierung hatte einen Tag nach ihrer Abset- zung beim Staatsgerichtshof beim Reichsgericht einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung gestellt, den dieser jedoch ab- lehnte. Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Mit der Notverordnung „zum Schutze des Deutschen Volkes“ vom 4. Februar 1933 schränkte Hindenburg wenige Tage nach dieser Ernennung die Versamm- lungs- und Pressefreiheit ein und hob mit der sogenannten Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 nahezu alle Grundrechte auf. Laut Eingangssatz diente diese angeblich der „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“, rich- tete sich jedoch gegen alle Gegner des Nationalsozialismus. Den Kommunisten war unterstellt worden, den Reichstag 19 angezündet zu haben. Diese Notverordnung beendete das Recht der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, das Vereinigungs- und Versammlungsrecht. Es legitimierte zahl- lose Verhaftungen und die Verhängung sogenannter Schutzhaft gegen tausende NS-Gegner. Es erlaubte Eingriffe in das Post- und Fernsprechgeheimnis, Hausdurchsuchungen und Beschlagnah- mungen. Diese „Reichstagsbrandverordnung“ bot zudem die ju- ristische Grundlage, gegnerische Kandidaten zur bevorstehen- den Reichstagswahl und zu den noch stattfindenden Landes- und Kommunalwahlen — so auch in Wandsbek — zu verhaften. Hindenburg trug mit dem von ihm unterzeichneten „Er- mächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933 („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“) wesentlich zur Festigung der nati- onalsozialistischen Diktatur durch Aufhebung der Gewaltentei- lung und Übertragung der gesetzgebenden Gewalt an die Regie- rung Hitler bei. Innerhalb kurzer Zeit gelang es so, die föderalen, demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen der Republik zu zerstören und eine nationalsozialistische Diktatur zu errich- ten. Unmittelbar nach der Machtübernahme hatten die National- sozialisten damit begonnen, die Opposition brutal auszuschalten und Ämter und Positionen mit eigenen Leuten zu besetzen. Das bekam auch der Zweite Bürgermeister der Stadt Wandsbek, Gus- tav Delle, zu spüren. Zusammen mit drei weiteren Wandsbeker Sozialdemokraten wurde er nach der „Reichstagsbrandverord- nung“ am 6. März 1933 festgenommen und kam als sogenannter Schutzhäftling für zwei Wochen ins KZ Fuhlsbüttel. Danach blieb er unter Polizeiaufsicht.

20 4 Gustav Delle Der Wandsbeker Kommunalpolitiker Gustav Delle wurde am 20. September 1880 im württembergischen Botnang, heute Stadtbe- zirk von Stuttgart, geboren.3 Nach seiner Schulzeit erlernte er den Handwerksberuf des Malers. Er heiratete die gleichaltrige Luise Nobes. 1905 wurde die Tochter Grete geboren, bald darauf die Geschwister Hans und Hilde. Delle war gewerkschaftlich und parteipolitisch aktiv. 1911 trat er in die SPD ein. 1913 zog die Familie in die Erikastraße 34 (heute: Goldlackweg) der Gartenstadt Wandsbek, die ab 1910 auf dem Gebiet der damals noch selbständigen Stadt Wandsbek ent- stand. Das Ziel der Gartenstadt-Gesellschaft-Wandsbek war, „in nächster Nähe der Großstadt Hamburg, minderbemittelten Fami- lien oder Personen gesunde und zweckmäßige Wohnungen in ei- gens erbauten oder angekauften Häusern mit oder ohne Gärten zu 21 billigen Preisen zu verschaffen.“ In der Praxis waren dies Doppel- haushälften, zu deren Anmietung man Genossenschaftsanteile erwerben musste. Die zu den Häusern gehörenden Gärten waren zur Selbstversorgung der Bewohner gedacht. Zu dieser Zeit ar- beitete Delle in der Hamburger Zentrale des Malervereins. Nach drei Jahren verzog die Familie in die Rosenstraße 71 (heute: Gar- tenstadtweg), 1926 in die Bramfelderstraße 168. Gustav Delle war gleich nach seinem Zuzug auch in Wands- bek politisch engagiert. Er wurde für die SPD Stadtverordneter, seit 1919 hatte er die Position eines besoldeten Stadtrats und De- zernenten für das Wohlfahrtswesen in Wandsbek, der Kreisstadt des zu Preußen gehörenden Kreises Stormarn, inne. In diesem Amt erwarb er hohes Ansehen, war gleichermaßen kompetent, arbeitsam und beliebt, sodass er 1931 bei der Wahl zum Zweiten Bürgermeister der Stadt Wandsbek erfolgreich war. Aus diesem Amt wurde er in der NS-Zeit von den neuen Machthabern ent- fernt. Bei den preußischen Kommunalwahlen, die letztmalig am 12. März 1933 stattfanden, fehlte Delle als prominenter Kandidat der SPD. Er saß in Haft. Kurz danach trat am 7. April die Wands- beker Stadtverordnetenversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Statt Gustav Delle wurde der Kreisleiter der NSDAP Willy Eggers zum kommissarischen Zweiten Bürger- meister bestimmt. Eine demokratische Wahl gab es nicht mehr. Der amtierende Wandsbeker Oberbürgermeister Friedrich Zieg- ler war 1931 noch als Kandidat der Deutschen Volkspartei (DVP) mit den Stimmen der SPD gewählt worden. Jetzt bekannte er sich zum NS-Regime und zeigte bei der Entlassung Gustav Delles of- fen seine nationalsozialistische Gesinnung. Am Tag der konsti- tuierenden Sitzung der Wandsbeker Stadtverordnetenversamm- lung war zeitgleich das „Gesetz zur Wiederherstellung des Be- rufsbeamtentums“ im Deutschen Reich erlassen worden. Dieses schuf die „rechtliche“ Grundlage, jüdische und politisch misslie- bige Beamte aus dem Dienst zu entfernen. Ziegler wählte als 22 Entlassungsgrund für Delle den § 2 dieses Gesetzes: „Beamte, die seit dem 9. November 1918 in das Beamtenverhältnis eingetreten sind, ohne die für ihre Laufbahn vorgeschriebene oder übliche Vor- bildung oder sonstige Eignung zu besitzen, sind aus dem Dienste zu entlassen.“ Ziegler unterstellte Delle mangelnde Eignung und Vorbildung. Das wollte selbst das NS-geführte preußische Innen- ministerium nicht akzeptieren. In der Zurückweisung des Zieg- lerschen Ansinnens hieß es, Delles Lauterkeit der Gesinnung, seine einwandfreie Amtsführung und die in 13 Jahren für die Stadt erbrachten Leistungen seien nicht in Zweifel zu ziehen. Delle wurde dennoch entlassen, aber nach § 4 des genannten Ge- setzes: „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen wer- den.“ Delle musste ein — wenn auch geringes — Ruhegeld ge- zahlt werden. Auch Delles Schwiegersohn wurde 1933 aus dem Dienst bei der Stadt Wandsbek wegen „politischer Unzuverläs- sigkeit" entlassen. Der parteilose, hoch angesehene Altbürger- meister Wandsbeks, Erich Wasa Rodig, setzte sich für die Wei- terverwendung Gustav Delles im Staatsdienst in einem Schrei- ben an den preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring (NSDAP) ein. Rodig bescheinigte Delle hervorragende fachliche Fähigkeiten. Rodigs Bemühungen blieben nicht nur erfolglos, sie riefen eine höhnische Gegenstellungnahme von Oberbürger- meister Ziegler hervor. Darin hieß es: „Falls Bürgermeister a.D. Delle sich zur Mitarbeit in der Wohlfahrtspflege in seinem jetzigen Wohnort Ahrensburg zur Verfügung stellen will, ist ihm hierfür in der von der NS-Volkswohlfahrt betreuten Winterhilfe reichlich Ge- legenheit geboten." Delle war aufgrund des aufgeheizten politi- schen Klimas in Wandsbek mit seiner Familie in die Nachbar- stadt Ahrensburg umgezogen.

23 Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurden reichsweit im Rahmen der sogenannten Aktion Gewitter NS-Gegner verhaftet. Gustav Delle wurde am 22. August 1944 festgenommen. Der Chef der Gemeindepolizei Gramm und der Polizist Claussen übergaben ihn der Gestapo, die Gustav Delle ins KZ Neuengamme verschleppte. Dort musste er an medizini- schen Experimenten mit reinem Salicyl teilnehmen, dem Wirk- stoff des Schmerzmittels Aspirin. Bei höheren Dosierungen und längerfristiger Einnahme konnten starke Magenbeschwerden und Magenblutungen auftreten. Die Nebenwirkungen führten dazu, dass sich ein bereits vorhandenes Magenleiden Delles ver- schlechterte. Zudem führten ihn körperliche Misshandlungen an den Rand des Zusammenbruchs. Aufgrund der Intervention ei- nes Bekannten wurde er am 1. November 1944 aus dem KZ ent- lassen. Es war jedoch schon zu spät. Gustav Delle erholte sich nicht mehr. Er starb am 25. April 1945 auf dem Transport von Ahrensburg in das Krankenhaus Bad Oldesloe. In Ahrensburg, seinem langjährigen Wohnort, widmete man ihm schon 1946 eine Straße in der Siedlung Steinkamp. 1947 wurde eine Wandsbeker Straße nach ihm benannt. Da das ehemalige Wandsbeker Rathaus an der Königstraße 12 (heute: Wandsbeker Königstraße) nicht mehr existiert, wurde der Stolperstein zur Erinnerung an 5 Stolperstein Gustav Delle Gustav Delle direkt vor dem Ein- gang des neuen Wandsbeker Rathauses und ehemaligen Stor- marnhauses, dem Bezirksamt Wandsbek, in der Schloßstraße 60 verlegt.

24 Gedenkplatte Helmuth James Graf von Moltke

Historischer Friedhof Wandsbek neben der Christuskirche Wandsbek, U-Bahn/ZOB Wandsbek-Markt

Vor dem Kreuz für den königlich-dänischen Generalleutnant Friedrich Philipp Victor von Moltke (1768-1845) liegt auf dem Historischen Friedhof Wandsbek, heute Teil einer Grünanlage, eine Gedenkplatte für seinen Verwandten Helmuth James Graf von Moltke. Neben Geburts- und Todesdatum (11.3.1907- 23.1.1945) ist der Psalm 101:6 „Meine Augen sehen nach den Treuen im Lande“ eingraviert. Diese Platte wurde am 65. Geburtstag

6 Gedenkplatte Helmuth James Graf von Moltke Moltkes am 11. März 1972 vom Hamburger Moltke-Kreis enthüllt. Helmuth James Graf von Moltke war von seinen nationalsozialis- tischen Henkern ein Grab verweigert worden. Nach seiner Hin- richtung im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee wurde seine Leiche verbrannt und die Asche über ein Rieselfeld Berlins verstreut. Es 25 sollte keine Erinnerung an ihn durch eine Grabstätte bleiben, an der man seiner gedenken und Blumen niederlegen kann. Es brauchte in der Bun- desrepublik lange Zeit, bis der Widerstand gegen den Natio- nalsozialismus, für den Moltke und andere standen und stehen, gewürdigt wurde. An dieser Wandsbeker Ge- denkplatte wurde und wird — wie hier gezeigt, durch Ham- burgs ehemaligen Bürger- meister Henning Voscherau (SPD) — Moltkes gedacht. Helmuth James Graf von Moltke wuchs auf dem schle- sischen Gut Kreisau und in Berlin auf. Nach dem Abitur 7 Henning Voscherau ehrt von Moltke studierte er Jura. Angesichts der Armut und des Elends in Schlesien beteiligte er sich an der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft, einer Initiative zur Verbesse- rung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse in seiner Heimat. Nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft hielt er Kontakt zu Freunden aus dieser Zeit. Ihn erschütterten die antijüdischen Maßnahmen in Deutschland. Er überlegte auszuwandern. Er stu- dierte in England, um als englischer Rechtsanwalt zugelassen zu werden. Moltke suchte nach einer aktiven Rolle gegen den Nati- onalsozialismus. Er versuchte angesichts der drohenden Kriegs- gefahr mit seinen Überlegungen die britische Appeasement-Po- litik zu beeinflussen und gleichzeitig Kontakt zu Personen in Deutschland und im Ausland zu halten, die Hitlers Angriffspläne ablehnten. Unter dem Eindruck der „Sudetenkrise“ und der

26 Zerschlagung der Tschechoslowakei verdichtete sich seine oppo- sitionelle Haltung. Moltke wurde ins Oberkommando der dienst- verpflichtet. Als Sachverständiger für Völkerrecht setzte er sich dafür ein, dass Deutschland in der Kriegsführung am internatio- nalen Recht festhält. Er ging Meldungen über nationalsozialisti- sche Kriegs- und Gewaltverbrechen nach. Er berichtete seiner Frau Freya in Briefen von den nationalsozialistischen Massenver- brechen und der Existenz von „Tötungsfabriken“. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges fanden auf Moltkes niederschlesischem Gut Kreisau regelmäßige Treffen von Mit- streitern des später von der Gestapo so benannten „Kreisauer Kreises“ statt. Dieser Kreis war keine festgefügte politische Gruppe. Seine Mitglieder stammten aus verschiedenen gesell- schaftlichen Schichten: Personen aus dem Adel, dem Bürgertum, der Arbeiterbewegung, dem Protestantismus und dem Katholi- zismus. Bekannte Namen neben Helmuth James Graf von Moltke und seiner Frau Freya sind die Aristokraten Peter Graf York von Wartenburg, Carl Dietrich von Trotha, Horst von Einsiedel und Adam von Trott zu Solz, die Sozialdemokraten Adolf Reichwein, Carlo Mierendorff, Julius Leber und Theodor Haubach, die Jesu- itenpatres Augustin Rösch und Alfred Delp, der evangelische Ge- fängnispfarrer Harald Poelchau und der evangelische Theologe Eugen Gerstenmaier. Um vor Spitzeln sicher zu sein, war es über- lebenswichtig, sich untereinander gut zu kennen und nichts un- vorsichtig nach außen dringen zu lassen. Eine verlässliche Ver- netzung gelang. Die Gruppe in Kreisau erörterte in verschiedenen Arbeits- gruppen und Tagungen trotz unterschiedlicher religiöser, politi- scher und sozialer Auffassungen gemeinsame Pläne für einen de- mokratischen Neubeginn in Deutschland nach dem Ende des NS-Regimes. Die entstandenen Entwürfe waren eher allgemein abgefasste Leitlinien, denen ein christlich geprägtes 27 Menschenbild zugrunde lag. Im Mittelpunkt stand der einzelne Mensch, insbesondere die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, was sich vor allem gegen die nationalsozialistische „Volksge- meinschaft“ richtete. Grundprinzip des Staatsaufbaus sollten „kleine Gemeinschaften“ in einem föderalen Staat sein, um zu- künftig eine zentralistisch organisierte, leicht manipulierbare Massengesellschaft zu verhindern. Hierbei wurde die aktive Mit- arbeit jedes Einzelnen eingefordert. Der Aufbau von unten wi- dersprach dem vorhandenen Obrigkeitsstaat mit seiner Befehls- struktur. Auch die Wirtschaft sollte demokratisch gestaltet wer- den. Zur Sicherung des Friedens wurden eine gesamteuropäische Ordnung und eine europäische Union, ein europäischer Bundes- staat, angestrebt. Während die ersten beiden großen Tagungen in Kreisau noch in der Zeit der deutschen militärischen Erfolge stattfanden, hatte sich bei der dritten Tagung im Juni 1943 die Kriegslage zuunguns- ten der deutschen Seite verändert. Die Schlacht um Moskau war verloren gegangen. Die 6. Armee hatte in Stalingrad kapituliert. In dieser Zeit waren die Massenverbrechen der Wehrmacht und der SS bekannt geworden. In Erwartung der Niederlage fassten Moltke und York die Ergebnisse der Kreisauer Treffen zusam- men. Man hoffte auf einen Staatsstreich des Militärs, den man sich schon zu Beginn des Krieges gewünscht hatte. Am 18. Januar 1944 wurde Moltke von der Gestapo verhaftet, nachdem er tele- fonisch seinen Freund Otto Carl Kiep vor dessen bevorstehender Verhaftung gewarnt hatte. Das Fehlen Moltkes wirkte sich auf den Zusammenhalt der Kreisauer Gruppe aus. Sie zerfiel. Einige schlossen sich der Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffen- berg an, die das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 vorbereitete. Nach dessen Scheitern wurden die meisten „Kreisauer“ festge- nommen. Bereits vorher waren neben Moltke auch Reichwein und Le- ber verhaftet worden. Moltke wurde beschuldigt von den 28 Attentatsplänen des 20. Juli 1944 gewusst zu haben. Im Januar 1945 wurde er gemeinsam mit dem Jesuitenpater Delp und wei- teren Mitgliedern des Kreisauer Kreises vor dem Volksgerichts- hof angeklagt und zum Tode verurteilt. Am 23. Januar 1945 wurde er in Berlin-Plötzensee ermordet.

8 Helmuth James Graf von Moltke Die Witwe von Helmuth James Graf von Moltke, Freya von Moltke, hatte nach Kriegsende im Oktober 1945 Kreisau verlas- sen. Das Gut ging auf einen staatlichen landwirtschaftlichen Be- trieb im neuen Polen über. Sie erhob in der Folgezeit keinerlei Besitzansprüche auf das ehemalige Gut. Aber sie hatte den Wunsch, hier eine Gedenktafel für Helmuth James von Moltke und den Kreisauer Widerstandskreis anbringen zu lassen. Dieser Versuch scheiterte, auch wenn er vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) unterstützt wurde. Erst Ende der 1980er Jahre, nach dem Ende der sozialistischen Regierungszeit in Po- len, kam es über Initiativen Ostberliner Theologen, des Kluby

29 Inteligencji Katolickiej (Klub der Katholischen Intelligenz) und von Aktion Sühnezeichen zu einer länderübergreifenden Bürger- initiative, in Krzyżowa (Kreisau) eine Internationale Begeg- nungsstätte einzurichten („Stiftung Kreisau für Europäische Ver- ständigung“). Diese Stiftung ist heute zugleich Gedenkstätte, in- ternationale Jugendbegegnungsstätte und Europäische Akade- mie. Sie fühlt sich dem Andenken Helmuth James Graf von Molt- kes verpflichtet. Ein Gedenkstein wurde in Krzyżowa im September 1989 ge- setzt.

„… ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheb- lichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der In- toleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat.“ 4

30 Jüdische Gedenkorte im Bezirk Wandsbek

Nur knapp ein Prozent der Bevölkerung im Deutschen Reich war zu Beginn der Weimarer Republik jüdischen Glaubens, rund 600.000 Menschen. Die meisten von ihnen lebten in Großstäd- ten wie Berlin, Frankfurt und Hamburg. Ein Drittel arbeitete in den Bereichen Handel und Gewerbe. Viele waren Ärzte und An- wälte. In Wandsbek war der jüdische Bevölkerungsanteil geringer als im Reichsdurchschnitt (ca. 0,7 %). Die Volkszählung von 1925 ergab für Wandsbek und die zur Wandsbeker Gemeinde zählen- den kleineren Orte Stormarns wie Rahlstedt, Wellingsbüttel und Sasel 225 sogenannte Glaubensjuden. Die Volkszählung von 1939 wies fast dieselbe Anzahl auf, bezog sich allerdings auf den Stadt- bezirk 10, der in etwa das Gebiet des heutigen Bezirks Wandsbek umfasste. Die Zahl der durch NS-Unrecht Verfolgten im Bezirk Wandsbek betrug jedoch mindestens 450 Menschen, darunter etliche, die durch die Nürnberger Rassegesetze ausgegrenzt wor- den waren. In der beruflichen Zusammensetzung überwogen Kaufleute und Einzelhändler neben Akademikern wie Ärzten und Rechts- anwälten: Dr. Ernst Heppner, Dr. Willy Victor, Dr. René Heim- berg, Dr. Bernhard Freudenthal, Dr. Emil Hartogh, Dr. Fritz Pa- gel, Dr. Alwin Gerson, Prof. Dr. Julius Pohl und der Wirtschafts- wissenschaftler Prof. Dr. Eduard Heimann. Oftmals waren sie die ehrenamtlichen Funktionsträger der Gemeinde. Der Hausmakler Benny Wolf Beith war bis zur Eingliederung der Wandsbeker in die Großhamburger Gemeinde jahrzehntelang ihr Vorsitzender. In der Weimarer Republik erhielten Juden erstmals in der deutschen Geschichte die vollständige staatsbürgerliche Gleich- stellung zugesprochen. Es gab einerseits ein unproblematisches 31 Neben- und Miteinander von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen, andererseits bedingten die sozialen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg ein Ansteigen des bereits im Kaiser- reich vorhandenen Antisemitismus, ausgerichtet auf einen völki- schen Rassegedanken. Juden wurden zu Sündenböcken für die Kriegsniederlage und die wirtschaftliche Not gemacht. Die Angst vor einer vermeintlich überlegenen jüdischen Konkurrenz ver- festigte besonders bei Kleinhändlern, Ärzten und Anwälten eine oft schon bestehende Judenfeindschaft. Nach der Oktoberrevolution in Russland war der Mythos von der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ entstanden. Revolutionäre Tendenzen in Deutschland wurden dem zugeord- net. In der deutschen Novemberrevolution 1918 stammten pro- minente Akteure aus jüdischen Familien. Rosa Luxemburg und andere Sozialisten galten als „Sendboten des jüdischen Bolsche- wismus“. Entsprechend wurde auch gegen die „verjudete“ Wei- marer Republik und ihre Repräsentanten gehetzt. Rosa Luxem- burg wurde im Januar 1919 genauso wie im August 1921 der als „Judengenosse“ bezeichnete ehemalige Vizekanzler Matthias Erzberger, Politiker der katholischen Deutschen Zentrumspartei (kurz: Zentrum), und im Februar 1922 der jüdische Außenminis- ter des Deutschen Reiches, Walther Rathenau, Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), von Rechtsradikalen ermordet. Mit Beginn der 1930er Jahren häuften sich Überfälle und Anschläge auf jüdische Bürger und Geschäfte. Dieses führte u.a. dazu, dass sich viele von ihnen aus der Öffentlichkeit zu- rückzogen. Der Rücktritt der beiden jüdischen Hamburger Sena- toren Max Mendel (SPD) und Carl Cohn (DDP) im Juni 1929 wird dementsprechend als Zurückweichen vor dem erstarkten Antise- mitismus eingeschätzt.5

32 Die Machtübergabe an Adolf Hitler im Jahr 1933 führte zu einem Bruch in der deutsch-jüdi- schen Geschichte. Der Prozess der Assimila- tion, der gleichberech- tigten kulturellen An- gleichung, wurde abrupt beendet. Der Antisemi- tismus wurde nunmehr Staatsideologie. Juden drohte nicht nur von einzelnen Judenhassern Gefahr, sondern von den Staatsorganen selbst. 9 Boykottaufruf: »Deutsche kauft nicht bei Mit ihren systematisch Juden« vorbereiteten und ange- legten Aktionen wie dem sogenannten Judenboykott am 1. April 1933 veränderte der NS-Staat das politische Klima. Überall hin- gen jetzt Schilder mit der Aufschrift: Deutsche, kauft nicht bei Juden“. Vor Läden, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien„ jüdi- scher Inhaber versuchten SA-Männer, Kunden, Patienten und Klienten am Betreten der jeweiligen Räumlichkeiten zu hindern, so in Wandsbek vor dem Bekleidungsgeschäft „Geschwister Korn“, den Ärzten Dr. Ernst Heppner und Dr. Emil Hartogh so- wie den Anwälten Dr. Jacobsen und Dr. Siegmund Fürth. Vor dem Haus von Dr. Ernst Heppner wurde von Nationalsozialisten ein Schild aufgestellt mit der Aufschrift: „Jüdischen Ärzten über- lasset nicht deutsche Gesundheit!“ (siehe Abbildung 10)

33 Mit dem „Gesetz zur Wie- derherstellung des Be- rufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 wurden jüdi- sche und politisch miss- liebige Beamte aus dem Staatsdienst entfernt. Analog wurde später mit Ärzten, Rechtsanwälten und anderen Berufstäti- gen verfahren. Im Okto- ber 1933 wurden Juden 10 Boykottmaßnahme gegen den Arzt mit Hilfe des sogenann- Dr.Ernst Heppner ten Schriftleitergesetzes aus den Presseberufen vertrieben. Juden wurden vom Wehrdienst ausgeschlossen. Im September 1935 wurden die sogenannten Nürnberger Gesetze erlassen. Ehe- schließungen sowie außereheliche Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden wurden verboten und unter Strafe gestellt. Na- hezu täglich gab es neue antijüdische Bestimmungen. Der Zutritt zu Kinos, Schwimmbädern, Parkanlagen und Gaststätten wurde Juden untersagt. Im April 1938 wurde die Anmeldepflicht für jü- disches Vermögen verordnet. Im Mai 1938 wurden die jüdischen Betriebe von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen. Ab Juni 1938 mussten alle jüdischen Wirtschaftsbetriebe gekenn- zeichnet sein. Bereits kurz nach der nationalsozialistischen Machtüber- nahme hatten auch in Wandsbek Maßnahmen zur „Ausschal- tung der Juden“ aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben begon- nen.6 Alle 1933 in Wandsbek ansässigen Betriebe mit jüdischen Inhabern verloren nach und nach ihre Existenzgrundlage. Sie wurden ohne Ausnahme „arisiert“. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam es zu einem groß angelegten Pogrom ge- gen jüdische Mitbürger. 34 11 Flugblatt der NSDAP Wandsbek (1935)

35 In der nationalsozialistischen Propaganda wurde der Angriff auf jüdische Geschäfte, Privathäuser und Synagogen passend zu den geplanten Zerstörungen zynisch als „Reichskristallnacht“ be- zeichnet. Am Eingang der Wandsbeker Synagoge wurde Feuer gelegt, die Leichenhalle auf dem jüdischen Friedhof wurde auf- gebrochen. Noch bestehende jüdische Unternehmen in Wands- bek wie das Bekleidungsgeschäft „Geschwister Korn“, dasjenige von Hermann Semler sowie das Kaufhaus „Amles“ in der Wands- beker Chaussee 154-156 wurden demoliert. Das Schuhgeschäft „Gebrüder Behr“ wurde geschlossen. Sein Besitzer Jacob Fränkel wurde verhaftet und blieb bis zum 6. Dezember 1938 in Haft. Das Attentat auf den Legationsrat der deutschen Botschaft in Paris, Ernst von Rath, am 7. November 1938 durch den siebzehn- jährigen polnischen Juden Herschel Grynspan wurde zum Anlass für den reichsweit geplanten und angeordneten Terrorakt ge- nommen — eine Mord-, Brandstiftungs-, Raub- und Vertrei- bungsaktion bisher nicht gekannten Ausmaßes. Juden durften jetzt keinen Handel, kein Handwerk und kein Gewerbe mehr betreiben. Diskriminierungen, Verbote und Auf- lagen wurden immer mehr und bestimmten das gesamte alltäg- liche Leben. Wer konnte, wanderte aus. Als „Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit“ für die „feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deut- schen Volk“ verlangte der NS-Staat eine Milliarde Reichsmark von Deutschen jüdischen Glaubens und trieb diese ein. Dabei griff der NS-Staat auf die im Frühjahr 1938 erlassene Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden zurück. Realer Hintergrund dieser Strafsteuer war die kritische Lage der Reichs- finanzen aufgrund der Aufrüstung. Die Verfolgungsmaßnahmen eskalierten. Reisepässe von Ju- den wurden eingezogen; Neuausstellungen wurden mit einem großen „J“ versehen. Dadurch wurde eine Ausreise erschwert.

36 Arbeitslose Juden wurden zu Zwangsarbeiten verpflichtet. Ab 1. Januar 1939 hatten Juden Schmuck und Edelmetalle abzuliefern. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde eine allgemeine Ausgangsbeschränkung für Juden ab 20 Uhr verordnet. Juden mussten Radioapparate abliefern. Das Einkaufen wurde erst ab 15.30 Uhr erlaubt. Juden wurden Telefonanschlüsse gekündigt. Zwangsweise mussten Juden die jüdischen Vornamen Sara bzw. Israel annehmen. Ab 1. September 1940 mussten Juden den „Gel- ben Stern“ tragen. Juden mussten „arische“ Wohnhäuser räumen und in sogenannte Judenhäuser ziehen. Während der „Polenak- tion“ waren im Oktober 1938 Juden polnischer Staatsangehörig- keit abgeschoben worden, ein Jahr später — nach dem Überfall auf Polen — wurden rund viertausend österreichische Juden ins besetzte polnische Nisko deportiert. Ab Oktober 1940 begannen weitere Massendeportationen. Nach der Wannseekonferenz im Januar 1942 wurde der begonnene Holocaust auf die gesamte jü- dische Bevölkerung in den von den Nationalsozialisten be- herrschten Ländern Europas erweitert. Bereits zu Beginn der NS-Herrschaft war die Zahl der Wands- beker Gemeindeangehörigen durch Emigration drastisch gesun- ken. Das überaus rege, aufblühende Gemeinwesen in Wandsbek — so das Hamburger Familienblatt für die Israelitischen Ge- meinden Hamburgs, Altonas und Wandsbeks — hörte wie auch andernorts auf, spätestens mit dem letzten Gottesdienst in der Synagoge 1938. Viele Wandsbeker Juden emigrierten aufgrund der bald einsetzenden Verfolgungsmaßnahmen — vor allem nach Palästina. Etwa der Hälfte der Wandsbeker Juden gelang bis 1941 die Flucht aus Deutschland. Andere zogen in die Großstadt Hamburg, um in deren Anonymität besser geschützt zu sein, was jedoch nichts nützte. Nahezu alle in Wandsbek bzw. Hamburg verbliebenen Wandsbeker Juden überlebten nicht. Die meisten wurden ab 1941 in die Vernichtungslager deportiert und dort er- mordet. 37 Gedenkstein Wandsbeker Synagoge

Dotzauer Weg, Nähe U-Bahn Wandsbek-Markt

12 Synagoge Wandsbek

Die Synagoge der Wandsbeker Gemeinde 7, ein schlichter Back- steinbau mit Rundbogenfenstern, wurde im Sommer 1840 einge- weiht; sie befand sich in Ost-West-Richtung auf einem Hinter- hofgelände der Wandsbeker Straße Langereihe 13-16, der heuti- gen Königsreihe. Sie war über einen zwischen den beiden Vor- derhäusern verlaufenden Durchgang zu erreichen. So war die Sy- nagoge dem Blickfeld der nichtjüdischen Umwelt entzogen. Im Synagogenraum konnten bis zu 90 Männer und bis zu 80 Frauen Platz finden. Eine Gemeindeschule wurde der Synagoge ange- gliedert. 1863 übernahm David Hanover das Amt des Rabbiners. Seit 1902 bis zur Auflösung der eigenständigen Gemeinde

38 Wandsbek 1938 amtierte der zunächst vom preußischen Staat besoldete Dr. Simon Simcha Bamberger als Rabbiner. Anfang der 1930er Jahre gehörten der Wandsbeker Gemeinde etwa 200 Personen an. Die Besucherzahlen der Wandsbeker Sy- nagoge sanken ab 1933 deutlich. Die Finanzlage der Wandsbeker Gemeinde verschlechterte sich in der NS-Zeit erheblich. Im Mai 1933 stellte Preußen die Zuschüsse zur Besoldung der Rabbiner ein. Die Insolvenz der Gemeinde drohte. Die gemeindliche Reli- gionsschule musste geschlossen werden. Die Ausgaben mussten immer wieder gesenkt und gleichzeitig die Mitgliedsbeiträge er- höht werden. Trotz dieser Situation suchte die Jüdische Ge- meinde Wandsbek weiter einen Kantor. Anfang 1934 wurde Sieg- mund Cahn eingestellt. Er übte diese Tätigkeit bis zum 1. Januar 1938 im Nebenberuf aus. Sein Haupteinkommen verdiente er als Handelsvertreter. Als nach Erlass des Groß-Hamburg-Gesetzes 1937 die Eingliederung der Jüdischen Gemeinde Wandsbek in die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg vollzogen wurde, wurde Cahn zunächst Kantor in Hamburg. Ansonsten konnte er keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen und lebte in sehr ärm- lichen Verhältnissen. Anfang 1942 musste er mit seiner Frau in ein sogenanntes Judenhaus in der Dillstraße 15 umziehen. Beide wurden am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert und dort er- mordet.8 Seit 1936 verlangte die Gestapo Wandsbek, dass sie durch die Jüdische Gemeinde über deren Aktivitäten fortlaufend unter- richtet wird. Im Sommer 1938 wurden die regelmäßigen Gottes- dienste in der Wandsbeker Synagoge eingestellt, da es immer weniger Mitglieder in der Wandsbeker Jüdischen Gemeinde gab. Zu Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, fand Anfang Oktober 1938 der letzte Gottesdienst in dieser Synagoge statt. Einige Tage nach der reichsweiten Pogromnacht vom 9. No- vember 1938 wurde auch die Wandsbeker Synagoge geschändet; einer Brandlegung entging das Gebäude nur deshalb, weil es 39 mitten in einem Wohngebiet lag. Am 15. Februar 1939 kam es vor dem Amtsgericht Wandsbek zum Zwangsverkauf des Synago- gengrundstückes mit den Häusern Langereihe 13-16. Käufer war der Wandsbeker Kaufmann August Lorenzen, der

13 Einweihung des Gedenksteins für die Synagoge 1988 die Immobilie zu einem sehr geringen Preis — weit unter Wert — erwarb. Das Gebäude wurde zu einem Holzlager umfunktio- niert. 1941 begannen die Behörden auf dem nördlichen Teil des Grundstücks mit dem Bau eines Luftschutzbunkers, der heute noch existiert. Das ehemalige, inzwischen mehrmals umgebaute, nun marode Synagogengebäude wurde 1975 abgerissen. Im Jahre 1988 setzte die Bezirksversammlung Wandsbek im Dotzauerweg, gegenüber dem jetzt mit einem Wohnhaus über- bauten Grundstück der Synagoge einen Gedenkstein zur Erinne- rung an die einstige jüdische Gemeinde und die Synagoge in Wandsbek. Die seinerzeitige Bezirksamtsleiterin Ingrid Soehring

40 (CDU) begrüßte die Tochter des letzten Wandsbeker Rabbiners Hella Rosenheim, geborene Bamberger, zu dieser Feierstunde. Der Gedenkstein trägt folgenden Text:

An der früheren Straße Lange Reihe stand die Synagoge der Israelitischen Gemeinde in Wandsbek. Das Gotteshaus wurde 1840 eingeweiht. Sein Stifter war Isaak Hartwig (1776-1842). Zuvor gab es einen Betsaal an dieser Straße. Hier wirkten die Rabbiner: Dr. David Hannover (1833-1901) und Dr. Simon S. Bamberger (1871-1961). Wegen des reichs- weiten Novemberpogroms paßte die Schutzpolizei auf, daß um den 10.11.1938 hier kein Feuer gelegt wurde. Später je- doch drangen Männer der SA in das Gebäude ein und ran- dalierten dort. Das Grundstück mußte 1939 verkauft wer- den. Im Krieg wurde das Gebäude 1943 ausgebombt. ACHTE ALLZEIT GLAUBEN UND DENKEN ANDERER! Bezirksversammlung Wandsbek 1988

Erna Fratje Michelsohn wurde 1882 als Tochter von Sophie und Naphtali Hirsch in Wandsbek gebo- ren. Ernas Vater, von Beruf Schlachter, war Schriftfüh- rer in der Jüdischen Ge- meinde Wandsbek. Die Fa- milie wohnte in der Straße 14 Stolpersteine Michelsohn Langereihe 58 (heute: Kö- nigsreihe), ganz in der Nähe der Wandsbeker Synagoge. 1903 heiratete Erna den aus dem lettischen Bauska stammen- den Kaufmann Moses Moritz Michelsohn. Erna und Moritz Mi- chelsohn ließen sich in Hamburg trauen, die religiöse Zeremonie

41 fand drei Tage später in Wandsbek statt. Das junge Ehepaar lebte zuerst in Harvestehude in der Isestraße 45. Zwei Söhne wurden geboren: Oskar am 13. Juli 1904 und Werner am 28. Juli 1907. Mo- ritz Michelsohn trat in die Hamburger Firma seines Vaters ein. Diese verkaufte sehr erfolgreich Schuhwaren aller Art im Mer- kurhof in der Kaiser-Wilhelm-Straße 89/91. Moritz Michelsohn starb 1930, sein Sohn Werner ein Jahr später. Nach den beiden Todesfällen zog Erna Michelsohn zunächst zu ihrer Mutter So- phie Hirsch nach Wandsbek. Ab Mitte der 1930er Jahre wohnte sie bei ihrem Sohn Oskar in der Schlankreye 67. Täglich mussten sie die antijüdischen Anfeindungen, Ausgrenzungen, Boykotte und Verbote miterleben. Oskar Michelsohn wurde am 14. Juni 1939 zu einer „Besprechung“ vorgeladen, während der er seine Vermögensverhältnisse offenlegen musste. Daraufhin ordnete die Finanzbehörde mit sofortiger Wirkung eine „Sicherung des Vermögens“ an, d.h. sie sperrte es. „Herr Oskar Israel Micha- elsohn ist Jude. Es ist damit zu rechnen, dass er in nächster Zeit auswandern wird. Nach den in letzter Zeit mit auswandernden Ju- den gemachten Erfahrungen ist es notwendig, Verfügungen über das Vermögen nur auf Genehmigung zuzulassen.“ Wie immer in solchen Fällen, erhielten zahlreiche Dienststellen, Ämter, darun- ter die Gestapo Hamburg, sowie die kontoführende Bank (hier: die Dresdner Bank) Kenntnis von dem Vorgang. Während der jüdische Eigentümer eines Vermögens jede Abhebung genehmi- gen lassen musste, konnte der Staat Steuern und öffentliche Ab- gaben wie die „Sühneleistung“ direkt abbuchen lassen. Ende September 1939 zog Oskar Michelsohn nach Hamburg- Wandsbek ins Haus seiner Großmutter, wo auch seine Mutter inzwischen wieder lebte. Nachdem die Devisenstelle das Vermö- gen des Sohnes sichergestellt hatte, konzentrierte sie sich nun auf das der Mutter und sperrte dieses ebenfalls. Auf den Steuerkarten des Jüdischen Religionsverbandes von Erna und Oskar Michelsohn findet sich der Vermerk „8. Nov. 1941 42 Aussiedelung.“ An diesem Tag fand der erste Transport aus Ham- burg mit 968 Jüdinnen und Juden vom Hannoverschen Bahnhof ins Getto Minsk statt. Mindestens 952 von ihnen kamen ums Le- ben. Vor der Abfahrt wurde sämtlichen Juden in der Deportati- onsverwaltung abgenötigt, folgenden Text zu unterschreiben: „Ich, der unterzeichnete Jude, bestätige hiermit, ein Feind der deutschen Regierung zu sein und als solcher kein Anrecht auf das von mir zurückgelassene Eigentum zu haben. Meine deutsche Staatsangehörigkeit ist hiermit aufgehoben, und ich bin vom 8. November 1941 ab staatenlos.“ Überraschend wurden Erna und Oskar Michelsohn zunächst von der Deportation zurückgestellt. Hingegen wurde die Tante von Erna Michelsohn, Sophie Hirschs jüngere Schwester Char- lotte Salomon (Jg. 1862), ins Getto Minsk deportiert. Am 20. Januar 1942 fand die sogenannte Wannsee-Konferenz unter dem Vorsitz des Chefs der Sicherheitspolizei, SS- Obergruppenführer Reinhard Heydrich, in Berlin statt. Heydrich hatte im Juli 1941 den Befehl erhalten, die „Endlösung der Juden- frage“ zu organisieren und die beteiligten Instanzen zu koordi- nieren. Hierzu gehörte der zeitliche Ablauf der Massenmorde. Ende März 1942 begannen die ersten Transporte von Juden in das Vernichtungslager Auschwitz. Im Juli 1942 verhaftete die Gestapo Erna und Oskar Mi- chelsohn und verhörte sie im Stadthaus. Danach wurden sie ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel verschleppt, wo sie bis zum 12. Feb- ruar 1943 inhaftiert blieben. Gemäß der Anordnung, dass jüdi- sche Häftlinge in das Vernichtungslager Auschwitz zu überstel- len waren, wurden Mutter und Sohn am 19. Februar 1943 von Ber- lin aus dorthin deportiert und ermordet. Ihr Vermögen zog das Deutsche Reich unverzüglich ein.

Nachdem ihre Tochter Erna und ihr Enkel Oskar Michelsohn in Gestapo-Haft genommen worden waren, lebte Sophie Hirsch 43 noch einige Monate allein in der Wandsbeker Langenreihe 58. Am 15. September 1942 musste sie ins jüdische Stiftshaus Bene- ckestraße 6 im Grindelviertel umziehen. Die sogenannten Juden- häuser Beneckestraße 2, 4 und 6 dienten als Sammelstelle für die sieben Deportationen im Jahre 1943. Fünf Tage nachdem Erna und Oskar Michelsohn aus dem KZ Fuhlsbüttel nach Auschwitz deportiert worden waren, wurde auch Sophie Hirsch ver- schleppt. Sie musste den Zug nach Theresienstadt am 24. Feb- ruar 1943 besteigen, wo sie zwei Tage später ankam und im Kon- zentrationslager registriert wurde. Sie starb dort am 19. Dezem- ber 1943, kurz vor ihrem 84. Geburtstag.

44 Gedenkstein für Rabbiner Simon Bamberger

Kattunbleiche/Ecke Litzowstraße, Nähe U-Bahn Wandsbek-Markt

15 Gedenkstein Simon Bamberger

Ein Gedenkstein am Alten Jüdischen Friedhof in der Kattunblei- che (vormals Langereihe) erinnert an den letzten Wandsbeker Gemeinderabbiner, Simon Simcha Bamberger (1871-1961). Der Alte Jüdische Friedhof war 1885 geschlossen worden. Der Fried- hof weist heute noch etwa 850 Grabsteine auf. Während der NS- Zeit wurde der Friedhof mehrfach geschändet, 1938 wurde die Trauerhalle aufgebrochen und demoliert. Zerstörungen fanden auch in der Folgezeit statt. Erst 1960 wurde der Friedhof unter staatlichen Denkmal- schutz gestellt. 45 Simon Bamberger entstammte einer in Würz- burg alteingesessenen Rab- binerfamilie. 9 Nach dem Erwerb des Rabbiner- diploms 1894 arbeitete er als Assistent am Rabbinat in seiner Geburtsstadt. 1899 zog er in das damals preußi- sche Inowrazlaw (später: Hohensalza), wo er als Rab- biner und Religionslehrer wirkte. Hier lernte er Bertha Cohn kennen, die er heira- 16 Porträt Simon Bamberger um 1930 tete. Am 1. Juni 1902 über- nahm er von David Hanover die Stelle des Gemeinderabbiners im ebenfalls preußischen Wandsbek. Hier gab er auch Religions- unterricht. Er betreute die kleinen Gemeinden im Kreise Stor- marn und die jüdische Jugend auf dem Land. Er war jahrelang Geschäftsführer des Verbandes der jüdischen Gemeinden Schles- wig-Holsteins und der Hansestädte Hamburg, Bremen, Olden- burg und Stade sowie Mitglied des Rates des Preußischen Lan- desverbandes jüdischer Gemeinden. Bis zum Jahr 1910 wurden drei Töchter geboren: Male (1903), Kela (1904), Hella (1910). Die Familie lebte in einer Wohnung in der Schloßstraße 2 d. Bamberger setzte sich für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen gleich welcher Religion in Wandsbek ein. Er übernahm leitende Verantwortung in ver- schiedenen Organisationen und Verbänden seiner Heimatstadt. Es verwundert daher nicht, dass er weit über seine Gemeinde hinaus in der Bevölkerung, bei Amtsträgern und Honoratioren hohes Ansehen genoss. Bamberger setzte sich gegen

46 aufkommenden Antisemitismus ein. So wandte er sich 1913 bei einem Besuch des Wandsbeker Oberbürgermeisters Erich Wasa Rodig gegen antisemitische Äußerungen vonseiten der Lehrer- schaft des Matthias-Claudius-Gymnasiums. Noch vor der NS- Zeit waren Bamberger und seine Familie antisemitischen An- schlägen ausgeliefert. So wurde 1930 sein Wohnhaus mit Parolen beschmiert: „Bamberger verrecke! Juda verrecke!“ Ein rotes Ha- kenkreuz neben der Haustür wies auf die Täter hin. Im selben Jahr emigrierte Bambergers Tochter Kela nach Palästina. Anfang 1935 folgte Male und wenig später die jüngste Tochter Hella. Bamberger besuchte seine Kinder dort und informierte seine Ge- meinde und weitere Interessenten über das Leben in Palästina und die Möglichkeiten sich nach einer Emigration dort zurecht- zufinden. Er machte ihnen Mut, das nationalsozialistische Deutschland zu verlassen. Im Israelitischen Familienblatt stand nach der Schließung der Wandsbeker Synagoge: „Die wenigen noch verbleibenden Familien mahnte er…daß ihre Häuser nicht ihre Gräber würden…“. Bamberger war verschiedenen Verfolgungsmaßnahmen aus- gesetzt. Als Vorsitzender der jüdischen Henry-Jones-Loge, einer 1887 in Hamburg gegründeten Organisation mit karitativen Zie- len, die zum Unabhängigen Orden B´nai B´rith gehörte, kam er kurzfristig in Schutzhaft. Die Gestapo löste im April 1937 B´nai B´rith in Deutschland wegen „staatsfeindlicher Umtriebe“ auf. Das gesamte Vermögen wurde durch den NS-Staat beschlag- nahmt. Nach einer angemeldeten nächtlichen Andacht in Wandsbek wurde Bamberger von der Gestapo verhaftet, verhört und erst am nächsten Tag wieder entlassen. Er wurde auf der Straße be- schimpft, Wände und Türen seiner Wohnung wurden be- schmiert. Büchersendungen wurden beschlagnahmt. Er zog von Wandsbek aus in die Schlüterstraße, leitete das noch bestehende Museum für jüdische Volkskunst und arbeitete in der 47 Gemeindebibliothek in der Beneckestraße 6. Er bereitete seine Auswanderung vor. Anfang 1939 emigrierte er nach Palästina. In der Nähe von Haifa kam er mit seinen Töchtern wieder zusam- men. 1961 starb Simon Bamberger im Alter von 90 Jahren. Seit 1984 erinnert ein Gedenkstein am Alten Jüdischen Fried- hof an ihn und sein Wirken.

17 Gedenkanlage Simon Bamberger

48 Die Frauen-Konzentrationslager im Bezirk Wandsbek

Ahrensburger Straße 162, Tonndorf Feldblumenweg, Sasel

In Wandsbek bestanden zwei Außenlager des Konzentrationsla- gers Neuengamme: von Juni 1944 bis Mai 1945 das KZ Drägerwerk an der Ahrensburger Straße 162 in Tonndorf und das KZ Sasel von September 1944 bis Mai 1945 am Feldblumenweg. In den bei- den Lagern wurden jeweils über 500 Frauen gefangen gehalten. Die Lebensbedingungen in den streng bewachten Lagern wa-

18 Tafel KZ Drägerwerk ren denkbar schlecht: Die Wohnbaracken waren überbelegt. Be- kleidung und Ernährung waren nicht ausreichend. Der Alltag wurde vor allem durch die schwere körperliche Arbeit in 12-Stun- den-Schichten und durch extreme Arbeitsbedingungen, Hunger sowie Auskühlung in den Wintermonaten bestimmt. Hinzu

49 kamen die alltäglichen Appelle, Schikanen, Misshandlungen und Terrorsituationen. Das im Nationalsozialismus verbreitete Bild von der Frau als sorgender Ehefrau und Mutter wurde in den Lagern ins Gegenteil verkehrt. Eheleute waren getrennt, Kinder den Müttern entris- sen worden. Mit unvorstellbarer Brutalität sollten die Persönlich- keit und die Identität der Häftlinge gebrochen werden. Schon seit Beginn des „Dritten Reiches“ wurde die sogenannte polizeili- che Schutzhaft auch ge- gen Frauen verhängt. In Deutschland bestand be- reits ab Oktober 1933 in Moringen bei Hannover ein Lager für weibliche „Schutzhäftlinge“. Durch immer neue Verhaf- tungsaktionen benötig- ten die Nationalsozialis- 19 Tafel KZ Sasel ten immer mehr und im- mer größere Konzentrationslager auch für Frauen. Zunächst wurde das KZ Lichtenburg in Sachsen ab Dezember 1937 zum zentralen Frauen-KZ. Nach den Pogromen im November 1938 und der Masseneinlieferung von verhafteten Juden in die Kon- zentrationslager wurde auch dieses Lager zu klein. Es wurde mit dem Aufbau eines wesentlich größeren Lagers in Ravensbrück bei Fürstenberg in der Uckermark begonnen. Über 130.000 Frauen und Kinder wurden hier in der NS-Zeit eingesperrt. Frauen wurden aus unterschiedlichen Gründen inhaftiert: Sie waren als politisch, rassisch, religiös, national oder sozial uner- wünschte Personen verfolgt und eingekerkert worden. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges kamen aus allen von der 50 deutschen Wehrmacht besetzten Ländern viele Menschen in die Konzentrationslager. Auch im Frauen-KZ Ravensbrück stieg die Zahl der ausländischen Häftlinge sehr stark an. 1943 begannen die Konzentrationslager, so auch das Frauen- KZ Ravensbrück, mit der Errichtung von Außenkommandos bzw. Außenlagern mit unterschiedlicher Belegstärke — nahezu ausschließlich bei Rüstungsbetrieben. Knapp 14.000 Frauen wa- ren aus dem Hauptlager Ravensbrück in die Außenlager des KZ Neuengamme, so auch im Sommer 1944 über tausend in das KZ Drägerwerk und das KZ Sasel, überstellt worden.

51 Gedenkstätte KZ Drägerwerk

Ahrensburger Straße 162, Zugang über Nordmarkstraße oder Parkplatzende McDonald's (Bus 9 ab U-Bahn Wandsbek-Markt oder S-Bahn Rahlstedt bis Nordmarkstraße)

Ab Juni 1944 wurden knapp 500 Frauen aus dem Konzentrati- onslager Ravensbrück zur Zwangsarbeit in das Drägerwerk Wandsbek verschleppt. Die meisten Frauen gehörten zur Gruppe der politischen Häft- linge. Sie hatten in ihrer Heimat Wider- stand gegen die deut- schen Besatzer ge- leistet. Es waren überwiegend junge und kräftige Frauen. Sie waren unter- schiedlicher Natio- nalität. Die größten Gruppen stammten aus Polen, Russland und der Ukraine. Sie wurden unmittelbar neben dem Betriebs- gelände des Dräger- werks in dem 20 Eingang Gedenkstätte KZ Drägerwerk Wandsbeker Außen- lager des KZ Neuen- gamme untergebracht. Es war das erste Frauen-KZ in Hamburg. Das Gelände wurde mit einem zweieinhalb Meter hohen Zaun, der unter Starkstrom stand, abgegrenzt. Auf dem eigentlichen ca. 6.000 qm großen Lagergelände standen vier Baracken, von denen

52 bereits zwei vor Einrichtung des KZ-Außenlagers zur Unterbrin- gung der „Ostarbeiterinnen“ des Drägerwerks genutzt worden wa- ren. „In diesem Lager wurden wir in einem Stall, der in eine Baracke verwandelt worden war, untergebracht — ohne Fenster, große Ein- gangstore, Pritschen mit kahlen Strohsäcken, Decken ohne Bezug — alles primitiv. Auch die sanitären Anlagen waren primitiv“, so die inhaftierte Halina Paszkiewicz. Die Häftlinge des KZ-Außenlagers Drägerwerk berichteten, dass es nie genug zu essen gab. Die we- nigen Nahrungsmittel waren insgesamt minderwertig. Sie enthiel- ten kaum Fette, Eiweiße, Vitamine und Mineralstoffe. Es gab kein frisches Gemüse, Obst oder Milch. Der gesamte Organismus der Häftlinge wurde mehr und mehr geschwächt. So ging selbst der SS-Standortarzt des KZ Neuengamme, Dr. Trzebinski, davon aus, dass „mit einem langsamen aber steigenden Absinken der Arbeits- kraft eines jeden Häftlings gerechnet werden muss“. Zur Vorbereitung auf einen möglichen Gaskrieg sollte ab Mitte 1944 die Fertigung von Gasmasken erheblich gesteigert werden. Deshalb erhielt das Drägerwerk für die erhöhte Produk- tion bevorzugt notwendige Rohstoffe und KZ-Häftlinge als zu- sätzliche Arbeitskräfte. Die Häftlinge mussten im Zwei-Schicht- System (6-18 Uhr und 18-6 Uhr) arbeiten. Die Arbeitsbedingun- gen erschwerten die zwölfstündige Arbeit zusätzlich: Fenster- scheiben wurden aufgrund der Verdunkelungsvorschriften be- malt, verhangen oder mit Brettern vernagelt. Obwohl überall durch die Verarbeitung von Gummi, Benzin und Ersatzstoffen Ruß und übelriechende Dämpfe entstanden, wurde aus „Sicher- heitsgründen“ kaum gelüftet. Die Lufttemperatur erreichte oft über 35 Grad. Die Häftlinge wurden von den SS-Aufseherinnen mit Schlägen und „Kopfnüssen“ bei der Arbeit angetrieben. Der Einsatz von Häftlingen wurde von Betriebsverantwortli- chen als überaus zufriedenstellend eingeschätzt. Mit dem Ein- satz von Häftlingen lägen die Produktionszahlen höher als bei deutschen Arbeitern. 53 Als die Rohstoffe ausblieben und die Produktion von Gas- masken nicht mehr möglich war, wurden die Häftlinge zur Trümmerbeseitigung und zum Barrikadenbau eingesetzt. Auch wurden Häftlinge als Arbeitskräfte an Wandsbeker Unterneh- men „vermietet“. Innerhalb des Lagers wurden die weiblichen Häftlinge von fünfzehn bis zwanzig KZ-Aufseherinnen überwacht und außer- halb durch eine teils aus zehn pensionierten Zollbeamten beste- hende Wachmannschaft. Die SS-Aufseherinnen im Lagerinneren kontrollierten die Blocks, ließen die Häftlinge zum Appell antre- ten, brachten sie zur Arbeit in die Fabrik und bewachten sie dort. Sie gaben das Essen aus und waren verantwortlich für die tägli- chen Quälereien, Demütigungen und Misshandlungen. Das Lager wurde nacheinander von drei Kommandoführern geleitet: Erster Lagerleiter war SS-Unterscharführer Johannes Heinrich Steen- bock, ihm folgten SS-Untersturmführer Max Kirstein und zuletzt bis Kriegsende Friedrich Wilhelm Hinz. Aufgrund von schweren Misshandlungen starben während des Lagerbestehens mehrere weibliche KZ-Häftlinge, zwei Frauen wurden „auf der Flucht erschossen“. Raja Ilinauk wurde, nachdem sie eine Gussform hatte fallen lassen, wegen „Sabotage“ am 29. August 1944 im Lagerbereich gehenkt. Die Häftlinge berichteten von einem großen Zusammenhalt untereinander. Funktionshäftlinge schützten die anderen. Die Lagerälteste galt als warmherzig und bescheiden. Die Gefange- nen im Außenlager Drägerwerk standen sich in vielfältiger Weise bei. Viele kannten sich bereits aus ihrer Heimat, aus ihrer Leidens- zeit in Ravensbrück und von den Stätten der Zwangsarbeit. Sie versuchten in festen Gruppen zusammen zu bleiben. Mit großer Dankbarkeit erinnern sich die Gefangenen an jene Mithäftlinge, die ihnen von den ohnehin kargen Essensrationen etwas abgaben oder etwas Essbares gegen andere Dinge tauschten. Selbst unter primitivsten Verhältnissen wurde medizinische Hilfe organisiert. 54 Gegenseitig sprachen die Häftlinge sich Mut zu, ungefragt wurde Schwächeren und Kranken die Arbeit abgenommen. Die Frauen schützten sich vor den SS-Aufseherinnen. Einige wagten es — trotz Kontrollen — Brennmaterial ins Lager zu schmuggeln. Das Drägerwerk setzte seine Tätigkeit für den Gasschutz auch nach Einstellung der Produktion von Gasmasken fort. Im März 1945 unternahm das Drägerwerk Versuche, um festzustel- len, wie lange Menschen in einem gasdichten Luftschutzraum ohne Belüftungsanlage überleben können. Für diese Versuche wurden nicht nur die weiblichen Häftlinge des KZ-Außenlagers Wandsbek, sondern auch Gefangene aus anderen Lagern heran- gezogen. Um den 20. April 1945 trafen im Zuge der Lagerräumungen in der Endphase des Krieges noch weibliche Häftlinge aus dem KZ- Außenlager Helmstedt-Beendorf ein10. Der Großteil der Häftlinge des Außenlagers Wandsbek konnte durch das Schwedische Rote Kreuz am 1. Mai 1945 vom Bahnhof Altona mit der Eisenbahn über Padborg nach Schweden in Sicherheit gebracht werden. Die anderen weiblichen Häftlinge wurden in das KZ-Außenlager Hamburg-Eidelstedt überstellt, wo sie am 5. Mai 1945 durch britische Truppen befreit wurden. 1947 wurden der Kommandoführer Steenbock, die SS-Aufseherin Johanna E. Anders und von dem Bewachungspersonal Hermann Ludwig Dreier zu langen Haftstrafen verurteilt. In der Nachkriegszeit entstanden auf dem Gelände des ehe- maligen Außenlagers Drägerwerk Produktionshallen verschiede- ner Unternehmen. Erst Ende der 1980er Jahre gelang es, eine erste Gedenktafel zur Erinnerung an das Wandsbeker KZ-Au- ßenlager anzubringen. Es war ein langer Weg bis zu einem würdigen Gedenken.

55 21 Alte und neue Gedenkstätte KZ Drägerwerk Nach Aufgabe der gewerblichen Nutzung des Geländes ent- stand hier zwischen 2004 und 2005 eine Wohnsiedlung. Gemäß Auflage des Bezirksamts Wandsbek schuf der Bauträ- ger unter Einbeziehung von Zaunpfählen und eines aus der NS- Zeit erhalten gebliebenen Waschtrogs eine kleine Gedenkanlage, die nicht hinreichend ausgeschildert und nur schwer erreichbar war. Aufgrund der mangelhaften Ausgestaltung und der fehlen- den Beschilderung kam es zu öffentlicher Kritik, sodass die An- lage 2007 überarbeitet wurde. Im Jahr 2010 wurde direkt neben dem ehemaligen Lagergelände eine neue erweiterte Gedenk- stätte auf öffentlichem Grund errichtet, um einen öffentlichen Zugang zum Erinnerungsort zu gewährleisten.

56 22 Gedenkstätte KZ Drägerwerk mit Chiedza Busse und Monique du Mont

Mit ihrer Grundform eines gleichschenkeligen Dreiecks nimmt die Gedenkstätte Bezug auf die Winkel, mit denen die SS die KZ-Häftlinge an ihrer Kleidung nach den vermeintlichen Haftgründen kennzeichnete. Alle bekannten Namen der im KZ Drägerwerk inhaftierten Frauen sind auf sechs Granitsteindrei- ecken zu lesen. Das Mahnmal, das zwei ineinander verwobene und in Ketten gelegte Dreiecke zeigt, wurde im Rahmen eines Kunstkurses des Lehrers Jörg Otto Meier am Charlotte-Paulsen- Gymnasium von zwei Schülerinnen, Chiedza Busse und Monique du Mont, entworfen. Der stellvertretende Bezirksamtsleiter Frank Schwippert sagte zur Eröffnung der neuen Gedenkstätte: „Das von Schülerinnen und Schülern gestaltete Mahnmal hält die Erinnerung an die Vergangenheit wach. Dank Projekten wie die- sem gelingt es, die Erinnerungen an die nächste Generation weiter- zugeben und die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen des Zweiten Weltkrieges zu fördern. Dabei dürfen wir nicht nachlas- sen!“ 57 Die ehemaligen Häftlinge Nila Kurljak, Natalja Radtschenko und Ludmilla Subowskaja, die zu einem Besuch nach Hamburg eingeladen worden waren, hatten den Schülerinnen und Schü- lern von ihren Erfahrungen im KZ-Außenlager Drägerwerk be- richtet. Sie nahmen an der Einweihung der neuen Gedenkstätte teil.

23 Ehemalige Häftlinge besuchen die Gedenkstätte KZ Drägerwerk

Jedes Jahr am 29. August, dem Todestag von Raja Ilinauk, ver- sammeln sich Menschen auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme, des Freundeskreises der KZ-Gedenkstätte Neu- engamme und der Bezirksversammlung Wandsbek in der Ge- denkstätte des KZ-Außenlagers Drägerwerk, um sich gemeinsam der Geschehnisse in der NS-Zeit an diesem Ort und der Toten zu erinnern. 58

Nada Verbič wurde am 28.11.1914 im jugoslawischen Ljubljana, der heutigen Hauptstadt Sloweniens, geboren. Sie schloss erfolgreich die höhere Schule ab. Danach arbei- tete sie als Buchhalterin und Kor- respondentin bei einer Kohlen- werksgesellschaft. Nach dem Überfall der deutschen Wehr- macht auf Jugoslawien im April 1941 unterstützte sie die Partisa- nen, sammelte Geld, Kleidung und Sanitätsmaterial. Am 17. April 1944 24 Porträt Nada Verbič wurde Nada Verbič verhaftet. Zu- nächst wurde sie in das Gefängnis in Ljubljana gebracht, von wo aus sie am 6. Mai 1944 ins Frauen-Konzentrationslager Ravens- brück deportiert wurde. Vier Wochen später kam sie in das KZ- Außenlager Drägerwerk in Wandsbek. Auch während der KZ-Haft versuchte sie ihre Einstellung bei- zubehalten und gegen das NS-Regime zu wirken.

Auszüge aus ihrem bereits 1945 erstellten Bericht 11: „In Wandsbek wurden uns andere Nummern zugeteilt. Ich bekam statt der Ravensbrücker Nummer 38.284 die Num- mer 4.639. […] In den letzten Monaten lebten wir nur noch von Sauerkraut und undefinierbarem Gemüse, das völlig fettlos war. Auch keine Spur mehr von Kartoffeln, nur violettes Wasser, das nach Blattkohl roch. Wir haben uns jedoch an alles ge- wöhnt, und es störte uns nicht mehr allzu sehr, wenn wir auf dem Boden des Kessels eine tote Maus oder eine

59 Drahtbürste entdeckten. Da wir anfangs vor Beginn der Ar- beit kein Frühstück bekamen, streikten wir einmal im gro- ßen Saal. […] Wir versuchten den grauen Alltag durch Theatervorstellungen heiterer zu machen. So hatten wir an einem Sonntagnachmittag viele unterhalt- same Sketche vorbereitet. Inmitten der guten Stimmung hörten wir den Pfiff der Aufseherin, die schrie: Alle raus! Wir mussten zum Strafappell. […] Meine Arbeit am Fließband war nicht gerade schwierig, nur sehr eintönig. 25 KZ-Nummer von Nada Verbič Die anderen litten durch die Hitze an den Öfen oder durch die Arbeit an den Maschinen. Wir fer- tigten Gasmasken, Taucheranzüge und Rettungsanzüge »für den Sieg« an. […] Wir erfuhren nie, wem es eigentlich gelang, in die Gum- milösung statt Benzin Wasser einzugießen, so dass die Ar- beit am Fließband einige Stunden eingestellt werden musste. Eine deutsche Zivilarbeiterin lief unruhig herum, weil sie fürchtete, dass die Sabotage in unserer Abteilung verübt worden war. […] Ich wurde später zur Kontrolle der Masken versetzt. Wenn uns die wachsame Aufseherin beobachtete, arbeiteten wir fleißig. Sobald sie aber ihr böses und wachsames Auge einer anderen Gruppe zuwandte, durchlöcherten wir geschickt die Masken. Die Masken waren sowieso von schlechter Qualität und die Abfälle häuften sich an. Wir behaupteten, dass die Lösung schlecht sei. […] Ende August 1944 teilte uns die Aufseherin Horn mit, dass eine Gefangene gehängt wird.... Als wir um 6 Uhr aus der 60 Fabrik zurückkehrten, stand der Galgen vor unserer Bara- cke. … Raja war achtzehn Jahre alt, sie war ein gesundes und fröhliches Mädchen. Am 29. August 1944 starb sie mit dem Lächeln auf den Lippen. … Die Baracken waren leer, wir alle mussten der Hinrichtung beiwohnen. Während des Geschehens wechselte plötzlich das Wetter. Es donnerte und blitzte. … Nie zuvor und nie nachher erlebten wir in Hamburg ein so schreckliches Gewitter. Ich werde auch den fast wilden, entsetzlichen Aufschrei nicht vergessen, als der Hocker unter dem Mädchen mit der Schlinge um den Hals weggeschoben wurde. Ich konnte dem Tun der Henker nicht zusehen. Einen Tag nach diesem schrecklichen Erleb- nis brach ich zusammen.“

61 Gedenkstein KZ Sasel

Feldblumenweg 1d (Bus 276 ab S-Bahn Poppenbüttel)

26 Gedenkstein KZ Sasel

Das ehemalige Kriegsgefangenenlager, gelegen zwischen den heutigen Straßen Hohensasel und Saseler Mühlenweg nahe der Mellingburger Schleuse, wurde ab Mitte September 1944 als Frauenaußenlager Sasel des KZ Neuengamme genutzt. Über 500 überwiegend polnische Jüdinnen waren hier inhaf- tiert. Diese waren über das Getto Łódź und das KZ Auschwitz- Birkenau nach Hamburg zunächst ins Außenlager Dessauer Ufer verschleppt worden. Die Frauen mussten für die Firmen Möller sowie Wayss & Freytag beim Bau von Behelfsunterkünften für 62 ausgebombte Hamburger Familien in Poppenbüttel und Wands- bek Zwangsarbeit leisten. Ebenso kamen sie beim Bau der Plat- tenhaussiedlung an der Walddörferstraße zum Einsatz. Die beim Bahnhof Poppenbüttel angelieferten Baumaterialien mussten die Frauen mit Loren zu den Baustellen bringen, das Erdreich für das Fundament ausheben und den Boden planieren. Die Häftlinge des KZ Sasel wurden auch an anderen Plätzen in Hamburg wie der sogenannten Rinderhalle neben dem Heiligen- geistfeld von den Firmen Moll und Kowahl & Bruns eingesetzt, u.a. bei der Herstellung von Betonplatten aus Trümmerschutt, den sie zunächst zermahlen mussten. Die letztgenannte Firma setzte im großen Stil Zwangsarbeiter ein. Zudem gab es Kommandos zur Räumung von Bombentrümmern.

„Ab Mitte des Winters waren wir Wanderarbeiter. Wir blie- ben nicht länger an einem Ort, sondern wir wurden immer dahin gebracht, wo wir gerade gebraucht wurden. […] Die Arbeit war quälend schwer. … Unsere unterernährten Kör- per hatten einfach nicht die nötige Kraft für diese Arbeit. Angetrieben von den SS-Männern arbeiteten wir bis zur Er- schöpfung.“ Madeleine Schulps, Häftling des KZ Sasel 12

Als Wachleute außerhalb des Lagers waren dienstverpflichtete ältere, z.T. pensionierte Zollbeamte sowie Polizeireservisten tä- tig. Innerhalb des Lagers wurden etwa 25 SS-Aufseherinnen ein- gesetzt, die von den Häftlingen als brutal geschildert wurden. Geleitet wurde das Saseler KZ zunächst von dem Hauptmann der Wehrmacht Merker, ab 1. November 1944 von dem SS-Ober- scharführer Leonhard Stark. Nur wenige Menschen aus der Wohngegend versuchten das Leben der Häftlinge zu erleichtern, indem sie bspw. Lebensmit- tel über den Zaun warfen. Die meisten sahen weg.

63 Anfang April 1945 wurden Frauen des KZ-Außenlagers Ham- burg-Langenhorn ins Außenlager Sasel verlegt. Am 7. April 1945 ließ die SS das Lager räumen und verbrachte die Häftlinge in das KZ Bergen-Belsen. Zu dieser Zeit begann dort aufgrund des Hun- gers und von Epidemien ein Massensterben. Täglich starben Hun- derte.

27 Zeichnung KZ Sasel

Das Saseler Lager wurde erneut am 21. April 1945 mit weibli- chen KZ-Häftlingen belegt. Diese kamen vollkommen ausgehun- gert aus dem Außenlager Helmstedt-Beendorf. Zwölf Frauen starben noch am Tag ihrer Ankunft in Sasel. Am 1. Mai 1945 konnten die meisten der Saseler Häftlinge mit einem Zug des schwedischen Roten Kreuzes Hamburg verlassen. Sie wurden über Dänemark nach Schweden gebracht und dort liebevoll ver- sorgt. 1946 verurteilte das britische Militärgericht („Sasel-Case“) den ehemaligen Kommandanten Leonard Stark zu 15 Jahren 64 Gefängnis, acht Bewacher und neun der Aufseherinnen zu unter- schiedlich langen Haftstrafen zwischen einigen Monaten und mehreren Jahren wegen der Misshandlung von Häftlingen. Luci- lle Eichengreen geb. Landau, die als Häftling im Lagerbüro des KZ-Außenlagers Sasel gearbeitet und auch die Personallisten ge- führt hatte, konnte für das Gerichtsverfahren die Verantwortli- chen benennen. Sie hatte die Namen von 42 Wachmännern und Aufseherinnen auswendig gelernt. Der Bauunternehmer Emil Bruns13 erhielt wegen der Misshandlung Saseler Häftlinge eine dreijährige Haftstrafe. Er stritt jede Schuld ab. Im Herbst 1980 begannen Schülerinnen und Schüler der Klasse 9c des Gymnasiums Oberalster mit ihrem Klassenlehrer Gerd Liszkowski Nachforschungen über die Geschichte des KZ- Außenlagers Sasel und über die Reaktion der Bevölkerung auf dieses Lager anzustellen. Sie nahmen mit dieser Arbeit am Wett- bewerb „Alltag im Nationalsozialismus“ um den Preis des Bun- despräsidenten teil. Dabei konnten sie auf Befragungen des Hei- matforschers Gustav Busch zurückgreifen. Durch ihre Forschun- gen wurden bisherige Kenntnisse zum KZ-Außenlager Sasel kor- rigiert bzw. erweitert, so zum Lageplan, zur Totenliste, zur Her- kunft der Häftlinge, zur Zwangsarbeit und zum Leben im Lager. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in einer Broschüre14 im Ei- genverlag, bis heute wesentliche Forschungsgrundlage. Auf- grund dieser Initiative wurde eine Gedenktafel des Tafelpro- gramms der Hamburger Kulturbehörde „Stätten der Verfolgung und des Widerstandes 1933–1945“, am ehemaligen Lagergelände aufgestellt, um an die Häftlinge des KZ-Außenlagers Sasel zu er- innern. Die Klasse des Gymnasiums Oberalster fertigte zudem einen Entwurf für einen Gedenkstein mit der Inschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ an, der 1982 neben der Ge- denktafel aufgestellt wurde. Das Areal rund um den Gedenkstein wird kontinuierlich durch Mitglieder des Vereins Begegnungsstätte Poppenbüttel e.V. 65 gepflegt und verschönert. Seit 2010 gestaltet der Verein jährlich am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Natio- nalsozialismus, eine öffentliche Gedenkstunde. An dieser beteiligen sich regelmäßig Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Oberalster.

28 Schülergruppe am Gedenkstein KZ Sasel .

66 Plattenhaus Poppenbüttel

Kritenbarg 8 (S-Bahn Poppenbüttel), Öffnungszeit sonntags 10-17 Uhr

29 Gedenkstätte Plattenhaus

In der Nähe des Bahnhofs Poppenbüttel wurden Ende des Krie- ges in großer Zahl sogenannte Plattenhäuser als Behelfswohn- heime für ausgebombte Hamburger Familien errichtet („Platten- büttel“). Die Bauarbeiten mussten italienische Militärinternierte und KZ-Häftlinge des Frauenaußenlagers Sasel durchführen. Die Behelfsheimsiedlung wurde Anfang der 1980er abgerissen, als das Alster-Einkaufszentrum (AEZ) entstand. Auf Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), insbeson- dere des örtlichen Vorsitzenden Emil Heitmann, gelang es, eines der letzten erhalten gebliebenen Plattenhäuser am Pfefferminz- kamp zu sichern und unter Denkmalschutz zu stellen. Zur Erin- nerung an die Häftlinge des KZ-Außenlagers Sasel wurde dort eine Gedenk- und Begegnungsstätte eingerichtet. In dem linken Gebäudeteil informiert eine Ausstellung über das jüdische Leben in Hamburg, die Verfolgung von Frauen im Nationalsozialismus und die Geschichte aller Frauenaußenlager des KZ 67 Neuengamme, so auch des KZ Sasels. Neben der Darstellung der Haft- und Arbeitsbedingungen stehen Biografien der Verfolgten im Mittelpunkt. Auch wird die Strafverfolgung der Täterinnen und Täter thematisiert. Im rechten Teil des Ge- bäudes wird die Wohnsi- tuation ausgebombter Bewohner 1944 darge- stellt. Seit dem 1. Septem- ber 1989 — zum Geden- ken an den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 50 Jahren — erinnert auf dem Vorplatz der Ge- denkstätte eine als Frie- densbaum geschaffene Holzskulptur „Nie wie- der“ des Künstlers Franz Vollert an das Schicksal der KZ-Gefangenen und 30 Gedenkbaum Plattenhaus Poppenbüttel die Schrecken des Krie- ges.

68 Gedenkort Bergstedter Kirche

Wohldorfer Damm 8 (Bus 174 ab U-Bahn Volksdorf oder S-Bahn Poppenbüttel bis Bergstedter Markt)

Am 18. November 1990 wurde der von dem Bildhauer Axel Peters gestaltete Gedenkort in Bergstedt eingeweiht. Er besteht aus zwei Stelen aus Elbsandstein, die zu beiden Seiten eines Weges unmittelbar hinter der Bergstedter Kirche platziert wurden. Eine der Stelen trägt die Namen, beziehungsweise die Häftlingsnum- mern der 34 Frauen und eines 33 Tage alten Säuglings, die im KZ- Außenlager Sasel ums Leben kamen und bis März 1957 auf dem Bergstedter Friedhof bestattet waren.

31 Gedenkort Bergstedt

Danach wurden sie zum Friedhof Ohlsdorf umgebettet. Die zweite Stele liegt zerbrochen auf der anderen Seite des Weges und soll an die gewaltsamen Umstände ihres Todes erinnern. Sie trägt die übersetzten Worte eines Satzes aus der Jerusalemer Ge- denkstätte Yad Vashem, die sich auf die Aussage des im 18.

69 Jahrhundert lebenden Rabbi Ba’al Schem Tov bezieht: „Verges- sen verlängert das Exil, sich erinnern ist das Geheimnis der Erlö- sung.“ Die Errichtung eines Denkmals für die 35 Toten des Au- ßenlagers Sasel auf dem Bergstedter Friedhof war 1985 vom Orts- ausschuss Walddörfer einstimmig beschlossen worden. Er konnte aber erst fünf Jahre später durch das Engagement des Vorstands der Kirchengemeinde Bergstedt und durch Spenden einzelner Bürgerinnen und Bürger in dieser Form auf dem Kir- chenareal realisiert werden.

Wanda Edelmann wurde am 11.10.1919 in Liegnitz/Schlesien (heute: Legnica/Polen) geboren. Anfang der 1940er-Jahre arbei- tete sie als Artistin in Berlin. Auf dem Heimweg im Januar 1942 wurde sie als „Zigeunerin“ ver- haftet, im Gefängnis in Berlin- Plötzensee inhaftiert und we- nige Tage später in das Frauen- KZ Ravensbrück überstellt. Wanda Edelmann kam in mehrere Außenlager des KZ Ravensbrück, bis sie Anfang 32 Wanda Edelmann 1945 mit einem Transport nach Hamburg gebracht wurde. Dort war sie zunächst im KZ-Außen- lager Langenhorn, später im Außenlager Sasel inhaftiert. Sie wurde von britischen Truppen befreit. Sie blieb nach Kriegsende in Hamburg und setzte sich für die Gedenkstätte Plattenhaus Poppenbüttel ein. Sie starb im Februar 2001.

70 Im KZ-Außenlager Sasel traf Wanda Edelmann ihre Cousine Suleika Klein wieder. Diese war schwer an Tuberkulose erkrankt. Suleika Klein starb im Lager am 4. Mai 1945.

„Und da habe ich meine Cousine, die Suleika, [wiedergetrof- fen], die war schon da, die muss schon länger da gewesen sein. In Ravensbrück haben wir uns kennengelernt, dann haben wir uns wiederverloren, und von da aus bin ich ja weggekommen. Und da muss sie schon von dort aus nach Sasel gekommen sein. Und wie ich sie da gesehen hab, da war dieses Mädchen sehr schwer krank, sie hatte Tu- berkulose. […] der ganze Kör- per, der war dunkler wie dies Holz. Und ausgemergelt, die Knochen mit der Haut über- zogen. Und da nach ein paar Tagen ist sie dann auch ein- geschlafen. […] Die Suleika ist [19]45 hier in Sasel ver- storben. […] Ja, sie war schwanger gewesen, wie ich sie in Ravensbrück kennen- gelernt habe. Und da sag ich: 33 Suleika Klein ‚Mensch, was hast du?‘ Ich hatte ja nicht gedacht an eine Schwangerschaft, ich hab´ gedacht, so ’n dicker Bauch. ‚Nein‘, sagt sie, ‚ich bin in Auschwitz, hat man, ein Kapo oder was das war, der hat mich mit Gewalt genommen. ‘ Und hat dieses Mädchen geschwängert.“

Suleika Klein war mit ihrer Familie am 11. März 1943 vom Hanno- verschen Bahnhof in Hamburg nach Auschwitz deportiert

71 worden. Ihre Wohnung in der Niemannstraße wurde von der Ge- stapo beschlagnahmt. Ihr Habe wurde im Harburger Ratskeller gelagert und dort versteigert. Suleika Klein entging in Auschwitz der Vernichtung und kam zur Zwangsarbeit ins Konzentrations- lager Ravensbrück. Im August 1944 wurde auch Suleikas Mutter nach Ravensbrück zur Zwangsarbeit abtransportiert, wo sie ihre Tochter noch vor deren Abtransport nach Sasel traf. Suleika Klein wurde auf dem Friedhof in Bergstedt beigesetzt. Für Suleika Klein wurde ein Stolperstein in Harburg in der Nie- mannstraße 6 gesetzt, ihrem letzten Wohnsitz vor ihrer Depor- tation.

34 Auszug aus dem Totenregister des Bergstedter Friedhofs

72 Gedenkort Versorgungsheim Farmsen

August-Krogmann-Straße 100, Bus 27 oder 168 ab U-Bahn Farmsen bis Pflegezentrum Farmsen

35 Versorgungsheim Farmsen

Das Versorgungsheim Farmsen wurde Ende 1904 als Erweiterung des Hamburger Werk- und Armenhauses Oberaltenallee im klei- nen Dorf Farmsen — mehrere Kilometer außerhalb des damali- gen Hamburgs — eröffnet. Später kam ein Vorwerk namens Carlshöh hinzu, das heutige Umweltzentrum Gut Karlshöhe. Das Werk- und Armenhaus nahm sowohl hilfsbedürftige, arme, alte, kranke und pflegebedürftige als auch straffällig gewordene Per- sonen auf (so verurteilte Trinker, Landstreicher, „Sittenlose“ und „Arbeitsscheue“). Hierzu gehörten anfangs auch Kinder und Ju- gendliche. Grundsätzlich galt im Werk- und Armenhaus die Pflicht zur Arbeit. Bis Anfang 1893 unterstand das Armenhaus der Gefängnisverwaltung. Danach ging die Verwaltung auf das sogenannte Armenkollegium über, das für die gesamte 73 Hamburger Wohlfahrtspflege zuständig war. Der Zusammen- hang zwischen Armut, Asylierung und Arbeitszwang blieb wei- terhin bestehen. In der Weimarer Republik ging die Allgemeine Armenanstalt als Ganzes im neu gegründeten Wohlfahrtsamt auf, aus dem 1928 die Sozialbehörde entstand. Die Armenanstalt erhielt den Namen „Staatliches Versorgungsheim“, nach Zusam- menführung mit anderen Einrichtungen wurde der Plural ge- wählt: „Staatliche Versorgungsheime“, was auch die Gleichstel- lung des Versorgungsheims Farmsen mit der Anstalt Oberal- tenallee beinhaltete. Sollte das Versorgungsheim Farmsen zunächst in zwei Män- nerhäusern und einem Frauenhaus 380 Personen aufnehmen, waren in späteren Ausbaustufen und Erweiterungen innerhalb der ersten zehn Jahre des Bestehens nahezu tausend Plätze vor- handen. Das Versorgungsheim Farmsen entwickelte sich mehr und mehr zu einem Arbeitshaus. Alte, Sieche und Kranke kamen vorrangig in die Hauptanstalt an der Oberaltenallee. In Farmsen wurde die Bettenzahl erhöht. Zwei Drittel der hier untergebrach- ten Menschen waren Männer. Das Versorgungsheim Farmsen verfügte über eine Gärtnerei, eine Dampfwäscherei, eine Schneiderei mit Plättstube, eine Tü- tenkleberei, eine Wergzupferei, Schlachterei und Bäckerei sowie über 300 Hektar Landwirtschaft. In diesen Arbeitsbereichen wur- den Insassen beschäftigt, um zum einen Kosten für die Betreu- ung im Versorgungsheim zu senken. Zum anderen sollten als ar- beitsfähig eingestufte Bewohner wieder an Arbeit herangeführt werden. Hierzu wurden die Insassen in „minderrüstige“ und „vollrüstige“ Arbeitskräfte, in „nicht bettlägerige“ und „bettläge- rige“ Arbeitsunfähige unterschieden. Entsprechend diesen Kate- gorien fand die Unterbringung in Schlafsälen statt. Diese Klassi- fizierungen „verfeinerte“ ab 1926 der neue Direktor der Versor- gungsheime Georg Steigertahl. Er folgte dem im März 1925 ver- storbenen Emil Hartmann im Amt. Unter Steigertahl wurde das 74 System der mit dem Mittel der Entmündigung zwangsverordne- ten Fürsorge insbesondere gegen Alkoholiker, Obdachlose, Straf- entlassene, Prostituierte und andere intensiviert. Wurden Frauen nach § 361 Reichsstrafgesetzbuch wegen Prostitution ver- urteilt, konnte die Haft bei Bereitschaft zur Einweisung in die Arbeitsanstalt Farmsen ausgesetzt werden. Für solchermaßen Eingewiesene wurde das Lager „Luisenhof“ in Farmsen eingerich- tet. Dort mussten die Frauen unter Aufsicht von Fürsorgerinnen in der Wäscherei, Näherei, Gärtnerei und Küche arbeiten. Mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur Bekämpfung von Ge- schlechtskrankheiten“ vom 18. Februar 1927 konnte die Zwangs- unterbringung in Farmsen auch auf männliche Prostituierte er- weitert werden. Auch sie unterlagen der Arbeitspflicht. Der Ar- beitszwang für in Farmsen untergebrachte Obdachlose wurde verschärft. Die gewährte Verpflegung wurde an geleistete Arbeit gekoppelt. Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 verschlechterten sich die Lebensbedingungen in den Hamburger Wohlfahrtsan- stalten. Mehr Menschen mussten mit weniger Geld versorgt wer- den. Direktor Steigertahl war schon in der Weimarer Zeit ent- schiedener Befürworter eines „Reichsbewahrungsgesetzes“. Sogenannte Asoziale, darunter wurden Bettler, Verwahrloste, Obdachlose, Trinker, Prostituierte, Geschlechtskranke, „Ge- meinschaftsschädliche“ und andere verstanden, sollten durch Zwangsunterbringung und Zwangsarbeit an ein „geordnetes“ Le- ben gewöhnt werden. Er setzte sich daher nach der nationalsozi- alistischen Machtübernahme für eine ungehinderte Entfaltung nationalsozialistischer Grundsätze in der Fürsorge ein. Die Zahl der Zwangseinweisungen und Entmündigungen stieg drastisch an. Allein 1936 wurden in das Versorgungsheim Farmsen auf der Grundlage unterschiedlicher Rechtsvorschriften 922 Personen zwangsweise eingewiesen. Besonders die Leiterin des 75 Pflegeamtes, Käthe Petersen, tat sich hierbei als Sammelvor- mund für Frauen hervor. Es gab immer mehr geschlossene Stationen im Versorgungs- heim Farmsen. Das Anstaltsgelände war von einem hohen Zaun umgeben. Die Insassen mussten Anstaltskleidung tragen. Flucht- versuche wurden durch vergitterte Fenster und metallbeschla- gene Türen verhindert. Es kam bei Arbeitsverweigerung zu Lohn- und Essensentzug, bei Flucht zu Arrest, zu Isolierhaft bei wiederholten Fluchtversuchen. Wer sich dem Arbeitszwang ver- weigerte, konnte in ein Konzentrationslager eingewiesen wer- den.

„Die Notwendigkeit einer solchen Anstaltsunterbringung entspringt dem Bedürfnis, diese Personen (Berufsverbre- cher, Landstreicher, Zuhälter, Dirnen, Rauschgiftsüchtige usw.) daran zu hindern, weiterhin die Volksgemeinschaft zu schädigen. Die Bewahrung hat das Ziel, diese gemein- schaftsschädlichen Personen aus der Volksgemeinschaft zu asylieren und den Versuch zu machen, sie nach ihren Kräften zu nützlicher Arbeit anzuhalten und nach Mög- lichkeit zur zuchtvollen Einordnung in die Volksgemein- schaft zu erziehen.“ Käthe Petersen über die „Behandlung der Asozialen“ (Aufzeichnung aus den Jahren 1937–1938, StA Hamburg, Sozialbehörde I, VZ 23.23.)

Im Versorgungsheim Farmsen wurden weit über tausend Zwangssterilisationen veranlasst. Der Anstaltsarzt Dr. Hans Buchta war „fast ausschließlich mit erb- und rassehygienischen Aufgaben beschäftigt“. Ab Sommer 1940 waren die Hamburger Versorgungsheime in das nationalsozialistische „Euthanasie“- Programm einbezogen. Von Farmsen aus wurden ab 1940 Insas- sen über die Sammelanstalt Langenhorn in die Mordanstalten

76 der „Euthanasie“ wie Brandenburg an der Havel und Meseritz- Obrawalde verschleppt und dort ermordet. Zeitweise waren auch Jüdinnen und Juden in der Versor- gungsanstalt Farmsen untergebracht. Soweit bekannt wurden die letzten am 18. September 1940 nach der Anstalt Langenhorn überstellt, von dort am 23. September 1940 mit weiteren aus hamburgischen und norddeutschen Anstalten zusammengezo- genen Jüdinnen und Juden nach Brandenburg/Havel deportiert und dort noch am selben Tag durch Gas ermordet. Es ist zu vermuten, dass weitere Farmsener Insassen über die Anstalt Langenhorn in Tötungsanstalten der „Euthanasie“ ver- bracht wurden, als das Versorgungsheim angesichts der Zerstö- rungen Hamburgs im Luftkrieg „Raumreserven“ freimachen musste.15 Die Verbrechen im Versorgungsheim Farmsen wurden nach dem Ende des NS-Regimes nicht als nationalsozialistisches Un- recht gesehen und anerkannt. Viele der damals Verantwortli- chen blieben in ihren Ämtern. Georg Steigertahl wurde als „ent- lastet“ entnazifiziert und blieb Direktor der Hamburger Wohl- fahrtsanstalten. Ebenso wurde Käthe Petersen „entlastet“ und konnte ihre Karriere als Leiterin des Landesfürsorgeamtes fort- setzen. Bemühungen der Insassen, entlassen und bemündigt zu wer- den, scheiterten. Weder die britische Besatzungsbehörde noch der neue Gesundheitssenator Friedrich Dettmann folgten nach 1945 ihren Beschwerden. Diese verließen sich auf die Angaben der bisher Verantwortlichen, Käthe Petersen und Georg Stei- gertahl. Petersen argumentierte ohne jede Reue, die Insassen wä- ren wegen „Arbeitsverweigerung“, „unsolidem Lebenswandel“, „heimlicher Prostitution“ nach Farmsen gekommen. Sie bedürf- ten auch in der Nachkriegszeit „dringend der Erziehung zur or- dentlichen Lebensführung“. So konnte Georg Steigertahl in seinen Lebenserinnerungen schreiben: „Bis auf die Entfernung einzelner 77 durch NS-Vergangenheit stark belasteter Personen änderte sich in Farmsen zunächst nichts am Alltag.“

Es sollte einige Jahre dauern, bis das Versorgungsheim Farmsen seine Funktion als „Bewahranstalt“ verlor und zum Pflegeheim wurde. Heute betreibt Pflegen & Wohnen Hamburg GmbH“ in Farmsen eine neu erbaute Einrichtung für Menschen mit Pflege- und Betreuungsbedarf.„ Die Verantwortlichen der Stadt und der Nachfolgeeinrichtungen der ehemaligen Hamburger „Staatli- chen Wohlfahrtsanstalten“, darunter das Versorgungsheim Farmsen, stellten sich erst nach Jahrzehnten den damaligen Ta- ten. Die alten Backsteingebäude des früheren Versorgungsheims Farmsen stehen heute unter Denkmalschutz. Sie sollen künftig weiterhin für Wohn- zwecke genutzt werden. Eine würdige Gedenkstätte für die Farmsener Opfer des NS-Regimes fehlt bis heute.

Pflegen & Wohnen Ham- burg GmbH“ sowie „fördern u„ nd wohnen Hamburg“ wol- len in Zusammenarbeit mit der Kulturbehörde und dem Bezirk Wandsbek sowie Wissenschaftlern und Ver- tretern der Opfergruppen eine solche schaffen. 36 Stolpersteine Farmsen

78 Wanda Hoffmann, geborene Malinowsky, wurde am 23. Sep- tember 1940 in der sogenannten Landes-Pflegeanstalt Branden- burg an der Havel ermordet. Sie wurde am 24.Mai 1894 im damals westpreußischen Lei- bitsch bei Thorn (heute: Lubicz Dolny) geboren. Ihre Eltern wa- ren Landwirte und betrieben ein Sägewerk. Sie bekannten sich zum jüdischen Glauben. Wanda heiratete im Alter von 17 Jahren den um 34 Jahre älte- ren evangelischen Bauarbeiter Emil Hoffmann. Mit ihm hatte sie zwei Kinder.

Mit 22 Jahren änderte sie ihr Leben. Sie ver- ließ Mann und Kinder, zog auf Märkten um- her und lebte mit ei- nem Händler zusam- men. Wiederholt kam sie mit dem Gesetz in Konflikt. Es ergingen zahlreiche Verurtei-

37 Tötungsanstalt Brandenburg lungen wegen Dieb- stahls, Betrugs, Unter- schlagung, Beleidigung, Sachbeschädigung, Körperverletzung und Unzucht. Mehr und mehr verfiel sie dem Alkohol. 1929 wurde sie wegen einer akuten Alkoholvergiftung in das Hambur- ger Staatskrankenhaus Friedrichsberg eingewiesen. Käthe Peter- sen von der Hamburger Fürsorgebehörde betrieb ihre Entmün- digung, die während der Verbüßung einer Haftstrafe im Frauen- gefängnis Fuhlsbüttel am 24. Juni 1931 vom Amtsgericht Ham- burg mit der Begründung Geistesschwäche“ beschlossen wurde. Anschließend kam sie zwangsweise am 9. September 1931 in das Versorgungsheim Farmsen.„ Im April 1933 erhielt sie nach 79 kurzzeitigem Aufenthalt im Krankenhaus Friedrichsberg einen Platz in der Staatskrankenanstalt Langenhorn. Von dort wurde sie bereits am 16. Juni 1933 wieder entlassen. Vier Jahre später wurde sie im September 1937 erneut in Langenhorn aufgenom- men und kurz darauf, am 22. November 1937, in die Heilanstalt Lübeck-Strecknitz verlegt. Sie galt hier als eine „arbeitende Kranke“, auf deren Arbeitskraft man nicht verzichten wollte. Dennoch musste sie Lübeck verlassen. Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die Euthanasie“-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4 (T4), eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und priva- ten Heil- und Pflegeanstalten.„ Sie ließ die in den Anstalten le- benden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannte Sam- melanstalten verbringen. Die Heil- und Pflegeanstalt Langen- horn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklen- burg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Wanda Hoff- mann galt nach nationalsozialistischen Kriterien als Jüdin. Des- halb wurde sie von Strecknitz am 16. September 1940 nach Lan- genhorn gebracht. Eine Woche später wurde sie zusammen mit 135 weiteren Insassen nach Brandenburg an der Havel transpor- tiert. Brandenburg war nach Grafeneck die zweite Anstalt, die als Tötungsanstalt der „Euthanasie“ eingerichtet wurde. Bis zum Oktober 1940 wurden hier mehr als neuntausend Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen ermordet. Noch am Tage der Ankunft wurde Wanda Hoffmann zusam- men mit den anderen Verschleppten in die Gaskammer getrie- ben und mit Kohlenmonoxyd ermordet.

80 Mahnmal Weiße Rose

Platz Weiße Rose, Nähe U-Bahn Volksdorf

1977 beschloss der Ortsaus- schuss Walddörfer in Erinne- rung an den studentischen Widerstand gegen das NS- Regime die neu geschaffene Fußgängerzone in Volksdorfs Mitte nach der Widerstands- gruppe »Weiße Rose« zu be- nennen und ein Mahnmal aufzustellen. „Wir entschie- den uns schließlich dafür in dem Bewusstsein, dass die Er- 38 Mahnmal Weiße Rose innerung an die Taten und das Opfer des Kreises der Weißen Rose in der Öffentlichkeit viel zu we- nig lebendig ist und dass man sie nicht wachhalten kann mit Zei- chen an wenig besuchten, meist friedhofsähnlichen Gedenkstät- ten,“ so Dr. Martin Meier-Siem (SPD), Vorsitzender des Ortsaus- schusses. Aus den eingereichten Entwürfen entschied sich der Ortsaus- schuss für die Skulptur Weiße Rose des Künstlers Franz Reckert. Dieses zwei Meter hohe Kunstwerk stellt eine stilisierte Rose dar. 1978 wurde das Mahnmal eingeweiht. 1981 wurde die Skulptur durch eine erklärende Gedenktafel aus Bronze ergänzt. 1993 wur- den auf einer neuen Gedenktafel acht Namen der Mitglieder der Weißen Rose Hamburg hinzugesetzt. Mit der Umgestaltung der Fußgängerzone kam es 2006/2007 zu einer Auslagerung der Skulptur. Im Mai 2007 erhielt das Denkmal einen neuen Standort im Eingangsbereich der Fußgängerzone. Eine vom Künstler ge- wollte Betrachtung von allen Seiten ist jetzt möglich. Seit Januar 81 2012 informiert eine zweisprachige, blaue Tafel der Kulturbe- hörde über die Skulptur von Franz Reckert. Schüler der Stadtteil- schule Walddörfer und des Walddörfer-Gymnasiums pflegen das Denkmal. Die Weiße Rose war ein Freundeskreis um die Geschwister Hans und , und Alexander Schmorell. Ab Sommer 1942 wandten sie sich in München mit Flugblättern gegen die Verbrechen der NS-Machthaber und rie- fen zur Beendigung des Krieges auf. Auch in anderen deutschen Städten, so in Hamburg, schlossen sich vorwiegend jüngere Men- schen aus unterschiedlichen Gründen diesen Gedanken und Ak- tivitäten an. Über Hans Leipelt und Traute Lafrentz waren Infor- mationen über den Widerstand der Münchner Weißen Rose als auch Flugblätter dieser Gruppe nach Hamburg gelangt. Der Kreis, der als Hamburger Weiße Rose bezeichnet wird, bestand aus verschiedenen, voneinander unabhängigen Freundeskreisen. Dazu gehörten ehemalige Schülerinnen und Schüler der nach den Grundsätzen der Reformpädagogik gegründeten Lichtwark- Schule, so Karl Ludwig Schneider, der Freundeskreis um die Fa- milie Leipelt aus Wilhelmsburg und oppositionelle Ärzte am Universitäts- krankenhaus Eppendorf, die sich den Namen candidates of humanity ga- ben. Am 18. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl nach einer Flug- blattaktion in der Münchner Univer- sität verhaftet. Sie wurden wie auch Christoph Probst vom „Volksge- richtshof“ unter Vorsitz von Roland Freisler wenige Tage später zum Tode verurteilt und am 22. Februar 1943 39 Porträt Hans Conrad Leipelt durch das Fallbeil ermordet. Weitere 82 Verhaftungen, Prozesse und Hinrichtungen gegen Mitglieder der Weißen Rose folgten. Gemeinsam mit seiner Studienfreundin Marie-Luise Jahn schrieb Hans Leipelt das sechste und letzte Flugblatt der Wei- ßen Rose“ ab und vervielfältigte es mit dem Zusatz „Und ihr Geist lebt trotzdem weiter“. Ostern 1943 übergab er seinen Hamburger„ Freunden die Abschrift des Flugblatts. Außerdem organisierte er mit anderen Mitstreitern eine Geldsammlung für Clara Huber, die Witwe des am 13. Juli 1943 hingerichteten .

VI. Flugblatt der Weißen Rose (Auszüge) Kommilitoninnen! Kommilitonen! Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Män- ner von Stalingrad. Dreihundertdreißigtausend deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten sinn- und verantwortungslos in Tod und Verderben ge- hetzt. Führer, wir danken dir! Es gärt im deutschen Volk: Wollen wir weiter einem Dilet- tanten das Schicksal unserer Armeen anvertrauen? Wollen wir den niedrigen Machtinstinkten einer Parteiclique den Rest der deutschen Jugend opfern? Nimmermehr. Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Abrechnung unserer deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigs- ten Tyrannis, die unser Volk je erduldet hat. Im Namen der ganzen deutschen Jugend fordern wir von dem Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut des Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen hat. In einem Staat rücksichtsloser Knebelung jeder freien Mei- nungsäußerung sind wir aufgewachsen. HJ, SA, SS haben uns in den fruchtbarsten Bildungsjahren unseres Lebens zu

83 uniformieren, zu revolutionieren, zu narkotisieren ver- sucht. […] Es gibt für uns nur eine Parole: Kampf gegen die Partei! Heraus aus den Parteigliederungen, in denen man uns po- litisch weiter mundtot halten will! Heraus aus den Hörsä- len der SS-, Unter- oder Oberführer und Parteikriecher! Es geht uns um die wahre Wissenschaft und echte Geistesfrei- heit! Kein Drohmittel kann uns schrecken, auch nicht die Schließung unserer Hochschulen. Es gilt den Kampf jedes einzelnen von uns um unsere Zukunft, unsere Freiheit und Ehre in einem seiner sittlichen Verantwortung bewussten Staatswesen. […] Auch dem dümmsten Deutschen hat das furchtbare Blutbad die Augen geöffnet, das sie im Namen von Freiheit und Ehre der deutschen Nation in ganz Europa angerichtet haben und täglich neu anrichten. Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend end- lich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, seine Peiniger zer- schmettert und ein neues, geistiges Europa aufrichtet. Stu- dentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813 die Brechung des Napoleoni- schen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes. […]

Spitzel der Gestapo verrieten die Gruppe. Mitte September 1943 begannen die ersten Verhaftungen. Die Gestapo verschärfte ih- ren Terror gegen Verwandte und Freunde Hans Leipelts. Bis zum März 1944 wurden insgesamt 30 Mitglieder der Wei- ßen Rose in Hamburg festgenommen. Die meisten Männer ka- men als Polizeihäftlinge in das KZ Neuengamme, die Frauen größtenteils ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Der Gruppe wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sie hätten vorgehabt,

84 die Lombardsbrücke zu sprengen und das Hamburger Trinkwas- ser zu vergiften. Hans Leipelt wurde vom Volksgerichtshof in Donauwörth als Hochverräter wegen des „Hörens ausländischer Rundfunksen- der, Wehrkraftzersetzung“ und „Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt und am 29. Januar 1945 in München-Stadelheim durch das Fallbeil hingerichtet.

Karl Ludwig Schneider zählt zu den Hamburger Mitgliedern der Weißen Rose. Er wurde am 25. September 1919 in Wellings- büttel geboren. Sein Vater war seit 1922 Mitglied einer Frei- maurerloge. Grundideale der Freimau- rerei sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Sie sollen durch die praktische Einübung im Alltag gelebt werden. Diese Grundeinstellungen der Eltern 40 Porträt Karl Ludwig Schneider beeinflussten Karl Ludwig Schneider. Als Jugendlicher war Schneider Mitglied der Bündischen Ju- gend. Seine Gruppe pflegte ein kulturelles Eigenleben und litera- rische Interessen. Als Leitspruch hatte sich die Gruppe ein Motto aus Hermann Hesses „Damian“ gewählt: „Ich wollte ja nichts, als das zu leben versuchen, was von mir selber aus mir herauswollte.“ Die Betonung des Individuellen widersprach dem vorherrschen- den nationalsozialistischen Führerprinzip und der Volksgemein- schaftsideologie.

85 1935 wechselte Karl Ludwig Schneider vom Barmbeker Real- gymnasium auf die reformpädagogisch orientierte Lichtwark- Schule, wo er 1938 das Abitur machte. Er besuchte den privaten Lesekreis der von der Lichtwark-Schule strafversetzten Lehrerin Erna Stahl. An diesem Lesekreis nahmen auch Heinz Kucharski, Greta Rothe und Traute Lafrenz teil, später aktive Mitglieder der Hamburger Weißen Rose. Nach seinem Abitur wurde Schneider zum Arbeitsdienst in Ostpreußen verpflichtet und unmittelbar danach zur Wehr- macht eingezogen. Als Infanterist musste er an den Feldzügen gegen Polen, Frankreich und die Sowjetunion teilnehmen.

Aus dem Kriegstagebuch von Karl Ludwig Schneider16: „Unweit Warschau am 10.6.41: In Kutno hingen auf einem öffentlichen Platz drei Polen am Galgen. Ein Schauspiel, das den modernen Menschen nur noch selten geboten wird. Am Eingang der Stadt waren Juden in einem zerschossenen Fabrikgelände hinter einem Stacheldrahtzaun einge- pfercht. Am Eingang dieses Lagers war ein Schild ange- bracht, auf dem ‚Achtung Seuchengefahr‘ stand. Ein ent- setzliches Bild! Um sechs Uhr wurden die Leichen vom Gal- gen geschnitten und um 8 Uhr an ihrer Stelle drei andere erhängt. Wir fühlten uns bis zum äußersten angewidert von diesen Methoden.“

Im Sommer 1940 — während des sogenannten Westfeldzuges — lernte Schneider Hans Leipelt kennen, als er durch einen Granat- splitter verletzt wurde und Leipelt ihm zu Hilfe kam. Zwischen den jungen Männern entstand eine enge Freundschaft, während der beide ihre Gegnerschaft zum Nationalsozialismus weiterent- wickelten. Hans Leipelt wurde im August 1940 als „ ers- ten Grades“ aus der Wehrmacht entlassen und kehrte nach Ham- burg zurück. Er begann Chemie zu studieren. Schneider

86 besuchte ihn und dessen Familie während verschiedener Front- urlaube. Während des Feldzuges gegen die Sowjetunion stellte Schneider einen Antrag auf einsemestrigen Studienurlaub, der bewilligt wurde. Im Dezember 1941 begann er sein Studium der Germanistik, Anglistik und Zeitungswissenschaft an der Ham- burger Universität. Um nicht an die Ostfront zurückkehren zu müssen, nahm Schneider an einem Offizierslehrgang teil. Wegen einer Magenoperation wurde er im Juli 1942 zunächst vom Hee- resdienst beurlaubt und konnte sein Studium fortsetzen. Im Ap- ril 1943 wurde er als kriegsversehrt und dienstunfähig eingestuft. An der Universität Hamburg hatte Hans Leipelt die ehemali- gen Klassenkameraden Karl Ludwig Schneiders, Heinz Kucharski und Margaretha Rothe, kennengelernt. Wie Kucharski, Rothe und Albert Suhr, der zum Kreis der Candidates of humanity ge- hörte, besuchte er zusammen mit Schneider Lehrveranstaltun- gen des Pädagogen Wilhelm Flitner. Hier konnte über das NS- Regime anknüpfend an freiheitlich-demokratische Traditionen diskutiert werden. Es entwickelte sich ein Freundeskreis, in dem verbotene Schriften ausgetauscht und diskutiert sowie Nachrich- ten aus dem Ausland weitergegeben wurden. Ein beliebter Treff- punkt in dieser Zeit war die Hamburger Bücherstube in der Straße Colonnaden 104, dessen Inhaber Felix Jud auch verbotene Bücher an vertrauenswürdige Personen verkaufte.

„Unsere Gruppe bestand zur Hälfte aus Studenten, dann Lehrern, Ärzten, Buchhändlern — Intellektuellen also. Das war alles ganz informell, ohne feste Organisation. Aus ver- schiedenen Freundeskreisen, über Querverbindungen hat- ten sich da Gegner des Regimes zusammengefunden.“17

Karl Ludwig Schneider lernte die Wilhelmsburger Familie Leipelt näher kennen und erfuhr so, welchen antijüdischen Verfolgungs- maßnahmen diese ausgesetzt war. Leipelts Großmutter wurde

87 am 19. Juli 1942 ins KZ Theresienstadt „umgesiedelt“ und kam dort ein halbes Jahr später zu Tode. Karl Ludwig Schneider schloss Bekanntschaft mit der Musik- studentin Dorothea Zill, einer Freundin von Hans Leipelt, in de- ren elterlichen Wohnung in der Conventstraße 6 im Wandsbe- ker Stadtteil Eilbek sich die jungen Leute trafen. Hans Leipelt war mit Beginn des Wintersemesters 1940/41 an die Universität München in das Institut des Nobelpreisträgers Professor Heinrich Wieland gewechselt. Wieland 18 ermöglichte ihm und anderen sogenannten Halbjuden als „Gäste des Geheim- rates“ das Chemiestudium, das ihnen anderswo wegen der NS- Rassengesetze verwehrt war. In München fand Leipelt Freunde, die sich im Widerstand gegen das NS-Regime organisierten. Ei- nen direkten Kontakt zur Weißen Rose um die Geschwister Scholl hatte Hans Leipelt aber nicht. Im Herbst 1942 brachte die ehemalige Lichtwarkschülerin Traute Lafrenz aus München erste Flugblätter der Weißen Rose nach Hamburg mit. Sie übergab diese an ihre ehemaligen Schul- kameraden Rothe, Kucharski und Schneider. Schneider reichte sie an vertrauenswürdige Kommilitonen weiter. Ostern 1943 kam Hans Leipelt aus München nach Hamburg. Er war tief erschüttert aufgrund der Hinrichtung der Geschwister Scholl und von Christoph Probst. Er wollte deren Kampf fortfüh- ren und diskutierte mit seinen Freunden — so auch mit Karl Lud- wig Schneider — aktivere Formen des Widerstands. Beim letzten Besuch Leipelts in Hamburg Ende September 1943 sammelten die Freunde Geld für die Witwe des am 13. Juli hingerichteten Professors Kurt Huber. Kurz danach wurde Leipelt in München verhaftet. Karl Ludwig Schneider war Anfang Oktober an die Universität Freiburg gewechselt. Von seinem Vater vorgewarnt versuchte er in die Schweiz zu fliehen, jedoch vergeblich. Am 9. November 1943 wurden in Hamburg Maria Leipelt, Greta Rothe und Heinz Kucharski verhaftet, eine Woche später Karl Ludwig 88 Schneider in Freiburg, weil er sich „mit Zugehörigkeit zu einem Personenkreis, der in Verfolgung pazifistisch-kommunistischer Ziele feindliche Sender abhörte und Feindflugblätter diskutierte, hochverräterisch betätigte,“ so der Haftbefehl. Er wurde nach Hamburg ins KZ Fuhlsbüttel gebracht und tagelang zermürben- den Verhören ausgesetzt. Über zwanzig Angehörige des Ham- burger Nebenzweigs der Weißen Rose kamen ebenfalls in Haft. Am 1. Juni 1944 wurde Schneider in das KZ Neuengamme verlegt, am 13. Juli kam er zurück. Da der Prozess gegen Schneider vor dem Volksgerichtshof Berlin stattfinden sollte, wurde er mit an- deren Mitgefangenen am 10. November ins Untersuchungsge- fängnis Berlin-Alexanderplatz gebracht, eine Woche später ins Landgerichtsgefängnis Stendal. Der Prozessbeginn gegen Schneider wurde auf den 17. bis 20. April 1945 festgelegt. Da Schneider wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Rundfunkver- brechen, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung“ angeklagt wurde, musste er mit dem Todesurteil rechnen. Fünf Tage vor Prozessbeginn wurde er von US-amerikanischen Truppen be- freit. Der Prozess gegen Karl Schneider, Maria Leipelt, Dorothea Zill, Emmy Zill, Ilse Ledien und Riko Graepel fand letztlich am 20. April 1945 vor dem Volksgerichtshof in Hamburg in seiner Abwesenheit statt.

„Mit den Scholls hatten die Nazis kurzen Prozess gemacht; bei uns dagegen ermittelten sie unendlich gründlich. Das war unser Glück. Mit dem Krieg ging es mittlerweile auf den Rest. Am 19. April 1945 sollte das Verfahren gegen uns vor dem Ersten Senat des Volksgerichtshofs eröffnet werden. Das war das Übelste, was es gab: Der Senat fällte 80 Pro- zent Todesurteile. Aber wir wurden nicht abgeurteilt. Am 14. April, fünf Tage vor Prozessbeginn, wurden wir von den Amerikanern befreit.“ 19

89 Karl Ludwig Schneider kehrte Anfang Mai 1945 aus Stendal nach Hamburg zurück. Obwohl er in der Haft schwere gesund- heitliche Schäden erlitten hatte, setzte er sein Studium und seine schriftstellerische Tätigkeit fort. Er engagierte sich im „Zentral- auschuß der Hamburger Studenten“ (ZA), an dem neben Karl Ludwig Schneider, auch der bekannte Wissenschaftler Hoimar von Ditfurth und Conrad Ahlers, später Regierungssprecher des Kabinetts Willy Brandt (SPD), beteiligt waren. Der ZA setzte sich für einen Neuanfang im universitären Leben ein. Karl Ludwig Schneider erhielt zusammen mit seinem Freund Joachim Heit- mann im Juni 1946 von der britischen Militärbehörde die Lizenz zur Herausgabe der Kulturzeitschrift Hamburger Akademische Rundschau. Bis zu seinem Tod 1981 lehrte Karl Ludwig Schneider an der Universität Hamburg.

Karl Ludwig Schneider: „Wo man verbrecherisches politisches Verhalten erkennt, kann man nicht früh genug damit anfangen, es zu bekämp- fen, auf alle mögliche Weise. Politische Früherkennung ist nötig, Aufmerksamkeit und Interesse für solche Entwick- lungen, wo Parteien grundsätzliche Rechte nicht mehr res- pektieren.“ 20

90 41 Karl Ludwig Schneider (Alstertal-Magazin Nr. 11/2005)

91 Gedenkstein Konzentrationslager Wittmoor

Bilenbarg/Am Moor, Bus 176/276 ab S-Bahn Poppenbüttel oder U-Bahn Ohlstedt bis Tannenhof

Das erste Konzentrations- lager in Hamburg wurde am 31. März 1933 — zwei Monate nach der national- sozialistischen Macht- übernahme im Deutschen Reich — errichtet. Es lag unmittelbar an der nördli- chen Stadtgrenze im Witt- moor in der Nähe der da- maligen Gemeinde Glas- hütte (seit 1970 Norder- 42 Gedenkstein KZ Wittmoor stedt). Seit dem 8. März 1933 gab es in Hamburg eine von der NSDAP geführte Koalitionsregierung mit der Deutschen Staatspartei (DStP), der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und der Deutschen Volkspartei (DVP). Der von seinem Parteifreund Reichsinnenminister Wilhelm Frick ernannte Alfred Richter (NSDAP) wurde als Polizeiherr und Innensenator von diesem Koalitionssenat und der Hamburger Bürgerschaft bestätigt.21 Der NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann, ab Mai 1933 Reichsstatthalter in Hamburg, und der neue Polizeisenator Richter säuberten so- fort den ihnen unterstehenden Beamtenapparat nach national- sozialistischen Vorstellungen und ließen massiv politische Geg- ner verfolgen. Allein zwischen März und Juli 1933 wurden in

92 Hamburg unter ihrer Verantwortung nahezu zweitausend Men- schen festgenommen. Als Rechtsgrundlage dieser Verhaftungen diente die unmit- telbar nach dem inszenierten Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 erlassene „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“. Diese ermöglichte es den Nationalsozialisten reichsweit, die Ver- folgung politischer Gegner unabhängig von der Justiz zu betrei- ben. Zentrale verfassungsmäßige Freiheitsrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, das Vereins- und Versammlungsrecht, das Brief-, Post-, Fernsprechgeheimnis wa- ren durch die Notverordnung aufgehoben oder eingeschränkt worden. Zeitungen, Demonstrationen und Kundgebungen waren verboten worden. Nach § 2 dieser Notverordnung war die Reichs- regierung ermächtigt worden, alle zur „Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen“ zu treffen. So erhielten die Massenverhaftungen einen „legalen“ An- strich. Es handelte sich dabei um sogenannte Schutzhaft. „Schutzhaft“ sollte abschrecken. Verhängung und Dauer wurden im Ungewissen gelassen. Gründe für die Verhaftung mussten nicht mitgeteilt werden. Gegen die Anordnung von „Schutzhaft“ war keine gerichtliche Überprüfung vorgesehen. „Schutzhaft“ konnte in staatlichen Gefangenenanstalten oder in Konzentrati- onslagern vollstreckt werden. Vielfach waren überall im Deut- schen Reich in stillgelegten Fabriken, aufgelassenen Zuchthäu- sern, Kasernen und Arbeitshäusern über achtzig sogenannte Konzentrationslager eingerichtet worden, um die politischen Gegner gefangen zu halten.

Die in Hamburg in „Schutzhaft“ festgehaltenen Gefangenen wur- den zunächst im Hamburger Untersuchungsgefängnis einge- sperrt. Als die Zahl der Festgenommenen ständig wuchs, wurden weitere Unterbringungsmöglichkeiten gesucht.

93 43 Hamburger Fremdenblatt, 26. Mai 1933

Noch im März 1933 wurde ein leerstehender Gebäudekomplex der Strafvollzugsanstalt Fuhlsbüttel genutzt. Hier entstand spä- ter das Kola-Fu, das Konzentrationslager Fuhlsbüttel. Parallel dazu wurde ein Ort gesucht, wo sogenannte Schutzhäftlinge zwangsweise in der Landwirtschaft arbeiten sollten. Ende März 1933 wurde die Torfverwertungsfabrik Wittmoor als passend aus- gewählt. Bereits am 10. April 1933 kamen die ersten Häftlinge in das mit Stacheldraht umzäunte Gebäude. Das Lager unterstand der Polizeibehörde. Lagerführer war Paul Wilhelm Ziesener. Die Wachmannschaft bestand aus 6 Beamten und 36 SA-Hilfspolizis- ten der Ordnungspolizei. Gut 140 politische Gefangene — 94 überwiegend Kommunisten — wurden neben Ausbau und In- standhaltungsarbeiten an den Gebäuden zum Torfstechen, Tro- ckenlegen von Moorflächen und Verarbeiten zu Brenntorf einge- setzt. In verschiedenen Hamburger Zeitungen wurde zur Ab- schreckung vom KZ Wittmoor und den dortigen „Umerzie- hungsmaßnahmen“ berichtet. Im August 1933 wurde erwogen, das KZ Wittmoor zur Unter- bringung von 400 bis 500 Gefangene zu erweitern. Dies wurde jedoch nicht umgesetzt. Das KZ Wittmoor wurde schon am 18. Oktober 1933 wieder geräumt. Die Häftlinge kamen in das am 4. September 1933 eröffnete KZ Fuhlsbüttel. Der Präsident des Strafvollzugsamtes, Max Lahts, kündigte dort am selben Tag eine härtere Gangart gegen die politischen Gefangenen an:

„Ich habe Sie hier antreten lassen, um Ihnen mitzuteilen, dass der Herr Reichsstatthalter mit dem heutigen Tage die Schutzhaftgefangenen dem Strafvollzugsamt unterstellt hat. Die Veranlassung und Ursache hierzu ist die Erkennt- nis, dass ein großer Teil von Ihnen nicht gewillt ist, seine feindliche Einstellung dem neuen Staat gegenüber aufzuge- ben, wie Sie es durch Ihr Gesamtverhalten immer wieder zum Ausdruck gebracht haben. […] Das Strafvollzugsamt wird Ihnen als bewussten Feinden des nationalsozialisti- schen Staates zielbewusst, unerbittlich und hart unter Ein- satz aller Mittel beweisen, daß niemand ungestraft den Staat Adolf Hitlers in seiner Aufbauarbeit stören darf.“22

Für viele der ins KZ Fuhlsbüttel verlegten Gefangenen des KZ Wittmoor begann ein langer Leidensweg durch die verschiede- nen Konzentrationslager des Reiches. Vom einstigen KZ Witt- moor ist heute nichts mehr zu sehen. Auf dem ehemaligen Ge- lände in Glashütte steht jetzt ein Baumarkt mit einem großen

95 Parkplatz. Nur das Moor ist noch da, in dem die Häftlinge den ganzen Tag über Torf stechen mussten. In dem heutigen Naturschutzgebiet erinnern zwei Gedenk- steine an die Geschichte des ersten Konzentrationslagers Ham- burgs.

44 KZ Wittmoor

Zur Erinnerung an das KZ Wittmoor ließ der Ortsausschuss Walddörfer im Herbst 1986 einen Gedenkstein aufstellen. Ein zweiter Gedenkstein, auf dem mit einem Zitat des Bundespräsi- denten Richard von Weizsäcker aus seiner Ansprache zum 8. Mai 1985 an alle Opfer des Nationalsozialismus erinnert wird, befindet sich seit 1987 im Gebiet der Stadt Norderstedt. Emil Heitmann wurde am 6. November 1912 geboren. Sein Vater starb als Soldat im 1. Weltkrieg, sodass seine aus England stammende Mutter die Familie allein durchbringen musste. Schon früh engagierte er sich in der Sozialistischen Arbeiter-

96 jugend (SAJ), später im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD). Nach der Schule machte er von 1927 bis 1931 eine Elektrikerlehre. Im Anschluss besuchte er die „Höhere Schule für Maschinenbau, Schiffsmaschinenbau, Elektrotechnik und Schiffbau“, Vorgängerin der heutigen Hochschule für Ange- wandte Wissenschaften (HAW). 1933 musste er nach drei Semestern sein Studium beenden. Seine Mutter und seine Schwes- ter wanderten in diesem Jahr nach England aus. Wegen der Verteilung von politischen Flugblät- tern wurde er 1933 verhaf- tet und kam ins Konzent- rationslager Fuhlsbüttel (Kola-Fu). Er musste tags- über im KZ Wittmoor ar- beiten. Er wurde dazu ein- geteilt, Torf neu zu ste- chen, während andere Ge- fangene diesen transpor- 45 Emil Heitmann (Hamburger Abendblatt) tieren und aufschichten mussten. Gearbeitet wurde bis zum Dunkelwerden. Im Kola-Fu lernte er den Schriftsteller Willi Bredel kennen und schätzen, der seit 1919 Mitglied der KPD war. Bredel veröf- fentlichte 1934 in London den ersten authentischen Roman über den NS-Terror: „Die Prüfung“. Er schilderte seine persönlichen Erfahrungen im KZ Fuhlsbüttel. Ähnliche Erlebnisse machte E- mil Heitmann, wie er in seinen Erinnerungen schrieb. Nach seiner Haftentlassung fand Emil Heitmann mit viel Glück eine Anstellung als Elektriker und Konstrukteur beim 97 Hamburger Unternehmen CHF Müller („Röntgen-Müller“), ei- nem Unternehmen der Philips GmbH. Bereits 1935 wurde er er- neut verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ auf- grund der illegalen Tätigkeit für die KPD bzw. den kommunisti- schen Jugendverband (KJVD) zu drei Jahren Zuchthaus verur- teilt. Die Haftzeit musste er in der Strafanstalt Bremen-Oslebs- hausen absitzen. Danach arbeitete er in den Jahren 1938 bis 1942 wieder bei CHF Müller. Im Februar 1942 wurde er in das Bewährungsbataillon 999, einem Sonderverband der Wehrmacht, eingezogen. Die bisher vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossenen „bedingt Wehr- unwürdigen“ sollten angesichts der militärischen Verluste nun doch zum Dienst herangezogen werden. Emil Heitmann kam nach Italien. Dort gelang es ihm, Kontakte zu italienischen Par- tisanen zu knüpfen. Aufgrund seiner qualifizierten Ausbildung wurde er 1943 noch einmal nach Deutschland zurückbeordert und arbeitete in Neustadt bei der Marine als Leiter eines Entwicklungsbüros für elektronische Röhren. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges wurde Emil Heitmann erneut einem Bewährungsbataillon zuge- wiesen. Im März 1945 kam er in Frankreich in US-amerikanische Ge- fangenschaft. Er engagierte sich dort im „Komitee nationaler An- tifaschisten“. Nach Deutschland zurückgekehrt nahm er seine Arbeit bei „Röntgen-Müller“ wieder auf und wurde Leiter der Konstruktionsabteilung. Sein politisches Engagement blieb un- gebrochen: Er wurde Gründungsmitglied der Deutschen Ange- stellten Gewerkschaft (DAG) und Vorsitzender des Entnazifizie- rungsausschusses bei CHF Müller. Er engagierte sich in der Ver- einigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und in der KPD. Maßgeblich war es Emil Heitmanns unermüdlichem Einsatz zu verdanken, dass die Gedenkstätte Plattenhaus in

98 Poppenbüttel eingerichtet wurde. Als Saseler wollte er die Erin- nerung an die KZ-Häftlinge des KZ-Außenlagers Sasel wachhal- ten. Häufig wurde er von Schulen als Zeitzeuge eingeladen und berichtete über seine Erlebnisse. Am 24. Juli 1995 verstarb Emil Heitmann.

„Als ich in Wittmoor eingeliefert wurde, traf ich Freunde aus meiner SAJ-Gruppe, der SPD-Jugend, und andere Nichtkommunisten. Das jedoch mochten die Zeitungen zu der Zeit noch nicht melden. Mit unserer Fronarbeit, natür- lich ohne Bezahlung, beglichen wir für die Nazis die Kaser- nen-Nutzungsgebühr. Schließlich hatte Hitler dieses den Unternehmern versprochen. Die antifaschistische Arbeit nahm zu, und das Lager Wittmoor wurde nicht nur zu klein, sondern auch zu unsicher. Eilig wurde das Frauenge- fängnis in Fuhlsbüttel zum KZ umfunktioniert. Wittmoor beherbergte die Gefangenen nicht mehr, wir Gefangenen wurden mit LKWs morgens beim Hellwerden dorthin ge- fahren und beim Dunkelwerden wieder zurück. Die Schlä- ger waren fortan SS-Schläger und Marine-SA. Diese Schin- derei hörte erst auf, als ich mit meinen Jugendfreunden zur Aburteilung vor das Hamburger Oberlandesgericht gestellt wurde. Trotz massiver Folterungen durch das Kommando zur besonderen Verwendung (KzbV) an den Hohen Blei- chen, konnten die Folterer dem einst demokratischen Ge- richt keine verwertbaren Schuldbeweise liefern. Wir Ju- gendlichen, 17 bis 21 Jahre, wurden freigesprochen. Meine Mündigkeit feierte ich in der Haft. Nachzutragen wäre, dass einige von uns, wegen der Erfahrungen in Wittmoor, den Kampf gegen die Faschisten weiterführten. Die erneute Verhaftung war um vieles grausamer. Die Haftzeit mit den

99 höher entwickelten Verhörmethoden, dauerte Jahre und war um vieles schrecklicher.“23

100 Gedenkort Hohenbuchen

Poppenbüttler Hauptstraße 44 (Stolperstein und Gedenktafel Andrzej Szablewski), Bus 276 ab S-Bahn Poppenbüttel oder U-Bahn Ohlstedt bis Maike-Harder-Weg

46 Tafel Hohenbuchen

An dieser Stelle wurde am 13. März 1942 der auf dem Gut Hohen- buchen eingesetzte 29jährige polnische Zwangsarbeiter Andrzej Szablewski gehenkt. Er war vom Gutsverwalter und NS-Ortsbau- ernführer Walter Grimm denunziert worden. Ihm wurde eine Liebesbeziehung zu einer deutschen Frau unterstellt. Andrzej Szablewski war wie Millionen andere Ausländer zur Arbeit für die deutsche Kriegswirtschaft gezwungen worden. Gleich nach der Eroberung Polens 1939 waren hunderttausende

101 polnische Kriegsgefangene in der Landwirtschaft für das Deut- sche Reich eingesetzt worden, Arbeitskräfte als „Kriegsbeute“. Hintergrund: Männliche deutsche Arbeitskräfte waren in großer Zahl zur Wehrmacht eingezogen worden, um einen Eroberungs- feldzug zu führen. Mittels Razzien und Gestellungsbefehlen wur- den in den nächsten Jahren zusätzlich über eine Million Polen zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt. Polnische Zwangsarbeiter gehörten nicht zur „deutschen Volksgemein- schaft“, sondern wurden als „Arbeitsvolk“ tituliert. Mit den sogenannten Polenerlassen wurde für die polnischen Zwangsarbeiter ein Sonder- recht nach rassistischen Grundsätzen einge- führt. Es herrschte Kennzeichnungspflicht, hierfür wurde ein Aufnäher mit einem „P“ vor- geschrieben. Die polnischen Zwangsarbeiter sollten getrennt von Deutschen möglichst in einem Lager unter- gebracht werden. Es herrschten umfassende Verbote: So durften polnische Zwangsarbeiter keine Wertsachen und Fahrräder, Fo- toapparate oder Feuerzeuge besitzen. Sie durften keine öffentli- chen Verkehrsmittel benutzen. Der Besuch von Gaststätten und Tanzveranstaltungen war verboten. Es herrschte ab Dämmerung generelle Ausgangssperre. Der Kontakt mit Deutschen war strengstens untersagt. Im Merkblatt „Pflichten der Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums während ihres Aufent- haltes im Reich“ vom 6. März 1940 hieß es: „Wer mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt, wird mit dem Tode bestraft.“ Die NS-Machthaber fürchteten um die „Blutreinheit des deut- schen Volkes“. Mit den deutschen Eroberungsfeldzügen wurden millionen- fach weitere Kriegsgefangene und Zivilarbeiter aus allen besetz- ten Gebieten zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Etwa zweieinhalb Millionen Menschen, die von 1939 bis 1945 102 Zwangsarbeit für Deutschland leisten mussten, haben dieses nicht überlebt. Andrzej Szablewski wurde in Polen am 13. Januar 1913 in Stary Radziejów geboren. Er lebte auf dem elterlichen Bauernhof und arbeitete dort bei seiner Familie. Zusammen mit seinem Bru- der Kazimierz und weiteren Po- len wurde er im April 1940 ver- haftet und gegen seinen Willen zur Zwangsarbeit nach Ham- burg verschleppt. Er musste 47 Andrzej Szablewski seine junge Frau Irena Malicka verlassen und konnte nicht mehr auf dem elterlichen Hof arbei- ten. Er kam zum Arbeitseinsatz auf das Gut Hohenbuchen in Poppenbüttel, heute Biohof und Kindertagesstätte. Der 17. April 1940 war hier sein erster Arbeitstag. Täglich musste er von mor- gens früh bis abends spät schuften. Die Versorgung und die Un- terbringung auf dem Gut waren erbärmlich. Die hier eingesetz- ten Zwangsarbeiter wurden schikaniert und geschlagen. Die zer- lumpte und dreckige Kleidung durfte monatelang nicht gewa- schen werden. Sie wurde auch nicht ersetzt. Auf dem Gut Hohenbuchen begegnete Andrzej Szablewski der 20jährigen Erntehelferin Hildegard Lütten, geborene Reiner. Diese Begegnung hatte für beide grausame Konsequenzen. Sie war im Gegensatz zu vielen anderen Deutschen auf dem Gut freundlich zu ihm. Sie sprachen miteinander. Sie schenkte ihm gebrauchte Socken ihres Ehemannes, der zu dieser Zeit Kriegs- dienst leistete. Andrzej Szablewski reparierte ihr Fahrrad. Der Gutsverwalter Walter Grimm machte in dieser Zeit der verheira- teten Hildegard Lütten Avancen. Sie wollte aber nicht. Grimm 103 rächte sich. Als Grimm sie beim Baden in einem Teich mit polni- schen Zwangsarbeitern beobachten ließ, denunzierte er sie bei der Polizei und unterstellte ihr „sexuelle Beziehungen zu den jun- gen polnischen Arbeitern.“ Laut dem sogenannten Polen-Erlass war das Baden nur in getrennten Seen gestattet. Der vor Ort zu- ständige Polizeimeister Willy Schmidt übernahm die Ermittlun- gen und leitete danach eine Meldung an die Gestapo weiter. Andrzej Szablewski und Hildegard Lütten wurden verhaftet. Sie kamen am 22. Juli 1941 zunächst ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Es folgten Verhöre im Stadthaus. Ohne Gerichtsverfahren wurde Hildegard Lütten am 9. Mai 1942 in das Frauen-KZ Ravensbrück überstellt. Dort musste sie bis zum 12. Februar 1945 bleiben und Zwangsarbeit verrichten. Bis heute ist nahezu unbekannt, dass etwa 3500 Frauen wegen der Beschuldigung „Verkehr mit Fremd- völkischen“ im Konzentrations- lager Ravensbrück inhaftiert wurden. In einem Erlass Hein- rich Himmlers vom 31. Januar 1940 war festgelegt worden, dass die betroffenen Frauen mindes- tens ein Jahr einem Konzentrati- onslager zuzuführen waren. Für die männlichen Zwangsarbeiter hatte das NS-Regime eigene Ver- ordnungen erlassen. In der Re- gel erfolgte eine öffentliche Hin- richtung. Andrzej Szablewski kam zunächst ins KZ Fuhlsbüt- 48 Hildegard Lütten tel. Er wurde zur „Abschre- ckung“ am 13. März 1942 auf dem Gut Hohenbuchen an einer gro- ßen Eiche erhängt. Die Hinrichtung erfolgte ohne Gerichtsurteil auf Anordnung des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler. Zweihundert polnische 104 Zwangsarbeiter waren zur Teilnahme an dieser Hinrichtung ver- pflichtet worden. Zahlreiche Polizei-, Gestapo- und NSDAP-An- gehörige waren ebenfalls anwesend. Die Gestapo meldete Szablewskis Tod am 22. April 1942 beim Standesamt in Wellings- büttel. Szablewskis Witwe erhielt eine schriftliche Todesmittei- lung aus Hamburg. Darin hieß es, dass ihr Mann aufgrund einer Affäre mit einer Deutschen hingerichtet worden sei. Der Ermor- dete wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf am Eingang Bramfeld ver- scharrt. Der Ehemann von Hildegard Lütten hatte im Krieg die Schei- dung eingereicht, ohne mit seiner Frau über die erlogenen An- schuldigungen gesprochen zu haben. Hildegard Lütten heiratete nach Kriegsende erneut und nahm den Namen Lüdemann an. Eine offizielle Rehabilitierung gab es für sie nicht, ebenso keine Anerkennung als NS-Verfolgte und keine Entschädigung wegen der Haft im KZ Ravensbrück. Erst durch das Engagement von Andreas Seeger erhielt sie eine laufende Beihilfe der Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte.24 Der Bruder von Andrzej Szablewski strengte unmittelbar nach Kriegsende einen Prozess gegen die Verantwortlichen an. Im April 1946 mussten sich der Gutsverwalter sowie sechs an der Hinrichtung beteiligte Gestapo- und Polizeibeamte vor einem britischen Militärgericht verantworten. In einem zweiten Pro- zess waren im Juli 1946 zwei der Hinrichtung beiwohnende hö- here NS-Funktionäre sowie ein an der Absperrung des Hinrich- tungsortes beteiligter Polizist angeklagt. Dieser wurde als Einzi- ger freigesprochen. Die Gerichte verhängten vier Todesurteile, von denen zwei (gegen den Gutsverwalter Walter Grimm und den Gestapo-Beamten Karl Mumm) vollstreckt wurden, sowie fünf Haftstrafen. Die Aufstellung der Gedenktafel am 24. März 2003 im Hohen- buchenpark ist dem Historiker Andreas Seeger zu verdanken. Ohne seine umfangreiche Recherche über die Schicksale der 105 beiden betroffenen Menschen wüssten wir heute nichts von alle- dem. Er hat seine Forschung in einem Buch dokumentiert.25 Die Gedenktafel wurde ungefähr dort angebracht, wo früher die Eiche stand, an der Andrzej Szablewski erhängt wurde. Im Oktober 2016 wurde vor der Kindertagesstätte Hohenbu- chen ein Stolperstein zum Gedenken an Andrzej Szablewski ein- geweiht.

49 Stolperstein Andrzej Szablewski

106 Höltigbaum — Gedenkort für Deserteure

Ecke Neuer Höltigbaum/Sieker Landstraße, Bus 462 ab S-Bahn Rahlstedt bis Naturschutzgebiet Höltigbaum oder Neuer Höltigbaum

50 Gedenktafel Höltigbaum

Bereits zu Beginn des Zweiten Weltkrieges verweigerten zum Wehrdienst verpflichtete Männer den Kriegsdienst in der deut- schen Wehrmacht aus Gewissens- und Glaubensgründen. Zu diesen gehörten in großer Zahl die Zeugen Jehovas, damals auch „Ernste Bibelforscher“ genannt.26 Andere Soldaten beschlossen

107 angesichts des erlebten Terrors an der Front, sich dem Krieg zu entziehen — durch Fahnenflucht oder Selbstverstümmelung. Diese Männer wollten keine Unrechtstaten begehen. Etliche blieben dem Wehrdienst — häufig nach einem Heimaturlaub — unerlaubt fern, weil sie nicht wieder in den Kampf ziehen woll- ten. Sie alle wurden als Deserteure verfolgt. Andere verweigerten den Gehorsam. Gerade nach der Kriegswende, der verlorenen Schlacht um Stalingrad, zeigten viele deutsche Soldaten keine Begeisterung mehr für den Kriegseinsatz. Wer seinem Unwillen durch Worte Luft verschaffte, konnte wegen „Wehrkraftzerset- zung“ angezeigt und verfolgt werden. Dasselbe galt für Aufforde- rungen zum Ungehorsam oder allgemein zum Sich-Widersetzen. In den letzten Monaten des Krieges versuchten viele Soldaten, dem Kriegsgeschehen durch Flucht und Verstecken zu entkom- men. Einige liefen zum „Feind“ über. Dieses versuchte das NS- Regime durch erweiterte Strafbefugnisse der Kommandeure und durch „fliegende Standgerichte“ einzudämmen. Der Terror wurde gesteigert. Gegen alle, die als Kriegsdienstgegner, als Fah- nenflüchtige oder „Wehrkraftzersetzer“ angeklagt worden wa- ren, wurden harte Strafen ausgesprochen: Zuchthaus, Wehrstraf- gefangenenlager, KZ, Strafbataillon oder Verurteilung zum Tod. Bedroht waren aber auch diejenigen, die Fahnenflüchtigen Un- terschlupf gewährten und sie mit Papieren und Lebensmitteln versorgten. Das NS-Regime hatte schon kurz nach dem Machtantritt die in der Weimarer Republik aufgehobene Militärgerichtsbarkeit wieder eingeführt und das Militärstrafrecht fortlaufend ver- schärft. Die Zahl der Kriegsgerichte, an ihrer Spitze das Reichs- kriegsgericht, stieg auf über tausend; die Zahl der Kriegsrichter auf etwa dreitausend. Kriegsgerichtliche Entscheidungen sollten nicht mit Rechtsmitteln angefochten werden können. Kurz vor Kriegsbeginn wurden die „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ (KSSVO) und die „Kriegsstrafverfahrensordnung“ (KStVO) 108 erlassen. Der sogenannte Zersetzungsparagraph (§ 5 KSSVO) be- stimmte, dass jeder Versuch der Wehrdienstentziehung (z.B. Täuschung oder Selbstverstümmelung), die „Lähmung der wehr- haften Selbstbehauptung“ oder die öffentliche Aufforderung dazu mit dem Tode zu bestrafen sei. Durch verschiedene Ergänzungen wurde auch bei minderschweren Fällen die Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens bis hin zum Todesurteil ermöglicht, wenn es „die Aufrechterhaltung der Manneszucht oder die Siche- rung der Truppe erfordert“ oder dieses „nach gesundem Volks- empfinden“ notwendig wäre. Abschreckung war das erklärte Ziel. Die Furcht vor Strafe sollte so groß sein, dass jedes Aufbegehren unterblieb. Die NS-Militärjustiz führte rund zweieinhalb Millio- nen Strafverfahren gegen Wehrmachtsangehörige durch. Es kam zu weit über eine Million Verurteilungen. Insgesamt verurteilten deutsche Wehrmachtsgerichte in Deutschland und im besetzten Europa ungefähr 30.000 Soldaten und Zivilisten, die Soldaten bei der Flucht geholfen hatten, zum Tode. Die Vollstreckungsquote lag bei siebzig Prozent.27 Damit verhängten Wehrmachtsgerichte weit mehr Todesurteile als der berüchtigte Volksgerichtshof, die Sondergerichte und alle anderen Strafgerichte zusammenge- nommen. Hamburg war während des Zweiten Weltkrieges einer der be- deutendsten Wehrmachtsstandorte im Deutschen Reich. Hier waren elf Gerichte der Wehrmachtsjustiz tätig, die Zehntau- sende von Verfahren gegen Soldaten aller Waffengattungen, ge- gen Angehörige des sogenannten Gefolges und gegen Kriegsge- fangene durchführten. Ab Ende 1943 lässt sich ein rapider An- stieg von Todesurteilen nachweisen. Vollstreckt wurden diese im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis durch Enthaupten und am Standortschießplatz Höltigbaum durch Erschießen, oft- mals von Exekutionskommandos aus den in direkter Nachbar- schaft gelegenen Kasernen wie der Graf-Goltz-Kaserne. Zwi- schen 1940 und 1945 sind ca. 150 Vollstreckungen von 109 Todesurteilen am Höltigbaum namentlich nachweisbar. Die ver- mutete Gesamtzahl liegt deutlich darüber. Die meisten der Er- mordeten waren einfache Soldaten. Zwei Drittel der Hingerich- teten hinterließen Frau und Familie. Das jüngste Opfer war noch nicht einmal 21 Jahre alt. Gegen Kriegsende wurden oftmals meh- rere Soldaten kurz nacheinander erschossen. Die letzte Erschie- ßung fand fünf Tage vor dem Eintreffen der britischen Truppen in Hamburg statt. Das Standesamt Rahlstedt erfasste die Exekutierten und stellte Sterbeurkunden aus. Nach Kriegsende gab es stereotyp in der Sterbeurkunde an: „Plötzlicher Herztod.“ Der Hinweis auf die jeweilige Hinrichtung fehlte.

Tagesbefehl 28. März 1945: „Allen Soldaten im Wehrkreis X bekanntzugeben: Am 27.3.45 sind in Hamburg 21 Soldaten, die das Kriegsge- richt wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt hat, [auf dem Schießstand Höltigbaum] erschossen worden. Jeden Drückeberger und Feigling trifft ohne Gnade das glei- che Schicksal.“ [gez.] Wilhelm Wetzel, General der Infanterie, stellvertretender kommandierender General des X. Armeekorps und Befehlshaber im Wehrkreis X.

Nach Kriegsende begegnete den überlebenden Kriegsdienstver- weigerern, Deserteuren und „Wehrkraftzersetzern“ Ablehnung, ja sogar Hass. Deserteure galten weiterhin als „Verräter“. Die Überlebenden und die Angehörigen der Verurteilten kämpften lange vergebens für die Aufhebung der NS-Militärgerichtsurteile. Eine Rehabilitierung wurde ihnen verweigert. Sie wurden nicht als NS-Verfolgte anerkannt. Entschädigungsleistungen wurden ihnen bzw. ihren Angehörigen verwehrt.

110 51 Zeichen gegen das Vergessen (Hamburger Wochenblatt)

Die Richter, die die Todesurteile ausgesprochen hatten, wurden nicht juristisch belangt, viele konnten ihre Karrieren im Justiz- dienst ohne jede Einschränkung fortsetzen.

111 Es dauerte über 50 Jahre bis der Deutsche Bundestag Deser- teure, „Wehrkraftzersetzer“ und „Kriegsverräter“ als Opfer der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz ansah und rehabilitierte. Erst in den 1990er Jahren wurden die NS-Militärgerichte als „Gehilfen des NS-Terrors“ und als Mittäter in einem „völker- rechtswidrigen Krieg“ benannt — so das Bundessozialgericht am 11. September 1991. Der Standortübungsplatz am Höltigbaum wurde von der Bundeswehr Anfang der 1990er Jahre aufgegeben, die Schießbah- nen wurden entfernt. Auf dem Gelände entstanden ein Naherho- lungs- und ein Gewerbegebiet. Ende der 1980er Jahre erfolgte ein Anstoß der Friedensinitia- tive Rahlstedt, eine Gedenkstätte für die hingerichteten Deser- teure am Höltigbaum zu schaffen. Dieses führte zusammen mit anderen Initiativen zu einer umfassenden Diskussion, in Ham- burg ein Deserteursdenkmal zu errichten. Seit dem 5. September 2003 weist — auf Vorschlag des Orts- ausschusses Rahlstedt — eine Erinnerungstafel am Straßenzug Neuer Höltigbaum/Sieker Landstraße auf den Erschießungsplatz Höltigbaum hin. Rund um diese Tafel schuf der Kulturverein Rahlstedt eine kleine Anlage zum Gedenken an das Schicksal der hingerichteten Wehrmachtsdeserteure. An dieser Stelle befin- den sich auch Stolpersteine mit den Namen hier Ermordeter. Jährlich finden im April Gedenkveranstaltungen statt. 2013 eröffnete das nahegelegene „Haus der Wilden Weiden“, Informationszentrum der Stiftung Natur im Norden im Eichberg 63, eine kleine Dauerausstellung über den Exekutionsort Höltig- baum. Die Bezirksversammlung Wandsbek führte auf Beschluss aller Fraktionen am 27. Januar 2012 eine Veranstaltung zu Ehren der Opfer der Wehrmachtsjustiz am Ort des ehemaligen Erschie- ßungsplatzes Höltigbaum durch und setzte sich für einen zent- ralen Ort des Gedenkens an die Opfer der NS-Militärjustiz in Hamburg ein.28 112 Dieser entstand 2015 in der Nähe des Bahnhofs Dammtor. 29 Die Bezirksversammlung Wandsbek beschloss 2012 einstimmig im Neubaugebiet Jenfelder Au Straßen nach Opfern der NS-Mi- litärjustiz zu benennen.

53 Agnes und Herbert Klein

52 Ludwig Baumann enthüllt das Straßenschild für Kurt Oldenburg Herbert Klein wurde am 8. Februar 1922 geboren. Er war 17 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg begann. Zwei Jahre später, am 3. Dezember 1941, wurde er Soldat. Das Ende des Krieges

113 erlebte er nicht. Am 10. März 1945 stand er zusammen mit drei weiteren Soldaten auf dem Hinrichtungsplatz Höltigbaum vor einem Erschießungskommando unter Leitung des Korvettenka- pitäns Maurer. Der Oberstabsrichter Suhr vom Gericht der Ham- burger Wehrmachtskommandantur verlas Herbert Klein die Ur- teilsformel, „Der Angeklagte wird wegen Fahnenflucht mit dem Tode bestraft“, und die Bestätigungsverfügung des Reichsführers SS und Oberbefehlshabers des Ersatzheeres Heinrich Himmler vom 23. Februar 1945 vor: „Einen Gnadenerweis lehne ich ab. Das Urteil ist zu vollstrecken.“ Auf ein letztes Wort verzichtete Herbert Klein. Ein anwesen- der Geistlicher hatte Gelegenheit für einen letzten Zuspruch, be- vor um 10.15 Uhr der Befehl „Feuer“ erfolgte. Damit endete das Leben von Herbert Klein. Es wurde ausgelöscht, weil die Militär- justiz im nationalsozialistischen Deutschen Reich die Todes- strafe zur Aufrechterhaltung der „Manneszucht“ für unerlässlich hielt. Agnes Klein, die Mutter von Herbert, wurde am 21. März 1945 durch das Gericht der Division Nr. 490 in Neumünster über die Vollstreckung der Todesstrafe informiert. Sie erhielt die Anwei- sung, dass Todesanzeigen oder Nachrufe in Zeitungen und der- gleichen verboten seien.

114 Herbert war ohne Vater auf- gewachsen. Er hatte keine Geschwister. Seine Mutter war nur etwa sechs Monate mit Joseph Klein verheiratet gewesen, als ihr Ehemann starb. Herbert Klein wuchs in Barmbek auf und wurde dort in die katholische Volks- schule eingeschult. Aufgrund von Lern- schwierigkeiten wechselte er in die zweite Klasse der örtli- chen Hilfsschule. Die Schule verließ er mit Abschluss der 8. Klasse im Jahr 1936. Her-

54 Porträt Herbert Klein bert Klein sah sich selbst als „ängstlich“ und „weich“. Er ging Prügeleien aus dem Weg. Er ließ sich von anderen beein- flussen. Nach der Schulentlassung arbeitete er als Bote und Gast- wirtsgehilfe. Unter dem Einfluss seines Onkels nahm er sexuelle Kontakte mit anderen Männern auf und ließ sich dafür bezahlen. Schnell geriet er so in die Fänge der nationalsozialistischen Ho- mosexuellenverfolgung. Er wurde nach § 175 wegen „Unzucht“ verurteilt und kam für sechs Monate ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung lernte er eine ältere Frau, Anna Theresia Ruech, ken- nen, die eine Gastwirtschaft in der Hamburger Neustadt betrieb. Immer wieder kam es wegen dieser Beziehung zu Arbeitsver- säumnissen, da Herbert lieber bei ihr blieb als zu arbeiten. Einer ihm vom Arbeitsamt zugewiesenen Tätigkeit im Rüstungsbetrieb Heidenreich & Harbeck entzog er sich durch Krankschreibung. Die Arbeit als Gehilfe in einer Gastwirtschaft gefiel ihm besser. Deshalb beschaffte er sich eine Ersatzsteuerkarte. Wegen 115 „Arbeitsvertragsverbruchs“ wurde er verurteilt und musste sechs Wochen ins Gefängnis. Danach begann sein Wehrdienst in der Hindenburg-Kaserne in Neumünster. Noch während der dorti- gen Ausbildungszeit entfernte er sich „unerlaubt“ von seiner Ein- heit, um mit Anna zusammen zu sein. Er hatte trotz wiederhol- ten Bittens keinen Urlaub bekommen. Anna schickte ihm des- halb ein fingiertes Telegramm mit der Nachricht von der Erkran- kung seiner Mutter und der Aufforderung „gleich nach Ham- burg“ zu kommen. Dieser Schwindel flog auf, nachdem Herbert Klein im An- schluss an den erschlichenen Urlaub verspätet in die Kaserne zu- rückgekehrt war. Das zuständige Divisionsgericht verurteilte ihn daraufhin wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe und dem Erschleichen einer Bahnfahrt zu neun Monaten Gefängnis. Die Strafe verbüßte Herbert Klein im Wehrmachtsgefängnis in Torgau. Anna Ruech wurde vom Amtsgericht Hamburg „wegen Zersetzung der Wehrkraft in Tateinheit mit Urkundenfälschung“ zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung seiner Strafe in Torgau kehrte Herbert Klein zu seiner Einheit in Neu- münster zurück. Nur wenige Monate später entfernte er sich er- neut unerlaubt aus der Kaserne und fuhr nach Hamburg zu sei- ner Freundin. Jetzt wurde er zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sechs Monate nach Antritt der Strafe, am 4. September 1943, wurde die Vollstreckung der zweijährigen Gefängnisstrafe unter- brochen und die Unterbringung in einer Feldstrafgefangenen- Abteilung an der Ostfront (Kiew) angeordnet. Im Frühsommer 1943 wurde Herbert Klein dort vom Gericht der Stadtkomman- dantur Kiew mit drei Wochen „geschärftem Arrest“ wegen mili- tärischen Diebstahls bestraft. Im Verlauf des Jahres 1944 kam er „zum Fronteinsatz in der Partisanenbekämpfung“. Im Mai 1944 wurde Herbert Klein verwundet und zur Genesung in ein Reser- velazarett nach Posen verlegt.

116 Aus dem Lazarett in Posen setzte man ihn im Juli 1944 über eine Krankensammelstelle nach Schleswig zurück in Marsch. Herbert Klein wählte aber nicht den direkten Weg zur Einheit nach Schleswig, sondern einen Umweg über Hamburg. Hier blieb er zunächst noch vier Tage bis zum 31. Juli 1944. Zurück bei seiner Einheit kam es erneut zu einem Disziplinarverfahren ge- gen ihn. Die Bekanntgabe der gegen ihn dann am 22. August 1944 ergangenen Disziplinarstrafe von zwei Wochen „geschärftem Ar- rest“ erreichte ihn aber nicht mehr. Bereits wenige Tage zuvor am 18. August 1944 hatte er sich erneut unerlaubt nach Hamburg abgesetzt. Vier Monate später am 18. Dezember 1944 wurde er dann bei einer Kontrolle durch eine Wehrmachtsstreife in einem Lokal in Hamburg St. Pauli in ziviler Kleidung aufgegriffen, festgenom- men und in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Hamburg- Altona überstellt. Anschließend kam er in die Schleswiger Ar- restanstalt. Zuvor hatte er darum gebeten, seinen Geisteszu- stand untersuchen zu lassen, da er „in der ganzen Zeit seiner Ent- fernung (von der Truppe, A.d.V.) keinen klaren Gedanken hätte fassen können“ und nicht verstehen könne, warum er überhaupt weggelaufen sei. In einer knappen Stellungnahme seines Kompa- nieführers, Leutnant Lau, vom 29. Dezember 1944 für das Divisi- onsgericht in Neumünster führte dieser aus:

„Klein, dem schon in seiner Jugend die feste Hand eines Va- ters fehlte, ist besonders durch seinen Beruf, den er in Gast- stätten einer Großstadt ausführte, vollkommen von dem rechten Weg abgekommen. Da sich die schweren Verfeh- lungen trotz schwerster Bestrafungen des Klein ständig wiederholt haben, ist die Kompanie der Ansicht, dass es sich um einen unverbesserlichen Menschen handelt. Seine völlige Unzuverlässigkeit schließt jegliche weitere Verwen- dung in der Wehrmacht aus.“ In der ärztlichen 117 Untersuchung vom 16. Januar 1945 durch Prof. Hans Büssow, Stabsarzt im Wandsbeker Reservelazarett, wurde die Schuldfähigkeit von Herbert Klein bestätigt. „Ein gro- ßer Teil seiner Delikte, insbesondere die unerlaubten Ent- fernungen, sind als Folge seiner Haltlosigkeit anzusehen. Auch wenn nicht der Wille, sondern mehr seine ‚Haltlosig- keit‘ für die Tat entscheidend gewesen sei, sei Klein für sein Tun voll verantwortlich.“

Am 30. Januar 1945 fand die Feld-Kriegsgerichtsverhandlung un- ter Leitung von Oberfeldrichter Georg Gersdorf gegen Herbert Klein in Neumünster statt. Ein kurzer Prozess und dann die Ur- teilsbegründung: „Im Hinblick auf die Persönlichkeit des Angeklagten und die gesamten Tatumstände hat das Gericht die Todesstrafe für geboten gehalten. Der Angeklagte hat sich wiederholt von seiner Truppe entfernt und ist deswegen bestraft wor- den. Er hat wiederholt Fluchtversuche unternommen. Als Soldat hat er sich denkbar schlecht geführt. Er macht einen in jeder Hinsicht unglaubwürdigen und verlogenen Ein- druck. Er ist offenbar unverbesserlich, wie aus seinem Wer- degang und seinem Verhalten unbedenklich geschlossen werden kann. Unter diesen Umständen bedeutet er ledig- lich eine Belastung für die Truppe und die Gesamtheit. Nach der besonderen Lage des Falles hielt das Gericht die Todesstrafe für unerläßlich, um die Manneszucht aufrecht zu erhalten.“

Die beantragte Begnadigung lehnte der Kommandeur und Ge- richtsherr der Division in Neumünster, Generalmajor Ernst Wis- selinck, ab: „Einen Gnadenerweis vermag ich nicht zu befürworten, da der Verurteilte mehrfach einschlägig vorbestraft und eine 118 völlig asozial eingestellte Persönlichkeit ist, deren Erzieh- barkeit zu einem ordentlichen Menschen und Soldaten nach seinem Vorleben aussichtslos erscheint.“ Seine Mutter konnte noch von ihm Abschied nehmen. Am 10. März 1945 wurde Herbert Klein aus dem Wehrmachtsunter- suchungsgefängnis in Altona zur Urteilsvollstreckung zum Höl- tigbaum bei Rahlstedt überführt und ermordet.

55 Stolperstein Herbert Klein

119 Dank

Allen Personen und Institutionen wie Herbert Diercks und dem „Bündnis Hamburger Deserteursdenkmal“ möchten wir herzlich danken, die mit Initiativen, Hinweisen und Materialien das Zu- standekommen dieses Wegweisers gefördert haben. Es gibt im Bezirk Wandsbek viele Menschen, die wie Astrid Louven schon seit Jahren und Jahrzehnten die NS-Geschichte er- forschen und die — wie auch Andreas Seeger und Richard Hölck — bereit waren, ihre Erkenntnisse zur Verfügung zu stel- len. Ein Wegweiser braucht aussagekräftige Illustrationen. Hans- Joachim Klier hat diese erstellt und somit wesentlich zum Gelin- gen dieses Gedenkstättenführers beigetragen, ein großes Danke- schön. Ingo Wille hat in seinen Anmerkungen zu Aufbau, Spra- che und Stil geholfen, das Geschriebene noch einmal zu durch- denken und zu präzisieren. Vielen Dank.

Herzlicher Dank geht an all diejenigen, die wie die Mitglieder des Freundeskreises der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Ar- beitsgemeinschaft Neuengamme, der Begegnungsstätte Poppen- büttel und des Kulturvereins Rahlstedt seit langer Zeit dafür Sorge tragen, dass Erinnerungsstätten gepflegt werden und Erin- nerungsveranstaltungen durchgeführt werden. Wir freuen uns besonders, dass Schulklassen und ihre Lehrerinnen und Lehrer ebenfalls diese Aufgaben übernommen haben. Ein Dankeschön für die Koordinierung der Arbeit ist an die Mitarbeiter des Bezirksamtes Wandsbek Olaf Bertolatus und An- dreas Marko gerichtet. Besonderer Dank geht an Eva-Maria Nerling für ihr professi- onelles Können bei der Gestaltung dieses Wegweisers. Dadurch

120 ist es gelungen, die Ziele und Aussagen dieses Buches besser zu verdeutlichen und zur Wirkung kommen zu lassen. Die Arbeit wurde unterstützt vom Bundesministerium für Fa- milie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundespro- gramms „Demokratie leben!“ Herzlichen Dank.

121 Anmerkungen

Bildquellen

Grafik: Lage der Gedenkorte im Bezirk Wandsbek (Bezirksver- sammlung) Stormarnhaus (Kreisarchiv Stormarn) Bezirksamt Wandsbek (Bezirksamt Wandsbek) Gustav Delle (Bezirksamt Wandsbek) Stolperstein Gustav Delle (Hans-Joachim Klier) Gedenkplatte Helmuth James Graf von Moltke (Hans-Joachim Klier) Henning Voscherau ehrt von Moltke (Helmuth Fricke, „Der Historische Friedhof Wandsbek“ Hamburg 1998, S.26) Helmuth James Graf von Moltke (Bundesarchiv, Bild 147-1277 / CC-BY-SA 3.0) »Deutsche kauft nicht bei Juden!« (Deutsches Historisches Mu- seum Berlin) Boykott des jüdischen Arztes Dr. Ernst Heppner (Privatbesitz) Flugblatt der NSDAP Wandsbek (1935) Synagoge Wandsbek (Kurt Goldenberg, Der Kultus- und Profan- bau der Juden, erlaeutert anhand von Altona, Hamburg, Wands- bek, Diss. Ing., Dresden um 1924) Einweihung des Gedenksteins für die Wandsbeker Synagoge 1988 (Astrid Louven) Stolpersteine Michelsohn (Hans-Joachim Klier) Gedenkstein Simon Bamberger (Hans-Joachim Klier) Porträt Simon Bamberger (Privatbesitz) Gedenkanlage Simon Bamberger (Hans-Joachim Klier) Tafel KZ Drägerwerk http://bit.ly/2CCC7IM Tafel KZ Sasel (Hans-Joachim Klier) Eingang Gedenkstätte KZ Drägerwerk (Hans-Joachim Klier) Alte und neue Gedenkstätte KZ Drägerwerk (Hans-Joachim Klier) Denkmal KZ Drägerwerk mit Chiedza Busse und Monique du Mont (Barbara Hartje)

122 Ehemalige Häftlinge, Nila Kurljak, Natalja Radtschenko und Lud- milla Subowskaja, besuchen die Gedenkstätte KZ Drägerwerk (Barbara Hartje) Nada Verbič (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) KZ-Nummer von Nada Verbič (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) KZ Sasel Gedenkstein (Hans-Joachim Klier) Zeichnung KZ Sasel (Gymnasium Oberalster) Schülergruppe am Gedenkstein KZ Sasel (Gymnasium Oberalster) Gedenkstätte Plattenhaus (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) Gedenkbaum Plattenhaus Poppenbüttel (Hans-Joachim Klier) Gedenkort Bergstedt (Hans-Joachim Klier) Wanda Edelmann (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) Suleika Klein (KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Totenregister des Bergstedter Friedhofs) Auszug aus dem Totenregister des Bergstedter Friedhofs Versorgungsheim Farmsen (Postkarte) Stolpersteine Farmsen http://bit.ly/2Q91SYS Tötungsanstalt Brandenburg (www.gedenkort-t4.eu) Mahnmal Weiße Rose (Hans-Joachim Klier) Porträt Hans Conrad Leipelt (Gedenkstätte Deutscher Wider- stand) Karl Ludwig Schneider (Staats- und Universitätsbibliothek Ham- burg Carl von Ossietzky) Karl Ludwig Schneider (Alstertal-Magazin Nr. 11/2005) Gedenkstein KZ Wittmoor (Hans-Joachim Klier) Hamburger Fremdenblatt 26. Mai 1933 KZ Wittmoor (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) Emil Heitmann (Hamburger Abendblatt 7. Juni 1993) Tafel Hohenbuchen (Hans-Joachim Klier) Andrzej Szablewski (Privatbesitz Andreas Seeger) Hildegard Lütten (Privatbesitz Andreas Seeger) Stolperstein Andrzej Szablewski (Hans-Joachim Klier) Gedenktafel Höltigbaum (Hans-Joachim Klier) Zeichen gegen das Vergessen (Hamburger Wochenblatt, Ausgabe Tonndorf, 1. Februar 2017) Ludwig Baumann, Deserteur im Zweiten Weltkrieg, enthüllt am 8. 9. 2016 das Straßenschild für seinen Freund und Mitstreiter Kurt Oldenburg (Hans-Joachim Klier) 123 Agnes und Herbert Klein (Privatbesitz Ursula Wagner) Herbert Klein (Bundesarchiv) Stolperstein Herbert Klein (Hans-Joachim Klier)

124 Literaturempfehlungen

…zu den Stolpersteinen im Bezirk Wandsbek: Astrid Louven/Ursula Pietsch (Hrsg.): Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern. Biographische Spurensuche. Hamburg 2008 Ulrike Sparr/Björn Eggert (Hrsg.): Stolpersteine in Hamburg. Biographische Spurensuche. Hamburg 2011 Ingo Wille (Hrsg.): Stolpersteine in Hamburg-Eilbek. Biographische Spurensuche. Hamburg 2014 … zu Helmuth James Graf von Moltke: Günter Brakelmann: Helmuth James von Moltke. 1907 - 1945. Eine Biographie. München 2007 …zur Geschichte der Juden in Wandsbek: Astrid Louven: Die Juden in Wandsbek 1604 - 1940. Spuren der Erinnerung. Hamburg 1989 Beate Meyer (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 – 1945. Geschichte, Zeugnis, Erinnerung. Göttingen 2006 … zum KZ-Außenlager Drägerwerk: Stefan Romey: Ein KZ in Wandsbek. Zwangsarbeit im Hamburger Drägerwerk. Erweiterte Neuausgabe. Hamburg 2016 … zum KZ-Außenlager Sasel: Gymnasium Oberalster (Hrsg.): KZ Sasel – Geschichte eines Außenlagers. Hamburg 1982 Gymnasium Oberalster (Hrsg.): Lebenszeugnisse aus dem KZ Sasel. Hamburg 1998 … zum KZ Wittmoor: Willy Klawe: „Im übrigen herrscht Zucht und Ordnung ...“ – Zur Geschichte des Konzentrationslagers Wittmoor. Hamburg 1987 … zum Versorgungsheim Farmsen: Timo Berlinghoff/Nadine Beck u.a.: 400 Jahre Pflegen & Wohnen Hamburg. München 2018 Uwe Lohalm: Völkische Wohlfahrtsdiktatur. Öffentliche Wohlfahrtspolitik im nationalsozialistischen Hamburg. Hamburg 2010 125 … zum Kreis der Weißen Rose: Angela Bottin: Enge Zeit. Spuren Vertriebener und Verfolgter der Hamburger Universität. Hamburg 1992 Ursel Hochmuth: Candidates of Humanity. Dokumentation zur Hamburger Weißen Rose. Hamburg 1971 Anja Tuckermann: Wir schweigen nicht. Der Weg der Weißen Rose und der Geschwister Scholl in den Widerstand. Würzburg 2016 … zum Gedenkort für den hingerichteten Zwangsarbeiter Andrej Szablewski: Andreas Seeger: Der Tod eines Zwangsarbeiters. Bremen 2016 … zum Gedenkort für Deserteure am Höltigbaum: Claudia Bade/Detlef Garbe/Magnus Koch (Hrsg.): »Rücksichten auf den Einzelnen haben zurückzutreten«. Hamburg und die Wehrmachtsjustiz im Zweiten Weltkrieg. Hamburg 2019 Gedenken am Höltigbaum. Die Wandsbeker Bezirksversammlung gedenkt der Opfer der Wehrmachtsjustiz. Herausgegeben von der Bezirksversammlung Wandsbek und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg. Hamburg 2012

126 Fußnoten

1 Garbe, Detlef/Klingel, Kerstin: Gedenkstätten in Hamburg. Ein Weg- weiser zu Stätten der Erinnerung an die Jahre 1933 bis 1945. Heraus- gegeben im Auftrag der Hamburgischen Bürgerschaft und des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg von der KZ-Gedenkstätte Neu- engamme und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg. Ak- tualisierte Neuauflage 2008. http://bit.ly/33JovqO 2 Die Anerkennung als eigenständige Stadt erhielt Wandsbek 1870, nachdem Preußen Anfang 1867 Schleswig-Holstein als preußische Provinz annektiert hatte. 3 Vgl. Louven, Astrid: Gustav Delle http://www.stolpersteine-hamburg.de/?&MAIN_ID=7&BIO_ID=889 4 Abschiedsbrief an seine Söhne Caspar und Konrad, 11. Oktober 1944. Abgedruckt in: Helmuth James und Freya von Moltke. Ab- schiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944 — Januar 1945. Her- ausgegeben von Helmuth Caspar von Moltke und Ulrike von Moltke. 3.Auflage München 2011, S. 64 5 Bauche, Ulrich: Biographien im Spannungsfeld zwischen ethnischer und sozialpolitischer Exponiertheit: Jüdische Mitstreiter in der Ham- burger Arbeiterbewegung. In: volkskundlich-kulturwissenschaftliche Schriften (VOKUS). Heft 1/2002 6 Vgl. Louven, Astrid: Juden in Wandsbek. Hamburg 1989, S. 189ff 7 Vgl. Louven, Astrid: Die Juden in Wandsbek. Hamburg 1989, S. 58ff; Lorenz, Ina/Berkemann, Jörg: Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39. Band I. Monographie. Göttingen 2016, S. 392ff 8 Vgl. Louven, Astrid: Siegmund Cahn http://bit.ly/2O6cbu5 9 Vgl. Louven, Astrid: Die Juden in Wandsbek. Hamburg 1989, S. 80ff sowie dieselbe: Bamberger, Simon. In: Hamburgische Biografie. Band 4, Göttingen 2008, S. 33–34. 10 https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Beendorf

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11 Vgl. Romey, Stefan: Ein KZ in Wandsbek. Zwangsarbeit im Hamburger Drägerwerk. Hamburg 2016, S. 224-237 12 Gymnasium Oberalster (Hrsg.): Lebenszeugnisse aus dem KZ Sasel. Hamburg 1998, S. 43 13 Vgl. Leps, Uwe: Zwangsarbeit in Sasel. In: Hamburger Lehrerzeitung (hlz) Heft 9-10/2017, S. 46-47 14 Gymnasium Oberalster (Hrsg.): Geschichte eines Außenlagers. KZ Sasel. Hamburg 1981 15 Vgl. Lohalm, Uwe: »Es gibt in Deutschland sicherlich keine Stelle, die eine solche Menge brüchiger und unterwertiger Menschen mit einer so kleinen Schar von Stationskräften bewahrt«. Zur Entwicklung der Staatlichen Wohlfahrtsanstalten in Hamburg 1933-1945. In: »Eutha- nasie«-Verbrechen. Forschungen zur nationalsozialistischen Gesund- heits- und Sozialpolitik.« Herausgegeben von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Bremen 2016, S. 81-95, hier S. 89f 16 Zitiert nach Bottin, Angela: Enge Zeit. Spuren Vertriebener und Verfolg- ter der Hamburger Universität. Ausstellungskatalog, Hamburg 1991, S. 68 17 Interview mit Karl Ludwig Schneider in: Focke, Harald/Reimer, Uwe: Alltag der Entrechteten. Wie die Nazis mit ihren Gegnern umgingen. Alltag unterm Hakenkreuz. Band 2. Reinbek 1980, S. 64 18 Nach der Verhaftung Leipelts und weiterer Studenten des Chemischen Instituts setzte sich Professor Wieland als Entlastungszeuge für diese ein, jedoch ohne Erfolg. 19 Focke/Reimer a.a.O. S. 65 20 Focke/Reimer a.a.O. S. 66 21 Vgl. Diercks, Herbert: Dokumentation Stadthaus. Die Hamburger Poli- zei im Nationalsozialismus. Texte, Fotos und Dokumente, Hamburg 2012, S. 19ff 22 Zitiert nach: Museum für Hamburgische Geschichte: „Kola-Fu. Kon- zentrationslager und Gestapo-Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel 1933- 1945“, Hamburg Porträt Heft 18/83. 23 Ein Augenzeugenbericht von Emil Heitmann. In: Spurensuche. Zum Fa- schismus und Neofaschismus in Wandsbek. Hamburg 1991, S. 6 24 Vgl. Romey, Stefan: Niemand ist vergessen. 30 Jahre Hamburger Stif- 128 tung Hilfe für NS-Verfolgte. Hamburg 2018, S. 203f

25 Seeger, Andreas: Der Tod eines Zwangsarbeiters. Bremen 2016 26 Vgl. Garbe, Detlef: Zwischen Widerstand und Martyrium: Die Zeugen Jehovas im „Dritten Reich“. München 4. Auflage 1999 27 Vgl. Messerschmidt, Manfred/Wüllner, Fritz: Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus – Zerstörung einer Legende. Baden- Baden 1987, S. 133ff 28 Vgl. Gedenken am Höltigbaum. Die Wandsbeker Bezirksversammlung gedenkt der Opfer der Wehrmachtsjustiz. Herausgegeben von der Be- zirksversammlung Wandsbek und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, Hamburg 2012 29 Vgl. zur Diskussion und Umsetzung des Vorhabens: Garbe, Detlef: »Eine absurde Zumutung«. Der schwierige Weg zu einem Deserteurs- denkmal in Hamburg. In: Bade, Claudia/Garbe, Detlef/Koch, Magnus (Hg.): »Rücksichten auf den Einzelnen haben zurückzutreten.« Ham- burg und die Wehrmachtsjustiz im Zweiten Weltkrieg. Hamburg 2019, S. 289-304

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