Kantor Kühnhausen und Concertmeister Simonetti Weggefährten derBach-Familie?

VonHans­JoachimSchulze (Leipzig)

AlsBach­Stadtist Cellebis heuteumstritten. Anleitungenfür Pilgerreisen aufden Spuren Johann SebastianBachs sowieAbhandlungenübereinschlä- gige Orgeln sparen dieseitlangemzuNiedersachsengehörende Stadtvor­ sichtshalberaus.Anlaß zu derartiger Zurückhaltunggeben neuere Auffassun- genübereinemehrdeutigformulierte Passage im sogenanntenNekrolog von 1750/51, dieBachs Lüneburger Schulzeitbetrifft:

Auch hatte er vonhieraus Gelegenheit, sich durchöftereAnhörungeiner damals be- rühmtenCapelle,welcheder Hertzogvon Zelleunterhielt,und diemehrentheilsaus Frantzosen bestand, im FrantzösischenGeschmacke,welcher,indasigen Landen,in derZeitwas ganz Neues war, fest zu setzen.1

Daßdie Begegnungenmit derals neugeltenden Spielweise derFranzosen in Cellestattgefunden hätten, behauptetder Nekrolog nicht, schließt es aller­ dingsauchnicht aus. Ob Johann SebastianBachsichgegenüber Familieund Freunden jemals definitiv zu dieser Fragegeäußerthat,wissenwir nicht. Johann Adam HillersNeufassungdes Nekrologsbewahrt 1784 jedenfalls noch dievageFormulierungseinerVorlage,2 während es 1790 in ErnstLudwig GerbersTonkünstler­Lexikon bereitsheißt:

Zugleich lernte er durchfleißigesAnhören derHerzogl.Kapelle zu Celle, welche gröstentheilsaus Franzosenbestand,den damaligenfranzösischen Geschmackals etwasNeues,kennen.3 ÄhnlichäußertsichFriedrich Carl GottlobHirsching 1794 in seinem Histo- risch-literarischen Handbuch berühmterund denkwürdiger Personen:

Insbesonderebildete er sich zu Zelle, beyder herzoglichen Capelle, diegrößtentheils aus Franzosenbestand.4 EinenvorläufigenSchlußpunkt setzt Johann NikolausForkel 1802 in seiner Programmschrift UeberJohannSebastian BachsLeben, Kunstund Kunst- werke,indem er ohne Umschweife behauptet:

1 DokIII Nr.666 (S.82). 2 DokIII Nr.895 (S.397). 3 DokIII Nr.948 (S.466). 4 DokIII Nr.987. 258 Hans-Joachim Schulze

In dieser Absicht [aktuelleEntwicklungenaufzunehmen] reiseteerals Schülervon Lüneburg ausnicht nurmehrere MahlenachHamburg,[…] sondernauchbisweilen nach Celle, um diedortige,meistensaus FranzosenbestehendeKapelle,und denfran- zösischenGeschmack, derdamahls in diesen Gegenden noch etwasNeues war, kennen zu lernen.5

ZunehmendeUngenauigkeit hat so dieursprüngliche bloße Andeutungin denRangeiner definitiven Feststellung erhoben,ander dieBach­Biographik seithernahezuzweiJahrhundertelangfestgehaltenhat.Zweifel an derRich­ tigkeitdes Behaupteten meldeteerstder russischeMusikforscher Michail S. Druskin(1905–1991) im Blickauf diebeträchtlicheWegstreckezwischen Lüneburg undCelle an.6 Diedamit eingeleitete Suchenacheinem näherge­ legenenOrt derBegegnung führte zunächstnachDannenberg/Elbe, wo der Hofdes HerzogsGeorg Wilhelmvon ­Lüneburg sich desöfteren zurSommerszeitaufhielt,7 wenigspäter jedoch zurück nach Lüneburg.Mitt- lerweile hat dieForschung sich aufdas alsNebenresidenz fungierendeStadt- schloß in Lüneburg8 geeinigt9 undauf diedaraus resultierendeChance, daß derjunge Bach seinemusikalische WeiterbildungohneSchulversäumnisse hätte bewerkstelligenkönnen. Allerdings kollidiert dieseallzu plausible Interpretation mitder Formulierung „von hier aus“imTextdes Nekrologs. Somit sollte biszur Auffindung neuerBelegezumindest dieMöglichkeit offen- gelassen werden,daß Bach doch vonLüneburg ausdie etwa zwei Tagereisen entfernteResidenzstadt Celleaufgesuchthaben könnte. Im Blick aufBezugspersonen, dieBachden Wegzur „Anhörung“ derHof­ kapellegeebnet haben könnten, hat dieForschung unterschiedliche Hypo­ thesen entwickelt.Diese sollen hier nicht referiertoderdiskutiertwerden.Viel- mehr gilt es eine Person etwasnäher zu beleuchten,die in denbisherigen Überlegungenkeine Rollegespielthat:JohannGeorg Kühnhausen,von 1661

5 A. a. O.,S.5;Dok VII, S. 18. 6 MündlicheMitteilung, später auch übernommeninders., Iogann Sebast’janBach, Moskau 1982,S.21f.Vgl.H.­J. Schulze, DerfranzösischeEinflußimInstrumental- werk J. S. Bachs,in: DerEinfluß derfranzösischenMusik aufdie Komponistender ersten Hälftedes 18.Jahrhunderts.Konferenzberichtder IX.Wiss. Arbeitstagung Blankenburg/Harz, 26.Junibis 28.Juni1981, Blankenburg/Michaelstein 1982 (Stu- dien zurAufführungspraxisund Interpretation vonInstrumentalmusikdes 18.Jahr- hunderts.Heft16.), S. 57–63, hier S. 58 und62. 7 Ebenda, S. 58 und62(Hinweis vonC.Wolff). 8 BJ 1985,S.107 (C.Wolff). 9 Vgl. etwa K. Küster, Derjunge Bach,Stuttgart 1996,S.114 f.,M.Geck, Bach. Leben und Werk,Reinbek 2000,S.55f., A. Forchert, Johann SebastianBachund seine Zeit,Laaber2002, S. 59,C.Wolff, Johann SebastianBach,Frankfurt/M.2000,ak- tualisierteNeuausgabe2005, S. 71 f. Kantor Kühnhausen und Concertmeister Simonetti 259 an 53 Jahreals StadtkantorinCelle tätigund 1714 dortverstorben(begraben 25.August).10 DaßJohann GeorgKühnhausennochnie alsmöglicher Vermittler berück­ sichtigt worden ist, hat wohl hauptsächlichmit demFehlenbiographischer Anknüpfungspunktezutun.Die bislanggreifbarenDaten umschließenden Zeitraum von1660bis 1714,enthalten jedoch keinen Hinweis aufHerkunft undAusbildungKühnhausens.Dieser läßt sich ab Oktober1660als Mit­ wirkender in derHofkapellenachweisen,deren Dienstherr zu jenerZeit Herzog ChristianLudwigvon Braunschweig­Lüneburg(1622–1665) war, der 1648 zurRegierung gelangte ältesteSohnvon Herzog Georg (1583–1641).11 Am 2. Januar 1661 wurde Kühnhausen alsHofmusicusund Sängerfestan- gestellt,bat jedoch bereitsam17. Juli desselben Jahres um dieErlaubnis, zusätzlich alsKantorander Lateinschule tätigwerden zu dürfen,dader bis­ herige Amtsinhaberzum Konrektoravanciert sei. Nach derGenehmigung dieses Antrags12 wandteKühnhausensichoffenbar mehr undmehrseiner neuenAufgabe zu,während dieNachweiseüberseine Tätigkeitinder Hof- kapelle1663enden.13 Dievon Herzog Georg Wilhelm(1624–1705) bald nach 1665 eingeleitete Neuausrichtungdes Ensemblesdurch dasEngagement französischerMusiker hat Kühnhausen somitnicht mehr mitvollzogen.Da­ gegenkam es unterseinerÄgide im Zusammenwirken vonSchülerchor, Stadtorganist und1676neugegründeterRatsmusikzueiner Blüteder Kirchen- musik, wieCelle sievordemnicht erlebthatte undauchdanachnicht wieder erfahren sollte.Indieser PeriodekönnteauchKühnhausens Passionsmusik nach Matthäus14 entstanden sein,die demKomponisten einenangemessenen Platzinder Musikgeschichte gesicherthat.

10 DasfolgendenachW.Wolffheim, Mitteilungen zurGeschichte derHofmusik in Celle(1635–1706) undüberArnoldM.Brunckhorst,in: Festschriftzum 90.Ge- burtstage[von] Rochus Freiherrnvon Liliencron, Leipzig1910, S. 421–429; G. Lin- nemann, Celler Musikgeschichte bis zumBeginndes 19.Jahrhunderts,Celle 1935, besondersS.137–144;H.Müller, Biographisch-bibliographisches LexikonCeller Musiker,Celle 2003 (CellerBeiträgezur Landes­ undKulturgeschichte.31.). 11 Nachfolger Herzog Georgs warzunächstdessenälterer Bruder Friedrich (1574bis 1648), derohneleiblicheNachkommenverstarb. 12 Eine Probelektion in derSchulefandam30. August 1661 statt, dieKantoratsprobe folgte am 2. September. 13 Am 30.April 1663 heirateteKühnhausen;nachdem TodseinerFraufolgte am 2. Mai1678einezweiteHeirat. 14 Zu dieser vgl. A. Adrio, DieMatthäus-Passion vonJ.G.Kühnhausen (Celleum 1700),in: FestschriftArnoldScheringzum sechzigstenGeburtstag, 1937, S. 24–35; W. Braun, DiemitteldeutscheChoralpassionimachtzehnten Jahrhun- dert,Berlin 1960,sowie Linnemann (wie Fußnote10). 260 Hans-Joachim Schulze AlsKantoraneiner Lateinschule hätte Kühnhausen vonRechtswegen ein Universitätsstudiumnachweisen müssen;ein entsprechender Matrikeleintrag hätte Rückschlüsse aufAlter undHerkunftermöglicht. Da dieSuche in ein- schlägigen Veröffentlichungen15 erfolglosverlief,mußte „KommissarZufall“ helfen.Die NOVA | LITERARIA | GERMANIÆ |[…] | ANNI MDCCIV.| CollectaHAMBURGI.|[…] | Lipsiæ &Francofurti | apud CHRISTIANUM LIEBEZEIT.enthalten aufS.156 ff.einen Cellæ überschriebenen Abschnitt, in demesauf S. 160heißt:

Io.Georg Kühnhausen.Vargula Erfordensis,Cantor,vocatus 1661.natus 1636.d.26. Sept. Kühnhausen istalso eingebürtigerThüringer;die Angabe „Vargula Erforden- sis“ weistauf dasheutige Großvargulabei Langensalza,das alsEnklavezu Erfurtgehörte.Seine Geburt in dertraditionsreichen Gemeinde16 fiel in das Pestjahr 1636,indem einGroßteilder Einwohnerschaft derSeuchezum Opfer fiel.

Dervorstehende Nachweis erlaubt drei Mutmaßungen: 1. AlsBewohnerder zu Erfurtgehörigen EnklaveVargula dürfte J. G. Kühn- hausen Verbindungenindie Stadtunterhalten,vielleichtauchseine Ausbil- dung ganz oder teilweisedortgenossen haben.IndiesemZusammenhang könnte es zu Kontaktenmit ErfurterAngehörigender „musicalisch­Bachi- schenFamilie“17 gekommen sein. 2. Wenn Johann SebastianBachinseinerLüneburgerZeit1700–1702 tatsäch- lich nach Cellegewandert sein sollte,könnteeraufder Basislandsmannschaft- licher Unterstützungbei Kühnhausen einUnterkommen gefunden,18 durchdie- senvielleichtauchnochandereFörderung erfahren haben. 3. KühnhausensPassionsmusiknachMatthäuswäreimBlick aufmögliche ThüringerWurzeln zu untersuchen. Einpositives Ergebnis würde dieEinbe- ziehungdes Werkes in Werner Brauns Studie über die„Mitteldeutsche Choral- passion“ zusätzlichrechtfertigen.19 *

15 Matrikeln derUniversitäten Altdorf, Erfurt,Frankfurt/O., Helmstedt, Jena,Leipzig, Wittenberg. 16 ZurGeschichtevon Großvargulavgl.Zedler,Bd. 46 (1745),Sp. 576–593. 17 Vgl. zu diesen H. Brück, DieBrüderJohann, Christophund Heinrich Bach und die„ErffurthischemusicalischeCompagnie“,BJ1990, S. 71–77, sowiedies., Die Erfurter Bach-Familienvon 1635 bis 1805,BJ1996, S. 101–131. 18 ZurWohnungssituation derCellerMusiker vgl. C. Meyer­Rasch, Kleine Chronikder Kalandgasse,Celle 1951, bes. S. 50f. 19 Braun(wieFußnote14),passim. Kantor Kühnhausen und Concertmeister Simonetti 261 Im Unterschiedzudem überaus bodenständigen Celler Kantor Kühnhausen hat unserzweiter Kandidat fürdie Kategorie„mögliche Begegnungen“ zu­ mindestinseinererstenLebenshälfteeinebewegte Karriere vorzuweisen. Daß diesesich nicht in allenEinzelheiten verfolgen läßt undinsbesonderein bezugauf diemusikalischeAusbildungalles im dunkelnbleibt,hat mitder mangelndenBereitschaft desAngesprochenen zu tun, Johann Gottfried Walthers Vorarbeitenfür sein Musiklexikon mitbiographischenAuskünften zu unterstützen.20 Nicht einmal dervollständigeNamewurde allgemeinbe- kannt: mitwenigen Ausnahmen21 bliebesbei Sig.re Simonetti oder Concert- meister Simonetti.Erst1956 wurdenineiner vonKarlBüchsel(1885–1965) vorgelegtengenealogischenArbeit22 Namenund Daten zusammengeführt. Demnachentstammt Johann WilhelmSimonetti mitseinenneun–sämtlich in Berlin geborenen–Geschwistern23 derEhe desStukkateursGiovanniSi­ monetti (1652–1716)mit Euphrosinegeb.Hofkuntz(1659–1738).Der aus Graubünden gebürtigeVater hatteesdurch Mitwirkung an zahlreichenBau­ teninBerlin,Brandenburg unddarüber hinaus24 zu Wohlstandund Ansehen gebracht;als er sich in seiner Spätzeit wegenDifferenzen mitdem Baumeister Johann FriedrichEosander(1669–1728) vonder Arbeit am Berliner Schloß zurückzog, wurde ihm sein Gehalt bismindestens1713weitergezahlt.25 Über diefrühenJahre desam11. Dezember 1690 getauftenSohnesJohann Wilhelmist nichtsbekannt. Dies betrifft auchdessengeigerische Ausbildung, für dievielleichtein Mitglied derBerliner Hofkapelle verantwortlich zeich­

20 Vgl. Johann GottfriedWalther,Briefe,hrsg. vonKlaus Beckmann undHans-Jo- achimSchulze,Leipzig 1987,S.62, 104, 116. 21 Zu nennen sind nebenden einschlägigen Kirchenbücherndas Hausbesitzerver- zeichnisvon Bayreuth (vgl.Fußnote38) sowie DasWolfenbüttelerAdreßbuch von 1725 (Reprint,hrsg. vonPaulZimmermann,Leipzig 1929). 22 K. Büchsel, Bilder ausder Geschichte derFamilie Büchselund derihr verwandten Familien [Privatdruck], Göttingen1956,hierS.37–50: DieFamilie Simonetti. Hinweis aufdie selteneSchrift beiH.Storz, Dr.Christian Ernst Simonettiund ein „skandaleuses Gerücht“ ausder Gründungszeit derGöttinger Universität, 1. Teil, in:GöttingerJahrbuch61(2013), S. 127–154. Vgl. auch K. Büchsel, Büchsel, des Stammes Bichsel, ausGoldbachinder Schweiz,in: Deutsches Geschlechterbuch (Genealogisches HandbuchBürgerlicher Familien)104 (1939),S.69–105, 641–660 (S.648–651:AhnenreiheSimonetti). 23 ChristianErnst Simonetti (1700–1782)ist derjüngste Bruder. 24 1686/87schuferdie im ZweitenWeltkrieg zerstörteStuckdecke derAlten Handels- börseinLeipzig. 25 Zu G. Simonetti vgl. H. Ladendorf, DerBildhauer und Baumeister AndreasSchlü- ter. Beiträge zu seinerBiographieund zurBerlinerKunstgeschichte seinerZeit, Berlin 1935 (Forschungenzur deutschenKunstgeschichte.2.),S.74f., 76,101,so­ wieH.Heckmann, Baumeisterdes Barock undRokokoinBrandenburg-Preussen, Berlin 1998,S.106–116. 262 Hans-Joachim Schulze nete.26 Am 28.April 1711 bezogJohannWilhelm Simonetti dieUniversität Jena,möglicherweisenacheinem längerenSchulbesuch,der um Ostern (5.April)des genanntenJahresabgeschlossen worden sein könnte.Schon bald mußerdas Jurastudium abgebrochen haben,umsichder Musikzuwid- men.27 Ob er in denwenigen Monaten seines AufenthaltsinJenamit demseit 1709 auchals Universitätsorganist28 tätigenJohann Nikolaus Bach (1669–1753) in Verbindung getreten ist, entzieht sich unsererKenntnis. Schon am 25.Okto- ber1711ist Simonetti in Gera nachweisbar, 29 undimfolgenden Jahr erscheint er mitder Dienstbezeichnung „Secretarius“ineiner Listeder Hofkapell­ mitglieder.30 DerTod desPreußenkönigs Friedrich I. am 25.Februar 1713 unddie diesem folgenden einschneidenden VeränderungenamBerliner Hofmögen Simonetti zu vorübergehenderRückkehrinseine Vaterstadt veranlaßthaben.Einewohl um dieJahreswende1713/14inAngriff genommene Reisenachdem Süden führte zu einer–möglicherweiseunverhofften –Begegnungmit Gottfried Heinrich Stölzel(1690–1749).Denndieser, derebennochBerufungenals KapellmeisternachGeraund Zeitzausgeschlagen hatte,war zu jenerZeitfest entschlossen,Italienzuerreichen.

Er [Stölzel]tratdaher zu Ende des1713Jahrs würklich dieReise dahinan, undginge vonGeraüberHof,Bayreuth, Nürnberg aufAugspurg zu.[…] DieinBöhmen, Wien undzuRegenspurg wütendePestversperte ihmdurch dieGuarantaine densehnlichen Einganginden Garten derWelt, oder daslustige Italien, alswelcheeranden Vene­ tianischen Grenzenindem LazaretzuPremolano31 erstlich acht Tage allein, undher- nach,weilder vonBerlin ankommende Hr. Simonetti beyseinemEintrittins Laza­ retihm aus Spaß denHandschuhzugeworfen,nochanderesieben Wochen mitihm aushaltenmuste.32

26 Vgl. C. Sachs, Musik und Oper am kurbrandenburgischenHof,Berlin 1910, S. 180ff.:Personalien derHofkapelleunter FriedrichIII.(I.), Instrumentisten. 27 DasTestament derElternnennt ihn(noch)„Stud.jur.“;vgl.Büchsel 1956 (wie Fuß- note22). 28 Vgl. BJ 2004,S.166–168 (M.Maul) undBJ2014, S. 196f.(H.­J.Schulze). 29 B. Koska, DieGeraerHofkapellezuBeginndes 18.Jahrhunderts,Beeskow 2013, S. 128. 30 H. R. Jung, Musik undMusiker im Reußenland,/Jena 2007,S.288.Am 11.Dezember 1712 erhältSimonetti einGeschenk von4Talern (Jung, S. 289; Koska, wieFußnote29, S. 142). 31 Primolanoander Brenta. 32 L. C. Mizler, MusikalischeBibliothek,Des viertenBandesErster Theil,Leipzig 1754,S.143–157(Nachrufauf GottfriedHeinrich Stölzel),hierS.146.Einekürzere SchilderungseinerItalienreise liefertStölzel in seiner 1719 für Johann Matthesons Grundlage einerEhren-Pforte (Hamburg 1740;NeudruckBerlin 1910) verfaßten Autobiographie (hierS.344f.). AlsGesamtdauerseines Italienaufenthaltsnennt er Kantor Kühnhausen und Concertmeister Simonetti 263 Spätestens nach Ankunft undAufenthaltinVenedig gingenStölzel undSimo- nettifür längere Zeit getrennteWege. StölzelreistenachFlorenz,imSep­ tember (1714) nach Rom, sodann zurück nach Florenz, vondortnachPisa undLivorno undnochmalsnachFlorenz, wo Hr. Simonetti,sounterdessenvon VenedigeineReise nach Lissabongethan, wieder angekommen,und mitwelchem er über Bologna,Venedigund Trient nach Inspruck gereiset,und daselbst eine geraumeZeitstillegelegen …Indem Hause des Herrn ConcertmeistersWielands, wo er mitseinemReisegefehrdenwohnte, wartäglich die ganzeMusic beysammen, dertreflicheViolinistHr. Forstmeyer undHerrHofer aus Wien. VonInspruckthaten siedurch Bayern aufdem Inn­und Donaustromdie ange- nehmste Reisevon derWelt nach Lintz, wo siesich nureinigeTageaufhielten,solche Zeit aber unterlauterMusik zubrachten,weilsie daselbst diegrösten Musikliebhaber vonder Welt antrafen.33

Stölzels weiterer Wegführtevon Linz über BudweisnachPrag, und, nach mehrjährigemAufenthaltinder „GoldenenStadt“, im Herbst 1717 nach Bay- reuth. Simonetti taucht in derReiseschilderungnichtwiederauf;seinVerbleib in derFolgezeit–etwaabFrühjahr1715–ist ungeklärt. Erst für 1717 liegt wieder einNachweisvor,erneutals Teil einesbiographischenAbrisses und merkwürdigerweise ohne archivalische Belege wieAnstellungsunterlagenoder Kammerrechnungendes betreffenden Hofes. Im Leben Johann Christian HertelsehemaligenConcertmeistersamSachs.Eisenachischenund Meck- lenburg-Strelitzischen Hofe.Entworfen vondesselben Sohne, Hrn. Johann WilhelmHertel,34 Hochfürstl. Mecklenburg-SchwerinischenHofcomponisten heißtes, daßder HofzuSachsen­Merseburgdem jungenJohann Christian Hertel (1697–1754)eineweitere Ausbildung aufder VioladaGamba nach Wahl angebotenhabe–entwederinFrankreichoderinDarmstadt bei„dem berühmtenHrn.Heß“. Hertel entschiedsich für ErnstChristianHesse (1676–1762)und reiste 1717 nach .

hier „ein Jahr undetlicheMonath“,was mutatis mutandisauchfür Simonetti gelten dürfte. 33 Mizler (wie Fußnote32),S.149.Bei dengenanntenMusikernhandelt es sich um Philipp Nerius Wieland (als Kammerdienerund Kammermusikusnachweisbar 1709–1715),Franz Forstmayr(alsMusikus undKammerdienernachweisbar 1707–1717; wahrscheinlich identischmit dem1702–1708 in Berlin belegten Violin- spielerForstmeyer, vgl. Sachs, wieFußnote 26,S.185)sowie JacobHoffer(Violinist derHofkapelleWienab1698,†14.8.1737);vgl.W.Senn, Musik undTheater am HofzuInnsbruck. Geschichte derHofkapellevom 15.Jahrhundert bis zu deren Auflösung im Jahre1749,Innsbruck 1954,S.314,315 (zuForstmayr undWieland). sowieEitnerQ,Bd. 5, Leipzig1901, S. 169(zu Hoffer). 34 1727–1789. 264 Hans-Joachim Schulze

Er machtehiermit denHerrenCapellmeisternGraupnerund Grünewald, undmit dem Hrn. Concertmeister SimonettiBekanntschaft.Durch diebesondereZuneigung,die derHerrSimonetti für ihn hatte, bekamernichtnur dieErlaubniß,inder damahligen Operdie Violin mitzuspielen,sonderneswurde ihmauchdie zwoteStellenach demHrn.Simonetti miteinem ansehnlichen Gehalt angetragen,für welcheGnade er aber unterthänigstdankte.35 SimonettisBeschäftigunginder Hofkapelle vonHessen­Darmstadtkönnte mitden vom28. Aprilbis zum7.Mai 1717 dauerndenEinzugsfeierlichkeiten fürden Erbprinzen zusammenhängen. Prinz Ludwig, dernachmaligeLand- graf LudwigVIII.(5. April1691–17.Oktober 1768), hatte sich am 5. April1717 mitCharlotte Christinevon Hanau­Lichtenberg (2.Mai 1700–1.Juli1726) vermählt.Aufgeführtwurde ausdiesemAnlaß einvon ChristophGraupner komponiertes,leiderverlorenes„Divertissement“,dessenvon GeorgChristian Lehmsverfaßter Text in 600Exemplarengedrucktwordenwar.36

1718 erhielt Johann ChristianHertelden Befehl,nachMerseburg zurück­ zukommen;imselben Jahr istSimonetti in Bayreuth zu finden. Hier heiratete er am 14.März1718die SängerinChristianeElisabeth verwitwete Ernstge­ borene Döbricht.37 Von1718bis 1721 (16. Oktober) isterals Besitzer des HausesLudwigstr.10belegt.38 Am 5. November 1718 richtete derals Directeur desplaisirs am kurfürstlichen HofzuDresden tätige BaronJohann Sieg­ mund vonMordaxt an Markgraf GeorgWilhelm vonBrandenburg­Bayreuth

35 F. W. Marpurg, Historisch-Kritische Beyträge zurAufnahmeder Musik. III.Band. Erstes Stück,Berlin 1757,S.46ff.,hierS.50. Mitden „Capellmeistern“ sind Chri­ stophGraupner(1683–1760) undGottfried Grünewald (1673–1739)gemeint.Zum – nurnochfragmentarischgreifbaren–DarmstädterOpernrepertoire vgl. R. Brock- pähler, Handbuch zurGeschichte derBarockoperinDeutschland,Emsdetten 1964, S. 126f.und 128f., sowieE.Noack, Musikgeschichte Darmstadtsvom Mittelalter bis zurGoethezeit,Mainz 1967 (Beiträgezur MittelrheinischenMusikgeschichte. 8.), S. 182–186. 36 Noack(wieFußnote35),S.176 und183. 37 GeboreninWeißenfels(27.April 1690), alsOpern-und Konzertsängerinnachweis- barinLeipzig (1705, 1708), Naumburg/S.(1706), Braunschweig (1708),Weißenfels (1709),Zeitz (1712) undCoburg (1714),inersterEhe verheiratet(Leipzig, 15.Febru- ar 1711)mit demTanzmeister Heinrich Adrian Ernst(begraben 27.Januar1717 Bayreuth). Daten nach M. Maul, Barockoper in Leipzig(1693–1720),Freiburg/B. 2009 (FreiburgerBeiträgezur Musikgeschichte.12.), S. 1105–1107. 38 H. Fischer, Häuserbuch derStadt Bayreuth. EinBeitrag zurstädtischen Ent- wicklungsgeschichte,Bd. III,Bayreuth1991, S. 1252.Hinweis aufdiesenwichti­ genBeleg beiIrene Hegen, Verfasserindes Kapitels Bayreuth in:S.Leopold und B. Pelker, SüddeutscheHofkapellen im 18.Jahrhundert. EineBestandsaufnahme, Heidelberg2010(Schriften zurSüdwestdeutschenHofmusik. 1.)–http://www.hof- musik.de/PDF/SSH1.pdf–,S.36. Kantor Kühnhausen und Concertmeister Simonetti 265 (16. November 1678–18. Dezember 1726) dieBitte,die Sängerin„Ernestine Simonetti“inDresden gastierenzulassen.39 DerMarkgraflehntedas Ersu­ chen mitder Begründung ab,daß jene „bey einerhiernechstbevorstehenden operaohnumbgänglichzuemployren undsodann zurZeitdessCarnevals eine Ihrallschon zugetheiltestarkePartiezuversehenhat,von welchersie nicht mehr dispensieret werden kann“, undbot einenspäteren Termin unterder Bedingungan, daßdie SängerinbaldnachNeujahr 1719 wieder nach Bayreuth zurückkäme.Mit der„hier nechst bevorstehenden opera“ könnte Stölzels Oper „Diomedes“ gemeintsein, die1718amGeburtstagdes Markgrafen auf- geführtwurde.40 WelcheUmstände denWechsel desEhepaaresSimonetti vonBayreuthan denHof vonBraunschweig-Wolfenbüttelveranlaßthaben,ist nichtbekannt. Auch derZeitpunkt läßt sich nicht exaktbestimmen.ImFebruar 1721 erscheint unterden Mitwirkenden in Georg Caspar Schürmanns„Singe­Spiel“ Heinrich derVogler („ZweyterTheil“) „Mad.Simonetti“. 41 Derimselben Jahr er­ schienene(vielleichtaberschon Ende 1720 gedruckte) Hofkalender nenntim Abschnitt„Hochfürstl. Capelle“ unterden SängerinnenanersterStelle „Madam.N.N.Simonettin. ErsteSängerinbey Fürstl. Hoff­Capell“,unter den Instrumentisten, ebenfallsanersterStelle, „HerrN.N.Simonetti,Concert­ Meister“. 42 Wasdie NeuberufungbeiderMusiker für diefolgenden eineinhalb Jahrzehnte bedeutete,läßtJohann Joachim ChristophBode(1730–1793) noch 1773 durchblicken, wenn er vom„goldnen Zeitalterder Braunschweigischen Kapelle, […] denZeitender Graune undSimonettis“ spricht.43

39 L. Schiedermair, BayreutherFestspiele im Zeitalter desAbsolutismus. Studienzur Geschichte derdeutschen Oper,Leipzig 1908,S.29. „Ernestine“war wohl die Kurzbezeichnungfür dieSängerinseitihrer Heiratmit H. A. Ernst. 40 Zu einerSammlungvon fünf Arienaus dieser Oper –darunter„Bist du bei mir“ (BWV 508)–vgl.A.Glöckner, Neueszum ThemaBachund dieOperseiner Zeit,BJ2002, S. 172–174. DieIdentifizierungvon BWV508 alsTeilvon Stölzels „Diomedes“ geht aufPeter Huth (Berlin)zurück; eine vonihm angekündigte Ver­ öffentlichungist bisher nicht zustande gekommen.Zum Bayreuther Repertoire der Jahre1718bis 1721 vgl. Schiedermair (wie Fußnote39),S.64ff.,Brockpähler (wie Fußnote35),S.64, sowieH.­J. Bauer, BarockoperinBayreuth,Laaber1982(Thur- nauerSchriften zumMusiktheater. 7.), S. 69ff. 41 F. Chrysander, Geschichte derBraunschweig-WolfenbüttelschenCapelle und Oper vomsechzehntenbis zumachtzehnten Jahrhundert,in: Jahrbücherfür musi- kalische Wissenschaft 1(1863), S. 147–286,hierS.271,sowie G. F. Schmidt, Die frühdeutsche Oper unddie musikdramatischeKunst GeorgCasparSchürmann’s, Regensburg 1933,Bd. I, S. 148f., 238. 42 Schmidt(wieFußnote41),Bd. I, S. 124, 125. 43 Carl Burney’s derMusik Doctors Tagebuch seinerMusikalischen Reisen. Dritter Band.Durch Böhmen, Sachsen,Brandenburg, Hamburgund Holland. Ausdem Englischen übersetzt,Hamburg 1773,S.260 (Fußnotedes Übersetzers). 266 Hans-Joachim Schulze DieumfangreicheAufführungsstatistikder Jahre1720bis 1735 kann hier nichtdes näheren diskutiert werden.44 Wenigstens erwähntsei dieinneuerer Zeit erwogene Möglichkeit, daßmit einemfür denBraunschweiger Hofwir- kenden Textdichter „Simonetti“nichtautomatisch derspätereGöttinger Theo- loge ChristianErnst Simonetti45 gemeintseinmuß (wenngleich dieser sich vor demBeginnseinerTheologenlaufbahndurchausals Opernlibrettistbetätigt haben kann), sondernauchanJohann WilhelmSimonetti zu denken wäre.46 EinschneidendeEreignisseinden Braunschweiger Jahren desEhepaares Simonetti warendie Todesfälle derRegenten(Herzögevon Braunschweig­ Wolfenbüttel). August Wilhelm(*8.März1662) verstarb am 23.März1731 (Karfreitag).47 Zehn Tage später (2.April)verzeichnendie Kammerrechnun- genunter derRubrik„An ExtraordinairenAusgaben“ dieAusreichung von 40 Talern an „ConcertmeisterSimonetti u. dessen Frau“, sicherlich für Trauer­ kleidung.48 Trauermusiken, vorwiegend oder auchgänzlichaus derFeder von Carl Heinrich Graun, wurdenerstzweiMonatespäter aufgeführt:Am25. Mai je einOratorium vorbeziehungsweise nach derAbführungs­Predigt(„Ach wienichtig,ach wieflüchtig“sowie „Laß aufdeinenTod mich trauen“),am 27.Mai je einOratorium vorbeziehungsweise nach derLeichen­Predigt („Unserkeinerlebtihm selber“sowie „Der,soden HerrnJesum hat auf­ erwecket“).49 August Wilhelms Nachfolger LudwigRudolph(*22. Juli 1671)verstarbkin- derlos am 1. März 1735.ZehnTagespäter (11. März)verzeichnen dieKammer- rechnungen„Extraordinaire Ausgaben“, explizit für Trauerkleidung:„Concert

44 Vgl. dieÜbersichtenbei Schmidt(wieFußnote41),Bd. I, S. 146–163, undBrock­ pähler (wie Fußnote35),S.93–96. 45 Vgl. Fußnote22sowie Schmidt(wieFußnote41),Bd. II,S.26–28. 46 Dies betrifft insbesondereSchürmannsOper LudovicusPius (1726);vgl.Schmidt (wie Fußnote41),Bd. I, S. 256f.HierzuC.Seebald, Libretti vom„Mittelalter“. Ent- deckungenvon Historieinder (nord)deutschenund europäischen Oper,Tübingen 2009 (Frühe Neuzeit.134.),S.230 undFußnote 510, nach einerHamburger Magis- terarbeitvon Nils Niemann (1995; hier S. 37 f.). Einvon Schmidterwähntes Text­ buchexemplarzuLudovicusPius enthältden handschriftlichen Zusatz„Simonetti“. Zu SchürmannsOper Justinus (August1725; Schmidt, Bd.I,S.255 f.)vermerkt J. C. Gottscheds NöthigerVorrath zurGeschichte derdeutschen Dramatischen Dicht- kunst,Leipzig 1757,S.302: Iustinus.Braunschw.von Simonetti. 47 In zeitlicher Nähe verbuchendie Kammerrechnungen: „Auf Ostern 1731 dieFürstl. Capellebezahlt.[…] Concert­Meister Simonetti vorSichund SeineFrau200 Thl.“ sowieananderer Stelle „Dem Concert­Meister Simonetti lautRechnung18Thl.“ (Schmidt,wie Fußnote41, Bd.I,S.127,128). 48 Schmidt(wieFußnote41),Bd. I, S. 128. 49 C. Henzel, Graun-Werkverzeichnis(GraunWV).Bd. I. Verzeichnisder Werkeder Brüder Johann Gottlieb und Carl Heinrich Graun,Beeskow 2006,S.566–569: Bv:VIII:3 bisBv:VIII:6. Kantor Kühnhausen und Concertmeister Simonetti 267

Meister Simonetti 20 Thl., SängerinSimonetti 20 Thl.“. 50 Auch diesmallie- ferteGraun eine Trauermusik:„DietrostreicheAngst derChristen ‚Erhöre mich,wennich rufe‘“.51 AufLudwigRudolphfolgte dessen SchwiegersohnFerdinandAlbrecht II. (* 19.Mai 1680), demnur eine kurze Regierungszeitbeschiedenwar;erstarb am 13.September 1735.Schon wenige Wochen nach derÜbernahme der Amtsgeschäftehatte FerdinandAlbrecht sich mitFragender Auflösung bezie- hungsweise Verkleinerung derHofkapellebeschäftigtund sich am 30.April an denerstam26. März 1733 ernanntenKapelldirektorPhilipp vonMünch gewandt um zu erfahren,welcheMusiker „abgehen“sollten undwelcheman „von neuemannehmen“ könne. Münchreagierte am selben Tagmit derBitte um Entlassung underhielt am 9. MaiseinenAbschied. KapellmeisterSchür- mann legteeinen „Capell­Etat wieerdiese letzte Zeit gewesen“ vor. Madam. und Mons.Simonetti sind dortmit zusammen 800Talernverzeichnet;weiter heißtes„Denenselben jede Messeaus derChatoul100 Thlr.sind200 [Thl.], item Saitengeld 10 [Thl.].“52 Eingutes Dutzend Musikererhielt aufgrund eines Dekretsvom 2. Juni 1735 anläßlich derEntlassung Reisegeld; dasEhepaar Si- monetti gehörte nicht dazu.53 Trotzdem müssen beideWolfenbüttelnachrelativ kurzerZeitverlassen undNachfolgernPlatz gemacht haben.Auf dieKonzert- meisterstellerückteder schon seit 1721 alsMitgliedder Hofkapelle nachweis- bare Geiger August Leplat nach,als Sängerin wurde Sophia Amalia Verocai geb. Kayser angestellt.54 Mehr Glück alsdie Simonettishatte Carl Heinrich Graun. Dieser warum Weihnachten 1725 nach Braunschweig gekommen,hatte sich mitErfolg als Sänger undals Komponistpräsentiertund wurde im Folgejahrzum Vizeka- pellmeisterernannt.55

50 Schmidt(wieFußnote41),Bd. I, S. 120. 51 Henzel (wie Fußnote49),S.564f.:Bv:VIII:2. 52 Chrysander (wie Fußnote41),S.284f.;vgl.auchSchmidt (wie Fußnote41),Bd. I, S. 131. 53 Schmidt(wieFußnote41),Bd. I, S. 132. 54 Schmidt(wieFußnote41),Bd. I, S. 131bzw.S.57(Fußnote) und78. Dievon Schmidt (S.57und 132) angekündigten„NeuenBeiträge“ mitvollständiger Verzeichnung dereinschlägigen Personalia sind nichterschienen. ZurPersonder Sängerin,einer Tochterdes umstrittenen Musikers Johann Kayser,vgl. Magdeburger Telemann-Stu- dien IV (1973),S.75f.(W. Maertens). 55 (J.F.Agricola?), Lebenslauf C. H. Grauns,hierzitiert nach J. N. Forkel, Musika- lisch-kritischeBibliothek,Bd. III, 1779,S.293–295.Inseinem„Vorbericht desÜbersetzers“(Berlin,2.Mai 1757)der Anleitungzur Singkunst [nachPierFran- cescoTosi],Berlin 1757,S.VIII,zählt J. F. Agricola die„Simonettinn“mit unterdie „bravenSängerund Sängerinnen aus unserer Nation“. 268 Hans-Joachim Schulze

In allendarauffolgenden Opernrecitirte er mit. Wenn sieauchgleich nichtvon seiner eigenenComposition waren; so setzte er doch immerdas,was er undwas dieMadame Simonetti,einesehrguteund damals demRange nach dieerste Sängerinn aufdem Braunschweigischen Theater, zu singen hatten,von neuem.

AußerOpern komponierteGraun vieleSerenaden,Kirchenstücke,Kantaten undPassionsmusiken,

Auch dieTrauermusik seines ersten Herrn, desHerzogs August Wilhelm, welcher im Jahr 1731. starb. […] DerfolgendeHerzogLudwigRudolphbestätigteihn in seinem Amte,und in seiner Besoldung.Ein gleiches that derwiederauf diesen folgendeHer- zogFerdinandAlbrecht. Vondiesemaberbat sich ihnder damalige Kronprinz,jetzt glorwürdigstregierender Königvon Preußen, ohne Hrn. Grauns eigenesVorwissen, in seineDienste aus.

FerdinandAlbrecht entsprachder Bittedes Kronprinzen,entließ Graunförm- lich unddieser trat 1735 seineStelleinRheinsbergan. VonGraunsehema­ ligenKollegenist zwei Jahrespäter im Briefwechseldes Kronprinzen mit seiner Schwester Wilhelmine Friederike Sophie (1709–1758), derMarkgräfin vonBrandenburg­Bayreuth, dieRede. Anfang Dezember 1737 schreibt Wil­ helmineanFriedrich:

DerKönig [Friedrich WilhelmI.] soll ganz derMusik verfallensein. Er hat Simonetti angestellt unddie Königin[Sophia Dorothea,1687–1757]dahin gebracht,dessen Frau anzunehmen. SeineStimmungmuß völligverändert sein.Bitte schreibe mir, ob daswahrist,dennSimonetti hatsich dessen gerühmt.56

Friedrichs Dementifolgtam10. Dezember 1737:

Nein,liebste Schwester,alles,was Simonetti undseine Frau sagenund wasman sonst Dirvon denSängerinnen geschrieben hat,die ich ausItalien hätte kommen lassen, allesist völligfalsch. DerKönig liebtdie Musiknicht mehr alsfrüher. Er begnügt sich mitseinenelenden Oboisten,die,wie Du weißt, feineOhren nichtbefriedigen können.Die Königinwollteallerdings dieSimonetti annehmen, denn sieund ihrGatte sind stellungslos; aber dabeiist es geblieben.57

DenwahrenZustandreferiert offenbar ErnstLudwigGerbers Tonkünstler­ Lexikon, in demes–sicherlich aufhandschriftlichen ErgänzungenJohann GottfriedWalthersfür diegeplanteNeuauflage seines Musicalischen Lexicons von1732fußend –heißt:

56 Friedrich derGroße und Wilhelmine vonBaireuth. Bd.I:Jugendbriefe1728–1740, hrsg.und eingeleitetvon Gustav Berthold Volz.Deutsch vonFriedrich vonOppeln­ Bronikowski, Leipzig1924, S. 365.Imzuständigen Bd.27/1 der Œuvres de Frédéric le Grand,hrsg. vonJohannDavid Erdmann Preuss,Berlin 1856 ff.nicht enthalten. 57 Ebenda, S. 366. Kantor Kühnhausen und Concertmeister Simonetti 269

Simonetti (Sgr.)Conzertmeisterinder Kapelledes Herzogsvon Braunschweig,ums Jahr 1730;privatisirteums Jahr 1740 zu Berlin undgab daselbst Unterricht aufder Violin. Simonetti (Sigra.) SängerinamHerzogl.Braunschweigischen Operntheaterums Jahr 1732,zur Zeit,als Graundaselbst dieDirektion übernommenhatte.Sie wardie erste undbeste Sängerinihrer Zeit,auf demdasigenTheater.58 Vom„musikalischenSonnenaufgang“ in Berlin nach demTod des„Soldaten- königs“am31. Mai1740konnten dieSimonettisoffenbar nicht profitieren.Als Fünfzigjährige hattensie keineAussichtauf eine Neuanstellung am Hof, hättenwohlauchden einsetzenden stilistischenWandelnichtodernur un- zureichend mitvollziehenkönnen. Ob undgegebenenfallsinwieweit siedem musikalischenUmfeldCarlPhilipp Emanuel Bachszugerechnet werden kön- nen, läßt sich derzeitnicht sagen.Bedenklicherscheint insbesondere, daß Johann WilhelmSimonetti 1740 an einerprominenten Unternehmung des Thronfolgersbeteiligt war, daßseinNameindenoffiziellenDokumentenje- doch nicht genanntwirdund nurinzweitrangigen Quellenerscheint. In einerNachschrift zu seiner Grundlage einerEhren-Pforte schreibt Johann Matthesonunter Berufung aufeinen Briefaus Berlin vom15. Juli 1740:

Derjüngere Herr GraunreisetkünfftigenMontagnachWelschland, um 4. Sängerinnen und6.Sängerzur Königl.Preußischen Capelleanzunehmen. DerKönig hat ihmbe­ fohlen,mit einerjeden Person bißauf zweytausend Thaler jährlicher Einkünffte zu schliessen.Ernimmt wirklich sechstausend Thaler an Wechselbriefen mitsich,zur Bestreitungder Reise­ undandrerKosten.59

Carl Mennickes 1906 gedruckteDissertationzitiert Unterlagen vom7.Juli 1740 zur„ItalienischenReyse“des Capellmeisters Graun, in denenaus­ schließlichdessenNameerscheint.60 DaßGraun dieReise nicht allein ange­ treten hatte,wurde erst durcheinen vonWilibaldNagel veröffentlichten Brief ausder Korrespondenzvon Johann FriedrichArmandvon Uffenbach(1687 bis 1755)bekannt, in demein Herr vonGerresheimam15. November 1740 aus Berlin berichtete:

Die retour desH.Capellmstrs istalso noch nichtzudeterminiren, indeßenhat er doch denmit sich genommenen Concert Mstr. Simonetti mit2Sängerinnen,welche dieseWoche noch hier erwartet werden von Venedig abgesandt.61

58 Gerber ATL, Bd.II(1792), Sp.522. 59 Mattheson, Grundlage einerEhren-Pforte (wie Fußnote32),S.428. 60 C. Mennicke, Hasse unddie Brüder Graunals Symphoniker. Nebst Biographien und thematischen Katalogen,Leipzig 1906,S.458.Den gleichen Informationsstand vertretenAgricolas Graun-Biographie (vgl.Fußnote55) undandereUnterlagenzur Berliner Musikgeschichte. 61 SIMG 13 (1911/12), S. 103. DerBriefschreiberist der1733geadelteHessen­Darm- städtische Legationsrat WilhelmChristian vonGerresheim(*1705, nachweisbar 270 Hans-Joachim Schulze Eine zweite Quelle bemerktunter dem22. Juli 1740:

Den19. sind diebeyde Herren Musici Graunund Simonetti mit6000 rtl. Reisegeld nach Italienabgegangen, um vonda4Castraten,überdem 1Baßisten, 1Tenoristen,und 4Cantatricen mitzubringen, auch wegendes Gehaltsfür diePersonbis auf2000 rtl. zu accordiren.62

Am 17.Oktober 1740 heißteshier, daßGraun wegenanstehenderVerpflich- tungeninBerlin seine„retour“beschleunigensolle:

Er bringt zugleich Sängerinnen undVirtuosen mit, welche volkommennachI.M.ge- nie seyn.Der Herr Simonetti bleibetaberbis Weynachten zurück,weilendie Castraten, dieerinI.M.Dienstengagiret,sich ausgebethenhaben,die Opera in Venedignochmit beyzuwohnen, welches ihnenauchaccordiret. DerHerrSimonetti aber,welcher die Castratenmitbringensolle,daraufwartenmuß.63

WasGraun veranlaßthat,seinen„altenBekannten“ Simonetti nach Italienmit- zunehmen–offenbarauf eigene Kosten –wissenwir nicht; möglicherweise verfügte SimonettiüberprofundeSprachkenntnissebeziehungsweise über Erfahrungenbezüglich desKunstbetriebsinsüdlichen LändernEuropas. Un- bekanntbleibt auch, ob derpartielle Mißerfolg derkostspieligen Expedition64 –die meistenmitgebrachten Gesangssolisten wurdennachrelativ kurzerZeit wieder abgedankt–sich aufSimonettisStellunginBerlin ausgewirkt hat. Aufeinesicherlich in dieZeitnach1740, also nach derRückkehrvon der Italienreise reichendeUnterrichtstätigkeit Simonettisweist eine Bemerkung in derBiographie desBerliner Juristen undAmateurmusikers Johann Otto Uhde (1725–1766). Nach derÜbersiedelung derFamilie Uhde ausdem ost- preußischenInsterburgnachBerlin Ende 1739 wurde Minister FranzWil­ helm vonHappe (1687–1760),65 in dessen Privatkonzerten Uhde zuweilen alsGeigermitwirkte,auf diemusikalischenFähigkeiten desJünglings auf- merksam:

noch 1760), wohl einSohndes Berliner HofarztesAdolphWilhelm Gerresheim (1655–1716)und Neffedes TheologenJohannWilhelm Gerresheim (1653–1699). Zu seinen Besitztümern vgl. E. Consentius, Alt-Berlin Anno 1740,Berlin 1911,S.35, 65 f. 62 BerlinergeschriebeneZeitungenaus dem Jahre1740. DerRegierungsanfang Friedrichsdes Großen,hrsg. underläutert vonR.Wolff,Berlin 1912 (Schriften des Vereinsfür dieGeschichteBerlins. Heft XLIV.),S.57. Wortlaut undDaten ähneln starkder beiMatthesonwiedergegebenen Mitteilung. 63 Ebenda, S. 102. 64 Vgl. dasbei Mennicke (wie Fußnote60),S.458 f.,wiedergegebene Mattheson­Zitat. 65 Widmungsempfängerder 1748 veranstaltetenNeuausgabe vonWilhelm Friede- mann BachsCembalosonate Es­Dur Fk 5(DokII, Nr.567,und Nachtrag DokV, S. 298). Kantor Kühnhausen und Concertmeister Simonetti 271 so riethenSie ihm,inNebenstundennochweitern Unterricht in derMusik zu nehmen: welches denn auch, undzwarauf derVioline, beydem ehemaligenHerzogl.Braun- schweigischen Concertmeister HerrnSimonetti,der damals in Berlin wohnete, undauf demClaviere, bald darauf auch in derComposition beydem Königl.Kammermusicus HerrnChristoph Schafrath, geschahe.66

Johann WilhelmSimonetti könnte also im Frühjahr 1744 durchaus noch in Berlin gelebt haben. Ob dies auch für seineGattingilt, müssen künftigeUn- tersuchungenklären. Zu suchen istjanochimmer nach einerSängerin, die anstelle derimHerbst1741nicht reisefähigen Anna MagdalenaBachden schwierigenSopranpartder Kantate„OholderTag,erwünschteZeit“ (BWV 210; BC G44) anläßlich deram19. September1741gefeierten Hochzeit von Dr.Georg ErnstStahl undJohanna Elisabeth Schrader übernommenhaben könnte.67 Irgendwann in derFolgezeitbeendeteSimonetti seineMusiklehrertätigkeit in Berlin68 undübernahmals Pächter dasnordwestlich vonFrankfurt/O. gele- gene undder Stadtunterstehende GutBooßen. Hier starberinhohem Alteram 19.März1776.69

66 Lebenslaufdes Herrn Johann Otto Uhde,Königl.Preuß.Kammergerichts-und Criminalraths,und Hofrichters,in: J. A. Hiller, WöchentlicheNachrichtenund Anmerkungendie Musikbetreffend,[Jahrgang II], NeunzehntesStück.Leipzig,den 9ten November 1767,hierS.144f. DieUniversität Frankfurt/Oderbezog Uhde nicht1743, sondernam18. April1744; sein SchulbesuchinBerlin(unddamit der Unterricht beiSimonetti)kannalsonochbis Ostern 1744 (Ostersonntag: 29.März) gedauert haben.ZuUhdes musikalischemNachlaß vgl. P. Wollny, Anmerkungenzu einigenBerlinerKopistenimUmkreisder Amalien-Bibliothek,JahrbuchSIM 1998, S. 143–162, hier S. 154. 67 M. Maul, „DeinRuhmwirdwie einDemantstein,jawie einfesterStahl bestän- digsein“.Neues über dieBeziehungenzwischenden FamilienStahl und Bach, BJ 2001,S.7–22. 68 Vielleicht wurdenbei dieser GelegenheitMusikalienanInteressenten verkauft oder verschenkt.ZuFragender Quellenüberlieferung vgl. Maul(wieFußnote 37), S. 364. Zu einemViolinkonzerting­Moll(D­Dl, Mus.2449-O-1 [olim Cx 857]) sowieeinem verschollenenKammermusikwerk vgl. K. Musketa, Werkeitalieni- scherKomponisten im Inventarverzeichnisder Zerbster Concert-Stubevon 1743, in:JohannFriedrich Faschund deritalienischeStil. Berichtüberdie Internatio- nale Wiss.Konferenz am 4. und5.April 2003 im Rahmen der8.Internationalen Fasch­Festtage,Dessau2003(Fasch­Studien. IX.),S.47–66(bes. S. 57,64),sowie G. Poppe(Hrsg.), Schranck No:II. Daserhaltene Instrumentalmusikrepertoire der Dresdner Hofkapelleaus denerstenbeidenDrittelndes 18.Jahrhunderts,Beeskow 2012 (Forum Mitteldeutsche Barockmusik. 2.), S. 129. 69 Büchsel1956 (wie Fußnote22).