Denkmalstimme 1/2016
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BÜRGER DENKMALSTIFTUNG RETTEN BADEN-WÜRTTEMBERG DENKMALE Stiftung bürg erlichen Rechts DENKMALSTIMME 1 | 2016 Die Denkmalstiftung hat sich für den Erhalt der Stuttgarter Makthalle auch im 100. Jahr ihres Bestehens engagiert. Feiner Bau für feinen Inhalt In dieser Ausgabe Die Markthalle ist beste „Stuttgarter Schule“: Im Inneren ein für die Bau- Stuttgarts schönster Konsumtempel: zeit (1912–1914) fast futuristisch anmutendes Beton-Inlet mit weiten wei- die Markthalle ßen Stützbögen. Draußen aber eine selbstbewusste Einpassung in die Gespräch mit dem Ulmer historische Umgebung. Als die Halle am Beginn des Kriegsjahrs 1914 ein- Oberbürgermeister Ivo Gönner geweiht wurde, war sie zwar neu im Sinne eines neuen Bauens, aber sie über Stadtplanung war nicht fremd. Wissenswertes aus der Die „Stuttgarter Schule“ ist ja eine „Erfi ndung“ des fränkischen Baumeis- Denkmalpfl ege: Leserkritik und ters Theodor Fischer (1862–1938), um 1900 einer der wirkungsreichsten Geologisches Architekten in Deutschland. Er lehrte Respekt vor der baugeschichtlichen Baukunst, Knickgiebel Umgebung, handwerklich gekonnten Umgang mit regionaltypischen Baumeister, Emil Otto Tafel Werkstoff en im Äußeren und Verwendung modernster Baustoff e im In- Denkmalrätsel neren. Fischer gilt deshalb auch als Meister des Betons, mit dem er oft Spenderliste 2015 geradezu bildhauerisch umgeht. WWW.DENKMALSTIFTUNG-BW.DE DENKMALSTIFTUNG BADEN-WÜRTTEMBERG Die Markthalle in Stuttgart Württemberg kämen in Scharen hierher. „Manches Stuttgarter Gemeinderats. Zu den Restaurierungen an der Kinder sieht und kauft sich zum ersten Mal in sei- seiner Markthalle wird er off enbar nicht hinzugezogen. Paul Bonatz auf Platz zwei nem Leben eine Orange oder Banane.“ Stuttgart war Der Baukünstler Martin Elsaesser hat resigniert. Am 5. So eben auch bei der Markthalle seines Muster- und nun eine Stadt mit an vordester Front im deutschen August 1957 stirbt er in Stuttgart. In der Traueranzeige Meisterschülers Martin Elsaesser. 1884 zu Tübingen in Wirtschaftsleben. „Schöne und große Markthallen heißt es, er hinterlasse „ein unvollendetes Lebens- die Strenge eines evangelischen Pfarrhauses hinein- triff t man noch in Hamburg, Leipzig, Dresden, Chem- werk“. geboren, erweist er sich als Musensohn, spielt Klavier, nitz, München“, heißt es in der Broschüre. Heute gilt Seine Stuttgarter Markthalle, zumal entlang der Doro- schreibt Gedichte – entschließt sich aber mit achtzehn die Stuttgarter gar als die „schönste in Deutschland“ theenstraße kriegszerstört, war bis 1953 behutsam re- zum Architekturstudium bei Theodor Fischer an der (Eigenwerbung). konstruierend wiederaufgebaut. Allerdings lag sie auf Stuttgarter TH. Dessen Haupt-Schüler und Nachfolger, Elsaesser hinterließ in der Landeshauptstadt noch wertvollstem städtischen Baugrund, was so manchen Paul Bonatz, holt Elsaesser als Assistenten (1908–1911) einige bemerkenswerte Bauten wie das Wagenburg- im nahen Rathaus wurmte. Ohnedies gab es dort für und als solcher gewinnt er 1910 den Wettbewerb für gymnasium oder auch die außergewöhnliche Jugend- Bauwerke aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg keine den Neubau der Stuttgarter Markthalle, vor Bonatz, stilkirche in Gaisburg. 1920 holt ihn der für Architektur nennenswerten Sensibilitäten („alde Käschda“). Eine der zweiter wird. Im Preisgericht sitzt vor allem einer – hoch engagierte Kölner Oberbürgermeister Konrad „Wirtschaftlichkeitsprüfung“ plädierte um 1970 für Theodor Fischer, der hier seine Stuttgarter Schule in Adenauer als Direktor an die Kunstgewerbeschule. Abriss und Neuaufbau, die obligate Stuttgarter „Stadt- Vollendung verwirklicht sieht. 1925 wirbt man den Baumeister als Stadtbaudirektor sanierungsmaßnahme“ der Ära Klett. Doch da hat Die Modernität des Innenraums mit seinen 60 auf 25 nach Frankfurt ab, wo er mit dem unerbittlich fort- ein öff entlicher Proteststurm die Markthalle gerettet, Metern gemahnt mit den weit gespannten, leicht gebo- schrittlichen Stadtbaurat Ernst May das „Neue Frank- wobei dem Engagement das am 1. Januar 1972 in Kraft genen Sichtbetonbindern unter dem gerundeten Glas- furt“ entwickelt, dessen Markenzeichen Elsaessers getretene Landesdenkmalschutzgesetz zupass kam. dach erst einmal an eine Industriehalle. Allerdings in Großmarkthalle (1926–1928) ist, bis heute eine Ikone Die Denkmalstiftung hat sich an den neuerlichen der archaischen Form einer dreischiffi gen Basilika. Die des „neuen bauens“. Maßnahmen zur Sanierung der Markthalle inten- Nebenschiff e an der nördlichen und südlichen Lang- Zwischen 1933 und 1945 mühte sich Elsaesser, der als siv beteiligt. Zur Instandsetzung der 72 Fenster im hausseite sind durch spitzbogige Arkaden vom breiten Vertreter des „Weimarer Systems“ galt, meist erfolglos Obergaden gab sie 30 000 Euro. Die Restaurierung der Hauptschiff getrennt. In diesen drei Schiff en haben um öff entliche Aufträge. Im Nachkriegs-Stuttgart leite- Außenfresken hat sie mit 20 000 Euro unterstützt und die Händler ihre Stände – wie in einem vorchristlichen te er den Wiederaufbau von Theodor Fischers Gustav- die Markthalle im Januar 2014 aus Anlass ihres 100jäh- Tempel! Die strenge basilikale Konzeption lässt den Einen etwas sakralen Kreuzgangcharakter strahlt der Kolon- Siegle-Haus nach dem pragmatischen Diktat des rigen Jubiläums zum „Denkmal des Monats“ gekürt. Kirchenbaumeister Elsaesser ahnen. Bis 1914 hatte er nadengang an der Nordseite der Markthalle aus. sich mit 39 Projekten für Gotteshäuser beschäftigt; Mit Türmen und Rundformen „korrespondiert“ die Markthalle mit ihrem Nachbarn, dem Alten Schloss. am Ende seines Lebens waren es über 60. Und auch als Maler wissen wir wenig. Gref indes, 12 Jahre älter die längsseitigen Fensterbänder der Obergaden unter als Elsaesser und aus dem südbadischen Stühlingen dem mächtigen Glasdachbogen entsprechen dieser stammend, studierte unter anderem an der Stuttgar- Konzeption. Außen ist die Markthalle mehr eingepasst ter Kunstakademie bei Leopold von Kalckreuth. Er als angepasst. Sie verbindet sich eher atmosphärisch arbeitete anfangs vor allem für Theodor Fischer; so mit ihrer damals noch von Renaissance und Barock sind die Wandmalereien in dessen Erlöserkirche im geprägten Umgebung. Dabei sind die spitzbogigen Stuttgarter Norden von ihm. Elsaesser beschäftigte Arkaden an der Dorotheenstraße so un- Gref besonders für seine Kirchenbauten. Etwa in Win- stuttgarterisch wie die volkstümlichen Fassadenmale- nendens St. Bernhard oder Nellingens St. Blasius, wo reien darüber. er beide Male Bilder von der Anbetung und Verkün- digung der Hirten als Motiv hat. Seine drei Glasfens- Keine bayerischen Lüftlmalereien ter für Elsaessers Christuskirche in Kirchheim/Teck Diese für Stuttgart und überhaupt das württember- wurden 1953 im Rahmen von Renovierungsarbeiten gische Kernland äußerst seltene Bemalung von Gebäu- zugemauert. dewänden mögen oberbayerische Reminiszenzen aus Elsaessers Münchener Studienzeit (1905/06) sein. Wer ist die Schönste im Land? Aber hier sind es keine zartblumig fl üchtigen Lüftlma- Elsaessers Stuttgarter Markthalle fand sogleich hohe lereien, hier sind es erdig expressive Darstellungen Akzeptanz. Eine Broschüre aus den zwanziger Jahren: zum Marktgeschehen: Bauern, Winzer, Jäger und der „Sie … wird immer wieder von den vielen auswärtigen hl. Christophorus als Schutzpatron. Gemalt haben sie Besuchern … als ein Schmuckkästchen der deut- Franz Heinrich Gref und Gustav Rümelin. Von Rümelin schen Markthallen bezeichnet.“ Schulkinder aus ganz 02 03 WWW.DENKMALSTIFTUNG-BW.DE DENKMALSTIFTUNG BADEN-WÜRTTEMBERG Liebe LeserInnen und SpenderInnen! Gespräch mit Ivo Gönner In unseren heutigen Beiträgen geht es vor allem um die Entwicklung unserer Städte. Auf diesem Gebiet haben Seit 1992 Oberbürgermeister von Ulm und langjähri- sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidende Wandlungen vollzogen. Es begann mit einem ger Präsident des Städtetages Baden-Württemberg. vehementen Drang zur Modernisierung, der auch noch zahlreiche von den Bomben verschonte Altbauten zum Opfer fi elen. Doch die anvisierte autogerechte Stadt konnte zahlreiche Bewohner nicht entscheidend an sich Im Gespräch für unser Jubiläumsheft von 2010 zu „25 Jah- binden. Schon in den 1950 Jahren orientierten sich vor allem Familien aufs Land, man baute dort und zog aus re Denkmalstiftung Baden-Württemberg“ haben wir Ulm grauer Städte Mauern ins Grüne. Folge waren zumindest abends und am Wochenende recht menschenleere als eine der „architektonisch ambitioniertesten Städte im Innenstädte und eine zersiedelte Stadtperipherie. In dieser Situation entkam die baulich kostbare und heute so Land“ bezeichnet. Ein Verdienst vor allem Ihrer fast 25jäh- beliebte Markthalle nur ganz knapp dem Abriss. Dass dieser nicht erfolgte, kann man getrost unter unser Motto rigen Ägide. Sie haben damals gesagt, „natürlich werden „Bürger retten Denkmale“ stellen. – Ein Proteststurm zwang den Gemeinderat zum Umdenken. Die Denkmalstif- wir daran arbeiten, dass auch künftig in Ulm Qualität Das Gespräch mit dem Ulmer OB führten Karlheinz Fuchs (im tung förderte 2015 die sachgerechte Erhaltung von zeittypischen Malereien an der Markthallenfassade. gebaut wird“. Gibt es Hoff nungen, dass Ihr jüngst gewähl- Bild) und André Wais. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die Stadtfl ucht ziemlich ins Gegenteil gekehrt. Die Vorzüge urba- ter Nachfolger diese Linie weiter verfolgt? nen Lebens mit guter Infrastruktur, kurzen Wegen, vielfältigen Kulturangeboten und bisweilen auch Unabhängig- Die gibt‘s nicht nur als Hoff nung, sondern als Sicher- Auch in der Neuen Straße, unserem gegenwärtig