Leitbild Reduktion
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1 Kapitel 1 Einleitung Ulrich Pantle Leitbild Reduktion Beiträge zum Kirchenbau in Deutschland von 1945 bis 1950 Dissertation Februar 2003 Leitbild Reduktion Beiträge zum Kirchenbau in Deutschland von 1945 bis 1950 Von der Fakultät Architektur und Stadtplanung der Universität Stuttgart zur Erlangung der Würde eines Doktor-Ingenieurs (Dr.-Ing.) genehmigte Abhandlung Vorgelegt von Ulrich Pantle aus Ludwigsburg Hauptberichter: Prof. Dr. Ing. Werner Durth, TH Darmstadt Mitberichter: Prof. Dr. rer. pol. habil. Tilman Harlander, Universität Stuttgart Tag der mündlichen Prüfung: 13. Februar 2003 Institut Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen der Universität Stuttgart 2003 3 Kapitel 1 Inhaltsverzeichnis Einleitung 1. Einleitung 4 Leitbild Reduktion Multidimensionalität der Reduktion Thema, Struktur und Thesen der Arbeit 2. Situation in Deutschland um 1945 26 Auswirkungen des Luftkriegs Politische und gesellschaftliche Verhältnisse Zustand der Kirchenbauten - eine Bestandsaufnahme der Zerstörung Situation der kirchlichen Institutionen 3. Von der Schuldfrage zum Wiederaufbau 68 Theologische und philosophische Positionen Schuldfrage, Katharsis und christliche Werte Stimmen von Publizisten und Kulturschaffenden Standpunkte von Architekten 4. Leitbauten und reduktionistische Tendenzen im Kirchenbau nach 1918 114 Neue Materialien und Baustoffe Liturgische Reformen Kirchenbau im Nationalsozialismus 5. Beiträge zum Kirchenbau von 1945 bis 1950 163 Auswahlkriterien der Beispiele Fallbeispiele Emil Steffann und die Suche nach Armut und Einfachheit Rudolf Schwarz und sein Wirken in „nüchterner Trunkenheit“ Otto Bartning und das Notkirchenprogramm des HEKD Gerhard Langmaack und die Gestaltung der Religion für die Gemeinschaft Max Taut und zwei Entwürfe für Notkirchen Martin Schilling und die verborgenen Baracken Der „Ruhrkaplan“ und die „Bunkerkirche“ in Düsseldorf-Heerdt Winfried Wendland und die Entpolitisierung der Architektur durch den Kirchenbau Dominikus Böhm und der Wiederaufbau „im Geiste des alten Raumes“ Hans Döllgast und die Poesie der Baukunst Heinrich Otto Vogel und der Wiederaufbau der Kirchen zwischen „Erbe und Aufgabe“ Leitbild Reduktion in den Beiträgen zum Kirchenbau nach 1945 6. Tendenzen im Kirchenbau nach 1950 326 Gesellschaftspolitische Veränderungen Eine neue Phase im Kirchenbau Neue Leitbauten Mittelweg zwischen Tradition und Moderne 7. Schlussbetrachtung 369 Reduktion als Reaktion und Legitimation Reduktion als eine Strategie in der modernen Architektur Anhang 390 Abkürzungen Abbildungsverzeichnis Literaturverzeichnis Kapitel 1 Einleitung Leitbild Reduktion Multidimensionalität der Reduktion Thema, Struktur und Thesen der Arbeit 4 Kapitel 1 1. Einleitung Einleitung In sprachlichen Beiträgen zur Architektur des 20. Jahrhunderts tauchen an unterschiedlichen Stellen Formulierungen auf, in denen mit vollem Pathos oder bemüht objektiv ein „bescheidenes Haus“, „zurückhaltendes Mobiliar“ oder verallgemeinernd eine „einfache Architektur“ gefordert werden. Diese Intention beschränkt sich nicht auf bestimmte historische Phasen, stilistische Zuweisungen oder nutzungsspezifische Kriterien. Auch in architekturbegleitenden Texten früherer Epochen und sinngemäß in anderen Sprachen und Kulturen ist diese Forderung zu finden. Aber im vergangenen Jahrhundert zeigt der Drang nach Reduktion eine auffällig kontinuierliche Präsenz und besondere Intensität. So prägen die Forderungen nach Einfachheit immer wieder die Architektur- debatten in der Moderne. Ein Anspruch, der in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts begleitet wurde von einer fundamentalen Kritik am Hi- storismus und einer demonstrativen Absage an die allgemein gebräuchli- chen Stilelemente und Ornamente. In der Weimarer Republik mündete dieses Propagieren des Verzichtes gar in den Stil der „Neuen Sachlichkeit“, wodurch Sachlichkeit zum programmatischen kulturellen Begriff jener Zeit wurde. In dieser heroischen Phase planten und bauten sowohl Vertreter einer „fortschrittlich-modernen“ Architektur, wie auch Architekten, die das Postulat der Tradition geltend machten, für einen zeitgemäß aske- tisch lebenden Menschen. Insofern wurde von beiden Gruppierungen der Reformierungscharakter betont. Unter der gemeinsamen Maxime der Re- duktion entstanden vorfabrizierte, kubische Flachdachbauten wie auch handwerklich gefertigte Häuschen mit Satteldach in Gartensiedlungen. Dies bedeutet, dass sich mit der Forderung nach Reduktion mutmaßliche Fronten in den Architekturdebatten zwischen „Moderne versus Traditi- on“ nur schwerlich klären lassen. Stattdessen lassen sich mit ihr traditio- nalistische Tendenzen in der modernen Architektur in ein epochales Ver- ständnis der Moderne integrieren. Wie ein roter Faden zieht sich somit das Leitbild der Reduktion durch die verschiedenen Stilrichtungen und Strömungen des vergangenen Jahrhun- derts. Reduktion bildet eine Kategorie der Moderne, und es stellt sich die Frage, ob Reduktion nicht sogar eine Schlüsselkategorie für die Architek- tur in der Moderne ist. Welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf das Verständnis der modernen Architektur ziehen? Was verbirgt sich hinter dieser unablässigen Forderung? Eine Antwort auf diese Frage zielt in der vorliegenden Arbeit darauf, dass sich an dem Leitbild der Reduktion die Spaltung zwischen einer dominanten Rationalität, einem aufklärerischen Geist, einer wachsenden Bedeutung von Technik und den Naturwissen- schaften als einem Kennzeichen der Moderne, und einem zunehmend verdrängten und dann doch wieder kompensierten Bedürfnis nach dem Geistigen festmacht. Das Streben nach Reduktion in der modernen Archi- tektur könnte daher so etwas wie eine Versöhnungsgeste sein, eine In- tention, aus der sich eine permanente Legitimation für die Architektur in der Moderne speist. 5 Kapitel 1 Kontinuität der Reduktion Einleitung Da in dieser Arbeit Architektur als vielfältiger Ausdruck und Bestandteil eines kulturhistorisch komplexen Gefüges verstanden wird, soll einleitend die Kontinuität der Reduktion in der deutschen Architektur des 20. Jahr- hunderts dargelegt werden, um zugleich skizzenhaft zu zeigen, in wel- cher Form, mit welchen Dimensionen und durch welche Architekten Re- duktion in dieser Zeit propagiert wurde und welche Einflüsse mitunter zur Tradition dieser Begriffe beitrugen. Diese Spurensuche wird sich in den anschließenden Kapiteln zunehmend auf die Betrachtung der unmit- telbaren Nachkriegszeit und der damaligen Leitbauten, die Kirchenbau- ten und einige ausgewählter Architekten einschränken. Neben Entwür- fen und realisierten Bauten werden dazu auch zeitgenössische Aussagen und Schriftstücke sowie unterschiedlichste Planungsumstände dargestellt und zur Klärung herangezogen. Anfang des 20. Jahrhunderts schlug sich in Deutschland beispielsweise noch die politische Dominanz Preußens auf allgemeine Wertvorstellungen wie auch auf spezifische, entwurfsrelevante Aspekte in der Architektur nieder und zeigte in den ersten Dekaden eine starke Wirkungskraft. Der Geist des Preußentums, „der in Deutschland die Schwärmerei durch den Willen, den Schein durch die Sache und Sachlichkeit ablöste“1, bot in der angespannten gesellschaftspolitischen Situation um 1918 eine konservati- ve Alternative zur geheimnisvollen Bilderkraft des Expressionismus. In die- ser bewegten Phase deutscher Geschichte wurde Preußen, „dieses ver- meintlich so kunstferne, wenn nicht kunstfeindliche Land, dessen Reich- tum in seiner Sparsamkeit, dessen Überfluß in seiner Maßhaltung, dessen Aufwand in seiner Einschränkung lag“2, als Vorbild - insbesondere für eine mustergültige Architektur - präsentiert. 1 „Der Dom in Havelberg“ war für Moeller van den Bruck ein Beispiel, aus wel- Moeller van den Bruck, der mit diesen Werten einen preußischen Stil be- cher Tradition sich „der preußische Stil“ ent- wickelt hatte. schrieb, nannte auch die Einflüsse, die seiner Meinung nach die Preußen in diesem Sinne geprägt hatten. Eine wichtige Beeinflussung sah er durch die Deutschritter, die „Herren im weißen Mantelhemd mit dem schwarzen Brustkreuz“, die „schon damals ein erstes Beispiel der geistigen Zucht“3 waren. Die Männer dieses Ritterordens, die „mit dem Gelübde der Armut, des Gehorsams und der Selbstüberwindung“ lebten, hatten sich seiner Meinung nach nicht zufällig für schwarz und weiß entschlossen: „Der asketische Sinn von Zisterziensern wie Deutschherren hatte sich unwill- kürlich für die Wahl dieser ernsten, abstrakten nordischen Farben ent- schieden, die in ihrem Verzichte auf Buntheit eigentlich gar keine Farben sind - und in dem Eifer, mit dem sie ihrem freiwilligen Liebesdienste und Lebenswerke nachgingen, kündigten sich früheste und echteste preußi- sche Züge an.“4 Eine einflußreiche Schrift, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die klassizis- tische Tradition und Winckelmanns Diktum von der „edlen Einfalt und stillen Größe“ in der Architektur weitertrug, war das Buch „Um 1800“5 von Paul Mebes. Eine hohe Auflage sowie der dem Buch eigene Charakter 2 Mit Beispielen wie der Handels- eines Musterbuches für die verschiedensten Bauaufgaben waren verant- bank in Kopenhagen (ehemaliges Palais Erichsen) von 1797 illustrierte Paul Mebes wortlich für die große Bekanntheit, die diese Veröffentlichung erreichte. sein Buch „Um 1800“. 6 Kapitel 1 Der von Mebes vorgeschlagene Rückgriff auf den Klassizismus erwies sich Einleitung als mitbestimmend für die Leitbilddiskussionen nach 1918. Trotz des Un- tertitels „Architektur und Handwerk im letzten Jahrhundert ihrer traditio- nellen Entwicklung“ beschränkt sich die Aussage nicht auf architektoni- sche Mittel.