Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie
Altlasten- annual 2018 Altlasten- annual 2018
Wiesbaden, 2019 Impressum
Altlasten-annual 2018
ISBN: 978-3-89531-877-1
Bearbeitung: Redaktionsteam „annual 2018“, Dezernat Boden und Altlasten Layout: Martina Schaffner Titelbild: Heddernheimer Kupferwerk und Süddeutsche Kabelwerke AG Gesamtansicht um 1910, Bildnachweis: Denkmalamt Stadt Frankfurt am Main, Nr. 478
Herausgeber, © und Vertrieb: Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie Rheingaustraße 186 65203 Wiesbaden
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Volker Zeisberger Stand der Altlastenbearbeitung in Hessen...... 7 Andrea Bohne DATUS - Das Datenübertragungssystem zur Altflächendatei...... 11 Volker Zeisberger PFC – Eine neue Stoffgruppe auch mit Altlastenrelevanz ...... 17 Aktuelle Informationen und Veröffentlichungen...... 23
Seminar Altlasten und Schadensfälle Seminar Altlasten und Schadensfälle 2018...... 25 Gert Rehner & Eduard J. Alesi Forced vertical flow: Verteilung von Nährstoffen und Reagenzien durch Grundwasserzirkulation (IEG-GCW®)...... 27 Michael Wolf & Dr. Uwe Hiester Verfahrensumstellung nach 25 Jahren BLA und P&T – was bringt jetzt noch eine thermische Sanierung?.....43 Berthold Meise Arbeitshilfe zur Sanierung von Grundwasserverunreinigungen – Vorstellung der 3. Auflage mit dem Schwerpunkt „Verhältnismäßigkeit“...... 53 Angela Prein Grundwasser-Strömungs- und Transportmodelle in der Altlastensanierung - Chancen, Risiken, Aufwand....65 Christoph Merten Brachflächenentwicklung aus Sicht eines Projektentwicklers - Chancen und Risiken einer Flächen- entwicklung...... 69 Harald Mark Informationsquellen zur Ermittlung von PFC-Kontaminationen durch Löschschäume...... 73 Elena Haibel PFC-Schadstoffe auf landwirtschaftlichen Flächen - Herausforderungen und Lösungsansätze...... 77 F. T. Lange, J. Müller, B. Körner, J. Janda, M. Scheurer, K. Nödler, F. Sacher, H.J. Brauch Analytische Möglichkeiten zur Erfassung von sog. Präkursoren bei PFAS-Schadenfällen...... 83 Dieter Binder Großflächige Bodenbelastungen durch historischen Bergbau in Biebergemünd ...... 89 Christian Hoselmann Bohrdaten im HLNUG: von der Bohranzeige bis zum 3D-Modell...... 95 Gudrun Radtke Geologischer Untergrund der Stadt Frankfurt am Beispiel des Europaviertels...... 105 Stephan Hüttmann Aerobverfahren, Bioaugmentation, Cosubstrateinsatz – kleines ABC der biologischen LCKW-Sanierung..... 115 Uwe Schlenker, Frank Tidden, Jens Gross, Frank Pietschner, Stefanie Apelt Pilotierungen von Biovertikalfiltern in der Grundwassersanierung – das EcoVert-System...... 117 Infothek Altlasten im Internet ...... 121 Handbuchreihe Altlasten ...... 122 Sonstige Veröffentlichungen ...... 130 Autorinnen und Autoren des Altlasten-annual 2018 ...... 132
4 Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser, Der zweite Beitrag beschäftigt sich mit der erst seit einigen Jahren im Altlastenbereich beachteten Stoff- nach einem kurzen gruppe der Poly- und perfluorierten Chemikalien, Rückblick auf die Ak- kurz PFC genannt. Diese Stoffe wurden auch in Hes- tivitäten des vergange- sen u. a. in Böden, Oberflächengewässern und im nen Jahres möchten Grundwasser gefunden und können, wie der Beitrag wir zwei aktuelle The- zeigt, durchaus auch auf Altlastenstandorten rele- men etwas ausführli- vant sein. cher darstellen. Der Umgang mit PFC-Kontaminationen war auch Seit 2012 werden Da- ein Schwerpunkt bei unserem diesjährigen Seminar ten aus dem Altlas- Altlasten und Schadensfälle in Idstein. Die Vorträge tenbereich mit dem zu diesem und weiteren interessanten Themen aus Datenübertragungs- dem Altlastenbereich können Sie hier im Heft nach- system DATUS in die lesen. Altflächendatei des Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre Landes Hessen importiert. Das hierfür von Kom- und bedanke mich bei allen, die zum Gelingen die- munen und Ingenieurbüros genutzte Modul DATUS ser Ausgabe beigetragen haben. mobile war mittlerweile in die Jahre gekommen und wurde durch das Modul DATUS online abgelöst. Mit diesem neuen Programm ist es gelungen, die Erfas- sung von Altflächendaten nochmals deutlich kom- fortabler und sicherer zu gestalten.
Prof. Dr. Thomas Schmid
Präsident des Hessischen Landesamtes für Natur- schutz, Umwelt und Geologie
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Stand der Altlastenbearbeitung Volker Zeisberger
Stand der Altlastenbearbeitung in Hessen
Volker Zeisberger
Auch wenn die „großen“ hessischen Altlasten be- Hierzu passend gewinnt eine Frage an Gewicht: kannt und weitgehend saniert sind – zu nennen sind Können langlaufende Grundwassersanierungen be- insbesondere die Rüstungsaltstandorte in Stadtallen- endet werden, obwohl das Sanierungsziel nicht er- dorf und Hessisch-Lichtenau sowie die ehemalige reicht wurde? Bei dieser Fragestellung ist selbstver- Chemische Fabrik in Lampertheim-Neuschloß – so ständlich nicht die persönliche Arbeitsbelastung der bleibt reichlich Arbeit übrig. Tendenziell werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bodenschutz- Altlastenfälle schwieriger bzw. komplexer, z. B. weil behörden von Relevanz, sondern es gilt der verfas- der Pfad Boden-Nutzpflanze verstärkt betrachtet sungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. wird oder neue Schadstoffgruppen zu bewerten sind Zu geeigneten Anlässen muss die Behörde prüfen, (z. B. PFC, siehe „Aktuell“ S. 17ff). Weiterhin erhöht ob die laufende Sanierungsmaßnahme immer noch sich in vielen Fällen der organisatorische Aufwand, verhältnismäßig ist, oder ob eine Optimierung der da mancher Pflichtige den Gang vor das Gericht ei- Maßnahme, ein Wechsel des Sanierungsverfahrens ner kooperativen Zusammenarbeit mit der Boden- oder die Beendigung der Maßnahme angezeigt ist, schutzbehörde vorzieht. Schließlich werden die Bo- da andernfalls die Verhältnismäßigkeit nicht mehr denschutzbehörden immer häufiger zu „Auskünften gegeben ist. Hierzu hat eine sehr engagierte Behör- aus der Altflächendatei“ angefragt. denarbeitsgruppe das bewährte Handbuch Altlasten „Arbeitshilfe zur Sanierung von Grundwasserverun- reinigungen“ überarbeitet und ergänzt (siehe unten).
Arbeitshilfen
Die hessische AG „Beginn und Ende einer ob die Sanierung immer noch verhältnismäßig ist. Grundwassersanierung“ konnte 2018 ihre Arbei- Die wichtigsten Arbeitsergebnisse sind im Beitrag ten abschließen. In der AG waren die Regierungs- „Arbeitshilfe zur Sanierung von Grundwasserver- präsidien, das Hessische Ministerium für Umwelt, unreinigungen - Vorstellung der 3. Auflage mit dem Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Schwerpunkt „Verhältnismäßigkeit“ zusammenge- und das HLNUG vertreten. Eine zentrale Fragestel- fasst (s. S. 53ff). lung der AG lautete, wie Sanierungsziele bzw. Sa- nierungszielwerte für Altlastensanierungen unter Zur Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse wurde Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls abge- das Handbuch Altlasten Band 3 Teil 7 „Arbeitshilfe leitet werden können. Einen weiteren Schwerpunkt zur Sanierung von Grundwasserverunreinigungen“ bildete die Frage, unter welchen Randbedingungen aktualisiert und ergänzt. Die nun vorliegende drit- langlaufende Grundwassersanierungen, bei denen te Auflage des Handbuchs steht sowohl als Druck- das festgelegte Sanierungsziel in absehbarer Zeit fassung als auch als PDF-Datei zur Verfügung (siehe nicht erreichbar ist, beendet werden können. Hier- „Infothek“ auf S. 125). zu ist seitens der Bodenschutzbehörde zu prüfen,
7 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
Schadstoffbewertung und Analytik
Seit einigen Jahren arbeitet das HLNUG im ALA- auf deren Basis das vorliegende Datenmaterial be- Gesprächskreis „Schadstoffbewertung“ mit. wertet wird. Nach Abstimmung der Ergebnisse mit Der Gesprächskreis hat den Auftrag länderüber- weiteren mit dem Thema befassten Gremien wur- greifende Prüfwerte und Bewertungshilfen bei de eine Entwurfsfassung des Berichtes erarbeitet, der Altlastenbearbeitung zu entwickeln. die 2017 den LABO- und LAWA-Gremien vorgelegt wurde. Nach Einarbeitung der eingebrachten, vor- Das Projekt B3.16 des Länderfinanzierungspro- wiegend redaktionellen Änderungswünsche wur- gramms „Prüfung von Datenquellen zur humantoxi de die Entwurfsfassung im Herbst 2017 der LAGA kologischen Wirkung kurzkettiger Alkylphenole und den Verbänden zur Stellungnahme vorgelegt. (SCAP) und NSO-Heterocyclen (NSO-HET)“ konn- Der endgefasste Bericht wurde in einem UMK- te 2018 erfolgreich zum Abschluss gebracht wer- Umlaufverfahren zur Kenntnis genommen und der den. Der entsprechende Abschlussbericht steht auf Veröffentlichung des Dokuments auf der LAWA- der Homepage des Länderfinanzierungsprogramms Homepage wurde zugestimmt (www.lawa.de/ „Wasser, Boden und Abfall“ zum Download zur Ver- documents/03_anlage_3_bericht_gfs_fuer_pfc_ fügung. endfassung_22_11_2017_2_1552302208.pdf).
Des Weiteren befindet sich - ebenfalls im Rahmen ei- nes LFP-Projekts - eine Arbeitshilfe zur Expositions Im Bereich der Analytik engagierte sich das HLNUG abschätzung in der Detailuntersuchung in Arbeit. auch 2018 im DIN-Arbeitskreis NA 119-01-02-02-05 Hierbei werden die Wirkungspfade Boden-Mensch (AK 5 „Organische Analytik“), in dem aktuelle und Boden-Nutzpflanze betrachtet. DIN-Normen geprüft und der Sachstand nationaler und internationaler Normungsvorhaben diskutiert wird. Die Sitzung des AK findet in der Regel einmal Der LAWA-Ausschuss Grundwasser befasste sich in pro Jahr statt. Zusammenarbeit mit dem ALA-Gesprächskreis Stoff- bewertung mit der Ableitung von GFS-Werten für per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) für Derzeit betreut das HLNUG in Zusammenarbeit den Pfad Boden-Grundwasser. mit dem Lehrstuhl Aquatische Ökotoxikologie der Goethe Universität in Frankfurt eine Masterarbeit Die eingerichtete LAWA/LABO-Kleingruppe strebte zur Aussagekraft des Leuchtbakterienhemmtests für an, die bereits vorliegende Geringfügigkeitsschwel- die Altlastenbearbeitung. Die Ergebnisse sollen in le (GFS) für PFOS zu aktualisieren und GFS für die geplante Überarbeitung des Handbuch Altlasten weitere relevante PFC abzuleiten. Das HLNUG war Band 3 Teil 8 „Ökotoxikologische Verfahren als Be- Mitglied in dieser Kleingruppe. Die Grundlage der wertungshilfe bei Altlastenverfahren“ einfließen. Arbeiten ist eine umfangreiche Literaturrecherche,
Sachverständige und Untersuchungsstellen
Als Vertreter der LABO wurde Herr Dr. Brodsky Nordrhein-Westfalen (LANUV) übernommen. Die zum Mitglied des Sektorkomitees Chemie und DAkkS führt Akkreditierungen nach DIN EN ISO/ Umwelt der Deutschen Akkreditierungsstelle IEC 17025 für die im gesetzlich geregelten Um- (DAkkS) berufen. Die Berufung wurde 2017 um weltbereich tätigen Untersuchungsstellen durch. Im weitere drei Jahre bis zum 31.08.2020 verlängert. Sektorkomitee werden u. a. Regeln zur Anwendung Diese Aufgabe wird von Herrn Dr. Brodsky nur bis der DIN EN ISO/IEC 17025 für Untersuchungsstel- Ende 2018 wahrgenommen. Seine Nachfolge ist len erstellt (www.dakks.de/content/sektorkomitee- bereits geregelt und wird von einer Kollegin aus chemie-und-umwelt).
8 Stand der Altlastenbearbeitung Volker Zeisberger
Das Recherchesystem ReSyMeSa ist ein wichti- Die Betreuung des Moduls Boden/Altlasten in ReSy- ges Instrument bei der Bekanntgabe von Untersu- MeSa wird ab Anfang 2019 von LANUV NRW über- chungsstellen (Messstellen) und Sachverständigen im nommen. gesetzlich geregelten Umweltbereich. Seit dem Jahr 2012 hat das HLNUG im Auftrag des ALA die fachli- Im Juli 2013 ist die Systembetreuung (Betreuung der che Verantwortung für den Bereich Boden und Alt- Web-Anwendung) von ReSyMeSa an das Land Hes- lasten in der Projektgruppe ReSyMeSa übernommen sen übergegangen. Die Aufgabe wird vom HLNUG und ist damit Ansprechpartner für die fachlichen Be- in Kassel wahrgenommen. lange des Systems im Bereich Boden und Altlasten bei der Bekanntgabe von Untersuchungsstellen und Sachverständigen nach § 18 Bundes-Bo- denschutzgesetz.
Altflächendatei
Die Altflächendatei des Landes Hessen ist Teil eines gen, Messstellen, Probennahmen und Analysen ver- Bodeninformationssystems. Sie wird wie gesetzlich arbeitet. Zurzeit sind Informationen zu ca. 107 000 vorgeschrieben vom HLNUG in Zusammenarbeit mit Standorten in Hessen erfasst. den Regierungspräsidien als obere Bodenschutzbe- hörden und den Landkreisen und kreisfreien Städten Die Quantität und Qualität der Datenbankinhalte als untere Bodenschutzbehörden geführt. hängen nicht zuletzt vom intensiven Austausch in- nerhalb und außerhalb des HLNUG ab. Die Städte Der zentrale Bestandteil der Altflächendatei ist das und Gemeinden, aber auch die Sanierungspflichti- Fachinformationssystem Altflächen und Grundwas- gen, sind gefordert ihre Erkenntnisse zu Altstand- serschadensfälle (FIS AG). Die Datenbank von FIS AG orten und Sanierungsmaßnahmen über das Da- enthält Lagedaten und weitere Informationen zu Flä- tenübertragungssystem DATUS an das HLNUG zu chen. Bei den Flächen kann es sich um Altstandorte, liefern. Dadurch kann die Qualität der Auskünfte aus Altablagerungen, Grundwasserschadensfälle oder der Altflächendatei und die Altlastenbearbeitung bei sonstige schädliche Bodenveränderungen handeln. den zuständigen Behörden beibehalten bzw. weiter Als weitere Informationen werden z. B. Daten zu erhöht werden. Betrieben, Ablagerungen, Nutzungen, Untersuchun-
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Aktuell Andrea Bohne
DATUS Das Datenübertragungssystem zur Altflächendatei
Andrea Bohne
Die hessische Landesverwaltung erfasst Daten über DATUS-Module Altablagerungen, Altstandorte, altlastverdächtige Flächen, Altlasten, Verdachtsflächen und schädliche DATUS besteht aus mehreren Modulen: Bodenveränderungen in der Altflächendatei [Fach 1. DATUS online informationssystem Altflächen und Grundwasser- 2. Codierungstool schadensfälle [FIS AG]). 3. Offene (xml) Schnittstelle Dies ist ein zentrales behördeninternes Informations- 4. Validierungstool system und damit wichtiges Auskunftssystem für die 5. Import-/ Exportassistent Planungsaufgaben des Landes sowie der Kommunen und Landkreise. Für das Anwenderprogramm DATUS online wird ein personalisierter Installationslink per E-Mail versandt. Ergänzend wurde eine technische Lösung entwi- Die DATUS-Module 2–4 stehen den Anwenderinnen ckelt, um Daten, die bei Externen (Kommunen oder und Anwendern im Internet auf der DATUS Down- Ingenieurbüros) erarbeitet werden, schnell und si- loadseite des HLNUG nach vorheriger Online-Regis- cher in die zentrale Altflächendatei zu importieren. trierung kostenfrei zur Verfügung (www.hlnug.de – Altlasten – DATUS). Der Import- bzw. Exportassis- Diese Anwendung heißt DATUS (Datenübertra- tent bezieht sich nur auf DATUS online und FIS AG. gungssystem). Zur besseren Handhabung steht ein Installations- DATUS ist seit 2012 auf Grundlage des Hessischen paket bereit, das je nach Anforderung der externen Altlasten- und Bodenschutzgesetzes in Verbindung Nutzer/-innen die Installationsvoraussetzungen vor mit der Altflächendateiverordnung als elektronischer Ort prüft und alle benötigten DATUS-Teile in einem Standard für die Datenübermittlung im Altlastenbe- Schritt installiert. reich von Stellen außerhalb der Landesbehörden zu verwenden.
Neben den Sachdaten zu den Altflä- chen sollen auch Analysenergebnisse aus Boden- und Grundwasserunter- suchungen, Daten zu Messstellen und Probennahmen sowie zu durchgeführ- ten Sanierungsmaßnahmen übertra- gen werden.
Abb. 1: Übersicht der DATUS-Module
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Abb. 2: Startseite des Installer
1 DATUS online
Seit September 2018 steht das Anwenderprogramm Gerätetausch, geschützt sind, dient der Anwender- DATUS online zur Verfügung. Es löst, das inzwi- freundlichkeit. DATUS online liegt dieselbe Pro- schen technisch veraltete, DATUS mobile ab. Eine grammierung wie FIS AG zugrunde, d. h. die Pro- große Verbesserung ist die komfortable One-Click- grammoberfläche ist bei beiden Produkten identisch, Installation; auch, dass die Daten nicht mehr lokal was die Handhabung deutlich vereinfacht. gespeichert werden, also vor Verlust, z. B. bei einem
Abb. 3: Beispiel Eingabemaske in DATUS online
12 Aktuell Andrea Bohne
Die Anwendung ist insbesondere für die Kommunen muss dabei beibehalten werden. Die Handhabung und die kreisfreien Städte gedacht, die ihre gesetzli- wird detailliert im DATUS online Benutzerhandbuch che Pflicht der Altstandorterfassung erfüllen müssen. beschrieben, welches von der HLNUG Homepage Es können darüber hinaus aber auch Daten erfasst heruntergeladen werden kann (www.hlnug.de – Alt- werden, die bei weiterführenden Untersuchungen lasten – DATUS). und Sanierungen anfallen. Die Nutzung bietet sich Nach Beendigung der Bearbeitung werden die Da- somit für Ingenieurbüros, die keine eigene Program- tensätze zum Versand an das HLNUG aus DATUS moberfläche verwenden, an. online exportiert Die vom HLNUG zugesandte xml-Datei wird in DATUS online importiert. Der Datenbestand bleibt nach dem Export im Pro- Je nach Arbeitsauftrag sind die entsprechenden For- gramm erhalten und kann zu Auswertungen genutzt mulare neu zu füllen oder bei Bedarf vorhandene werden. Da ein neuer Datenimport immer den kom- Angaben zu ändern (Validierung der Daten). Be- pletten Datenbestand überschreibt, darf in dieser stimmte Felder sind nicht zur Bearbeitung freigege- Zeit in DATUS online nicht weiter erfasst werden. ben, sondern können nur gelesen werden. Besonders zu beachten ist, dass der Datenbestand in Für das Einlesen von Analysendaten können zur FIS AG im Laufe der Zeit von dem in DATUS online Arbeitserleichterung auch Exceltabellen importiert abweichen kann. werden, das von DATUS online vorgegebene Format
2 Codierungstool
Nachdem die angeforderten Datensätze aus FIS AG Nach der Datenerfassung werden die Daten wieder exportiert wurden, werden sie aus Datensicherheits- exportiert, verschlüsselt und dem HLNUG per E- gründen verschlüsselt, komprimiert und an die zuvor Mail übermittelt. vereinbarte E-Mailadresse gesandt. Mit getrennter Post erhält der Nutzer/die Nutzerin zuvor die Zu- Die Anwendung DATUSCodierung kann von der gangsdaten zum Codierungstool DATUSCodierung, HLNUG Downloadseite heruntergeladen werden um damit die FIS AG-Daten zu entschlüsseln und sie (www.hlnug.de – Altlasten – DATUS). danach in DATUS online (siehe Punkt 1) oder in die eigene Anwendung zur Bearbeitung zu importieren.
Abb. 4: Startseite des Codierungstools
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3 Offene (xml) Schnittstelle
Die Verbindung zwischen FIS AG und Außenwelt Betriebsdaten usw.) und der Aufbau der hinterlegten stellt eine xml-Schnittstelle sicher. Die Schnittstelle Auswahllisten abgebildet. besteht aus den beiden Schemadateien DATUS.Vxx. Wer also beabsichtigt, mit einer eigenen Datenbank- xsd und DATUS.Listen.Vxx.xsd. In diesen sind alle anwendung statt mit DATUS online (s. Punkt 1) zu Festlegungen der Felder in FIS AG (Feldname, Feld- arbeiten, hat die Möglichkeit, diese Schnittstelle zu breite, Datentyp (Zeichen, numerisch), Pflichtfeld bedienen, so dass die Daten später in FIS AG impor- (ja/nein) zu z. B. Adresse, Messstellenbezeichnung, tiert werden können.
4 Validierungstool
Wenn die Altflächendaten nicht mit DATUS online, durchführen und bei Fehlermeldungen die Daten di- sondern mit einer anderen Anwendung oder einem rekt vor Ort berichtigen, bis die xml-Datei unter den xml-Editor bearbeitet wurden, ist es erforderlich, vor automatisch prüfbaren Aspekten fehlerfrei ist. dem Import intensiv zu prüfen, ob alle Restriktionen Die Anwendung dazu ist das Validierungstool DA- von FIS AG gemäß der xsd-Vorgaben eingehalten TUSValidation, dieses ist im Fall der Auswahl „offene wurden. Schnittstelle“ im Installationspaket enthalten. Bei der Nutzung von DATUS online entfällt die Va- Diese Überprüfung (Validierung) sollen Externe lidierung, da die xsd-Vorgaben durch das Programm vor dem Versand an die zuständige Behörde selbst erfüllt werden.
Abb. 5: Startseite des Validierungstools
14 Aktuell Andrea Bohne
5 Import-/Exportassistent
Der Export von Daten aus FIS AG erfolgt durch das sätze zu allen Altflächen, die zu ihrem räumlichen HLNUG auf Anforderung seitens der Kommunen Zuständigkeitsbereich in FIS AG gespeichert sind. oder Ingenieurbüros. Die benötigten Datensätze Ein Ingenieurbüro erhält nur die Datensätze, für de- werden aus der zentralen Datenbank als xml-Datei ren Bearbeitung es autorisiert ist. exportiert. Die Kommunen erhalten die Daten
Abb. 6: Datenfluss zwischen FIS AG und DATUS
Datenaustausch
Der Datenaustausch mit den Kommunen wird aus- Als Hilfetext besonders zu empfehlen ist das Do- schließlich durch das HLNUG durchgeführt. kument mit den Antworten auf oft gestellte Fragen (FAQ.pdf). Hier werden ständig weitere Fragen und Auch die Daten von Untersuchungspflichtigen, Sa- Antworten hinzugefügt (www.hlnug.de/fileadmin/ nierungsverantwortlichen oder von ihnen beauftrag- dokumente/altlasten/datus/FAQ.pdf). ten Ingenieurbüros werden vom HLNUG entgegen- genommen und in FIS AG importiert. Jedoch ist vom In DATUS online besteht zusätzlich die Möglichkeit Beginn des Vorganges an die zuständige Behörde E-Learning Module zu bestimmten Themengebieten Ansprechpartnerin der externen Nutzer, das HLNUG auszuwählen. importiert die Daten erst nach Freigabe durch diese (siehe Abb. 6).
Die DATUS-Module, die benötigten Referenzlisten, Hintergrundinformationen, das Handbuch und Be- dienungsanleitungen stehen auf der Homepage des HLNUG zum Download bereit und werden konti nuierlich aktualisiert.
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Aktuell Volker Zeisberger
PFC – Eine neue Stoffgruppe auch mit Altlastenrelevanz
Volker Zeisberger
Einleitung ßem Umfang produziert und vielfältig eingesetzt. Hauptanwendungsbereiche sind Feuerlöschschäume PFC in Oberflächen- und Grundwässern gefährden (AFFF-Schäume), die Imprägnierung von Stoffen und die Trinkwasserversorgung. In Nordrhein-Westfalen, Papieren und der Einsatz als Hilfsstoff bei der Ver- Baden-Württemberg und Bayern sind Ackerflächen chromung in Galvaniken. großräumig mit PFC verunreinigt, auch in Bodensee- fischen sind PFC nachweisbar: Was hat es mit den PFC werden in der Natur nicht gebildet, somit sind PFC auf sich? Sind sie altlastenrelevant? Inwieweit sämtliche PFC anthropogenen Ursprungs. Aufgrund sind PFC auch in Hessen von Bedeutung? der sehr hohen Persistenz und Mobilität sind PFC mittlerweile ubiquitär nachweisbar, z. B. in Eisbä- Neben den typischen Schadstoffen wie LHKW, PAK, ren und in Muttermilch. Das PFC-Problem wird uns BTEX und MKW rückt zunehmend die Stoffgruppe auf Dauer begleiten, denn ein sehr hoher Anteil der der poly- und perfluorierten Chemikalien, kurz PFC, produzierten PFC wird quasi für immer in der Bio-, in den Fokus der Altlastenbearbeitung. Die Abkür- Hydro- und Geosphäre bleiben. zung PFC wird im Folgenden verwendet, auch wenn in der neueren Literatur sich der Begriff per- und Zu den PFC gibt es umfangreiche Literatur. Einen polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) durchgesetzt schnellen Überblick geben Länderarbeitshilfen wie hat. z. B. [1, 2, 3]. Einen tieferen Einblick in die Proble- matik ermöglicht insbesondere der LFP-Leitfaden Ein typischer Vertreter der PFC ist die Perfluoroctan- „Arbeitshilfe zur flächendeckenden Erfassung, sulfonsäure (PFOS): standortbezogenen historischen Erkundung und zur Orientierenden Untersuchung“ [4]. Das HLUG hat bereits 2010 eine Publikation zum Thema PFC ver- öffentlicht [6] und in den Folgejahren das Thema im Rahmen des Altlastenseminars wiederholt aufgegrif- fen. Beim HLNUG-Altlastenseminar 2018 wurde das Thema PFC mit drei Vorträgen intensiv beleuchtet. Die Beiträge finden Sie auf den Seiten 73 ff des vorlie- Unter den PFC werden organische Fluorverbindun- genden Altlasten-annuals. Im Folgenden wird kurz gen verstanden, bei denen alle oder nahezu alle auf verschiedene Aspekte hinsichtlich der PFC einge- Wasserstoffatome am Kohlenstoffgerüst durch Fluor gangen, insbesondere aus hessischer Sicht. atome ersetzt sind. Dadurch weisen diese Stoffe spe- zielle Stoffeigenschaften auf: PFC sind chemisch ex- trem stabil und nur unter sehr hohen Temperaturen Stoffvielfalt zersetzbar. Sie sind biologisch entweder nicht abbau- bar oder höchstens einem Teilabbau zugänglich, sie Unter den Begriff PFC fallen mehr als 1 000 Stoffe, sind also persistent. Weiterhin weisen sie schmutz-, viele davon werden industriell hergestellt oder ent- fett- und wasserabweisende Eigenschaften auf. stehen beim biologischen Teilabbau der PFC [4]. Zu unterscheiden sind perfluorierte und polyfluorierte Aufgrund der letztgenannten Eigenschaften und Stoffe. Bei perfluorierten Verbindungen sind sämtli- der thermischen Stabilität werden PFC in gro- che Wasserstoffatome des Kohlenstoffgerüstes durch
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Fluoratome ersetzt. Diese Stoffgruppe ist analytisch ge Laboratorien haben den Anwendungsbereich der gut erfassbar. Hervorzuheben ist, dass die perfluo- DIN-Normen erweitert, so dass ein üblicher Analy- rierten Stoffe nach jetzigem Kenntnisstand keinem senumfang mittlerweile 15 bis ca. 25 PFC umfasst. biologischen Abbau unterliegen. Wie bereits unter „Stoffvielfalt“ ausgeführt, können Eine deutlich größere Stoffvielfalt liegt bei den poly viele PFC nicht direkt analytisch bestimmt werden, fluorierten Verbindungen vor [12]. Hier sind nicht weil für die Kalibrierung der Analyseverfahren keine alle, sondern nur die meisten Wasserstoffatome am Standards marktverfügbar sind. Um festzustellen, ob Kohlenstoffgerüst durch Fluor ersetzt. Die PFC- in einer Wasser-/Bodenprobe neben den routinemä- Produzenten bieten eine kaum überschaubare Pro- ßig bestimmbaren PFC noch weitere PFC enthalten duktvielfalt an. Daher gestaltet sich die analytische sind, stehen zwei Wege zur Verfügung, die aller- Bestimmung dieser Stoffe sehr schwierig und ist oft- dings noch in der Erprobungsphase sind: Die beiden mals aufgrund fehlender Referenzsubstanzen nicht Summenparameter AOF bzw. EOF sowie das soge- möglich. nannte TOP-Assay.
Typisch ist, dass die polyfluorierten Stoffe einem bio- Beim Summenparameter AOF (adsorbierbares orga- logischen Teilabbau unterliegen. Der nicht-fluorierte nisch gebundenes Fluor) wird bestimmt, wie hoch Molekülteil ist dabei abbaubar, während der perflu- der Anteil des organisch gebundenen Fluors in einer orierte Teil persistent ist. So ist das Phänomen er- Wasserprobe ist (siehe Beitrag auf S. 83 ff [14]). Mit klärbar, dass im Ablauf von Kläranlagen scheinbar dem AOF werden zwar prinzipiell alle an Aktivkohle größere PFC-Konzentrationen vorliegen als im Zu- adsorbierbaren PFC erfasst, es sind jedoch keine Aus- lauf, denn erst in der Kläranlage entstehen aus nicht- sagen über die vorliegenden Einzelsubstanzen mög- analysierbaren polyfluorierten PFC solche PFC, die lich. Eine Bewertung des Analysenergebnisses an- routinemäßig analytisch bestimmbar werden. hand der Geringfügigkeitsschwellen (GFS) ist daher nicht möglich, denn die GFS gelten für bestimmte Einige perfluorierte PFC wie PFOS sind mittlerweile Einzelstoffe (siehe „Bewertung“). Jedoch ist mittels verboten. Als Ersatzstoffe werden oftmals kürzerket- des AOF eine Aussage möglich, ob mit der üblichen tige PFC (siehe „Toxizität“) oder nunmehr polyfluo- Einzelstoffanalytik alle PFC tatsächlich erfasst wur- rierte Verbindungen eingesetzt. den. Hierzu wird eine Wasserprobe sowohl mittels Einzelstoffanalytik als auch mittels AOF untersucht. Sofern der AOF deutlich höher ist als die Summe der Toxizität Einzelstoffe, liegen weitere (unbekannte) PFC vor. Der Summenparameter EOF (extrahierbares orga- PFC sind stärker humantoxisch als ökotoxisch. Bei nisch gebundenes Fluor) wird analog zum AOF auf der Ableitung von Geringfügigkeitsschwellen (GFS) Bodenproben angewandt. einzelner PFC war daher stets die Humantoxizität entscheidend für den GFS-Wert [13]. Beim TOP-Assay (total oxidable precursor) wird ei- ne Wasser-/Bodenprobe auf zwei Wegen untersucht. Tendenziell sind längerkettige PFC toxischer als Ein Probenanteil wird wie üblich auf PFC analysiert kürzerkettige PFC, da die erstgenannten sich stärker (Originalprobe). Ein anderer Probenanteil wird zu- in Lebewesen anreichern. nächst einer starken Oxidation unterworfen, bei der sich die (mittels Routineanalytik nicht-bestimmba- ren) polyfluorierten Verbindungen in (bestimmbare) Analytik perfluorierte Verbindungen umwandeln, erst an- schließend erfolgt die Analyse analog zur Original- Da unter den PFC eine hohe Stoffvielfalt vorliegt, probe [14]. Nun werden beide Ergebnisse verglichen. sollte die Analytik möglichst viele PFC umfassen. Die Enthält die oxidierte Probe deutlich mehr PFC als die gültigen Normen DIN 38407-42 und DIN 38414-14 Originalprobe, ist dies ein starker Hinweis, dass die wurden nur für 10 perfluorierte PFC validiert. Eini- Originalprobe weitere unbekannte PFC enthält.
18 Aktuell Volker Zeisberger
Um aussagekräftige und vergleichbare Analysener- häfen und bei Brandereignissen sowie in Bereichen, gebnisse zu erhalten, ist der Einsatz von genormten wo belastete Oberflächengewässer in das Grund- oder zumindest validierten Analysenverfahren not- wasser infiltrieren. Bei einigen PFC-Nachweisen in wendig. Das Verfahren zur Bestimmung des AOF Grundwässern konnte die Ursache noch nicht gefun- befindet sich momentan in der Normung und steht den werden. unter der Voraussetzung eines erfolgreich durchge- führten Ringversuchs kurz vor der Fertigstellung Unter den Lebensmitteln ist Fisch besonders relevant und Veröffentlichung. Die beiden Verfahren zur Be- als Quelle für die PFC-Belastung von Menschen, stimmung des EOF und des TOP-Assay befinden sich auch Rheinfische können hoch belastet sein [15, 16]. noch im Entwicklungsstadium und werden momen- Zum Übergang von PFC aus Ackerböden in Nutz- tan nur von wenigen Laboratorien angeboten. Den- pflanzen liegen in Hessen [17, 19] und Baden-Würt- noch können sie wertvolle Hinweise auf das Vorhan- temberg [20] Untersuchungen vor. Tendenziell sind densein unbekannter PFC liefern. die PFC-Gehalte im Korn niedriger als im Sproß und in der Wurzel. Weizen und Gemüse nehmen eher PFC auf als Körnermais, Gerste und Raps (siehe S. Nachweise in hessischen Böden, 77 ff des vorliegenden Altlasten-annuals. Gewässern und Lebensmitteln
Die HLUG-Veröffentlichung „Perfluorierte Chemi- Altstandorte kalien in Hessen – Untersuchungsprogramm des HLUG“ [6] aus dem Jahr 2010 gibt einen Überblick Altstandorte mit PFC-Relevanz können sein [4, 5]: über PFC-Belastungen von Böden, Oberflächenge- • Brandereignisse: Grundsätzlich können PFC wässern und Grundwässern. Daten mit Stand 2015 bei großen Brandereignissen (Einsatz von AFFF- können [15] entnommen werden. Schaumlöschmitteln) freigesetzt werden, also auch bei Bränden auf Altstandorten. Während Landwirtschaftlich genutzte Böden sind in einigen früher perfluorierte PFC wie PFOS eingesetzt Teilen Nordhessens mit PFC verunreinigt (Landkreis wurden, werden derzeit meist polyfluorierte Kassel und Waldeck-Frankenberg). Grund ist ein so- Stoffe eingesetzt, z. B. Polyfluoralkylbetaine wie genannter Bodenverbesserer, der mit PFC-belasteten CapstoneTM. Papierschlämmen vermischt war. Infolge der PFC- • Brandübungsplätze der Werks-, Berufs- und Flug- Auswaschung aus den Böden sind auch nahegelege- hafenfeuerwehren: Hier sind PFC-Verunreini- ne Bäche belastet. Die Flächen werden vom HLNUG gungen des Bodens und Grundwassers zu erwar- überwacht, die PFC-Gehalte sind tendenziell leicht ten. abnehmend [18]. • Galvaniken: Bei der Verchromung wurde PFOS bis zum Jahr 2015 eingesetzt. Ersatzstoff ist meist In vielen hessischen Oberflächengewässern sind H4PFOS, eine polyfluorierte Verbindung. PFC nachweisbar. Während im Rhein Werte von • Papierherstellung: Einige fettabweisende Papiere ca. 20 ng/l (= 0,02 µg/l) typisch sind, wurden im sind mit PFC beschichtet (polyfluorierte PFC, die südhessischen Schwarzbach Werte oberhalb 100 mit üblichen Analyseverfahren nicht bestimmt ng/l nachgewiesen [6]. Ursache für die Belastung werden können). PFC können sich in Papier- sind wahrscheinlich Einleitungen aus einer indus schlämmen anreichern [21]. triellen und kommunalen Kläranlage [8]. Im Bereich • Imprägnierung von Berufskleidung: Hier werden des Schwarzbaches werden auch landwirtschaftlich ebenfalls polyfluorierte PFC eingesetzt, die mit genutzte Flächen durch das HLNUG beprobt, die Er- üblichen Analyseverfahren nicht bestimmt wer- gebnisse werden Anfang 2019 vorliegen. den können. Bei der Reinigung von Berufsklei- dung werden PFC mit dem Waschwasser freige- In den hessischen Grundwässern konnten 2016 in setzt [22]. rund 40 % der untersuchten Grundwasserproben PFC nachgewiesen werden [7, 9, 10]. Einträge erfolg- In Hessen sind bisher nur wenige Altstandorte be- ten insbesondere bei Brandübungsplätzen von Flug- kannt, an denen eine relevante PFC-Belastung vor-
19 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018 liegt. In der überwiegenden Zahl der Fälle waren oder Lebens- und Futtermittel stehen noch nicht zur Großbrände die Ursache für eine PFC-Belastung des Verfügung. Bodens bzw. des Grundwassers. Eine untersuchte Feuerwache zeigte nur geringe PFC-Konzentrationen im Grundwasser. Bei einer Galvanik ist Chromat der Sanierungszielwerte Hauptschadstoff, so dass eine Sanierung bereits am Laufen war. Brandübungsplätze werden in Hessen Sanierungsziele können nicht pauschal festgelegt bislang nicht systematisch untersucht, in Nordrhein- werden, sondern sie müssen im Einzelfall abgeleitet Westfalen sind jedoch einige PFC-belastete Brand- werden. übungsplätze bekannt [23]. Grundwasser: Ausgangspunkt hierfür können die Geringfügigkeitsschwellen der LAWA oder Gesund- Bewertung heitliche Orientierungswerte (GOW) der Trinkwas- serkommission sein [13, 24]. Grundwasser: Zur Bewertung von Grundwasser ste- hen für 7 PFC Geringfügigkeitsschwellen (GFS) zur Boden: Für den Wirkungspfad Boden-Grundwasser Verfügung [13]. Für weitere 6 PFC hat die Trinkwas- ist eine Sickerwasserprognose sinnvoll. Für die Be- serkommission Gesundheitliche Orientierungswerte wertung der PFC-Konzentration am Ort der Beurtei- (GOW) abgeleitet [24]. Diese Werte haben Eingang in lung können die sieben PFC-Prüfwerte der geplan- Arbeitshilfen der Bundesländer gefunden [1, 2]. Zur ten Mantelverordnung (Verordnung zur Einführung Bewertung von PFC-Stoffgemischen kommt die Bil- einer Ersatzbaustoffverordnung, zur Neufassung der dung eines Bewertungsindex analog zur TRGS 402 Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung und in Frage [13]. zur Änderung der Deponieverordnung und der Ge- werbeabfallverordnung) herangezogen werden, hier- Oberflächengewässer: Für PFOS ist in der Oberflä- zu ist der Boden einer 2 : 1-Elution zu unterziehen. chengewässerverordnung (OGewV) eine Umweltqua- litätsnorm (UQN) von 0,65 ng/l genannt. Dies ist ein sehr strenger Wert, der derzeit unterhalb der Bestim- Sanierung von Grundwasser mungsgrenze der gängigen Analysenverfahren liegt. Die Ableitung basiert auf dem Verzehr von Fisch, die Für die Sanierung von PFC-belastetem Grundwas- UQN für Fisch beträgt 9,1 µg/kg PFOS. Dieser Wert ser ist die Reinigung mittels Aktivkohle der Stand wird vielerorts bereits erreicht [15, 16, 25]. der Technik, eine Vorbehandlung des Grundwassers durch Chemikalienzugabe oder Enteisenung ist häu- Boden: Für die Bewertung von Böden liegen kei- fig sinnvoll [26]. Die beladene Aktivkohle muss einer ne allgemeingültigen Werte vor. Im Einzelfall sind Hochtemperaturverbrennung unterzogen werden, Werte für die Wirkungspfade Boden-Grundwasser um die PFC thermisch zu zerstören. und Boden-Nutzpflanze herzuleiten. Für den Pfad Boden-Grundwasser werden nicht die PFC-Gesamt- gehalte in den Bodenproben bewertet, sondern Bo- Entsorgung belasteter Böden deneluate. Die Entsorgung größerer Mengen PFC-belasteter Lebensmittel: Bei Nutzpflanzen besteht kein ein- Böden ist derzeit sehr schwierig, da nur wenige De- deutiger Zusammenhang zwischen PFC-Gehalten ponien diese Böden annehmen. Eine Bodenwäsche in Böden und PFC-Gehalten in Nutzpflanzen. Auf kommt nur bei sandig-kiesigem Substrat in Frage. In hochbelasteten Ackerflächen in Baden-Württemberg einigen Fällen wurden belastete Böden umgelagert wird daher ein Vorernte-Monitoring durchgeführt. und mit einer Oberflächenabdichtung versehen, um Für kurzkettige PFC in Getreide, Obst, Gemüse, eine Auslaugung der PFC zu verhindern. Fleisch und Fisch stehen in Baden-Württemberg Be- urteilungswerte zur Verfügung [20]. Bundesweit gel- tende Grenz- oder Richtwerte für den Boden und/
20 Aktuell Volker Zeisberger
Literatur:
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21 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
[17] T. Stahl et al.: Long-Term Lysimeter Experiment [22] Sabine Anton-Katzenbach: Einzug der Öko- to Investigate the Leaching of Perfluoroalkyl logie, 2010, aufgerufen am 11.10.2018, Substances (PFASs) and the Carry-over from www.rw-textilservice.de/einzug-der- Soil to Plants - Results of a Pilot Study, dx.doi. oekologie/150/8657/230069# org/10.1021/jf305003h, J. Agric. Food Chem. [23] Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucher- 2013, 61, 1784−1793 schutz Nordrhein-Westfalen: PFC in Boden und [18] B. Klein: Auswaschung und Verlagerung von Grundwasser, Ergebnisbericht des Workshops Perfluorierten Chemikalien (PFC) aus landwirt- am 25.09.2017, www.lanuv.nrw.de/fileadmin/ schaftlich genutzten Böden, Masterarbeit an lanuv/altlast/20171214_Ergebnisbericht_PFC_ der Fachhochschule Bingen, 2014 in_Boden_und_Grundwasser.pdf [19] H. B. Marbach: Das Stoffverhalten von perfluo- [24] Fortschreibung der vorläufigen Bewertung von rierten Chemikalien (PFC) in den Wirkungspfa- per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) im den Boden-Grundwasser und Boden-Pflanze Trinkwasser – Empfehlung des Umweltbundes- unter besonderer Berücksichtigung von Per amtes nach Anhörung der Trinkwasserkommis- fluoroktansulfonat (PFOS) sion, Bundesgesundheitsbl 2017 · 60: 350–352, [20] Regierungspräsidium Karlsruhe: Internetauftritt DOI 10.1007/s00103-016-2508-3 der Stabsstelle PFC, rp.baden-wuerttemberg. [25] Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt de/rpk/Abt5/Ref541/PFC Karlsruhe, Perfluorierte Tenside in Fischen aus [21] Landesanstalt für Umwelt, Messungen und dem Bodensee, 2009, www.ua-bw.de/upload- Naturschutz Baden-Württemberg: PFC - Ein- doc/cvuaka/PFTinBodenseefischen_2009.pdf träge in Böden durch Kompost und Klär- [26] H.-G. Edel et al.: PFC-Grundwassersanierungen schlamm, 2017, fachdokumente.lubw.baden- - Stand der Technik und Kostenvergleich, in: wuerttemberg.de Handbuch Altlastensanierung und Flächenma- nagement (HdA), 83. Aktualisierung, 3. Aufl., 2018
22 Aktuell
Aktuelle Informationen und Veröffentlichungen
Handbuchreihe Altlasten, Band 3, Teil 7 Fachinformationssystem Altflächen und Die Arbeitshilfe zur Sanierung von Grundwasserver- Grundwasserschadensfälle FIS AG unreinigungen wird durch eine 3. Auflage aktuali- Die Altflächendatei wird für das Land Hessen zentral siert und ergänzt. Schwerpunkt bisheriger Auflagen beim HLNUG geführt. war die Beantwortung der Frage, „ob“ eine schädli- Das dazugehörige Fachinformationssystem FIS AG che Grundwasserveränderung vorliegt. Die Arbeits- ist seit April 2016 als FISBOX® -Anwendung mit gu- hilfe wird jetzt um die Beantwortung der Frage, ter Akzeptanz im Einsatz. „wie“ eine schädliche Grundwasserveränderung zu beseitigen ist, ergänzt. Dabei spielt der „Grundsatz Für das Datenübertragungssystem DATUS wur- der Verhältnismäßigkeit“ eine wichtige Rolle. Die- de den externen Nutzern am 11.09.2018 eine ser Grundsatz gilt für alle Eingriffe im öffentlichen neue Anwendung ‚DATUS online‘ zur Verfü- Recht, so auch im Bodenschutz- und Wasserrecht. gung gestellt. Die Zugangsdaten können beim Bei der Sanierung von Grundwasserverunreini- HLNUG per E-Mail an DATUS-FIS-AG@hlnug. gungen ist die Verhältnismäßigkeit zu Beginn (Sa- hessen.de angefordert werden. Weitere Informa- nierungsziel), während (Betrieb) und am Ende der tionen zur Altflächendatei und zu DATUS be- Maßnahme (Einstellung ohne Erreichung des Sa- finden sich auf den Seiten 11 ff dieses Altlasten- nierungsziels) zu prüfen. Die Arbeitshilfe entwickelt annuals sowie auf den HLNUG Internetseiten entsprechende Maßstäbe. www.hlnug.de/?id=470 und www.hlnug.de/?id=6448 www.hlnug.de/?id=6503
Probenahme von Feststoffen Bodendiversität und Bodenzustand in hes- Für die Normenreihe DIN 19698 „Untersuchungen sischen Bach- und Flussauen von Feststoffen – Probenahme von festen und stich- Am HLNUG wird ein mehrjähriges Auen-Projekt festen Materialien“ ist ein weiterer Teil erschienen. durchgeführt, welches neben einer stärkeren boden- kundlichen Differenzierung der Auenbereiche für Teil 5: Anleitung für die Beprobung von Hot-Spots in die Bodenflächendaten 1:50.000 (BFD50) eine syste- Grundmengen matische Erfassung, Dokumentation und Bewertung des Bodenzustandes in hessischen Auen zum Ziel Die Veröffentlichung des Teils 6 (In-situ-Beprobung hat. Um diese Ziele zu erreichen, werden Kartierun- von Linienbauwerken) ist in Kürze zu erwarten. gen durchgeführt und Bodenproben entnommen. Weitere Teile der Reihe sind in Arbeit. Die Bodenproben werden auf bodenkundliche Stan- dardparameter und Nährstoffe sowie anorganische und teilweise organische Spurenstoffe untersucht. Altlasten-Analytik Einen aktuellen Überblick gibt die HLNUG-Internet- seite: Kompensation des Schutzguts Boden in www.hlnug.de/?id=468 der Bauleitplanung nach BauGB Bei der Ausweisung von Neubaugebieten oder der Planung von Verkehrswegen ist deren Wirkung auf die Umwelt einschließlich des Bodens zu ermitteln und zu bewerten. Hierbei sind die gesetzlichen Vor- gaben des Baugesetzbuches zu berücksichtigen.
23 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
Besondere Bedeutung hat die Vorsorge, d. h. die Ver- Bodenerosionsatlas Hessen 2018 meidung von Beeinträchtigungen. Sind Beeinträchti- Bei ackerbaulicher Bodennutzung lässt sich Boden- gungen nicht zu vermeiden, so ist ein Ausgleich zu erosion nicht vollständig vermeiden. Durch gezielte schaffen. Mit diesem Ausgleich soll der Verlust an Maßnahmen kann sie aber auf ein vertretbares Maß ökologischen Leistungen im Naturhaushalt wieder begrenzt werden. Hierfür sind Kenntnisse über die ersetzt werden. Erosionsgefährdung der jeweiligen Flächen notwen- dig. Zu diesem Zweck hat das Hessische Landesamt Es ist deshalb von großer Bedeutung, die Art der für Naturschutz, Umwelt und Geologie schon 2013 Eingriffe und ihre Wirkung auf das Schutzgut Boden einen Erosionsatlas herausgegeben, der nun in der 2. sachgerecht und mit einer einheitlichen Methode zu Auflage mit einer deutlich höheren Auflösung von 5 bewerten. Um diese Aufgabe qualifiziert umsetzen Meter unter www.hlnug.de/?id=8569 abrufbar ist. zu können, wurde vom HLNUG, in Zusammenar- Die Erstellung des Hessischen Erosionsatlasses er- beit mit dem Landesamt für Bergbau und Geologie folgte wie schon 2013 im Rahmen einer Kooperation in Rheinland-Pfalz, eine Methodik mit ausführlicher mit dem Forschungszentrum Jülich (IBG-3: Agro- Arbeitshilfe erstellt. Sie ermöglicht, die gesetzlichen sphäre, Dr. Björn Tetzlaff). Vorgaben der Kompensation von Eingriffen auch für das Schutzgut Boden im Planungsablauf zu berück- sichtigen und zu erfüllen (www.hlnug.de/?id=6614). Schriften zu Böden und Bodenschutz in Hessen Neu erschienen sind die Publikationen: Arbeitshilfe zur Ermittlung der Nitrataus- Flyer zum Boden des Jahres 2018: Felshumusbo- tragsgefährdung in Wasserschutzgebie- den der hessischen Mittelgebirge – eine Variante des ten Bodens des Jahres 2018 Wenn der Nitratgehalt im Rohwasser eines Wasser- schutzgebietes einen gewissen Wert überschreitet, Reihe Klimawandel in Hessen: Die hessischen ordnet die zuständige Behörde in der Regel Maß- Böden im Klimawandel (www.hlnug.de/?id=10062) nahmen zur Reduzierung der Nitrateinträge an. Wenn landwirtschaftliche Flächen oder Sonderkul- Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 14: turflächen im Wasserschutzgebiet liegen, wird der Kompensation des Schutzguts Boden in der Bauleit- Wasserversorger aufgefordert, ein Gutachten zur planung nach BauGB - Arbeitshilfe zur Ermittlung Nitrataustragsgefährdung durchführen zu lassen, des Kompensationsbedarfs für das Schutzgut Boden mit dessen Hilfe die Nitrateinträge aus der Land- in Hessen und Rheinland-Pfalz (www.hlnug.de/ wirtschaft durch sinnvolle Bewirtschaftungsmaß- fileadmin/dokumente/boden/BBH14_2019.pdf) nahmen verringert werden können. Die Arbeitshilfe unterstützt auf Grundlage von Auswertungen der Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 15: Bodenflächendaten 1: 5 000, landwirtschaftliche Arbeitshilfe zur Ermittlung der Nitrataustragsgefähr- Nutzfläche (BFD5L) bei der Erstellung des Gutach- dung in Wasserschutzgebieten auf Grundlage von tens (www.hlnug.de/?id=6614). Auswertungen der Bodenflächendaten 1: 5 000, land- wirtschaftliche Nutzfläche (BFD5L) (nur online) Zu finden sind diese unter: www.hlnug.de/?id=8779 und www.hlnug.de/?id=10062
24 Seminar Altlasten 2018
Seminar Altlasten und Schadensfälle 2018
Fachleute aus staatlichen und kommunalen Behör- den sowie aus Firmen und Ingenieurbüros trafen sich am 5. und 6. Juni in Idstein zum Informations- und Erfahrungsaustausch rund um die Sachgebiete Altlasten und Bodenschutz.
Einen Programmschwerpunkt bildete die Erfassung und Analyse von Polyfluorierten Chemikalien – kurz PFC. Weitere Themen waren Bodenbelastungen durch historischen Bergbau, die Verhältnismäßigkeit langlaufender Grundwassersanierungen sowie die Entwicklung von Brachflächen. Als regelmäßige Pro- grammpunkte wurden innovative Sanierungstechni- ken sowie ein interessanter Sanierungsfall aus Hes- Eine Führung durch die historische Altstadt von Id- sen vorgestellt. Neben diesen altlastenspezifischen stein bildete den Abschluss des ersten Seminartages. Vorträgen standen in diesem Jahr auch Grundlagen- beiträge zu den Themen Grundwassermodellierung Auf den nachfolgenden Seiten finden Sie die Kurzfas- und Bohrdatenbank auf dem Programm. sungen der Vorträge.
© Fotos: Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen
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Seminar Altlasten 2018 Gert Rehner & Eduard J. Alesi
Forced vertical flow: Verteilung von Nährstoffen und Reagenzien durch Grundwasserzirkulation (IEG-GCW®) Gert Rehner & Eduard J. Alesi
1 Einleitung
Dass Sanierungen in heterogenen Grundwasserlei- jizierten Reagenzien, insbesondere von Mikro- und tern sich in der Regel sehr lange hinziehen und meist Nanopartikeln, im Grundwasserleiter nur in den mit unbefriedigenden Ergebnissen enden, ist seit seltensten Fällen erreichbar. Der scheinbare Kos- Jahren bekannt. Eines der „Arbeitspferde“ bei der tenvorteil des Verfahrens schwindet spätestens nach Grundwassersanierung stellt das sogenannte „Pump den Wiederholungsinjektionen, die notwendig sind, + Treat“-Verfahren dar. Damit ist die Entnahme von um eine wenigstens den Mindestanforderungen ge- Wasser aus Vertikalbrunnen gemeint, das gereinigt nügende Verteilung zu erreichen. Warum das so ist, und anschließend entweder in den Vorfluter, die Ka- hat sedimentologische bzw. hydrogeologisch-physi- nalisation oder an geeigneter Stelle im Gelände wie- kalische Gründe. Diese Gesichtspunkte sollen nach- derversickert wird. Doch das „Arbeitspferd“ schwä- folgend erläutert werden. Es werden die Mechanis- chelt: Sanierungen dieser Art sind sehr teuer und men aufgezeigt und vorgeschlagen, in heterogenen können Jahrzehnte dauern, die behördlichen Sanie- Grundwasserleitern anstelle der bislang häufig un- rungsziele lassen sich nur in besonders günstig gela- zureichend wirkenden Techniken Grundwasserzir- gerten Einzelfällen erreichen, nämlich dann, wenn kulationsbrunnen einzusetzen, die starke vertikale eine gute Durchlässigkeit und geringe Heterogenität Gradienten erzeugen und somit weit mehr geeignet des Untergrunds vorherrschen. In allen anderen Fäl- sind, Makro- und Mikroinhomogenitäten im Unter- len stößt die Verfahrensweise rasch an ihre ökonomi- grund mit Druckgradienten zu beaufschlagen und schen und ökologischen Grenzen [1]. Ähnlich verhält so zu durchströmen. Einige Fallbeispiele illustrieren es sich mit „Direct-Push“-Technologien. Auch hier das Verfahren. ist die angestrebte gleichmäßige Verteilung von in-
2 Entstehung von Inhomogenitäten im Untergrund
Der Untergrund der allermeisten Siedlungsgebiete ausgerichtete Schichtpakete, die sowohl im Mikro- besteht aus glazialen bzw. postglazialen fluviatilen (mm –cm) als auch im Makrobereich (dm – m) He- Sedimenten, wobei das ganze Korngrößenspektrum terogenitäten aufweisen. Im Mikrobereich sind diese vertreten ist. Problematisch für Sanierungsvorha- allerdings meist nur messtechnisch feststellbar. Un- ben sind Schichtungen, die aus einer Wechsellage- tersuchungen zeigen, dass die horizontale hydrauli- rung von besser durchlässigen Sanden mit Tonen, sche Durchlässigkeit in Lockersedimenten nahezu Schluffen oder schluffigen Feinsanden bestehen. Die immer deutlich größer ist als diejenige in vertikale auftretende Variation der Sedimente resultiert aus Richtung [2] mäandrierenden Verlagerungen des Fließgewässers. Hinsichtlich der transportierten Korngrößenfraktio- Diese Eigenheit des sedimentologischen Geschehens nen findet zudem ein jahreszeitlicher Wechsel durch führt dazu, dass sich die Hauptmasse des Grundwas- die unterschiedlichen Wasserführungen statt (Ex sers daher überwiegend in horizontal verlaufenden treme: Überschwemmungen, Austrocknungen). Als Porenkanälen („Stromröhren“, x-y-Richtungen) be- Resultat bilden sich mehr oder weniger horizontal wegt. Im Falle einer Grundwasserverunreinigung
27 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
Abb. 1: Fluviatile Sedimente: Entstehung von „graded beddings“ durch Mäandrieren und wechselnde Wasserführung von Flüssen
Abb. 2: Matrix-Diffusion nach dem Durchgang einer Schadstofffront in einem makroskaligen Laborexperiment [4]
28 Seminar Altlasten 2018 Gert Rehner & Eduard J. Alesi bewirken dabei die longitudinale (x-Richtung) und zenden engen Porenräumen oder „Dead-End-Pores“ die transversale (y-Richtung) Dispersion eine Aus- statt („Rebound-Effekt“ oder „Matrixdiffusion“). Ma- weitung der abströmenden Fahne. Weil die transver- kro-Heterogenitäten wie Feinsand- oder Schlufflin- sale Dispersion in z-Richtung nur sehr kleine Werte sen wirken auf dieselbe Weise. annimmt, findet ein advektiver vertikaler Transport nur sehr untergeordnet statt, es wirken hier fast aus- Neben den vorstehend beschriebenen Reboundeffek- schließlich diffusive Prozesse [3]. Wenn allerdings ten tritt bei der Sanierung heterogener Aquifere noch Schadstoffkomponenten wie z. B. leichtflüchtige ha- eine weitere Schwierigkeit auf. Die natürliche Besie- logenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW) mit höherer delung des Aquifer-Korngerüsts mit Biofilmen ver- Dichte als Wasser in größeren Mengen in den Un- stärkt sich durch den biologischen Abbau von Schad- tergrund eindringen, dann kann es zu einer direkten stoffen oder zugegebenen Nährsubstanzen. Der gravitativen Tiefenmigration kommen. Transport dieser Organika durch ein poröses Medi- um führt zu einem ständigen Schließen und Öffnen Weil mit abnehmender Korngröße die innere Ober- von Porenkanälen durch lokales Biofilmwachstum fläche von Sedimenten steigt und somit mehr Ad- und anschließendem Zerfall durch Nährstoffmangel sorptionsplätze zur Verfügung stehen, binden sich wegen mangelnder Durchströmung in zyklischen/ Schadstoffe auf dem Transport durch den Grund- periodischen Zeitabläufen. Um eine Mindestweg- wasserleiter diffusiv bevorzugt an feinerkörnige Se- samkeit in solchen „in situ-Bioreaktoren“ beständig dimentpartien ober- und unterhalb der horizontal aufrecht zu erhalten, bedarf es dazu entsprechender verlaufenden Porenkanäle. In der Regel finden sich hydraulischer Mindestgradienten [5]. Durch übliche dort auch höhere Anteile von organischem Material, Pumpverfahren lassen sich diese nicht in der erfor- dadurch wird die Retardation noch verstärkt. Nach derlichen dreidimensionalen Ausprägung erzeugen. dem Durchgang einer Schadstofffront durch den Aquifer, d. h. wenn der Nachschub aus dem Grund- Und damit wäre die Problemstelle für jegliche Sanie- wasseroberstrom versiegt, werden die horizontalen rungsmaßnahme definiert: Mit welchen Verfahren Porenkanäle wieder von wenig belastetem Wasser lassen sich Schadstoffe aus solchen Feinstrukturen durchflossen. Dann findet über eine längere Zeit ein effektiv mobilisieren bzw. dort Nährstoffe für einen diffusiv dominierter Nachtransport aus den angren- biologischen Abbau deponieren?
Abb. 3: Verschiedene Möglichkeiten der Biofilmbildung, rechts: „Pore Clogging“, verändert nach [6]
29 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
3 Nachteile von marktgängigen Verfahren zur Sanierung heterogener Grundwasserleiter
Diskutierte Alternativen zum klassischen Pump trocken fallen und so nicht mehr der Brunnenhyd- and Treat sind z. B. die Anordnung von Entnahme- raulik unterliegen. und Schluckbrunnenfeldern zur Intensivierung der Durchspülung eines Kontaminationsbereichs. Wa- Sehr häufig werden auch Direct-Push-Technologien rum auch hier in heterogenen Grundwasserleitern zur Einbringung von Reagenzien eingesetzt. Die nur geringe Erfolge erzielbar sind, zeigt die genauere Injektionschemikalien breiten sich jedoch vorzugs- Betrachtung des Strömungsfeldes. weise horizontal entlang besser durchlässiger Trenn- fugen oder völlig irregulär aus, gezielt in vertikaler Selbst wenn hydraulische Gradienten von 0,5 im Richtung wirksame Imprägnationen sind kaum er- Zustrom zu einem Entnahmebrunnen auftreten (Ab- zielbar. senkungsbetrag 5 m, Entfernung zur nächsten Infil- trationsstelle 10 m), so entspricht dies nur einer Ab- Werden Nährstoffe/Gase mit hohem Druck und weichung der Strömungslinien von etwa 27° von der mehr oder minder punktuell zugegeben, können Horizontalen. Auch ein Gradient von 1,0 führte nur sich lokal temporäre Biobarrieren ausbilden, die die zu einer um 45° geneigten Strömungsrichtung. Eine hydraulische Zugänglichkeit zu den kritischen Zonen zeitsparende vertikale Durchspülung von schadstoff- selektiv stark einschränken. Weil konzeptionell eine belasteten Feinstrukturen auf kürzestem Wege ist so anschließende Verteilung der Reagenzien nur passiv nicht erreichbar, abgesehen davon, dass hochkonta- durch die langsamen Prozesse Diffusion und natür- minierte Bereiche im Umfeld der Entnahmestellen liche Advektion erfolgen soll, ist auch dieses Verfah-
Abb. 4: Strömungsverhältnisse im Umfeld eines Entnahme- und Infiltrationsbrunnens
30 Seminar Altlasten 2018 Gert Rehner & Eduard J. Alesi
Abb. 5: In der Praxis beobachtbare Fehlausbreitung von injizierten Reagenzien/Partikeln, verändert nach [7] ren für heterogene Aquifere nur sehr eingeschränkt von Injektionsstellen kann die mangelnde räumliche zielführend. Mittels Liner-Bohrungen im Umfeld Ausbreitung nachgewiesen werden [8].
4 Verfahrensalternative: Einsatz von Grundwasserzirkula tionsbrunnen (IEG-GCW®)
Um überwiegend senkrecht verlaufende Porenkanä- liegende andere Filterstrecke wieder zu infiltrieren. le mit den darin befindlichen Schadstoffen effektiv Entnahme- und Infiltrationsbrunnen werden in ei- zu durchströmen, ist die Erzeugung künstlicher ver- ne vertikale Achse verschoben. Dabei lassen sich in tikaler Zirkulationen erforderlich. Sie lassen sich am Abhängigkeit von der Durchlässigkeit und Anisotro- einfachsten mittels IEG-GCW®-Systemen erzeugen. pie des Aquifers hydraulische Gradienten bis > 1,0 Deren Prinzip besteht darin, aus einem mit zwei erzeugen, sie bewirken im Umfeld des Brunnens oder mehreren hydraulisch voneinander getrennten eine dreidimensionale Zwangszirkulation, mit der Filterstrecken versehenen Brunnen Grundwasser sich Reagenzien weit besser als mit anderen Syste- zu entnehmen und in eine darüber oder darunter men verteilen lassen. Es entsteht eine reaktive Zo-
31 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
Abb. 6: Strömungsregime bei klassischen Abpumpbrunnen im Vergleich zur Grundwasserzirkulation
Abb. 7: Prinzip eines IEG-GCW®
32 Seminar Altlasten 2018 Gert Rehner & Eduard J. Alesi ne, in der Schadstoffe chemisch umgewandelt und/ Die Hydraulik eines solchen Systems wird durch die oder biologisch abgebaut werden können. Die ausge- Einzugsbreiten an der Brunnenbasis und der Grund- prägten vertikalen Strömungskomponenten verstär- wasseroberfläche, dem zentralen Zirkulationsbereich ken das Konzentrationsgefälle zwischen besser und und dem Abstromtor beschrieben, letzteres bildet schlechter durchlässigen Bodenbereichen [9]. Infolge sich umgekehrt symmetrisch zum Zustromtor aus. der stabilen Zirkulation rotiert das dem Brunnen zu- Diese Größen lassen sich aus den Parametern des strömende Wasser mehrfach innerhalb des ROI („Ra- Grundwasserleiters, der gewählten Brunnengeome- dius of Influence“), bevor es diesen wieder in Rich- trie und der Betriebsweise berechnen [10]. tung Grundwasserabstrom verlässt. Die Anzahl der Rotationen eines Wasserteilchens ist abhängig vom In Abhängigkeit von den Untergrundverhältnissen Grundwassergefälle, der hydraulischen Durchlässig- und der Schadstoffverteilung sind Brunnen mit meh- keit, Brunnengeometrie und Durchflussrate. Hohe reren Filterstrecken ausrüstbar, im Umfeld können Durchflussraten sind anzustreben, sie verkürzen die durch die Installation von Satellitenbrunnen die Sanierungsdauer. Weil das in einer vertikalen Ach- Strömungsverhältnisse entsprechend modifiziert se wirksame Potential hier ungleich höher ist als das werden (Intensivierung in bestimmte Richtungen horizontal gerichtete, finden keine Verdrängungen oder Interaktionen zwischen einzelnen GCW). Je in laterale Richtungen statt. nach Bedarf lassen sich sowohl aerobe als auch anae-
Abb. 8: Hydraulische Bezugsgrößen eines Grundwasserzirkulationsbrunnens
33 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018 robe Milieuzustände zur Förderung des mikrobiel- Es sind prinzipiell keine Abflussleitungen in Vorflu- len Schadstoffabbaus im Untergrund einstellen. Der ter oder Kanäle notwendig, daher entfallen Einleit- fluiderfüllte Porenraum wirkt hier so zum „Festbett- gebühren. Die Investitionskosten in Zirkulationssys- reaktor“ umgestaltet. Auch eine Reihenschaltung teme zur Nährstoffverteilung sind häufig niedriger von Brunnen längs zur Grundwasserströmung zur als bei der Anordnung von klassischen Entnahme- Etablierung eines Treatment-Trains (z. B. anaerob- und Infiltrationsbrunnen mit den notwendigen aerob für LHKW) kann zielführend sein. Handelt es Rohrleitungsgräben. Geringe Betriebskosten bei um eine lateral sehr ausgedehnte Schadstofffahne, so einer gleichzeitigen Reduzierung des Sanierungs- empfiehlt sich die Installation einer Behandlungsbar- zeitraumes ermöglichen letztlich eine wesentliche riere mit mehreren Brunnen quer zur Abstromrich- Kostenersparnis im Vergleich zu herkömmlichen Sa- tung, bei der sich die Zirkulationsbereiche gegen- nierungsverfahren. Erfahrungen mit Grundwasser- seitig überschneiden. Eine Teilstromentnahme aus zirkulationsbrunnen liegen seit nunmehr 30 Jahren der Rotation kann die Vorteile des Systems mit einer vor, es wurden bislang über 200 Projekte realisiert, konventionellen Pumpmaßnahme kombinieren. wobei sich der Schwerpunkt immer mehr in Rich- tung mikrobiologische in situ-Behandlungen ver- schiebt [11].
5 Fallbeispiele
5.1 Standort in Südosteuropa Trennung auf. Darunter schließen sich die weiteren Grundwasserleiter an. Aquifer 4 scheint in weiten Auf einem Industriestandort in Südosteuropa wur- Teilen noch nahezu unbelastet zu sein, über ihn und den seit etwa 1950 verschiedene Chemikalien pro- den zur Trinkwasserförderung dienenden 5. Aquifer duziert und weiterverarbeitet, vor allem chlorierte liegen zur Zeit nur begrenzte Informationen vor. Lösemittel. Sie gelangten durch verschiedene Um- stände in den Untergrund (unsachgemäße Lagerung, Leckagen in Leitungen und Tanks etc.) und wurden 1998 erst- mals im Grundwasser entdeckt. Im nahen Umfeld des Geländes wird Trinkwasser aus einer Tiefe von etwa 150 m gewonnen.
Es handelt sich um einen heterogen aufgebauten Untergrund mit mehre- ren Grundwasserstockwerken. Der Flurabstand beträgt ca. 12 m, Der erste stauende Horizont befindet sich etwa in 17 m Tiefe. Aquifer 2 und 3 weisen keine vollständige hydraulische
Abb. 9: Schematischer Aufbau des Untergrundes
34 Seminar Altlasten 2018 Gert Rehner & Eduard J. Alesi
Die Belastung im 1. Grundwasserleiter besteht haupt- seit 2003 Grundwasser entnommen und abgerei- sächlich aus Trichlorethen (TCE, ca. 80 %), daneben nigt, bei einer Gesamtpumprate von etwa 7 m³/h haben sich bereits cis-1,2-Dichlorethen (cDCE) und ließen sich pro Jahr etwa 2 000 kg LHKW aus dem Vinylchlorid (VC) gebildet (ca. 20 %). Im 2. und 3. Untergrund entfernen. Allerdings erschwerten hohe Grundwasserleiter erhöht sich der Anteil von cDCE Eisen- und Mangangehalte sowie die geringe Durch- etwas, VC tritt deutlich in den Hintergrund. Hier sind lässigkeit den Anlagenbetrieb erheblich. Modellrech- an einzelnen Stellen auch Konzentrationen oberhalb nungen über die Tiefenmigration der Schadstoffe der Löslichkeitsgrenzen von bis zu 1 500 mg/l beob- prognostizieren, dass diese in 40 bis 50 Jahren den 5. achtbar, ein Hinweis auf das Vorliegen von LHKW in Aquifer erreichen und so die Trinkwasserversorgung Phase. Im Rahmen der Erkundungsuntersuchungen der umliegenden Region massiv gefährden werden. konnte die Anwesenheit von reduktiv dehalogenie- Weil eine Grundwasserentnahme aus dem 2. und 3. renden Bakterienkonsortien nachgewiesen werden, Aquifer zu einer verstärkten vertikalen Kontamina- genauso wie das Auftreten erhöhter Gehalte an tionsverschleppung geführt hätte und die Abpump- Ethen und Ethan als Indizien für biologische Abbau- dauer über das installierte Brunnenfeld mindestens prozesse. Die Kernzone der Verunreinigung umfasst 100 Jahre betragen hätte, fiel die Entscheidung zu- ca. 50 000 m², das kontaminierte Grundwasservolu- gunsten des Testeinsatzes eines IEG-GCW® in den men wird auf etwa 1 Mio m³ geschätzt, anhand ver- oberen beiden Grundwasserleitern. Er sollte zur An- schiedener Berechnungen kann das Schadstoffinven- regung reduktiver Abbauprozesse (RD) dienen. tar bis zu 450 t LHKW betragen. Aus dem 1. Aquifer wurde über mehrere Brunnen
Abb. 10: Prinzipschema des eingesetzten Brunnens zur simultanen, jedoch hydraulisch getrennten Behandlung von 2 Grundwasser- leitern
35 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
Zur Lösung dieser Aufgabe wurde ein 4-fach ver- Die Ergebnisse sprechen für sich: In zahlreichen filteter Brunnen konzipiert (Edelstahlkontruktion, Monitoringstellen war eine Verschiebung zu gerin- Bohrtiefe 38 m, Bohr-Ø 1 040 mm). Er erlaubt ver- ger chlorierten Komponenten und deutliche Ethen- schiedene Zirkulationsszenarien; ergänzt wurde der entwicklung beobachtbar. Am prägnantesten war Brunnen durch zusätzlich angeordnete Satelliten- sie bei Beprobungshorizonten, in denen Gehalte von brunnen zur Nährstoffzugabe. maximal mehreren 100 mg/l vorlagen. Bei noch höheren Belastungen konnte eine nur zögerliche Durch die speziell gestaltete Brunnenkonfiguration Entwicklung des mikrobiellen Abbaus festgestellt ist es ohne Aufwand möglich, sowohl eine Standard- werden. Begleitende molekularbiologische Untersu- Zirkulation (Infiltration: obere Filterstrecke) als auch chungen wiesen die einschlägigen Konsortien reduk- einen inversen Betrieb (Infiltration: untere Filterstre- tiv dehalogenierender Bakterien nach. In Messstellen cke) zu etablieren. mit hohen DOC-Konzentrationen ließ sich eine Tem- peraturerhöhung messen. Der vertikale Fluss durch Zonen geringer Durchlässigkeit war anhand von Multi-Cluster-Wells nachweisbar [12]. Distribution of Components in K8 100% 90% In der 2. Jahreshälfte 2018 werden weitere 4 IEG- 80%
70% GCW® im Umfeld des Pilotbrunnens installiert, zu-
60% TCE sätzlich kommt eine Reihe von Spezialbrunnen zur 50% cis-1,2-DCE Entfernung der Schwerphase zum Einsatz. 40% trans-1,2-DCE 1,1-DCE 30% VC 20% Ethene 10% 5.2 Standort in Oberitalien 0% 19.4.16 19.6.16 19.8.16 19.10.16 19.12.16 19.2.17 19.4.17 19.6.17 1197 .8. 19.10.17 Der Grundwasserleiter unter dem Industriestandort Distribution of Components in MWC2B in Norditalien weist Belastungen mit LHKW von bis 100% zu 100 mg/l, hohe Eisengehalte und stark variieren- 90% -4 -8 80% de Durchlässigkeiten zwischen 1*10 bis 5*10 m/s 70% auf. Zur Vorbereitung eines Piloteinsatzes wurden 60% TCE umfangreiche chemische/mikrobiologische Labor- 50% cis-1,2-DCE trans-1,2-DCE 40% versuche durchgeführt. Danach erfolgte die Installa- 1,1-DCE 30% VC tion eines IEG-GCW® -Systems mit 3 Filterstrecken 20% Ethene bis zu einer Tiefe von 26 m. 10%
0% 8.3.16 8.6.16 8.9.16 8.12.16 8.3.17 8.6.17 8.9.17 8.12.17 8.3.18 Dieses erlaubt die Steuerung zweier Kreisläufe mit unterschiedlichen Wassermengen und Reichweiten. Distribution of Components in MWC1B Eine kleinere Zirkulation ermöglicht die Durchströ- 100% 90% mung der feinerkörnigen Zwischenlage (ca. 0,35– 80% 0,5 m³/h, Tiefenlage ca. 14–22 m), eine größere 70%
60% TCE überlagernde umfasst auch die besser durchlässigen 50% cis-1,2-DCE Aquiferbereiche (ca. 2,0–2,5 m³/h). Die sanierungs- trans-1,2-DCE 40% 1,1-DCE relevante radiale Reichweite der Zirkulation beträgt 30% VC 20% mindestens 40 m. Ziel der Maßnahme war es, die Ethene 10% residualen Schadstoffsenken hydraulisch zu er- 0% 8.3.16 8.5.16 8.7.16 8.9.16 8.11.16 8.1.17 8.3.17 8.5.17 8.7.17 8.9.1711.187. 8.1.18 8.3.18 schließen und sie einer verstärkten RD zugänglich zu machen, da eine vorangegangene 9-jährige Ab- pumpmaßnahme nicht zu einer nachhaltigen Verrin- A bb. 11: Entwicklung der einzelnen LHKW-Komponenten in ausgewählten Messstellen (auf 100 % normierte Dar- gerung der Belastung führte. stellung); Distanz zum Zentralbrunnen: K8 ca. 10 m, MWC2B ca. 25 m, MWC1B ca. 40 m
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Abb. 12: Geologischer Aufbau des Standorts und Positionierung des IEG-GCW® mit Strömungsregime [13]
Die oberirdische Behandlungslinie besteht aus 3 Ele- Langzeitwirkung. Das durch die oberirdische Be- menten: handlungseinheit strömende Wasser transportiert 1. vorgeschalteter Sandfilter; er dient zur Entfer- die dort entstehenden Abbauprodukte des PHB (bis nung von Ausfällungen und Schwebstoffen 500 mg/l) und reduzierte Eisenverbindungen in den 2. PHB (Poly-Hydroxy-Butyrat)-Reaktor; als Stütz- Porenraum der Sedimente und induziert dort eine substrat dient Sand. Er gibt flüchtige Fettsäuren nachhaltige RD. und Wasserstoff in das durchströmende Wasser ab Die begleitende Laboranalytik des zirkulieren- 3. nachgelagerter ZVI (nullwertiges Eisen)-Reaktor, den Prozesswassers und von Proben aus den um dem PHB beigemischt ist liegenden tiefendifferenzierten Multilevelmessstellen (MLSW 1 und MLSW 2) und den Messstellenbündeln In den beiden Reaktoren werden die LHKW vor (Multicluster-Wells) wies eine erhebliche Mobilisie- Reinfiltration des zirkulierenden Wassers zu etwa rung von Schadstoffen aus den gering durchlässigen 50 % eliminiert. PHB ist ein sich biologisch langsam Aquiferbereichen nach, gleichzeitig entstanden nie- abbauendes Polymer, das im anaeroben Milieu flüch- derchlorierte Abbauprodukte und schließlich chlor- tige Fettsäuren (Buttersäure) und molekularen Was- freies Ethen. Die daraus gewinnbare LHKW-Fracht serstoff freisetzt. Zur Erzielung der RD besitzt es im (ca. 250 g/d) war um etwa den Faktor 50 höher als Gegensatz zu anderen Elektronendonatoren einen aus den besser durchlässigen umgebenden Schichten. genau definierten Abbaupfad. Wird ZVI mit PHB ge- Sehr ausgeprägt war ein Anstieg der Abbauproduk- mischt, so erhöht sich durch die Herabsetzung des te cDCE und VC in den geringer wasserleitenden pH dessen Reaktionsfähigkeit und stabilisiert seine schluffigen Feinsanden.
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Abb. 13: Zeitliche Entwicklung der Genkopienanzahlen von Dehalococcoides (Dhc) in zwei tiefendifferenziert ausgebauten Messstellen
In den beiden benachbarten Multilevel-Messstellen wechselnde Strömungsregime als auch zielführende zeigte sich in beinahe allen Messhorizonten eine Nährstoffformulierungen getestet werden. deutliche Zunahme der Genkopien von Dhc, ein Nachweis dafür, dass bei der Schadstoffreduzierung im Untergrund biologische Prozesse eine dominante Rolle spielen. Mittlerweile wurden alle behördlichen Genehmigungen für eine umfängliche Gesamtsanie- rung des Areals mittels IEG-GCW® erteilt.
5.3 Standort in Barcelona/Spa nien
Im Rahmen des EU-geförderten ZIM-Forschungs- projekts MicroBiome wurden ein IEG-GCW®, 4 Multi-Injektions-Brunnen (MIW) und 2 Multilevel- Beprobungsbrunnen (MLSW) auf einem kontami- nierten Standort im Industriegebiet Zona Franca in Barcelona installiert. Der Aquifer weist eine Mäch- tigkeit von 8 m auf und besteht aus unregelmäßig geschichteten Sanden unterschiedlicher Korngrößen mit schluffigen Einschaltungen. Die hydraulischen Durchlässigkeiten schwanken zwischen 1,5*10 -4 und 8*10 -5 m/s, als Maximalbelastung ließen sich bis 170 mg/l LHKW analysieren (Tetrachlorethen PCE, TCE, cDCE und VC). Ziel des 18-monatigen Versuchs war, ein mikrobiologisches Verfahren zur Anregung einer RD umzusetzen. Dabei sollten Abb. 14: Anordnung des IEG-GCW® mit umgebenden Infil- im Rahmen einer Grundwasserzirkulation sowohl trationsbrunnen und Messstellen
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Die MIW am Standort weisen jeweils 3 Infiltrations- MLSW werden schon seit über 20 Jahren eingesetzt horizonte in verschiedenen Tiefen auf und erlauben und dienen zur tiefendifferenzierten Beobachtung die kontinuierliche/zyklische Zugabe von Reagen von Konzentrationsverteilungen bzw. chemisch-phy- zien in den Einflussbereich der Grundwasserzirku- sikalischen Parametern sowohl bei der Erkundung lation. Bei Nährstoffinfiltrationen in einen zentralen von Schadensfällen als auch beim Sanierungsmoni- Zirkulationsbrunnen ließ sich in früheren Fällen häu- toring. Der oberste Beprobungshorizont befindet sich fig ein stark reaktiver Transport beobachten, d. h. die am Standort in der ungesättigten Zone, es können so
Stoffe unterlagen nach dem Abfluss aus dem Brun- neben LHKW auch Bodengase wie CH4, CO2 oder O2 nen bereits nach kurzer Entfernung einer erhöhten detektiert werden. Durch eine spezielle Gestaltung chemisch-physikalischen Transformation bzw. einer des Messstellenausbaus ließen sich auch BACTRAPs biologischen Verstoffwechselung und erreichten so (Aufwuchskörper für Biofilme, [14]) platzieren. oftmals gar nicht alle relevanten Bereiche innerhalb des Einflussbereichs. Die Unterstützung der Vertei- lung durch MIW sollte im Rahmen dieses Projekts daher genauer untersucht werden.
Abb. 15: Prinzipskizze der Verfahrenskombination eines IEG-GCW® mit MIW zur Verteilung von Reagenzien
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Abb. 16: Entwicklung der LHKW-Belastung in verschiedenen Aquifertiefen [15]
40 Seminar Altlasten 2018 Gert Rehner & Eduard J. Alesi
Dem Feldeinsatz voraus gingen Mikrokosmos-Ver- umgeschaltet. Dadurch gelangte mit Mikroorganis- suche, bei denen sowohl Bodenmaterial als auch men angereichertes oberflächennahes Wasser in tie- Grundwasser mit verschiedenen Nährstoffformulie- fere Aquiferzonen, im Gegenzug strömten verstärkt rungen (IEG-C-Mix) beaufschlagt wurden. Mittels Schadstoffe von unten in flachere Bereiche, wo sich NGS („Next Generation Sequencing“) ließen sich zuvor im Standardbetrieb abbauende Kolonien ange- differenzierte Populationen von dehalorespirieren- reichert hatten. Durch begleitende Isotopenuntersu- den Bakterien nachweisen und die für den Standort chungen in ausgewählten Messstellen ließen sich die am besten geeignete Nährstoffzusammensetzung postulierten Abbauprozesse eindeutig verifizieren. In bestimmen. Kombination mit der Zugabe von IEG-C-Mix führ- te die Anwendung der Verfahrenskombination in- Nach etwa 120 d Betrieb der Grundwasserzirkulati- nerhalb von nur 10 Monaten zu einem erheblichen on im Standardmodus war eine starke Abnahme des Rückgang der Belastungen im gesamten Aquiferbe- TCE und ein Anstieg von Metaboliten zu beobach- reich, wodurch der Nachweis erbracht werden konn- ten. Um den Abbau in den oberen Aquiferbereichen te, dass eine intelligente „Umrührtechnik“ zu einer ebenfalls zu forcieren, wurde auf inverse Zirkulation deutlichen Verkürzung von Sanierungszeiten führt.
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41 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
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42 Seminar Altlasten 2018 Michael Wolf & Uwe Hiester
Verfahrensumstellung nach 25 Jahren BLA und P&T – was bringt jetzt noch eine thermische Sanierung?
Michael Wolf & Uwe Hiester
1 Strom bewegt
Mit der Entdeckung des elektrischen Stroms war Schadstoffmoleküle, zunächst noch an die Bodenma- es möglich, Energie theoretisch über beliebige irdi- trix gebunden, wandern zu den Bodenluftpegeln. sche Entfernungen zu transportieren. Der Impuls des Elektronenflusses wird mit annähernd Licht- Doch was passiert, wenn zusätzlich Strom in ther- geschwindigkeit weitergegeben. Elektrischer Strom mische Energie verwandelt wird und diese mit Heiz- kann zudem in fast jede beliebige andere Energie- lanzen in die Bodenmatrix konduktiv eingebracht form umgewandelt werden, so auch in Bewegung wird? Die Moleküle wandern nicht mehr – sie ren- und Energie. nen!
Bei einer konventionellen Bodenluft-Sanierung kom- Hier ein Rückblick auf eine 25-jährige Wanderschaft men Seitenkanalverdichter zum Einsatz. Hier wird (konventionelle Sanierung) und ein anschließendes also elektrische in kinetische Energie umgewandelt. 2¼-jähriges Rennen (thermische in-situ Sanierung Es entsteht im Untergrund ein Unterdruck. Flüchtige (TISS)).
2 Rückblick
Auf einem Industriestandort wurden seit 1950 Dich- Wegen der Belastungen mit TCE und BTEX-Aro- tungsplatten und Armaturen für die Automobilin- maten wurde die Bodenluft in vier Absaugbrunnen dustrie hergestellt. Auf dem rd. 30 000 m2 Betriebs- zwischen 2-10 m unter Gelände mit Seitenkanalver- gelände befindet sich heute ein Motorenprüfstand. dichtern abgesaugt. Am ehem. Betriebsbrunnen 1 er- In der Produktion kam es zur Anwendung von Tri- folgte ab 1989 eine Grundwassersanierung. Von der chlorethen (TCE) als Lösemittel und zur Lagerung Unteren Wasserbehörde wurden verbindliche Sanie- von Benzin, Toluol u. a. in vier unterirdischen Tanks. rungsziele für Bodenluft und Grundwasser festgelegt. Das TCE wurde in einer Rückgewinnungsanlage Im Jahr 2005 wurde der Sanierungsfall von der Un- recycled. Im Jahr 1983 wurden in einem 54 m tie- teren Wasserbehörde auf das Regierungspräsidium fen Betriebsbrunnen Belastungen mit TCE bis zu Darmstadt übertragen. 370 µg/l festgestellt. Die Untere Wasserbehörde (UWB) sah die Notwendigkeit vertiefender Untersu- Die Grundwasserbelastung verringerte sich im Sa- chungen, auch wegen der potentiellen Gefährdung nierungsverlauf der pump-and-treat Sanierung eines 800 m entfernten Trinkwasserbrunnens. Da- (P & T) von anfänglich bis zu 1 800 µg/l (1990) auf her wurden weitere Untersuchungen und Sanie- unter 6 µg/l (2011). Von 1995 bis Ende 2011 wur- rungsmaßnahmen angeordnet. den über 4 259 kg CKW, 480 kg BTEX und 2 678 kg Kohlenwasserstoffe aus dem Untergrund beseitigt Zunächst wurden 16 Sondierungen bis 2 m u.GOK (Abb. 1). Die jährlichen Austragfrachten über die abgeteuft und bis zu 136 mg/m3 LCKW festgestellt. Bodenluftabsaugung (BLA) blieben jedoch weitestge- Im Folgenden wurde die konventionelle Sanierung hend konstant. auf dem Motorenprüfstand eingeleitet:
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Abb. 1: Konventionelle Bodenluftabsaugung und Pump and Treat: LHKW-Aus- trag und kumulierte Fracht
Da in jedem Sanierungsjahr nahezu die gleichen gestellt [6]. Die Anlagen zur Sanierung konnten im Schadstofffrachten ausgetragen wurden, vermutete Anschluss an das Seminar vom Auditorium in Au- das RP-Darmstadt eine unbekannte Schadstoffquelle genschein genommen werden. Jetzt, 2 Jahre später, mit einem erheblichen Nachlieferungspotential. Es ist die Sanierung nahezu abgeschlossen. Nachfol- war abzusehen, dass die von der Unteren Wasserbe- gend werden Sanierungsverfahren und Sanierungs- hörde festgelegten Sanierungsziele mit den zum Ein- verlauf erläutert. satz kommenden technischen Mitteln nicht erreicht werden konnten. Im Jahr 2011 riet das Regierungs- präsidium dem Unternehmen zu weiteren eingren- zenden Untersuchungen: Eine zielgerichtete Quel- lensanierung könnte in Zukunft die hohen laufenden Kosten ersparen.
Im Rahmen einer erweiterten Standorterkundung wurden u.a. nördlich des Tanklagers auch in grö- ßerer Tiefe (bis 18 m unter Gelände) erhebliche Schadstoffgehalte ermittelt (Abb. 2). Als Quelle der lateralen Schadstoffausbreitung wurden Havarien im Bereich eines möglicherweise undichten Regenwas- sersammlers vermutet.
Nun musste die konventionelle Sanierung auf den Prüfstand. Im Rahmen eines Sanierungsaudits schie- den ein großvolumiges Ausbohren oder das Fortfüh- ren der kalten Bodenluftabsaugung aus. Im Konsens entschied man sich für das THERIS®-Verfahren als wirtschaftlichste Variante zur Sanierung eines fast 3 000 m² umfassenden Schadensherdes. Im Dezem- ber 2015 wurde mit der THERIS®-Sanierung begon- nen.
Im Juni 2016, beim Altlastenseminar des HLNUG, Abb. 2: Lageplan der bisherigen Sanierungseinrichtungen und wurden die ersten Ergebnisse dieser Sanierung vor- des bis dato unbekannten Schadstoffherdes
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3 Thermische in-situ Sanierung mit dem THERIS®-Verfahren (feste Wärmequellen)
Thermische in-situ Sanierungen (TISS) zeichnen sich Optional kann weiterhin eine Schadstoffförderung durch eine erhebliche Steigerung des Schadstoffaus- erfolgen (Abb. 3, Phase (3)). Hiermit werden Rest- trags aus, verglichen mit konventionellen Sanierun- belastungen oder randlich gelegene Belastungen gen (BLA, P & T) [4]. Bei leichtflüchtigen Stoffen wie gefördert. Die Schadstofffracht in dieser Phase ist CKW und BTEX erfolgt der Austrag vornehmlich insgesamt gering. Sie nutzt aber die in Boden und über eine Bodenluftabsaugung, bei Ölphasen maß- Grundwasser vorhandene Restwärme angemessen geblich über eine hydraulische Förderung. Dieser aus. Durch den eingestellten Heizbetrieb kühlen Bo- Anstieg beträgt bei CKW und BTEX, in Abhängig- den und Grundwasser ab. keit vom Sanierungsbetrieb, bis zum 20-fachen der Ausgangsfrachten der Bodenluftabsaugung bei na- Dieser schnelle Schadstoffaustrag ist bedingt durch türlichen Bodentemperaturen (Abb. 3) [2]. Charak- den exponentiell mit der Temperatur ansteigenden teristisch für thermische in-situ Sanierungen sind Dampfdruck und das Gemischsieden von Wasser und drei Betriebsphasen. In der Aufheizphase steigen die Schadstoffphase (auch als Wasserdampfdestillation Temperaturen im Boden und Grundwasser an. Dies bekannt). Der Siedepunkt des Wasser-Schadstoff-Ge- bedingt einen Anstieg der Schadstofffracht (Abb. 3, misches liegt dabei stets unterhalb der Siedepunkte Phase (1)). Das Maß der Erwärmung ist abhängig seiner Einzelstoffe (Abb. 4, rechts). Schadstoffphase vom Sanierungsbereich (Boden, Grundwasser) und mit einem Siedepunkt von bis zu etwa 220 °C wird den zu sanierenden Schadstoffen. Ist die Sanierungs- so bei Temperaturen < 100 °C vollständig verdampft temperatur erreicht, erfolgt die eigentliche Sanie- (Abb. 4, z. B. PCE) [3], [4]. Zudem verringert die Bo- rungsphase. Die Schadstofffracht steigt weiter an denluftabsaugung den Absolutdruck im Boden, so und erreicht ihr Maximum. Insbesondere in dieser dass TCE und Toluol bereits bei Temperaturen unter Phase ist ein zuverlässiger Anlagenbetrieb sehr wich- 80 °C vollständig in der Gasphase vorliegen. Eine Sa- tig. Das Maximum der Schadstofffracht bedeutet den nierung der leichtflüchtigen CKW und BTEX erfolgt Wendepunkt in der Austragssummenkurve (Abb. 3, somit unterhalb des Siedepunktes von Wasser und Phase (2)). Die Schadstofffracht ist bei weiterhin ho- trocknet den Boden zwischen den Wärmequellen hen Temperaturen stetig rückläufig. Der Schadens- nicht vollständig aus [2]. Durch diese Prozesse ver- herd ist beseitigt. Bei vielen Sanierungen wird zu dampfen leichtflüchtige Schadstoffe wie CKW und diesem Zeitpunkt der Heizbetrieb eingestellt. BTEX etwa 10–20 mal schneller als bei einer kon-
Abb. 3: Schematischer Sanierungs- verlauf mit (1) Aufheizphase, (2) Sanierungsphase und (3) optionaler Nachreinigungs- phase
45 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018 ventionellen Bodenluftabsaugung bei natürlichen zu 600 °C erhitzt (Abb. 5). Über Wärmeleitung und Bodentemperaturen (10–15°C). konvektive Prozesse werden Boden und Wasser zwi- schen den Heizelementen erhitzt. Die verdampften Durch die Entfernung der CKW und BTEX im Scha- Schadstoffe werden über eine Bodenluftabsaugung densherd wird eine Nachlieferung der Schadstoffe ins sicher erfasst und die Abluft gereinigt. Grundwasser dauerhaft unterbunden. Eine nachhal- tige Verbesserung der Grundwasserqualität konnte Am Standort wurde eine thermische in-situ Sanie- an anderen Standorten schon kurz nach Beendigung rung (TISS) der hoch mit CKW und BTEX belasteten, von thermischen in-situ Sanierungen gemessen wer- gering durchlässigen Schadenszentren auf einer Ge- den [3], [5]. Hierbei war beispielsweise bei CKW-Be- samtfläche von etwa 3 000 m² umgesetzt. Aus der lastungen eine Reduktion der Grundwasserbelastung Standorterkundung sind ein oberflächennäheres und auf einige 100ter µg/l CKW zum Ende einer thermi- ein tiefer gelegenes Schadenszentrum zu unterschei- schen in-situ Sanierung ausreichend, um nach dem den. In beiden Bereichen wurden insgesamt mehrere Abkühlen auf natürliche Temperaturen Belastungen hundert Heizelemente und über 150 Bodenluftab- unter 10 µg/l zu erreichen [3]. saugbrunnen installiert, die zu Sammelsträngen zusammengefasst wurden (THERIS®-Verfahren). Die Die Wahl des Heizverfahrens wird maßgeblich von Bodenluft wurde mit Vakuumpumpen abgesaugt der Hydrogeologie bestimmt. Bei gut durchlässigen und mit Luftaktivkohle gereinigt. Sanden und Kluftgesteinen haben sich Dampfinjek- tionen mit gleichzeitiger Injektion von Luft bewährt Ergänzend erfolgte eine hydraulische Abstromsi- (TUBA®-Verfahren) [4]. cherung aus mehreren Brunnen. Zur Reinigung des belasteten Wassers wurde die vorhandene Stripanla- Zur Sanierung bindiger Böden und geringleitender ge genutzt. Die Sanierungsanlage und sanierungs Wasserschichten (z. B. Schluff, Lehm, Mergel, Ton) relevante Parameter wurden kontinuierlich mess- hat sich das THERIS®-Verfahren als wirtschaftliches technisch überwacht und ingenieurtechnisch Verfahren etabliert [4]. Hierbei werden feste Wärme- ausgewertet. quellen in den Schadensherd eingebaut und auf bis
Abb. 4: links: Dampfdruckkurve von PCE (Tetrachlorethen), Wasser und TCE (Trichlorethen); rechts: Gemischsieden von PCE bzw. TCE mit Wasser
46 Seminar Altlasten 2018 Michael Wolf & Uwe Hiester
Abb. 5: Schematische Darstellung des THERIS®-Verfahrens (thermische in situ Sanierung mit festen Wärmequellen zur konduktiven Erwärmung von geringdurchlässigen Böden)
4 Erfahrungen mit der thermischen in-situ Sanierung
In der Planungsphase war aus Kostengründen eine hen ermöglichte es, den gesamten Schadensherd in Unterteilung der Gesamtfläche in vier Teilflächen rund 2 ¼ Jahren zu beseitigen. Charakteristisch für vorgesehen [6]. Im Betrieb stellte sich heraus, dass die einzelnen Betriebsphasen waren die jeweiligen sich in Bereichen neben noch belasteten Arealen Austragsspitzen, wie bereits in Abb. 3 schematisch keine schnelle Abreinigung erzielen ließ. Über die erläutert (Abb. 6a). Im gesamten Sanierungsverlauf Bodenluftabsaugung im beheizten Bereich wurde variierten die Austragsfrachten zwischen < 10 kg/ zu viel Schadstoff aus noch unbeheizten Arealen des Woche bis > 120 kg/Woche. Ebenso ist ersichtlich, Schadensherdes herangezogen. Daher wurde die Be- dass sich die Zusammensetzung der Austräge (TCE arbeitung der Teilflächen auf einen partiellen Umbau vs Toluol) im Abhängigkeit vom Sanierungsbereich der Sanierungstechnik umgestellt (Abb. 6b). Hierzu deutlich veränderte (Abb. 6a). Die Geschwindigkeit wurde der Sanierungsfortschritt randlich gelegener der Änderungen in wenigen Wochen verdeutlicht Bereiche anhand von separaten Absaugversuchen die Notwendigkeit eines routinierten Sanierungsma- vor Ort mit einem mobilen Gaschromatographen be- nagements, basierend auf einem soliden Prozessver- stimmt. ständnis und automatisierter Prozessüberwachung mit Fernzugriff. Nach Freigabe durch die Behörde wurde zunächst bei mäßigen Bodenluftbelastungen der Heizbe- Insgesamt wurden rund 5 100 kg Schadstoff aus Bo- trieb und danach bei geringen Bodenluftbelastun- den und Grundwasser mit dem THERIS®-Verfahren gen der Absaugbetrieb eingestellt. Nach Freigabe zurückgewonnen (Abb. 6a). Hiervon entfielen rund zur Deinstallation der Sanierungstechnik in einem 77 % auf CKW und rund 23 % auf BTEX (hiervon Teilbereich wurde diese in noch belastete Bereiche 88 % Toluol). im Schadensherd wieder eingebaut. Dieses Vorge-
47 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
Abb. 6: (a) Wochenaustrag nach Schadstoff und Austragssummenkurve (rote Linie) beim THERIS®-Verfahren in gering durchlässi- gem Boden (b) Blick auf die thermische in-situ Sanierung
5 Verfahrensvergleich und Sanierungserfolg
Mit den auslaufenden Sanierungsarbeiten am Stand- den in rund 2 ¼ Jahren nochmals über 5 Tonnen ort darf der Versuch einer ganzheitlichen Bewertung Schadstoffe aus dem Untergrund entfernt. Durch die gewagt werden. In der zweiten Hälfte des letzten thermische Sanierung wurde die durchschnittliche Jahrhunderts wurden am Standort durch den Ein- Monatsfracht an CKW und BTEX (bei der konven- satz chlorierter und aromatischer Kohlenwasserstoffe tionellen Sanierung rund 20 kg/Monat) um rund in der Produktion über 10 Tonnen CKW und BTEX das 10-fache gesteigert. Hieraus resultiert eine Ver- in die Umwelt freigesetzt. Die nächste Generation kürzung der Sanierungszeit um mehrere Jahrzehnte nahm sich dieser Altlast an und sanierte diese seit verglichen mit der konventionellen Sanierung. Der den 1990er Jahren. Hierbei wurden mit der konven- effiziente Einsatz von thermischer Energie entlastet tionellen Bodenluftabsaugung und einer hydrauli- daher die nachfolgenden Generationen von dieser schen Grundwassersanierung in > 20 Jahren über Altlast. 5 Tonnen Schadstoff gefördert. Trotz dieses Erfolges war mit diesen Verfahren ein Sanierungsende nicht Zur Verifizierung des Sanierungserfolgs wurden im prognostizierbar. Die Altlast wäre auf die nächs- Frühjahr 2018 Absaugtests durchgeführt. Hierzu ten ein bis zwei Generationen übertragen worden wurden Bodenluftabsaugpegel ausgewählt, die vor (Abb. 7, Austrags-Projektionen). rund 15 Monaten außer Betrieb genommen wur- den. Exemplarisch sind in Abb. 8 die Ergebnisse der Durch die Umstellung auf eine thermische in-situ Absaugversuche an einer Zweier-Gruppe BLA-Pegel Sanierung (TISS) mit dem THERIS®-Verfahren wur- zusammengestellt, die sich im Einflussbereich der
48 Seminar Altlasten 2018 Michael Wolf & Uwe Hiester
Abb. 7: Schadstoffaustrag mit der konventionellen und der thermischen Sanierung (THERIS®-Verfahren) sowie Prognosen zum weiteren Schadstoffaustrag mit der konventionellen Sanierung (linearer Schadstoffaustrag = best case)
Abb. 8: Beispiel zur Veränderung der Austragsfracht (Summe CKW+BTEX). Hierzu wurden zwei BLA-Pegel gleichzeitig in verschie- denen Sanierungsphasen abgesaugt (Sanierungsphasen vgl. Abb. 3).
49 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018 zuvor betriebenen konventionellen Bodenluftabsau- Der Austrag aus diesen Pegeln stieg bei der TISS zeit- gung befanden. Zum Beginn der thermischen Sanie- weise auf über 3 000 g/d an. Nach stetig rückläufi- rung (Aufheizphase) lag der Schadstoffaustrag dieser gem Austrag auf geringem Niveau wurden nachein- Pegel bei < 100 g/d. Die Verfügbarkeit von Schadstof- ander Heizelemente und Bodenluftabsaugung außer fen in der Bodenluft war durch Diffusion und Sorpti- Betrieb genommen. In dem jetzt erfolgten Absaug- on an der bindigen Bodenmatix limitiert. Mit der Er- versuch wurden die geringen Bodenluftbelastungen wärmung wurden diese Limitierungen überwunden. wie zum Zeitpunkt der Außerbetriebnahme bestätigt.
6 Fazit
Im Rahmen eines Sanierungsaudits wurde nach Bedingt durch die Erwärmung des bindigen Bodens über 20 Jahren Grundwasserreinigung und Boden- mit festen Wärmequellen verdampften die Schad- luftabsaugung die Effizienz der Sanierung analysiert stoffe schnell und wurden gezielt über eine Boden- und bewertet. Hierbei ergab sich, dass die BLA mit luftabsaugung und eine hydraulische Sicherung ge- Seitenkanalverdichtern im bindigen Boden nur eine fasst. Während der Sanierungszeit von 2 ¼ Jahren geringe Reichweite erzielte und die Ausbreitung der wurde knapp die gleiche Masse an Schadstoff aus- CKW und BTEX in den 1980er Jahren nach heutigen getragen wie in den über 20 Jahren der früheren Maßstäben unzureichend erkundet waren. konventionellen, kalten Absaugung bei natürlichen Bodentemperaturen. Mit einem spezifischen Ener- Basierend auf den Ergebnissen des Sanierungsaudits gieverbrauch von < 1 000 kWh/kg ist die THERIS®- ergab sich eine Umstellung der Sanierungsstrategie Sanierung an diesem Standort als effizient zu bewer- hin zu einer schnellen Herdsanierung. Im Verfah- ten [1]. Die Einschätzungen beim Sanierungsaudit rensvergleich mit einer konventionellen Bodenluft- hinsichtlich einer nachhaltigen Herdsanierung mit sanierung oder Großbohrungen zeigte das THERIS®- dem THERIS®-Verfahren [7] haben sich bestätigt. Verfahren wirtschaftliche Vorteile und wurde als deutlich nachhaltiger bewertet [7].
Literatur
[1] altenbockum, M. et al. (2000): ITVA Richtlinie [4] Hiester, Müller, Koschitzky, Trötschler, Ro- Bodenluftabsaugversuch, Ingenieurtechnischer land, Holzer: Leitfaden: Thermische in situ Verband Altlasten e. V. Berlin. Sanierungsverfahren (TISS) zur Entfernung von [2] Hiester, U.: Technologieentwicklung zur In-si- Schadensherden aus Boden und Grundwasser. tu-Sanierung der ungesättigten Bodenzone mit Gefördert v. Bundesministerium für Bildung festen Wärmequellen. Promotionsschrift, Insti- und Forschung (bmbf) u. v. Helmholtz-Zentrum tut für Wasserbau, Eigenverlag (Publ.), Mittei- für Umweltforschung GmbH (UFZ). August lungsheft Institut für Wasserbau, 9.2009 (178) 2012. Universität Stuttgart, ISBN: 978-3-933761-82-8. [5] Hiester, U. & Müller, M.: Complex boundary [3] Hiester, U. & Bieber, L.: Dominierende Pro- conditions for in-situ thermal treatments (ISTT) zesse bei der thermischen In-situ-Sanierung conducted during land recycling and remedia- (TISS) kontaminierter Geringleiter. Grundwas- tion beneath buildings. AquaConSoil 2015 Co- ser – Zeitschrift der Fachsektion Hydrogeologie penhagen. Proceedings of the 13th Internation- (2017) 22: 185-19, ISSN 1430-483X print. al UFZ-Deltares Conference on Sustainable Use and Management of Soil, Sediment and Water Resources, 09.–12. June 2015.
50 Seminar Altlasten 2018 Michael Wolf & Uwe Hiester
[6] Hiester, U. & Wolf, M. (2016): Thermische in-si- [7] peine, M. (2016): Nachhaltigkeit bei der Alt- tu Sanierung von CKW und BTEX - Konventio lastensanierung – Bewertungskonzept und nelle Sanierung auf dem Prüfstand. Altlasten- Fallbeispiele. Altlasten-annual 2016, S. 93–95, annual 2016, S. 57–65, Wiesbaden, ISBN: 978- Wiesbaden, ISBN: 978-3-89531-875-7. 3-89531-875-7.
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Seminar Altlasten 2018 Berthold Meise
Arbeitshilfe zur Sanierung von Grundwasser verunreinigungen - Vorstellung der 3. Auflage mit dem Schwerpunkt „Verhältnismäßigkeit“
Berthold Meise
1 Veranlassung und Zielsetzung
Wenn durch den unsachgemäßen Umgang mit was- Mit der 2. Auflage aus dem Jahr 2013 wurden die sergefährdenden Stoffen eine Grundwasserverun- Bezüge zum Wasserrecht (WHG, HWG, GWS-VwV) reinigung eingetreten ist, gelten in Hessen für die aktualisiert [3–5]. Darüber hinaus wurde der An- Entscheidung über eine Grundwassersanierung die hang 8 „Ableitung von Grundwasser – Wiederver Vorgaben der Verwaltungsvorschrift zur Erfassung, sickerung, Einleitung in Abwasseranlagen und ober- Bewertung und Sanierung von Grundwasserverun- irdische Gewässer“ neu gefasst. reinigungen (GWS-VwV) [1]. Im April 2015 beauftragte das Hessische Ministeri- Zur Erläuterung und fachlichen Konkretisierung um für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und wurde im Jahr 2008 von einer Arbeitsgruppe die Verbraucherschutz eine zweite Arbeitsgruppe aus Arbeitshilfe zur Sanierung von Grundwasserver- Vertreterinnen und Vertretern der Vollzugsbehörden, unreinigungen, Handbuch Altlasten Band 3 Teil 7 des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Um- erarbeitet [2]. Dabei beschäftigte sich die Arbeits- welt und Geologie sowie des Ministeriums. Die Ar- hilfe insbesondere mit der Frage, ob eine schädliche beitsgruppe sollte Lösungen erarbeiten, wie Grund- Grundwasserverunreinigung vorliegt und ob diese wasser saniert wird und wie die Verhältnismäßigkeit klein, mittel oder groß ist. Insofern lag der Schwer- von langlaufenden Pump & Treat-Maßnahmen ge- punkt in der fachlichen Konkretisierung der Num- prüft werden kann. Die vorliegende 3. Auflage geht mer 4 „Schädliche Grundwasserverunreinigung“ diesen Fragen nach und konkretisiert insofern die der GWS-VwV. Nummer 5 „Sanierung“ der GWS-VwV [6].
2 Aufbau und Gliederung
Die Arbeitshilfe führt im Kapitel 3 die zwei Bewer- Veröffentlichung, flächendeckend Anwendung in tungskriterien „Menge und Fracht im Grundwasser“ Hessen. ein. Menge und Fracht können dann durch Eingabe spezifischer Falldaten und Kenngrößen, die das Ge- In Kapitel 4 geht die Arbeitshilfe der Frage nach, wie fährdungspotenzial beschreiben, in „klein“, „mittel“ saniert werden muss. Dabei spielen die Festlegung und „groß“ klassifiziert werden. Hierzu steht ein des Sanierungsziels und die Verhältnismäßigkeit ei- EXCEL-Auswertetool bereit. Im Ergebnis kann auf ner Sanierungsmaßnahme eine entscheidende Rolle. diesem Weg beurteilt werden, ob eine Grundwas- serverunreinigung „gering“, „mittel“ oder „groß“ ist Bei einer langlaufenden Grundwassersanierung [3]. Entsprechender Handlungsbedarf wird formuliert stellt sich die Frage, ob die Maßnahme beendet wer- und Bagatellfälle werden ausgeschieden. Diese Vor- den kann, obwohl das Sanierungsziel nicht erreicht gehensweise findet heute, 10 Jahre nach der ersten wurde. Für langlaufende Pump & Treat-Maßnahmen
53 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018 wird in Kapitel 4 ein Algorithmus definiert, der er- wertetool „Sanierungsverlauf“ zum download bereit. kennen lässt, ob eine erneute Prüfung der Verhält- Im dritten Schritt erfolgt die eigentliche Verhältnis- nismäßigkeit angezeigt ist. Der Prüfungsablauf des mäßigkeitsprüfung, die Aufgabe der Bodenschutz- Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird in vier Schrit- behörde ist. Die Behörde trifft die abschließende ten beschrieben. In den ersten beiden Schritten sind Entscheidung. Im letzten Schritt werden mögliche relevante Daten zusammenzustellen, die zur Prü- Konsequenzen aus der Prüfung aufgezeigt. Anhand fung benötigt werden. Hierzu steht das EXCEL-Aus- eines Fallbeispiels wird das Verfahren erläutert.
3 Zielgruppe
Die Arbeitshilfe soll in erster Linie für die Mitarbei- die mit der Bearbeitung von Schadensfällen befass- terinnen und Mitarbeiter der hessischen Vollzugsbe- ten Sachverständigen eine nützliche Hilfe sein. hörden, aber auch für die Sanierungspflichtigen und
4 Sanierung von schädlichen Grundwasserverunreinigungen
Im Bodenschutzrecht umfasst die Sanierung Maß- den Anforderungen an die Sanierung von Grund- nahmen zur Dekontamination und zur Sicherung. wasserverunreinigungen nach § 4 Abs. 4 Satz 3 des Dekontamination bedeutet, dass die Schadstoffe BBodSchG sind in Hessen in der GWS-VwV [1] fest- mit dem Ziel der Gefahrenbeseitigung dauerhaft gelegt. entfernt werden [7]. Damit fallen unter den Begriff Dekontamination auch Maßnahmen, die nur eine Die Sanierung des Schutzgutes „Grundwasser“ um- Teil-Dekontamination zum Ziel haben. Sicherungs- fasst demnach „alle unter Berücksichtigung des maßnahmen sollen eine Ausbreitung der Schadstoffe Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlichen verhindern; eine Schadstoffbeseitigung erfolgt nicht Maßnahmen zur Beseitigung der schädlichen bzw. nur in geringem Umfang. Grundwasserverunreinigung, insbesondere durch Herausnehmen oder Umwandeln der Schadstoffe, Im Wasserrecht wird in der GWS-VwV der Begriff und schließt die Beseitigung ihrer Ursache ein“ ([1] Sanierung analog verwendet. Die Herausnahme oder Nr. 5 Abs. 1). das Umwandeln der Schadstoffe wird dort mit „Be- seitigung“ beschrieben. Ist die vollständige Beseiti- Wenn eine vollständige Gefahrenabwehr aus Grün- gung nicht möglich, besteht die Möglichkeit, das den der Verhältnismäßigkeit nicht in Frage kommt, Sanierungsziel anzupassen (teilweise Beseitigung). kann die Behörde ein abweichendes Sanierungsziel Ist das Sanierungsziel in einem überschaubaren Zeit- festlegen, so dass auch weniger wirkungsvolle bzw. raum mit einem verhältnismäßigen Aufwand nicht weniger weitgehende Sanierungsmaßnahmen zum erreichbar, können Sicherungsmaßnahmen zugelas- Einsatz kommen können. Zusammenfassend ergibt sen werden. sich aus der GWS-VwV folgende Rangfolge im Hin- blick auf Grundwassersanierungsmaßnahmen:
4.1 Vorgaben der GWS-VwV 1. Vollständige Beseitigung der schädlichen Grundwasserverunreinigung Neben Altlasten oder schädlichen Bodenveränderun- Die Sanierungsmaßnahmen sollen bewirken, gen sind nach § 4 Abs. 3 BBodSchG auch die hiervon dass im gesamten betroffenen Grundwasser in ausgehenden Gewässerverunreinigungen zu sanie- absehbarer Zeit niedrige Konzentrationen (unter- ren. Das „Wie“ der Gewässersanierung regelt das halb der Gefahrenschwelle) eintreten. Wasserrecht. Die vom Wasserrecht zu bestimmen-
54 Seminar Altlasten 2018 Berthold Meise
2. Sanierungszielanpassung 4.2.2 Sanierungsziel Ist die vollständige Beseitigung aufgrund der ört- lichen Verhältnisse durch verhältnismäßige Maß- Eine Gefahrenabwehr ist in jedem Fall sichergestellt, nahmen nicht möglich, ergeben sich prinzipiell wenn überall im Grundwasser die in der GWS-VwV drei Möglichkeiten für die Anpassung des Sanie- angeführten Geringfügigkeitsschwellenwerte (GFS- rungsziels (vgl. Kapitel 4.2.2): Werte) eingehalten werden. Somit sind die GFS- 2.1 die Erhöhung des Sanierungszielwertes Werte als übergeordnetes Sanierungsziel anzusehen. 2.2 die räumliche Beschränkung des Sanierungs- Wenn eine vollständige Gefahrenabwehr aus Grün- ziels auf Teilbereiche der Schadstofffahne, in den der Verhältnismäßigkeit (vgl. Kapitel 4.2.3) nicht der Regel im nahen Abstrom der Quelle und/ in Frage kommt, kann die Behörde ein abweichen- oder des, d. h. weniger strenges Sanierungsziel festlegen 2.3 die Unterteilung der Schadstofffahne in Be- (GWS-VwV Nr. 5 Abs. 2). Dabei wird die Behörde reiche mit unterschiedlichen Sanierungszie- das Sanierungsziel soweit anpassen, bis eine Maß- len. nahme verhältnismäßig wird. Die Anpassung des Sanierungszieles richtet sich insbesondere nach dem 3. Sicherung der Grundwasserverunreinigung Gefährdungspotenzial. Maßnahmen zur Sicherung einer Grundwasser- verunreinigung sind zum Beispiel hydraulische Maßnahmen (Pump & Treat), reaktive Wände und 4.2.3 Verhältnismäßigkeitsprüfung Dichtwände, die eine weitere Ausbreitung der Schadstofffahne verhindern sollen. Zur Kontrolle Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein aus der Sicherungsmaßnahmen sind Maßnahmen- dem Verfassungsrecht abgeleiteter Maßstab, der ziele festzulegen. besagt, dass ein Eingriff erforderlich, geeignet und angemessen sein muss. Er gilt für alle Eingriffe im öffentlichen Recht, so auch im Bodenschutz- und 4.2 Sanierungsziel und Verhält- Wasserrecht. Bei der Sanierung von Grundwasser- nismäßigkeit verunreinigungen ist die Verhältnismäßigkeit zu Be- ginn (Sanierungsziel), während (Betrieb) und am En- 4.2.1 Allgemeines de der Maßnahme (bei Einstellung ohne Erreichung des Sanierungsziels) zu prüfen. Damit der Umfang der Sanierungsmaßnahme deut- lich wird, hat die Behörde bei ihrer Ermessensent- Verweise auf die Verhältnismäßigkeit finden sich scheidung, ob und wie zu sanieren ist, dem Pflichti- im Bundes-Bodenschutzgesetz insbesondere in § 4 gen das Sanierungsziel zur vollständigen Beseitigung Abs. 3 S. 3 (Stufung der Maßnahme gestaffelt nach der schädlichen Grundwasserverunreinigung zu Verhältnismäßigkeit) und in § 4 Abs. 5 S. 1 (Verhält- nennen. Für den Fall, dass hierfür keine verhältnis- nismäßigkeitsprinzip). Die amtliche Begründung mäßigen Maßnahmen zur Verfügung stehen, wird zum Bodenschutzrecht zu § 4 Abs. 3 führt aus, dass die Behörde das Sanierungsziel unter Berücksichti- die Abstufung der einzelnen Sanierungsmaßnahmen gung des Gefährdungspotenzials soweit anpassen, (Dekontaminations- und Sicherungsmaßnahmen bis eine verhältnismäßige Maßnahme zur Verfügung sowie Schutz- und Beschränkungsmaßnahmen, vgl. steht. Daraus wird deutlich, dass „Sanierungsziel“ § 2 Abs. 7 und 8 BBodSchG) sicherstellt, dass die und „Verhältnismäßigkeit“ eng miteinander ver- Kosten der Sanierung in einem vernünftigen Verhält- knüpft sind, und eine iterative Vorgehensweise bei nis zum Nutzen stehen [8]. der Entscheidung über das Sanierungsverfahren not- wendig sein kann. Da weitere ermessenlenkende Regelungen fehlen, haben die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaften Wasser (LAWA) und Bodenschutz (LABO) sowie die Verwaltungen einiger Bundesländer Entscheidungs- hilfen erstellt [9–12].
55 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
In Hessen werden die Anforderungen zur Erfassung, Für die Abreinigung eines Kilogramms Schadstoff Bewertung und Sanierung von Grundwasserverun- liegt der Median bei rund 3 500 €/kg, bezogen auf reinigungen nach Wasserrecht in der gleichnamigen die Gesamtlaufzeit. Das 0,75-Quantil liegt bei rund Verwaltungsvorschrift (GWS-VwV) konkretisiert 6 500 €/kg. [1]. Die Sanierung wird durch Nr. 5 der GWS-VwV ausdrücklich dahingehend eingeschränkt, dass die In der überwiegenden Zahl der ausgewerteten Fäl- erforderlichen Maßnahmen verhältnismäßig sein le traten LHKW auf, so dass diese Schadstoffgruppe müssen. Zu welchem genauen Maß an (finanzieller) gesondert betrachtet wurde. Für die Abreinigung Anstrengung die Verantwortlichen verpflichtet sind, eines Kilogramms LHKW liegt der Median bei rund um den Schaden zu beheben bzw. um weitere Ge- 4 400 €/kg, bezogen auf die Gesamtlaufzeit. Das fahren abzuwehren, ist bisher weder gesetzlich noch 0,75-Quantil liegt bei rund 7 000 €/kg. richterrechtlich vollständig bestimmt worden. Im Rahmen der Sanierungsuntersuchung können die vorgenannten Preise Gutachtern eine gewisse Ori- 4.2.4 Behördliche Entscheidung entierung bei der Auswahl und Darstellung der in über Art und Umfang der not- Betracht kommenden Sanierungsmaßnahmen geben, wendigen Maßnahme zum Beispiel bei der Kostenschätzung sowie bei der Ermittlung des Verhältnisses von Kosten und Wirk- Bei der Ermessensentscheidung der Behörde über samkeit nach Anhang 3 Nr. 1 der BBodSchV [13]. Art und Umfang einer Grundwassersanierung, fest- gelegt durch das Sanierungsziel, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Sanierung 4.3 Anpassung, Optimierung großer schädlicher Grundwasserverunreinigungen und Beendigung von Grund- ist i. d. R. verhältnismäßig. Bei mittleren schädlichen wassersanierungen Grundwasserverunreinigungen ist eine Sanierung i. d. R. dann verhältnismäßig, wenn eine „ungünsti- 4.3.1 Grenzen der Kostenbetrach- ge Tendenz“ vorliegt, beispielsweise wenn eine Aus- tung in Hessen zur Bewer- breitung der Schadstoffe in tiefere Grundwasserleiter tung der Angemessenheit zu befürchten ist. Eine Ausnahme von der Regel ist von Sanierungsmaßnahmen unter anderem gegeben, wenn der angestrebte Um- weltnutzen (sauberes Grundwasser) in deutlichem Aufgrund der begrenzten Datengrundlage von nur Missverhältnis zum Aufwand (Kosten) für den Ver- 38 Fällen ist eine Differenzierung der Kosten nach antwortlichen steht. Ausgangspunkt für die Festle- weiteren relevanten Kriterien nicht sinnvoll möglich gung, „wie“ zu sanieren ist (Bestimmung von Art gewesen. Die in der Arbeitshilfe angegebenen Kosten und Umfang der Sanierungsmaßnahme), kann fol- zur Abreinigung eines Kilogramms Schadstoff kön- gender Aspekt sein: nen nur orientierend zur Bewertung der Verhältnis- mäßigkeit einer Sanierung verwendet werden. Eine Kosten bei Pump&Treat-Maßnahmen pauschale Anwendung der genannten Preise zur Er- mittlung eines angemessenen Verhältnisses von Kos- Von 1990 bis Ende 2016 wurden vom Land Hes- ten und Wirksamkeit ist somit nicht möglich. sen bei 38 Grundwassersanierungsmaßnahmen (Pump & Treat) Mittel in Höhe von rund 83,4 Mio. € Damit von behördlicher Seite geprüft werden kann, investiert (das Projektmanagement wurde der HIM- ob die Kostenentwicklung tatsächlich als Indiz für ASG übertragen). Bei diesen Maßnahmen wird die Unverhältnismäßigkeit einer Maßnahme he- regelmäßig von der Behörde geprüft, ob der Um- ranzuziehen ist, sind eine umfassende und nach- weltnutzen den erwarteten finanziellen Aufwand vollziehbare Kostenoffenlegung sowie Abschätzung rechtfertigt. Die ermittelten Preise geben eine Orien- zukünftiger Kosten durch den Sanierungspflichtigen tierung zum Verhältnis von Kosten und Wirksamkeit. notwendig.
56 Seminar Altlasten 2018 Berthold Meise
4.3.2 Algorithmus „Eintritt in die 4.3.3 Prüfbericht Verhältnis- erneute Prüfung der Verhält- mäßigkeit bei laufenden nismäßigkeit“ Pump&Treat-Maßnahmen
Eine Grundwassersanierung kann i. d. R. beendet Die Arbeitshilfe beschreibt einen Prüfungsablauf, der werden, wenn der Sanierungszielwert dauerhaft un- sowohl die Vorbereitung der Verhältnismäßigkeits- terschritten wird. Jedoch zeigen langjährige Erfah- prüfung als auch die eigentliche Verhältnismäßig- rungen aus ca. 500 hessischen Grundwassersanie- keitsprüfung umfasst. Andere Abläufe sind denkbar. rungen, dass oftmals die ursprünglich festgelegten Zu prüfen sind die drei Schritte der Verhältnismäßig- Sanierungszielwerte in absehbarer Zeit nicht erreicht keitsprüfung, also die Geeignetheit, Erforderlichkeit werden. und Angemessenheit.
Für jede Grundwassersanierung stellt sich daher im Der Prüfablauf umfasst vier Punkte. Unter Punkt A fortschreitenden Betriebsverlauf die Frage, ob die und B werden relevante Daten zusammengestellt, Maßnahme noch verhältnismäßig ist. Die Arbeits- die zur Prüfung benötigt werden. Unter Punkt C hilfe schlägt für langlaufende Pump & Treat-Maßnah- erfolgt die eigentliche Verhältnismäßigkeitsprüfung, men einen Algorithmus vor, der erkennen lässt, ob die Aufgabe der Bodenschutzbehörde ist. Sie trifft eine erneute Prüfung der Verhältnismäßigkeit ange- die abschließende Entscheidung. Unter D werden zeigt ist. mögliche Konsequenzen aus der Prüfung aufgezeigt. In Kapitel 5 wird die Anwendung des Prüfberichts
Unterschreitet die Austragsmenge kumulativ, Zunahme% den anhand eines Fallbeispiels erläutert. Wert von 3 %, so ist die erneute Prüfung der Verhält- nismäßigkeit geboten. Dieser Wert wurde aus den Erfahrungen der mit Landesmitteln finanzierten Sa- 4.3.4 Optimierung von Grundwas- nierungsfälle empirisch abgeleitet. Eine Unterschrei- sersanierungen tung des 3 %-Kriteriums ist ein Indikator für die nachlassende Effizienz einer Sanierung. Wenn sich abzeichnet, dass eine laufende Grund- wassersanierung in bisheriger Weise nicht sinnvoll
Die Austragsmenge kumulativ, Zunahme% wird wie folgt er- weitergeführt werden kann, stellt sich die Frage ih- mittelt: Zunächst wird für alle Betriebsjahre die je- rer Optimierung. In der Literatur gibt es Darstellun- weilige Austragsmenge ermittelt. Im nächsten Schritt gen zur Sanierungsoptimierung von Pump & Treat- wird für alle Betriebsjahre die jeweilige kumulative Maßnahmen bei LHKW-Schadensfällen, vgl. [14]. Austragsmenge (Austragsmenge kumulativ) bestimmt, Die Arbeitshilfe gibt Hinweise über Möglichkeiten also die Summe der jährlichen Austragsmengen seit zur Optimierung. Sanierungsbeginn. Im dritten Schritt wird berechnet, um wieviel Prozent die kumulative Austragsmenge im Vergleich zum Vorjahr zugenommen hat (Aus- tragsmenge kumulativ, Zunahme%).
Austragsmenge kumulativ, jeweiliges Jahr – Austragsmenge kumulativ, Vorjahr Austragsmenge kumulativ, Zunahme% = * 100 % Austragsmenge kumulativ, Vorjahr Berechnungsbeispiel
Betriebsjahr 2001 … 2014 2015 2016 2017 Berechnung für Betriebsjahr 2017:
kumulative Austragsmenge (752-735) / 735 * 100 % = 2,3 % 45 kg …. 690 kg 715 kg 735 kg 752 kg (Austragsmenge kumulativ) Zunahme der Austrags- … … … 3,6 % 2,8 % 2,3 %
menge kumulativ im Vergleich zum Vorjahr (Austrags-
menge kumulativ, Zunahme%)
57 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
5 Fallbeispiel
Die Arbeitshilfe zeigt anhand eines Fallbeispiels die Bei der Pump & Treat-Maßnahme wurden Optimie- Anwendung des Prüfungsablaufes des Verhältnismä- rungsmaßnahmen durchgeführt. Wasserschutzge- ßigkeitsgrundsatzes. biete sind nicht betroffen. Aufgrund der Sanierungs- maßnahmen liegt die Schadstofffahne weitgehend innerhalb des ehemaligen Werksgeländes (Stand 5.2 Kurze Fallbeschreibung 2016). Eine wesentliche Vergrößerung der Fahne ist auch bei Einstellung der Pump & Treat-Maßnahme Beim Fallbeispiel handelt es sich um einen metall- nicht zu erwarten. verarbeitenden Betrieb, der 1989 geschlossen wurde. Boden- und Grundwasserverunreinigungen wurden EXCEL-Auswertetool „Sanierungsverlauf“ hauptsächlich durch leichtflüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW) verursacht. Das Auswertetool steht als download zur Verfügung. Nach Eingabe der Daten werden die Berechnungser- Zunächst wurde 1992 eine Bodensanierung durch gebnisse in blauen Feldern angezeigt und automatisch Baggeraushub und Großlochbohrungen durchge- 9 Diagramme erzeugt, die für die Verhältnismäßig- führt. Hierdurch wurden ca. 190 kg LHKW ausgetra- keitsprüfung benötigt werden. Folgende Daten werden gen. Mittels Bodenluftabsaugung wurde ein weiterer benötigt: Austrag in Höhe von 10 kg erreicht, so dass insgesamt • Projektname, Schadstoffbezeichnung, ca. 200 kg LHKW aus dem Boden entfernt wurden. • Sanierungsziel- und Geringfügigkeitsschwellen- wert, Datum des Sanierungsbeginns, Zur Grundwassersanierung wird eine Pump & Treat- • Mittlere Schadstoffkonzentration im Zulauf der Maßnahme durchgeführt, der Sanierungszielwert Sanierungsanlage beträgt 25 µg/l. Die Sanierung des Grundwassers • jährliche Wasserfördermenge (abgereinigte Was- startete 1993, die Betriebszeit beträgt rund 23 Jahre, sermenge) seitdem sind für die Grundwassersanierung Kosten • Gesamtkosten im jeweiligen Betriebsjahr (netto) in Höhe von 3 Mio. € angefallen. In dieser Zeit sind knapp 2 000 000 m³ Grundwasser gefördert, aufbe- Berechnet und grafisch dargestellt werden: reitet und 703 kg LHKW entnommen worden. Zu- • Sanierungserfolg sätzlich wurden weitere 35 kg LHKW durch eine be- • Austragsmengejährlich nachbarte Bauwasserhaltung ausgetragen. Rechnet • Austragsmengekumulativ man die über die Boden- und Bodenluftsanierung • Austragsmengekumulativ, Zunahme% ausgebrachten Schadstoffmengen von 200 kg hinzu, • Gesamtkosten pro kg Schadstoff ergibt sich insgesamt ein LHKW-Gesamtaustrag für Boden und Grundwasser von rund 938 kg. 5.2 Prüfungsablauf des Verhält- Die in den Sanierungsbrunnen ermittelten LHKW- nismäßigkeitsgrundsatzes Konzentrationen sind von 2 000 auf 85 µg/l gesun- ken (Stand 2016). Dies entspricht einem Sanierungs- A Bestandsaufnahme erfolg von 97 %. Die jährliche Austragsmenge beträgt ca. 4,3 kg/a mit fallender Tendenz (Stand 2016). Dies Im ersten Schritt (Punkt A der Verhältnismäßigkeits- entspricht einer großen Fracht im Sinne des Kapitels prüfung) ist eine Bestandsaufnahme der Grundwas- 3 des Handbuches. Die Abgrenzung zwischen einer sersanierung textlich auszuarbeiten. Hierzu wird fol- großen zu einer mittleren Fracht beträgt 3,65 kg/a gende Gliederung empfohlen: für den Parameter LHKW. Über die Gesamtlaufzeit A1 Einleitung (Diagramme 1 + 2) errechnet sich für die Kosten pro kg Schadstoff ein A2 Sanierung von Boden und Grundwasser Wert von ca. 5 200 €/kg, ein durchaus üblicher Wert. A3 Gefährdungspotenzial A4 Optimierungsmöglichkeiten A5 Schutzgutbetrachtung, Gefahrenlage
58 Seminar Altlasten 2018 Berthold Meise
Einleitend sind Anlass, Autor, Aktenzeichen und das Betriebsjahr wurden 4,3 kg Schadstoffe entnommen; 3 %-Kriterium darzulegen (A1). Das 3 %-Kriterium bei einer kumulativen Austragsmenge von 703 kg und die hierzu benötigten Daten können den Dia- entspricht dies einem Anstieg von 0,6 % der kumula- grammen 1 und 2 entnommen werden (im letzten tiven Austragsmenge im Vergleich zum Vorjahr).
800 15 jährlich [kg/a] 703 700 kumulativ [kg] 3-%-Kriterium
600 12
500 g] 9 . [ k w
z 400 [%] ] b a / g 300 6 [ k
200 3 100 4,3 0,6 0 0 1990 2000 2010 2020 1990 2000 2010 2020
Diagramm 1: Jährliche Austragsmenge [kg/a] und kumulative Diagramm 2: Zunahme der kumulativen Austragsmenge [%] Austragsmenge [kg] im Vergleich zum Vorjahr
Die Maßnahmen zur Boden-, Bodenluft- und len wird folgende Gliederung: Grundwassersanierung sind ausführlich zu beschrei- B1 Konzentration, Tendenz (Diagramme 3 + 4) ben und die angefallenen Kosten sind dokumentiert B2 Sanierungserfolg (Diagramm 5) darzulegen (A2). Das Gefährdungspotenzial ist an- B3 Jährliche Austragsmenge (Diagramme 6 + 7) hand der horizontalen und vertikalen Ausdehnung B4 Kumulative Austragsmenge (Diagramme der Kontamination im Boden, in der Bodenluft und 1 + 2) im Grundwasser darzulegen (A3). Weiterhin sind die B5 Kosten (Diagramm 9) Optimierungsmaßnahmen während des bisherigen B6 Restzeitprognose (Diagramme 7–9) Betriebes aufzuzeigen (A4). Dann folgen Angaben zur Betroffenheit von Schutzgütern und zur Be- Zur Auswertung der Diagramme werden Auswer- schreibung der aktuellen Gefahrenlage (A5). tekriterien benannt und Beobachtungen und Inter- pretationen aufgezeigt. Diese sind in Anhang 8 der B Auswertung des Sanierungsverlaufs Arbeitshilfe ausführlich beschrieben. Die textlichen Ausführungen (Beobachtung, Interpretationen) wer- In Punkt B des Prüfberichtes ist der Sanierungsver- den für Punkt C des Prüfberichtes C „Prüfung der lauf auf der Grundlage der mit dem Excel-Auswerte- Verhältnismäßigkeit“ benötigt. tool erzeugten Diagramme zu beschreiben. Empfoh-
59 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
2500 500 2000 Konzentra�on 400 Sanierungsziel 1500 Trendlinie l] / g
l] 300 / [ µ g
1000 [ µ 200
500 100 85 0 0 1990 2000 2010 2020 1990 2000 2010 2020 2030
Diagramm 3: Konzentration im Sanierungsverlauf Diagramm 4: Konzentration im Sanierungsverlauf, Trendlinie und Sanierungszielwert
Sanierungserfolg [%] im Sanierungsverlauf 160 100 140 97 95 120
90 100 a] /
g 80 [ k
[%] 85 60 80 40 75 20 4,3 70 0 1990 2000 2010 2020 1990 2000 2010 2020 Diagramm 5: Sanierungserfolg [%] im Sanierungsverlauf Diagramm 6: Jährliche Austragsmenge [kg/a] im Sanierungs- verlauf
25 Grenzen mittlere/ 1000 große Fracht 20 Trendlinie 750 703 15 a] g] /
g 500 [ k [ k 10 250 5 Trendlinie 3,65 0 0 0 10 20 30 1990 2000 2010 2020 2030 Sanierungsjahre Diagramm 7: Prognose der jährlichen Austragsmenge [kg/a] Diagramm 8: Kumulative Austragsmenge [kg] im Sanierungs- verlauf inkl. Prognose
60 Seminar Altlasten 2018 Berthold Meise
30.000
25.000 Gesamtkosten pro kg Schadstoff (jährlich) 20.000 Gesamtkosten pro kg Schadstoff g] k
/ 15.000 (Durchschnitt über gesamte Laufzeit)
[ € 10.588
10.000 Q0,75 HIM-Fälle - gesamte Laufzeit
5.000 5.185 Median HIM-Fälle - gesamte Laufzeit 4.400 0 1990 2000 2010 2020 Diagramm 9: Gesamtkosten pro kg Schadstoff im Sanierungsverlauf [€/kg]
C Prüfung der Verhältnismäßigkeit Angemessenheit
Unter Punkt C erfolgt die eigentliche Verhältnismäßig- Hierzu erfolgt eine Abwägung hinsichtlich Aufwand keitsprüfung, die Aufgabe der Bodenschutzbehörde ist. und Erfolg auf der Grundlage der unter A und B Diese trifft die abschließende Entscheidung. Grundla- durchgeführten Erhebungen. Unter Zuhilfenahme ge der Entscheidung sind die in den Punkten A und B der Diagrammauswertungen erfolgt eine Pro-Cont- dargelegte Fallbeschreibung und die Auswertung der ra-Diskussion: Diagramme. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung umfasst drei Schritte: Pro-Contra-Diskussion: Hinweise, dass ein Weiterbetrieb der beschriebe- Geeignetheit nen Sanierungsmaßnahme unverhältnismäßig ist, sind: Bei der Pump & Treat-Maßnahme im Fallbeispiel wer- den noch immer relevante Mengen LHKW ausgetragen A1 Die prozentuale Zunahme der kumulativen Aus- (4,3 kg/a bzw. 12 g/d). Auch bei einem Weiterbetrieb tragsmenge liegt seit vielen Jahren unter dem ist davon auszugehen, dass weitere relevante Mengen 3 %-Kriterium (Diagramm 2). ausgetragen werden können. Die Maßnahme ist daher nach wie vor geeignet, da sie erwarten lässt, dass damit A3 Die Schadstofffahne ist abgegrenzt, beschränkt das Sanierungsziel erreicht oder die Zielerreichung zu- sich auf den oberen Grundwasserleiter und ist mindest gefördert wird. tendenziell rückläufig.
Erforderlichkeit A4 Im Verlauf der Sanierung wurden verschiedene Optimierungsmaßnahmen zur Effizienzsteige- Bei der im Fallbeispiel beschriebenen Pump&Treat- rung durchgeführt. Weitere Optimierungsmaß- Maßnahme ist ein Wechsel auf ein anderes Sanie- nahmen erscheinen nicht sinnvoll. rungsverfahren nicht erforderlich. Einerseits ist die Infrastruktur der Pump & Treat-Maßnahme vorhanden. A5 Schutzgutbetrachtung: Weder Wasserschutzge- Andererseits wurde im Zuge der unter A4 beschriebe- biete noch Oberflächengewässer sind betroffen. nen Optimierungsmaßnahmen ermittelt, dass alterna- Eine Nutzung des Grundwassers ist außerhalb tive Sanierungsverfahren nicht erfolgsversprechender des ehemaligen Werksgeländes nicht gefährdet. sind. Damit steht auch keine andere, ebenso wirksa- Die biotische Umwelt benachbarter Ökosysteme me, aber den Sanierungspflichtigen weniger belastende ist nicht gefährdet. Eine Verunreinigung von (mildere) Maßnahme zur Verfügung. Die Pump & Treat- Grundwasserleitern im Abstrom ist nicht zu be- Maßnahme ist daher noch immer erforderlich. sorgen. Prognose Betriebseinstellung: Für den Fall, dass
61 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
die Wasseraufbereitung abgeschaltet werden Restzeitprognose und Sanierungserfolg: Um den würde, ist kein signifikanter Wiederanstieg au- Sanierungserfolg von 97 % auf 100 % zu steigern, ßerhalb des ehemaligen Betriebsgeländes zu er- wäre die bisherige Betriebslaufzeit von 23 Jahren warten. um mindestens 10 Jahre zu verlängern. Restzeitprognose und Kosten: Bisher wurden für B1 In den letzten vier Betriebsjahren ist die Ab- die Sanierung rund 3,2 Mio. € verausgabt. Die nahme der LHKW-Konzentrationen gering. Die Steigerung des Sanierungserfolges von 97 % auf Kurve nähert sich asymptotisch einem Wert von 100 % würde einen monetären Mehraufwand 80 µg/l an (Diagramm 4). Mit 85 µg/l ist die von 17 % bis 35 % erfordern. Konzentration um den Faktor 3,5 höher als der Sanierungszielwert von 25 µg/l; im Vergleich zu Hinweise, dass die die beschriebene Sanierungsmaß- anderen Fällen ist dieser Faktor als moderat an- nahme noch immer verhältnismäßig ist, sind: zusehen. B5 Die Kosten pro kg Schadstoff (Gesamtlaufzeit) B2 Im Jahr 2016 beträgt der Sanierungserfolg be- liegen zwischen dem 0,75-Quantil und dem reits 97 % (Diagramm 5). Median der ausgewerteten hessischen LHKW- Fälle, also im Rahmen des Üblichen (Dia- B3 Die jährliche Austragsmenge im letzten Betriebs- gramm 9). jahr liegt bei 4,3 kg/a (Diagramm 6) und wird in Die Kosten pro kg Schadstoff waren in den letz- „absehbarer Zeit“ den Wert von 3,65 kg/a bzw. ten fünf Betriebsjahren etwa gleichbleibend. 10 g/d voraussichtlich unterschreiten, so dass ge- mäß Kapitel 3.2.2 eine mittlere Fracht vorliegen Kapitel D Ergebnisdarstellung würde. Die Angemessenheit verlangt, dass der ermittelte B4 Der Verlauf der kumulativen Austragsmenge nä- Aufwand einer Maßnahme in einem vertretbaren hert sich asymptotisch dem Wertebereich von Verhältnis zum bezweckten Erfolg steht. Beim Fall- 730 bis 750 kg an. Ein Großteil der Schadstoffe beispiel überwiegen die Hinweise, dass der Aufwand (703 kg) wurde bereits ausgetragen (Diagramm für einen Weiterbetrieb der Wasseraufbereitungs- 8). Die Prognose der kumulativen Austragsmen- anlage in keinem vertretbaren Verhältnis zum be- ge ergibt, dass auch bei einem langjährigen Wei- zweckten Sanierungserfolg steht. terbetrieb der Sanierung kein weiterer maßgebli- cher Austrag mehr erzielt werden kann. Es wird vorgeschlagen, den Betrieb der Wasserauf- bereitung einzustellen und die Anlage für weitere B6 Die Schadstoffquelle ist weitgehend saniert, 12 Monate betriebsbereit zu halten, damit bei einem mittels Boden-, Bodenluft- und Grundwasser- Anstieg der Schadstoffkonzentrationen die Grund- sanierung wurden 938 kg LHKW entfernt. Das wassersanierung wiederaufgenommen werden kann. restliche Schadstoffinventar im Boden wurde mit ca. 30 Kilogramm LHKW abgeschätzt. Ein Weiterhin wird vorgeschlagen, das bisherige jährli- Schadstoffinventar dieser Größenordnung bei che Monitoringprogramm für 3 weitere Jahre fort- vergleichbarer Schutzgutbetroffenheit würde in zuführen. Dabei sollte das monatliche Programm einem „Neufall“ keinen Sanierungsbedarf auslö- durch ein vierteljährliches Programm ersetzt wer- sen. den und nach Vorlage der Überwachungsergebnisse des ersten Jahres sollte entschieden werden, ob die Wasseraufbereitungsanlage weiterhin betriebsbereit gehalten werden muss.
62 Seminar Altlasten 2018 Berthold Meise
Literatur
[1] Verwaltungsvorschrift zur Erfassung, Bewer- [9] Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LA- tung und Sanierung von Grundwasserverun- WA) und Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft reinigungen (GWS-VwV) vom 28. September Bodenschutz (LABO): Grundsätze des nachsor- 2016, StAnz. 42/2016 S. 1072 genden Grundwasserschutzes bei punktuellen [2] Hessisches Landesamt für Umwelt und Geolo- Schadstoffquellen, 2006 gie (HLUG): Handbuch Altlasten Band 3 Teil 7, [10] Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Na- Arbeitshilfe zur Sanierung von Grundwasser- turschutz Baden-Württemberg (LUBW), Altlas- verunreinigungen, Wiesbaden 1. Auflage 2008, ten und Grundwasserschadensfälle 44, Ermitt- Hardcopy lung fachtechnischer Grundlagen zur Vorbe- [3] Hessisches Landesamt für Umwelt und Geolo- reitung der Verhältnismäßigkeitsprüfung von gie (HLUG): Handbuch Altlasten Band 3 Teil 7, langlaufenden Pump-and-Treat-Maßnahmen, Arbeitshilfe zur Sanierung von Grundwasser- Karlsruhe, Stand September 2015 verunreinigungen, Wiesbaden 2. überarbeitete [11] Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geo- Auflage 2013, PDF download logie, Sachsen, Grundwasser und Altlasten [4] Wasserhaushaltsgesetz (WHG) vom 31. Juli (SMUL), Entscheidungshilfe Grundwassersa- 2009, BGBl. I S. 2585, zuletzt geändert durch nierung: Effizienz von Pump and Treat-Sanie- Gesetz vom 18. Juli 2017, BGBl. I Nr. 52 S. 2771 rungen, Dresden 2007 [5] Hessisches Wassergesetz (HWG) vom 14. De- [12] Hansestadt Hamburg: Gefährdungsbeurteilung zember 2010, GVBl. I S. 548, zuletzt geändert und Sanierung von Grundwasserschäden, 2012 durch Gesetz vom 28. September 2015, GVBl. www.hamburg.de/contentblob/3343384/eb- S. 338 889c6842d89289c30ab1231b98e598/data/ge- faehrdungsbeurteilung-grundwasser-broschue- [6] Hessisches Landesamt für Umwelt und Geolo- re.pdf gie (HLUG): Handbuch Altlasten Band 3 Teil 7, Arbeitshilfe zur Sanierung von Grundwasser- [13] Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung verunreinigungen, Wiesbaden 3. überarbeitete (BBodSchV) vom 12. Juli 1999, BGBl. I S. 1554, Auflage 2018, Hardcopy und PDF download (im geändert durch Artikel 3 der Verordnung vom Druck – Stand 01.05.2018) 27.9.2017, BGBl. I S. 3465 [7] Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) vom [14] Stupp, H. D., Bakenhus, A., Stauffer, R., Lorenz, 17. März 1998, BGBl. I S. 502, zuletzt geändert D.: Sanierungsoptimierung von CKW-Grund- durch Artikel 3 der Verordnung vom 27.9.2017, wasserschäden – Möglichkeiten zur Reduzie- BGBl. I S. 3465 rung der Sanierungskosten, altlasten spektrum 6/2005 [8] Deutscher Bundestag: Drucksache 13/6701 vom 14.01.1997, Amtliche Begründung zum BBodSchG, dip21.bundestag.de/dip21/ btd/13/067/1306701.asc
63
Seminar Altlasten 2018 Angela Prein
Grundwasser-Strömungs- und Transportmodelle in der Altlastensanierung Chancen, Risiken, Aufwand
Angela Prein
Um Modelle als Chance zu begreifen, muss das mit Das Risiko, welches sich mit einer Modellanwen- der Verwendung von Modellen als Entscheidungshil- dung verbindet, liegt in der nicht ausreichenden Aus- fe einhergehende Risiko und der zu betreibende Auf- einandersetzung mit der Fragestellung, die zu be- wand abgeschätzt werden. Allgemein lässt sich sa- arbeiten ist. Daraus folgend kann ein Modell falsch gen, dass die Entwicklung eines hydrogeologischen konzipiert oder ungeeignet für die gewählte Anwen- Modells, das letztlich zum numerischen Grundwas- dung sein. Werden ungeprüfte Eingangsdaten ver- serströmungs- und Transportmodell führt, eine in- wendet oder die Modellkalibrierung unsachgemäß tensive und kritische Auseinandersetzung mit den durchgeführt, kann dies fehlerhafte Aussagen zur hydrogeologischen Gegebenheiten bedingt. Der da- Folge haben. Dieses Risiko kann verringert werden, mit verbundene Erkenntnisgewinn erlaubt die Ent- indem eine Kontrolle und Überprüfung der Model- wicklung von Sanierungsvarianten und die Auswahl le durch Personen oder Institutionen erfolgt, die die von effektiven Sanierungsverfahren für die jeweilige Modelle nicht entwickelt haben. Dazu ist eine klare Fragestellung. Dokumentation der Modelle und ihrer Anwendung notwendig. Voraussetzung für den Erfolg der Anwendung nu- merischer Modelle ist die klare Formulierung der Modelle, seien es die hydrogeologischen Modelle, die Aufgabenstellung. Hier erfolgt bereits eine Weichen- numerischen Grundwasserströmungsmodelle oder stellung hinsichtlich der notwendigen Daten. Die die darauf aufbauenden Transportmodelle erfordern Entwicklung einer Modellvorstellung der hydrogeo- Zeit, kompetente Mitarbeiter und die Bereitschaft logischen Verhältnisse und die Auswertung der vor- zur Verständigung und kritischen Auseinanderset- handenen Grundwasser- und Stoffdaten sind der we- zung über Fachgrenzen hinweg. Wird hier ein an- sentliche Arbeitsschritt auf dem Weg zur Erstellung gemessener Aufwand betrieben, ist eine erfolgreiche des numerischen Modells. Variantenfindung und in der Folge eine erfolgreiche Umsetzung sowie Anpassung von Sanierungsmaß- Kann auf dieser Basis ein Grundwasserströmungs- nahmen möglich. modell erfolgreich kalibriert werden, ist die Weiter- entwicklung zu einem Stofftransportmodell möglich und es können verschiedene Sanierungsoptionen un- Formulierung der Aufgabenstel- tersucht und z. B. ein begleitendes Monitoring ent- lung und Abgrenzung des Unter- worfen werden. suchungsraums
Es empfiehlt sich dabei ein stufenweises Vorgehen mit Da ein Modell ein vereinfachtes Abbild der Wirk- kritischer Auseinandersetzung der erreichten Arbeits- lichkeit darstellt, werden nur für den formulierten stände. Werden alle Fachkompetenzen beteiligt und Zweck relevante Eigenschaften abgebildet. Der For- fachübergreifenden Diskussionen Zeit eingeräumt, ist mulierung der Aufgabenstellung kommt damit eine die Chance gut, eine umsetzbare Sanierungsvariante große Bedeutung zu. Ein Modell kann entwickelt zu finden. Aber auch, wenn sich eine Nichtumsetz- werden für barkeit eines Sanierungskonzeptes herausstellt, ist • die Planung und Betrieb einer Wassergewin- dies ein Ergebnis, welches dem Sanierer materiellen, nungsanlage, zeitlichen und monetären Aufwand erspart hat.
65 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
• den Schutz einer Wassergewinnungsanlage, Entwicklung und Prüfung des Hy- • die Bewirtschaftung einer Grundwasserressource, drogeologischen Modells • die Planung von Sanierungsmaßnahmen, • die Planung von Monitoringsystemen, Ein Grundwasserströmungsmodell und seine Er- • die Bewertung von Gefährdungspotenzialen und gebnisse können nicht besser sein als das hydrogeo- Entwicklung von Abwehrmaßnahmen, wie Ab- logische Modell. Deshalb ist ein kritischer Umgang wehrbrunnen zum Schutz des Rohwassers, mit der Datenlage angezeigt. Es besteht oftmals ein • die Einhaltung vorgegebener Wasserstände oder Interpretationsspielraum, innerhalb dessen sich für anderer Zielstellungen unter wasserwirtschaft- die Abbildung im Modell entschieden werden muss. lichen oder naturschutzfachlichen Gesichtspunk- Werden diese Entscheidungen dargestellt und be- ten. gründet, sind spätere Veränderungen aufgrund von neuen Erkenntnissen nachvollziehbar. Daraus ergibt sich eine unterschiedliche notwendi- ge Wiedergabetreue. So sind Prinzipmodelle einfach Eine Prüfung des hydrogeologischen Modells sollte gehalten und dienen Übersichtszwecken. Planungs- anhand der folgenden Datenblöcke erfolgen: modelle werden genutzt, um die Hydrodynamik • hydrogeologisches a priori Wissen des Grundwassers im Aussagegebiet zu beschreiben • Schichtgeometrien/-verbreitung und die Reaktion des geohydraulischen Systems auf • Geohydraulische Parameter veränderte Randbedingungen zu prognostizieren. • Messwerte und Versuchsdaten Bewirtschaftungsmodelle sind komplex, begleiten • Hydraulische Randbedingungen Grundwasserbewirtschaftungsprozesse und werden • Quellen und Senken oftmals kontinuierlich weitergeschrieben.
Zur Abgrenzung des Untersuchungsraumes muss Bilanzraum und Grundwasser sich der auf seine spezielle Aufgabenstellung, z. B. bilanz der Beseitigung einer Grundwasserverunreinigung, fokussierte Bearbeiter von seinem Standpunkt, dem Zur Beschreibung des Bilanzraumes sind möglichst späteren Aussagegebiet, lösen und den Blick auf das klare, gut definierbare Grenzen zu wählen. Alle übergeordnete Untersuchungsgebiet, z. B. den hy- Bilanzglieder wie Grundwasserneubildung, Zu- und drogeologischen Teilraum lenken. Aus dieser Über- Abströme usw. sind zu quantifizieren. Sind variab- sicht ist ein sinnvoller Bilanzraum resp. Modellge- le Entnahmen im Gebiet vorhanden, sollten die ge- biet abzugrenzen, dessen Ränder sich einerseits an wählten Zahlen begründet werden. möglichst natürlichen hydrogeologischen Grenzen orientieren und andererseits ausreichend weit vom Eine wesentliche Aussage zum Modellgebiet ist der Aussagegebiet entfernt liegen. Gesamtumsatz an Grundwasser. Er ist im Zuge der Entwicklung des hydrogeologischen Modells zu quantifizieren. Er besteht aus den Komponenten Darstellung der Datengrundlage Grundwasserzuflüsse Grundwasserneubildung aus Die Datengrundlage ist nachvollziehbar darzustellen Niederschlag und muss neben Plan- und Gangliniendarstellungen infiltrierende Oberflächenge- auch tabellarisch die verwendeten Ausgangsdaten wässer zeigen. oberstromiger Zufluss künstliche Grundwasseran- Die Darstellung von Schnittspuren mit Bohrungen reicherung und die Schichteninterpretation als hydrogeologi- sche Schnitte mit Eintragung der Filterstrecken von Grundwasserabflüsse Grundwasserabstrom Grundwassermessstellen sind für die Zuordnung der exfiltrierende Oberflächen- Grundwasserstands- und Stoffdaten zu verschiede- gewässer nen Grundwasserleitern von großer Bedeutung. Grundwasserentnahme
66 Seminar Altlasten 2018 Angela Prein
Vorratsänderung für ein Modellgebiet inner- Prüfung der Eignung des bestehenden Modells und halb einer Betrachtungszeit- Analyse der notwendigen Anpassungen/Erweiterun- spanne gen. Die Umsetzung der Anpassungen und Erweite- rungen ist nachvollziehbar zu dokumentieren und das Modell unter Berücksichtigung der neuen Anfor- Modellkalibrierung derungen erneut zu kalibrieren.
Voraussetzung für ein Transportmodell ist ein kali briertes Grundwasserströmungsmodell. Die bekann- Empfehlungen für den Fall der ten Konzentrationsdaten des Grundwassers können Überlagerung von Modellgebie- zur weiteren Verbesserung des Strömungsmodells ten herangezogen werden. Prinzipiell ist es positiv zu bewerten, wenn für Un- Wichtiger Bestandteil der Kalibrierung ist die Mo- tersuchungsgebiete verschiedene Modelle existieren. dellbilanz. Der Vergleich der berechneten mit den Die Vorstellung von den geologischen Verhältnissen gemessenen Grundwasserständen, der Strömungs- basiert auf einem bestimmten Kenntnisstand zu den richtung und dem Gradienten der Grundwasserober- hydrogeologischen und klimatischen Kennwerten fläche erfolgt in Plänen. Bei instationären Modellen und dem Wissen um die Entstehung der hydrogeolo- sind zusätzlich gemessene und berechnete Grund- gisch relevanten Strukturen. Dabei bleibt Spielraum wasserganglinien an wichtigen Lokationen zu ergän- für Interpretationen, vor allem im kleinskaligen Be- zen. reich. Stimmen die Grundzüge wie Wasserbilanz und die Abbildung regionaler Strukturen überein, so Anhand der Datenlage ist zu differenzieren, wo Ab- ordnen sich Modelle trotz im Einzelfall abweichen- weichungen relevant für das Aussagegebiet sind und der Umsetzung in diesen Interpretationsspielraum wo Abweichungen toleriert werden können. ein.
Um Modelle sich überlagernder Modellgebiete be- Prognosen / Varianten werten zu können, ist die transparente Darstellung und Begründung der gewählten modelltechnischen Ein kalibriertes Grundwasserströmungsmodell, wel- Umsetzung von besonderer Bedeutung. ches in der Lage ist, gemessene Stoffkonzentratio- nensverteilungen nachzuvollziehen, kann für die Bei der Überlagerung von Modellgebieten verschie- Untersuchung verschiedener Sanierungsvarianten dener Antragsteller sollten die folgenden Aspekte ab- eingesetzt werden. Wichtig ist auch hier die Doku- geglichen werden: mentation sowohl der gewählten für eine Variante spezifischen Parameter als auch der offen gebliebe- • Lage und Art der Einzugsgebietsgrenzen, nen Fragen und Unsicherheiten. Sie sind bei der Ein- • Lage und Art geologischer Störungen, schätzung der Eignung einer Sanierungsvariante von • Lage und Wechselwirkung von Vorflutern, Bedeutung. • Verfahren zur Berechnung der Grundwasserneu- bildung und Größenordnung der Grundwasser- neubildung, Anforderungen an die Anwen- • Wasserbilanz für das Modellgebiet mit Quan- dung oder Fortschreibung beste- tifizierung der wesentlichen Bilanzglieder wie hender Modelle für neue Frage- Randzu- und -abstrom, Grundwasserneubildung, stellungen Wechselwirkung mit Vorflutern, Entnahmen, • für die Kalibrierung gewählte Stichtage/Zeitab- Bestehende Modelle können für neue Fragestellun- schnitte des Grundwasserstandes oder Grund- gen verwendet werden, wenn die sich daraus erge- wasserstandsganglinien, benden möglicherweise zusätzlichen Anforderungen • für die Bewertung der Kalibrierung angewendete an das Modell formuliert werden. Es bedarf einer Kriterien.
67 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
Literatur DVGW-Regelwerk, Technische Regel - Arbeitsblatt DVGW W 107 (A): Aufbau und Anwendung Hydrogeologische Modelle – Ein Leitfaden für Auf- numerischer Grundwassermodelle in Wasser- traggeber, Ingenieurbüros und Fachbehörden. gewinnungsgebieten – Schriftenreihe der Deutschen Geologischen LANUV-Arbeitsblatt 12 (Hinweise zur Erstellung Gesellschaft, Heft 10, 1999, ISBN 3-932537- und Beurteilung von Grundwassermodellen im 08-4 HLUG- Altlastenbereich) Hydrogeologische Modelle – Ein Leitfaden mit Fall- Technische Regel - Arbeitsblatt DVGW W 107 (A): beispielen. – Schriftenreihe der Deutschen Aufbau und Anwendung numerischer Grund- Geologischen Gesellschaft, Heft 24, 2002, ISBN wassermodelle in Wassergewinnungsgebieten 3-932537-25-4 Hydrogeologische Modelle – Bedeutung des hydro- geologischen a priori-Wissens. – Schriftenreihe der Deutschen Geologischen Gesellschaft, Heft 70, 2002, ISBN 978-3-510-49212-1
68 Seminar Altlasten 2018 Christoph Merten
Brachflächenentwicklung aus Sicht eines Projektentwicklers - Chancen und Risiken einer Flächenentwicklung
Christoph Merten
INVESTOR Deutz AG
69 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
Status
Die Wiedernutzung innerstädtischer Brachflächen bzw. Flächenreceyclingprojekte kommen u.a. aufgrund der Nachfragesituation nach Wohnraum immer mehr zur Umsetzung und werden routinierter.
Vorhandenes bzw. günstiges Kapital, Mangel an Flächenverfügbarkeiten v. a. in Ballungsräumen sind Ursachen für den Boom nach Investitionen in Bestandsobjekte bzw. Standorte.
Die Revitalisierung einer Brachfläche birgt vielfältige wirtschaftliche, technische und rechtliche Risiken, so dass intelligente und nachhaltige Lösungen gesucht werden müssen.
Es ergeben sich jedoch auch Chancen und Potentiale, die v. a. anhand einer richtigen Analyse und Bewertung genutzt werden können.
Um eine erfolgreiche Entwicklung umzusetzen sind neben den städtebaulichen Aspekten auch die richtige Projektstruktur und die Herausarbeitung von Qualitäten / Brand von entscheidendem Einfluss.
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Zeitschiene
Durchschnittliche Projektdauer / Meilensteine
Planung / Konzept Bauliche Umsetzung Hochbau Idee/Ankauf Erschließung
Vision Weiterentwicklung/ (Thema, Story) Abwandlung T = 0 t=10-15 Jahre
Budget / WR / Planungsrecht Baugenehmigung Vermarktung Vermarktungsstrategie
• i.d.R. oft (zu) lange Dauer → Unübersichtlichkeit, Risiken, Unsicherheiten
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70 Seminar Altlasten 2018 Christoph Merten
Projektmanagement
Allgemeine Herausforderungen für den Bauherren vs. Aufgaben und Maßnahmen des Projektmanagements
Verträge, Bauherrenvertretung, Projektleitung und kompetente Beauftragung der Entscheidungen Interessensvertretung erforderlichen Beteiligten Aktives Projektmanagement und Aufbereitung der Genehmigungen, Baurecht notwendigen Entscheidungsvorlagen Projektspezifisches Vertragsmanagement zur Fristen, Boden- Architekten, Zeitverzug Auswahl der geeigneten Partner und Vertragsformen management Fachingenieure, Baufirmen, Kosten- Aufbau einer funktionierenden Kommunikations- steigerungen, Umwelt-/ /Organisationsstruktur (Stakeholder Management) Budget- Naturschutz sicherheit Konsequente Kosten- und Terminverfolgung Laufender Betrieb Bestandsaufnahme der Bedarfe und Anforderungen Büroorganisation, Information, Umzugsplanung Kommunikation Risiko- und Qualitätsmanagement
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Seminar Altlasten 2018 Harald Mark
Informationsquellen zur Ermittlung von PFC-Kon- taminationen durch Löschschäume
Harald Mark
1 Einleitung
Durch den Einsatz PFC-haltiger Löschschäume sind behörden gezielt die in ihrem Zuständigkeitsbereich in Deutschland bereits an verschiedenen Standorten möglicherweise vorhandenen PFC-Belastungen Boden- und Grundwasserbelastungen festgestellt durch Löschschäume erfassen und untersuchen kön- worden. Allerdings sind bei weitem noch nicht al- nen, benötigen sie Basisdaten, wie: le Schäden bekannt und erfasst. Bisherige Untersu- • Ort des Einsatzes von Löschschäumen (Brände, chungen zeigen, dass insbesondere bei Großbränden Löschübungsplätze etc.), ein erhöhtes Risiko von PFC-Verunreinigungen im • Zeitpunkt des Einsatzes von Löschschäumen, Grundwasser gegeben ist. Damit die Bodenschutz- • Menge der eingesetzten Schaummittel.
2 Einsatz von Schaummitteln
Für verschiedene Brandstoffe, wie zum Beispiel • Löschschaum kann zur dampfdichten Abdeckung brennbare Flüssigkeiten, müssen spezielle Löschmit- von Leckagen brennbarer Flüssigkeiten vorbeu- tel zum Einsatz kommen. Flüssigkeitsbrände kön- gend eingesetzt werden, was die Emission um- nen durch ihre gegenüber den festen Brandstoffen weltgefährdender oder hochentzündlicher Dämp- schnellere Brandausbreitung und die Bildung großer fe verhindert bzw. deutlich reduziert. Mengen toxischer Brandgase extrem gefährlich sein. In solchen Fällen kommen Löschschäume zum Ein- Es gibt verschiedene Schaumlöschmittel, von denen satz. Die Vorteile von Löschschäumen sind: insbesondere die wasserfilmbildenden Schaummit- • Schaum nutzt und verbessert die Löscheigen- tel (AFFF oder A3F) von Bedeutung sind, weil sie schaften von Wasser. PFC enthalten können. Erste Erfahrungsberichte in • Schaummittel erlauben, das Löschwasser mit Deutschland über den Einsatz von A3F-Schaummit- einem Vielfachen seines Volumens an Luft zu ver- teln lassen sich auf das Jahr 1964 datieren (Mark, mischen und damit die wirksame Oberfläche er- Schroers & Hädicke 2012). Zunächst wurden diese heblich zu vergrößern. Dadurch kann mit einem Löschschäume bei Lösch- und Übungseinsätzen Bruchteil des Wassers effizient gelöscht werden. auf Flughäfen verwendet. PFC-haltige Löschmittel • Löschschaumkonzentrate sind einfach zu hand- wurden dann aber erst ab Mitte der 1970er Jahre haben, da sie flüssig sind. „auf breiter Front“ eingesetzt, so dass als untere Ab- • Löschschaum verbessert die Benetzungswirkung schneidegrenze für entsprechende Recherchen das von Wasser so, dass sogar Oberflächen, die sonst Jahr 1975 festzusetzen ist. Wasser abweisend wären (z. B. rußige Oberflä- chen) benetzt werden können. Eine obere Abschneidegrenze ist dagegen schwieri- • Mit Löschschaum können Brände von Flüssig- ger festzulegen. Die Umweltrelevanz PFC-haltiger keiten und flüssig werdenden Stoffen wirksam ge- Löschschäume ist den Feuerwehren seit ca. 2000 be- löscht und rückzündungssicher abgedeckt werden. kannt, gesetzliche Regelungen sahen einen Einsatz
73 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
PFOS-haltiger Löschmittel bis Mitte 2008 vor, wur- keine gesetzlichen Beschränkungen, so dass davon den sie vor 2006 angeschafft, konnten sie bis Mit- auszugehen ist, dass auch heute noch PFC-haltige te 2011 verwendet werden. Für Feuerlöschschäume, Löschmittel zum Einsatz kommen. die andere PFC als PFOS enthalten, bestehen zurzeit
3 Einsatzorte PFC-haltiger Schaumlöschmittel
Neben den Herstellungsbetrieben von Schaumlösch- schäume grundsätzlich zum Einsatz gekommen mitteln sowie den Betrieben, in denen Löschschäu- sein können. Dennoch können hier die Recherche- me bevorratet werden, kommen vor allem folgende schwerpunkte gesetzt werden. Einsatzorte für PFC-haltige Schaumlöschmittel in Frage: Eine weitere Differenzierung von Bränden erfolgt 1. Brandbekämpfung, nach DIN 14010 nach ihrer Größe: 2. Übungsplätze, • Kleinbrand a: Einsatz von einem Kleinlöschgerät 3. Feuerwachen. • Kleinbrand b: Einsatz von nicht mehr als einem C-Rohr Beispiele für Kleinbrände sind brennende Müll- 3.1 Brandbekämpfung tonnen und kleinere PKW-Brände
Um den Rechercheaufwand möglichst zu begren- • Mittelbrand: Einsatz von mehr als drei C- zen, erscheint es sinnvoll, schwerpunktmäßig solche Rohren, keine Sonderrohre Brandereignisse zu berücksichtigen, zu deren Be- Beispiele für Mittelbrände sind Wohnungsbrände, kämpfung PFC-haltige Löschmittel eingesetzt wor- größere Kfz-Brände, Gebäudebrände, Schienen- den sind. Dabei sind Brandklassen und Brandgrößen fahrzeugbrände, kleinere Waldbrände zu unterscheiden. • Großbrand: Einsatz von mehr als 3 C-Rohren Wie bereits erwähnt, kamen und kommen Lösch- oder/und Sonderrohre wie B-Rohre, schäume bei bestimmten Brandarten zum Einsatz, Monitore oder Schaumstrahlrohr bei denen eine Verbesserung der Löscheigenschaf- Beispiele für Großbrände sind Tankzugbrände, ten von Wasser erforderlich war bzw. ist. Beispiele Tanklagerbrände, Brände von Großobjekten, In- für den Einsatz von PFC-haltigen Löschmitteln sind dustriebetrieben und landwirtschaftlichen An- Brände von Produktions-, Umschlag- und Lagerstät- wesen, aber besonders auch größere Waldbrände ten mit großen Volumina an brennbaren flüssigen und Brände auf Müllkippen. Stoffen, Lagern mit besonderem Gefahrenpotenti- al (Hochregallagerung von Kunststoffprodukten; Tendenziell dürften größere Mengen an Löschschäu- Recycling-Anlagen), Flugzeugen, Bahnkesselwagen men bei Mittel- und Großbränden eingesetzt worden und Straßentankfahrzeugen. sein. Da die Zahl von Mittelbränden pro Jahr bereits recht hoch ist, wäre der Rechercheaufwand auf kom- Gemäß der Europäischen Norm EN2, die eine Klas- munaler Ebene nicht unerheblich. Daher empfiehlt sifizierung der Brände in fünf Gruppen vorsieht, ge- sich bei der Recherche eine schwerpunktmäßige Be- hören die aufgeführten Beispiele in die Brandklasse rücksichtigung von Großbränden. A (Brände fester Stoffe hauptsächlich organischer Natur) und Brandklasse B (Brände von flüssigen und Quellen zur Erfassung des Kontaminationsrisikos flüssig werdenden Stoffen). Eine ausschließliche Be- Brandbekämpfung sollten Angaben zum Ort, Zeit- trachtung dieser Brandklassen ist jedoch nicht zu punkt, zur Brandklasse und Brandgröße enthal- empfehlen, denn bei Bränden sind im Regelfall ver- ten. Die im Regelfall umfassendste und geeignets- schiedene Materialien betroffen, so dass auch bei te Quelle sind die Brand- und Einsatzberichte der anderen als den hier aufgeführten Beispielen Lösch- Feuerwehr, aus denen die notwendigen Daten für
74 Seminar Altlasten 2018 Harald Mark die Einschätzung der PFC-Relevanz eines Brandes veröffentlichen auch ausführliche Pressespiegel, die hervorgehen. Die Berichte enthalten in den meis- zumindest eine Erfassung der wichtigsten Brand ten Fällen Angaben zum Ort, zum Zeitpunkt, zur ereignisse ermöglichen. Brandgröße und -klasse. Teilweise sind auch die ein- gesetzten Löschmittel dokumentiert. Für die Brand- und Einsatzberichte der Feuerwehren gibt es aller- 3.2 Übungsplätze dings kein einheitliches Muster, so dass Aufbau und Inhalt dieser Dokumente durchaus variieren können. Löschübungen werden zum Teil auf speziellen Leider sind diese Einsatzberichte für Recherchezwe- Übungsplätzen abgehalten. Hier ist durch die inten- cke aus verschiedenen Gründen nicht durchgängig sive Nutzung der Standorte von einem besonders verfügbar. So werden diese nicht überall über einen hohen Boden- und Grundwasserbelastungspotential längeren Zeitraum aufbewahrt, oder sie werden aus auszugehen. Erst bei neueren Anlagen ist mit ent- Gründen des Datenschutzes nicht zur Verfügung ge- sprechenden Sicherheitsvorkehrungen für den Bo- stellt (LANUV NRW 2017). den- und Grundwasserschutz zu rechnen.
Daher müssen auch andere Quellen in Betracht ge- Als eine bedeutende Kontaminationsquelle haben zogen werden. In zahlreichen Kommunen werden sich die Löschübungsbereiche der Feuerwehren auf Jahresberichte der Feuerwehr veröffentlicht. Über- zivilen und militärisch genutzten Flugplätzen erwie- sichten über die Anzahl der Klein-, Mittel- und sen. Hier sind vor allem die Löschübungsbecken von Großbrände im zurückliegenden Jahr ermöglichen Bedeutung, die zur Simulation von Flüssigkeitsbrän- die Festlegung einer „Zielgröße“ für eine anschlie- den dienen (Abb. 1). Undichtigkeiten der Becken so- ßende detailliertere Recherche. Die Jahresberichte wie Übertreten der Schaummassen haben schon vie- der Feuerwehr verschiedener Kommunen enthalten lerorts zu relevanten PFC-Kontaminationen geführt. auch ausführlichere Darstellungen über „besondere Einsätze“ mit entsprechenden Zeit- und Ortsanga- Löschübungsbecken sowie auch häufig verwendete ben. Hin und wieder finden sich auch Angaben zu Wrackteile auf Flughafengeländen lassen sich im Re- den eingesetzten Löschmitteln. Einige Feuerwehren gelfall durch Luftbildauswertung problemlos erfassen.
Abb. 1: Feuerlöschübungsbecken auf einem militärischen Flugplatz in Norddeutschland © MSP 2017
75 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
3.3 Feuerwachen 1: 25 000 (TK25) sind Feuerwachen durch Signaturen oder Beschriftungen nicht kenntlich gemacht. Ledig- Systematische Untersuchungen der Stadt Düsseldorf lich in der Deutschen Grundkarte 1: 5 000 (DGK5) haben ergeben: Von fünf untersuchten Feuerwachen sind entsprechende Eintragungen zu finden. sind alle mit PFC belastet (LANUV NRW). Aufgrund des relativ kurzen Recherchezeitraums sind diejeni- Für die weitere standortbezogene Recherche insbe- gen Feuerwachen, die nach 1975 geschlossen wur- sondere nach Lagerflächen, Waschplätzen und meist den, durch Befragungen in den zuständigen Refera- angeschlossenen Übungsbereichen empfiehlt sich ten der Kommunen zuverlässig und ohne größeren die Auswertung von Bauakten sowie von Luftbildern. Aufwand zu erheben. In der Topographischen Karte
4 Fazit
PFC-Kontaminationen durch Löschschäume sind Eine systematische Erhebung potenziell mit PFC vermutlich noch in vielen Kommunen ein „schlum- kontaminierter Flächen erfolgte bislang lediglich von merndes“ Umweltproblem. 2017 waren in NRW 93 der Bundeswehr für ihre Liegenschaften. PFC-Fälle bekannt. In 71 % der Fälle wurden Lösch- mitteleinsätze als Grund angegeben bzw. vermutet. Grundsätzlich lassen sich die Rahmenbedingungen Systematische Erhebungen wurden in NRW aller- für die Erfassung von PFC-Kontaminationen auf- dings nur in einzelnen Kommunen durchgeführt, et- grund von Löschmitteln durch folgende Sachverhalte wa in Düsseldorf, wo allein 25 PFC-Fälle erfasst sind spezifizieren: (LANUV NRW).
Tab. 1: Rahmenbedingungen für die Erfassung von PFC-Kontaminationen durch Löschmittel
Kontaminationsrisiko Recherchezeitraum Spezifizierungen Quellen
Brand- und Einsatzberichte der Brandklasse: A und B Feuerwehr Brandbekämpfung 1975 bis heute Brandgröße: Großbrand Jahresberichte der Feuerwehr Pressespiegel der Feuerwehr 1975 bis heute Auf Flughäfen vor allem die Löschübungs- Luftbilder Übungsplätze (auf Flughäfen 1970 bis becken und sonstige Übungsbereiche Interviews heute) (Wrackteile etc.) DGK 5 Auch die oft angrenzenden Übungsbe- Feuerwehr 1975 bis heute Stadtübersichtkarten reiche Ordnungsämter
Literatur
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76 Seminar Altlasten 2018 Elena Haibel
PFC-Schadstoffe auf landwirtschaftlichen Flächen Herausforderungen und Lösungsansätze
Elena Haibel
1 Einleitung
Mehr als die Hälfte der deutschen Fläche wird land- gen Bundesländern auf landwirtschaftliche Flächen wirtschaftlich genutzt [1]. In Hessen sind es knapp aufgebracht wurde. Der Umgang mit PFC in den 42 %. Die Anteile der landwirtschaftlichen Flächen Umweltmedien ist ein neues Aufgabengebiet. Im sinken langsam zugunsten der Siedlungs- und Ver- nachsorgenden Boden- und Grundwasserschutz sind kehrsflächen [2]. Umso bedeutender ist es, flächen- klassische Sanierungsmaßnahmen, wie Bodenaus- hafte Einträge von Schadstoffen in den Boden zu ver- hub, Sickerwasseraufbereitung oder Grundwasser- hindern bzw. zu vermeiden. sanierung, bei PFC-Belastungen häufig sehr komplex und kostenintensiv. Als Alternative zu Sanierungs- 2006 wurde bekannt, dass mit per- und polyfluo- oder Sicherungsmaßnahmen kommen Schutz- und rierten Chemikalien (PFC) verunreinigtes, als Bo- Beschränkungsmaßnahmen nach § 2 Abs. 8 BBod- denverbesserer deklariertes Abfallmaterial in eini- SchG und § 5 Abs. 5 BBodSchV in Betracht.
2 Historie
In den Jahren 2003–2006 wurde auf landwirtschaft- einem insgesamt gleichbleibenden Niveau, auf ande- lichen Flächen in Nordhessen mit PFC verunreinig- ren Flächen sind leicht abnehmende Gehalte an PFC tes, als Bodenverbesserer deklariertes Abfallmaterial bestimmbar. aufgebracht. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Verunreinigungen in 2006 wurden orientierende Un- Neben Hessen war vor allem Nordrhein-Westfalen tersuchungen durchgeführt. Das darauffolgende um- von flächenhaften Belastungen mit Beaufschlagung fangreiche Monitoringprogramm für Boden, Ober- durch PFC-kontaminierte Materialien auf landwirt- flächen- und Grundwasser wurde aufbauend auf schaftliche Flächen betroffen. 2013 wurden auch in den Erkenntnissen der orientierenden Untersuchung Baden-Württemberg belastete Flächen bekannt, die aufgelegt und kontinuierlich dem Wissensstand fol- mit PFC-verunreinigtem Kompostgemisch beauf- gend angepasst. In einigen Gebieten bewegen sich schlagt wurden [3]. die Konzentrationen im Untersuchungszeitraum auf
3 Per- und polyfluorierte Chemikalien
Die Stoffgruppe der PFC kommt nicht natürlich vor, roctansulfonsäure (PFOS). PFOS ist ein langlebiger sondern ist anthropogenen Ursprungs und umfasst organischer Schadstoff und zählt zu den sog. PBT- mehr als 3 000 Einzelverbindungen. Einer der be- Stoffen (persistent, bioakkumulierend und toxisch). kanntesten Vertreter dieser Stoffgruppe ist Perfluo- Er kann sich in Böden, Sedimenten sowie entlang
77 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018 der Nahrungskette in Pflanzen und Tieren bis zum Menschen anreichern [4]. Neben PFOS zählt Per fluoroctansäure (PFOA) ebenfalls zu den Leitkom- ponenten und steht damit ebenfalls im Fokus zahl- reicher Untersuchungen und Studien. In Abb. 1 sind die Strukturformeln sowohl von PFOS als auch von PFOA gezeigt.
PFC-Verbindungen kamen bzw. kommen aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften – wasser-, fett- und Abb. 1: Strukturformel von Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) schmutzabweisend sowie chemisch und thermisch und Perfluoroctansäure(PFOA) stabil – in vielen Bereichen zur Anwendung: Feuer löschschäume, Wachse/Schmiermittel, Baustoffe (Wetterschutzfarben und -lacke), Textilindustrie Ferner besteht der Verdacht, dass Vorläuferverbin- (Outdoor- und Arbeitskleidung), Galvanik, Papier- dungen (sog. Precursor) mit der Zeit zu den bekann- und Fotoindustrie usw. [4]. ten PFC-Verbindungen umgewandelt werden und damit als Schadstoff(nach)lieferant dienen können. Die Stoffgruppe kann hinsichtlich ihres Verhaltens Sofern bei Schadensfällen Precursor vorliegen, kann in kurzkettige (Kettenlängen von bis zu 7 C-Atomen) dadurch das Schadstoffpotential unterschätzt wer- und langkettige (Kettenlängen ab 8 C-Atomen) PFC den [5]. unterteilt werden. Aufgrund der Bedenklichkeit für die Umwelt und Gesundheit wird seit einigen Jahren insbesondere von der Nutzung langkettiger perfluo- rierter Verbindungen abgesehen.
4 Rechtsgrundlagen
Von der Europäischen Union und vom Bund exis- es Empfehlungen zu Richtwerten für eine duldbare tieren derzeit nur in ausgewählten Bereichen (z. B. tägliche Aufnahme: der von der Europäischen Behör- Verordnung (EG) Nr. 850/2004 (sog. „POP-Verord- de für Lebensmittelsicherheit (European Food Safty nung“), zuletzt geändert am 30. März 2016, Dünge- Authority, EFSA) vorgeschlagene TDI (Tolerable Daily mittelverordnung vom 26. Mai 2017, Oberflächenge- Intake) liegt momentan für PFOS bei 0,15 µg/kg KG/ wässerverordnung vom 20. Juni 2016) nur für PFOS Tag und für PFOA bei 1,5 µg/kg KG/Tag [7]. Grenz- Verbote oder festgelegte Höchstgehalte. Im Januar oder Richtwerte für die Beurteilung von Böden feh- 2017 wurden vom Umweltbundesamt Empfehlungen len derzeit gänzlich. In dem Entwurf der Mantelver- für sieben Substanzen für Trinkwasserleitwerte und ordnung (Stand Mai 2017) sieht die E-BBodSchV für für weitere sechs Substanzen Gesundheitliche Ori- einige PFC-Einzelverbindungen Prüfwerte für den entierungswerte veröffentlicht [6]. Für Lebensmittel Wirkungspfad Boden-Grundwasser am Ort der Pro- existieren bislang keine Höchstgehalte. Jedoch gibt bennahme vor.
5 Gewonnene Erkenntnisse
Die möglichen Eintragspfade von PFC in die Umwelt oder auf Feuerlöschübungsplätzen nachgewiesen können so vielseitig sein wie deren Anwendungs- werden. In Kläranlagen können PFC aus verschie- möglichkeiten. Hohe kleinräumige PFC-Gehalte denen Quellen (Abwasser aus Industrie oder Haus- konnten beispielsweise nach Feuerlöscheinsätzen halt) gelangen und sich je nach Eigenschaft im
78 Seminar Altlasten 2018 Elena Haibel
Klärschlamm anreichern oder über das behandelte erfolgen würde. Durch die langjährigen Untersu- Abwasser in Oberflächengewässer eingeleitet werden. chungen sowohl in Hessen als auch in anderen be- Ein weiterer wesentlicher Eintragspfad ist eine (il- troffenen Bundesländern konnten erste Erkenntnisse legale) Aufbringung von PFC-kontaminiertem Klär- zum Verhalten der bekannten PFC-Verbindungen schlamm auf landwirtschaftliche Flächen, wie 2006 im Pfad Boden-Grundwasser erlangt werden. Die bekannt wurde. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Untersuchungen zeigen, dass die Auswaschung von flüchtige Vorläufersubstanzen (Telomeralkohole oder PFC von der Kettenlänge abhängig ist. Kurzkettige Perfluorsulfonaminde) in die Atmosphäre eingetra- PFC zeigen eine hohe Mobilität, wohingegen lang- gen, durch physikalische und chemische Prozesse zu kettige PFC kaum auf dem Wasserpfad verlagert wer- persistenten PFC umgewandelt und damit indirekt den, sondern vielmehr im Boden verbleiben. Damit über den Luftpfad in der Umwelt verteilt werden [5]. hat sich die anfängliche Vermutung, dass PFC aus Abbildung 2 zeigt eine schematische Übersicht über den belasteten Flächen innerhalb von wenigen Jah- die möglichen Eintrags- und Verteilungswege von ren ausgewaschen werden, nicht bewahrheitet [9]. PFC in der Umwelt. Zum Wirkungspfad Boden-Pflanze geben zahlreiche Aufgrund der guten wasserlöslichen Eigenschaft vie- Studien unter Laborbedingungen erste Hinweise ler PFC-Verbindungen wurde zunächst angenom- zum Stoffverhalten von PFC [10, 11]. Die systemati- men, dass eine Auswaschung der Stoffgruppe aus schen Versuche zeigen, dass erhöhte PFC-Gehalte im den Böden in die Gewässer innerhalb weniger Jahre Boden oder Gießwasser einen höheren Transfer in
Abb. 2: Schematische Darstellung der möglichen PFC-Einträge und Verteilung in der Umwelt [8]
79 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018 die Nutzpflanze zur Folge haben. Um Erkenntnisse barer Konzentration nachgewiesen werden konnten über die Aufnahmefähigkeit von PFC durch Pflanzen [12]. Dieses Ergebnis stimmt mit anderen Freiland- unter Geländebedingungen zu gewinnen, wurden versuchen überein [13, 14]. Ein eindeutiger Trend, 2014/2015 in Nordhessen Pflanzenuntersuchungen inwieweit eine Abhängigkeit der PFC-Konzentration auf ausgewählten Flächen durchgeführt. Die Ergeb- im Boden und den Gehalten in der Pflanze besteht, nisse zeigen, dass vorhandene PFC-Bodenbelastun- ist aus den bisherigen Untersuchungen nicht ersicht- gen in Wurzel, Spross und Korn in meist abnehm- lich.
6 Herausforderungen im Umgang mit PFC auf landwirtschaft- lichen Flächen
Die Bearbeitung von PFC-Kontaminationen im Bo- Des Weiteren liegen nur für wenige bestimmte den und/oder Grundwasser ist ein neues Aufgaben- Verbindungen festgelegte Analyseverfahren vor. In gebiet beim Boden- und Grundwasserschutz. Grenz- Deutschland sind zwei DIN-Normen zur Analyse oder Richtwerte zur Beurteilung von Böden fehlen der PFC im Boden (DIN 38414-14) und Wasser (DIN derzeit. Das Umweltbundesamt sieht Forschungs- 38407-42) verfügbar. Diese umfassen zehn perfluo- und Handlungsbedarf im Bereich Boden vor allem rierte Carbon- und Sulfonsäuren. Daher kann derzeit beim Transfer Boden-Pflanze und damit verbunden nur ein geringer Teil der PFC-Substanzen analytisch eine Ableitung von Prüf- und/oder Maßnahmen- repräsentativ erfasst werden. Durch die vorhandene werten. Diese Ableitung ist ohne gesetzlich festge- Vielzahl der Einzelverbindungen, ist eine Bewertung legte Höchstgehalte für Lebensmittel erschwert [15]. einer Kontamination über Einzelstoffanalytik daher Die Klärung der Pflanzenaufnahme von PFC ist im nicht leistbar. Vor diesem Hintergrund wurden eine Hinblick auf den Bodenschutz wichtig, da davon ins- Reihe Verfahren entwickelt, die die PFC als Sum- besondere die weitere landwirtschaftliche Nutzung menparameter (z. B. AOF, EOF, TOP usw.) erfassen. von PFC-belasteten Flächen abhängt. Doch bisher sind die Verfahren nicht genormt und befinden sich zum Teil noch in der Erprobung [5]. Durch bisherige Untersuchungen der betroffenen Bundesländer zeigen sich erste Tendenzen zum Wir- Mangels einer aussagekräftigen Quantifizierung kungspfad Boden-Pflanze. Viele Parameter, die eine der tatsächlich vorhandenen Schadstoffe im Boden PFC-Aufnahme der angebauten Pflanzen im Feld besteht die Gefahr, dass das Schadstoffpontential beeinflussen können, sind derzeit jedoch nicht aus- unterschätzt wird. Verdeutlicht wird das anhand reichend wissenschaftlich erforscht. Dadurch sind einer Bodenprobe, die im Eluat eine höhere PFC- belastbare Aussagen über den Wirkungspfad Boden- Konzentration ausweist als die Feststoffanalyse der Pflanze erschwert. Insbesondere für den systemi- ursprünglichen Bodenprobe. schen Pfad können z. B. folgende Einflussfaktoren von Bedeutung sein: Eine weitere Herausforderung stellt die Sanierung • Art der Verbindung (lang- bzw. kurzkettige PFC, von großflächigen PFC-Belastungen dar, insbesonde- Perfluorsulfonsäure bzw. –carbonsäure) re unter den Fragestellungen: • pH-Wert des Bodens • Wann ist eine PFC-Sanierung verhältnismäßig? • Bodenart • Wie soll kontaminiertes Material entsorgt wer- • Pflanzenart den? • Bewässerungsmenge, -häufigkeit. • Welche verfahrenstechnischen Sanierungsmetho- den für Boden- und Grundwasser sind geeignet? Ein Wiedereintrag von PFC durch das Verbleiben von • Welche Sanierungszielwerte sollen festgelegt wer- kontaminierten Ernterückständen (Spross und Wur- den? zel) auf den Flächen ist ebenfalls denkbar, aber noch nicht ausreichend untersucht.
80 Seminar Altlasten 2018 Elena Haibel
7 Lösungsansätze zum Umgang mit PFC und anderen Schad- stoffen bei großflächigen Kontaminationen
Flächenhafte Einträge von Schadstoffen können viel- In solchen Fällen können vor allem Schutz- und Be- fältige Ursachen haben und unterschiedliche Flächen schränkungsmaßnahmen in Abhängigkeit der Nut- betreffen. Anhaltspunkte für mögliche Gefahren, zung in Betracht kommen (§ 5 Abs. 5 BBodSchV). Zu erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen Schutz- und Beschränkungsmaßnahmen zählen z. B. ergeben sich neben Flächen, die mit schadstoffkon- • Bewirtschaftungsauflagen taminierten Klärschlämmen beaufschlagt wurden, -- pH-Wert-Regulierung durch Kalkung, auch bei Böden in Überschwemmungsgebieten, Rie- --Vorgaben zum schmutzarmen Ernteverfahren selfeldern, Immissionsgebieten (Nähe zu emittieren- • Anpassung der Nutzung den Betrieben, Bergbaubetrieben) usw. -- Einschränkung des Anbaus mäßig bis stark an- reichender Nahrungs- und Futtermittel Bei schädlichen Bodenveränderungen und der Fest- --Vermarkung der Lebens- oder Futtermittel stellung einer Gefahrensituation sind in einem ange- nach Nachweis der Unbedenklichkeit messenen Zeitrahmen Maßnahmen zur Gefahren- --Anbau von Nichtnahrung- und Nichtfuttermit- abwehr zu ergreifen, wobei entweder Sanierungs-, tel (nachwachsende Rohstoffe, Zierpflanzen, Sicherungs- oder Schutz- und Beschränkungsmaß- etc.) nahmen in Frage kommen. Im Grundsatz beinhal- • Nutzungsuntersagung tet § 4 Abs. 3 BBodSchG die Verpflichtung, dass die • Betretungsverbot. Gefahrenabwehr in erster Linie mit Hilfe von Sanie- rungsmaßnahmen zu bewerkstelligen ist. Erst wenn Bei Anordnungen von Schutz- und Beschränkungs- Sanierungs- oder Sicherungsmaßnahmen nicht maßnahmen für land- und forstwirtschaftlich möglich oder unzumutbar sind, können stattdessen genutzten Flächen ist nach § 5 Abs. 5 BBodSchV Schutz- und Beschränkungsmaßnahmen ergriffen Einvernehmen mit der zuständigen landwirtschaft- werden. lichen Fachbehörde herzustellen. Dient darüber hi- naus die betroffene Fläche zum Lebens- oder Futter- Bei flächenhaften schädlichen Bodenveränderungen, mittelanbau empfiehlt sich zudem eine frühzeitige unabhängig vom vorhandenen Schadstoff, stellt sich Einbeziehung der zuständigen Stelle für Lebens- und die Frage der Verhältnismäßigkeit von klassischen Futtermittelüberwachung. Sanierungsmaßnahmen, wie sie bei hochkontami- nierten Altlasten Anwendung finden. Da in der Re- Zur Umsetzung notwendiger Maßnahmen der Ge- gel bei flächenhaftem Schadstoffaufkommen kein fahrenabwehr stehen verschiedene Verwaltungsin- Schadstoffherd bzw. keine einzelne Ursache vorhan- strumente zur Verfügung. Dazu gehören ordnungs- den ist (insb. bei Überschwemmungsgebieten oder rechtliche, aber auch freiwillige und vertragliche Immissionsgebieten). Zudem stellt die Vielzahl an Instrumente. Grundstücken und eine vielfältige Nutzung (Land- wirtschaft, Wohngebiete, Kinderspielflächen) eine besondere Herausforderung dar.
8 Ausblick
Auf Wunsch der Bund/Länderarbeitsgemeinschaften Sanierung von Boden- und Gewässerverunreinigun- für Wasser (LAWA) und Boden (LABO) hat der Bund gen durch PFC-Verbindungen sowie für die Entsor- die Federführung in einer neu eingerichteten PFC- gung PFC-haltiger Materialien erarbeiten. Weitere Bund-Länder Fachgruppe übernommen. Die Fach- Aktivitäten des UBA und geplante Projekte siehe [15]. gruppe soll u. a. Vorgaben für die Bewertung und
81 Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie – Altlasten-annual 2018
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82 Seminar Altlasten 2018 F. T. Lange, J. Müller, B. Körner, J. Janda, M. Scheurer, K. Nödler, F. Sacher, J. Brauch
Analytische Möglichkeiten zur Erfassung von sog. Präkursoren bei PFAS-Schadenfällen
F. T. Lange, J. Müller, B. Körner, J. Janda, M. Scheurer, K. Nödler, F. Sacher, J. Brauch
Einleitung
Mit der Einzelsubstanzanalytik auf poly- und per- terführenden Arbeiten wurde ein Verfahren mit der fluorierte Alkylverbindungen (PFAS; im deutschen Bezeichnung EOF (extrahierbares organisch gebun- Sprachraum oft auch als PFC bezeichnet) kann nur denes Fluor) für Bodenproben erarbeitet. AOF und ein gewisser Teil der in belasteten Umweltkomparti- EOF sind unabhängig von der Verfügbarkeit von menten vorhandenen PFAS bestimmt werden, wäh- Analysenstandards von Zielverbindungen. Beide rend sich wahrscheinlich ein Großteil aufgrund des Analysenverfahren basieren auf der Verbrennungs- Fehlens von analytischen Standards und Methoden analyse des adsorbierten bzw. extrahierten orga- der Analyse entzieht. Es wurde vermutet, dass vor nisch gebundenen Fluors. Im Vortrag wird schwer- allem in Bodenproben von belasteten Flächen, z. B. punktmäßig auf das Prinzip und die Anwendung Altlasten, aufgrund des Einsatzes von Fluortensiden der EOF-Analytik eingegangen. Basierend auf einer in Feuerlöschschäumen oder in anderen Feststoffen, ausführlichen Literaturrecherche wurden verschie- wie z. B. Papierschlämmen, PFAS vorliegen, die nicht dene Verfahrensvarianten zur Bestimmung des oder nicht vollständig mit den verfügbaren Analy- EOF geprüft und ein Konventionsverfahren festge- senmethoden erfassbar sind, und daher bislang quasi legt. Im Anschluss wurden Bodenproben von PFAS- nur „die Spitze des Eisbergs“ erkannt wird. Auch im belasteten Flächen aus den Bereichen Baden-Baden/ Grundwasser, insbesondere nahe der Kontaminati- Rastatt und Mannheim untersucht, die vermutlich onsquelle, können PFAS vorliegen, die mit den gän- im Zeitraum 2006–2008 mit Papierschlamm belas- gigen Methoden der Einzelsubstanzanalytik, z. B. tetem Kompost verunreinigt worden waren. Durch nach DIN 38407-42 und DIN 38414-14, derzeit nicht Vergleich mit dem Organofluor aus identifizierten analysierbar sind. Einzelverbindungen sollte ermittelt werden, (i) wie groß der unbekannte und als EOF gemessene Orga- Am TZW wurde daher schon vor einiger Zeit der nofluoranteil in diesen Proben ist und (ii) ob ein Zu- Parameter AOF (adsorbierbares organisch gebunde- sammenhang dieses summarischen Parameters mit nes Fluor) für die summarische Bestimmung von dem Organofluorgehalt der mittels HPLC-MS/MS- Organofluor in Wasserproben entwickelt. In wei- Analytik gemessenen PFAS existiert.
Analysenmethoden
Ähnlich wie bei der Bestimmung der adsorbierba- mittels einer Nitratwaschlösung ausgewaschen. Die ren organisch gebundenen Halogene (AOX) werden beladene Aktivkohle wird anschließend durch Ver- die in einer Wasserprobe (100 mL) vorhandenen Or- brennungsanalyse gekoppelt mit der Ionenchroma- ganofluorverbindungen im Säulenverfahren nach tografie (Combustion Ion Chromatography, CIC) als Ansäuern der Wasserprobe mit einer salpetersauren Fluorid bestimmt. Die Bestimmungsgrenze des Ver- Nitratlösung an einer fluorarmen Aktivkohle adsor- fahrens liegt bei 1 µg/L. biert. Mit angereichertes, anorganisches Fluorid wird
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Die EOF-Bestimmung ist angelehnt an eine Arbeit kalischen Milieu oxidiert wird. Dabei entstehen aus von Yeung et al. (Environ. Int. 2013, 389–397) und unbekannten PFAS-Vorläuferverbindungen Perfluor basiert auf der zweifachen Extraktion (Ultraschall alkancarbonsäuren (PFCA), die mittels HPLC-MS/ und Vortexmischen) des Bodens mit Methanol, ge- MS-Einzelstoffanalytik bestimmt werden können. folgt von einem Clean-up-Schritt (schwacher Anio- nenaustauscher) zur Entfernung des anorganischen Die vergleichenden Untersuchungen auf PFAS (Per- Fluorids aus dem Extrakt. Der verbleibende Organo fluoralkylcarboxylate und -sulfonate sowie einige fluorgehalt wird als EOF definiert und mittels CIC polyfluorierten Carboxylate und Sulfonate) wurden als Fluorid bestimmt. Diese Methode weist eine Be- nach DIN 38407-42 (Wasserproben) sowie in An- stimmungsgrenze von 50 µg/kg TS auf. Abbildung 1 lehnung an DIN 38414-14 durchgeführt. Zusätzlich zeigt das für die AOF- und EOF-Bestimmung ver- wurden mehrere Vertreter der Polyfluoralkyldiphos- wendete CIC-System. phate (diPAP) sowie der Sulfonamidoethanol-basierte Phosphatdiester (diSAmPAP), die als Mittel zur Ober- Neben der Analyse von Bodenproben wurde auch flächenveredelung und -beschichtung von Papieren, der sog. Total Oxidizable Precursor (TOP) Assay Kartons und Pappen für den Lebensmittelkontakt auf ausgewählte Bodenprobenextrakte angewendet. eingesetzt wurden, aus Bodenproben mittels einer Dabei wird der methanolische Extrakt in eine wäss- separaten HPLC-MS/MS-Methode bestimmt. rige Probe überführt, die mit Peroxodisulfat im al-
Abb. 1: CIC-System für die AOF- und EOF-Bestimmung.
84 Seminar Altlasten 2018 F. T. Lange, J. Müller, B. Körner, J. Janda, M. Scheurer, K. Nödler, F. Sacher, J. Brauch
Ergebnisse
Bei den bisherigen AOF-Analysen von PFAS belas- Der Vergleich der Einzelsubstanzanalytik auf PFAS teten Grundwässern wurde hauptsächlich in der einschließlich der Phosphatdiester und diSAmPAP unmittelbaren Nähe des Schadensherds, z. B. einem zeigte, dass in allen Fällen, in denen ein positives Feuerwehrlöschübungsplatz, ein größerer Prozent- Messergebnis für das EOF resultierte, die Summe satz in der Größenordnung von 50 % des über die des Organofluors aus bekannten Einzelverbindungen Einzelstoffanalytik nicht erklärbaren und als AOF zum Teil erheblich vom EOF abweicht (Abb. 2). gemessenen Organofluors gefunden. Der nicht erklärbare EOF-Anteil lag im Mittel der In den untersuchten Bodenproben wurden, bezo- untersuchten Proben bei etwa 50 %. Dies impliziert gen auf die Trockensubstanz (TS), EOF-Gehalte bis die Anwesenheit weiterer, nicht bekannter Orga- in den zweistelligen mg/kg-Bereich gemessen. Der nofluorverbindungen. Dabei könnte es sich um sog. höchste Wert von 66 mg/kg TS wurde in einer Pro- Präkursoren, also derzeit mit der Einzelsubstanzana- be eines Löschübungsplatzes gefunden. Aber auch lytik nicht erkannte fluorierte Verbindungen handeln, bei den mit Papierschlamm vermischtem Kompost die im Boden vorhanden sind und zu messbaren per- beaufschlagten Flächen aus dem Raum Rastatt/Ba- fluorierten Endprodukten abgebaut werden können. den-Baden und Mannheim lagen EOF-Gehalte bis Die inzwischen in einigen belasteten Flächen aus zu mehreren mg/kg TS vor. dem Raum Baden-Baden/Rastatt nachgewiesenen
10000
1400
8000 1200
1000 F l u o T S r g e g
k 6000 g / h a µ l
800 t n
i i
n t l µ h a g / k g r g e 4000 600 T S u o F l
400
2000
200
0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Fasern Probe # EOF F aus PAP (6,2, 6:2/8:2, 8:2 diPAP, 6:2 triPAP)
F aus PAP-Abbauprodukten (PFCA(C4-C12), 8:3-Säure) F aus diSAmPAP F aus diSAmPAP-Abbauprodukten (FOSA, PFOS) BG(EOF): 50 µg/kg
Abb. 2: Vergleich von EOF und dem aus den Konzentrationen der bekannten Einzelsubstanzen berechneten Organofluor in einer Auswahl von Böden und einer Faserprobe.
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