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Ausstellungen

!"#! %&' %()(*'+%,# und die Fotografie Zum Neuen Sehen in der Gegenwartskunst

11. April bis 25. August 2019

Unbekannter Gestalter, Plakat zur Ausstellung »Film und Foto«, 1929. Lithografie/Rasterdruck. Kunst bibliothek. © Kunstbibliothek SMB

Bau. Kamera und Nadelstreifenhose waren als Die Präsentation von Moholy-Nagy veran- mo numentales Formgebilde akzentuiert, das schaulichte die Kontinuität formaler und opti- dem leuchtenden Titel einen wirkungsvollen scher Qualitäten der Fotografie ebenso wie den Fond bot, die Züge des eigentlichen Akteurs, des zukunftsweisenden Einfluss der technischen Bildjournalisten Willi Ruge, jedoch im Neben- Bild medien auf die Kultur der Gegenwart. Zudem säch lichen beließ. mündete sie in direkt in eine Werkschau Doch was erwartete die Besucher? Zeitschrif- von Moholy-Nagy selbst. Hier zeigte er 97 foto- ten wie »Die Form« versprachen einen syste- grafische Arbeiten, darunter unbezeichnet auch matischen Überblick über die neuesten Arbeits- solche seiner Frau . Anhand von und Gestaltungsweisen von Fotografie und Film. nahsichtigen Porträtfragmenten, konstruktivis- Begleitbücher zur Ausstellung ermunterten: tischen Architekturaufnahmen aus ungewöhn- »[L] egen Sie die Vorurteile ab und glauben Sie licher Perspektive, spielerischen Fotocollagen auch einmal ganz dem Auge.« ² Tatsächlich kon - oder kühn konfigurierten Lichträumen in Foto- frontierte der Avantgardekünstler und ehemali- grammen erschloss sich ein Bildprogramm, das ge Bauhauslehrer László Moholy-Nagy das Pu- mit Blick auf den vorangehenden Raum auch blikum mit einem entsprechenden Bildprogramm . die Inspirationsquellen des Künstlers verriet. »Wohin heute mit dem Erlebnishunger nach Neu- Unter dem Motto »Wohin geht die fotografische Eine kuratorisch-szenografische Rekonstruk- em?« Diese Frage stellte 1929 der Kunsthisto- Entwicklung?« zeigte der von ihm konzipierte tion der von Moholy-Nagy für Stuttgart und Ber- riker Max Deri in der »BZ am Mittag« und be- Raum die vielfältigsten fotografischen Genres – lin konzipierten Räume von Kai-Uwe Hemken fand: »Er hat sich zum großen Teil in die Photo- von der dokumentarischen Erfassung der Welt in Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule graphie geflüchtet.« Wie aber mit deren Hilfe über die Fixierung von Bewegung bis hin zur be- Kassel präsentiert das Museum für Fotografie eine neue Welt entdecken, fragte er sich weiter wussten Gestaltung mit Licht und Schatten. Dort zum 100-jährigen Gründungsjubiläum des Bau- und benannte, was in seinen Augen die moderne hingen nicht nur Studioporträts aus dem 19. Jahr- hauses. Ergänzt wird sie durch Beispiele der Foto- Fotografie kennzeichnete: »Vergrößerung, Ver- hundert oder Fahndungsfotos, sondern ebenso grafie des Neuen Sehens aus der Kunstbiblio- kleinerung und dennoch schärfste Deutlichkeit, naturwissenschaftliche Aufnahmen von Pflanzen thek, die als Veranstalterin der Berliner »FiFo« Zerstückung oder Verzerrung der gewohnten ›Seh- sowie Röntgenbilder, journalistische Reporta- bedeutende Werke aus der damaligen Schau gestalten‹ sowie die Verbindung dieser Stück- und gen, Luftaufnahmen und optische Spielereien, erwarb. Die Auswahl assoziiert das von Moholy- Zerrgestalten« zu neuartigen Kombinationen.¹ die dem experimentellen Selbstporträt Ruges Nagy angeregte vergleichende Spiel mit Bildern, Eine solche Zerrgestalt warb im selben Jahr auf auf dem »FiFo«-Plakat überraschend verwandt Wahrnehmungs- und Anwendungsweisen und einem Plakat für die internationale Wanderaus- scheinen. Gerade der Vergleich von historischen konfrontiert die Fotografien der 1920er-Jahre stellung des Deutschen Werkbunds »Film und und zeitgenössischen Beispielen offenbarte das mit denen des 19. Jahrhunderts. Hinzu kommt Foto« (kurz »FiFo«) im ehemaligen Berliner kreative Potenzial der Fotografie für das Neue ein von Thomas Tode zusammengestelltes Film- Kunst gewerbemuseum, dem heutigen Gropius Sehen. programm.

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Wohin geht die fotografische Entwicklung? – Diese Frage beantworten im zweiten Teil der Aus- stellung Fotoarbeiten von Künstlern wie Thomas Ruff, Dominique Teufen, Daniel T. Braun, Wolf- gang Tillmans, Doug Fogelson, Taiyo Onorato & Nico Krebs, Max de Esteban, Viviane Sassen, Stefanie Seufert, Kris Scholz, Antje Hanebeck und Douglas Gordon. Konzipiert von Kris Scholz und Christoph Schaden, nimmt die Ausstellung exemplarisch solche Positionen in den Blick, die mit den am Bauhaus erprobten experimentellen Ausdrucksmitteln des Neuen Sehens in einen Di- alog treten. Ausgehend von der These, dass es eine spezifische Bauhaus-Fotografie nie, wohl László Moholy-Nagy, aber eine enorme Vielfalt von bis heute faszinie- Fotogramm (Fotogramm mit Eiffelturm), renden Gestaltungs- und Anwendungsvarian- um 1925/1928–29. ten an der Schule gegeben hat, wird ein breites Silbergelatineabzug Panorama von Bild- und Werkkonzepten vorge- (Reproduktion des Künstlers vom Original). stellt. So spannt sich der Bogen von abstrakten Kunst bibliothek. Formspielen, kinetischen Licht- oder architekto- © Kunstbibliothek SMB nischen Fotogrammskulpturen über Zeit-, Raum- und Strukturcollagen bis hin zu fantastischen Wahrnehmungsirritationen und politischen Posi- Ein assoziativer Austausch mit den Arbeiten Viviane Sassen stellt in Afrika große Glasplat- tionen. Dazu eröffnet die Farbfotografie weitere des frühen 20. Jahrhunderts entsteht über ele- ten wie Farbfilter vor eine Salzwüstenlandschaft. Dimensionen, beweisen technische Geräte wie mentare fotografische Spezifika: Experimente Ihre Bilder lassen an die Bühnenspiele am Bau- Computer, D-Drucker und Kopierer ihr Potenzi- mit Licht, Perspektive und dynamischer Fragmen- haus mit ihren divergierenden Sicht- und Raum- al für neue optische Bildlösungen. tierung oder mit spielerischen Material erkun- ebenen denken, aber auch an die konstruktivis- dungen. So fangen Onorato & tischen Arbeiten von Florence Henri. Täuschung Krebs das freie Spiel des Lichts und zudem einen grundsätzlich medientheore- mit eigens entwickelten Rotati- tisch fundierten Skeptizismus präsentiert Max onsapparaturen ein und insze- de Esteban in seinen digitalen Collagen, während nieren es zu geometrisch-magi- Wolfgang Tillmans mit seiner Plakatserie von schen Raumgebilden. Ähnlich 2016 die Anti-Brexit-Kampagne befeuerte. Diese verrätselt schweben Teile ei- Positionen zeigen, dass die Entwicklung fotogra- nes Gyro skops auf schwarzem fischer Bildsprachen ein fortdauernder Prozess Grund in Fotogrammen von ist, der auf den Kreationen der Vergangenheit Moholy-Nagy oder . basiert, aber die Zukunft offen lässt. Allein die ungegenständliche Form des Lichts hat hier ihre C‚',"),ƒ# K&‚ƒ Spuren hinterlassen. Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek SMB . Zur Ausstellung erscheint das gleichnamige Buch »Bauhaus und die Fotografie. Zum Neuen Sehen in der Gegenwartskunst«, herausgegeben von Corina Gertz, Christoph Schaden und Kris Scholz, Kerber Verlag, Bielefeld, 40 €. Taiyo Onorato & Nico Krebs, Anmerkungen Spin 07 (green brown), 2012. † Max Deri: Die erweiterte Welt, in: B. Z. am Mittag, Farbabzug. Mit freundlicher 6. Mai 1929, Erstes Beiblatt Genehmigung der Künstler ‡ Hans Richter: Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen. Unter Mitarbeit von Werner Gräff, Berlin 1929, und Sies + Höke, Düsseldorf. S. 64 © Taiyo Onorato & Nico Krebs

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