Protokoll-Nr. 19/62

19. Wahlperiode Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtent- wicklung und Kommunen

Wortprotokoll der 62. Sitzung

Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Berlin, den 18. November 2020, 18:00 Uhr PLH E.400, Konrad-Adenauer-Straße 1, 10557 Berlin Paul-Löbe-Haus E.400

Vorsitz: , MdB

Tagesordnung - Öffentliche Anhörung

Tagesordnungspunkt 1 Seite 5 a) Antrag der Abgeordneten , Fabio Federführend: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und De Masi, -Förster, weiterer Ab- Kommunen geordneter und der Fraktion DIE LINKE. Mitberatend: Finanzausschuss Gleichwertige Lebensverhältnisse in starken Haushaltsausschuss Kommunen Berichterstatter/in: Abg. Torsten Schweiger [CDU/CSU] BT-Drucksache 19/17772 Abg. [SPD] Abg. Udo Theodor Hemmelgarn [AfD] Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP] Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE.] Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]

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b) Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Federführend: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und , , weiterer Abgeordne- Kommunen ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mitberatend: Ausschuss für Inneres und Heimat Gleichwertige Lebensverhältnisse überall – Gutes Ausschuss für Wirtschaft und Energie Leben und schnell unterwegs in Stadt, Land und Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Netz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur BT-Drucksache 19/10639 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien Berichterstatter/in: Abg. Torsten Schweiger [CDU/CSU] Abg. Bernhard Daldrup [SPD] Abg. Udo Theodor Hemmelgarn [AfD] Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP] Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE.] Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]

c) Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Britta Federführend: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Haßelmann, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter Kommunen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mitberatend: Ausschuss für Inneres und Heimat Pakt für lebenswerte Regionen schließen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft BT-Drucksache 19/10640 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Berichterstatter/in: Abg. Torsten Schweiger [CDU/CSU] Abg. Bernhard Daldrup [SPD] Abg. Udo Theodor Hemmelgarn [AfD] Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP] Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE.] Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]

19. Wahlperiode Protokoll der 62. Sitzung Seite 2 von 23 vom 18. November 2020

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Mitglieder des Ausschusses Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder CDU/CSU Heil, Mechthild Benning, Sybille Hirte, , Christian Kießling, Michael Lange, Ulrich Möring, Karsten Luczak, Dr. Jan-Marco Pols, Eckhard Nicolaisen, Petra Schweiger, Torsten Oßner, Florian Wegner, Kai Simon, Björn Weisgerber, Dr. Anja Stracke, Stephan Zeulner, Emmi Throm, Alexander SPD Daldrup, Bernhard Bartol, Sören Kaiser, Elisabeth Gerster, Martin Mindrup, Klaus Korkmaz-Emre, Elvan Nissen, Ulli Müller (Chemnitz), Detlef Tausend, Claudia Müller, Bettina AfD Bernhard, Marc Chrupalla, Tino Hemmelgarn, Udo Theodor Pasemann, , Frank Spangenberg, Detlev FDP Föst, Daniel Faber, Dr. Marcus Reinhold, Hagen Sitta, Frank Strack-Zimmermann, Dr. Marie-Agnes Todtenhausen, Manfred DIE LINKE. Kassner, Kerstin Gohlke, Nicole Lay, Caren Tatti, Jessica BÜNDNIS 90/DIE Kühn (Tübingen), Christian Haßelmann, Britta GRÜNEN Wagner, Daniela Schmidt, Stefan

19. Wahlperiode Protokoll der 62. Sitzung Seite 3 von 23 vom 18. November 2020

Anlage

Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung 19. Wahlperiode und Kommunen Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen

Liste der Sachverständigen Öffentliche Anhörung zum Thema Gleichwertige Lebensverhältnisse, Anträge auf Bundestagsdrucksachen 19/17772, 19/10639, 19/10640, am Mittwoch, 18. November 2020, PLH E.400, 18:00 Uhr

Prof. Dr. Peter Dehne Fachbereich Landschaftswissenschaften und Geomatik, Hochschule Neubrandenburg Dr. Markus Eltges Leiter, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Prof. Dr. Martin Junkernheinrich Lehrstuhl für Stadt-, Regional- und Umweltökonomie, Technische Universität Kaiserslautern Dr. phil. Andreas Kallert Philipps Universität Marburg Uwe Lübking Beigeordneter für Recht, Soziales, Bildung und Sport, Deutscher Städte- und Gemeindebund Dr. Klaus-Heiner Röhl Senior Economist für Unternehmen, Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) Prof. Dr. Martin T. W. Rosenfeld Forschungsstelle Innovative Kommunalentwicklung und Daseinsvorsorge, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Hilmar von Lojewski Beigeordneter und Leiter der Abteilung Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr, Deutscher Städtetag Matthias Wohltmann Beigeordneter Dezernat III, Deutscher Landkreistag

19. Wahlperiode Protokoll der 62. Sitzung Seite 4 von 23 vom 18. November 2020

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Tagesordnungspunkt 1 kommt aus dem Fachbereich Landschaftswissen- schaften und Geomatik der Hochschule Neubran- a) Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Fabio denburg. Dann haben wir Dr. Markus Eltges da, De Masi, Heidrun Bluhm-Förster, weiterer Abge- auch per Video, er ist der Leiter des Bundesinsti- ordneter und der Fraktion DIE LINKE. tuts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Gleichwertige Lebensverhältnisse in starken Kom- Dann haben wir Prof. Dr. Martin Junkernheinrich munen da, er hat den Lehrstuhl für Stadt-, Regional- und Umweltökonomie an der Technischen Universität BT-Drucksache 19/17772 Kaiserslautern. Herzlichen Gruß von mir, ich war da auch einmal, aber da waren Sie, glaube ich, noch nicht da. b) Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Markus Tressel, Harald Ebner, weiterer Abgeordne- Prof. Dr. Martin Junkernheinrich (TU Kaiserslau- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tern): Ich bin erst seit zehn Jahren da. Es könnte sein, dass wir uns hier nicht getroffen haben. Gleichwertige Lebensverhältnisse überall – Gutes Leben und schnell unterwegs in Stadt, Land und Die Vorsitzende: Sprechen wir nicht drüber. Dann Netz haben wir uns nicht getroffen. Aber ich bin froh, dass wir dann so ein bisschen Heimat auch hier ha- BT-Drucksache 19/10639 ben. Es gab damals noch den Studiengang „Raum- und Umweltplanung“ mit den Architekten und den Bauingenieuren zusammen. Ich will Sie hier nicht c) Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Britta bevorzugen, aber so ein bisschen Heimatgefühle Haßelmann, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter habe ich da. Ihnen ein herzliches Willkommen. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dann haben wir Dr. Kallert, der ist hier im Saal. Pakt für lebenswerte Regionen schließen Auch Ihnen ein Willkommen. Uwe Lübking ist als Beigeordneter für Recht, Soziales, Bildung und BT-Drucksache 19/10640 Sport vom Deutschen Städte- und Gemeindebund per Video zugeschaltet. Hier im Saal haben wir Dr. Röhl. Er ist vom Institut der deutschen Wirtschaft. Die Vorsitzende: Ich begrüße Sie ganz herzlich zu Ihnen ein herzliches Willkommen. Dann haben wir unserer 62. Sitzung. Wir haben heute eine öffentli- per Video noch Prof. Dr. Martin Rosenfeld. Er ist che Sitzung zum Thema „Gleichwertige Lebensver- von der Forschungsstelle Innovative Kommunal- hältnisse“. Wir machen das, wie immer, hybrid im entwicklung und Daseinsvorsorge an der Martin- Saal und per Video, deswegen noch einmal herzli- Luther-Universität in Halle-Wittenberg. Dann ha- chen Dank an die beiden die hier in Präsenz sind, ben wir per Video Hilmar von Lojewski, ein treuer sonst wäre es ja fast nicht mehr hybrid, weil die Kunde unserer Anhörungen. Er ist Beigeordneter meisten heute an den Bildschirmen sind. Auch an und Leiter der Abteilung Stadtentwicklung, Bauen, Sie ein herzliches Willkommen. Ich begrüße an den Wohnen und Verkehr beim Deutschen Städtetag. Videogeräten auch den Parlamentarischen Staats- Matthias Wohltmann ist per Video zugeschaltet. Er sekretär , und aus dem BMI Frau ist Beigeordneter im Dezernat III beim Deutschen Moosmayer hier im Raum. Schön, dass Sie da sind. Landkreistag. Noch einmal danke an die Fachleute, Wir haben eine öffentliche Anhörung, die Öffent- dass Sie uns hier mit Ihrer Expertise zur Verfügung lichkeit ist zwar jetzt nicht direkt live zugeschaltet, stehen. wir nehmen das aber auf, und weil noch ein ande- Neben der Videoaufzeichnung, die nachher alle se- rer Ausschuss vor uns dran ist, wird das dann ab hen können, gibt es natürlich auch ein Wortproto- 20:30 Uhr veröffentlicht werden. Da können Sie koll. Dankenswerterweise haben Sie, als Fachleute, dann alles noch einmal nachhören. uns schon vorab schriftliche Stellungnahmen zu- Wir haben ganz viele kompetente Fachleute hier an kommen lassen. Deswegen machen wir das so, wie den Videogeräten. Ich darf unsere Sachverständi- wir es immer machen. Wir machen in den andert- gen vorstellen, zunächst Prof. Dr. Peter Dehne, er halb Stunden zwei, vielleicht auch drei Frage- und Antwortrunden. Deswegen rufe ich den ersten und

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einzigen Tagesordnungspunkt auf. Wir haben einen sei einmal dahingestellt. Der Bund ist insbesondere Antrag der Fraktion DIE LINKE zu gleichwertigen deshalb in der Verantwortung, oder sagen wir bes- Lebensverhältnissen vorliegen, von der Fraktion ser Mitverantwortung, weil er den Kommunen, vor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zwei Anträge, „Gleiche allem im Bereich Kosten der Unterkunft (KdU), Lebensverhältnisse überall“ und „Pakt für lebens- eine sehr kostenintensive Aufgabe übertragen und werte Regionen schließen“. Wir planen zwei Run- dafür nicht die ausreichende Finanzierung über- den. Fünf Minuten für Frage und Antwort, das sei nommen hat. Kommunen mit einer ungünstigen vor allem den Kollegen gesagt, dass Sie nicht so Sozialstruktur aus hoher Arbeitslosigkeit oder auch lange Fragen stellen, damit die Sachverständigen hoher Altersarmut haben hohe Ausgaben in diesem auch noch Zeit haben, zu antworten. Die Kollegin- Bereich. Der Zusammenhang zwischen Anteil der nen und Kollegen Abgeordneten, die nicht dem Menschen in SGB-II-Bezug und Schulden ist empi- Ausschuss angehören, aber hier teilnehmen wollen, risch ziemlich evident. Je höher der Anteil der müssen sich bitte mit ihren Kollegen aus den Frak- Menschen in diesem Bezug ist, desto stärker sind tionen abstimmen, ob Sie hier Fragen stellen kön- die Kommunen durch die Kosten der Unterkunft nen. Sie können das machen, aber es geht dann auf belastet und müssen tendenziell mehr Schulden das Kontingent der Fraktion. Dann kommen wir zur aufnehmen. Wir sehen hier eine Determinante der ersten Fragerunde. Wir machen das immer so, dass Verschuldung. Das betrifft vor allem die struktur- die Antragsteller zuerst fragen und deswegen wür- und finanzschwachen Kommunen, die auch noch den wir mit der Fraktion DIE LINKE. anfangen, weniger Einnahmen haben. Sie sind gegenüber dann kommt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dann wirtschaftsstarken Kommunen doppelt benachtei- die CDU/CSU. Wer von den Linken stellt die erste ligt. Sie haben weniger Steuereinnahmen bei Frage? Frau Kassner, bitteschön. gleichzeitig höheren Ausgaben. Deshalb ist auch die Anhäufung der besonders problematischen Kas- Abg. Kerstin Kassner (DIE LINKE.): Vielen Dank senkredite weniger von den Kommunen selbst ver- und guten Abend in die Runde. Ich würde gerne ursacht, als das Ergebnis dessen, dass die Kosten gleich zum Casus knacksus kommen, der mich am der Unterkunft wirtschaftsschwache Kommunen meisten umtreibt, auch aufgrund meiner Erfahrun- deutlich mehr belasten als wirtschaftsstarke. gen als ehemalige Landrätin. Es wird den Kommu- nen ja oft pauschal unterstellt, dass sie schlecht Die Aufstockung der Bundesbeteiligung auf 74 Pro- wirtschaften, dass sie selbst schuld sind, wenn sie zent, die kürzlich hier im Deutschen be- in die roten Zahlen rutschen und es wird auch im- schlossen worden ist, ist sehr begrüßenswert und mer gesagt, wenn das dann so ist, dann ist das Land hilft auch an der richtigen Stelle, bei den Kommu- in der Pflicht, das jeweilige Bundesland. Es ist nen, die das besonders brauchen. Dennoch, die keine Aufgabenstellung für den Bund, den Kommu- Kommunen tragen weiterhin ein Viertel der Kosten nen Unterstützung zu geben. Deshalb würde ich und dieses Viertel fällt unterschiedlich stark ins Sie, Herr Dr. Kallert, fragen wollen, wie Sie das se- Gewicht, je nach Wirtschaftskraft, Sozialstruktur hen. Die Ursachen für die Altschulden, wie Sie das etc. Vor allem haben wir weiterhin das Problem, Fortbestehen der Schulden sehen, oder ob Sie die dass die aufgelaufenen Schulden ja unangetastet Notwendigkeit der Entschuldung für notwendig er- bleiben. Da kommen wir zu dem Punkt der Alt- achten; auch die Rolle von Land und Bund. Wo ist schuldenproblematik. In der Verantwortung ist der die Verantwortung hier für den Bund zu sehen oder Bund aber auch unter dem Aspekt der gleichwerti- gibt es sie gar nicht? gen Lebensverhältnisse. Die Altschuldenproblema- tik ist für die betroffenen Kommunen ein Teufels- Die Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Dr. Kallert, kreis aus hohen Tilgungslasten, Wirtschaftsschwä- wenn Sie antworten wollen. che, hohen Soziallasten, Belastungen für die Bürge- Dr. phil. Andreas Kallert (Universität Marburg): rinnen und Bürger vor Ort, maroder Infrastruktur, Vielen Dank für die Frage. Es gibt meines Erachtens etc. Wir sehen dann eine immer weiter sinkende mehrere gute Gründe, weshalb sich der Bund in der Attraktivität. Das sind sich selbst verstärkende Ef- Altschuldenproblematik engagieren sollte. Ob das fekte, mit dem Ergebnis wachsender räumlicher jetzt mit einem Altschuldenfonds in Bundeshand Disparitäten und ungleichwertiger Lebensverhält- passiert, wie es in einem der Anträge steht, oder nisse. Insofern kann man schon sagen: Wer sich die zusammen mit den Ländern und Kommunen, das gleichwertigen Lebensverhältnisse auf die Fahnen

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schreibt, und das macht der Bund, der kommt an dass über die Demografie und Alterung die Frage der Lösung der Altschuldenproblematik nicht vor- des guten Lebens sowohl für ältere Menschen, aber bei, auch wenn die Bundesländer natürlich selbst auch für jüngere Menschen, Familien und die Frage ebenfalls in der Verantwortung stehen. des Zuzugs ganz zentral sind. Damit stehen solche Dinge wie differenzierte Wohnformen, Pflege, Ge- Die Vorsitzende: Vielen Dank. Dann der zweite An- sundheit, Mobilität für ältere Menschen oder auch tragsteller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Haß- Bildung, gute Arbeitsplätze, Freizeit und Kultur im elmann. Mittelpunkt. Das ist letztendlich dann nicht nur die Abg. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hardware, die auch wichtig ist, so etwas wie NEN): Vielen Dank, Frau Vorsitzende. Auch ich schnelles Internet, Ver- und Entsorgung, Straßener- freue mich, dass wir heute die Anhörung machen schließung usw., es sind auch die sozialen Dinge, können und danke allen Sachverständigen für Ihre die weiche Infrastruktur, die letztendlich heute, Stellungnahmen. Es besteht Handlungsbedarf, um aus meiner Sicht, viel entscheidender ist. Wie die die Förderung im Bereich der Daseinsvorsorge von Fragen: Wo will ich leben und wo will ich arbei- der Bundesebene aus effektiver zu gestalten und ten? Das prägt sich letztendlich auch in dem Wett- die Kommunen bedarfsgerecht auszustatten. Meine bewerb der Regionen aus. Für die ländlichen erste Frage geht an Herrn Professor Dr. Dehne. Sie Räume ist heute die Daseinsvorsorge der Schlüssel erklären in Ihrer Stellungnahme, dass eine stärkere der Entwicklung. Natürlich gilt das auch für struk- Ausrichtung bestehender Förderprogramme auf die turschwache städtische Räume. Da würde ich es et- Daseinsvorsorge in den letzten Jahren schon viel- was differenzieren, weil hier natürlich die Erreich- fach geschehen sei, aber, und das ist das Interes- barkeiten andere sind. Da müsste man Daseinsvor- sante, nur mit sehr begrenzter Wirkung. Gehen Sie sorge aber anders verstehen, als nur als Bereitstel- davon aus, dass eine eigene Förderlinie für den Be- lung von Angeboten und Dienstleistungen. Man reich regionale Daseinsvorsorge nötig ist? Was müsste sich das eher von den Zielen her angucken. würde sich real bei den Menschen in den Regionen Es geht darum, wie man gute Rahmenbedingungen ändern, wenn es die Gemeinschaftsaufgabe regio- für Gesundheit, gute Rahmenbedingungen für Mo- nale Daseinsvorsorge, wie in unseren Anträgen for- bilität und gute Rahmenbedingungen für Bildung muliert, heute bereits gäbe? Sehen Sie da einen Ef- schaffen kann. Auf diese Ziele ausgerichtet geht es fekt, auch langfristig? Was glauben Sie, welche Vor- dann am Ende auch um mehr als nur den ÖPNV, teile hätte die Einführung einer neuen Gemein- sondern eher um das Zusammenspiel unterschied- schaftsaufgabe gegenüber anderen Förderstrate- lichster Mobilitätsformen. Diese Komplexität zu er- gien? fassen, gelingt nur, wenn man auch eine starke För- derung darauf ausrichtet, auf dieses Thema Da- Ich würde gerne noch zu der Frage Altschulden- seinsvorsorge. Man kann sagen: Dann geht es ja problematik, Investitionsrückstand und Aufsto- gleich darum, die kommunalen Finanzen zu stär- ckung der Entfristung des Kommunalinvestitions- ken. Es braucht aber auch eine gewisse inhaltliche förderfonds zur Finanzierung finanzschwacher und strategische Orientierung und diese Orientie- Kommunen Herrn Lübking und auch Herrn Profes- rung kann eher über eine Förderlinie oder eine Ge- sor Dr. Junkernheinrich um eine Einschätzung bit- meinschaftsaufgabe geschaffen werden. Es braucht ten. zum Teil auch in den Regionen und vor Ort in den Die Vorsitzende: Dann fangen wir mit Herrn Profes- Kommunen den Anstoß. Das zweite Argument ist, sor Dr. Dehne an und dann folgt Herr Lübking. zu sagen, die Förderlandschaft gibt es ja schon und wir brauchen letztendlich nur noch die Förderin- Prof. Dr. Peter Dehne (Hochschule Neubranden- strumente über die Gemeinschaftsaufgabe Verbes- burg): Das waren eine ganze Menge Fragen auf ein- serung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW), mal. Ich versuche das ein bisschen zu konzentrie- Städtebauförderung, Gemeinschaftsaufgabe Agrar- ren. Ich halte es schon für sinnvoll und vor allen struktur und Küstenschutz (GAK) etc. zu koordinie- Dingen auch für strukturschwache Regionen für er- ren, entweder auf den oberen Ebenen oder auf der forderlich, dass das Thema Daseinsvorsorge durch kommunalen Ebene. Ich glaube aber, dass es mehr eine eigene Förderlinie gestärkt wird. Wenn man Klarheit bedeutet und mehr Schärfung und mehr sich die zentralen Herausforderungen, gerade in Fokussierung, wenn so ein zentrales Thema für die ländlichen Regionen, anguckt, sehe ich es schon so,

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Entwicklung der Regionen in einer Programmlinie dann sieht man, auch wenn wir eine Phase des Be- zusammengefasst wird. Es ist letztendlich gar nicht völkerungswachstums gehabt haben, dass auch im- so sehr der Fall, dass dadurch das Ganze noch mer mehr Gebiete in den alten Bundesländern un- komplizierter wird, sondern ich erwarte mir eher ter strukturellen Problemen leiden, auch unter dem davon, dass Dinge zusammengefasst werden und Aspekt der Bevölkerungsentwicklung. Wir haben stärker und klarer werden und damit auch die poli- keine einseitige Belastung im Osten. Wir müssen tische und gesellschaftliche Bedeutung des Themas auch an die Regionen im Westen denken. Auch Re- Daseinsvorsorge letztendlich gestärkt wird. gionen wie das Ruhrgebiet zählen, nach wie vor, zu den strukturschwachen Gebieten in Deutschland, Die Vorsitzende: Vielen Dank. Dann wären wir jetzt die auch einer großen Aufmerksamkeit bedürfen. bei Herrn Schweiger, der die nächste Frage für die CDU/CSU stellt. Die Frage Altschuldenfonds: Wie ist meine Mei- nung dazu? Es wurde eben schon gesagt, wir haben Abg. Torsten Schweiger (CDU/CSU): Vielen Dank, ein echtes Finanzproblem der Kommunen. Es ist Frau Vorsitzende. Meine Frage würde sich an gesagt worden, dass es strukturelle Begründungen Dr. Eltges richten. Ich habe da ein paar kleine Teil- gibt, weshalb die eine Gemeinde stärker verschul- fragen. Punkt eins: In dem Antrag der Linken wird det ist, als die andere. Wir stellen fest, dass Kom- davon gesprochen, dass die Gleichwertigkeit vor- munen wirkliche Probleme haben, ihre Schulden rangig ein Problem von Ost und West ist. Stimmt abzubauen, aber wir stellen genauso fest, dass in das Ihrer Meinung nach oder kennt Strukturschwä- der Vergangenheit verschiedene Länder durch che keine Himmelsrichtungen? kommunale Entschuldungsfonds beim Abbau der Zweite Teilfrage: Da wird davon geredet, dass es ei- kommunalen Schulden sehr große Anstrengungen nen Altschuldenfonds komplett als Bundesfonds unternommen und Erfolge erzielt haben. Ob der geben soll. Was halten Sie davon? Bund sich an einem kommunalen Altschulden- fonds beteiligen soll, ist im Grunde eine politische Dritte Frage: Es wird gesagt, die Ziele und Leitbil- Frage. Der Weg, der jetzt beschritten worden ist, der der Raumordnung müssten überarbeitet wer- dass der Bund sich nicht direkt an einem Altschul- den, um Zentralisierung zu vermeiden. Meine denfonds beteiligt hat, sondern über die Erhöhung Frage: Ist das Zentrale-Orte-Prinzip damit infrage seines Anteils bei den Kosten der Unterkunft ge- gestellt und was halten Sie davon? rade strukturschwache Gemeinden unterstützt, ist Letzte Teilfrage: Es wir von einer Kompetenzagen- nach meinem Dafürhalten ein zielgerichteter An- tur für Investitionen gesprochen, die die Kommu- satz, um genau die Gemeinden zu unterstützen, die nen bei Projekten unterstützen soll. Ist es tatsäch- den größten Bedarf haben. lich so, dass die Kommunen nicht in der Lage sind, Die Frage nach dem Zentrale-Orte-Prinzip: Ist das Förderanträge zu platzieren, oder wie verhält sich ein veraltetes Prinzip? Ich sage einmal ganz klar: das Ihrer Meinung nach? Vielen Dank. Nein. Es ist ein gutes Prinzip, was uns gerade da- Die Vorsitzende: Danke für die Fragen. Herr Dr. Elt- hingehend unterstützt, zentrale Funktionen der Da- ges, dann könnten Sie jetzt antworten. seinsvorsorge unter dem Aspekt der ökonomischen Langzeittragfähigkeit im Raum zu installieren. Dr. Markus Eltges (BBSR): Vielen Dank für die Fra- Meine Empfehlung ist, am Zentralen-Orte-System gen. Zur ersten Frage, ob Gleichwertigkeit der Le- festzuhalten und es sogar noch zu stärken, insbe- bensverhältnisse ein Ost-West-Problem ist, mit ei- sondere durch klar formulierte Ausstattungskata- nem Schwerpunkt auf dem Osten Deutschlands. loge. Ganz klare Antwort: Nein. Die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse wird in Deutschland so- Sind Kommunen nicht in der Lage, Anträge zu stel- wohl auf die westlichen wie auf die neuen Bundes- len? Ich denke einmal, das ist von Kommune zu länder bezogen. Wir haben das nicht nur im Osten Kommune unterschiedlich. Wir stellen aber in der Deutschlands. Es gibt viele ländliche periphere Re- Tat fest, dass wir es mit eine Vielzahl von Projekten gionen, die größere Probleme haben als Gebiete in und Förderprogrammen zu tun haben. Wir stellen, den neuen Bundesländern. Wenn man sich die de- im Rahmen all unserer Studien fest, dass wir zwei mografische Entwicklung im Besonderen anschaut, große Probleme haben. Das eine ist, dass die kom- munale Eigenanteilfinanzierung den Kommunen

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Probleme macht und das andere ist, dass sie nicht ausgegangen werden kann, zeigt, dass aus den viel- genügend qualifiziertes Personal vor Ort haben, um fältigen Zusammenkünften in den Arbeitsgruppen- die Anträge zu stellen. Von daher gesehen ist es sitzungen die richtigen Schlüsse gezogen worden schon gut, wenn man gerade in strukturschwachen sind. Wir sind zumindest mit diesem Teil zufrie- Regionen Gemeindeverbänden über solche Kompe- den. tenzagenturen eine Unterstützung gibt, so wie es in Ihre Frage war, ob jetzt die Fragestellungen in den einzelnen Bundesländern auch schon der Fall ist. beiden Anträgen in die falsche Richtung zielen. Ich Die Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Dr. Eltges. Jetzt glaube, da gibt es kein falsch oder richtig. Wenn Sie haben wir von der AfD Herrn Hemmelgarn. Bitte- 23 Programme durchdeklinieren, werden Sie für al- schön. les etwas finden. Diejenigen, die Fördermittelpro- gramme verwalten und die über Abweichungen Abg. (AfD): Erst einmal vielen von Förderrichtlinien zu befinden haben, sind in Dank, Frau Vorsitzende. Auch von mir ein herzli- der Regel auch so flexibel, dass sie sagen: „Das ches Dankeschön an die Sachverständigen für Ihre kriegen wir auch gefördert, wenn es ein sinnvolles Vorträge. Meine erste Frage geht an Herrn von Projekt ist.“ Das ist vielleicht eher der Blick in die Lojewski vom Deutschen Städtetag. Herr von Förderpraxis. Zumindest haben wir diese Erfah- Lojewski, Sie betonen in Ihrer Stellungnahme rich- rung im Bereich der Städtebauförderung gemacht, tigerweise, dass die bestehenden Förderprogramme dass wir eigentlich alles gefördert bekommen, was gezielt die Wirtschaftskraft, die Beschäftigung und man auf den Weg bringen möchte und was sinnvoll das Einkommen in strukturschwachen Regionen ist. Da regiert im Vollzug glücklicherweise nicht stärken sollen. Das haben wir in dieser Klarheit in immer nur die Form, sondern manchmal auch der den anderen Stellungnahmen nicht gefunden. In gesunde Menschenverstand. den vorliegenden Anträgen findet sich jetzt eine Vielzahl von Forderungen, die allerdings, nach un- Wir möchten für den Deutschen Städtetag der Ziel- serem Verständnis, in den meisten Fällen nicht setzung der beiden antragstellenden Fraktionen sonderlich zielgerichtet auf die genannten Parame- nicht direkt widersprechen. Wir glauben, dass es ter Wirtschaftskraft, Beschäftigung und Einkommen durchaus Berechtigungen und hinreichende Be- wirken. Meine Frage: Sind die in den Anträgen ent- gründungen gibt, teilgebietsweise, regionalspezi- haltenen Forderungen ganz oder teilweise geeignet, fisch und ortsspezifisch bestimmte Dinge voranzu- die maßgeblichen Parameter zielgerecht zu verbes- bringen. Wir glauben aber, dass sich dafür mit die- sern oder wird hier nach dem Prinzip Hoffnung sem integrierten Förderansatz, der nunmehr ver- mehr Geld und mehr Bürokratie verlangt? Vielen folgt wird, die Möglichkeiten zumindest graduell Dank. verbessert haben. Ob das eine grundlegende Ver- besserung ist? Da hilft vielleicht noch einmal ein Die Vorsitzende: Dankeschön, Herr Hemmelgarn. Blick in die anderen Stellungnahmen. Wir glauben, Herr von Lojewski. dass das schon ein guter Ansatz ist. Wir haben al- Hilmar von Lojewski (Deutscher Städtetag): Danke- lerdings auch eine indirekte Antwort auf Ihre schön, Frau Vorsitzende. Herr Abgeordneter, wir Frage. Wir möchten, dass wir uns erst einmal die haben zur Förderpolitik in unserer Stellungnahme Entwicklung und die Wirkung dieses Fördersys- dem Grunde nach auf das Bezug genommen, was tems insgesamt für einen gewissen Zeitraum an- die Bundesregierung zwischenzeitlich auf den Weg schauen und auf der Grundlage monitoren und eva- gebracht hat. Das, finden wir, gemessen daran, dass luieren und danach dann wiederum Änderungen wir alle miteinander schon eine ganze Weile an vollziehen. Jetzt ad hoc Änderungen auf den Weg diesem Thema arbeiten, ist ein guter Ansatz. Wir zu bringen, würde wahrscheinlich die Adressaten haben den Eindruck, die Zielrichtung ist die rich- eher verwirren, als ihnen Orientierung zu geben. tige. Wir haben die gut 20 Programme, die unter ei- Alle wissen mit der Gemeinschaftsaufgabe umzuge- nem Schirm wirken. Der Umstand, dass jedes die- hen und alle haben jetzt diesen neuen Ansatz rezi- ser Programme auch eine Einzelzielsetzung ver- piert, handeln danach und stellen ihre Anträge. folgt, insgesamt aber eben von einer, vielleicht Jetzt neue Fenster zu öffnen, wäre nicht so sinn- auch im besten Sinne integrierten, Förderpolitik voll. Also erst einmal anschauen, sorgfältig be- obachten, evaluieren, und dann auf der Grundlage

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nachsteuern. Dankeschön. her verschuldet. Das ist ein Muster, was sich in vie- len Bundesländern zeigt. Sie spüren es in den Die Vorsitzende: Wir danken Ihnen. Dann hätten Kommunen, wo über viele Jahre weniger investiert wir als nächstes die SPD mit Herrn Daldrup. worden ist, an der Straßeninfrastruktur, an der Bau- Abg. Bernhard Daldrup (SPD): Vielen Dank, Frau substanz der Gebäude und bei den Kitas. Es gibt Vorsitzende. Ich möchte mich gerne an Herrn Pro- aber auch einzelne Kommunen in Bundesländern, fessor Dr. Junkernheinrich wenden, mit folgender die haben das immer über die Kassenkredite laufen Vorbemerkung. Erstens: Die Schaffung gleichwerti- lassen. Da merkt der Bürger es nicht sofort, weil ger Lebensbedingungen und damit Chancenaus- weiter investiert worden ist, aber parallel sind die gleich und gleiche Freiheit sind das zentrale Motto Schulden angestiegen. Die Kommunen mussten des Koalitionsvertrages. Die Ungleichheit, die wir dann aber wieder stark konsolidieren, haben Perso- zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben – ich bin nal abgebaut und haben häufig kaum noch Leute in Herrn Dr. Eltges für die Bemerkung ganz dankbar, den Bauabteilungen, um Investitionen zu beantra- dass das nicht alleine ein Ost-West-Problem ist – gen. Sie partizipieren dann viel weniger an den wird heute durch keine Himmelsrichtung be- Programmen, die der Bund auflegt. Sie haben es ja stimmt. Da würde ich gerne einmal von Ihnen wis- oft gesehen. Bei Investitionsprogrammen kommen sen, Herr Professor Dr. Junkernheinrich: Wie teilweise aus Süddeutschland, aus reichen Kom- nimmt man das eigentlich wahr, bei Kita, bei Sozi- munen, ganz schnell Anträge. Man hat das Perso- alausgaben, bei Investitionen? Was sind da ekla- nal, und da, wo man die Unterstützung eigentlich tante Dinge, die das vor Ort spürbar werden lassen? hin haben möchte, merkt man, fehlt dieses Perso- nal. Das sind sehr komplexe Wirkungsketten. Ich Zweitens: Wir haben ja mit Entscheidungen bei Ge- denke, dass der Bund das in den letzten Jahren er- werbesteuer und Sozialausgaben geholfen. Sind Sie kannt hat und dass er im Bereich Soziales nachge- auch der Auffassung, dass den Rest der Altschul- schärft hat. Der Anteil an den Kosten der Unter- denproblematik beispielsweise die Länder allein kunft ist ja mittlerweile bei 74 Prozent relativ hoch. lösen können? Horst Seehofer ist nicht dieser Mei- Den kann ich mir auch noch ein Stück höher vor- nung. Der ist meiner Meinung, dass man da eine stellen. Dann muss man allerdings schauen, dass zusätzliche Hilfe braucht, der Koalitionspartner lei- bei der Verteilung der Mittel die Anreize nicht ver- der nicht. Kann man die Länder damit alleine las- loren gehen. Man kann nicht alle Mietkosten erstat- sen oder muss der Bund da zusätzlich etwas tun? ten, sondern bräuchte eine pauschale Regelung, die Wenn er etwas tun muss, bei welchen Sozialausga- ich aus lokalen Daten errechnen kann. Aber auch ben wäre es dann richtig, etwas zu tun? die Hilfe zur Pflege ist ein Bereich, in dem die Drittens: Was ist der theoretische Ansatz, um Inves- Kommunen zunehmend gefordert sind und sie da- titionsförderung zu betreiben? Sind es Einzelpro- für geradestehen, dass andere Sicherungssysteme gramme oder ist es eine zusätzliche Form von regi- nicht funktioniert haben. An der Stelle kann man onaler Wirtschaftsförderung? auch noch etwas tun. Die Vorsitzende: Dankeschön für die Frage. Herr Ich bin auch der Meinung, dass der Bund bei den Professor Dr. Junkernheinrich, Sie können antwor- Altschulden nach wie vor in einer Verantwortung ten. steht. Die Bundesländer sind verfassungsrechtlich für die Gemeindefinanzierung zuständig, aber die Prof. Dr. Martin Junkernheinrich (TU Kaiserslau- Maßnahmen des Bundes, die Art der Steuervertei- tern): Habe ich eine halbe Stunde Zeit für die Ant- lung und die Sozialgesetzgebung sind viel bedeut- wort? Oder nur fünf Minuten? samer, als der kommunale Finanzausgleich. Es gibt Die Vorsitzende: Drei Minuten 25. Verfassungsgerichtsurteile in Ländern, die schicken die Kommunen zum Bund zurück, weil er der be- Prof. Dr. Martin Junkernheinrich (TU Kaiserslau- deutsamere Player ist. Das hat beispielsweise der tern): Woran erkennt man die Disparitäten vor Ort? Verfassungsgerichtshof in Münster so gemacht. Ich Wir können sehen, viele Kommunen haben sehr ge- hatte große Hoffnung, als die Koalition über einen ringe Steuereinnahmen, hohe Soziallasten, geringe Altschuldenfonds beraten hat. In den Ländern, die Investitionstätigkeit und die sind auch häufig hö- selbst nicht angefangen haben, also in Nordrhein- Westfalen und in Rheinland-Pfalz, hört man jetzt

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auch nichts von intensiven Bemühungen, sondern, Effektivitätsgewinnen. So wird eine bessere Aufga- nachdem diese Initiative gescheitert ist, passiert benerfüllung erreicht. Höher qualifizierte Personen erst einmal gar nichts. Die Kommunen bleiben auf können angestellt werden oder – etwa im Bereich ihren hohen Schulden sitzen und Corona-bedingt der gemeinsamen Gewerbegebiete – werden die je- werden ja schon wieder neue Schulden gebildet. weils für die Wirtschaft geeignetsten Flächen zum Ich habe mir vorhin die Daten für das zweite Quar- Tragen kommen und nicht diejenigen, die zufällig tal 2020 angeschaut, da haben wir bundesweit ei- gerade bei der einen Kommune und bei der ande- nen Kassenkreditaufwuchs über 3,5 Milliarden ren liegen. Wir versprechen uns davon schon eine Euro, wieder mit den bekannten räumlichen Mus- höhere Leistungsfähigkeit, sowohl bei der kommu- tern. Wir reden derzeit nicht nur über alte Schul- nalen Verwaltung, als auch bei der Wirtschaftsför- den, sondern, trotz aller Hilfen, über den Aufbau derung. Natürlich ist es manchmal schwierig, die neuer Schulden. Wenn man Gleichwertigkeit der Kommunen zusammenzubringen. Da kann man, Lebensverhältnisse wirklich schaffen will, kommt und das gibt es ja auch schon in vielen Fällen bei man um die Lösung der Soziallastenproblematik einigen Programmen, wie bei der GRW, durch ge- und der Altschuldenproblematik nicht herum. wisse Bedingungen bei der Förderung dann dazu beitragen, dass die Kommunen nicht gezwungen Die Vorsitzende: Dankeschön. Dann wäre die letzte werden, aber dass es ihnen doch ein bisschen er- in der Runde die FDP, Frau Dr. Strack-Zimmer- leichtert wird, miteinander zu kooperieren. mann. Beim zweiten Fall der Kooperation, den ich ange- Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): sprochen habe, geht es um genossenschaftliche Lö- Vielen Dank. Meine Frage richtet sich an Professor sungen, die in den letzten Jahren zunehmend im Dr. Rosenfeld. Ich packe zwei Fragen zusammen, Kommen sind. Bürgerinnen und Bürger vor Ort tra- der Zeit wegen. Herr Professor Dr. Rosenfeld, Sie gen, meistens aus Eigeninitiative heraus, dazu bei, haben in Ihrem Gutachten auf kooperative Lösun- dass bestimmte Einrichtungen der Daseinsvorsorge, gen gesetzt, auf dezentrale Möglichkeiten, wie die anderenfalls vielleicht hätten geschlossen wer- Kommunen auch miteinander wirken können, be- den müssen oder schon geschlossen waren, wieder ziehungsweise den Abbau von kommunalen Stan- aktiviert und längerfristig aufrechterhalten werden dards ins Spiel gebracht. Das hören Kommunen können. Natürlich gibt es da manchmal Fragen, ob nicht gern. Vielleicht können Sie uns einmal in bei- diese genossenschaftlichen Lösungen stabil genug den Fällen, Kooperation bei dezentraler Arbeit und sind, aber nach unseren Forschungen gibt es durch- kommunale Standards abbauen, Beispiele nennen, aus eine große Anzahl von sehr stabilen genossen- was genau Sie damit meinen. schaftlichen Lösungen. Dadurch kriegen auch die Die Vorsitzende: Dankeschön. Herr Professor strukturschwachen Kommunen zusätzliche finanzi- Dr. Rosenfeld ist per Telefon zugeschaltet, den kön- elle Mittel, im Sinne der Mitarbeit, Eigenarbeit der nen wir also nicht sehen, aber Sie können uns hö- kommunalen Bürgerinnen und Bürger. ren und auch sprechen. Schließlich haben Sie die kommunalen Standards Prof. Dr. Martin T. W. Rosenfeld (Universität angesprochen. Damit meinte ich jetzt eigentlich Halle-Wittenberg): Dann komme ich zu den Fragen, nicht Standards, die die Kommunen sich selbst set- die Sie gestellt haben. Mit kooperativen Lösungen zen, sondern die Standards, die den Kommunen meine ich zum einen die interkommunale Koopera- von den anderen Eben gesetzt werden, speziell vom tion. Das heißt, dass Kommunen mit ihren Nach- Bund und vom Land. Die tragen dazu bei, dass be- barkommunen zusammenkommen und zusammen- stimmte, möglicherweise gerade im flachen Land arbeiten. Das sind dezentrale Lösungen, die nicht nicht unbedingt notwendige, Entscheidungen ge- einen staatlichen Eingriff bedingen von oberen Ebe- troffen werden müssen. Standards sind teilweise nen, sondern die auf der Freiwilligkeit der jeweils auch durch die Berufsgenossenschaften oder durch beteiligten Gemeinden basieren. Das kann in vielen den TÜV und ähnliche Einrichtungen vorgegeben. Fällen zum Erfolg führen. Allerdings führt es, das Aber gerade im ländlichen Bereich könnte mehr hatte ich in meiner Stellungnahme auch geschrie- Flexibilität sehr dazu beitragen, dass die Lösungen ben, seltener zu Effizienzgewinnen als vielmehr zu bürgernäher und möglicherweise auch weniger kos- tenintensiv sind.

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Die Vorsitzende: Dankeschön, Herr Prof. Dr. Rosen- keine Oper habe, dass ich dort wahrscheinlich kein feld. Dann kommen wir in die zweite Runde. Wir Museum habe, aber dafür habe ich andere Vorteile. fangen mit der CDU/CSU-Fraktion an, mit Herrn Deshalb suche ich mir das auch aus, soweit ich es Pols. mir aussuchen kann. Aber wir sind natürlich auch bei den Menschen, die sich das nicht aussuchen Abg. (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau können, Ältere, und die haben einen Anspruch da- Vorsitzende. Ich habe eine Frage an den Städte- rauf, dass zumindest eine Grundversorgung not- und Gemeindebund, an Herrn Lübking. Ist es wirk- wendiger Daseinsvorsorge vor Ort vorhanden ist. lich erstrebenswert, vollkommen gleichwertige Le- Sie haben es angesprochen, eine der wichtigen ist bensverhältnisse zu schaffen? Sollte nicht ein spür- die pflegerische und medizinische Grundversor- barer Unterschied zwischen dem Land- und dem gung, die muss flächendeckend gewährleistet sein. Stadtleben erhalten bleiben? Gerade dieser Unter- Da sehen wir im Augenblick große Probleme, ge- schied macht, jedenfalls für mich, den Reiz zwi- rade auch bei der ärztlichen Versorgung. Wir ver- schen den unterschiedlichen Lebensformen aus. folgen die Diskussion über die Schließung von Warum ziehen Menschen zum Beispiel in das han- Krankenhäusern, die ja teilweise geführt wird, mit noversche Wendland, wo ich herkomme? Weil Missvergnügen. Meines Erachtens wird die voll- ihnen die dort mögliche freie Gestaltung ihres Le- kommen undifferenziert geführt. Natürlich haben bensraums gefällt. Dass gleichwertige Lebensbedin- wir Über- und Unterversorgungen, aber nicht in der gungen in einigen Teilen sein müssen, das ist na- Fläche, sondern primär in den Ballungsräumen. türlich in meinen Augen auch sehr verständlich, Hier müsste man eher dazu kommen, wenn ich wie zum Beispiel Heim-Arbeitsplätze mit gutem jetzt an die gesundheitliche Versorgung denke, in- Zugang zum Internet, Verkehrsanbindung an die wieweit man auch neue Formen ausprobieren Metropolen, medizinische Notfallversorgung und kann, indem man ambulante und stationäre Versor- so weiter. Daher die Frage: Woran genau bemessen gung mehr verzahnt denkt. Es wird nach meiner Sie die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse? Auffassung schlichtweg nicht gelingen, Ärzte und Welche Kriterien sind für Sie da maßgebend? Wie ambulante Versorgung überall flächendeckend si- soll die medizinische Versorgung, als Beispiel, das cherstellen zu können. Da brauchen wir neue For- kulturell notwendige Angebot etc. bemessen wer- men, die auch anders finanziert werden. Wir müs- den? Wir haben ja zum Beispiel Kriterien bei der sen beim Krankenhaus überlegen, ob die Kranken- Notfallversorgung. Feuerwehren oder auch Ret- hausfinanzierung, die ja auf Umsatz ausgerichtet tungswagen müssen in einer definierten Minuten- ist, für die ländlichen Räume das Richtige ist. Da zahl irgendwo sein. Wie sieht es zum Beispiel mit brauchen wir auch andere Vorhaltekosten. Da se- der Krankenhausversorgung aus? Wenn man jetzt hen wir eine große Baustelle. als Beispiel das Wendland nimmt, den Landkreis Lüchow-Dannenberg, mit großer Fläche und wenig Die anderen Punkte, die dringend vor Ort vorgehal- Einwohnern. Ich glaube, das ist mit 48 000 Einwoh- ten werden müssen, das sind die Grundschulange- nern der bevölkerungsmäßig kleinste Landkreis in bote, das sind Kitas, um jetzt an Familien zu den- den westlichen Bundesländern. Kann man da über- ken, an Jüngere zu denken. Auch eine Nahversor- haupt irgendwann von gleichwertigen Lebensver- gung und natürlich Mobilität sind wichtig. Das hältnissen sprechen? Ist das überhaupt möglich? letzte, da haben wir noch einen großen Nachholbe- Dankeschön. darf, das ist das Stichwort Digitalisierung. Wir brauchen natürlich auch in den ländlichen Räumen Die Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Lübking, zur eine vernünftige Breitband- und Mobilfunkversor- Beantwortung. gung. Die sind auch wiederum für die medizini- Uwe Lübking (Deutscher Städte- und Gemeinde- sche Versorgung notwendig, um möglicherweise bund): Frau Vorsitzende, Herr Abgeordneter. Vie- auch technische Möglichkeiten wie Videosprech- len Dank für die Frage. Gleichwertige Lebensver- stunden und Digitalisierung im Gesundheitswesen hältnisse heißt ja nicht gleiche Lebensverhältnisse. nutzen zu können. In der Tat gibt es Unterschiede, die auch Menschen Die Vorsitzende: Vielen Dank für die Antwort. ganz bewusst in Kauf nehmen, weil sie sagen, ich Dann gehen wir weiter in der Fragerunde, Herr habe dafür eine Kompensation. Wenn ich aufs Hemmelgarn. Land ziehe, weiß ich ganz genau, dass ich dort

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Abg. Udo Hemmelgarn (AfD): Vielen Dank. Meine Abg. Udo Hemmelgarn (AfD): Da, wo die demokra- zweite Frage geht an Dr. Kallert von der Universität tischen Strukturen nicht besonders gut ausgeprägt Marburg. Herr Dr. Kallert, Sie haben ihre Stellung- sind, da ist ein vermehrter Abzug. Da, wo im Ge- nahme mit einem Plädoyer für alle drei Anträge be- gensatz demokratische Strukturen besonders gut endet und dabei insbesondere die Stärkung der de- ausgebildet sind, dort ist Zuzug. Dafür möchte ich mokratischen Strukturen angemahnt. Bitte erklären gerne Beispiele. Das interessiert mich. Sie uns kurz, inwieweit die bestehenden Schwä- Dr. phil. Andreas Kallert (Universität Marburg): chen bestimmter meist ländlicher Regionen zu un- Wenn die Menschen vor Ort keine Handlungsmög- demokratischen Strukturen führen, wo hier die de- lichkeiten haben, ihr Umfeld zu gestalten, dann mokratischen Defizite liegen. Erläutern Sie uns wird dieses Umfeld unattraktiver. Diesen Wir- kurz, inwieweit die Verbesserung demokratischer kungszusammenhang würde ich unterstreichen. Strukturen zu einer Verbesserung der Kernparame- Ein Beispiel dafür ist auch das Wendland, weil das ter Wirtschaftskraft, Beschäftigung und Einkommen vorhin erwähnt worden ist. Dort ziehen sehr viele führen. Können Sie vielleicht sogar Beispiele dafür Menschen hin, die sich beteiligen, die ihr Umfeld nennen, dass die Stärkung demokratischer Struktu- gestalten. Wegzug ist natürlich schwieriger. Ich ren zu verminderter Abwanderung oder gar zu ver- glaube, Regionen, die unter einer starken Alterung mehrtem Zuzug in den betroffenen Regionen führt? leiden, in denen auch diese Beteiligung nicht mehr Vielen Dank. in dem Maße möglich ist, werden auch unter einem Die Vorsitzende: Herr Dr. Kallert. Wegzug von jungen Menschen leiden. Dr. phil. Andreas Kallert (Universität Marburg): Die Vorsitzende: Vielen Dank. Ich bin immer davon Der Zusammenhang liegt vor allem darin begrün- ausgegangen, dass die demokratische Beteiligung det, dass demokratische Strukturen unter Finanz- bei uns in Deutschland überall gleich sein kann, schwäche von Gesetzes wegen. Es mag sein, dass sie nachher oder Wirtschaftsschwäche leiden. Bürgerliche Be- unterschiedlich ausgebildet ist. Irgendwie haben teiligungsformen, demokratische Beteiligungsfor- wir jetzt hier eine Schieflage in der Diskussion. Die men bringen nur etwas, wenn es auch die finanziel- nächste wäre Frau Kaiser von der SPD. len Mittel dafür gibt. Wir hatten einmal einen Inter- Abg. (SPD): Vielen Dank. Zu- viewpartner, der hat gesagt: „Demokratische Betei- nächst eine Frage, die sich an die Kommunalen ligungsformen sind ohne Geld nur Schaulaufen.“ Spitzenverbände richtet. In der Kommission Wir diskutieren nur den Mangel. Dementsprechend Gleichwertige Lebensverhältnisse, in der Fachar- wäre das natürlich ein sehr wichtiger Punkt, dass beitsgruppe Kommunale Altschulden, ist auch das man die Grundfinanzausstattung stärkt und damit Thema Altschulden ostdeutscher Wohnungsunter- auch demokratische Strukturen stärkt. Wir haben nehmen besprochen worden. Das war ja auch ein Finanzen, ohne die geht es nicht. Aber die Finan- Punkt im Koalitionsvertrag. Bisher ist dieser Punkt, zen brauchen auch eine demokratische Kontrolle. zu meinem Bedauern, ungelöst. Jetzt wird darauf Damit werden demokratische Prozesse angeregt, es verwiesen, dass diese Frage durch die Länder ge- werden zivilgesellschaftliche und kommunalpoliti- löst werden soll, mit den frei werdenden AAÜG- sche Akteure gestärkt und die gilt es zu unterstüt- Mitteln (Aufwendungen der Rentenversicherung zen. Die Menschen vor Ort brauchen mehr Hand- aus den Zusatzversorgungssystemen der ehemali- lungsfähigkeit über ihre eigenen Geschicke, ansons- gen DDR nach dem Anspruchs- und Anwartschafts- ten verlieren sie ein Stück weit das Vertrauen in überführungsgesetz), da der Anteil jetzt auch vom den normalen demokratischen Prozess. Vielfach Bund übernommen wird. Dazu möchte ich fragen, heißt es dann, sie wählen extreme Parteien. Man ob das ausreicht, und ob die Vertreter der kommu- könnte natürlich auch sagen: Der Punkt ist nicht, nalen Spitzenverbände, also Herr Lübking, Herr dass sie extreme Parteien wählen, sondern dass die von Lojewski und Herr Wohltmann, sagen können, Daseinsvorsorge nicht in dem Maße gewährleistet ob man von diesen Mitteln etwas spürt und ob da ist, wie sie gewährleistet sein müsste, damit sie de- schon irgendwas angekündigt oder geplant ist. mokratische Parteien wählen. Wenn die Zeit noch reicht, würde ich Herrn Lüb- Beispiele für Zuzug: Können Sie das nochmal er- king eine zweite Frage stellen und zwar zum läutern, wie Sie das meinen?

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Thema Innenstädte. Wir merken jetzt, dass auch fünf ostdeutschen Bundesländer das mit den zur die Pandemie die Veränderung der Innenstädte Verfügung gestellten Mitteln hinbekommen. Bei weiter verändert, als eine Art Katalysator. Der Inter- den Genossenschaften ist es eher eine Frage, wie netboom nimmt zu, was natürlich auch für den man sich dort landesspezifisch positioniert. Da ge- Einzelhandel schwierig ist, und wir verzeichnen hen womöglich auch einige in die Insolvenz, weil zunehmend auch leerstehende Geschäftsstraßen sie unverändert an diesem Thema knabbern. und Innenstädte. Da wäre meine Frage: Welche Ungefragt würde ich natürlich auch gerne zu den Maßnahmen sehen Sie jetzt als dringend geboten, Innenstädten antworten, weil uns das gleicherma- um die Innenentwicklung in unseren Kommunen ßen betrifft. Wir sehen in diesem Fall die Gleich- zu befördern? Vielen Dank. wertigkeitsthematik massiv berührt. Wir glauben, Die Vorsitzende: Ich würde vorschlagen, wir fan- es bedarf eines konzertierten Ansatzes in kleinen, gen mit Herrn Wohltmann an und dann Herr von mittleren und großen Städten von Immobilienwirt- Lojewski und dann gibt Herr Lübking die letzte schaft, Handel und Kommunen, aber auch der Öf- Antwort. Jeder hat ungefähr eine Minute. fentlichkeit selbst, um die Strukturen, die es gibt, zu sichern und die Strukturen, die leer fallen, mit Matthias Wohltmann (Deutscher Landkreistag): neuen Nutzungen zu füllen. Was brauchen wir da- Ich habe die Diskussion in der Arbeitsgruppe Alt- für? Ein Bodenrecht, das Interventionen erlaubt, schulden so verstanden, dass die Ausgangssituatio- das kommunale Steuerungen erlaubt, das auch ei- nen sehr unterschiedlich sind und dass das Alt- nen Zwischenerwerb auf kommunaler Ebene er- schuldenproblem bei den kommunalen Wohnungs- laubt und dafür womöglich auch so etwas wie ei- gesellschaften in den neuen Bundesländern kein nen Verfügungsfonds, weil nicht jede Kommune flächendeckendes ist, sondern sich sehr ungleich ein leergefallenes Kaufhaus für drei Jahre kaufen, verteilt. Ich habe auch mitgenommen, dass schon an- entwickeln und dann wieder weiterreichen auf der Ebene der Faktenfeststellung eine sehr dif- kann. Das wären so die Essentials, aber es gibt dazu fuse Gemengelage geherrscht hat. Ich bin nach die- sowohl bei den Kollegen, wie bei uns, reichlich Pa- ser Ausgangslage durchaus mit dem gefundenen piere und wir arbeiten alle miteinander im Innen- Weg zufrieden und denke, dass es zumindest ein ministerium und im Wirtschaftsministerium in Ar- erster guter Schritt sein kann, um das Problem zu beitsgruppen mit. Wir hoffen, dass das auch in den lösen. parlamentarischen Raum hineinreicht, was wir da Die Vorsitzende: Dankeschön. Herr von Lojewski. an Ergebnissen auf den Weg bringen. Hilmar von Lojewski (Deutscher Städtetag): Danke- Die Vorsitzende: Vielen Dank. Jetzt haben wir noch schön. Wir haben dieses Thema von Anbeginn be- Herrn Lübking. gleitet. Von Anbeginn heißt, seit der Wiedervereini- Uwe Lübking (Deutscher Städte- und Gemeinde- gung. Wir haben es auch nie vergessen. Die Ordner bund): Ja, Frau Vorsitzende, Frau Kaiser, kurz noch stehen bei uns alle noch. In der Tat, wir empfanden zu dem AAÜG (Anspruchs- und Anwartschafts- es, Frau Abgeordnete Kaiser, als eine immanente überführungsgesetz). Hier sollte man natürlich Ungerechtigkeit und wir wussten, irgendwann auch berücksichtigen, gerade mit Blick auf die ost- schlägt die wieder auf. Jetzt schlägt sie wieder auf. deutschen Bundesländer, dass mit der neuen EU- Die Lösung, die gefunden wurde, halten wir für Förderperiode auch Finanzmittel wegfallen, sodass probat, weil in den Ländern sehr viel passgenauer wir auch wieder schauen müssen, gibt es da nicht auf die Situation reagiert werden kann, sowohl der Kompensationen, die gerade die ostdeutschen Bun- kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, als auch desländer auch nutzen können, die sagen: Wir be- womöglich der Genossenschaften. Es sind ja nicht kommen auch weniger Fördermittel. Das ist eine nur die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, Problematik, die wir mitbeachten müssen. Was den die punktuell und teilweise auch gravierend unter Einzelhandel in den Innenstädten angeht, Herr von diesen Altschulden leiden, sondern es sind ja auch Lojewski hat es schon angesprochen. Ich will nur eine ganze Reihe Genossenschaften. Bei den Kom- noch drei, vier andere Punkte erwähnen. Wir müs- munalen schlägt das natürlich bei den Schulden- sen schauen, dass wir der Ungleichbehandlung ge- diensten zu Buche und das möchten wir gerne ab- rade zwischen dem Handel in den Innenstädten gestellt wissen und vertrauen jetzt darauf, dass die

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und dem Online-Handel entgegentreten. Das hat et- Dr. Klaus-Heiner Röhl (IW Köln): Frau Vorsit- was mit Ladenöffnungszeiten zu tun, das hat etwas zende, Frau Dr. Strack-Zimmermann, vielen Dank mit Kostenbeteiligungen zu tun. Der Online-Handel für die Frage. Wir haben uns das in mehreren Stu- verursacht ja auch Infrastrukturkosten, Transport- dien und jetzt kürzlich in einer umfangreichen Stu- verkehre und so weiter, da könnte man ja auch die „Familienunternehmen im ländlichen Raum über entsprechende Entschädigungen nachdenken. und ihre Wirkung“ für die Stiftung angeschaut, was Die Kommunen sind natürlich auch selbst gefor- nicht so einfach ist. Familienunternehmen findet dert, Nutzungsmischungen zu ermöglichen und zu man nicht direkt in der Statistik, man muss sie schauen, wie kriegen wir eigentlich unsere Innen- identifizieren. Dann kann man gucken, wie hoch städte so attraktiv, dass wir eine gemeinsame Mi- der Besatz in den Regionen ist und wie die wirt- schung hinbekommen. Da brauchen wir auch Küm- schaftlichen Auswirkungen sind. merer-Strukturen, da brauchen wir integrierte Dabei haben wir gesehen, dass starke Familienun- Stadtentwicklungsprozesse. Die Pandemie zeigt ternehmen und ein hoher Familienunterneh- ziemlich deutlich – ich gehe jetzt natürlich nicht in mensanteil mit ganz vielen positiven Wirkungen die Innenstadt, weil ich Kontakte vermeiden will, einhergehen: Beschäftigung, Ausbildung ganz stark, sondern auch, weil ich merke, dass Gastronomie aber auch Kommunalfinanzen. Das sind die, die die geschlossen hat, dass ich nicht nebenbei noch in Gewerbesteuer zahlen. Die Kommission Gleichwer- ein Museum oder sonst etwas gehen kann – dass tige Lebensverhältnisse haben wir uns auch ange- ich auch attraktive Innenstädte in toto brauche. Ich schaut. Was macht die eigentlich für die ländlichen brauche dann ein attraktives Gastronomieangebot, Regionen? Da hatten wir den Eindruck, dass da the- ich brauche möglicherweise auch noch andere An- matisch unwahrscheinlich viel reingesteckt wurde, gebote und Märkte, die insgesamt die Menschen sechs verschiedene Arbeitsgruppen, schöne The- dazu veranlassen, einzukaufen. Was die Fläche an- mengebiete, Abdeckung der Daseinsvorsorge, auch geht, da reden wir dann nicht von Innenstädten. der regionalen Wirtschaftsförderung. Aber wie es Bei den kleineren Kommunen haben wir ganz an- eigentlich vor Ort aussieht, wie die regionalen dere Sorgen, die Nahversorgung sicherzustellen. Da Wirtschaftsstrukturen sind, das wurde eigentlich sind wir durchaus auch mit bürgerschaftlichem En- gar nicht hinterfragt. Es war so ein bisschen im luft- gagement dabei. Ich nenne nur Dorfläden oder leeren Raum, nach unserem Eindruck. Wenn man Ähnliches, um zu versuchen, zumindest eine das Ganze stärker verknüpft, in die Regionen hin- Grundversorgung sicherzustellen. einschaut, wie wir es zum Beispiel in dieser Studie Die Vorsitzende: Dankeschön. Frau Dr. Strack-Zim- getan haben, dann kann man auch über die Stär- mermann. kung der regionalen Wirtschaft dort noch eine ganze Menge erreichen. Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Vielen Dank. Meine Frage geht an Herr Dr. Röhl Wir haben die GRW als Wirtschaftsförderung, aber vom Institut für deutschen Wirtschaft. Herr machen wir uns nichts vor, die ist die letzten 15 Dr. Röhl, Sie hatten in Ihren Ausführungen kriti- oder 20 Jahre massiv zurückgefahren worden. Da siert, ich finde nicht zu Unrecht, dass die konkre- werden bundesweit 1,2 Milliarden Euro an Förde- ten Wirtschaftsstrukturen in den ländlichen Regio- rung für regionale Wirtschaftsstrukturen ausgege- nen und die Rolle der angesiedelten Familienunter- ben, da sind schon 30 Prozent Infrastrukturförde- nehmen für Wirtschaft, Beschäftigung, Ausbildung rung mit drin. Ich glaube nicht, dass das direkt an etc., auch soziales Engagement zu kurz gekommen diese Familienunternehmensstrukturen anknüpft. sind und dass Sie da ein Potenzial sehen, um auch Da sollte man vielleicht bei der Ausrichtung der re- eine Struktur zu stärken. Sie gehören zu den weni- gionalen Wirtschaftsförderung stärker darauf ach- gen, die jetzt nicht nur auf Förderung eingehen, ten, dass man auch die regionalen Familienunter- sondern auch auf die Kraft derer, die in den Kom- nehmensstrukturen mitberücksichtigt und dort di- munen aktiv sind. Vielleicht können Sie uns dazu rekt anknüpft, auch bei Fördermaßnahmen und etwas sagen? nicht nur bei der Förderung. Die Vorsitzende: Herr Dr. Röhl, bitte. Kommunalfinanzen sind ein ganz wichtiger Punkt. Das war ja auch in dem Antrag der Fraktion DIE

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LINKE. stark. Wenn wir immer nur auf die Gewer- Herr Dr. Kallert uns noch einmal ein paar Vor- besteuereinnahmen setzen, bei den Kommunalfi- schläge machen kann, wie man das langfristig an- nanzen, dann ist es tatsächlich sehr schwierig, da ders machen kann und den Schuldenabbau errei- jemals auf einen grünen Zweig zu kommen. Also, chen kann, ohne das Kind mit dem Bade auszukip- Altschuldenproblematik, Bund und Länder in der pen, also ohne noch weniger möglich zu machen. Pflicht nach unserer Meinung, aber mit den Län- Das ist ein Teufelskreis. dern in der Führung, weil es halt nur drei Flächen- Dr. phil. Andreas Kallert (Universität Marburg): länder sind. Investitionen, wo der Bund wieder Vielen Dank. Grundsätzlich muss man natürlich sa- stärker reingehen muss, den Kommunen helfen gen, dass die hochverschuldeten Kommunen auch muss, und die zukünftige Ausgestaltung des Steu- ohne Konsolidierungsprogramm, ohne Entschul- ersystems. Was natürlich ein sehr schwieriger dungsprogramm Probleme haben. Wir sehen, dass Knackpunkt ist, weil bisherige Versuche von der diese Finanzhilfen – bei dem Beispiel Hessen, aber Gewerbesteuerfixierung wegzukommen immer wie- es gibt auch noch andere Länder wie Bayern – der ins Leere gelaufen sind. nicht in dem Maße helfen, wie sie eigentlich helfen Die Vorsitzende: Dankeschön. Frau Kassner, bitte. sollten. Die Effekte sind nicht nur positiv. Die Fi- nanzhilfen sind zumeist an eine sehr rigide Sparpo- Abg. Kerstin Kassner (DIE LINKE.): Ich möchte zu- litik bei den Kommunen gebunden, das wurde ge- erst ganz deutlich sagen, dass wir nicht nur den Os- rade schon erwähnt. Dafür gibt es diese Konsolidie- ten im Blick haben. Wir haben zum Beispiel in un- rungsverträge, in denen relativ detailliert vereinbart serer Arbeitsgruppe eine Kollegin aus Pirmasens, ist, welche Maßnahmen zur Ausgabenreduzierung da brauche ich nicht mehr viel zu sagen, das ist ja und zur Einnahmenerhöhung getroffen werden, um die Kommune, die es schuldentechnisch am einen dauerhaften Haushaltsausgleich zu erzielen. schlimmsten erwischt hat. Frau Vorsitzende, Sie Auf der Einnahmenseite stehen dann Steuererhö- haben etwas gesagt: Demokratie ist doch überall hungen an, die Grundsteuer wird erhöht, die Ge- gleich. Es ist schwierig, wenn man überhaupt werbesteuer wird erhöht. Aber es werden auch nichts mehr hat, was man demokratisch gestalten neue Steuern erhoben, z. B. eine Pferdesteuer, eine kann. Wenn das Geld nur noch reicht, um die Hundesteuer, Spielgerätesteuer, oder man erhöht Pflichtaufgaben zu erfüllen und nichts mehr da ist, auch die Gebührenbeiträge. Das alles wird bis zum womit man wirklich selbstbestimmt etwas für die Ultimo ausgereizt. Diese Dinge sind meist in den Entwicklung in den Gemeinden, in den Städten tun betroffenen Kommunen sowieso schon ziemlich kann. Das macht es dann wirklich schwer, Leute zu hoch. Bei der Ausgabenseite stehen dann freiwil- finden, die bereit sind, sich demokratisch zu enga- lige Angebote, freiwillige Leistungen zur Debatte: gieren und das wirkt sich natürlich auch auf das Büchereien, Schwimmbäder. Das sind diese Da- gemeindliche Leben aus. Deshalb denke ich, dass seinsvorsorgeeinrichtungen, die für die Demokratie es ganz wichtig ist, dass die Altschuldenproblema- wichtig sind und die sich meistens nur defizitär be- tik in Angriff genommen wird. Da hilft es uns zwar treiben lassen. Das ist ein Makel der bisherigen Fi- sehr, dass wir 24 Prozent der Kosten der Unter- nanzhilfeprogramme, dass genau dort angesetzt kunft zusätzlich vom Bund bereitgestellt bekom- wird. men, aber es sind immer noch nur 74 Prozent, 26 Prozent bleiben noch. Das trägt nichts dazu bei, die Einsparungen bei den Investitionen wurde vorhin Altschulden zu verringern. Die alte Last schleppt auch schon gesagt. Auch das ziehen diese Finanz- man mit sich herum. Ich möchte nicht, dass die hilfen im Moment nach sich. Für die betroffenen Länder weiter diese Repressionen auf die Kommu- Bürger und Bürgerinnen heißt es dann: weniger nen ausüben. Ich habe es erlebt, dass man die Mit- Leistungen, höhere Ausgaben. Für die Kommunen arbeiter abbauen muss, zum Beispiel in der Bauver- heißt es, sie verlieren in dieser Wettbewerbsposi- waltung, dann fehlt die Gestaltungskraft, oder in tion an Attraktivität. Sie stehen schlechter da, weil der Wirtschaftsförderung, dann kann nichts getan sie die Steuern erhöhen, die Abgaben erhöhen, ge- werden, um Förderprogramme zu erschließen. Des- ringere Investitionen haben. Die Konsolidierungs- halb frage ich mich: Gibt es noch Alternativen zu kommunen und die Nichtkonsolidierungskommu- diesen repressiven Maßnahmen? Ich weiß nicht, ob nen entwickeln sich auseinander. Deshalb helfen

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bislang diese Finanzhilfen zwar kurzfristig bei ei- im Rahmen der Debatte um gleichwertige Lebens- nem Schuldenabbau, aber mittel- oder langfristig verhältnisse sinnvoll adressieren? beeinträchtigen sie die Entwicklungschancen der Die Vorsitzende: Danke, für die Fragen. Dann ant- Kommunen. Da müsste man ansetzen. Man müsste wortet vielleicht erst Herr Dr. Eltges und dann Herr zukünftige Finanzhilfen derart ausgestalten, dass Dr. Röhl. sie nicht zuerst zulasten der betroffenen Kommu- nen und ihrer Bürgerinnen und Bürger gehen. Da- Dr. Markus Eltges (BBSR): Vielen Dank für die für muss man wahrscheinlich das strukturelle Defi- Frage zu den Regionalbudgets. Die sind ja seiner- zit angehen, das die Kommunen haben. Das ma- zeit sowohl im Rahmen der GRW, als auch im Rah- chen diese Finanzhilfen bislang nicht. Dafür men der GAK eingeführt worden, um eine örtliche braucht es diese dauerhafte finanzielle Mehraus- Beteiligungsmöglichkeit auch im Rahmen von klei- stattung, das wurde jetzt auch schon häufiger ge- neren Projekten zu ermöglichen und damit die Be- sagt, besonders von finanzschwachen Kommunen. teiligung der Zivilgesellschaft in den Regionen zu Und dann haben diese Kommunen auch andere ermöglichen, wo gerade diese Zivilgesellschaft ge- Möglichkeiten, als die eben beschriebenen Wege stärkt werden sollte. Das, was im Rahmen der GRW der Haushaltskonsolidierung durch Einnahmener- und im Rahmen der GAK die Regionalbudgets sind, höhung und Ausgabenreduzierung. sind im Rahmen der Städtebauförderung die Verfü- gungsfonds, die werden sehr gut in den Regionen Die Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Dr. Kallert. angenommen, weil es gerade die Beteiligungsmög- Jetzt haben wir von den Grünen Herrn Tressel. lichkeit bei kleineren Projekten, bei zivilgesell- Abg. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schaftlichen Projekten unterstützt. Die Auswertung, Vielen Dank, Frau Vorsitzende. Ich habe zwei Fra- die wir gemacht haben, zeigt durchaus, dass die Zi- gen zu zwei Themenkomplexen. Verschiedene vilgesellschaft und die lokalen Akteure diese Bud- Sachverständige gehen auf die Bedeutung der gets gerne annehmen. Wahrnehmung der Menschen vor Ort ein und die Wir drehen uns die ganze Zeit auch um die Frage: Bedeutung von Mitsprachemöglichkeiten für den Wie können wir Kommunen und Regionen unter- gesellschaftlichen Zusammenhalt. Herr Dr. Eltges stützen? Ich glaube, die Diskussion hat gezeigt, wir hat die Feststellung getroffen, dass es zunehmend brauchen etwas, um die Kommunen finanziell so wichtig sein wird, neben objektiven Sachverhalten auszustatten, dass sie in der Lage sind, ihre originä- auch die subjektive Wahrnehmung der Menschen ren Aufgaben, insbesondere im Rahmen der Da- über die regionalen Lebensbedingungen belastbar seinsvorsorge und im Rahmen der lokalen Demo- auszuwerten. Deswegen würde mich interessieren, kratiestärkung, zu erledigen. Da muss man einmal Herr Dr. Eltges: Wie bewerten Sie das Instrument grundlegende Fragen diskutieren. Da geht es um der Regionalbudgets im Zusammenhang mit diesen ganz harte Fragen der Steuerverteilung. Da geht es regional Entwicklungskonzepten und wie haben sie auch um die Frage der Altschulden. Da wäre es in sich in der Praxis bewährt? der Tat angebracht, den gordischen Knoten zu Der zweite Punkt ist die Frage nach einem gesamt- durchschlagen. Wir sprechen seit 1971 über diese deutschen Fördersystem. In der GRW sollen ab Frage und ich denke, es ist auch Zeit, dass wir eine 2021 nicht abgerufene Mittel überjährig gebündelt grundlegende Lösung anstreben. und mit einem neuen Ideenwettbewerb für Projekte Die Frage zur GRW: Es ist so, dass die nichtveraus- in strukturschwachen Regionen eingesetzt werden. gabten Finanzmittel für Wettbewerbe verwendet Herr Dr. Eltges und Herr Dr. Röhl, Sie gehen beide werden können. So wie ich das System verstanden auf dieses gesamtdeutsche Fördersystem ein. Mich habe, wird es sich nur auf die Gebiete beziehen, die würde interessieren: Für wie sinnvoll erachten Sie innerhalb der GRW-Gebietskulisse liegen werden. diesen Wettbewerb um nicht abgeflossene Förder- Das ist zumindest mein Verständnis davon. Wir mittel? Befördert das nicht wieder den Fluss dieser werden also einen Wettbewerb innerhalb von Mittel in Regionen, die dieses Instrument des Wett- strukturschwachen Gebieten haben. Man muss sich bewerbs möglicherweise aufgrund ihrer personel- im Jahr 2020 dabei vor Augen führen, dass die Ge- len Ausstattung besser bewerkstelligen können? bietskulisse wahnsinnig eingedampft werden wird, Zum gesamtdeutschen Fördersystem: Was sind aus Ihrer Sicht die Schwächen und wie könnte man das

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von derzeit 25 Prozent auf wahrscheinlich 17 Pro- sinkt. Wir sind frohgemut angetreten, das gesamt- zent. Wir werden keine Ziel-1-Gebiete mehr haben. deutsches Fördersystem nicht mehr so stark auf Das ist etwas, was ich in meiner Stellungnahme be- Ostdeutschland auszurichten, sondern wir schauen schrieben habe und was man schon beachten sollte. überall nach den Problemlagen. Gleichzeitig wird Wenn wir in Zukunft ein Gebietsranking der Ar- die Absenkung des Bevölkerungsplafonds wieder beitsmarktregion vorliegen haben, müssen wir dar- dazu führen, dass wir am Ende fast nur Förderregi- über sprechen, wie wir die Regionen auch weiter- onen in Ostdeutschland haben, weil dann plötzlich hin unterstützen können, die außerhalb der vom schwächere Regionen im Westen rausfallen, weil EU-Beihilferecht genehmigten Gebiete liegen. sie dafür noch ein bisschen zu wohlhabend sind. Die Vorsitzende: Dankeschön. Jetzt haben wir noch Die Vorsitzende: Danke. Jetzt haben wir noch eine Herrn Dr. Röhl zur Beantwortung. Viertelstunde. Da können wir noch eine schöne, kleine, knackige letzte Runde machen, wenn Sie Dr. Klaus-Heiner Röhl (IW Köln): Vielen Dank. Ich damit einverstanden sind, aber dann müssen wir werde versuchen, mich auf ein paar Ergänzungen wirklich kurze Fragen stellen und kurz antworten. zu beschränken. Generell stehen wir dem gesamt- Wir würden mit der CDU/CSU beginnen, mit Frau deutschen Fördersystem sehr positiv gegenüber, Zeulner. dass es überhaupt angegangen wurde, dass man die Maßnahmen bündelt, dass man Innovation stärker Abg. (CDU/CSU): Meine Frage geht berücksichtigt und dass man nicht abgeflossene an Herrn Dr. Klaus-Heiner Röhl, anschließend an Mittel in diese Wettbewerbe gebündelt hinein- die Beantwortung der Frage vorher. Als Kommu- steckt. Aber es ist zum Teil alter Wein in neuen nalpolitikerin, und ich darf jetzt mittlerweile seit Schläuchen. Man hat erstmal die Programme, die fast 12 Jahren Kommunalpolitik machen, denkt man hat, zusammengenommen und die Innovati- man eigentlich, der Klassiker um eine Kommune onsprogramme mit hineingenommen und gesagt, es zukunftsfest zu machen, ist, dass man schaut, dass ist ein gesamtdeutsches Fördersystem. man tatkräftige Familienunternehmen in der Re- gion hat, weil sie die Gewerbesteuer bringen und Wir hätten uns vorstellen können, dass man die dann automatisch die Kassen füllen. Deswegen GRW selbst noch stärker auch für Innovationsförde- kommt man dann irgendwann auch zu dem rung der Unternehmen öffnet, statt für reine Inves- Schluss, um das anzureizen – das wird immer wie- titionsförderung zur Schaffung von Arbeitsplätzen. der diskutiert – ist ja so eine Sonderwirtschaftszone Unternehmerische Investitionen zur Schaffung von gar nicht so schlecht. Deswegen würde ich einfach Arbeitsplätzen war ja immer das Hauptkriterium. gerne ihre Stellungnahme dazu hören, von Seiten Es handelt sich aber überwiegend um struktur- des Instituts der deutschen Wirtschaft, welche schwache Regionen, in denen wir zukünftig eher Rolle die Familienunternehmen für die Kommunen einen Arbeitskräftemangel, als eine hohe Arbeitslo- spielen und gerne auch, welche Bedarfe Sie in dem sigkeit haben werden. Das ist bereits absehbar. Es Bereich sehen. Sie haben jetzt zum Beispiel Innova- ist in einigen Regionen auch anscheinend schon tionsförderung angesprochen, aber auch im Bereich eingetreten, schauen Sie ins Erzgebirge. In anderen der Digitalisierung und gerne auch im Bereich der Regionen ist es noch nicht eingetreten, schauen Sie Infrastruktur. in die Uckermark. Aber generell verknappen sich in den ländlichen Regionen, die strukturschwach Zu den Altschulden, da wäre die Frage, weil wir da sind, die Arbeitskräfte. Anders ist es im Ruhrgebiet, grundlegend unterschiedliche Ansichten haben, das auch Förderregion der GRW ist, zumindest zum was die Bundesländer leisten müssen und sollen Teil, und dort haben wir immer noch eine hohe Ar- und was der Bund leisten soll. Ich sehe das natür- beitslosigkeit. Da ist es wiederum sehr sinnvoll, die lich primär als Aufgabe des Bundes, dass beispiels- Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern. Deswe- weise aus gewerbesteuerstarken Regionen, Boom- gen plädieren wir für eine zielgerechte Ausrichtung Regionen der Bundesländer über einen Struktur- an den regionalen Problemen und eine Stärkung ausgleich auch die ländlichen Regionen oder der Innovationsförderung. Das Problem wurde ge- schwächeren Regionen profitieren können. Da rade angesprochen, die EU wird uns vorgeben, dass würde ich auch gerne Ihre Position dazu hören. der Bevölkerungsplafond der Förderregionen ab- Danke.

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Die Vorsitzende: Herr Dr. Röhl. zurückzuführen. Die ostdeutschen Länder haben immer noch deutlich schwächere Ausstattungen Dr. Klaus-Heiner Röhl (IW Köln): Vielen Dank. Das mit Familienunternehmen und das schlägt dann war jetzt eine ganze Reihe von Fragen. Ich möchte auch gleich wieder auf Migration, Gewerbesteuer einmal mit dem Ende beginnen, mit den Kommu- und ähnliche kommunale und regionale Faktoren nalfinanzen. Ja, Sie haben vollkommen Recht, die durch. Gewerbesteuereinnahmen der Familienunterneh- men sind dort ganz entscheidend, aber die Frage ist Die Vorsitzende: Vielen Dank. Kurz und knapp natürlich immer: Wie kann ich die Situation verän- habe ich gemeint, sonst beißen den letzten die dern? Die Wirtschaftsförderung der GRW soll die Hunde. Herr Hemmelgarn. regionale Wirtschaft stärken, die geht ja auch stark Abg. Udo Hemmelgarn (AfD): Ich mache es kurz. an die Familienunternehmen vor Ort, Ansiedlun- Meine dritte Frage geht an Herrn Dr. Eltges vom gen von größeren Unternehmen hat man auch im- BBSR. In Ihrer Stellungnahme wird richtigerweise mer gewollt, das hat bisher aber diese Schieflage die Bedeutung der infrastrukturellen Anbindung nicht beseitigen können. Die Stärkung der Fami- für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhält- lienunternehmen vor Ort durch die bekannten nisse betont. In der Realität sehen wir oft Gegen- Maßnahmen – Wirtschaftsförderung, Gewerbege- den, in denen der Regionalzug nur alle zwei Stun- biete, Infrastrukturförderung und gute digitale Inf- den fährt oder der Bus sogar nur zweimal am Tag rastruktur – ist weiterhin wichtig, aber wir werden vorbeikommt. Selbst in den Speckgürteln der Groß- damit allein diese großen Unterschiede in den städte fährt der Regionalzug oftmals nur einmal in Kommunalfinanzen nicht beseitigen können. Wir der Stunde. Gegenwärtig wird die Mobilität in die- müssen schon darüber nachdenken, wie wir die sen Gegenden überwiegend durch private Pkw si- Kommunalfinanzen breiter aufstellen, dass sie chergestellt. Künftig soll es dann wohl der Rufbus nicht mehr so gewerbesteuer- und grundsteuerlas- richten. Meine Frage dazu: Wie lange wird es nach tig sind und z. B. einen höheren Anteil an der Ein- Ihrer Einschätzung dauern, bis der ÖPNV auf ei- kommenssteuer beinhalten. Das würde dann auch nem Niveau ist, dass die Menschen ohne wesentli- ein bisschen die Ausweisung von Wohngebieten che Verluste an Komfort und Zeitaufwand auf ihn fördern. Auf dem Lande wollen wir nicht unbe- umsteigen können? Gibt es außerhalb der Metropol- dingt noch mehr Zersiedelung der Landschaft mit regionen erfolgreiche Beispiele dafür? Vielen Dank. Wohngebieten, aber es gibt zentrale Orte und Klein- städte und größere Städte, die dann einen größeren Die Vorsitzende: Herr Dr. Eltges, ein Datum würde Anreiz hätten, Wohngebiete zu schaffen. Das wäre reichen als Antwort. ein Punkt. Dr. Markus Eltges (BBSR): Das ist eine schwierige Ein weiterer Punkt ist, dass die Familienunterneh- Frage, weil wir verschiedene ÖPNV-Systeme in men vor Ort auch in ganz vielen anderen Dingen Deutschland haben. Ich würde mich jetzt nicht stark sind. Die sind auch mit der Daseinsvorsorge trauen, ein Datum zu nennen, wann wir in Frank- verbunden. Wir sehen ein starkes kulturelles Enga- furt und der Uckermark vergleichbare ÖPNV-Sys- gement von Familienunternehmen in den Regio- teme haben. Diese ganzen Projekte, die wir im Akti- nen. In den doch sehr stark auf die öffentliche onsprogramm Daseinsvorsorge unterstützen, haben Hand ausgerichteten, auf den Staat ausgerichteten sehr viele Ideen und konkrete Umsetzungsprojekte Analysen zur Daseinsvorsorge, wird das nicht aus- gefördert, wie man über privatwirtschaftliches En- reichend berücksichtigt. Wir sehen da auch einen gagement, Bürgerbusse etc., Lücken schließen starken Einfluss auf das Migrationsverhalten. Wir kann. Das sind zivilgesellschaftlich organisierte haben festgestellt, dass die ländlichen Regionen, Prozesse. Aber wir werden, glaube ich, nicht in wir haben uns nur die ländlichen Regionen ange- eine Lage kommen, in der wir von vergleichbaren schaut, die starke Familienunternehmen haben, die ÖPNV-Strukturen zwischen Stadt und Land spre- einen hohen Anteil an Familienunternehmen ha- chen können. Das geben schon die Siedlungsstruk- ben, demografisch besser dastehen, als andere. Sie tur und die Kostendeckungsbeiträge nicht her, dass haben weniger Abwanderung, eher noch Zuwande- wir da zu vergleichbaren Systemen kommen wer- rung als familienunternehmensschwache Regionen. den. Alle Gebietskörperschaften haben aber den Zum Teil ist das auf einen Ost-West-Unterschied Anspruch, möglichst viel in dieser Richtung zu

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tun. Allein der Umstand, dass alle Städte durch den Ge- werbesteuerausfall infolge von Corona deutlich Die Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Daldrup. vulnerabler geworden sind und der Bundestag dazu Abg. Bernhard Daldrup (SPD): Ich stelle eine zusammen mit den Ländern für 2020 eine Kompen- kurze, leicht polemische Frage an Herrn Wohlt- sation auf den Weg gebracht hat, zeigt ja, dass die mann. Es wird ja sehr häufig von den klebrigen Situation ganz schnell deutlich vulnerabler werden Fingern gesprochen und meine Frage lautet, ob ei- kann. Das drückt sich natürlich in der Lieferung gentlich die Entlastungen bei der Übernahme der von Leistungen aus und das drückt sich natürlich KdU durch den Bund für die Landkreise eins zu in Ad-Hoc-Kürzungsprogrammen in den Städten eins in eine Absenkung der Kreisumlage gemündet aus, bis hin zu Haushaltssperren, die wir verbands- sind. Falls das nicht der Fall sein sollte: Wieso ei- seitig immer sehr bedauern, weil wir die Städte na- gentlich nicht? türlich handlungsfähig und vor allem investitions- fähig gehalten sehen wollen. Zweitens: Im Anschluss an das, was Herr Dr. Eltges gesagt hat, will ich Herrn von Lojewski fragen. Wir Wie kann man dem beikommen? Das ist ein chroni- müssen uns Gedanken machen, nicht nur Kommu- sches Problem. Heute habe ich mir den Atlas der nen zu unterstützen, sondern Kommunen manch- Heinrich-Böll-Stiftung angeschaut und da wird mal auch zu schützen, wenn kommunale Selbstver- deutlich: Im Durchschnitt können die Städte deut- waltung einen Sinn haben soll, denn die Verletz- lich unter 40 Prozent dessen, was sie finanzieren, lichkeit durch Klimawandel, durch Pandemien, selber finanzieren. Wir reden über ein chronisches durch Datenprobleme, wird immer größer. Wie Problem, das jenseits von Corona und dieser plötz- müssten wir Kommunen davor schützen? Trifft es lichen zusätzlichen Vulnerabilität die kommunale diejenigen, die sich in finanziell schwierigen Situa- Selbstverwaltung per se beschränkt. Wenn man sie tionen befinden, dann nicht ganz besonders hart? weniger vulnerabel machen möchte, dann muss man den Selbstfinanzierungsanteil der Städte deut- Die Vorsitzende: Dann fangen wir mit Herrn Wohlt- lich höher setzen. Da fragt man vielleicht Herrn mann am. Professor Dr. Junkernheinrich noch besser als mich, Matthias Wohltmann (Deutscher Landkreistag): da muss die Finanzierung der Städte auf eine an- Das kann ich relativ einfach beantworten. Selbst- dere, stabilere Grundlage gestellt werden. Aber ich verständlich sind die Entlastungen nicht eins zu glaube, vier Minuten vor dem Ende wollten Sie eins in die Kreisumlagen eingeflossen, weil die Si- jetzt keine Grundsatzdiskussion mehr starten. tuationen vor Ort sehr unterschiedlich sind. Wir Wir haben die Vulnerabilität, Herr Daldrup, jetzt haben Länder wie Rheinland-Pfalz, wo sowohl die nicht nur in den bekannten Städten, ein paar sind Gemeinden als auch die Landkreise enorme haus- ja heute schon genannt worden, die das Ranking hälterische Probleme mit sich herumschleppen und der Verschuldung anführen. Wir haben solch eine beide auch der Entlastung bedürfen. Sie haben an- plötzliche Vulnerabilität jetzt auch in höchst sol- dere Bundesländer, wie Nordrhein-Westfalen, wo venten Städten. Wenn eine Stadt wie München auf die Haushaltsnöte sehr stark auf die gemeindliche einmal eine Milliarde Euro Einnahmeausfälle hat, Ebene geschoben werden, weil die Umlagever- dann zeugt das natürlich auch von einer Vulnerabi- bände ihre Haushalte ausgleichen müssen. Insoweit lität und zwar nicht nur in 2020, sondern auch in ist die Ausgangslage wirklich in jedem Land unter- den Folgejahren. Dieser Ausschuss für Kommuna- schiedlich und deshalb ist es auch richtig, dass in les wird sich gewiss auch noch einmal in der jedem Land und auch in jedem Landkreis unter- nächsten Zeit damit befassen dürfen, wie es denn schiedlich entschieden wird. mit der Investitionsfähigkeit der Städte weitergeht. Die Vorsitzende: Dankeschön. Herr von Lojewski, Strukturell wollen wir von dieser Zahl 30plus im bitte. Durchschnitt herunter. Wir wollen eindeutig mehr selbst finanzieren können, um auch der klimati- Hilmar von Lojewski (Deutscher Städtetag): Vielen schen Vulnerabilität entgegenzutreten, sie zu be- Dank für die Frage, Herr Abgeordneter Daldrup. Die kämpfen, die Resilienz der Städte zu stabilisieren Vulnerabilität der Städte. Ja, die gibt es sowohl im und auch einen Beitrag zur Gleichwertigkeit der fiskalischen wie auch im klimatischen Bereich, aber ich glaube, Sie stellten auf den fiskalischen ab.

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Lebensverhältnisse zu leisten, die nie eine Ausstat- dacht hat, dass die Voraussetzungen der Kommu- tungsidentität ist oder eine Parametrierung auf glei- nen und der Regionen sehr unterschiedlich sind. chem Niveau, sondern immer zu tun hat mit Zu- Nicht alles hat überall Wirkung, wenn etwa der Re- gangschancen, Trittsteinen für Selbsthilfe und Wei- sonanzboden nicht da ist. Eine Maßnahme, die ja terentwicklung. Das wollte ich gerne zum Schluss auch in den Anträgen genannt wird, und bei der angesprochen haben. Dankeschön. diese Resonanzbodenproblematik nicht so groß wäre, das ist sicherlich die Verlegung von Behör- Die Vorsitzende: Wir danken Ihnen. Jetzt haben wir den in den ländlichen oder semiländlichen Raum. noch die FDP, die Linken und die Grünen. Machen Da muss man natürlich auf die Kosten achten, aber wir mit Frau Dr. Strack-Zimmermann weiter. ich könnte mir vorstellen, dass hier schon mehr ge- Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): macht werden könnte, als bisher von Seiten der Jetzt ist die Frage, ob die Zeit reicht. Ich hätte gern Bundesregierung und teilweise der Landesregierun- Herrn Prof. Dr. Rosenfeld noch kurz gefragt. Es gibt gen in die Wege geleitet worden ist. ja eine Menge verschiedene Instrumente, um Unter- Ansonsten kann ich nur noch einmal an das erin- schiede in den Regionen zu kompensieren. Ich will nern, was wir vorhin schon sagten. Ich bin der Mei- die jetzt gar nicht alle aufführen. Herr Prof. Dr. Ro- nung, dass man lieber mit genossenschaftlichen senfeld: Gibt es denn Werkzeuge, von denen Sie sa- und dezentralen Ansätzen auf die kleinen Initiati- gen, die bedürfen einer Nachjustierung, oder sehen ven vor Ort setzen, auf die Eigenentwicklung der Sie andere Möglichkeiten? Kommunen vertrauen und weniger durch Vorgaben Die Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Prof. Dr. Rosen- von oben alles in einen festen Rahmen gießen feld. sollte. Wenn die Finanzmittel der Kommunen aus- reichend wären, dann würde auch das bürger- Prof. Dr. Martin T. W. Rosenfeld (Universität schaftliche Engagement vor Ort sicherlich dazu Halle-Wittenberg): Ich habe die Frage so verstan- führen, dass dort eine Entscheidung getroffen wird, den, Frau Dr. Strack-Zimmermann, welche Förder- die im Sinne der Bevölkerung ist, und das Gefühl möglichkeiten aus meiner Sicht für die Zukunft die abgehängt zu sein hoffentlich weniger stark vertre- günstigsten wären. Das ist durchaus ein abendfül- ten wäre als heute. lendes Programm, das zu beantworten. Ich denke, eine neue Gemeinschaftsaufgabe, wie sie in den Die Vorsitzende: Vielen Dank. Dann kommen wir Anträgen unisono genannt und gefordert wird, zu den Linken. Noch einmal Frau Kassner. kann nicht zielführend sein. Wir wissen, was für Abg. Kerstin Kassner (DIE LINKE.): Ich möchte al- Probleme mit allen Gemeinschaftsaufgaben verbun- len einen ganz herzlichen Dank sagen, die uns hier den sind, auch das wäre ein abendfüllender Vor- geholfen haben, Erkenntnisgewinn aus der heuti- trag. Da denke ich, wäre es wesentlich besser, wie gen Veranstaltung zu ziehen. Wir stellen fest, dass es im letzten Beitrag eben auch zum Ausdruck wir noch viel zu tun haben, dass es tatsächlich not- kam, wenn wir die Kommunen allgemein stärken wendig ist, uns mit der Thematik zu beschäftigen. würden, als dass wir jetzt eine neue Gemeinschafts- Ich würde zum Abschluss noch einmal Herrn aufgabe einführen sollten. Da müsste man natürlich Dr. Kallert fragen, wie er das Spannungsfeld zwi- beim Gemeindefinanzsystem anfangen. Das wäre schen der kommunalen Grundausstattung und der eine längere Diskussion, wie es eben auch schon Projektförderung sieht. Da versuchen wir im Bund, angedeutet wurde, für den Rest des heutigen Tages bestimmte Dinge durch eine gezielte Förderung von bis um Mitternacht mindestens. Aber ich glaube, Vorhaben anzuregen. Wie ist da das Verhältnis zu das ist der wesentliche Ansatz, um die Kommunen einer gesunden Grundausstattung? auf eine tragfähige Basis zu stellen. Die Vorsitzende: Herr Dr. Kallert. Wenn wir an die wirtschaftliche Entwicklung im engeren denken, sofern dann diese finanzielle Vo- Dr. phil. Andreas Kallert (Universität Marburg): raussetzungen erst einmal gegeben sind, dann bin Zunächst einmal: So ein Förderprogramm ist besser ich der Auffassung, dass vieles von dem, was bis- als keines. Das muss man schon einmal festhalten. her an Wirtschaftsförderung geleistet worden ist, Problematisch ist aber die Verschiebung der Finan- nicht richtig gegriffen hat, weil man nicht daran ge- zierung von notwendigen kommunalen Investitio- nen und da können wir beobachten, das wurde ja

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gerade eben schon von anderen angesprochen, dass Problem. Aber angesichts eines Investitionsrück- das immer weniger mit originären kommunalen stands von rund 150 Milliarden Euro bei den Kom- Haushaltsmitteln möglich ist. Stattdessen geschieht munen braucht es eben auch mehr als nur kleine das immer mehr mit projektbezogenen Fördermit- inkrementelle Schritte. Ich glaube, das muss auch teln. Das zieht eine Reihe von Problemen nach klar sein. sich, auch das wurde teilweise schon angespro- Die Vorsitzende: Vielen Dank. Jetzt Frau Haßel- chen. mann. Die Dimension bei den Investitionen für das Jahr Abg. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 2018, sieht laut KfW, glaube ich, so aus: Über ein NEN): Vielen Dank, Frau Vorsitzende, vielen Dank Viertel der kommunalen Investitionen wurde über auch an die Sachverständigen für die Erörterungen projektgebundene Fördermittel finanziert und reali- hier. Gerade bei Ihren Antworten, Herr Dr. Röhl siert. Das ist eine Steigerung um knapp 50 Prozent und Herr Dr. Eltges, dachte ich: „Na, ob das BMI, seit 2016, da wurde das das erste Mal erhoben. Das das Bundeslandwirtschaftsministerium und das kann sich in der Zwischenzeit auch schon wieder Bundeswirtschaftsministerium das schon so im deutlich erhöht haben. Blick haben, dass sich die Förderkulisse auf euro- Die Probleme, die damit einhergehen, das haben päischer Ebene massiv ändert, da habe ich ein biss- wir auch schon mehrfach angerissen, sind stei- chen meine Befürchtungen.“ Die Debatten kenne gende Bürokratie, Aufwand für die Verwaltung, ich noch nicht so richtig. Herr Lübking, ich habe an Abrechnung und für den Antrag überhaupt. Die Sie jetzt noch einmal eine Frage, vorhin hat es zeitliche Dimension, bis so ein Förderprogramm nicht geklappt. Sie haben ja selbst davon gespro- überhaupt aufgelegt ist, dann der Antrag, dann die chen, was für Herausforderungen im Hinblick auf Bewilligung, dann die Realisierung, da vergehen die Alten- und Gesundheitsversorgung an Un- schnell einige Jahre. Das ist ein Stück weit auch gleichgewichten und fehlenden Zugängen beste- eine unnötige Zeitverzögerung. Die begrenzten För- hen. Mein Eindruck ist, dass sich die Schere zwi- dertöpfe und dass Mittel von denjenigen genutzt schen armen und reichen Kommunen, gerade bei werden, die sie gar nicht so dringend bräuchten, den höchstverschuldeten Kommunen, was solche aber das Personal haben, die Ressourcen für so eine Zugänge der Gesundheitsversorgung angeht, durch Antragstellung haben, kommen hinzu. Dann, das die Corona-Pandemie weiter öffnen könnte, wenn hatten wir am Anfang ebenfalls schon, die Proble- wir an die Aufgaben des öffentlichen Gesundheits- matik mit den Eigenmitteln, die vor allem finanz- dienstes denken. Die Frage an Sie: Was glauben schwachen Kommunen zum Problem werden kön- Sie, wie können wir da gezielt nachsteuern? nen. Da gab es die Studie, die gezeigt hat, dass ge- Die Vorsitzende: Herr Lübking. rade finanzschwache Kommunen das nicht in der Form leisten können und sich deshalb räumliche Uwe Lübking (Deutscher Städte- und Gemeinde- Disparitäten verstetigen oder sogar noch steigern. bund): Vielen Dank, Frau Haßelmann. Zu Ihrer ers- Wie kann man das Spannungsfeld lösen? Das chro- ten Frage noch ganz kurz die Antwort. Wir setzen nische Problem bei der Finanzausstattung angehen uns für eine Entfristung und Aufstockung des Kom- und eine finanzielle Mehrausstattung einführen, munalinvestitionsförderungsgesetzes ein. Das war die die Kommunen befähigt, ihre Aufgaben aus ei- die Antwort die untergegangen war. Was die ärztli- genen Mitteln tätigen zu können. Das ist, glaube che Versorgung angeht, der Pakt zur Stärkung des ich, der wesentliche Punkt. Gesundheitsdienstes ist ein wichtiger und guter Schritt. Die Frage wird sein, ob man überhaupt das Der Weg dorthin wäre eine Erhöhung des Gemein- notwendige Fachpersonal finden wird. Das ist noch deanteils an der Umsatzsteuer. Das wäre sicherlich einmal ein ganz anderes Problem. Auch das, was eine stetige Steuerquelle, die den Kommunen hel- jetzt mit dem Zukunftsinvestitionsgesetz für die fen könnte. Oder die Ausweitung der Gewerbe- Krankenhäuser beschlossen worden ist, ist noch steuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer, auch einmal ein wichtiger Schritt. Was die ärztliche Ver- das wird, glaube ich, nicht das erste Mal hier dis- sorgung, medizinische Versorgung angeht, wird tat- kutiert. Das wäre wahrscheinlich etwas Sinnvolles, sächlich überlegt werden müssen, ob es nicht zu wäre aber weiterhin erfolgsabhängig, das ist ein

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anderen Versorgungsstrukturen kommen kann, in- dem, was ich schon gesagt hatte, ambulant und sta- tionär eher sektoral übergreifend angepasst werden muss, damit man dann auch die Häuser der Grund- und Regelversorgung mit ambulanten Aufträgen mitbetrauen kann, das Ganze dann auch mit Video- sprechstunden digital nutzen und mit pflegerischer Versorgung verbinden kann. Es gibt erste Beispiele aus Brandenburg und Sachsen. Das sind Lösungen, gerade für den ländlichen Raum, nicht für den städtischen und großstädtischen Raum, um hier die medizinisch pflegerische Versorgung sicherzustel- len. Das ist aber nicht einfach, weil wir natürlich in festen Strukturen diskutieren und jeder da seine ei- genen Sektoren verteidigt. Das ist ein dickes Brett, aber ich glaube, das müssen wir aufbohren. Die Vorsitzende: Vielen Dank, das war sozusagen das Schlusswort. Ich bedanke mich bei Ihnen allen, bei den Fachleuten, die hier waren und uns Rede und Antwort gestanden haben, und natürlich auch den Kollegen, die hier ausgeharrt und die Fragen gestellt haben. Wir sehen uns wieder in der nächs- ten Sitzung, ganz regulär in der nächsten Sitzungs- woche, hoffentlich ohne Zeitdruck, um 11:00 Uhr. Ich danke auch denen, die nachher das Video anse- hen werden. Schön, dass Sie sich für das Thema in- teressieren und kommen Sie alle gut nach Hause.

Schluss der Sitzung: 19:39 Uhr

Mechthild Heil, MdB Vorsitzende

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