Plenarprotokoll 19/166

Deutscher

Stenografischer Bericht

166. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- (SPD) ...... 20650 B neten Paul Viktor Podolay und Dr. (AfD) ...... 20651 A (Aachen) ...... 20637 A (CDU/CSU) ...... 20651 D Wahl des Abgeordneten zum stellvertretenden Mitglied der Parlamentari- (DIE LINKE) ...... 20653 A schen Versammlung des Europarats ...... 20637 A (CDU/CSU) ...... 20653 C Wahl des Abgeordneten Dr. Matthias (CDU/CSU) ...... 20654 B Miersch zum stellvertretenden Mitglied des Programmbeirats beim Bundesministerium der Finanzen ...... 20637 B Tagesordnungspunkt 11: Wahl des Abgeordneten Dr. Matthias Wahlvorschlag des Wahlausschusses für die Miersch zum ordentlichen Mitglied des Richter des Bundesverfassungsgerichts: Wahl Kunstbeirats beim Bundesministerium der der Vizepräsidentin des Bundesverfas- Finanzen ...... 20637 B sungsgerichts Wahl der Abgeordneten Drucksache 19/19993 ...... 20655 A zum ordentlichen Mitglied und des Abgeord- neten zum stellvertreten- den Mitglied des Stiftungsrats der Bundes- Tagesordnungspunkt 12: stiftung Bauakademie ...... 20637 B a) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: Änderungen der Tagesordnung ...... 20637 C Wahl eines Mitglieds des Sondergre- miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabili- sierungsmechanismusgesetzes Drucksache 19/19533 ...... 20655 B Tagesordnungspunkt 10: b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Wahl von Mitgliedern des Sondergre- Bundeskanzlerin zur deutschen EU-Rats- miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabili- präsidentschaft und zum Europäischen sierungsmechanismusgesetzes Rat am 19. Juni 2020 Drucksache 19/19253 ...... 20655 B Dr. , Bundeskanzlerin ...... 20638 A c) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: Dr. (AfD) ...... 20642 A Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgre- miums gemäß § 10a Absatz 2 der Bun- (SPD) ...... 20643 A deshaushaltsordnung (FDP) ...... 20644 D Drucksache 19/19532 ...... 20655 B (CDU/CSU) ...... 20646 B d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgre- (DIE LINKE) ...... 20647 D miums gemäß § 10a Absatz 2 der Bun- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ deshaushaltsordnung DIE GRÜNEN) ...... 20648 D Drucksache 19/19251 ...... 20655 B II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 e) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: (SPD) ...... 20670 A Wahl von Mitgliedern des Gremiums ge- (CDU/CSU) ...... 20671 A mäß § 3 des Bundesschuldenwesengeset- zes (SPD) ...... 20672 A Drucksache 19/19252 ...... 20655 B Dr. (FDP) ...... 20673 A Wahlen ...... 20656 A (CDU/CSU) ...... 20673 D Dr. (FDP) ...... 20674 D Ergebnisse . . . . 20728 C, 20728 D, 20730 A, 20730 A, 20730 A, 20730 B Tagesordnungspunkt 14: Zusatzpunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- Erste Beratung des von den Abgeordneten gebrachten Entwurfs eines Ersten Ge- Christine Aschenberg-Dugnus, Konstantin setzes zur Änderung des Außenwirt- Kuhle, , weiteren Abge- schaftsgesetzes und anderer Gesetze ordneten und der Fraktion der FDP einge- Drucksachen 19/18700, 19/20144 ...... 20675 D brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiter- geltung von Rechtsverordnungen und – Zweite und dritte Beratung des von der Anordnungen aus der epidemischen Lage Bundesregierung eingebrachten Ent- von nationaler Tragweite angesichts der wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- Covid-19-Pandemie (Covid-19-Rechtsver- rung des Außenwirtschaftsgesetzes ordnungsweitergeltungsgesetz) und anderer Gesetze Drucksache 19/20042 ...... 20656 A Drucksachen 19/18895, 19/19375, 19/20144 ...... 20675 D in Verbindung mit b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie Zusatzpunkt 6: – zu dem Antrag der Abgeordneten Antrag der Abgeordneten Christine , , Aschenberg-Dugnus, , Dr. , weiterer Abgeordne- Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter ter und der Fraktion der FDP: Selbst- und der Fraktion der FDP: Epidemische Lage bewusstsein statt Abschottung – Für von nationaler Tragweite beenden – Bevöl- ein liberales Außenwirtschaftsrecht kerung weiter schützen, Parlamentsrechte trotz Corona-Pandemie wahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksache 19/20046 ...... 20656 A Katharina Dröge, , Sven- Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ...... 20656 B Christian Kindler, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (CDU/CSU) ...... 20657 A GRÜNEN: Schlüsseltechnologien und Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ...... 20657 C europäische Souveränität im Zuge Dr. (AfD) ...... 20658 D der COVID-19-Pandemie schützen Drucksachen 19/18673, 19/18703, (SPD) ...... 20660 C 19/20144 ...... 20676 A Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ...... 20661 C , Bundesminister BMWi ...... 20676 A Sabine Dittmar (SPD) ...... 20662 A Hansjörg Müller (AfD) ...... 20677 B (DIE LINKE) ...... 20662 B Markus Töns (SPD) ...... 20678 C Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20663 C Reinhard Houben (FDP) ...... 20679 C Dr. Andrew Ullmann (FDP) ...... 20664 B (DIE LINKE) ...... 20680 C Erwin Rüddel (CDU/CSU) ...... 20665 B Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20682 A Dr. Wieland Schinnenburg (FDP) ...... 20665 D Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) ...... 20683 C Konstantin Kuhle (FDP) ...... 20666 D Hansjörg Müller (AfD) ...... 20684 C Rudolf Henke (CDU/CSU) ...... 20668 B Dr. (SPD) ...... 20685 B Konstantin Kuhle (FDP) ...... 20668 C (CDU/CSU) ...... 20686 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20669 A Reinhard Houben (FDP) ...... 20687 A Konstantin Kuhle (FDP) ...... 20669 C (SPD) ...... 20687 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 III

Zusatzpunkt 7: beauftragte oder den unabhängigen Polizei- beauftragten des Bundes (Bundespolizei- Antrag der Abgeordneten Dr. , beauftragtengesetz – BPolBeauftrG) Dr. , , wei- Drucksachen 19/7930, 19/20129 ...... 20689 C terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Verfassungsfeindli- Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ che Tendenzen in der Polizei erkennen und DIE GRÜNEN) ...... 20689 C entschlossen angehen Dr. (CDU/CSU) ...... 20690 D Drucksache 19/20063 ...... 20689 A Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ in Verbindung mit DIE GRÜNEN) ...... 20691 A (AfD) ...... 20692 B

Zusatzpunkt 8: (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20694 A a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Martin Hess (AfD) ...... 20694 B Dr. Konstantin von Notz, , (SPD) ...... 20694 C weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- Konstantin Kuhle (FDP) ...... 20696 A ten Entwurfs eines Gesetzes über die un- Dr. André Hahn (DIE LINKE) ...... 20697 A abhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 20698 B Bundes (Bundespolizeibeauftragtenge- (FDP) ...... 20699 D setz – BPolBeauftrG) Drucksachen 19/7928, 19/20136 ...... 20689 A Uli Grötsch (SPD) ...... 20700 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 20701 D Ausschusses für Inneres und Heimat (fraktionslos) ...... 20702 D – zu dem Antrag der Abgeordneten , Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, (CDU/CSU) ...... 20703 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion (DIE LINKE) ...... 20704 D DIE LINKE: Unabhängige Polizeibe- (AfD) ...... 20705 A schwerdestelle auf Bundesebene ein- richten Michael Kuffer (CDU/CSU) ...... 20705 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abge- Tagesordnungspunkt 35: ordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Aufklärung a) Erste Beratung des von der Bundesregie- polizeilichen Fehlverhaltens erleich- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- tern – Ergänzung zum Entwurf eines zes zur Umsetzung der Abfallrahmen- Gesetzes über die unabhängige Poli- richtlinie der Europäischen Union zeibeauftragte oder den unabhängi- Drucksache 19/19373 ...... 20706 C gen Polizeibeauftragten des Bundes c) Erste Beratung des von der Bundesregie- (Bundespolizeibeauftragtengesetz – rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge- BPolBeauftrG) setzes zur Änderung des Gesetzes über Drucksachen 19/7119, 19/7929, die internationale Rechtshilfe in Strafsa- 19/20136 ...... 20689 B chen Drucksache 19/19852 ...... 20706 C in Verbindung mit f) Antrag der Abgeordneten , , Dr. Gesine Lötzsch, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Zusatzpunkt 9: LINKE: Förderzeiträume des Kommu- nalinvestitionsförderungsgesetzes ver- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- längern schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Drucksache 19/19016 ...... 20706 D schäftsordnung zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von h) Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter Lorenz Gösta Beutin, , und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weiterer Abgeordneter und der Fraktion NEN: Änderung der Geschäftsordnung des DIE LINKE: Längere Lebensdauer für Deutschen Bundestages – hier: Umsetzung Elektrogeräte des Gesetzes über die unabhängige Polizei- Drucksache 19/19643 ...... 20706 D IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 i) Antrag der Abgeordneten Andreas s) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mrosek, Dr. , Wolfgang Sondergutachten des Sachverständigen- Wiehle, weiterer Abgeordneter und der rates für Umweltfragen – Demokratisch Fraktion der AfD: Befahrensabgaben regieren in ökologischen Grenzen – zur auf dem Nord-Ostsee-Kanal absenken Legitimation von Umweltpolitik und flexibilisieren Drucksache 19/15335 ...... 20707 D Drucksache 19/19650 ...... 20706 D t) Antrag des Präsidenten des Bundesrech- k) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton nungshofes: Rechnung des Bundesrech- Friesen, Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland nungshofes für das Haushaltsjahr Hartwig, weiterer Abgeordneter und der 2019 – Einzelplan 20 – Fraktion der AfD: Russlandsanktionen Drucksache 19/19847 ...... 20707 D jetzt aufheben – Konjunkturprogramm in Zeiten der Corona-Krise in Gang bringen und politisches Zeichen setzen in Verbindung mit Drucksache 19/20077 ...... 20707 A l) Antrag der Abgeordneten Dr. Götz Frömming, , Stephan Zusatzpunkt 10: Brandner, weiterer Abgeordneter und der a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Fraktion der AfD: Pharmazeutische For- , Dr. , schung und Entwicklung in Deutschland Dr. Konstantin von Notz, weiteren Abge- national verankern und krisenfest ma- ordneten und der Fraktion BÜND- chen NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- Drucksache 19/20078 ...... 20707 A wurfs eines Gesetzes zur zivil-, arbeits- m) Antrag der Abgeordneten Dr. Götz und dienstrechtlichen Sicherung der Frömming, Marc Bernhard, Stephan Freiwilligkeit der Nutzung und zur Brandner, weiterer Abgeordneter und der Zweckbindung mobiler elektronischer Fraktion der AfD: Keine Verzögerungen Anwendungen zur Nachverfolgung von beim Mahnmal für die Opfer kommu- Infektionsrisiken (Tracing-App-Freiwil- nistischer Gewaltherrschaft zulassen ligkeits- und Zweckbindungs-Gesetz – Drucksache 19/20079 ...... 20707 B TrAppFZG) Drucksache 19/20037 ...... 20708 A n) Antrag der Abgeordneten , , Markus b) Antrag der Abgeordneten Dr. Marc Frohnmaier, weiterer Abgeordneter und Jongen, Dr. Götz Frömming, Martin Erwin der Fraktion der AfD: Wirtschaftliche Be- Renner, weiterer Abgeordneter und der ziehungen mit Nigeria intensivieren – Fraktion der AfD: Die deutsche Kolonial- Teilhabe und Selbstverantwortung stär- zeit kulturpolitisch differenziert aufar- ken durch eigenstaatlich motivierte Ge- beiten burtenverantwortung – Deutsche Wirt- Drucksache 19/15784 ...... 20708 A schaftsinteressen definieren und c) Antrag der Abgeordneten Stefan Schmidt, umsetzen Stephan Kühn (Dresden), Anja Hajduk, Drucksache 19/20080 ...... 20707 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion p) Antrag der Abgeordneten , BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lenkungs- Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, weiterer wirkung zu emissionsarmen und emis- Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- sionsfreien Autos entfalten – Kfz-Steuer KE: Familiennachzug umfassend er- schnellstmöglich reformieren möglichen Drucksache 19/17794 ...... 20708 B Drucksache 19/20026 ...... 20707 C d) Antrag der Abgeordneten Omid q) Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Nouripour, Sven-Christian Kindler, Jürgen Sören Pellmann, , weiterer Trittin, weiterer Abgeordneter und der Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: KE: Dritter Goldener Plan Sport – 10 Nahost-Friedensprozess – Zwei-Staa- mal eine Milliarde für Sportstätten in ten-Regelung offen halten und voran- Deutschland treiben Drucksache 19/20035 ...... 20707 C Drucksache 19/19422 ...... 20708 B r) Unterrichtung durch die Bundesregierung: e) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Schmeink, , Dr. Kirsten Beirats der Bundesregierung Globale Kappert-Gonther, weiterer Abgeordneter Umweltveränderungen – Unsere ge- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- meinsame digitale Zukunft NEN: Zugang zur Gesundheitsversor- Drucksache 19/15004 ...... 20707 C gung für alle Menschen sicherstellen – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 V

Rechte marginalisierter Gruppen in n) Antrag der Abgeordneten Stephan Zeiten der COVID-19-Pandemie nach- Protschka, Berengar Elsner von Gronow, haltig stärken , weiterer Abgeord- Drucksache 19/19538 ...... 20708 C neter und der Fraktion der AfD: Zukunfts- fähige Nutztierhaltung – Planungs- und f) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn Investitionssicherheit für Landwirte (Dresden), , Stefan herstellen Gelbhaar, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/20120 ...... 20709 B Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutsche EU-Ratspräsidentschaft für o) Antrag der Abgeordneten , eine europäische Verkehrswende nutzen , Stephan Thomae, weite- Drucksache 19/19558 ...... 20708 C rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Au-pair-Programme stärken – g) Antrag der Abgeordneten Dr. Bettina Verfahren beschleunigen und Klarheit Hoffmann, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, schaffen Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeord- Drucksache 19/20059 ...... 20709 B neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die hohe individuelle und ge- p) Antrag der Abgeordneten Pascal Kober, sellschaftliche Belastung durch Aller- Linda Teuteberg, Stephan Thomae, weite- gien mit einem Aktionsprogramm redu- rer Abgeordneter und der Fraktion der zieren und die Versorgungssituation der FDP: Berufsbedingte Einreisen aus Allergikerinnen und Allergiker verbes- Drittstaaten auch praktisch ermögli- sern chen Drucksache 19/19865 ...... 20708 D Drucksache 19/20054 ...... 20709 C i) Antrag der Abgeordneten Detlev q) Antrag der Abgeordneten , Spangenberg, Marc Bernhard, Jürgen , Christian Dürr, weiterer Braun, weiterer Abgeordneter und der Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Fraktion der AfD: Die Reform der Welt- Thesaurierungsbegünstigung für Unter- gesundheitsorganisation – Für mehr nehmen Transparenz in der globalen Gesund- Drucksache 19/20055 ...... 20709 C heitspolitik r) Antrag der Abgeordneten , Drucksache 19/20115 ...... 20708 D , Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: j) Antrag der Abgeordneten Detlev Gute Mobilität für europäische Bürger – Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan Schwerpunkte in der Verkehrspolitik Brandner, weiterer Abgeordneter und der während der deutschen Ratspräsident- Fraktion der AfD: Rehakliniken und schaft Kurbetrieb in den Regelbetrieb zurück- Drucksache 19/20043 ...... 20709 C kehren lassen Drucksache 19/20116 ...... 20708 D s) Antrag der Abgeordneten , Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer k) Antrag der Abgeordneten Detlev Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan Saubere Luft durch wirksame und ver- Brandner, weiterer Abgeordneter und der hältnismäßige Maßnahmen gewährleis- Fraktion der AfD: Krankenhäuser in ten den Regelbetrieb zurückkehren lassen Drucksache 19/20056 ...... 20709 D Drucksache 19/20117 ...... 20709 A t) Antrag der Abgeordneten Katja Hessel, l) Antrag der Abgeordneten Jörg Schneider, Christian Dürr, Dr. , weite- Jürgen Braun, , weiterer Abge- rer Abgeordneter und der Fraktion der ordneter und der Fraktion der AfD: Schwe- FDP: Corona-Prämien an Arbeitnehmer re Verlaufsformen bei Infektion mit dem dürfen Steuerbegünstigung nicht ge- Coronavirus SARS-CoV-2 reduzieren – fährden Vitamin-D-Mangel in der Bevölkerung Drucksache 19/20061 ...... 20709 D beseitigen, Immunabwehr stärken Drucksache 19/20118 ...... 20709 A v) Antrag der Abgeordneten Johannes Vogel (Olpe), Michael Theurer, Reinhard m) Antrag der Abgeordneten Detlev Houben, weiterer Abgeordneter und der Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan Fraktion der FDP: Corona-Hilfen für Brandner, weiterer Abgeordneter und der Selbständige, Freiberufler und Freelan- Fraktion der AfD: Bewegungsfreiheit für cer – Überbrückungshilfen pragmatisch Bewohner von Seniorenheimen sicher- ausgestalten, Deckung des Lebensunter- stellen halts gewährleisten Drucksache 19/20119 ...... 20709 A Drucksache 19/20049 ...... 20710 A VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 w) Antrag der Abgeordneten Dr. Anna Interpol Mechanismen „Red Notices“ Christmann, , , und „Diffusions“ zur Sicherung der weiterer Abgeordneter und der Fraktion Menschenrechte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wissen- Drucksache 19/20019 ...... 20711 A schaft im Dialog mit Gesellschaft – Wis- senschaftskommunikation und Wissen- in Verbindung mit schaftsjournalismus umfassend stärken Drucksache 19/20041 ...... 20710 A x) Antrag der Abgeordneten , Zusatzpunkt 10: Matthias Gastel, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- y) Antrag der Abgeordneten , NIS 90/DIE GRÜNEN: Verkehrs- Michael Theurer, Reinhard Houben, weite- sicherheit auf allen Straßen erhöhen – rer Abgeordneter und der Fraktion der Sicherheitstempo 130 km/h auf Bundes- FDP: Unternehmen schnell und effizient autobahnen einführen entlasten – Ist-Versteuerung als bundes- Drucksache 19/20064 ...... 20710 A weiten Standard setzen Drucksache 19/20062 ...... 20711 B in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 36: Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung a) Antrag der Abgeordneten Karlheinz des von der Bundesregierung eingebrach- Busen, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Hocker, weiterer Abgeordneter und der Abkommen vom 27. September 2019 Fraktion der FDP: Tierwohl europäisch zwischen der Regierung der Bundesre- denken und baurechtlich ermöglichen publik Deutschland und der Regierung Drucksache 19/20047 ...... 20710 B der Republik Polen über den Ersatzneu- bau der Grenzbrücke im Raum Küstrin- in Verbindung mit Kietz – Küstrin (Kostrzyn nad Odrą) Drucksachen 19/18788, 19/19386, 19/19655 Nr. 1.6, 19/19675 ...... 20711 C Tagesordnungspunkt 35: b) Zweite und dritte Beratung des von der o) Antrag der Abgeordneten Doris Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Achelwilm, Dr. , Gökay eines Gesetzes zur weiteren Umsetzung Akbulut, weiterer Abgeordneter und der der Transparenzrichtlinie-Änderungs- Fraktion DIE LINKE: Medienschaffende richtlinie im Hinblick auf ein einheitli- vor Übergriffen und Gewalt schützen ches elektronisches Format für Jahres- Drucksache 19/20032 ...... 20710 B finanzberichte Drucksachen 19/17343, 19/17965, 19/18779 Nr. 1.5, 19/20137 ...... 20711 D in Verbindung mit c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Zusatzpunkt 10: eines Gesetzes zur Änderung des Ver- h) Antrag der Abgeordneten , dienststatistikgesetzes , Dr. , wei- Drucksachen 19/19361, 19/20109 ...... 20712 A terer Abgeordneter und der Fraktion der d) Beschlussempfehlung und Bericht des AfD: Corona digital bekämpfen – Ausschusses für Recht und Verbraucher- Senioren, Familien und Jugendlichen di- schutz zu dem Streitverfahren vor dem gitale Möglichkeiten zur Linderung der Bundesverfassungsgericht 2 BvE 5/19 Corona-Krise aufzeigen Drucksache 19/20140 ...... 20712 B Drucksache 19/20114 ...... 20710 D e)–u) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelüber- in Verbindung mit sichten 554, 555, 556, 557, 558, 559, 560, 561, 562, 563, 564, 565, 566, 567, 568, 569 und 570 zu Petitionen Zusatzpunkt 10: Drucksachen 19/19560, 19/19561, u) Antrag der Abgeordneten , 19/19562, 19/19563, 19/19564, 19/19565, Alexander Graf Lambsdorff, , 19/19566, 19/19567, 19/19568, 19/19569, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 19/19570, 19/19571, 19/19572, 19/19573, der FDP: Reform und Absicherung der 19/19574, 19/19575, 19/19576 ...... 20712 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 VII in Verbindung mit Zusatzpunkt 42: Einspruch gegen eine Ordnungsmaßnahme gemäß § 39 der Geschäftsordnung ...... 20715 B Zusatzpunkt 11: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- Zusatzpunkt 12: ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Übereinkommens vom 9. Sep- Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen tember 1996 über die Sammlung, der CDU/CSU und SPD: Sexuellen Miss- Abgabe und Annahme von Abfällen in brauch effektiv bekämpfen – Kinderschutz der Rhein- und Binnenschifffahrt ausweiten und Prävention stärken Drucksachen 19/18077, 19/19695 ...... 20714 B , Bundesministerin b) Beschlussempfehlung und Bericht des BMJV ...... 20715 C Ausschusses für Wirtschaft und Energie Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD) ...... 20717 C zu der Verordnung der Bundesregierung: (CDU/CSU) ...... 20718 C Vierzehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (FDP) ...... 20719 D Drucksachen 19/19060, 19/19246 Nr. 2, Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . . 20721 A 19/19782 ...... 20714 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20722 C (SPD) ...... 20724 A Tagesordnungspunkt 16: Thomas Ehrhorn (AfD) ...... 20725 B a) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 20726 B Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums der „Stiftung Denkmal für die ermorde- Dr. (SPD) ...... 20727 C ten Juden Europas“ Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) ...... 20729 A Drucksache 19/19254 ...... 20714 C Susann Rüthrich (SPD) ...... 20730 B b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 20731 B Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ Drucksache 19/19256 ...... 20714 D Zusatzpunkt 13: c) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten der „Bundesstiftung Magnus Hirsch- Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung feld“ des Rechtsextremismus und der Hasskrimi- Drucksache 19/19255 ...... 20714 D nalität Drucksachen 19/17741, 19/20163 ...... 20732 C d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl vom Deutschen Bundestag zu Zweite und dritte Beratung des von der Bun- benennender Mitglieder des Deutschen desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ethikrats gemäß den §§ 4 und 5 des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextre- Ethikratgesetzes mismus und der Hasskriminalität Drucksache 19/18934 ...... 20715 A Drucksachen 19/18470, 19/20163 ...... 20732 C

in Verbindung mit Zusatzpunkt 39: Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: Wahl Zusatzpunkt 14: eines Mitglieds des Kuratoriums der „Stif- Zweite und dritte Beratung des von den Abge- tung Denkmal für die ermordeten Juden ordneten Manuel Höferlin, Stephan Thomae, Europas“ Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten Drucksache 19/20023 ...... 20715 B und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- desmeldegesetzes – Auskunftssperren für Zusatzpunkt 40: politische Mandatsträger in Bund, Ländern Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: Wahl und Kommunen eines Mitglieds des Kuratoriums der Stif- Drucksachen 19/17252, 19/20139 Buchstabe b 20732 D tung „Deutsches Historisches Museum“ Drucksache 19/20024 ...... 20715 B in Verbindung mit VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Zusatzpunkt 15: Fahrverbote sofort und vollständig aufhe- ben – Neueste wissenschaftliche Daten be- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- rücksichtigen schusses für Inneres und Heimat zu dem An- Drucksache 19/20069 ...... 20742 B trag der Abgeordneten , Konstantin Kuhle, Stephan Thomae, weiterer Marc Bernhard (AfD) ...... 20742 B Abgeordneter und der Fraktion der FDP: (CDU/CSU) ...... 20743 B Terror von rechts nicht unterschätzen – Gewaltbereiten Rechtsextremismus ent- Judith Skudelny (FDP) ...... 20744 C schlossen bekämpfen (SPD) ...... 20745 B Drucksachen 19/14062, 19/20106 ...... 20733 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) ...... 20746 A in Verbindung mit Marc Bernhard (AfD) ...... 20746 D (BÜNDNIS 90/ Zusatzpunkt 16: DIE GRÜNEN) ...... 20747 C Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Florian Oßner (CDU/CSU) ...... 20748 C schusses für Inneres und Heimat zu dem An- (SPD) ...... 20749 B trag der Abgeordneten Renate Künast, (CDU/CSU) ...... 20750 A Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hass und Het- ze wirksam bekämpfen, Betroffene stärken Tagesordnungspunkt 17: und Bürgerrechte schützen a) Zweite und dritte Beratung des von der Drucksachen 19/17750, 19/20141 ...... 20733 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung in Verbindung mit des Energieeinsparrechts für Gebäude Drucksachen 19/16716, 19/17037, 19/17193 Nr. 8, 19/20148 Buchstabe a . . . . 20750 D Zusatzpunkt 41: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Ausschusses für Wirtschaft und Energie ordneten , Dr. , zu dem Antrag der Abgeordneten Udo Roman Johannes Reusch, weiteren Abgeord- Theodor Hemmelgarn, Marc Bernhard, neten und der Fraktion der AfD eingebrachten , weiterer Abgeordneter Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des und der Fraktion der AfD: Aussetzung Bundesmeldegesetzes – Schutz von politi- der Energieeinsparverordnung und Ver- schen Mandatsträgern, Richtern, Soldaten, zicht auf Vorlage eines Entwurfs für ein ehrenamtlichen Richtern und Schöffen so- mögliches Gebäudeenergiegesetz wie Angestellten und Beamten im öffentli- Drucksachen 19/17523, 19/20143 ...... 20751 A chen Dienst Drucksachen 19/17785, 19/20139 Buchstabe a 20733 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie Dr. Johannes Fechner (SPD) ...... 20733 B zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Stephan Brandner (AfD) ...... 20734 A Verlinden, Dr. , Oliver Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) ...... 20735 A Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (AfD) ...... 20735 D Ausbau der Windenergie in Schwung Benjamin Strasser (FDP) ...... 20736 B bringen, Menschen beteiligen und Kli- maschutz stärken (DIE LINKE) ...... 20737 A Drucksachen 19/15123, 19/18008 ...... 20751 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20737 C in Verbindung mit (SPD) ...... 20738 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 20739 A Zusatzpunkt 17: (CDU/CSU) ...... 20739 C Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Martin Sichert (AfD) ...... 20740 B ordneten Dr. , Oliver Krischer, Dr. Ingrid Nestle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tagesordnungspunkt 18: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Antrag der Abgeordneten Marc Bernhard, Änderung des Erneuerbare-Energien-Ge- , , weiterer Abge- setz ordneter und der Fraktion der AfD: Diesel- Drucksachen 19/17137, 19/20148 Buchstabe b 20751 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 IX in Verbindung mit und Lohndumping bei grenzüber- schreitender Arbeitnehmerentsen- dung konsequent unterbinden Drucksachen 19/19259, 19/19231, Zusatzpunkt 36: 19/20145 ...... 20761 B Antrag der Abgeordneten Karsten Hilse, Marc Bernhard, Andreas Bleck, weiterer Abgeord- Bernd Rützel (SPD) ...... 20761 C neter und der Fraktion der AfD: Gesundheits- René Springer (AfD) ...... 20762 B beeinträchtigende Schallemissionen umfas- (CDU/CSU) ...... 20763 A send messen – Alle Umweltbelastungen durch Windindustrieanlagen ernst nehmen Carl-Julius Cronenberg (FDP) ...... 20764 A Drucksache 19/20121 ...... 20751 B Pascal Meiser (DIE LINKE) ...... 20764 D (CDU/CSU) ...... 20751 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20765 C Marc Bernhard (AfD) ...... 20752 B (Wetzlar) (SPD) ...... 20766 B (SPD) ...... 20753 A (CDU/CSU) ...... 20767 A (FDP) ...... 20754 B (CDU/CSU) ...... 20767 C Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 20755 B Namentliche Abstimmung ...... 20768 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20755 D Ergebnis ...... 20779 C Dr. (CDU/CSU) ...... 20756 D Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ Zusatzpunkt 18: DIE GRÜNEN) ...... 20757 B Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, (SPD) ...... 20758 A Heike Hänsel, , weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ato- Michael Kießling (CDU/CSU) ...... 20759 A mare Aufrüstung verhindern – New START-Vertrag erhalten Drucksache 19/20028 ...... 20769 A Tagesordnungspunkt 19: in Verbindung mit a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung Zusatzpunkt 19: der Richtlinie (EU) 2018/957 des Eu- Antrag der Abgeordneten Katja Keul, ropäischen Parlaments und des Rates , Dr. , wei- vom 28. Juni 2018 zur Änderung der terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Richtlinie 96/71/EG über die Entsen- NIS 90/DIE GRÜNEN: Nukleare Teilhabe dung von Arbeitnehmern im Rahmen beenden – Atomwaffen aus Deutschland ab- der Erbringung von Dienstleistungen ziehen Drucksachen 19/19371, 19/20145 ...... 20761 A Drucksache 19/20065 ...... 20769 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 20769 B mäß § 96 der Geschäftsordnung Nikolas Löbel (CDU/CSU) ...... 20770 A Drucksache 19/20146 ...... 20761 A Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 20771 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 20772 A Ausschusses für Arbeit und Soziales Bijan Djir-Sarai (FDP) ...... 20773 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Carl- Julius Cronenberg, Michael Theurer, Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 20774 B Johannes Vogel (Olpe), weiterer Abge- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 20775 A ordneter und der Fraktion der FDP: Für einen unbürokratischen Binnen- markt – Auslandsentsendungen ver- Tagesordnungspunkt 20: einfachen und Protektionismus be- – Zweite und dritte Beratung des von den kämpfen Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- – zu dem Antrag der Abgeordneten Pascal brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Meiser, , Matthias W. Übernahme von Gewährleistungen im Birkwald, weiterer Abgeordneter und Rahmen eines Europäischen Instru- der Fraktion DIE LINKE: Ausbeutung ments zur vorübergehenden Unterstüt- X Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

zung bei der Minderung von Arbeitslo- der AfD: Sanktionen gegen die Arabi- sigkeitsrisiken in einer Notlage im sche Republik Syrien aufheben – Wie- Anschluss an den COVID-19-Ausbruch deraufbau ermöglichen (SURE-Gewährleistungsgesetz – SURE- Drucksachen 19/15065, 19/16022 ...... 20788 A GewährlG) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 19/19494, 19/20147 ...... 20776 A Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag – Zweite und dritte Beratung des von der der Abgeordneten , Bundesregierung eingebrachten Entwurfs , Armin-Paulus Hampel, eines Gesetzes zur Übernahme von weiterer Abgeordneter und der Fraktion Gewährleistungen im Rahmen eines Eu- der AfD: Diplomatische Beziehungen ropäischen Instruments zur vorüber- zur Arabischen Republik Syrien norma- gehenden Unterstützung bei der Minde- lisieren – Nachhaltigen Befriedungspro- rung von Arbeitslosigkeitsrisiken in zess initialisieren einer Notlage im Anschluss an den Drucksachen 19/15067, 19/16024 ...... 20788 A COVID-19-Ausbruch (SURE-Gewähr- leistungsgesetz – SURE-GewährlG) in Verbindung mit Drucksachen 19/19860, 19/20147 ...... 20776 A (SPD) ...... 20776 B Zusatzpunkt 20: Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) ...... 20777 A Antrag der Abgeordneten , Carsten Körber (CDU/CSU) ...... 20777 D Margarete Bause, Dr. Franziska Brantner, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Martin Sichert (AfD) ...... 20779 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Humanitäre Kata- Carsten Körber (CDU/CSU) ...... 20779 C strophe in Idlib stoppen Drucksache 19/20040 ...... 20788 B (FDP) ...... 20782 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 20783 C in Verbindung mit Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20784 B Zusatzpunkt 21: Angelika Glöckner (SPD) ...... 20785 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- Dr. (fraktionslos) ...... 20785 D geordneten Sevim Dağdelen, , Florian Oßner (CDU/CSU) ...... 20786 B Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Friedensprozesse in Syrien fördern, Völkerrecht wiederherstel- len Tagesordnungspunkt 23: Drucksachen 19/8357, 19/20017 ...... 20788 B a) Antrag der Abgeordneten Frank Frank Pasemann (AfD) ...... 20788 B Pasemann, Waldemar Herdt, Udo Theodor Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) ...... 20789 B Hemmelgarn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Das syrische Volk Bijan Djir-Sarai (FDP) ...... 20789 D in der Bewältigung der Bürgerkriegsfol- (SPD) ...... 20790 C gen und der Corona-Krise nicht allein Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 20792 A lassen – Wiederaufbau und Frieden im europäischen Interesse ermöglichen Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/20070 ...... 20787 D DIE GRÜNEN) ...... 20793 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 20793 D Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Waldemar Herdt, Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Tagesordnungspunkt 22: Hartwig, weiterer Abgeordneter und der Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Fraktion der AfD: Für eine neue Syrien- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten politik – Frieden sichern, Wiederaufbau Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Ände- fördern rung des Conterganstiftungsgesetzes Drucksachen 19/15066, 19/16023 ...... 20788 A Drucksachen 19/19498, 19/20142 ...... 20795 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des (SPD) ...... 20795 B Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD) ...... 20796 D der Abgeordneten Frank Pasemann, Waldemar Herdt, Armin-Paulus Hampel, Stephan Pilsinger (CDU/CSU) ...... 20797 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion (FDP) ...... 20799 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 XI

Sören Pellmann (DIE LINKE) ...... 20799 D (AfD) ...... 20811 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Ingmar Jung (CDU/CSU) ...... 20811 D DIE GRÜNEN) ...... 20800 C Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 20812 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) ...... 20801 C (DIE LINKE) ...... 20813 B Canan Bayram (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 31: DIE GRÜNEN) ...... 20814 A Antrag der Abgeordneten Michael Theurer, Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 20814 C Reinhard Houben, Dr. Marcel Klinge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine Europäische Wasserstoffunion Tagesordnungspunkt 35: Drucksache 19/20020 ...... 20802 B d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten in Verbindung mit Gesetzes zur Änderung des Brennstoff- emissionshandelsgesetzes Drucksache 19/19929 ...... 20815 B Zusatzpunkt 22: e) Erste Beratung des von der Bundesregie- Antrag der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler, rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Ab- Gesetzes zur Änderung des Batteriege- geordneter und der Fraktion der FDP: Bunter setzes Wasserstoff für eine nachhaltige Wirtschaft Drucksache 19/19930 ...... 20815 B auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft Drucksache 19/20021 ...... 20802 C g) Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Lorenz Gösta Beutin, Hubertus Zdebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion in Verbindung mit DIE LINKE: Pfand für Elektrogeräte und Batterien Zusatzpunkt 23: Drucksache 19/19642 ...... 20815 B Antrag der Abgeordneten Dr. Ingrid Nestle, Dr. Julia Verlinden, , wei- in Verbindung mit terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Grüne Wasserstoff- Zusatzpunkt 24: strategie – Erneuerbare Energien als Grundstoff der Energiewende Antrag der Abgeordneten Karsten Hilse, Marc Drucksache 19/18733 ...... 20802 C Bernhard, Andreas Bleck, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der AfD: Wirtschaft Michael Theurer (FDP) ...... 20802 D entlasten – Treibhausgas-Emissionshandel Mark Helfrich (CDU/CSU) ...... 20803 D gerade in der COVID-19-Wirtschaftskrise Steffen Kotré (AfD) ...... 20805 A abschaffen Drucksache 19/20075 ...... 20815 C (SPD) ...... 20806 A Karsten Hilse (AfD) ...... 20815 C Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 20806 D Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ Nächste Sitzung ...... 20816 D DIE GRÜNEN) ...... 20807 C (CDU/CSU) ...... 20808 B Anlage 1 René Röspel (SPD) ...... 20809 B Entschuldigte Abgeordnete ...... 20839 A

Tagesordnungspunkt 24: Anlage 2 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ergebnis der Wahl der Vizepräsidentin des Änderung des Strafgesetzbuches – Moder- Bundesverfassungsgerichts nisierung des Schriftenbegriffs und anderer (Tagesordnungspunkt 11) ...... 20839 B Begriffe sowie Erweiterung der Strafbar- keit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Aus- Anlage 3 land Ergebnisse der Wahl von Mitgliedern des Son- Drucksache 19/19859 ...... 20810 C dergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabili- Christine Lambrecht, Bundesministerin sierungsmechanismusgesetzes BMJV ...... 20810 C (Tagesordnungspunkt 12 a und b) ...... 20840 A XII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Anlage 4 Anlage 10 Ergebnis der Wahl von Mitgliedern des Ver- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten trauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Frank Schäffler, Alexander Müller und Bundeshaushaltsordnung Christian Sauter (alle FDP) zur Abstimmung (Tagesordnungspunkt 12 c und d) ...... 20840 B über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Übernahme von Gewährleistungen Anlage 5 im Rahmen eines Europäischen Instruments zur vorübergehenden Unterstützung bei der Ergebnis der Wahl von Mitgliedern des Gre- Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in ei- miums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesen- ner Notlage im Anschluss an den COVID-19- gesetzes Ausbruch (SURE-Gewährleistungsgesetz – (Tagesordnungspunkt 12 e) ...... 20840 B SURE-GewährlG) (Tagesordnungspunkt 20) ...... 20846 B Anlage 6 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- Anlage 11 schen Bundestages, die an den Wahlen zu Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten den Tagesordnungspunkten 11 und 12 a bis e Hans-Jürgen Irmer und (beide teilgenommen haben ...... 20841 A CDU/CSU) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Übernah- Anlage 7 me von Gewährleistungen im Rahmen eines Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstim- Europäischen Instruments zur vorübergehen- mung über den von der Bundesregierung ein- den Unterstützung bei der Minderung von Ar- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verein- beitslosigkeitsrisiken in einer Notlage im An- heitlichung des Energieeinsparrechts für schluss an den COVID-19-Ausbruch (SURE- Gebäude Gewährleistungsgesetz – SURE-GewährlG) (Tagesordnungspunkt 17 a) ...... 20844 A (Tagesordnungspunkt 20) ...... 20847 A Jens Koeppen (CDU/CSU) ...... 20844 B Dr. (CDU/CSU) ...... 20844 D Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus-Peter Willsch und Axel E. Fischer Anlage 8 (Karlsruhe-Land) (beide CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den von den Fraktionen der Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eines Gesetzes zur Übernahme von Gewähr- NEN) zu der Abstimmung über die Beschluss- leistungen im Rahmen eines Europäischen empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft Instruments zur vorübergehenden Unterstüt- und Energie zur Annahme einer Entschließung zung bei der Minderung von Arbeitslosigkeits- (Drucksache 19/20148) risiken in einer Notlage im Anschluss an den (Tagesordnungspunkt 17 a) ...... 20845 B COVID-19-Ausbruch (SURE-Gewährleis- tungsgesetz – SURE-GewährlG) (Tagesordnungspunkt 20) ...... 20847 C Anlage 9 Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Frauke Petry, und Mario Mieruch (alle Anlage 13 fraktionslos) zu der zweiten Beratung des Ge- Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung setzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregierung zum Ent- und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- wurf eines Gesetzes zur Gewährleistungsüber- zes zur Übernahme von Gewährleistungen im nahme im Rahmen eines Europäischen Instru- Rahmen eines Europäischen Instruments zur ments zur vorübergehenden Unterstützung bei vorübergehenden Unterstützung bei der Min- der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in derung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Folge des COVID-19-Ausbruchs und zur Notlage im Anschluss an den COVID-19- Änderung des Stabilisierungsfondsgesetzes Ausbruch (SURE-Gewährleistungsgesetz – und des Wirtschaftsstabilisierungsbeschleuni- SURE-GewährlG) gungsgesetzes sowie erforderliche Folgeände- (Tagesordnungspunkt 20) ...... 20848 B rungen (SURE-Gewährleistungsgesetz – SURE-GewährlG) Dr. (CDU/CSU) ...... 20848 B (Tagesordnungspunkt 20) ...... 20845 B (CDU/CSU) ...... 20848 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 XIII

Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU) ...... 20849 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 20850 D

Anlage 14 Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des a) des Antrags der Abgeordneten Frank von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Pasemann, Waldemar Herdt, Udo Theodor wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Hemmelgarn, weiterer Abgeordneter und Strafgesetzbuches – Modernisierung des der Fraktion der AfD: Das syrische Volk Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie in der Bewältigung der Bürgerkriegsfolgen Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, und der Corona-Krise nicht allein lassen – 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Wiederaufbau und Frieden im europä- Handlungen im Ausland ischen Interesse ermöglichen (Tagesordnungspunkt 24) ...... 20851 D b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 20851 D trag der Abgeordneten Waldemar Herdt, Armin-Paulus Hampel, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Für eine neue Syrien- Anlage 16 politik – Frieden sichern, Wiederaufbau Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung fördern c) der Beschlussempfehlung und des Berichts – des von der Bundesregierung eingebrach- des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- trag der Abgeordneten Frank Pasemann, derung des Brennstoffemissionshandelsge- Waldemar Herdt, Armin-Paulus Hampel, setzes weiterer Abgeordneter und der Fraktion – des von der Bundesregierung eingebrach- der AfD: Sanktionen gegen die Arabische ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- Republik Syrien aufheben – Wiederaufbau derung des Batteriegesetzes ermöglichen – des Antrags der Abgeordneten Ralph d) der Beschlussempfehlung und des Berichts Lenkert, Lorenz Gösta Beutin, Hubertus des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Zdebel, weiterer Abgeordneter und der trag der Abgeordneten Frank Pasemann, Fraktion DIE LINKE: Pfand für Elektroge- Waldemar Herdt, Armin-Paulus Hampel, räte und Batterien weiterer Abgeordneter und der Fraktion sowie der AfD: Diplomatische Beziehungen zur – des Antrags der Abgeordneten Karsten Arabischen Republik Syrien normalisie- Hilse, Marc Bernhard, Andreas Bleck, ren – Nachhaltigen Befriedungsprozess weiterer Abgeordneter und der Fraktion initialisieren der AfD: Wirtschaft entlasten – Treibhaus- sowie gas-Emissionshandel gerade in der – des Antrags der Abgeordneten Omid COVID-19-Wirtschaftskrise abschaffen Nouripour, Margarete Bause, Dr. Franziska (Tagesordnungspunkt 35 d, e, g sowie Zusatz- Brantner, weiterer Abgeordneter und der punkt 24) ...... 20852 C Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Björn Simon (CDU/CSU) ...... 20852 C Humanitäre Katastrophe in Idlib stoppen – Beratung der Beschlussempfehlung und Dr. (CDU/CSU) ...... 20853 B des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (SPD) ...... 20854 C zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Kathrin Vogler, Heike Hänsel, (SPD) ...... 20855 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. Lukas Köhler (FDP) ...... 20856 A DIE LINKE: Friedensprozesse in Syrien Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 20856 C fördern, Völkerrecht wiederherstellen (Tagesordnungspunkt 23 a bis d sowie Zusatz- Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/ punkt 20 und 21) ...... 20850 D DIE GRÜNEN) ...... 20857 B

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20637

(A) (C)

166. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: standen? – Dann gratuliere ich den beiden Kollegen auch Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte zu diesen beiden Wahlen. nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell sind noch folgende Änderungen der Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich nach- Tagesordnung vereinbart worden: träglich dem Kollegen Paul Podolay zu seinem 74. Ge- Mit dem Tagesordnungspunkt 16 sollen Wahlvorschlä- burtstag und der Kollegin Ulla Schmidt zu ihrem 71. Ge- ge der SPD-Fraktion für die Wahl jeweils eines Mitglieds burtstag. Alle guten Wünsche im Namen des ganzen des Kuratoriums der Stiftung Denkmal für die ermorde- Hauses. ten Juden Europas und des Kuratoriums der Stiftung (Beifall) Deutsches Historisches Museum aufgerufen werden. Jetzt müssen wir einige Wahlen durchführen. In verbundener Beratung mit dem Zusatzpunkt 13 soll (B) die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Ge- (D) Auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion soll der Kolle- setzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes auf der ge Tobias Zech als Nachfolger der Kollegin Katrin Drucksache 19/17785 stattfinden. Sie sind damit einver- Staffler zum stellvertretenden Mitglied der Parlamenta- standen? – Dann ist das so beschlossen. rischen Versammlung des Europarates gewählt wer- den. Stimmen Sie dem zu? – Das ist offenbar der Fall. Der Abgeordnete Stephan Brandner hat fristgerecht Dann ist der Kollege Zech zum stellvertretenden Mitglied gegen einen in der letzten Sitzung erteilten Ordnungsruf der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ge- Einspruch eingelegt. Der Einspruch wurde als Unterrich- wählt. tung durch den Präsidenten verteilt. Gemäß § 39 der Ge- schäftsordnung ist der Einspruch auf die Tagesordnung Die SPD-Fraktion schlägt vor, den Kollegen dieser Sitzung zu setzen. Der Bundestag hat über den Dr. als Nachfolger des ausgeschiede- Einspruch ohne Aussprache zu entscheiden. Der Zeit- nen Kollegen Johannes Kahrs zum stellvertretenden Mit- punkt der Behandlung des Einspruchs wird Ihnen später glied des Programmbeirats beim Bundesministerium bekannt gegeben. der Finanzen zu wählen. Sie sind auch damit einverstan- den? – Dann ist der Kollege Dr. Miersch zum stellver- Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf: tretenden Mitglied des Programmbeirats gewählt. Abgabe einer Regierungserklärung durch die Außerdem soll der Kollege Dr. Matthias Miersch auf Bundeskanzlerin Vorschlag der Fraktion der SPD als Nachfolger des aus- zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft und geschiedenen Kollegen Johannes Kahrs zum ordentli- zum Europäischen Rat am 19. Juni 2020 chen Mitglied des Kunstbeirats beim Bundesministe- rium der Finanzen gewählt werden. Stimmen Sie dem Es liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion der auch zu? – Das ist so der Fall. Dann gratuliere ich dem FDP, ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke Kollegen Dr. Miersch auch dazu. und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vor. Ebenfalls auf Vorschlag der SPD-Fraktion soll die Kol- legin Elisabeth Kaiser als Nachfolgerin von Johannes Für die Aussprache im Anschluss an die Regierungs- Kahrs zum ordentlichen Mitglied des Stiftungsrats der erklärung wurde eine Dauer von 60 Minuten beschlossen. Bundesstiftung Bauakademie gewählt werden. Der Damit erteile ich das Wort zur Abgabe einer Regie- Kollege Bernhard Daldrup soll als Nachfolger der Kol- rungserklärung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. legin Elisabeth Kaiser zum stellvertretenden Mitglied des Gremiums gewählt werden. Sie sind auch damit einver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 20638 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: zu behaupten. Das ist eine ungeheure Leistung aller in der (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Europäischen Union. Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 1. Juli beginnt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Das ist eine Auf- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP gabe, auf die ich mich sehr freue und auf die sich die und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ganze Bundesregierung sehr freut; denn Europa braucht Vielleicht, meine Damen und Herren, leidet Europa uns, so wie wir Europa brauchen: nicht nur als histori- auch daran, dass wir, die wir Europa wollen, zu selten sches Erbe, das wir geschenkt bekommen haben, sondern sagen, worauf wir stolz sein können. Vielleicht leidet als ein Projekt, das uns in die Zukunft führt. Europa ist ja Europa auch daran, dass wir es zu lange als selbstver- nicht einfach etwas, das wir besitzen. Es ist etwas, das wir ständlich genommen haben, dass wir es zu sehr den Geg- gestalten können und müssen. Europa ist eine offene, eine nern überlassen haben, über Europa zu sprechen, anstatt dynamische Ordnung des Friedens und der Freiheit, die dass wir, die wir von Europa überzeugt sind, es zum Kern wir stetig verbessern können und müssen. der politischen Diskussion machen. Das beinhaltet natür- lich auch Kritik oder Ungeduld, die Europa genauso Europa lag am Boden, als es geschaffen wurde; zer- braucht wie Fantasie und Gemeinsinn. stört, zersplittert und zerstritten nach der Katastrophe des Vernichtungskriegs und des Zivilisationsbruchs der Deswegen lassen Sie mich hier auch ganz persönlich Shoah, verursacht durch die nationalsozialistische Ge- sagen: Als Deutsche, als jemand, die die ersten 35 Le- waltherrschaft, durch Deutschland. Und dennoch gelang bensjahre in der DDR gelebt hat, erfüllt mich Europa mit es den Gründungsvätern und -müttern, das tiefe Misstrau- seinem demokratischen Versprechen von Freiheit und en, die bitteren Erfahrungen aus Krieg und Vertreibung Gleichheit unverändert mit großer Dankbarkeit nicht zu vergessen, nicht zu leugnen, sondern anzuneh- men und in ein friedliches, demokratisches Europa zu (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) verwandeln. Sie schufen damals mit dem unbedingten Willen zur Versöhnung aus den Trümmern der feindli- und mit der Verpflichtung, mich mit ganzer Kraft für chen Nationalstaaten eine europäische Gemeinschaft. dieses europäische Versprechen einzusetzen; denn - Ausgehend von einer Wirtschaftsgemeinschaft, ver- pa wird nicht das Europa sein, das wir wollen, wenn wir pflichteten sich Mitglieder, Grenzkontrollen abzuschaf- es passiv und bequem hinnehmen. Europa wird nur wach- fen und Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu verbürgen. sen und gedeihen, wenn wir unsere ganze Kraft darauf Das war die Lehre aus dem furchtbaren Krieg: dass in richten, wenn wir Ehrgeiz dafür entwickeln, was aus Eu- Europa nie wieder der nationalistische, rassistische Wahn ropa noch werden kann. (B) einzelne Menschen oder Gruppen ausgrenzen und ent- (D) menschlichen dürfte, dass in Europa die politische, kul- Wir übernehmen diese Verantwortung in einer Zeit, in turelle, religiöse Vielfalt der Menschen nicht nur respek- der die Europäische Union der größten Herausforderung tiert, sondern beschützt werden muss. ihrer Geschichte gegenübersteht. Und deswegen ist für die Bundesregierung diese deutsche Ratspräsidentschaft Wir sind als Europäische Union gewachsen. Die Euro- mitten in der Pandemie eine so große Herausforderung. päische Union hat sich nicht nur erweitert, sondern sie hat Denn wir müssen ja einerseits die Folgen der Krise be- sich auch vertieft. Europa ist nicht nur einfach größer wältigen, aber zugleich auch Europa widerstandsfähiger geworden, sondern hat auch mit jedem Gipfel, jeder Ver- und zukunftsfähiger machen. handlung, jedem Konflikt, jeder Auseinandersetzung an Die Krise, die wir gerade erleben, ist anders als all das, Substanz und – ja, auch das, wenn auch manchmal un- was wir seit der Gründung Europas erlebt haben. Die endlich mühsam – an gegenseitigem Verständnis gewon- Coronaviruspandemie trifft uns alle, unverschuldet und nen. unvorbereitet, in Deutschland, in Europa und in der gan- zen Welt. Sie hat allein in Europa mehr als 100 000 Men- Das hat uns auch ermöglicht, viele Krisen zu bestehen: schen das Leben gekostet. Wenige Wochen des wirt- die Ablehnung der europäischen Verfassung vor der letz- schaftlichen Stillstands haben ausgereicht, um vieles, ten deutschen Ratspräsidentschaft 2007, die Finanzkrise was wir über Jahre aufgebaut haben, zu gefährden. und die europäische Staatsschuldenkrise, die uns ab 2008 Selbstverständliche Freiheitsrechte der Bürgerinnen und erschüttert haben, und zuletzt 2015 die großen Flücht- Bürger wurden vorübergehend eingeschränkt. Das war lingsbewegungen. Das alles war wahrlich nicht immer ein sehr hoher Preis, und der ist jedem, der an diesen leicht. Da gab es bittere Konflikte, und es gab auch Ver- Entscheidungen beteiligt war, schwergefallen, auch mir. letzungen. Es gab auch immer wieder Missverständnisse oder Fehleinschätzungen. Aber sie haben nie zum Bruch, Die kritischen Stimmen zu den Einschränkungen der nie zur Absage an Europa geführt. Daran, so paradox das Grundrechte waren wichtig. Eine demokratische Gesell- auch erscheinen mag, ändert auch ein Einschnitt wie der schaft, in der sich niemand regt, wenn demokratische Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union Grundrechte angetastet werden, wäre keine. Aber es nichts. Nein, mehr noch: Auch diese Entscheidung, die gab und es gibt besondere Umstände, unter denen ich wir uns gewiss nicht gewünscht haben, hat letztlich nur diese Maßnahmen nicht nur für richtig, sondern für un- dazu geführt, dass uns 27 Mitgliedstaaten der Europä- verzichtbar gehalten habe, und manche, wie die Einhal- ischen Union sogar stärker denn je die Gewissheit leitet, tung des Mindestabstandes von anderthalb Metern oder es nur als Gemeinschaft schaffen zu können, unsere eu- das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes im öffentlichen ropäischen Werte und Interessen zu leben und weltweit Raum, halte ich weiter für unverzichtbar. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20639

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Tagen auch im Parlament beraten. Doch zugleich sollten (C) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE wir nicht vergessen, dass unsere nationalen Maßnahmen GRÜNEN) nur wirklich erfolgreich sein werden, wenn auch die an- deren Mitgliedstaaten der EU stark sind und wenn unser Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Virus ist nationales Handeln durch europäisches Handeln flankiert nicht weg. Es ist da, solange es keinen Impfstoff und kein wird. Medikament gibt; wir erleben es ja jeden Tag. Aber wir müssen auch zugeben: Die Pandemie hat offengelegt, wie Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Die Pandemie fragil das europäische Projekt noch ist. Die ersten Re- und der mit ihr verbundene Wirtschaftseinbruch sind die flexe, auch unsere eigenen, waren eher national und nicht größte Herausforderung in der Geschichte Europas. Wie durchgehend europäisch. Das war, so gut manche Gründe Europa im Vergleich zu anderen Regionen der Welt diese dafür auch gewesen sein mögen, vor allem unvernünftig. Krisen bewältigt, das wird über den Wohlstand der euro- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP päischen Bürgerinnen und Bürger entscheiden und über und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Europas Rolle in der Welt. Denn eine globale Pandemie verlangt gemeinsames, in- Aber die Aufgabe ist sogar noch größer; sie ist nämlich ternationales Handeln und wechselseitige Unterstützung. eine doppelte. Denn wir leben ja in einer Zeit, in der sich Ich bin froh, dass die Europäische Kommission unter ganz unabhängig von der Pandemie unsere Art zu leben ihrer Präsidentin so rasch und um- und zu wirtschaften in einem tiefen Umbruch befindet, sichtig agiert hat und uns immer wieder zu gemeinsamen getrieben von zwei Entwicklungen: dem Klimawandel, Absprachen aufgefordert hat. dem wir mit einer kohlenstoffarmen und in Zukunft CO2-neutralen Lebensweise begegnen müssen, sowie Die Pandemie hat uns auch Europas Abhängigkeit von der Digitalisierung, die unsere Art zu arbeiten und zu- Drittstaaten bei der Produktion von Medikamenten oder sammenzuleben fundamental verändert, und das in einem Schutzausrüstung deutlich gemacht. Defizite bei der Be- rasanten Tempo. schaffung, Bevorratung und Verteilung medizinischer Ausrüstung wurden offengelegt. Und ja, auch Unter- Und daraus folgt: Die Antwort auf die wirtschaftlichen schiede der Wirtschafts- und Haushaltslage in den EU- und sozialen Folgen der Pandemie darf eben keine Rück- Mitgliedsländern wurden durch die Pandemie verschärft. kehr zu herkömmlichem Arbeiten und Wirtschaften sein, Hinzu kommt, dass die Pandemie zwar alle getroffen sondern muss den Wandel in ein neues Arbeiten und hat, aber nicht alle gleich. Die medizinischen und ökono- Wirtschaften stärken und beschleunigen. mischen Folgen der Krise vertiefen die Ungleichheiten in (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (D) der Europäischen Gemeinschaft. Die Pandemie zeigt uns: bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Unser Europa ist verwundbar. Und deswegen sage ich aus GRÜNEN und des Abg. Dr. voller Überzeugung: Noch nie waren Zusammenhalt und [DIE LINKE]) Solidarität in Europa so wichtig wie heute. Davon hängt ab, ob wir nach der Pandemie kreative, wett- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP bewerbsfähige Unternehmen und nachhaltig gesicherte und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Arbeitsplätze haben. Und wir wissen, dass andere in der Kein Land kann diese Krise isoliert und allein beste- Welt nicht ruhen, sondern sehr entschlossen und sehr hen. Sie lässt sich nur überwinden, wenn wir miteinander robust handeln. und füreinander handeln. Unser gemeinsames Ziel muss es jetzt sein, die Krise gemeinschaftlich, nachhaltig und In diesem Geist habe ich Mitte Mai gemeinsam mit mit Blick auf die Zukunft zu bewältigen, und genau das dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron wird das Leitmotiv unserer EU-Ratspräsidentschaft sein. einen 500 Milliarden Euro starken Fonds für die wirt- Ich bin überzeugt, dass im Angesicht der Pandemie das schaftliche Erholung Europas vorgeschlagen. Dieser soll Engagement für die Europäische Union nicht nur poli- den neuen EU-Finanzrahmen in seinen ersten Jahren ver- tisch und menschlich geboten ist, sondern der leiden- stärken und vor allem die am stärksten von der Pandemie schaftliche Einsatz für ein solidarisches Europa sich auch betroffenen Regionen Europas mit Investitionen in ihre wirtschaftlich als nachhaltiger erweisen wird als alles Zukunftsfähigkeit unterstützen. andere. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Und natürlich braucht ein starkes Europa ein starkes SPD und der FDP und des Abg. Jürgen Trittin Deutschland. Dass dies so bleibt, dafür setzt sich die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bundesregierung mit ganzer Kraft ein, indem wir die Folgen der Pandemie entschlossen bekämpfen, und dank Ich begrüße sehr, dass die Europäische Kommission Ihnen, dem schnellen und entschlossenen Handeln des zusammen mit dem Vorschlag für den nächsten mittel- Deutschen Bundestages haben wir Unterstützungspakete fristigen Finanzrahmen ihren Plan zur wirtschaftlichen verabschieden können, die jetzt ja auch schon gewisse Erholung vorgelegt hat, in dem sich auch zahlreiche As- Wirkung zeigen. pekte der deutsch-französischen Initiative wiederfinden. Die aktuellen Zahlen belegen ja den dramatischen Rück- Damit haben wir es nicht bewenden lassen, sondern gang der Wirtschaftstätigkeit und Wirtschaftskraft in Eu- wir haben ein Konjunktur- und Zukunftspaket in Höhe ropa, und deshalb müssen wir jetzt entschlossen und von 130 Milliarden Euro vorgelegt, das wir in diesen rasch handeln. 20640 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Daher werde ich mich dafür einsetzen, dass wir im (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (C) Europäischen Rat möglichst schnell zu einer Einigung der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE sowohl zum mehrjährigen Finanzrahmen als auch zum GRÜNEN) Aufbaufonds kommen. Die Ausgangslage ist alles andere Sie warten nur darauf, soziale Ängste zu schüren und als einfach. Aber ich hoffe darauf, dass alle Mitgliedstaa- Unsicherheiten zu verbreiten. Sich für eine nachhaltige ten jetzt im Geiste des Kompromisses handeln, ange- Entwicklung in allen Regionen Europas einzusetzen, ist sichts dieser nie dagewesenen Situation. auch ein politisches Instrument gegen Populisten und Das Beste wäre, wenn uns eine Einigung vor der Som- Radikale. merpause gelänge. Dann würden wir in unserer Rats- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP präsidentschaft mit dem Europäischen Parlament verhan- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie deln, und die nationalen Parlamente hätten Zeit für die der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses bis Jahresende. Dann könnten beide – der mehrjährige Finanzrahmen und Meine Damen und Herren, die Erwartungen an die der Plan zur Erholung Europas, die im Übrigen zusam- deutsche EU-Ratspräsidentschaft sind hoch; dessen müs- mengehören – zu Beginn 2021 ihre Wirkung zum Wohl sen wir uns bewusst sein. Deshalb haben wir wegen der Europas entfalten. Pandemie unsere Prioritäten präzisiert, aber gleichzeitig haben wir die anderen großen Herausforderungen unserer Beim Europäischen Rat morgen, der als Videokonfe- Zeit fest im Blick. Ich möchte an dieser Stelle heute drei renz stattfindet, ist zunächst nur ein erster Austausch ge- Bereiche nennen. plant, und danach wird es intensive Konsultationen durch den Präsidenten des Europäischen Rates geben. Entschei- Erstens: der Klimaschutz und mit ihm der Übergang zu dungen werden wir aber erst bei einem physischen Zu- einer klimaneutralen Wirtschaft. Weil der Klimawandel sammenkommen des Europäischen Rates treffen können. und auch der digitale Fortschritt unsere Art, zu wirtschaf- ten, zu arbeiten und zu leben, grundlegend und tiefgrei- Der Plan zur Erholung Europas ist ausdrücklich auf die fend verändern, haben wir, aufbauend auf den Klimabe- Pandemie bezogen, zielgerichtet und zeitlich begrenzt. schlüssen vom letzten Jahr, sowohl in unserem nationalen Die Europäische Kommission wird einmalig ermächtigt, Zukunftspaket als auch beim europäischen Aufbaufonds Anleihen im Namen der Europäischen Union am Markt klar auf die Förderung grünen Wachstums und des digita- aufzunehmen und diese für krisenbezogene Zuschüsse zu len Fortschritts gesetzt. Die von der Europäischen Kom- verwenden. Wir haben uns von Anfang an dafür einge- mission vorgelegte Strategie für einen Grünen Deal bietet setzt, dass dies auf einer sicheren rechtlichen Grundlage gerade bei der Erholung der europäischen Wirtschaft eine (B) geschieht, die Einstimmigkeit im Rat erfordert und die zentrale Leitlinie und auch eine große Chance, vor allem (D) die Haushaltsrechte der nationalen Parlamente achtet. für europäische Unternehmen mit hoher Innovations- Ich begrüße daher den Vorschlag der Europäischen Kom- kraft. mission, diese Ausnahmemaßnahme und ihre Begren- zung im Eigenmittelbeschluss zu verankern, der dann Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit Europas und die von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss. Zukunft kommender Generationen werden wir auch die Beratungen für ein europäisches Klimaschutzgesetz in- Dieser Fonds ist ein dringendes Gebot der Stunde, um tensiv fortführen, mit dem Ziel, eine gemeinsame Posi- eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung aller betroffe- tion der Mitgliedstaaten zu erreichen. Unser Ziel, um das nen Regionen und Bereiche in Europa möglich zu ma- wir ja sehr gerungen haben, ist, dass wir Europas Klima- chen. Nur so können wir Konvergenz, Wettbewerbsfähig- neutralität bis 2050 rechtlich verbindlich festschreiben keit und den Zusammenhalt in Europa langfristig sichern. können und dementsprechend auch die Ziele für 2030 anpassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜND- Zweitens. Wir wollen die Digitalisierung von Wirt- NIS 90/DIE GRÜNEN]) schaft und Gesellschaft voranbringen. Um den wirt- schaftlichen Erfolg Europas und damit seine Handlungs- Wir dürfen nicht zulassen, dass die Pandemie zu einem fähigkeit auch zukünftig zu sichern, muss Europa sowohl Auseinanderdriften der wirtschaftlichen Perspektiven der technologisch als auch digital souverän werden. Denn die EU-Mitgliedstaaten führt und damit den gemeinsamen Pandemie hat überaus deutlich gemacht, in welchen Ab- Binnenmarkt, ein Kernelement Europas, schwächt. Und hängigkeiten sich Europa im digitalen Bereich befindet, wir werden entschlossen der Gefahr entgegenarbeiten, sowohl was Technologie, aber auch was Dienstleistungen dass sich dauerhaft ein tiefer Spalt durch Europa zieht. betrifft. Wir dürfen nicht naiv sein: Die antidemokratischen Kräf- Dabei bedeutet digitale Souveränität nicht, dass wir in te, die radikalen, autoritären Bewegungen warten ja nur Europa alles können müssen. Wir müssen aber in der auf ökonomische Krisen, um sie dann politisch zu miss- Lage sein, selbst zu entscheiden, wo europäische Unab- brauchen. hängigkeit geboten ist und wie wir sie umsetzen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Das gilt etwa für den Aufbau einer sicheren und ver- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf trauenswürdigen europäischen Dateninfrastruktur; das des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD]) gilt aber auch für den Aufbau von Kapazitäten in kriti- schen Technologien wie etwa der künstlichen Intelligenz – Da scheint sich jemand angesprochen zu fühlen. oder dem Quantencomputing. Hier wollen wir unsere Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20641

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um weiter voranzukom- demien, wie die Erfolge Ruandas, Ugandas oder Ghanas (C) men. bei der Bekämpfung des Ebolavirus eindrucksvoll zei- gen. Auf dem Gipfel der Europäischen Union und der Drittens. Die weltweit dramatischen Folgen der Pande- Afrikanischen Union im Oktober wird es daher darum mie erfordern, dass Europa mehr globale Verantwortung gehen, gemeinsame Antworten auf die Krise zu finden, übernimmt, darauf, wie die Folgen der Pandemie abgemildert werden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie können. Aber es wird auch darum gehen, Afrika als Kon- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE tinent der Zukunft in den Blick zu nehmen und unsere GRÜNEN und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch Beziehungen partnerschaftlich zu gestalten. [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie und das in einer Zeit, in der das politische Klima nicht nur bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE in Europa, sondern auch weltweit rauer geworden ist. GRÜNEN) Antidemokratische, autoritäre, menschenverachtende Anfechtungen – sie nehmen zu. Sie wollen das, wofür Auch Europas Beziehungen zu China werden weiter- Europa angetreten ist, leugnen. Sie wollen den Rechts- hin im Mittelpunkt unserer EU-Ratspräsidentschaft ste- staat und die Gewaltenteilung ausgehöhlt sehen. Sie wol- hen. Die Entscheidung, das für den 14. September in len die Würde des Menschen antasten, Menschen- und Leipzig geplante EU-China-Treffen aufgrund der Pande- Bürgerrechte infrage stellen. mie zu verschieben, ist uns nicht leichtgefallen. Mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel und ( [AfD]: Das machen doch dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping bin ich Sie!) mir einig, dass wir dieses Treffen nachholen. Denn ge- rade gegenüber einem strategischen Partner wie China ist Sie wollen die Auseinandersetzung mit der Geschichte, es wichtig, dass Europa mit einer Stimme aller 27 Mit- die Erinnerungskultur beenden. gliedstaaten spricht. (Zuruf von der AfD: Schauen Sie doch mal in den Spiegel!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Und nicht zuletzt wollen sie uns das nehmen, was wir zu jeder Zeit existenziell brauchen: die Unterscheidung von Nur so können wir überzeugend für unsere europäischen Wahrheit und Lüge, von Information und Desinforma- Werte und Interessen eintreten. tion, von Wissen und Nichtwissen. Ich plädiere für einen offenen Dialog, bei dem wir mit (B) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP China auch an so wichtigen Themen weiterarbeiten wie (D) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie dem Abschluss eines Investitionsabkommens, Fortschrit- bei Abgeordneten der LINKEN) ten im Klimaschutz oder unserer gemeinsamen Rolle in Afrika, aber genauso an Fragen der Rechtsstaatlichkeit Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen – nicht und der Menschenrechte und nicht zuletzt an der Zukunft nur hier bei uns, nicht nur in Europa. Hongkongs, wo uns die Sorge umtreibt, dass das so wich- (Zuruf von der AfD) tige Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ mehr und mehr ausgehöhlt wird. Diesen Dialog werden wir auch in der Europa und sein Versprechen von Frieden, Freiheit und deutschen Ratspräsidentschaft fortsetzen und hoffentlich Gleichheit sind kostbar. Es kann uns nicht gleichgültig auch als EU Ergebnisse für Klimaschutz, Freihandel und lassen, wenn es von innen und außen beschädigt wird. Multilateralismus erzielen. Jede Generation hat die Aufgabe, es neu zu gestalten, und das ist keine historische Bürde, sondern ein demo- Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die kratisches Geschenk. Coronaviruspandemie hat unser gesellschaftliches, wirt- schaftliches und politisches Leben völlig auf den Kopf (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem gestellt. Wir leben in der Pandemie. Doch so, wie Europa BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die letzten Krisen überwunden hat, bin ich zuversichtlich, Die Welt braucht somit gerade in dieser Zeit Europas dass wir auch diese Krise jetzt gemeinsam bestehen wer- starke Stimme für den Schutz der Menschenwürde, der den, indem wir uns frühzeitig fragen, welche Lehren wir Demokratie und der Freiheit; denn auch viele humanitäre für Europa aus ihr ziehen können und was Deutschland Krisen verschärfen sich, aber treten vor den aktuellen dazu beitragen kann. Ereignissen scheinbar in den Hintergrund. Wir werden daher in unserer EU-Ratspräsidentschaft auch die Be- Die von Kommissionspräsidentin von der Leyen vor- dürfnisse, Anliegen und Nöte unserer Partner in der Welt geschlagene Konferenz zur Zukunft Europas könnte da- in den Blick nehmen. für ein geeignetes Format sein. Wenn wir uns in diesem Rahmen auf wenige Themen konzentrieren, könnten wir So wird Afrika ein außenpolitischer Schwerpunkt der in absehbarer Zeit zu konkreten und greifbaren Ergebnis- deutschen EU-Ratspräsidentschaft sein. Bereits jetzt sen kommen, unter anderem dazu, das Schengensystem zeichnet sich ab, dass die Staaten Afrikas besonders stark weiterzuentwickeln, das Wettbewerbsrecht zu moderni- unter den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coro- sieren, um es an die Herausforderungen von Digitalisie- naviruspandemie leiden. Zugleich haben gerade die Staa- rung und Globalisierung anzupassen, eine europaweite ten Afrikas viel Erfahrung mit der Bekämpfung von Pan- Pandemievorsorge zu entwickeln oder einen europä- 20642 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) ischen Sicherheitsrat in außenpolitischen Fragen zu Viertens: der sogenannte Wiederaufbaufonds in Höhe (C) schaffen. von 750 Milliarden Euro. Deutschland bürgt allein für 135 Milliarden Euro, mindestens. Wieder dient die Coro- All das ist von größter Bedeutung, doch entscheidend nakrise als Vorwand, um das Tabu der rechtswidrigen und alles überragend wird sein, dass wir uns in Europa Vergemeinschaftung der Staatsschulden zu brechen. In mutig füreinander starkmachen und gemeinsam neue We- Paris, Madrid und Rom plant man schon eifrig neue Aus- ge gehen. gabenprogramme. Die deutschen Bürger, die jetzt schon (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) länger arbeiten, höhere Steuern zahlen und geringere Renten und Privatvermögen haben als die Bürger der „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“ – das ge- Empfängerländer dieser Transfers, müssen sich dagegen nau ist das Motto der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. auf noch höhere Belastungen einstellen. Dafür wird sich Deutschland, dafür wird sich die Bundes- regierung, dafür werde ich mich mit aller Kraft und Lei- All diesen Haftungsrisiken und Milliardentransfers ha- denschaft in unserer deutschen Ratspräsidentschaft ein- ben Sie zugestimmt, Frau Bundeskanzlerin, obwohl wir setzen. Ich bitte Sie: Lassen Sie uns das gemeinsam tun. in diesem Land genug eigene Probleme zu lösen haben, Ich bitte Sie deshalb für diesen Weg um Ihre Unterstüt- für die wir unser Geld dringend brauchen. zung, und ich bin überzeugt: Das Engagement für Euro- pa, es wird sich lohnen. (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Im- mer nur an sich selbst denken!) Herzlichen Dank. Wir sind kein reiches Land mehr. Die Infrastruktur brö- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- ckelt. Das Bildungssystem stürzt ab. In Sachen Digitali- fall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des sierung sind wir weit abgeschlagen. Die sozialen Siche- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rungssysteme stecken in der demografischen Doppelfalle aus alternder Bevölkerung und unqualifizierter Einwan- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: derung in unseren Sozialstaat. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frak- (Ulli Nissen [SPD]: Unqualifiziert sind Sie tionsvorsitzende der AfD, Dr. Alice Weidel. doch!) (Beifall bei der AfD) Dazu kommt der volkswirtschaftliche Schaden durch die Coronakrise, der von Tag zu Tag größer wird. Wir Dr. Alice Weidel (AfD): haben heute bereits über 7 Millionen Kurzarbeiter. Das (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und sind zehnmal mehr als auf dem Gipfel der Finanzkrise im (D) Herren! Schade, Frau Merkel, wieder eine Gelegenheit Februar 2009. verpasst, um den Bürgern reinen Wein einzuschenken, reinen Wein über die enorme Steigerung der finanziellen (Ulli Nissen [SPD]: Besser als in Arbeitslo- Lasten, die auf unser Land zukommen. sigkeit!) Da ist zum einen – passend zum Beginn der deutschen Unserem Land droht eine nie dagewesene Welle von Ar- Ratspräsidentschaft – die dreiste Forderung der EU- beitslosigkeit und Unternehmenspleiten. Der Mittelstand Kommission, die deutschen EU-Beiträge um mehr als verarmt. Mit schuldenfinanzierten Ausgabenprogram- 40 Prozent ansteigen zu lassen. Das allein bedeutet rund men kommen wir aus dieser Krise überhaupt nicht he- 13 Milliarden Euro mehr pro Jahr. Statt den EU-Haushalt raus. Nein, ganz im Gegenteil: Sie verschärfen die Krise nach dem Ausscheiden Großbritanniens entsprechend zu dadurch noch mehr. kürzen, soll der deutsche Steuerzahler einspringen, ja (Beifall bei der AfD) sogar überkompensieren. In dieser Situation haben wir auch keine Milliarden zu Zum Zweiten: das Pandemieanleiheaufkaufprogramm verschenken; denn wir müssen uns selbst helfen, den der EZB, das erst vor zwei Wochen auf die astronomische Lockdown und die Coronaeinschränkungen unter den Summe von 1 350 Milliarden Euro aufgestockt wurde. Schutzbestimmungen vollständig beenden, damit der Die Coronakrise muss auch hier als Vorwand für die quasi Mittelstand wieder auf die Beine kommt. unbegrenzte rechtswidrige Staatsfinanzierung über die Notenpresse herhalten. Bürge der letzten Instanz ist der Zweitens: Steuern und Abgaben deutlich und dauerhaft deutsche Steuerzahler, der obendrein noch durch die senken, damit Arbeitnehmer und Selbstständige wieder Nullzinspolitik enteignet wird. Auch dazu kein Wort Luft zum Atmen haben. von Ihnen. Ich frage mich: Haben Sie eigentlich den Warnschuss aus Karlsruhe nicht gehört? Wir haben das. (Beifall bei der AfD) Darum wird die AfD-Fraktion auch dagegen klagen. Und drittens und vor allem: Nein zu neuen Milliardent- (Beifall bei der AfD) ransfers und Haftungsrisiken, mit denen deutsches Volks- vermögen für Euro-Rettung und Transferunion verpfän- Drittens: der sogenannten Green Deal; Sie haben es det wird. Handeln Sie bitte im Interesse dieses Landes eben erwähnt. Kommissionspräsidentin von der Leyen und seiner Bürger, Frau Bundeskanzlerin, jongliert mit mindestens 1 Billion Euro, die sie für grüne CO2-neutrale Luftschlösser verpulvern will. Wer soll das (Ulli Nissen [SPD]: Besser nicht so, wie Sie es eigentlich noch bezahlen? wollen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20643

Dr. Alice Weidel (A) und verstecken Sie sich nicht länger hinter ideologisch Die daraus resultierende Furcht vor dem Auseinander- (C) aufgeladener Phrasendrescherei, wie Sie es leider in Ihrer brechen Europas hat Bewegung erzeugt. Wir haben ein Rede heute getan haben. Sehr schade für diese verpasste erstes Zeichen mit dem großen Rettungspaket von Chance. 540 Milliarden Euro gesetzt. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen – Frau Merkel, ich habe das gehört: Sie (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: So haben das erfunden, gemeinsam mit Herrn Macron –: was Peinliches! Herr Gauland hat geschlafen Der Dank dafür gilt aber insbesondere dem Finanzminis- am Anfang ihrer Rede! Super! – Weiterer Zuruf ter der Bundesrepublik Deutschland, . von der SPD: Arbeitsverweigerung!) (Beifall bei der SPD – Dr. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: [FDP]: Wir reden über die Zukunft Europas und nicht über parteipolitische Spiele! Ist das Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Martin Schulz, klein, so klein!) SPD. Die Binnengrenzen, meine Damen und Herren, sind (Beifall bei der SPD) nun wieder auf, vor allem für die jungen Menschen in Europa, die nie Grenzen gekannt haben. Im Gegensatz Martin Schulz (SPD): zu manchen Rechtsextremisten, die gehofft haben, es Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kollegin- gäbe jetzt Jubel, weil die Grenzen geschlossen sind, gab nen und Kollegen! Wir sind durch harte Wochen gegan- es den Jubel, als die Grenzen wieder aufgemacht wurden. gen, mussten schwierige Entscheidungen treffen, die Das ist das Europa, das die Menschen wollen. nicht immer jedem gefallen haben, die aber notwendig (Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜND- waren und weiterhin notwendig sind. Ich finde, es ist NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- bewundernswert, wie diszipliniert sich die Menschen in ten der CDU/CSU und der LINKEN) unserem Land verhalten haben und verhalten, besonders die, die nicht anders konnten, die sich nicht verstecken Wir bringen ein historisches Wiederaufbauprogramm konnten, die jeden Tag zur Arbeit gehen mussten, die uns auf den Weg, 750 Milliarden Euro, wenn der Vorschlag allen mit ihrer Arbeit geholfen haben, die den Laden am der Kommission umgesetzt wird. Das ist eine echte soli- Laufen hielten. Wir sind ihnen auch in dieser Stunde nach darische Unterstützung für die Länder, die am meisten in wie vor zu großem Dank verpflichtet. der Krise gelitten haben. Das ist ein historischer Schritt. In meinen Augen eine längst notwendige Souveränitäts- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP übertragung an die EU, ein Schritt, der zu einer echten (B) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Solidarität der Tat führt. Das war der Begriff der Gründ- (D) erväter Europas: Solidarität der Tat; in der Krise helfen Aber, meine Damen und Herren, das war kein deut- die Starken den Schwächeren. Wir machen damit einen sches Phänomen, das war nicht nur bei uns so. Es waren Schritt hin zu einem Europa, das schützt: „une Europe qui auch die Menschen in Italien, die am härtesten betroffen protège“, wie Präsident Macron das seit Jahren gefordert waren und immer mit Optimismus weitergemacht haben. hat. Ich finde, Frau Bundeskanzlerin, dass vor allem Sie Die Bilder singender Menschen auf den Balkonen in Rom alles tun sollten, um den Vorschlag der Kommission mit haben uns allen das Herz bewegt. Es waren die Menschen der Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland in Spanien, das Land, das am stärksten von dieser Pande- durchzusetzen. mie betroffen war und bis heute die höchsten Infektions- zahlen hat. Es waren die Menschen in Frankreich, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten durch den härtesten Lockdown gehen mussten. Selten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haben die Menschen in Europa so sehr im gleichen Boot gesessen. Nein, wir sind nicht, wie ein Nachrichtenmaga- Wir müssen diesen Schwung in der deutschen Rats- zin das am Wochenende schrieb, ein trauriger Kontinent. präsidentschaft nutzen; denn – Sie haben es beschrieben, Im Gegenteil: Europa kämpft sich gemeinsam durch eine Frau Merkel – alle alten Probleme sind immer noch da. globale Pandemie. Deshalb ist das auch ein europäischer Europa spricht nicht mit einer Stimme in der Welt. In der Moment. Dass wir das in Europa insgesamt bis hierhin so EU respektieren Mitgliedstaaten die eigenen grundlegen- gut gemeistert haben, darauf sollten wir gemeinschaftlich den Werte der Union nicht, und ein Mitgliedstaat tritt aus. stolz sein. All diese Probleme sind alt, und sie müssen gelöst wer- den. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- Wir müssen die EU umbauen zu einer echten Solidar- SES 90/DIE GRÜNEN) union, in der es eine Mindestbesteuerung für Unterneh- men gibt, in der nicht die Digitalkonzerne sich an der Es gab auch Fehler. Grenzen wurden geschlossen, als Steuer vorbeimogeln können, in der die Klimapolitik be- grenzüberschreitende Hilfe notwendig gewesen wäre. herzt angepackt wird, aber in solidarischer und sozialer Medizinale Unterstützung wurde da zurückgehalten, wo Verantwortung, in der nicht die Überschüsse der einen die sie auch hätte gewährleistet werden können. Und – ma- Arbeitslosigkeit der anderen sind, in ein Europa, in dem chen wir uns nichts vor – es entstand rund um die soge- soziale Mindestsicherungssysteme und eine Arbeitslo- nannte Coronabondsdebatte der Eindruck, Deutschland senrückversicherung eingeführt werden, ein Europa, in sei nicht bereit zu finanzieller Solidarität. Das war abso- dem nicht die Selbstsucht der Wohlhabenden die Verbit- lut falsch, aber kommunikativ war es ein Desaster. terung der Ärmeren provoziert; das sage ich an die Ad- 20644 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Martin Schulz (A) resse der sogenannten frugalen Vier, wie diese Reich- ordnung bei allen Fehlern gegeben haben, sie bricht ja (C) tumsseparatisten fälschlicherweise genannt werden. unter diesem irrlichternden Präsidenten völlig weg. (Beifall bei der SPD – Dr. Alice Weidel [AfD]: (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ist das jetzt der Das ist unfassbar! – Dr. falsche Teil? Ist das nicht das, wofür Heiko [AfD]: Es ist unfassbar, so was zu machen! Maas verantwortlich ist?) Sie sollten sich schämen, andere Europäer zu beschimpfen für eine politische Haltung! – Ge- Wir betreten, wie die „Zeit“ es geschrieben hat, das genruf des Abg. Dr. [SPD]: Sie postamerikanische Zeitalter. sollten sich schämen, Herr Gauland!) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Da haben Sie – Wissen Sie, wer sich schämen sollte, Herr Gauland? lange darauf gewartet, und jetzt sehen wir, was für ein Problem sich daraus entwickelt!) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, ich weiß! Jetzt kommen Sie wieder! Sie müssen sich Die Rolle Europas in diesem Zeitalter ist: Europa ist nicht schämen!) nur ein Staatenverbund. Europa ist eine Idee, die Idee von einem Gesellschaftsmodell, in dem Staaten über Grenzen Der Ehrenvorsitzende einer Partei, die nicht entschieden hinweg kooperieren, auf der Basis von Werten, die ihre hat, wer sie führt, Demokraten oder Neonazis, der sollte gemeinsame Grundlage sind. Das sind die Werte von sich schämen. Respekt, Toleranz, Vielfalt und Würde. Dieses Modell (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ermöglicht uns seit Jahrzehnten das Leben, das wir lie- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander ben, die Freiheit, in der wir leben, und den Wohlstand, Gauland [AfD]: Sie greifen Europäer an! Sie den wir genießen. greifen unsere Verbündeten an! Sie sollten sie Dieses Modell schützt niemand mehr für uns. Wir müs- verteidigen! – [AfD]: Was für sen es selbst schützen, im Wettbewerb der Systeme. Zwi- ein Demagoge!) schen den unberechenbar gewordenen Vereinigten Staa- In einer solchen Solidarunion leistet jeder den Beitrag, ten, einem expansiven China und dem autoritären den er leisten kann. Und wer diesen Beitrag nicht leisten Russland geht es für uns Europäerinnen und Europäer, will, meine Damen und Herren, sei es in der Flüchtlings- für die Mitgliedstaaten der EU darum, unser Modell zu politik oder in der Finanzpolitik, wer sich unsolidarisch behaupten. Es geht darum, zu bestehen und mit unserer zeigt, wer die grundlegenden Prinzipien der Europä- Idee einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der ischen Union mit Füßen tritt, der kann dann auch nicht Welt im 21. Jahrhundert zu nehmen. Das Momentum, (B) erwarten, dass er ohne Sanktionen aus dem EU-Haushalt das durch die Coronakrise auch entstanden ist, bietet (D) finanziert wird. uns dazu eine einzigartige Gelegenheit. (Beifall bei der SPD) Unsere Ratspräsidentschaft ist deshalb eine einzigarti- ge Chance für Europa. Lassen Sie uns doch alle unsere Wir brauchen eine EU, in der die Geschwindigkeit Kraft als Deutsche, als starke Mitgliedsnation innerhalb nicht von denen bestimmt wird, die eigentlich lieber dieser Staaten- und Völkergemeinschaft nutzen, um diese rückwärts gehen wollen. Es sind große Weichenstellun- Idee von Respekt, Würde, Toleranz und Vielfalt als Ge- gen nötig. Wenn sich die EU um die großen Fragen dieser genmodell gegen die Staaten, die unwürdig, intolerant, Zeit kümmern soll, dann braucht sie dazu auch die not- respektlos und voller Verachtung gegenüber allen ande- wendigen Kompetenzen und Ressourcen. Wenn wir in ren das 21. Jahrhundert gestalten wollen, zu verteidigen. der internationalen, der globalisierten Welt Klimaschutz, Das Beste, das Europa der Welt zu geben hat, ist Einig- Handel, soziale Gerechtigkeit, Steuerpolitik, den Frieden keit, die stark macht. stabilisieren wollen, dann braucht die EU vertiefte Struk- turen. Dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, eingestanden ha- Vielen Dank. ben, dass diese Debatte darüber bis hin zu Vertragsände- rungen gehen muss, kommt etwas spät, aber es ist der (Beifall bei der SPD) richtige Weg. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ist das jetzt ein Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nachgeholter Bundestagswahlkampf, Herr Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden Schulz, oder was ist das?) der FDP, Christian Lindner. Wenn, meine Damen und Herren, wir die EU hand- (Beifall bei der FDP) lungsfähiger machen, dann, damit wir nicht das erleben, was wir im Umgang mit China erleben: Die einen wollen Christian Lindner (FDP): richtigerweise Sanktionen wegen Polizeiknüppeln in Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Hongkong, die anderen lassen sich von der Supermacht Frau Dr. Weidel, bei Ihrer Rede habe ich mich gefragt, ihren Hafen finanzieren. – Aber eine EU, die nicht einig welche Anstrengungen Sie eigentlich unternehmen, um ist, ist schwach. Dabei brauchen wir mehr denn je – das gelegentlich Ihren eigenen politischen Horizont zu erwei- ist der richtige Teil Ihrer Regierungserklärung mit den tern. richtigen Prinzipien für die Ratspräsidentschaft – ein star- kes Europa. Denn die Stabilität, die die Vereinigten Staa- (Ulli Nissen [SPD]: Keine! – Dr. Alice Weidel ten von Amerika über einen langen Zeitraum der Welt- [AfD]: Das sagt gerade der Richtige!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20645

Christian Lindner (A) Gerade in diesen Zeiten lehrt doch eigentlich der Blick Einkommen dauerhaft steuerlich zu entlasten, ein Struk- (C) nach China und in die Vereinigten Staaten, dass wir in turdefizit zu beseitigen und deshalb auch die Zuversicht einem guten Land leben und dass wir das vereinte Europa der Menschen in der breiten Mitte des Landes zu stärken. schätzen lernen sollten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Auf europäischer Ebene sind diese Zweifel ebenfalls SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- noch nicht entkräftet. Wir wollen in dieser Krise solida- SES 90/DIE GRÜNEN) risch sein. Aber wer ist eigentlich mit wem solidarisch? Bei allem, was man an Kritik äußern darf, sollte sie doch Belgien hat, wenn ich es richtig erinnere, die höchste Zahl maßvoll sein. von Coronatoten pro Kopf. Belgien hat einen Wirt- schaftseinbruch von über 10 Prozent. Belgien gehört zu (Dr. Alice Weidel [AfD]: Lächerlich!) den Staaten in der Europäischen Union mit der höchsten Frau Bundeskanzlerin, Sie haben kurz vor Beginn der Verschuldung. Und trotzdem wird Belgien für die Coro- deutschen Ratspräsidentschaft gesprochen in einer, wie nahilfen mehr zahlen, als es selbst aus den Maßnahmen Sie selbst unterstrichen haben, besonders herausfordern- erhalten wird. Paradoxerweise hat die Coronakrise also den Zeit. Millionen Menschen sind in Sorge um ihre wirt- keine Auswirkung auf die Coronahilfe. Es ist auch keine schaftliche Existenz und ihren Arbeitsplatz als Folge der Überraschung, dass das so ist; denn nach den gegenwär- Bekämpfung der Pandemie, als Folge des Schutzes unser tigen politischen Absichten, die in Brüssel diskutiert wer- aller Gesundheit. Mit dieser Ratspräsidentschaft kommt den, orientieren sich die Coronahilfen an makroökonomi- nun auf Deutschland große Verantwortung zu. schen Kennziffern der Jahre 2015 bis 2019. Sprich: Es werden nicht die Länder unterstützt, wir sind nicht solida- Diese Ratspräsidentschaft ist aber auch eine große risch mit denjenigen, die besonders durch die Pandemie Chance. Wenn man dereinst zurückblickt auf diese Zeit, getroffen sind, sondern mit denen, die bereits vorher wirt- dann sollte von ihr nicht in Erinnerung bleiben, dass es schaftliche Probleme hatten. Wäre man böswillig, könnte eine Ratspräsidentschaft der neuen Schulden gewesen man sagen: Die Hilfe geht nicht an die von der Pandemie sei. Im Rückblick soll man sagen: Es war keine Ratspräsi- Betroffenen, sondern in die am wenigsten wettbewerbsfä- dentschaft der neuen Schulden; es war eine Ratspräsi- higen Volkswirtschaften dentschaft der neuen Arbeitsplätze. – Für dieses Ziel, Frau Bundeskanzlerin, wünschen wir Ihnen Erfolg und ( [Erfurt] [SPD]: Also sind eine gute Hand. Sie böswillig!) (Beifall bei der FDP) mit den größten Reformdefiziten. (B) Wir sind schwer getroffen durch Corona. Aber diese (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das war (D) Krise hat auch Defizite offengelegt, die es bereits vorher jetzt aber sehr böswillig!) gegeben hat, und zwar nicht nur in Europa, sondern auch Aus diesem Grund, Frau Bundeskanzlerin, fordern wir bei uns. Hier ist oft von Wiederaufbau die Rede. Im Wort Sie auf, dass Sie, wenn es darum geht, diese Programme „Wiederaufbau“ klingt so etwas mit, als müsse es darum zu konkretisieren, sehr konkret darauf achten, dass es gehen, den Zustand von vor Corona wiederherzustellen. diesmal konkrete Reformzusagen gibt. Das Geld darf Das kann nicht unser gemeinsamer Ehrgeiz sein. Die nicht eingesetzt werden, um Strukturdefizite erneut mit Ambition muss größer sein. Das Ziel darf nicht sein, dass Geld zuzuschütten, sondern es muss wirklich dafür ein- es so wird, wie es vor Corona war. Das Ziel muss sein, gesetzt werden, dass ein Defizit, das schon lange bekannt dass es nach Corona besser ist als vorher und wir endlich war, endlich abgestellt wird, und zwar im Interesse der lange bekannte Strukturdefizite abgestellt haben. Menschen, die Arbeit und Ausbildung suchen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Daran muss sich Politik messen, in Europa wie im Inland. der CDU/CSU) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben diese Regierungser- Über die deutschen Beiträge zu den Coronahilfen im klärung genutzt, um auch auf die Innenpolitik und ihr Umfang von 750 Milliarden Euro und unsere Beiträge Konjunkturpaket einzugehen. Deshalb erlaube ich mir zum Haushalt der Europäischen Union darf man ja spre- dazu auch eine Bemerkung. Sie haben von den 130 Mil- chen. Da sollten wir nicht sofort sagen: Nein, Deutsch- liarden Euro gesprochen, die zusätzlich mobilisiert wer- land gibt nichts, und jede Erhöhung ist ausgeschlossen. – den. Die Dimension ist groß, aber sicher angemessen an- Aber gefragt werden muss: Wofür wird das Geld einge- gesichts der Herausforderungen. Jedoch ist die Frage zu setzt? Mich wundert deshalb, dass über 500 Milliarden stellen: Werden damit tatsächlich bekannte Strukturdefi- Euro gesprochen wird, ohne dass man vorher weiß, wo- zite behoben? Die Frage ist doch zu stellen: Wenn wir für. Zuerst ist doch die Frage: „Was brauchen wir?“, und 130 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen und da- danach: „Was kostet es?“; denn sonst wird aus einer mit eine jüngere Generation belasten, tragen denn diese Bazooka mit Wumms nur eine Gießkanne, die am Ende Schulden dazu bei, dass wir demnächst einen breiteren nichts bringt. Wachstumspfad haben, der auch bei der Entschuldung hilft? Daran sind im Inland Zweifel anzumelden. Denn (Beifall bei der FDP) das Herzstück Ihres Konjunkturpakets, um Herrn Söder Wir werden über die Frage sprechen müssen, wann und zu zitieren, ist eine befristete Senkung der Mehrwert- unter welchen Umständen zurückgezahlt wird. Martin steuer. Besser wäre es doch gewesen, kleine und mittlere Schulz sprach hier schon von einer Mindeststeuer. Es gibt 20646 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Christian Lindner (A) Unternehmen, die wissen noch gar nicht, ob sie im nächs- ein netter Kollege –: Ihr nationalen Parlamentarier seid ja (C) ten Jahr noch existieren; aber die SPD will schon die wichtig; ihr seid die Botschafter von dem, was wir in Steuerlast erhöhen. Manfred Weber sagte neulich bei ei- Brüssel beschließen. – Da habe ich gesagt: Nein, so ist ner gemeinsamen Veranstaltung, wir bräuchten jetzt eige- das nicht; wir als nationale Parlamentarier sind nicht die ne EU-Steuern, eine EU-Digitalsteuer oder eine EU-Ge- Botschafter von dem, was in Brüssel beschlossen wird, winnsteuer. Davor kann man nur warnen. Wenn die sondern wir sind Bestandteil des Entscheidungsprozes- Europäische Union, liebe Kolleginnen und Kollegen der ses, wie dieses Europa gestaltet wird. – Das nehmen wir CSU, mit Ihrer Unterstützung eigene Steuern erhebt, uns als Parlament auch heraus. Deswegen werden wir dann wird es keine politische Kontrolle mehr über die mitgestalten bei den wichtigen Fragen, die jetzt zu klären Belastungsschraube geben. Deshalb muss von den Mit- sind. Das ist nicht nur die Überwindung der Coronapan- gliedstaaten, aus dem Haushalt der Europäischen Union, demie, das ist nicht nur der mehrjährige Finanzrahmen, all das an Schulden getilgt werden, was jetzt aufgenom- das ist nicht nur der Kampf gegen den Klimawandel, men wird – nicht mit neuen Steuern. sondern beispielsweise auch die Frage eines gemeinsa- men Konzepts zur Bewältigung der Migrationsfragen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten meine Damen und Herren. der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Zuletzt – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –: Frau Merkel, Sie haben über weitere Ziele etwa beim Im Übrigen ist es auch ein schönes Projekt für die Klima gesprochen. Auch das unterstützen wir. Nur: Was Bundesländer. Deswegen bin ich froh, dass zumindest Sie konkret gefordert haben, ist ausschließlich, die Ziele ein Ministerpräsident heute hier auf der Bundesratsbank zu verschärfen. Wir haben keinen Mangel an Klimazie- sitzt. Herzlich willkommen, Armin Laschet! len; wir haben einen Mangel an wirksamen Maßnahmen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) um sie zu erreichen. Deshalb würde ich anregen, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, sich für das Ziel einsetzen, den Es wäre schön, wenn angesichts der Europadebatten, die EU-Emissionshandel auf weitere Sektoren auszudehnen. für dieses Land sehr wichtig sind, hier auch einmal der eine oder andere Ministerpräsident sitzen würde. Ich sehe Sie sprechen hier in Deutschland von einer Nationalen hier auf der Bundesratsbank Vertreter von genau zwei Wasserstoffstrategie, über die man im Einzelnen spre- Ländern. Da könnte noch ein bisschen mehr gemacht chen kann. Dass zum Beispiel die Pkws ausgenommen werden, meine Damen und Herren. werden, ist für mich paradox; aber das wäre eine innen- politische Debatte. Im Zuge Ihrer Ratspräsidentschaft (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sollten wir uns doch an den Gründungsimpuls der europä- neten der FDP – [DIE LINKE]: Hat (B) ischen Einigung erinnern: Am Anfang stand die Europä- vielleicht auch andere Gründe!) (D) ische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Wenn es jetzt Es ist insgesamt so: Wir haben große Fragen zu klären – darum geht, das europäische Einigungsprojekt zu er- überhaupt keine Frage. Wir werden auch viel über Geld neuern, dann sollte an seinem Anfang die europäische reden müssen. Es ist auch gerade wieder viel über Geld Wasserstoffunion stehen, geredet worden – von Herrn Schulz, von Herrn Lindner, (Beifall bei der FDP) von vielen anderen. Das ist auch wichtig. Wir werden als Union darauf achten, dass das Geld angemessen ausge- damit der Zukunftsenergieträger zugleich der Treibstoff geben wird, dass es richtig ausgegeben wird. Wir werden für wirtschaftliches Wachstum wird. darauf achten, wer zahlt. Wir werden aber auch darauf Ich danke Ihnen. achten, wer zurückzahlt und dass das Ganze zurückge- zahlt wird. Denn mit der neuen Generation Europas, wie (Beifall bei der FDP) es Ursula von der Leyen bezeichnet hat, muss auch ein Europa der Generationengerechtigkeit einhergehen. Es Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: kann nicht sein, dass Konsumausgaben der Gegenwart in diesem Europa auf nachfolgende Generationen verla- Jetzt ist das Rednerpult vorbereitet für den Fraktions- gert werden, meine Damen und Herren. vorsitzenden der CDU/CSU, dem ich das Wort erteile, dem Kollegen Ralph Brinkhaus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist auch wieder darüber gesprochen worden, dass europäische Institutionen gestärkt werden müssen, Herr Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Schulz. Das ist auch alles richtig; das ist überhaupt keine Der freut sich so, Herr Präsident, dass wir jetzt die Frage. Aber glauben Sie, dass das der Geist von Europa europäische Ratspräsidentschaft haben, dass er es gar ist? Glauben Sie, dass das die Menschen von Helsinki bis nicht erwarten kann, zu reden. – In der Tat: Die Ratspräsi- Valletta motiviert, an dieser europäischen Idee, an diesem dentschaft ist für uns alle eine großartige Gelegenheit, europäischen Projekt zu arbeiten, wenn wir immer wieder übrigens nicht nur für die Bundesregierung, sondern auch über Geld und über Macht von Institutionen sprechen, für die Parlamente. wenn wir darüber sprechen, wer in diesem Europa wel- chen Posten kriegt? Schauen wir uns doch einmal an, wie Ich hatte gestern eine dieser Vorbereitungssitzungen die Debatte in den letzten Jahren war. Ich glaube, wir auf parlamentarischer Ebene zur Ratspräsidentschaft. müssen diese Ratspräsidentschaft nutzen, Frau Bundes- Da sagte ein Kollege aus dem Europäischen Parlament – kanzlerin, um eine Renaissance der europäischen Idee Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20647

Ralph Brinkhaus (A) hervorzurufen, um uns wieder klarzumachen, warum wir rend unserer Ratspräsidentschaft auch darüber reden, wie (C) dieses Europa überhaupt wollen, warum dieses Europa wir eine gemeinsame europäische Außen- und Sicher- wichtig ist. Das ist mehr als ein Binnenmarkt, meine heitspolitik organisieren können. Wir können das als Damen und Herren. Deutsche nicht mehr alleine. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der FDP) Wenn wir über Souveränität reden, müssen wir auch Wenn wir uns mit Europa beschäftigen – ich habe ein- über kritische Infrastruktur und über Technologien reden. mal versprochen, dass ich es in jeder europäischen De- Sind wir in der Lage, unsere Mobilfunk- und Energie- batte an dieser Stelle sagen werde –, dann müssen wir netze mit eigener Technik auszubauen? Sind wir in der auch darüber reden, dass Europa das größte und erfolg- Lage, unsere Schlüsseltechnologien im Bereich Quanten- reichste Friedensprojekt dieser Welt ist. Jean-Claude Jun- computer oder künstliche Intelligenz in Europa unabhän- cker soll einmal gesagt haben gig zu betreiben? Dabei geht es nicht um Autarkie – ich bin ein großer Freund davon, dass wir eine arbeitsteilige (Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD]) globalisierte Welt haben –, sondern es geht darum, dass – da hören Sie einmal gut zu! –: All diese Kosten, die wir wir nicht abhängig sind. Wie ist es mit den Abhängigkei- für dieses Europa haben, sind billiger als eine Sekunde ten im Rohstoffbereich? Wir haben in der Coronakrise Auseinandersetzung oder Krieg. – Das gehört auch zur gemerkt, dass bestimmte Medikamente oder Grundstoffe Wahrheit dazu, meine Damen und Herren. für Medikamente nur noch aus bestimmten Regionen die- ser Welt kommen. Auch das ist ein Grund, das europä- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP ische Projekt weiterzuentwickeln. Es geht um Souveräni- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tät. Das ist aber schwer zu erklären. Wir leben hier in Kern- Ich habe damit begonnen, dass wir als nationale Parla- europa seit 75 Jahren in Frieden. Wir haben vergessen, mente uns auf die Ratspräsidentschaft freuen. Wir möch- wie dünn das Eis ist, auf dem wir stehen. Wir haben vergessen, wie schwierig es ist, Frieden auch unter euro- ten mitgestalten, und natürlich möchten wir auch mitent- scheiden, Frau Bundeskanzlerin. Damit verbunden ist die päischen Ländern zu halten. Deswegen müssen wir das Frage: Wo ist der Anfang, wo ist das Ende der Souverä- immer wieder klarmachen. Und natürlich: Die gemein- same europäische Idee, das ist der Binnenmarkt; das ist nität? Wenn wir als Parlament national souverän sein keine Frage. Aber das ist auch zu wenig. sollen – das geht an die Adresse des einen oder anderen, der nationale Souveränität immer ganz nach vorne stellt –, (B) Ich glaube, wir müssen uns noch mit einer dritten Di- dann können wir das nur erhalten, wenn wir gemeinsam (D) mension beschäftigen – es ist in Ihrer Rede, Herr Schulz, europäisch handeln. und in der Rede der Bundeskanzlerin angeklungen; es ist übrigens auch das große Mantra des französischen Präsi- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE denten Macron –: die europäische Souveränität. Meine GRÜNEN]: Was machen Sie jetzt dafür?) Damen und Herren, wenn wir hier als Parlamentarier Es ist wichtig, dass wir die Ratspräsidentschaft nicht weiter über das Schicksal dieses Landes und dieses Kon- nur dafür nutzen, die Coronapandemie zu überwinden – tinentes bestimmen wollen, wenn wir selbstbestimmt und was schwierig genug ist –, sondern wir sollten die Rats- selbstbewusst sein wollen, dann müssen wir uns einer präsidentschaft auch dafür nutzen, gemeinsam das euro- Tatsache gewahr werden: dass die Welt sich in den letzten päische Projekt weiterzuentwickeln. Es ist für uns eine Jahren verändert hat. Ich glaube, selbst wir Deutsche als Überlebensfrage. viertgrößte Volkswirtschaft auf dieser Welt sind zu klein, um auf Augenhöhe mit China, mit Russland und mit den Vielen Dank, meine Damen und Herren. Vereinigten Staaten zu spielen. Wenn das für uns als viertgrößte Volkswirtschaft gilt, inwiefern gilt das dann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für kleinere Länder, für Portugal, für Griechenland und neten der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Das auch für Bulgarien und Rumänien? Deswegen haben wir war nicht so dolle!) doch nur eine Chance: Wir haben nur die Chance, als Europäer gemeinsam zu agieren. Allein das ist schon Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dieses Europa wert. Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der Lin- Wir sehen doch, welcher Druck in der Vergangenheit ken, Amira Mohamed Ali. ausgeübt worden ist. Da heißt es: Wehe, wenn ihr diese (Beifall bei der LINKEN) Pipeline baut. Da heißt es: Wehe, wenn ihr unsere Men- schenrechtssituation ansprecht. Da heißt es: Wehe, wenn ihr verhindert, dass Unternehmen und Technologien auf- Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): gekauft werden. Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- gen! Ja, Frau Bundeskanzlerin, Europa braucht Hilfe. Die Die europäische Souveränität, die unsere Gründerväter eigentlich großartige europäische Idee droht vollkommen und -mütter nicht im Sinn hatten, ist entscheidend für die zerstört zu werden, aber genau das muss unbedingt ver- Europäische Union. „Souveränität“ heißt, dass wir stark hindert werden. genug sind, gemeinsam als Europäer unsere Interessen zu vertreten. Deswegen wäre es mir wichtig, dass wir wäh- (Beifall bei der LINKEN) 20648 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Amira Mohamed Ali (A) Es steht schlecht um den Zusammenhalt und die Soli- nicht einmal, Frau Bundeskanzlerin, aber wir müssen (C) darität in Europa. Das war aber schon vor der Corona- darüber reden. krise so. Denken wir an die rigide Sparpolitik der EU in der Finanzkrise. In den südeuropäischen Ländern wie (Beifall bei der LINKEN) Griechenland wurden Gesundheitswesen, Wirtschaft Auch Ihr nationales Konjunkturprogramm hat eine ge- und viele soziale Einrichtungen über Jahre kaputtgespart. waltige soziale Schieflage. Es bleibt beim alten Muster, Das hat viel menschliches Elend verursacht. Es hat die dass vor allem die etwas bekommen, die bereits viel ha- Europäische Union entzweit. Hier haben die Regierenden ben. Es müsste andersherum sein. große Fehler gemacht. (Beifall bei der LINKEN) Wo war der europäische Zusammenhalt, die europä- Auch jetzt ist schon absehbar, dass Sie die Gesundheits- ische Solidarität, als Zehntausende vor Krieg und Elend systeme weiter kaputtsparen werden. Vom Privatisie- flohen und in Europa Schutz suchten? Italien und Grie- rungskurs wird nicht abgerückt. Das ist fatal. chenland wurden und werden bis heute weitgehend al- leingelassen, und mit den Kindern, Frauen und Männern, (Beifall bei der LINKEN) die jeden Tag im Mittelmeer ertrinken, sterben auch die Die Coronakrise trifft die Ärmsten der Gesellschaft am europäischen Werte. Das ist unerträglich. härtesten. Das gilt für alle europäischen Länder, es gilt für (Beifall bei der LINKEN) die ganze Welt. Nur ein Beispiel – Herr Laschet ist leider nicht mehr anwesend, eben war er noch da – : Rassisten und Nationalisten haben teilweise politische Macht errungen, in manchen Ländern regieren sie sogar. (Jan Korte [DIE LINKE]: Er ist schon los!) Sie stehen für ein Europa, in dem nicht alle Menschen Gerade gestern kam heraus, dass sich in einer deutschen gleichberechtigt und frei sind, aber das muss doch wei- Fleischfabrik, in einem Schlachthof von Tönnies in Rhe- terhin unser Ziel sein. Wir alle müssen aufstehen gegen da, Nordrhein-Westfalen, mindestens 600 Menschen infi- Rassismus und Diskriminierung, in Deutschland und in ziert haben, überwiegend osteuropäische Arbeitskräfte. Europa. Auch das bedeutet Solidarität und Zusammen- Schulen und Kitas in der Region mussten geschlossen halt. werden, Tausende müssen in Quarantäne. Die Corona- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. pandemie bringt so manche Skrupellosigkeit der Branche Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ans Tageslicht. Wir brauchen hier endlich europaweite NEN]) verbindliche Standards. Schluss damit, dass die Arbeit- nehmerfreizügigkeit missbraucht wird, um Menschen als (B) Als die Coronakrise Europa traf und Italien besonders billige Arbeitskräfte auszubeuten und so soziale und ar- (D) hart, hat die EU Italien im Stich gelassen. Hilfe kam beitsrechtliche Standards auszuhebeln. zuerst aus Kuba und China, bevor die europäischen Nachbarn halfen. Das hat tiefe Wunden geschlagen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn heute immer mehr Menschen in Italien für einen Frau Bundeskanzlerin, Sie haben jetzt die Chance, die EU-Austritt sind, dann müssen die Regierenden das doch Weichen richtig zu stellen. Nutzen Sie sie, um die EU zu verstehen und gegensteuern. einer Gemeinschaft zu machen, in der nicht soziale Spal- tung, Aufrüstung und Abschottung ganz oben stehen, Frau Bundeskanzlerin, Sie wollen nun darauf hinwir- sondern Solidarität, Nachhaltigkeit, soziale Sicherheit ken, dass es gemeinsame europäische Pandemiepläne und Frieden für alle. gibt und dass die wirtschaftlichen und sozialen Folgen abgefedert werden. Das sind richtige Ziele. Aber Sie wol- Vielen Dank. len das Problem nicht an der Wurzel packen. Schon jetzt ist klar, dass einige große Konzerne wie Amazon von der (Beifall bei der LINKEN) Krise sogar profitieren, aber zur Kasse werden sie nicht gebeten. Doch genau das müsste geschehen, und zwar Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sofort. Jetzt erteile ich das Wort der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt. (Beifall bei der LINKEN) Immer noch, auch in dieser Krise, wird in Europa (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weiter aufgerüstet. Anstatt ein Europa des Friedens zu Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaffen, werden Abermilliarden für Rüstung verpulvert. NEN): Das ist unverantwortlich. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- (Beifall bei der LINKEN) be Frau Bundeskanzlerin! Ich bin Thüringerin, ich bin Deutsche und vor allem stolze Europäerin. Wie gar nicht Nach Ihren Konzepten werden am Ende die Kosten der so wenige in Europa bin ich in einer Diktatur geboren. Krise von den Familien, den Arbeitnehmerinnen, den Freiheit, Rechtsstaat, Gerechtigkeit – ich weiß, wie es Rentnern in Paris, Rom und Berlin bezahlt werden. Die sich ohne anfühlt. Deswegen: Europa ist und bleibt die Krise wird zulasten der Sozialsysteme gehen. Das müsste beste Idee, die Europa je hatte. aber nicht so sein. Eine Vermögensabgabe für Milliardäre und Multimillionäre wäre zum Beispiel ein wichtiger (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schritt in die richtige Richtung. Aber darüber reden Sie sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20649

Katrin Göring-Eckardt (A) Doch Deutschland und Europa befinden sich in einer auf nachhaltige Landwirtschaft setzt, die Qualität und (C) doppelten Krise: in der Coronakrise und in der Klima- nicht Fläche fördert, krise. Diese Krisen meistern wir nur, wenn wir beide gemeinsam bekämpfen, meine Damen und Herren. So (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vergleichsweise gut, wie wir in Deutschland durch die die Pestizide und Überdüngung drastisch reduziert und Coronakrise gekommen sind, wären wir doch prädesti- die sich ernsthaft um das Tierwohl kümmert. niert dafür, beim Klimaschutz jetzt wirklich eine führen- de Rolle zu übernehmen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann dieses Thema an diesem Tag nicht weglas- Dazu haben Sie viele Sätze gesagt. Auch schon in Ihrer sen. Das, was in Nordrhein-Westfalen, das, was in den Rede anlässlich des Petersberger Klimadialogs haben Sie Tönnies-Werken passiert ist, das ist nicht eingeschleppt gesagt, dass Deutschland nicht am Klimaschutz sparen worden; das ist Folge der Arbeitsbedingungen, die wir dürfe, sondern Investitionen in zukunftsfähige Technolo- hier haben. gien benötige. Aber nur Sätze zu sagen, das reicht eben nicht, sondern es braucht jetzt wirklich Taten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]) In Brüssel haben Sie den nationalen Klimaplan ein halbes Jahr zu spät eingereicht: too little und too late. Das ist die Art und Weise, wie wir hier billiges Fleisch produzieren. Deswegen lautet meine Aufforderung: Han- Schauen wir uns das nationale Konjunkturprogramm deln Sie endlich. Das können Sie nämlich. an. Sie steigen mit 9 Milliarden Euro bei der Lufthansa ein mit flauschigen Absichtserklärungen zum Klima- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schutz. Airbus hat das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2030 Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland kommt emissionsfreies Fliegen zu ermöglichen. Wo ist denn Ihre nur aus der Krise, wenn es unseren Nachbarinnen und Initiative, die europäischen Airlines gemeinsam auf Linie Nachbarn gut geht. Wir sind Exportland. Deswegen hat zu bringen, die Lufthansa voran? mich die Initiative von Ihnen und Emmanuel Macron wirklich erfreut. Aber warum hat es genau drei Jahre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und eine Pandemie bis zu dieser Initiative gedauert? Bei Wo ist der Plan für den Bereich Schiene? 130 Milliarden der Umsetzung müssen Sie einen Gang hochschalten. Euro und kaum etwas für die Verkehrswende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Über Ihr Konjunkturprogramm, Frau Merkel, Herr Frau Merkel, am Ende Ihrer Kanzlerinnenschaft tragen (D) Scholz, haben Sie gesagt: Das ist ein Paket, das schickt Sie mit der Ratspräsidentschaft die Verantwortung für man in die Welt, und dann hofft man, dass der Mensch dieses Land und für Europa. Es ist an Ihnen, ob die sich freut. – Wir haben zu Recht gesagt: An diesem Paket Milliarden in eine krisenfeste EU und in die Zukunft ist nicht alles falsch; da ist viel Richtiges drin. Aber das unserer Kinder investiert werden. So viel Geld gibt man sind eben kurzfristige Investitionen. Wir glauben, es nur einmal aus. Ich finde, geben wir es doch für das neue braucht einen Pakt, eine echte Verabredung mit den Un- Europa aus. ternehmen in Deutschland, mit den Unternehmen in Eu- ropa, mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Kontinents (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dieses Landes. Es braucht einen echten Pakt, der Was für ein Europa wird das am Ende dieser Ratspräsi- besagt: Wir verabreden uns – für langfristige Investitio- dentschaft sein? Eines, das geprägt ist von Solidarität, nen, für zukunftsfähige Investitionen, für echte Nachhal- von Gerechtigkeit, von Umwelt- und Klimaschutz? Wol- tigkeit. Wir brauchen diese Planungssicherheit, wenn wir len wir ein Europa, das für die Rechte der Geflüchteten die große Transformation, wenn wir die große Umstel- eintritt, oder dulden wir weiter die schrecklichen Zustän- lung schaffen wollen, wenn wir es schaffen wollen, aus de in Elendslagern wie Moria, die die europäische Idee dieser Krise herauszukommen und nicht Altes zu restau- jeden Tag ebenso verraten wie jede und jeder einzelne rieren, sondern Neues zu schaffen, ökologisch und ge- Tote im Mittelmeer? recht, resilient für die Zukunft, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen lautet meine große Bitte: Machen Sie diese Wird das ein Europa mit mehr Lohngerechtigkeit zwi- Ratspräsidentschaft zur Klimapräsidentschaft. schen Frauen und Männern sein? Oder geht es weiter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit dem Rollback? Wird das ein Europa der Vielfalt sein, in dem die Menschen sagen: „Black lives matter“, oder Das ist das Ziel, das wir brauchen. Das heißt ganz prak- ein Europa, in dem 100 polnische Gemeinden, Kreise und tisch: Unterstützen Sie ein europäisches Klimaschutzge- Bezirke sich de facto zur LGBTIQ-freien Zone erklärt setz, das 65 Prozent Emissionsminderungen bis 2030 ver- haben? Polen und Ungarn bauen Rechtsstaat und freie ankert und jährliche CO2-Budgets definiert. Investieren Presse systematisch ab, und Ihr Parteifreund, Herr Orban, Sie in den Recovery Plan, der den Zusammenhalt stärkt leitet alldieweil EU-Mittel in sein Oligarchennetzwerk und eine klimafeste Wirtschaft schafft, und beenden Sie um. Nein, dafür darf es kein europäisches Geld geben, die Blockade einer Gemeinsamen Agrarpolitik, die klar meine Damen und Herren. 20650 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Katrin Göring-Eckardt (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) (C) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Vorschläge der deutsch-französischen Initiative Wenn man sich das Verständnis von einem europä- und die Planung der EU-Kommission sind absolut richti- ischen Vorgehen am Beispiel des gemeinsamen Vorge- ge Ansätze. So entschlossen wie unser nationales Kon- hens gegenüber dem Regelbrecher China anschaut, dann junktur- und Innovationspaket muss auch in Europa der hat man das Gefühl: Da ist der Prager Bürgermeister Wiederaufbau aussehen: stark und sozial, modern und mutiger als der deutsche Außenminister. gerecht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN) Die zeitweisen Ausfuhrbeschränkungen für medizini- Wir müssen doch ein gemeinsames Vorgehen haben. Herr sche Schutzausrüstung zu Beginn der Coronapandemie Brinkhaus, in diesem Zusammenhang haben Sie zum 5G- sind ein mahnendes Beispiel dafür, was passiert, wenn Ausbau gesagt, dass wir eine eigene Initiative brauchen. Nationalstaaten allein und unabgestimmt handeln. Dies Ja, bitte schön; dann aber gemeinsam und mit einer klaren sollte dringend geändert werden. Deshalb muss eine ge- Ansage an China zur Art und Weise, wie dort gewirt- meinsame europäische Gesundheitspolitik zu den Kern- schaftet wird und wie versucht wird, hier Strukturen auf- aufgaben der EU gehören. Der Kommissionsvorschlag zubauen. für ein eigenständiges Gesundheitsprogramm der EU, das EU4Health Programme, ist außerordentlich rich- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- tungsweisend. So soll nicht nur eine Reserve von Schutz- SES 90/DIE GRÜNEN) ausrüstungen und Medikamenten gebildet werden, son- Meine Damen und Herren, wir brauchen einen neuen dern auch bei medizinischem Fachpersonal enger europäischen Aufbruch; der muss mit der Ratspräsident- kooperiert und die schnelle Einsatzfähigkeit in der ge- schaft verbunden sein. Europa ist krisenfest zu machen, samten EU ermöglicht werden. mit Solidarität als Haltung, mit einem Rechtsstaatspro- (Beifall bei der SPD) gramm und mit einem echten Green Deal als Innovations- und Wirtschaftsmotor. Das ist das neue Europa, für das Der gemeinsame Austausch von epidemiologischen Da- wir gemeinsam mit Leidenschaft kämpfen. ten soll dazu führen, dass schnell und angemessen rea- giert werden kann. Die dafür vorgesehenen Mittel in Hö- Danke schön. he von 9,4 Milliarden Euro stellen die absolute Untergrenze dar und dürfen in den kommenden Beratun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen nicht gemindert werden. Mit diesem Programm be- (B) steht die Möglichkeit, dass zukünftig dringend notwendi- (D) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ge Güter nach medizinischer Notwendigkeit – Herr Nächste Rednerin ist die Kollegin Nezahat Baradari, Lindner ist leider nicht mehr da – und nicht nach finanz- SPD. ieller Kraft in Europa verteilt werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Dr. Florian Toncar [FDP]: Herr Lindner ist hier! – Christian Nezahat Baradari (SPD): Lindner [FDP]: Hallo!) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeord- – Entschuldigung; Sie haben hoffentlich zugehört. nete! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich Friedrich Hölderlin: Diese Verteilung gilt ebenfalls für den hoffentlich bald zur Verfügung stehenden Impfstoff gegen Covid-19. Die Nah ist internationale Geberkonferenz der EU zur Anschubfinan- Und schwer zu fassen der Gott. zierung der Impfstoffsuche Anfang Mai war mit einem Wo aber Gefahr ist, wächst Ergebnis von 7,4 Milliarden Euro ein voller Erfolg. Die Das Rettende auch. Europäische Investitionsbank stellte einem deutschen Pharmaunternehmen in der vergangenen Woche einen Die Auswirkungen der Coronapandemie haben in Eu- Kredit bis zu 100 Millionen Euro zur Produktion des ropa tiefe Spuren hinterlassen. Laut European Centre for Impfstoffs zur Verfügung. Auch dies ist ein ermutigendes Disease Prevention and Control haben sich aktuell über europäisches Zeichen. 1,49 Millionen Menschen in der Europäischen Union und in Großbritannien mit dem neuartigen Coronavirus infi- (Beifall bei der SPD) ziert, und rund 172 000 Menschen haben ihr Leben ver- Wir wollen einen Impfstoff für die ganze Welt. Für uns loren. Die Wirtschaftsleistung der EU ist eingebrochen, gilt nicht „Europe first“, für uns gilt „Humanity first“. Grenzen wurden geschlossen und die direkten sozialen Kontakte massiv eingeschränkt. Die internationale Poli- (Beifall bei der SPD) tik spielt verrückt. Die Anfang der Woche vorgestellte deutsche Corona- Wir standen und stehen vor enormen Herausforderun- Warn-App ist fortschrittlich. Sie wird uns helfen, Infek- gen. Daher muss der neue wirtschaftliche und soziale tionsketten besser nachverfolgen zu können. In einem Wiederaufbau eines gesunden Europas unter dem Vorsitz nächsten Schritt brauchen wir eine gesamteuropäische der deutschen EU-Ratspräsidentschaft entschieden vo- Anwendung über Landesgrenzen hinweg. Das Ergebnis rangebracht werden. wäre ein deutlich detaillierteres Lagebild des Pandemie- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20651

Nezahat Baradari (A) geschehens in ganz Europa. Die Europäische Union hat Dabei geht Nachbarschaftshilfe auch international (C) die Kraft und die Möglichkeit dazu. Lassen Sie uns jetzt über Sachleistungen und dergleichen. Corona ist genau die Ärmel hochkrempeln; wir haben viel vor uns. nicht das Erdbeben von Haiti, als das es verkauft wird. Das letzte sinnvolle Krisenmanagement Brüssels liegt Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 50 Jahre zurück: die strategische Ölreserve, die ganz un- (Beifall bei der SPD) spektakulär für genau 90 Tage den Öl- und Treibstoffbe- darf abdeckt – Punkt. Genau das – und nur das sollte man machen – kann man auch ganz unspektakulär für Medi- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zingeräte, Arzneibedarf etc. vorsehen. Aber beispielswei- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Harald Weyel, se der herbeigeredete Bedarf an Atemgeräten hat sich AfD. inzwischen offenbar in Luft aufgelöst und oft genug auch noch als tödliche Fehlbehandlung herausgestellt. Die mit (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Jetzt heißer Nadel gestrickten monetären Hilfs-, Not- und Kri- gehe ich lieber Blut spenden! Das ist besser, als senprogramme dürften sich als betrügerische Haustürge- die Rede anhören!) schäfte erweisen.

Dr. Harald Weyel (AfD): (Beifall bei der AfD) Geehrter Präsident! Kollegen und Zuschauer! Die Fällig wäre vielmehr eine nachhaltige, ganzheitliche, al- Kanzlerin optimiert hier mit quasi veruntreutem Steuer- lumfassende deutsche Nichtzuständigkeitserklärung für geld die Steigerung der EU-Fiskalausbeutung inländi- derlei fremdbestimmte Anliegen. Just say no. scher Sparer und Steuerzahler. Ein letztes Wort. Herr Brinkhaus, Sie hatten so schön ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE die Friedensdividende usw. erwähnt. Ich darf darauf auf- GRÜNEN]: Oh! Jesus! Maria!) merksam machen: Der wunderbare Finanzhistoriker – Am Ende stehen Reformverweigerung, erlernte Hilflo- Oxford usw. – Niall Ferguson hat 2011 festgestellt, dass sigkeit und immer dreisteres Forderungsgebaren der die damaligen Finanzrettungsübungen der EU den Kos- Wohltatsadressaten. Mit der Fremdfinanzierung nationa- ten eines Weltkriegs entsprachen. Das war 2011. ler Sozialpolitik in dem unsäglichen SURE-Vorhaben, dem ominösen Recovery Fund oder von der Leyens (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wenn Sie die 750-Milliarden-Pseudoprogramm runden Sie die ganze Menschen rausrechnen! Geld ist Ihnen wichti- schlechteuropäische Antisubsidiaritätsorgie ab. ger als Leben!) (B) (D) (Beifall bei der AfD – Jan Korte [DIE LINKE]: Deswegen hat die EU in 2012 völlig zu Recht den Frie- Ei, ei, ei!) densnobelpreis bekommen. Denn sie hat bewiesen, dass man im tiefsten Frieden einen Schaden auf Weltkriegsni- Mit herbeigeredeter Not wird sich nach rein französi- veau anrichten kann. schem Oktroi und seinen Nutznießern gerichtet. Mit sys- temwidrigen Nichtleistungsanreizen für anderer Leute Ich danke. Regierung, Staatshaushalt und Wirtschaft wird hierbei selbst der Keynesianismus ad absurdum geführt. Groß- (Beifall bei der AfD – Ralph Brinkhaus [CDU/ teils verschenktes Geld für andere Staaten als Kaufprä- CSU]: Unglaublich! – Martin Schulz [SPD]: mie für renditelose Konsuminvestitionen – wofür? Und Ich dachte, Zirkusveranstaltungen gibt es nur das, während hierzulande nicht nur die Infrastruktur ver- anderswo! So ein Clown!) rottet. Ich gratuliere! Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Mit Panik und Hysteriestrategie haben Sie das Land Jetzt hat das Wort der Kollege Alexander Dobrindt, nacheinander getrieben vom Euro-Politikwahn, der die CDU/CSU. Finanzen ruiniert, in den Klimapolitikwahn, der die Um- welt schädigt, in den Coronapolitikwahn, der auf die (Jan Korte [DIE LINKE]: Auf dass es ein Wirtschaft wirkt wie eine Neutronenbombe. bisschen besser wird!) (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ja Wahnsinn! – Jan Korte Alexander Dobrindt (CDU/CSU): [DIE LINKE]: Mit dem Wahn kennen Sie sich Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ja aus! Sehr gut sogar! Keiner besser!) Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir brauchen Eu- Kein neuer Spuk hat je den alten aufgelöst, wie manche ropa als Wachstumsgaranten. Deswegen, lieber Herr hoffen. Nein, drei apokalyptische Reiter sitzen uns zu- Weyel, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, was gleich im Nacken, und der vierte ist auch schon einge- Sie versuchen hier bezüglich der Politik Deutschlands troffen: eine völlig überkandidelte Antidiskriminierungs- gegenüber Europa darzustellen. Sie reden jetzt in dieser politik, die die Bevölkerungsmehrheit diskriminiert und Phase darüber, dass es eine Antisubsidiaritätsorgie gebe, Polizei und Justiz genauso durchdysfunktionalisiert, wie Sie reden von Veruntreuung von Steuergeldern. Das ist ja es beim Militär schon gelungen ist. alles in der Tradition dessen, was man in den letzten Tagen gehört hat. Ihr Kollege Gottschalk spricht von (Beifall bei der AfD) Deutschland als Melkkuh Europas. 20652 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Alexander Dobrindt (A) Ich kann Ihnen nur sagen: Es macht einen entscheid- zukünftig Zugriff auf circa 300 Millionen Impfdosen ha- (C) enden Unterschied, ob der Nachbar in Schwierigkeiten ben, wenn der Impfstoff wirkt und zur Verfügung gestellt geraten ist, weil er seine Lohntüte verzockt hat oder weil wird. Auch das ist ein wichtiger Beitrag für eine europä- er durch eine Katastrophe betroffen ist, die er nicht selbst ische Souveränitätsoffensive, meine Damen und Herren. verschuldet hat. Genau dieser Unterschied macht dann auch aus, ob wir solidarisch sind oder ob wir skeptisch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gegenüber unserem Nachbarn sind. Ich kann Ihnen nur ordneten der SPD) sagen: Wir stehen auf der Seite der Solidarität. Es macht für uns eben einen Unterschied. Ich will Ihnen an dieser Natürlich geht es auch um Sicherheit. Es geht auch um Stelle sagen: Wer in dieser entscheidenden Phase Europas Schlüsseltechnologien. Es geht um künstliche Intelli- davon spricht, dass Deutschland die Melkkuh ist, weil wir genz. Es geht um Quantencomputer. Es geht darum, dass uns finanziell engagieren, der muss aufpassen, dass er wir in Europa auf eigenen Beinen stehen können. Es geht nicht zum Rindvieh in diesem Parlament wird, meine darum, dass wir die Abhängigkeiten reduzieren. Deswe- Damen und Herren. gen, Frau Bundeskanzlerin, lautet unsere dringende Bitte, das Thema Souveränität auch zu einem Schwerpunkt un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- serer Ratspräsidentschaft zu machen. neten der SPD und der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: War jetzt nicht so schlecht!) Meine Damen und Herren, das Geld, um das es geht und das angesprochen worden ist, muss in die Moder- Wir brauchen ein Europa im Aufschwung. Wenn nisierung der europäischen Staaten fließen und darf nicht Europa im Abschwung ist, kann Deutschland nicht in zur Verlängerung von maroden Haushalten führen. Das einen Aufschwung kommen. Deswegen ist es umso ist ein Teil unseres Projektes. Lieber Martin Schulz, ich bedeutender, dass wir jetzt in unserer Ratspräsidentschaft darf Sie an dieser Stelle ansprechen, weil Sie in Ihrer nicht nur ein Paket zur Bewältigung der Krise schnüren, sondern dass wir vor allem auch eine Agenda für den Rede despektierlich über die sogenannten sparsamen Vier gesprochen haben. Ich habe keinen Zweifel an Ihrer eu- Aufbruch schnüren. ropäischen Kompetenz und Ihrer langen Erfahrung in Zu dieser Agenda für den Aufbruch gehört natürlich, Brüssel und in Europa. Aber ich glaube, dass man sehr dass wir über ein souveränes Deutschland und über ein vorsichtig damit umgehen muss. Nicht alles, was da von souveränes Europa reden, dass wir über Innovationen in diesen Vieren vorgeschlagen wird, hat unsere Zustim- Deutschland und in Europa reden, dass wir die Wider- mung, erst recht nicht meine Zustimmung. Aber dass standsfähigkeit Europas stärken bzw. – so nennt es die man diejenigen, die versuchen, sich für solide Finanzen Bundeskanzlerin – dass wir an einem starken Europa in Europa einzusetzen, pauschal als Reichtumseparatisten (B) bauen. Das ist uns übrigens schon einmal gelungen: in diffamiert, das ist der falsche Weg; denn das spielt genau (D) unserer letzten Ratspräsidentschaft 2007. Ich darf mal denjenigen in die Hände, die entweder Dauerschulden daran erinnern: Damals war Europa auch in einer politi- wollen oder die raus aus Europa wollen. Das ist nicht schen Krise. Der europäische Verfassungsvertrag war ge- unser Ziel. scheitert, weil die Bevölkerung ihn in Referenden abge- lehnt hat. Damals haben wir mit der Berliner Erklärung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den Weg aus der Krise gewiesen. ordneten der FDP) Heute steht Europa vor noch größeren Herausforde- Meine Damen und Herren, noch einen Punkt an dieser rungen. Unsere Ratspräsidentschaft muss die Agenda Stelle, weil auch er dazugehört. Wir haben in den vergan- des Aufbruchs bringen mit Souveränität, mit Wachstum, genen Wochen ein Urteil des Verfassungsgerichtes zum ja, natürlich auch mit ökologischem Wachstum; auch das Handeln der EZB bekommen. Dies spielt – das muss es gehört dazu. Wir müssen den Willen haben, als Europa auch – bei den weiteren Beratungen eine große Rolle, ein aktiver Spieler auf der Weltbühne zu sein und nicht nicht nur in Deutschland, sondern auch in Brüssel. Das der Spielball zwischen den Machtzentren. Verfassungsgericht hat sich nicht nur mit den Finanzen Ein aktiver Welthandel gehört natürlich dazu. Ja, Wett- auseinandergesetzt, sondern auch mit der zentralen Frage bewerb und Partnerschaft gehören gleichermaßen dazu. des Verhältnisses der Mitgliedstaaten gegenüber der Eu- Dazu gehört, den internationalen Austausch auch im Be- ropäischen Union. Meine Bitte, Frau Bundeskanzlerin, reich der Wirtschaft zu aktivieren und zu pflegen. Aber es ist – auch das muss angesprochen werden –: die Reaktion gehört nicht dazu, einseitige Abhängigkeiten zu be- Brüssels, die Reaktion der Europäischen Union und die stimmten Regionen der Welt zu akzeptieren. Reaktion der europäischen Institutionen auf ein Gerichts- urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich fordere mehr Deswegen ist es ein besonders wichtiges Signal dieser Sensibilität ein. Überheblichkeit der europäischen Insti- Koalition, dass wir die Souveränität in unserem Paket zur tutionen in Bezug auf ein Urteil des deutschen Verfas- Krisenbewältigung stark betont haben, unter anderem sungsgerichts ist nicht akzeptabel. Wenn ein EZB-Rats- hinsichtlich der Versorgung mit Medikamenten, der Ver- mitglied sagt, das Urteil sei lächerlich, und die sorgung mit medizinischen Produkten. Da Deutschland Kommission möglicherweise mit einem Vertragsverlet- und Europa zu stärken, die Produktion wieder mehr bei zungsverfahren droht, dann kann man nur sagen: Ein uns zu beheimaten – auch das ist eine Aufgabe. Ich bin Europa der Akzeptanz braucht Argumente und weniger Bundesgesundheitsminister sehr dankbar, Arroganz. dass er mit der Impfallianz gemeinsam mit Frankreich, Italien und den Niederlanden dafür gesorgt hat, dass wir Herzlichen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20653

Alexander Dobrindt (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) (C) ordneten der FDP) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Jetzt hat das Wort der Kollege Andrej Hunko, Die Mitgliedstaaten erwarten Defizite von 7 Prozent des BIP Linke. und mehr. Die Schuldenquoten steigen, in manchen Mit- gliedstaaten werden es über 150 Prozent sein. Da erschre- (Beifall bei der LINKEN) cken natürlich manche. Das Hilfspaket in der Größ- enordnung von 540 Milliarden Euro durch den ESM, Andrej Hunko (DIE LINKE): die Europäische Investitionsbank und SURE, der Vor- schlag des französischen Präsidenten und der deutschen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- Bundeskanzlerin für einen Wiederaufbaufonds von deskanzlerin! Europa verfügt über ein weltweit einzig- 500 Milliarden Euro und Mittel aus dem zukünftigen artiges System des Menschenrechtsschutzes. Ich spreche mehrjährigen Finanzrahmen, zu dem parallel die Gesprä- von der Europäischen Menschenrechtskonvention und che laufen, ergeben, wenn man alles addiert, über 2 Billio- dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in nen Euro. Da stellt sich natürlich die Frage: Ist das ge- Straßburg. Jeder Bürger von Lissabon bis Wladiwostok, rechtfertigt, ja oder nein? Ich sage ganz klar: Ja. Es ist von Reykjavik bis Antalya hat ein Individualklagerecht. deswegen gerechtfertigt, weil Nichtstun verheerend wä- Auch jeder Mensch auf europäischem Boden hat dieses re. Nichtstun wäre verheerend nicht nur für uns als Bun- Individualklagerecht – inklusive der Flüchtlinge auf dem desrepublik Deutschland – 60 Prozent unserer Exporte Mittelmeer oder der Jugendlichen in griechischen La- gehen in die Europäische Union –, sondern es wäre auch gern. Ich finde, dieses System muss gestärkt werden. verheerend für Europa. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Allerdings darf das alles natürlich kein Dauerzustand neten der SPD) werden. Ich sage klar, was wir als Unionsfraktion bei den Aber wir leben in einer Zeit, in der das Menschenrechts- Instrumenten, über die diskutiert wird, nicht wollen: Wir system der Menschenrechtskonvention unter Druck steht. wollen keine Schuldenvergemeinschaftung. Rechtspopulisten in Europa wollen es schwächen wie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch große Mitgliedstaaten des Europarates. Auch ist die Europäische Union – das will ich hier ansprechen – Die Europäische Union ist kein Bundesstaat, liebe Kolle- bis heute der Europäischen Menschenrechtskonvention ginnen und Kollegen, und wir wollen auch keine dauer- nicht beigetreten, obwohl das im Lissabon-Vertrag fest- hafte Staatlichkeit der Europäischen Union mit eigenen (B) (D) gelegt worden ist. Wir fordern, dass dieser Beitritt endlich Steuern. auf den Weg gebracht wird. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wir wollen eine klare Zweckbindung des Wiederaufbau- neten der SPD) fonds. Und da ist es nicht dienlich, dass der italienische Alle dreizehneinhalb Jahre hat Deutschland den Vor- Außenminister Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung sitz der EU und alle dreiundzwanzigeinhalb Jahre den am Tag der Verkündung des Merkel/Macron-Vorschlags Vorsitz des Europarates inne. Nun haben wir die beson- davon redet, dass man in Italien doch die Steuern senken dere Situation, Frau Kanzlerin, dass beides in diesem Jahr könne. Das ist nicht dienlich, liebe Kolleginnen und Kol- zusammenfällt. Ab dem 1. November wird Deutschland legen. auch den Vorsitz des Europarates innehaben. Es bietet Es ist auch nicht dienlich, dass der französische Fi- sich also die einmalige Chance, die Lösung dieses Prob- nanzminister Le Maire in einem Interview mit der „Welt“ lems, die Behebung dieses unhaltbaren Zustands endlich davon redet, dass der Recovery-Fonds nur eine geringe auf den Weg zu bringen. Ich freue mich, dass die Justiz- Konditionalität haben könne. Liebe Kolleginnen und ministerin Lambrecht gestern im Europaausschuss gesagt Kollegen, wir müssen dafür sorgen, dass er an Konditio- hat, dass im Herbst die Verhandlungen wieder aufgenom- nalität ausgerichtet ist. Dazu haben wir hier im Deutschen men werden. Frau Merkel, bitte sorgen Sie dafür, dass das Bundestag die Chance; denn über die Eigenmittel zum endlich umgesetzt wird. Ich weiß, es gibt juristische Hür- Wiederaufbaufonds entscheiden wir hier, und unser Bud- den, von Luxemburg eingezogen, aber alle Experten sa- getrecht werden wir wahrnehmen. Das heißt, er muss an gen: Wenn der politische Wille da ist, kann dieser Beitritt Konditionalität ausgerichtet sein, er muss – das sagt die endlich vollzogen werden. Bitte sorgen Sie vielleicht zum Bundeskanzlerin immer wieder – Bestandteil des europä- Ende Ihrer Kanzlerschaft für diesen Beitritt. ischen Haushaltes sein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Angesichts des ganzen Geldes kommt hier – Alexander Dobrindt ist darauf eingegangen – eine hohe (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Verantwortung auf die europäischen Institutionen zu. neten der SPD) Mich treibt immer wieder um, und ich sage das immer wieder an dieser Stelle: Es ist nicht akzeptabel, dass im Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: letzten Jahr der aktuellen Förderperiode von knapp 1 Bil- Nächster Redner ist der Kollege Eckhardt Rehberg, lion Euro Fördermittel knapp 300 Milliarden Euro von CDU/CSU. der Europäischen Kommission nicht umgesetzt worden 20654 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Eckhardt Rehberg (A) sind. Das ist nicht akzeptabel, liebe Kolleginnen und Kol- Und diese Eigenständigkeit verknüpfe ich mit drei Be- (C) legen! griffen, die mit „W“ anfangen – das ist ganz gut und praktisch zu merken –: Widerstandsfähigkeit, Wettbe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) werbsfähigkeit und Wehrhaftigkeit. Ich erwarte, dass sich Brüssel bei der Verteilung der Gel- der, die wir jetzt zur Verfügung stellen, sputet und die Widerstandsfähigkeit, Herr Minister Spahn, betrifft si- Umsetzung nicht erst in einem halben Jahr oder in einem cher den Bereich der Gesundheit; da hätten wir besser, da Jahr stattfindet. Die Pandemie ist jetzt und heute, sie muss hätten wir enger zusammenarbeiten können. Ich glaube, jetzt und heute bekämpft werden und darf nicht erst über- es ist wichtig, die Europäische Agentur, die diesbezüglich morgen oder in noch fernerer Zukunft bekämpft werden. ja existiert, zu stärken. Wir könnten hier viel mehr Daten- austausch betreiben, wir könnten einen größeren Über- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) blick über gemeinsame Kapazitäten im Gesundheitswe- sen gewinnen und uns besser gemeinsam aufstellen. Eine letzte Bemerkung, Frau Bundeskanzlerin, eine herzliche Bitte. Die Bereitstellung dieses ganzen Geldes Wettbewerbsfähigkeit sollte auch ein Bestandteil sein. wird nur dann Akzeptanz finden, und zwar gerade bei den Dabei geht es mir vor allen Dingen um Innovation. Und Ländern, die mehr einzahlen, als sie herausbekommen, wenn ich „Innovation“ sage – wir haben über die Wasser- wenn es dafür eingesetzt wird, dass Europa wettbewerbs- stoffinitiative in Deutschland gesprochen –, dann möchte fähiger wird, dass Europa eine bessere Zukunft haben ich das nicht nur europäisieren – Sie haben über den wird, und wenn in Aussicht gestellt wird, dass die Afrika-Gipfel gesprochen –, sondern auch mit den Mög- Schulden, die wir heute machen, zu Wohlstand in der lichkeiten gemeinsamer Kooperation mit Partnerländern, Zukunft beitragen. Ansonsten, glaube ich, wird das für zum Beispiel im Maghreb bei der Herstellung Grünen uns alle eine schwierige Debatte. Wasserstoffs, verbinden. So wird ein Schuh daraus, und Herzlichen Dank. so wird auch gezeigt, dass wir europäisch und internatio- nal im Interesse des Klimaschutzes und der Entwicklung (Beifall bei der CDU/CSU) zusammen mit Afrika handeln werden. Das finde ich wichtig und wertvoll. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Und schlussendlich: Wehrhaftigkeit. Ja, wir müssen Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der über Industriestrategie, über sensible, über strategische Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU. Industrien reden und diese auch vor Übernahmen schüt- zen. Wir müssen sie in Europa halten; das betrifft auch (Beifall bei der CDU/CSU) die Industrie im Bereich der Rüstung. (B) (D) Matern von Marschall (CDU/CSU): Das sind wichtige Punkte. Diese drei sollten wir zu- Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Wir sind zu unse- sammenfassen: die Widerstandsfähigkeit, die Wettbe- rem Glück vereint – Frau Bundeskanzlerin, das ist der werbsfähigkeit und die Wehrhaftigkeit Europas. Und Leitsatz der Berliner Erklärung von 2007 gewesen. Frau dann, glaube ich, können wir in die Zukunft blicken. Bundeskanzlerin, Sie waren auch zum damaligen Zeit- Und dann, Frau Bundeskanzlerin, könnte ich mir vorstel- punkt Bundeskanzlerin, und 27 Ratspräsidentschaften len, dass Sie nach weiteren 27 Ratspräsidentschaften – später sind Sie es weiterhin, und das ist, glaube ich, die dann sind Sie möglicherweise nicht mehr Bundeskanzle- beste Garantie dafür, dass eine erfolgreiche Ratspräsi- rin – vielleicht bei einem Spaziergang in der Uckermark dentschaft unter deutscher Führung in der zweiten Jahres- die Kraniche aufsteigen und über Europa fliegen sehen hälfte erfolgen wird. und denken: Wir sind zu unserem Glück vereint! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der SPD) Ich bin auch dankbar, dass wir als Parlamentarier hier Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: darüber debattieren. Die Ratspräsidentschaft ist ja gewis- Damit schließe ich die Aussprache. sermaßen das zweite legislative Organ neben dem Euro- päischen Parlament. Es ist allerdings durch die Exekutive Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- bestimmt, und insofern ist es wichtig, dass wir parlamen- ßungsanträge. Zunächst stimmen wir über den Entschlie- tarische Kontrolle – darüber ist geredet worden – hier ßungsantrag der Fraktion der FDP auf der Drucksache auch aktiv wahrnehmen, etwa in der Bestätigung des 19/20131 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- Eigenmittelbeschlusses. trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Entschließungsantrag bei Enthaltung der Frak- Wenn wir über das jetzt anstehende große Programm, tion Die Linke gegen die Stimmen der FDP mit den den Recovery Plan – es trägt den Titel „Next Generation Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. EU“, also in die Zukunft gerichtet –, diskutieren, dann, glaube ich, sollten wir uns klarmachen, dass es – darauf Dann stimmen wir über den Entschließungsantrag der ist hingewiesen worden – um Souveränität in der EU Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/20132 ab. Wer geht. Verwechseln wir Souveränität allerdings bitte nicht stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält mit der vielleicht darin enthaltenen Versuchung, uns ein- sich? – Dann ist dieser Entschließungsantrag gegen die zukasteln, auch nicht mit der Versuchung, damit Protek- Stimmen der FDP mit den Stimmen des übrigen Hauses tionismus zu verknüpfen. Es geht um Eigenständigkeit. abgelehnt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20655

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Die Die Namen aller Kandidatinnen und Kandidaten ent- (C) Linke auf der Drucksache 19/20133 auf. Wer stimmt nehmen Sie bitte den Stimmkarten. dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Entschließungsantrag gegen die Stimmen der Die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts ist Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses gewählt, wenn sie die Mehrheit von zwei Dritteln der abgelehnt. abgegebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Bünd- sich vereint. Bei den weiteren Wahlen sind die Stimmen nis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/20134 auf. Wer der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags, das heißt stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer mindestens 355 Jastimmen, erforderlich. enthält sich? – Dann ist dieser Entschließungsantrag ge- gen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd- Die Wahlen erfolgen in der Abgeordnetenlobby. Um nis 90/Die Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses größere Ansammlungen von Personen vor den Wahlkabi- abgelehnt. nen zu vermeiden und den notwendigen Abstand von- Jetzt teile ich mit, dass sich die Fraktionen darauf ver- einander wahren zu können, haben Sie nach Eröffnung ständigt haben, dass über den Einspruch des Kollegen der Wahlen vier Stunden Zeit, um Ihre Stimmen abzu- Brandner unmittelbar vor der Aktuellen Stunde entschie- geben. Vielleicht machen wir es wieder so, dass in den den werden soll. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist ersten zwei Stunden möglichst die Kolleginnen und Kol- die Entscheidung über den Einspruch als Zusatzpunkt 42 legen zur Wahl gehen, deren Nachnamen mit den Buch- nach Tagesordnungspunkt 16 aufgesetzt. staben A bis K beginnen, während die Kollegen, deren Nachnamen mit den Buchstaben L bis Z beginnen, bevor- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 sowie 12 a bis zugt in den letzten zwei Stunden gehen. Damit haben wir 12 e auf: ein geringeres Risiko von Klumpenbildung.

11 Wahlvorschlag des Wahlausschusses für die Sie erhalten in der Abgeordnetenlobby an den Aus- Richter des Bundesverfassungsgerichts gabetischen nach Vorzeigen Ihres Wahlausweises in der Wahl der Vizepräsidentin des Bundesverfas- Farbe Rosa vier Stimmkarten in den Farben Blau, Gelb, sungsgerichts Grün und Rot. Da zwei dieser Wahlen geheim durchzu- führen sind, erhalten Sie zu den Stimmkarten in den Far- Drucksache 19/19993 ben Blau und Gelb zusätzlich Wahlumschläge in densel- ben Farben, in die die ausgefüllten Stimmkarten jeweils 12 a) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD einzulegen sind. Sie erhalten also am Ausgabetisch vier (B) Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums Stimmkarten und zwei Wahlumschläge in einem Paket. – (D) gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsme- Ich rate Ihnen, gut zuzuhören. Es ist ungewöhnlich, dass chanismusgesetzes wir vier Wahlen auf einmal durchführen; aber bei diesem Verfahren müssen wir es so machen. Drucksache 19/19533 b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD In der Wahlkabine sind die vier Stimmkarten anzu- kreuzen. Zu jeder Kandidatin bzw. zu jedem Kandidaten Wahl von Mitgliedern des Sondergre- darf nur ein Kreuz entweder bei „ja“, „nein“ oder „ent- miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie- halte mich“ gemacht werden. Alles andere führt zur Un- rungsmechanismusgesetzes gültigkeit der Stimme. Die Stimmkarten für die zwei ge- heimen Wahlen sind in der Wahlkabine in den jeweiligen Drucksache 19/19253 Umschlag zu legen. c) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Ich weise noch einmal darauf hin – der Verstoß dage- Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgre- gen ist nämlich teuer –, dass das Fotografieren oder Fil- miums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundes- men der ausgefüllten Stimmkarten bei den geheimen haushaltsordnung Wahlen einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis darstellt Drucksache 19/19532 und die Ordnung und Würde des Hauses verletzt. Für den Fall, dass ich von solchen Verstößen gegen das Wahlge- d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD heimnis in dieser Sitzung oder später Kenntnis erlange, behalte ich mir schon jetzt vor, Ordnungsmaßnahmen zu Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgre- ergreifen. miums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundes- haushaltsordnung Nach Verlassen der Wahlkabine übergeben Sie bitte Drucksache 19/19251 der Schriftführerin oder dem Schriftführer an der Wahl- urne Ihren Wahlausweis. Die Abgabe des Wahlausweises e) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD dient als Nachweis für die Beteiligung an den Wahlen. Wahl von Mitgliedern des Gremiums ge- Kontrollieren Sie bitte, dass der Wahlausweis Ihren Na- mäß § 3 des Bundesschuldenwesengeset- men trägt. In die Wahlurnen sind – farblich getrennt – die zes vier Wahlunterlagen – das sind die zwei Wahlumschläge sowie die zwei Stimmkarten für die offenen Wahlen – Drucksache 19/19252 einzuwerfen. 20656 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, Deutschland gibt es, meine Damen und Herren, in über (C) die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist schon einem Drittel der Landkreise innerhalb von sieben Tagen der Fall, wie mir mitgeteilt wird. keinerlei Neuinfektionen. Deshalb stellen wir uns als FDP-Fraktion nach drei Monaten die Frage: Wann ist Damit eröffne ich die Wahlen. Die Schließung der eine epidemische Lage eigentlich nicht mehr gegeben? Wahlen erfolgt also um 14.49 Uhr; dann sind es genau Wir haben dazu ein Rechtsgutachten erstellen lassen, vier Stunden.1) und das Ergebnis ist: Eine epidemische Lage setzt erstens Jetzt rufe ich die Zusatzpunkte 5 und 6 auf: eine Überforderung des öffentlichen Gesundheitswesens voraus. Sie setzt voraus, dass es zweitens einer zentralen ZP 5 Erste Beratung des von den Abgeordneten Steuerung auf Bundesebene bedarf und dass drittens die Christine Aschenberg-Dugnus, Konstantin Bundesländer nicht mehr in der Lage sind, die Situation Kuhle, Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeord- eigenständig zu bewältigen. neten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weitergeltung In meinem Bundesland Schleswig-Holstein gibt es zur- von Rechtsverordnungen und Anordnungen zeit vier Infizierte, die im Krankenhaus behandelt wer- aus der epidemischen Lage von nationaler den, und in den letzten sieben Tagen wurden ganze sieben Tragweite angesichts der Covid-19-Pandemie Fälle gemeldet. Meine Damen und Herren, deutschland- (Covid-19-Rechtsverordnungsweitergeltungs- weit sind 35 Prozent der Intensivbetten frei. Testkapazitä- gesetz) ten, Schutzkleidung – all das ist ausreichend vorhanden. Drucksache 19/20042 Alle diese Beispiele zeigen: Von einer Überforderung des öffentlichen Gesundheitswesens kann keine Rede mehr Überweisungsvorschlag: sein und damit auch nicht mehr von einer epidemischen Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Notlage. ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten (Beifall bei der FDP – [AfD]: Christine Aschenberg-Dugnus, Konstantin Das hätte euch aber früher einfallen können!) Kuhle, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP Selbstverständlich – und das möchte ich besonders betonen – ist Corona nicht besiegt, aber Corona ist Epidemische Lage von nationaler Tragweite beherrschbarer geworden. beenden – Bevölkerung weiter schützen, Par- lamentsrechte wahren (Sabine Dittmar [SPD]: Mutig, mutig!) (B) Drucksache 19/20046 Die Ausgangsbeschränkungen wurden gelockert. Fami- (D) lientreffen können wieder stattfinden, und auch der Be- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) such in Pflegeheimen ist wieder möglich, was mir per- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sönlich besonders wichtig ist. Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Wenn wir die epidemische Lage aufheben, bedeutet beschlossen. das aber nicht, dass automatisch alle Coronabeschrän- Sobald diejenigen, die an der Aussprache teilnehmen kungen fallen. Selbstverständlich müssen wir auch wei- wollen, die Plätze eingenommen haben und die anderen terhin anlassbezogen die Abstands-und Hygieneregeln Kollegen, die das bedauerlicherweise nicht wollen, den einhalten. Wie ich eben schon sagte: Anlassbezogenes, Saal geräumt haben, eröffne ich die Aussprache. Je regionales und differenziertes Handeln ist erforderlich, schneller das geht, desto früher können wir heute Abend und das setzen die Länder, meine Damen und Herren, die Plenarsitzung beenden. schon seit Wochen vorbildlich um. Dann kann ich jetzt die Aussprache eröffnen und er- (Beifall bei der FDP) teile das Wort der Kollegin Christine Aschenberg- Ich frage Sie als Bundesregierung: Wie können Sie von Dugnus, FDP. einer Überforderung des Gesundheitswesens ausgehen, (Beifall bei der FDP) wenn in dem größten Bundesland, in Nordrhein-Westfa- len, die Geltungsdauer der im Landespandemiegesetz Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): vorgesehenen epidemischen Lage gerade nicht verlängert Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wurde? Das passt doch überhaupt nicht zusammen. Kollegen! Die Gesundheit der Bevölkerung und deren Schutz haben oberste Priorität. Darüber sind wir uns in (Beifall bei der FDP) diesem Hause alle einig. Deswegen haben wir auch ge- Meine Damen und Herren, Sonderrechte für die Bun- meinsam am 25. März den Gesundheitsnotstand für unser desregierung sind jetzt nicht mehr notwendig. Parla- Land, also die epidemische Lage von nationaler Trag- mentsrechte – das ist mir besonders wichtig – gelten ohne weite, beschlossen. Damals gab es täglich 4 000 bis Abstriche auch in Zeiten der Epidemie und des Notstan- 6 000 Neuinfizierte, und deswegen mussten wir handeln. des. Jetzt ist die Lage jedoch auch dank des Einsatzes aller (Beifall bei der FDP) Akteure im Gesundheitswesen eine andere. Wir verzeich- nen täglich lediglich 200 bis 400 Neuinfizierte. In Das gilt auch ganz besonders für unser Grundgesetz. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20657

Christine Aschenberg-Dugnus (A) Meine Damen und Herren, wir sind doch alle selbst- Es sind jetzt 7 000 Menschen in Quarantäne wegen einer (C) bewusste Parlamentarier. Ziehen wir doch die Rechtset- Anzahl von mehr als 650 Infizierten unter den Beschäf- zung dahin zurück, wo sie hingehört, nämlich in dieses tigten dort. Die erste Meldung kam am Dienstag dieser Hohe Haus! Woche: 128 Infizierte. Das hat jetzt diese rasante Ent- wicklung genommen. Vielen Dank. (Dr. [FDP]: Weil man mehr (Beifall bei der FDP) getestet hat!) – Ja, weil man mehr getestet hat. Aber das zeigt doch, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dass diese Infektionslage nicht beherrscht ist, sondern Nächster Redner ist der Kollege Rudolf Henke, CDU/ dass wir mittendrin sind in dieser Pandemie. CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Rudolf Henke (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin ne Damen und Herren! Zunächst will ich sagen, dass ich Aschenberg-Dugnus? der FDP dafür dankbar bin, dass sie diesen Antrag ein- bringt. Rudolf Henke (CDU/CSU): Sie hat zwar schon gesprochen, aber gerne. (Beifall bei der FDP) Ich finde, er unterscheidet sich wohltuend von dem An- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: trag, den eine andere Fraktion hier vor wenigen Wochen Bitte gerne, Frau Kollegin. eingebracht hat. (Enrico Komning [AfD]: Die AfD war es!) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Vielen Dank, geschätzter Kollege, dass Sie die Frage Er unterscheidet sich auch deswegen wohltuend, weil Sie zulassen. – Würden Sie mir recht geben, dass es sich bei in Ihrem Antrag ausdrücklich anerkennen, dass mit der dem, was Sie gerade geschildert haben, um einen regio- Aufhebung der epidemischen Lage natürlich sofort Pro- nalen Ausbruch handelt, und würden Sie sagen, dass die- bleme in der Rechtssituation entstünden. Deswegen ma- ser regionale Ausbruch dazu führt, dass das öffentliche (B) chen Sie ja sogar den Vorschlag, all die Verordnungen Gesundheitswesen überfordert ist oder dass Nordrhein- (D) und Anordnungen, von denen Sie sagen, dass sie eigent- Westfalen mit dieser Lage nicht mehr selbstständig und lich ein Eingriff in die Rechte des Parlaments seien, doch allein fertig wird, sodass der Bund eingreifen muss? Wür- aufrechtzuerhalten, befristen das bis zum 30. September den Sie das bejahen, oder wie schätzen Sie das ein? – und sagen: Bis dahin sollten wir sie durch Gesetze abge- Vielen Dank. löst haben. (Beifall bei der FDP) Ich will ausdrücklich sagen: Ich halte das für eine Herangehensweise, die zu debattieren gut ist. Sie gibt Rudolf Henke (CDU/CSU): uns ja auch die Möglichkeit, noch mal eine Reflexion Dazu muss man sich vergegenwärtigen, ob es um Ge- vorzunehmen zu der Frage, ob wir die mit der Feststel- fährdungen geht oder um bereits eingetretene Lagen, ver- lung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite in ehrte Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus. In einer sich der Tat verbundenen Eingriffe in die Rechte der Bürger – dynamisch entwickelnden Ausbruchssituation besteht das interessiert mich zunächst am allermeisten –, aber die Gefahr des Eintritts einer erheblichen Gefährdung zweitens auch in die Rechte der Parlamente vertreten der öffentlichen Gesundheit in der gesamten Bundesre- und verteidigen können. Also, dafür danke. publik, und diese Gefahr ist angesichts der Entwicklung Aber jetzt müssen wir in der Sache darüber diskutie- des dortigen Ausbruchs – und das ist ja nicht der einzige – ren, wie wir damit umgehen. Und da, finde ich, machen gegeben. Denn wir müssen uns klar darüber sein, dass die Sie es sich angesichts der Situation, in der wir sind, ein Mitarbeiter dieses Betriebes – – Ich will jetzt nicht diese bisschen zu einfach, weil Sie zwar den guten Teil der Firma und nur den einen Betrieb ansprechen. Wir haben Lageentwicklung schildern, aber nicht darstellen, auf ja andere Betriebe erlebt. Wir haben das Thema „Deut- welch unsicherem Terrain sich das bewegt. scher Paketdienst“ erlebt, wir haben Kirchengemeinden gehabt, wir haben Chortreffen gehabt. In diesem Fall (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- leben viele Kinder und Familienangehörige verteilt über ordneten der SPD) zahlreiche Liegenschaften rund um das Unternehmen he- Ich bin Bürger Nordrhein-Westfalens, und es elektri- rum und auch in zahlreichen Nachbarkreisen. Vor diesem siert mich total, was wir aus Rheda-Wiedenbrück von der Hintergrund kann Ihnen keiner prognostizieren, wie sich Schlachterei Tönnies hören. jetzt die Ausbreitung angesichts der Situation in Schulen und Kindergärten entwickeln wird. Deswegen, glaube (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der ich, ist es einfach vermessen, zu sagen: Weil wir akut SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- so niedrige Zahlen haben, geben wir uns jetzt mal damit NEN) zufrieden. 20658 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Rudolf Henke (A) Ja, es mag sein, dass ein solcher Ausbruch handhabbar findet man eine Quote von 6,5 Prozent, und bei den Kin- (C) ist. Aber das Nachverfolgen von 7 000 in Absonderung dern eine Quote von 7,5 Prozent an Antikörpern. befindlichen Menschen, die Notwendigkeit, sie alle zu testen, die Notwendigkeit, dann wieder deren Kontakt- (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja!) personen nachzuverfolgen, bringt, so glaube ich, auch Das ist mehr, als wir es bei uns erwarten können. Aber es dort ein Gesundheitsamt an die Grenzen, weswegen wir zeigt selbst für Schweden, dass natürlich von einer Grup- ja auch eine Eingreiftruppe des RKI haben, weswegen penimmunität, von einer Kohortenimmunität, von diesem wir in der epidemischen Lage von nationaler Tragweite Herdenschutz bei Weitem nicht die Rede sein kann. Des- sogar zusagen, dass wir mit Kräften der Bundeswehr wegen: Wir sind mittendrin, und ich finde das schwierig. helfen, wenn es nötig ist. Jetzt stellen Sie sich mal vor, so was passiert gleichzeitig an vier oder fünf oder sechs Als letzte Bemerkung auch noch ein paar Hinweise Stellen in der Bundesrepublik. Dann ist die Lage in darauf, dass wir natürlich auch etwa eine Regelung haben Deutschland schlimmer als zu dem Zeitpunkt, zu dem wie die, dass Studierende, die jetzt pandemiebedingt Tä- wir die epidemische Lage festgestellt haben, tigkeiten übernommen haben, –

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vizepräsident : neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. GRÜNEN) und das ist, glaube ich, das Kriterium. Rudolf Henke (CDU/CSU): – dann, wenn wir jetzt Ihrem Antrag folgen würden, Ein zweiter Punkt ist, dass dieser Gefährdungslage für sofort wieder auf das BAföG zurückverwiesen würden, die öffentliche Gesundheit nur begrenzt auf Landesebene weil dann die Nichtanrechnung ihrer Einkünfte in ande- begegnet werden kann. Das ist eben nicht der Fall. Viel- ren Tätigkeiten – mehr brauchen wir weiterhin eine nationale Strategie. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. der Abg. Sabine Dittmar [SPD]) Rudolf Henke (CDU/CSU): Sie liegt doch auch der Tatsache zugrunde, dass sich gestern die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten – nicht mehr möglich wäre. der Bundesländer – sämtlicher Bundesländer! – wieder (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: (B) auf viele Punkte verständigt haben, die man in einem Quatsch! Stimmt doch gar nicht!) (D) nationalen Konsens tragen will. Insofern bitte ich Sie: Lassen Sie uns sukzessive, las- Es tut mir leid, aber wenn wir jetzt vor der Öffnung von sen Sie uns verantwortungsvoll vorgehen. Für eine Auf- Schulen und Kindergärten in den Regelbetrieb hinein hebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite stehen, dann macht mich auch eine Nachricht wie die in Deutschland ist es jetzt zu früh. aus Düsseldorf unruhig, wo seit Anfang Juni an elf ver- schiedenen Schulen zwölf Kinder positiv getestet worden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie sind. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Robby Schlund [AfD]: Oh, das ist aber viel!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Zahl der Schulen, in denen solche Dinge passieren, Herzlichen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege ist ja nicht klein, und es gibt schon die ersten Schulen, die Dr. Robby Schlund, AfD-Fraktion. nach ihrer Öffnung von den örtlichen Gesundheitsämtern (Beifall bei der AfD) wieder geschlossen worden sind. Das zeigt mir: Wir sind mittendrin in der Pandemie, und wir sind mittendrin in Dr. Robby Schlund (AfD): der nationalen Ausbreitung. Sehr geehrter Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Für das Land Schweden, das immer so gerne als Bei- Kollegen! Am 6. Mai forderte unsere Fraktion hier an spiel dafür genommen wird, wie toll das mit der Ent- dieser Stelle, hier im Plenum, „die epidemische Lage wicklung der Herdenimmunität sei, gibt es aktuelle epi- von nationaler Tragweite aufzuheben“. Heute, sage und demiologische Befunde zur Frage: Wie weit ist denn die schreibe 43 Tage später, fordert die FDP: „Epidemische Seuche durch Schweden durch? – Da hat man Antikör- Lage von nationaler Tragweite beenden“. peruntersuchungen gemacht, und da findet man bei den (Christian Lindner [FDP]: Weil es jetzt eine Älteren und Betagten zwischen 65 und 95 eine Quote von andere Lage ist!) 2,9 Prozent, wenn ich es richtig erinnere. Bei den jungen Leuten, also in unserem Alter, bei denen zwischen 20 und Wir freuen uns darüber außerordentlich, keine Angst. Wir 64, finden es auch nicht weiter schlimm, dass „aufzuheben“ jetzt „beenden“ heißt – damals noch von Ihnen moniert. (Heiterkeit der Parl. Staatssekretärin Bettina Manche haben sogar im Plenum hier über Menschen- Hagedorn) feindlichkeit oder Ähnliches philosophiert und gebrüllt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20659

Dr. Robby Schlund (A) Dennoch möchten wir uns bei der FDP für diesen Antrag und stattdessen ein gestuftes pandemisches Rasterma- (C) bedanken. nagement zu verwenden, wie es die AfD bereits im Feb- ruar, genau am 12. Februar, hier in diesem Plenum ge- Woher dieser Sinneswandel jetzt kommt, können wir fordert hatte. uns leider nicht erklären, da Sie ja damals unseren Antrag kategorisch abgelehnt hatten. (Beifall bei der AfD) (Christian Dürr [FDP]: Sie haben doch gerade Ehrlich gesagt, meine Damen und Herren, hätten wir uns selbst gesagt: Das war vor 43 Tagen! – Weitere dann diese Diskussion hier und heute und eine Stunde Zurufe von der FDP) sparen können. Die Zahlen zeigten, dass ein Shutdown in Deutschland nicht nur völlig unnötig war, sondern ge- – Entschuldigung. Lassen Sie mich mal bitte ausreden. – radezu die Pandemie in die Länge gezogen hat. In Anbetracht der Erfurter Situation mit Herrn Kemmerich, die jedem hier ja hinlänglich bekannt sein (Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/ dürfte, hoffen wir, dass Sie jetzt nicht Ihren eigenen An- DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!) trag ablehnen müssen, meine Damen und Herren. Das Dabei sind die einzelnen Verläufe der Pandemie dyna- wäre in der Tat außerordentlich schade und sicherlich misch gut zu beurteilen, da sie nach den klassischen nicht im Interesse der Menschen dieses Landes. Fließgleichgewichtsprinzipien in komplexen adaptiven (Christian Dürr [FDP]: Wer hat Ihnen das denn Biosystemen reagieren. Dazu wäre allerdings am Anfang aufgeschrieben?) eine öffentliche Expertenanhörung von Fachwissen- schaftlern wie Systemtheoretikern, Medizinern und Ka- Ja, es ist längst überfällig, festzustellen, dass eine epi- tastrophenforschern erforderlich gewesen. demische Lage von nationaler Tragweite nicht mehr vor- liegt. Und, liebe Kollegen, wie schon so oft: Die AfD (Jan Korte [DIE LINKE]: Da wären Sie schon wirkt, meine Damen und Herren. mal nicht dabei gewesen!) Doch leider Fehlanzeige. Nun müssen Sie es sich in aller (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Er- Öffentlichkeit gefallen lassen, werte Bundesregierung, furt] [SPD]: Da habe ich drauf gewartet! – dass wir wegen Ihres Missmanagements auch in dieser Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Fra- Frage einen Corona-Untersuchungsausschuss fordern. ge ist nur, wie!) Aber Sie fragen sich jetzt sicherlich: Wie ist die AfD (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Beantragen bereits vor Wochen zu dieser Erkenntnis gelangt, können Sie ihn!) (B) Und noch etwas: Hier und da hört man schon wieder (D) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Welche vom Damoklesschwert einer zweiten Welle. Hören Sie Medizin nehmen Sie eigentlich?) bitte mit diesem Unfug auf! Den Menschen muss klar während sich viele Politiker hier aus dem Haus noch im sein, dass Seuchen schon immer zur Menschheitsge- Homeoffice befanden und sich ängstlich hinter dem Re- schichte gehört haben und auch gehören werden. Deshalb gierungs-Shutdown verbarrikadiert hatten? ist es absolut unsinnig, die Menschen mit monatelangen Verunsicherungen durch ständig wechselnde Ausnahmen (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach Gott! – und Regelungen zu zermürben. Statt sie gegen Viren und Christian Dürr [FDP]: Soll ich Ihnen mal Bakterien aller Art widerstandsfähig zu machen, haben Bilder zeigen aus Niedersachsen, aus dem Aus- Sie mit Ihren Maßnahmen genau das Gegenteil erreicht. schuss, wie Ihre Leute da rumgelaufen sind? Die hatten voll Masken auf!) (Beifall bei der AfD – Zuruf vom BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Oho!) Mit ein wenig mathematischem Geschick und den um- fangreichen Daten der Hopkins-Universität haben wir Wissen Sie, was Sie gemacht haben? einige Länder hinsichtlich der Einwohnerdichte und der (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nee! Ich Infektionsausbreitung verglichen und festgestellt, dass bin gespannt!) Länder ohne Lockdown eine niedrigere Infektionsaus- breitung je Quadratkilometer hatten und haben als jene Sie haben nämlich den negativen Stress massiv erhöht mit einem oder einem verzögerten Shutdown wie bei uns. und damit das Immunsystem vieler Menschen ge- schwächt. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ist ja unfassbar! Un- (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das tun Sie! Das glaublich! – Zuruf von der CDU/CSU: Haben ist Ihr Geschäftsmodell!) Sie das in Grönland gemessen? – Weitere Zu- Wir fordern Sie deshalb auf: Klären Sie die Menschen rufe von der SPD) über das Virus auf, und hören Sie auf, Ängste zu schüren Besser wäre es tatsächlich gewesen, auf den Shutdown und persönliche Freiheiten einzuschränken. komplett zu verzichten ( [SPD]: Wer schürt denn hier Ängste?) (Jan Korte [DIE LINKE]: AfD gefährdet die Gesundheit! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE Insbesondere die Sorge um unsere Kinder muss eine hö- GRÜNEN: Absurd!) here Wichtigkeit bekommen und im höchsten Maße an 20660 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Robby Schlund (A) Normalität orientiert sein. Meine Damen und Herren, wir Sabine Dittmar (SPD): (C) brauchen keine Angsthasen, sondern gut ausgebildete, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und vorwärtsstrebende und lösungsorientierte junge Men- Kollegen! Im März haben wir hier angesichts des rasan- schen. ten Infektionsgeschehens mir SARS-CoV-2 in großer Übereinstimmung eine epidemische Lage von nationaler (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann können Tragweite festgestellt und weitreichende Regelungsbe- Sie ja gehen! – Jan Korte [DIE LINKE]: Da fugnisse auf die Exekutive übertragen, weil schnelles sind Sie ja schon mal raus!) und effizientes Handeln angesagt war. Von diesen Er- mächtigungen hat das Bundesgesundheitsministerium Liebe Kollegen, es ist eine sehr traurige Wahrheit, die auch Gebrauch gemacht. aber hundertprozentig uns alle hier treffen wird – und das ist so sicher wie das Amen in der Kirche –: Wir alle hier Mit dem Intensivregister erhalten wir einen tagesak- werden einmal sterben. – Daher ist es wichtig, unser tuellen Überblick über verfügbare Intensivbetten und Leben mit Freude und Lebensenergie auszufüllen, egal Beatmungskapazitäten. in welchem Stadium wir uns auch immer befinden – ob Die Regelungen zur Versorgung der Bevölkerung mit als Kind, als Erwachsener oder als Angehöriger der so- notwendigen Arzneimitteln ermöglichen es, Arzneimittel genannten Risikogruppe. Diese Möglichkeit wurde uns in und Medizinprodukte gezielt dorthin zu lenken, wo sie den letzten Wochen durch die Entscheidungsträger kom- pandemiebedingt dringend benötigt werden. plett genommen. Der Schutzschirm für Therapeutinnen und Therapeu- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten sichert wichtige Strukturen in unserem Gesundheits- NEN]: In den letzten Jahren, seitdem die AfD system und ergänzt die Soforthilfen der Bundesregie- hier ist!) rung. Sie haben uns in den Altenheimen alleingelassen, sie Die Ausweitung der Testungen und ihre gesicherte haben uns zu Lehrern im Homeoffice gemacht, und sie Finanzierung schaffen den Freiraum für weitere Locke- haben uns unserer Freizeitmöglichkeiten beraubt. Das rungsmaßnahmen. darf sich nie wiederholen. Das alles hat ganz entscheidend dazu beigetragen, dass (Beifall bei der AfD – Zurufe von der LIN- Deutschland bisher gut durch dieses schwerwiegende In- KEN) fektionsgeschehen gekommen ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir müssen auf die nächste Epidemie einfach besser (B) der CDU/CSU) (D) vorbereitet sein. Einen planlosen Lockdown, wie wir ihn in den letzten Wochen erlebt haben, darf es niemals wie- Aber klar ist: Alleine das hätte nicht ausgereicht. Deshalb der geben. Denn es ist ebenso eine traurige Wahrheit, die an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön und auch ein zu 100 Prozent stimmt: Die nächste Epidemie kommt Lob an unsere Bevölkerung, die mit hoher Akzeptanz und ganz bestimmt. – Nur eins: Wir sollten besser darauf vor- Rücksichtnahme teilweise sehr beschwerliche Einschrän- bereitet sein. kungen des Lebensalltags mitgetragen hat und weiterhin mitträgt. (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Hunderttausende Leben gerettet!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Noch etwas ganz Persönliches als Mediziner zum SES 90/DIE GRÜNEN) Schluss: Nehmen Sie bitte den Menschen da draußen Klar ist aber auch: Wir haben mit den Verordnungs- diesen unnützen Maulkorb ab! Bereits nach drei Stunden ermächtigungen einen Ausnahmezustand geschaffen. und bei Temperaturen von 28 Grad haben Sie die perfekte Dem Gesundheitsministerium ist es gestattet, ohne wei- mobile Petrischale für Millionen Arten von Keimen. tere parlamentarische Legitimation und Kontrolle Aus- nahmen von gesetzlichen Regelungen vorzusehen und Vielen Dank, meine Damen und Herren. Anordnungen zu treffen, die Grundrechte einschränken (Beifall bei der AfD – Jan Korte [DIE LINKE]: können. Wesentliche Prinzipien unserer parlamentari- Dann können Sie jetzt ja zu Ihrer Party gehen! – schen Demokratie sind betroffen. Wir haben seinerzeit Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Es reicht, dass großen Wert darauf gelegt, dass das Parlament nicht nur einer infiziert ist!) die epidemische Lage feststellen, sondern sie auch wieder beenden kann.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Konstantin Kuhle [FDP]: Ja, dann los!) Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Dittmar, Deshalb kann ich Ihnen versichern, dass wir die Ge- SPD-Fraktion. samtsituation sehr genau beobachten und den parlamen- tarischen Ausnahmezustand nicht länger andauern lassen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten als dies zwingend notwendig ist. der CDU/CSU – [Heidelberg] [SPD]: Gib alles! – Weiterer Zuruf von der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten SPD: Endlich wieder Sachverstand da vorne!) der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20661

Sabine Dittmar (A) Ich denke, es ist in unser aller Interesse, dass die Gewal- nalen Reserve Gesundheitsschutz ist deshalb eine drin- (C) tenbalance zwischen Parlament und Regierung schnellst- gend notwendige Maßnahme. möglich wiederhergestellt wird. Über den Weg dahin gilt es allerdings zu diskutieren. Jetzt und heute, wie von der Es ist aber auch notwendig, mit unseren Erfahrungen FDP-Fraktion gefordert, das Ende einer epidemischen der vergangenen Wochen die Regelungen des Infektions- Lage festzustellen, wäre unverantwortlich. schutzgesetzes insgesamt zu hinterfragen. Das betrifft nicht nur die konsequente Beachtung des Parlamentsvor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten behalts bei unaufschiebbaren Sofortmaßnahmen, sondern der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE geht darüber hinaus. GRÜNEN – Konstantin Kuhle [FDP]: Wa- rum?) Deshalb, Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns diese Krise als Chance nutzen! Bleiben Sie gesund, hal- Aus meiner Sicht reicht es nicht aus, allein auf die ten Sie Abstand, geben Sie acht auf sich und Ihre Mit- erfreulicherweise sinkende Zahl an Neuinfektionen und menschen, und nutzen Sie die Corona-Warn-App! auf ausreichende Intensivkapazitäten zu verweisen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Christian Dürr [FDP]: Wann wäre denn ein geeigneter Zeitpunkt aus Ihrer Sicht, Frau (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dittmar?) der CDU/CSU) Die Coronaausbrüche in Bremerhaven, in Berlin und seit gestern ganz deutlich auch in Gütersloh zeigen doch, wie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hochinfektiös und gefährlich dieses Virus ist. Wir können Vielen Dank, Frau Kollegin Dittmar. – Das Wort zu heute noch gar nicht absehen, wie sich die schrittweisen einer Kurzintervention hat die Kollegin Aschenberg- Lockerungsmaßnahmen in den kommenden Wochen aus- Dugnus. wirken. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP] GRÜNEN]: Sie hat doch schon geredet! – meldet sich zu einer Zwischenfrage) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon zum dritten Mal! – Jan Korte Vizepräsident Wolfgang Kubicki: [DIE LINKE]: Kriegt zu wenig Redezeit in der FDP!) Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

(B) Sabine Dittmar (SPD): Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): (D) Nein, ich möchte jetzt zu Ende ausführen. – Und die Vielen Dank, Herr Präsident, für die Zulassung der Sommermonate mit zunehmender Mobilität durch den Frage. Wegfall der Reisebeschränkungen stehen uns noch bevor. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Keine Fra- Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, wie schnell sich ge! Eine Kurzintervention!) aus einem regionalen Hotspot ein landesweites Infek- tionsgeschehen entwickeln kann. Geschätzte Kollegin Dittmar, Sie haben gesagt, Sie würden in der Regierung bzw. in der Koalition regelmä- Jetzt müssen sich unsere getroffenen Maßnahmen – ßig auch schon überprüfen, wann die epidemische Lage Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Auswei- von nationaler Tragweite aufgehoben werden kann. Lei- tung der Testungen, die Corona-Warn-App – bewähren. der bekommen wir davon als Opposition im Gesundheits- Entscheidend ist, ob es uns jetzt gelingt, Ausbrüche ausschuss nichts mit. Deswegen würde mich die Antwort schnell unter Kontrolle zu bekommen, Kontakte nachzu- auf die Frage interessieren, welche Kriterien Sie bei der verfolgen, Infektionsketten frühzeitig zu durchbrechen. Entscheidung dieser Frage anlegen. Zum jetzigen Zeitpunkt das Signal zu geben, die epide- mische Lage sei vorbei, könnte fatale Folgen haben. Ich Sie haben eben gesagt, es würde die Bevölkerung ver- appelliere an alle: Lassen Sie uns das Erreichte nicht unsichern, wenn jetzt die epidemische Lage aufgehoben leichtfertig aufs Spiel setzen! werden würde. Sind Sie nicht auch für Transparenz, und wäre es nicht auch eine gute Botschaft, wenn man sagen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten würde: „Die epidemische Lage ist jetzt aufgehoben, und der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE die Menschen können wieder in die Arztpraxen und in die GRÜNEN) Kliniken gehen, ohne Angst zu haben, sich anzuste- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir stim- cken“? men alle darin überein, dass wir während des Verlaufs der (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das können sie Pandemie einiges gelernt haben. Noch nie ist der Staat für sowieso!) die Bewältigung eines Infektionsgeschehens in diesem Maße in Anspruch genommen worden. Es zeigt sich in Denn Sie wissen auch, dass wir jenseits von Covid-19 das einer solchen Situation dann auch, wo wir sowohl tat- Problem haben, dass die Menschen zu wenig zu Vorsor- sächlich als auch rechtlich besser gerüstet sein müssen. geuntersuchungen gegangen sind und bei schweren Er- Die Schwierigkeiten bei der Versorgung mit persönlicher krankungsfällen, wie Herzinfarkten oder Schlaganfällen, Schutzausrüstung dürfen sich nicht wiederholen. Die von zu selten die Kliniken aufgesucht haben. Auch das wäre der Bundesregierung beschlossene Bildung einer Natio- doch ein positiver Ansatz. 20662 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Christine Aschenberg-Dugnus (A) Vielen Dank. an dieser Debatte –, dass es logischerweise immer eine (C) Abwägung gibt zwischen den Grundrechtseingriffen auf (Beifall bei der FDP) der einen Seite und dem Gesundheitsschutz der Bevölke- rung in Deutschland auf der anderen Seite. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Diese Abwägung haben wir natürlich in unserer eige- Ich sehe, Sie wollen antworten, Frau Dittmar. nen Fraktion auch immer wieder zu treffen gehabt, auch bei den beiden Coronagesetzen, die verabschiedet wor- Sabine Dittmar (SPD): den sind. Wir haben immer wieder sozusagen geguckt: Ja, danke. – Ich antworte gerne, weil es mir wichtig ist, Was ist notwendig, was ist nicht notwendig? Wie weit hier auch noch mal das klare Signal nach außen zu geben, gehen diese Eingriffe? Ich erinnere an dieser Stelle nur dass die Menschen natürlich in die Arztpraxen und Kran- noch mal daran: Wir haben beiden Coronagesetzen so kenhäuser gehen können. Dort sind sie sicher und ge- nicht zugestimmt. Wir haben uns beim ersten enthalten, schützt vor Infektionen. das zweite haben wir abgelehnt, wegen der Punkte, bei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ denen es um Grundrechtseingriffe ging. Beim ersten ging DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der es im Wesentlichen um die Versammlungsfreiheit. Ich CDU/CSU) sage mal: So falsch haben wir da nicht gelegen; denn wir haben danach ja erlebt, dass es etliche Gerichtsurteile Der Eindruck, den Sie hier jetzt gerade erweckt haben, ist gab, durch die sozusagen über Gerichte die Versamm- schlicht und ergreifend falsch. lungsfreiheit und die Demonstrationsfreiheit wieder (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Jawohl!) durchgesetzt worden sind. Unsere Arztpraxen sind gut darauf vorbereitet. Das muss (Beifall bei der LINKEN) einfach noch mal ganz klar gesagt werden. Aber es ist in der Tat richtig: Wir haben auch die Auf- (Christian Dürr [FDP]: Was sind Ihre Krite- fassung geteilt, dass es in dieser ersten Phase der epide- rien?) mischen Lage von nationaler Tragweite richtig und wich- tig war, die Kurve flach zu halten, die Kurve flach zu Ich weiß nicht, ob Sie in Ihrer Fraktion zu wenig Rede- machen, also besonders schnell und entschlossen zu rea- zeit bekommen. Ich muss Ihnen sagen: Der Kollege gieren. Das ist erst mal etwas, was wir sozusagen immer Henke hat Ihnen bei Ihrer vorherigen Zwischenfrage wieder dagegen abgewogen haben. schon mal ausführlich erklärt, warum es jetzt unverant- wortlich wäre, die epidemische Lage aufzuheben, näm- Die FDP-Fraktion – ich erinnere auch nur noch mal an (B) lich aufgrund von regionalen Hotspots, die sich ganz dieser Stelle daran – hat dem ersten Coronagesetz seiner- (D) schnell über Stadt-, Kreis- und Landesgrenzen hinaus zeit zugestimmt; ausdehnen können. (Christian Dürr [FDP]: Ja!) (Christian Dürr [FDP]: Welche Kriterien legen das zweite hat sie abgelehnt. Was allerdings schon irri- Sie denn an, Frau Kollegin? Sagen Sie es doch tiert, auch mich irritiert, sind die Geschmeidigkeit und einfach!) auch der nicht geringe Populismus, der mit der Positions- Es hätte fatale Folgen, dieses Signal jetzt an die Bevöl- veränderung der FDP einhergeht und einherging. kerung zu senden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Dem- Darin war sie im Übrigen durchaus der AfD nicht un- nach könnte die Lage nie aufgehoben werden! ähnlich, die von der Äußerung „Die Regierung macht Nie! Sie sagen ja: In Wahrheit nie! Das ist ab- nicht genug und ist nicht entschlossen genug beim Schutz surd! Totaler Humbug!) der Bevölkerung vor dem chinesischen Virus“, wie es damals von Frau Weidel und Herrn Chrupalla genannt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wurde, weitergegangen ist zu der Aussage „Das greift Herr Kollege Dürr, die Kollegin Dittmar beantwortet alles zu sehr in die Grundrechte der Vermieter und Unter- die an sie gerichtete Frage, wie sie das für richtig hält. nehmer ein“ von Herrn Meuthen. Das muss man sich auf Und auch, wenn Ihnen das nicht gefällt: Das ist einfach der Zunge zergehen lassen: „die Grundrechte von Ver- so. mietern und Unternehmern“, nicht „die Grundrechte der Bürger“! (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Dürr [FDP]: Ich fürchte, das ist so!) (Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Sind das keine Bürger?) Als nächster Redner erhält der Kollege Harald Weinberg, Fraktion Die Linke, das Wort. Das sind ganz offensichtlich die wesentlichen Zielperso- nen dieser Partei. (Beifall bei der LINKEN) (Jan Korte [DIE LINKE]: Das sind ihre Leute!) Harald Weinberg (DIE LINKE): Bei der FDP erlebten wir im März einen Fraktionsvor- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sitzenden Christian Lindner, der meinte: Wenn die Regie- Kollegen! Es ist natürlich so – das merkt man jetzt auch rung schon früher auf die FDP zugegangen wäre, hätte sie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20663

Harald Weinberg (A) schon früher Unterstützung für drastische Maßnahmen alles abschaffen, was gemacht worden ist“, richtig ver- (C) bekommen, das öffentliche Leben in unserem Land he- standen. runterzufahren. – Später erlebten wir einen Wolfgang Kubicki, der meinte, dass die Menschen halt zu Hause (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ge- bleiben sollten, wenn sie Angst vor dem Virus haben, nau!) und der dann auch noch das verschwörungstheoretische Insofern glaube ich: Das ist zumindest schon mal ein Narrativ bediente, als er mutmaßte, dass die Zahlen des wesentlicher konstruktiver Beitrag zu einer gemeinsamen Robert-Koch-Instituts den Eindruck vermittelten, poli- vernünftigen Diskussion. tisch motiviert zu sein. Vielen Dank. (Enrico Komning [AfD]: Da hat er recht!) Wirklich die Krone aufgesetzt hat dem dann noch der (Beifall bei der LINKEN) Herr Kemmerich, der Interims- bzw. Paar-Tage-Minister- präsident von Thüringen, als er zusammen mit der AfD Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und Verschwörungstheoretikern unter dem Motto „Für Vielen Dank, Herr Kollege Weinberg. – Nächste Red- eine zügige Öffnung der Wirtschaft“ nicht nur demonst- nerin ist die Kollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/ rierte, sondern auch als Hauptredner auftrat. Bettet man Die Grünen. nun die hier vorliegende parlamentarische Initiative in diesen Kontext ein, dann bekommt das durchaus einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schalen Beigeschmack. Das will ich sagen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- NEN): ten der SPD – Christian Dürr [FDP]: Was ist Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- denn Ihre Position, Herr Weinberg? Haben Sie nen und Kollegen hier im Raum! Die Initiative der FDP denn eine eigene Position?) hat etwas von „mit Mut gegen alle Vernunft“, wenn ich Aber ich will auch durchaus versuchen, der Initiative das mal zusammenfassen sollte. gerecht zu werden. Denn auch aus Sicht der Linken ist es vom Grundsatz her richtig, den Ausnahmezustand, der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Regierung weitreichende Sonderrechte einräumt sowie der Abg. Sabine Dittmar [SPD]) und die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exe- Da muss man auch gleichzeitig die Frage stellen: Was kutive relativiert, so bald als irgend möglich aufzuheben. treibt Sie eigentlich an, diesen Mut in dieser Art von (B) (Beifall bei der LINKEN) Verzweiflung aufzubringen? Mir jedenfalls ist das nicht (D) nachvollziehbar geworden in den Begründungen, die Sie Und wenn ich Ihre Initiative richtig verstanden habe – ich für Ihren Gesetzentwurf geliefert haben. Es besteht in der denke, ich habe sie auch richtig verstanden –, ist es ja Tat ein Spannungsverhältnis zwischen Bürgerrechten und auch nicht so, dass Sie sagen: „Jetzt weg mit allen Ver- den Auflagen aus dem Infektionsschutzgesetz. Aber die- ordnungen und Anordnungen“, sondern dass Sie halt sa- ses Spannungsverhältnis aufzulösen im Sinne von Ge- gen: Sie sollen erst einmal befristet gelten – sundheitsschutz der Bevölkerung, bedarf ganz anderer (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Rich- Abwägungen, als Sie hier zugrunde gelegt haben. tig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) darauf hat Herr Henke schon hingewiesen –, und sie sollen in der Zeit dieser Frist dann in gesetzliche Maß- Man muss ja sagen: Diese Initiative kommt auch zu nahmen übergeführt werden. einem Zeitpunkt, der sehr deutlich durch die Infektions- zahlen geprägt ist, die wir bei Tönnies gestern gesehen (Christian Dürr [FDP]: Sie haben es verstan- haben: ein massiver Anstieg, 7 000 Menschen, die von den!) heute auf morgen unter Quarantäne gestellt werden muss- ten. Wenn man das so sieht, dann ist es durchaus so – das sichere ich Ihnen auch zu –, dass wir trotz dieses etwas (Christian Dürr [FDP]: Ist doch gut!) merkwürdigen Spins, den ich eben dargestellt habe, Ihre Initiative im Ausschuss wohlwollend prüfen und kritisch Diese Zahlen zeigen doch sehr, sehr deutlich: Wir brau- begleiten werden. chen eine Situation, wo wir handlungsfähig sind, wo wir schnell handlungsfähig sind und wo wir in der Lage sind, (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Christian die notwendigen Schutzmaßnahmen auch wirklich zu er- Dürr [FDP]: Donnerschlag! – Gegenruf des greifen. Abg. Jan Korte [DIE LINKE]: Wir entscheiden immer nach Sachthemen! Wir entscheiden im- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mer sachlich! Das ist der Unterschied! – Wei- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und tere Zurufe von der FDP) der SPD – Zuruf von der FDP: Wer ist denn „wir“?) – Mehr ist nicht drin, das ist richtig, aber immerhin, das ist ja schon mal was. Und ich denke, im Gegensatz zu Das werden wir damit, dass wir das Ende der epidemi- einigen Vorrednern habe ich den Aspekt, dass Sie im schen Lage ausrufen, nicht schaffen; denn dieses Ende ist Prinzip nicht sagen: „Wir wollen jetzt einfach sozusagen nicht da. 20664 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Maria Klein-Schmeink (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es ist ja zu unterscheiden: Was tun wir eigentlich, wenn (C) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und wir diese nationale Notlage als Parlament aussprechen? der SPD – Zuruf: Warten Sie mal zwei Wochen Das haben wir getan. Wir haben damit beispielsweise ab!) gesagt: Unser Herr Gesundheitsminister Vielmehr müssen wir feststellen: Der Virus ist da, ver- (Konstantin Kuhle [FDP]: Ist er jetzt schon bei langt Maßnahmen, und er verlangt Verantwortung, Au- den Grünen?) genmaß und Umsicht; und das fehlt an dieser Stelle. erhält die Möglichkeit, die Ermächtigung, schnell Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ordnungen auf den Weg zu bringen, die es uns möglich sowie bei Abgeordneten der SPD) machen, mit den verschiedenen Herausforderungen, mit denen wir zu tun haben, auf verschiedenen Ebenen umzu- Im Gegenteil, Sie machen noch was anderes: Sie sen- gehen. Da geht es natürlich immer auch um die Kommu- den jetzt ein Signal, ein trügerisches Signal, in die Bevöl- nen, es geht um die Regionen, aber es geht auch um den kerung, es handele sich um das Ende der Coronaepide- Bundestag und um die Bundesregierung, die gesetzliche mie. Rahmenbedingungen so anpassen muss, dass wir in der (Christian Dürr [FDP]: Die Menschen sind viel Lage sind, mit diesen Herausforderungen umzugehen. intelligenter, als Sie glauben!) Sie selber haben ja noch einen Annex gemacht und Das ist schlichtweg nicht der Fall. Dazu darf es nicht festgestellt: Ja, alle diese Verordnungen, die sollen mal kommen. schön weitergelten. – Es war doch so, dass wir genau den Rahmen gegeben haben, damit diese Verordnungen ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN macht werden können. An der Stelle widersprechen Sie sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und sich in der Tat selber. der SPD) (Widerspruch bei der FDP – Dr. Wieland Ein verantwortungsvoller Umgang sieht anders aus. Schinnenburg [FDP]: Lesen Sie einmal ganz in Ruhe unsere Anträge!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielmehr geht es doch eigentlich darum, dass wir ein Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Verfahren finden, wie wir für diese Art von Ermächti- Kollegen Ullmann? gung, die wir als Parlament dem Herrn Minister geneh- migt haben, mehr Parlamentsvorbehalt schaffen.

(B) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Christian Dürr [FDP]: Das ist ja eine Regie- (D) NEN): rungshörigkeit der Opposition! Das ist ja un- Ja. fassbar!) Das haben wir mit unserem Änderungsantrag in der letz- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ten Plenarwoche versucht, der leider abgelehnt worden Bitte. ist. Meine Damen und Herren der Koalition, ich würde Dr. Andrew Ullmann (FDP): Ihnen sehr nahelegen, dass Sie uns an der Ausgestaltung Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie diese Zwischen- der Verordnungen beteiligen. Wir als Fraktion sind bereit, frage zulassen. – Sie sagen gerade oder Sie behaupten, genau diese Aufwände zu machen. Wir sind zu allen Aus- dass die FDP-Fraktion die Pandemie infrage stelle bzw. schusssitzungen bereit, zu zusätzlichen Terminen, wenn den Eindruck erwecke, dass sie jetzt aufgehört habe. Mei- sie denn nötig wären. ne Frage an Sie: Erstens. Haben Sie unseren Gesetzent- (Christian Dürr [FDP]: Ich frage mich: Was ist wurf eigentlich richtig gelesen? Zweitens. Wo haben wir eigentlich die Position der Grünen?) eigentlich gesagt, dass die Pandemie aufgehört hat? Uns geht es eigentlich darum, dass wir die Notlage von na- Das täten wir, und das wäre dann auch der richtige Weg. tionaler Tragweite, die wir haben, aufheben wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn – das sagen ja auch Sie ganz zu Recht –: Punktuell verlaufen die Ausbrüche. Die werden auch weiterlaufen. Wenn wir weiterhin Flexibilität und Reaktionsfähig- Aber wann werden wir wieder eine Normalität in der keit für den Schutz der Bevölkerung brauchen, dann müs- Gesetzeslage haben? sen wir uns überlegen: Mit welchen Methoden, mit wel- chen Instrumenten erreichen wir das? Und die müssen (Christian Dürr [FDP]: Sehr gute Frage!) natürlich immer wieder auf den Prüfstand gestellt wer- den; sie müssen immer wieder an die Lage angepasst Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden. Man muss auch genau hinsehen: Welche Bevöl- NEN): kerungsgruppen sind wie betroffen? Da kann ich Ihnen Gute Frage. sagen: Es wäre sehr gut, wenn Sie vonseiten der Regie- rungsfraktionen die Situation der Familien, der Kinder, (Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Weiß ich! – Hei- der Jugendlichen stärker in den Blick nehmen würden, als terkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Sie das bisher getan haben; da haben wir Nachsteue- bei der SPD) rungsbedarf. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20665

Maria Klein-Schmeink (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sieht es teilweise sehr viel schlechter aus. In Peking gibt (C) Kommen wir zu dem weiteren Vorgehen. Wir werden es neue Beschränkungen, und der IWF warnt vor den ja über den Entwurf diskutieren. Aber ist es nicht eigent- Folgen der Pandemie in den Schwellenländern. Auch lich viel wichtiger, darüber zu diskutieren, wie wir dazu wenn Deutschland sowohl bei den Infektionszahlen als kommen, eine fundierte Entscheidung zu treffen, wann auch bei den Sterbefällen vergleichsweise gut dasteht, so und unter welchen Bedingungen wir die epidemische ändert das nichts an der Bedrohung, die Corona immer Lage auflösen? noch bedeutet. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wir sind auf dem Weg, Einschränkungen weiter zu SES 90/DIE GRÜNEN) lockern. Wir wollen die wirtschaftlichen Einschnitte und auch die finanziellen Belastungen für die Menschen Dazu brauchen wir Instrumente. Wir schlagen vor, dass möglichst gering halten. Trotzdem und gerade deshalb es einen Pandemierat geben soll, mit dem wir Menschen – müssen wir unsere Vorsichtsmaßnahmen weiter einhal- und zwar nicht nur aus dem Bereich der Medizin, sondern ten. Was durch Disziplin und Besonnenheit in den ver- aus vielen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Be- gangenen Monaten erreicht wurde, darf nicht leichtfertig reichen – in einem Expertenrat zusammenführen, die uns aufs Spiel gesetzt werden. Die Pandemie ist noch nicht bei dem Prozess begleiten, festzustellen: Ab wann kön- beendet. Ehe wir nicht einen geeigneten Impfstoff zur nen wir wieder zur Normalität, auch im parlamentari- Verfügung haben, bleibt Besonnenheit die erste Bürger- schen Verfahren, zurückkehren? Das wäre der richtige pflicht. Weg, und das müssten wir tun. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zugleich will ich noch mal anmahnen: Wir alle wissen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dass der Erfolg in der Infektionsbekämpfung ganz, ganz Herr Kollege erlauben Sie eine Zwischenfrage des entscheidend von der Akzeptanz der Bevölkerung für die Kollegen Schinnenburg? Maßnahmen und deren Nachvollziehbarkeit abhängt. Da ist es sehr, sehr wichtig, nicht nur vordergründigen Zah- ( [CDU/CSU]: Das kann doch jetzt len hinterherzulaufen, sondern umsichtig mit ihnen um- nicht wahr sein, dass alle fragen!) zugehen und immer im Blick zu haben: Wir sind nicht am Ende der Coronakrise; wir sind noch mittendrin. Wir Erwin Rüddel (CDU/CSU): müssen immer wieder damit rechnen, dass es zu lokalen, Ja. aber auch zu sehr großen Ausbrüchen kommt. Wir brau- (B) chen Handlungsfähigkeit und einen differenzierten Um- (D) gang mit den Gruppen, die besonderen Risiken ausgesetzt Dr. Wieland Schinnenburg (FDP): sind. Dafür brauchen wir Augenmaß und sehr genaues Herr Kollege Rüddel, erst mal vielen Dank, dass Sie Hinsehen. Das wäre der eigentliche Weg, den wir zu be- die Frage zulassen. – Ich wollte eigentlich eine andere schreiten hätten. Frage stellen. Aber nach Ihrer letzten Bemerkung muss ich jetzt eine Frage stellen, die sich mir aufdrängt. Sie Danke schön. haben gerade gesagt: Wir müssen besonnen bleiben bis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Entwicklung eines Impfstoffes. – Darf ich Sie so ver- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und stehen, dass Ihre Fraktion alle Beschränkungen aufrecht- der SPD) erhalten will, bis ein Impfstoff gefunden ist, was ja mög- licherweise noch sehr lange dauert oder vielleicht sogar nie passiert? Ist das Ihre Begründung dafür, noch monate- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: oder vielleicht jahrelang der Bevölkerung Beschränkun- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der gen aufzuerlegen? Kollege Erwin Rüddel, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: (Beifall bei der CDU/CSU) Da sind sich Union und Grüne ja voll einig!) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Wir haben, Stand heute, in Deutschland eine gute Die derzeitige Situation, denke ich, zeigt, dass eine epidemische Lage, und ich kann durchaus verstehen, dass Aufhebung der pandemischen Lage verfrüht wäre. Mit man auf den Gedanken kommt, möglichst schnell poli- Sicherheit kann sie aufgehoben werden, wenn ein Impf- tisch wie auch im alltäglichen Leben zur Normalität zu- stoff da ist. rückzukommen. Aber wir halten die Situation für sehr (Enrico Komning [AfD]: In zehn Jahren!) gefährlich; denn der Coronavirus hat prinzipiell nichts von seiner Gefährlichkeit eingebüßt, und niemand kann Dazwischen gibt es sicherlich viele Möglichkeiten für derzeit sagen, ob der sinkende Trend von Neuinfektionen Gespräche, um hier den richtigen Zeitpunkt zu finden. sich weiter fortsetzen wird oder ob es wieder zu einem Wenn ich sehe, dass wir vor zwei Tagen die App ein- Anstieg der Fallzahlen kommt. geführt haben, dass sie innerhalb von 24 Stunden 1 Mil- Die Reproduktionszahl bewegt sich um die kritische lionen Menschen heruntergeladen haben und sie mittler- Marke „1“. In anderen Ländern, auf anderen Kontinenten weile fast 10 Millionen Menschen nutzen, dann zeigt das, 20666 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Erwin Rüddel (A) dass in der Bevölkerung der Gesundheitsschutz derzeit Dabei hat der zuständige Minister dem Ausschuss, den (C) sehr, sehr hoch eingeschätzt wird Sprechern der Fraktionen und den Obleuten in vorbildli- cher Weise Rede und Antwort gestanden, und gestern hat (Christian Dürr [FDP]: Die Frage ist doch: das Ministerium im Ausschuss angekündigt, dass man Wann soll das aufgehoben werden?) mit allen Fraktionen über die weitere Entwicklung in und dass man in der Bevölkerung darauf setzt, dass wir kürzester Zeit beraten wird und auch die Verordnungs- die richtigen Entscheidungen treffen. fragen entsprechend auf den Prüfstand stellt. Das hat ins- gesamt im Gesundheitsausschuss über die Parteigrenzen Wenn hier eine neue Balance gefunden worden ist, hinweg – werden wir sicherlich Wege finden, um dem Parlament seine Rechte einzuräumen. Aber ich bin der festen Über- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zeugung, dass das, was wir im Moment machen, auf größte Akzeptanz in der Bevölkerung stößt. Das stellt Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. sich auch in Gesprächen mit der Bevölkerung dar, und – das ich sage auch – es bildet sich auch in den Zustim- Erwin Rüddel (CDU/CSU): mungsergebnissen für die einzelnen Parteien in etwa ab, – für ein konstruktives Miteinander gesorgt, und das wie man die Situation einschätzt und wem man zutraut, hat geholfen, die Krise bestmöglich zu meistern. hier den richtigen Weg zu finden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Das war keine Antwort!) Herr Kollege, bitte! Man könnte sagen – ich habe eben gerade die App Erwin Rüddel (CDU/CSU): angesprochen: eine Erfolgsgeschichte –, man hätte Wir werden von anderen Ländern kopiert. Wir werden schneller sein können. Aber ich bin der festen Überzeu- aber auch selbst alles das, was entschieden worden ist, gung, dass wir mit der App eine sehr gute Lösung ge- evaluieren, um auf neue Krisen besser vorbereitet zu sein. funden haben, Vielleicht als letztes Wort: Trotz der weitreichenden (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ich ha- Befugnisse, die das Ministerium aufgrund seiner Verord- be sie auch!) nungen hat, bleibt es auch in dieser außergewöhnlichen Situation dabei, dass am Ende das Parlament das ent- die auch in der Bevölkerung akzeptiert wird, auf die man scheidende Wort hat. Wir werden entscheiden, wann die gewartet hat, die man nutzen wird und die dabei helfen Pandemie in Deutschland ein Ende hat; das ist das Recht (B) wird, dass die Infektionszahlen niedrig bleiben. (D) des Parlaments. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zu den (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Drucksachen einige kurze Anmerkungen aus dem Blick- Bärbel Bas [SPD] – Enrico Komning [AfD]: winkel des Gesundheitsausschusses. Wir sind froh und 2050 wahrscheinlich! – Zurufe von der FDP) dankbar, dass in der Pandemie die erforderlichen Mittel für die Gesundheit von der Solidargemeinschaft der Steuerzahler aufgebracht und die Beitragszahler nicht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zusätzlich belastet wurden. Ferner haben die Entschei- Vielen Dank, Herr Kollege. – Da ich Sie leider nicht dungen unter dem Druck der akuten Krise eine Reihe habe bremsen können, muss einer der nachfolgenden von Maßnahmen beschleunigt, die sonst vielleicht länger Redner aus Ihrer Fraktion sein Zeitkontingent etwas ein- hätten auf sich warten lassen. schränken. Vielleicht klären Sie mich darüber auf, wer von den beiden nachfolgenden Rednern derjenige sein Insofern erwarte ich, dass die Krise auch einen weite- wird. ren Schub für unser gutes Gesundheitswesen darstellt. Das betrifft insbesondere die Digitalisierung unseres Ge- Als nächster Redner hat nun Konstantin Kuhle, FDP- sundheitswesens. Ihr kommt – das hat die Krise bewie- Fraktion, das Wort. sen – künftig eine entscheidende Bedeutung zu. Hier (Beifall bei der FDP) müssen wir in den nächsten Monaten den Durchbruch schaffen für moderne Technik und intelligente Arbeits- Konstantin Kuhle (FDP): steuerung. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir spre- Zu den künftigen Aufgaben zählt neben der Telemedi- chen heute über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung zin und den Krankenhausstrukturen auch eine verstärkte der sogenannten epidemischen Lage von nationaler Trag- Zusammenarbeit in Europa im Sinne einer gemeinsamen weite. Natürlich ist das zunächst ein gesundheitspoliti- Gesundheitspolitik. sches Thema, und deswegen ist es auch gut, dass aus Sicht der Gesundheitspolitiker hier darüber gesprochen In den letzten Wochen haben wir der Regierung große wird. Spielräume verschafft, damit sehr schnell weitreichende Entscheidungen getroffen werden konnten. Diese Ent- Die Frage, ob wir diese epidemische Lage aufrechter- scheidungen haben in Deutschland Leben gerettet. halten oder nicht, betrifft aber nicht nur die Gesundheits- politik, sondern sie betrifft das gesamte Parlament; denn (Beifall des Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU]) wir haben hier am 25. März, indem wir diese Lage fest- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20667

Konstantin Kuhle (A) gestellt haben, entschieden, der Bundesregierung beson- bundesweiter Tragweite festhalten. Das passt nicht zu- (C) dere Rechte zu geben. Und ein Parlament, das sich selbst sammen, das ist widersprüchlich, und deswegen müssen ernst nimmt, ein Parlament, das die Gewaltenteilung wir gleichsam zu einer Aufhebung dieser Sonderrechte ernst nimmt, muss regelmäßig überprüfen, ob die Voraus- für die Regierung kommen. setzungen für diese Feststellung noch vorliegen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Enrico Ich will auch sagen, dass die einzelnen Beispiele, die Komning [AfD]) hier genannt worden sind – Bremerhaven, Göttingen, Denn, meine Damen und Herren: Unter der Pandemie Gütersloh –, überhaupt keine Argumente dagegen sind, darf auch der Parlamentarismus nicht leiden. Wir waren die epidemische Lage aufzuheben; denn die Beschrän- uns hier im Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit kungen, die dort gemacht werden – Schulschließungen, einig über die zentralen Voraussetzungen, unter denen Quarantäne –, sind alle richtig. Es ist absolut zutreffend, es besondere Rechte für die Bundesregierung geben soll: dass wir mit dieser Pandemie noch lange zu tun haben Das ist erstens eine drohende Überlastung des Gesund- werden, und es ist absolut richtig, dass wir lokal gegen heitssystems, und das ist zweitens eine drohende Über- Ausbruchssituationen vorgehen müssen. Nur, das hat mit forderung einzelner Länder. der epidemischen Lage überhaupt nichts zu tun. Hier geht es um die Parlamentsrechte, die gestärkt werden müssen, Gucken wir uns an, wie es mit dem öffentlichen Ge- und die Parlamentsrechte dürfen in dieser Zeit nicht unter sundheitssystem aussieht. Es gibt einzelne Länder, die es den Tisch fallen. ganz ähnlich gemacht haben wie der Bund und eine so- genannte epidemische Lage von landesweiter Tragweite (Beifall bei der FDP) eingeführt haben. Das Land Nordrhein-Westfalen hat das Liebe Kollegin Klein-Schmeink, das muss ich wirklich gemacht, und in Nordrhein-Westfalen läuft diese epide- sagen: Eine schönere Oppositionsrede als die, die Sie hier mische Lage von landesweiter Tragweite Mitte Juni aus. gerade gehalten haben, kann sich die Regierung nicht Sie ist übrigens – anders als im Bund – nicht auf ein Jahr vorstellen. befristet, sondern wird alle zwei Monate überprüft. Und der CDU-Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen (Beifall bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: hat am 8. Juni über die dpa gesagt, von einer Überforde- So ist es!) rung des öffentlichen Gesundheitssystems könne keine Das, was Sie hier vorgeführt haben, war der Gipfel der Rede sein. Ich will Ihnen was sagen: Angesichts dessen, parlamentarischen Selbstentmachtung; da bleibt einem dass ein Drittel aller Intensivbetten frei ist, hat der Mann wirklich die Spucke weg. recht. (B) (D) (Beifall bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: (Beifall bei der FDP) Absolut! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE Deswegen: Folgen Sie Herrn Laumann, und heben Sie GRÜNEN]: So ein Quatsch!) die epidemische Lage von nationaler Tragweite auch Sie haben hier gerade gesagt – ich würde das gerne kurz auf Bundesebene auf! darstellen –, es würde überhaupt keinen Unterschied ma- chen, ob eine Rechtsetzung durch das Parlament oder Vizepräsident Wolfgang Kubicki: durch den Minister erfolgt. Das haben Sie gerade so ge- Herr Kollege Kuhle, erlauben Sie eine Zwischenfrage sagt. Wenn das zutreffend ist, dann können wir uns die des Kollegen Henke? ganze Veranstaltung hier sparen. (Beifall bei der FDP – Steffi Lemke [BÜND- Konstantin Kuhle (FDP): NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie so nicht Nein, ich würde gern im Zusammenhang vortragen. gesagt! Das stimmt doch gar nicht! – Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- Was ist denn mit euren Zwischenfragen gewe- ge) sen? – Karin Maag [CDU/CSU]: Ist das pein- lich!) Deswegen: Es scheint ja so zu sein, dass die Grünen wirklich die treuesten Anhänger dieser Bundesregierung Schauen wir uns an, wie es mit der zweiten Voraus- sind. Wir haben es doch miteinander, die Große Koalition setzung aussieht: mit der drohenden Überforderung ein- mit der Opposition, eingerichtet, zelner Länder. Hier ist es so, dass gerade ein Land, das eine mitunter ganz andere Strategie verfolgt hat als Nord- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: rhein-Westfalen, nämlich Bayern, einen Schritt zurück- Lesen Sie die Rede noch mal nach!) geht bei den öffentlichen Beschränkungen, beim Kata- dass das Parlament darüber entscheidet, wann diese epi- strophenfall und bei den Sonderermächtigungen für die demische Lage endet, und dafür müssen wir auch ent- Staatsregierung. In Bayern ist gestern der Katastrophen- sprechende Kontrollbefugnisse haben. Dem sollten wir fall ausgelaufen. Wem wollen Sie eigentlich was vorma- jetzt nachkommen. chen? Wenn einzelne Länder den Katastrophenfall been- den, wenn andere Länder die epidemische Lage Ich möchte mit einem Zitat von Ralph Brinkhaus und beenden – auf Landesebene –, dann kann doch dieses Rolf Mützenich aus dem „Spiegel“ Ende Mai schließen – Parlament nicht an einer epidemischen Lage von ich zitiere –: 20668 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Konstantin Kuhle (A) … unsere Rolle als Parlament verlangt auch, dass (Christian Dürr [FDP]: Das ist ja eine Festrede (C) wir jetzt überprüfen, wie die Bundesregierung diese für die Abschaffung des Parlamentarismus! Kompetenzen genutzt hat. Das ist ja absurd!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ma- Also nicht nicht auf Landesebene, aber eben begrenzt. chen wir jeden Tag! – Karin Maag [CDU/ Und: Der Gefahr einer Destabilisierung des gesamten CSU]: Das machen wir stets und ständig! Da Gesundheitssystems muss vorgebeugt werden. brauchen wir die FDP nicht dazu!) (Christian Dürr [FDP]: Das kann nicht die Und wo es nötig ist, werden wir diese Regelungs- Haltung der Union sein!) kompetenzen wieder ins Parlament zurückverla- Wenn Sie sich mal angucken, was im Öffentlichen Ge- gern. sundheitsdienst los ist, nachdem die App freigeschaltet worden ist – die Beschäftigten beklagen sich, dass sie (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: in die Knie gehen, weil sie jetzt viele Anrufe erhalten –, Dafür brauchen wir aber die FDP nicht!) dann zeigt das doch, dass diese Gefahr der Destabilisie- In diesem Sinne freuen wir uns über die Zustimmung. rung nicht gebannt ist. Vielen Dank. Insofern: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sagen: „Es nimmt nur der die Rechte des Parlaments ernst, der Ihrem (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer Antrag zustimmt, aber der, der sich anders entscheidet, [CDU/CSU]: Das waren schon mal die richti- nimmt die Rechte des Parlaments nicht ernst“? gen Fraktionsvorsitzenden, die zitiert wurden!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Kuhle, Sie wollen antworten; das sehe Vielen Dank, Herr Kollege Kuhle. – Ich habe Sie ge- ich schon. Sie haben das Wort. sehen, Frau Klein-Schmeink. Ich nehme an, da die Frage nicht zugelassen wurde, dass Sie eine Kurzintervention Konstantin Kuhle (FDP): machen wollen. Ich habe jetzt zwei entsprechende Wün- Ja, vielen Dank. – Lieber Herr Kollege, Sie haben sche vorliegen, und dann ist auch Schluss mit den Kurz- völlig korrekt dargestellt, wie die Begründung seinerzeit interventionen. gewesen ist. Aber Sie können natürlich nicht auf ein paar Anrufe bei einer Hotline abstellen, weil die App freige- Die erste Kurzintervention macht der Kollege Henke, schaltet ist, und gleichzeitig unter den Tisch fallen lassen, (B) (D) CDU/CSU-Fraktion. dass ein Drittel der Intensivbetten frei ist, wenn Sie darü- ber nachdenken, ob es eine öffentliche Überlastung des Rudolf Henke (CDU/CSU): Gesundheitswesens gibt. Da kann man zu einer unter- Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzinter- schiedlichen Einschätzung kommen, und mir ist sehr auf- vention zulassen. – Herr Kollege Kuhle, wenn man sich gefallen, dass Sie deutlich gemacht haben, dass es zu die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes ansieht, Ihrem Selbstverständnis und auch zum Selbstverständnis mit denen wir ja dem Bundestag die Möglichkeit ver- Ihrer Fraktion gehört, dass wir hier im Parlament sehr schafft haben, eine epidemische Lage von nationaler genau prüfen, ob diese Voraussetzungen noch vorliegen. Tragweite festzustellen, dann kann man der Begründung Deswegen begrüße ich das außerordentlich. entnehmen, wann wir die epidemische Lage feststellen. Ich möchte mich aber von dem abgrenzen, was die Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn durch den „seu- Kollegin Klein-Schmeink gesagt hat, nämlich: Im Grund- chenrechtlichen Notfall das Funktionieren des Gemein- e genommen ist das, was die FDP sagt, widersprüchlich; wesens erheblich gefährdet sein kann“. denn die wollen die Parlamentsrechte wieder scharf schalten, gleichzeitig die materiellen Regelungen erhal- Angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen, die die ten. Das ist im Grunde dasselbe, und deswegen ist es Pandemie in allen Staaten der Erde hat, egal ob sie rest- überflüssig. – Das ist nicht in unserem Sinne, und das riktiv oder nichtrestriktiv mit der Lage umgegangen ist, wenn ich den Kollegen Brinkhaus im „Spiegel“ rich- sind – die wirtschaftlichen Folgen sind ja überall gleich tig verstehe, auch nicht in Ihrem Sinne. intensiv –, besteht natürlich eine erhebliche Gefährdung. Deswegen begrüße ich, dass wir sehr genau schauen, (Christian Dürr [FDP]: Das ist nicht Ihr Ernst! ob die Kriterien, die Sie gerade vorgetragen haben, erfüllt Diese Interpretation ist nicht Ihr Ernst! Das sind. Hier kann man als Parlamentarier zu unterschied- kann nicht sein!) lichen Ergebnissen kommen. Aber darüber, dass die Ent- In der Begründung heißt es weiter: scheidung hier getroffen werden muss, sind wir uns, glau- be ich, einig. In einer sich dynamisch entwickelnden Ausbruchs- (Beifall bei der FDP) situation kann für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik durch eine sich grenz- überschreitend ausbreitende übertragbare Krankheit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: eine erhebliche Gefährdung eintreten, der nur be- Eine weitere Kurzintervention von der Kollegin Klein- grenzt auf Landesebene begegnet werden kann. Schmeink. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20669

(A) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) NEN): NEN): Herr Kuhle, ich finde, die Wiedergabe dessen, was ich Wir haben vorgeschlagen, einen Expertenrat einzube- gesagt habe, sehr, sehr verdreht und tendenziell. ziehen – (Zurufe von der FDP: Oh!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich habe darauf verwiesen, dass es notwendig ist, den Ich muss Ihnen jetzt das Wort entziehen. Bundestag mehr an den Beratungen über die Verordnun- gen zu beteiligen, als es heute der Fall ist. Das habe ich hier ausdrücklich gesagt. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – und nicht einfach hier im Bundestag eine Ausrufung Ich habe auch darauf verwiesen, dass wir in der letzten zu machen. Plenarwoche einen entsprechenden Änderungsantrag ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellt haben. Es ist natürlich auch bekannt, dass das ge- meinschaftliche Wirken der Oppositionsfraktionen hier im Bundestag dazu geführt hat, dass der Bundestag darü- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ber befindet, ob die epidemische Lage ausgerufen wird Herr Kollege Kuhle, wollen Sie antworten? oder nicht. Das zur Richtigstellung. Ich finde es nicht angemessen, dass Sie mich in dieser Weise falsch wieder- Konstantin Kuhle (FDP): geben und auch die Position meiner Bundestagsfraktion, Liebe Frau Kollegin, ich bleibe dabei: Es macht einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unterschied, ob eine materielle Regelung im Gesund- heitsrecht durch dieses Parlament oder durch den Minis- die Ihnen an dieser Stelle auch hinlänglich bekannt sein ter erlassen wird. Dieser Unterschied ist die demokrati- dürfte. sche Legitimation. Da ist es immer besser, eine Regelung Was ich bei Ihnen vermisse, ist das Benennen von wird durch das Parlament erlassen. Es ist ein großer Kriterien und die Beantwortung der Frage, mit welchen Schaden für unsere parlamentarische Demokratie, wenn Mitteln Sie den Schutz der Bevölkerung sicherstellen in der Diskussion über diese Frage der Eindruck entsteht, wollen. Denn wir wissen, dass es ein gewisses Risikopo- unser Parlament könnte nicht schnell und pragmatisch tenzial für große Ausbrüche gibt. Wir sind sehr, sehr be- handeln. eindruckt von den Zahlen, die wir aus dem Kreis Güters- (B) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) loh zur Kenntnis nehmen müssen. Wir wissen auch, dass Den Eindruck haben Sie erweckt und nicht un- nicht nur diejenigen, die in diesem Schlachthof arbeiten, sere Kollegin!) betroffen sein werden, sondern viele, viele Menschen, die in der Pflege arbeiten, die in Pflegeeinrichtungen leben, Das kann es, und das wird es auch wieder. die Kinder und Jugendlichen, die nicht mehr in die Schule Ich will mit einer Rückfrage, die, glaube ich, nicht gehen können. Damit sind also sehr viele Wirkungen ver- beantwortet werden kann, schließen. Sie sind dermaßen bunden. in Unterstützungshaltung gegenüber der Bundesregie- rung, dass Sie von den Grünen überhaupt nicht mitbe- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kommen, was Ihre Parteifreunde in NRW und Bayern Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. machen. Sind die Grünen in Bayern etwa gegen die Auf- hebung des Katastrophenfalls? Sind die Grünen in NRW Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- etwa gegen die Aufhebung der epidemischen Lage von NEN): landesweiter Tragweite? Davon habe ich nichts gehört. Deswegen ist es aus meiner Sicht, aus unserer Sicht Parlamentarisches Selbstbewusstsein gegenüber der Re- wichtig, nicht nur auf den rechtsförmigen Akt abzustel- gierung setzt auch voraus, dass wir ihr mal widersprechen len, – und nicht alles abnicken. Da würde ich mir auch etwas Unterstützung von den Grünen wünschen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der FDP – Steffi Lemke [BÜND- Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Diesen Appell von Ih- rer Seite brauchen wir nicht!) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: – sondern die Kriterien zu benennen, unter denen wir Kurzinterventionen sind keine Diskussionsrunde, son- diese Aufhebung der epidemischen Lage beenden wol- dern es ist schlicht und ergreifend die Möglichkeit, dass len. etwas gesagt werden kann und dass es darauf eine Ant- wort gibt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, freue Frau Kollegin, auch bei einer Kurzintervention gibt es ich mich über die Anwesenheit des Bundeswirtschafts- eine Redezeit. ministers Peter Altmaier, zu dessen Geburtstag ich ihm 20670 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) heute gratuliere, wahrscheinlich im Namen des ganzen Bundesregierung hat die ihr übertragenen Sonderrechte (C) Hauses, sehr maßvoll angewandt, stets in Abwägung der aktuellen Infektionsentwicklung, transparent und begleitet von vie- (Beifall) len politischen Debatten hier in diesem Saal. verbunden mit der Bitte, dass Sie weiterhin so lebensfroh bleiben, wie Sie uns immer erscheinen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) (Heiterkeit – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt aber ganz schön re- Ist nun, drei Monate nach dieser Beschlussfassung, gierungsnah!) tatsächlich der Zeitpunkt gekommen, um diese Lage auf- Als nächste Rednerin hat die Kollegin Heike Baehrens, zuheben? Ich denke, nein; denn wir befinden uns noch SPD-Fraktion, das Wort. immer mitten in einer weltweiten Pandemie und wollen alles tun, um eine zweite Infektionswelle in unserem (Beifall bei der SPD) Land zu vermeiden.

Heike Baehrens (SPD): Wir machen große Fortschritte bei der Eindämmung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Infektionszahlen – mit Ausnahmen. Und die Locke- wir müssen den Infektionsschutz auf das Maß des Not- rungen führen uns Schritt um Schritt hin zur Normalität. wendigen konzentrieren. Und dieses Maß – das sagen Aber wir müssen das Bewusstsein wachhalten, dass die selbst Virologen, wenn sie an die Grenze ihrer eigenen Gefahr noch nicht gebannt ist. Besonders angesichts der Argumentation kommen – muss die Politik bestimmen. anstehenden parlamentarischen Sommerpause sollten wir Darum diskutieren wir hier, und das ist auch richtig. Des- den Weg der schnellen Reaktionsfähigkeit verantwor- halb war es uns als SPD besonders wichtig, dass sowohl tungsvoll weitergehen. Und ich sage auch klar: Das ist die Ausrufung der epidemischen Lage als auch deren kein Freibrief für die Regierung. Wir als Parlament und Aufhebung hier von diesem Parlament beschlossen wird. auch die SPD-Fraktion werden selbstverständlich unsere parlamentarische Kontrollfunktion gegenüber der Exeku- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula tive weiterhin sehr ernst nehmen. Wir werden ihr Tun in Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dieser Ausnahmesituation weiter konstruktiv, aber eben Denn es geht immer auch um das konkrete Schicksal von auch kritisch begleiten. Menschen. Es geht um das Wohlergehen der Bürgerinnen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin und Bürger, von Jung und Alt. Maag [CDU/CSU]) (B) (D) Und an die Adresse der FDP, die sich heute hier so besonders engagiert, möchte ich noch einmal sagen: Ich denke, es ist gut, dass wir heute hier diskutieren. Wir haben ebenfalls sicherzustellen, dass auch die Aber lassen Sie uns diese Debatte nach den Erfahrungen Schwächsten geschützt werden; denn persönliche Frei- während der parlamentarischen Sommerpause weiter- heit muss dort ihre Grenze haben, wo die Rücksichtnah- führen und im September die notwendigen Entscheidun- me auf die Grundrechte anderer verletzt wird. Es kann gen treffen. Keinesfalls sollte aber – ich komme zum nicht sein, dass diejenigen – und jetzt bitte ich um Er- Schluss, Herr Präsident – von der heutigen Debatte das laubnis des geschätzten Präsidenten, dass ich ihn an die- Signal ausgehen, es sei alles überstanden. Noch immer ser Stelle kritisch zitiere – einfach zu Hause bleiben müs- sterben Menschen in unserem Land an Covid-19, noch sen, die Angst haben. So, Herr Präsident, haben Sie es als immer gibt es Neuinfektionen. Darum ist es wichtig, dass freier Abgeordneter im öffentlichen Rahmen gesagt. wir weiterhin verantwortungsvoll Schritte hin zur Nor- Nein, wir als SPD wollen, dass die Risiken für alle redu- malität gehen, aber eben deren Wirkung auch sorgfältig ziert werden, dass niemand Angst haben muss, dass Pfle- beobachten. gerinnen und Pfleger ohne Sorge ihren Beruf ausüben können, dass Verkäuferinnen und Busfahrer ohne Angst Vielen Dank. ihrer Arbeit nachgehen können, dass Kinder wieder unbe- schwert in Kita und Schule gehen und wir alle ohne Angst (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten unsere hochbetagten Angehörigen besuchen können. Da- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE rauf kommt es jetzt an. GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Maag [CDU/CSU]) Frau Kollegin, herzlichen Dank. – Sie sehen, dass ich Wer noch immer vom Lockdown spricht, beschreibt wegen Ihrer maßvollen Kritik an meinen öffentlichen nach meiner Einschätzung eine andere Wirklichkeit, als Äußerungen sehr gnädig war mit der Redezeit. wir sie hier in Deutschland haben. Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Stephan Pilsinger, CDU/CSU-Fraktion, zu einem Vier- DIE GRÜNEN) Minuten-Beitrag. Wir haben die Änderungen im Infektionsschutzgesetz einschließlich der Feststellung einer epidemischen Not- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der lage in großer Einmütigkeit beschlossen. Und unsere CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20671

(A) Stephan Pilsinger (CDU/CSU): Wenn wir jetzt unvorsichtig werden und bewährte (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht Maßnahmen zurücknehmen, dann finden wir uns ganz zunächst mal eine Anmerkung auf die Fragen bzw. Aus- schnell in einer Situation, in der die erneute Ausbreitung sagen des Kollegen Schinnenburg und des Kollegen des Virus in einem unkontrollierbaren Ausmaß erfolgt. Kuhle von der FDP: Es standen ja die Fragen im Raum, Ich wende mich ausdrücklich auch hier an der Stelle noch bis wann denn die epidemische Lage längstens geht und mal an die Fraktion der FDP, die hier in ihrem Antrag die ob wir so lange warten wollen, bis es einen Impfstoff gibt. sofortige Aufhebung der epidemischen Lage von nationa- Ich muss Ihnen sagen: Im Gesetz steht aktuell: Die epi- ler Tragweite fordert. Als Gesundheitspolitiker, aber vor demische Lage wird bis spätestens Ende März 2021 lau- allem auch als Arzt kann ich nur davor warnen, jetzt mit fen, dann endet sie automatisch. – Dann wissen wir auch, solchen Forderungen Schlagzeilen machen zu wollen. Sie ob es im Herbst oder im Winter zu einer zweiten Welle scheinen an dieser Stelle zu übersehen, dass das Virus mit gekommen ist. Sie werfen uns ja immer indirekt vor, wir unseren Maßnahmen zunächst nur zurückgedrängt wor- würden Ihren Antrag nicht lesen. Deswegen muss ich den ist. Ihnen schon sagen: Bitte lesen Sie doch das Gesetz ge- nau. Dann wissen Sie auch, wann die epidemische Lage (Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP]) spätestens aufgehoben werden wird. Darauf können wir stolz sein. Die Gefahr ist deswegen aber nicht weg. Dazu müssen wir eigentlich nur nach (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Peking schauen, wo sich in den vergangenen Tagen die Am 25. März hat der Bundestag eine epidemische Lage Anzahl der Kranken wieder deutlich erhöht hat. von nationaler Tragweite festgestellt und damit entschei- dende Voraussetzungen für die Bekämpfung der Corona- (Konstantin Kuhle [FDP]: Das ist nicht unser virus-Epidemie in Deutschland geschaffen. Mit diesem Maßstab!) Beschluss haben wir von Beginn an konsequent und vor Meine Damen und Herren, lassen Sie uns den mühsam allem rechtzeitig auf die steigende Zahl von Infizierten erkämpften Vorsprung jetzt nicht verspielen. In der Ver- reagiert. Dieser Schritt war notwendig. Bereits mit den gangenheit mussten wir sehr schmerzhaft lernen, dass ersten Krankheitsfällen in Deutschland ist uns bewusst schwere Pandemien oft in Wellen verlaufen. Besonders geworden, dass uns das Coronavirus vor ganze neue, viel bei der Spanischen Grippe war die zweite Erkrankungs- weitreichendere Herausforderungen stellt. Um darauf an- welle deutlich stärker als die erste. gemessen reagieren zu können, war es notwendig und richtig, das Gesundheitsministerium für einen befristeten (Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP]) Zeitraum mit zusätzlichen Kompetenzen auszustatten. Die epidemische Lage von nationaler Tragweite ist nicht (B) Ich muss an dieser Stelle noch mal sagen: Jens Spahn (D) und das Bundesgesundheitsministerium haben die Auf- vorbei. Eine vorschnelle Beendigung sendet ein völlig gabe, die es bisher zu meistern gab, wirklich exzellent falsches Signal. Noch viel wichtiger: Durch die Aufhe- gemeistert. bung würden wir uns auf Bundesebene wichtige gesetz- geberische Reaktionsmöglichkeiten nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Christian Dürr [FDP]: Was?) Vor allem aus diesem Grund hat der Deutsche Bundes- tag im März mit großer Mehrheit das Infektionsschutzge- setz geändert und eine epidemische Lage von nationaler Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Tragweite festgestellt. Nicht nur weil wir rechtzeitig die- Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. se Maßnahmen ergriffen haben, sondern vor allem auch, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesund- Stephan Pilsinger (CDU/CSU): heitsministerium umsichtig und schnell auf die Epidemie Das, meine Damen und Herren, dürfen wir in Anbe- reagiert haben, konnten wir eine Überlastung der deut- tracht der noch immer bestehenden Gefahr nicht zulas- schen Kliniken vermeiden. sen. Auch umfangreiche Testungen und die sorgfältige Vielen Dank. Nachverfolgung von Infektionsketten durch den Öffent- lichen Gesundheitsdienst haben uns zunächst vor einer (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. größeren Katastrophe bewahrt. Maßnahmen wie diese [SPD]) haben uns erlaubt, viele Einschränkungen des öffentli- chen Zusammenlebens mittlerweile wieder zurückzuneh- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: men. Andere Länder sind von diesem Schritt noch sehr weit entfernt. Denn die Epidemie breitet sich weiterhin Vielen Dank, Herr Kollege. – Einen kleinen Moment. auf der gesamten Welt aus. Die Gesundheitssysteme vie- Wir müssen erst das Pult desinfizieren. ler Länder stehen deswegen an ihrer absoluten Kapazi- (Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Die infek- tätsgrenze. tiöse Lage auf dem Pult muss erst entfernt wer- In Deutschland konnten wir unser Zwischenziel errei- den!) chen. Wir haben die Geschwindigkeit, mit der sich das Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Virus ausbreitet, entscheidend verlangsamt. Aber das In- Sebastian Hartmann, SPD-Fraktion. fektionsgeschehen ist weiterhin sehr dynamisch, und das zu vergessen, ist wirklich gefährlich. (Beifall bei der SPD) 20672 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Sebastian Hartmann (SPD): – Ja, natürlich. Das Pandemiegesetz in Nordrhein-West- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- falen. men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Jetzt noch der letzte Punkt. der Deutsche Bundestag kommt seiner Verantwortung in vorbildlicher Art und Weise nach, wenn es darum geht, (Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Und dann gemeinsam zu organisieren, wie wir diese einmalige Si- ist schon Schluss?) tuation in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- land bekämpfen. Das setzt voraus, liebe Kolleginnen und Sie haben das Problem, dass heute der Tag nach Tönnies Kollegen, dass man die Debatte eben nicht, wie es die ist. Wir reden über 7 000 Menschen, die in Quarantäne FDP in bezeichnender Weise versucht, auf das Infek- sind. Wir reden über Hunderte von Neuinfektionen. Und tionsschutzgesetz reduziert. dann rufen Sie aus Ihren Reihen dazwischen: Das liegt halt daran, dass man testet. – Natürlich muss man testen, Es geht in der Tat auch darum, dass wir als Parlament meine Damen und Herren. Pakete in Hunderte-Milliarden-Euro-Tranchen schnüren, um die deutsche Wirtschaft zu schützen, dass wir Bevor- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ratungen beauftragen, dass wir vor allen Dingen auch DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Sie sagen Land sehen: Wir kommen unserer Verantwortung als Par- die ganze Zeit, das Parlament ist zu blöd, diese lament nach. – Es ist unredlich, dass die FDP versucht, Entscheidung zu treffen! Sie beschimpfen doch den Anschein zu erwecken, dass wir genau das nicht tun. das eigene Haus! Merken Sie das eigentlich? Die Debatte heute ist der beste Beweis dafür, wie vor- Das ist ja absurd!) bildlich wir das als Parlament machen. Wir wollen doch die Lage erkennen, um zu wissen, wie es um die Bevölkerung steht. Und nun stellt sich ein nord- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin rhein-westfälischer Ministerpräsident hin und sagt, dass Maag [CDU/CSU]) das ein eingereistes Virus ist – Lohnarbeiter aus Bulga- Der zweite Punkt. Herr Kollege Kuhle, gerade Sie wa- rien und Rumänien –, wo Sie doch nicht für gute Arbeits- ren es, der die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen schutzbedingungen gesorgt haben. Schämen Sie sich! und der Union zitiert hat. Es ist schon unverfroren, dass Wir sollten uns entschuldigen bei den Menschen, die er- Sie das Pandemiegesetz von Nordrhein-Westfalen mit krankt sind. Paragraphen zitieren, die die SPD-Landtagsfraktion in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das Gesetz hineingeschrieben hat, nachdem Sie als DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (B) schwarz-gelbe Regierung es selbst vermurkst haben. An- LINKEN – Christian Dürr [FDP]: Das ist ab- (D) sonsten hätte man diesem Gesetz keine breite parlamen- surd!) tarische Zustimmung in Nordrhein-Westfalen geben kön- nen. Aber Sie stellen sich jetzt hierhin und tun so, als ob Das ist Ihre Verantwortung, und Sie missbrauchen diese dies Ergebnis der FDP-Politik gewesen wäre. Debatte, um billig populistisch zu handeln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir werden diese Debatte führen. Wir werden sie im des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ausschuss führen, und wir werden diese epidemische Lage gemeinsam überwinden. Ergebnis der FDP-Politik der vergangenen Jahre ist im Übrigen, dass Sie Kapazitäten des deutschen Bevölke- (Christian Dürr [FDP]: Wann denn? Wie rungsschutzes in der Regierungszeit 2009 bis 2013 ein- denn?) gespart und runtergefahren und uns damit erst in diese Aber wir befinden uns auch in der zweiten Welle. Lage versetzt haben, dass wir ad hoc handeln mussten; das ist der nächste Punkt. (Christian Dürr [FDP]: Was sind Ihre Kriterien, Herr Hartmann?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Aber, Herr Dürr, Sie haben doch die Debatte angezet- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – telt. Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Wer regiert seit 2013? – Christian Dürr [FDP]: Was ist (Christian Dürr [FDP]: Was sind denn Ihre Kri- jetzt, Herr Hartmann, Ihr Anspruch als Parla- terien? Sie sagen doch nichts! Sie labern nur!) mentarier?) Dann müssen Sie damit auch leben, dass wir reagieren. Und darüber hinaus, lieber Kollege Kuhle, stellen Sie Hören Sie doch zu! sich hier auch noch hin und tun so, als ob Sie die Retter in der Situation wären. Sie haben hier ausgeteilt, liebe (Christian Dürr [FDP]: Butter bei die Fische! Kolleginnen und Kollegen von der FDP, also stecken Meine Güte! Ist doch nicht so schwer, Sie auch mal ein. Mensch!) Das ist doch Ihr Problem. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ GRÜNEN – Konstantin Kuhle [FDP]: Es muss DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der etwas kommen! Es kommt ja nichts!) CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20673

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: triebe. – Damit, Herr Kollege, kommen wir doch als (C) Herr Kollege Hartmann, erlauben Sie eine Zwischen- Bundesgesetzgeber unserer Verantwortung nach. Punkt! frage des Kollegen Schinnenburg? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sebastian Hartmann (SPD): Selbstverständlich. Deswegen sage ich Ihnen etwas zur zweiten Welle. Die Frage haben Sie nämlich auch noch angeschlossen. Ich spare Ihnen ja auch Zeit, indem ich auf die Frage eingehe. Dr. Wieland Schinnenburg (FDP): Sie müssen nicht aufstehen; ich sage es Ihnen ganz kurz: Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, dass wir Die zweite Welle läuft doch. Sie sind doch selber dafür schon in einer zweiten Welle sind? verantwortlich, dass diese zweite Welle laufen wird. Die zweite Frage: Glauben Sie im Ernst, dass den (Lachen der Abg. Enrico Komning [AfD] und Menschen in Husum, in Hitzacker im Fall Tönnies mit Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]) bundesweiten Regelungen geholfen wird? Das glauben Sie doch nicht im Ernst! Das muss lokal gelöst werden. Sie säen die Saat des Zweifels. Der Erfolg der Bekämp- Sie können doch nicht sagen: Mit einer bundesweiten fung der Pandemie liegt nicht in dem härtesten Grund- Regelung helfe ich im Fall Tönnies. – Tönnies ist eine rechtseingriff, er liegt nicht in dem schärfsten Gesetz oder Sache der regionalen Behörden; die machen das, glaube der größtmöglichen Ermächtigung der Regierung, son- ich, auch gut. Aber Husum und Hitzacker haben damit dern er besteht darin, dass wir in einem Rechtsstaat trans- gar nichts zu tun. Können Sie das zugestehen? parent und demokratisch vorgehen und Informationen teilen, dass wir Bürger nicht verunsichern oder – wie (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: die AfD – Angst schüren, Wir können auch über Magdeburg reden oder über Göttingen! Das ist nicht in NRW!) (Enrico Komning [AfD]: Sie schüren Angst!) sondern ihnen zeigen: Wir handeln. – Und Sie säen die Sebastian Hartmann (SPD): Saat des Zweifels. Sie haben die epidemische Lage in- Sehr geehrter Herr Kollege, Sie irren gleich zweimal. frage gestellt. Das Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie (Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP]) (Christian Dürr [FDP]: Das hat damit doch gar Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keinen Impfstoff, und es nichts zu tun!) gibt keine ausgeprägte Behandlungsmethode. Deswegen, (B) und die unmöglichen Arbeitsbedingungen, die mit Ar- meine Damen und Herren, werden wir weiter handeln (D) beitsschutz gar nichts mehr zu tun haben, sind eine An- müssen, und das tun wir als Parlament. gelegenheit des Bundesgesetzgebers. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Deswegen freue ich mich auf die Debatte im Aus- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- schuss. Ich glaube, dass es für die FDP-Fraktion nicht NEN) gut war, gerade den Ball aus Nordrhein-Westfalen aufzu- Unser Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus nehmen. Ich denke, wir sollten erstens all den Menschen, Heil, hat sehr, sehr gut reagiert, indem er gesagt hat: die jetzt eine Neuinfektion haben, gute Genesung wün- Schluss mit diesen unwürdigen Arbeitsbedingungen in schen, zweitens denjenigen, die sich in Quarantäne be- der Fleischindustrie. – Das ist der erste Punkt, der zeigt, finden, sagen, dass wir testen, testen, testen wollen, damit wo der Bund gehandelt hat. sie wissen, ob sie erkrankt sind oder nicht. Drittens gilt: Gemeinsam werden wir durch diese Krise kommen, aber (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nicht, indem wir einen solchen Klamauk veranstalten wie LINKEN) die FDP. Das bringen wir als Große Koalition gemeinsam auf den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Weg. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Christian Dürr [FDP]: Das hat trotzdem damit nichts zu tun!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: – Hören Sie doch zu! Vielen Dank, Herr Kollege. – Letzter Redner zu die- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das sem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Tino Sorge, fällt sehr schwer bei Ihnen!) CDU/CSU-Fraktion. Der zweite Punkt ist, dass Sie natürlich in Nordrhein- (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke Westfalen Verantwortung dafür tragen, dass eben nicht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der sagt jetzt regional hingeschaut worden ist, was Teststrategien an- was zu Magdeburg!) geht, die dafür sorgen, dass man Epidemien eindämmt. Jetzt, wo getestet wird, wird klar: Es existiert ein Pro- Tino Sorge (CDU/CSU): blem, und das sind nicht nur diese Arbeitsbedingungen, Da hat die Kollegin recht. – Herr Präsident! Liebe sondern auch Großveranstaltungen und Fleischzerlegebe- Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte es mir jetzt ein- 20674 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Tino Sorge (A) fach machen und sagen – kurzer Antrag der FDP, kurze (Enrico Komning [AfD]: Unverhältnismäßig!) (C) Antwort –: Wir lehnen den Antrag ab. – Aber so einfach Aber wir können doch nicht den Eindruck erwecken, es ist es dann doch nicht. wäre jetzt alles überstanden. Es ist immer schade, wenn in der Debatte – das hat der (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das Kollege Kuhle hier auch getan – einfache Antworten auf sagt doch keiner!) komplexe Dinge suggeriert werden. Gucken Sie sich doch an, was momentan los ist. Ich will (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD] jetzt nicht wieder mit Gütersloh anfangen – Kollege und Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ Henke hat es angesprochen –: 7 000 Menschen, die direkt DIE GRÜNEN]) oder indirekt betroffen sind. Wir haben Göttingen – das Denn Herr Kuhle weiß es ja besser, er weiß, dass es so ist ja der Wahlkreis des Kollegen Kuhle –: Da haben wir einfach nicht ist. Insofern ist es richtig, dass wir hier im ebenfalls sehr starke lokale Häufungen. Parlament diese Debatte führen. Es wird natürlich in den Wir haben jetzt aber auch Magdeburg. Ich sage ganz letzten Tagen und Wochen immer so ein bisschen der offen – Magdeburg ist mein Wahlkreis –, dass ich den Eindruck erzeugt, als wären die Parlamentsrechte in Ge- Leuten immer erzählt habe: Na ja, wir müssen bei der fahr, als könnte das Parlament nicht mehr mitreden, als Abwägung immer schauen, welche Langzeitfolgen die würden der Bundesgesundheitsminister, der Bundeswirt- Maßnahmen in anderen Bereichen haben. – Es geht um schaftsminister ohne Anhörung, ohne Kooperation mit das Thema Güterabwägung. Da ist es in der Debatte dem Parlament Dinge durchdrücken. Da muss man sich natürlich schwierig, dass in Gegenden wie auch Magde- auch mal angucken: Worüber reden wir? Wir führen diese burg – wir waren seit Anfang Mai neuinfektionsfrei – Debatten auch hier im Parlament in einem großen Um- viele Menschen gesagt haben: Nun lasst aber mal die fang; das machen wir ja gerade. Kirche im Dorf, jetzt lasst uns doch all die Beschränkun- gen wieder runterfahren; das ist schon nicht so schlimm, (Zuruf von der FDP) und wenn was passiert, dann können wir da nachjustie- Wir reden über begünstigende Verordnungen. Wir reden ren. – Wir haben in der letzten Woche Neuinfektionen beispielsweise im Gesundheitsbereich über Hilfspakete gehabt, sind jetzt dabei, die zehnte bzw. die elfte Schule im Milliardenumfang. Wir reden aber auch darüber, dass zu schließen. Daran sehen Sie, dass wir nicht mehr von wir den Ernst der Lage jetzt nicht kleinreden dürfen. Und lokalen Häufungen reden können, die man dann schnell da geht es auch darum, dass der Ausnahmezustand natür- eindämmt, sondern es ganz, ganz schnell zu einer natio- lich nicht die Regel sein kann. Und natürlich ist es nicht nalen Gesundheitsgefährdungslage führen kann. Deshalb (B) richtig, von einer neuen Normalität zu sprechen. ist Leichtsinn hier der falsche Weg. (D) (Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Das hat der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Minister gesagt!) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sollten wir hier keine einfachen Antworten suggerieren. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Das hat er Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des gesagt!) Kollegen Ullmann? Herr Kollege Schinnenburg – Sie fahren ja gerade wie- Tino Sorge (CDU/CSU): der ein bisschen hoch –, ich empfehle Ihnen, auch mal innerhalb Ihrer Partei zu schauen. Der Oberbürgermeister Sehr gern. von Jena, ein FDP-Kollege, hat bei der Diskussion um die Aufhebung der Kontaktbeschränkungen gesagt, dieser Dr. Andrew Ullmann (FDP): Schritt sei „verfrüht“, er sei „mutig“. Er hat gesagt, das Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie sei „eine Art Mut, dessen Nachbar der Leichtsinn ist“. sprechen hier immer von Leichtsinn und vom Aufheben Genau das ist der Punkt: Wir dürfen nicht leichtsinnig von Beschränkungen. Dazu steht in unserer Gesetzesini- werden tiative übrigens nichts drin. (Christian Dürr [FDP]: Das sagt doch keiner, Ich habe – wie auch die Grünen – das Gefühl, dass Sie Herr Sorge!) den Ländern gar nicht zutrauen, Infektionsschutz zu be- treiben. Da würde ich mal gerne wissen, wie Sie das und das verspielen, was wir hier erreicht haben, liebe sehen; denn ich traue den Ländern durchaus etwas zu. Kolleginnen und Kollegen. Würden Sie sagen, dass der Gesundheitsschutz und das Gesundheitswesen jetzt in Bundeshand übergehen soll- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ten, dass das mal wieder der Bund machen sollte? neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP) Tino Sorge (CDU/CSU): Es ist völlig richtig, dass die Infektionszahlen zurück- Im Grunde ist das ja wieder eine Argumentation, bei gehen. Das ist ja auch schön. Das ist auch dem Umstand der Sie die Dinge verdrehen. Aber es ist ein sehr guter geschuldet, dass die Bürger, dass wir alle verantwor- Punkt, den Sie ansprechen, lieber Herr Kollege. Es wird tungsbewusst mit der Situation umgegangen sind. ja in Ihrem Antrag genau dieser Eindruck erweckt, als Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20675

Tino Sorge (A) könnte da niemand mehr mitreden, als würde der Minis- Deshalb: Lassen Sie uns eher darüber diskutieren, wie (C) ter Jens Spahn – da drüben sitzt er übrigens – Dinge wir mit digitalen Möglichkeiten – die Corona-Warn-App machen, die er vorher mit niemandem besprochen hätte. ist hier angesprochen worden – die Normalität für viele Wir haben doch unabhängig von der Frage, ob wir eine Menschen in unserem Land so schnell wie möglich wie- epidemische Lage von nationaler Tragweite haben, die derherstellen können. Länder sowieso immer mit im Boot. Das heißt, unabhän- gig von dieser Einschätzung sind die Länder immer mit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: beteiligt. Deshalb ist es richtig, dass wir über Lockerun- gen und die Beurteilung der Lage nicht nur hier im Parla- Kommen Sie zum Schluss, bitte. ment sprechen, sondern eben auch die Länder einbezie- hen. Sie sind mit einbezogen. Insofern verstehe ich Ihre Tino Sorge (CDU/CSU): Frage in dem Punkt nicht so recht. Aber die Maßnahmen müssen so lang wie nötig grei- fen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sabine Dittmar [SPD] und Kordula In diesem Sinne ist der Ort der Debatte das Parlament; Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) das hat sich nicht geändert. Ich freue mich auf die Diskus- Vielleicht auch noch einige Worte zu der Behauptung, sionen und danke für die Aufmerksamkeit. das sei ja alles nicht mehr so schlimm und deshalb könne (Beifall bei der CDU/CSU) man die Maßnahmen ja jetzt wieder zurückfahren: (Christian Dürr [FDP]: Das hat auch keiner Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gesagt!) Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Erstens. Wir führen die Debatte, wir kontrollieren na- Aussprache. türlich die Regierung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Zweitens. Dass unsere Einschätzung keine ist, die völ- den Drucksachen 19/20042 und 19/20046 an die in der lig weltfremd wäre, sieht man auch daran, dass die Welt- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. gesundheitsorganisation ihre Einschätzung, dass wir eine Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Ich sehe Gesundheitskrise von internationalem Ausmaß haben, und höre, das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie immer noch nicht aufgehoben hat. Insofern sollten wir vorgeschlagen. in der Beziehung auch in bisschen realitätsnäher sein, Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: zumal wir bei der Frage, wie sich das Infektionsgesche- (B) (D) hen entwickelt, ja immer nur über eine Momentaufnahme a) – Zweite und dritte Beratung des von den quasi von vor zwei Wochen reden. Keiner weiß also, wie Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- die Lage in zwei Wochen aussieht. brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsge- Drittens. Wir wissen auch, dass es, wenn jetzt das Ur- setzes und anderer Gesetze laubsgeschehen losgeht, wenn wir erfreulicherweise auch wieder in Europa reisen können, zum Ende der Urlaubs- Drucksache 19/18700 saison sicherlich wieder Fälle geben wird. Trotz aller Vorsicht muss man sicherlich mit Neuinfektionen rech- – Zweite und dritte Beratung des von der nen. Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere Außenwirtschaftsgesetzes und anderer von der FDP, lassen Sie uns doch bei der Frage, inwieweit Gesetze die Maßnahmen, die wir in dieser Situation ergreifen, gerechtfertigt sind, die Gemüter ein bisschen runterfah- Drucksachen 19/18895, 19/19375 ren. Ich verstehe den Antrag. Die Begründung ist teil- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- weise auch nachvollziehbar. schusses für Wirtschaft und Energie (9. Aus- ( [FDP]: Sie ist komplett nach- schuss) vollziehbar!) Drucksache 19/20144 Aber wir haben es doch in anderen Krisen gesehen: In der schwarz-gelben Koalition, von 2009 bis 2013, haben wir b) Beratung der Beschlussempfehlung und des doch auch mitten in der Euro-Krise viele gute Dinge ge- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und macht. Wir haben damals doch in einer besonderen Situa- Energie (9. Ausschuss) tion, in der wir auch momentan sind, die Parlamentsrech- – zu dem Antrag der Abgeordneten te nicht außer Kraft gesetzt. Ich führe gern mit Ihnen, Reinhard Houben, Michael Theurer, auch gerade mit Konstantin Kuhle, eine Diskussion über Dr. Marcel Klinge, weiterer Abgeordneter staatstheoretische Fragen, zum Selbstverständnis eines und der Fraktion der FDP Parlaments, über die Frage, inwieweit wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle der Regierung stärker wi- Selbstbewusstsein statt Abschottung – dersprechen sollten. Das können wir alles machen; aber Für ein liberales Außenwirtschafts- in diesem Kontext ist es, glaube ich, nicht das Richtige. recht trotz Corona-Pandemie 20676 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) – zu dem Antrag der Abgeordneten gestalten, dass Unternehmen in einer kritischen Lage, (C) Katharina Dröge, Anja Hajduk, Sven- Technologien und Assets, gerade im Gesundheitsbereich, Christian Kindler, weiterer Abgeordneter nicht verloren gehen. Deshalb sind wir dieses Problem und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE angegangen. Wir etablieren eines der modernsten, aber GRÜNEN immer auch noch liberalsten Prüfregime weltweit. Wir wollen wissen, was los ist. Wir wollen wissen, wer hinter Schlüsseltechnologien und europäische potenziellen Investoren steht. Wir wollen in den wenigen Souveränität im Zuge der COVID-19- Fällen, wo dies problematisch ist, handeln können, bevor Pandemie schützen es zu spät ist. Drucksachen 19/18673, 19/18703, Wir haben vor zwei Monaten Vorschläge zur Stärkung 19/20144 der Investitionsprüfung vorgestellt, die sich in einer Än- Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU derung der Außenwirtschaftsverordnung niedergeschla- und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der gen haben. Jetzt können wir die Übernahmen inländi- AfD vor. scher Hersteller von Medikamenten, Impfstoffen und Beatmungsgeräten gründlicher prüfen. Wir haben klarge- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten stellt: Nicht nur die Produkte eines Zielunternehmens beschlossen. sind von Interesse, sondern auch die Mittelherkunft der Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Investoren. ner dem Geburtstagskind, Herrn Bundesminister Peter Heute machen wir mit der Novelle des Außenwirt- Altmaier, für die Bundesregierung das Wort. schaftsgesetzes einen weiteren maßvollen, aber notwen- digen Schritt, um unsere wesentlichen Sicherheitsinteres- (Beifall bei der CDU/CSU) sen zu wahren; wir orientieren uns auch hier eins zu eins an der EU-Screening-Verordnung. Erstens. Die Prüfung Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und kann künftig auch absehbare Entwicklungen nach einer Energie: erfolgten Übernahme umfassen. Zweitens. Vor Abschluss Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- der Prüfung gilt: Kein Vollzug des Erwerbs und kein Ab- ren! Haben Sie herzlichen Dank für die freundlichen fluss sensibler Informationen ins Ausland. Drittens. Die Glückwünsche. Ich hoffe, dass sie ihre Wirkung nicht Prüffristen werden künftig unmittelbar im Gesetz veran- verfehlen und die gute Laune erhalten bleibt, zumal wir kert. heute ein wichtiges Gesetz beschließen. Ich bedanke mich beim Deutschen Bundestag, bei den (B) Deutschland ist ein offenes Land für ausländische In- Fraktionen der Koalition, für ein konstruktives Zusam- (D) vestitionen. Wir freuen uns über jedes Unternehmen, das menwirken, das dieses Gesetz verbessert hat. Es bedeutet in Deutschland investiert, weil die deutsche Wirtschaft, konkret, dass die Dauer der Prüfung für Unternehmen weil die deutsche technologische Führung, die deutschen künftig erstmals eindeutig berechenbar wird, industriellen Kompetenzen, unsere Hidden Champions und viele andere attraktiv sind, weit über die Landesgren- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zen hinaus. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Und wir dass die Prüfverfahren möglichst rasch abgeschlossen wollen, dass Deutschland eines der liberalsten und of- werden und nur in komplexen Fällen eine Verlängerung fensten Länder bleibt, wenn es um ausländische Investi- der Hauptprüffrist möglich ist. Die klare Botschaft ist: tionen und Direktinvestitionen geht. Wir wollen die Bedürfnisse der Unternehmen und die Aber nicht alle diejenigen, die investieren wollen, ha- Freiheit des Kapitalverkehrs ernst nehmen und bewahren. ben gleichermaßen lautere Absichten. Deshalb müssen Aber richtig ist auch: Das, was wir heute hier gemeinsam wir dafür sorgen, dass unsere deutschen und europä- beschließen, geht auch auf Bitten und Wünsche aus dem ischen Firmen dort, wo es ausnahmsweise notwendig sein Bereich der Wirtschaft selbst zurück. sollte, vor unfairem Wettbewerb, vor unzulässigem Tech- nologietransfer und vor Aufkauf durch staatlich subven- Wir müssen mit Augenmaß handeln. Wir werden in tionierte Konkurrenz, die vielfach nicht aus den Ländern einigen Wochen über eine abschließende Anpassung der der Europäischen Union stammt, geschützt werden. Ge- Außenwirtschaftsverordnung beraten. Ich bin zuversicht- rade unsere exportstarken Hidden Champions, unsere lich, dass wir in der Pandemie die Weichen so stellen Mittelständler, Unternehmen, die wegen der Coronapan- können, dass die Globalisierung weitergehen kann, dass demie vorübergehend angeschlagen sind, dürfen nicht zu die Verflechtung unseres Landes in der Weltwirtschaft wehrlosen Übernahmekandidaten werden, unabhängig nicht rückabgewickelt wird und dass unsere Lieferketten davon, welche Zwecke und Ziele der Übernehmende ver- trotzdem widerstandsfähiger und diverser werden. folgt. Vor einigen Tagen hat ein Thema Aufmerksamkeit be- kommen, nämlich die Beteiligung der KfW an dem Un- (Beifall der Abg. Astrid Grotelüschen [CDU/ ternehmen CureVac, das im Bereich der Biotechnologie CSU] und Dr. Daniela De Ridder [SPD]) und der Entwicklung von Impfstoffen eine international Die Europäische Kommission hat dieses Thema aufge- führende Rolle spielt. Ich sage Ihnen: Wir sind dann, griffen. Sie warnt nachdrücklich vor Aktivitäten unio- wenn es notwendig ist, dann, wenn wir glauben, dass nsfremder Investoren, die krisenbedingt gesteuert sind. wir es den Menschen in Deutschland schuldig sind, be- Sie fordert uns auf, die nationalen Prüfregime so auszu- reit, zu handeln. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20677

Bundesminister Peter Altmaier (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Mit Investitionen Gewinne zu erzielen, ist legitim und für (C) ordneten der SPD) eine funktionierende Marktwirtschaft notwendig. Ge- Das ist keine theoretische Frage, sondern eine ganz kon- fährlich wird es, wenn aus weiteren Gründen investiert krete Herausforderung. wird, die mit Gier zu tun haben – und ich weiß nicht, ob Gier unbedingt legitim ist –, und zwar Kontrollgier nach Ich bin gemeinsam mit meinem französischen Kolle- Marktmacht, um den Wettbewerb auszuschalten, Gier gen Bruno Le Maire dabei, über notwendige maßvolle nach Shareholder-Value, wenn Heuschrecken Firmen Anpassungen im europäischen Wettbewerbsrecht zu dis- aufkaufen, die Substanz über Beraterhonorare aussaugen kutieren. Wir wollen ein Regelwerk, das fairen Wettbe- und Mitarbeiter auf die Straße setzen, und Neugier über werb garantiert. Die EU-Kommissarin Frau Vestager hat das Absaugen deutscher Technologie durch ausländische erste und gute Vorschläge vorgelegt. Auf dieser Grund- Global Player und Investmentbanken. – Jetzt können Sie lage werden wir während der deutschen Präsidentschaft klatschen; denn etwas Ähnliches hat der Minister auch dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen, die industriellen gerade gesagt. Da haben Sie auch geklatscht. Interessen einer globalen Wirtschaft auch von der Euro- päischen Union, von allen Mitgliedstaaten gemeinsam ( [CDU/CSU]: Ich habe sel- und ganz besonders natürlich von Deutschland die Auf- ten so viel Quatsch gehört!) merksamkeit bekommen, die sie verdient haben. Denn es Das war es auch schon mit unserem Lob für den grund- geht um nicht mehr und nicht weniger als um zukunfts- sätzlich richtigen Ansatz der Bundesregierung. Ihr An- fähige Arbeitsplätze in unserem Land. Es geht um nicht satz verursacht bei differenzierter Betrachtung folgende mehr und nicht weniger als um unseren Lebensstandard Probleme. – Es wäre nett, wenn in der ersten Reihe viel- und die Entwicklungschancen künftiger Generationen. leicht auch zugehört würde, wenn ich hier meine Rede Für sie wollen wir sicherstellen, dass wettbewerbsfähige halte. Ich bedanke mich bei den grünen Kolleginnen und und leistungsfähige Unternehmen auch künftig in Kollegen. Deutschland ihren Sitz und ihren Mittelpunkt haben. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich danke Ihnen für Ihre Mitarbeit an diesem Gesetz- Dazu gibt es keine Pflicht! Dann müssen Sie entwurf, mit dem wir einen weiteren Schritt in die richti- bessere Reden halten!) ge Richtung gehen. Die Kriterien für eine Prüfung ausländischer Direktinves- Vielen Dank. titionen in Deutschland sind zu schwammig formuliert. Es werden keineswegs nur die sogenannten systemrele- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) vanten Unternehmen geschützt. Die vagen Formulierun- (B) gen – das ist eine Hauptkritik von uns – ermöglichen eine (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: willkürliche Auslegung durch die Ministerien. Dann steht Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Nächster Redner immer die Frage im Raum: Was ist systemrelevant und ist für die Fraktion der AfD der Kollege Hansjörg Müller. was nicht? Bei Bedarf kann man wohl auch eine Masken- oder Maulkorbproduktion für systemrelevant erklären, da (Beifall bei der AfD) die Kriterien nicht eindeutig sind.

Hansjörg Müller (AfD): Zur Nacharbeitung ihrer Änderungen zum Außenwirt- Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Lieber Herr Bun- schaftsgesetz hat sich die Regierung drei Wochen zusätz- desminister, Sie haben heute Geburtstag, also alles Gute, lich genehmigt – wenn Sie diese Zeit bloß sinnvoll ge- und selbstverständlich werde ich Sie deswegen etwas nutzt hätten –, und zwar im Hinblick auf die sehr heftigen weicher anfassen als sonst. Nachwirkungen des Corona-Lockdowns. Man hätte den Gesetzentwurf an die Gefahren eines Ausverkaufs der (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Andreas deutschen Wirtschaft anpassen müssen. Diese sind näm- Mattfeldt [CDU/CSU]: Der kann das ab!) lich durch die aktuellen Verwerfungen an den Kapital- märkten gestiegen. Aber nichts wurde gemacht. Es ist ja auch klar: Es ist für die Regierung einfacher, sich als Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Retter mit fremdem Geld auf Kreditbasis feiern zu las- Herr Kollege Müller, Anfassen schließen wir aus we- sen – so richtig schön populistisch –, anstatt Sacharbeit zu gen der Infektionsgefahr, die damit verbunden sein kann. leisten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und (Beifall bei der AfD) des Abg. Markus Töns [SPD]) Aber sei’s drum: Der wesentliche Schwachpunkt des Hansjörg Müller (AfD): Koalitionsvorschlags ist und bleibt die Ausgestaltung. Das meine ich natürlich im übertragenen Sinne. Die alleinige Lösung über reine Kontrollmechanismen ist nicht effizient. Es fehlen zusätzliche Anreizmechanis- Ich möchte den Minister erst einmal loben. Die deut- men, insbesondere fiskalischer Natur. Darüber hinaus schen Schlüsselindustrien sind vor ausländischem Zu- sind die Kontrollmechanismen – so steht es im Gesetz- griff zu schützen, wenn die Investoren neben wirtschaft- entwurf – auch noch mit folgenden praktischen Proble- lichen Zielen auch Machtziele verfolgen. men verbunden: (Dr. [DIE LINKE]: Das ist im- Erstens. Es entsteht ein bürokratisches Prüfchaos. Bis mer so!) zu fünf Ministerien sollen gemeinsam entscheiden, 20678 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Hansjörg Müller (A) manchmal zusätzlich auch noch die Bundesregierung; ge- und Bürokratieaufwand reduzieren. Damit, liebe Bundes- (C) gebenenfalls ist auch noch die Zustimmung anderer eu- regierung, lässt sich Ihr Ziel, systemrelevante deutsche ropäischer Staaten einzuholen. Die Koalition ist sich die- Unternehmen vor ausländischer Übernahme zu schützen, ses Tohuwabohus, denke ich, schon bewusst. Sie viel effizienter erreichen als mit Ihrem Kompetenzwirr- beschreibt selbst das Minimalziel ihres Änderungsan- warrprüf- und -entscheidungsgremium. trags im Ausschuss: Zumindest die Fristen sollen für Un- ternehmen halbwegs durchschaubar gemacht werden. – Ich danke fürs Zuhören. Aber ob das einem ausländischen Unternehmer ausreicht, (Beifall bei der AfD) um planungssicher in ein deutsches Unternehmen zu in- vestieren? Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zweitens sehen wir die Gefahr der außenpolitischen Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Nächster Redner Einflussnahme. Siehe Nord Stream 2 – da haben wir es ist der Kollege Markus Töns, SPD-Fraktion. doch –: Einflussnahme außenpolitischer Natur auf das Außenwirtschaftsgesetz. Es ist realistisch, anzunehmen, (Beifall bei der SPD) dass deutsche Ministerien unter erheblichen Druck aus den USA geraten könnten. Dann hätten wir kein neutrales Markus Töns (SPD): Außenwirtschaftsgesetz zum Schutze systemrelevanter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- deutscher Unternehmen mehr, sondern ein Sondergesetz leginnen und Kollegen! Im Zusammenhang mit den Än- gegen Investoren aus Russland und China. derungen im Außenwirtschaftsgesetz wird häufig be- hauptet, es gehe dabei um Abschottung, wir würden (Beifall bei der AfD) abschotten. Das ist mitnichten der Fall. Das ist ein sehr Als AfD-Bundestagsfraktion sehen wir es kritisch, transparentes, sehr vernünftiges Gesetz; das gilt auch für dass viele Ministerien immer nur kontrollieren, anstatt die Änderungen, die heute eingebracht werden. Eines Anreize zu setzen, obwohl Anreize doch Steuerungsin- wird deutlich: Wir setzen die EU-Screening-Verordnung strumente sind, mit denen man viel mehr Wirkung erzie- um, und zwar zusammen mit unseren europäischen Part- len kann. nern, wir handeln in dieser Frage gemeinsam, wir fahren hier eine effektive Kooperation. Ich glaube, das sind die Aus diesem Grund beantragen wir als AfD-Fraktion in entscheidenden Punkte, über die man mal reden muss; unserem Entschließungsantrag, Änderungen fiskalischer neben den Änderungen, die ich gleich erläutern werde. Natur ins Außenwirtschaftsgesetz einzubauen. Die deut- schen Finanzämter verfügen über die notwendige Durch- Ich finde, dieses Gesetz ist ein starkes Signal; denn wir geben kurz vor der deutschen EU-Ratspräsidentschaft (B) setzungsfähigkeit, vor der auch ausländische Investoren (D) Ehrfurcht haben. Damit bieten unsere Finanzämter einen unseren europäischen Partnern mit diesem Gesetz Sicher- viel wirksameren Schutz für systemrelevante deutsche heit. Es ist maßvoll, es ist transparent, es ist gut. Unternehmen als dieses Kompetenzwirrwarrprüf- und (Beifall bei der SPD) -entscheidungsgremium aus folgenden Ministerien, die bei uns mitquatschen: Wirtschaft, Verteidigung, Inneres, Dass die Mitglieder der AfD-Fraktion Probleme mit Finanzen, Auswärtiges; gegebenenfalls quatscht auch einer europäischen Sichtweise haben, ist ja fast schon noch das Kanzleramt mit. Was für ein Chaos! systemimmanent. (Beifall bei der AfD) (Enrico Komning [AfD]: Ja! Weil wir national Das angestrebte Ziel können die Finanzämter viel denken! Genau so ist es!) wirksamer und einfacher erreichen, zum Beispiel durch Sie verstehen das, glaube ich, einfach nicht. Wir schützen die gezielte Verteuerung von Käufen systemrelevanter hier nicht nur den deutschen Markt, wir schützen den Unternehmen, wenn diese Unternehmen auf Kosten des europäischen Binnenmarkt. Es geht um Investitionen in deutschen Steuerzahlers hochgepäppelt und erst dadurch die Europäische Union. Es geht darum, die kritische In- wertvoll geworden sind. Ordnungspolitisch ist es sogar frastruktur gemeinsam zu schützen, nicht nur die deut- erforderlich, der Privatisierung von Gewinnen und der sche kritische Infrastruktur. Wer das nicht versteht, ver- Sozialisierung von Verlusten einen Riegel vorzuschieben, steht von Wirtschaft und globaler Wirtschaft wirklich damit die Marktwirtschaft, von der unser Minister immer überhaupt nichts, meine Damen und Herren. so gerne spricht, funktionieren kann. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD) Wir brauchen eine Debatte über technologische Sou- Ausländische Investoren können, wenn sie wollen, sehr veränität; und die führen wir an dieser Stelle. Das ist in gerne systemrelevante deutsche Unternehmen kaufen, Zeiten, in denen uns wichtige handelspolitische Partner in wenn sie bereit sind, dem deutschen Steuerzahler dieje- der Welt, die uns Stabilität gebracht haben, wie die USA, nigen Beträge zurückzuerstatten, die er vorher in diese wegbrechen, umso wichtiger, gerade auf europäischer Unternehmen in Form staatlicher Förderung investiert Ebene. Als Europäer haben wir die zu schützenden hat. Sektoren zu definieren; das tun wir gemeinsam. Ich möchte an dieser Stelle dem Bundesminister Altmaier (Beifall bei der AfD) zum Geburtstag gratulieren und ihm danken, dass er da- In diesem Sinne sind die Vorschläge in unserem Ent- rüber im Konsens mit den europäischen Partnern disku- schließungsantrag aufgebaut: Anreize setzen, dafür Prüf- tiert. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20679

Markus Töns (A) Es geht um Gesundheitsversorgung, Biotechnologie, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) künstliche Intelligenz, aber auch Robotik. Wir müssen Vielen Dank, Herr Kollege Töns. – Nächster Redner ist Außenwirtschaft in diesem Zusammenhang strategisch der Kollege Reinhard Houben, FDP-Fraktion. denken: Wir wollen als Europäer auf Augenhöhe mit den USA und mit China sein, und dieses Gesetz, mit (Beifall bei der FDP) dem die Screening-Verordnung umgesetzt wird, leistet einen Beitrag dazu, dass wir uns auf Augenhöhe begeg- Reinhard Houben (FDP): nen können. Es geht eben um den Schutz der kritischen Herr Präsident! Lieber Herr Altmaier, herzlichen Infrastruktur innerhalb der gesamten Europäischen Glückwunsch zum Geburtstag! Lassen Sie mich so an- Union. fangen: Hier schwebt ein Elefant im Raum. Das ist schon deutlich geworden; Herr Töns hat das formuliert, Herr Was haben wir an dem Gesetzentwurf verbessert? Die Müller auch. Sie haben von Investoren mit unlauteren FDP hat ja kritisiert, dass wir überhaupt etwas verbes- Absichten gesprochen. Ich würde es eine „wunderbare sern. Aber so ist das im parlamentarischen Ablauf nun Begrüßungskultur für Investoren in Deutschland“ nen- einmal, Herr Houben: Man bringt einen Gesetzentwurf nen, wenn man ihnen von vornherein unterstellt, dass ein, dann arbeitet man daran und verbessert einige Dinge; sie unlautere Absichten haben. Wir wissen genau, wo das ist ja auch richtig so. Also, was haben wir verbessert? sie Ihrer Meinung nach herkommen: nach Meinung der Wir haben klare gesetzliche Fristen festgelegt; erstmals Linken aus den USA, nach Meinung der meisten anderen überhaupt werden im Gesetz Fristen festgelegt. Wir ha- aus China. Meine Damen und Herren, so kann man Au- ben mehr Transparenz festgeschrieben. Es gibt eine Ver- ßenwirtschaftspolitik nicht organisieren. kürzung der Vorprüffristen: zwei, statt drei Monate; das (Beifall bei der FDP) ist eine deutliche Kürzung. Dadurch herrscht erstens Pla- nungssicherheit, zweitens bedeutet das eine Stärkung des Natürlich wissen wir, dass verschiedene Investoren Investitionsstandortes, und drittens haben die Arbeitneh- durchaus problematisch sind; wir brauchen das nicht merinnen und Arbeitnehmer bessere Perspektiven. Ich weiter auszuführen. Zu China haben wir gerade schon glaube, dass auch das an dieser Stelle wirklich wichtig ist. die aktuelle Debatte erlebt. Es ist aber naiv, wenn wir glauben, die Politik von Herrn Trump, von Herrn Putin (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ oder von China durch Änderungen im Außenwirtschafts- CSU]) recht beeinflussen zu können. Es ist wohl so, wenn ich einige Beiträge hier richtig verstanden habe, dass es doch – Sie können gerne applaudieren. um Abschottung geht, (B) (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Dann haben Sie (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der es falsch verstanden!) CDU/CSU) um Sicherheit, dass bestimmte Investoren nicht nach Es geht darum, dass verantwortungsvoll investiert Deutschland kommen. wird, dass wir genau schauen, wo investiert wird, und dass es keinen Ausverkauf gibt. Dieses Gesetz schafft (Falko Mohrs [SPD]: Nein! Dann haben Sie es die Voraussetzungen dafür. Deshalb ist es zwingend not- nicht richtig verstanden, tut mir leid!) wendig, dass wir es jetzt auf den Weg bringen. Das Ge- Ich sage Ihnen: Wir können unsere außenpolitischen Pro- setz ist ausgewogen. bleme nicht durch Wirtschaftspolitik lösen. Das ist haupt- sächlich Aufgabe des Außenministers und des Bundes- Ich will es noch mal zusammenfassen: Das Gesetz gibt kanzleramtes. Der deutsche Mittelstand muss nicht die uns Planungssicherheit in der Wirtschaft, weil die Rah- Konsequenzen tragen, wenn deutsche Politik in Berlin, menbedingungen jetzt festgelegt sind. Es schützt unsere Brüssel oder New York etwas nicht umsetzen kann. Gemeinschaftsgüter; das ist von enormer Bedeutung. Und es wurde eine vorausschauende Prüfung vereinbart. (Beifall bei der FDP) Es kann nicht sein, dass die deutsche Wirtschaft für das Ich will zum Abschluss darauf zurückkommen, worin Scheitern von Regierungspolitik in Verantwortung ge- wir als SPD-Fraktion die Rolle des Parlaments sehen. nommen wird. Deswegen halten wir die Verschärfungen, Etwas ist ganz wichtig: Wir wollen weiter mitgestalten. die Sie einführen, an der Stelle für nicht zielführend. Bei der Sechzehnten Verordnung zur Änderung der Au- ßenwirtschaftsverordnung, die noch kommen wird – zur (Beifall bei der FDP) Definition kritischer Technologien –, wird das Parlament Zweitens. Sie treffen auch nicht nur die, die eben ge- einbezogen. Diese Einbeziehung ist eine Stärkung unse- nannt worden sind. Kommen denn die unlauteren Absich- res parlamentarischen Handelns. Ich glaube, damit sind ten etwa auch aus Japan, Kanada, Singapur oder Austra- wir auf einem wirklich guten europäischen Weg, und den lien? sollten wir weiterverfolgen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Saudi-Ara- Herzlichen Dank und Glück auf! bien!) Drittens. Deutsche Unternehmen sind in Drittstaaten (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas viel aktiver, als wir hier offensichtlich wahrnehmen. Es G. Lämmel [CDU/CSU]) ist so, dass VW im Moment für 2 Milliarden Euro in 20680 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Reinhard Houben (A) China zwei Elektromobilitätsfirmen kaufen möchte. Wo wir menschenrechtspolitisch, die wir umweltpolitisch ha- (C) ist denn da der Aufschrei der Bundesregierung? Ist es also ben, lösen, indem wir sie belasten, bis es knarzt. so, dass deutsche Investitionen in China gut sind, aber chinesische Investitionen in Deutschland schlecht, Herr (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Altmaier? der AfD – Widerspruch bei der SPD) Das, meine Damen und Herren, wird am Ende hier vor (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das hat doch Ort zu weniger Arbeitsplätzen, zu weniger Investitionen kein Mensch gesagt! – Markus Töns [SPD]: und zu weniger Wohlstand führen. Sie haben eine Wahrnehmungsstörung!) – Doch, natürlich. Das ist die Politik, die Sie hier be- (Christian Dürr [FDP]: Sehr richtig!) treiben. Das ist genau die Politik. – Sie haben Angst da- Ich bin stolz darauf, dass zumindest die FDP das in die- vor, dass ausländische Investoren in Schlüsselindustrien sem Hause noch mal formuliert. bei uns investieren. Wenn deutsche Unternehmen das in China tun, ist es vollkommen in Ordnung. Dieser Kon- Vielen Dank. flikt ist doch da. Den haben Sie doch selbst formuliert. (Beifall bei der FDP) Das jetzt hier zu leugnen, finde ich etwas merkwürdig.

(Beifall bei der FDP – Katharina Dröge Vizepräsident Wolfgang Kubicki: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es Vielen Dank, Herr Kollege Houben. – Nächster Redner immer noch nicht verstanden!) ist der Kollege Pascal Meiser, Fraktion Die Linke. Außerdem ist es einfach falsch, dass es im Moment (Beifall bei der LINKEN) diesen großen Einkaufsschwung hier in Deutschland oder in Europa gibt. Die UNCTAD, die Konferenz der Verein- ten Nationen für Handel und Entwicklung, sagt: 40 Pro- Pascal Meiser (DIE LINKE): zent weniger Investitionen in diesem Jahr durch Corona. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahren steigt in Deutschland die Zahl der Unternehmensüber- Außerdem – zweimal gefragt, Herr Minister; sowohl nahmen durch ausländische Investoren. Schon vor der schriftlich als auch mündlich –: Ihr Haus kann bis heute Coronakrise waren nach einer Untersuchung der Hans- keinen einzigen Fall nennen, bei dem chinesische Inves- Böckler-Stiftung jährlich etwa 100 000 Arbeitsplätze in toren im Moment ein deutsches Unternehmen kaufen Deutschland allein von Übernahmen durch die Private- wollen. Equity-Fonds, landläufig auch gerne als Heuschrecken- (B) fonds bezeichnet, betroffen. Auch Übernahmepläne chi- (D) (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das ist die Wahr- nesischer Staatsfonds in strategisch sensiblen Bereichen heit!) sind zuletzt immer öfter in die Schlagzeilen geraten. Es Dazu, dass hier davon gesprochen wird, dass wir wehr- ist in der Tat zu befürchten, dass die Coronakrise diese hafter werden, muss ich sagen: Wir werden vor allen Entwicklung weiter beschleunigen wird. Zugleich wächst Dingen bürokratischer. Die Möglichkeiten, bestimmte bei immer mehr Menschen die Unsicherheit, wenn stra- Käufe zu verhindern, haben wir schon jetzt. Dafür brau- tegische Unternehmensentscheidungen plötzlich irgend- chen wir keine Verschärfung unseres Außenhandels- wo in den USA oder in China getroffen werden. Ich rechts. bleibe dabei: Diese Sorgen sollten wir alle sehr ernst nehmen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Sie loben die Verbesserung dieses Gesetzentwurfes durch die Koalitionsfraktionen. Ich möchte nur daran er- Um gar nicht erst Missverständnisse aufkommen zu innern: Die Anhörung, die wir dazu durchgeführt haben, lassen: Ja, ausländische Investitionen, die dazu beitragen, ist von der FDP-Bundestagsfraktion angeregt worden. den Wohlstand der Mehrheit der Menschen in unserem Erst danach sind die Vorschläge, zum Beispiel von Herrn Land zu mehren, sind auch uns als Linken herzlich will- Lämmel, in die Debatte eingebracht worden. Wenn Sie kommen. Aber dort, wo solche Investitionen eine Bedro- dann in Ihren Gesetzentwurf hineinschreiben, dass Sie hung für diesen Wohlstand oder gar für die öffentliche das Gesetz auf jeden Fall nach zwei Jahren evaluieren Ordnung darstellen, muss der Staat aus unserer Sicht wollen, ist das für mich auch nicht unbedingt ein Zeichen klare Kante zeigen. dafür, dass man voll hinter dem steht, was man getan hat. (Beifall bei der LINKEN) (Markus Töns [SPD]: Das ist eine komplette Viel zu lange hat die Bundesregierung geleugnet, dass Fehlinterpretation!) hier überhaupt Handlungsbedarf besteht. Aber unser be- – Herr Töns, Sie können das meinen. Ich bin der Mei- ständiges Nachhaken ist ganz offensichtlich auch an der nung: Wir sehen das hier sehr klar und richtig. Großen Koalition nicht ganz spurlos vorübergegangen. Deshalb begrüßen wir als Linke es, dass das Investitions- Wissen Sie was? Ich will jetzt mal etwas vom Konzept prüfungsrecht jetzt endlich geschärft werden soll, um der Rede abweichen. Ich spüre in diesem Hause, seitdem ausländische Beteiligungen besser kontrollieren zu kön- ich hier bin, eine Stimmung, dass man meint, die deut- nen. sche Wirtschaft könnte sämtliche Probleme in der Welt, die wir außenpolitisch, die wir verteidigungspolitisch, die (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20681

Pascal Meiser (A) Das gilt für die Erweiterung der Entscheidungsspiel- Zweitens. Etablieren Sie ein effektives Überwachungs- (C) räume für die prüfende Behörde. Das gilt für die Ein- verfahren, das sicherstellt, dass alle ausländischen Betei- führung eines neuen Straftatbestands, der bei gravieren- ligungen tatsächlich erfasst werden und sich kein Inves- den Verstößen im Rahmen der Investitionsprüfung tor seinen Meldepflichten entziehen kann. Bisher ist Ihr greifen soll. Das gilt insbesondere für die Möglichkeit, Ministerium hier – ausweislich Ihrer Antworten auf un- künftig in allen meldepflichtigen Branchen Maßnahmen sere Fragen – doch eher im Blindflug unterwegs. ergreifen zu können, die verhindern, dass Investoren vor Abschluss der Prüfung unumkehrbare Fakten schaffen. Drittens. Konkretisieren Sie die Prüfkriterien dahin ge- Dass es hier bisher scheunentorgroße Schlupflöcher gibt, hend, dass eine wahrscheinliche Gefährdung der öffent- hat sich in der Vergangenheit schon des Öfteren als ver- lichen Ordnung nicht auf sicherheitspolitische Aspekte hängnisvoll erwiesen. begrenzt bleibt, sondern beziehen Sie dabei auch mög- liche Risiken für die Volkswirtschaft, für den Arbeits- Ich erinnere an die Übernahme des Glasfaserspezialis- markt und für die Umwelt ein, Herr Altmaier. ten Coriant, einer ehemaligen Siemenstochter, durch den Viertens. Stellen Sie sicher, dass bei der Prüfung von US-amerikanischen Investor Infinera Ende 2018. Erst als Beteiligungen und Übernahmen insbesondere auch die wir als Abgeordnete fraktionsübergreifend Druck ge- Auswirkungen auf die sozialökologische Transformation macht haben – neben mir sind hier der Kollege Wegner und hierfür relevante Wertschöpfungsketten berücksich- von der CDU und der Kollege Schulz von der SPD zu tigt werden – so wie es übrigens auch der Deutsche Ge- nennen –, leitete das Wirtschaftsministerium überhaupt werkschaftsbund in seiner Stellungnahme fordert. erst eine Prüfung ein. Doch bevor diese abgeschlossen war, hatte der neue Eigentümer innerhalb kürzester Zeit Fünftens. Sorgen Sie dafür, dass die Instrumente der generalstabsmäßig 1 600 zum Teil sensible Patente abge- Investitionskontrolle auch genutzt werden können, um griffen, den Berliner Produktionsstandort dichtgemacht Unternehmen und deren Beschäftigte vor den schon er- und die Fertigung an einen Vertragspartner nach Thailand wähnten Heuschreckenfonds zu schützen. Wenn Be- ausgelagert. Hätte die Bundesregierung bereits damals schäftigte und ihre Betriebsräte die begründete Befürch- die bekannten Schlupflöcher bei den Investitionsprüfun- tung haben, dass ein ausländischer Investor ihren Betrieb gen geschlossen gehabt, wäre das sicherheitsrelevante einzig für kurzfristige Gewinne ausplündern und danach Know-how vermutlich im Lande geblieben und rund wieder entsorgen will, dann muss auch eine solche Inves- 400 Arbeitsplätze in Berlin und Hunderte weitere in tition künftig geprüft, notfalls untersagt oder zumindest München gerettet worden. mit Auflagen zur Standort- oder Beschäftigungssiche- rung versehen werden. So sinnvoll die jetzt vorliegenden Änderungen auch (B) sein mögen, sie stellen bestenfalls einen kleinen Schritt (Beifall bei der LINKEN) (D) in die richtige Richtung dar. Entscheidend wird sein, Und schließlich: Machen Sie von den verschärften welche Branchen künftig tatsächlich in welcher Form Kontrollmöglichkeiten auch tatsächlich Gebrauch; denn anhand welcher Kriterien geprüft werden. Diese weit- die besten Regelungen helfen nichts, wenn der entspre- reichenden Fragen – Herr Altmaier hat es erwähnt – wer- chende politische Wille fehlt. Und der war, bei allem den nicht mit dem vorliegenden Gesetzentwurf durch den Respekt, im Bundeswirtschaftsministerium bisher beilei- Deutschen Bundestag entschieden, sondern erst im Nach- be nicht zu erkennen. gang der Verabschiedung des Gesetzentwurfes im Rah- men der Überarbeitung der Außenwirtschaftsverordnung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Herr Altmaier, deshalb sage ich: Wenn Sie es tatsäch- (Beifall bei der LINKEN) lich ernst meinen mit dem Schutz von inländischen Un- ternehmen, technologischem Know-how und hiesigen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Arbeitsplätzen, dann müssen Sie im nächsten Schritt da- Vielen Dank, Herr Kollege Meiser. für sorgen, dass der Anwendungsbereich für Investitions- prüfungen in der Außenwirtschaftsverordnung deutlich Ich unterbreche kurz die Aussprache und komme zu- weiter und flexibler gefasst wird, als dies bisher der Fall rück auf die Wahlen zu den Tagesordnungspunkten 11 ist. und 12 a bis 12 e. Ich möchte darauf hinweisen, dass die ersten beiden Stunden von vier Stunden, die wir für (Beifall bei der LINKEN) diese Wahlen vorgesehen haben, vorüber sind. Die Kol- Dazu möchte ich Ihnen für meine Fraktion Die Linke – leginnen und Kollegen, die bisher noch nicht gewählt natürlich verbunden mit den besten Wünschen zum Ge- haben, sollten nun doch den Weg zu den Wahlkabinen burtstag – einige freundliche Hinweise mit auf den Weg und zu den Urnen antreten. Dies gilt – nach dem Hinweis geben. von Bundestagspräsident Dr. Schäuble – insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen mit den Anfangsbuchsta- Erstens. Führen Sie eine allgemeine branchenübergrei- ben L bis Z, aber auch alle übrigen Kolleginnen und Kol- fende Meldepflicht ein, und begrenzen Sie diese nicht legen können, wie gesagt, ihre Wahlzettel und Stimm- wieder auf einige wenige Branchen, auch damit für In- karten noch abgeben. Wir haben jetzt noch zwei vestoren aus Drittstaaten keine Unsicherheiten entstehen, Stunden Zeit. Ich bin verpflichtet, das mitzuteilen, damit ob sie im Zweifel nun unter die Meldepflichten fallen die Kolleginnen und Kollegen, die bisher noch keine oder nicht. Diese Rechtssicherheit muss doch auch in Kenntnis davon hatten, ihrer Verpflichtung nachkommen Ihrem Interesse als Wirtschaftsminister liegen. können. 20682 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Damit komme ich zurück zur Aussprache und erteile (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (C) als nächster Rednerin der Kollegin Katharina Dröge, SES 90/DIE GRÜNEN) Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. dass der Staat hinschaut, welche Investitionen in Schlüs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seltechnologien getätigt werden, in Technologien, die für Unternehmen in Europa relevant sein können, die für die nachgelagerten Lieferkettenstufen relevant sein können, Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dass es hier weiterhin Investoren gibt, die dafür sorgen, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dass Vorprodukte zur Verfügung stehen. Das ist ein Inte- Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Altmaier, auch ich resse, das auch die Wirtschaft hat. Deshalb ist es richtig, gratuliere Ihnen ganz herzlich zum Geburtstag. Vielleicht dass der Staat hinschaut und prüft. passt es ja so ein bisschen zu diesem Tag, dass wir, was nicht oft der Fall ist, heute Ihrem Gesetzentwurf zustim- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men werden. sowie des Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE]) Gerade in einer Zeit, in der die USA und China die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Handelspolitik und auch die Außenwirtschaftspolitik zu- SES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der nehmend zum Spielball von Machtinteressen machen, FDP: Oh!) müssen wir als Europäische Union die Möglichkeit ha- – Genau, fast ein Geschenk. – Wir haben schon lange von ben, darauf zu reagieren. In dieser Krise zeigt sich ja Ihnen gefordert, dass das Außenwirtschaftsrecht refor- gerade das unwürdige Spiel von Donald Trump, der ver- miert wird, und so ist es richtig, dass wir heute endlich sucht, sich exklusiven Zugang zur Impfstoffproduktion diesen Gesetzentwurf beschließen werden. Gerade in der zu sichern. Das ist das beste Beispiel dafür, dass die EU Zeit der Krise ist es so wichtig und zeigt sich, dass es für reagieren muss. den Staat die Möglichkeit geben muss, strategische Über- nahmen aus dem Ausland zu prüfen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) In Richtung von Herrn Houben: Das heißt mit Sicher- Das, was Trump macht, ist dumm, ist egoistisch, ist un- heit nicht, dass jetzt flächendeckend ausländische Direkt- solidarisch. Gerade in den Zeiten einer globalen Pande- investitionen verboten werden sollen. Das, was hier vor- mie wäre es so wichtig, auf Kooperation und Fairness zu geschlagen wird, ist die Einführung eines erweiterten setzen. Gerade für die ärmsten Länder der Welt wäre das Prüfmechanismus, der durch die Außenwirtschaftsver- wichtig und die richtige Antwort. ordnung und das Außenwirtschaftsgesetz geregelt wer- (B) den muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber die Realität ist so nicht. Ich habe so ein bisschen sowie bei Abgeordneten der SPD) das Gefühl, Herr Houben, dass Sie sich krampfhaft wün- schen, die Welt wäre eine andere. Ich teile Ihren Wunsch; Die Anhörung, die Sie selber im Wirtschaftsausschuss auch ich würde mir wünschen, dass die USA einen Präsi- beantragt haben, hat doch ganz klar gezeigt – mehrere denten hätten, der auf Kooperation und Fairness setzt. wissenschaftliche Experten haben uns das bestätigt –, Aber wir sind hier nicht gewählt, um uns etwas zu wün- dass es keinen empirischen Zusammenhang zwischen schen, sondern wir sind gewählt, um die Realität anzuer- der Schärfe des Außenwirtschaftsrechtes und dem Aus- kennen und auf die Realität Antworten zu finden. Das ist maß von ausländischen Direktinvestitionen in einem unser Job hier als Abgeordnete des Deutschen Bundes- Land gibt. Die USA wurden von Herrn Herrmann als tages. perfektes Gegenbeispiel dafür genannt, dass ein Land ein attraktiver Investitionsstandort sein und trotzdem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ein scharfes Recht ausländische Direktinvestitionen be- Deswegen ist es wichtig, dass die EU jetzt Instrumente treffend haben kann. hat, um strategische Investitionen zu prüfen, dass die Bundesregierung jetzt das Instrument hat, zu schauen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN was der Investor mit dieser Investition will, und diese sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Investition dann im Zweifel zu verbieten. Wenn Sie sich Ich finde, Sie müssen anerkennen, dass es für die Sor- anschauen, wie oft das Bundeswirtschaftsministerium in gen, die Sie hier formuliert haben, keine empirische der Vergangenheit dieses Instrument genutzt hat, so muss Grundlage gibt. Deswegen verstehe ich auch nicht, wa- man feststellen, dass das fast nie der Fall war. Deswegen rum Sie hier jetzt nochmals diesen Popanz quasi aufge- die Frage: Wovor haben Sie Angst, Herr Houben? macht haben, Herr Altmaier, ich finde es richtig, wenn man sagt: Wir (Reinhard Houben [FDP]: Das tun Sie doch können bei diesem Außenwirtschaftsrecht nicht stehen dauernd, Frau Dröge!) bleiben. Wir müssen das auf europäischer Ebene weiter- denken; wir müssen das größer denken. – Ich finde es dass es irgendwie darum ginge, außenpolitische und an- sehr gut, dass Margrethe Vestager jetzt mit ihrem dere Interessen mit der Wirtschaft zu vermischen, oder Weißbuch auch eine Reihe von Vorschlägen gemacht dass die Wirtschaftspolitik irgendwie eine Antwort da- hat, wie das Ganze aussehen könne – bei dem Thema rauf geben müsse, die sie nicht geben kann. Es geht im Subventionskontrolle, bei Mechanismen im Bereich Gegenteil um inhärente wirtschaftspolitische Interessen, Marktbeobachtung, bei der Anzeigepflicht, bei den Ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20683

Katharina Dröge (A) gabeverfahren, wodurch man in der Lage sein muss, auf Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): (C) unfairen Wettbewerb aus dem Ausland reagieren zu kön- Das Pult wird ja nun hundertmal am Tag gereinigt. Ich nen. Das ist deutlich besser als das, was Sie in der Ver- habe eigentlich Zutrauen zu Frau Dröge, dass sie hier am gangenheit vorgeschlagen haben, Herr Altmaier. Der Pult praktisch nichts hinterlässt. Deshalb war ich etwas Traum von der Megafusion wird im Zweifel in einem schneller. unfairen Wettbewerb nicht helfen. Die Vorschläge, die die EU-Kommission jetzt gemacht hat, gehen in die rich- Lieber Peter Altmaier, herzlichen Glückwunsch natür- tige Richtung. Ich würde mir wünschen, dass Sie die lich auch von mir zu deinem Geburtstag. Allerdings kann deutsche Ratspräsidentschaft dazu nutzen, Frau Vestager ich dir so ein schönes Geschenk wie das von Frau Dröge, in dieser Frage zu unterstützen. dass die Grünen einem Gesetzentwurf der Koalition zu- stimmen, leider nicht überbringen. Ich kann dir nur dazu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gratulieren, dass wir heute die Änderung des Außenwirt- schaftsgesetzes verabschieden können. Wir trinken natür- Wir Grüne haben gesagt: Wir müssen das Thema größ- lich gerne ein Glas mit dir im Anschluss. er denken. Wir sehen in verschiedenen Bereichen, dass Meine Damen und Herren, die gegenwärtige Krise unfairer Wettbewerb zum Problem wird. Wir müssen uns zeigt ja eigentlich zwei Dinge ganz scharf: das Antidumpingrecht angucken. Wir müssen uns die Safeguards angucken, die beispielsweise gerade für die Zum Ersten. Deutschland ist Exportweltmeister, und Stahlindustrie so relevant und so wichtig sind. Da ver- die deutsche Wirtschaft kann ohne Export nicht erfolg- lange ich von Ihnen, dass Sie sich energisch in Brüssel reich sein. Das heißt für uns, dass wir offene Märkte dafür einsetzen, dass die Safeguards so angepasst wer- brauchen. Wir brauchen globale Lieferketten, und wir den, dass der europäische Markt nicht überflutet wird, brauchen keinen Protektionismus. Das ist die eine Seite. dass die Stahlindustrie hier die Möglichkeit hat, ihre Pro- duktion weiterhin umzustellen auf eine klimaneutrale (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Produktion. Dafür muss sie aber hier tätig sein können, Reinhard Houben [FDP]) wofür wir effektiv wirkende Handelsschutzinstrumente Meine Damen und Herren, die zweite Seite zeigt, dass brauchen. Da sind Sie ein Stück weit auch gefordert, sich in der Welt natürlich auch Verteilungskämpfe um neue in Brüssel dafür einzusetzen. Technologien, um Wissen, um Patente und um Ähnliches stattfinden. Das beides unter einen Hut zu bringen, ist die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eigentliche Kunst; das soll mit der Änderung des Außen- wirtschaftsgesetzes zumindest versucht werden. „Unfairer Wettbewerb“ heißt auch: unfairer Wettbe- (B) werb bei Umweltfragen. Deswegen ist es auch so wichtig, Es gibt zwei besondere Teile in dem Gesetzentwurf: (D) dass die Europäische Kommission im Rahmen des Green Deal über Klimazölle nachdenkt und versucht, zu adres- Das eine ist die Umsetzung der EU-Screening-Verord- sieren, dass, wenn in anderen Ländern der Welt Umwelt- nung. Ich glaube, es ist eigentlich ganz klar, dass wir das dumping betrieben wird, das auch berücksichtigt werden mit der Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes ma- kann. Das ist – wiederum in Richtung der FDP – keine chen; denn damit herrschen europaweit gleiche Bedin- Frage von Protektionismus, sondern es geht darum, glei- gungen. Ich verlasse mich nicht ganz so hundertprozentig che Wettbewerbsbedingungen herzustellen, ein faires auf die Europäische Kommission wie Frau Dröge. Die Spielfeld für alle zu schaffen. Solange die Realität so Bezeichnung „mögliche Beeinträchtigungen der öffent- ist, wie sie ist, müssen wir solche Instrumente nutzen; lichen Ordnung oder Sicherheit“ ist sehr weitläufig. Hier sonst sind die Leidtragenden nämlich am Ende die Unter- muss man wirklich mit sehr viel Gefühl rangehen. Wenn nehmen in Europa. Und das können Sie als FDP eigent- diese Dinge zu eng gesehen werden – in Brüssel weiß lich nicht wollen. man ja nie so genau, welche Geisteshaltung in den Orga- nen vorherrscht –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Markus Töns [SPD]: Doch! Man muss mit denen nur reden!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kann das auch nach hinten losgehen; wenn ich es mal so Vielen Dank, Frau Kollegin Dröge. sagen darf. Aber trotzdem setzen wir dieses europäische Recht jetzt in deutsches Recht um. Dazu gibt es eigentlich Herr Kollege, Sie sollten warten, bis ich Sie aufrufe. auch keine Diskussion. (Zuruf des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ Zum zweiten Teil, zu den Prüffristen. Ich glaube, es ist CSU]) doch ein großer Fortschritt – Herr Houben, das können Sie doch nicht anders sagen –, dass wir zum Beispiel die Ich rufe Sie jetzt auf. Nächster Redner ist der Kollege Vorprüffrist verkürzen. Die aktuellen Zahlen zeigen ja, Andreas Lümmel – der Name ist Programm –, CDU/ dass im Prinzip schon in der Vorprüffrist fast alle Prüf- CSU-Fraktion. verfahren rausfallen. Wenn das so bliebe, das heißt also, wenn die Prüffälle eben nicht in weitere Prüfungsstufen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- gehen müssen, hätten wir mit der Verkürzung der Prüf- wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ frist ja was richtig Gutes getan, weil die Prüffrist dann nur DIE GRÜNEN) noch zwei Monate umfasst. 20684 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Andreas G. Lämmel (A) Dass die Prüffristen jetzt überhaupt im Gesetz stehen, absurder Gedanke. Sie wollen ja damit suggerieren: Die (C) war für uns ein sehr wichtiges Anliegen; denn wenn man Firmen kassieren in Deutschland Fördermittel, und dann die Prüffristen wieder ändern will, bedarf es eines Gesetz- werden Sie praktisch ins Ausland verkauft. gebungsverfahrens, das heißt also einer neuen Diskussion hier im Deutschen Bundestag. Verordnungen sind Regie- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: rungshandeln, und wir haben uns in verschiedenen Be- reichen schon über manche Verordnung der Regierung Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwi- geärgert, die unseren politischen Willen eigentlich kon- schenfrage aus der AfD-Fraktion. terkariert. Insofern ist das ein großer Fortschritt, Herr Houben; deswegen kann ich das auch nicht so ganz nach- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): vollziehen. Na ja, wenn Sie die Uhr anhalten, bitte. Sie haben noch etwas angesprochen, und zwar das Thema Evaluierung. Ja, ich finde es super, dass das im Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Gesetzentwurf behandelt wird. Natürlich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Hansjörg Müller (AfD): Das ist überhaupt nicht Ausdruck von Misstrauen gegen- Danke, Herr Kollege Lämmel. Danke, Herr Präsident. – über der Regierung oder gegenüber dem Regierungshan- Das ist ein Missverständnis. Ich sagte nicht, dass die deln. Wir müssen doch in einer bestimmten Frist ganz Finanzämter prüfen sollen – sie sollen keine Firmenüber- einfach mal überprüfen, ob das Gesetz praktikabel ist, nahmen prüfen; das können sie gar nicht –, sondern ich ob wir vielleicht noch mal Änderungen vornehmen müs- sagte: Um diesen ganzen Prüfwust, der sehr aufwendig sen. ist – bis zu fünf Ministerien und die Bundesregierung sind beteiligt, und dazu kommen noch Eingaben der EU-Staa- (Marianne Schieder [SPD]: Das ist bei jedem ten –, grundsätzlich zu verringern, soll eigentlich gar Gesetz so!) nicht an sich geprüft werden, wie es im Gesetzentwurf Das ist der Sinn einer Evaluierungsfrist, und eine solche steht, sondern man soll, wenn ein Investor ein Unterneh- Frist finde ich toll. Ich würde mir wünschen, dass jedes men kauft, einfach nur gucken, wie viele Subventionen Gesetz ein Evaluierungsdatum bekommt. Dann würden oder staatliche Beihilfen, die über die Jahre aufgelaufen wir über manche Dinge hier ganz anders diskutieren. Ich sind, schon in diesem Unternehmen stecken. Und die denke, diese Form der Gesetzgebung hat eine höhere muss ein ausländischer Investor dann der deutschen All- (B) Qualität, als dies bei manch anderem Gesetz der Fall ist. gemeinheit und der deutschen Wirtschaft zurückerstatten. (D) Also, das ist ein völlig anderer Mechanismus, eine Alter- Ein weiterer Punkt ist auch sehr wichtig. Oftmals ist es native zu dieser aufwendigen Prüfung. Das wollte ich nur ja so: Man reicht seine Unterlagen bei der Behörde ein. sagen, und ich wollte fragen, wie Sie das sehen. Dann sagt die Behörde: Die Unterlagen sind nicht voll- ständig. Reichen Sie weitere Unterlagen ein. – Dann wer- den weitere Unterlagen eingereicht. Dann geht das Prüf- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): verfahren von vorne los. Dann sagt die Behörde wieder: Danke für die Aufklärung. Ihre Idee wird durch das, Es fehlen weiterhin die und die Unterlagen. – Und dann was Sie erklärt haben, aber nicht besser. startet das Ganze vielleicht zum dritten Mal. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Das ist jetzt anders. Das Verfahren wird nicht dadurch CDU/CSU, der SPD und der FDP) neu begonnen, dass zusätzliche Unterlagen nachgereicht werden müssen, sondern es wird lediglich angehalten. Sie kennen doch die Umwegrentabilität von Förder- Das ist gerade für Investoren aus meiner Sicht ein ganz mitteln. Dazu gibt es ja viele Gutachten, zum Beispiel wichtiger Punkt, weil damit auch der Behördenwillkür, zu GA-Mitteln, zu Mitteln der regionalen Wirtschaftsför- dass man ständig neue Unterlagen nachfordert, um sozu- derung oder zu Investitionszulagen. Sie wissen ganz sagen den Prüfungszeitraum unendlich zu verlängern, ein genau, dass jeder Euro, der an Fördermitteln in ein Unter- Riegel vorgeschoben wird. Ich halte das für eine sehr gute nehmen fließt – das ist je nach Branche sehr unterschied- Regelung. lich –, zwischen 5 und 10 Euro Steuermittel generiert. Also, die Denke, dass, wenn eine Firmenübernahme er- Jetzt komme ich zur AfD. Herr Müller, nehmen Sie es folgen soll, man prüfen muss, wie viel da vielleicht vor mir nicht übel: Das war ja ein ziemlicher Ritt à la Eulen- zehn Jahren an Fördermitteln reingeflossen ist, ist doch spiegel, den Sie hier vollzogen haben. Überlegen Sie sich absurd. das mal selber: Das Finanzamt soll eine Firmenübernah- me prüfen. (Beifall des Abg. Falko Mohrs [SPD]) (Hansjörg Müller [AfD]: Nicht prüfen!) Das hat auch überhaupt nichts mit dem Schutz deutscher Das Finanzamt kann sich die Zahlen angucken und viel- Interessen bei geplanten Firmenübernahmen zu tun. leicht noch sehen, ob das Unternehmen Steuern gezahlt (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE hat oder nicht. Aber bei der Investitionsprüfung, auf die GRÜNEN]: Ja! Sehr gut!) das Außenwirtschaftsgesetz abzielt, geht es doch um ganz andere Dinge. Insofern ist das für mich ein völlig Also, ich finde diese Idee absurd. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20685

Andreas G. Lämmel (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der dass es wahrscheinlich nicht nur daran liegt, dass sie (C) SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- selbstbewusst sind, sondern auch daran, dass sie aus der NISSES 90/DIE GRÜNEN) SARS-Epidemie 2002/2003 eine ganze Menge gelernt haben, nämlich wie man langfristige Modernisierungsst- Diesen Entschließungsantrag sollten Sie in den Schredder rategien entwickelt. werfen, sodass ihn niemand mehr in die Hände kriegt. Vielleicht verlieren Sie Ihre Wirtschaftskompetenz damit Sowohl die SARS-Epidemie als auch die Coronapan- nicht ganz. demie jetzt hatten – das nehmen wir jedenfalls an – ihren Ursprung in China; da haben Sie recht. Die eben erwähn- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der ten Staaten haben zwar langjährige Verbindungen zu Chi- SPD) na, vor allem aber betreiben sie regen Handel und Aus- Und – das muss ich Ihnen auch noch sagen –: Sie tausch mit anderen asiatischen Staaten, also auch fordern einen notwendigen Patriotismus hinsichtlich untereinander und eben auch jenseits von China. Genau, „ First“. Wir wollen mit dem Gesetzentwurf das ist ein Vice-versa-Prozess. Teil dieser Modernisie- nicht „Germany First“ erreichen. Wir wollen uns nämlich rungsstrategie war es eben auch, diesen strategisch zu nicht auf die Spur von Trump begeben, sondern wir wol- schützen, und zwar staatlicherseits. Ja, das gehört eben len ein Außenwirtschaftsrecht, das deutsche Interessen auch zu dieser Strategie. Diese Form des Staatskapitalis- schützt, aber den Markt nicht abgeschottet. Das ist der mus ist in Asien mittlerweile recht verbreitet. Und ich Unterschied zwischen „Germany First“ und dem, was gehe davon aus, dass auch die letzten Marktliberalen – wir heute verabschieden wollen. Insofern ist das, was ich weiß nicht, wo Sie sich verorten – verstanden haben Sie in Ihren Entschließungsantrag geschrieben haben, müssten, dass der Markt eben doch nicht alles regelt, der überflüssig. Staat aber sehr wohl die Chance dazu hat. Und diese Chance nutzen wir eben heute, liebe Kolleginnen und Ich kann nur um Zustimmung werben. Die Grünen Kollegen. haben ja schon zugesagt. Herr Houben, ich denke, die FDP kann eigentlich auch mitmachen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Reinhard Houben [FDP]: Sicher nicht!) Wir wollen uns vor allem schützen. Niemand mag Heuschrecken. Fragen Sie mal die afrikanische Bevölke- Das wäre ja ein gutes Geschenk, wenn wir den Gesetz- rung, über die Heuschrecken regelmäßig herfallen. Wir entwurf heute am Geburtstag von Peter Altmaier auch mit wollen vor allen Dingen unsere kritischen Infrastrukturen den Stimmen der FDP verabschieden. schützen. Niemand soll unser Know-how abfischen kön- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nen. Niemand darf ungefragt geistiges Eigentum stehlen. (B) Das gilt – da haben wir eine Schnittmenge; dessen bin ich (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mir sicher, Herr Houben – insbesondere für unsere inno- neten der SPD – Reinhard Houben [FDP]: Bei vativen Unternehmen. aller Sympathie, Herr Lämmel, sicher nicht!) Ja, einige Kritiker meinen, wir hätten Angst vor China. China hat ja weiß Gott schon andere Staaten in der Hand Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: mit seiner Diplomatie der Schuldenfallen. Aber wir ha- Vielen Dank, Kollege Lämmel. – Die Kollegin ben weder Angst, noch fürchten wir uns. Wir sichern Dr. Daniela De Ridder von der SPD-Fraktion nähert sich allerdings unsere souveräne Handlungsfähigkeit, und dem Pult. Sie haben das Wort, Frau De Ridder. das ganz besonders in der Außenhandelspolitik. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Daniela De Ridder (SPD): Ja, wir schützen unsere Interessen, und ich finde, das ist Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nicht verboten. Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Wenn wir heute über die (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das hat keiner ge- Reform des Außenwirtschaftsgesetzes, also des AWG, sagt!) sprechen, dann hat das viele, aber vor allem besonders gute Gründe; der Kollege Markus Töns hat ja schon da- Offensichtlich gibt es ja genug Leute, die aus dem Blick rauf hingewiesen. Als Außenpolitikerin will ich dabei, verloren haben, was unsere Interessen in einer Welt, die Herr Houben, gerne den Blick nach Asien richten, aber vielleicht immer verrückter wird und aus den Fugen zu keinesfalls nur nach China. Ich habe ja mal ein paar geraten droht, sind. Semester Pädagogik studiert: Ich begleite Sie einfach. Ich gebe Sie nicht auf, Herr Houben. Ich versuche es noch (Reinhard Houben [FDP]: Sie argumentieren mal. doch, als ob es das erste Gesetz wäre!) Außerdem – das ist hier auch schon von vielen Vor- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der rednerinnen und Vorrednern ausgeführt worden – denken SPD) wir auch europäisch. Das tut der europäischen Kohäsion Wenn wir uns also anschauen, weshalb einige asiati- auch gut. Es ist wichtig, dass wir unsere Handlungsfähig- sche Länder, darunter Südkorea, Taiwan, aber auch Sin- keit auch da noch mal deutlich stärken. Ich habe beim gapur und Japan, sehr viel besser aus der Coronakrise letzten Mal schon gesagt: Das ist ein europäisches Stär- kommen als viele andere Staaten, dann stellen wir fest, kungsgesetz, das all das aufnimmt. 20686 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Daniela De Ridder (A) Der Blick nach Asien zeigt, dass wir gut daran tun, gen. Wir in Deutschland stehen für einen internationalen (C) lieber selbst zu investieren und zu zeigen, dass wir Ar- Innovationswettstreit zwischen den Firmen und dem beitsplätze, kritische Infrastrukturen und Unternehmen Weltmarkt, nicht aber für eine Politik nach dem Motto schützen, darunter auch ganz besonders den Mittelstand, „Wer hat den pralleren Geldbeutel?“. Herr Houben. Völlig d’accord; das ist der richtige Weg. Die Anhörung hat gezeigt: Es geht gerade in Corona- Auch wir in Deutschland und in Europa sollten uns – zeiten auch um Staaten wie die USA, die versuchen, jetzt vielleicht forciert durch Corona – strategische Part- Unternehmen mit Impfstoff-Know-how aufzukaufen. nerschaften im asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum su- Danke auch an dieser Stelle an Bundeswirtschaftsminis- chen – auch jenseits von China. Ich hätte ja verstanden, ter Altmaier für das 300-Millionen-Euro-Engagement der Herr Houben, wenn Sie uns da blinde Flecken vorgewor- KfW beim Biotechunternehmen CureVac vor wenigen fen hätten, wenn Sie sagen würden: Vietnam, die Philip- Tagen. pinen, Indien, Indonesien müssten wir mehr in den Blick nehmen. Mit dem Außenwirtschaftsgesetz wird das deutsche Investitionsprüfungsrecht an die am 11. April 2019 in Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Kraft getretene EU-Screening-Verordnung angepasst. Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. Deutschland, Italien und Frankreich waren schon im Feb- ruar 2017 an die EU-Kommission herangetreten. Ziel war immer, die Eingriffsbefugnisse der Mitgliedstaaten im Dr. Daniela De Ridder (SPD): Kontext unionsfremder Beteiligungen an sicherheitsrele- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. vanten Schlüsseltechnologieunternehmen zu stärken. In- Sie können heute zustimmen. Dann bereiten Sie nicht teressant ist eine Regelung auf EU-Ebene auch deshalb, nur Herrn Wirtschaftsminister Altmaier ein schönes Ge- weil damit Umgehungen durch Schachtelinvestitionen schenk, sondern – und das ist fast wichtiger – Sie gehen über EU-Mitgliedsländer verhindert werden. mit uns auch den richtigen Schritt in die richtige Rich- tung. Das wird vielleicht ein kleiner Parforceritt, aber es Über die EU-Vorgaben hinausgehend wird der Vollzug ist der beste Angang. aller meldepflichtigen Erwerbe während einer laufenden Investitionsprüfung künftig schwebend unwirksam sein. Vielen Dank. – Herzlichen Glückwunsch, Herr Minis- Zuwiderhandlungen gegen spezifische Unterlassungs- ter! pflichten werden zudem als Straftat bei Vorsatz bzw. als Ordnungswidrigkeit bei Fahrlässigkeit eingestuft. Aller- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dings: Die über das EU-Recht hinausgehenden Regelun- (B) der CDU/CSU) gen sind kritisch zu betrachten und bedürfen einer inhalt- (D) lichen Kompensation. Wir haben daher als Koalition – Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ich danke dem Koalitionspartner SPD für die gute Zu- Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kol- sammenarbeit – entscheidende Änderungen am Regie- lege Bernhard Loos. rungsentwurf vorgenommen: (Beifall bei der CDU/CSU) Erstens. Erstmals haben wir klare Rahmenbedingun- gen zu den Fristen für die Wirtschaft im Gesetz, und zwar Bernhard Loos (CDU/CSU): im neuen § 14a. Die neue schwebende Unwirksamkeit Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und durfte nicht zu unkalkulierbaren Verzögerungen führen. Kollegen! Die Große Koalition hat die Belange der deut- Wir haben daher eine klare Definition der Prüffristen nun schen Wirtschaft in der Außenwirtschaft besonders gut nicht in der Außenwirtschaftsverordnung, sondern im und sicher im Blick, gerade in der Coronakrise, aber auch Außenwirtschaftsgesetz. Damit hat unsere Wirtschaft danach. Das hat sich ja bereits in der 15. Novelle der nun Planungssicherheit. Außenwirtschaftsverordnung, die sich vor allem mit ak- tuellen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Co- Zweitens: die Möglichkeit, kurze Fristen zu verwirk- ronakrise beschäftigt, niedergeschlagen. Für dieses kon- lichen. Im zähen Ringen mit den Ressorts haben wir sequente und zielgerichtete Handeln für die Absicherung folgende neue Regelungen erreicht: zwei Monate Auf- der medizinischen Erfordernisse in der Zukunft danke ich greiffrist, vier Monate Prüffrist, drei weitere Monate ausdrücklich der Bundesregierung und unserem Bundes- Prüffrist bei schwierigen Fällen und bei Verteidigungs- wirtschaftsminister Peter Altmaier, dem ich natürlich fragen zusätzlich ein Monat. auch von dieser Stelle nochmals alles Gute zum Geburts- tag wünsche. Drittens. Eine Evaluierung nach zwei Jahren ist in dem neuen § 31 in Artikel 1 des Gesetzentwurfs verankert. Die Bundesregierung hat hier prompt reagiert und ge- Wir werden in zwei Jahren prüfen, welcher Spielraum handelt. Die Attraktivität Deutschlands für ausländisches bei den Fristen nach unten möglich sein wird; denn auch Kapital hängt nicht in erster Linie von einem nationalen nach meinem Geschmack sind die Fristen noch ein biss- Außenwirtschaftsgesetz ab, sondern bemisst sich an den chen lang. herausragenden innovativen Hightechfirmen und den gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in un- Viertens. Wir haben eine Stärkung des Parlaments er- serem Land. Unser Können weckt aber natürlich auch reicht, da die Fristenregelung im Gesetz stehen wird und Begehrlichkeiten, wo eigene Innovationen nicht gelin- eben nicht in der Verordnung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20687

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Kollege Loos, Herr Kollege Houben hätte eine Zwi- Vielen Dank, Kollege Loos. – Der letzte Redner zu schenfrage. diesem Tagesordnungspunkt ist für die SPD-Fraktion der Kollege Falko Mohrs. Bernhard Loos (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD) Ja, bitte, wenn die Uhr stehen bleibt. Falko Mohrs (SPD): Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Absolut. ren! Eines vorweg: Auch ich schließe mich den Glück- wünschen an Minister Altmaier an. Wir haben eben schon gefrotzelt: Bei so vielen Geschenken der Grünen und der Bernhard Loos (CDU/CSU): Linken, die sie machen, indem sie heute dem Gesetz zu- Super. stimmen, wäre nachher vielleicht eine Saalrunde ange- bracht. – Herr Altmaier, denken Sie darüber nach. Reinhard Houben (FDP): Herzlichen Dank, Herr Kollege Loos. – Sie haben sich (Beifall und Heiterkeit bei der LINKEN und eben bei Peter Altmaier dafür bedankt, dass er CureVac beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei gekauft hat. Welche Kenntnis haben Sie denn, wer letzt- Abgeordneten der SPD – Dr. Franziska endlich diesen Kauf initiiert und wer ihn formal abge- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr schlossen hat? Altmaier hat nicht zugehört!) – Er hat nicht zugehört. Okay. Aber wir wiederholen das Bernhard Loos (CDU/CSU): nachher. Ich denke, da kommt es nicht auf die Details an, wer Bevor wir starten, vielleicht eine kurze Replik auf Sie, das initiiert hat, sondern es kommt darauf an, dass man Herr Müller von der AfD: von der Regierungsseite da gehandelt hat, wo man han- deln muss. Erstens. Bevor Sie Kolleginnen und Kollegen der Grü- nen hier auffordern, einer, wie ich finde, furchtbaren Re- (Beifall bei der CDU/CSU) de zuzuhören, wecken Sie doch einfach beim nächsten Lassen Sie mich aber noch ankündigen: Wir sehen Mal Ihren Fraktionsvorsitzenden in der ersten Reihe, der hinter der Zeitung schläft. Ich glaube, das wäre effek- (B) intensiven Vorabdiskussionsbedarf, und zwar dazu, wel- (D) che Fallgruppen in der geplanten Sechzehnten Verord- tiver. nung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des neu geregelt werden sollten. Es kann aus meiner Sicht BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht sein, dass immer mehr Fallgruppen wie künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter und Quantentechnologie Zweitens. Wenn Sie sich darüber beschweren, dass die unter diese Prüfungen fallen sollen. Insbesondere ist es Zusammenarbeit von mehr als zwei oder drei Ministerien dabei auch notwendig, klarere Unterscheidungen zu tref- zu komplex und zu kompliziert ist, dann sagt das offen- fen. sichtlich ganz schön viel über Sie und über Ihren Weitblick aus. Ich glaube, in solch komplizierten Fragen Deutsche Unternehmen können mit dieser Novelle ist es richtig und wichtig, dass mehrere Ministerien ihre zum Außenwirtschaftsgesetz effektiver vor Krisenprofi- Expertise zu der Frage zusammenbringen, um eine Ent- teuren geschützt werden. Aber wir sollten auch sehr auf- scheidung zu treffen. Ich glaube, das zeigt, wie verant- passen, dass wir nicht permanent verschärfen. Wir wollen wortungsvoll wir genau mit dieser Frage hier umgehen, keine Politik der Angst vor ausländischen Investitionen und das ist auch gut so. in Deutschland. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn es geht, meine Damen und Herren, um den Schutz und um die Aufrechterhaltung von Fähigkeiten, Denn – im Gegenteil –: Auch wir benötigen ausländi- von Fertigkeiten, um unsere eigene Souveränität hier in sches Kapital in Deutschland. Wir wollen aber auch kei- Deutschland, in Europa, wenn wir über kritische Fähig- nen Ausverkauf deutscher Firmen durch ausländische keiten von Unternehmen, beispielsweise in der IT-Sicher- Unternehmen zulassen, weder in der aktuellen Corona- heitsbranche oder auch in anderen Bereichen wie der krise noch in einer möglichen Kapitalschwächephase da- Rüstung, sprechen. Um genau solche Fälle geht es hier, nach. wenn Investoren aus Nicht-EU-Staaten genau in diese Unternehmen investieren, um Know-how, um Wissen, Beide Aspekte bringt diese Novelle in eine gute und um Fähigkeiten aus Deutschland, aus Europa auszuleiten. verantwortungsvolle Balance in einem europäischen Das ist eben auch eine Frage von nationaler Sicherheit Rahmen. und Ordnung. Dieses überarbeitete Außenwirtschaftsge- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. setz hilft uns dabei, genau hier unsere Interessen noch besser, noch effektiver zu schützen, und das, meine Da- (Beifall bei der CDU/CSU) men und Herren, ist gut. 20688 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Falko Mohrs (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die (C) der CDU/CSU) dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen Es ist mehrfach angesprochen worden: Es sind zum wollen, um das Handzeichen. – Das sind CDU/CSU, einen die Ziele, die wir als Deutschland, also national, SPD, Grüne und Linke. Wer stimmt dagegen? – FDP haben. Es sind aber auch Ziele, die wir bereits vor Jahren und AfD. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist in der Diskussion mit der Europäischen Kommission damit in zweiter Beratung angenommen. erarbeitet haben, wobei wir jetzt auch mit dieser Außen- Dritte Beratung wirtschaftsverordnung das umsetzen, was die EU-Scree- ning-Verordnung uns aufträgt. Wir machen hier also bei- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem des: Wir setzen die richtigen Schwerpunkte, die für uns Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – wichtig sind, und wir setzen um, was auf europäischer Das sind wieder CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, Ebene durch die Verordnung von uns gefordert wird. SPD und Linke. Wer stimmt dagegen? – FDP und AfD. Klar ist doch auch Folgendes – Herr Houben, da sind Enthaltungen? – Eine Enthaltung des fraktionslosen Kol- wir uns doch, glaube ich, völlig einig –: Wir leben in einer legen Mieruch. Der Gesetzentwurf ist damit angenom- vernetzten Welt, und insbesondere Deutschland mit sei- men. ner Ausrichtung auf Export lebt doch davon, dass wir Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- offene Märkte haben. Deswegen ist es völlig unseriös, ßungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache hier das Schreckgespenst von Protektionismus aufziehen 19/20167. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – zu lassen. Nein, darum geht es nicht, Herr Houben. Wenn Die AfD. Wer stimmt dagegen? – Alle übrigen Fraktio- Sie das Gesetz lesen, dann müsste Ihnen das eigentlich nen des Hauses. Enthaltungen? – Eine Enthaltung, wie- klar sein. derum des Kollegen Mieruch. Der Entschließungsantrag Es geht darum – das sage ich hier noch mal in aller ist abgelehnt. Deutlichkeit –, dass wir in den Fällen, in denen wirklich Know-how aus kritischen Unternehmen durch Investitio- Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- nen in das Nicht-EU-Ausland abfließen würde, sagen: schusses für Wirtschaft und Energie zu dem von der Nein, hier legen wir Beschränkungen ein; hier verhindern Bundesregierung eingebrachten gleichlautenden Gesetz- wir. – Herr Houben, ich glaube, es ist nun wirklich auch entwurf. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie emp- im Interesse einer funktionierenden weltweiten Wirt- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf schaft, dass sie bei aller Offenheit eben auch Schranken Drucksache 19/20144, den Gesetzentwurf der Bundesre- und Regeln hat. Ich glaube, es ist gut, dass wir diese gierung auf Drucksachen 19/18895 und 19/19375 für (B) Schranken hiermit verbessern. erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp- (D) fehlung? – Das sind alle Fraktionen des Hauses mit Aus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nahme der AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegen- der CDU/CSU) stimmen. Enthaltungen? – Die AfD enthält sich. Die Nicht zuletzt: Die letzten Monate rund um Corona Beschlussempfehlung des Ausschusses ist damit ange- haben uns gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir auch eige- nommen. ne Fähigkeiten und Fertigkeiten haben und bei der Her- Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussemp- stellung von Centartikeln nicht daran scheitern, dass wir fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie fort, die entsprechenden Fähigkeiten und Produktionsstätten Drucksache 19/20144. nicht haben. Also, meine Damen und Herren, noch mal: Es geht Dort empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner darum, kritisches Wissen, kritische Fähigkeiten mit un- Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der serer Souveränität hier in Deutschland und Europa zu Fraktion der FDP auf Drucksache 19/18673. Der Titel behalten. Das verbessern wir mit dieser Gesetzesnovelle. dieses Antrags lautet: „Selbstbewusstsein statt Abschot- Ich freue mich, dass so viele zustimmen. Die anderen tung – Für ein liberales Außenwirtschaftsrecht trotz Co- denken hoffentlich noch darüber nach. rona-Pandemie“. Wer stimmt für die Beschlussempfeh- lung des Ausschusses? – Das sind alle Fraktionen mit In diesem Sinne: Vielen Dank und Glück auf! Ausnahme der FDP. Gegenprobe! – FDP. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist an- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genommen. der CDU/CSU) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Be- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/18703 mit dem Titel „Schlüsseltechnologien und europäische Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- Souveränität im Zuge der COVID-19-Pandemie schüt- tionen CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Aus- zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und anderer schusses? – Das sind wieder CDU/CSU, SPD, AfD und Gesetze. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie emp- FDP. Gegenprobe! – Die Grünen. Enthaltungen? – Die fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Drucksache 19/20144, den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/18700 in der Ich rufe die Zusatzpunkte 7 bis 9 auf: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20689

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene gigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bun- (C) Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Monika Lazar, despolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksachen 19/7930, 19/20129 NIS 90/DIE GRÜNEN Für die Aussprache ist eine Dauer von 60 Minuten be- Verfassungsfeindliche Tendenzen in der Poli- schlossen. zei erkennen und entschlossen angehen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für Bünd- Drucksache 19/20063 nis 90/Grüne die Kollegin Dr. Irene Mihalic. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ZP 8 a) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- Frau Kollegin, eine Sekunde noch! geordneten Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiteren Abge- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ GRÜNEN]: Ja, ein bisschen unruhig hier!) DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Können die Kolleginnen und Kollegen den Raum bitte Gesetzes über die unabhängige Polizeibe- zügig verlassen oder sich hinsetzen? – Prima. – Bitte auftragte oder den unabhängigen Polizei- schön, Sie haben das Wort. beauftragten des Bundes (Bundespolizei- beauftragtengesetz – BPolBeauftrG) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 19/7928 Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- schusses für Inneres und Heimat (4. Aus- be Kollegen! Die Tötung von George Floyd hat nicht nur schuss) in den USA, sondern weltweit eine Rassismusdebatte ausgelöst, und es ist richtig. Rassismus geht uns alle an. Drucksache 19/20136 Auch wir in Deutschland müssen diese Debatte konse- quent führen. Um es mit den Worten der Bundeskanzlerin b) Beratung der Beschlussempfehlung und des zu sagen: „… jetzt kehren wir mal vor der eigenen Haus- Berichts des Ausschusses für Inneres und tür“. Heimat (4. Ausschuss) Selbstverständlich ist die Situation der deutschen Poli- – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra zei nicht vergleichbar mit amerikanischen Verhältnissen; (B) Pau, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, (D) das will ich auch noch mal in aller Deutlichkeit sagen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unabhängige Polizeibeschwerdestelle und bei der FDP sowie des Abg. Uli Grötsch auf Bundesebene einrichten [SPD]) Aber auch wir müssen uns noch intensiver mit den The- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irene men Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen, Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise und dazu brauchen wir vor allem eine gute Fehlerkultur. Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aufklärung polizeilichen Fehlverhal- Es wäre schon mal ein echter Fortschritt, wenn wir tens erleichtern – Ergänzung zum Ent- jetzt nicht wieder in die üblichen Reflexe verfallen wür- wurf eines Gesetzes über die unabhän- den. Während die einen jeden Vorschlag mit „General- gige Polizeibeauftragte oder den verdacht“ niederschreien, rufen die anderen „Verharmlo- unabhängigen Polizeibeauftragten des sung“ zurück. Das kann so nicht weitergehen. Bundes (Bundespolizeibeauftragtenge- setz – BPolBeauftrG) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksachen 19/7119, 19/7929, 19/20136 Das gilt auch für die SPD-Vorsitzende, die, ohne es genau zu wissen, von einem „latenten Rassismus“ bei ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der Polizei gesprochen hat. Inzwischen hat sie das ja richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- relativiert. Das nenne ich mal echte Fehlerkultur. Aber nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu auch von den Kolleginnen und Kollegen von der Union dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, würde ich mir wünschen, dass sie damit aufhören, jede Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weite- Diskussion zum Thema mit dem pauschalen Vorwurf der rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Polizeifeindlichkeit abzuwürgen, nur um keine Argu- DIE GRÜNEN mente in der Sache liefern zu müssen. Änderung der Geschäftsordnung des Deut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen Bundestages Was ich an Ihren Vorwürfen, ehrlich gesagt, sowieso hier: Umsetzung des Gesetzes über die unab- nicht ganz verstehe: Ein Polizeibeauftragter beim Deut- hängige Polizeibeauftragte oder den unabhän- schen Bundestag ist für Sie „Generalverdacht“, aber den 20690 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Irene Mihalic (A) Verfassungsschutz mit all seinen Möglichkeiten auf die gibt es auch in der Polizei Fehlverhalten. Es gibt Dis- (C) Polizei loszulassen, um rechten Umtrieben nachzugehen, kriminierung, und es gibt Rassismus. Deshalb müssen finden Sie offenbar okay. Das verstehe ich nicht so ganz, wir gemeinsam an Lösungen arbeiten; aber vielleicht erklären Sie es mir noch mal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei der Aufarbeitung der Vorfälle im KSK, die uns alle in der Öffentlichkeit auch breit beschäftigt haben, sind denn die Polizei ist ja nicht irgendwer. Sie übt das Ge- Sie froh, dass Sie nicht nur auf den MAD angewiesen waltmonopol im Innern aus, sie hat besondere Zugänge, sind, sondern zusätzlich noch die Wehrbeauftragte haben, zu Datenbanken, zu Waffen, sie darf in Grundrechte ein- und da höre ich auch nichts von „Generalverdacht“. greifen. Wie dem auch sei: Pauschale gegenseitige Vorwürfe Die meisten gehen sehr verantwortungsvoll mit diesen bringen uns bei diesem Thema keinen Millimeter weiter. Befugnissen um, aber jeder, der das nicht tut, ist einer zu viel. Ob all diese Fälle, die immer wieder an die Ober- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fläche gespült werden, bedauerliche Einzelfälle oder sowie des Abg. Uli Grötsch [SPD]) Ausdruck eines strukturellen Problems sind, wissen we- Glauben Sie mir: Es tut nicht weh, sich in der Debatte der Sie noch Sie noch ich. Wir beantragen daher heute, mal ein bisschen zu bewegen, wenn die Richtung stimmt. dass Bund und Länder eine Studie zu verfassungsfeind- Die Richtung hat der erste NSU-Untersuchungsausschuss lichen Einstellungen bei Polizeibeamten in Auftrag ge- in seinen Empfehlungen bereits vorgegeben. Ich zitiere ben, damit die Spekulationen endlich ein Ende haben und aus dem Abschlussbericht: wir eine empirische Faktengrundlage bekommen. Notwendig ist eine neue Arbeitskultur, die aner- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kennt, dass z. B. selbstkritisches Denken kein Zei- Es gibt jetzt etwas Verwirrung darüber, ob die Bundes- chen von Schwäche ist, sondern dass nur derjenige regierung eine eigene Studie plant. In der Presse lassen bessere Arbeitsergebnisse erbringt, der aus Fehlern sich Sprecher von Justiz- und Innenministerium dazu zi- lernt und lernen will. Zentral ist dabei die Diskurs- tieren. sagte gestern im Ausschuss, er und Kritikfähigkeit, d. h., es muss eine „Fehlerkul- wisse davon nichts. Wie auch immer: Solche Studien tur“ in den Dienststellen entwickelt werden. müssen unabhängig und nach streng wissenschaftlichen Maßstäben durchgeführt werden, und ich finde, dass wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dazu eine Expertenanhörung im Innenausschuss machen Wir als grüne Fraktion haben uns diese gemeinsame sollten. Empfehlung zum Auftrag gemacht und bereits in der (B) letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zum Poli- Unser Gesetzentwurf zum Polizeibeauftragten wird (D) zeibeauftragten vorgelegt. Wir wollten ausdrücklich kei- heute final abgestimmt. Es geht um einen Beitrag dazu, ne sogenannte Beschwerdestelle, weil uns das zu einsei- den Umgang mit Fehlern bei der Polizei zu professiona- tig war. lisieren – im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, aber gerade auch im Interesse der vielen Polizistinnen und Wir haben uns für das Konzept „Polizeibeauftragter“ Polizisten, die jeden Tag vorbildlich und mit vollem Ein- entschieden, weil sich an ihn sowohl Bürgerinnen und satz für den Rechtsstaat ihren Dienst versehen. Bürger als auch Polizistinnen und Polizisten wenden kön- nen. Das stärkt gegenseitiges Vertrauen. Das zeigen auch Ganz herzlichen Dank. die vielen guten Beispiele – übrigens auch in CDU-mit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) regierten Ländern –, wie die Polizeibeauftragte in Schles- wig-Holstein. Deshalb soll der Polizeibeauftragte nach unserem Konzept auch unabhängig sein und organisato- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: risch nicht an die Polizei oder ans Innenministerium an- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat gebunden sein, sondern wie die Wehrbeauftragte als das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hilfsorgan beim Deutschen Bundestag. Dr. Mathias Middelberg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben übrigens nie gesagt: Dieses Modell oder gar Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): keines! – Wir haben uns immer offen für Vorschläge ge- Herzlichen Dank, Herr Präsident, und ich sage auch zeigt, und zwar von Anfang an – in der Anhörung, im einen ausdrücklichen Dank an die Kollegin Frau Mihalic. Ausschuss und auch in vielen Gesprächen, die ich mit Ich fand ihren Beitrag hier in Ton und Art und auch der Kolleginnen und Kollegen hier im Haus geführt habe. Sache durchaus angemessen, wenngleich wir trotzdem in Leider haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sache unterschiedlicher Auffassung bleiben. Das will der Koalition, bis heute keine Alternative zu unserem ich hier durchaus auch geraderücken. Gesetzentwurf vorgelegt und auch sonst keine eigenen Vorschläge dazu gemacht. Das halte ich schon für ziem- Wir besprechen nicht nur Ihren Gesetzentwurf zum lich problemvergessen. Polizeibeauftragten, sondern auch Ihren Antrag mit dem Titel „Verfassungsfeindliche Tendenzen in der Polizei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erkennen und entschlossen angehen“. Wenn ich diesen Wenn die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, Antrag lese, dann lese ich aus ihm schon sehr viel Miss- wie Sie es ja auch selber immer wieder gerne sagen, dann trauen gegenüber der Polizei heraus. Wenn man diesen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20691

Dr. Mathias Middelberg (A) Antrag liest, bekommt man den Eindruck: Die, die unsere Aber richtig ist, was der niedersächsische Innenminis- (C) Verfassung schützen, sind jetzt eigentlich das Problem. – ter Boris Pistorius, SPD, festgestellt hat: Wenn man wie Deswegen ist es mir schon wichtig, zu sagen: Wir teilen Frau Esken eine Feststellung über den latenten Rassismus dieses Misstrauen ausdrücklich nicht – in unserer Polizei unmittelbar in Zusammenhang mit den schrecklichen Ereignissen, nach dem unglaublichen Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) halten der amerikanischen Polizei in Minneapolis trifft, das sage ich ganz klar –, sondern wir haben ein Grund- dann erweckt man den Eindruck, als könne man das eine vertrauen in die Polizeibeamten und -beamtinnen in die- wirklich mit dem anderen vergleichen. Die amerikani- sem Land. sche Situation aber ist eine völlig andere. – Den Ausfüh- rungen schließe ich mich ausdrücklich an. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege, Frau Mihalic würde gerne eine Zwi- Dennoch, Frau Mihalic – da haben Sie recht –, muss schenfrage stellen. unrechtmäßiges Verhalten in der Polizei, auch Extremis- mus, verfolgt und rücksichtslos aufgeklärt werden; das ist Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): vollkommen klar. Aber Sie suggerieren auch in Ihrem Bitte. Antrag, dass es da, ich sage mal, zwei Probleme gäbe: einmal eine Vielzahl von Fällen und zum anderen Mal Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): keine angemessenen Möglichkeiten der Befassung damit. Vielen Dank, Herr Kollege Middelberg, dass Sie die Ich sehe beides nicht; das sage ich Ihnen klar. Frage zulassen. – Sie haben jetzt gerade davon gespro- chen, dass aus unserem Antrag viel Misstrauen herauszu- In der Bundespolizei gibt es 49 000 Beschäftigte. In lesen ist, was die Untersuchung verfassungsfeindlicher acht Jahren hatten wir 25 Verdachtsfälle von Rassismus. Tendenzen innerhalb der Polizei betrifft. Deswegen Das betrifft 0,05 Prozent aller Beschäftigten in der Bun- möchte ich Sie fragen, ob Sie die Forderung des Bundes despolizei, gesehen über acht Jahre. Deutscher Kriminalbeamter kennen, dass die Innenminis- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- terkonferenz in dieser Woche den Beschluss fassen soll, NEN]: Das ist aber doch jetzt echt niveaulos!) bundesweit verfassungsfeindliche Tendenzen innerhalb der Polizei untersuchen zu lassen. – Nein, das sind die Zahlen, über die wir verfügen. Sie haben ja Zahlen und Statistik auch angesprochen. Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Das andere ist die Frage der Instanzen. Das regeln die (B) Das ist mir, ehrlich gesagt, noch nicht bekannt gewe- Länder auf ganz unterschiedliche Art und Weise: mit (D) sen, aber ich sage Ihnen ganz offen: Ich empfinde schon unabhängigen Stellen, mit Beschwerdestellen, mit Stel- den Begriff „verfassungsfeindliche Tendenzen“ in die- len, die bei der Staatskanzlei aufgehängt sind, und mit sem Sinne als eine Unterstellung. anderen Instrumenten. Diese Stellen gibt es, und zwar für externe Hinweise genauso wie für interne Hinweise. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt Instrumente der Innenrevision. Es gibt im Übri- Sie sprechen von Tendenzen insgesamt, und diese Ten- gen auch für jedermann in Deutschland die Möglichkeit, denzen – das sage ich Ihnen ganz offen – sehe ich nicht. hier den ganz normalen Rechtsweg zu beschreiten. Ich sage Ihnen ganz klar: Ich habe Vertrauen in diesen Diese „Tendenzen“ – und damit fahre ich jetzt auch Rechtsweg. Bei diesem Rechtsweg ist auch nicht die fort – hat im Grunde genommen ja auch die Vorsitzende Polizei der Herr des Verfahrens, sondern bekanntlich einer großen deutschen Volkspartei in der letzten Woche die Staatsanwaltschaft, was die gesamte Ermittlung an- angesprochen, indem sie – und das sage ich auch ganz geht. Im Übrigen entscheiden dann unabhängige Gerich- deutlich – der Polizei gegenüber den Generalverdacht te. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe in diese Unab- eines „latenten Rassismus“ ausgesprochen hat. Das hat hängigkeit der Gerichte in Deutschland immer noch sehr Frau Esken getan, und ich kann auch nicht erkennen, dass hohes Vertrauen. sie sich von dieser Aussage in irgendeiner Weise distan- ziert hätte. Deswegen, glaube ich, müssen wir das wirk- (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich geraderücken. NEN]: Wir auch!) Unsere Polizei hat kein Rassismusproblem, und es gibt Das dürfen auch alle anderen Bürger in diesem Land auch keinen latenten und strukturellen Rassismus in der haben, wenn Maßnahmen der Polizei überprüft werden. Polizei. Ich glaube, das muss man so klar und deutlich festhalten. (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das hat doch nichts mit unserem Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) setzentwurf zu tun!) Die Polizei steht in der Mitte der Gesellschaft; das Ich glaube, wir sollten jetzt konkret an die Arbeit ge- haben Sie auch zu Recht betont, Frau Mihalic. Deswegen hen. Wir haben den Kabinettsausschuss zur Bekämpfung gibt es auch Extremisten und nach meiner Überzeugung des Rechtsextremismus und Rassismus eingesetzt. Das sicher auch Rassisten in der Polizei, und es gibt auch wäre der Ort, das Thema „Rassismus in deutschen Be- Leute, die dort Unrecht tun. Diese Dinge müssen wir hörden, auch in den Sicherheitsbehörden“ aufzugreifen. konsequent aufklären und auch klar ahnden. Da sind Die Themenfelder Menschenrechte, Grundrechte und wir uns, glaube ich, einig. Diskriminierungsverbot werden in der Polizeiarbeit stetig 20692 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Mathias Middelberg (A) aufgegriffen: in der Polizeiausbildung, im Polizeitrai- (Beifall bei der AfD) (C) ning, bei zusätzlichen Seminaren. Dort werden auch Dis- Also hören Sie endlich auf, das Gegenteil zu behaupten! kriminierungslagen durchgegangen, und die Polizeibe- Was Sie betreiben, ist keine berechtigte Kritik an staat- amten werden dafür sensibilisiert. lichen Institutionen, sondern eine Verächtlichmachung Was mir ein sehr wichtiges Thema ist: die Diversität unserer Polizei und Justiz. Schon deshalb dürfen Ihre An- beim Personal, in unseren Bundesbehörden und auch in träge auf gar keinen Fall unterstützt werden. der Polizei. Es ist Teil des Nationalen Aktionsplans In- (Beifall bei der AfD) tegration dieser Bundesregierung. Gerade auf diesem Feld sollten wir engagiert fortfahren. Wer glaubt, Polizei und Justiz diffamieren zu können, dem muss konsequent und mit allem Nachdruck Einhalt (Beifall bei der CDU/CSU) geboten werden. Zuletzt will ich Ihnen sagen: Ihr Fokus lag jetzt sehr Aber, sehr geehrte Damen und Herren von den Grünen, stark bei der Polizei und unrechtmäßigem Verhalten der Ihnen geht es doch gar nicht um die Bekämpfung realer Polizei. Wir sollten aber auch der Fairness halber mal Missstände oder die Behebung derselben. Worum es betonen: Das Lagebild des Bundeskriminalamts für das Ihnen geht, das ist doch, den generellen Rassismusver- letzte Jahr sagt uns: Es gab 38 000 Gewalttaten gegen dacht gegen die Männer und Frauen auszusprechen, die Polizeivollzugsbeamte. 38 000! Es gab 1 276 Fälle von die Sicherheit unserer Bürger tagtäglich gewährleisten. gefährlicher und schwerer Körperverletzung gegen Poli- Die Annahme Ihrer Anträge würde doch im Ergebnis da- zeivollzugsbeamte. Es gab 41 Fälle, in denen sogar ver- zu führen, dass Clankriminelle, Straftäter mit Migrations- sucht wurde, Polizeibeamte zu töten oder zu ermorden. hintergrund und gewalttätige Linksextremisten in noch Das ist die andere Seite der Medaille. weit stärkerem Maße als bisher unsere Polizisten mit Rassismusvorwürfen eindecken würden, um so das Ein- Deswegen sage ich zum Abschluss: Die Polizeibeam- schreiten und die Strafverfolgung zu behindern. Dieser ten und -beamtinnen halten für uns, für uns alle hier in Sabotage der Funktionsfähigkeit unseres Staates werden Deutschland den Kopf hin. Sie gewährleisten unsere Si- wir uns entschlossen entgegenstellen. cherheit. Ohne diese Sicherheit könnten wir die Freihei- ten – ich meine Redefreiheit, Sie Ihre Redefreiheit heute, (Beifall bei der AfD) wir unsere Meinungsfreiheit, unsere Demonstrationsfrei- heit – in diesem Land gar nicht ausüben. Dafür sage ich Die linken Parteien wollen im Bund das fortsetzen, an dieser Stelle zuvorderst unseren Polizeibeamten und was ihre Parteifreunde im Berliner Senat begonnen ha- -beamtinnen einen herzlichen Dank. ben. In Berlin müssen Polizeibeamte jetzt selbst nach- (B) weisen, ihnen vorgeworfene Diskriminierungen nicht be- (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gangen zu haben. Die verheerenden Folgen dieser ordneten der FDP) Beweislastumkehr zeichnen sich schon jetzt ab: Bayern und Baden-Württemberg wollen die Unterstützungsein- sätze für Berlin einstellen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der nächste Redner: für die Fraktion der AfD der Kol- lege Martin Hess. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Beifall bei der AfD) Martin Hess (AfD): Martin Hess (AfD): Jetzt nicht. – Die Gewerkschaft der Polizei, die den Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Berliner Regierungsparteien politisch ja eigentlich nahes- und Kollegen! Lassen Sie mich angesichts der derzeit teht, fordert in Nordrhein-Westfalen, keine Polizisten stattfindenden Rassismuskampagne gegen unsere Polizei mehr nach Berlin zu schicken. Sogar Innenminister mit einer klaren Feststellung beginnen: Es gibt kein struk- Seehofer hat angekündigt, Bundespolizeieinsätze in Ber- turelles Rassismusproblem bei der Polizei. lin zu stoppen, um eine Welle ungerechtfertigter Klagen zu vermeiden. Diese Beweislastumkehr, um es klar und (Beifall bei der AfD) deutlich zu sagen, ist für unseren Rechtsstaat und für die Unsere Polizeibeamten leisten trotz widriger Rahmen- Polizei eine unerträgliche Zumutung und muss so schnell bedingungen herausragende Arbeit. Die Grundlage ihres wie möglich wieder abgeschafft werden. Einschreitens ist nicht die Hautfarbe oder Ethnie eines (Beifall bei der AfD) Menschen, sondern dessen Verhalten. Das zeigt sich auch in der Statistik. Bei 1,9 Millionen Polizeieinsätzen im SPD, Grüne und Linke wollen eine effektive Polizei- Jahr 2019 in Baden-Württemberg gab es nur vier – ich arbeit erschweren, damit ihre Klientel möglichst unge- wiederhole: vier – Beschwerden wegen ethnisch hindert ihre destruktiven und staatsfeindlichen Aktivitä- begründeter Diskriminierung oder Überprüfungen. Wo ten entfalten kann. es Fehlverhalten von Beamten gibt, sind die Polizei und die Gerichte in Deutschland sehr wohl in der Lage, dieses (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: So ein Unfug!) konsequent und wirksam zu ahnden. Dafür braucht es Diesem sicherheitspolitischen Wahnsinn muss sich jeder weder einen Bundespolizeibeauftragten noch eine angeb- überzeugte Demokrat entschlossen entgegenstellen; denn lich unabhängige Beschwerdestelle. wir haben kein Rassismusproblem bei der Polizei, son- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20693

Martin Hess (A) dern wir haben ein Linksextremismusproblem im Deut- nichts verloren. Aber solange Staatsfeinde im Berliner (C) schen Bundestag. Senat (Beifall bei der AfD) (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die sind hier SPD-Chefin erklärt neuerdings offen ihre im Bundestag!) Sympathie für die Antifa, für jene linksextremistische über die Arbeitsbedingungen der Polizei bestimmen und Gruppierung also, die für massive Angriffe auf unsere solange in Mecklenburg-Vorpommern mit Unterstützung Polizeibeamten verantwortlich ist. Frau Esken glaubt der Union Linksextremisten zu Verfassungsrichtern er- auch, in Deutschland latenten Rassismus in den Reihen nannt werden, so lange stinkt der Fisch vom Kopf. der Sicherheitskräfte feststellen zu können. (Beifall bei der AfD) (Zuruf von der SPD: Hetzer!) Deshalb kann ich nur an die Kollegen der Union appel- Für den schnellen politischen Nutzen schreckt sie also lieren: Hören Sie auf mit diesem Appeasement! Fakt ist nicht davor zurück, den ausgezeichneten Ruf unserer Po- und bleibt: Linke, Grüne und Rote sind und bleiben die lizei zu beschädigen. Aber das – da bin ich mir absolut politischen Feinde unserer Polizei. sicher – wird den weiteren Absturz der SPD beschleuni- gen; denn die Bürger in Deutschland werden diese an- Als Polizist und Politiker appelliere ich an die Fraktio- dauernden substanzlosen Rassismusunterstellungen nicht nen der SPD, der Grünen und der Linken: Hören Sie auf, länger tolerieren. zu zündeln und polizeifeindliche Stimmung weiter anzu- heizen! Sie gefährden damit das staatliche Gewaltmono- (Beifall bei der AfD) pol. Zeigen Sie, dass Sie Hetze gegen unsere Polizisten Die Wahrheit ist: Polizisten sind nicht Täter, sondern nicht dulden! Verurteilen Sie in aller Deutlichkeit die Opfer von Gewalt. In Deutschland ermitteln die Staats- Sprache des Hasses, mit der linke Journalisten die Gewalt anwaltschaften jährlich in circa 2 000 Fällen wegen gegen Polizeibeamte befeuern! rechtswidriger Übergriffe durch Polizeibeamte, und bei weniger als 1 Prozent kommt es zur Verurteilung. Das In der „taz“ durfte eine Autorin liegt nicht daran, dass unsere Justiz befangen wäre; das liegt daran, dass die Vorwürfe sich in fast allen Fällen als (Konstantin Kuhle [FDP]: Natürlich darf sie unbegründet herausstellen. Aber – der Kollege das!) Middelberg hat das schon erwähnt – 38 000 Polizeibeam- unseren Polizisten am 15. Juni tatsächlich eine „autoritäre te werden jährlich Opfer von Gewalttaten, Tendenz stei- Persönlichkeit“ und ein „Fascho-Mindset“ attestieren (B) gend. Bekämpfen Sie endlich effektiv die jährlich stei- und die Kollegen in menschenverachtender Weise als (D) gende Gewalt gegen Polizei und Einsatzkräfte, anstatt „Abfall“ diffamieren. sich mit den Polizeifeinden der Antifa gemeinzumachen! (Marianne Schieder [SPD]: Dass Sie das über- (Beifall bei der AfD) haupt lesen durften!) Auch CDU und CSU – das kann ich Ihnen jetzt leider Diese Sprache kennen wir sonst nur aus Bekennerschrei- nicht ersparen -lassen zu, dass der öffentliche Dienst und ben der linksextremen Antifa. Alle aufrechten und über- damit auch unsere Polizei unter Generalverdacht gestellt zeugten Demokraten müssen eine solche inakzeptable wird. Unter der Federführung des Innenministers ist beim Hetze gegen unsere Polizei klar und deutlich verurteilen. Bundesamt für Verfassungsschutz eine sogenannte Wer dies auch nur im Ansatz duldet, hat sich als ernstzu- „Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Um- nehmende politische Kraft in unserem Land disqualifi- triebe im öffentlichen Dienst“ eingerichtet worden. ziert. Schon allein über den Begriff „Umtriebe“ ließe sich jetzt trefflich diskutieren. Wer aber eine solche Stelle einrich- (Beifall bei der AfD) tet, der stellt die Möglichkeit in den Raum, dass es über den Einzelfall hinausgehenden Rassismus und Rechtsext- remismus und damit ein diesbezügliches strukturelles Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Problem im öffentlichen Dienst in Deutschland tatsäch- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. lich geben könnte. Damit beschädigen Sie die Reputation der deutschen Polizei und des gesamten öffentlichen Martin Hess (AfD): Dienstes. Ich komme zum Schluss. – Die AfD stellt sich klar und (Beifall bei der AfD]Turnusende deutlich hinter unsere Polizei. Gerade in Zeiten, in denen sie sich aus anderen Parteien und Fraktionen ungerecht- Das zeigt einmal mehr, wie grün ja mittlerweile sogar fertigter Rassimus- und Rechtsextremismusunterstellun- schon die CSU geworden ist. Deshalb: Schluss mit die- gen ausgesetzt sieht, ist es wichtig, ein klares politisches sem Pauschalverdacht gegen den öffentlichen Dienst! Signal der Rückendeckung und Unterstützung an unsere Diese Zentralstelle ist unverzüglich wieder abzuschaffen. Polizei auszusenden. Unsere Polizisten sind weder Ras- (Beifall bei der AfD) sisten noch Rechtsextremisten, und deshalb sind alle An- träge konsequent abzulehnen. Natürlich – und da besteht absolute Einigkeit – haben Rassisten und Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst (Beifall bei der AfD) 20694 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die sind bei (C) Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin der AfD auch!) Canan Bayram, Bündnis 90/Grüne. Von Ihnen haben wir uns keine Belehrungen darüber gefallen zu lassen, wer hier für die Bürger Politik macht Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und wer gegen die Bürger arbeitet. Sie und Ihre Partei Vielen Dank, Herr Präsident. – Während der Rede von arbeiten gegen die Polizei und gegen die Bürger dieses Herrn Hess habe ich mich gefragt, wie es eigentlich ge- Landes, und dagegen wehren wir uns und setzen uns mit wesen wäre, wenn in dem NSU-Untersuchungsausschuss allem, was wir haben, zur Wehr. auch die AfD hätte mitarbeiten müssen. Ich zitiere aus (Beifall bei der AfD sowie der Abg. Verena dem Ausschussbericht: Hartmann [fraktionslos] – Zuruf von der AfD, Notwendig ist eine neue Arbeitskultur, die aner- an die Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE kennt, dass z. B. selbstkritisches Denken kein Zei- GRÜNEN] gewandt: Setzen, sechs!) chen von Schwäche ist, sondern dass nur derjenige bessere Arbeitsergebnisse erbringt, der aus Fehlern Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: lernt und lernen will. Zentral ist dabei die Diskurs- So. Jetzt wollen wir wieder fortfahren in der Redner- und Kritikfähigkeit, d. h., es muss eine „Fehlerkul- reihenfolge. – Für die SPD-Fraktion hat das Wort die tur“ in den Dienststellen entwickelt werden. Kollegin Susanne Mittag. Da frage ich mich wirklich: Der NSU hat mit die (Beifall bei der SPD) schlimmste Mordserie in Deutschland begangen. Susanne Mittag (SPD): ( [AfD]: Die Mörder waren vom Verfassungsschutz instrumentalisiert!) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren und Kollegen! So. Jetzt wollen wir mal klarstel- Mehrere Ausschüsse im Deutschen Bundestag haben sich len, dass die Polizei nicht so denkt wie der Vorredner; damit beschäftigt. Was ist denn die Antwort der AfD? denn ich bin auch Polizeibeamtin. Hätten Sie den gemeinsamen Abschlussbericht so ge- schrieben, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Josef Oster (Thomas Ehrhorn [AfD]: Was hat denn das [CDU/CSU] und Konstantin Kuhle [FDP]) jetzt mit dem NSU zu tun?) Jetzt werden wir mal ganz gepflegt mit angewandtem (B) diese Feststellungen so getroffen? Oder ist es so, wie Ihre Realismus weitermachen. (D) Rede den Eindruck erweckt hat, dass Sie auf dem rechten Wir alle haben die Bilder aus den USA gesehen, und Auge blind sind und keinesfalls dazu bereit sind, Verant- wir waren entsetzt – durchgängig – über das Ausmaß und wortung zu übernehmen für die Menschen in diesem die Auswirkungen von Polizeigewalt. Und obgleich die Land? Verhältnisse in den USA sich historisch und strukturell (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutlich von den Verhältnissen in der Bundesrepublik sowie der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE unterscheiden, haben die Bilder des Todes von George LINKE]) Floyd und der Demonstrationen zu einer erneuten und auch berechtigten Diskussion hierzulande geführt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Auch wir haben ein Rassismusproblem; das ist gar kein Herr Kollege Hess, wollen Sie erwidern? – Bitte schön. Geheimnis. Auch hierzulande werden Menschen immer noch aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft und man- che auch einfach nur wegen ihres Namens schlecht be- Martin Hess (AfD): handelt. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, Selbstverständlich, Herr Präsident. – Sie tun das, was dem wir uns stellen müssen – im täglichen Leben, in Sie immer tun: Sie zünden Nebelkerzen. Ich kann Ihnen der Wirtschaft, in Verbänden und natürlich auch im öf- sagen: Ich war 27 Jahre lang Polizeibeamter. fentlichen Dienst –, und ich unterstütze die Diskussionen um Verbesserungen aus ganzem Herzen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Genau!) Die Polizei könnte in diesem Land überhaupt gar nicht (Beifall bei der SPD) die Leistungen bringen, die sie bringt, wenn das, was Sie Dass ein gesellschaftliches Problem vor der Polizei hier jetzt behauptet haben, stimmen würde. Diese Fehler- und auch vor der Justiz nicht haltmacht, ist weder neu kultur, die Ihrer Ansicht und Ihren Ausführungen nach noch unerkannt. Nicht zuletzt die Ermittlungen in den fehlt, die wird bereits gelebt in der Polizei, zumindest in Mordfällen des NSU haben uns schon vor Jahren gezeigt, der, wo ich Dienst gemacht habe. dass einseitige Denkschablonen zu erschütternd falschen Ermittlungsergebnissen führen. Daher hat sich in den ver- Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen: Sie waren gangenen Jahren schon einiges getan. diejenige, die hier im Deutschen Bundestag die Zeichen der Antifa gezeigt hat. Sie haben hier offen Solidarität mit Immer mehr Bundesländer haben Polizeibeauftragte der Antifa geübt, mit Staatsfeinden, mit vom Verfas- eingeführt, auch wenn sie nicht immer so bezeichnet wer- sungsschutz beobachteten Gruppierungen. den. Nordrhein-Westfalen, , Brandenburg, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20695

Susanne Mittag (A) Bayern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, zuletzt – erst mal die Nerven bewahren, nicht? –, der An- (C) Berlin und seit Jahren auch Niedersachsen, sie alle haben fang 2021 erscheinen wird. Polizeibeauftragte, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Sie sind unterschiedlich besetzt und strukturiert. In Bre- Ein Forschungsauftrag, wie Sie ihn fordern, würde men zum Beispiel gibt es einen Beauftragten für den ge- zunächst mal klären, in welchem Umfang verfassungs- samten öffentlichen Dienst. feindliche Tendenzen bestehen. Da würde ich allerdings auch noch ein bisschen weitergehen und den gesamten All diese geschaffenen Ämter haben zum Ziel, verläss- öffentlichen Dienst einbeziehen; da gibt es ja Vernetzun- liche Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger zu sein – gen. und dazu gehören übrigens auch Polizisten –, die sich ungerecht behandelt fühlen und auch teilweise ungerecht (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- behandelt wurden. Die Beschwerdestellen sind auch am NEN]: Das kann man gerne machen!) richtigen Ort: in den Ländern bei den Länderpolizeien Also: Nicht nur die Polizei in den Blick nehmen, wie im und beim Bund bei der Bundespolizei. Zusätzlich – das Antrag vorgeschlagen, sondern auch die Justiz, Verwal- wurde schon erwähnt – wird beim Verfassungsschutz des tung und – nicht zu unterschätzen – den Bildungsbereich. Bundes unter anderem eine Zentralstelle eingerichtet für Denn leider werden auch in diesen zentralen Bereichen Ermittlungen derartiger Fälle im öffentlichen Dienst; die immer wieder Menschen mit verfassungsfeindlicher Ge- sind ja nun von der Polizei weit genug entfernt. sinnung auffällig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: In den Bislang gibt es dazu nur begrenzt realistische Einschät- vergangenen Jahren wurden in Bund und Ländern bereits zungen. Meines Erachtens emotionalisieren die einen die Maßnahmen getroffen, und es wird auch weiter reagiert. Rassismusdebatte sehr, andere ignorieren oder instru- Das Einzige, was sich zu meiner Verblüffung nicht ver- mentalisieren sie. Eine Faktenlage würde allen Beteilig- ändert hat, ist der Gesetzentwurf, der hier von Bündnis 90/ ten in der Debatte helfen. Die Grünen vorliegt – erneut in unveränderter Fassung, wenn man von zwei Umformulierungen absieht. Aber da Was die Forschung angeht, ist es aktuell so, dass die helfen auch nicht die diversen Ergänzungsanträge, die südlichen Bundesländer und auch der Bundesinnenminis- noch dazugekommen sind. ter sie allein für die Polizei ablehnen. Es ist höchste Zeit, diesen Widerstand aufzugeben; denn das Ausmaß an Ver- Wenn man Ihre Anträge liest – und wir wollen ja auch fassungsfeindlichkeit und Rechtsextremismus im öffent- mal mit dem Antrag umgehen –, speziell den neu hinzu- lichen Dienst zu erforschen, ist ein ganz wichtiger Schritt. gekommenen Antrag „Verfassungsfeindliche Tendenzen Das Spektrum zu erweitern, hilft vielleicht dabei, dass in der Polizei erkennen und entschlossen angehen“, so (B) dieses Projekt durchgesetzt werden kann. Wenn wir mehr (D) erwecken Sie den Eindruck, dass Bund und Länder erst darüber wissen, können Bund und Länder gezielter mit auf die Thematik hingewiesen werden müssen. Ignoriert Prävention, Aus- und Fortbildung und Organisationsan- werden dabei alle bereits getätigten Maßnahmen in die- passung strukturell reagieren. Stattdessen müssen wir uns sem Bereich, wie die Überprüfung der Sinnhaftigkeit und mit wiederkehrenden Anträgen zu möglichen Fehlent- Effizienz der getätigten Maßnahmen, die Arbeit im Be- wicklungen befassen, und das ist sehr schade. reich Prävention sowie in der Aus- und Weiterbildung. (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir machen eine Anhörung im Aus- NEN]: Empirische Zahlen, die gibt es doch gar schuss!) nicht!) Das bringt mich zurück zur Forderung der Grünen. Sie So viele engagierte Menschen arbeiten bereits an den fordern einen Bundespolizeibeauftragten, der für die Verbesserungen, und das fällt dabei völlig hinten runter. Bundespolizei, das BKA und den Zoll sowie für die Po- Vielleicht sollte sich der eine oder andere Verfasser mal lizei des Deutschen Bundestages zuständig und unabhän- beispielhaft in Niedersachsen erkundigen – das hat ja gig sein soll. Das klingt gut und wäre auch eine gute neulich schon mal gut geklappt –, was in diesem Bereich Sache – abgesehen von der Praktikabilität –, wenn es schon fortlaufend gemacht wird. Dieses Thema wird si- darum ginge, eine übergeordnete Instanz zu haben, die cher auch – das ist schon erwähnt worden – in den lau- die Polizeien mit beaufsichtigt und strukturelle Defizite fenden Innenministerkonferenzen erörtert werden. oder mögliche Tendenzen in der Arbeit der Polizei erken- Aber ein Aspekt in diesem Antrag ist sehr interessant; nen kann. Aber was Sie hier fordern, ist etwas anderes. allerdings ist das zumindest teilweise schon in Arbeit. Sie Das Ziel ist eine weitere Beschwerdestelle – so steht es fordern darin im Grunde eine stärkere Hell- und Dunkel- drin – für alle Bürgerinnen und Bürger und natürlich auch feldforschung. Sie möchten über die Polizeistatistiken Beamte; alle können sich an sie wenden. Und: Der Be- hinaus mehr über das Ausmaß gruppenbezogener Men- auftragte soll parallel zu den eventuell laufenden staats- schenfeindlichkeit und rechtsextremistische Einstellun- anwaltlichen oder Disziplinarermittlungen arbeiten. Es gen erfahren. Dieser Forschungsansatz – Hell-/Dunkel- gibt also drei Ebenen. Das heißt, ein Beamter, dem ein feld – ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir auch schon Fehlverhalten vorgeworfen wird, hat sich, würde man debattiert und forciert haben im Periodischen Sicherheits- dem Antrag folgen, auf drei verschiedenen Ermittlungs- bericht ebenen mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen. Das ist nicht wirklich hilfreich. Zusätzlich zu diesen Paralleler- (Konstantin Kuhle [FDP]: Wann kommt der mittlungen soll auch noch das Beschwerdemanagement denn?) durchgeführt werden. Dann soll er auch noch beraten und 20696 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Susanne Mittag (A) begleiten, was eigentlich eine anwaltliche Aufgabe ist. Dann hätte man gesehen, dass die Ausbildung den ent- (C) Was soll ein Bundespolizeibeauftragter eigentlich noch scheidenden Unterschied zwischen der Situation in den alles machen? Vereinigten Staaten und der Situation in Deutschland aus- macht. Wir können stolz darauf sein, dass unsere Polizei (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in Deutschland so gut ausgebildet ist. NEN]: Das passiert doch: in Schleswig-Hol- stein, Rheinland-Pfalz! Die machen das genau (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der so! Da klappt das wunderbar!) SPD) Ich denke, da kommen wir dem, was wir eigentlich ge- Aber es gibt auch andere Akteure – dazu gehören die meinsam wollen, nicht wirklich näher. Kommentatoren, die jüngst in der Tageszeitung „taz“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss sich etwas Polizisten pauschal als menschlichen Abfall bezeichnet ändern in unserer Gesellschaft. Dabei wollen wir alle ge- haben –, die in dieser Debatte ausschließlich auf Provo- sellschaftlichen Gruppen mitnehmen, weil wir ihnen das kation aus sind und null dazulernen wollen. Natürlich zutrauen; das bedeutet in diesem Fall: auch mit der Poli- kann die „taz“ und können die Autoren im Rahmen ihrer zei, die unter verallgemeinernden Schuldzuweisungen Pressearbeit, im Rahmen der Pressefreiheit schreiben, ebenso leidet wie jeder andere, der pauschal zu Unrecht was sie wollen. Aber ich will schon einmal darauf hin- diskreditiert wird. Deswegen werden wir diese Anträge weisen, dass es sehr viele Polizeibeamtinnen und Polizei- ablehnen. beamte gibt, die die körperliche Unversehrtheit und die anderen Grundrechte – auch die Pressefreiheit – ausge- Herzlichen Dank. rechnet derjenigen schützen, die sich in so diffamierender und herabwürdigender Weise über die Polizei äußern. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- Der nächste Redner ist für die Fraktion der FDP der SES 90/DIE GRÜNEN) Kollege Konstantin Kuhle. Auch das leistet unsere Polizei, und auch dafür gilt ihr, (Beifall bei der FDP) gilt allen Frauen und Männern in Uniform ausdrücklich ein Dankeschön. Konstantin Kuhle (FDP): Meine Damen und Herren, die Grünen haben hier jetzt Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Tod verschiedene Initiativen vorgelegt, die sich mit der Frage (B) des US-Amerikaners George Floyd hat viele Menschen beschäftigen, wie mit rassistischen und diskriminieren- (D) auf der ganzen Welt traurig gemacht und zutiefst verstört, den Vorfällen in der Polizei im Einzelnen umgegangen und es hat an vielen Orten auf der Welt und auch in werden kann. Wir begrüßen ausdrücklich, dass diese De- Deutschland Demonstrationen gegen Rassismus gege- batte hier stattfindet. Wir müssen aber feststellen, dass in ben. Ich glaube, es ist wichtig, noch einmal zu sagen, dass den 16 Bundesländern auf Landesebene schon sehr unter- man den Menschen, die gegen Rassismus, gegen Aus- schiedliche Modelle existieren: von Vertrauensstellen grenzung, gegen Diskriminierung demonstrieren, mit So- über Beschwerdestellen bis hin zu Polizeibeauftragten, lidarität und Unterstützung begegnen sollte. die es in einigen Bundesländern auch gibt. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Timon Gremmels [SPD]) (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Zwei mit FDP-Beteiligung!) Das Ganze hat auch in Deutschland eine Debatte über die Frage von Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst. Ich Für uns werden die Ergebnisse aus diesen Ländern in dem habe ein bisschen die Sorge, dass in dieser Debatte sehr Gesetzentwurf nicht hinreichend gewürdigt. Es wird auch wenige Akteure bereit sind, überhaupt irgendetwas dazu- nicht hinreichend gewürdigt, dass es auf Bundesebene zulernen. Das geht zunächst los mit der SPD-Vorsitzen- schon eine Vertrauensstelle gibt. Deswegen werden wir den Saskia Esken, die eine pauschale, irritierende Äuße- uns enthalten, werden diese Diskussion aber weiter be- rung über die Polizei gemacht hat. Dann hat sich der gleiten, weil es natürlich auch Stellen geben muss, an die niedersächsische Innenminister gedacht: Um Gottes wil- man sich bei Fehlverhalten, das es im Einzelnen auch len! Das müssen wir irgendwie einfangen, damit nicht so gibt, wenden kann. viele SPD-Wählerinnen und SPD-Wähler in Niedersach- sen mitkriegen, was Frau Esken da eigentlich Diffamie- Ich will aber, meine Damen und Herren, noch auf einen rendes über die Polizei gesagt hat. – Daraufhin hat er sie letzten Aspekt zu sprechen kommen, der für meine Be- nach Nienburg eingeladen, dann hat sie sich das ange- griffe ein bisschen zu kurz kommt. Wir sprechen über sehen, und es wurde eine große Läuterungsgeschichte strukturellen Rassismus – um es mit Saskia Esken zu über Frau Esken erzählt. sagen: wir sprechen über „latenten Rassismus“ –; wir sprechen über Fehlverhalten; wir sprechen über den Ver- Mir wäre es lieber gewesen – ich vermute, auch vielen gleich zwischen den Vereinigten Staaten und Deutsch- Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten –, man hätte sich land. Aber wir sollten auch nicht vergessen, dass wir vorher einmal mit der Polizei unterhalten und an der ent- abseits der täglichen Polizeiarbeit konkrete rechtsextre- scheidenden Stelle miteinander einen Dialog darüber ge- mistische Umtriebe in unseren Sicherheitsbehörden ha- führt, wie die Ausbildung der Polizei in Deutschland ist. ben, wo wir dringend Aufarbeitung betreiben müssen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20697

Konstantin Kuhle (A) (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tematischen Untersuchung zu rechtswidriger Polizeige- (C) NEN]: Ja!) walt in Deutschland zu dem Ergebnis, dass auf rund 3 400 Fälle nur 7 Verurteilungen kommen. Betroffene Franco A., „Hannibal“, Nordkreuz, die jüngsten Erkennt- haben den Eindruck, dass sie sich nicht durchsetzen kön- nisse aus dem Bereich KSK, die wir gewonnen haben, die nen und dass ihre Anzeigen keinen Erfolg haben. Etwa Hilferufe, die uns als Parlamentarier und auch die Bun- 80 Prozent aller Fälle von unverhältnismäßiger oder gar desregierung erreichen: strafbarer Polizeigewalt werden daher erst gar nicht an- (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gezeigt. NEN]: Da könnte der Polizeibeauftragte hel- Es geht uns aber nicht nur um das Fehlverhalten ein- fen!) zelner Beamter, sondern – das zeigen nicht zuletzt die Da muss Aufarbeitung stattfinden. Im Beamtenrecht eklatanten Ermittlungspannen im Zusammenhang mit muss etwas geändert werden. Die Staatsanwaltschaften dem Terrornetzwerk NSU – es geht auch um ein struktu- müssen da durchgreifen. Wir müssen uns insgesamt um relles Defizit in Teilen der Ermittlungsbehörden. Deshalb diese Probleme kümmern und sollten uns bei dieser De- wollen wir mit der unabhängigen Beschwerdestelle einen batte nicht verzetteln, indem wir über das Gros der Poli- Rahmen schaffen, um solche Fälle aufzuklären und mög- zeibeamten sprechen. Auf diese einzelnen rechtsextre- lichst zu verhindern. Das sind wir den davon betroffenen mistischen Vorfälle muss der Fokus gerichtet werden, Bürgerinnen und Bürgern schuldig. und da müssen wir deutlich stärker werden. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Wir müssen es aber auch im Interesse der großen Mehr- (Beifall bei der FDP) heit der Polizistinnen und Polizistinnen tun, die redlich sind und gewissenhaft ihre Aufgaben erfüllen; denn es gibt eben leider auch gravierendes Fehlverhalten, wo- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: durch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner: für Integrität der Polizeibehörden nachhaltig erschüttert wer- die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. André Hahn. den kann. Dem müssen wir entschieden entgegentreten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen, dass sich jeder in diesem Land mit seinem Dr. André Hahn (DIE LINKE): Anliegen vertrauensvoll an die Polizei wenden kann und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem dass keiner befürchten muss, wegen seiner Herkunft oder (B) vorliegenden Antrag wollen wir, will Die Linke eine Be- seiner Hautfarbe benachteiligt zu werden. (D) schwerdestelle für die Polizeibehörden des Bundes schaf- fen, an die sich Bürgerinnen und Bürger, aber auch An- Es ist schon mehrfach gesagt worden: Zehntausende gehörige der Polizei selbst mit ihren Kritiken und Menschen in aller Welt gehen nach dem schrecklichen Hinweisen über polizeiliches Fehlverhalten wenden kön- Tod von George Floyd in den USA in diesen Tagen gegen nen. Auch die Vorlagen von Bündnis 90/Die Grünen zie- rassistische Polizeigewalt und rassistische Diskriminie- len auf die Einrichtung der Stelle eines oder einer unab- rung auf die Straßen. Wir als Linke begrüßen das aus- hängigen Polizeibeauftragten als Ansprechpartner ab. Ich drücklich; denn rassistische Ausgrenzung ist leider auch sage ganz klar: Ja, wir brauchen eine solche unabhängige für viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein Beschwerde- und Eingabestelle. ernstes Problem, mit dem sie alltäglich konfrontiert sind. Zum Glück haben wir noch keine amerikanischen Ver- (Beifall bei der LINKEN) hältnisse, sind weit davon entfernt. Aber es ist unsere Ich füge hinzu: Der Name ist für uns dabei eher zweit- gemeinsame Aufgabe, alles zu tun, damit das auch so rangig. bleibt. Ich sage auch, damit keine Missverständnisse aufkom- (Beifall bei der LINKEN) men: Auch wir sind überzeugt, dass der weit überwiegen- Gerade deshalb müssen wir auch über Rassismus und de Teil der Polizistinnen und Polizisten in unserem Land Rechtsextremismus in den deutschen Sicherheitsbehör- seine Arbeit gewissenhaft, professionell und kompetent den sprechen. Da stellen sich natürlich einige Fragen: erledigt, und dafür bedanken wir uns bei den Angehöri- Wie kann es dazu kommen, dass die Polizei bei den gen der Polizeibehörden in Bund und Ländern; denn es ist Ermittlungen in der NSU-Mordserie ihre Ermittlungs- ganz gewiss auch Ergebnis ihrer Arbeit, dass wir in die- gruppen BAO „Bosporus“ oder Soko „Halbmond“ nennt, sem Land mit einem vergleichsweise hohen Sicherheits- alle Hinweise auf einen rechtsterroristischen Hintergrund standard leben können. der Taten ignoriert und stattdessen vor allem im Umfeld der Opfer ermittelt? Wie kommt es dazu, dass die Kölner (Beifall bei der LINKEN – Thomas Ehrhorn Polizei nach sexuellen Übergriffen in der Silvester- [AfD]: Eben nicht!) nacht 2017 den Arbeitsbegriff „Nafri“ kreiert, der für Dennoch, meine Damen und Herren, müssen wir auch „nordafrikanische Straftäter“ stehen soll? Und wieso ist über die Fälle polizeilichen Fehlverhaltens sprechen. Wir in unserem Land die Wahrscheinlichkeit, mit einer dun- müssen darüber reden, weil es diese Fälle gibt und weil kleren Hautfarbe in eine Polizeikontrolle zu geraten, un- sie unzureichend aufgeklärt werden. Kriminologen der gleich größer als bei allen anderen Menschen? Das sind Ruhr-Universität Bochum kamen 2019 in der ersten sys- nur einige der Fragen, die wir unter dem Stichwort „insti- 20698 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. André Hahn (A) tutioneller Rassismus“ dringend stellen müssen. Dazu „Haltungen und Einstellungen von Beamten im öffent- (C) könnte ein Forschungsprojekt, wie es die Grünen in ih- lichen Dienst“ gerne einmal über eine solche Studie ver- rem Antrag fordern, durchaus hilfreich sein. handeln, überhaupt kein Problem – aber nicht heute. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das setzt allerdings voraus, dass ein solches Projekt NEN]: Ja, gerne! Wir machen eine Anhörung! – transparent ausgestaltet wird, von Beginn an durch eine Marianne Schieder [SPD]: Aha! – Uli Grötsch [SPD]: Falscher Zeitpunkt!) Fachöffentlichkeit begleitet und unabhängig durchge- führt werden kann, also ohne ministerielle Einflussnah- – Nicht heute. me. Jetzt komme ich zu dem viel schwerwiegenderen poli- Deshalb ist es weder in der Sache hilfreich noch ist es tischen Argument. Ich bin maßlos enttäuscht, weil ich sie im Interesse der Polizei, wenn sich Innenminister und überschätzt habe – ich spreche von den Grünen. Union – auch das ist heute schon gesagt worden – mantra- artig hinter dem Vorwurf des Generalsverdachts ver- (Marianne Schieder [SPD]: Gott sei Dank!) schanzen, statt an Konzepten mitzuwirken, wie die Rech- Es könnte heute auch eine Aktuelle Stunde stattfinden; te betroffener Bürgerinnen und Bürger besser geschützt ich mache dazu jetzt eine Aktuelle Stunde. Mitten in der werden können und zugleich die Polizeiarbeit verbessert Coronazeit haben wir ja bisher den Ärzten, den Therapeu- werden kann. ten, den Krankenpflegern, allen im weißen Bereich zu Wir brauchen diese unabhängige Beschwerdestelle, Recht tief emotional gedankt. Die Menschen haben ap- weil die bisherigen Instrumente – von der Dienstauf- plaudiert. Für die Polizei haben wir es noch nicht getan. sichtsbeschwerde bis hin zur Strafanzeige – ganz offen- Ich würde gern heute eine Aktuelle Stunde zu der Frage sichtlich unzureichend sind. Diese Beschwerdestelle machen: Müssen wir uns nicht bei deutschen Polizisten muss räumlich und institutionell getrennt von den beste- und Polizistinnen bedanken, henden Polizeidienststellen eingerichtet werden, damit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch Polizistinnen und Polizisten, die mit bestimmten Dingen in ihrem Tätigkeitsbereich nicht einverstanden dass sie in der Coronazeit ohne Abstriche unsere Sicher- sind, ebenfalls Beschwerden vorbringen können, ohne heit gewährleisten, bis hin zu kruden Demonstrationen, Konsequenzen fürchten zu müssen. wo sie sich hinstellen müssen, bis hin zu Versammlungen, bei denen offen gegen die Beschränkungen verstoßen (Beifall bei der LINKEN) wird? Sie sind da und schützen uns. (B) Letzte Bemerkung: Die Erscheinungsformen von Ras- (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sismus sind sehr vielfältig. Wir müssen dafür sensibilisieren, und wir müssen endlich dagegen aktiv Das wäre ein gutes Signal gewesen. Was haben Sie ge- werden: in der Gesellschaft, aber auch bei der Polizei. macht? Sie machen im Prinzip eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Verfassungsfeindliche Tendenzen in der Poli- (Beifall bei der LINKEN) zei erkennen und entschlossen angehen“.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ( [DIE LINKE]: Was ist da- ran falsch?) Der nächste Redner ist der Kollege Armin Schuster, CDU/CSU-Fraktion. Meine Damen und Herren, es geht hier um Spitzen- politik und um die Frage, welche Prozesse und Wirkun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen Sie auslösen. George Floyd und diese schreckliche Tat haben es nicht verdient – nicht verdient! –, dass wir Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): das hier instrumentalisieren und eine Scheindebatte füh- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir, ren, für die es in der deutschen Polizei überhaupt keine die Union – das wurde schon gesagt –, lehnen sowohl den Rechtfertigung gibt. Gesetzentwurf als auch die Anträge ab. Ich mache es zunächst fachlich, dann etwas politisch-emotional. Ich (Beifall bei der CDU/CSU – Canan Bayram kann mich da auch nicht wehren, Frau Mittag und Frau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt Dr. Mihalic. unter Ihrem Niveau!) Es ist die x-te Wiedervorlage. Seit elf Jahren spreche Sie befeuern Ihre politische Agenda durch den vermeint- ich, glaube ich, zum fünften Mal über die Einsetzung lichen Mord an einem Menschen. Und jetzt meine Damen eines Polizeibeauftragten. Nichts an Ihrer Vorlage ist bes- und Herren, halten Sie sich einmal fest: ser geworden, außer das Handeln des Bundesinnenminis- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- teriums. Wir haben bei der Bundespolizei eine unabhän- NEN]: Haben Sie die Rede von Frau Mihalic gige Beschwerdestelle. Vielleicht akzeptieren Sie einmal, überhaupt gehört? Die war so was von sachlich, dass Ihre Vorlage mit dazu beigetragen hat. Wir handeln Mensch!) und haben diesen Erfolg, wir bleiben aber gesprächsbe- reit. Herr Kuhle hat es gesagt: In den Ländern haben wir Menschen wie George Floyd würden die deutsche Polizei unterschiedlichste Modelle, über die wir uns einigen. Mit wählen, wenn sie wählen könnten, wer sie festnehmen mir könnten Sie übrigens sogar unter der Überschrift soll. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20699

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Die Demonstrationen zeigen diese Ausschreitungen (C) Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schon. NEN]: Sie hat noch keiner festgenommen!) Sie würden die deutsche Polizei wählen, weil sie wissen: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wenn eine deutsche Polizei handelt, dann gilt Demokra- Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen. tie, dann gilt Rechtsstaatlichkeit und dann gelten alle Vor- schriften. – Das würden sich die Menschen weltweit Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): wünschen. Ja. – Meine Damen und Herren, ich bin nicht Politiker, Deswegen geht es in einer Aktuellen Stunde heute der einmal Polizist war. Ich bin Polizist, der heute Politik darum, nicht Trittbrett zu fahren auf diesen furchtbaren macht. Ich war Behördenleiter. Ich habe in Untersu- Vorgängen in den USA. chungsausschüssen gesessen. (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: NEN]: Trittbrett? Der Gesetzentwurf ist über ein Jahr alt!) Herr Kollege. – Frau Dr. Mihalic, wenn sie sich irgendwann einmal Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): einen Innenministerposten in diesem Land zutrauen – Ich weiß, wie hart es ist, der deutschen Polizei bei „sie“ kleingeschrieben, es können auch andere sein –, individuellen Fehlern auch auf die Socken zu steigen. (Uli Grötsch [SPD]: Hört! Hört!) (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dann würden auch Sie erkennen, dass die Probleme von NEN]: Sie träumen von Frau Mihalic als Bun- Fehlerkultur, von individueller Fehlerbekämpfung, Ver- desinnenminister, das ist interessant!) antwortung und unnachgiebigem Handeln, auch im öf- fentlichen Dienst, jeden Tag von 17 Landes- und Bundes- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: innenministern gelöst werden. Das ist tagtägliches Lieber Herr Kollege Schuster. Geschäft. Die deutsche Polizei ist deshalb so gut, weil deutsche Innenminister für Qualität in dieser Polizei sor- Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): gen – völlig unvergleichbar mit den USA und übrigens Und das hat die Union gemacht. Aber: Man kann Ver- auch vielen anderen Ländern. trauen haben, man kann Führungskompetenz haben, was dann bedeutet, vor, hinter und neben der deutschen Poli- (B) Deswegen glaube ich, Sie haben auch noch die Chance (D) verpasst, Ihrem Justizsenator in Berlin von dieser Stelle zei zu stehen. einen sanften Hinweis zu geben, dass er in eine Sackgasse (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fährt und schon ziemlich weit hinten an der Wand ange- NEN]: Sie müssen das Ihren Kollegen erklären kommen ist. Das könnten sich Bundesgrüne durchaus mit der Redezeit!) einmal erlauben. Auch diese Chance haben Sie verpasst, Das ist das Signal, das aus dem Deutschen Bundestag (Beifall bei der CDU/CSU) genau in diesen Zeiten ins Land hinaus muss. weil Sie der Versuchung nicht widerstehen konnten, Ihr Ich bedanke mich. politisches Agenda-Setting zu machen. Machen Sie sich doch bitte nicht gemein mit Menschen, die mehr Zunei- (Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge gung zur Antifa haben als zur deutschen Polizei. Und das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ziemlich drü- finde ich schon ziemlich furchtbar. ber, in jeder Hinsicht!) (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Haben Sie etwas gegen Antifaschismus?) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: So. Jetzt ist fertig. – Der nächste Redner ist der Kollege Meine Damen und Herren, der „taz“-Artikel ist nur ein Stephan Thomae von der FDP-Fraktion. sehr abscheulicher und unrühmlicher Zwischengipfel, den Sie mit dem Verhalten auslösen, welches Sie hier (Beifall bei der FDP) an den Tag legen. Stephan Thomae (FDP): (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! NEN]: Ich schicke Ihnen mal den Leserbrief, Verehrte Kollegen! Lieber Kollege Schuster, ich glaube, den ich an die „taz“ geschickt habe!) dass ich schon im Sinne des ganzen Hauses spreche, Wägen Sie bitte ab, welche Kampagnen Sie hier zur Un- wenn ich sage, dass jede Fraktion und jeder hier würdigt zeit starten und welche Prozesse das auf der Straße aus- und anerkennt, welche Arbeit, welchen Dienst Polizistin- löst. Ernten müssen das die deutschen Polizeibeamten am nen und Polizisten in diesem Land leisten, und zwar nicht Ende. nur während der Coronapandemie bei mancher Demonst- ration; es gibt ja auch merkwürdige Demonstrationen. (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir würdigen den täglichen Einsatz aller Polizeibeamtin- NEN]: Das hat die Polizei nicht verdient, dass nen und Polizeibeamten in diesem Lande für unsere Si- Sie so reden!) cherheit, für unsere Freiheit. Wir wissen, dass sie oft ge- 20700 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Stephan Thomae (A) nug den Kopf für uns hinhalten – manchmal buchstäb- Wichtig ist doch, dass eines geschieht: dass wir nicht (C) lich –, dass sie oft genug ihre Gesundheit aufs Spiel Misstrauen befeuern und schüren, sondern dass wir Ver- setzen. Bei einer Debatte mit diesem Tenor, bei der es trauen schaffen und stärken. sicherlich auch um Beschwerden über die Polizei und um die Aufarbeitung von Fehlverhalten geht, muss das Vielen Dank. unbedingt gesagt werden, und das tun wir auch. Das tue (Beifall bei der FDP) ich auch an dieser Stelle für meine Fraktion: Wir danken allen Polizeibeamten für ihren Einsatz. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Für die SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der DIE GRÜNEN sowie des Abg. Uli Grötsch Kollege Uli Grötsch. [SPD]) (Beifall bei der SPD – Marianne Schieder Wir wissen natürlich, dass es auch Gewalt gegen die [SPD]: Das ist ein guter Mann! Auch Polizist!) Polizei gibt. Allein im Jahr 2019 gab es gegen 41 Polizei- beamtinnen und -beamte in diesem Land Tötungsversu- Uli Grötsch (SPD): che, die Gott sei Dank alle im Versuchsstadium stecken Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe geblieben sind. Gerade deswegen würdigen wir den Ein- Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die Debatte, satz dieser Menschen. Es verbietet sich daher, Analogien die in den letzten Tagen über das Thema „Rassismus“, zu ziehen zu dem, was in den USA geschehen ist. Die „latenter Rassismus“ oder womöglich „struktureller Ras- Bilder aus den USA sind natürlich auch etwas, was wir sismus“ bei der Polizei geführt wurde – ich glaube, dass heute vor Augen haben. Aber es gibt wirklich keine Ana- der Kollege Kuhle die Aussage der SPD-Vorsitzenden, logie zwischen US-amerikanischer Polizei und deutscher was „strukturell“ und „latent“ angeht, nur unabsichtlich Polizei. Das in einen Topf zu werfen, verbietet sich auf verwechselt hat –, was die Art und Weise der Debatten- jeden Fall, meine Damen und Herren. führung angeht, denen in die Hände gespielt hat, denen (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Irene wir fast alle hier im Hohen Haus eigentlich nicht in die Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hände spielen wollen. Denn auf die allerallermeisten Parteien und Fraktionen hier im Deutschen Bundestag Aber das heißt nicht, dass bei uns alles in Butter wäre. trifft doch zu, dass wir wissen, was wir an unserer Polizei Natürlich muss man auch über Fehlentwicklungen spre- haben. chen. Es gibt natürlich auch Missstände. Darüber zu re- den, ist eine Voraussetzung dafür, dass sie abgestellt wer- (Beifall bei der SPD) (B) den können. Die Art und Weise der Debattenführung der letzten (D) (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tage hat, glaube ich, mit Blick auf die Große Koalition NEN]: Ich hätte mich gefreut, Herr Schuster auch so ein bisschen den Blick dafür verschleiert, was wir hätte mal darüber geredet!) in den letzten Jahren getan haben, um die Situation der Polizei in Deutschland zu verbessern. Wir kümmern uns Deswegen muss man auch in Bezug auf deutsche Polizei- um die Belange der Beamtinnen und Beamten: vom Per- behörden über Fälle von Social Profiling, von Racial sonalaufwuchs über die Ausbildung und höhere Zulagen Profiling und über Diskriminierungstatbestände spre- bis zur Ausstattung und natürlich zu dem persönlichen chen. Manchmal gibt es nicht nur unbewusste Diskrimi- Kontakt zu den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, nierung von Beamten gegenüber Bürgern, sondern auch den doch auch die allermeisten hier im Deutschen Bun- innerhalb der Polizei. Wir müssen ein System etablieren, destag regelmäßig pflegen. um solche Dinge thematisieren und problematisieren zu können, und zwar nicht, um die Polizei anzuprangern, Ich weiß aus meiner Zeit und nach mehr als 20 Jahren sondern um sie besser zu machen. Erfahrung als Polizeibeamter – viele von Ihnen wissen das auch durch die Kontakte zu den Polizistinnen und Um solche Fehler abzustellen, ist es sicherlich wichtig Polizisten –, was die Kolleginnen und Kollegen in allen und sinnvoll, ein System hervorzubringen, das es zum Bereichen der Polizeiarbeit für die Menschen in unserem Beispiel ermöglicht, Fälle zu erkennen, bei denen Zwei- Land jeden Tag aufs Neue leisten, und das teilweise unter fel an Verfassungstreue von Beamtinnen und Beamten wirklich schwierigsten Bedingungen. bestehen. Das gibt es natürlich auch. Das zu verschwei- gen, kann doch nicht im Interesse von uns allen sein, Wahr ist aber natürlich auch, dass es wie überall in meine Damen und Herren. unserer Gesellschaft schwarze Schafe gibt. Natürlich – wie auch in allen Bereichen der Gesellschaft – zählt auch Man muss sensibilisieren. Man muss ein solches Ana- hier jeder Einzelfall. An meiner grundsätzlichen Sympa- lysesystem schaffen, um das Radar zu verbessern und die thie für einen Polizeibeauftragten auf Bundesebene hat Antennen zu schärfen. Wie man dieses Kind dann nennt – übrigens auch die gegenwärtige und, wie ich finde, letzt- das kann ein „Polizeibeauftragter“ sein; wir würden einen endlich richtige gesellschaftliche Debatte über Rassismus „Beirat Innere Führung“ vorschlagen, ähnlich wie es ihn nichts geändert, im Gegenteil. in der Bundeswehr gibt –, das ist für uns keine Glaubens- frage. Erst letzte Woche hat der Antidiskriminierungsbeauf- tragte seinen Bericht vorgelegt. Dieser Bericht belegt, (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass auch in Deutschland Bürgerinnen und Bürger auf- NEN]: Endlich mal ein Vorschlag! Sehr gut!) grund ihrer Hautfarbe und ihres Migrationshintergrundes Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20701

Uli Grötsch (A) diskriminiert werden. Und weil das so ist, darf und muss dung pro Woche und haben dort gelernt so in etwa, was (C) man in Deutschland auch die böse R-Frage stellen dürfen, der Unterschied zwischen Bundestag und Bundesrat ist. und zwar nicht nur im Zusammenhang mit der Polizei, sondern überall und in allen Lebensbereichen. Denn wa- (Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/ rum sollte es in der Gesellschaft Rassismus geben, die CSU]: Das hat doch wunderbar gefruchtet! Polizei davon aber verschont bleiben, liebe Kolleginnen Das hat viel gebracht!) und Kollegen? Die Polizei ist Teil dieser Gesellschaft, Seitdem hat sich viel verändert, und zwar sowohl in der und die Polizei ist naturgemäß auch ein Spiegel dieser Polizeiausbildung – das wurde hier heute schon gesagt –, Gesellschaft. aber natürlich auch in unserer Gesellschaft. Ich glaube, dass die Polizeiausbildung sich auch den gesellschaftli- (Beifall bei der SPD) chen Entwicklungen immer weiter und fortlaufend anpas- Wer das nicht akzeptiert, kann kein Teil der Bekämpfung sen muss. des Rassismus in Deutschland sein. Ich glaube durchaus, dass ein unabhängiger Polizei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ beauftragter ein geeignetes Instrument sein kann, um DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der auch in diesem Bereich Pflöcke einzuschlagen und Brü- LINKEN) cken zu bauen, nicht als Beschwerdestelle, sondern ge- zielt als ein Lobbyist im besten Sinne, um für die An- Ich begrüße ausdrücklich, Herr Staatssekretär Krings, liegen der Polizei zu werben. Ich sage das insbesondere dass das Bundesinnenministerium sich der Thematik des vor dem Hintergrund, dass die Gewalt gegen Einsatzkräf- Racial Profiling annimmt und eine umfassende Studie te trotz höherer Strafen, die wir eingeführt haben, weiter dazu in Auftrag geben will. steigt. Auch das hat Gründe, über die wir diskutieren (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen. NEN]: Weiß Herr Seehofer davon? Ich habe (Beifall bei der SPD) gestern im Ausschuss nachgefragt! Er weiß da- von nichts!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Linken, dieses Vorhaben steht nicht im Koalitions- Ich habe in den letzten Tagen sehr viel mit ehemaligen vertrag. Deshalb muss meine Fraktion Ihre Vorlagen ab- Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei gesprochen, lehnen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn meine Unio- und keiner von denen will einen Rassisten als Kollegen. nskolleginnen und -kollegen noch einmal intensiv über Es liegt im eigenen Interesse der Polizei, ihre schwarzen dieses Thema nachdenken würden. Ich glaube, dass ein Schafe loszuwerden. unabhängiger Polizeibeauftragter kein Teufelszeug ist. (B) (D) Aber wir wollen mehr. Denn auch wenn es jetzt auf- Das ist der Wehrbeauftragte ja auch nicht. Vielmehr ist grund der Medienaufmerksamkeit um die Polizei geht, er eine sehr bewährte Institution in diesem Land. geht es uns, der SPD, um den ganzen öffentlichen Dienst Der nächste Koalitionsvertrag kommt ganz bestimmt, an sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zum Bei- und zwar schon nach der Wahl im nächsten Jahr, und spiel um die Frage: Darf ein Rechtsextremist als Lehrer dann, so die Wählerinnen und Wähler es wollen, kommt im Staatsdienst bleiben? Ist eine Mitgliedschaft in der das Thema des unabhängigen Polizeibeauftragten wieder AfD, zum Beispiel in Brandenburg, wo der gesamte Lan- auf den Tisch – versprochen! desverband jetzt Beobachtungsobjekt des Landesverfas- sungsschutzes ist, vereinbar mit dem Beamtenstatus eines Vielen Dank. Polizeibeamten, eines Lehrers oder von jemand anderem (Beifall bei der SPD) im öffentlichen Dienst? Ich meine, nein, und diese De- batte müssen wir führen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Kollege Josef Oster. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich sage das nicht jeden Tag, aber ich bin Herrn Seehofer durchaus dankbar, dass er das Problem inzwi- Josef Oster (CDU/CSU): schen auch beim Namen nennt, nämlich dass die größte Gefahr in diesem Land nach wie vor von rechts kommt. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Das zeigen auch die steigenden Zahlen im Verfassungs- ren! Wir führen eine sicher notwendige Debatte über schutzbericht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Rassismus in unserer Gesellschaft und in den Gesell- schaften dieser Welt. Es ist zweifellos eine beständige Ich möchte sagen: Was bei der Polizei und auch bei der Aufgabe für Staat und Gesellschaft, diesen Tendenzen, Polizeiausbildung wichtig ist, ist mehr politische Bil- wo immer möglich, entgegenzutreten. dung. Diese notwendige Debatte, meine sehr geehrten Kolle- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ginnen und Kollegen, sollten wir allerdings nicht auf dem der LINKEN) Rücken unserer Polizistinnen und Polizisten führen. Ich bin 1992 bei der Polizei eingestellt worden; das ist (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Sehr lange her. Wir hatten damals eine Stunde politische Bil- richtig!) 20702 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Josef Oster (A) Es ist für mich – das muss ich sagen – schwer zu ertragen, oder bei den Sicherheitsbehörden zu sprechen. Mit derar- (C) wie mit diesem Antrag der Grünen versucht wird, die tigen Debatten und mit solchen Anträgen – ich sage es Rassismusdebatte aus den USA zu einer Polizeidebatte noch einmal – schafft man vor allen Dingen eines: Man in Deutschland zu machen, meine sehr geehrten Damen schafft Misstrauen. Für mich ist klar: Wer Misstrauen sät, und Herren. der wird kein Vertrauen ernten. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom (Beifall bei der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist Un- Das Vertrauen in die Arbeit der deutschen Polizei ist so sinn!) hoch wie in kaum einem anderen Land. Das ist etwas, Der zeitliche Zusammenhang ist ja unbestreitbar. worum uns andere Länder ausdrücklich beneiden. Und das ist auch der Grund, warum unsere Polizei ein gefrag- Ich weiß, Sie hören das nicht gerne – Frau Dr. Mihalic ter Partner für internationale Ausbildungsmissionen ist. ist jetzt weg, sie ist im Untersuchungsausschuss, habe ich gerade gehört, von daher ist sie entschuldigt; aber ich All das sind Dinge, auf die wir stolz sein dürfen und an kann ihr und Ihnen das nicht ersparen –: Natürlich ist denen wir weiterarbeiten müssen. Natürlich gehört dazu auch dieser Antrag wieder Ausdruck eines grundlegen- auch eine Fehlerkultur. Natürlich müssen wir schauen, den Misstrauens der Grünen und des linken Spektrums wo es Dinge gibt, die nicht in Ordnung sind, und daran gegenüber den Sicherheitsbehörden in unserem Land. arbeiten. Da sind wir diejenigen, die für gute Vorschläge immer offen und dankbar sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Für mich, für die CDU/CSU-Fraktion ist in dieser De- Das ist etwas, was nur schwer zu ertragen ist. batte abschließend eines wichtig: Wir wissen, was unsere (Eva-Maria Schreiber [DIE LINKE]: Es ist Polizistinnen und Polizisten jeden Tag für unser Land schwer zu ertragen, dass es solche Tendenzen leisten. Wir, die Unionsfraktion, stehen an der Seite un- gibt! Das ist schwer zu ertragen! – Canan serer Sicherheitskräfte. Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Vielen Dank. müssten Frau Mihalic doch kennen!) Ich habe mir den Antrag natürlich genau angeschaut. (Beifall bei der CDU/CSU) Was Sie von den Grünen dort unter Ziffer I.1 formuliert haben, das sind Selbstverständlichkeiten. Es ist genau Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: das, was jede Beamtin, jeder Beamter am ersten Arbeits- Der nächste Redner ist der fraktionslose Kollege Mario tag schwört; es ist der Amtseid, den jeder Beamte zu Mieruch. (B) leisten hat. Und das soll der Bundestag nach Ihrer Auf- (D) fassung neu beschließen? Das sind für jeden Beamten Mario Mieruch (fraktionslos): Selbstverständlichkeiten. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Situation Herren! Die Idee, einen Ansprechpartner für die Bürger bei uns – auch das muss man hier noch einmal deutlich zu schaffen, damit sie sich bei falschem Polizeiverhalten machen – ist nicht ansatzweise mit der in den USA zu an eine bestimmte Stelle wenden können, ist grund- vergleichen. sätzlich gut, ebenso die Idee, eine Stelle zu schaffen, die Polizeibeamten die Möglichkeit gibt, Mängel, die (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das hat auch ihrer Pflichterfüllung im Weg stehen, zu adressieren. keiner gesagt!) Und so wurde der Antrag – das habe ich begrüßt – sehr Wir verfügen zum Glück über erstklassig ausgebildete ruhig und sachlich vorgetragen. Es wurde auch dazu auf- und motivierte Polizisten. Davon bin ich, davon ist meine gerufen, Vorurteile abzubauen und Denkmuster aufzubre- Fraktion zutiefst überzeugt. Ich glaube, darauf dürfen wir chen. als Deutscher Bundestag auch ein wenig stolz sein. Wir Aber nun konnte man die Debatte hier verfolgen, und legen größten Wert auf eine umfassende Ausbildung, es wurde eine ganze Reihe von kontroversen Argumenten besonders und gerade auch in staatspolitischer und ge- vorgetragen. Die Hälfte des Hauses hat der Antragstelle- sellschaftspolitischer Hinsicht. Auch das ist im Übrigen rin ja schon wieder einen Bärendienst erwiesen, indem ein ganz wesentlicher Unterschied zur amerikanischen bei bestimmten Argumenten oder Stichworten, wie zum Polizei; das darf man hier sagen. Beispiel Antifa, hier großes Geschrei ausbrach und damit Wir müssen – das ist meine Überzeugung – die schüt- sofort der Beweis angetreten wurde, dass scheinbar doch zen, die uns schützen. Das ist mein Leitmotiv, wenn es nicht jeder hier im Haus bereit ist, die Debatte so zu um Politik der deutschen Polizei geht. Wir müssen als führen, wie es uns hier dargestellt wurde. Politik hinter unseren Polizisten stehen und das auch hier Schaut man sich die Jugendorganisationen verschiede- an diesem Rednerpult immer wieder deutlich machen. Sie ner Parteien hier im Hause, ihre Wähler oder das, was auf leisten einen anspruchsvollen und gefährlichen Dienst für Social Media abgeht, an, dann weiß man, dass diese De- unser Land. batte schon reicht, um die Polizei pauschal zum Freiwild zu erklären und zum großen Angriff zu blasen. So wider- (Beifall bei der CDU/CSU) spricht sich der heute vorliegende Antrag der Grünen Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt für mich durchaus selbst. Er ist eben nicht nur im Kontext von keinerlei Anlass, von latentem Rassismus bei der Polizei tatsächlich tiefsitzenden Vorurteilen gegen wesentliche Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20703

Mario Mieruch (A) Säulen unseres Rechtsstaates und seiner ganz bewussten (Beifall bei der CDU/CSU – Canan Bayram (C) Gewaltenteilung zu sehen. Nein, die Art und Weise, wie [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der hier vorgegangen wird, hat auch noch System. Denn Sie Kuffer jetzt auch noch heult! – Heiterkeit bei schreiben im Antrag nichts von Differenzieren oder da- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE von, dass man nicht alles pauschalisieren darf, sondern GRÜNEN und der SPD) im Antrag steht: Michael Kuffer (CDU/CSU): Der Deutsche Bundestag stellt fest, … dass gruppen- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Diese Be- bezogene Menschenfeindlichkeit, wie unter ande- merkung, Frau Kollegin Bayram, haben Sie umsonst ge- rem rassistische und antisemitische Einstellungs- macht. muster, in der Gesamtgesellschaft nach wie vor weit verbreitet sind. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) „Weit verbreitet“! Diese Debatte hat sachliche Argumente zutage geför- dert, aber leider auch wieder den Versuch, Polizei-Ba- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ja, das stimmt!) shing salonfähig zu machen. Wenn Frau Esken unter – Das stimmt? Das stimmt nicht! – Sie stellen auf diese dem Beifall von Grünen und Linken der Polizei latenten Art und Weise nicht etwa eine Minderheit oder eine klei- Rassismus unterstellt, dann kommt darin nicht die Sorge ne Gruppe unter einen Verdacht, menschenfeindlich, ras- vor Rassismus zum Ausdruck, liebe Kolleginnen und sistisch oder sonst was zu sein. Nein, Sie weiten diesen Kollegen; denn dafür bietet vielleicht die Polizei in Min- Verdacht populistischpauschal auf alle aus. neapolis, aber ganz sicher nicht die deutsche Polizei An- lass. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: „Weit“ heißt nicht „alle“!) (Beifall bei der CDU/CSU) Und das ist genau falsch. Nein, Sie zeigen damit Ihr gespaltenes Verhältnis zu den Sicherheitsbehörden. Ich sage an dieser Stelle Danke an Das Ganze geschieht in Anbetracht der Tatsache, dass unsere Sicherheitsbehörden. Sie sind die Stützen unseres Frau Künast, statt der Antifa den Geldhahn zuzudrehen, Landes, Ihre Kritiker sind es nicht. hier auch noch fordert, dass sie institutionalisiert finan- ziert werden soll. Wenn Ihre links-rot-grünen Aktivisten (Beifall bei der CDU/CSU) regelmäßig ganze Stadtteile in Schutt und Asche legen, wenn die Polizei in Leipzig aus dem Hintergrund ange- Sie haben es verdient, dass wir ihnen den Rücken stärken griffen wird, wenn sie mit Stahlkugeln beschossen wird, und nicht in den Rücken fallen. (B) (D) mit Exkrementen und mit Steinen beworfen wird, wenn (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Steine von Dächern auf die Polizei geworfen werden, NEN]: Aber nicht solche Reden halten!) dann ist das kein Aktivismus, das sind Mordversuche – um das ganz klar und deutlich an dieser Stelle zu adres- Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist doch selbst- sieren. verständlich: Polizisten üben staatliche Macht aus, die selbstverständlich auch Kontrolle braucht, und zwar (Beifall der Abg. [CDU/CSU] durch unsere unabhängigen Gerichte, aber nicht durch und Uwe Kamann [fraktionslos]) eine Paralleljustiz von sogenannten Polizeibeauftragten Hinter so etwas stellen Sie sich, und die Polizei be- und erst recht nicht im Sinne eines Pauschalverdachts legen Sie mit einem Rassismusverdacht. Das ist an Un- oder gar einer Beweislastumkehr. Gerade jene Beweis- verschämtheit und Dreistigkeit nicht zu überbieten. Dafür lastumkehr, wie sie in Berlin mittlerweile Realität gewor- sollten Sie sich schämen; denn man hört nichts von Ihnen. den ist, ist in Ihrer Logik, liebe Kolleginnen und Kollegen Gehen Sie doch mal in die Rigaer Straße und demonst- von den Grünen, absolut nicht stringent. Denn was wird rieren Sie, damit die aufhören mit dem Scheiß, den sie da die Folge der Beweislastumkehr sein? Die einzige Mög- machen. Aber das fällt Ihnen nicht ein; das machen Sie lichkeit, damit umzugehen, ist, im Grunde jede polizei- nicht. Sie sollten sich dafür schämen. liche Maßnahme, jeden Handgriff durch Videobeweis zu dokumentieren. Ich erinnere mich noch an Ihr Geschrei Ich danke an dieser Stelle der Polizei, dass sie sich trotz im Innenausschuss über den Einsatz von Bodycams und solcher Parlamentarier immer noch für die Gesamtheit Ähnlichem. Das ist genau das, was Sie damit letztendlich der Gesellschaft einsetzt. zur Regel machen. Vielen Dank. Vor allem an die Adresse der Grünen sage ich: Ihnen geht es nicht um Kontrolle. Es geht Ihnen um Zurück- (Beifall des Abg. Uwe Kamann [fraktionslos] – setzung der Polizei. Ihre alte Polizeifeindlichkeit bricht Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wie wieder hervor. Ich sage Ihnen: Wer sich die Polizei zum viel Redezeit hat ein Fraktionsloser? – Gegen- Feind macht, kann niemals unser Freund sein. ruf des Abg. Mario Mieruch [fraktionslos]: Er hat drei Minuten, genauso wie Sie!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Uwe Kamann [fraktionslos]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das Schlimme an Ihrer Haltung ist aber nicht nur die Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Zurücksetzung der Polizisten. Das Schlimme ist der po- Michael Kuffer, CDU/CSU-Fraktion. litische Kompass, der dabei zutage tritt. Ihr Kompass, 20704 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Michael Kuffer (A) liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ist doch werfende der 70er-Jahre in Wahrheit ein (C) komplett verrutscht. Wenn es darum geht, die Bürger zu verkannter Realsatiriker? bevormunden, dann sind Sie für einen starken Staat, und wenn es darum geht, die Bürger zu schützen, sind Sie für (Uli Grötsch [SPD]: Oje! Der auch noch! – einen schwachen Staat. Deshalb frage ich Sie: Wie wol- Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: len Sie mit einem solchen Kompass, einer solchen Hal- Wenn Sie kein anderes Argument haben!) tung Verantwortung übernehmen? Damit sind Sie – da Die „taz“ jedenfalls heizt mit derlei Schriften die Eskala- sage ich Ihnen ganz ehrlich – von der Fähigkeit zur Re- tion an. Ich frage mich, warum die Zeitung dies tut, ja gierungsverantwortung so weit entfernt wie die „taz“ von mehr noch, ob es ihr vielleicht genau darauf ankommt, verantwortungsvollem und seriösem Journalismus. die Stimmung maximal anzuheizen. Wo ist der Unter- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schied zu den Vorwürfen, die man aus derselben Ecke ordneten der AfD) Springer ehedem gemacht hat und bis heute noch macht? Ich zitiere mit der Genehmigung des Präsidenten aus Ich möchte damit enden, dass ich von dieser Stelle der „taz“ vom Montag dieser Woche, in der über die An- aus – ich sage das stellvertretend für die große Mehrheit schlussverwendung von Polizeibeamten nach der Ab- der Menschen in diesem Land – Danke sage an unsere schaffung der Polizei wie folgt sinniert wird: Polizei. Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit NEN]: Nach der Rede!) Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter Danke für Ihren Dienst, danke für Ihren Einsatz, danke ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber dafür, was Sie auf sich nehmen. Danke für die Sicherheit am wohlsten. und damit die Freiheit, die Sie uns täglich schenken. Gott schütze Sie! Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wer solche Artikel wie die „taz“ druckt, betreibt Brandstifterei an unserem Staat und Vielen Dank. an seiner inneren Verfassung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wer so etwas dadurch billigt, dass er sich nicht aufs Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Schärfste abgrenzt, der hat ein Extremismusproblem, Vielen Dank, lieber Kollege Kuffer. (B) der reicht den Chaoten die Steine, welche sie hinterher (D) in Leipzig-Connewitz, auf der Hamburger Schanze oder Bevor ich das Wort zu einer Kurzintervention dem in der Rigaer Straße in Berlin auf unsere Polizisten wer- Kollegen Lenkert von den Linken und dem Kollegen fen. Ehrhorn von der AfD gebe, möchte ich darauf hinweisen, dass die Wahl in wenigen Minuten endet. Wer also noch (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht gewählt hat, möge sich jetzt auf den Weg machen; NEN]: Das ist eine Unverschämtheit!) noch ist Zeit. Dann erhält jetzt das Wort zu einer Kurzintervention Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der Kollege Lenkert, Fraktion Die Linke. Herr Kollege Kuffer, der Kollege Lenkert von den Linken würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Michael Kuffer (CDU/CSU): Herr Kollege Kuffer, Sie behaupteten in Ihrer Rede Nein, jetzt nicht bitte. soeben, dass Rot-Rot-Grün die Sicherheit der Bürgerin- nen und Bürger schwächen würde. Ich möchte Sie darauf Nun zu der Frage, ob das Satire ist. Ersetzen Sie in dem hinweisen, dass im Freistaat Thüringen die CDU-geführ- Artikel einfach „Polizisten“ mit irgendeiner anderen te Landesregierung mehrere Tausend Personalstellen Gruppe oder Minderheit mit gemeinsamen Merkmalen. kürzte, dass es einen Beförderungsstopp gab und dass Wenn statt von Polizisten von Menschen mit einer be- sie die Übernahme der Tarifverträge für die Beamtinnen stimmten Hautfarbe, Herkunft oder Religion die Rede und Beamten des öffentlichen Dienstes jedes Mal um wäre und davon, dass man jene auf die Mülldeponie ver- Monate verschleppt hat. Die rot-rot-grüne Landesregie- bannen möge unter ihresgleichen: Würden Sie das dann rung hat Ihren Abbaupfad gestoppt, hat wieder mehr Kol- immer noch als Satire bezeichnen? – Ich sage, was es ist, leginnen und Kollegen eingestellt, die Ausbildung for- nämlich eine gruppenbezogene Diffamierung der wider- ciert, hat den Beförderungsstopp aufgehoben und hat lichsten Art. Wenn Sie das als Satire durchgehen lassen, die Übernahme der Tarifverträge für die Kolleginnen dann frage ich mich, wo Satire endet. und Kollegen in der Polizei sofort nach Abschluss der Tarifverträge mit Verdi eingeführt. Das heißt also: Wir (Beifall bei der CDU/CSU) haben hier nicht nur billig Beifall verkündet, sondern Beim Werfen von Ziegelsteinen auf Polizeibeamte? Beim wir haben als Rot-Rot-Grün für die Sicherheit der Bür- Inbrandsetzen von Gegenständen? Bei Hetzjagden auf gerinnen und Bürger gehandelt und keine Sonntagsreden Menschen? Oder ist das dann Realsatire? War der Steine gehalten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20705

Ralph Lenkert (A) (Lachen des Abg. [CDU/ (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das ist die (C) CSU] – Martin Hess [AfD]: Das glauben Sie Realität!) doch selber nicht, was Sie hier sagen!) Ich kann nichts zur Situation in Thüringen sagen, aber Das ist die Realität. Das können Sie nachlesen; wenn Sie derartige Reden sind mir aus Bayern bekannt. Der Wahr- Statistiken lesen könnten, dann würden Sie das finden. heitsgehalt dort ist natürlich unter null. Es war nämlich Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der so, dass Sie sich gerne daran geweidet haben, dass Stellen Polizei, nur empfehlen: An ihren Taten sollt ihr sie mes- in der Verwaltung reduziert worden sind zugunsten eines sen, nicht an ihren Worten. permanenten Aufbaus operativer Stellen im Polizeivoll- zugsdienst. Insofern zeigt das, wie weit es an dieser Stelle Vielen Dank. mit Ihrer Sachkenntnis her ist. Tatsache ist, dass es dort, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- wo Sie Verantwortung tragen, sicherheitspolitische ten der SPD – Zuruf von der AfD: Absolut! Das Glanzleistungen wie in Berlin den Görlitzer Park mit tun die Kollegen! Darauf können Sie sich ver- No-go-Areas gibt. lassen!) (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: In Berlin gibt es keine No-go-Areas!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Und im Übrigen: Der Erfolg der Landesregierung in Thü- Kollege Kuffer, wollen Sie gleich antworten? – Ich ringen unter Ihrem Ministerpräsidenten zeigt sich an den würde sagen, wir hören uns noch die Kurzintervention Wahlergebnissen und an allem, was dann in Thüringen vom Kollegen Ehrhorn an. Dann können Sie beide zu- darauf folgte. Insofern glaube ich, Sie haben keinen An- sammennehmen. – Bitte schön. lass zu übertriebenem Stolz.

Thomas Ehrhorn (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU – Ralph Lenkert Vielen Dank für die Erteilung des Wortes. – Lieber [DIE LINKE]: Ihre Zustimmung ist von 31 Herr Kollege Kuffer, zunächst muss ich etwas sagen, auf 21 Prozent gesunken!) was ich selten sage: Mir hat Ihre Rede durchaus gut ge- In Richtung des Kollegen von der AfD kann ich nur fallen. eines ausschließen, nämlich dass wir uns heute mit den nächsten Bundestagswahlen beschäftigen. Wir kümmern (Lachen bei der SPD – Dr. André Hahn [DIE uns um die Arbeit, die noch zu tun ist. Wir haben vieles LINKE]: Darüber sollte man nachdenken!) zustande gebracht in den letzten Jahren, aber wir haben Ich habe – was selten passiert – an der einen oder anderen noch eine volle Agenda. (B) Stelle sogar applaudiert. (D) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ihre Rede hat eines sehr deutlich gezeigt, nämlich dass NEN]: Ich hätte es gern noch ein bisschen kon- das, was man Ihren Grundeinstellungen zurechnen kann, kreter!) Lichtjahre entfernt ist von den Einstellungen der Kolle- Darum kümmern wir uns. Um die Wahlen und deren Er- gen auf der links-grünen Seite. Deswegen würde mich gebnisse kümmern wir uns dann, wenn sie vorbei sind. eines interessieren: Können Sie aufgrund dieser Positio- Dann werden wir sehen, was wird. Jetzt werden wir erst nierung ausschließen, dass es eine nächste Regierungs- einmal weiterarbeiten, so wie Sie das von uns gewöhnt koalition zwischen diesen Grünen und der CDU/CSU sind. gibt? (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Danke. NEN]: Das heißt übersetzt: ja?) (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Nein, kann er Danke. nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Kollege Kuffer, Sie können jetzt auf beide Kurzinter- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ventionen antworten, wenn Sie das wollen; Sie müssen Nach diesen Ausführungen schließe ich die Ausspra- natürlich nicht. che. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich komme zurück zu den Tagesordnungspunkten 11 NEN]: Lassen Sie es! – Gegenruf des Abg. und 12 a bis 12 e. Die Zeit für die Wahlen ist gleich [CDU/CSU]: Das hat doch vorbei. Ich muss fragen: Ist ein Mitglied des Hauses Unterhaltungswert!) anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Zügig! Michael Kuffer (CDU/CSU): Dann kommen wir zunächst zur Abstimmung über Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich fange Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung der mit der Intervention des Kollegen von der Linken an. Ich Vorlage auf Drucksache 19/20063 an den Ausschuss für weiß, dass Sie an solchen Meldungen neuerdings Gefal- Inneres und Heimat vorgeschlagen. Gibt es andere Über- len finden und dass Sie sich gerne als die Förderer der weisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- Polizei darstellen. fahren wir wie vorgeschlagen. 20706 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Zusatzpunkt 8 a. Wir kommen zur Abstimmung über um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne De- (C) den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen batte. über die unabhängige Polizeibeauftrage oder den unab- Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- hängigen Polizeibeauftragten des Bundes. Der Ausschuss sungen. Tagesordnungspunkte 35 a, 35 c, 35 f, 35 h und für Inneres und Heimat empfiehlt unter Buchstabe a sei- i sowie 35 k bis 35 n und 35 p bis 35 t sowie Zusatz- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20136, den punkte 10 a bis 10 g und 10 i bis 10 t, 10 v bis 10 x und Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Tagesordnungspunkt 13 a: Drucksache 19/7928 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- 35 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung chen. – Das sind die Grünen und die Linken. Wer stimmt eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur gegen den Gesetzentwurf der Grünen? – AfD, CDU/ Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie CSU, SPD. Enthaltungen? – FDP. Der Gesetzentwurf der Europäischen Union ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung. Drucksache 19/19373 Überweisungsvorschlag: Zusatzpunkt 8 b. Abstimmung zu der Beschlussemp- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie fehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat auf Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Drucksache 19/20136. Der Ausschuss empfiehlt unter Haushaltsausschuss Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes 19/7119 mit dem Titel „Unabhängige Polizeibeschwerde- zur Änderung des Gesetzes über die inter- stelle auf Bundesebene einrichten“. Wer stimmt für die nationale Rechtshilfe in Strafsachen Beschlussempfehlung des Ausschusses? – AfD, FDP, CDU/CSU und SPD. – Gegenprobe! – Linke. Enthaltun- Drucksache 19/19852 gen? – Die Grünen. Die Beschlussempfehlung des Aus- Überweisungsvorschlag: schusses ist damit angenommen. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Kerstin Kassner, Brigitte Freihold, Dr. Gesine tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/7929 mit Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der dem Titel „Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens er- Fraktion DIE LINKE leichtern – Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über (B) Förderzeiträume des (D) die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängi- Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes gen Polizeibeauftragten des Bundes“. Wer stimmt für die verlängern Beschlussempfehlung des Ausschusses? – CDU/CSU, SPD und AfD. Wer stimmt dagegen? – Grüne und Linke. Drucksache 19/19016 Enthaltungen? – FDP. Die Beschlussempfehlung ist an- Überweisungsvorschlag: genommen. Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Zusatzpunkt 9. Beschlussempfehlung des Ausschusses Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Änderung der Geschäftsordnung des Deut- h) Beratung des Antrags der Abgeordneten schen Bundestages, hier: Umsetzung des Gesetzes über Ralph Lenkert, Lorenz Gösta Beutin, die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängi- Hubertus Zdebel, weiterer Abgeordneter gen Polizeibeauftragten des Bundes“. Der Ausschuss und der Fraktion DIE LINKE empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Längere Lebensdauer für Elektrogeräte 19/20129, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 19/7930 abzulehnen. Wer stimmt für Drucksache 19/19643 die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – CDU/ Überweisungsvorschlag: CSU, SPD und AfD. Gegenprobe! – Grüne und Linke. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Enthaltungen? – FDP. Die Beschlussempfehlung ist da- Ausschuss für Wirtschaft und Energie mit angenommen. i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich komme erneut zurück zu den Tagesordnungspunk- , Dr. Dirk Spaniel, Wolfgang ten 11 und 12 a bis 12 e. Ich darf fragen: Ist ein Mitglied Wiehle, weiterer Abgeordneter und der Frak- des Hauses anwesend, das bei den Wahlen zu diesen tion der AfD Tagesordnungspunkten seine Stimme noch nicht abgege- Befahrensabgaben auf dem Nord-Ostsee- ben hat? – Wir brauchen also immer noch; aber dann Kanal absenken und flexibilisieren zügig. Drucksache 19/19650 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a, 35 c, 35 f, 35 h Überweisungsvorschlag: und 35 i sowie 35 k bis 35 t, die Zusatzpunkte 10 a bis Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) 10 y sowie den Tagesordnungspunkt 13 a auf. Es geht hier Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20707

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Familiennachzug umfassend ermöglichen (C) Dr. , Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Hartwig, weiterer Abgeordneter Drucksache 19/20026 und der Fraktion der AfD Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat Russlandsanktionen jetzt aufheben – Kon- junkturprogramm in Zeiten der Corona- q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krise in Gang bringen und politisches Zei- Dr. André Hahn, Sören Pellmann, Thomas chen setzen Lutze, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Drucksache 19/20077 Dritter Goldener Plan Sport – 10 mal eine Überweisungsvorschlag: Milliarde für Sportstätten in Deutschland Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/20035

l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Dr. Götz Frömming, Marc Bernhard, Stephan Sportausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Brandner, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Fraktion der AfD Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Pharmazeutische Forschung und Ent- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung wicklung in Deutschland national veran- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen kern und krisenfest machen Haushaltsausschuss Drucksache 19/20078 r) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- desregierung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Hauptgutachten des Wissenschaftlichen zung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Beirats der Bundesregierung Globale Um- Ausschuss für Gesundheit weltveränderungen m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Unsere gemeinsame digitale Zukunft Dr. Götz Frömming, Marc Bernhard, Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/15004 Fraktion der AfD (B) Überweisungsvorschlag: (D) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Keine Verzögerungen beim Mahnmal für Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die Opfer kommunistischer Gewaltherr- Ausschuss für Wirtschaft und Energie schaft zulassen Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 19/20079 Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Ausschuss für Kultur und Medien zung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Dietmar Friedhoff, Ulrich Oehme, , weiterer Abgeordneter und der s) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Fraktion der AfD desregierung Wirtschaftliche Beziehungen mit Nigeria Sondergutachten des Sachverständigenra- intensivieren – Teilhabe und Selbstverant- tes für Umweltfragen wortung stärken durch eigenstaatlich mo- Demokratisch regieren in ökologischen tivierte Geburtenverantwortung – Deut- Grenzen – zur Legitimation von Umwelt- sche Wirtschaftsinteressen definieren und politik umsetzen Drucksache 19/15335 Drucksache 19/20080 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft lung (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Tourismus Finanzausschuss Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe t) Beratung des Antrags des Präsidenten des Haushaltsausschuss Bundesrechnungshofes p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Rechnung des Bundesrechnungshofes für Jelpke, Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, das Haushaltsjahr 2019 – Einzelplan 20 – weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Drucksache 19/19847 20708 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Überweisungsvorschlag: Zugang zur Gesundheitsversorgung für (C) Haushaltsausschuss alle Menschen sicherstellen – Rechte mar- ZP 10 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten ginalisierter Gruppen in Zeiten der CO- Katja Keul, Dr. Manuela Rottmann, VID-19-Pandemie nachhaltig stärken Dr. Konstantin von Notz, weiteren Abgeord- Drucksache 19/19538 neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) setzes zur zivil-, arbeits- und dienstrecht- Ausschuss für Inneres und Heimat lichen Sicherung der Freiwilligkeit der Ausschuss für Arbeit und Soziales Nutzung und zur Zweckbindung mobiler Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen elektronischer Anwendungen zur Nach- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten verfolgung von Infektionsrisiken (Tra- Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, cing-App-Freiwilligkeits- und Zweckbin- Stefan Gelbhaar, weiterer Abgeordneter und dungs-Gesetz – TrAppFZG) der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/20037 Deutsche EU-Ratspräsidentschaft für eine Überweisungsvorschlag: europäische Verkehrswende nutzen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Drucksache 19/19558 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Wirtschaft und Energie b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Dr. , Dr. Götz Frömming, Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Martin Erwin Renner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bettina Hoffmann, Dr. Kirsten Kappert- Die deutsche Kolonialzeit kulturpolitisch Gonther, Maria Klein-Schmeink, weiterer differenziert aufarbeiten Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksache 19/15784 NIS 90/DIE GRÜNEN

Überweisungsvorschlag: Die hohe individuelle und gesellschaftliche (B) Ausschuss für Kultur und Medien (f) Belastung durch Allergien mit einem Ak- (D) Auswärtiger Ausschuss tionsprogramm reduzieren und die Ver- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten sorgungssituation der Allergikerinnen Stefan Schmidt, Stephan Kühn (Dresden), und Allergiker verbessern Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und Drucksache 19/19865 der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Lenkungswirkung zu emissionsarmen und Ausschuss für Gesundheit (f) emissionsfreien Autos entfalten – Kfz- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Steuer schnellstmöglich reformieren Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/17794 , Marc Bernhard, Jürgen Überweisungsvorschlag: Braun, weiterer Abgeordneter und der Frak- Finanzausschuss (f) tion der AfD Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Die Reform der Weltgesundheitsorganisa- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten tion – Für mehr Transparenz in der globa- Omid Nouripour, Sven-Christian Kindler, len Gesundheitspolitik Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und Drucksache 19/20115 der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Nahost-Friedensprozess – Zwei-Staaten- Ausschuss für Gesundheit Regelung offen halten und vorantreiben j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/19422 Detlev Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) und der Fraktion der AfD Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Rehakliniken und Kurbetrieb in den Re- e) Beratung des Antrags der Abgeordneten gelbetrieb zurückkehren lassen Maria Klein-Schmeink, Filiz Polat, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, weiterer Abge- Drucksache 19/20116 ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Überweisungsvorschlag: GRÜNEN Ausschuss für Gesundheit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20709

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/20054 (C) Detlev Spangenberg, Marc Bernhard, Überweisungsvorschlag: Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter Ausschuss für Inneres und Heimat und der Fraktion der AfD q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krankenhäuser in den Regelbetrieb zu- Katja Hessel, Markus Herbrand, Christian rückkehren lassen Dürr, weiterer Abgeordneter und der Frak- Drucksache 19/20117 tion der FDP

Überweisungsvorschlag: Thesaurierungsbegünstigung für Unter- Ausschuss für Gesundheit nehmen l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg Drucksache 19/20055 Schneider, Jürgen Braun, Peter Felser, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Schwere Verlaufsformen bei Infektion mit Ausschuss für Wirtschaft und Energie dem Coronavirus SARS-CoV-2 reduzie- r) Beratung des Antrags der Abgeordneten ren – Vitamin-D-Mangel in der Bevölke- Bernd Reuther, Frank Sitta, Grigorios rung beseitigen, Immunabwehr stärken Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Drucksache 19/20118

Überweisungsvorschlag: Gute Mobilität für europäische Bürger – Ausschuss für Gesundheit Schwerpunkte in der Verkehrspolitik während der deutschen Ratspräsident- m) Beratung des Antrags der Abgeordneten schaft Detlev Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter Drucksache 19/20043 und der Fraktion der AfD Überweisungsvorschlag: Bewegungsfreiheit für Bewohner von Se- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie niorenheimen sicherstellen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 19/20119 Ausschuss Digitale Agenda

(B) Überweisungsvorschlag: s) Beratung des Antrags der Abgeordneten (D) Ausschuss für Gesundheit Judith Skudelny, Frank Sitta, Grigorios n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der , Berengar Elsner von Fraktion der FDP Gronow, Wilhelm von Gottberg, weiterer Saubere Luft durch wirksame und ver- Abgeordneter und der Fraktion der AfD hältnismäßige Maßnahmen gewährleisten Zukunftsfähige Nutztierhaltung – Pla- Drucksache 19/20056 nungs- und Investitionssicherheit für Landwirte herstellen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Drucksache 19/20120 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft t) Beratung des Antrags der Abgeordneten o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Hessel, Christian Dürr, Dr. Florian Pascal Kober, Linda Teuteberg, Stephan Toncar, weiterer Abgeordneter und der Frak- Thomae, weiterer Abgeordneter und der tion der FDP Fraktion der FDP Corona-Prämien an Arbeitnehmer dürfen Au-pair-Programme stärken – Verfahren Steuerbegünstigung nicht gefährden beschleunigen und Klarheit schaffen Drucksache 19/20061 Drucksache 19/20059 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Wirtschaft und Energie p) Beratung des Antrags der Abgeordneten v) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pascal Kober, Linda Teuteberg, Stephan Johannes Vogel (Olpe), Michael Theurer, Thomae, weiterer Abgeordneter und der Reinhard Houben, weiterer Abgeordneter Fraktion der FDP und der Fraktion der FDP Berufsbedingte Einreisen aus Drittstaaten Corona-Hilfen für Selbständige, Freibe- auch praktisch ermöglichen rufler und Freelancer – Überbrückungs- 20710 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) hilfen pragmatisch ausgestalten, Deckung Ausschuss für Kultur und Medien (f) (C) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Lebensunterhalts gewährleisten Federführung strittig Drucksache 19/20049 Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der

Überweisungsvorschlag: Fraktion die Linke auf Drucksache 19/20032 an die in Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Ausschuss für Arbeit und Soziales gen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen w) Beratung des Antrags der Abgeordneten Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Dr. , Kai Gehring, Margit Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Aus- Stumpp, weiterer Abgeordneter und der schuss für Kultur und Medien. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zunächst stimmen wir ab über den Überweisungsvor- Wissenschaft im Dialog mit Gesellschaft – schlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesen Wissenschaftskommunikation und Wis- Überweisungsvorschlag der Linken? – FDP und Die Lin- senschaftsjournalismus umfassend stär- ke. Wer stimmt dagegen? – Koalitionsfraktionen, Grüne ken und AfD. Der Überweisungsvorschlag ist damit abge- lehnt. Drucksache 19/20041 Wir stimmen ab über den Überweisungsvorschlag der Überweisungsvorschlag: Fraktionen CDU/CSU und SPD: Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung (f) Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer stimmt für diesen Ausschuss für Kultur und Medien Überweisungsvorschlag? – CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ Haushaltsausschuss Die Grünen und AfD. Wer stimmt dagegen? – FDP und x) Beratung des Antrags der Abgeordneten Linke. Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvor- Daniela Wagner, Matthias Gastel, Stefan schlag ist angenommen. Gelbhaar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt frage ich noch einmal: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme bei den Wahlen zu den Ta- Verkehrssicherheit auf allen Straßen er- gesordnungspunkten 11 und 12 a bis 12 e noch nicht höhen – Sicherheitstempo 130 km/h auf abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Bundesautobahnen einführen Wahlen und bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh- rer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich werde Ihnen das Drucksache 19/20064 Ergebnis später bekannt geben.1) (B) Überweisungsvorschlag: (D) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Zusatzpunkt 10 h: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Beratung des Antrags der Abgeordneten Joana 13 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- , Frank Sitta, Dr. Gero terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Clemens Hocker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Corona digital bekämpfen – Senioren, Familien und Jugendlichen digitale Möglichkeiten zur Lin- Tierwohl europäisch denken und bau- derung der Corona-Krise aufzeigen rechtlich ermöglichen Drucksache 19/20114 Drucksache 19/20047 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Federführung strittig Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Fraktion der AfD auf Drucksache 19/20114 an die in überweisen. Gibt es andere Überweisungsvorschläge? – der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschla- gen. Die Fraktionen CDU/CSU und SPD wünschen Fe- gen. derführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die AfD-Fraktion wünscht Federfüh- Wir kommen nun zu vier Überweisungen, bei denen rung beim Ausschuss Digitale Agenda. die Federführung strittig ist. Tagesordnungspunkt 35 o: Wir stimmen erst ab über den Überweisungsvorschlag Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris der AfD. Wer stimmt für diesen Vorschlag? – Das ist die Achelwilm, Dr. Petra Sitte, Gökay Akbulut, wei- AfD. Wer stimmt dagegen? – Alle übrigen Fraktionen des terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Hauses. Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvor- Medienschaffende vor Übergriffen und Gewalt schlag ist abgelehnt. schützen Wir kommen zum Überweisungsvorschlag der Frak- Drucksache 19/20032 tionen CDU/CSU und SPD: Federführung beim Aus-

Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) 1) Ergebnisse auf den Seiten 20728 C, 20728 D, 20730 A, 20730 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20711

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wer dagegen? – Alle übrigen Fraktionen des Hauses. Enthal- (C) stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – CDU/ tungen? – Keine. Damit ist dieser Überweisungsvor- CSU, SPD, Grüne, FDP und Linke. Wer stimmt dage- schlag abgelehnt. gen? – Die AfD. Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag angenommen. Wir stimmen ab über den Vorschlag der Fraktionen CDU/CSU und SPD: Federführung beim Finanzaus- Zusatzpunkt 10 u: schuss. Wer stimmt dafür? – Das sind alle Fraktionen des Hauses mit Ausnahme der FDP. Wer stimmt dage- Beratung des Antrags der Abgeordneten Gyde gen? – Das ist die FDP. Enthaltungen? – Keine. Dann ist Jensen, Alexander Graf Lambsdorff, Peter Heidt, der Überweisungsvorschlag angenommen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Reform und Absicherung der Interpol Mechanis- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 u sowie men „Red Notices“ und „Diffusions“ zur Siche- die Zusatzpunkte 11 a und 11 b auf. Es handelt sich um rung der Menschenrechte Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aus- sprache vorgesehen ist. Drucksache 19/20019 Tagesordnungspunkt 36 a: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Auswärtiger Ausschuss Federführung strittig wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 27. September 2019 zwischen der Regierung Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der der Bundesrepublik Deutschland und der Re- Fraktion der FDP auf Drucksache 19/20019 an die in gierung der Republik Polen über den Ersatz- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- neubau der Grenzbrücke im Raum Küstrin- gen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Kietz – Küstrin (Kostrzyn nad Odrą) Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Die FDP hingegen wünscht Federführung beim Aus- Drucksachen 19/18788, 19/19386, 19/19655 schuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Nr. 1.6 Wir stimmen zuerst über den FDP-Vorschlag ab. Wer Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- stimmt für den Überweisungsvorschlag der FDP? – Die ses für Verkehr und digitale Infrastruktur FDP und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – CDU/CSU, (15. Ausschuss) SPD, Grüne und AfD. Enthaltungen? – Keine. Der Über- (B) weisungsvorschlag ist damit abgelehnt. Drucksache 19/19675 (D) Wir stimmen ab über den Überweisungsvorschlag der Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Fraktionen CDU/CSU und SPD: Federführung beim empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer stimmt für diesen 19/19675, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Vorschlag? – CDU/CSU, SPD, Grüne und AfD. Wer Drucksachen 19/18788 und 19/19386 anzunehmen. stimmt dagegen? – Linke und FDP. Enthaltungen? – Kei- Zweite Beratung ne. Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Zusatzpunkt 10 y: Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerald Das ist das gesamte Haus. Gegenstimmen? – Enthaltun- Ullrich, Michael Theurer, Reinhard Houben, wei- gen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen. terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Tagesordnungspunkt 36 b: Unternehmen schnell und effizient entlasten – Ist- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Versteuerung als bundesweiten Standard setzen regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Drucksache 19/20062 zur weiteren Umsetzung der Transparenz- richtlinie-Änderungsrichtlinie im Hinblick Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) auf ein einheitliches elektronisches Format Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) für Jahresfinanzberichte Haushaltsausschuss Federführung strittig Drucksachen 19/17343, 19/17965, 19/18779 Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Nr. 1.5 Fraktion der FDP auf Drucksache 19/20062 an die in Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- gen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen schuss) Federführung beim Finanzausschuss. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirt- Drucksache 19/20137 schaft und Energie. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- Wir stimmen erst über den FDP-Vorschlag ab: Über- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache weisung an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie. 19/20137, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Wer stimmt für diesen Vorschlag? – Die FDP. Wer stimmt Drucksachen 19/17343 und 19/17965 in der Ausschuss- 20712 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- mächtigten zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschluss- (C) setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, empfehlung? – Das sind die Fraktionen SPD, Bündnis 90/ um das Handzeichen. – Das sind CDU/CSU, SPD, Bünd- Die Grünen, Linke, CDU/CSU und FDP. Wer stimmt da- nis 90/Die Grünen, FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist gegen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der AfD mit die AfD. Enthaltungen? – Keine. Dann ist der Gesetzent- den Stimmen des übrigen Hauses ist damit die Beschluss- wurf mit den Stimmen des gesamten Hauses gegen die empfehlung angenommen. Stimmen der AfD angenommen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 36 e bis u. Dritte Beratung Das sind die Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Tagesordnungspunkt 36 e: Das sind wieder alle Fraktionen mit Ausnahme der Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- AfD. Gegenstimmen? – Dagegen stimmt die AfD. Ent- tionsausschusses (2. Ausschuss) haltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Sammelübersicht 554 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 36 c: Drucksache 19/19560 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Das sind insgesamt 112 Petitionen. Wer stimmt da- zur Änderung des Verdienststatistikgesetzes für? – Das sind alle Fraktionen des Haues. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Auch nicht. Damit Drucksache 19/19361 ist die Sammelübersicht 554 angenommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Tagesordnungspunkt 36 f: ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 19/20109 tionsausschusses (2. Ausschuss) Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in Sammelübersicht 555 zu Petitionen seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20109, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Drucksache 19/19561 19/19361 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Es sind insgesamt 142 Petitionen. Wer stimmt dafür? – setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind wiederum alle Fraktionen des Hauses. – Gegen- CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Lin- stimmen und Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist die ke. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Ent- (B) Sammelübersicht 555 angenommen. (D) haltungen? – Die AfD-Fraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 36 g: Dritte Beratung Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Sammelübersicht 556 zu Petitionen Das sind alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Enthaltun- Drucksache 19/19562 gen? – Enthaltung der AfD. Der Gesetzentwurf ist damit Das sind 17 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Alle Frak- angenommen. tionen des Hauses mit Ausnahme der Grünen und der Ich übergebe jetzt das Wort meinem geschätzten Kol- Linken. Gegenstimmen? – Die Linke. Enthaltungen? – legen , der sich aus dem Backoffice Bei Enthaltung der Grünen und Ablehnung der Linken hervorbegibt. ist die Sammelübersicht 556 von den übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Danke schön. Schönen Tag. Tagesordnungspunkt 36 h:

Vizepräsident Thomas Oppermann: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Vielen Dank. – Wir machen jetzt weiter mit Tages- ordnungspunkt 36 d: Sammelübersicht 557 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Drucksache 19/19563 richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- Das sind fünf Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind cherschutz (6. Ausschuss) FDP, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, Linke und zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver- SPD. Gegenstimmen? – AfD. Enthaltungen? – Gegen fassungsgericht 2 BvE 5/19 die Stimmen der AfD ist damit die Sammelübersicht 557 angenommen. Drucksache 19/20140 Tagesordnungspunkt 36 i: Der Ausschuss empfiehlt, in dem Streitverfahren eine Stellungnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- eine Prozessbevollmächtigte oder einen Prozessbevoll- tionsausschusses (2. Ausschuss) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20713

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Sammelübersicht 558 zu Petitionen Es sind zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – SPD, (C) Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD. Wer Drucksache 19/19564 stimmt dagegen? – FDP und Linke. Also ist die Sammel- Das sind nur zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das übersicht 563 gegen die Stimmen von FDP und Linken sind alle Fraktionen des Hauses. Damit ist das einver- von der Mehrheit des Hauses angenommen. nehmlich angenommen. Tagesordnungspunkt 36 o: Tagesordnungspunkt 36 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 564 zu Petitionen Sammelübersicht 559 zu Petitionen Drucksache 19/19570 Drucksache 19/19565 Das ist nur eine Petition. Wer stimmt dafür? – Das sind Das sind zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Alle alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD und der Grünen. Fraktionen mit Ausnahme der Fraktion Die Linke. Wer Wer stimmt dagegen? – Grüne und AfD. Gegen die Stim- stimmt dagegen? – Die Linke. – Keine Enthaltungen. men dieser beiden Fraktionen ist die Sammelüber- Gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ist die Sam- sicht 564 damit von der übrigen Mehrheit des Hauses melübersicht 559 angenommen. angenommen. Tagesordnungspunkt 36 k: Tagesordnungspunkt 36 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 560 zu Petitionen Sammelübersicht 565 zu Petitionen Drucksache 19/19566 Drucksache 19/19571 Das sind fünf Petitionen. Wer stimmt dafür? – FDP, Wer stimmt dafür? – Das sind die Fraktionen in der CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, Linke und SPD. Ge- Mitte des Hauses. Wer stimmt dagegen? – Das sind genstimmen? – Gegen die Stimmen der AfD von der AfD und Linke. Gegen die Stimmen dieser beiden Fak- übrigen Mehrheit des Hauses ist damit Sammelüber- tionen ist Sammelübersicht 565 von der Mehrheit des sicht 560 angenommen. Hauses angenommen. (B) (D) Tagesordnungspunkt 36 l: Tagesordnungspunkt 36 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 561 zu Petitionen Sammelübersicht 566 zu Petitionen Drucksache 19/19567 Drucksache 19/19572 Das sind zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – FDP, Wer stimmt dafür? – Das sind alle Fraktionen mit Aus- CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt nahme von FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Gegen dagegen? – AfD. – Die Linke enthält sich. Bei Enthaltung die Stimmen dieser beiden Fraktionen ist die Sammel- der Linken gegen die Stimmen der AfD ist Sammelüber- übersicht 566 hiermit angenommen. sicht 561 von der Mehrheit des Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 36 r: Tagesordnungspunkt 36 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 567 zu Petitionen Sammelübersicht 562 zu Petitionen Drucksache 19/19573 Drucksache 19/19568 Wer stimmt dafür? – AfD, CDU/CSU, SPD. Wer Das sind 26 Petitionen. Wer stimmt dafür? – SPD, stimmt dagegen? – Das sind FDP, Bündnis 90/Die Grü- CDU/CSU, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Grüne nen und Linke. – Keine Enthaltungen. Gegen die Stim- und Linke. Damit ist die Sammelübersicht 562 gegen die men der letztgenannten Fraktionen ist die Sammelüber- Stimmen von Linken und Grünen angenommen. sicht 567 damit mehrheitlich angenommen. Tagesordnungspunkt 36 n: Tagesordnungspunkt 36 s: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 563 zu Petitionen Sammelübersicht 568 zu Petitionen Drucksache 19/19569 Drucksache 19/19574 20714 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Das sind 48 Petitionen. Wer stimmt dafür? – FDP, gie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun- (C) CDU/CSU und SPD. Wer stimmt dagegen? – AfD, Bünd- desregierung nis 90/Die Grünen und Linke. Wiederum mit der Mehr- heit des Hauses gegen diese drei Fraktionen ist die Sam- Vierzehnte Verordnung zur Änderung der Au- melübersicht 568 angenommen. ßenwirtschaftsverordnung Tagesordnungspunkt 36 t: Drucksachen 19/19060, 19/19246 Nr. 2, 19/19782 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 19/19782, die Aufhebung der Ver- Sammelübersicht 569 zu Petitionen ordnung auf Drucksache 19/19060 nicht zu verlangen. Drucksache 19/19575 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die FDP. Wer stimmt dage- Das ist eine Petition. Wer stimmt dafür? – Das sind die gen? – Niemand. Wer enthält sich? – Das sind AfD, Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Bei Enthaltung dieser stimmt dagegen? – Das sind Linke, FDP und AfD, gegen drei Fraktionen ist diese Beschlussempfehlung von der deren Stimmen hiermit die Sammelübersicht 569 von der Mehrheit des Hauses angenommen. Mehrheit des Hauses angenommen wurde. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 16 a bis Tagesordnungspunkt 36 u: 16 d sowie zu den Zusatzpunkten 39 und 40. Hierbei handelt es sich um weitere Wahlen zu Gremien. Diese Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wahlen werden wir mittels Handzeichen durchführen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 16 a: Sammelübersicht 570 zu Petitionen Drucksache 19/19576 Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktio- Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums der nen. Wer stimmt dagegen? – Das sind AfD, FDP, Bünd- „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden nis 90/Die Grünen und Linke. Mit der Mehrheit der Koa- Europas“ litionsfraktionen gegen die übrigen Fraktionen des Drucksache 19/19254 Hauses ist damit die Sammelübersicht 570 angenommen. Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Damit sind wir mit den Petitionen durch. (B) auf Drucksache 19/19254 vor. Wer stimmt für diesen (D) Wir kommen zu Zusatzpunkt 11 a: Wahlvorschlag? – Das ist ausnahmslos die Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die übrigen Frak- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des tionen. von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Über- (Zuruf von der AfD: Ausnahmslos die Block- einkommens vom 9. September 1996 über die parteien!) Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfäl- Wer enthält sich? – Bei einigen Enthaltungen in der CDU/ len in der Rhein- und Binnenschifffahrt CSU ist damit gegen die Stimmen der AfD der Wahlvor- Drucksache 19/18077 schlag von der Mehrheit des Hauses abgelehnt. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Tagesordnungspunkt 16 b: ses für Verkehr und digitale Infrastruktur Wahlvorschlag der Fraktion der AfD (15. Ausschuss) Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Drucksache 19/19695 Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 19/19256 empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/19695, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der Drucksache 19/18077 anzunehmen. AfD auf Drucksache 19/19256. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wiederum die AfD. Wer stimmt dage- Zweite Beratung gen? – Das sind die übrigen Fraktionen. Enthaltungen? – und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Bei einigen Enthaltungen in der CDU/CSU ist damit auch Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – dieser Wahlvorschlag gegen die Stimmen der AfD von Das sind alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Wer der Mehrheit des Hauses abgelehnt. dagegen ist, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer enthält Tagesordnungspunkt 16 c: sich? – Bei Enthaltung der AfD ist damit der Gesetzent- wurf von der Mehrheit des Hauses angenommen. Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Zusatzpunkt 11 b: Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- Drucksache 19/19255 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20715

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Der Wahlvorschlag der AfD liegt auf Drucksache scheiden. Wir kommen gleich zur Abstimmung. Wer (C) 19/19255 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – stimmt für diesen Einspruch? – Das ist die Fraktion der Das ist die Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die übrigen Frak- sind FDP, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Linke sowie tionen. Enthaltungen? – Ohne Enthaltungen ist damit mit einige Abgeordnete der CDU/CSU. Wer enthält sich? – Mehrheit der Einspruch zurückgewiesen. Bei Enthaltung von einigen Abgeordneten der CDU/CSU gegen die Stimmen der AfD ist damit auch dieser Wahl- Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: vorschlag abgelehnt. Aktuelle Stunde Tagesordnungspunkt 16 d: auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Sexuellen Missbrauch effektiv bekämpfen – Wahl vom Deutschen Bundestag zu benen- Kinderschutz ausweiten und Prävention stär- nender Mitglieder des Deutschen Ethikrats ge- ken mäß den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erste Red- Drucksache 19/18934 nerin für die Bundesregierung die Bundesministerin der Justiz, Christine Lambrecht. Es liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/18934 vor. Wer stimmt für diesen Wahl- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vorschlag? – Das ist die Fraktion der AfD. Wer stimmt der CDU/CSU) dagegen? – Das sind FDP, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Linke sowie einige Abgeordnete der CDU/CSU. Enthal- Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz tungen? – Damit ist wiederum bei einigen Enthaltungen und für Verbraucherschutz: in der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der AfD Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- dieser Wahlvorschlag von der Mehrheit des Hauses ab- ren! Sexueller Missbrauch fügt Kindern unermessliches gelehnt. Leid zu. Sie können diese Übergriffe nicht verstehen; Zusatzpunkt 39: ganz oft können sie auch nicht darüber reden. Und das, was alle Kinder in diesem Land, auf dieser Welt eigent- Wahlvorschlag der Fraktion der SPD lich haben sollten, nämlich das Vertrauen, dass sie sicher Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums der und geborgen leben können, das wird aufs Schlimmste „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden verletzt. Menschen, die als Kind sexuell missbraucht (B) Europas“ worden sind, leiden ein Leben lang darunter. (D) Drucksache 19/20023 Die jüngsten Ermittlungen zum Missbrauch von Müns- ter, Bergisch-Gladbach und Lügde, diese systematisch Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion der SPD auf organisierten Gräueltaten gegenüber Kindern lassen uns Drucksache 19/20023 vor. Wer stimmt für diesen Wahl- fassungslos zurück. Sie machen uns traurig – und ich vorschlag? – Das sind alle Fraktionen des Hauses mit muss zugeben: Mich machen sie auch richtig wütend. Ausnahme der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das ist die AfD. Damit ist der Wahlvorschlag mit Mehrheit ange- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie nommen. bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zusatzpunkt 40: Bei dieser Wut dürfen wir aber nicht stehen bleiben, son- Wahlvorschlag der Fraktion der SPD dern wir sind aufgefordert, mit allen Möglichkeiten, die Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums der wir haben, diese widerlichen Verbrechen zu verhindern, Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ aufzudecken und – wenn sie vollzogen wurden – auch entsprechend mit Strafen zu belegen. Drucksache 19/20024 In der Diskussion der letzten Tage ist die Forderung Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der SPD erhoben worden, ich müsse im Kampf gegen Kinderpor- auf Drucksache 19/20024. Wer stimmt für diesen Wahl- nografie und Kindesmissbrauch – wörtlich – „aus dem vorschlag? – Das sind alle Fraktionen mit Ausnahme der Quark“ kommen. Ich denke, diese Einschätzung kann AfD. Wer stimmt dagegen? – Die AfD. Enthaltungen gibt man nur dann haben, wenn man die von mir angestoße- es nicht. Damit ist der Wahlvorschlag angenommen. nen Entscheidungen entweder ignoriert oder vielleicht überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat. Ich bin seit Wir kommen nun zu Zusatzpunkt 42: einem Jahr im Amt, meine Damen und Herren, und in Einspruch gegen eine Ordnungsmaßnahme diesem Jahr habe ich mehrere Initiativen auf den Weg gemäß § 39 der Geschäftsordnung gebracht, um den Kampf gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch konsequent zu führen: Es handelt sich um einen Einspruch gemäß § 39 der Ge- schäftsordnung des Abgeordneten Stephan Brandner ge- Auf meine Initiative wurde den Ermittlern die Mög- gen einen in der letzten Sitzung erteilten Ordnungsruf. lichkeit gegeben, sich mit computergenerierten Bildern Der Einspruch wurde als Unterrichtung verteilt. Der Bun- Zugang zu widerlichen Chatgruppen im Darknet zu ver- destag hat über den Einspruch ohne Aussprache zu ent- schaffen, um so Täter aufspüren zu können. 20716 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Bundesministerin Christine Lambrecht (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will, dass in Zukunft jeder sexuelle Missbrauch (C) der CDU/CSU) ohne Wenn und Aber ein Verbrechen ist. Auf meine Initiative wurde das Heranwanzen von Er- (Beifall bei der SPD) wachsenen an Kinder und Jugendliche im Internet, um so einen Missbrauch vorzubereiten, vollständig unter Strafe Das muss sich auch in den Strafen abbilden, und des- gestellt. wegen werde ich dafür sorgen, dass dies geschieht, zum Beispiel dadurch, dass es einen minderschweren Fall von (Beifall bei der SPD) schwerem Kindesmissbrauch in Zukunft nicht mehr ge- ben wird, meine Damen und Herren. Gleich im Anschluss an diese Aktuelle Stunde werden wir das von mir vorgelegte Gesetz gegen Hasskriminali- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tät beschließen. In diesem ist auch vorgesehen, dass in der CDU/CSU) Zukunft Plattformen dann, wenn ihnen Kinderpornogra- fie gemeldet wird, dies nicht nur löschen und sperren Herr Frei, Sie haben hier Vorschläge von der Unions- müssen, sondern auch verpflichtet sind, dies an das Bun- fraktion vorgelegt. Ich kann Ihnen schon heute sagen, deskriminalamt weiterzuleiten, damit zu diesen Tätern, dass sich davon einiges in dem Vorschlag, den ich dem- zu diesen Verbrechen schnell Ermittlungen folgen kön- nächst vorlegen werde, wiederfinden wird. Bei einem nen. sind wir allerdings absolut anderer Meinung; denn Sie schlagen vor, dass auch der Besitz von Kinderpornografie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in Zukunft ein Vergehen bleiben soll. Das halte ich für der CDU/CSU) falsch, und das werde ich anders regeln. Das kann ich heute schon ankündigen. Und ich werde heute Abend hier den Entwurf eines Gesetzes einbringen, das es ermöglicht, kinderpornogra- (Beifall bei der SPD) fische Inhalte auch auf Messenger-Diensten wie zum Bei- spiel WhatsApp zu verfolgen. Ich will, dass auch der Besitz von Kinderpornografie, hinter dem ein Kindesmissbrauch steht, als Verbrechen (Beifall bei der SPD) eingestuft wird; das ist ein wichtiges Signal. Das macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Ermittler (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die erforderlichen Mittel in die Hand bekommen, um der CDU/CSU) diese widerlichen Täter dingfest zu machen. Diese Ent- deckungsgefahr, diesen Verfolgungsdruck müssen die Ich weiß, dagegen gibt es Einwände: Dann kann man nicht mehr zu Einstellungen kommen. Und dann kommt (B) Täter spüren. In diesem Zusammenhang wird dann oft (D) der Einwurf vorgebracht: Es handelt sich doch um Trieb- oft der Hinweis, dass der Besitz von Kinderpornografie täter, und da wird ein solcher Verfolgungsdruck gar nichts gerade unter Jugendlichen besonders gehandhabt werden bringen. – Ich sage zu diesen Tätern ganz klar: Sie han- muss. Ja, das ist richtig. Ich glaube aber nicht, dass es deln planmäßig – sehr planmäßig –, sie täuschen ihr Um- richtig ist, Jugendlichen zu signalisieren, dass bei Besitz feld sehr bewusst, und sie setzen ihre Opfer perfide unter von Kinderpornografie die Verfolgung wegen Geringfü- Druck. Sie müssen wissen, dass all das nichts hilft, dass gigkeit – und das ist die Folge von Einstellungen – ein- wir sie aufspüren und dass wir sie konsequent zur Ver- gestellt wird. antwortung ziehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das wäre ein völlig falsches Signal an Jugendliche, ge- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- rade auch den Betroffenen gegenüber. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dazu gehört dann auch, dass diese widerlichen Straf- der CDU/CSU) taten mit Strafen geahndet werden, die dem Unrecht ent- sprechen. Die WHO schreibt uns ins Stammbuch, dass es wahr- scheinlich in jeder Schulklasse zwei missbrauchte Kinder (Thomas Ehrhorn [AfD]: Was nur nicht pas- gibt. Deswegen müssen wir deutlich machen, auch ge- siert!) genüber Jugendlichen, dass hinter diesen Bildern Es ist richtig, dass schwerer Kindesmissbrauch auch heu- schreckliche Verbrechen stehen. Das bedeutet nicht, dass te schon mit Strafen von bis zu 15 Jahren geahndet wer- jeder Jugendliche, der ein solches Bild auf dem Handy den kann; Sicherungsverwahrung ist heute ebenfalls hat, zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt möglich, auch bei Ersttätern. Aber ein Blick in die Sta- werden muss; denn schon heute haben Jugendrichter na- tistik zeigt uns, dass gerade einmal 0,5 Prozent aller Ver- türlich die Möglichkeiten, bei Jugendlichen altersentspre- urteilungen bei schwerem Kindesmissbrauch, also mit chende Strafen oder Sanktionen zu verhängen, beispiels- Gewaltanwendung, den Strafrahmen von 10 bis 15 Jahren weise erzieherische Maßnahmen. Aber diese müssen nutzen. Bei diesen schweren Fällen wird jede dritte Strafe meiner Meinung nach auch sein. Es muss klar werden: zur Bewährung ausgesetzt. Das macht deutlich, dass Kinderpornografie ist kein Witz und keine Kleinigkeit. Handlungsbedarf besteht. Nein, das ist ein widerliches Verbrechen, hinter dem der Missbrauch eines Kindes steht, und das muss jedem ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genüber deutlich gemacht werden, meine Damen und der CDU/CSU) Herren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20717

Bundesministerin Christine Lambrecht (A) (Beifall bei der SPD) wurde, konsequente Handlungen folgen lassen, meine (C) Aber neben diesen strafrechtlichen Veränderungen Damen und Herren. brauchen wir auch ganz dringend eine Fortbildungs- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. pflicht für Familienrichterinnen und Familienrichter. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Letzte Woche Vizepräsident Thomas Oppermann: abgelehnt!) Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der AfD die Kollegin Mariana Iris Harder-Kühnel. Oft wird nach dem Grundsatz entschieden, dass die Kin- der am besten in der Familie aufgehoben sind. (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD: Oje!) (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Da- rüber reden wir schon so lange!) Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD): – Ja, genau, und deswegen mache ich es jetzt auch, weil Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und ich es satt habe, dass wir darüber reden. Ich nutze als Herren! Der sexuelle Missbrauch eines Kindes ist ein Justizministerin die Möglichkeit, die ich habe. abscheuliches Verbrechen. Es ist Mord an der Kinder- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten seele. 2018 wurden 464 Haftstrafen wegen schweren se- der CDU/CSU) xuellen Kindesmissbrauchs verhängt; 143 Täter kamen mit milden Strafen davon, und zwar mit Haftstrafen zwi- Es muss nämlich Schluss sein damit, dass solche Ent- schen sechs Monaten und zwei Jahren. Und nun raten Sie scheidungen zulasten von Kindern getroffen werden. Der mal, wie viele dieser milden Strafen auch noch zur Be- Grundsatz „Das Kind ist am besten in der Familie aufge- währung ausgesetzt wurden: 97,7 Prozent. 97,7 Prozent hoben“ ist in den allermeisten Fällen richtig; aber es gibt dieser verurteilten Kinderschänder kamen mit Bewäh- auch andere Situationen. Die schrecklichen Aufklärun- rung davon, obwohl Kinderschänder unter den Sexual- gen aktuell in Münster machen doch deutlich, dass man straftätern die höchste Rückfallquote haben. Das ist eine hier besser entschieden hätte, wenn man das Kind aus der Schande, eine Schande für unser Land, meine Damen und Familie herausgenommen hätte. Den Kindern wäre Herren. furchtbares Leid erspart geblieben. Wir müssen die Rich- ter befähigen, solche sensiblen Entscheidungen zu tref- (Beifall bei der AfD) fen, auch durch die Fortbildungspflicht, die in Zukunft (B) Es laufen Bestien auf den Straßen frei herum, die klei- (D) besteht. Das ist ganz wichtig, wenn wir unsere Kinder nen Kindern körperlich Unfassbares angetan und ihnen schützen wollen, meine Damen und Herren. seelisch das Leben genommen haben. Ein solches Un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten recht muss endlich konsequent als Verbrechen bestraft der CDU/CSU und der FDP) werden. Und wer es ernst meint mit dem Schutz von Kindern, (Beifall bei der AfD) der muss auch darüber reden, dass wir Kinderrechte im Und dass die Bundesjustizministerin Lambrecht von der Grundgesetz verankern. SPD sexuellen Missbrauch von Kindern noch letzte Wo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten che weiterhin als Vergehen und nur in besonders der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) schweren Fällen als Verbrechen betrachten wollte, ist ein Skandal. Das ist keine weiße Salbe. Das Grundgesetz ist unsere Werteordnung. Wenn wir Kinderrechte darin verankern, (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Timon dann bedeutet das, dass jedes staatliche Handeln – die Gremmels [SPD]: Haben Sie nicht zugehört?) Exekutive, die Legislative und die Judikative – verpflich- tet ist, das Kindeswohl im Blick zu haben, beispielsweise Und wenn Frau Lambrecht dann auch noch von ihrem bei Anhörungen und auch bei solchen Entscheidungen. Ministerium gegenüber der „Bild“-Zeitung erklären lässt, Deswegen kann ich Sie nur auffordern, lieber Koalitions- dass man ansonsten auch den Zungenkuss zwischen 13- partner, meine Damen und Herren von der CDU/CSU – und 14-Jährigen als Straftat einzustufen hätte, dann zeugt wir haben es im Koalitionsvertrag miteinander verein- dies von einer fachlichen Inkompetenz, die Juristen ein- bart; ich habe einen maßvollen Vorschlag vorgelegt –: fach nur fassungslos macht. Lassen Sie uns endlich dort über diesen Vorschlag disku- (Beifall bei der AfD) tieren, wo solche wichtigen Debatten stattfinden müssen, nämlich hier im Parlament. Da gehört es hin. Deswegen: Dass unser armes Land mit einer solchen Justizministerin Geben Sie sich einen Ruck, und lassen Sie uns im Inte- geschlagen ist, ist bezeichnend für den Zustand, in den resse der Kinder auch über diesen Vorschlag sprechen. Sie alle es gebracht haben. (Beifall der Abg. [SPD]) (Beifall bei der AfD) Ich werde Ihnen in der nächsten Sitzungswoche einen Ich kann mich daher der Forderung der Deutschen Kin- umfassenden Vorschlag unterbreiten, wie wir aus dieser derhilfe nur anschließen: Frau Lambrecht, treten Sie zu- Wut und dieser Verzweiflung über das, was aufgedeckt rück. 20718 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Mariana Iris Harder-Kühnel (A) (Beifall bei der AfD – Lachen der Abg. Leni Wir fordern eine gezielte Stärkung der Polizei durch (C) Breymaier [SPD] – Dr. Johannes Fechner mehr Personal, durch modernste Technik. Wir fordern, [SPD]: Schauen Sie mal bei Ihren eigenen Leu- dass Internetprovider verpflichtet werden, einschlägige ten!) Hinweise unverzüglich zu melden. Vorbestrafte Kinder- Aber auch die anderen Fraktionen in diesem Haus ha- schänder müssen besser erfasst und von Kindern konse- ben sich bei diesem Thema nie mit Ruhm bekleckert. Ich quent ferngehalten werden. Es ist unfassbar, dass hier in erinnere in diesem Zusammenhang an den früheren Berlin Kinder von Jugendämtern jahrzehntelang vorbe- rechtspolitischen Sprecher der Grünen, der in einem straften Päderasten zur Pflege gegeben worden sind. Buch geschrieben hat – ich zitiere –: Eine Entkriminali- Kuscheljustiz, Pädophilierelativierung, Frühsexuali- sierung der Pedosexualität ist angesichts des jetzigen Zu- sierung – all das begünstigt derartige Verbrechen an Kin- standes ihrer globalen Kriminalisierung dringend erfor- dern, derlich. – Nein, meine Damen und Herren, es darf keine Entkriminalisierung der Pedosexualität geben. Stattdes- (Zurufe des Abg. Sönke Rix [SPD]) sen brauchen wir endlich angemessene, und das heißt all das hat in einem Rechtsstaat nichts zu suchen. härtere Strafen für Kinderschänder. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Wer Kindesmissbrauch effektiv bekämpfen will, schafft Bemerkenswert ist auch, wie sich die CDU nach der das nur mit einer Nulltoleranzpolitik. Das sind wir den Entgleisung der Bundesjustizministerin wieder einmal Opfern schuldig. als Law-and-Order-Partei aufgeplustert hat. Sie haben ja recht, wenn Sie Frau Lambrecht in die Schranken weisen Vielen Dank. und plötzlich härteres Durchgreifen gegen sexuellen Missbrauch von Kindern fordern. Aber hätte man das (Beifall bei der AfD) nicht schon viel früher tun können und müssen? Die Probleme sind doch lange bekannt, Vizepräsident Thomas Oppermann: (Zuruf der Abg. Dr. [CDU/CSU]) Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Thorsten Frei. die Opfer zahllos. Muss es denn immer erst so richtig knallen, bis etwas getan wird? Ich kann und will das ein- (Beifall bei der CDU/CSU) fach nicht verstehen. Wer regiert denn dieses Land seit Jahrzehnten? Thorsten Frei (CDU/CSU): (B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (D) (Beifall bei der AfD) Staufen, Bergisch Gladbach, Lügde, jetzt zuletzt Müns- Meine Damen und Herren, die aktuellen Miss- ter – es ist bedauerlicherweise nur die Spitze des Eis- brauchsskandale von Münster und Berlin müssen, wie bergs. Die Dimensionen erschrecken jedes Mal aufs so viele Missbrauchsfälle davor, bei allen die Alarmglo- Neue. Wenn wir uns den Fall Münster anschauen, sehen cken schrillen lassen. Ich wiederhole es: Sexueller Kin- wir, dass es hier um Datenmaterial von 500 Terabyte desmissbrauch ist Mord an der Kinderseele und muss geht. Das heißt, ein Mensch, der das sichten möchte, entsprechend hart bestraft werden. Viel zu oft geht es muss zehn Jahre lang jeden Tag, 24 Stunden, 7 Tage die um Täterschutz statt um Opferschutz. Woche, solches verbrecherisches Material anschauen, um da durchzukommen. Das sprengt schon die Vorstellungs- (Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] kraft. Zugleich ist es so – darauf weist beispielsweise die [DIE LINKE]) EU-Innenkommissarin hin –, dass in Zeiten der Covid- Viel zu oft steht die Resozialisierung des Täters im Fo- 19-Pandemie die Nachfrage nach Kinderpornografie um kus. Davon haben die Opfer dieser Verbrechen gar nichts. 30 Prozent gestiegen ist. Wenn man in unsere Polizeiliche Ganz im Gegenteil: Sie werden psychisch zusätzlich be- Kriminalstatistik schaut und liest, dass Kindesmissbrauch lastet, wenn sie wissen, dass die Täter weiter frei herum- letztes Jahr um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr ge- laufen dürfen. Das ist eines Rechtsstaats unwürdig und stiegen ist, aber auch die Aufklärungsquote im Bereich für die AfD nicht hinnehmbar. Kinderpornografie um 65 Prozent gegenüber dem Vor- jahr gestiegen ist, stellt man fest: Wir haben es tatsächlich (Beifall bei der AfD) mit der Spitze eines Eisberges zu tun. Wir fordern härtere Strafen und eine Nulltoleranzpoli- Ich glaube, wir sind es unseren Kindern schuldig, als tik für Kinderschänder. Kindesmissbrauch ist ein Verbre- zivilisierte Gesellschaft alles nur Denkbare zu unterneh- chen. Die gesetzlichen Mindeststrafen müssen erhöht und men, um genau diese schrecklichen Verbrechen zu be- die Strafrahmen durch die Gerichte viel öfter voll ausge- kämpfen. schöpft werden. Herstellung, Verbreitung, Erwerb und Besitz von Kinderpornografie müssen genauso bestraft (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- werden wie der Kindesmissbrauch selber. Ein Staat, der ordneten der SPD und der FDP) Wirtschaftskriminelle oft härter bestraft als pädophile Kinderschänder, hat seinen moralischen Kompass verlo- Es stimmt, Frau Justizministerin: Es ist nicht so, als wür- ren, meine Damen und Herren. den wir erst heute damit anfangen. Erst in diesem Früh- jahr haben wir den untauglichen Versuch beim Cyberg- (Beifall bei der AfD) rooming zur Straftat gemacht. Wir hatten das im Übrigen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20719

Thorsten Frei (A) schon im Koalitionsvertrag vereinbart. Angesichts der stiegsstraftat; das ist kein Kavaliersdelikt. Das ist (C) neun Seiten Gesetzestext wäre es sicher auch möglich schrecklich. Es geht letztlich darum, dass hinter jedem gewesen, diesen Text in weniger als anderthalb Jahren dieser Fotos und hinter jedem, der dafür etwas bezahlt, vorzulegen. ein Kindesmissbrauch steckt. Deswegen brauchen wir dafür zum Beispiel auch die Möglichkeit der Online- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) durchsuchung. Deswegen müssen wir auch die Möglich- Aber es ist passiert. Wir haben vor allen Dingen – das keiten verbessern, dafür Untersuchungshaft zu verhän- haben wir im Gesetzgebungsverfahren gemeinsam ge- gen. Deswegen darf ein Pädokrimineller nicht nach schafft – für Polizisten die Möglichkeit geschaffen, mit wenigen Jahren wieder ein sauberes Führungszeugnis be- computergeneriertem Material ins Darknet vorzudringen kommen und vieles andere mehr. Ich schlage vor, Frau und dafür zu sorgen, dass die Aufklärung von Straftaten Ministerin, dass Sie sehr, sehr schnell diesen Gesetzent- wie in Staufen nicht mehr dem Zufall überlassen bleibt, wurf hier in den Deutschen Bundestag einbringen. Wir sondern dass sie tatsächlich möglich ist. unterstützen Sie dabei, dafür auch die parlamentarischen Mehrheiten zu schaffen. Sie haben recht: Nachher verabschieden wir hier im Deutschen Bundestag ein Gesetz, mit dem wir eben nicht Ich warne jedoch davor, diese Frage mit etwas zu be- nur die Provider zur Löschung solcher Straftaten aus dem lasten, bei dem es noch etwas Diskussionsbedarf gibt. Internet verpflichten, sondern zusätzlich auch mit der Wir haben überhaupt nichts dagegen, Kinderrechte in Ausleitung an das Bundeskriminalamt ermöglichen, dass anderer Form im Grundgesetz zu platzieren. Aber Sie eine strafrechtliche Verfolgung eingeleitet werden kann. wissen ganz genau, dass wir mit Ihrem Vorschlag nicht Das sind gewaltige Fortschritte, aber es ist noch nicht einverstanden sind. genug. ( [SPD]: Wo denn sonst?) Ich gebe Ihnen auch recht: Ja, das ist ein umfassendes Problem. Da geht es auch um familienrechtliche Fragen. Das Bundesinnenministerium hat einen alternativen Vor- Da geht es um Fortbildungsfragen. Es geht um Präven- schlag gemacht. Auch darüber können wir gerne reden. tion. Es geht um Schutzmaßnahmen für Opfer. Die CDU/ (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CSU-Bundestagsfraktion hat bereits im Februar 2019 ein NEN]: Wollen Sie nicht mal einen Koalitions- 26-Punkte-Papier vorgelegt, in dem wir all diese Punkte ausschuss machen?) adressieren. Ein Teil dieser Vorschläge beschäftigt sich mit der Anpassung der Strafrahmen beim Kindesmiss- Zum Schutz des Kindeswohls – das sei mir als ab- brauch und bei der Kinderpornografie. schließende Bemerkung gestattet – muss man nur mal einen Blick in § 1666 BGB werfen. Da steht genau drin, (B) Es sind Verbrechen, soweit es sich um Kindesmiss- dass, wenn das Kindeswohl – das körperliche, geistige (D) brauch handelt, und deswegen müssen sie auch genau oder seelische Wohl – gefährdet ist und die Eltern nicht so bestraft werden. Ich sage das deshalb, weil die Straf- in der Lage oder bereit sind, dem abzuhelfen, dann das androhung ja nicht nur eine abschreckende, nicht nur eine Familiengericht die erforderlichen Maßnahmen zu er- generalpräventive Wirkung hat, sondern weil es darüber greifen hat. Genau darum geht es. Deswegen: Im Grund- hinaus auch darum geht, strafverfahrensrechtlich zusätz- gesetz steht jetzt nichts, was uns daran hindern würde, liche Möglichkeiten zu schaffen, alles Notwendige zu tun, um unsere Kinder zu schützen. Und das sollten wir tun, und zwar zügig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) etwa bei der Frage der Einstellung, bei der Erhebung von Herzlichen Dank. Verkehrsdaten, beim Abhören von Telefonen und ande- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rem mehr. Wir schaffen damit für die Ermittler zusätz- neten der FDP – Zuruf des Abg. Norbert Müller liche Möglichkeiten; und deswegen ist es richtig, das zu [Potsdam] [DIE LINKE]) machen. Im Übrigen, Frau Ministerin: Wenn Sie mich aus ei- Vizepräsident Thomas Oppermann: nem Brief an Sie zitieren, dann müssen Sie das auch Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion korrekt machen. Da steht nämlich bei der Strafandrohung der FDP die Kollegin Katja Suding. im Bereich der Kinderpornografie und des Besitzes von Kinderpornografie das Wort „mindestens“. Deswegen sa- (Beifall bei der FDP) ge ich Ihnen an dieser Stelle zu: Katja Suding (FDP): (Zurufe der Abg. Renate Künast [BÜND- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und NIS 90/DIE GRÜNEN]) Herren! Sexueller Missbrauch gehört zu dem Schlimms- Wir werden uns über diese Frage nicht streiten, sondern ten, was einem Kind angetan werden kann. Für die meis- wir werden uns schnell einigen, damit wir auch im parla- ten von uns ist es kaum vorstellbar, welches Leid ein mentarischen Verfahren zügig vorwärtskommen. Kind durchlebt, dem etwas so Schreckliches widerfährt. Für das vergangene Jahr zählt die Kriminalstatistik (Beifall bei der CDU/CSU) 15 963 Kinder, die in Deutschland sexuelle Gewalt er- Es geht vor allen Dingen darum, dass wir zusätzliche leben mussten. Die Dunkelziffer liegt noch viel höher, Möglichkeiten der Strafverfolgung auch im Bereich der so die Experten. Zehntausende schutzbedürftige junge Kinderpornografie schaffen. Das ist nicht nur eine Ein- Menschen, deren Würde aufs Schlimmste verletzt wurde. 20720 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Katja Suding (A) Und immer wieder erschüttern uns neue Fälle. Wir er- Strafandrohung bringen wir unsere Bewertung einer (C) innern uns exemplarisch an das jahrelange Martyrium strafbaren Handlung zum Ausdruck. Als Nichtjuristin des Jungen aus Staufen, an Bergisch Gladbach, und die- würde ich sagen: Wir bringen unsere Abscheu damit ser Tage machen uns die neuesten Entwicklungen in zum Ausdruck. Münster fassungslos. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mich nicht daran gewöhnen, über solche Taten Und dennoch – auch das sei bei aller Emotionalität, die in den Nachrichten zu hören, und wir dürfen uns nicht dieses Thema bei uns allen hervorruft, gesagt –: Bei einer daran gewöhnen. Novellierung der entsprechenden Norm sollten wir wirk- lich sorgsam darauf achten, in minderschweren Fällen, im (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Einzelfall, nicht den Weg zu verbauen, ein Verfahren bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- auch einstellen zu können, wenn es im Interesse des Kin- SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert deswohls ist. Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, auf einer Ausweitung der Gerade nach so abscheulichen Taten wie in Münster Strafuntergrenze dürfen wir uns allerdings nicht ausru- steht schnell die Forderung nach längeren und härteren hen. 15 963 gemeldete Fälle alleine in 2017 plus die Dun- Strafen im Raum. Das ist emotional verständlich. kelziffer: Jede dieser schrecklichen Taten ist eine zu viel. Wir müssen alles daransetzen, dass es erst gar nicht dazu (Nadine Schön [CDU/CSU]: Richtig!) kommt. Doch wir müssen genau hinsehen, ob und wie dieser (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nachvollziehbare Reflex auch das bringt, was wir uns alle der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des wünschen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des In drei Bereichen müssen wir für eine bessere Prävention BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sorgen. Das Strafrecht, das ist die Ultima Ratio zur Bewältigung Erstens: gute Ausstattung bei den Ämtern und Behör- gesellschaftlicher Konflikte, also das letzte Mittel, und den des Kinder- und Jugendschutzes. deshalb sollte über Strafrechtsverschärfung mit kühlem Kopf und nicht mit heißem Herzen beraten werden. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ge- nau!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Jugendämter, Sozial- und Gesundheitsbehörden, aber (B) GRÜNEN) auch Polizei und Gerichte – sie alle haben eine (D) Schlüsselfunktion, wenn es um das frühzeitige Aufde- Vor allem müssen wir der Versuchung widerstehen, zu cken von Verdachtsfällen geht. Ihr wachsamer Blick kann glauben, dass Straftaten alleine schon durch eine höhere zur rechten Zeit Warnzeichen erkennen. Aber statt ihnen Strafandrohung verhindert werden könnten. mit ausreichend Personal und mit einer guten technischen (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ge- Ausstattung den Job zu erleichtern, lassen wir sie viel zu nau!) oft im Stich. Die Realität sieht nämlich so aus: Personal- mangel, endlose Dokumentationspflichten und nicht ein- Das gilt für Sexualstraftaten in besonderer Weise. Wenn mal Diensthandys. Das darf nicht so bleiben, meine Da- wir das tun, dann wiegen wir uns in falscher Sicherheit, men und Herren. die für die betroffenen Kinder fatal ist. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Und zweitens: mehr Personal in den Kitas, das ent- CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE sprechend qualifiziert ist. Die Chance, dass Erzieherin- LINKE]: Genau! Schützt keine Kinder!) nen und Erzieher Auffälligkeiten erkennen, ist groß. Aus Sicht der FDP-Fraktion reicht der Strafrahmen in (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: seinem oberen Bereich dafür aus, auch die widerwärtigs- Richtig!) ten Formen des Missbrauchs hart zu bestrafen. 15 Jahre Viele sind für die Kinder wichtige Bezugspersonen. Wer plus Sicherungsverwahrung sind schon jetzt möglich. aber gleichzeitig acht, neun oder mehr Kinder zu betreuen Regelungsbedarf gibt es jedoch am unteren Ende des hat, dem bleibt kaum Zeit für die notwendige Zuwen- Strafrahmens. Hier brauchen wir eine Strafuntergrenze dung. bei Kindesmissbrauch, die das bisherige Vergehen zum Verbrechen macht und eine Freiheitsstrafe von mindes- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: tens einem Jahr vorsieht. Richtig!) (Beifall bei der FDP) Ministerin Giffey, ich bin froh, dass Sie hier sind und der Debatte lauschen. Sie müssen endlich einsehen, dass Warum diese Verschärfung? Im Unterschied zu den Sie Ihr milliardenschweres Gute-KiTa-Gesetz nachbes- 70er-Jahren, als der sexuelle Kindesmissbrauch vom Ver- sern müssen. brechen zum Vergehen herabgestuft wurde, beurteilen wir als Gesellschaft diesen Missbrauch heute anders – (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Gott sei Dank, will ich hinzufügen. Durch die Höhe der Richtig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20721

Katja Suding (A) Sie verpassen sonst die Chance für mehr Erzieher in den Der beste Kinderschutz wäre, wenn jeder Täter wüsste, (C) Kitas, die wir so dringend brauchen. dass seine Taten mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf- gedeckt werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- (Zuruf von der CDU/CSU: Vorratsdatenspei- SES 90/DIE GRÜNEN) cherung!) Und drittens. Wir alle müssen sensibler sein für die In der Realität gehen wir aber davon aus, dass durch- Anzeichen von sexuellem Kindesmissbrauch. Diese Ta- schnittlich in jeder deutschen Grundschulklasse mindes- ten sind real, sie geschehen. Wir müssen wachsamer sein: tens ein Kind mit Missbrauchserfahrung sitzt. Stimmt als Eltern, als Freunde, als Nachbarn. Das ist unsere ge- das, so wird bisher nur ein sehr, sehr, sehr kleiner Anteil meinsame gesellschaftliche Verantwortung. Kinder brau- aller Missbräuche überhaupt aufgedeckt. chen unseren besonderen Schutz, und deshalb müssen wir Ich glaube, wir brauchen einen ganz anderen Ansatz, noch viel genauer hinsehen und vor allen Dingen mutig um Kinder bestmöglich zu schützen, und möchte dafür handeln, wenn unsere Kinder bedroht sind. vier Vorschläge unterbreiten. Vielen Dank. Erstens müssen wir die Kinder selbst stärken. Darüber ist heute bisher sehr wenig geredet worden. Kinder, die (Beifall bei der FDP) die Erfahrung gemacht haben, dass sie in schwierigen Situationen von Erwachsenen gehört werden, und die Vizepräsident Thomas Oppermann: Hilfe finden, werden sich eher wehren können. Vielen Dank. – Nächster Redner ist für Die Linke der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Kollege Norbert Müller. neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Kinder, die wissen und die erlernen, dass sie Rechte ha- ben, werden schwerer zu Opfern werden. Kinder aber, die erfahren mussten, dass ihnen in einer anderen Situation, Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): vielleicht einer von weniger Tragweite, niemand gehol- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- fen hat, deren Probleme ignoriert wurden, werden sich ren! Es ist gut, dass wir heute in der Aktuellen Stunde nach einer verstörenden und beschämenden Miss- darüber sprechen können, wie wir Kinder vor sexuellem brauchssituation schwerer zu helfen wissen. Missbrauch besser schützen. Leider ist es erst wieder ein (B) schlimmer Anlass – die schrecklichen Taten von Müns- Unser Ziel muss es sein, dass wir starke Kinder haben, (D) ter –, der dem Thema in der öffentlichen Wahrnehmung die ihre Rechte kennen und die von klein auf erlernen, Bedeutung verleiht. Für die dort missbrauchten Kinder dass ihr Körper nur ihnen selbst gehört. kommt alles, was wir heute diskutieren, zu spät, und wir können uns nur dafür entschuldigen, dass wir, dass (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- die Gesellschaft diese Kinder nicht besser schützen konn- ten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des te. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen brauchen wir endlich die Kinderrechte im Das Thema Kindermissbrauch – da bin ich sicher – Grundgesetz, um Kinder selbst zu stärken. lässt niemanden hier kalt. Der Reflex der gefühlten Ohn- macht, der Wut, dem mit aller Härte zu begegnen, ist nur (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- allzu verständlich. Aber ist es nicht seltsam, dass nach ten der SPD und der Abg. Katja Dörner jeder entdeckten grausamen Missbrauchstat über härtere [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Strafen für Täter gesprochen wird, selten aber über einen Ich finde es maximal befremdlich, dass diejenigen, die guten Schutz für die Opfer? hier sehr deutlich höhere Strafen für Täter fordern, zu- Ich weiß, die Koalition will den Strafrahmen bei se- gleich die Stärkung der Kinderrechte ablehnen oder blo- xuellem Kindesmissbrauch erhöhen, um abzuschrecken. ckieren. Ich finde, das ist zynisch. Aber die Erfahrung – darauf ist bereits hingewiesen wor- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- den – zeigt und die Wissenschaft bestätigt das auch: Harte ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Strafen halten pädophile Täter eben nicht von ihrer Tat GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Das hat doch ab. Die Haupttäter von Lügde wurden zu 12 und 13 Jahren miteinander gar nichts zu tun!) Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verur- teilt. Dennoch hat der bestehende Strafrahmen sie von – Doch, das hat was miteinander zu tun, und ich erkläre ihren Taten überhaupt nicht abgeschreckt. Was Täter Ihnen das auch. Ich habe es eigentlich gerade versucht. ernsthaft schreckt, ist die Sorge, erwischt zu werden. Ein Kind, das seine Rechte kennt, ein Kind, das selbst- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- bewusst ist, ein Kind, das weiß, dass sein Körper nicht NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- einfach übergriffig behandelt werden kann, ein Kind, das ten der SPD) wertgeschätzt wird, und ein Kind, das die Erfahrung macht, dass es seine Rechte auch einfordern kann, das Nur das wird Täter mit pädophilen Neigungen von Miss- wird sich eher wehren können, und das wird dazu bei- bräuchen abhalten. tragen, dass Taten aufgedeckt werden und Tätern äußerst 20722 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Norbert Müller (Potsdam) (A) zügig das Handwerk gelegt wird. Das ist doch der Schlüs- eine öffentliche Finanzierung, weil jeder, der zum Täter (C) sel. wird, am Ende eben auch Opfer hat. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen nicht zum Täter werden, damit (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Kinder nicht zu Opfern werden. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens brauchen wir eine noch bessere Sensibilisie- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- rung von Erzieherinnen und Erziehern, von Lehrerinnen ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE und Lehrern, von Fachkräften in der Kinder- und Jugend- GRÜNEN und der Abg. Bettina Margarethe hilfe. Gerade weil Täter häufig aus dem näheren Umfeld Wiesmann [CDU/CSU]) der Kinder kommen, sind Schule und Kita so wichtig. Das alles – Herr Präsident, ich komme zum Schluss – Das Personal dort muss so qualifiziert sein, dass es erste ist nicht mit einer Hauruckmaßnahme zu packen. Das ist Anzeichen eines Missbrauchs professionell deuten kann mit Geld verbunden, auch mit viel Aufwand, und mit und damit auch einen Umgang findet. Kinder müssen Sicherheit ist das nicht so plakativ wie eine Strafrechtsre- sich dort Fachpersonen anvertrauen, die mit ihnen zu form, die sich auf den Titelseiten bestimmter Zeitungen tun haben, in dem Wissen, dass ihnen dann auch geholfen gut macht. Aber ich finde, wenn uns der Schutz von wird. Kindern und Jugendlichen wichtig ist, dann sollten wir (Zuruf von der SPD: Richtig!) diese Maßnahmen nicht unversucht lassen. Ein wesentliches Instrument hierbei bleibt Aufklärung. Vielen Dank. Und ja, das sollte tatsächlich bereits im Kindergarten beginnen. Denn was von den Rechten als Frühsexualisie- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- rung stigmatisiert wird – genau das haben Sie ja wirklich NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- deutlich getan –, ermöglicht es jungen Menschen über- ten der SPD) haupt erst, erlittenes Unrecht in Worte zu fassen. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion GRÜNEN – Zurufe von der AfD) Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katja Dörner. Kinder müssen lernen, dass sexualisierte Annäherung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) durch Erwachsene als Fehlverhalten einzuordnen ist, und sie müssen sich zur Wehr setzen können. Sensibili- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) sierung von Kindern ist eben überhaupt keine Frühsexua- (D) lisierung, sondern notwendig, damit sie sich wehren kön- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- nen. be Kollegen! Wenn wir nach Münster, nach Lügde, nach Staufen schauen, dann müssen wir in aller Klarheit fest- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- stellen: Der Staat hat hier versagt, seine Institutionen ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE haben versagt, und zwar darin, dem Verfassungsauftrag GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Sie nutzen nachzukommen, ein Wächteramt auszuüben und Kinder, den Missbrauch für Ihre ideologischen Vorha- die schwächsten Mitglieder in unserer Gesellschaft, zu ben!) schützen und vor Schaden zu bewahren. Das darf nicht passieren, und wir müssen uns sehr ernsthaft fragen: Was Drittens brauchen wir eine bessere Ausstattung der können wir dafür tun, damit das nicht wieder passiert? Kinder- und Jugendhilfe. Die Jugendämter sind personell völlig unterbesetzt. Im Allgemeinen Sozialen Dienst feh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len Zehntausende Mitarbeiter. Eine gut funktionierende sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] Kinder- und Jugendhilfe und leistungsfähige Jugendäm- [DIE LINKE]) ter sind gelebter Kinderschutz. Wer im Jugendamt aber 100, 150 oder mehr Fälle auf dem Tisch hat, der übersieht Jetzt wird viel über das Strafmaß diskutiert. Das kann vielleicht einen Missbrauch, und ich finde, Lüdge muss sinnvoll sein, insbesondere wenn Strafverschärfungen uns da eine Warnung sein. dazu beitragen, Ermittlungsbefugnisse auszuweiten. Aber die Diskussion über das Strafmaß ist mit Blick da- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- rauf, Kinder tatsächlich zu schützen, doch ganz offen- neten der SPD) sichtlich völlig unterkomplex. Und viertens müssen wir Menschen mit pädophilen Neigungen helfen, nicht zu Tätern zu werden. Es gibt ( [CDU/CSU]: „Unterkom- diese Menschen, und es gibt sie in gar keiner so kleinen plex“!) Zahl. Wir brauchen endlich ein flächendeckendes Prä- Deshalb werde ich hier zum Thema dieser Aktuellen ventionsangebot für potenzielle Täter. Es gibt Menschen Stunde reden, das da lautet: „Sexuellen Missbrauch ef- mit pädophilen Neigungen; das ist so. Die allermeisten fektiv bekämpfen – Kinderschutz ausweiten und Präven- meistern ihr Leben, ohne sich an Kindern zu vergehen. tion stärken“. Viel zu viele werden aber eben dennoch zu Tätern. Mo- dellprojekte wie das Präventionsprojekt „Kein Täter wer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert den“ der Berliner Charité sind leider die Ausnahme, und Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Sehr richtig! ich finde, hier braucht es einen bundesweiten Ausbau und Genau!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20723

Katja Dörner (A) Ich finde, genau darum sollte es in dieser Debatte eigent- hotline, die sich an medizinisches Personal wendet. Ich (C) lich gehen. halte solche Angebote für zentrale Bausteine im Kinder- schutz, und auch hier hapert es weiterhin an einer soliden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dauerhaften Finanzierung. Und das ist übrigens eine sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Aufgabe für den Bundeshaushalt. Ich finde, das darf nicht KEN – Zuruf von der AfD: Ihr habt ja jahre- so bleiben. lange Erfahrung!) Wenn wir über Urteile sprechen, dann sollten wir viel (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: mehr die Urteile in den Blick nehmen, die nie gefällt Richtig!) werden, weil nie ermittelt wird, weil die Gewalt gegen Eine Politik des effektiven Kinderschutzes, die eben nicht Kinder erst gar nicht gesehen wird. Laut Kinderschutz- nur auf kurzfristige Empörung setzt, kostet eben Geld, bund muss sich in Deutschland ein Kind an durchschnitt- und das muss es uns doch wert sein, liebe Kolleginnen lich sieben Erwachsene wenden, bevor ihm überhaupt und Kollegen. zugehört und geglaubt wird, dass ihm Gewalt angetan wurde. Das finde ich unerträglich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN KEN) sowie bei Abgeordneten der SPD und des Geld kosten würde übrigens auch der Ausbau der Ka- Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) pazitäten bei den Ermittlungsbehörden. Das ist aus unse- Wir brauchen gesellschaftliche Sensibilisierung, wir rer Sicht auch ein ganz wichtiger Baustein, um der Täter brauchen eine Kultur des Hinsehens und dann auch Han- habhaft zu werden. Auch hier müssen wir deutlich mehr delns. investieren. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kindesmissbrauchs und auch der Betroffenenrat, denen sowie der Abg. Bettina Margarethe Wiesmann ich an dieser Stelle für ihre wichtige Arbeit meinen ganz [CDU/CSU]) herzlichen Dank aussprechen möchte, Wir brauchen endlich eine kindgerechte Justiz. Ob jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Münster oder in Staufen: Die Kinder selber wurden sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- überhaupt nicht angehört. Ihnen wurde kein Verfahrens- KEN) beistand zur Seite gestellt. Das ist nicht nur ganz klar eine Missachtung ihrer Rechte, sondern zeigt auch, dass wir haben genau zu diesen Fragen wertvolle Vorschläge ge- (B) die familiengerichtlichen Verfahren sehr genau in den (D) macht, die wir aufgreifen sollten. Blick nehmen müssen. Wir brauchen die verpflichtenden Wir erleben immer wieder, dass spezialisierte Fachbe- Fortbildungen für die Familienrichter, weil die eben über ratungsstellen gegen Gewalt gegen Kinder um ihre Fi- höchst sensible Fragen mit weitreichenden Folgen für das nanzierung kämpfen müssen. Dabei müssten sie dringend Wohl der Kinder entscheiden. Es ist gut, Frau Lambrecht, ausgebaut und dauerhaft solide finanziert werden. dass Sie jetzt angekündigt haben, dass diese verpflichten- den Fortbildungen kommen sollen. Ich sage Ihnen aber: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der letzten Sitzungswoche ist genau diese Forderung in Wir kennen auch die Situation in nicht wenigen der ja oft unserem Antrag von den Koalitionsfraktionen hier abge- gescholtenen Jugendämter, die im Bereich Kinderschutz lehnt worden. Das, finde ich, kann man so nicht stehen mit einer für die Kinder gefährlichen Kombination aus lassen. fehlendem Personal und steigenden Fallzahlen zu kämp- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- fen haben. SES 90/DIE GRÜNEN) (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ja!) Wir müssen das wirklich verankern, und Sie müssen jetzt Das liegt nicht in der Zuständigkeit des Bundes – das auch dafür stehen, dass das in dieser Legislaturperiode weiß ich –, aber Kinder effektiv zu schützen, ist eben eine wirklich passiert. komplexe Aufgabe, und es ist zu wenig, immer nur darauf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu verweisen, dass man für irgendetwas nicht zuständig sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des ist. Abg. Daniel Föst [FDP]) Jetzt steht eine Reform des SGB VIII unmittelbar Abschließend: Die Aufnahme der Kinderrechte ins bevor, und diese Reform müssen wir auch im Bereich Grundgesetz ist absolut überfällig. Wer Kinder schützen des Kinderschutzes und im Hinblick auf die Komplexität, will, wer Kinder als starke Subjekte verankern will, der die wir beim Kinderschutz haben, nutzen, um hier wirk- muss ihre Rechte explizit ins Grundgesetz schreiben. Ich liche Erfolge zu erzielen. kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum die Union das weiter blockiert. Ich sage aber an die Adresse von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Ministerin Lambrecht auch: Es kommt bei Weitem sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- nicht nur darauf an, ob man die Kinderrechte ins Grund- KEN) gesetz schreibt; es kommt auch darauf an, wie man das Wir haben auch sehr konkrete Baustellen, beispiels- tut. Wir wollen, dass die Grundgesetzänderung einen ech- weise die Finanzierung der Medizinischen Kinderschutz- ten Mehrwert für die Kinder hat. 20724 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Katja Dörner (A) Für einen guten Schutz müssen wir Kinder konsequent Mumm hat, an dieser Debatte teilzunehmen. Das finde (C) anhören und beteiligen, und es muss klar sein, dass ihr ich, gelinde gesagt, eine Frechheit von Ihrem General- Wohl endlich handlungsleitend für alle staatlichen Ebe- sekretär. nen sein muss. Dann steigt nämlich auch die Chance, dass der Staat seinem Wächteramt adäquat entsprechen kann. (Beifall bei der SPD) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich glaube, das Strafrecht ist das eine; es gehört aber genauso dazu – das haben Redner hier schon angespro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen –, die Prävention viel stärker in den Blick zu neh- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- men. Denn – das muss man immer wieder in der öffent- KEN) lichen Debatte deutlich machen – das Strafrecht kommt erst dann zur Anwendung, wenn die Tat bereits stattge- funden hat. Darum reicht die reine Fokussierung auf das Vizepräsident Thomas Oppermann: Strafrecht nicht. Nein, wir brauchen eine Stärkung der Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Prävention. Wir brauchen eine Prävention auf allen Ebe- SPD der Kollege Dirk Wiese. nen. Wir müssen bestehende Projekte aufbauen, Projekte (Beifall bei der SPD) wie „Trau Dich!“ oder „Kein Täter werden“. Wir müssen Jugendämter, Beratungsstellen und Ermittlungsbehörden Dirk Wiese (SPD): stärken. Die Arbeit in Schulen, Kitas und Sportvereinen müssen wir stärken. Ich bin der Bundesfamilienministe- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und rin Franziska Giffey dankbar, dass sie heute noch mal Kollegen! Die frühere Bundesfamilienministerin und Un- mehr Präventionsprojekte vorgestellt hat, die wichtig abhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen sind und die richtig sind. Das gehört dazu, wenn man Kindesmissbrauchs Christine Bergmann hatte recht, als umfassenden Kinderschutz will und ihn voranbringen sie an ihrem 80. Geburtstag im vergangenen Jahr sagte, will. dass man für den Kampf gegen Kindesmissbrauch leider einen sehr langen Atem braucht und dies eine unserer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wichtigsten Aufgaben überhaupt darstellt. Dies ist – das der CDU/CSU) muss man immer wieder betonen; und da hat sie recht – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die jede und jeden Ich finde es, ehrlich gesagt, unsäglich, dass in der ver- von uns in diesem Land in Verantwortung nimmt. gangenen Woche Forderungen aus Nordrhein-Westfalen gekommen sind, alleine den Fokus aufs Strafrecht zu (Beifall bei der SPD) richten, und dann in der vergangenen Woche die Meldung durchkam, dass Einrichtungen des Kinderschutzbundes (B) Darum ist es richtig, jede sinnvolle Strafrechtsver- (D) in Nordrhein-Westfalen nicht ausreichend von der Lan- schärfung, Strafrechtsrahmenanpassung auf den Weg desregierung finanziert sind und voranzubringen – das begrüßen wir als SPD-Bundes- tagsfraktion ausdrücklich –, die mit dazu beiträgt, dass es (Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!) am Ende weniger sexuelle Gewalt gegen Kinder gibt. Hier begrüße ich es auch ausdrücklich, dass die Bundes- und sie in dieser Phase geschlossen werden müssen. Das justizministerin ihre Vorschläge noch vor der Sommer- geht nicht. Wenn wir Prävention wollen, muss man auch pause vorlegen wird. Wir werden diese unterstützen und hier die Fördergelder erhöhen und dort dafür sorgen, dass auch dafür sorgen, dass sie zügig durchs Parlament ge- Prävention letztendlich möglich ist. bracht werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will aber auch anmerken, dass ich von der Debatte in der vergangenen Woche ein kleines bisschen – ja, ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man umfas- will das nicht unbedingt so sagen – überrascht gewesen senden Kinderschutz will, dann muss man ans Strafrecht bin. Es ist, glaube ich, sicherlich die Aufgabe eines Ge- ran, ja, dann muss man die Prävention massiv ausbauen; neralsekretärs einer großen Partei, in manchen Debatten aber dann muss man auch über „Kinderrechte ins Grund- auch die Samthandschuhe auszuziehen und durchaus mal gesetz“ reden und diskutieren. zu versuchen, Schärfe in eine Diskussion reinzubringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es ist allerdings etwas schade, wenn sich die Probleme der LINKEN) mit dem Studium bei der Differenzierung zwischen Straf- recht AT und Strafrecht BT bei solchen Stellungnahmen Ich sage das deutlich: Wir brauchen ein Kindergrundrecht fortsetzen. mit Verfassungsrang. Ich kann es nicht nachvollziehen, dass man umfassenden Kinderschutz vonseiten der Union (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ach, fordert, aber bei diesem Thema nicht mitgehen will. das ist euch ja total fremd!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was ich aber nicht richtig finde – das sage ich ganz deutlich –, ist, wenn man sich vor jede Kamera stellt Das hat ganz klare Auswirkungen. Man hat das in Müns- wie in der vergangenen Woche und die Bundesjustizmi- ter gesehen. Dort ist in Familiengerichtsentscheidungen nisterin angreift, aber dann heute in einer Aktuellen Stun- das Erziehungsrecht der Mutter höher gewichtet worden de, die wir als Koalition beantragt haben, nicht den als das Kindeswohl. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20725

Dirk Wiese (A) (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Unfug! Das hat. Wie konnten sich über Jahrzehnte wie im Fall „Kent- (C) ist juristisch schlicht falsch! – Weitere Zurufe ler“ in unserem Land Pädophilennetzwerke bilden, wel- von der CDU/CSU) che bis in Senatsverwaltungen, Bezirksjugendämter und Mit einem Kindergrundrecht mit Verfassungsrang wäre eine Vielzahl anderer Einrichtungen hineinragen konn- es möglicherweise zu anderen Entscheidungen gekom- ten? men. Darum gehört zu einem umfassenden Kinderschutz (Beifall bei der AfD) „Kinderrechte ins Grundgesetz“. Wer das nicht mitmacht, kann nicht sagen, er steht an dieser Stelle für umfassen- Könnte es vielleicht daran liegen, dass Täter die Risi- den Kinderschutz. ken, angemessen bestraft zu werden, aufgrund einer viel zu lang gelebten Laissez-faire-Kultur in unserem Land (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten für überschaubar halten? Aufgrund einer ideologisch der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE verbrämten Resozialisierungskultur, die Täterschutz GRÜNEN) weitaus höher einschätzt und bewertet als den Schutz Ich hoffe sehr, dass Sie Ihre Blockadehaltung zu einem der potenziellen Opfer? Aufgrund einer Gerichtsbarkeit, umfassenden Kinderschutz überdenken und dass wir hier die sich auf den Vorstellungen der Frankfurter Schule zu einer gemeinsamen Lösung in der Sache kommen. Wir gründet und Täter eigentlich grundsätzlich nicht für stehen dafür jedenfalls bereit. schuldfähig hält? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erleben wir nicht gerade eine Renaissance einer Ideo- logie, die den Missbrauch von Kindern begünstigt, wenn Lassen Sie mich am Ende einmal meinen Dank aus- nicht sogar fördert? Ich nenne zum Beispiel das als pro- sprechen, obwohl ich nicht unbedingt weiß, ob „Dank“ gressiv verkaufte Erziehungskonzept „Original Play“, hier das richtige Wort ist. Vor den Polizistinnen und Po- welches sich seit 2014 in evangelischen Kitas in Berlin – lizisten, den Ermittlern, die diese Bilder, diesen Dreck – in evangelischen Kitas in Berlin, wo auch sonst? –, ich sage das so offen – momentan auswerten müssen, vor denen, die da sitzen, kann ich nur meinen Hut ziehen. Wer (Widerspruch bei der SPD und der LINKEN) diese Arbeit momentan in der Polizei leistet, der hat un- aber auch in Hamburg und Gott weiß sonst noch wo sere Anerkennung und unseren Respekt verdient. Da etabliert hat; ein Konzept, welches offenkundig fremden braucht man keine blöden Zwischenbemerkungen zu ma- pädophilen Männern, ohne Wissen der Eltern selbstver- chen, sondern da sollte man mal gemeinsam den Polizis- ständlich, gegen die Zahlung eines Geldbetrages erlaubte, ten danken. Das ist eine extreme psychische Belastung, mit Kitakindern zu kuscheln. Das muss man sich mal unter der die Kolleginnen und Kollegen da stehen. Darum vorstellen. Dann kommt natürlich das, was kommen (B) kann man der Polizei in Nordrhein-Westfalen einfach mal (D) muss: Die daraus resultierenden Missbrauchsfälle ende- auch ein Danke für diese Tätigkeit sagen. ten erst dann, als das Magazin „Kontraste“ anfing, darü- (Beifall bei der SPD) ber zu berichten. (Enrico Komning [AfD]: Schweinerei!) Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Viele von denen, die sich heute medienwirksam mit AfD der Kollege Thomas Ehrhorn. den Opfern solidarisieren und mit einer zur Schau ge- stellten Betroffenheit von einem gesamtgesellschaftli- (Beifall bei der AfD) chen Problem fabulieren, sollten sich aus dieser Debatte teilweise besser heraushalten. Thomas Ehrhorn (AfD): (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zu- Unsäglich!) schauer! Als in den 90er-Jahren der Fall „Dutroux“ öf- fentlich wurde, glaubten viele, dies sei ein belgisches Denn viele Konzepte der kindlichen Frühsexualisierung, Problem, und Derartiges könne bei uns ganz sicher nicht die vom links-grünen Parteienspektrum initiiert und mit- passieren. Welch ein Irrtum! Heute wissen wir es besser. getragen werden, sind, ehrlich gesagt, nicht viel besser. Die Berichte über all die dramatischen Missbrauchsfälle, mit denen wir in der letzten Zeit konfrontiert wurden, (Beifall bei der AfD) füllen so viele Seiten, dass es schwerfällt, das alles an Sozialpädagogik der Vielfalt mit Kuschelhöhlen für Mas- einem Tag zu lesen. Sie zeigen, dass die Bundesrepublik turbation und Doktorspiele sollen nach dem Willen dieser ganz offenkundig zu einer Drehscheibe für Kinderporno- Leute Einzug in unsere Kitas halten. Ich kann Ihnen nur grafie und Kindesmissbrauch geworden ist, und das nicht sagen: Das widert mich an. erst seit gestern. (Beifall bei der AfD – Zurufe der Abg. Norbert Deshalb darf man an dieser Stelle schon mal die Frage Müller [Potsdam] [DIE LINKE] und Renate stellen, wie es eigentlich dazu kommen konnte, dass die- Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ses Land zu einer Wohlfühlzone für Kinderschänder ge- worden ist; denn so etwas passiert ja nicht über Nacht. Zusammen mit dem Gender-Mainstreaming steht all das Wir sollten uns vielleicht einmal fragen, ob wir es nicht in der Tradition der sogenannten emanzipatorischen Se- mit den Folgen eines jahrzehntelangen Staatsversagens xualpädagogik. Die Ursprünge sind immer die gleichen. zu tun haben, welches den Boden für all das bereitet Sie lassen sich zurückverfolgen bis zu den ersten Galio- 20726 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Thomas Ehrhorn (A) nsfiguren der Grünen, bis zu so fragwürdigen Persönlich- „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, das ist (C) keiten wie Daniel Cohn-Bendit. Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Ich sage: Sexueller Missbrauch an Kindern, das ist die übelste Form, die (Beifall bei der AfD – Zuruf von der SPD: Würde eines Menschen, die Würde eines kleinen Men- Missbrauch gab es schon vor den Grünen!) schen, anzugreifen. Sexuelle Gewalt ist ein Angriff auf Die immer wiederkehrenden Versuche, sich kindlicher den Körper eines Kindes und ein Angriff auf die Seele; Sexualität zu bemächtigen, scheinen in der grünen DNA ein Angriff, der Spuren hinterlässt, körperlich, aber vor tief verwurzelt zu sein. allem psychisch; Spuren, Schäden, die nie wieder weg- gehen; Verletzungen der Seele, mit denen die Betroffenen (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das oft ihr Leben lang zu kämpfen haben. ist das Allerletzte!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun zu wenig, um Eines kann ich Ihnen allerdings versprechen – ich sage unsere Kinder zu schützen. Tagtäglich gelingt es Tätern, das mit Blick auf die Betroffenen, die Eltern und die sich an Kindern zu vergehen, laut der Statistik auch heute Opfer –: Mit uns wird es kein Gender-Mainstreaming wieder 43-mal in unserem Land. Das ist das Hellfeld; das geben. Dunkelfeld kennen wir nicht. Das darf uns nicht ruhen (Lachen bei der SPD) lassen. Es wird keine Kuschelhöhlen für Doktorspiele und es Jetzt habe ich in der Debatte öfter gehört: Jetzt, wo wird kein „Original Play“ in den Kitas geben. – Zu die- wieder etwas passiert ist, da ruft ihr schnell nach höheren sem dümmlichen Lachen, das ich aus dieser Richtung Strafen, und dann ist es erledigt. – Frau Suding hat das immer wieder höre, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist gesagt, auch Herr Müller und Frau Dörner. Das stimmt absolut deplatziert an dieser Stelle; denn witzig ist hier nicht. Wir rufen nicht nur nach höheren Strafen. Als gerade mal überhaupt nichts. Unionsfraktion haben wir schon vor anderthalb Jahren gesagt: Wir wollen nicht nur Einzelmaßnahmen, wir wol- (Beifall bei der AfD) len das Thema ganzheitlich angehen; wir machen ein Ge- Dieses Lachen ist genauso peinlich, wie es peinlich ist, samtkonzept, das Hilfe, Schutz und auch Strafverfolgung dass Leute im Konzert immer wieder an der falschen und höhere Strafen vereint, mit Rechtspolitikern, Innen- Stelle klatschen. Das muss hier auch mal gesagt werden. politikern, Gesundheitspolitikern, Familien- und Kinder- schutzpolitikern. – So muss man das Thema angehen, Meine Damen und Herren, das letzte Versprechen, das ganzheitlich und konkret, und das haben wir getan. ich Ihnen auch noch gebe, ist das Versprechen, dass es mit (B) uns auch in Zukunft niemals Bewährungsstrafen und Tä- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. (D) terschutz für Kinderschänder geben wird. Denn wir sind Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) inzwischen die einzige wirkliche Rechtsstaatspartei in 26 Maßnahmen! – Herr Müller, Sie fragen: Wo ist das diesem Hause, Konzept? Gucken Sie es sich an! Ich kann Ihnen sagen: (Lachen bei der SPD und der LINKEN) Seitdem ist auch schon einiges passiert. Wir haben viele Maßnahmen auf den Weg gebracht und durchgesetzt. und wir nehmen das sehr ernst. Darauf können Sie sich verlassen. Wir haben die Prävention gestärkt. Das Gefährlichste für Kinder ist nämlich, wenn es eine Mauer des Schwei- Vielen Dank. gens gibt, wenn es ein Umfeld gibt, das Anzeichen nicht sieht, das stille Hilferufe nicht hört und das auch nicht (Beifall bei der AfD) weiß, wie es reagieren soll, wenn es erste Anzeichen bemerkt. Deshalb brauchen wir mehr Information, mehr Vizepräsident Thomas Oppermann: Beratung und bessere Schutzkonzepte. Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Nadine Schön. Wir haben dafür gesorgt, dass die Mittel des Gute- KiTa-Gesetzes auch für Schutzkonzepte verwendet wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den können, Frau Suding; von daher war Ihre Kritik völ- lig deplatziert. Nadine Schön (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und der SPD – Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Kollegen! Dass wir bei dieser Debatte längst nicht einer Überhaupt nicht! Völlig angebracht war das! Meinung sind, ist, glaube ich, deutlich geworden. Aber, Völlig angebracht! – Zuruf der Abg. Katja Herr Ehrhorn, was Sie jetzt vermischt und zu einem Brei Suding [FDP]) gerührt haben, das ist wirklich unsäglich. Kindesmiss- brauch und Gender-Mainstreaming auf eine Ebene zu Die Länder können die Mittel des Gute-KiTa-Gesetzes setzen, das ist wirklich unterste Schublade, und das kann für Schutzkonzepte verwenden; das ist explizit im Gesetz man hier so nicht stehen lassen. vorgesehen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Kindesmissbrauchs berät die Länder dabei, wie man GRÜNEN) Schutzkonzepte an Schulen einführt; auch das wird ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20727

Nadine Schön (A) macht. Wir haben seine Arbeit gestärkt und besser, als das Dr. Johannes Fechner (SPD): (C) bisher der Fall war, finanziert. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- be Zuhörerinnen und Zuhörer! Der sexuelle Missbrauch Wir haben mobile Beratungsstellen ins Leben gerufen. von Kindern gehört sicherlich zu den schlimmsten Straf- Gerade läuft ein Projekt an, das den Missbrauch im Netz taten, weil die Opfer oft über Jahre, über Jahrzehnte in den Blick nimmt, vor allem im Peer-to-Peer-Bereich. traumatisiert sind, weil sie sich nicht wehren können Wir nutzen künstliche Intelligenz, um in digitalen Netz- und weil Angehörige oder Personen aus dem Nahfeld, werken kinderpornografisches Material zu finden und die die Taten begehen, das Vertrauen ausnutzen. auch zu entfernen. Wir haben die Strafverfolgungsmög- lichkeiten verbessert. Der Versuch von Cybergrooming Deswegen war es gut, dass wir schon in der letzten ist strafbar. Wir haben die Ermittlungen im Darknet ge- Wahlperiode, aber auch in dieser Wahlperiode im letzten stärkt. Das waren alles Initiativen der Union, alles Initia- Januar wichtige Maßnahmen beschlossen haben, um se- tiven aus den letzten anderthalb Jahren, die wir in dieser xuelle Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen. Denn sexuel- kurzen Zeit durchgesetzt haben. ler Missbrauch von Kindern ist eine schlimme Straftat, und wir alle müssen gemeinsam alles dafür tun, dass wir (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. diese schlimmen Straftaten verhindern. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]) Aber wir müssen eben auch genau das tun, was den Kin- Wir haben die Traumaambulanzen gestärkt. Ab nächst- dern tatsächlich hilft, was am effektivsten den sexuellen em Jahr wird es flächendeckend in Deutschland Traum- Missbrauch von Kindern verhindern kann. Dazu gehören aambulanzen geben und Orte, an denen man eine anony- sicherlich auch Straferhöhungen, die wir mittragen, aber me Spurensicherung vornehmen lassen kann. Wir haben eben nicht allein. die Ausbildung von Psychotherapeuten angepasst, damit sie schon im Studium davon erfahren, wie man sexuellen In unseren Debatten – speziell nach dem Fall in Stau- Missbrauch erkennt und wie man die jungen Menschen fen – haben wir mit vielen Experten gesprochen. Eine dann auch entsprechend therapiert. Maßnahme, die sie uns besonders ans Herz gelegt haben, war weniger die Erhöhung der Strafrahmen, sondern dass In diesen anderthalb Jahren haben wir vieles umge- wir es der Polizei ermöglichen, mit PC-generiertem setzt. Das gilt nicht nur für uns; das gilt auch für die künstlichem kinderpornografischen Material in die Inter- Länder. Denn was Herbert Reul und die Landesregierung netchats der Pädophilen zu kommen, und genau das ha- in NRW in den letzten anderthalb Jahren auf den Weg ben wir beschlossen. Wir sind der Forderung von Ermitt- (B) gebracht haben – eine Stärkung der Polizei und der Son- lern und des Missbrauchsbeauftragten Herrn Rörig (D) derkommission zu diesem Thema –, das ist eine Menge, nachgekommen. Das war eine ganz wichtige Maßnahme; und das hat auch dazu geführt, dass diese schrecklichen das will ich hier ausdrücklich sagen. Taten jetzt ans Licht kommen. Von daher ist Ihre Kritik, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Wiese, und dass Sie das parteipolitisch ausschlach- der CDU/CSU) ten wollen, wirklich absolut deplatziert. Ich habe aus Dank – weil es mich wirklich berührt hat (Beifall bei der CDU/CSU) und ich großen Respekt habe, wie die Polizei in Staufen diesen Fall aufgeklärt hat – die Ermittlungsgruppe zu Ich bin froh, dass wir jetzt auch die Strafbarkeit an- einer Berlin-Reise eingeladen. Ich war erschüttert, zu gehen. Denn es kann nicht sein, dass der Besitz von hören, wie viel Dreck – um es deutlich zu sagen – diese Kinderpornografie weniger bestraft wird als ein einfacher Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten über Wochen an- Ladendiebstahl; das gehört zum Gesamtkonzept eben schauen mussten. Deswegen ist auch eins klar: Wir müs- auch dazu. Und ja, beim SGB VIII müssen wir den Kin- sen die Polizei technisch noch besser ausstatten, damit derschutz stärken. Wir müssen schauen, dass die Netz- solche Arbeiten zukünftig mittels Software und künstli- werke besser greifen, dass keiner durchs Netz fällt, dass cher Intelligenz wahrgenommen und erfüllt werden kön- wir Anzeichen bemerken und dass den Kindern dann nen. An der technischen Ausstattung darf der Schutz un- eben auch geholfen wird. Wir müssen auch schauen, dass serer Kinder sicherlich nicht scheitern, liebe Kolleginnen die Register so ausgerichtet werden, dass darin Kindes- und Kollegen. missbrauch nicht schon nach wenigen Jahren gelöscht wird. Vor allem brauchen wir eine Kultur des Hin- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie schauens, von allen. Das ist unsere gemeinsame Verant- der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜND- wortung, und das sind wir den Kindern in unserem Land NIS 90/DIE GRÜNEN]) schuldig. Ich darf an dieser Stelle auch an den Pakt für den Rechtsstaat erinnern, den wir mit den Ländern vereinbart (Beifall bei der CDU/CSU) haben. 220 Millionen Euro stellen wir vom Bund für 2 000 zusätzliche Richterinnen und Richter, Staatsanwäl- Vizepräsident Thomas Oppermann: tinnen und Staatsanwälte zur Verfügung. Um den sexuel- Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der len Missbrauch von Kindern zu bekämpfen, braucht es in SPD der Kollege Dr. Johannes Fechner. der Justiz mehr Personal. Die Länder sind dazu aufge- rufen, auch dafür diese 2 000 Stellen zu schaffen und (Beifall bei der SPD) dann tatsächlich auch zu besetzen. 20728 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Johannes Fechner (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den letzten Wochen, den sexuellen Missbrauch von Kin- (C) der CDU/CSU) dern zu bekämpfen. Es stellt sich natürlich auch bei den Fällen, die wir hier (Beifall bei der SPD) schon besprochen haben, die Frage: Waren die Familien- gerichte tatsächlich ausreichend sensibilisiert? Hätten sie Wir stehen hinter dir, Christine! Du hast gute Vorschläge nicht Indizien erkennen können? Und vor allem: Hätten gemacht; die wollen wir schnell umsetzen. sie nicht das Kind anhören müssen? Ich glaube, es hätte angehört werden müssen. Deswegen brauchen wir die Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns also Kinderrechte im Grundgesetz, und deswegen brauchen ohne billige Stimmungsmache, sondern effektiv das tun, wir auch dringend eine verpflichtende Fortbildung für was die Kinder jetzt brauchen, damit wir sie schützen die Familienrichterinnen und Familienrichter, damit sol- können, nämlich: mehr Prävention, mehr Personal bei che Fehler nicht nochmals passieren. den Jugendämtern, gut ausgebildete Familienrichter, mehr Personal bei Polizei und Justiz, genügend Geld in (Beifall bei der SPD) den Beratungsstellen und dort, wo es nötig ist, auch schärfere Strafgesetze. Mit diesem Bündel können wir Ich möchte auch einen Satz zu den Jugendämtern sa- den sexuellen Missbrauch von Kindern bekämpfen. Las- gen, die bei uns wichtige Arbeit leisten, aber oft unter sen Sie uns dies gemeinsam und effektiv tun. Personalnot leiden. Ich glaube, es wäre ganz wichtig und höchste Zeit, dass genügend Personal bei den Vielen Dank. Jugendämtern vorhanden ist, damit die Jugendämter, wenn sie einen Verdacht hinsichtlich einer schwierigen (Beifall bei der SPD) Familie haben, von der sie glauben, da könnte etwas passiert sein, genügend Zeit und genügend Personal ha- Vizepräsident Thomas Oppermann: ben, diesem Verdacht dann auch nachzugehen. Vielen Dank. – Mir liegen inzwischen zwei von den (Beifall bei der SPD) Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Wah- lergebnisse vor.1) Eines ist auch klar: Es kann nicht sein, dass aus Nord- rhein-Westfalen heftige Kritik an der Bundesministerin Ich kann mitteilen, dass bei der Wahl einer Vizepräsi- kommt, Nordrhein-Westfalen dann aber zuschaut, wie dentin des Bundesverfassungsgerichts 675 Stimmen ab- aus Geldnot Beratungsstellen geschlossen werden. Das gegeben wurden. Mit Ja haben gestimmt 500, mit Nein kann nicht sein. haben gestimmt 97 Abgeordnete, Enthaltungen 78. Damit hat Frau Professor Dr. Doris König die erforderliche (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen der LINKEN) erreicht. Sie ist damit zur Vizepräsidentin des Bundesver- Wenn ein Kind den Mut aufbringt, sich zu offenbaren, fassungsgerichts gewählt. Wir wünschen ihr von hier aus oder wenn Verwandte, die das mitbekommen, Hilfe su- alles Gute für dieses wichtige Amt, das sie übernommen 2) chen, dann muss es professionelle Hilfe in den Bera- hat. tungsstellen geben. Deswegen ist eines ganz klar: Die Beratungsstellen dürfen nicht aus Geldmangel geschlos- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, sen werden, nicht in Nordrhein-Westfalen und auch sonst der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE nirgendwo. GRÜNEN) Dann liegt auch das Ergebnis der Wahl von zwei Mit- (Beifall bei der SPD) gliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Wegen der schlimmen Folgen der sexuellen Gewalt Stabilisierungsmechanismusgesetzes vor: wiederum 675 müssen wir auch das Strafrecht verschärfen. Ich bin Jus- abgegebene Stimmzettel. Für den Abgeordneten Dennis tizministerin Lambrecht sehr dankbar, dass sie hier schon Rohde haben 557 Abgeordnete mit Ja gestimmt, 79 mit konkrete Vorschläge dargestellt hat. Sie hat dafür volle Nein, 35 Enthaltungen und 4 ungültige Stimmen. Für den Unterstützung von unserer Seite; denn gezielte Straf- Kollegen haben 148 mit Ja gestimmt, rechtsverschärfungen haben eben doch einen Effekt auf 477 mit Nein, 46 Enthaltungen und 4 ungültige Stimmen. die Täter. Mit der erforderlichen Mehrheit von 355 Stimmen ist damit der Abgeordnete Dennis Rohde in das Gremium Was wir allerdings nicht wollen, sind die parteipoliti- gewählt. schen Spielchen und Attacken. Ich finde, es geht nicht, dass Justizministerin Lambrecht von einigen so hart an- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie gegriffen wird – und es waren keine Hinterbänkler, son- bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. dern es waren der Generalsekretär, ein Innenminister und Daniel Föst [FDP]) andere – Der Abgeordnete Peter Boehringer hat die erforderliche (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sagen Sie Mehrheit nicht erreicht.3) doch mal die Partei! Generalsekretär von wel- cher Partei?) 1) Namensverzeichnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Wahlen siehe Anlage 6 – natürlich von der Union –, obwohl sie es wirklich zu 2) Ergebnis Anlage 2 ihrem Kernanliegen gemacht hat, und zwar nicht erst seit 3) Ergebnis Anlage 3 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20729

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächster hat das Da wundert mich – das darf ich an der Stelle sagen, (C) Wort der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak für die Fraktion Frau Ministerin – der Sinneswandel, den Sie in den letz- der CDU/CSU. ten Tagen durchlebt haben, dann schon, nämlich dass Sie zuerst gesagt haben: „Wir wollen keine höheren Strafen“, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und sich jetzt hinstellen und sagen: „Wir wollen sogar weiter gehen als die Union“. Mit Blick auf den Besitz Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): von Kinderpornografie sagen Sie, dass Sie mit unserem Vorschlag nicht einverstanden sind, sondern dass Sie das Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und zu einem Verbrechen machen wollen. Frau Ministerin, Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen: Oft Sie wissen ganz genau, dass wir schon seit Langem dafür tut auch derjenige Unrecht, der nichts tut. Und wer Un- eintreten, den Strafrahmen beim Besitz von Kinderporno- recht nicht verbietet, obwohl er es könnte, der befiehlt grafie zu erhöhen. es. – Dieses Zitat ist jetzt fast 2 000 Jahre alt, aber es ist nach wie vor höchst aktuell und gibt uns Anlass, uns auch (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Genau! einmal selbstkritisch zu fragen: Haben wir Unrecht getan, Seit 2014!) weil wir nicht gehandelt haben? Haben wir Unrecht gar befohlen, weil wir etwas nicht verboten haben? Ich glau- Und in dem Brief, den Sie angesprochen haben, den be, diese Fragen müssen wir uns angesichts der wider- Kollege Frei und ich Ihnen geschrieben haben, haben lichen Missbrauchsfälle, die wir jetzt gerade in Münster wir ausdrücklich gesagt: Es sind Mindeststrafen. – An wieder haben erleben müssen, stellen. uns scheitert es nicht, wenn der Besitz von Kinderporno- grafie zukünftig ein Verbrechen sein soll, meine Damen Richtig ist natürlich: Wir haben gehandelt. Wir haben und Herren. schon in der letzten Wahlperiode den Begriff der kinder- (Beifall bei der CDU/CSU) pornografischen Schriften ausgeweitet und dadurch etwa Posing-Bilder verboten. Wir haben die Verjährung von Zur Wahrheit gehört auch – und das sagen Sie völlig zu Sexualstraftaten eingeschränkt. Wir haben unter Strafe Recht –: Natürlich kann es nicht nur darum gehen, den gestellt, dass Bilder von nackten Kindern und Jugend- Strafrahmen zu erhöhen, sondern wir müssen vor allen lichen zum Tausch oder entgeltlich angeboten werden. Dingen etwas dafür tun, dass Straftaten verhindert wer- Und wir haben auch die Mindeststrafe für den Besitz den und, wenn sie begangen worden sind, dass die Ermitt- von Kinderpornografie auf drei Jahre erhöht. lungsbehörden, die Polizei und die Staatsanwaltschaft, auch effektiv ermitteln können. Auch in dieser Wahlperiode – es ist schon angespro- Wir werden nach dieser Aktuellen Stunde, in 20 Minu- (B) chen worden – haben wir etwa beim Cybergrooming, also (D) wenn versucht wird, im Internet sexuelle Kontakte zu ten, über den Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Hass- Minderjährigen anzubahnen, den untauglichen Versuch kriminalität reden. Da gibt es ein ganz konkretes Projekt. unter Strafe gestellt, und wir haben vor allen Dingen im Da geht es darum, dass wir gesagt haben: Die Polizei und Hinblick auf die Ermittlungen im Darknet, wo diese wi- die Staatsanwaltschaften sollen in den sozialen Medien – derlichen Missbrauchsdarstellungen gehandelt werden, wo es nicht nur vielfach Bedrohung, Hetze und Hass gibt, wo Geschäfte damit gemacht werden, den Ermittlungs- sondern wo es eben auch um die Bekämpfung von Kin- behörden effektive Mittel an die Hand gegeben, dort tat- derpornografie geht, wo furchtbare Missbrauchstaten ab- sächlich auch ermitteln zu können. gebildet werden – die Möglichkeit haben, zu ermitteln und die Täter möglichst schnell zu identifizieren und zu Richtig ist aber auch: In vielen Bereichen haben wir bestrafen. nicht gehandelt. An Vorschlägen hat es hier nicht geman- Nach dem, was jetzt von Ihnen vorgeschlagen worden gelt. Wir haben als Union – es ist erwähnt worden – ein ist, müssen Polizei und Staatsanwaltschaft zukünftig vor- umfassendes Positionspapier mit 26 ganz konkreten Vor- her immer ein Gericht einschalten; es gilt jetzt ein Rich- schlägen auf den Tisch gelegt, das wir losgelöst von die- tervorbehalt. Sie wissen ganz genau, Frau Ministerin, sen konkreten Taten miteinander besprochen, diskutiert dass das nicht unser Wunsch war, dass wir dagegen ge- und entwickelt haben, also mit kühlem Kopf und nicht kämpft haben, dass dieser Richtervorbehalt kommt, weil aus kurzfristiger Empörung heraus. Da ging es bei es den Ermittlungsbehörden ihre Arbeit nicht erleichtert. Weitem nicht nur um den Ruf nach höheren Strafen, Deswegen bitte ich Sie doch sehr, Ihren Worten, die Sie sondern es war ein ganz umfassendes Konzept. Da ging hier gesagt haben, dass man den Ermittlungsbehörden es darum, die Hilfesysteme für Betroffene zu stärken und stärker unter die Arme greifen muss, am Ende auch Taten auszubauen, die Ermittler zu stärken, Präventionsange- folgen zu lassen. bote auszubauen, aber natürlich auch um konsequente Strafverfolgung und um höhere Strafen. Man muss sa- (Beifall bei der CDU/CSU) gen – es ist ein Papier der Union gewesen –: An uns hat Deswegen, meine Damen und Herren, am Ende der es bestimmt nicht gelegen, dass die darin enthaltenen Appell: Lassen Sie uns handeln, lassen Sie uns schnell Punkte nicht umgesetzt worden sind. handeln! Denn das ist doch das Ziel, das uns eint: Wir (Beifall bei der CDU/CSU) wollen nicht, dass diese furchtbaren Missbrauchstaten noch einmal vorkommen. Wir wollen Kinder schützen, Auch das gehört zur Wahrheit: Vieles ist gelungen, und die aufs Tiefste in ihren Seelen verletzt sind, die ihr Le- das, was nicht gelungen ist, ist nicht gelungen, weil es ben lang traumatisiert sind. Deswegen: Lassen Sie uns, politische Widerstände gab – auch in dieser Koalition. unabhängig von den politischen Streitigkeiten, die es na- 20730 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Jan-Marco Luczak (A) türlich immer gibt, gemeinsam dafür kämpfen, schnell zu Als Kinderbeauftragte der SPD-Fraktion frage ich (C) handeln, und ein umfassendes Konzept auf den Weg brin- mich jedoch: Reicht das? Wobei hilft das denn genau? gen, damit so etwas in der Zukunft nicht mehr passiert. Verhindert die Strafe die Tat? Wohl leider nicht. Wir sind Darum bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. uns sicher einig: Den Kindern ist am meisten geholfen, wenn es gar nicht erst zur Tat kommt. Schutzkonzepte in (Beifall bei der CDU/CSU) allen Einrichtungen, die wirksam mit Leben gefüllt sind, überprüft werden, verbindlich sind und auch mit Ressour- Vizepräsident Thomas Oppermann: cen wie Geld und Zeit ausgestattet sind, schaffen sichere Vielen Dank. – Ich habe inzwischen weitere von den Räume, in denen Kinder geschützt sind und sich auch im Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- schlimmsten Falle offenbaren können. nisse der vorangegangenen Wahlen. Was braucht es, damit sie das tun? Nicht nur Erwach- Ergebnis der Wahl eines stellvertretenden Mitglieds sene, die reagieren, die kompetent und einfühlsam das des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie- Richtige und Notwendige tun. Darüber hinaus braucht rungsmechanismusgesetzes: Es wurden 675 Stimmen ab- es auch das tägliche Erleben, dass das Kind gehört wird. gegeben, 6 ungültige Stimmzettel. Mit Ja haben gestimmt Warum sollte ein Kind, dessen Stimme bislang nie ernst 133, mit Nein haben gestimmt 494, 42 Enthaltungen. genommen wurde, plötzlich darauf vertrauen, dass seine Damit hat die Abgeordnete Dr. Birgit Malsack- Stimme im schlimmsten der Fälle auf einmal eine Wir- Winkemann nicht die erforderliche Mehrheit von min- kung entfaltet? Genau deshalb kämpfen wir so für die destens 355 Stimmen erreicht. Sie ist als stellvertretendes Kinderrechte im Dreiklang von Schutz, Förderung und Mitglied nicht gewählt.1) Beteiligung. Dann das Ergebnis über die Wahl von zwei Mitglie- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) dern des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung: 675 abgegebene Stimmen. Wenn sich das Kind erlebbar und wirksam im täglichen Dennis Rohde bekam 567 Jastimmen, 71 Neinstimmen, Leben einbringen kann, wird es viel eher darauf vertrau- 33 Enthaltungen; 4 Stimmen waren ungültig. en, dass seine Stimme auch gehört wird, wenn es darum geht, gewaltsame Übergriffe zu beenden. Marcus Bühl bekam 141 Jastimmen, 490 Neinstimmen, 36 Enthaltungen; 8 Stimmen waren ungültig. Damit ist Schreckt die Höhe der Strafe die Täter wenigstens ab? Dennis Rohde mit der erforderlichen Mehrheit von Ich habe meine Zweifel. Wir haben es oft mit sozial hoch 355 Stimmen in das Gremium gewählt. Der Abgeordnete angepassten Menschen zu tun. Immer wieder ist zu hö- Marcus Bühl hat die erforderliche Mehrheit nicht er- ren: Wir hätten das bei der Person oder in der Familie nie (B) reicht.2) für möglich gehalten. Die Täter wissen ganz genau um (D) die Schändlichkeit ihrer Tat. Sie tun es trotzdem. Das, Und schließlich das Ergebnis der Wahl von zwei Mit- was diese Personen wirklich abschrecken würde, ist, gliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschulden- wenn sie fürchten müssten, mit hoher Wahrscheinlichkeit wesengesetzes: 675 Kollegen und Kolleginnen haben entdeckt zu werden. Und da sind wir bei einem Grund- sich beteiligt. bekam 116 Jastimmen problem. Die Ermittelnden sind angesichts der unglau- und 515 Neinstimmen, 42 Enthaltungen, 2 Stimmen wa- blichen Masse an Daten derzeit gar nicht ausreichend in ren ungültig. Volker Münz bekam 137 Jastimmen, der Lage, alle Taten und alle Täter vor Gericht zu bringen. 490 Neinstimmen, 42 Enthaltungen, und 6 Stimmen wa- Es braucht mehr Ermittelnde, und die brauchen die Unter- ren ungültig. Mit der erforderlichen Mehrheit von stützung beispielsweise durch Systeme der künstlichen 355 Stimmen ist damit keiner von beiden in das Gremium Intelligenz, die beim Aufspüren und Auswerten helfen. gewählt worden. Beide haben die erforderliche Mehrheit Solange das Entdeckungsrisiko so gering bleibt, kann die nicht erreicht.3) Strafe noch so hoch sein, sie wird nicht abschrecken. Wir fahren fort in der Debatte. Als nächste Rednerin Wenn aber ein Fall entdeckt wird, dann müssen wir hat das Wort für die Fraktion der SPD die Kollegin alles dafür tun, dass das Verfahren das Kind nicht aber- Susann Rüthrich. mals traumatisiert. Von der Beweissicherung bis zur Be- fragung im kindgerechten Rahmen ist noch jede Menge (Beifall bei der SPD) Luft nach oben. Warum gibt es nicht an jedem größeren Susann Rüthrich (SPD): Ort so etwas wie ein Childhood-Haus? Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Nun gibt es aber auch potenzielle Täter, die Hilfe su- Kollegen! „Darf er das?“, „Muss ich das?“, „Bin ich chen, bevor Kinder zu Schaden kommen. Wie sieht es schuld?“ – Sie haben den erschütternden Kampagnenfilm denn da aus mit flächendeckenden Angeboten, wie bei- „Anrufen hilft!“ für das Hilfetelefon vielleicht in letzter spielsweise „Kein Täter werden“? Ja, ziemlich dünn. So, Zeit gesehen. Ja, es findet statt; Tag für Tag. Wir sind wie es generell ziemlich dünn aussieht bei wieder erschüttert. Dieses Mal ist es ein Fall in Münster. Schutzeinrichtungen und bei Hilfen für Familien. Oder Wieder einmal folgen Forderungen nach einer Verschär- haben Sie jemals von einem Jugendamt gehört, das nicht fung des Strafrechtes. Ja, das sollten wir wohl machen. unter Spardruck leidet? Wir sind also bei den Institutionen. Hier sehe ich neben 1) Ergebnis Anlage 3 2) Ergebnis Anlage 4 dem Jugendamt beispielsweise die Familiengerichte. 3) Ergebnis Anlage 5 Wussten Sie, dass es keinerlei Fachkenntnisse zum Kin- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20731

Susann Rüthrich (A) derschutz, zu Kinderrechten, zum Bindungsverhalten Zur Wahrheit gehört aber auch, Frau Ministerin, dass (C) braucht, um als Familienrichter oder -richterin weitrei- bei vielen dieser Diskussionen die jeweils zuständigen chende Entscheidungen für die Kinder zu treffen? Viele Justizminister oder Justizministerinnen und auch das dieser Richterinnen und Richter sind enorm engagiert. BMJV sehr zaghaft an die eine oder andere Fragestellung Aber welches Werkzeug stellen wir ihnen denn zur Ver- herangegangen sind. Weil Sie vorhin dargestellt haben, fügung? Verbindlich in bestehende Kinderschutznetzwer- was alles auf Ihre Initiative zurückzuführen ist, will ich ke vor Ort eingebunden sind sie jedenfalls nicht. die Gelegenheit nutzen, Ihrem Gedächtnis etwas auf die Sprünge zu helfen. Was zeigt uns der Fall in Münster auch? Das Familien- gericht entschied wieder allein zugunsten des Erzie- ( [SPD]: Oha! – Zuruf des hungsrechts der Mutter, vielleicht weil das im Grund- Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) gesetz steht, das Kinderrecht aber nicht. Ja, in 99 Wir als Union hätten uns 2014 bei der grundlegenden Komma irgendetwas Prozent der Fälle ist das Kind am Novellierung der Bestimmungen zu den Straftaten gegen besten in der Familie aufgehoben, aber eben nicht immer. die sexuelle Selbstbestimmung schon sehr viel mehr vor- Und das hier scheint ein klassischer Fall dafür zu sein. stellen können. Wir wollten damals schon „Nein heißt Das hat viel mit der Qualität der gerichtlichen Entschei- Nein“ in Gesetzesform. dung zu tun. Die Kinderkommission des Deutschen Bun- destages hat dazu eine Stellungnahme verabschiedet. Das (Lachen bei der SPD) hat aber auch etwas mit der grundgesetzlichen Basis zu tun. Wir wollen endlich die Kinderrechte im Grundgesetz Wir wollten damals schon den untauglichen Versuch und mit allen anderen so wichtigen Rechten wie dem beim Cybergrooming unter Strafe stellen. Das war im Erziehungsrecht oder auch Übrigen eine Unionsinitiative. Und wir wollten damals schon den Strafrahmen für den Besitz kinderpornografi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Materials von drei Jahren auf fünf Jahre erhöhen. der LINKEN) (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das ist falsch! – dem Datenschutz auf Augenhöhe bringen. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich krieg einen Herzinfarkt!) Eines noch: Wissen Sie, wer am leichtesten Zugang zu Kindern und Jugendlichen hat? Das sind Jugendliche Das war mit nicht zu machen. Erst nach selbst: Geschwister, Mitschüler, Vereinskameraden. Sie Druck kam dann bei der Amtsnachfolgerin, nämlich Ka- gibt es, und sie erstellen strafbare Bilder, sie teilen sie, tarina Barley, glücklicherweise erste Bewegung rein. sie sind übergriffig und extrem verletzend. Auch das Plötzlich war es möglich, „Nein heißt Nein“ zu etablie- (B) kommt vor. Hier hilft das Strafrecht wenig bis nichts, ren, und auch die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs (D) sondern es helfen nur frühzeitig beste Strukturen in der beim Cybergrooming hat sie zumindest auf den Weg ge- Jugendhilfe und in der Pädagogik. bracht. Bitte lassen Sie uns also den Schutz der Kinder in (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- seiner Gesamtheit angehen, damit kein Kind mehr Opfer NEN]: Jetzt zum Thema, Herr Hoffmann!) wird. Womit wir nicht weiterkamen, war die Strafrahmener- Vielen Dank. höhung für den Besitz kinderpornografischen Materials. Auch mit der Keuschheitsprobe sind wir damals nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weitergekommen. Das war ebenfalls keine Initiative der LINKEN) von Ihnen, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Aber selbstver- Vizepräsident Thomas Oppermann: ständlich! Natürlich!) Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Alexander Frau Ministerin – Sie haben das vielleicht vergessen –, Hoffmann. sondern eine Initiative des Freistaates Bayern im Bundes- rat, namentlich des bayerischen Justizministers Winfried (Beifall bei der CDU/CSU) Bausback. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Interes- Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen sant, was man so erfährt!) und Kollegen! Wir haben in diesem Haus oft über Kin- desmissbrauch und Kinderpornografie geredet. Ich glau- Sie haben dann den Weg frei gemacht für die Keusch- be, die Unionsfraktion hat bei jeder Gelegenheit deutlich heitsprobe. gemacht, dass wir wirklich bereit sind, alle Register zu ( [SPD]: Faktencheck!) ziehen, um effektiv gegen Kindesmissbrauch und Kinder- pornografie vorzugehen. Wenn man zurückguckt, dann Und wir haben dann im November sehr wohl über die sieht man, dass wir in den letzten Jahren durchaus große Strafrahmenerhöhung für den Besitz kinderpornografi- Erfolge zu verzeichnen haben. Diese Erfolge sind heute schen Materials diskutiert. Ich habe Ihrem Parlamentari- auch Ursache dafür, dass immer mehr dieser abscheuli- schen Staatssekretär Lange – da hinten sitzt er – im Be- chen Taten zutage gefördert werden. richterstattergespräch vorgetragen, warum wir die 20732 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Alexander Hoffmann (A) Strafrahmenerhöhung wollen und es damit selbstver- da bitte Taten folgen! Dann kommen wir in großen (C) ständlich dann auch zum Verbrechen erheben wollen, Schritten vorwärts. weil nämlich die Strafrahmenobergrenze beim Besitz kinderpornografischen Materials bei drei Jahren endet Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. und der einfache Diebstahl eine Strafrahmenobergrenze (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast von fünf Jahren hat. Das war für uns ein Wertungswider- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ändern Sie spruch, wenn man sich vergegenwärtigt, dass hinter je- dazu doch das Telemediengesetz!) dem dieser abscheulichen Bilder ein echter Missbrauch steckt. Vizepräsident Thomas Oppermann: Weil ich dann im Ministerium nicht weitergekommen Vielen Dank. – Die Rednerliste ist erschöpft. Die Ak- bin, habe ich das sogar noch einmal in einer E-Mail dem tuelle Stunde ist beendet. rechtspolitischen Sprecher begründet – so war es ausge- macht –, und er weiß wahrscheinlich, dass ich auf diese (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- E-Mail vom 14. November niemals eine Antwort bekom- NEN]: Die Redeliste!) men habe. – Kommentieren Sie nicht den Vorsitzenden; das ist ge- (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Hört! Hört! – fährlich. Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU DIE GRÜNEN) und der FDP) Frau Ministerin, wir sind froh, dass Sie eingelenkt ha- Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 13 bis 16 und 41 auf: ben. Aber wenn Sie zeigen wollen, dass das, was Sie heute hier gesagt haben, kein Lippenbekenntnis ist, das ZP 13 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- vielleicht nur unter dem Druck der öffentlichen Debatte nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- entstanden ist, dann legen Sie noch vor der Sommerpau- wurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des se – diese Erwartung haben wir als Union an Sie – einen Rechtsextremismus und der Hasskriminalität Gesetzentwurf vor. Dieser Gesetzentwurf muss neben Drucksache 19/17741 vielen Komponenten vor allem zwei Bausteine beinhal- ten: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (Katja Mast [SPD]: Kinderrechte ins Grund- zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und gesetz!) der Hasskriminalität (B) (D) Kindesmissbrauch muss ein Verbrechen sein und kein Drucksache 19/18470 Vergehen. Das muss das Gesetz klarstellen. Wir glauben auch, dass es für die schweren Fälle des sexuellen Miss- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- brauchs sehr wohl eine Debatte in diesem Land darüber ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- braucht, ob dort nicht der Strafrahmen bis zur lebenslan- schuss) gen Freiheitsstrafe gehen muss. Drucksache 19/20163 (Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] ZP 14 Zweite und dritte Beratung des von den Abge- [DIE LINKE]) ordneten Manuel Höferlin, Stephan Thomae, Selbstverständlich wollen wir – das ist der zweite Bau- Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten stein – die Strafrahmenerhöhung für den Besitz kinder- und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- pornografischen Materials von drei auf fünf Jahre. Für wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- uns ist klar: Null Toleranz für Kinderpornografie, null desmeldegesetzes – Auskunftssperren für po- Toleranz für Kindesmissbrauch. Wir wollen die Kinder litische Mandatsträger in Bund, Ländern und schützen und nicht die Täter. Kommunen Ich will am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Drucksache 19/17252 paar Sätze verlieren zur Opposition. Sie haben nachher Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- die Gelegenheit – der Kollege Luczak hat es gesagt –, bei ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) der Herausgabe von IP-Adressen zu zeigen, dass Sie sehr wohl mit uns gehen, wenn es darum geht, wirksame In- Drucksache 19/20139 Buchstabe b strumente zu schaffen, um der Täter habhaft zu werden. ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- richts des Ausschusses für Inneres und Heimat NEN]: Da waren wir auch schon früher dran (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten als Sie! Demnächst war die CSU auch noch Benjamin Strasser, Konstantin Kuhle, Stephan für die Ehe für alle! Sie drehen alles um!) Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Genau dasselbe können Sie im Übrigen bei der Diskus- sion um die Vorratsdatenspeicherung unter Beweis stel- Terror von rechts nicht unterschätzen – Ge- len, wo Sie aber dann dem Thema Datenschutz eine über- waltbereiten Rechtsextremismus entschlossen bordende Bedeutung einräumen. Deswegen: Lassen Sie bekämpfen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20733

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Drucksachen 19/14062, 19/20106 die in der Notaufnahme eines Krankenhauses tätig sind, (C) die sich für unsere Mitmenschen aufopfern, gegenüber ZP 16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Angriffen strafrechtlich ungeschützt oder nicht so gut ge- richts des Ausschusses für Inneres und Heimat schützt sind. Deswegen werden wir das verbessern und (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten sie ausdrücklich im Strafgesetzbuch nennen. Renate Künast, Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Frak- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Des Weiteren wollen wir auch Kommunalpolitikern, Hass und Hetze wirksam bekämpfen, Betrof- die sich oft ehrenamtlich für unser Gemeinwesen einset- fene stärken und Bürgerrechte schützen zen, dabei oft Anfeindungen ausgesetzt sind, und genau- so ihren Familien, die auch oft Anfeindungen ausgesetzt Drucksachen 19/17750, 19/20141 sind, einen besseren strafrechtlichen Schutz zukommen ZP 41 Zweite und dritte Beratung des von den Abge- lassen, indem wir sie ausdrücklich im Strafgesetzbuch ordneten Stephan Brandner, Dr. Lothar Maier, benennen bei den entsprechenden Vorschriften zu Atta- Roman Johannes Reusch, weiteren Abgeordneten cken gegen Politiker. und der Fraktion der AfD eingebrachten Ent- Oft haben wir uns auch schon über die sogenannten wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- Feindeslisten unterhalten. Wir werden dieses Thema desmeldegesetzes – Schutz von politischen nochmals gesondert beraten. Aber ich will ausdrücklich Mandatsträgern, Richtern, Soldaten, ehren- sagen, dass wir auch mit diesem Gesetzentwurf schon amtlichen Richtern und Schöffen sowie Ange- gegen die Feindeslisten vorgehen. Wir werden nämlich stellten und Beamten im öffentlichen Dienst die Hürden für die Strafbarkeit einer Billigung einer Drucksache 19/17785 Straftat herabsetzen. Es wird zukünftig nicht mehr erfor- derlich sein, dass die Tat tatsächlich begangen ist oder der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Versuch unternommen wurde. ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) Wir werden die Voraussetzungen der Strafbarkeit einer Drucksache 19/20139 Buchstabe a Bedrohung reduzieren. Dafür war bisher ein Verbrechen Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU erforderlich. Zukünftig reicht die Bedrohung mit einer und SPD liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- einfachen Körperverletzung aus. Ich glaube, dass diese nis 90/Die Grünen und ein Entschließungsantrag der Maßnahmen dazu beitragen werden, dass die Ersteller Fraktion der AfD vor. von Feindeslisten härter bestraft werden können, was (B) seine volle Berechtigung hat, liebe Kolleginnen und Kol- (D) Die Aussprache hat eine Dauer von 30 Minuten. legen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erster ergreift das (Beifall bei der SPD) Wort der Kollege Dr. Johannes Fechner für die Fraktion der SPD. Wir werden auch den Straftatbestand des § 126 StGB – Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von (Beifall bei der SPD) Straftaten – verschärfen. Es wird zukünftig auch strafbar sein, Sexualstraftaten anzudrohen. Ich glaube, das ist vor Dr. Johannes Fechner (SPD): allem für viele Frauen, die gestalkt werden, die verfolgt Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- werden und die solche Dinge erdulden müssen, eine ganz be Zuhörerinnen und Zuhörer! Vor einem Jahr wurde der wichtige Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen. damalige Kasseler Regierungspräsident Lübcke ermor- det. Vor wenigen Monaten erschoss ein rechtsradikaler (Beifall bei der SPD) Terrorist in Halle zwei unschuldige Menschen, und in Damit das Strafgesetzbuch dann auch zur Anwendung Hanau ermordete ein Täter aus rassistischen Motiven kommen kann, müssen natürlich erst einmal die Straf- neun Menschen. taten aufgeklärt werden. Deswegen ist es eine ganz wich- tige Maßnahme, dass wir die Betreiber sozialer Netzwer- Wir müssen feststellen, dass sich Hass und Hetze, ge- ke zukünftig verpflichten, wenn sie von strafbaren rade aus der rechtsradikalen Ecke, immer mehr im Netz Inhalten Kenntnis bekommen, diese dann nicht nur zu ausbreiten und wir allzu oft sehen, dass aus diesen Wor- löschen, sondern ans Bundeskriminalamt weiterzuleiten. ten dann Taten werden. Das, liebe Kolleginnen und Kol- Das Bundeskriminalamt agiert dann als Zentralstelle und legen, dürfen wir nicht länger hinnehmen. Wir müssen wird die Texte, die es von den Netzwerkbetreibern be- mehr dagegen tun, dass sich Hass und Hetze im Netz kommt, vorbereiten und an die zuständigen Staatsanwalt- ausbreiten und unsere Gesellschaft vergiften. schaften weiterleiten. Das ist eine enorme Verbesserung, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des weil die Texte dann gleich an die richtigen Staatsanwalt- Abg. [CDU/CSU]) schaften gehen und lange Zuständigkeitsklärungen eben nicht mehr erforderlich sind. Auch das ist eine ganz wich- Deswegen bin ich Justizministerin Lambrecht sehr tige Maßnahme. dankbar, dass sie auch bei diesem Thema schnell einen guten Gesetzentwurf vorgelegt hat, und zwar mit ganz Meine Damen und Herren, das ist also, wie Sie sehen, verschiedenen Maßnahmen, die wir auch noch erweitert ein ganz wichtiger Gesetzentwurf, ein starkes Signal für haben. Denn es geht einfach nicht mehr, dass Menschen, eine wehrhafte Demokratie, für einen starken Rechts- 20734 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Johannes Fechner (A) staat, ein starkes Signal, dass wir Rechtsterrorismus nicht Übernahme in unseren Sprach- oder Rechtsgebrauch (C) dulden – sondern bekämpfen –, genauso wenig wie Hass doch eigentlich tunlichst vermieden werden sollte. Ich und Hetze im Internet. Stimmen wir diesem guten Ge- bin gespannt, inwieweit Sie dann auf die Idee kommen, setzentwurf zu, liebe Kolleginnen und Kollegen! demnächst hier auf Wunsch der Altparteien möglicher- weise Straftatbestände wie „Rowdytum“ oder „Staatsver- (Beifall bei der SPD) leugnung“ debattieren zu lassen.

Vizepräsident Thomas Oppermann: Wie auch der DDR geht es Ihnen von den Altparteien darum, Strafvorschriften zu schaffen, die sehr flexibel Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der und einseitig im politischen Kampf eingesetzt werden Kollege Stephan Brandner für die Fraktion der AfD. können und die die Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des (Beifall bei der AfD) Grundgesetzes weiter einschränken. Dazu wollen Sie nun mit einseitigem Blick nach rechts – und rechts ist ja nichts Stephan Brandner (AfD): anderes als alles, was nicht grün, links oder irgendwas Das ist ja hier ein Duft am desinfizierten Rednerpult. anderes ist – alles strafbar machen, was bürgerlich, pat- Das ist fast ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelge- riotisch oder ansonsten vernünftig ist, und unter den Ge- setz. Aber gut. neralverdacht der Strafbarkeit stellen. Dabei ist es nicht ansatzweise strafbar, rechts, bürgerlich, patriotisch oder Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Straftatbe- auch ansonsten vernünftig zu sein. stände für strafwürdiges Verhalten zu definieren, ist wichtig und richtig. Noch wichtiger als dies ist jedoch, Hassrede, meine Damen und Herren, ist kein Rechts- sich an geltendes Recht zu halten und Verstöße dagegen begriff und auch bestimmt keine Straftat. Dazu haben wir zu ahnden. In diesem Zusammenhang darf ich darauf ja auch einen Entschließungsantrag vorgelegt. hinweisen, dass die größte Oppositionspartei in Deutsch- land, also die AfD, eigentlich vorhatte, ab morgen die (Beifall bei der AfD) Sitzung eines Satzungsorgans, des Konvents, in Leipzig Wäre es anders, so hätte man heute Morgen bereits durchzuführen. Das geht nun leider nicht mehr, weil in Martin Schulz für seine Hasstiraden im Rahmen der Eu- der letzten Nacht das Hotel offenbar von linken Straßen- ropadebatte zur Rechenschaft ziehen sollen. Es hätten terroristen, von denen sich sehr viele in Leipzig finden, sich dann auch Verfahren anschließen müssen, wenn Frau angegriffen und schwer beschädigt wurde, von Aktivisten Bayram oder Frau Haßelmann oder damals Herr Kahrs also, meine Damen und Herren, die unter der Herrschaft von hier vorne gesprochen haben; denn das war und ist der Altparteien – nun ja – sozialisiert wurden und unter immer Hass pur. (B) der Ägide von Frau Merkel im Krampf gegen rechts (D) durch inzwischen wohl milliardenschwere Programmini- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tiativen und Aktionspläne mit Steuergeld gemästet wur- Das muss man ertragen; aber eine Straftat ist es nicht. den. Wie bekannt, kommt es ja bei nahezu jeder Veranstal- Zudem kommt ja der Hass auch nicht aus einer Rich- tung der größten Oppositionspartei, also der AfD, durch tung. Einige Beispiele für linke Exponenten habe ich ge- straff organisierte linke Chaoten, die nahezu alle irgend- rade genannt. Andere Beispiele finden sich in der Presse, wie direkt oder indirekt staatlich finanziert werden, zu beispielsweise der „taz“, die alle Polizisten auf Müllkip- Straftaten, zumeist zu Nötigungen, Blockaden, Verstößen pen entsorgen möchte. gegen das Versammlungsgesetz, Beleidigungen, Sachbe- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE schädigungen, Körperverletzungen, Landfriedensbrü- GRÜNEN]: So ein Unsinn!) chen und anderem. Zu Hunderten und Tausenden werden diese Straftaten begangen. Verfolgt oder gar aufgeklärt Wir haben den Staatsfunk, Stichwort: Umweltsau. Wir werden diese Straftaten aber so gut wie nie. haben linke Parteien, die Reiche erschießen oder in Gu- lags stecken wollen. Der Hass kommt also überwiegend Es ist so, wie ich sagte: Ganz entscheidend ist die Ver- von links, natürlich aber auch aus dem islamistischen folgung und Ahndung von Straftaten. Das umzusetzen, Bereich, freilich auch von rechts. Aber das Ganze auf liebe Frau Lambrecht, davon ist der Gesetzentwurf von Rechtsextremismus zu beschränken, geht fehl. Ihnen und von der Großen Koalition ganz weit entfernt. Dieser Gesetzentwurf will eine Art Nebenstrafrecht (Beifall bei der AfD) schaffen und greift ganz unverhohlen alte linke Kampf- begriffe und Floskeln auf, die – wohl nicht ganz zufällig – Meine Damen und Herren, es ist für die Demokratie aus dem Duktus der untergegangenen DDR stammen. lebensnotwendig, die Meinungsfreiheit zu schützen. Da- Vor allem der Hass und die Hetze. für steht die AfD. Durch Begriffe wie „Hasskriminalität“ oder „Hassrede“ wird die Grenze der Meinungsfreiheit (Beifall bei der AfD) bewusst verwischt, und der Bürger bekommt Angst, sich Und die Hetze steht nicht mal da auf der Anzeigetafel. noch zu äußern, weil er meint, jede Emotion, die er aus- leben würde, wäre gleich eine Straftat. Damit schaden Sie Wer erinnert sich nicht an die alten DDR-Straftatbe- unserer Demokratie; Sie schaden der Debatte in unserer stände wie die „staatsfeindliche Hetze“ oder „Boykott- Demokratie. Sie sollten dies nicht weiter tun und Ihren hetze“, die übrigens zur Verhängung der Todesstrafe, eigenen Gesetzentwurf von der Tagesordnung nehmen Frau Lambrecht, herangezogen wurden, weshalb eine oder dagegenstimmen. Wir werden dagegenstimmen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20735

Stephan Brandner (A) (Ulli Nissen [SPD]: Wenn Sie dagegenstim- dem Bundeskriminalamt zu melden und vor allen Dingen (C) men, muss er ja gut sein! – Zuruf der Abg. auch die Daten an das BKA auszuleiten, die notwendig [SPD]) sind, um die Täter zu identifizieren, damit sie am Ende Unser Entschließungsantrag ist wichtig, dem stimmen auch bestraft werden können. Denn das ist doch momen- wir zu. Aber nehmen Sie Ihren unterirdischen Gesetzent- tan das Problem: Die Dinge, die im Netz passieren, sind wurf, der die Meinungsfreiheit in Deutschland massiv heute schon an vielen Stellen strafbar; wir werden der einschränken würde, zurück. Täter nur nicht habhaft. Das werden wir mit diesen Än- derungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ändern. Vielen Dank. Zukünftig muss gemeldet werden. Das BKA kann an die Staatsanwaltschaften weiterleiten. Dort kann man (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Was die Täter identifizieren, und dann werden sie auch be- für ein Glück, dass diese Rede vorbei ist!) straft. Deswegen ist es ein gutes und ein richtiges Gesetz, meine Damen und Herren. Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- CDU/CSU der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak. ordneten der SPD) Damit das am Ende auch funktioniert, nehmen wir im (Beifall bei der CDU/CSU) Strafrecht eine ganze Reihe von Änderungen im mate- riell-rechtlichen Bereich vor. Es ist hier angesprochen Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): worden; das brauche ich im Detail gar nicht mehr zu Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- wiederholen. Es geht darum, dass wir den Tatbestand gen! In der Anonymität des Netzes finden wir ganz oft der Störung des öffentlichen Friedens erweitern. Denn den Nährboden für Hass und Hetze, für Beleidigungen, wir sagen: Es ist nicht hinnehmbar, wenn mit Straftaten für Bedrohungen und für andere ganz furchtbare Dinge gegen die sexuelle Selbstbestimmung gedroht wird, wenn wie Kinderpornografie. Die Worte, die wir dort lesen, jemand mit Vergewaltigung bedroht wird. Das muss werden dann leider oftmals auch zu Taten. Wir mussten selbstverständlich strafrechtlich erfasst werden. Aber es das in den letzten Monaten, in den letzten Jahren erleben. geht auch um solche Dinge: Wenn gesagt wird: „Ich Daraus folgen manchmal eben auch Anschläge, wie wir komme und breche dir beide Beine“, dann ist das bislang sie in Halle und in Hanau erleben mussten, oder auch die nicht vom Bedrohungstatbestand erfasst. Es ist gut und Ermordung von Walter Lübcke, deren gerichtliche Auf- richtig, dass wir an der Stelle nachschärfen. arbeitung jetzt gerade begonnen hat.

(B) Wir sagen ganz klar – und ich glaube, das eint uns, Vizepräsident Thomas Oppermann: (D) jedenfalls die allermeisten, Herr Kollege Brandner –, Herr Luczak, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der dass wir das nicht hinnehmen können. Denn diese Ver- AfD? rohung, die wir im Netz erleben, ist wirklich eine Be- drohung für unsere freiheitlich demokratische Grund- ordnung. Ganz anders als Sie, Herr Kollege Brandner, Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): es sagen, werden hier nicht etwa irgendwelche Meinun- Ja, selbstverständlich, immer gerne. gen unterdrückt, sondern es geht, ganz im Gegenteil, darum, die Meinungsfreiheit im Netz zu schützen. Martin Sichert (AfD): Herr Luczak, vielen Dank. – Sie haben vorhin gesagt, (Ingmar Jung [CDU/CSU]: So ist es!) dass es nur um wirklich schwere Straftaten geht. Sie Denn was passiert? Wenn Menschen ihre Meinung im wollen aber jetzt mit diesem Gesetzentwurf neue Straf- Netz äußern, dann werden sie angegriffen, dann werden tatbestände in Deutschland einführen. sie mit schlimmsten Straftaten bedroht; es wird versucht, (Ingmar Jung [CDU/CSU]: Welche neuen sie mundtot zu machen. Und dies behindert gerade das, Straftatbestände?) was wir in unserer offenen Gesellschaft brauchen, näm- lich einen freien und offenen Diskurs. Deswegen ist es Das heißt, Sie wollen die Meinungsfreiheit noch deutlich gut und richtig, dass wir jetzt dieses Gesetz auf den Weg stärker einschränken, als sie bisher schon eingeschränkt bringen, meine Damen und Herren. ist. Wie passt denn das zusammen?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): ordneten der SPD) Ich weiß nicht, welche neuen Straftatbestände Sie, Wir machen im Kern drei Dinge. Zum einen geht es Herr Kollege, meinen. Was wir tun, ist, bestehende Straf- darum, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz genau an die tatbestände zu verändern, sie zu schärfen, weil wir in der schlimmen Dinge, die wir in den sozialen Netzwerken Tat sehen, dass das, was dort auf Facebook, auf Twitter erleben, anzupassen. Wir sagen: Wenn bei Facebook, passiert – ich habe ja gerade die Beispiele genannt, dass bei Twitter und auf anderen Plattformen strafrechtlich jemand sagt: „Ich breche dir beide Beine“, oder jeman- inkriminierte Vorgänge auftreten, also schwere Straftaten dem mit Vergewaltigung gedroht wird –, bisher straf- begangen werden – nicht irgendwelche Sachen, über de- rechtlich nicht vernünftig erfasst war. Deswegen sagen ren strafrechtliche Relevanz man streiten kann, sondern wir: Das kann so nicht bleiben; denn es ist der Versuch, wirklich schwere Straftaten –, dann sollen die Netzwerk- die Menschen, die in den sozialen Netzwerken agieren betreiber verpflichtet sein, die entsprechenden Inhalte und dort einen offenen Diskurs führen wollen, mit sol- 20736 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Jan-Marco Luczak (A) chen Bedrohungen, mit solchen Einschüchterungen zweitens – Rechtsextremismus von der Politik in (C) mundtot zu machen. Das nehmen wir nicht hin. Und des- Deutschland offensichtlich über Jahre hinweg unter- wegen nehmen wir in der Tat auch Veränderungen am schätzt wurde. Zur Wahrheit gehört: Wir haben seit dem materiellen Strafrecht vor. Das ist an dieser Stelle auch NSU-Skandal wertvolle Jahre verloren, um deutlich här- richtig. ter gegen Rechtsextremisten in Deutschland vorzugehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich hätte mir diese Ein- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sicht früher gewünscht; denn es gibt für diesen Bereich – ordneten der SPD) anders als beispielsweise beim islamistischen Terroris- Ein letzter Punkt, den ich an dieser Stelle ansprechen mus – bis heute kein standardisiertes Gefährdersystem. möchte, der für uns als Unionsfraktion auch noch ganz RADAR-rechts soll 2022 kommen. Das ist gut, aber lei- wichtig ist. Es geht nicht nur darum, das materielle Straf- der deutlich zu spät. recht zu ändern, sondern wir müssen natürlich auch die Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hass und Gewalt Ermittlungsbehörden, die Polizeien, die Staatsanwalt- sind die logische Konsequenz einer gewalttätigen Spra- schaften in die Lage versetzen, entsprechend effektiv che, und aus Worten werden leider Taten. Deshalb kann agieren zu können. Wir haben momentan die Situation, man sich hier eben nicht hinstellen und sich treudoof dass Polizei und Staatsanwaltschaft bei den sozialen wundern, dass, wenn man selber ein Klima der Angst Netzwerken die Daten abfragen können. Das machen vor Fremden schafft, sich dann Leute in Deutschland sie auf Grundlage der polizeilichen Generalklauseln, bemüßigt fühlen, aufgrund dieses gesellschaftlichen Re- §§ 161, 163 StPO. Das funktioniert gut; da gibt es auch sonanzbodens zu Taten zu schreiten. Deshalb ist es rich- keinerlei Beschwerden. Es gibt an dieser Stelle auch kei- tig, dass von der Bundesregierung heute ein Gesetzent- ne verfassungsrechtlichen Probleme; das ist alles vom wurf gegen Hass im Internet vorliegt. Bundesverfassungsgericht ausgeurteilt. Jetzt geht das Gesetz aber hin und erschwert die Er- Im vorliegenden Gesetzentwurf gibt es Punkte, die wir mittlungen, indem dort ein Richtervorbehalt eingeführt begrüßen, beispielsweise die Strafverschärfung bei anti- wird. Da kann man jetzt sagen, verfassungsrechtlich sei semitischen Motiven oder die Ausdehnung des strafrecht- das vielleicht doch geboten; da kann man unterschiedli- lichen Schutzes von Kommunalpolitikerinnen und Kom- cher Auffassung sein. Wir als Union sagen aber: Wir sind munalpolitikern. Bei einigen Punkten aber haben wir da sehr kritisch – wir müssen uns sehr genau anschauen, massive Bedenken, beispielsweise wenn es um eine Mel- ob wir hier nicht zusätzliche Hürden implementieren, die depflicht von Plattformbetreibern geht – das geht am am Ende dazu führen, dass Polizei und Staatsanwalt- eigentlichen Problem, nämlich der Überlastung von schaft bei ihren Ermittlungen behindert werden. Deswe- Staatsanwaltschaften, komplett vorbei – oder bei der (B) gen haben wir – letzter Punkt – in dieses Gesetz noch eine rechtsstaatlich höchst bedenklichen Pflicht zur Heraus- (D) Klausel zur Evaluation eingeführt. Wir werden uns sehr gabe von Passwörtern durch Telemedienanbieter. Das genau anschauen, ob dieses Gesetz in der Praxis funk- lehnen wir ab. Deswegen werden wir uns heute enthalten. tioniert oder ob es Staatsanwaltschaft und Polizei behin- Wir haben bereits vor über einem Jahr ein 13-Punkte- dert. Programm zur Bekämpfung von Rechtsextremismus vor- Unter dem Strich ist das Gesetz dennoch ein großer gelegt. Aufgrund der Zeit möchte ich gerne einen Punkt Schritt, um unsere freiheitlich-demokratische Grund- herausgreifen, der uns Freien Demokraten besonders ordnung auch im Netz zu schützen. Unser Rechtsstaat wichtig ist – ich hätte ihn eigentlich mit einem Appell gilt, digital und real, und das setzen wir mit diesem Ge- an den Bundesinnenminister verbunden; jetzt ist Herr setz um. Kollege Krings da, das ist auch gut, Vielen Dank. (Dr. Florian Toncar [FDP]: Das ist deutlich besser!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Sie können meinen Appell weitergeben –: Einen inter- national aufgestellten Rechtsterrorismus wird man nicht allein durch nationale Maßnahmen bekämpfen können. Vizepräsident Thomas Oppermann: Für jedes rechtsextreme Konzert in Deutschland, das Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der wir zu Recht verbieten, müssen wir feststellen, dass in Kollege Benjamin Strasser für die Fraktion der FDP. Ungarn und anderen Mitgliedstaaten solche Konzerte durchgeführt werden. Sofern wir es endlich probieren, (Beifall bei der FDP) die Szene zu entwaffnen, können wir es gleichzeitig nicht dulden, dass Schießtrainings in den Niederlanden oder in Benjamin Strasser (FDP): der Tschechischen Republik stattfinden. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage ist ernst. Wir reden über 170 Men- Wir als Freie Demokraten erwarten von Ihnen, dass Sie schen in Deutschland, die seit dem Jahr 1990 von Rechts- die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um ein eu- extremisten ermordet worden sind. Wir reden über einen ropaweites Programm zum Kampf gegen Rechtsextre- Anstieg der Zahl rechtsextremistischer Gefährder inner- mismus vorzulegen. Sie haben uns an Ihrer Seite; denn halb eines Jahres um über 80 Prozent. Diese Zahlen zei- der Gesetzentwurf kann nicht das Ende, sondern nur der gen, dass – erstens – die Bedrohung durch Rechtsextre- Anfang im verstärkten Kampf gegen Rechtsextremismus misten und Rechtsterroristen in Deutschland real ist und – sein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20737

Benjamin Strasser (A) (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) (C) Wenn Sie wirklich etwas im Kampf gegen Rechtsext- Vizepräsidentin Claudia Roth: remismus tun wollen, hier drei Vorschläge: Erstens. Wir Vielen Dank, Benjamin Strasser. – Schönen Nachmit- brauchen spezialisierte Staatsanwaltschaften, die dafür tag Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Der nächste sorgen, dass bereits bestehende Gesetze auch im Internet Redner: Niema Movassat für die Fraktion Die Linke. durchgesetzt werden. Zweitens. Stärken Sie die politische Bildung. Drittens. Sorgen Sie in den eigenen Reihen da- (Beifall bei der LINKEN) für, dass rechtes Gedankengut keinen Platz hat. Egal ob Maaßen oder Sarrazin, nichts ist gefährlicher als die Het- Niema Movassat (DIE LINKE): ze und der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor Kurzem haben hierzulande über 100 000 Menschen ge- Die Linke wird immer gegen Rechtsextremismus gen Rassismus demonstriert. Das war ein großartiges kämpfen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist dafür aber Zeichen. Wir brauchen den konsequenten Kampf gegen ein wirkungsloses Mittel. Deshalb werden wir ihn ableh- Rassismus und Menschenverachtung: ob auf der Straße, nen. im Internet oder hier im Parlament – wo immer sich eben Danke schön. Nazis und Rassisten tummeln. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deshalb teilen wir als Linke das Anliegen des Gesetz- Vizepräsidentin Claudia Roth: entwurfs der Koalition, Rechtsextremismus und Hasskri- Vielen Dank, Niema Movassat. – Nächste Rednerin: minalität etwas entgegenzusetzen. Aber ihr inhaltlicher für Bündnis 90/Die Grünen Renate Künast. Ansatz ist falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr Kampf gegen Rechtsextremismus und Hasskrimi- nalität besteht ausschließlich darin, Strafvorschriften zu Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verschärfen und Eingriffsbefugnisse für Ermittlungsbe- hörden auszuweiten. Damit springen Sie eindeutig zu Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es kurz. hat nicht erst mit Kassel, Halle und Hanau angefangen. Nein, seit Mitte der 90er-Jahre haben Rechtsextreme in (Beifall bei der LINKEN) diesem Land entschieden, sich neu zu organisieren, sich zu strukturieren, und einen Aufbau gewagt. Wir merken (B) Strafverschärfungen sind ein beliebtes Mittel, um politi- an vielen Stellen, wie sie versucht haben, sich neu zu (D) sche Handlungsfähigkeit zu demonstrieren; zumal sie organisieren. Viele Wessis, deren Namen ich hier nicht nichts kosten. Kriminologisch gesehen bringen sie aber wiederholen will, sind in den Osten gegangen. Vieles ist wenig, weil Täter sich selten durch das Strafmaß von passiert. Warum sage ich das? Ich sage das, weil ich den einer Tat abschrecken lassen. Zu denken, man könne einen Schmerz immer habe, nämlich den, dass wir in der Rechtsextremismus mit einem schärferen Strafrecht stop- Gesamtheit leider so spät aufgewacht sind. pen, wie es die Koalition tut, ist reinste Augenwischerei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD) Zudem schießen einige Änderungen am Ziel vorbei. Die Amadeu-Antonio-Stiftung sagt uns: 208 Tote gibt es Nehmen wir etwa die Ausweitung des Tatbestandes der durch rechte, rechtsextreme Gewalt seit 1990. Wir haben Bedrohung in § 241 Strafgesetzbuch. Geht es nach der das beschämend spät aufgegriffen. Das ist eines der wich- Koalition, soll es künftig strafbar sein, jemandem mit tigsten Themen: Menschen müssen ihres Lebens sicher einer einfachen Körperverletzung zu drohen. Mit Ihrer sein, egal wo sie herkommen, welche Hautfarbe sie haben Änderung werden Alltagssprüche wie „Ich klatsch dir und welche politische Meinung sie haben. Die Würde ist gleich eine“, die öfter mal auf dem Schulhof gesagt wer- unantastbar. Das muss für alle gelten. den, zur Straftat. Es ist zweifellos nicht die feine Art, solche Sprüche zu klopfen, aber das ist kein Fall für die Wie ist die Situation im Augenblick? Ich will nur zwei Strafjustiz. Fakten nennen: Zum einen werden Verschwörungserzäh- lungen instrumentalisiert. Die Coronakrise, die Pandemie Zudem ändern Sie das Netzwerkdurchsetzungs- und wird genutzt, um Hass und Hetze auf die Straße und das Telemediengesetz. Sie wollen, dass Betreiber sozialer weiter ins Netz bringen. Zum anderen fühlen sich viele Netzwerke die IP-Adressen der Ersteller von Beiträgen Menschen, viele People of Colour unsicher in diesem an das Bundeskriminalamt, BKA, herausgeben, und zwar Land. Das hat mit Rechtsextremismus gerade auf Netz- immer schon dann, wenn eventuell eine Straftat vorliegt. ebene zu tun. 63 Prozent der Frauen sagen, sie würden Da Facebook und Co kaum genau juristisch prüfen wer- sich gar nicht mehr ins Netz wagen. Das haben wir alle den, was eine Straftat ist und was nicht, werden massen- sehr spät aufgegriffen. haft Daten an das BKA übermittelt werden. Das ist eine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür. Zudem will Es ist gut, dass es jetzt entsprechende Gesetze gibt, dass die Koalition, dass Strafverfolgungsbehörden in Zukunft nun endlich klar ist, dass die Aufgabe „Kampf gegen den Passwörter für Onlinekonten abfragen dürfen. Wir als Rechtsextremismus“ auch im BKA in den Mittelpunkt Linke lehnen diese Datensammelei ab. rücken muss. 20738 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Renate Künast (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Florian Post (SPD): (C) sowie des Abg. Florian Post [SPD]) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Uns liegt das am Herzen. Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei der Bundesjus- tizministerin Christine Lambrecht herzlich dafür bedan- Aber ich muss Ihnen sagen: Die vorgelegte Umsetzung ken, dass sie sich vom ersten Tage im Amte der Justiz- Ihrerseits hat zahlreiche Mängel und Leerstellen. Uns ministerin dem Kampf gegen Hass und Hetze, gegen fehlt immer noch – ein entsprechender Antrag liegt vor – Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Internet ge- eine Gesamtstrategie, die Prävention, Opferschutz, Stär- widmet hat. Der Gesetzentwurf, der heute zur Abstim- kung der Betroffenen und den flächendeckenden Aufbau mung vorliegt, ist das Ergebnis dieser Bemühungen. von Beratungsstellen mit dem rechtlichen Ansatz verbin- det. Uns fehlt im Übrigen auch, dass der Begriff „Rasse“ Es darf künftig keine Straftaten mehr unter dem Deck- endlich aus dem Grundgesetz gestrichen wird. Das sind mantel der Meinungsfreiheit geben. die Botschaften. (Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- Hier müssen wir alle Mittel einsetzen. Wir werden das ordneten der CDU/CSU und der FDP) Personal bei den Ermittlungsbehörden aufstocken, wir werden die Schwerpunktstaatsanwaltschaften stärken, Unsere Verfassung ist nicht nur ein historisches Doku- wir werden die Präventionsarbeit ausbauen, und wir wer- ment; sie regelt auch unser heutiges Zusammenleben. den natürlich auch einige Straftatbestände ausweiten, bei- Wir brauchen ein Demokratiefördergesetz und eine Task- spielsweise den § 188 Absatz 1 Strafgesetzbuch – hier force Rechtsextremismus. weiten wir den Schutz von Personen des öffentlichen Jetzt komme ich zu einem zentralen Punkt, den wir Lebens auf die kommunale Ebene aus, auf die Kommu- wirklich kritisieren. Das Gesetz sieht eine Meldepflicht nalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker –, wir werden vor – es ist gut, dass das Bundeskriminalamt endlich antisemitische Tatmotive strafverschärfend werten, und Lagebilder erstellen muss –, aber dass massenhaft Benut- wir werden auch Bedrohungen mit einer Tat gegen die zerdaten ohne vorherige rechtliche Prüfung nur aufgrund körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbe- einer Entscheidung von privaten Diensteanbietern ans stimmung strafverschärfend werten. Das ist sehr, sehr BKA gehen und dort erst einmal bleiben, auch wenn wichtig. das BKA den entsprechenden Vorgang nicht als Straftat qualifiziert, ist nicht in Ordnung. Deshalb haben wir im (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ausschuss einen Änderungsantrag gestellt; denn es geht Einschüchterung führt im Zweifel zu Rückzug; damit (B) auch anders. würde die Demokratie Schaden nehmen. Das ist nicht (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hinnehmbar. Natürlich müssen auch Straftaten in den so- zialen Medien verfolgbar sein. Daher ist es gut, richtig Es ginge mit einem zweitstufigen Verfahren: ein Quick und wichtig, dass nun geregelt wird, auf welchen Wegen Freeze der Daten und erst dann, wenn es weitergeht, die Daten herausgegeben werden. Es ist richtig und wich- werden die Daten an das BKA weitergegeben. Die Sach- tig, dass wir einen sogenannten Richtervorbehalt bei der verständigen in der Anhörung haben sich auch dafür aus- Datenabfrage einführen. Es ist richtig, dass wir sehr hohe gesprochen. Hürden für die Passwortherausgabe einführen, dass wir sie der Onlinedurchsuchung gleichstellen, dass sie nur Vizepräsidentin Claudia Roth: anwendbar ist bei schwersten Straftaten und Kommen Sie bitte zum Schluss? Berufsgeheimnisträger in diesem Zusammenhang ge- schützt bleiben. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, Ein Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus dieses Gesetz ist auf der Höhe der Zeit, und es ist über- und Hass im Netz ist dringend nötig, aber dieses Gesetz fällig; das ist richtig. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wird erst der Anfang sein. Wir lassen uns dieses Land es nun endlich kommt. Daher bitte ich Sie jetzt um Zu- nicht von Rechtsextremen nehmen und kaputtmachen, stimmung zu diesem Gesetzentwurf. unsere Würde und unser Leben nicht nehmen. Ihnen, Herr Brandner, sage ich – mein letzter Satz im Futur Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. II –: Wenn wir Ihre rechtsextremen Netzwerke und Am- bitionen zerstört haben werden, das wird ein guter Tag. (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Ihre pädophilen Vizepräsidentin Claudia Roth: Netzwerke!) Vielen Dank, Florian Post. – Der nächste Redner kann sich langsam auf den langen Weg machen: Alexander Hoffmann für die CSU-Fraktion, Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Renate Künast. – Nächster Redner für die (Beifall bei der CDU/CSU) SPD-Fraktion: Florian Post. Entschuldigung, für die CDU/CSU-Fraktion; Sie spre- (Beifall bei der SPD) chen ja für beide. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20739

(A) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): machen wollen, dass wir dem Täter keine Sicherheit las- (C) Ich habe das trotzdem wohlwollend zur Kenntnis ge- sen wollen, sondern er immer damit rechnen muss, er- nommen. wischt und überführt zu werden. Und Sie lehnen das ab. Das kann ich so nicht stehen lassen. Ich will das hier ausdrücklich betonen: Da sind Sie als Opposition in der Vizepräsidentin Claudia Roth: Verantwortung; da ist es zu wenig, sich zu enthalten oder Das habe ich mir schon gedacht; deswegen habe ich es gar dagegenzustimmen; da ist Ideologie – Entschuldi- ja gesagt. gung – fehl am Platz.

Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen (Beifall bei der CDU/CSU) und Kollegen! Vor zwei Tagen hatte der Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement eine Sitzung zum Thema „Kommunalpolitisches Ehrenamt“. Diese Sitzung hatte Vizepräsidentin Claudia Roth: zwei fast schon tragische Höhepunkte. Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Letzter Redner in dieser Debatte: Ingmar Jung für die CDU/CSU-Frak- Höhepunkt Nummer eins in tragischer Hinsicht waren tion. die Ausführungen eines früheren Bürgermeisters aus Nie- dersachsen, Arnd Focke, der sein Amt niedergelegt hat (Beifall bei der CDU/CSU) wegen erheblicher, aggressiver Anfeindungen von rechts. Das, was er geschildert hat, war erschütternd; erschüt- Ingmar Jung (CDU/CSU): ternd war auch, was er für seine Familie befürchtet hat. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mal versuchen, die Debatte ein wenig Den zweiten tragischen Höhepunkt habe ich dabei. Ein zusammenzufassen. Vertreter des Städte- und Gemeindebundes hatte eine Broschüre dabei. Frau Präsidentin, Sie gestatten, dass (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ich sie ganz kurz vorstelle. Diese Broschüre ist über- Das geht immer schief!) schrieben mit „Umgang mit Hass und Bedrohung – Hin- Ich bin gespannt, wie die Oppositionsfraktionen gleich weise für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpoli- abstimmen werden. tiker“. Das ist eine Broschüre des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention, unterstützt vom Innenministe- (Benjamin Strasser [FDP]: Haben wir doch rium und vom Deutschen Städtetag. Wenn Sie sich diese gesagt!) (B) Broschüre anschauen, läuft es Ihnen kalt den Rücken (D) runter. Da sind Empfehlungen dabei wie die, dass ein Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich von Kommunalpolitiker, der sich angefeindet fühlt, mal um fast niemandem konkret gehört habe, was man nicht oder das Auto herumlaufen sollte, bevor er losfährt, anders machen sollte als im Gesetzentwurf vorgeschla- gen; wir haben zusätzliche Vorschläge gehört. (Zuruf von der AfD: Kennen wir!) (Widerspruch bei der FDP und dem BÜND- um zu gucken, dass Radmuttern nicht gelockert und Rei- NIS 90/DIE GRÜNEN) fen nicht plattgestochen sind. – Frau Künast, zu Quick Freeze sage ich was. – Es kam (Jürgen Braun [AfD]: Das haben wir jede Wo- mir fast so vor, als befänden wir uns hier in einer Aktuel- che! – Gegenruf der Abg. Steffi Lemke len Stunde und nicht in der zweiten und dritten Lesung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die fal- eines ganz konkreten Gesetzentwurfs. schen Reifen aufgezogen, Herr Kollege!) (Benjamin Strasser [FDP]: Wir stimmen über Ich möchte dazu zwei Feststellungen machen: Feststel- einen Antrag von uns ab!) lung Nummer eins: Es ist tragisch, dass es so etwas in unserem Land gibt. Feststellung Nummer zwei: Genau – Ich sage gern etwas dazu. aus diesem Grund wollen wir heute den nun vorliegenden (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gesetzentwurf beschließen. Durch dieses Gesetz sollen NEN]: Hat man Ihnen im Büro keine Rede ge- Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker besser schrieben? – Dr. Florian Toncar [FDP]: Das hat geschützt sein; wir beziehen sie in den Schutzbereich des er alles vorher schon aufgeschrieben!) § 188 StGB ein, wo es letztendlich höhere Strafen gibt. Und dieses Gesetz eröffnet uns mehr Möglichkeiten – – Lieber Kollege, im Gegensatz zu dem Redner der FDP- anders geht es nicht –, der Täter habhaft zu werden. Fraktion lese ich hier keine Rede vor, die ich mir vorher aufgeschrieben habe, Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt. Die Ak- tuelle Stunde zum Thema „Kindesmissbrauch und Kin- (Dr. Florian Toncar [FDP]: Dann ergibt sich der derpornografie“ ist noch keine 30 Minuten her. Wenn wir Sinn aber nicht!) hier über die Befugnis reden, IP-Adressen auszuleiten, sondern ich trage meine Eindrücke aus dieser Debatte um an die Identität der Täter zu kommen, dann gilt das vor. Deswegen sollten Sie diese Zwischenrufe wirklich auch – das muss man wissen – für den Kampf gegen unterlassen. Kinderpornografie. Da wundere ich mich jetzt: Wir wa- ren uns vorhin doch alle einig, dass wir die Täter dingfest (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 20740 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Ingmar Jung (A) Ich fange mal an bei Herrn Brandner. Herr Brandner Außerdem ist Ihnen vielleicht nicht entgangen, dass (C) hat ja konkret kurz gesagt, was ihm an diesem Gesetzent- das Ganze natürlich in einem gesamtgesellschaftlichen wurf nicht passt: dass wir uns einseitig auf Rechtsradika- Kontext steht, nämlich in dem, was wir in dem letzten lismus ausrichten, dass wir einseitig versuchen, nur in Dreivierteljahr erlebt haben; wir haben die Stichworte einer bestimmten Weise Meinungen einzuschränken. „Hanau“ und „Halle“ bereits mehrmals gehört. Das ist natürlich ein Anlass gewesen, dieses Gesetzesvorhaben (Stephan Brandner [AfD]: Schauen Sie doch noch weiter voranzutreiben. Es steht vor dem Hinter- auf die Tafel!) grund, dass wir es in Deutschland vermehrt mit starkem – Ja, Sie haben offenbar nur die Überschrift auf der Me- Rechtsradikalismus zu tun haben. Aber das Gesetz selbst dienwand gelesen. Haben Sie den Gesetzentwurf viel- trifft dort keine politische Unterscheidung. Das ist die leicht mal gelesen? Begründung dafür. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) An keiner einzigen Stelle im Gesetzentwurf findet eine Lassen Sie mich noch auf etwas Zweites zu sprechen Einschränkung auf bestimmte politische Äußerungen kommen. Auf den ersten Blick klingt es so gut: „Lasst uns statt, an keiner einzigen Stelle. doch die Daten erst mal bei dem sozialen Netzwerk, dem Telemediendienst festhalten und erst später ausleiten, (Stephan Brandner [AfD]: Steht doch da!) wenn dann eine Prüfung beim BKA stattgefunden hat“ – – Wenn Sie nur die Überschrift lesen, Herr Brandner, Stichwort „Quick Freeze“. – Frau Künast, sorry, aber die kann ich Ihnen leider auch nicht helfen; das ist wirklich Variante habe ich von den Sachverständigen nicht so im so. Kopf behalten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das, was Sie hier behauptet haben, ist schlicht und er- NEN]: Doch!) greifend falsch. Da wurde über zwei unterschiedliche Varianten des Quick Freeze gesprochen. Zu der Frage, ob hier die Meinungsfreiheit einge- schränkt wird. Der Kollege Dr. Luczak hat es ja schon Das, was Sie so stört, nämlich dass ohne bestehenden gesagt; das muss man wirklich mal vom Kopf auf die Anfangsverdacht – darüber, ob das so stimmt, kann man Füße stellen. streiten – IP-Adresse und Portnummer ans BKA ausge- leitet werden, ist bei dem Verfahren, das der Staatsanwalt Vizepräsidentin Claudia Roth: in der Sachverständigenanhörung vorgetragen hat, eben (B) auch der Fall. Das Problem ist doch: Wenn Sie die Daten (D) Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder beim sozialen Netzwerk einfrieren, dann in die Prüfung -bemerkung des Kollegen von der AfD-Fraktion? gehen und erst danach zum Telekommunikationsanbieter mit den dann ausgeleiteten Daten wollen, kriegen Sie die Ingmar Jung (CDU/CSU): Verbindung zur physischen Adresse nicht mehr hin. Die Bitte, ja. einzige Möglichkeit ist ein anderes Quick-Freeze-Verfah- ren. Martin Sichert (AfD): Eine kurze Frage: Sie haben gerade gesagt: Es geht (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht konkret gegen Rechtsextremismus. – Warum haben NEN]: Das steht nicht in unserem Änderungs- Sie dann bitte den Gesetzentwurf so überschrieben? Und antrag! Beim Telefonanbieter wollen wir Quick warum haben Sie diesen Tagesordnungspunkt heute so Freeze machen! Aber danke für den Hinweis!) überschrieben, wenn es gar nicht um Rechtsextremismus, – Ja, darüber können wir reden. Wenn Sie sagen: „IP- sondern um Extremismus allgemein gehen soll? Es liegt Adresse und Portnummer werden ans BKA ausgeleitet“ – doch in der Verantwortung der Regierung, also der das ist nämlich das, was vorgeschlagen wird – „und der Union, auch in Ihrer, die Tagesordnungspunkte und Ge- Telekommunikationsanbieter freezt“, dann haben Sie setzentwürfe zu überschreiben. aber einen stärkeren Grundrechtseingriff, als wenn Sie (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Sie ans BKA nur die einfachen Daten ausleiten. müssen auch den Text darunter lesen!) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie haben nicht zugehört!) Ingmar Jung (CDU/CSU): Ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich für die Be- Das stimmt an der Stelle, meine Damen und Herren, förderung, wenn Sie mich als Bundesregierung anspre- wirklich nicht. chen. Ich habe es leider noch nicht so weit geschafft. Zum dritten Punkt. Ich möchte auch noch kurz, Herr (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Movassat, auf das eingehen, was wir von der Linkspartei NEN]: Nein! Hier ist die erste Gewalt!) immer hören. Sie haben uns erklärt: Der Gesetzentwurf ist schlecht; denn wir hätten eigentlich gerne noch etwas – Frau Künast, er hat gesagt: Warum haben Sie als Bun- anderes gemacht. desregierung diese Überschrift gewählt? – Dann darf ich das bitte auch so beantworten. Das kann ich an der Stelle (Niema Movassat [DIE LINKE]: Ich habe nicht. schon ein bisschen mehr gesagt!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20741

Ingmar Jung (A) Sie haben gesagt: Wir sollten Spezialstaatsanwaltschaf- Dritte Beratung (C) ten schaffen. – Erstens machen das die Länder. Und zwei- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem tens: In vielen Ländern, in denen die Linkspartei nicht Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – regiert, tun die Länder das bereits. Es gibt Spezialstaat- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der sanwaltschaften. Wir hatten die Sachverständigen bei uns Gesetzentwurf angenommen. Zugestimmt haben die in der Anhörung; die waren alle da. Diese Mittel gibt es. SPD-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion. Dagegenge- Das ist sicher kein Grund, jetzt an dieser Stelle deswegen stimmt haben die Fraktionen von AfD und Linken, und das gesamte Gesetz infrage zu stellen. Dann soll man enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die bitte konkrete Änderungsvorschläge machen. FDP. Jetzt habe ich vergessen, was ich zur Meinungsfreiheit Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- und allem anderen noch sagen wollte. ßungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/20169. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt Vizepräsidentin Claudia Roth: dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Der Ja, Sie hätten auch keine Zeit mehr. Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion der AfD. Dagegengestimmt haben alle anderen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fraktionen des Hauses. NEN]: Sehr gut!) Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- Ingmar Jung (CDU/CSU): schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem von der Bundesregierung eingebrachten gleichlautenden Ge- Darauf wollte ich gerade hinweisen, Frau Präsidentin. setzentwurf. Der Ausschuss für Recht und Verbraucher- schutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp- Vizepräsidentin Claudia Roth: fehlung auf Drucksache 19/20163, den Gesetzentwurf Dumm gelaufen. der Bundesregierung auf Drucksache 19/18470 für erle- digt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Ingmar Jung (CDU/CSU): lung? – Gegenprobe! – Sehe ich nicht. Enthaltungen? – Vielen Dank. Ich freue mich auf die Zustimmung. Niemand. Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig von allen Fraktionen angenommen worden. (Beifall bei der CDU/CSU) Zusatzpunkt 14. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des Bundesmeldege- (B) Vizepräsidentin Claudia Roth: setzes – Auskunftssperren für politische Mandatsträger in (D) Vielen Dank, Ingmar Jung. – Damit schließe ich die Bund, Ländern und Kommunen . Der Ausschuss für Inne- Aussprache. res und Heimat empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 19/20139, den Ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zu setzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache einer ganzen Reihe von Abstimmungen. 19/17252 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- wurf zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der entwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Zugestimmt Hasskriminalität. hat die Fraktion der FDP. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der SPD und CDU/CSU. Enthalten haben sich Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- die Fraktionen der Linken, von Bündnis 90/Die Grünen fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf und der AfD. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord- Drucksache 19/20163, den Gesetzentwurf der Fraktionen nung die weitere Beratung. der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/17741 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 15. Beschlussempfeh- lung des Ausschusses für Inneres und Heimat zum Antrag Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- der Fraktion der FDP mit dem Titel „Terror von rechts nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/20168 vor, über nicht unterschätzen – Gewaltbereiten Rechtsextremismus den wir jetzt zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen entschlossen bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt in Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20106, gen gibt es keine. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache Zugestimmt hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. 19/14062 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Der Rest des Hauses hat dagegengestimmt. empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der gestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU und SPD. Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Dagegengestimmt haben die Fraktionen von FDP und chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die Frak- Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- tionen der Linken und der AfD. men. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD und CDU/CSU. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der Zusatzpunkt 16. Beschlussempfehlung des Ausschus- Linken und der AfD. Enthalten haben sich die Fraktionen ses für Inneres und Heimat zum Antrag der Fraktion von FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Hass und Hetze 20742 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) wirksam bekämpfen, Betroffene stärken und Bürgerrech- (Ulli Nissen [SPD]: Wer hat das behauptet! – (C) te schützen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Hat kein Mensch schlussempfehlung auf Drucksache 19/20141, den An- behauptet!) trag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf Doch der Shutdown hat diese Behauptung als das ent- Drucksache 19/17750 abzulehnen. Wer stimmt für diese larvt, was sie ist: kompletter Unsinn. Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- (Beifall bei der AfD) men. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/ CSU und AfD. Dagegengestimmt hat die Fraktion von Denn die Dieselfahrverbote sind ganz offensichtlich ohne Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die Frak- jede fundierte wissenschaftliche Datengrundlage erlassen tionen von FDP und der Linken. worden. Zusatzpunkt 41. Abstimmung über den Gesetzentwurf (Ulli Nissen [SPD]: Auf Ihre Wissenschaft der Fraktion der AfD zur Änderung des Bundesmeldege- wollen wir uns nicht verlassen!) setzes – Schutz von politischen Mandatsträgern, Rich- Obwohl der Autoverkehr durch den Corona-Shutdown in tern, Soldaten, ehrenamtlichen Richtern und Schöffen Deutschland um bis zu 75 Prozent abgenommen hat, sowie Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst. ergibt die Auswertung der Daten der Europäischen Um- Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt unter weltagentur Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20139, den Gesetzentwurf der Fraktion der AfD auf (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drucksache 19/17785 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, Lassen Sie die Lungenärzte einmal ein Papier die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, nun um das veröffentlichen!) Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – – hören Sie doch erst mal zu! - Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge- lehnt. Zugestimmt hat die Fraktion der AfD, alle anderen (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fraktionen des Hauses haben dagegengestimmt. Damit Ich kann so viel Zwischenrufe machen, wie ich entfällt auch hier nach unserer Geschäftsordnung die wei- will! Das ist nicht Ihre Entscheidung!) tere Beratung. eindeutig, dass sich der Stickstoffdioxidwert in diesem Jetzt kommen wir zu einem neuen Tagesordnungs- Zeitraum praktisch nicht verändert hat. Ganz im Gegen- punkt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf – das teil sind die Messwerte für Stickstoffdioxid teilweise so- mache ich langsam, damit die Plätze getauscht werden gar gestiegen. können –: (B) (Zuruf von der AfD: Ach! Wie kann das sein?) (D) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marc Die Hauptursache für die Luftverschmutzung in unse- Bernhard, Karsten Hilse, Andreas Bleck, weiterer ren Städten liegt also ganz offensichtlich woanders. Und Abgeordneter und der Fraktion der AfD im Scheinwerferlicht dieser Erkenntnisse spricht ja sogar Diesel-Fahrverbote sofort und vollständig auf- Verkehrsminister Scheuer von einem offenkundigen heben – Neueste wissenschaftliche Daten be- Missverhältnis zwischen dem drastischen Verkehrsrück- rücksichtigen gang und der trotzdem unveränderten Luftqualität. Und für seinen Parlamentarischen Staatssekretär Bilger – bei- Drucksache 19/20069 de sind ja heute da – sind Dieselfahrverbote nun angeb- Überweisungsvorschlag: lich endgültig vom Tisch. Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) (Beifall bei der AfD) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Zu dem gleichen Ergebnis kommt der Mitteldeutsche Rundfunk, der mehr als hundert verkehrsnahe Messsta- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- tionen ausgewertet hat – ich zitiere den MDR –: schlossen. – Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, Platz zu nehmen, bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe. (Ulli Nissen [SPD]: Dass Sie den öffentlich- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Marc rechtlichen Rundfunk zitieren! Sonst hetzen Bernhard für die AfD-Fraktion. Sie doch immer gegen den öffentlich-rechtli- chen Rundfunk!) (Beifall bei der AfD) Im Ergebnis gibt es seit dem 22. März trotz weniger Verkehr mehr Feinstaub und nur minimal weniger Marc Bernhard (AfD): Stickoxide in der Luft. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Wo Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert werden, Zitat Ende. (René Röspel [SPD]: Heißt das AfD!) Ihre hysterisch im Blindflug veranlassten Fahrverbote sind, wie von uns immer schon gesagt, also ganz offen- gibt es Verbote, nämlich Fahrverbote. Jahrelang wurde sichtlich sinnlos, nutzlos und für viele Menschen exis- gebetsmühlenartig behauptet, der Automobilverkehr sei tenzgefährdend. quasi allein hauptverantwortlich für die Stickstoffdioxid- grenzwert-Überschreitungen in deutschen Städten. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20743

Marc Bernhard (A) Das SPD-geführte Umweltministerium – es ist auf der dass der öffentliche Verkehr in unserem Land in einer (C) Regierungsbank vertreten – ignoriert jedoch wider besse- Vertrauenskrise steckt, in einer coronabedingten Ver- res Wissen diese Fakten und behauptet, als wäre nichts trauenskrise. Das führt zwangsläufig auch vielerorts zu passiert, weiterhin, dass die Autos die Hauptursache für einer Existenzkrise. das Stickstoffdioxid in unseren Städten sind, und begrün- det damit die Aufrechterhaltung der Fahrverbote. Statt Wenn ich im Wahlkreis unterwegs bin, dann sagen mir sich mit den Fakten auseinanderzusetzen, wird dort nach Busunternehmerinnen und -unternehmer mit Blick auf allen möglichen Ausflüchten gesucht, seien es Heizun- ihren Betriebshof, dass dort Busse stehen, die schon län- gen, Fernverkehr, Sahara-Sand oder sonstige meteorolo- ger nicht mehr bewegt wurden. Wir haben uns darüber im gischen Einflüsse – alles Dinge, die immer schon da Verkehrsausschuss intensiv unterhalten. waren, also auch schon vor dem Corona-Shutdown. Warum sage ich Ihnen das alles? Weil es schon be- Aber was hat uns gerade dieses Umweltministerium zeichnend ist, wenn die AfD den ersten Verkehrsantrag nicht immer wieder gesagt? Dass 80 Prozent des Stick- nach Wochen zur Stickoxidbelastung in den Städten stoffdioxids in den Städten vom Auto verursacht werden. bringt und mit einer vermeintlich neuen Datenlage be- Wie kann es dann sein, dass die Stickstoffdioxidwerte gründet. Ja, liebe Kollegen, so setzt halt jeder seine Prio- über sechs Wochen nahezu gleich bleiben, obwohl im ritäten. Aber ich hätte mir gewünscht, dass man ange- selben Zeitraum fast keine Autos auf den Straßen waren? sichts der gestrigen Demonstration vor dem Brandenburger Tor, wo 1 000 Busunternehmerinnen und (Beifall bei der AfD) -unternehmer, Familienunternehmer, nach Berlin gekom- Es ist also höchste Zeit, dass gerade Sie von der CDU/ men sind, um über ihre Existenzängste, über Zukunfts- CSU-Fraktion endlich diesen Irrsinn im Umweltministe- perspektiven zu diskutieren, dann auch auf einer Seite mit rium beenden und Ihren eigenen Worten Taten endlich uns als Koalition, vor allem aber an der Seite unseres folgen lassen. Wir fordern in unserem Antrag nämlich Bundesverkehrsministers steht, wenn es darum geht, Per- genau das, was Sie selbst vollmundig sagen, nämlich, spektiven für diese Betriebe auf den Weg zu bringen. wie auch von Verkehrsminister Scheuer gefordert, eine Aber auch das können Sie an dieser Stelle von der AfD unverzügliche wissenschaftliche Untersuchung dieses nicht erwarten, meine Damen und Herren. Missverhältnisses und, wie von Ihrem wirtschaftspoliti- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – schen Sprecher gefordert, die sofortige Marc Bernhard [AfD]: Zum Antrag!) Aufhebung der bestehenden Fahrverbote. Aber wenn Sie schon über NO2-Belastung mit uns (Beifall bei der AfD) sprechen möchten, dann lassen Sie uns bitte einen Blick (B) Wir wollen also mit unserem Antrag nichts anderes um- auf die Fakten werfen. Seit 2017 – das war der Beginn (D) setzen als das, was Ihr Parlamentarischer Staatssekretär dieser Legislaturperiode – kann man, glaube ich, feststel- gefordert hat, nämlich dass Fahrverbote in len – aber in Ihrem Antrag steht dazu leider kein Wort; es deutschen Städten endlich vom Tisch sind. reicht eben nicht, nur Überschriften zu bearbeiten; man muss sich dann auch mal mit den Themen auseinander- (Beifall bei der AfD) setzen –, dass die Zahlen Schritt für Schritt gesunken Für alle – insbesondere von der CDU/CSU-Fraktion –, sind. 2017 hatten wir 65 Städte, die den EU-Grenzwert die sich jetzt immer noch nicht so recht trauen, ihre eige- von 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft im Jah- ne Fehleinschätzung zuzugeben: Nehmen Sie sich doch resmittel gerissen haben. 2019 waren es noch 25 Städte, einfach ein Beispiel an Konrad Adenauer, der im Bundes- die diesen Grenzwert nicht eingehalten haben. tag gesagt hat: Niemand in diesem Hohen Hause kann Das zeigt, dass wir es mit der Luftreinhaltung ernst mich daran hindern, innerhalb von 24 Stunden etwas meinen, dass die Politik der Großen Koalition an dieser klüger geworden zu sein. Stelle wirkt. Wir haben in diesem Zusammenhang das Herzlichen Dank. „Sofortprogramm Saubere Luft 2017-2020“ auf den Weg gebracht: 1,5 Milliarden Euro stellen wir den Städ- (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: ten und Kommunen zur Verfügung, um die Luft in ihren Die AfD braucht dafür ein Leben lang!) Städten besser zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsidentin Claudia Roth: ordneten der SPD) Danke, Marc Bernhard. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Felix Schreiner. Mit Blick auf das Konjunkturprogramm, glaube ich, kann man feststellen: Das Konjunkturprogramm wird (Beifall bei der CDU/CSU) weitere Flottenaustauschprogramme auf den Weg brin- gen, diesmal für die Handwerker, für die KMUs und für Felix Schreiner (CDU/CSU): gemeinnützige Träger. Das stabilisiert nicht nur die Kon- Geschätzte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- junktur; das wird auch beim Klimaschutz helfen. Es redu- legen! Es ging uns allen in den vergangenen Wochen ziert auch den Schadstoffausstoß. Deshalb ist es eben doch eigentlich ähnlich, wenn wir aus den Wahlkreisen nicht richtig, wenn die AfD hier argumentiert, da würde nach Berlin gereist sind: Wir hatten fast leere ICE-Züge. überhaupt nichts passieren. Nein, im Gegenteil: Wir brin- Wer von Ihnen den ÖPNV in dieser Stadt genutzt hat, gen die richtigen Dinge auf den Weg. Das führt zu einer hatte freie Sitzplatzwahl trotz Rushhour. Das alles zeigt, Reduzierung der NO2-Emissionen in unserem Land. 20744 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Felix Schreiner (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der FDP) (C) neten der SPD – Marc Bernhard [AfD]: Was ist mit Fahrverboten?) Judith Skudelny (FDP): Sie argumentieren in Ihrem Antrag – ich habe ihn ja Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Konrad gelesen, auch wenn es nur zwei Seiten waren –, dass es Adenauer war sozusagen ein sprudelnder Quell von Zita- eben nicht richtig ist, dass der Rückgang des Verkehrs ten. Ich möchte mal mit diesem Zitat beginnen: „In der Politik geht es nicht darum, recht zu haben“, in der Politik dazu führt, dass der NO2-Wert an den Messstellen runter- geht. Sie haben zwar recht, dass die Werte runtergehen, geht es darum, am Ende „recht zu behalten“. Als wir im Frühjahr 2019 neue Rahmenbedingungen (Marc Bernhard [AfD]: Eben nicht runterge- für Dieselfahrverbote gesetzt haben, war eine Mehrheit hen!) dieses Hauses der Meinung, dass mögliche Fahrverbote aber Ihre Schlussfolgerung ist eben nicht richtig. Ihr An- geeignet und erforderlich sind, um die Luft in den deut- trag kommt zu dem Schluss, dass der Straßenverkehr mit schen Städten sauberer zu machen. Sie hat auch gedacht, den Werten überhaupt nichts zu tun habe und die Haupt- dass diese Maßnahme angemessen ist. Das heißt, dass die quellen der NO2-Belastung völlig andere seien. Eingriffe in Freiheit und Eigentum der richtige Weg sind, um ebendiesen Gesundheitsschutz durch saubere Luft zu (Marc Bernhard [AfD]: Völlig richtig!) erhalten. Aber tatsächlich ist die Wahrheit, dass während des Lock- In Zeiten von Corona wissen wir aber, dass Meinun- downs die NO -Werte zurückgegangen sind: in Berlin um 2 gen, Ansichten, aber auch Wissen nichts Absolutes sind. 28 Prozent, in Bayern um 26 Prozent und in Hessen sogar um 30 Prozent, also ein Rückgang der NO -Belastung. Dinge ändern sich mit der Erkenntnis. So wie Virologen 2 ihre Erkenntnisse weiterentwickeln und ihre Schlussfol- Ich glaube, das zeigt, dass die Förderprogramme richtig gerungen daran anpassen, müssen auch wir in unserem sind. Haus erkennen, wenn es neue Erkenntnisse gibt. Ich möchte Ihnen auch sagen, dass man so was auch zur Kenntnis nehmen muss und dass man auch aufhören (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Welche?) muss, den Menschen in Deutschland Angst zu machen, In Zeiten von Corona-Lockdown sehen wir, dass der Zu- indem man sagt, dass sie jetzt alle von Fahrverboten sammenhang zwischen sauberer Luft und Verkehr eben bedroht sind. Es ist richtig, dass wir Maßnahmen ergrei- doch nicht so eng ist, wie es uns die Koalition im fen, die dazu führen, Menschen Mobilität zu ermögli- März 2019 weismachen wollte. chen, statt diese Mobilität zu behindern, um damit Fahr- verbote zu vermeiden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) der AfD) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Verkehr ist weniger geworden, die Luftbelastung Man könnte ja – ich habe den Zwischenruf vonseiten ist in vielen Städten nicht in gleichem Maße gesunken. der Grünen wohl gehört – auch zur Kenntnis nehmen: An manchen Stellen ist sie gleich geblieben; an anderen Wir hatten in Stuttgart jetzt die Situation – das zu sagen Stellen ist sie trotz weniger Verkehr sogar noch gestiegen. sei als Baden-Württemberger erlaubt –, dass Ihr Ver- Diese Erkenntnis wirft die Frage auf: Sind Dieselfahrver- kehrsminister am liebsten ab dem 1. Juli Fahrverbote bote überhaupt die geeignete Maßnahme, um die Luft in für die Euro-5-Fahrzeuge erlassen hätte. Es ist, glaube deutschen Städten zu verbessern? ich, richtig gewesen, dass man ihm mal den Begriff der Vollstreckungsabwehrklage dargelegt hat, weil diese auf- (Beifall bei der FDP) schiebende Wirkung haben kann. Damit gewinnt man Selbst das grüne Verkehrsministerium in Baden-Würt- übrigens auch Zeit, um weitere Maßnahmen zu ergreifen, temberg – eine für uns wirklich unverdächtige Quelle – um Fahrverbote zu vermeiden. (Gabriele Katzmarek [SPD]: Nein!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat jüngst dem Landtag von Baden-Württemberg erklärt, NEN]: Das ist ja interessant!) warum es mit Blick auf die NOx-Werte keine Korrelation Meine Damen und Herren, Sie merken, diese Koali- zwischen Verkehr und Luftverbesserung gibt: Es liegt am tion, unser Minister, , Wetter. Das Wetter hat einen deutlich höheren Einfluss auf die Luftqualität, als es der Verkehr hat. Deswegen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird dieser Effekt der Verkehrsminderung durch Wetter- NEN]: Was hat denn Herr Scheuer damit zu lagen deutlich geschluckt. Dadurch sieht man nichts mehr tun?) davon. und die Regierungsfraktionen haben Maßnahmen auf den Weg gebracht, die richtig sind, aber die vor allem eins (Beifall bei der FDP) tun, nämlich wirken. Jetzt ist es ungleich schwieriger, das Wetter durch das Herzlichen Dank. Bundes-Immissionsschutzgesetz zu beeinflussen. Viel leichter ist es, Dieselfahrerinnen und Dieselfahrer zu ent- eignen. Und trotzdem sollte es doch der Mehrheit dieses Vizepräsidentin Claudia Roth: Hauses langsam klar werden, dass der einfachste Weg, Vielen Dank, Felix Schreiner. – Nächste Rednerin: für nämlich die kalte Enteignung von Bürgerinnen und Bür- die FDP-Fraktion Judith Skudelny. gern in Deutschland, in diesem Fall sicherlich nicht der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20745

Judith Skudelny (A) richtige Weg ist, um in den deutschen Innenstädten sau- oxiden haben wir uns dem Grenzwert von (C) bere Luft zu bekommen. 40 Mikrogramm angeschlossen. Österreich hat ihn auf 30 Mikrogramm festgelegt. Also, es ist immer eine werte- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nde Entscheidung. der AfD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Oh Gott!) Nächster Punkt – ganz wichtig –: Es gibt keine gesund- Das schärfste Schwert, das der Staat hat, ist, zum Woh- heitliche Wirkschwelle; das sagen alle Studien zu Luft- le der Allgemeinheit in die individuellen Freiheits- und schadstoffen. Da wir das Vorsorgeprinzip haben, haben Eigentumsrechte einzugreifen. Deswegen darf so was nur wir uns für ambitionierte Werte entschieden. Das ist der dann erfolgen, wenn die Begründung dafür eindeutig, Punkt. klar und folgerichtig ist. Genau daran, an der Geeignet- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heit der Maßnahme, zeigt sich, dass diese im Moment des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht gegeben ist. Die Begründung für die Dieselfahrver- bote stimmt nicht mehr. Jetzt zu den konkreten Zahlen: Am 8. April lag der Durchschnittswert an der Messstelle 118 – die Insider (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wissen: das ist das Neckartor in Stuttgart – bei 58,87 Mik- der AfD) rogramm Stickoxid und der Tagesmaximalwert bei Liebe Große Koalition, es ist langsam an der Zeit, dass 84 Mikrogramm. Am 12. April lag der Wert im wir uns auch dieses Gesetz im Lichte der neuen Sachen Durchschnitt bei 25,7 Mikrogramm Stickoxid und bei noch mal angucken. Wir haben im März 2019 gestritten, maximal 38 Mikrogramm. Die letzten beiden Werte wur- ob Sie damals recht hatten. Heute wissen wir: Sie haben den am Ostersonntag gemessen. Der andere Wert wurde nicht recht. Deswegen sollten wir diese Gesetzeslage än- an einem normalen Mittwoch erhoben, also an einem dern und den Menschen ihr Eigentum wieder zurückge- Werktag. Der Unterschied – Sie wissen die Werte noch: ben. 84, 38, 58, 25 Mikrogramm – besteht nahezu in einer Halbierung. Jetzt zu sagen, das habe nichts mit Verkehr (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zu tun, ist nicht richtig; das kann man an den Zahlen nicht der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Ihr Eigentum? erkennen. Das gilt für alle Messstationen in Deutschland. Mein Eigentum ist Gesundheit!) (Zuruf von der AfD) Vizepräsidentin Claudia Roth: – Ja, der Unterschied zwischen 84 und 38 ist nicht 30 Pro- Vielen Dank, Kollegin Skudelny. – Nächste Redner: zent. Wo waren Sie denn in der Schule? (B) Arno Klare für die SPD-Fraktion. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit (Beifall bei der SPD) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Arno Klare (SPD): Und wenn Sie dann noch Zweifel haben, schauen Sie Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und auf die Seite der ESA. Der Erdbeobachtungssatellit Senti- Herren! Erster Punkt. Die Luftqualität in Deutschland nel-5P – aus dem Bundeshaushalt übrigens deutlich ge- wird seit Jahren immer besser. Stimmt! Da gilt aber auch fördert – misst den Rückgang bzw. die Bewegung von der Satz, den wir in den letzten Monaten gelernt haben: NO -Werten. There is no glory in prevention. – Das heißt, man wird x durch Prävention kein Held. Wir haben Prävention ge- macht, und jetzt sind die Werte besser geworden. Dann Vizepräsidentin Claudia Roth: sagen einige rückwirkend: Da war doch gar nichts. Herr Kollege – – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Arno Klare (SPD): GRÜNEN – Dr. Florian Toncar [FDP]: Viel- Ich sage meinen letzten Satz; das darf ich noch ma- leicht hat es auch mit technischen Verbesserun- chen. gen zu tun!) Frau Skudelny, genau das ist Ihr Denkfehler. Vizepräsidentin Claudia Roth: Zweiter Punkt. Die Studienlage zu diesem Thema ist Ich wollte Sie fragen, ob Sie eine Frage zulassen. überwältigend gut. So hat die Leopoldina in ihrer Ad- hoc-Stellungnahme vom April 2019, die die Bundesre- Arno Klare (SPD): gierung in Auftrag gegeben hat, festgestellt: Es gibt zu Nein. diesem Thema 71 000 verfügbare Studien. 71 000! Ich habe sie nicht alle gelesen, aber viele davon. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dritter Punkt. Die Festlegung von Grenzwerten ist na- Wenn Sie das tun, dann werden Sie feststellen, dass die türlich immer eine politische Abwägungsentscheidung. Werte in allen Ballungsgebieten während des Shutdowns Die WHO hat zum Beispiel bei Feinstaub der Partikel- ungefähr um 50 Prozent abgesunken sind. Übrigens, auf größe PM2,5 einen Grenzwert von 10 Mikrogramm ge- der Karte, die da abgebildet ist, sehen Sie auch Stuttgart, setzt, wir in Deutschland von 25 Mikrogramm. Bei Stick- und Sie sehen die gleichen Absenkungen. 20746 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Arno Klare (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht abgenommen, hätten wir im März 2020 deutlich (C) der CDU/CSU) höhere Stickoxidwerte gehabt – mit Schäden für unsere Gesundheit. Vizepräsidentin Claudia Roth: Im Übrigen: Die Messwerte aus Hessen und die Mess- Danke schön, Arno Klare. – Ich muss Sie schon fragen werte aus Hamburg, die diese Absenkung während der dürfen, ob Sie eine Frage zulassen. Coronaeinschränkungen zeigen, blenden Sie mal schnell aus, weil sie Ihnen nicht in den Kram passen. Das ist (Arno Klare [SPD]: Ich habe es einfach nicht einfach peinlich. gehört!) – Ja, gut. Sie haben sie ja eh nicht zugelassen. – Vielen (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Dank. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD) Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Ralph Lenkert. Liebe Dieselfahrerinnen und Dieselfahrer, dass Sie un- ter Fahrverboten leiden, haben die betrügerischen Auto- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch bosse verursacht, die Ihnen schlechte Pkws untergejubelt [DIE LINKE]: Einer mit Ahnung und Wissen haben. Das ist die Ursache. und Kenntnissen!) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Florian Toncar Ralph Lenkert (DIE LINKE): [FDP]: Oh mein Gott!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- legen! Ich glaubte, jedes Argument zu Stickoxiden und Vizepräsidentin Claudia Roth: zum Dieselskandal sei ausgetauscht. Ich habe mich geirrt. Herr Lenkert, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Bernhard? (Ulli Nissen [SPD]: Ja! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Wenn es denn unbedingt sein muss. AfD und FDP haben dank Coronakrise etwas Neues entdeckt: Dieselfahrverbote sind sinnlos; denn bei 40 Pro- zent weniger Verkehr 2020 sank in Stuttgart die NOx- Vizepräsidentin Claudia Roth: Belastung eben nicht – obwohl weniger Verkehr war. Sie sollen es entscheiden. Die Diesel stehen nach Ihrer Meinung umsonst am Pran- (B) (D) ger, und Herr Scheuer bläst in das gleiche Horn. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Leider vergaß die AfD, das Wetter zu berücksichtigen. Ja. (Lachen bei Abgeordneten der AfD) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ralph!) Und das Ministerium hat das anscheinend nicht gemerkt; das ist schon blamabel. Marc Bernhard (AfD): (Beifall bei der LINKEN) Danke, Herr Lenkert, dass Sie die Zwischenfrage zu- lassen. – Aber ich habe noch eine Frage. Wir reden ja Jetzt fordert die AfD wissenschaftliche Untersuchungen nicht über Momentaufnahmen von Wetterlagen. Wir ha- über den Zusammenhang zwischen Stickoxidausstoß und ben die Situation, dass der Shutdown über sechs Wochen Schadstoffbelastung der Luft. Da frage ich mich, wie Sie angedauert hat. Sie wollen doch jetzt nicht ernsthaft er- Ihre Unterlagen lesen. Im Mai gab es die Leibniz-Wo- zählen, dass das Wetter sechs Wochen lang dafür gesorgt chen. Da hat das Leibniz-Institut für Troposphärenfor- hat, dass trotz bis zu 70 Prozent weniger Verkehr über- schung in Leipzig eine Studie mit Berechnungspro- haupt keine Veränderung der Stickstoffdioxidwerte statt- gramm, über Jahre erstellt, vorgestellt und gezeigt, gefunden hat. welche Auswirkungen in Prozent die einzelnen Bereiche auf die Schadstoffbelastung der Luft haben und wie die Im Übrigen möchte ich noch darauf hinweisen: Sie Hintergrundbelastung entsteht. Sie hätten sich die Kol- haben gerade eben noch dankenswerterweise gesagt, in legen des Leibniz-Instituts einladen können. Hessen seien die Werte gesunken. Wenn ich mir die Datei genau anschaue: In Offenbach am Main sind im Ver- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- gleichszeitraum die Werte für Stickstoffdioxid um 17 Pro- ten der SPD und der Abg. Sylvia Kotting-Uhl zent gestiegen. Was sagen Sie dazu? Also scheinen die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Werte in Hessen doch nicht so gut zu sein. Das haben Sie scheinbar nicht gemacht; denn mit der Wissenschaft haben Sie es ja doch nicht so am Hut. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Für die Zuschauerinnen und Zuschauer: In Stuttgart Ja, Herr Kollege, zu Hessen gehören auch Kassel herrschten 2019 normale Wetterbedingungen. 2020 (Timon Gremmels [SPD]: Bravo!) herrschte Inversionswetterlage, und es war kälter. Damit ist es logisch, dass die Belastung mit Stickoxiden aus und Nordhessen. Das kann man durchaus berücksichti- anderen Bereichen höher war. Hätte aber der Verkehr gen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20747

Ralph Lenkert (A) Ich komme noch mal auf das Programm zu sprechen, Ralph Lenkert (DIE LINKE): (C) das vom Troposphäreninstitut nördlich von Leipzig seit – das dem Klima dient. Jahren getestet wird. Es gibt mehrere Messstationen im Ort und außerhalb des Ortes, die rund um die Uhr die Vielen Dank. Schadstoffe messen und natürlich auch die Wetterdaten (Beifall bei der LINKEN) festhalten. Sie erfassen also genau das, was Sie wissen- schaftlich untersuchen lassen wollen, nämlich: Welchen Einfluss hat das Wetter? Welchen Einfluss hat Sahara- Vizepräsidentin Claudia Roth: Staub? Welchen Einfluss hat eine Inversionswetterlage? Danke, Ralph Lenkert. – Nächster Redner: für Bünd- Welchen Einfluss hat Nieselregen? nis 90/Die Grünen Oliver Krischer.

2019 gab es im Vergleichszeitraum mehr Niederschlä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ge als 2020. Eine Wetterlage kann auch über sechs oder Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): acht Wochen stabil sein – ich weiß nicht, ob Sie den Sommer 2018 mitbekommen haben –; das heißt, sie kann Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auch über längere Zeiträume stabil sein. In Stuttgart – das Was haben wir hier nicht alles schon zum Thema „Diesel hat Ihnen der Kollege gerade aufgezeigt – gab es unter- und Stickoxide“ gehört! Ich erinnere nur mal an einen schiedliche Werte. Auch das blenden Sie aus. Wenn Sie Lungenarzt Köhler eine Forderung nach Wissenschaft stellen und vorher vor- (Ulli Nissen [SPD]: Genau!) handene Wissenschaft ausblenden, dann geht es Ihnen nicht um Wissenschaft, dann geht es Ihnen einfach nur – vielleicht erinnern sich noch einige an den –, der irgend- darum, zu skandalisieren und nichts zu machen. wie auch ein paar Kollegen gefunden und uns erzählt hatte: „Stickoxid ist überhaupt nicht gesundheitsgefähr- (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie lich“, bis Malte Kreutzfeldt von der „taz“, dem übrigens der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ dafür Dank gebührt, nachgerechnet hat, dass der Mann DIE GRÜNEN]) sich einfach mal um ein paar Faktoren verrechnet hat. Ich komme zu den Dieselfahrerinnen und Dieselfah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rern zurück, die unter dem Betrug der Autokonzerne lei- Dann gab es die Debatte um die falsch platzierten den. Ja, sie haben einen Wertverlust erlitten. Ja, sie leiden Messstationen. Angeblich messen die alle falsch. Sogar unter Fahrverboten. Das ist bitter, und dafür muss jemand der Verkehrsminister, der sich dahinten in der letzten zahlen. Und da fordert Die Linke, dass die Verursacher Reihe rumlümmelt, (B) zur Kasse gebeten werden. (D) (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) hat sofort gesagt: Das muss untersucht werden. Da muss Die Bosse der Autokonzerne haben zu zahlen für den nachgeguckt werden. – Am Ende ist alles zu Staub zer- Wertverlust ihrer Pkws. Sie haben zu zahlen für die Zu- fallen. Die ganzen Versuche, mithilfe angeblich falscher satzkosten an Tankstellen, weil ihre Pkws mehr verbrau- Messungen das Problem des Stickoxids kleinzureden, chen als angegeben; auch das ist Betrug. Und sie haben zu sind gescheitert. zahlen an die Kommunen, damit diese eben ohne Fahr- (Alois Rainer [CDU/CSU]: Anstand haben Sie verbote die Grenzwerte einhalten können, noch nie gehabt! Unglaublich!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Kritik ist zerfallen zu Staub, meine Damen und Her- ren. Das muss man hier an der Stelle mal klar sagen. nämlich durch eine Modernisierung des öffentlichen Per- sonennahverkehrs, durch kostenlose Tickets für Bus und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bahn, wenn die Grenzwerte überschritten werden. Das Und jetzt kommt Frau Skudelny und fügt dem Ganzen muss zulasten der betrügerischen Konzerne gehen. etwas Neues hinzu. Ich habe ja gerade die interessante Aussage gehört: Wetter macht Stickoxide. – Ja, das ist ja (Beifall bei der LINKEN) mal an der Stelle ganz neu, dass Wetter die Schad- stoffkonzentrationen beeinflusst. Das ist nun wirklich Belästigen Sie uns also nicht mit solchen Schwach- keine neue Erkenntnis. Wer mal auf die Homepages der sinnsanträgen, die uns die Zeit für die wirklich wichtigen Landesumweltämter und des Umweltbundesamtes guckt, Sachen, die wir besprechen sollten, rauben. Ich muss der sieht an der Stelle glasklar: Ihren Antrag ablehnen. Ich hätte hier an diesem Pult lieber darüber gesprochen, wie wir den Infektionsschutz (Judith Skudelny [FDP]: Die Frage ist: Was ist verbessern, damit unsere Schulen und Kindergärten trotz wichtig für die Grenzwertüberschreitung? Und Corona wieder öffnen können, wie wir ein Konjunktur- da ist das Wetter wichtiger als der Verkehr, sagt paket erstellen, – Ihr Verkehrsminister Hermann!) Es gibt einen Zusammenhang zwischen Corona-Shut- Vizepräsidentin Claudia Roth: down, Verkehrsaufkommen und Stickoxidkonzentration. Das führen Sie jetzt nicht mehr aus. Sie sind schon über Die Kollegen haben das gerade in aller Klarheit ausge- der Zeit. führt. 20748 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Oliver Krischer (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C) Er sagt einfach nur nichts! – Gegenruf des Bun- Dass wir im Jahr 2020 überhaupt noch über dieses desministers Andreas Scheuer: Doch! Ich weiß Thema reden müssen, hat eine ganz klare Ursache. nicht mehr!) (Dr. Florian Toncar [FDP]: Winfried – Ich bin jetzt dran, und jetzt ist Ruhe. – Vielmehr sitzt er Hermann!) da, weil sich die Bundesregierung coronabedingt bei den Eigentlich hätte das vor zehn Jahren schon vorbei sein Plätzen aufgeteilt hat. Das wollte ich jetzt mal sagen. – müssen. Seitdem gilt der europäische Grenzwert, und Da wundern Sie sich, dass ich das jetzt sage. dass er nach wie vor nicht eingehalten wird, hat eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ursache: weil die Bundesregierung zugeguckt hat, wie eine ganze Industrie getrickst und betrogen hat und damit Nächster Redner in der Debatte: Florian Oßner für die dafür gesorgt hat, dass Fahrzeuge zwar auf dem Prüf- CDU/CSU-Fraktion. stand, aber nicht auf der Straße die Grenzwerte einhalten (Beifall bei der CDU/CSU) und damit an der Stelle das Problem verursacht haben. Und das muss in der Debatte hier auch klipp und klar Florian Oßner (CDU/CSU): gesagt werden. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegen! Vielen Dank, dass Sie das mit unserem Bun- desminister Andreas Scheuer klargestellt haben; sonst Dass wir heute eine langfristige Besserung der Situa- hätte ich das jetzt machen müssen. Mir tut es auch leid, tion haben, das hat nichts mit Herrn Scheuer und der dass mein Vorredner Oliver Krischer im Endeffekt sei- Bundesregierung zu tun, rein gar nichts. nem Spitznamen „Kreischer“ wirklich mehr als gerecht geworden ist. (Alois Rainer [CDU/CSU]: Noch weniger mit den Grünen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die haben in den letzten fünf Jahren seit dem Abgas- ordneten der AfD und der FDP) skandal zu dem Thema überhaupt nichts unternommen, Völlig sachgrundlose Anschuldigungen zu machen, ist meine Damen und Herren; im Gegenteil. Ich sage das hier am Ende in einer Debatte auch nicht zielführend. in aller Klarheit: Der Antrag der AfD beweist abermals, dass der AfD (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihr Dreh- leider schlichtweg die Ideen langsam ausgehen. Da ist es (B) buch!) so, dass tatsächlich immer wieder die gleichen Themen (D) gespielt werden, und es ist wirklich mittlerweile ein Herr Scheuer und sein Vorgänger, Herr Dobrindt, waren Stück weit schade um die kostbare Zeit hier im Plenum. Schutzpatron der Trickser und Betrüger – die ganze Zeit über, um das in aller Klarheit zu sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Alois Rainer [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) Ich selber muss jetzt wirklich nicht wiederholen – wir Dass wir heute eine Verbesserung haben, das liegt al- haben ja schon vielmals an diesem Ort darüber disku- lein daran, dass Institutionen wie die Deutsche Umwelt- tiert –, dass ich nicht ein ausgesprochener Dieselgegner hilfe, dass Länder und Kommunen jetzt Maßnahmen ver- bin. Die hochsauberen und effizienten neuen Verbrenner wirklichen. Gucken Sie an der Stelle mal nach Köln, wo leisten ja in der Tat einen wesentlichen Beitrag zur CO2- man sich gestern darauf verständigt hat, etwas für bessere Einsparung. Auch die Deutsche Umwelthilfe braucht si- Luft zu unternehmen, und plötzlich finden das in Köln cherlich keine öffentlichen Gelder. Dennoch wäre es we- alle gut. sentlich zielführender, wenn Sie als AfD sich mit den Zukunftsthemen der Mobilität in Deutschland beschäftig- Das sind wichtige Maßnahmen, die wir schon seit lan- ten und nicht mit den ewiggestrigen Fragen. gen Jahren hätten machen können, die schon seit langen Jahren hätten von der Bundesregierung durchgesetzt wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den können. Da ist nichts gekommen. Der jetzt neuerlich neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE unternommene Versuch, Corona als Ausrede zu benut- GRÜNEN) zen, nichts für bessere Luft in Städten zu machen, ist unredlich, meine Damen und Herren. Was für die AfD der Diesel ist, ist für die Grünen – man hat es ja gerade gehört – das Elektrofahrzeug. Dazwi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen passen nach deren Ideologie tatsächlich keine Al- sowie bei Abgeordneten der SPD – Alois ternativen. So kann man die nunmehr jahrelang an- Rainer [CDU/CSU]: Es reicht!) dauernde politische Diskussion kurz zusammenfassen. Wir als CDU/CSU hingegen stehen für Technologie- Vizepräsidentin Claudia Roth: freiheit, moderne schadstoffarme Diesel, batteriebetrie- Vielen Dank, Oliver Krischer. – Ich will sagen, dass bene Elektromobilität, synthetische Kraftstoffe und Was- Minister Scheuer nicht in der letzten Reihe herumlüm- serstofffahrzeuge mit Brennstoffzellen neben Bus, Bahn melt, sondern sich coronabedingt – – und Flugzeug. Alle, wirklich alle haben für uns ihre klare Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20749

Florian Oßner (A) Daseinsberechtigung. Damit vereinen wir Ökonomie und Die Luftqualität hat sich deutlich verbessert. Die Anzahl (C) Ökologie, ohne sie gegeneinander auszuspielen. der Städte, in denen der Grenzwert für den Stickoxidaus- stoß überschritten wurde, hat sich im Vergleich zum Vor- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der jahr mehr als halbiert. Dies zeigt: Die Maßnahmen von AfD: Das spiegelt sich nicht in Ihrer Politik Bund, Ländern und Kommunen wirken. wider!) Dies zeigt sich auch in unseren Projekten und Initiati- Dies ist vor allem dem Programm „Saubere Luft“ zu ven, die wir in den letzten Jahren durchgesetzt haben. verdanken, mit dem wir 1,5 Milliarden Euro in die Hand Besonders freut mich die Nachricht der vergangenen Wo- genommen haben, um die Luftqualität zu verbessern. che, dass ein großer Schwerpunkt im Konjunkturpaket Teile des Programms waren unter anderem die Nachrüs- bei der Nationalen Wasserstoffstrategie liegt. 7 Milliarden tung von Dieselbussen im ÖPNV, die Elektrifizierung Euro sind hier für die Förderung von Wasserstofftechno- von Taxis, Mietwagen und Carsharing-Fahrzeugen, die logien vorgesehen, sowie weitere 2 Milliarden Euro für Schaffung einer Elektroladeinfrastruktur und die Digita- internationale Partnerschaften. Dafür gebührt ein herzli- lisierung kommunaler Verkehrssysteme. ches Dankeschön den zuständigen Ministern Andi Hinzu kommt das Klimaschutzprogramm der Bundes- Scheuer, Peter Altmaier und natürlich auch Gerd Müller. regierung. Hier ist die Elektromobilität ein zentraler Teil. (Beifall bei der CDU/CSU) Die zehnjährige Befreiung reiner Elektrofahrzeuge von der Kfz-Steuer wird bis Ende 2030 verlängert. Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie, bei der jetzt auch meine Heimatregion Landshut-Kelheim profitiert, (Beifall des Abg. Detlef Müller [Chemnitz] fördern wir nicht nur zeitgleich unseren Klimaschutz, [SPD]) sondern auch unsere Wirtschaftsleistung. Wir leisten durch die Produktion von Grünem Wasserstoff, zum Bei- Der Umweltbonus für den Kauf von E-Fahrzeugen ist auf spiel in Nordafrika, einen enormen Beitrag zur wirt- bis zu 6 000 Euro erhöht worden. schaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung. Ein Aber: Wir geben nicht nur Geld, wir nehmen es auch. wichtiger weiterer Baustein auf dem Weg hin zu einer 20 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge entfallen auf sauberen Mobilität ist auch die Förderung von syntheti- Geländewagen, die SUVs, die in einer Großstadt norma- schen Kraftstoffen. lerweise keinen Sinn machen. Viele von denen stoßen Abschließend: Für uns als CDU/CSU ist klar: Um un- mehr als 200 Gramm CO2 je Kilometer aus. Mit einer seren Wohlstand in Deutschland zu erhalten, müssen wir extra angepassten Kfz-Steuer werden Neuwagen, die in mehreren Mobilitätsdisziplinen Weltmeister werden, den EU-Grenzwert überschreiten, jetzt finanziell schlech- (B) in der Elektromobilität, bei synthetischen Kraftstoffen tergestellt. Wir erhoffen uns davon eine Lenkungswir- (D) und beim Wasserstoff. kung, sodass künftig Verbraucherinnen und Verbraucher zu sparsamen Autos greifen. Herzliches „Vergelts Gott!“ fürs Zuhören. Inzwischen hat sich die rot-schwarze Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU) auf ein Konjunkturprogramm mit Wumms geeinigt, das sich auch klimapolitisch sehen lassen kann. Zig Milliar- Vizepräsidentin Claudia Roth: den Euro werden wir für die Umrüstung der Flotten, den Danke schön, Florian Oßner. – Ich will Ihnen ankün- weiteren wichtigen Ausbau einer Ladeinfrastruktur, die digen: Ich bin jetzt etwas strenger, was die Nichtzulas- Förderung der Deutschen Bahn und des ÖPNVs und in sung von Zwischenfragen angeht, weil wir unglaublich die schon angesprochene neue Wasserstoffstrategie in- viel Verspätung haben und jetzt bei 23.45 Uhr für das vestieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ende der Tagesordnung sind. Ich hoffe, Sie verstehen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) das. Also, es wird jetzt strikter darauf geachtet. Eine langfristige und dauerhafte Verbesserung der Aber Ulli Nissen – das ist die nächste Rednerin – hält Luftqualität zugunsten des Schutzes der menschlichen sich an die Redezeit. – Ulli Nissen für die SPD-Fraktion. Gesundheit kann nur mit gezielter Luftreinhaltepolitik (Beifall bei der SPD) erreicht werden. Dazu gehört auch, dass deutlich mehr ältere Dieselfahrzeuge nachgerüstet werden, um den Ulli Nissen (SPD): Stickoxidausstoß zu senken. Dann wären sie auch nicht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und vom Fahrverbot betroffen, liebe Kollegen von der AfD. Kollegen! Die SPD nimmt den Gesundheitsschutz der Also, werte Kollegen von der AfD: Statt Aufheben von Menschen sehr ernst. Das fordern die SDGs, die Nach- Fahrverboten Fahrzeuge nachrüsten! Die Gesundheit der haltigkeitsziele 2030, die wir erreichen wollen. Saubere Menschen hat Vorrang. Luft und weniger Lärm sind mir persönlich auch sehr Darüber hinaus kann ich mir persönlich auch gut ein wichtig. Ich bin schon seit 2009 in meinem Frankfurter Tempolimit von 130 auf Autobahnen vorstellen. Das Wahlkreis elektromobil unterwegs. spart nicht nur Kraftstoff und CO2-Ausstoß, sondern (Beifall bei Abgeordneten der SPD) macht auch das Fahren viel entspannter, liebe Kollegin- nen und Kollegen. Fahrverbote sind nur das letzte Mittel, um die Luft sauberer zu machen. Für 2019 gibt es gute Nachrichten: Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. 20750 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Ulli Nissen (A) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Florian te kommen, in der Realität von 40 Millionen Deutschen! (C) Oßner [CDU/CSU]) 90 Prozent unseres Raumes sind ländlicher Raum. Ich habe es ehrlicherweise satt, mir hier von Groß- Vizepräsidentin Claudia Roth: städtern und irgendwelchen Umweltlobbyisten perma- Vielen Dank, Ulli Nissen. – Der letzte Redner in dieser nent etwas vorschreiben oder mich bzw. uns in irgend- Debatte: Oliver Grundmann für die CDU/CSU-Fraktion. welche Ecken stellen zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn ich höre, dass an den immer noch erhöhten Wer- Oliver Grundmann (CDU/CSU): ten während des Shutdowns jetzt auch noch die Land- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wirte schuld sein sollen – so, wie die Landwirte ja auch Kollegen! Am Ende einer solchen Debatte hat man ja an der Coronakrise schuld sein sollen; das hat ja Frau auch immer die Möglichkeit, die Argumente ein Stück Künast in den letzten Tagen im Parlament gesagt –, dann weit zu wägen und einzuordnen. muss ich sagen: Irgendwann ist auch mal Schluss. So eine Erst einmal zum Antragsteller, der AfD. Ihr letzter An- unerträgliche Diskussion können wir hier nicht gebrau- trag zur Klima- und Energiepolitik war ein ganz schlim- chen. mes Kauderwelsch. Das hatten wir hier in der entsprech- (Beifall bei der CDU/CSU) enden Debatte auch diskutiert. Das war eine echte Zumutung. Aber diesmal ist es zumindest schon mal eine Weiterentwicklung, handwerklich aber immer noch Vizepräsidentin Claudia Roth: stümperhaft mit einer verdrehten Argumentation Das ist ein gutes Stichwort; mit Ihrer Redezeit ist auch Schluss. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) und auch vollkommen falschen Schwerpunkten. Aber das (Beifall bei Abgeordneten der SPD, LINKEN hat mein Kollege Felix Schreiner ja schon hinreichend und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dargestellt. Oliver Grundmann (CDU/CSU): Von Ihnen kommt hier im Plenum bzw. auch an ande- Vor dem Hintergrund: Wenn fundierte Erkenntnisse ren Orten immer wieder diese Schwarzmalerei – auch auf dem Tisch liegen, dann werden wir sie hier auch von Ihnen, Herr Bernhard. Mit Ihrer ständigen Panikma- weiter diskutieren, und dann müssen auch entsprechende che verunsichern Sie die Menschen da draußen – zum Schritte erfolgen. Dafür steht jedenfalls die Union. (B) einen diejenigen, die vielleicht ein Auto – auch ein Die- (D) selfahrzeug – kaufen wollen, und zum anderen diejeni- Vielen Dank. gen, die da draußen, wie viele von uns auch, mit Diesel- (Beifall bei der CDU/CSU) fahrzeugen auf den Straßen unterwegs sind. Damit erweisen Sie eben auch den Autobauern einen Bären- dienst, und damit sind Sie im Grunde keinen Deut besser Vizepräsidentin Claudia Roth: als Oliver Krischer, der hier eben gerade gesprochen hat, Vielen Dank, Oliver Grundmann. – Damit schließe ich die Grünen allgemein oder die Linken, die den falschen die Aussprache. Propheten der Deutschen Umwelthilfe hinterherlaufen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (Andreas Bleck [AfD]: Aber Sie tun es ja Drucksache 19/20069 an die in der Tagesordnung aufge- auch!) führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine wei- teren Vorschläge. Dann verfahren wir genau so. Es gibt manchmal aber auch Gute und Vernünftige – das ist teilweise verwunderlich – aus einem Bereich, aus Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c sowie dem man das gar nicht erwarten würde, nämlich aus der Zusatzpunkte 17 und 36 auf: Linkspartei. Ich hätte es jedenfalls niemals für möglich 17 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- gehalten, dass Ihre Linksfraktionskollegin Sahra desregierung eingebrachten Entwurfs eines Wagenknecht mir aus der Seele sprechen würde. Gesetzes zur Vereinheitlichung des Ener- (Ulli Nissen [SPD]: Jetzt sind wir gespannt!) gieeinsparrechts für Gebäude Im März hat sie nämlich ein großes Interview gegeben Drucksachen 19/16716, 19/17037, und eine Bresche für den ländlichen Raum geschlagen, 19/17193 Nr. 8 für die Menschen, die dort auf Autos angewiesen sind. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Sie sagte, es sei total abwegig, auf den Bus umzusteigen, schusses für Wirtschaft und Energie (9. Aus- der vielleicht nur zweimal am Tag fährt – oder eben viel- schuss) leicht auch überhaupt nicht. Drucksache 19/20148 Buchstabe a Wie kam es denn zu solch einer Einsicht? Sie ist aus dem urbanen Berlin in die Fläche von Brandenburg ge- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des zogen. Willkommen im ländlichen Raum! Willkommen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und in der Realität, in der ich lebe, in der Realität von Flä- Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der chenwahlkreisen, aus denen viele Bundestagsabgeordne- Abgeordneten Udo Theodor Hemmelgarn, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20751

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Marc Bernhard, Frank Magnitz, weiterer Ab- Jens Koeppen (CDU/CSU): (C) geordneter und der Fraktion der AfD Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit dem Gebäudeenergiegesetz Aussetzung der Energieeinsparverord- die Aufgabe, die Herausforderung, alle bestehenden Re- nung und Verzicht auf Vorlage eines Ent- geln im Energieeinsparrecht für Gebäude zusammenzu- wurfs für ein mögliches Gebäudeenergie- fassen, zu vereinheitlichen, zu vereinfachen und den Voll- gesetz zug und die Anwendung zu erleichtern, aber dennoch die Drucksachen 19/17523, 19/20143 aktuellen energetischen Standards für Gebäude beim Neubau und bei einer Sanierung beizubehalten und nicht c) Beratung der Beschlussempfehlung und des zu verschärfen. Ich glaube, alles in allem ist uns das ge- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und lungen. Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Dr. Ingrid (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Nestle, Oliver Krischer, weiterer Abgeordne- GRÜNEN]: Warum?) ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Es ist uns auch gelungen, im parlamentarischen Ver- GRÜNEN fahren, in der Beratung, einige Verbesserungen zu errei- Ausbau der Windenergie in Schwung chen. Auf einige gehe ich mal ein: bringen, Menschen beteiligen und Klima- Erstens. Wir haben dafür gesorgt, dass es kein Mono- schutz stärken pol der Verbraucherzentralen bei der kostenlosen Ener- Drucksachen 19/15123, 19/18008 gieberatung und stattdessen eine allgemeine Verpflich- tung gibt, sich mit einem vertretbaren Aufwand um eine ZP 17 Zweite und dritte Beratung des von den Abge- kostenlose Beratung zu bemühen. ordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Dr. Ingrid Nestle, weiteren Abgeordneten und Zweitens. Wir haben dafür gesorgt, dass die Speicher- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- technologien besser in den Fokus genommen und auch gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- besser angerechnet werden können. rung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drittens. Die Innovationsklausel wurde deutlich ver- Drucksache 19/17137 bessert und offener gestaltet. Die beiden Ministerien ha- ben sich da ein bisschen schwergetan. Wir als Abgeord- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- nete mussten da ein bisschen nachhelfen, ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) Drucksache 19/20148 Buchstabe b der SPD) ZP 36 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karsten aber ich glaube, das ist uns am Ende des Tages auch Hilse, Marc Bernhard, Andreas Bleck, weiterer gelungen. Abgeordneter und der Fraktion der AfD Viertens. Auch über die Biomasse haben wir viel ge- Gesundheitsbeeinträchtigende sprochen; meine Kollegen werden darauf noch eingehen. Schallemissionen umfassend messen – Alle Sie ist wesentlich besser berücksichtigt und in den Fokus Umweltbelastungen durch Windindustriean- genommen worden. lagen ernst nehmen Von daher kann man sagen: Das Gesetz, das GEG, ist Drucksache 19/20121 gelungen. Überweisungsvorschlag: (Lachen der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜND- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Jetzt müsste ich sagen: Wenn da nicht noch zwei Punkte wären, auf die ich auch noch eingehen möchte. Sie sind Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein für mich besonders wichtig. Es geht nämlich um zwei Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und ein Ent- Zusätze – zum einen um die Abstandsregelungen für schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Windkraftanlagen und zum anderen um den 52-GW- vor. PV-Deckel. Ich bitte, dass Sie die Plätze schnell wechseln und die Erstens. Wir haben jetzt im Baugesetzbuch geregelt, Gespräche draußen weiterführen. dass die Länder die Möglichkeit haben, Abstandsrege- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- lungen für Windkraftanlagen – es geht um den Abstand schlossen worden. zwischen den Windkraftanlagen und der Wohnbebau- ung – festzulegen. Der Gesetzentwurf sieht eine Rege- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem lung vor, die einen Mindestabstand von 1 000 Metern ersten Redner, und das ist Jens Koeppen für die CDU/ festlegt. CSU-Fraktion. (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Höchst- (Beifall bei der CDU/CSU) abstand!) 20752 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Jens Koeppen (A) Das haben wir immer gefordert. milie ab nächstem Jahr noch mal zusätzlich 1 000 Euro (C) pro Jahr. Bis 2026 wird dieser Betrag auf über 2 600 Euro Ich glaube aber, wir haben die Chance verpasst, die steigen. Regionen, die stark durch Windenergieanlagen belastet sind, zu befrieden. Wir brauchen die Akzeptanz für den Wir haben die höchste Steuerbelastung aller Zeiten und Umbau der Energieversorgung auf Erneuerbare. Ich glau- befinden uns mitten in der Shutdown-Krise. Anstatt jetzt be, hier haben wir eine große Chance verpasst; denn endlich die Reißleine zu ziehen und die Bürger zu ent- wenn es die Länder nicht richtig machen, dann droht lasten, wollen Sie hier ein Gesetz erlassen, das unmittel- aus einer Mindestabstandsregelung eine Höchstabstands- bar zu einer weiteren Verteuerung des Wohnens führt. regelung zu werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Länder die Regelung jetzt so treffen, wie es in ihren Koalitions- (Beifall bei der AfD) verträgen steht – wie zum Beispiel in Brandenburg –, Bereits die jetzigen Auflagen der Energieeinsparverord- sodass verhindert wird, dass 250 Meter hohe Anlagen nung gehörten zu den Hauptfaktoren der massiven Miets- in der unmittelbaren Nähe von Wohnungen gebaut wer- teigerungen der letzten Jahre. den. (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Es gilt (Timon Gremmels [SPD]: So ein Quatsch! – das Bundes-Immissionsschutzgesetz!) Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Nein! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Die Länder selbst wollten diese Regelung und keine DIE GRÜNEN]: Das ist nachweislich falsch!) bundeseinheitliche Regelung. Ich hoffe, dass das am En- de auch zugunsten der Menschen umgesetzt wird. Ihr Klimapaket, zu dem auch dieses Gesetz gehört, wird das Wohnen in Deutschland – Sie können noch so Zweitens. Die Änderung zum 52-GW-PV-Deckel ist schreien, es ist wahr – natürlich generell zu begrüßen. Wir haben oft darüber gesprochen. Aber gut gedacht ist nicht immer gut ge- (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Ja, weil macht. Sie Quatsch erzählen!) Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Anlagen aus dem um weitere 14 Milliarden Euro pro Jahr verteuern. Der Förderbereich des EEG herausnehmen und stattdessen Mieterbund rechnet dadurch mit einer Kostensteigerung etwas machen, was sich immer bewährt hat. Zum Bei- von durchschnittlich 200 Euro pro Monat für jeden Haus- spiel hätten wir in Bezug auf diese Anlagen für Markt- halt. anreizprogramme sorgen und an Stromspeicher, also Bat- terien, denken können. Außerdem hätten wir den (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Quatsch!) (B) (D) Eigenverbrauch und dezentrale Lösungen fördern kön- Aber damit nicht genug: Die Menschen in Deutschland nen. Stattdessen nutzen wir wieder die Komfortzone des leiden laut Eurostat unter den höchsten Strompreisen Eu- EEG. ropas. Diese werden mit jeder weiteren Wind- oder Solar- Das wird ein Kostentreiber bleiben und zu negativen anlage zwangsläufig immer weiter steigen. Strompreisen führen. Deswegen haben wir eine große (Beifall bei der AfD – Christian Kühn [Tübin- Chance für Innovationen und deutsches Know-how ver- gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist tan. nachweislich falsch!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Allein der erste Tag, an dem mehr instabile Energie als NEN]: Nichts verstanden!) konventionelle Energie in das deutsche Stromnetz einge- Ich hoffe, dass es bei der EEG-Novelle besser wird, speist wurde, hat die Menschen 23 Millionen Euro ge- allerdings bin ich da ein bisschen skeptisch. kostet: 18 Millionen Euro dafür, die konventionellen Kraftwerke zu drosseln; die restlichen 5 Millionen Euro Trotzdem vielen Dank. mussten wir an unsere Nachbarländer bezahlen, damit sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. uns den überschüssigen Strom abgenommen haben, weil Dr. Martin Neumann [FDP]) sonst bei uns das Stromnetz zusammengebrochen wäre. (Beifall bei der AfD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Während also unsere glücklichen Nachbarn auf unsere Vielen Dank, Jens Koeppen. – Nächster Redner: für die Kosten fröhlich Stromeinkaufstage feiern, können sich AfD-Fraktion Marc Bernhard. viele Menschen in Deutschland den Strom nicht mehr (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Oh!) leisten, sodass jedes Jahr 350 000 Haushalten der Strom abgestellt wird. Tatsächlich zahlen die Menschen inzwi- Marc Bernhard (AfD): schen die Hälfte ihrer Stromrechnung nur für Ihre ver- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Allein durch murkste Energiewende. das Erneuerbare-Energien-Gesetz werden die Verbrau- (Beifall bei der AfD) cher jährlich mit 27 Milliarden Euro belastet. Eine vier- köpfige Familie wird für die Energiewende bis zum Durch die hier geplante Abschaffung des 52-Gigawatt- Jahr 2025 über 25 000 Euro bezahlt haben, und mit der Deckels bei der Solarenergie werden die Strompreise Einführung Ihrer CO2-Steuer zahlt diese vierköpfige Fa- noch weiter in die Höhe schießen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20753

Marc Bernhard (A) Durch den weiteren Ausbau instabilen Wind- und So- Mindrup, Andreas Rimkus, Matthias Miersch, Johann (C) larstroms setzen Sie die Energiesicherheit Deutschlands Saathoff und allen anderen, die daran mitgearbeitet ha- aufs Spiel. ben, auch dem Koalitionspartner. Es waren sehr produk- tive Gespräche. (Timon Gremmels [SPD]: Der Einzige, der in- stabil ist, sind Sie!) (Beifall bei der SPD) Allein 2018 waren 7 000 Netzeingriffe notwendig, um großflächige tagelange Blackouts zu verhindern. Mit Ih- Vizepräsidentin Claudia Roth: rem Maximalabstand von höchstens 1 000 Metern zwi- Herr Kollege, erlauben Sie eine kurze Zwischenfrage schen Windindustrieanlagen und dem nächsten Wohn- oder Kommentierung von der FDP? haus stellen Sie Ihren energiepolitischen Irrweg über das Wohl und die Gesundheit der Menschen, Timon Gremmels (SPD): (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Das ist Nein. – Das andere, was wir mit diesem Gesetz auf den Quatsch!) Weg gebracht haben, ist etwas, wofür wir auch lange indem Sie gesundheitliche Risiken wie Infraschall und gekämpft haben: nämlich die Abschaffung des Solarde- Lärmbelästigung einfach ignorieren. Der von Ihnen heute ckels. Ist es nicht eine gewisse Ironie der Geschichte, hier vorliegende Gesetzentwurf vernichtet die Energie- lieber Peter Altmaier, dass wir das, was Sie 2012 als sicherheit, gefährdet die Gesundheit, zockt die Bürger Umweltminister als großen Erfolg gefeiert haben, ausge- weiter ab und ist damit ein weiterer Sargnagel für den rechnet an Ihrem heutigen Geburtstag abschaffen und be- sozialen Frieden in Deutschland. erdigen? Herr Altmaier, das ist eine Ironie der Geschich- te. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Es tut uns aber auch nicht leid; denn eigentlich können Danke schön. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion wir als Sozialdemokraten Ihnen kein größeres Geschenk Timon Gremmels. an Ihrem Geburtstag machen: als Wirtschafts- und Ener- gieminister etwas zu lockern, etwas abzuschaffen und (Beifall bei der SPD) dadurch neue Impulse in der Energiewende zu setzen; nämlich die Solarenergie, die eine Riesenzukunft hat, Timon Gremmels (SPD): die ein Riesenpotenzial hat, zukunftsfähiger zu machen. (B) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Mit der Abschaffung des PV-Deckels, des 52-Gigawatt- (D) Kollegen! Mit dem Gebäudeenergiegesetz wächst das Deckels, wird es einen neuen Wachstumsmotor für die zusammen, was im Gebäudebereich zusammengehört: Solarenergie geben, Herr Altmaier, und ein schöneres zum einen die Energieeffizienz und zum anderen die Geschenk konnten wir Ihnen gar nicht machen. Energieversorgung. Das ist ein guter Tag für Deutsch- land, dass wir das heute auf den Weg bringen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Es wird neue Arbeitsplätze geben; es wird die regio- nale Wertschöpfung stärken; es wird neue zahlreiche Es ist ein guter Gesetzentwurf, den wir im parlamenta- Strommengen geben, die aus diesem Bereich kommen. rischen Verfahren als Koalitionsfraktionen noch besser Das ist ein guter Tag für die erneuerbaren Energien, und gemacht haben. Wir haben einen Einstieg geschafft, und das ist unser Geschenk für Sie, Herr Altmaier. Ich freue zwar: Erneuerbare Energien werden mit diesem Gebäu- mich, dass Sie es so dankbar annehmen. deenergiegesetz im Gebäudebereich spürbar verbessert. Wir haben Solarenergie auf den Mehrfamilienhäusern (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) mit Speichern deutlich verbessert. Wir haben den Einsatz Aber wir dürfen uns in diesem Bereich auch nicht aus- von Biogas und Biomethan deutlich verbessert. Wir ha- ruhen. Im Bereich der erneuerbaren Energien gibt es ge- ben sichergestellt, dass Abwärmenutzung aus Abwässern rade auch bei der Photovoltaik noch viel zu tun. Wir mit aufgenommen wird. Wir haben sichergestellt, dass brauchen eine schnelle Regelung für die Post-EEG-An- auch Kohleöfen analog den Ölheizungen auslaufen, dass lagen, für Anlagen also, die demnächst aus der Förderung die nicht weiter gefördert werden und dass die künftig durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz herausfallen. Ich auch verboten werden. Auch Kohlekessel müssen analog sage: Die haben auch ihr Geld verdient. Aber wir dürfen den Ölheizungen ein Ende finden, meine sehr verehrten nicht zulassen, dass ab 1. April nächsten Jahres diese Damen und Herren. Und wir haben noch die Innovatio- Anlagen zurückgebaut werden, obwohl sie nach der För- nen spürbar vorangebracht. Die Innovationsklausel haben derung noch guten Strom für Deutschland liefern. Wir wir geöffnet für Wasserstoff, für synthetische Brennstoffe brauchen hier eine schnelle Regelung. Wir dürfen nicht und für die graue Energie, also die Energiebilanz der wieder wie beim letzten Mal beim EEG es zulassen, dass Baumaterialien. All das haben wir im Gebäudeenergiege- wir erst in der letzten Minute eine Regelung hinbekom- setz verankert. men. Herr Altmaier, das ist die erste Aufgabe, die wir im (Beifall bei Abgeordneten der SPD) PV-Bereich noch kurzfristig haben. Das ist ein zukunftsfähiges, fortschrittliches Gebäude- Wir haben eine zweite Aufgabe kurzfristig im Bereich energiegesetz. Ich danke allen meinen Kollegen: Klaus Photovoltaik anzugehen, nämlich endlich ein Mieter- 20754 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Timon Gremmels (A) stromgesetz zu beschließen, das den Namen auch ver- noch für Selbstnutzer die Überforderung bei Nebenkos- (C) dient. ten. So weit, so richtig. Und wir müssen uns darum küm- mern, dass wir das Klima retten. Diese beiden Sachen (Beifall bei der SPD) waren zu kombinieren; das ist nicht gerade gut gelungen. Dafür gibt es ja schon fertige Entwürfe in den Warum nicht? Weil wir darauf achten müssen, dass wir Schubladen, die Sie einfach nur rausnehmen und umset- niedrige Baukosten haben. Wir wollen ja niedrige Mieten zen müssen. Das wäre ein zweiter Baustein, der den Be- in Deutschland; das haben Sie sich ja vorgenommen. reich der Solarenergie voranbringt. Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich will anders Abschließend möchte ich einen dritten Baustein, mei- als die Truppe da drüben keine zugigen Bretterbuden ne sehr verehrten Damen und Herren, noch nennen: Wir bauen, indem ich alles abschaffe. Wir brauchen Stan- wollen die Solarpflicht für Neubauten aufnehmen. Wir dards; keine Frage, das sollte so sein. Ich bin auch dafür, wollen, dass wir an dieser Stelle auch für Neubauten vor- dass man Gesetze zusammenlegt, wenn dadurch entbüro- schreiben, dass es eine Solarpflicht gibt. kratisiert wird. Das hat aber nicht funktioniert. Warum Sie sich aber so auf den Primärenergiebedarf stürzen Mit diesen drei Dingen werden wir uns im Zuge der und dabei Sachen völlig außer Acht lassen, verstehe ich EEG-Novellierung beschäftigen. Sie sehen: Heute feiern nicht. Wenn CO -Einsparung das Maß aller Dinge ist: wir, und morgen packen wir es an; denn die Energie- 2 Gebäudesektor rein in den CO -Zertifikatehandel, jedes wende braucht die Sozialdemokratie. In diesem Sinne: 2 Jahr CO -Zertifikate rausnehmen, und die CO -Neutrali- Glück auf! 2 2 tät ist 2050 geschafft wie gewünscht. Schönen Abend! (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Sache erledigt! Sie selber nehmen sich doch vor: Wasser- stoffinitiative, viele andere Sachen, vielleicht zu Energie- Vizepräsidentin Claudia Roth: trägern zu kommen, die CO2-neutral sind. Warum Vielen Dank, Timon Gremmels. – Peter Altmaier, dann schreiben Sie also an dieser Stelle den Leuten vor, wie möchte ich im Namen des ganzen Hauses Ihnen herzlich viel Energie sie brauchen? zu Ihrem Geburtstag gratulieren. Herr Gremmels hat ja gesagt: Das schönste Geschenk ist das Gesetz. – Sonst Ich sage Ihnen etwas: Wenn die Bürger in diesem Land hätte ich jetzt was gesungen. losgehen und sagen: „Ich habe da so einen Schmerz im Bauch; das ist so ein Bauchgefühl: Warum muss ich (Heiterkeit) eigentlich statt 10 Zentimeter 20 Zentimeter dämmen? (B) (D) Aber da ja das schönste Geschenk schon das Gesetz ist, Warum muss ich eine Lüftungsanlage einbauen?“, dann bekommen Sie dann zu Ihrem runden Geburtstag ein sind das keine Klimaleugner, sondern sie sagen: Das ver- Ständchen. Alles Gute, Herr Altmaier, im Namen des braucht doch alles CO2. Die Dämmung muss produziert ganzen Hauses. werden; die ist aus Polystyrol. Da ist Rohöl drin, und bei der Produktion entsteht Methan. Die Leute von der Bau- (Beifall) firma kommen mit einem Diesellaster an. Ich muss einen Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Hagen langen Plastedübel reinbohren; das hält aber nur 10 bis Reinhold. 15 Jahre. Spare ich in dieser Zeit überhaupt so viel CO2 ein oder nicht? – Die Beantwortung dieser Frage bleibt (Beifall bei der FDP) das Gesetz nämlich schuldig.

Hagen Reinhold (FDP): (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich begrüße Ihre Ent- Deshalb ist es Schwachsinn, sich auf die Primärenergie scheidung und fahre mit dem GEG fort. zu stürzen; das ist nämlich das Ziel.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der FDP) Hey, ich kann gut singen; also, so ist es nicht. Wenn die Zielgröße Klimaschutz ist, dann kann die Ant- wort darauf nur CO2-Minimierung sein. Hagen Reinhold (FDP): Das weiß ich. Ob das Herrn Altmaier gefreut hätte? Dieses Vorschreiben von zu verbrauchender Energie, wissen Sie, woran mich das immer erinnert? Das erinnert mich daran: Ich kaufe mir ein Auto, und der Hersteller Vizepräsidentin Claudia Roth: sagt mir, wie viel Sprit ich verbrauche. Das hat noch nie Ja, das ist die andere Frage. – Gut, wir fangen noch mal funktioniert, an. Nächster Redner: für die FDP Hagen Reinhold. (Christian Dürr [FDP]: Richtig!) Hagen Reinhold (FDP): bei mir zumindest nicht. Denn es gibt keinen Standard- Im GEG gab es zwei Sachen miteinander zu verbinden, bürger in einem Standardhaus, der sein Standardzimmer und das musste geschafft werden. Das eine ist: Wir brau- auf eine Standardtemperatur heizt; das funktioniert nicht. chen natürlich ein behagliches Wohnklima in neuen Ge- bäuden, keine Frage. Und wir brauchen weder für Mieter (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20755

Hagen Reinhold (A) Ich komme vom Bau; ich habe eine Baufirma. Ich war nen, und wir brauchen keine Vertreibung von (C) bei genug Neubautenwartungen und Umbauten dabei. Es Mieterinnen und Mietern. gibt Millionen falsch eingestellter Heizungen. Die kön- nen noch so gut geplant und gebaut worden sein – wir (Beifall bei der LINKEN) haben nicht genug Wartungsingenieure, die die Heizun- Die Dramatik ist, dass sich bei diesem Gebäudeener- gen warten; da haben wir ein riesengroßes Problem. Die giegesetz leider in vielen Punkten die Immobilienlobby Heizungen blasen nämlich – anders als Ihre Rechnung am durchgesetzt hat und dabei das Klima und die soziale Schreibtisch – ein Vielfaches an CO2 heraus, denn wir Gerechtigkeit auf der Strecke geblieben sind. In diesem legen dem nicht Realwerte zugrunde, sondern rein rech- Sinne könnte man sagen: Besser hätten wir kein Gebäu- nerische Werte; das ist doch Mist. deenergiegesetz als dieses schlechte Gebäudeenergiege- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten setz. der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Warum eigentlich eine Mindestanlagengröße? Das wäre Erfolgreich – das ist das Schlimme daran; davor haben genau so, als wenn Sie mir eine Mindestmützengröße für wir schon in der letzten Sitzungswoche gewarnt – ist die den Winter vorschreiben würden. Union beim Erpressen ihres Koalitionspartners SPD ge- (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) wesen, und das ist eine Dramatik. Denn mit der Möglich- keit von 1 000 Metern Abstand bei Windkraftanlagen in „Schwachsinn!“, sage ich dazu. den einzelnen Bundesländern schwächen Sie die Akzep- tanz. Das hat das Beispiel des Bundeslandes Bayern ge- (Beifall bei der FDP) zeigt. Dort ist die Windkraftbranche, ist der Windkraft- Ich würde mich freuen, wenn es nicht nur im An- ausbau fast völlig zum Erliegen gekommen, und genau schluss an dieses Gesetz und viele andere Gesetze, son- das hätten Sie verhindern müssen, liebe Kolleginnen und dern auch nach Ihrer Regierungszeit noch ein Land gibt, Kollegen von der SPD. in dem wir gut und gerne leben. Dem sind wir zumindest mit diesem Gesetz nicht ein Stück näher gekommen; es (Beifall bei der LINKEN) tut mir leid. Statt immer absurderen würden die bestehenden Re- gelungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz vollkom- (Beifall bei der FDP) men ausreichen. Akzeptanz schafft man nicht mit Ab- ständen bei Windkraftanlagen; Akzeptanz schafft man, Vizepräsidentin Claudia Roth: indem man Kommunen, indem man Genossenschaften (B) (D) Vielen Dank, Hagen Reinhold. – Nächster Redner: für beteiligt und indem man die großen Energiekonzerne in die Fraktion Die Linke Lorenz Gösta Beutin. die Schranken weist; das wäre der richtige Weg. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Und ja, das ist der richtige Schritt: die Abschaffung des Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): PV-Deckels; die ist längst überfällig. Das wird seit zwei Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahren von den Umweltverbänden und von der Solar- Mit diesem Gebäudeenergiegesetz legt die Koalition lei- branche gefordert, und jetzt kommt es endlich. Aber es der den Grundstein für die Verfehlung der Klimaziele im reicht nicht, um in Jubelstürme auszubrechen. Wir brau- Gebäudebereich, und das ist ein Problem. Sie setzen chen tatsächlich eine PV-Pflicht für Neubauten. Wir brau- Standards für Gebäude, die vor zehn Jahren vielleicht chen Gesetzesvorhaben, die den klimapolitischen Still- die richtigen gewesen wären, aber bereits heute veraltet stand nicht zementieren, sondern wir müssen in diesen sind, auch auf EU-Ebene. Damit schaffen Sie als Koali- Punkten weitergehen. tion die Grundlage, dass mit diesen niedrigen Standards Gebäude, die heute gebaut werden, vielleicht in 10 oder Vielen Dank. 15 Jahren als Sanierungsfälle wieder aufs Neue saniert werden müssen; das wäre eine ökologische Katastrophe. (Beifall bei der LINKEN)

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank, Lorenz Gösta Beutin. – Nächster Redner: NEN]) für Bündnis 90/Die Grünen Chris Kühn. Sie haben die Chance verpasst, die Coronakrise zu nutzen, um endlich bezahlbares Wohnen und Klima- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schutz miteinander zu verbinden. Das wäre möglich, wenn man die Kosten für energetische Sanierung auf Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE die Warmmietenneutralität begrenzen würde, wie es bei- GRÜNEN): spielsweise der Mieterbund fordert. Nein, wir müssen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Schluss damit machen, dass Mieterinnen und Mieter mit Kollegen! Herr Koeppen, jetzt einmal ganz im Ernst: dem Vorwand energetischer Sanierung aus ihren Woh- Wenn Sie sich heute hierhinstellen und sich für dieses nungen vertrieben werden und dass damit Immobilien- Gebäudeenergiegesetz loben, dass Sie dabei nicht rot konzerne ihre Profite machen. Wir brauchen Investitio- werden! 20756 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Christian Kühn (Tübingen) (A) (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE nächst die Eigentümerinnen und Eigentümer und am En- (C) GRÜNEN]: Ja!) de noch einmal die Mieterinnen und Mieter bezahlen. Fünf Jahre Eiertanz um dieses Gesetz. Die CDU blockiert Deswegen sage ich Ihnen eines: Dieses Gesetz ist am ohne Ende. Ich glaube, das hat mehr mit Autosuggestion Ende sozial ungerecht. zu tun als mit dem realen Gehalt dessen, was Sie heute (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier vorgelegt haben. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Krone der Absurdität des Ganzen ist, dass Sie die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Technologie der Ölheizung noch in die übernächste Sie von der CDU feiern sich heute dafür ab, dass Sie Wahlperiode hinüberretten wollen. Ich sage Ihnen eines: den Solardeckel abräumen. Ich meine, Sie haben ihn Wir brauchen nicht Ölkessel im Keller, sondern mehr erfunden; Herr Altmaier hat ihn eingeführt. Das ist doch erneuerbare Energien. absurd; das ist doch vollkommen absurd. Es hat im Üb- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rigen auch nichts mit Klimaschutz zu tun, wenn Sie eine Hürde wegräumen, die Sie selber aufgestellt haben. Vo- Die Kommunen in Deutschland sind viel weiter. Meine rangebracht hat dies das Land auf gar keinen Fall, bei den Heimatstadt Tübingen hat einen Ratsbeschluss gefasst: erneuerbaren Energien gar nicht. Alle Wohngebäude, die neu errichtet werden, haben KfW-Standard 40. Diesen Mut hätten Sie aufbringen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN müssen; das wäre ein wahrer Schritt beim Klimaschutz sowie des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE gewesen. LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es hat Tausende von Arbeitsplätzen gekostet, die auf Ihr Konto gehen und auch ganz persönlich auf Ihr Konto, Ich sage Ihnen eines: Freiburg, Bottrop, Tübingen und Herr Koeppen. andere können das; nur Sie können das anscheinend nicht, weil Sie ein Stück weit die Basis verloren und sich Bei der Windkraft tun Sie nichts anderes, als die Büch- auch ein Stück weit entkoppelt haben von den Debatten, se der Pandora zu öffnen. 1 000 Meter Abstand zur die in den Kommunen wirklich laufen. Wohnbebauung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Marc Bernhard [AfD]: Maximal!) Zum Schluss will ich eines sagen – auch das kam heute mit einer Länderöffnungsklausel. Was Sie einführen, sind wieder hier vor –: Angeblich würden die Effizienzmaß- (B) nichts anderes als Sperrzonen für Windräder in Deutsch- nahmen das Bauen teuer machen. Es ist die Bodenspeku- (D) land. Das ist ein Flickenteppich an Regelungen, und das lation, die die Baupreise in die Höhe treibt, nicht die ist eben keine Investitionssicherheit für diese Branche in Effizienzmaßnahmen. Deutschland, die wir dringend für den Ausbau der Wind- kraft bräuchten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN KEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wer glaubt, dass Energieeffizienz am Ende zu mehr Kos- Wir brauchen den Ausbau der Windkraft deswegen, ten führt, ich weiß nicht, der hat irgendwie gar nichts weil wir eine urbane Energiewende brauchen. Mehr E- verstanden. Ich weiß auch nicht, in welchen Ausschüssen Autos oder die Umsetzung der Wasserstoffstrategie, das die Leute sitzen, die so etwas hier behaupten; denn die wird nur funktionieren, wenn wir den Windkraftausbau müssen in den letzten Jahren überhaupt nicht zugehört hinbekommen. Das wissen Sie alle selbst; deswegen gu- haben. cken Sie jetzt so betroffen. Danke schön. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So aufmerksam! – Jens Koeppen [CDU/CSU]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich würde mal gerne wissen, wie viele Wind- kraftanlagen in Tübingen vor seiner Wohnung Vizepräsidentin Claudia Roth: stehen! Das würde mich interessieren!) Vielen Dank, Chris Kühn. – Nächster Redner: für die Deswegen sage ich Ihnen eines ganz klar: Die Windsperr- CDU/CSU-Fraktion Dr. Andreas Lenz. zonen müssen wieder weg! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit den neuen Regelungen im Gebäudeenergiegesetz, Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): für die Sie fünf Jahre gebraucht haben, kommen wir beim Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Klimaschutz keinen Meter voran. Dieses Gesetz ist nicht und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir ver- zielkompatibel mit den Pariser Klimaschutzzielen, und es abschieden heute das Gebäudeenergiegesetz. Es ist in der ist klimafeindlich; das haben meine Vorredner auch dar- Tat so: „Was lange währt, wird endlich gut“, könnte man gestellt. Aber es ist am Ende auch mieterinnen- und mie- sagen. Ich finde, das Gesetz ist tatsächlich gut geworden. terfeindlich, weil die Gebäude, die wir jetzt errichten, bis Deshalb möchte ich mich auch ganz herzlich bei allen, 2050 wieder saniert werden müssen. Das müssen zu- die da mitgewirkt haben, bedanken, sowohl beim Koali- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20757

Dr. Andreas Lenz (A) tionspartner als auch bei unseren Berichterstattern. Das Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) war schon viel Arbeit; aber ich glaube, das Ergebnis kann Herr Lenz. sich durchaus sehen lassen. Wir setzen hiermit die EU- Gebäuderichtlinie um, und wir berücksichtigen dabei bei- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): de Aspekte: zum einen die Bezahlbarkeit des Wohnens, Liebe Frau Verlinden, das wurde ja schon erklärt. Es zum anderen Klimaschutzaspekte. Wir werden beiden gab schon die Gespräche zwischen BMWi und Kommis- Zielen gerecht. Die AfD zitierte ja den Mieterbund. Ge- sion, und die Kommission hat auch nichts gegen diesen rade der Mieterbund sagt: Die Anforderungen an die Gesetzentwurf. Insofern ist Ihre Frage damit eigentlich Energieeffizienz von Gebäuden sind eben nicht verant- auch erledigt. Das ist der eine Punkt. Natürlich wird es wortlich für hohe Immobilien- und Mietpreise. auch eine Evaluierung dieses Gesetzes in 2022 und 2023 geben, und dann werden wir genau schauen, was passiert Wir konnten im parlamentarischen Verfahren noch ei- ist. Aber Fakt ist, dass wir mit diesem Gesetz in Deutsch- nige wesentliche Verbesserungen erzielen; auch dafür land die höchsten Standards in ganz Europa umsetzen herzlichen Dank. Wir werden die Speicher im Bereich werden. der Photovoltaik stärker berücksichtigen. Wir werden den Einsatz von Biomethan in Heizkesseln als Erfül- Wir haben außerdem einen Entschließungsantrag ein- lungsoption ermöglichen; wir bringen also tatsächlich gereicht. Wir wollen die Kosten für die Energieberatung die Erneuerbaren in den Heizkessel. Die sogenannte In- steuerlich absetzbar machen; das werden wir entspre- novationsklausel bleibt tatsächlich eine Innovationsklau- chend überprüfen. sel. Wir stärken hier auch die Einsatzmöglichkeiten von Also: Wir haben noch einmal viele wichtige Punkte im Wasserstoff, von synthetischen Gasen. Außerdem wollen parlamentarischen Verfahren eingebracht, die insgesamt wir dadurch Innovationen und Testmöglichkeiten för- einen Schub an Energieeffizienz und für Innovation und dern. Wir werden zudem die Tauschprämie auf Kohle- Technologie geben werden. kessel ausweiten – auch ein wichtiger Punkt –, und wir berücksichtigen Abwärme aus Abwasser; auch eine inno- Jetzt wurde auch schon eine der angehängten Geset- vative Technik. zesänderungen zum Hauptgesetz hier in der Debatte er- klärt; deshalb will ich noch einmal kurz auf die Frage des 52-GW-Deckels eingehen, der bei der Photovoltaik ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: wirkt hat. Der Herr Kühn von den Grünen hat gesagt, dass Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder der nichts gebracht hätte. Da bin ich anderer Meinung: -bemerkung der Kollegin aus der Grünenfraktion? Wir haben es gerade durch den 52-GW-Deckel geschafft, dass die PV mittlerweile wettbewerbsfähig geworden ist, (B) (D) dass Skaleneffekte entsprechend genutzt wurden. Dafür Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): war der 52-GW-Deckel mit verantwortlich. Sehr gerne. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein! – Ge- DIE GRÜNEN]: Tausende Arbeitsplätze hat genruf der Abg. Katharina Dröge [BÜND- es gekostet! Tausende!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn nicht?) Wir als CSU haben uns immer für die Streichung des 52-GW-Deckels eingesetzt; Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Na ja!) Sehr geehrter Herr Kollege Lenz, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben in Ihrer Rede ein- die Streichung wurde auch im Klimaschutzpaket entspre- gangs gesagt, dass Sie mit diesem Gebäudeenergiegesetz chend verankert. EU-Recht umsetzen. Herr Koeppen hatte in seiner Rede (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ gesagt, dass die Aufgabe aus dem Koalitionsvertrag sei, DIE GRÜNEN]: Vielleicht hat sich der Kollege dass die Standards für Energieeffizienz eben nicht ange- Lenz eingesetzt, aber nicht die CDU!) passt werden sollen. Dass Photovoltaik zukünftig weiter eine wichtige Rolle Nun, an europäisches Recht muss sich die Koalition spielen wird, ist auch klar. trotzdem halten. Deswegen möchte ich Sie fragen, wie (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie gedenken der Kommission in Brüssel zu erklären, NEN]: Da müssen Sie selber lachen, Herr dass Ihr sogenannter Niedrigstenergiegebäudestandard, Lenz!) der in den europäischen Vertragstexten mit „fast bei null“ liegendem Energieverbrauch definiert wird, erreicht Wir müssen hier weiter unsere Potenziale bei der Ent- wird. Wie wollen Sie mit dem KfW-70-Standard, den bürokratisierung nutzen. Auch beim Eigenverbrauch Sie jetzt weiter zulassen – das sind 6 Liter Heizöl pro müssen wir weiter effizienter werden. Der Zubau bei Quadratmeter im Gebäude –, einen Energieverbrauch der Photovoltaik wird sich weiter erhöhen, auch um das von nahezu null erreichen? Das ist eine Riesenenergie- Ziel „65 Prozent Erneuerbare im Strombereich bis 2030“ verschwendung, und der Stand der Technik ist deutlich zu erreichen. In Bayern scheint die Sonne etwas häufiger weiter. Wie wollen Sie das der EU erklären? als andernorts in der Republik, und auch deshalb setzen wir in Bayern ganz stark auf die Photovoltaik, meine sehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geehrten Damen und Herren. 20758 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Andreas Lenz (A) Ebenso werden wir bei den Abstandsregelungen für Das Mieterstromgesetz steht noch aus; Kollege Timon (C) Windräder Möglichkeiten für die Länder schaffen; es Gremmels hat darauf hingewiesen. Das ist schade, aber wurde schon angesprochen. Natürlich haben wir bei der wir erwarten, dass wir das bald umsetzen können. kommenden EEG-Novellierung noch viel zu tun hin- sichtlich des weiteren Ausbaus der Erneuerbaren, gerade (Beifall bei der SPD) auch, wenn es um die Entwicklung von entsprechenden Das Gebäudeenergiegesetz ist damit ein guter und Pfaden geht. wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Bezüglich des Kohleausstiegs – daran arbeiten wir ge- Wärmeversorgung in den Gebäuden. rade parallel intensiv –, aber auch bezüglich der Bezahl- Auch gut und wichtig ist der im Ausschuss vorgelegte barkeit der Stromkosten und der Versorgungssicherheit Änderungsantrag. Endlich schaffen wir den PV-Deckel werden wir ebenfalls weiter Lösungen liefern und hier ab – ehrlich gesagt in letzter Sekunde. Es wurde dringend entsprechend verabschieden. Zeit. Wir haben die 52 GW nämlich Gott sei Dank er- Es ist ein gutes und wichtiges Zeichen auch für die reicht. Handlungsfähigkeit der Koalition, dass wir heute ein gu- (Beifall bei der SPD) tes Gebäudeenergiegesetz verabschieden. In diesem Sin- ne bitte ich um Zustimmung und bedanke mich ganz Damit schaffen wir auch das Begrenzungselement für den herzlich. Erneuerbare-Energien-Ausbau ab. In der genossenschaft- lichen Welt sagt man: Wir machen den Weg frei. – In (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ostfriesland würde man sagen: Nu kannt rechtschkapen Carsten Träger [SPD]) wieder gahn. – Frau Präsidentin, diesmal übersetze ich es direkt: Nun kann es richtig weitergehen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der SPD) Vielen Dank, Dr. Andreas Lenz. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Johann Saathoff. Darüber sind wir uns im Koalitionsantrag einig. (Beifall bei der SPD) Wir sind uns auch einig geworden bei der Diskussion um Abstände für Windenergieanlagen. Die SPD braucht Johann Saathoff (SPD): eigentlich überhaupt keine Abstandsregelungen. Abstän- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und de werden über Immissionsregelungen bestimmt, also bei Kollegen! Die Energiewende wird oft nur mit Blick auf Windenergieanlagen über Lärmimission, und eigentlich den Stromsektor diskutiert, also nach dem Motto: Wenn ist das Regelwerk dafür die TA Lärm. Es gibt auch keine (B) (D) wir im Strombereich alles erneuerbar geschafft haben, politischen Abstände zu Autobahnen oder zu Kraftwer- hätten wir die Energiewende geschafft. – Aber weit ge- ken. Abstände führen eben auch nicht zu mehr Akzep- fehlt! Die Energiewende umfasst eben auch den Gebäu- tanz; das haben wir in der Anhörung deutlich gehört. desektor und den Verkehrssektor. Die Sektoren wachsen Eigentlich ist es wie immer im Leben: Beteiligung führt immer mehr zu einem großen System zusammen, und das zu Akzeptanz, und nicht Ausgrenzung. wollen wir auch weiterhin fördern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir haben große Fortschritte in der Stromproduktion LINKEN) gemacht: Weit über 40 Prozent der Stromproduktion So führt im energiepolitischen Bereich Bürgerbeteiligung kommen aus erneuerbaren Energien. Aber wir haben zu mehr Akzeptanz, nicht Abstände. auch große Herausforderungen im Strombereich: Wir wollen nämlich das EEG-Ziel „65 Prozent in 2030“, Die Diskussion hat uns viel Zeit gekostet, liebe Kolle- wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben, in die- ginnen und Kollegen. Leider haben viele Beschäftigte in sem Jahr endlich festlegen. dieser Zeit ihren Arbeitsplatz verloren. Das werden wir jetzt wieder aufholen müssen. Wir müssen der Windener- (Beifall bei der SPD) gie einen neuen Schub geben. Dazu gibt es gute Beschlüsse der Ministerpräsidenten, die (Beifall bei der SPD) gestern gefasst wurden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir da vorankommen. Jetzt machen wir dazu eine Regelung – zugegeben keine bundesweite Regelung. Die Länder können selber Im Wärme- und im Verkehrsbereich haben wir aller- Regelungen treffen, dürfen aber maximal einen Abstand dings noch keine großen Erfolge zu verzeichnen. Mit dem von 1 000 Metern festlegen. Außer Bayern natürlich: Die Gebäudeenergiegesetz bringen wir die Entwicklung im dürfen zweieinhalb Mal so viel festlegen. Meine Redezeit Wärmesektor in die richtige Richtung. Wärme in Gebäu- reicht nicht aus, um mich darüber aufzuregen. den wird künftig zunehmend erneuerbar, und das ist eine gute Botschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Das Windland Nummer eins, Niedersachsen, will das nicht. Dort erkennt man die Kombination der ökologi- Die Anrechenbarkeit von Photovoltaikstrom vom Dach schen und ökonomischen Potenziale: Klimapolitik ist In- wird verbessert, und das ist ein Anreiz für die Nutzung dustriepolitik. erneuerbarer Energien, gerade auch in den Städten; denn Energiewende findet sonst nur im ländlichen Raum statt. Herzlichen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20759

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: der FDP recht: Zu viel Dämmung hilft oft auch nichts. (C) Vielen Dank, Johann Saathoff. – Der letzte Redner in Wir müssen auch die Gesamtbilanz im Auge behalten. der Debatte kommt aus Bayern: Michael Kießling für die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten CDU/CSU-Fraktion. der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich denke, mit unserem Dreiklang, Energieeffizienz, Klimaschutz und Bezahl- Michael Kießling (CDU/CSU): barkeit in diesem Gesetz unter einen Hut zu bringen, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen haben wir ein gutes Gesetz geschaffen und dem Baustein und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als Bau- und für die Energieeffizienz von Gebäuden einen guten Schub Umweltpolitiker freue ich mich besonders, dass wir die- gegeben. Damit hoffe ich auf die Zustimmung für dieses ses Gesetz heute verabschieden; denn wir verbinden da- Gesetz, sodass wir die Zukunft unserer Gebäude entspre- mit Energieeffizienz, Klimaschutz und Bezahlbarkeit von chend gestalten können. Wohnen und Bauen. Herzlichen Dank. Aber zuvor eine Bemerkung zum Antrag der AfD. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe AfD, Sie schießen in Ihrem Antrag mit Platzpatro- nen auf Scheiben und wundern sich, warum Sie nichts Vizepräsidentin Claudia Roth: treffen. Wenn man Ihren Antrag liest, dann sieht man: Sie schaffen schon beim Neubau den Sanierungsfall, in- Vielen Dank, Michael Kießling. – Damit schließe ich dem Sie jeglichen Standard abschaffen wollen. Und im die Debatte. selben Atemzug ignorieren Sie Marktgesetze, indem Sie Ich will noch einmal auf eines hinweisen, weil Sie sich sagen: Die Miete ist das Ergebnis von Angebot und Nach- mehrere Male gemeldet haben. Ich habe gesagt, ich wer- frage und nicht ausschließlich auf die Herstellungskosten de sehr restriktiv sein und eine Zwischenfrage zulassen. zurückzuführen. – Wir zeigen mit dem Gesetz: Kosten- Das Ende der Sitzung ist jetzt schon um Mitternacht. Es bewusstes Bauen und Klimaschutz schließen sich nicht gab vorher einen großen Konsens, dass wir mit der Rede- aus. – Ich mache das an zwei Punkten deutlich. zeit und mit den Zwischenfragen etwas strikter umgehen. Erstens. Durch die Zusammenführung unterschiedli- (Hagen Reinhold [FDP]: Wir haben es dreimal cher Regelwerke gilt künftig ein einheitliches Anforde- versucht, eine kam von den Grünen! Das war rungssystem. Mit diesem regeln wir die energetischen ein bisschen anders!) Anforderungen an die Errichtung und Sanierung von Ge- (B) – Nein, eine habe ich zugelassen, sie ist aber nicht gestellt (D) bäuden und an den Einsatz erneuerbarer Energien zur worden. Wärme- und Kälteversorgung. Diese Harmonisierung trägt nicht nur zur Vereinfachung, sondern auch zum (Hagen Reinhold [FDP]: Sehr restriktiv!) Bürokratieabbau bei. – Ja, wir können gerne bis ein oder zwei Uhr tagen. Es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wurde der Regelung vorher zugestimmt. Bitte akzeptie- ren Sie das. Seien Sie froh, dass hier nicht Kubicki sitzt. Zweitens. Wir leisten einen großen Beitrag zum Kli- maschutz. Dabei folgen wir weiterhin dem Ansatz, den (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Energiebedarf eines Gebäudes möglichst gering zu hal- DIE GRÜNEN) ten. Dafür brauchen wir energieeffiziente Gebäude. Dazu Tagesordnungspunkt 17 a. Wir kommen zur Abstim- gehören gute Dämmung und gute Fenster jetzt schon zum mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Standard, Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Energieeinspar- rechts für Gebäude. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber das ist nicht Energieeffizienz, was Dazu liegen mir zwei Erklärungen nach § 31 unserer Sie jetzt bauen!) Geschäftsordnung vor.1) und es gehören moderne und nachhaltige Haustechniken – Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt wir haben es vorher gehört: Heizungen und Speicher – unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf dazu. Das führt zu einem Mehr an Energieeffizienz bei Drucksache 19/20148, den Gesetzentwurf der Bundesre- Gebäuden, zu hochwertiger Bau- und Wohnqualität und gierung auf den Drucksachen 19/16716 und 19/17037 in zu weniger laufenden Kosten für die Nutzer. der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen hat beantragt, über den Gesetzentwurf Ein wesentlicher Baustein – das haben wir gehört – für getrennt abzustimmen, und zwar zum einen über Arti- die Energieeffizienz ist die Nutzung erneuerbarer Ener- kel 8 – Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes – gien. Daher schaffen wir – das wurde auch schon er- und zum anderen über den Gesetzentwurf im Übrigen. wähnt – den 52-Gigawatt-Solardeckel ab. Wir ermögli- chen damit Investitionssicherheit und forcieren den Ich rufe zunächst Artikel 8 in der Ausschussfassung Ausbau von erneuerbaren Energien. Im Übrigen ver- auf. Ich bitte diejenigen, die Artikel 8 des Gesetzentwurfs schärfen wir mit dem Gesetz nicht die energetischen in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Standards; denn die Anforderungen aus der EU-Richtli- nie erfüllen wir bereits. Ich gebe meinem Kollegen von 1) Anlage 7 20760 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – tungen? – Keine. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. (C) Eine Enthaltung. Damit ist Artikel 8 angenommen. Zu- Zugestimmt haben die Grünen und die Linke. Dagegen- gestimmt haben die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die gestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Grünen, CDU/CSU und Linke. Dagegengestimmt haben FDP und AfD. die Fraktionen der AfD und der FDP. Es gab eine Ent- Tagesordnungspunkt 17 b. Beschlussempfehlung des haltung aus der Fraktion der CDU/CSU. Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag Ich rufe nun auf die übrigen Teile des Gesetzentwurfs der Fraktion der AfD mit dem Titel „Aussetzung der in der Ausschussfassung. Ich bitte diejenigen, die den Energieeinsparverordnung und Verzicht auf Vorlage ei- übrigen Teilen des Gesetzentwurfs in der Ausschussfas- nes Entwurfs für ein mögliches Gebäudeenergiegesetz“. sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Eine Enthaltung. auf Drucksache 19/20143, den Antrag der Fraktion der Die übrigen Teile des Gesetzentwurfs sind damit ange- AfD auf Drucksache 19/17523 abzulehnen. Wer stimmt nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD und für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- CDU/CSU. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der gen? – Enthaltungen? – Gibt es keine. Gegen die Stim- Linken, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Es gab men der AfD haben alle Fraktionen der Beschlussemp- eine Enthaltung einer Kollegin aus der CDU/CSU-Frak- fehlung zugestimmt. Damit ist die Beschlussempfehlung tion. Alle Teile des Gesetzentwurfs sind damit in zweiter angenommen. Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 17c. Beschlussempfehlung des Dritte Beratung Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Ausbau und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem der Windenergie in Schwung bringen, Menschen beteili- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – gen und Klimaschutz stärken“. Der Ausschuss empfiehlt Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/18008 Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die , den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Fraktionen von SPD, CDU/CSU, dagegengestimmt die Drucksache 19/15123 abzulehnen. Wer stimmt für diese Fraktionen der Linken, der Bündnisgrünen, der FDP Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- und der AfD. Es gab eine Enthaltung der Kollegin von tungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenom- der CDU/CSU. men. Für die Beschlussempfehlung haben gestimmt die Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Dage- Drucksache 19/20148 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- gengestimmt haben die Fraktionen der Linken und der (B) schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Entschlie- Grünen. (D) ßung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Was Zusatzpunkt 17. Abstimmung über den Gesetzentwurf machen die Grünen? der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Der Ausschuss für Wirt- NEN]: Wir haben die Entschließung nicht! schaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe b seiner Was ist das für eine Entschließung? – Christian Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20148, den Ge- Dürr [FDP]: Ich habe die auch nicht! setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/17137 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, – Gut, die Grünen nehmen an dieser Abstimmung nicht die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand- teil. zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Ich sehe keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen von Bünd- ganzen Hauses) nis 90/Die Grünen und der Linken. Dagegengestimmt Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und haben die Fraktionen der SPD, CDU/CSU und der Lin- AfD. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die ken. Dagegengestimmt haben die Fraktionen von AfD weitere Beratung. und FDP. Es gab eine Enthaltung aus der CDU/CSU und Nichtbeteiligung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Zusatzpunkt 36. Interfraktionell wird Überweisung der nen.1) Vorlage auf Drucksache 19/20121 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es (Heiterkeit) gibt keine weiteren Überweisungsvorschläge. Dann ver- fahren wir wie vorgeschlagen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion der Und jetzt gibt es einen Wechsel. Schönen Abend noch! FDP auf Drucksache 19/20173. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der enthält sich? – Keine Enthaltung. Der Entschließungsan- LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE trag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion der FDP, GRÜNEN) alle anderen Fraktionen haben dagegengestimmt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/20174. Wer stimmt für diesen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns ge- Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- meinsam entschieden haben, ob wir hierbleiben oder Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20761

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) rausgehen, dann könnte ich jetzt die Tagesordnungspunk- Bernd Rützel (SPD): (C) te 19 a und 19 b aufrufen: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass ich in einem geeinten, in a) – Zweite und dritte Beratung des von der einem freien Europa leben darf. Wir können im gesamten Bundesregierung eingebrachten Entwurfs EU-Raum leben, reisen und arbeiten. Arbeitgeberinnen eines Gesetzes zur Umsetzung der und Arbeitgeber entsenden jedes Jahr 3 Millionen Men- Richtlinie (EU) 2018/957 des Europä- schen ins EU-Ausland. Damit das alles fair passiert, ischen Parlaments und des Rates vom braucht es dreierlei: Erstens. Wir müssen Regeln aufstel- 28. Juni 2018 zur Änderung der Richt- len. Zweitens. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Re- linie 96/71/EG über die Entsendung von geln verstanden werden, auch von der Sprache her ver- Arbeitnehmern im Rahmen der Er- standen werden, und dass den Betroffenen klar ist, was bringung von Dienstleistungen ihnen zusteht. Drittens. Wir müssen kontrollieren, dass Drucksache 19/19371 diese Regeln eingehalten werden. Das alles, liebe Kolle- ginnen und Kollegen, machen wir heute mit der Ände- Beschlussempfehlung und Bericht des rung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes – entsprechend Ausschusses für Arbeit und Soziales der vor zwei Jahren im EU-Parlament beschlossenen (11. Ausschuss) Richtlinie, die wir heute umsetzen. Drucksache 19/20145 Nach 20 Jahren musste das Gleichgewicht neu austa- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- riert werden, das Gleichgewicht zwischen Dienstleis- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung tungsfreiheit auf der einen Seite und den Rechten der entsandten Beschäftigten auf der anderen. Denn entsand- Drucksache 19/20146 te Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen vor Be- trug und Ausbeutung geschützt werden, und ihre Arbeit- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des gebenden sollen in der EU auch gleichbehandelt werden. Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- Deshalb ist es gut, dass nicht nur, wie bisher, die Mindest- ziales (11. Ausschuss) bedingungen garantiert sind. – zu dem Antrag der Abgeordneten Carl- Erstens. Mit der heutigen Umsetzung weiten wir den Julius Cronenberg, Michael Theurer, Schutz und die Rechte für die Beschäftigten deutlich aus. Johannes Vogel (Olpe), weiterer Abgeord- Was früher per Gesetz und in Tarifverträgen geregelt war neter und der Fraktion der FDP und was in unserem Land gilt, gilt für alle, egal wo sie (B) Für einen unbürokratischen Binnen- herkommen, egal welchen Arbeitsvertrag sie haben, (D) markt – Auslandsentsendungen verein- fachen und Protektionismus bekämp- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fen ob es ein deutscher Arbeitsvertrag ist oder ein anderer. Egal ob aus Bottrop, aus Bukarest oder aus Burgsinn: – zu dem Antrag der Abgeordneten Pascal Alle haben das Gleiche verdient. Meiser, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fraktion DIE LINKE der CDU/CSU) Ausbeutung und Lohndumping bei Zweitens. Das gilt für die verschiedenen Lohnstufen, grenzüberschreitender Arbeitnehmer- das gilt für Zulagen, das gilt für Sachleistungen, die ein entsendung konsequent unterbinden Teil der Entlohnung sind. Reise-, Verpflegungs- und Un- terbringungskosten dürfen nicht mehr vom Lohn abge- Drucksachen 19/19259, 19/19231, zogen werden. Aber diese Regeln müssen bekannt sein. 19/20145 Da leisten die Kolleginnen und Kollegen des DGB-Pro- Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen jektes „Faire Mobilität“ seit zehn Jahren eine hervorra- zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die gende Arbeit. Wir sorgen dafür, dass dieses Projekt auf Grünen und ein Entschließungsantrag der Fraktion der Dauer verstetigt ist, damit man planen kann. Wir erhöhen FDP vor. auch die Mittel für dieses Projekt, damit man das aus- weiten kann. Denn wir sehen doch ganz aktuell – auch Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung werden heute wieder –, wie wichtig es ist, aufzuklären. An dieser wir später namentlich abstimmen. Die Stimmabgabe wird Stelle also vielen Dank an das Projekt „Faire Mobilität“! nach Eröffnung der namentlichen Abstimmung für die Dauer von 30 Minuten in der Westlobby möglich sein. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Beschlossen wurde eine Aussprachedauer von 30 Mi- ordneten der CDU/CSU) nuten. Die Beschäftigten müssen wissen, was ihnen zusteht, Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt für die SPD- liebe Kolleginnen und Kollegen. Fraktion der Kollege Bernd Rützel. Drittens ist es sehr wichtig, zu kontrollieren, dass diese (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Regeln eingehalten werden. „Trau, schau, wem“, sagte Kassner [DIE LINKE]) der Sozialdemokrat Gustav Kittler schon 1878. Trau, 20762 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Bernd Rützel (A) schau, wem! Und es darf nicht sein, dass die Wahrschein- Diese wahren Worte klingen nach AfD-Programm – (C) lichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, größer ist als die, sind es im Übrigen auch –, sind aber von einem Sozial- vom Zoll kontrolliert zu werden, liebe Kolleginnen und demokraten, nämlich von Bundeskanzler Gerhard Schrö- Kollegen. der, gesprochen in einer Regierungserklärung im Jahr 2005. Wenige Jahre später sprang ihm der damalige (Beifall bei der SPD) Bundesarbeitsminister Olaf Scholz bei und sagte: Wir Wir setzen den erfolgreichen Weg fort, den wir seit Jah- müssen dafür sorgen, dass die Löhne nicht ins Kellerge- ren hier in der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und beim schoss gedrückt werden. – Nach diesem sachdienlichen Zoll gehen. Hinweis ging die Bundesregierung ans Werk und sorgte dafür, dass die Löhne ins Kellergeschoss gedrückt wur- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE den. GRÜNEN]: Die Stellen müssten aber auch be- setzt werden!) (Beifall bei der AfD) Wir werden mehr Verantwortung und mehr Kompetenzen 2008 verdienten ein deutscher und ein rumänischer übergeben. Denn die beim Zoll können das. Die machen Arbeitnehmer, die nebeneinander an der Werkbank stan- eine tolle Arbeit. Wir sorgen auch seit Jahren für mehr den, in etwa gleich viel. Heute verdient der rumänische Arbeitsplätze beim Zoll. Und allein mit diesem Gesetz Arbeitnehmer knapp 1 000 Euro weniger – nicht im Jahr, schaffen wir 1 000 zusätzliche Arbeitsplätze sondern im Monat. (Christian Dürr [FDP]: Sie schaffen Stellen, Im selben Zeitraum stieg der Anteil der EU-Ausländer aber Sie schaffen keine Arbeitsplätze!) im Niedriglohnsektor in Brandenburg von 37 auf 68 Pro- bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, damit es fair zu- zent, in Mecklenburg-Vorpommern auf 70 Prozent, in geht auf unseren Baustellen. Thüringen auf 72 Prozent. Diese Länder wurden in den letzten zehn Jahren durchweg von einer Partei regiert (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten oder mitregiert, die sich aus unerfindlichen Gründen im- der CDU/CSU) mer noch „sozialdemokratisch“ nennt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bei diesem (Beifall bei der AfD) Gesetzentwurf auch noch die Finanzierung der Werkstatt- räte für die Werkstätten der behinderten Menschen auf Unter den Augen der SPD wird die Arbeitnehmerentsen- den Weg gebracht, haben das finanziell abgesichert. Denn dung seit Jahren als Mittel eingesetzt, um Lohndumping es lohnt sich. zu betreiben. Und die CDU hängt da genauso mit drin. (B) Denn wer klebt seit 14 Jahren und 210 Tagen auf diesem (D) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Stuhl und ruiniert unser Land? GRÜNEN]: Was ist denn mit den regionalen Tarifverträgen?) (Beifall bei der AfD – Beate Müller-Gemmeke Unser Europa ist eine Erfolgsgeschichte. Wir haben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nee!) viele Freiheiten. Wir müssen das ausleben und ausnutzen. Verlierer Ihrer Politik sind EU-Ausländer, die sich oft- Aber es muss fair zugehen, und deshalb ist heute ein guter mals selbst in menschenunwürdige Arbeitsbedingungen Tag für Europa. begeben. Verlierer sind Unternehmen, die sich an die Vielen Dank. Regeln halten und dadurch kaputtkonkurriert werden. Und Verlierer sind die deutschen Beschäftigten, die nur (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten noch Mindestlöhne erhalten oder ganz aus der Beschäfti- der CDU/CSU) gung gedrängt werden. Kaum irgendwo werden die Auswirkungen der europä- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ischen Lohnkonkurrenz sichtbarer als in der Fleischin- Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege René dustrie. Dort ist die Zahl der deutschen Beschäftigten in Springer. den letzten zehn Jahren um 30 000 gesunken, während (Beifall bei der AfD – Dr. Daniela De Ridder die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte um über [SPD]: AfD schon wieder!) 35 000 gestiegen ist. Das sind offizielle Zahlen aus Ihrem Ministerium, Herr Heil. Und den wahren Grund für diese René Springer (AfD): katastrophale Entwicklung kennen Sie auch, Herr Minis- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ter: die Freizügigkeit der Europäischen Union und die ren! „Wir können nicht zulassen, dass es über die Dienst- Zuwanderung aus den osteuropäischen Niedriglohnlän- leistungsfreiheit … zu Sozialdumping in Deutschland dern. kommt, dass Sicherheitsstandards, die wir aus guten (Beifall bei der AfD) Gründen für unsere … Arbeitnehmer aufgebaut haben, missachtet werden“ und dass Unternehmen „nicht mehr Das sind – und das zeigen inzwischen viele Untersuchun- mitkönnen, weil sie kaputtkonkurriert werden. Das kann gen – auch die Hauptgründe für den Erfolg der Brexit- nicht Sinn der Dienstleistungsfreiheit in Europa sein, und Kampagne gewesen. das wird es mit uns … nicht geben.“ (Ulli Nissen [SPD]: Ich habe mich gewundert, (Beifall bei der AfD) dass es so lange gedauert hat!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20763

René Springer (A) Wenn die Bundesregierung solche Szenarien in Deutsch- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Das erreichen (C) land abwenden möchte, müssen Lohn- und Sozialdum- Sie mit dem Gesetzentwurf gerade nicht!) ping endlich effektiv unterbunden werden. Dadurch erreichen wir letztendlich auch, dass die Akzep- (Beifall bei der AfD) tanz Europas gestärkt wird. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet das bei Weitem Mit der Änderung des Entsendegesetzes, die wir heute nicht. Er zeigt vielmehr, dass die SPD die Kompetenz, beraten und verabschieden werden, werden die Tarifver- Glaubwürdigkeit und vor allem den politischen Willen träge gestärkt – jene nach dem Entsendegesetz, aber auch verloren hat, unsere Arbeitnehmer zu schützen. Und die Tarifverträge, die bundesweit allgemeinverbindlich wer Arbeitnehmer nicht schützt, hat uns zum Gegner. sind. Wir verhindern, dass Entgelte – wie bisher möglich – durch Kosten der Unterkunft, für Werkzeug oder Fahrten (Lachen des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE nachträglich gedrückt werden können, und arbeiten damit LINKE] – Bernd Rützel [SPD]: Da muss er auf ein wesentliches Ziel hin, das die Europäische Union selber lachen! – Matthias W. Birkwald [DIE in ihrem Grundlagenvertrag formuliert hat, nämlich „die LINKE]: Wenn es nicht so traurig wäre, könnte stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedin- man lachen!) gungen“ für alle Menschen in der Europäischen Union. Danke sehr. Wir wissen: Dazu bedarf es Regeln. Wir kennen auch (Beifall bei der AfD) die Problematik mancher Unterkünfte. Aus meinem Hei- matkreis wurde mir ein Brief geschrieben, aus dem her- vorging, dass Leiharbeiter aus Rumänien in gemieteten Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Unterkünften untergebracht wurden, 22 Personen in einer Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Unterkunft. Für die Schlafstätten mussten sie 340 Euro Uwe Schummer. bezahlen. Die haben dann in Nettetal am Niederrhein ge- wohnt und in den Niederlanden gearbeitet. – Das darf es (Beifall bei der CDU/CSU) nicht mehr geben. Uwe Schummer (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Geschlossene Grenzen in Zeiten der Pandemie haben Deshalb ist die Entsenderichtlinie so entscheidend; mit uns gezeigt, wie wichtig das geeinte Europa ist, ein gren- ihr können wir solche Probleme abstellen. zenloses Miteinander von Menschen, der freie Austausch (B) von Dienstleistungen und Waren, von Meinungen, von Wir wollen Kontrollen wie aus einer Hand. Wir wol- (D) Kultur. Stattdessen mussten wir bewachte Zäune, fehlen- len, dass das Gesundheitsamt, die Kommunen, die Län- de Dienstleister im Baubereich, in der Pflege, in der der, auch die Agentur für Arbeit, die Bundespolizei und Landwirtschaft, stockende Lieferketten erleben. der Zoll durch Datenaustausch vernünftig miteinander die Einhaltung der Regeln durchsetzen. Dafür gibt es Die historische Wende der Europäischen Union ist Neueinstellungen. doch, dass auf Jahrhunderte von Kriegen Jahrzehnte folg- ten, in denen sozialer und wirtschaftlicher Austausch Das Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“, das jetzt be- stattgefunden hat, Frieden und Wohlstand geschaffen ständig personell aufgebaut und finanziell gestärkt wird, wurden. berät im Voraus europäische Arbeitnehmer in ihren Spra- chen, damit sie wissen, was notwendig ist, was möglich (Beifall des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] ist, dass sie begleitet werden. Eine gute Beratung und [CDU/CSU]) Begleitung ist die beste Prävention von Ausbeutung und Der Rückfall in Nationalismus, der Rückfall in ein beto- Skandalen. Beide Seiten – sowohl die Unternehmen als niertes Regime, in hohe Grenzen würde allen schaden. auch die Beschäftigten – wissen dann, was notwendig, Das würde auch unser Land ruinieren. Wir müssen ver- was sicher ist. hindern, dass nationalistische Kräfte Europa beschädi- gen, so wie es Herr Springer und seine Fraktion wollen. Das Entsendegesetz hat zwei politische Ziele: gute Ar- Wir wollen, dass Europa stark ist. Sie wollen Europa beits- und Lohnbedingungen europaweit, und zwar durch runterreden. eine stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungs- bedingungen – wie im Vertrag über die Arbeitsweise der (Andreas Bleck [AfD]: Viel Applaus! Herzli- Europäischen Union verankert –, sowie fairen Wettbe- chen Glückwunsch!) werb. Letztendlich machen wir heute einen wichtigen Schritt – sicherlich nicht den letzten, aber einen wichtigen Wichtig ist auch, dass die Europäische Union die so- Schritt – auf dem Weg der stetigen Besserung der Lebens- ziale Frage thematisiert. und Beschäftigungsbedingungen. An diesem Projekt Eu- (Zuruf von der AfD: Darüber haben wir ge- ropa werden wir weiterarbeiten und nicht zulassen, dass sprochen!) es von Ihnen rückabgewickelt wird. Die soziale Frage ist beispielsweise mit dem Arbeitneh- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – mer-Entsendegesetz aufgearbeitet worden. Wir wollen Andreas Bleck [AfD]: Sie machen es doch sel- keinen Dumpingimport von Billigarbeitern. Wir wollen ber kaputt! Man muss Sie nur weitermachen faire Löhne und faire Wettbewerbsvoraussetzungen. lassen!) 20764 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wohlstand und Wachstum auch in Osteuropa. So funk- (C) Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Carl- tioniert Aufwärtskonvergenz ganz konkret, jeden Tag. Julius Cronenberg. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Die Kanzlerin hat heute Morgen völlig zu Recht ge- sagt: Gerade jetzt muss es darum gehen, Konvergenz und Carl-Julius Cronenberg (FDP): Zusammenhalt in Europa zu sichern. – Deshalb, liebe Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesregierung: Nutzen Sie die EU-Ratspräsident- Sachverständige vom Beratungsnetzwerk „Faire Mobili- schaft, und schaffen Sie erstens endlich Klarheit, was tät“ hat es in der Anhörung am Montag eindrücklich ge- eine Entsendung mit Dienstleistungsbezug überhaupt schildert – Bernd Rützel ist darauf eingegangen –: Viel zu ist; Dienstreisen sind es nicht. Zweitens. Sorgen Sie da- viele entsandte Arbeitnehmer in Deutschland treffen auf für, dass hochbezahlte Fachkräfte von Entsendebürokra- unhaltbare Bedingungen bei Arbeitsschutz oder Unter- tie befreit werden, wie das in Österreich vorgelebt wird. bringung. Oft fehlt es an Kenntnissen der Sprache oder Drittens. Bauen Sie mit unseren europäischen Partnern von Arbeitnehmerrechten. Deshalb ist es richtig, dass der endlich eine vollständig digitalisierte Informationsplatt- Staat hier in besonderer Weise hinschaut. Dafür muss form bei der Europäischen Arbeitsagentur auf. aber nicht das Entsenderecht verschärft werden. Es reicht, wenn geltendes Recht konsequent durchgesetzt Ausbeutung durch Sozialdumping tolerieren wir so wird. wenig wie Sie, Herr Heil, aber lenken Sie nicht von Voll- zugsdefiziten, Regelungslücken oder Zuständigkeitswirr- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE warr ab, indem Sie die Ursachen für Missstände in der GRÜNEN]: Das stimmt halt nicht!) Entsendung suchen. In Anlehnung an Ihre Rede in der ersten Lesung sage ich: Wer Ausbeutung bekämpft, hat Das ist in der Fleischindustrie so, bei den Paketboten und die Freien Demokraten auf seiner Seite. Wer neue Büro- auch auf deutschen Baustellen. kratie schafft, hat uns zum Gegner. (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. Versetzen Sie sich in die Lage eines bulgarischen Bauarbeiters, der für einen Job nach Deutschland kommt. (Beifall bei der FDP) Er kommt doch, weil er – erstens – hier deutlich mehr verdient als zu Hause und weil er – zweitens – dem Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: deutschen Rechtsstaat und den Sozialstandards vertraut, Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege (B) darauf vertraut, dass Recht hier in Deutschland wirklich Pascal Meiser. (D) gilt. (Beifall bei der LINKEN) (Pascal Meiser [DIE LINKE]: Es gelten die Sozialstandards im Herkunftsland!) Pascal Meiser (DIE LINKE): Nur hilft die Kleinteiligkeit des Gesetzes genau da nicht. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die skan- Es geht – erstens – an der Lebenswirklichkeit der Be- dalösen Zustände beim Fleischmagnaten Tönnies – min- schäftigten vorbei, schafft – zweitens – neue Rechtsunsi- destens 650 Beschäftigte sollen sich dort in kürzester Zeit cherheiten und überfordert – drittens – massiv die Kon- mit dem Coronavirus infiziert haben – sollten auch dem trollbehörden. Letzten hier vor Augen geführt haben: Es ist höchste Zeit, die vielen Menschen, die aus anderen Ländern nach (Beifall bei der FDP) Deutschland kommen und unser Land mit am Laufen halten, endlich wirkungsvoll vor Ausbeutung zu schüt Kurzum: Sie machen nationales Entsenderecht kompli- - zierter; besser wird es nicht. Wer hofft, so würde das zen. Unterlaufen bestehender Arbeitsschutzstandards in Zu- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- kunft verhindert, wird bitter enttäuscht werden. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Sie wecken nicht nur unerfüllbare Hoffnungen. Sie ten der SPD) senden auch das falsche Signal an unsere Nachbarn. Ent- Sie alle wissen aber auch: Gerade die Ausbeutung der sendungen sind kein Teufelswerk zur Legalisierung von aus dem Ausland nach Deutschland entsandten Beschäf- Ausbeutung, sondern Ausdruck von Zusammenwachsen tigten ist keinesfalls alleine ein Problem der Schlacht- in Europa. industrie. Arbeitsminister Heil hat dazu vor zwei Wochen an dieser Stelle erklärt, er wolle ein faires, ein sozialeres (Christian Dürr [FDP]: Richtig!) Europa für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestal- Entsendungen sind gelebter Binnenmarkt. Italienische ten. Doch der heute hier zur abschließenden Beratung Monteure richten in Deutschland Maschinen ein. Da geht anstehende Gesetzentwurf zur Umsetzung der europä- es nicht um Lohndumping, sondern um spezialisierte ischen Entsenderichtlinie wird diesem Anspruch ganz Fachkräfte. Polnische Pflegekräfte kommen und küm- sicher nicht gerecht. mern sich um unsere Eltern. Und bulgarische Bauarbeiter bauen hier Wohnungen, die wir dringend benötigen, und (Bernd Rützel [SPD]: Doch! Doch!) verdienen dabei übrigens doppelt so viel wie zu Hause. Das sagen nicht nur wir Linke; das sehen auch die Ge- Entsendelöhne ziehen lokale Löhne hoch und schaffen werkschaften unisono so. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20765

Pascal Meiser (A) (Beifall bei der LINKEN) kung ist kein Wort in der europäischen Richtlinie zu le- (C) Ja, es gibt darin auch kleine Verbesserungen. Dazu sen. Damit rauben Sie sich und den Tarifparteien ohne gehört ganz sicher – das wurde vom Kollegen Rützel hier Not ein wichtiges Instrument gegen Lohndumping, und schon groß gefeiert, und das gönne ich ihm auch –, dass das ist wirklich unverantwortlich. das Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ endlich auf eine (Beifall bei der LINKEN) solide finanzielle Basis gestellt wird. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Herr Kollege, denken Sie an Ihre Zeit? ten der SPD) Fakt ist: Auch die Mehrzahl der Sachverständigen ist Pascal Meiser (DIE LINKE): in der Anhörung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ich komme zum Schluss. Gesetzentwurf der Bundesregierung weit hinter den eu- Wenn Sie tatsächlich effektiv gegen grenzüberschrei- roparechtlichen Möglichkeiten zurückbleibt und schon tende Ausbeutung vorgehen wollen, dann kann das heute gar nicht dafür sorgt, dass künftig tatsächlich gilt: glei- hier bestenfalls ein klitzekleiner Anfang gewesen sein. cher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Sie müssen jetzt schnell kräftig nacharbeiten. Wir Linke Ich will zwei besonders eklatante Punkte benennen. helfen Ihnen dabei gerne auf die Sprünge. Erstens. Warum halten Sie so starrsinnig daran fest, ent- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sandten Beschäftigten die Ansprüche aus regionalen all- gemeinverbindlichen Tarifverträgen vorzuenthalten, ob- (Beifall bei der LINKEN) wohl das deutsche Tarifvertragssystem vorrangig aus regionalen Tarifverträgen besteht? Ich kann mir das nur Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: mit massivem Lobbyismus erklären. Aber wenn dem so Für Bündnis 90/Die Grünen erhält nun das Wort die ist, dann stehen Sie auch dazu und nennen hier Ross und Kollegin Beate Müller-Gemmeke. Reiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) NEN): Denn was ist das Ergebnis Ihrer Hasenfüßigkeit? Ich Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Minister! Kolleginnen und Kollegen! Das Thema heute ist kom- (B) erkläre Ihnen das gerne an einem Beispiel. Bei uns in (D) Berlin und Brandenburg wurde vor Kurzem der regionale plex, aber wichtig. Es geht darum, ob endsandte Beschäf- Lohntarifvertrag für das Elektrohandwerk für allgemein- tigte aus dem EU-Ausland fair behandelt werden. Es geht verbindlich erklärt. Er gilt seitdem für alle hiesigen Un- darum, ob das soziale Europa, über das wir immer reden, ternehmen. Doch für die polnischen Elektroinstallateure auch tatsächlich sozial ausgestaltet wird. Vor diesem Hin- werden diese Tarifverträge nach dem, was Sie hier vor- tergrund ist das Gesetz wahrlich kein großer Wurf. Im schlagen, weiter nicht gelten. Das ist schlecht für die Gegenteil: Die Gestaltungsspielräume wurden in keiner polnischen Elektroinstallateure, die um einen angemesse- Weise genutzt, und genau das kritisieren wir. nen Lohn gebracht werden, und das ist schlecht für die hiesigen Unternehmen, weil sie nach Tarif bezahlen müs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen, die ausländische Konkurrenz aber nicht. Wenn das so Sie hätten die Entsenderichtlinie besser und konse- bleibt, dann tragen Sie von der Koalition die alleinige quenter umsetzen können und auch müssen. Zu zwei Verantwortung dafür. Das wäre wirklich grob fahrlässig. Stellen, die uns besonders wichtig sind, haben wir Ände- rungsanträge vorgelegt, über die wir nachher abstimmen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lassen. DIE GRÜNEN) Erstens. Nur bundesweite Tarifverträge können für Und glauben Sie mir: Gewerkschaften und Arbeitge- entsandte Beschäftigte allgemeinverbindlich erklärt wer- berverbände sind ganz sicher in der Lage, regionale Tarif- den, und damit werden alle regionalen Tarifverträge aus- verträge europarechtskonform auszugestalten. Ihre Hal- geschlossen, obwohl es in Deutschland kaum bundeswei- tung, meine Damen und Herren von der Koalition, ist te, sondern vor allem regionale Tarifverträge gibt. Unser jedoch durch und durch von Misstrauen gegenüber den Sachverständiger Professor Rödl hat in der Anhörung be- Tarifvertragsparteien geprägt. Und deshalb – das sage ich stätigt, dass es für diese Einschränkung keinen guten insbesondere Ihnen, meine Damen und Herren von der Grund gibt, und bezeichnet das sogar als Verstoß gegen Union –: Stellen Sie sich bloß nicht immer hierhin und die Entsenderichtlinie. reden von Tarifautonomie. Ich sage Ihnen: Bei diesem Thema wäre ich an Ihrer Stelle künftig so klein mit Hut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Regionale Tarifverträge müssen wie bundesweite Tarif- verträge behandelt werden. Genau das beantragen wir Zweitens. Sie halten daran fest, dass per Rechtsver- nachher mit unserem Änderungsantrag. ordnung lediglich diejenigen Tarifverträge auf entsandte Beschäftigte erstreckt werden können, die nicht mehr als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN drei Lohnstufen umfassen. Von einer solchen Beschrän- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 20766 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Beate Müller-Gemmeke (A) Zweitens. Die Entsenderichtlinie spricht ganz eindeu- Qualifizierung und Berufserfahrung differenziert wer- (C) tig von gleicher Entlohnung. Im Gesetzentwurf aber gibt den. es wieder Mindestentgeltsätze und darüber hinausgehen- de Entgeltbestandteile. Dann werden die Tarifverträge für (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE entsandte Beschäftigte auch noch auf drei Stufen be- GRÜNEN]: Drei Stufen! Sie müssen mal zei- grenzt – das betrifft unseren zweiten Änderungsantrag –; gen, wie das gehen soll!) denn diese drei Stufen schränken die Tarifpartner ohne Das Gesetz verhindert, dass Aufwandsentschädigungen Not ein. Damit gefährden Sie beispielsweise auch einen für Reise, Unterkunft oder Verpflegung auf den Lohn guten Tarifvertrag in der Pflege, der im letzten Herbst mit angerechnet werden, und es gelten bessere Bestimmun- dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz überhaupt erst er- gen für die Unterkünfte. – All das ist der Mühe wert. möglicht wurde. Das ist einfach nur absurd und nicht nachvollziehbar. Die Pandemie hat uns manche Missstände noch einmal besonders deutlich vor Augen geführt. In der Fleischin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dustrie – das ist schon genannt worden –, aber eben nicht Natürlich gibt es auch Verbesserungen. Die Kosten für nur dort gibt es Zustände, die einem sozialen und demo- Unterkunft, Anreise oder Verpflegung können jetzt nicht kratischen Europa zutiefst unwürdig sind. mehr mit dem Lohn verrechnet werden, die Standards für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unterkünfte können besser geregelt werden, und – ganz der CDU/CSU) wichtig, es wurde schon angesprochen – die Beratung durch das DGB-Projekt „Faire Mobilität“ wird endlich Das gilt auch für die Situation von Lkw-Fahrern und dauerhaft finanziert. Das fordern wir schon lange. Das Lkw-Fahrerinnen, aber auch für die Situation von Pflege- alles sind gute und notwendige Verbesserungen. Deshalb kräften aus Osteuropa und vielen anderen, die hier hart werden wir auch, bei aller Kritik, dem Gesetzentwurf am arbeiten und oftmals nicht einmal den Mindestlohn ge- Ende zustimmen. zahlt bekommen. Und doch bleibt der Gesetzentwurf weit hinter der Ent- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE senderichtlinie zurück. Damit wurde – ich muss es noch GRÜNEN]: Deswegen hätte man etwas mehr einmal deutlich sagen – eine Chance verpasst. Wir wollen Mut haben können!) ein soziales Europa. Wir wollen gleichen Lohn für glei- che Arbeit am gleichen Ort, und dafür werden wir weiter Das ist inakzeptabel. streiten und kämpfen. Es geht nicht nur darum, Regeln aufzustellen, sondern (B) Vielen Dank. auch darum, sie durchzusetzen. Was brauchen wir dafür? (D) Erstens. Man muss um seine Rechte wissen. Deswegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben wir aus dem Programm „Faire Mobilität“ eine Institution „Faire Mobilität“ gemacht und die Mittel da- für erhöht, und das ist auch gut so. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Die Kollegin Dagmar Schmidt hat nunmehr das Wort (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten für die Fraktion der SPD. der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD) Und man muss zweitens mehr und besser kontrollieren. Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Deswegen gibt es 1 000 zusätzliche Stellen beim Zoll, Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und und auch das ist gut so. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist in (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Wilfried diesen Zeiten noch wertvoller, als es für uns sowieso Oellers [CDU/CSU] und Matthias W. Birkwald schon war. Grenzkontrollen, früher selbstverständlich, [DIE LINKE]) kommen uns heute wie Fremdkörper vor. Freizügigkeit ist eine zentrale Errungenschaft der Europäischen Union Aber all das bleibt natürlich nicht die einzige sozial- für Familien, für Freunde, für den Tourismus, für Waren staatliche Antwort, die wir auf den europäischen Binnen- und Dienstleistungen, aber eben auch für Arbeitnehme- markt geben. Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche rinnen und Arbeitnehmer. Und genau für Arbeitnehme- Arbeit am gleichen Ort“ noch besser umzusetzen – die rinnen und Arbeitnehmer, die nach Deutschland entsandt Frage der regionalen Tarifverträge ist angesprochen wor- werden, schaffen wir mit diesem Gesetz zahlreiche Ver- den – ist aller Mühen wert: weil es die Arbeitnehmerin- besserungen. nen und Arbeitnehmer, die hier arbeiten, verdient haben, weil es die Unternehmen, die faire Löhne und gute Ar- Wenn die aufgelisteten gesetzlichen Arbeitsbedingun- beitsbedingungen sicherstellen, schützt, weil es Arbeit- gen in einem bundesweiten Tarifvertrag geregelt sind, nehmerinnen und Arbeitnehmer, die hier in Deutschland dann gelten sie jetzt für alle Branchen und nicht mehr ihre Arbeit machen, vor Dumpinglöhnen schützt und weil nur noch für das Baugewerbe. Statt nur Mindestentgelten wir keinen europäischen Wettbewerb um niedrige Löhne, können entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sondern einen Wettbewerb um die beste Leistung wollen. jetzt auch andere Elemente, die tarifvertraglich vereinbart sind, wie zum Beispiel Schmutz- oder Gefahrenzulagen, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wilfried erhalten, und die Vergütung kann stärker nach Tätigkeit, Oellers [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20767

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) Nur ein soziales und gerechtes Europa ist auch ein Ich glaube, wir legen hier einen ausgewogenen Gesetz- (C) starkes Europa, und das brauchen wir mehr denn je. entwurf vor. Es ist für die Zukunft wichtig, dass wir Transparenz schaffen, damit die Arbeitnehmer, die nach In diesem Sinne: Glück auf! Deutschland kommen, wissen, was sie verdienen können, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wilfried damit sie Tarifverträge kennen und die Arbeitsbedingun- Oellers [CDU/CSU]) gen kennenlernen. Es ist auch positiv, dass das Projekt „Faire Mobilität“ Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit mit mehr Geld Als Nächstes hat das Wort der Kollege Peter Aumer und mehr Personal ausgestattet werden. So können die von der CDU/CSU-Fraktion. rechtlichen Rahmenbedingungen ihre positive Wirkung entfalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir bitten um Ihre Zustimmung. Peter Aumer (CDU/CSU): Herzlichen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Umsetzung der revidierten Arbeitneh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- merentsenderichtlinie stärken wir den europäischen Bin- ordneten der SPD) nenmarkt, sichern wir freie Mobilität von Unternehmern und Arbeitnehmern und schützen wir vor allem die Ar- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: beitnehmer vor Lohndumping und die Unternehmer vor Vielen Dank, Kollege Aumer. – Der letzte Redner zu unfairem Wettbewerb. diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Wilfried Warum musste die Richtlinie revidiert werden? Die Oellers, CDU/CSU-Fraktion. Zahlen sind eindeutig: 2017 waren rund 2,3 Millionen (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa ent- sandt; der Anstieg zwischen 2010 und 2017 betrug Wilfried Oellers (CDU/CSU): 40 Prozent, und der Anstieg geht rasant weiter. Deswegen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und brauchte es diese Revidierung der Entsenderichtlinie und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die die Umsetzung in deutsches Recht. Europäische Union zeichnet sich durch ihre Dienstleis- Man hat bei der Rede des Kollegen der AfD gemerkt, tungsfreiheit aus, und die Arbeitnehmerentsendung ist ein Beispiel für diese Dienstleistungsfreiheit. Sie hat ins- (B) dass Sie mit der Rasanz des europäischen Zusammen- (D) wachsens nicht mitkommen. besondere in den letzten Jahren zahlenmäßig enorm zu- genommen. Etwa ein Viertel aller Entsendungen europa- (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Zuruf des weit hat mit Deutschland zu tun, entweder weil Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) Arbeitnehmer nach Deutschland kommen oder von Uns ist wichtig, dass wir die Menschen mitnehmen, dass Deutschland aus ins Ausland entsandt werden. Deswegen wir die sozialen Aspekte berücksichtigen, aber auch, dass ist dieses Thema gerade für uns hier in Deutschland ein wir die wirtschaftlichen Faktoren im Auge haben. sehr wichtiges. Die europäische Ebene ist im Rahmen der Richtlinie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kol- gleichen Ort“ gefolgt. Interessant ist – darauf möchte leginnen und Kollegen, das zeigt, dass die beiden ich hinweisen –, dass es eine Subsidiaritätsrüge der ost- Grundprinzipien der Europäischen Union, die Arbeitneh- europäischen Staaten gegen diese Richtlinie gab. Erfreu- merfreizügigkeit auf der einen Seite und die Dienstleis- lich ist, dass man sich nun trotzdem auf diese Richtlinie tungsfreiheit auf der anderen Seite, erfolgreiche Prinzi- verständigen konnte; denn sie verpflichtet alle National- pien sind, dass sie wirken und den Menschen in unserem staaten, sie entsprechend umzusetzen, sodass die Mitar- geeinten Europa eine Zukunft geben. Wir müssen beiter, die in das jeweilige Land entsandt werden, ent- schauen, dass wir faire und sozial ausgewogene recht- sprechend den örtlichen Lohngegebenheiten bezahlt liche Rahmenbedingungen schaffen. Wir müssen zum werden. Das betrifft insbesondere auch Regelungen zu einen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Überstunden, Mindesturlaubsansprüchen, Ruhezeiten, nehmer im Blick haben und zum anderen faire und glei- zur Sicherheit am Arbeitsplatz, zum Gesundheitsschutz che Arbeitsbedingungen für die Unternehmer schaffen, und – ein aktuelles Thema in der Fleischbranche – die und das nach dem Grundsatz: gleicher Lohn für gleiche Rechtsvorschriften für Unterkünfte. Hinzu kommen Zu- Arbeit am gleichen Ort. lagen, aber auch Reise-, Unterbringungs- und Verpfle- gungskosten. Bemerkenswert an dieser Regelung ist, dass Das Gesetz, das wir heute beschließen, regelt – wir es verboten ist, die Entsendezulagen mit dem Lohn zu haben es vorhin schon gehört – unter anderem den Um- verrechnen. Somit kann es hier nicht zu einem miss- gang mit Zulagen, es regelt die Unterkunft, und es regelt, bräuchlichen Verrechnen dieser Zahlungen kommen. dass Arbeitnehmer, die länger als 12 bzw. 18 Monate in Deutschland arbeiten – das ist immerhin jeder zehnte Wenn die Entsendungen länger als 12 Monate dauern – Arbeitnehmer –, gleichgestellt sind mit Arbeitnehmern, mit einer möglichen Verlängerung auf 18 Monate –, gilt die dauerhaft in Deutschland beschäftigt sind. das gesamte nationale Arbeitsrecht; für uns in Deutsch- 20768 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Wilfried Oellers (A) land würde das heißen: bis hin zum Kündigungsschutz. Änderungsantrag auf Drucksache 19/20170. Wer (C) Daher sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die stimmt für diesen Änderungsantrag von Bündnis 90/Die nach Deutschland entsandt werden, hier gut geschützt Grünen? – Das sind die Grünen und die Linken. Wer und haben klare Rechte. stimmt dagegen? – Das sind CDU/CSU, SPD und FDP. Enthaltungen? – Enthaltung der AfD. Der Änderungsan- Allerdings wird es wichtig sein, dass bei der Umset- trag ist damit abgelehnt. zung auch Entgelttransparenz hergestellt wird. Herr Mi- nister, in diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal Änderungsantrag auf Drucksache 19/20171. Wer meine Bitte an das BMAS richten, dass die entsprech- stimmt für diesen Änderungsantrag? – Bündnis 90/Die enden Tarifregister und Tarifverträge veröffentlicht wer- Grünen und Linke wiederum. Wer stimmt dagegen? – den, damit die Unternehmer die Arbeitnehmer entspre- CDU/CSU, SPD und FDP. – Enthaltung der AfD. Der chend vergüten können. Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Änderungsantrag ist abgelehnt. Minister, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass auch die anderen Länder ihre Lohnstrukturen offen- Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der legen, transparent und einfach zugänglich für die deut- Bundesregierung auf Drucksache 19/19371 in der Aus- schen Unternehmer, die ins Ausland entsenden, und zwar schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. mit Übersetzungen ins Deutsche; denn je kleiner das Un- Wer stimmt für den Gesetzentwurf der Bundesregie- ternehmen ist, desto schwieriger ist es für dieses Unter- rung? – CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer nehmen, Tarifverträge aus anderen Ländern übersetzen stimmt dagegen? – AfD, FDP. Enthaltungen? – Fraktion zu lassen. Die Linke. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Die Kontrolle durch die Finanzkontrolle Schwarzar- beit ist angesprochen worden, das Programm „Faire Mo- Wir kommen zur bilität“ auch. Die Mittel werden nicht nur verstetigt, son- dritten Beratung dern sogar verdoppelt, und der Anteil des DGB wird von 15 auf 11 Prozent reduziert. Somit kommt der Bund sei- und zur namentlichen Schlussabstimmung. Zur Annahme ner Verpflichtung auf jeden Fall nach. des Gesetzentwurfs ist gemäß Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit erforderlich, also Gestatten Sie mir, in der letzten halben Minute meiner mindestens 355 Stimmen. Redezeit als Behindertenbeauftragter meiner Fraktion da- rauf hinzuweisen, dass wir nicht nur die Mittel für „Faire Die Urnen befinden sich in der Westlobby. Wir haben Mobilität“ verstetigen, sondern auch die Mittel für Werk- für die Stimmabgabe wieder ein Zeitfenster von 30 Minu- ten nach Eröffnung der Schlussabstimmung zur Verfü- (B) statträte Deutschland e. V., den Dachverband, die Ver- (D) tretung der Werkstattbeschäftigten in Deutschland. Diese gung. Ich bitte Sie, das Zeitfenster auszunutzen, nicht alle Finanzierung wird mit einer konkreten Regelung nun gleichzeitig loszugehen, Abstände einzuhalten. Wenn ich auch für die Zukunft sichergestellt. Darüber hinaus er- jetzt die Abstimmung eröffne, gehen Sie bitte nicht alle halten die Werkstatträte die Möglichkeit – das haben gleichzeitig raus. Wir haben noch einige weitere Abstim- wir auch den Betriebsräten ermöglicht –, in Coronazeiten mungen. Ich bitte Sie, im Saale zu bleiben. Beschlüsse per Videokonferenz zu fassen und mithilfe elektronischer Mittel zu tagen. Ich denke, insgesamt ist Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, das ein Gesetzespaket, dem man zustimmen kann. die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Die Urnen sind besetzt. Dann eröffne ich die namentliche Schlussabstim- Herzlichen Dank. mung über den Gesetzentwurf. Wir werden die Abstim- mung um 20.15 Uhr schließen.1) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: 19/20172. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag Vielen Dank, Kollege Oellers. – Ich schließe die Aus- der FDP? – Das ist die FDP. Gegenprobe! – Alle anderen sprache. Fraktionen. Enthaltung? – Keine. Der Entschließungsan- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- trag ist damit abgelehnt. desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset- Tagesordnungspunkt 19 b. Beschlussempfehlung des zung der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Ände- 19/20145. Unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung rung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienst- Fraktion der FDP auf Drucksache 19/19259 mit dem Titel leistungen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales emp- „Für einen unbürokratischen Binnenmarkt – Auslands- fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf entsendungen vereinfachen und Protektionismus be- Drucksache 19/20145, den Gesetzentwurf der Bundesre- kämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – gierung auf Drucksache 19/19371 in der Ausschussfas- AfD, CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Lin- sung anzunehmen. ke. Wer stimmt dagegen? – Die FDP. Enthaltungen? – Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Keine. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstim- men. 1) Ergebnis Seite 20779 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20769

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be- übernimmt auch noch die Kündigungslegenden des US- (C) schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- amerikanischen Präsidenten. tion Die Linke auf Drucksache 19/19231 mit dem Titel „Ausbeutung und Lohndumping bei grenzüberschreiten- Jetzt droht es noch schlimmer zu werden: Jetzt will der Arbeitnehmerentsendung konsequent unterbinden“. US-Präsident Donald Trump den New-START-Vertrag Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – CDU/CSU nicht weiter verlängern. Zwar hat man aufseiten der und SPD, FDP und AfD. Gegenprobe! – Grüne und Lin- USA jetzt doch noch Gesprächen mit Russland zuge- ke. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung stimmt – am 22. Juni in Wien –, aber immer wieder wird des Ausschusses ist damit angenommen. von der US-Regierung eine Beteiligung Chinas – übri- gens bisheriger Nichtvertragspartner – eingefordert und Ich rufe die Zusatzpunkte 18 und 19 auf: sogar zur Bedingung gemacht für die Verlängerung des New-START-Vertrags. Eine selbstbewusste Bundesre- ZP 18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim gierung müsste doch genau diesen Versuch von Trump, Dağdelen, Heike Hänsel, Michel Brandt, weiterer die Verlängerung des New-START-Vertrags zu torpedie- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE ren und den Schwarzen Peter China und Russland zuzu- Atomare Aufrüstung verhindern – New schieben, massiv kritisieren. START-Vertrag erhalten (Beifall bei der LINKEN) Drucksache 19/20028 Allein: Hier ist nichts von der Bundesregierung zu hören. Überweisungsvorschlag: Und das ist fatal, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es Auswärtiger Ausschuss (f) müsste doch ein großes sicherheitspolitisches Interesse Verteidigungsausschuss an der Verlängerung dieses Vertrages geben. Denn zum ZP 19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja einen begrenzt der New-START-Vertrag die Zahl einsatz- Keul, Margarete Bause, Dr. Franziska Brantner, bereiter strategischer Nuklearwaffen, zum anderen aber weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- schafft er durch sein gut funktionierendes Überprüfungs- NIS 90/DIE GRÜNEN system ein hohes Maß an Transparenz und Sicherheit. Durch die Stillhaltepolitik der Bundesregierung gegen- Nukleare Teilhabe beenden – Atomwaffen aus über den USA droht man, sich hier zu einem Erfüllungs- Deutschland abziehen gehilfen eines Präsidenten zu machen, der sich erklärter- Drucksache 19/20065 maßen für atomare Aufrüstung, die Modernisierung von US-Atomwaffen und auch für atomar führbare Kriege Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) einsetzt. Das halten wir für eine brandgefährliche Politik (B) Verteidigungsausschuss der Bundesregierung. (D) Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- (Beifall bei der LINKEN) schlossen. Statt diesem Wahnsinn entgegenzutreten, verweigert Wenn Sie sich jetzt bitte hinsetzen oder zumindest die die Bundesregierung auch noch die Unterzeichnung des Gespräche einstellen, dann können wir anfangen. Atomwaffenverbotsvertrags – und das, damit Deutsch- Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt die Kollegin land als heimliche Atommacht von US-Gnaden im Rah- Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke. men der nuklearen Teilhabe der NATO sich weiter vor- behalten kann, unter Freigabe des US-Präsidenten selbst (Beifall bei der LINKEN) Atomwaffen einzusetzen. Wir als Linke fragen Sie: Wa- rum wollen Sie, dass die in Deutschland gelagerten Mas- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): senvernichtungswaffen der USA nicht abgezogen wer- Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen den? Warum begreifen Sie als Bundesregierung nicht, und Kollegen! Die Frage der atomaren Abrüstung ist dass das potenzielle Schlachtfeld eines möglichen Atom- insbesondere für die Menschen hier in Deutschland, in kriegs genau hier, in der Mitte Europas, in Deutschland Europa eine Frage von Sein oder Nichtsein. Es ist eine sein wird? Es ist doch eine unverantwortliche Politik von existenzielle Frage. Der letzte von mehreren Verträgen Ihnen, zur Abrüstung und auch zur Begrenzung von Atomwaf- (Beifall bei der LINKEN) fen, der New-START-Vertrag zwischen den USA und Russland, ist akut in Gefahr. Er läuft im Februar 2021 dass Sie nicht darauf hinwirken wollen, dass diese Mas- aus, wenn es nicht gelingt, ihn zu verlängern. Ein un- senvernichtungswaffen abgezogen werden. Wer glaub- kontrolliertes atomares Wettrüsten noch nicht absehbaren würdig für atomare Abrüstung eintreten will, der muss Ausmaßes würde beginnen. Dies gilt es zu verhindern. sich für ein neues deutsch-amerikanisches Verhältnis ein- setzen. Und glauben Sie mir: Für eine Freundschaft un- (Beifall bei der LINKEN) serer beiden Völker braucht es weder US-Atomwaffen in Wenn wir uns aber die Aktivitäten der Bundesregierung Deutschland noch US-Soldaten. genau in dieser Sache anschauen, müssen wir von einem (Beifall bei der LINKEN) Totalversagen sprechen. Die USA unter Präsident Donald Trump steigen aus einem völkerrechtlichen Abkommen In diesem Sinne: Wirken Sie darauf hin, dass die US- nach dem anderen aus. Ein Abrüstungsvertrag wie der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen INF wird einfach so gekündigt, und die Bundesregierung werden! Lassen Sie die US-Soldaten auch gehen; betteln 20770 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Sevim Dağdelen (A) Sie nicht, dass sie noch hierbleiben dürfen. Und zeigen heute mit dieser Debatte im Deutschen Bundestag eben- (C) Sie endlich ein Ende dieses Duckmäusertums gegenüber falls deutlich. den USA! Und zeigen Sie klare Kante gegenüber Trump! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vielen Dank. Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Dank der Linksfraktion!) (Beifall bei der LINKEN) Der Vertrag läuft zwar im Februar 2021 aus, sieht jedoch die Möglichkeit für eine einmalige fünfjährige Verlänge- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: rung vor. Ja, wir brauchen eine Verlängerung, wir brau- Nächster Redner ist der Kollege Nikolas Löbel, CDU/ chen keine Aufkündigung, sondern wir brauchen eine CSU-Fraktion. Verlängerung und eine Ausweitung auf weitere Vertrags- partner. Denn mit dem Ende des INF-Vertrags bleibt New (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) START eben der einzige Vertrag, der die nuklearen Arse- nale der beiden größten Nuklearwaffenstaaten be- Nikolas Löbel (CDU/CSU): schränkt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Jahren sind die wesentlichen Säulen Beide Staaten setzen den Vertrag bisher vollständig unserer internationalen Sicherheitsarchitektur durch poli- um. Die Bundesrepublik Deutschland hat ebenso wie ihre tisches Handeln vor allen Dingen jenseits des Atlantiks europäischen Partner ein vitales Interesse an der Verlän- stark ins Wanken geraten. gerung von New START; denn durch die Begrenzung der Nuklearwaffenarsenale trägt der Vertrag fundamental Die Bundesregierung hat im Jahresabrüstungsbe- zum Erhalt der strategischen Stabilität bei und dient so richt 2019 die aktuelle sicherheitspolitische Situation auch deutschen und europäischen Sicherheitsinteressen. sehr deutlich skizziert – ich darf zitieren –: Die „Zukunft Das umfassende Verifikationsregime von New START, der nuklearen Ordnung, die Wiederbelebung von Rüs- es schafft Transparenz und wirkt gleichzeitig vertrauens- tungskontrolle und Abrüstung, die Eindämmung von Pro- bildend. Genau das ist es, was wir in diesen Zeiten von liferationskrisen und der Umgang mit neuen Technolo- steigenden Sicherheitsbedenken brauchen: Wir brauchen gien und Konfliktfeldern“ gehören zu den zentralen mehr Transparenz und mehr Vertrauen und weniger Ab- sicherheits- und abrüstungspolitischen Herausforderun- schottung. gen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Wahrheit gehört Dennoch: Ganz falsch liegen die USA nicht, zumindest (B) auch: Der INF-Vertrag, er ist Geschichte. Wir müssen mit ihrem erklärten Anliegen, ein mögliches New- (D) leider feststellen, dass mit dem Ende des INF-Vertrags START-Nachfolgeregime auch auf neue russische Waf- ein wesentlicher Stützpfeiler europäischer Sicherheit fensysteme auszudehnen und zudem China zu mehr En- endgültig weggebrochen ist. Auch die Zukunft des gagement in der nuklearen Rüstungskontrolle zu bewe- New-START-Vertrags bleibt ungewiss. New START ist gen. Dieses Ziel ist richtig und berechtigt. Doch die der einzig verbleibende Vertrag der nuklearen Rüstungs- Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Administra- kontrolle. Er beschränkt die strategischen Arsenale der tion wählen den falschen Weg, um ihr Ziel zu erreichen. zwei größten Atommächte, die weltweit über das Gros Zu drohen, den Vertrag aufzukündigen und eines Tages aller nuklearen Waffen verfügen, und er schafft Transpa- den Vertrag tatsächlich zu kündigen, zerstört die gemein- renz durch weitreichende Verifikationsmaßnahmen. Des- same Basis für mehr internationale Rüstungskontrolle halb begrüßen wir, dass die Bundesregierung sich wieder- und Abrüstung. Denn die Verlängerung von New START holt und hochrangig und eindeutig für eine Verlängerung würde den hierfür erforderlichen umfassenden Verhand- des New-START-Vertrags starkgemacht hat. lungen zwischen den USA, Russland, China, aber auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und beispielsweise zwischen Frankreich und Großbritannien des Abg. [SPD]) die notwendige Zeit und das notwendige Vertrauen ge- ben. Deshalb begrüßen wir als CDU/CSU-Bundestags- Denn der Erhalt von New START ist die Grundlage für fraktion, dass die Bundesregierung sich vorbehaltlos für Gespräche zu einer Ausweitung des Vertrags und seine die Verlängerung des Vertrages ausspricht, und wir for- Anpassung an aktuelle Sicherheitsherausforderungen. dern gemeinsam mit der Bundesregierung sowohl Wa- Die Vertragsbestandteile von New START zeigen auch shington als auch Moskau zu konkreten Gesprächen auf, wie klar definiert Rüstungskontrolle und Abrüstung auf, am Vertrag festzuhalten und einen Folgevertrag ab gemeinschaftlich vereinbart werden können. New 2021 zu erarbeiten. START sieht dabei jeweils bis zu 18 Verifikationsbesuche pro Jahr sowie einen regelmäßigen Datenaustausch vor. Weil der Fortbestand des Vertrages von so großer Be- deutung ist, ist dieser Vertrag immer wieder regelmäßiger Nach Aussage beider Vertragspartner wurden gegen- Tagesordnungspunkt der Gespräche zwischen dem Bun- seitige Verifikationsbesuche vereinbarungsgemäß und er- desaußenminister und seinem US-amerikanischen oder folgreich durchgeführt. Das zeigt: Der Vertrag funktio- auch seinem russischen Amtskollegen. Zudem nutzt die niert. Dennoch droht der amerikanische Präsident, den Bundesregierung multilaterale Foren wie die Generalde- Vertrag einseitig zu kündigen. Das, liebe Kolleginnen batte des Ersten Ausschusses der Vereinten Nationen und Kollegen, ist falsch; das hat die deutsche Bundesre- oder Treffen der NATO-Außenminister, um sich für den gierung mehrfach deutlich gemacht, und das machen wir Erhalt und die Verlängerung von New START auszuspre- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20771

Nikolas Löbel (A) chen. Ich bin mir sicher: So wird auch der deutsche Au- (Beifall bei der AfD) (C) ßenminister die Gelegenheit des Außenministertreffens am 22. Juni in Wien nutzen, um die Position Deutsch- Ein deutscher Bundespräsident ignoriert den US-Präsi- lands deutlich zu machen. denten bei seinem USA-Besuch, ein ehemaliger Außen- minister nannte ihn im Wahlkampf Hassprediger, und Deutschland hat ein großes sicherheitspolitisches Inte- Frau Merkel sagt mal kurzfristig G7 ab, weil man ja resse an der Verlängerung des Vertrages. New START ist eventuell ahnt – oder auch hofft –, im Herbst könnte der ein guter Vertrag. Er reduziert und beschränkt die Anzahl Mann nicht mehr Präsident sein. Das ist derzeitige deut- einsatzbereiter strategischer Nuklearwaffen, und er sche – was heißt „Politik“? – Nichtpolitik. Wir haben im schafft durch sein gut funktionierendes Überprüfungssys- Auswärtigen Ausschuss den Staatsminister gefragt. tem ein hohes Maß an Transparenz und Sicherheit. Ein Wenn eine solche Situation, wie sie jetzt entstanden ist, Auslaufen des Vertrages, des letzten noch existierenden in früheren Zeiten entstanden wäre, dann wäre jeder deut- Rüstungsbegrenzungsvertrages im Bereich der Nuklear- sche Außenminister subito nach Washington geflogen; waffen zwischen Russland und den USA, wäre eine ernst- den Kanzler hätte er mitgenommen, oder umgekehrt. hafte Gefährdung des Friedens in der Welt. Eine neue Und man hätte mit den amerikanischen Freunden das Runde atomarer Aufrüstung wäre wahrscheinlich die un- Problem so lange diskutiert, bis es vom Tisch ist. – Heute mittelbare Folge. Deshalb kommt der Bundesregierung reist kein Schwein mehr nach Washington. Erstens sind beim Kampf um den Erhalt und die Erneuerung und die wir nicht willkommen, zweitens zeigen wir rote Linien Verlängerung von New START erneut eine ganz wichtige auf, Rolle zu – eine Rolle als Moderator, als Mahner und als Motivator. Der Erhalt der letzten Säule der bisherigen (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Corona!) internationalen Sicherheitsarchitektur ist im Interesse und drittens gibt es nicht mal auf Anfrage an die Bundes- von uns allen. regierung einen Reisetermin von Herrn Maas oder Frau Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Merkel. Das ist das Unglaubliche in der heutigen deutsch-amerikanischen Situation. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie können ja hinfahren!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege – Ich kann Ihnen eins sagen: Auf die Frage, warum denn Armin-Paulus Hampel. Frau Merkel nicht reist, wurde angeführt, dass die Coro- naeinreisebestimmungen Probleme machen könnten. So (B) (Beifall bei der AfD) absurd wird heute im Auswärtigen Ausschuss diskutiert. (D) Das ist doch lächerlich. Armin-Paulus Hampel (AfD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und (Beifall bei der AfD) Herren! Besucher haben wir keine. Liebe Zuschauer, Zum Thema zurück: wenn Sie noch an den Schirmen sind, zu Hause! Vieles, lieber Herr Löbel – wo sitzt er? –, was Sie gerade gesagt (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, zum The- haben, ist ja richtig. Es stimmt, wir Deutschen haben ein ma! – Weitere Zurufe von der LINKEN) großes Interesse daran, dass diese Verträge weitergeführt werden. Wir haben ein Interesse daran, dass die INF- Auch für uns ist eine weitere Fortführung des Vertrages Regelungen beibehalten werden und wir keine neuen interessant, wichtig und gut. Aber wir müssen uns schon Mittelstreckenraketen in Europa haben. Nur, das Traurige bereitfinden, mit den Amerikanern wieder einen Dialog ist – das können Sie in allen Einzelheiten jetzt darstellen, führen, egal von welcher Fraktion hier –: Es interessiert, meine Damen und Herren, in Washington kein Schwein. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was hat Putin damit zu tun?) (Beifall bei der AfD) und zwar auf realpolitischer Basis, Herr Kollege, nicht Das ist das Traurige an der Sache: Ob in China ein auf Träumerbasis à la Merkel und Maas. Sack Reis umfällt oder im Deutschen Bundestag disku- tiert wird, interessiert in Washington keinen mehr, und (Zurufe von der AfD) das nicht erst seit Donald Trump, sondern ich verweise Sie müssen mit dem Präsidenten leben, den Sie in Wa- darauf, dass es schon eine Forderung der Obama-Regie- shington haben, und sich nicht irgendeinen erträumen, rung war, dass der deutsche Verteidigungsanteil auf 2 Pro- den es dann im Herbst vielleicht doch nicht geben wird. zent hochgeschraubt wird. Auch die Demokraten haben Auch dann geht die Weltpolitik weiter. im Kongress dafür gestimmt, Deutschland wegen Nord Stream 2 mit Sanktionen zu belegen. Warum das alles? (Zurufe von der LINKEN) Weil es einen Dialog zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland seit der Präsident- Wir sind also dafür, dass wir eine Verständigung mit schaft Trump gar nicht mehr gibt. Weil wir anfangen, dem Russland suchen – ich habe es schon mal gesagt –, um amerikanischen Präsidenten rote Linien aufzeigen zu den INF-Vertrag vielleicht auf Basis einer gemeinsamen wollen. europäischen Regelung fortzuführen. 20772 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Armin-Paulus Hampel (A) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Der Kollege hat Dies haben wir, die Weltgemeinschaft, die Russische Fö- (C) doch das Gegenteil von Ihnen erzählt! Was will deration und die USA, mit den START-Abkommen ge- denn die AfD?) macht: mit START I, mit START II und letztendlich dann mit New START, dem Vertrag, der im April 2010 in Prag Beim START-Vertrag bleibt Ihnen in der Tat nichts durch die damaligen Präsidenten Barack Obama und Di- anderes übrig, als nach Washington zu reisen. mitrij Medwedew unterzeichnete wurde. Er hat eine gute (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Message, würde ich sagen, gehabt, indem die Zahl der DIE GRÜNEN]) einsatzbereitgehaltenen nuklearen Sprengköpfe auf 1 550 und die der Trägersysteme auf 800 begrenzt wurden und Nur, ob das heute erhobenen Hauptes noch möglich ist, er einen guten Austausch von Informationen und gegen- wage ich zu bezweifeln. Noch mal: In Washington inte- seitiger Verifikation hinsichtlich der Begrenzung ermög- ressiert das deutsche Lamento und auch Ihr Lamento, lichte. New START hat deshalb auch einen maßgeblichen Frau Kollegin, zurzeit kein Schwein. Das ist die traurige Beitrag zur geopolitischen Stabilität nicht nur zwischen Realität. den USA und Russland geleistet, sondern auch in Europa, in Deutschland und anderswo zu friedlichem Leben ge- Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. führt. (Beifall bei der AfD) New START ist – das wissen wir alle, die sich mit der Materie beschäftigen – nicht ohne Schwächen: Auch Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wenn Russland und die USA nach wie vor die mit Ab- Für die SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der stand größten Atommächte dieses Globus sind, versu- Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner. chen auch andere Staaten – das wissen wir –, ihre nukle- are Option auszubauen. Trotzdem ist klar, dass eine Welt (Beifall bei der SPD) ohne diesen Vertrag, ohne New START, so sage ich, weit weniger sicher wäre. Mittlerweile ist leider Gottes New Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): START neben Open Skies eines der letzten verbliebenen Abkommen zur Rüstungskontrolle, und zwar zur nukle- Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und aren Rüstungskontrolle zwischen den nuklearen Super- Kollegen! Ich will zu den Äußerungen zu Rüstungsaus- mächten USA und Russland. Schon deswegen wäre es gaben in Höhe von 2 Prozent des BIP nichts sagen, weil schade, nein, ein fatales Signal, wenn 2021 New START sie so aberwitzig und absurd sind, wie die 2-Prozent- sang- und klanglos auslaufen würde. Es wäre ein dramati- Diskussionen immer waren. Wer unser BIP anschaut, scher Rückschritt für die weltweite Abrüstung. Dies gilt sieht: Wenn sich die wirtschaftliche Situation nicht ändert (B) umso mehr, weil derzeit kein Ersatz in Sicht ist. (D) und wenn unsere Maßnahmen nicht greifen, werden wir uns auf die 2 Prozent sehr schnell zubewegen, egal, was Diese große Bedeutung von New START hebt auch der wir wollen. Aber dann haben wir am Ende gar nichts in Antrag der Linken hervor. Das ist ein gutes Zeichen. Ich den Händen. habe ja schon Forderungen gesehen, die sich weitaus bizarrer dargestellt haben. Zu Ihrem Antrag, liebe Kolle- (Zurufe von der AfD) ginnen und Kollegen der Linken, und dem klaren Antrag Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, am der Grünen, Nuklearwaffen aus Deutschland am besten 26. März 2010 – das dürfte in Deutschland unstrittig sofort abzuziehen, muss man aber sagen: Man sollte sich sein – hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dass einmal darauf verlassen, dass die Bundesregierung, ins- Deutschland atomwaffenfrei und nuklearfrei sein soll. besondere der Außenminister, hier nicht nur hinsichtlich Das war gut, das war richtig. Das war eine gute Entschei- des Neustarts der Abrüstungsinitiativen an vielen Bau- dung, die der Deutsche Bundestag getroffen hat. stellen mit vollem Einsatz bei der Sache ist und bleiben wird, auch ohne dass der Deutsche Bundestag die An- ( [DIE LINKE]: Hat über- träge einzelner Fraktionen, in denen ein bestimmtes Re- haupt nichts gebracht!) gierungshandeln gewünscht wird, umsetzt. Dieser Antrag zeigt eigentlich eher die Geringschätzung gegenüber der Diese Entscheidung, die der Deutsche Bundestag getrof- Bundesregierung. Sie soll das tun, was eigentlich ihre fen hat, bedarf aber zu ihrer Umsetzung einer klugen, Aufgabe ist, und das tut sie. einer vernünftigen und vor allen Dingen einer machbaren Politik. Dazu müssen wir wissen, dass Abrüstung – und (Beifall des Abg. Dr. [SPD]) nukleare Abrüstung ist am Ende dieser Kette – nur dann möglich ist, wenn es uns wieder gelingt, den Dreiklang Alles in allem weiß ich nicht, was ich von Ihren An- aus Vertrauensbildung, aus Verifikation und letztendlich trägen halten soll. Offensichtlich wissen Sie selbst es dann aus Abrüstung herzustellen. auch nicht; denn am Schluss kommen Sie alle immer zum Ergebnis: Wir müssen New START erhalten. Wie Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die- wir das machen, sagen wir nicht. – Und: Die nuklearen sen Dreiklang herzustellen, gelingt uns leider Gottes Sprengköpfe sollten aus Europa und aus Deutschland so nicht durch „America first“, „Russia first“, „Germany schnell wie möglich abgezogen werden. first“, sondern nur dadurch, dass wir klug und vertrauens- voll vorgehen. Ja, man muss – und das sage ich auch ganz deutlich – über die nukleare Teilhabe reden. Man muss diskutieren. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Man muss den Beschluss des Deutschen Bundestages in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20773

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) eine realitätsnahe Politik umsetzen; denn das ist ein wich- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) tiges Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit für die na- mentliche Abstimmung geht allmählich zu Ende. Wer (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie sind doch noch nicht abgestimmt hat, sollte jetzt aufbrechen. Herr an der Regierung!) Kollege Bijan Djir-Sarai von der FDP, haben Sie schon Dieses wichtige Thema muss debattiert werden, so wie abgestimmt? die Sozialdemokratie dies macht: intern, extern mit den (Bijan Djir-Sarai [FDP]: Ja, habe ich!) Menschen draußen in der Gesellschaft. Aber: Wir müssen uns bei der nuklearen Teilhabe auch im Klaren darüber – Das ist gut. Dann erteile ich Ihnen jetzt das Wort. sein, dass kluge Politik nicht bedeutet: Ich gebe jegliche Verhandlungsmasse auf und mache dadurch die Welt bes- (Beifall bei der FDP – Stefan Müller [Erlan- ser. gen] [CDU/CSU]: Sehr fürsorglich, Herr Präsi- dent!) Ich möchte mal ein Beispiel bringen. Wenn ich Karten spiele und bei dem Kartenspiel ein gutes Blatt habe – ich Bijan Djir-Sarai (FDP): habe mir sagen lassen, da ich aus Bayern komme, dass Exakt! – Herr Präsident, vielen Dank für Ihre Fürsor- Schafkopf und Skat natürlich ganz unterschiedlich ge- ge! – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und spielt werden –, dann werde ich bei diesem guten Blatt Kollegen! Um es direkt auch hier am Anfang der Debatte nicht die Joker, also die guten Karten, die ich habe, aus ganz deutlich zu sagen: Das Ende des New-START-Ver- der Hand geben, um dann zu verhandeln. Ich sage ganz trages wäre nicht nur bedauerlich, sondern außerordent- deutlich mit Blick auf Europa: Wie könnte Deutschland lich gefährlich für Deutschland, für Europa und übrigens auf Nuklearwaffen verzichten und dabei sagen: „Wir ge- für die gesamte internationale Gemeinschaft. ben auf und haben jetzt eine bessere Verhandlungsposi- tion mit der Russischen Föderation, Nach dem Scheitern von INF, JCPoA und Open Skies ist New START faktisch einer der letzten großen Koope- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, aber Sie ver- rationen der internationalen Rüstungskontrolle. Gerade handeln ja nicht!) deshalb, meine Damen und Herren, muss alles darange- setzt werden, damit nicht auch noch dieser Vertrag schei- wenn diese gleichzeitig in Kaliningrad einen Sprengkopf tert. Gerade in unsicheren Zeiten wie diesen muss auf die hat?“ Da muss ich was im Köcher haben, um verhandeln Verbindlichkeit internationaler Verträge besonders ge- zu können. achtet werden. (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) (D) der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung hätte ihre Bemühungen sowohl Wenn ich abrüsten will, muss ich Maßnahmen zur Ver- bilateral als auch innerhalb des NATO-Bündnisses schon handlung und Einrichtungen zum Verhandeln haben, und längst intensivieren müssen; denn nicht erst seit gestern dazu dient die nukleare Teilhabe. wissen wir, wie Präsident Trump mit internationalen Ab- kommen umgeht. Auch wird bei dieser Debatte viel zu oft (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was haben Sie vergessen, worum es eigentlich hier geht: Es geht um eine denn verhandelt, Herr Brunner?) nachhaltige Sicherheitsarchitektur für Deutschland und Ich sage auch ganz klar für die deutsche Sozialdemo- Europa. kratie und für unsere Fraktion in diesem Hohen Haus: Viel früher hätte die Bundesregierung auf die immer Sicherheitspolitik und nukleare Teilhabe in Deutschland wieder im Raum stehenden Vorwürfe der Vertragsverlet- und in Europa bedeutet auch, dass wir mit den Parteien zung Russlands reagieren müssen. Viel früher hätte die diese Maßnahmen verhandeln – Bundesregierung auf die zum Teil berechtigte Kritik der US-Administration eingehen müssen. Es war nicht die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Trump-Administration – das ist ja vorhin schon gesagt Herr Kollege, kommen Sie zum Ende. worden –, die diese Debatte angestoßen hat. Diese De- batte hat schon in der Obama-Administration existiert, meine Damen und Herren. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Auch die Tatsache, dass Staaten wie Iran und Pakistan – danke, Herr Präsident, ich komme zum Ende – und nuklear aufrüsten, stellt die Sinnhaftigkeit einiger Ver- dass wir letztendlich – last, but not least – unser Ziel eines träge seit geraumer Zeit infrage. Die internationalen Re- atomwaffenfreien Europa und atomwaffenfreien gelwerke müssen daher der politischen Realität angepasst Deutschland nicht aus den Augen verlieren. werden. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was haben (Beifall bei der FDP) Sie denn bisher verhandelt?) Unser ehemaliger Außenminister Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. hat sich immer für eine atomwaffenfreie Welt eingesetzt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der CDU/CSU) Das stimmt!) 20774 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Bijan Djir-Sarai (A) Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von und göttlicher Fügung entgangen, und ich befürchte, (C) Massenvernichtungswaffen müssen ein zentrales Anlie- das letztere hatte den größten Anteil daran. gen deutscher Außenpolitik sein. Dennoch dürfen wir auf dem Weg dahin – und das ist der große Unterschied – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht naiv sein. Eine einseitige, von hier ausgehende Ab- Seit 1956 standen wir 46-mal vor der Nuklearkatastro- rüstung wäre nicht nur naiv, sondern gefährlich. Übri- phe: 26-mal war es technisches und 20-mal menschliches gens: Auch das hat Guido Westerwelle immer gesagt. Versagen. Soll also keiner glauben, dass das in Zeiten der Ich sage das, weil hier in den Debatten gelegentlich unser künstlichen Intelligenz besser würde! Im Gegenteil: Die Freund Guido Westerwelle falsch zitiert wird. Reaktionszeiten, die nötig sind, um automatisierte Pro- zesse durch menschliches Eingreifen zu stoppen, werden (Beifall bei der FDP) immer kürzer. Und der menschliche Verstand ist seit dem Man kann nicht – das ist das, was man dieser Bundes- Kalten Krieg leider auch nicht entsprechend gewachsen. regierung und auch einigen, die sich in dieser Debatte äußern, vorwerfen muss – auf der einen Seite Multilate- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt ralismus predigen und auf der anderen Seite zugleich den leider!) Ausstieg aus multilateralen Bündnissen mit demselben Auch nach der langjährigen Phase der Rüstungskon- Zungenschlag fordern. Ein derartiger Schritt würde trolle stehen sich jeweils mehr als 1 500 amerikanische Deutschland in der NATO isolieren. Es wäre schlecht und russische Atomsprengköpfe gegenüber, die unmittel- für Deutschland, schlecht für Europa und übrigens auch bar einsatzbereit, also quasi scharf gestellt sind. Und es schlecht für die NATO. wird weiter investiert. Allein die USA wollen in den (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nächsten zehn Jahren 500 Milliarden Dollar in Atomwaf- der CDU/CSU) fen investieren. Es braucht für New START ein Folgeab- kommen – mit oder ohne China. Alles andere wäre eine Deutschland kommt eine besondere Verantwortung zu. Katastrophe für zukünftige Generationen. Deutschland muss außen- und sicherheitspolitisch end- lich mehr Verantwortung übernehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was heißt denn das?) Ein multilaterales Abkommen gibt es übrigens schon. Nach dem Atomwaffensperrvertrag sind die Atomstaaten Meine Damen und Herren, die Welt von heute ist viel schon lange verpflichtet, endlich abzurüsten. komplizierter und komplexer geworden. Dementspre- (B) chend ist Abrüstung heute viel komplizierter und kom- Die Bundesregierung hat zwar auf die konkreten bila- (D) plexer als vor einigen Jahren. Ich erwarte von der Bun- teralen Verhandlungen zwischen den beiden größten desregierung, dass sie sich mit der Übernahme der EU- Atommächten wenig Einfluss, sie kann aber trotzdem Ratspräsidentschaft mit aller Kraft für eine sinnvolle und zweierlei tun: erstens die nukleare Teilhabe und damit nachhaltige Sicherheitsarchitektur in Europa einsetzt. Atomwaffen auf deutschem Boden aufgeben und zwei- tens den Atomwaffenverbotsvertrag unterstützen, der aus Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Protest gegen die Aufrüstung der Nuklearmächte von der (Beifall bei der FDP) UN-Vollversammlung beschlossen wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und bei der LINKEN) Die nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen Unsere Sicherheit hängt nicht an Atomwaffen; im Gegen- die Kollegin Katja Keul. teil: Ihr Einsatz würde uns in Europa alle gleichermaßen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) treffen. In Sicherheit sind wir erst, wenn Atomwaffen abgerüstet und vernichtet werden. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die gestrigen Beschlüsse der NATO-Ministerkon- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ferenz machen es nicht besser. Laut Generalsekretär Stol- Kollegen! Das Risiko einer nuklearen Katastrophe ist tenberg habe die Allianz sich auf einen Rahmen für die wieder da. Es war nie wirklich weg. Aber wir hatten Abschreckung geeinigt, wie es ihn seit den 60er-Jahren zwischendurch mal eine Phase, in der es eingehegt schien nicht mehr gegeben habe. Wir Grüne halten diesen Weg durch Verträge, Vertrauen und Rüstungskontrolle. Es für falsch. schien, als hätte die Menschheit tatsächlich begriffen, dass Abschreckung durch tausendfachen Overkill bzw. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Drohung mit dem doppelten Selbstmord die Welt und bei der LINKEN – Jürgen Hardt [CDU/ nicht sicherer macht. Davor stand die Erkenntnis, dass CSU]: Der war aber richtig!) die Technologie eben nicht wirklich beherrschbar ist, da sowohl Mensch als auch Technik Fehler machen. General Wir stehen zum Bundestagsbeschluss von 2010. Las- George Lee Butler, früherer Oberbefehlshaber des US- sen Sie uns mit dem Abzug der Atomwaffen aus Büchel Atomraketenarsenals, sagte dazu – Zitat –: ein Zeichen setzen! Gerade in Zeiten eskalierender Kon- flikte brauchen wir ein entschlossenes Eintreten für eine Wir sind im Kalten Krieg dem atomaren Untergang atomwaffenfreie Welt. Hören wir auf General Butler, und nur durch eine Mischung von Sachverstand, Glück verlassen wir uns nicht allein auf die göttliche Fügung! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20775

Katja Keul (A) Vielen Dank. darum geht, rote Linien zu definieren. In einer Welt, in (C) der ich feststellen muss, dass in Kaliningrad Raketen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stationiert werden, in einer Welt, in der ich feststellen und bei der LINKEN) muss, dass sich die russische Strategie ändert, braucht auch die NATO ein klares Potenzial, zu sagen: Hier ist Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: eine rote Linie. Hier handeln wir in der NATO gemein- Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist sam, um Freiheit und Sicherheit zu verteidigen. der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Deswegen war das (Beifall bei der CDU/CSU) eine gute Sitzung gestern!) Wenn wir darüber sprechen, die nukleare Teilhabe auf- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): zugeben, dann wäre doch die konsequente Frage: Was Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- folgt daraus? Folgt daraus beispielsweise eine Neustatio- ren! Mit dem New-START-Vertrag ist die Anzahl der nierung von taktischen Atomwaffen in Polen oder in an- Gefechtsköpfe von 2 200 auf 1 500 reduziert worden, deren Staaten? Das, meine Damen und Herren, würde der und die Anzahl der Trägerraketen hat sich von 1 600 NATO-Russland-Grundakte von 1997 widersprechen auf 800 halbiert. Der New-START-Vertrag ist der letzte und damit eigentlich die Gefahr der Eskalation erst ver- große Abrüstungsvertrag im Rahmen einer globalen Ab- größern und sie nicht kleiner werden lassen. rüstungsstrategie. Deswegen hat jede Initiative unsere Unterstützung verdient, diesen New-START-Vertrag, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der nächstes Jahr auslaufen soll, zu verlängern oder ihn gar durch ein neues Abkommen abzulösen. Wir brauchen Wir müssen aber alles dafür tun, dass die Gefahr der ihn. Wir wollen, dass die weltweite nukleare Abrüstung Eskalation geringer wird. ihre Fortsetzung findet, und wir schauen optimistisch auf die nächste Runde, die nächste Woche in Wien beginnen Auch müssen wir feststellen, dass es im Augenblick wird. keine europäische Option gibt. Wir können Freiheit und Sicherheit im Augenblick nicht ohne das transatlantische Wir teilen auch, wie Sie wissen, die Vision einer nuk- Bündnis sicherstellen. Deswegen stehen wir zur NATO learwaffenfreien Welt. Die Proliferation von Atomwaffen und zum transatlantischen Bündnis, und ein wichtiger und der dadurch mögliche Schaden eines nuklearen Stur- Bestandteil ist dabei auch die nukleare Teilhabe. Deswe- mes, der die Menschheit vernichten kann, ist eine der gen: Lassen Sie uns unsere Verantwortung wahrnehmen, ganz großen Gefahren unserer Zeit. Das zu verhindern (B) muss deswegen im Mittelpunkt der internationalen Si- (Zuruf von den LINKEN: Trump will doch (D) cherheitspolitik stehen. Aber wir werden diese Fragen abziehen!) nicht lösen, wenn wir sie auf die Frage des Abbaus und des Rückgangs der nuklearen Teilhabe in Deutschland für Abrüstung und für eine Reduzierung der Atomwaffen, reduzieren. aber in einer Art und Weise, die gleichzeitig auch unsere Freiheit und Sicherheit garantiert. Wir brauchen die nukleare Teilhabe, weil davon auch unmittelbar die Sicherheitsarchitektur der NATO und da- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. mit auch unsere Glaubwürdigkeit im Bündnis abhängen. Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaubt ihr doch selber nicht!) Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus- sprache. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Sicherheit, die Deutschland erfahren hat, nur deswegen möglich war, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf weil die Vereinigten Staaten im Rahmen ihrer Nuklear- den Drucksachen 19/20028 und 19/20065 an die in der strategie einen Sicherheitsschirm über Europa gespannt Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. haben. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. (Beifall des Abg. [CDU/ CSU]) Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 19 a, nämlich zur namentlichen Schlussabstimmung, die jetzt Deswegen ist es nur recht und billig, dass wir als großer gleich vorbei ist. Ich darf jetzt fragen: Ist noch ein Mit- NATO-Partner auch bereit sind, unseren Beitrag in die- glied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht ab- sem Bündnis zu leisten. gegeben hat? – Es meldet sich niemand. Gut, dann ist das Wenn es um die Gefährlichkeit von Atomwaffen geht, offensichtlich nicht der Fall. dann geht es nicht in erster Linie um die mehrere Dutzend taktischen Atomwaffen, die in Büchel oder woanders Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- liegen mögen; es geht um die strategischen Atomwaffen, 1) um die U-Boot-gestützten und raketengestützten Atom- nen. Ich gebe Ihnen das Ergebnis später bekannt. waffen. Das sind die Arsenale, die wir reduzieren wollen. Die taktischen Atomwaffen brauchen wir, weil es auch 1) Ergebnis Seite 20779 C 20776 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: leben wir, dass es sehr unterschiedliche, verschiedene (C) Systeme gibt, gut ausgeprägte Systeme und solche, die 20 – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- nicht sehr gut funktionieren. tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Übernah- Ich glaube, wir können als Abgeordnete des Deutschen me von Gewährleistungen im Rahmen Bundestages auch mit Stolz sagen: Wir haben hier in der eines Europäischen Instruments zur Bundesrepublik Deutschland ein sehr gut funktionieren- vorübergehenden Unterstützung bei der des System des Kurzarbeitergeldes, ein System, auf das Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken viele Menschen, viele Staaten, sehr neidvoll gucken, lie- in einer Notlage im Anschluss an den be Kolleginnen und Kollegen. COVID-19-Ausbruch (SURE-Gewähr- leistungsgesetz – SURE-GewährlG) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksache 19/19494 Dieses unser Kurzarbeitergeld hat uns geholfen, Hundert- – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- tausende Arbeitsplätze in diesem Land zu erhalten. Es desregierung eingebrachten Entwurfs eines sichert Menschen Perspektive, und es ist ein System, Gesetzes zur Übernahme von Gewährleis- das jetzt gerne viele andere Staaten auch aufbauen wol- tungen im Rahmen eines Europäischen len; und genau dabei wollen wir ihnen helfen. Genau Instruments zur vorübergehenden Unter- dabei will ihnen die Europäische Union helfen, indem stützung bei der Minderung von Arbeits- sie ein 100 Milliarden Euro schweres Programm auflegt losigkeitsrisiken in einer Notlage im und mit zinsgünstigen Darlehen dafür sorgt, dass es soli- Anschluss an den COVID-19-Ausbruch darische Systeme des Kurzarbeitergeldes in Zukunft auch (SURE-Gewährleistungsgesetz – SURE- in anderen europäischen Ländern geben kann. Das be- GewährlG) grüßen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Drucksache 19/19860 ausdrücklich. Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalt- (Beifall bei der SPD) sausschusses (8. Ausschuss) Dieses 100 Milliarden Euro schwere Programm ist ein- Drucksache 19/20147 gebettet in eine Vielzahl anderer Programme; es ist eine Beschlossen ist eine Aussprache von 30 Minuten. kräftige Säule der europäischen Solidarität. Wir haben bereits in der vorletzten Sitzung des Deutschen Bundes- (B) Ich eröffne die Aussprache, und es beginnt für die SPD tages hier ein Programm im Umfang von 240 Milliar- (D) der Kollege Dennis Rohde. den Euro mit auf den Weg gebracht, um über den ESM Kredite zur Verbesserung der Gesundheitssysteme anbie- (Beifall bei der SPD) ten zu können. Wir wissen von dem 200 Milliarden Euro schweren Programm der Europäischen Investitionsbank Dennis Rohde (SPD): für Liquiditätshilfen für kleine und mittlere Unterneh- Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und men. Und wir kennen den insbesondere von Olaf Scholz Kollegen! Wenn man in das Gesetz blickt, das wir heute und Bruno Le Maire ausgearbeiteten Plan, das 500-Mil- verabschieden wollen, dann ist das eigentlich rein tech- liarden-Euro-Programm zum Wiederaufbau Europas. All nisch sehr unspektakulär. Der entscheidende Satz lautet: das muss man zusammendenken, und all das ist zusam- Das Bundesministerium der Finanzen wird ermäch- mengedacht gelebte europäische Solidarität, liebe Kolle- tigt, Gewährleistungen bis zur Höhe von insgesamt ginnen und Kollegen. 6 383 820 000 Euro zur Absicherung der Kredite der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Europäischen Union zu übernehmen ... der CDU/CSU) Spannend wird es dann, wenn man sich damit beschäftigt, worum es bei dieser Kreditabsicherung geht; denn die Solidarität innerhalb des europäischen Binnenmarktes Krise der letzten Wochen und Monate hat uns ja nicht ist auch für uns Abgeordnete des Deutschen Bundestages nur gezeigt, welche Schwächen in den Gesundheitssyste- und ist auch für die europäische Wirtschaft wichtig; men der verschiedenen Staaten dieser Erde vorherrschen. denn – man kann es nicht häufig genug sagen – die Sie hat auch leidvoll und deutlich zum Ausdruck ge- deutsche Wirtschaft wird sich nur dann wieder erholen bracht, welche Schwächen es in den Sozialsystemen in können, wenn sich auch die europäische Wirtschaft er- Europa und weltweit gibt. holt. Wir leben in einem vernetzten europäischen Binnen- markt, und diejenigen, die nur auf den nationalen Markt Wenn man zum Beispiel sieht, was in den Vereinigten gucken, die nur auf Deutschland gucken und die sagen: Staaten von Amerika los ist, wo binnen weniger Wochen „Wir müssen doch eigentlich nur dafür Sorge tragen, dass über 41 Millionen Menschen ihre Arbeit verloren haben, hier Geld ausgegeben wird“, die verkennen, dass wir in ihren Arbeitsplatz verloren haben und sich heute die Fra- einer verflochtenen Wirtschaft leben und arbeiten, und ge stellen müssen, welche Jobperspektive sie haben, dann legen die Axt an den Erfolg unserer Wirtschaft in weiß man, wie wichtig es ist, dass man Arbeitsmarkt- Deutschland. Deshalb ist dieses Paket der Solidarität instrumente hat, die genau dort ansetzen. Wenn wir in auch genau das richtige und auch gerade im deutschen die Europäische Union gucken, dann sehen wir, dann er- Interesse, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20777

Dennis Rohde (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rum, denken Sie, hat Italien diese Hilfe nicht wahrge- (C) der CDU/CSU – Zurufe von der AfD) nommen und soll Ihrer Meinung nach die SURE-Mittel Wir wollen am Ende ein stärkeres und ein solidarische- in Anspruch nehmen? Nun, für das ESM-Darlehen haftet res Europa haben. Und ich bin der festen Überzeugung, Italien selbst, für SURE-Kredite – ich zitiere mit Erlaub- dass wir am Ende dann auch ein geeinteres Europa haben, nis des Präsidenten aus der Verordnung des Rates vom wenn unsere europäischen Partner merken: Wir stehen als 2. April 2020 – gilt: Europa auch in der Krise zusammen. Bleibt eine Rückzahlung durch einen Mitgliedstaat aus, kann die Kommission für die Rückzahlung der (Zuruf von der AfD: Das sind unsere Steuer- im Namen der Union begebenen entsprechenden gelder!) Anleihen erneut Kredite aufnehmen („Roll-over“). Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Mit anderen Worten: Wenn ein Mitgliedstaat seine Kre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dite nicht bedienen kann, dann springt die EU ein. Was der CDU/CSU – Zuruf von der AfD: Sandkas- soll das denn anderes sein als eine Schuldenunion? tenspiele!) Übrigens: Diese Passage ist im aktuellen Gesetzent- wurf der Bundesregierung erst gar nicht enthalten. Man Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: würde meinen, die Bundesregierung macht sich über die Für die Fraktion der AfD hat das Wort die Kollegin Rückzahlung der Darlehen keine Gedanken. Ulrike Schielke-Ziesing. Das Garantiesystem für die Mitgliedstaaten soll zum (Beifall bei der AfD) 31. Dezember 2022 enden. Im Gesetzentwurf ist eine Ermächtigung der EU-Kommission verbaut, die dieses Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): System um jeweils sechs weitere Monate verlängern Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr kann, sofern die EU-Kommission schlussfolgert, dass Präsident! Verehrte Bürger! Heute debattieren wir in der die gravierenden wirtschaftlichen Störungen in den Mit- zweiten und dritten Lesung ein zwar gut klingendes, aber gliedstaaten weiterhin bestehen. SURE ist damit mitnich- wenig sinnvolles europäisches Instrument zur Rettung in ten ein zeitlich begrenztes Instrument. Ein Ende ist nicht Not geratener Mitgliedstaaten. fest definiert. Die deutsche Idee der Kurzarbeit hat sich bei uns be- Wie kann dann auseinandergehalten werden, dass die währt und findet europaweit Anerkennung. Zur erfolg- schlechte wirtschaftliche Situation beispielsweise in Griechenland nun noch von Corona herrührt oder nicht? (B) reichen Bewältigung einer wirtschaftlichen Krise gehört (D) aber mehr, als nur die Arbeitsplätze oder die Arbeitslo- Und wie ist definiert, ab wann es dem entsprechenden sigkeit zu subventionieren. Eine disziplinierte Haushalts- Land dann wieder besser geht und die Hilfen eingestellt führung erlaubt es uns Deutschen, das Programm der werden? Kurzarbeit aufrechtzuerhalten. Diese disziplinierte Haus- (Otto Fricke [FDP]: Das entscheidet der Rat haltsführung würde man sich auch bei anderen europä- mit qualifizierter Mehrheit!) ischen Ländern wünschen. Die Verschuldung mancher EU-Mitgliedstaaten ist aber jenseits von Gut und Böse. Konkrete Vorgaben dazu sind nicht zu finden. Nur um ein paar Zahlen zu nennen: Griechenland Damit ist dann doch durch die Hintertür das eingeführt, 170 Prozent, Italien 134 Prozent, Portugal 117 Prozent, was die SPD schon so lange wollte – eine Arbeitslosen- Spanien 98 Prozent und Deutschland weniger als 60 Pro- rückversicherung auf europäischer Ebene. zent des jeweiligen BIPs. Das sind alles Zahlen aus Vor- Coronazeiten, genauer: aus dem vierten Quartal 2019. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Betrachten wir aber einmal Europas Systeme zum GRÜNEN]: Leider nicht!) Kurzarbeitergeld. Hier gibt es große Unterschiede im Darüber sollte sich die CDU/CSU-Fraktion im Klaren Hinblick auf die Höhe der Auszahlung, Bezugsdauer sein. und Versteuerung. Ein spanischer Angestellter erhält bei maximal möglicher Bezugsdauer rund 38 600 Euro aus- Vielen Dank. gezahlt, während ein deutscher Bezieher des Kurzarbei- (Beifall bei der AfD – Sven-Christian Kindler tergeldes auf lediglich circa 21 300 Euro kommt. Wie soll [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider eben denn jetzt mit SURE das alles gerecht verteilt werden? In nicht! Nicht verstanden!) beiden Ländern zahlen die Bezieher beim Erhalt des Kurzarbeitergeldes keine Steuern oder Sozialabgaben. In Deutschland werden aber eventuell Steuern bei der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Einkommensteuererklärung im Folgejahr fällig. Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Carsten Körber. Wie wir aus der ersten Beratung im Plenum wissen, mangelt es derzeit ja nicht an finanzieller Unterstützung (Beifall bei der CDU/CSU) innerhalb der EU. Im Zuge der Coronakrise hat Italien beispielsweise die ESM-Mittel in maximaler Höhe von Carsten Körber (CDU/CSU): 39 Milliarden Euro ausgeschlagen. Ähnlich wie bei SU- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und RE wären die ESM-Mittel ein Darlehen oder Kredit. Wa- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 20778 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Carsten Körber (A) drei Monaten sind wir mit der Coronapandemie und ihren wir werden unsere europäischen Partner in dieser Krise (C) Auswirkungen konfrontiert. Das Coronavirus trifft und nach Kräften unterstützen. betrifft einen jeden von uns. Es betrifft uns alle unmittel- bar in unserem privaten Leben, es betrifft uns als Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) meinschaft und als Gesellschaft, und es betrifft auch un- Das, was wir hier tun, liegt im Rahmen unserer Mög- sere Volkswirtschaft. lichkeiten, und unsere Verantwortung gebietet es, dass wir das tun; denn die Europäische Union ist eben nicht Die Unternehmen haben Aufträge verloren, Lieferket- nur eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sie ist doch weit mehr. ten wurden unterbrochen, die Arbeitnehmerinnen und Schließlich teilen wir auch gemeinsame Werte und Idea- Arbeitnehmer mussten, wo dies irgend möglich war, ins le. Homeoffice gehen, und es wurden so viele Menschen wie noch nie in Kurzarbeit geschickt – insgesamt bis zu10 Millionen. Mittlerweile sind wir zum Glück an ei- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nem Punkt, an dem viele zwischenzeitlich notwendige Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Einschränkungen und Verbote wieder gelockert und auf- Kollegen Sichert? gehoben werden konnten. Bislang – und das ist nicht nur mein Eindruck – hatten Carsten Körber (CDU/CSU): wir die Situation in Deutschland recht gut im Griff. Un- Nein. sere Maßnahmen zur Einschränkung des öffentlichen Le- (Zuruf von der AfD: Danke!) bens waren im internationalen Vergleich maßvoll, aber sie waren wirkungsvoll. Die Entwicklung in Deutschland Deshalb unterstützen wir die SURE-Initiative von zeigt – gerade im Vergleich zur Lage in anderen Län- Ursula von der Leyen. Diese befristete Nothilfe wird dazu dern –, dass wir ganz offensichtlich auch vieles richtig beitragen, den durch die Krise in der EU schwer getroffe- gemacht haben. Deswegen ist es jetzt gut und richtig, dass nen Menschen mit Kurzarbeit eine Brücke zu bauen und wir nun solidarisch mit unseren europäischen Partnern ihre Arbeitsplätze zu sichern. sind. Lassen Sie mich eines aber deutlich betonen, weil das Deshalb haben wir uns bereits im April mit unseren eben auch in dieser Debatte schon wieder sachlich falsch Partnern auf das Drei-Säulen-Konzept zur Stabilisierung dargestellt wurde: Es geht hier eben nicht um eine euro- der Euro-Zone verständigt. Dieses Paket umfasst folgen- päische Arbeitslosenversicherung, es geht nicht um die de drei Elemente: Kredite der Europäischen Investitions- Vereinheitlichung des Kurzarbeitergeldes, und es geht schon gar nicht um eine Vergemeinschaftung von (B) bank, EIB, in Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro für (D) kleine und mittelständische Unternehmen; das neue EU- Schulden. Im Gegenteil! Kurzarbeiterprogramm SURE mit bis zu 100 Milliarden Erstens ist das SURE-Programm nicht auf Dauer an- Euro, über das wir jetzt debattieren und dann beschließen gelegt, sondern nur für die aktuelle Krise. Es ist befristet werden; schließlich den Euro-Krisenfonds ESM mit bis bis Ende 2022, und nur in bestimmten eng definierten zu 240 Milliarden Euro für Gesundheitskosten. Das sind Ausnahmefällen ist es jeweils um sechs Monate verlän- insgesamt 540 Milliarden Euro. gerbar. Die europäische Solidarität, so kritisieren manche, sei Zweitens handelt es sich eben nicht um Zuschüsse, doch viel zu teuer. Richtig ist: Ja, das ist Geld. Und richtig sondern um Kredite in Höhe von bis zu 100 Milliarden ist auch: Das ist richtig viel Geld. Aber diese Solidarität Euro, für die die europäischen Nationalstaaten mit ihren mit unseren Partnern in der EU ist notwendig, gerade Haushalten garantieren. auch für uns als Exportnation; denn diese Mittel sind doch keine Almosen, die wir irgendwie verteilen; nein, (Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter das sind sie nicht. Zum einen handelt es sich um Kredite, [AfD]) die zurückgezahlt werden müssen, Unser Anteil liegt dabei bei 6,3 Milliarden Euro. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Von welchen Drittens. Diese Kredite sind konditioniert. Sie dienen Pleitestaaten sollen die denn zurückgezahlt ausschließlich der Finanzierung von Kurzarbeit und dem werden?) Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. und zum anderen kommt auch unsere Wirtschaft doch nur (Dr. Harald Weyel [AfD]: Ganz großes Ehren- dann wieder auf die Beine, wenn all diejenigen, die un- wort! Ja?) sere Güter und Dienstleistungen kaufen sollen, selbst wieder auf die Beine kommen. In Zeiten von Corona haben wir in Deutschland unsere Kurzarbeiterregelung an die krisenbedingten Bedürfnisse (Dr. Harald Weyel [AfD]: Wir verschenken die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Güter!) Land angepasst und insgesamt deutlich verbessert. Dazu Es ist in unserem ureigenen Interesse, dass Italien, wollen wir nun auch auf europäischer Ebene unseren Bei- Frankreich, Spanien und all die anderen, die weitaus stär- trag leisten. ker von den Folgen der Coronapandemie betroffen sind Vielen Dank. als wir, diese dramatischen Folgen so gut, so schnell und so umfassend wie möglich bewältigen. Wir wollen und (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20779

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der AfD) (C) Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Sichert von der AfD-Fraktion. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wollen Sie antworten, Herr Körber? Martin Sichert (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Werter Herr Kollege, Sie haben in Ihrer Rede gesagt: Wir unterstützen unsere europäischen Partner. – Ist unsere Aufgabe als Politiker Carsten Körber (CDU/CSU): im Deutschen Bundestag nicht vielmehr, die Arbeitneh- Sehr geehrter Herr Kollege, zum einen verwechseln mer und Arbeitnehmerinnen sowie die Unternehmen hier Sie Garantien mit Direktzahlungen, und zum anderen: in diesem Land in allererster Linie zu unterstützen? Wenn Sie meiner Rede aufmerksam zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass ich davon sprach, dass wir als Wir haben in den letzten Wochen gesehen, dass immer die Exportnation in Europa natürlich ein vitales Interesse mehr Geld nach Europa geht; Sie haben selber von daran haben, dass unsere Märkte – vor allen Dingen auch 540 Milliarden Euro gesprochen. Das Konjunkturpaket innerhalb der Europäischen Union – wieder auf die Beine wird uns voraussichtlich 135 Milliarden Euro kosten. kommen; denn nur so unterstützen wir auch die Arbeit- Wir sehen, dass uns die Europäische Union schon jetzt nehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land, indem jedes Jahr 18 Milliarden Euro kostet, und der deutsche ihre Arbeitsplätze in unserem Land erhalten bleiben. Beitrag an die Europäische Union soll noch mal um 42 Prozent erhöht werden. Heute sollen noch mal knapp Deshalb halte ich diesen Weg auch nach Ihrer Kurz- 7 Milliarden Euro für Kurzarbeit in allen möglichen an- intervention nach wie vor für absolut richtig. deren europäischen Ländern bereitgestellt werden. (Otto Fricke [FDP]: Nein, das sind Garantien!) Danke. Wo ist denn irgendwann mal Schluss? Wir wissen ja (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht mal mehr, wie am Ende dieses Jahres die Kurzarbeit neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE und die Arbeitslosen in Deutschland bezahlt werden sol- GRÜNEN) len, weil nach den vorausschauenden Prognosen des BMAS irgendwann im August die Kassen voraussicht- lich leer sind, und dann werden wir über Nachtragshaus- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: halte und anderes reden müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte (B) (Otto Fricke [FDP]: Stimmt doch gar nicht!) Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über (D) Das heißt, wir haben voraussichtlich nicht mal genug den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie des Eu- Geld bis Ende dieses Jahres bzw. bis zum nächsten Jahr, ropäischen Parlaments zur Änderung der Richtlinie über um die Kurzarbeit und die Arbeitslosengelder mit den die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Er- jetzigen Haushalten finanzieren zu können. Wir werden bringung von Dienstleistungen bekannt. Es wurden Nachtragshaushalte brauchen und geben auf der anderen 643 Stimmkarten abgegeben. Mit Ja haben gestimmt Seite immer mehr Geld an die Europäische Union. Wo ist 428, mit Nein haben gestimmt 156, Enthaltungen 59. denn irgendwann mal Schluss mit „immer mehr Geld an Die für den Gesetzentwurf erforderliche Mehrheit ist da- die EU“? mit erreicht worden.

Endgültiges Ergebnis Alexander Dobrindt Abgegebene Stimmen: 643; Maik Beermann Ursula Groden-Kranich davon (Börde) Marie-Luise Dött Hermann Gröhe ja: 428 Veronika Bellmann Hansjörg Durz Klaus-Dieter Gröhler nein: 156 Thomas Erndl Michael Grosse-Brömer enthalten: 59 Dr. André Berghegger Hermann Färber Astrid Grotelüschen Ja Axel E. Fischer (Karlsruhe- Oliver Grundmann CDU/CSU Steffen Bilger Land) Monika Grütters Dr. Fritz Güntzler Dr. Michael von Abercron Thorsten Frei Michael Brand () Dr. Hans-Peter Friedrich Norbert Maria Altenkamp Dr. (Hof) Peter Altmaier Jürgen Hardt Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Peter Aumer Ralph Brinkhaus Dr. Dr. Dorothee Bär Dr. Thomas Bareiß 20780 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) (Chemnitz) Dr. Uwe Schummer (C) Mark Helfrich Matern von Marschall Armin Schuster (Weil am Rudolf Henke Hans-Georg von der Rhein) Dr. Marwitz (Altötting) SPD Dr. Dr. Angela Merkel Ingrid Arndt-Brauer Dr. Dr. Alexander Hoffmann Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Heike Baehrens Michelbach Björn Simon Dr. Dr. Mathias Middelberg Tino Sorge Nezahat Baradari Hans-Jürgen Irmer Karsten Möring Frank Steffel Dr. Dr. Axel Müller Sören Bartol Ingmar Jung Dr. Gerd Müller Andreas Steier Bärbel Bas Sepp Müller (Rostock) Lothar Binding (Heidelberg) Carsten Müller Sebastian Steineke (Braunschweig) Dr. Torbjörn Kartes Stefan Müller (Erlangen) Leni Breymaier Christian Frhr. von Stetten Dr. Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Stefan Kaufmann Dr. Roderich Kiesewetter Wilfried Oellers Bernhard Daldrup Michael Kießling Florian Oßner Dr. Daniela De Ridder Dr. Dr. Karamba Diaby Josef Oster Dr. Dr. Hermann-Josef Tebroke Sabine Dittmar Jens Koeppen Hans-Jürgen Thies Sylvia Pantel (B) (D) Carsten Körber Dr. Dietlind Tiemann Dr. Johannes Fechner Alexander Krauß Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Fritz Felgentreu Stephan Pilsinger Dr. Dr. Günter Krings Dr. Christoph Ploß Dr. Volker Ullrich Rüdiger Kruse Michael Kuffer Dr. Roy Kühne (Kleinsaara) Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Alois Rainer Angelika Glöckner Andreas G. Lämmel Eckhardt Rehberg Timon Gremmels Dr. Johann David Wadephul Ulrich Lange Uli Grötsch Dr. Silke Launert Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Rita Hagl-Kehl Albert H. Weiler Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel Sebastian Hartmann (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber (Peine) Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Anita Schäfer (Saalstadt) Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Wolfgang Schäuble Nikolas Löbel Andreas Scheuer Dr. Barbara Hendricks Bernhard Loos Annette Widmann-Mauz Dr. Jan-Marco Luczak Gabriele Hiller-Ohm Bettina Margarethe Christian Schmidt (Fürth) Wiesmann Dr. Dr. Klaus-Peter Willsch Karin Maag Patrick Schnieder Elisabeth Winkelmeier- Nadine Schön Becker Dr. Thomas de Maizière Felix Schreiner Elisabeth Kaiser Dr. Klaus-Peter Schulze Tobias Zech Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20781

(A) Gabriele Katzmarek Sven-Christian Kindler Peter Felser (C) Ulla Schmidt (Aachen) Maria Klein-Schmeink Dietmar Friedhoff Arno Klare Dagmar Schmidt (Wetzlar) Sylvia Kotting-Uhl Dr. Anton Friesen Carsten Schneider (Erfurt) Oliver Krischer Markus Frohnmaier Dr. Bärbel Kofler Stephan Kühn (Dresden) Dr. Götz Frömming Christian Kühn (Tübingen) Dr. Alexander Gauland Christine Lambrecht Ursula Schulte Renate Künast Dr. Christian Lange (Backnang) (Spandau) Markus Kurth Albrecht Glaser Dr. Frank Schwabe Monika Lazar Franziska Gminder Steffi Lemke Wilhelm von Gottberg Dr. Kirsten Lühmann Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Irene Mihalic Armin-Paulus Hampel Isabel Mackensen Claudia Müller Mariana Iris Harder-Kühnel Beate Müller-Gemmeke Dr. Roland Hartwig Martina Stamm-Fibich Dr. Ingrid Nestle Katja Mast Sonja Amalie Steffen Dr. Konstantin von Notz Udo Theodor Hemmelgarn Christoph Matschie Omid Nouripour Waldemar Herdt Martin Hess Dr. Matthias Miersch Cem Özdemir Dr. Heiko Heßenkemper Klaus Mindrup Michael Thews Karsten Hilse Susanne Mittag Markus Töns Filiz Polat Nicole Höchst Falko Mohrs Carsten Träger Tabea Rößner Claudia Moll Dr. Manuela Rottmann Dr. Siemtje Möller Marja-Liisa Völlers Corinna Rüffer Leif-Erik Holm Bettina Müller Dirk Vöpel Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Michelle Müntefering Stefan Schmidt Dr. Marc Jongen Dr. Rolf Mützenich Dirk Wiese Charlotte Schneidewind- Hartnagel (B) Ulli Nissen (D) Gülistan Yüksel Kordula Schulz-Asche Thomas Oppermann Norbert Kleinwächter Dr. Jens Zimmermann Dr. Wolfgang Strengmann- Josephine Ortleb Kuhn Enrico Komning Mahmut Özdemir Margit Stumpp Jörn König (Duisburg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Steffen Kotré Jürgen Trittin Dr. Rainer Kraft Luise Amtsberg Dr. Julia Verlinden Rüdiger Lucassen Florian Post Daniela Wagner Jens Maier (Minden) Margarete Bause Beate Walter-Rosenheimer Dr. Lothar Maier Dr. Dr. Birgit Malsack- Dr. Canan Bayram Winkemann Dr. Franziska Brantner Mechthild Rawert Nein Andreas Mrosek Andreas Rimkus Dr. Anna Christmann AfD Hansjörg Müller Katharina Dröge Sönke Rix Dr. Volker Münz Dennis Rohde Marc Bernhard Sebastian Münzenmaier Dr. Matthias Gastel Andreas Bleck René Röspel Kai Gehring Peter Boehringer Jan Ralf Nolte Dr. Stefan Gelbhaar Stephan Brandner Ulrich Oehme Michael Roth (Heringen) Katrin Göring-Eckardt Jürgen Braun Susann Rüthrich Marcus Bühl Frank Pasemann Bernd Rützel Anja Hajduk Matthias Büttner Tobias Matthias Peterka Britta Haßelmann Tino Chrupalla Paul Viktor Podolay Johann Saathoff Dr. Bettina Hoffmann Joana Cotar Jürgen Pohl Axel Schäfer (Bochum) Dr. Stephan Protschka Dr. Thomas Ehrhorn Marianne Schieder Berengar Elsner von Martin Erwin Renner Gronow Roman Johannes Reusch Dr. Katja Keul Dr. Michael Espendiller Ulrike Schielke-Ziesing 20782 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Dr. Robby Schlund Dr. Stephan Thomae Matthias Höhn (C) Jörg Schneider Manuel Höferlin Andrej Hunko Uwe Schulz Dr. Christoph Hoffmann Dr. Florian Toncar Ulla Jelpke Thomas Seitz Reinhard Houben Dr. Andrew Ullmann Kerstin Kassner Martin Sichert Gerald Ullrich Dr. Detlev Spangenberg Johannes Vogel (Olpe) Dr. Dirk Spaniel Gyde Jensen Jan Korte René Springer Dr. Marcel Klinge DIE LINKE Dr. Alice Weidel Ralph Lenkert Dr. Harald Weyel Pascal Kober Dr. Lukas Köhler Dr. Wolfgang Kubicki Fraktionslos Dr. Gesine Lötzsch Dr. Christian Wirth Konstantin Kuhle Thomas Lutze Mario Mieruch Pascal Meiser FDP Alexander Graf Lambsdorff Dr. Frauke Petry Amira Mohamed Ali Grigorios Aggelidis Ulrich Lechte Norbert Müller (Potsdam) Enthalten Zaklin Nastic (Heilbronn) Christine Aschenberg- DIE LINKE Dr. Alexander S. Neu Dugnus Sören Pellmann Jens Beeck Gökay Akbulut Dr. Dr. Jürgen Martens Tobias Pflüger Simone Barrientos (Rhein-Neckar) Dr. Dietmar Bartsch Alexander Müller (Südpfalz) Lorenz Gösta Beutin Roman Müller-Böhm Eva-Maria Schreiber Sandra Bubendorfer-Licht Matthias W. Birkwald Frank Müller-Rosentritt Dr. Petra Sitte Dr. Marco Buschmann -Förster Dr. Martin Neumann Helin Karlheinz Busen (Lausitz) Michel Brandt Carl-Julius Cronenberg Matthias Nölke (B) Friedrich Straetmanns (D) Britta Katharina Dassler Bernd Reuther Dr. Birke Bull-Bischoff Dr. Bijan Djir-Sarai Christian Sauter Jörg Cezanne Christian Dürr Frank Schäffler Sevim Dağdelen Alexander Ulrich Dr. Wieland Schinnenburg Kathrin Vogler Dr. Matthias Seestern-Pauly Dr. Diether Dehm Dr. Daniel Föst Frank Sitta Anke Domscheit-Berg Andreas Wagner Otto Fricke Judith Skudelny Harald Weinberg Bettina Stark-Watzinger Susanne Ferschl Peter Heidt Benjamin Strasser Brigitte Freihold Katrin Helling-Plahr Katja Suding Dr. Markus Herbrand Linda Teuteberg Dr. André Hahn Fraktionslos Michael Theurer Heike Hänsel Marco Bülow

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Der nächste Redner ist der Kollege Otto Fricke für die auch europäische Mitmenschen – nicht Angst davor ha- FDP-Fraktion. ben müssen, was morgen passiert?

(Beifall bei der FDP) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Nordkoreaner sind auch Mitmenschen!)

Otto Fricke (FDP): – Ja, für Sie sind Nordkoreaner Mitmenschen. Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine Kolleginnen (Martin Sichert [AfD]: Für Sie nicht?) und Kollegen! Zur Überraschung mancher: Die FDP wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Warum wird sie das Aber Sie haben für sie genauso wenig Mitgefühl wie für tun? Weil es hier um die Frage geht, die wir uns alle hier Europäer, und das ist der Unterschied zwischen Ihrer in dieser Krise immer wieder stellen müssen: Wie sorge Partei und den anderen Parteien hier in diesem Bundes- ich dafür, dass Mitmenschen – und Mitmenschen sind tag. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20783

Otto Fricke (A) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Staat aus Unternehmen, die er übernimmt, wie die Luft- (C) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hansa, schnell herausgeht. Das wird die Hauptaufgabe Meine Damen und Herren, wir haben es mit der sozia- der Wirtschaftsstabilisierung sein. Entscheidend ist nicht len Marktwirtschaft erreicht, dass wir über das Kurzar- die Frage: „Wo gehen wir rein?“, sondern die Frage, mit beitergeld dafür sorgen, dass die, die eigentlich in frühe- welchen klebrigen Fingern dieser Staat und der soge- ren Zeiten noch voller Angst in die Zukunft blicken nannte Bundeswirtschaftsminister – ich will ja verhin- mussten, sagen können: Ich habe wenigstens einen Brü- dern, dass ihr gleich applaudiert – da reingehen. Deswe- ckenbau; ich habe eine Möglichkeit, die dafür sorgt, dass gen stimmen wir hier zu. ich nicht heute schon in die Tiefe gucken muss, sondern Herzlichen Dank. dass eben hier die Mittel zur Verfügung gestellt werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Übrigens, das möchte ich auch noch mal in Richtung der CDU/CSU) der Großen Koalition sagen: Kurzarbeitergeld ist keine Leistung des Staates. Das ist eine Leistung der Arbeitge- ber und Arbeitnehmer, die der Staat vermittelt. Das soll- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ten wir immer wieder auch im Auge behalten, wenn wir Die nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke die über Kurzarbeit und Leistungsausweitung reden. Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Deswegen ist es wichtig, dass wir auf europäischer Ebene – da stimme ich meinem Vorredner ausdrücklich Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): zu – dafür sorgen, dass wir das auf Dauer einführen. Nur, Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollege Rohde: Das, was Sie jetzt sagen, dass mit diesen Damen und Herren! Arbeitslosigkeit bedroht die Existenz Mitteln von SURE schon die Kurzarbeiterregelungen so, vieler Menschen in Europa und weltweit. Darum werden wie sie in Deutschland gemacht worden sind, eingeführt wir als Linke alle Maßnahmen unterstützen, die Arbeits- werden, ist nicht der Fall. SURE hilft nur dabei, die ge- losigkeit verhindern. genwärtig schon existierenden Systeme so zu stabilisie- (Beifall bei der LINKEN) ren, dass sie keinen Einbruch erleiden und die Länder Europas um uns herum eben nicht noch weiter in die Für die Bundesrepublik hatten wir ja gleich zu Beginn Krise hineinrutschen. der Krise ein Kurzarbeitergeld von 90 Prozent gefordert; denn die jetzige Regelung ist ungerecht und benachteiligt Was notwendig ist – da sind wir uns einig –, ist, dass all Beschäftigte kleiner und mittlerer Unternehmen. Denn (B) (D) die Länder, die noch nicht dieses System hatten, mit dem große Konzerne können es sich leisten, das Kurzarbeiter- bei uns Arbeitgeber und Arbeitnehmer angespart haben, geld aufzustocken; für kleine Unternehmen ist das finan- dieses System in Zukunft einführen. Da wird die FDP als ziell nicht möglich. Darum halten wir an unserer Forde- Oppositionsfraktion ganz genau gucken, was der inzwi- rung fest: Für die Bundesrepublik 90 Prozent schen ja wohl klar werdende und durch Nachtragshaus- Kurzarbeitergeld. halte sich auch finanzierende Kanzlerkandidat Scholz da an Vereinbarungen im Rahmen der europäischen – ange- (Beifall bei der LINKEN) blichen – Arbeitslosenrückversicherung treffen will. Zur Doch zurück zu SURE. Diese Initiative findet unsere Bedingung gehört ganz klar: Je mehr wir europäisieren, Unterstützung. Doch wir sagen Ihnen auch: Es wäre gut, umso mehr erwarten wir auch, dass Puffer von den Staa- gemeinsame Regelungen nicht nur während der Krise zu ten angelegt werden und man sich eben nicht darauf be- haben. Die EU muss die Krise nutzen, um endlich eine ruft, dass es am Ende ja schon der deutsche Steuerzahler wirkliche europäische Sozialunion durchzusetzen. Wir leisten wird. Das ist ein Verständnis von Europa, wie es wollen gemeinsame, wirksame europäische Sozialstan meine Fraktion hat. - dards. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich will noch kurz etwas Wir wollen also nicht nur eine Wirtschaftsunion, sondern Weiteres sagen, das sehr wichtig ist: Mit diesem Pro- eine echte Sozialunion. Ich sage an die Adresse der Bun- gramm wird auch Selbstständigen geholfen. Da wird desregierung: Sie sollten die Zeit der EU-Ratspräsident- mehr getan als das, was die Bundesregierung im Moment schaft nutzen, um wirklich für eine wirksame Sozialunion im zweiten Nachtrag macht. zu arbeiten. Das wäre ein gutes Ziel. Wir haben dann noch – ich lobe da die Kollegin (Beifall bei der LINKEN) Hagedorn ausdrücklich – weitere Artikel in dem Gesetz, Die Zeit der Marktradikalen muss in Europa endlich die ich ganz kurz erwähnen will. Der Wirtschaftsstabili- vorbei sein; denn diese Zeit hat eine kleine Minderheit sierungsfonds, den wir gemacht haben, hat einige Mängel sehr reich gemacht und viele Menschen in Armut zurück- und Schwächen, die in der kurzen Zeit, in der wir ihn gelassen. Das ist nicht nur ein Problem in Südeuropa. gemacht haben, vorkommen können. Er bekommt jetzt Armut sehen wir auch in Frankreich und hier in Deutsch- neue Regelungen, die aber – das will ich ausdrücklich land. Das darf so nicht bleiben. sagen, und auch deswegen werden Sie von uns unter- stützt – dafür sorgen, dass der Druck wächst, dass der (Beifall bei der LINKEN) 20784 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Gesine Lötzsch (A) Das beste Kurzarbeitergeld nützt auch nichts, wenn die Vergangenheit schon lange eine Arbeitslosenrückversi- (C) Radikalen die Löhne und Renten immer weiter drücken cherung gefordert. Wir haben auch bemerkt, dass der und den Mindestlohn infrage stellen. Darum erneuere ich Bundesfinanzminister Scholz das letztes Jahr gefordert auch hier an dieser Stelle unsere Forderung: 12 Euro hat; aber er konnte sich leider in der Bundesregierung Mindestlohn, und zwar sofort! nicht gegen die Union durchsetzen. Ich finde, das muss sich ändern. Es geht nicht, dass auf europäischer Ebene (Beifall bei der LINKEN – Dr. Marco weiterhin die Union eine dauerhafte Arbeitslosenrück- Buschmann [FDP]: Haben Sie nicht eine neue versicherung blockiert. Die Europäische Kommission Platte?) will Ende des Jahres uns einen Vorschlag machen. Ich Wir beschließen ja mit diesem Gesetz auch Änderun- erwarte, dass die Bundesregierung sich dann gesprächs- gen zum Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Das sind redak- bereit zeigt und das auch mitmacht. tionelle Änderungen. Trotzdem sage ich Ihnen: Das beste (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kurzarbeitergeld nützt nichts, wenn Konzerne ihre Ge- winne in Steueroasen verstecken und dann noch die Un- Denn eine dauerhafte Arbeitslosenrückversicherung verschämtheit besitzen, den Staat anzupumpen, wie die und mittelfristig auch eine mögliche Basisarbeitslosen- Lufthansa. Noch schlimmer: Die Lufthansa will mit un- versicherung unterstützen nicht nur soziale Gerechtigkeit serem Steuergeld den Abbau von 22 000 Stellen finanzie- und sozialen Zusammenhalt, sondern die wirken auch als ren. Das darf nicht zugelassen werden. Ich fordere die wirtschaftlicher, als makroökonomischer Stabilisator in Bundesregierung auf, das zu verhindern. der Euro-Zone. Was wir brauchen, sind doch mehr Stabi- lität, mehr Instrumente für Stabilität in der Euro-Zone, (Beifall bei der LINKEN) damit wir von der nächsten Krise nicht wieder wirtschaft- Meine Damen und Herren, wir sagen: Gewinne dürfen lich überrollt werden. Wir müssen vorbereitet sein. Das nicht weiter privatisiert und die Verluste dürfen nicht der muss eine zentrale Lehre aus dieser Krise sein. Allgemeinheit übergeholfen werden. Es ist endlich Zeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für mehr Gerechtigkeit. Wenn wir die Europäische Union zu einer echten Sozialunion ausgestalten, wenn wir schon Deswegen begrüße ich auch ausdrücklich, dass die in der Krise umsteuern und nicht sagen: „Wenn die Krise Union in dieser Krise sich bewegt hat. Denn in den letzten vorbei ist, dann wird alles so weitergehen“, dann wären Jahren haben wir doch gesehen, dass die Union mit wir auf dem richtigen Weg. Wir als Linke stehen dafür, Wolfgang Schäuble an der Spitze eine harte Austeritäts- dass wir in Europa soziale Gerechtigkeit und nicht nur politik in Europa vertreten hat wirtschaftliche Zusammenarbeit wollen. (Otto Fricke [FDP]: Was?) (B) (D) Vielen Dank. und vor allen Dingen darauf gesetzt hat, dass jeder für (Beifall bei der LINKEN) sich handeln sollte, also national orientierte Lösungen statt echter europäischer Antworten. Aber mit dieser Po- litik wird jetzt auch ein Stück weit gebrochen, nicht nur Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: durch SURE. Gerade der Vorschlag von Emmanuel Mac- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist ron und Angela Merkel für einen Recovery Fund und für für Bündnis 90/Grüne der Kollege Sven-Christian gemeinsame europäische Anleihen bedeutet auch eine Kindler. Änderung, die wir begrüßen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Warum ist das eine Änderung? Man muss schon festhal- NEN): ten: Es ist auch ein Stück weit eine geistige Wende der Union weg von der Politik von Wolfgang Schäuble hin zu Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Es einer Europapolitik im Sinne Helmut Kohls, und das be- ist gut, dass das SURE-Programm kommt. Millionen grüßen wir ausdrücklich. Menschen in Europa, die sonst ihre Arbeitsplätze verlo- ren hätten, können damit Kurzarbeitergelder beziehen, Was aber nicht passieren darf, ist, dass man jetzt ein- und wir können damit auch Gesundheitsschutz am Ar- fach dabei stehen bleibt und sagt: Okay, das war eine beitsplatz finanzieren. Das Ganze ist nicht nur eine Hilfe Ausnahme; nach dieser Krise kehren wir zur alten Politik für Beschäftigte, sondern es stabilisiert auch Unterneh- zurück. – Denn wir wissen doch, dass die wirtschaftli- men und Betriebe. Es hilft insgesamt auch, den europä- chen Krisen nicht weniger werden. Wir müssen dauerhaft ischen Binnenmarkt zu stabilisieren. Das ist gut, und des- Vorsorge betreiben. Wir müssen dauerhaft dafür sorgen, wegen werden wir heute zustimmen. dass Europa krisenfest wird und wir Stabilität haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Otto Fricke [FDP]: Welcher Kontinent ist sowie bei Abgeordneten der SPD) denn stabiler als dieser?) Aber was nicht gut ist: dass wir erst eine große globale Wir wollen diesen Kontinent weiterentwickeln; darum und europäische Krise brauchen, damit die Bundesregie- muss es gehen. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der rung sich als Ganzes bewegt. Das ist akutes Krisenma- Wirtschafts- und Währungsunion. Wir müssen dafür sor- nagement, aber keine langfristige und dauerhafte Krisen- gen, dass wir besser aus dieser Krise herauskommen, als vorsorge. Deswegen haben wir Grüne ja in der wir in sie hineingegangen sind. Wir können also nicht zur Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20785

Sven-Christian Kindler (A) alten Normalität vor Corona zurückkehren. Wir müssen ohne den sich die Staaten noch mehr verschulden. Kolle- (C) dafür sorgen, dass alle Europäerinnen und Europäer eine ginnen und Kollegen, gerade wir als Exportnation müs- bessere Zukunft haben. Dafür müssen wir uns einsetzen. sen doch ein hervorgehobenes Interesse daran haben, dass die Kaufkraft in den europäischen Mitgliedstaaten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stark bleibt.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie sollten vor allen Dingen ein Interesse daran haben, dass Die nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika unsere Kaufkraft steigt!) Glöckner für die SPD-Fraktion. Wichtig ist auch, dass die EU durch sozialen Zusam- (Beifall bei der SPD) menhalt in einer unruhigen Welt unsere gemeinsamen Werte nach außen stark vertreten kann: Demokratie und Angelika Glöckner (SPD): Freiheit, darum geht es doch heute in der Welt. Das ist ein Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Merkmal, das wir nie vergessen dürfen. Kollegen! Das aktuelle Infektionsgeschehen um Corona Ich will abschließend noch mal ganz konkret sagen: gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus, und dennoch Ich befürworte das SURE-Programm; es ist ein erster wissen wir alle, dass die Folgen des Lockdowns noch Schritt. Aber Europa muss sozialer werden. Ich freue nicht überwunden sind. Zum Schutz von Wirtschaft und mich in diesem Zusammenhang auf unsere EU-Ratspräsi- Arbeitsplätzen brauchen wir weitere Maßnahmen auf na- dentschaft, in die ich große Erwartungen setze. tionaler Ebene, aber eben auch auf europäischer Ebene. Vielen Dank. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir heute das SURE- Gewährleistungsgesetz beschließen werden. Ich will an (Beifall bei der SPD) dieser Stelle auch noch mal ganz deutlich meinen Dank an unseren Bundesfinanzminister übermitteln, der sich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: doch sehr stark dafür eingesetzt hat, dass die ganz unter- Vielen Dank. – Frau Kollegin Dr. Petry, Sie können schiedlichen europäischen Positionen geeint werden. sich schon auf den Weg machen. Bis Sie hier sind, ist hier Vielen Dank, Olaf Scholz! auch gereinigt. (Beifall bei der SPD) Die Kollegin Dr. Frauke Petry ist die nächste Rednerin. SURE wird bedürftigen Staaten helfen, Programme (Beifall des Abg. Mario Mieruch [fraktions- (B) einzurichten – es wurde schon vielfach genannt – für los]) (D) Kurzarbeit, zur Unterstützung Selbstständiger, um den Gesundheitsschutz zu stärken. Die daraus entstehenden Dr. Frauke Petry (fraktionslos): Kosten werden durch Kredite mit langfristigen Rückzah- lungsmöglichkeiten abgefedert. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin nicht sicher, was schlimmer ist: eine (Otto Fricke [FDP]: Nicht Möglichkeiten! Bundesregierung, die leichtfertig über 6 Milliarden Euro Verpflichtungen!) Garantien nach dem Gießkannenprinzip an europäische Nachbarländer verschenkt und damit den Weg zu weite- Ich werbe hier ausdrücklich um Zustimmung, sage das ren automatisierten Garantien für die nächsten Jahre be- aber auch mit dem Hinweis: Es ist nur ein erster Schritt; schreitet, oder eine flügellahme Opposition, die dies fast denn weitere Schritte sind nötig. geräuschlos geschehen lässt. Beispielsweise – es wurde genannt – brauchen wir Dass Sie, Herr Fricke von der FDP, auch noch Ihre solidarische Mindestsicherungssysteme, die gestärkt Zustimmung rühmen, zeigt, wie sehr Ihre Partei ihre Fi- werden müssen. nanzkompetenz eingebüßt hat. Dass Sie sogar noch im Haushaltsausschuss zu Protokoll geben können, dass es (Dr. Harald Weyel [AfD]: Wer ist „wir“?) sich um eine temporäre Maßnahme handelt, während Ich will an dieser Stelle klar betonen: Bei der Verkündung selbst hier im Plenarsaal alle offen darüber reden, dass der Europäischen Säule sozialer Rechte haben sich alle es ein langfristiges Instrument ist – Sie können doch die europäischen Mitgliedstaaten dazu bekannt, dass sie ihre Dokumente der Europäischen Union lesen und können nationalen Gesetze an ihr ausrichten werden. Ich will in das nicht überlesen haben –, das zeugt mindestens schon diesem Zusammenhang betonen, dass die Idee von Olaf von eigener Ignoranz. Scholz einer europäischen Arbeitslosenrückversicherung Fakt ist: 6,4 Milliarden Euro Garantien für ein europä- sehr wohl viel Beachtung verdient, auch wenn unser Koa- isches Kurzarbeitergeld sind nur der Anfang, und das litionspartner da noch nicht mitgeht. sagen SPD und alle linken Parteien ganz offen. Der ei- Warum erzähle ich das alles? Diese Maßnahmen sind gentliche Tabubruch ist der damit verbundene Einstieg in wichtige Schritte, um unsere Sozialsysteme, aber eben eine europäische Arbeitslosenversicherung, die sich, aus auch um unsere Wirtschaft zu stärken. Gerade in Zeiten Frankreich immer wieder angeschoben, seit Jahren an- der Krise sind sie ein wichtiger Stabilitätsfaktor, bahnt – wohlgemerkt: nicht eine gemeinsame Rentenver- sicherung, nicht eine gemeinsame Krankenversicherung, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und fragen Sie mal, warum. 20786 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Frauke Petry (A) Sie verstoßen eindeutig gegen das europäische Ver- Mitarbeiter auf die Straße setzen, sondern können Kurz- (C) schuldungsverbot, Sie betreten unter dem durchsichtigen arbeit beantragen und damit die Beschäftigung weitest- Coronavorwand einmal mehr den Weg in die gemeinsa- gehend erhalten. Damit ist man nach der Krise nicht auf me Staatsverschuldung, und es gibt keinerlei Auflagen langwierige Mitarbeiterakquise angewiesen, sondern für diese Finanzhilfen wie noch bei den Rettungsschir- kann sofort wieder mit neuen Aufträgen durchstarten. men, noch nicht mal eine Prüfung der Bedürftigkeit. So ist es ein sehr effizientes Instrument, um wirtschaft- liche und soziale Stabilität im Land zu halten. Es war Wir reden über mindestens 10 Jahre Laufzeit der Ga- auch ein maßgeblicher Garant dafür, dass wir aus der rantien bei Aufnahme des geplanten 100-Milliarden-Kre- letzten Krise wesentlich besser rausgekommen sind, als ditvolumens, und das auch nur dann, wenn die Rückzah- wir in sie reingingen; damit ist es wirklich eine starke lung regulär erfolgt. Aber beim Lesen der EU- Erfolgsgeschichte. Deshalb: großes Lob an die damalige Verordnung können Sie selbst das bereits jetzt mit einem und heutige Bundesregierung. großen Fragezeichen versehen. Die Einbringer des Ge- setzentwurfs – CDU/CSU und SPD – geben ganz offen (Beifall bei der CDU/CSU) zu, dass die – Zitat – „mittelbaren finanziellen Auswir- kungen … nicht bezifferbar“ sind. Deutlicher kann ein Der langjährige CSU-Vorsitzende und bayerische Mi- finanzieller Offenbarungseid nicht sein. nisterpräsident Edmund Stoiber Herr Finanzminister, Frau Kanzlerin, Sie bestehlen (Otto Fricke [FDP]: Das war noch ein Minis- einmal mehr Ihre eigenen Bürger, Sie bestehlen aber auch terpräsident!) langfristig Europa, nämlich seiner wirtschaftlichen und hat kürzlich in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ sozialen Stabilität. Aber vermutlich glauben Sie, dass gesagt – ich zitiere mit Zustimmung des Präsidenten –: nach den vielen hundert Milliarden Euro der vergangenen Jahre in Rettungsschirmen, Target-Salden und auch dem Corona wird uns noch lange … beschäftigen und neuerlich gesteigerten EU-Beitrag von bald über 40 Mil- unser Leben verändern. Nicht nur in Europa, son- liarden Euro diese vermeintlich lächerlichen 6 Milliarden dern weltweit. Wir wissen aber noch nicht, mit wel- Euro nicht mehr ins Gewicht fallen. cher Intensität, gerade was die wirtschaftlichen Fol- gen betrifft. Die Pandemie ist für unsere Meine Damen und Herren, Geld erhält keine Freund- Gesellschaft die größte Herausforderung seit dem schaft, auch europäische Freundschaften lassen sich nicht Zweiten Weltkrieg. kaufen, und widerstandsfähig ist ein Individuum wie ein Staat, wenn mithilfe des eigenen Immunsystems die Kri- Für uns als CDU/CSU ist in diesem Zusammenhang se gemeistert wurde. die Solidarität mit unseren europäischen Nachbarn ein (B) wesentlicher Grundpfeiler unserer Politik. Aber klar ist (D) hierbei für uns auch, dass Solidarität immer Hand in Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Hand geht mit Eigenverantwortung. Solidarität darf auch Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende. nicht gleichgesetzt werden mit Schlendrian. Sie darf eben nicht für die Fehler der Vergangenheit herhalten. Nicht Dr. Frauke Petry (fraktionslos): das Stopfen von bestehenden Haushaltslöchern, sondern Ihre Politik der vorschnellen Geldgeschenke ist genau- das Investieren in die Zukunft muss am Ende unsere so toxisch wie vorschnell verabreichte Medikamente. Wir Maxime sein. können dieses Gesetz zwar nicht aufhalten; aber wir pro- testieren dagegen und reichen einen Änderungsantrag (Beifall bei der CDU/CSU) ein, der in der Lage wäre, die schweren Folgen dieses Die Europäische Kommission wird mit SURE in die Entwurfes abzumildern. Lage versetzt, 100 Milliarden Euro als Kredite an die Danke. Mitgliedstaaten auszugeben. Hierzu sind Bürgschaften der Mitgliedstaaten in Höhe von 25 Milliarden Euro er- (Beifall des Abg. Mario Mieruch [fraktions- forderlich. Davon trägt Deutschland 6,4 Milliarden Euro los]) als Garantie, nicht als Zuschuss, wie heute schon ange- sprochen worden ist – ein durchaus überschaubares Risi- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ko. Das Programm soll rückwirkend vom 1. Februar die- ses Jahres bis Ende 2022 laufen. Der Kollege Florian Oßner ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. Herr Kollege Oßner. Als Koalitionsfraktionen begrüßen wir diesen Gesetz- entwurf, weil wir damit ein wichtiges Zeichen für über (Beifall bei der CDU/CSU) 170 Millionen Arbeitnehmer in Europa setzen. Florian Oßner (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Dabei ist entscheidend – um sofort allen Kritikern vorzu- Kollegen! Wir sprechen heute von einem Instrument für greifen, die schon immer etwas gegen Europa gehabt die Europäische Union, welches sich in Deutschland be- haben –: Das Instrument ist sowohl zeitlich als auch in reits zur Finanzkrise 2009 und nun wieder in der Coro- der finanziellen Höhe begrenzt. Hinzu kommt, dass die napandemie absolut bewährt hat: die Kurzarbeit. Kommission die bereitgestellten Garantien erst abruft, Aus meiner Sicht ein geniales Instrument: Trotz Um- sofern Eigenmittel erschöpft sind. Das finanzielle Risiko satzeinbrüchen müssen Unternehmer nicht sofort ihre ist also klar begrenzt auf die Krisenzeit. Zudem handelt es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20787

Florian Oßner (A) sich um eine Bürgschaft für einen Kredit; diese wird nur Es liegen dazu mehrere Erklärungen nach § 31 unse- (C) im Fall einer Staatsinsolvenz gezogen. Wäre dies der rer Geschäftsordnung vor.2) Fall – so ehrlich, glaube ich, müssen wir alle hier sein –, wäre die Europäische Union, so wie sie heute besteht, Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der nicht mehr denkbar. Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. – CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Linke (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und FDP. Wer stimmt dagegen? – Dagegen stimmt die AfD, und es gibt einige Gegenstimmen aus der CDU/ Der Vorwurf mancher Kritiker, wir würden hier in die CSU-Fraktion. europäische Arbeitslosenversicherung einsteigen, läuft deshalb völlig ins Leere. (Marianne Schieder [SPD]: Nur eine!) Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in Darüber hinaus geht es hierbei auch um Europas Stel- zweiter Beratung angenommen. lung in der Welt. In China springt die Wirtschaft wieder richtig an. Wir müssen verhindern, dass Chinas Firmen Dritte Beratung die großen Gewinner und Europas Firmen die großen und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Verlierer der Krise werden. Die Machtverhältnisse zwi- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Es schen den USA, China und Europa werden gerade neu erheben sich die Abgeordneten der Fraktionen Die Linke, sortiert. Mit SURE und den anderen Hilfspaketen, die wir SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP. Ge- in den letzten Wochen verabschiedet haben, sichern wir genprobe! – Es erheben sich die Abgeordneten der AfD viele Arbeitsplätze in Europa und damit auch den Wohl- sowie die fraktionslosen Abgeordneten Mieruch und stand in Deutschland. Nur mit einem gesunden Wachs- Petry und ein Kollege aus der CDU/CSU-Fraktion. Ent- tum und einer hohen Beschäftigung werden wir unsere haltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit ange- Zukunft im internationalen Wettbewerb meistern. Mit nommen. den hier beschlossenen Maßnahmen geben wir ein wich- tiges Signal: Deutschland ist nur dann stark, wenn auch Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haus- Europa stark ist. Deshalb bitte ich um die Zustimmung. haltsausschusses zu dem von der Bundesregierung einge- brachten gleichlautenden Gesetzentwurf. Der Haushalts- Herzliches „Vergelts Gott!“ fürs Zuhören! ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20147, den Ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Vöpel [SPD]) 19/19860 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese (B) Beschlussempfehlung? – Das sind alle Fraktionen des (D) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Hauses. Gegenprobe! – Enthaltungen? – Keine. Die Be- Vielen Dank, Kollege Oßner. – Ich schließe die Aus- schlussempfehlung ist angenommen. sprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 d sowie Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- die Zusatzpunkte 20 und 21 auf: tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf 23 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen Frank Pasemann, Waldemar Herdt, Udo im Rahmen eines Europäischen Instruments zur vorüber- Theodor Hemmelgarn, weiterer Abgeordne- gehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeits- ter und der Fraktion der AfD losigkeitsrisiken in einer Notlage im Anschluss an den COVID-19-Ausbruch. Das syrische Volk in der Bewältigung der Bürgerkriegsfolgen und der Corona-Krise Die Abgeordneten Dr. Frauke Petry, Uwe Kamann und nicht allein lassen – Wiederaufbau und Mario Mieruch haben dazu soeben einen Änderungsan- Frieden im europäischen Interesse ermög- trag gestellt.1) Ich habe diesen Änderungsantrag kopieren lichen und im Saal verteilen lassen; er müsste Ihnen also allen vorliegen. Wir stimmen über diesen Änderungsantrag Drucksache 19/20070 zuerst ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Überweisungsvorschlag: Ich sehe zwei Stimmen dafür. Wer stimmt dagegen? – Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Das ist das gesamte Haus. Enthaltungen? – Keine. Damit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ist der Änderungsantrag vom gesamten Haus gegen die Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung Stimmen der Antragsteller abgelehnt. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf b) Beratung der Beschlussempfehlung und des in der Ausschussfassung. Der Haushaltsausschuss emp- Berichts des Auswärtigen Ausschusses fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Drucksache 19/20147, den Gesetzentwurf der Fraktionen neten Waldemar Herdt, Armin-Paulus der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/19494 in der Hampel, Dr. Roland Hartwig, weiterer Abge- Ausschussfassung anzunehmen. ordneter und der Fraktion der AfD

1) Anlage 9 2) Anlagen 10 bis 12 20788 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Für eine neue Syrienpolitik – Frieden si- schen Republik ist weitestgehend befriedet, doch das (C) chern, Wiederaufbau fördern Land liegt in Trümmern. Der Wiederaufbau kommt indes nur schleppend in Gang, da die sogenannte westliche Drucksachen 19/15066, 19/16023 Wertegemeinschaft das syrische Volk mit radikalen Sank- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des tionen straft. An ein arabisches Land werden rein west- Berichts des Auswärtigen Ausschusses liche Wertemaßstäbe angelegt, welche in Bezug auf an- (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- dere arabische Länder wie zum Beispiel Saudi-Arabien neten Frank Pasemann, Waldemar Herdt, überhaupt keine Rolle spielen. Dies ist moralisch verlo- Armin-Paulus Hampel, weiterer Abgeordne- gen sowie politisch unklug und an Scheinheiligkeit nicht ter und der Fraktion der AfD zu überbieten. Sanktionen gegen die Arabische Republik (Beifall bei der AfD) Syrien aufheben – Wiederaufbau ermögli- chen Es ist scheinheilig gegenüber einer Nation, die kultu- rell und religiös grundsätzlich anders konstituiert ist, als Drucksachen 19/15065, 19/16022 westeuropäische Staaten es sind, einer Nation, die jahre- d) Beratung der Beschlussempfehlung und des lang von einem von fremden Mächten befeuerten Bürger- Berichts des Auswärtigen Ausschusses krieg heimgesucht wurde – einem Bürgerkrieg wohlge- (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- merkt, der nicht zuletzt durch raumfremde und in ihrem neten Frank Pasemann, Waldemar Herdt, Vorgehen barbarische Kräfte eskaliert wurde, welche Armin-Paulus Hampel, weiterer Abgeordne- auch von westlichen Staaten, allen voran den Vereinigten ter und der Fraktion der AfD Staaten von Amerika, unterstützt wurden und immer noch werden. Diplomatische Beziehungen zur Arabi- schen Republik Syrien normalisieren – Die fortwährende Ächtung der syrischen Regierung Nachhaltigen Befriedungsprozess initiali- sowie deren Nichteinbeziehung in sachverhaltsrelevante sieren multilaterale Konferenzen stehen einem nachhaltigen Versöhnungs- und Wiederaufbauprozess Syriens diamet- Drucksachen 19/15067, 19/16024 ral entgegen. Abwegig, beinahe zynisch ist überdies die ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid Annahme, die Ächtung der syrischen Regierung mitsamt Nouripour, Margarete Bause, Dr. Franziska den daraus erwachsenden katastrophalen Konsequenzen Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion erfolge im Namen respektive zugunsten des syrischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Volkes selbst. Das Gegenteil ist richtig. Die Sanktionen (B) schaden nicht der gewählten Regierung Assad, sondern (D) Humanitäre Katastrophe in Idlib stoppen der syrischen Bevölkerung und den kleinen und mittleren Drucksache 19/20040 Unternehmen direkt. Sie verhindern den Wiederaufbau des Mittelstandes und die Konsolidierung der Wirtschaft. Überweisungsvorschlag: So fehlt es unter anderem an dringend benötigten Ersatz- Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Inneres und Heimat teilen für Maschinen in allen zivilen Industriesparten, Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe aber insbesondere auch an medizinischen Verbrauchs- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union stoffen und Medikamenten. Obwohl Wirtschaftssektoren ZP 21 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- wie Nahrungsmittel- und Pharmaproduktion offiziell richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- nicht direkt von den Sanktionen betroffen sind, sind indi- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim rekte Auswirkungen so stark, dass auch in diesen lebens- Dağdelen, Kathrin Vogler, Heike Hänsel, weite- notwendigen Bereichen massive Lieferengpässe existie- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE ren und das Leid der Bevölkerung verstärken. Friedensprozesse in Syrien fördern, Völker- Besonders gravierend wirken zudem die finanzpoliti- recht wiederherstellen schen Sanktionen. Die Abschneidung des Zugangs zum internationalen Zahlungsverkehr und zum Kapitalmarkt Drucksachen 19/8357, 19/20017 sowie die daraus resultierenden Beschränkungen des Es ist eine Aussprache von 30 Minuten beschlossen. Handels entfalten verheerende Wirkungen auf die wirt- schaftliche Lage Syriens. Kursstürze und Wertverlust der Ich eröffne die Aussprache, wenn sich die Kollegen syrischen Lira sind die Folge. entschieden haben, ob sie gehen oder bleiben wollen. Klar zu sagen ist: Wer die Sanktionen weiterhin unter- stützt, trägt eine erhebliche Mitschuld an der sich ver- Vizepräsidentin Petra Pau: stärkenden humanitären Misere, in der sich das Land der- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- zeit befindet. ordnete Frank Pasemann für die AfD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Die Bundesregierung nimmt dies aus ideologischen Frank Pasemann (AfD): Gründen und aus Treue zu fragwürdigen Zielen ihrer Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Partner, der sogenannten Koalition der Willigen, billi- und Herren! Der Bürgerkrieg in der Syrischen Arabi- gend in Kauf. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20789

Frank Pasemann (A) Derzeit leben allein in Deutschland über 760 000 syri- Leider ist im Gegensatz zu Corona bei Assad nicht (C) sche Staatsbürger. Ein Großteil von ihnen muss durch den einmal ansatzweise ein Impfstoff in Sicht, ganz sicher deutschen Sozialstaat, also durch den deutschen Steuer- nicht in Ihren Anträgen. Ihre Haltung zu Syrien erinnert zahler, versorgt werden. Die Möglichkeit zur Heimkehr mich auf ungute Weise an Ihr Verhalten bei Corona. Auch in ihr Land wird durch die gegenwärtige Sanktionspolitik in Syrien hilft kein blindes Zurück zum Normalzustand, verschleppt, wenn nicht sogar letztendlich verhindert. kein Ignorieren der Tatsache, dass aus Syrien Geflüchtete Dies alles scheint in den Augen der Bundesregierung kein Zuhause mehr haben, und vor allem keine falsche offenbar ein legitimes Mittel der derzeitigen Außenpoli- Toleranz eines Unrechtsregimes, auch nicht unter dem tik zu sein, ohne im Geringsten die Interessen Deutsch- Deckmantel der Bekämpfung der Coronapandemie und lands zu berücksichtigen. schon gar nicht Besuche von AfD-Abgeordneten in Sy- rien. Das Vorgehen der syrischen Regierung im Norden des Landes mag, mit westeuropäischen Maßstäben gemes- Ja, Sanktionen treffen immer auch die Bevölkerung. sen, hart erscheinen. Aber leider sind sie oftmals fast die einzige wirksame Medizin gegen ein krankes Regime. (Marianne Schieder [SPD]: Diese Formulie- rung ist schon ein Scherz, oder?) (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ha- ben Sie schon im Iran mit 500 000 toten Kin- Ich gebe allerdings zu bedenken, dass bis an die Zähne dern gesagt!) bewaffnete und barbarisch vorgehende Islamistenmilizen nicht durch gutes Zureden allein zu bekämpfen sein wer- Weder Viren noch Diktatoren verschwinden oder werden den. dadurch ungefährlicher, dass man kurzerhand erklärt, sie seien eigentlich ganz harmlos. Hier helfen nur Völker- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- recht und Unterstützung durch die internationale Ge- NEN]: Sondern mit dem Bombardieren von meinschaft, Krankenhäusern!) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sanktionen sind Zusammenfassend ist zu sagen: Die derzeitige Sankt- völkerrechtswidrig! – Dr. Alexander Gauland ionspolitik führt zu einer weiteren Destabilisierung Sy- [AfD]: Das machen Sie doch seit Jahren! – riens und damit der gesamten Region mit der Gefahr, in Weiterer Zuruf von der AfD: Bigotterie!) einen erneuten Bürgerkrieg zu münden. Wer neues Leid und neue Flüchtlingsströme in Richtung Deutschland und zwar in zwei Formen: zum einen mit massiver hu- verhindern will, muss sich jetzt für eine Aufhebung der manitärer und medizinischer Hilfe, wie sie seit Jahren Sanktionen einsetzen. von der Bundesrepublik Deutschland mit Millionensum- (B) men und großer Expertise, beispielsweise aus dem BMZ, (D) Vielen Dank. unterstützt wird, zum anderen aber auch mit strenger Kontrolle durch die Vereinten Nationen, wie wir sie ge- (Beifall bei der AfD) meinsam mit unseren europäischen Partnern, allen voran Frankreich, praktizieren. Nur so können wir Syrien stabi- Vizepräsidentin Petra Pau: lisieren und irgendwann auf Frieden hoffen. Für die Fraktion der CDU/CSU hat nun die Kollegin Vielen Dank. Ursula Groden-Kranich das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander (Beifall bei der CDU/CSU) Gauland [AfD]: Traumrede!) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vizepräsidentin Petra Pau: Syrien ist ein zutiefst gebeuteltes Land. Es wird nicht Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Djir-Sarai nur, wie derzeit so viele Länder weltweit, von Corona das Wort. heimgesucht, sondern – da liegt das Hauptproblem – (Beifall bei der FDP) schon seit 2011 von seiner eigenen Regierung. Das As- sad-Regime ist ähnlich zerstörerisch wie das Virus und Bijan Djir-Sarai (FDP): genauso heimtückisch und unempfindlich gegen gute Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und oder schlechte Ratschläge von außen. Ähnlich wie das Herren! Seit 2011 herrscht in Syrien ein brutaler Krieg, Virus im schlimmsten Fall den eigenen Wirt tötet, richtet dem bereits Hunderttausende Menschen zum Opfer ge- sich auch Assad perfiderweise seit Jahren gegen sein eigenes Volk und zerstört sein eigenes Land, fallen sind. Aus dem Ruf nach Freiheit ist ein Konflikt geworden. Aus dem Konflikt ist ein Bürgerkrieg gewor- (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ein biss- den. Und aus dem Bürgerkrieg ist ein internationaler chen mehr Differenzierung wäre schon sinn- Stellvertreterkrieg geworden. Deutschland und Europa voll!) sind dabei von Anfang an passive Zuschauer gewesen. Selbst die USA und die Vereinten Nationen spielen kaum das doch eine so unglaublich reiche Kultur und Geschich- noch eine ernste Rolle. te hat und dank seiner Bodenschätze und seiner jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung auch ökonomisch sehr (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ganz wohlhabend sein könnte. richtig!) 20790 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Bijan Djir-Sarai (A) Es gab Sanktionen, die nichts bewirkten. Es gab Reso- Baschar al-Assad ist ein Massenmörder, der mit rus- (C) lutionen, die nicht umgesetzt wurden. Es gab Deeskala- sisch-iranischer Hilfe bewusst einen unvorstellbar grau- tionszonen, die keine waren. Es gab Waffenruhen, die samen Krieg gegen die eigene Zivilbevölkerung führt. Es nicht eingehalten wurden. Es gab humanitäre Hilfe, die ist weder im Interesse Deutschlands und Europas, hinter oft nicht am Ziel ankam. Und es gab viele leere Worte. Moskau und Teheran aufzuräumen, noch ist eine Rehabi- litierung Assads in irgendeiner Art und Weise mit frei- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Waffenlieferun- heitlich-demokratischen Werten vereinbar, meine Damen gen aus Deutschland!) und Herren. Nun hat Assad zwar seine territoriale Herrschaft nahe- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. zu wiederhergestellt, doch in der Zwischenzeit haben Russland, Iran und die Türkei vor Ort Fakten geschaffen. (Beifall bei der FDP) Heute ist Assad nicht viel mehr als eine Marionette seiner skrupellosen Unterstützer. Vor allem geben heute Moskau Vizepräsidentin Petra Pau: und Teheran den Ton an. Iran und Russland haben Syrien mit zerstört. Sie werden aber nicht in der Lage und wil- Das Wort hat der Kollege Frank Schwabe für die SPD- lens sein, Syrien wiederaufzubauen. Fraktion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Und Assad? Er wird den Krieg vermutlich gewinnen, Frank Schwabe (SPD): aber den Frieden verlieren. Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! In der Meine Damen und Herren, dieser Krieg ist von vorne Tat: Es tobt in Syrien seit 2011 ein Krieg, der die größte bis hinten das Paradebeispiel für das Versagen deutscher humanitäre Katastrophe neben dem Jemen mit 13 Millio- und europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. nen Menschen auf der Flucht hervorgebracht hat. Übri- gens sind 600 000 bis 700 000 davon in Deutschland. Ich (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten glaube, es ist wichtig, die Dimensionen dessen, was wir der AfD) hier innenpolitisch diskutieren, ein bisschen zu begreifen. Dieser Krieg ist das beste Beispiel dafür, wie irrelevant Ich glaube, wir müssen uns ehrlich machen: Es ist mitt- Europa selbst in der direkten Nachbarschaft geworden ist. lerweile wieder die Zeit von Stellvertreterkriegen, und es ist ein solcher Stellvertreterkrieg, der dort geführt wird. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist Solange die Rahmenbedingungen schlecht bleiben – und (B) aber eine gute Entwicklung!) die Rahmenbedingungen sind schlecht –, solange wir auf (D) Und während wir reden, werden weitere unschuldige UN-Ebene keine neuen Initiativen zu einer gemeinsamen Menschen in Assads Folterkellern brutal ermordet. Unter Politik hinbekommen, solange wir den Multilateralismus diesen Menschen sind viele, die es gewagt haben, ihre nicht stärken, ist es eben wahnsinnig schwierig, solche Meinung zu äußern, sich für ihre Rechte und eine bessere Konflikte von außen international zu lösen. Zukunft einzusetzen. Die Vernichtung und Vertreibung Das heißt, wir müssen uns eingestehen, dass die Mög- des eigenen Volkes ist für Assad kein Kollateralschaden, lichkeiten begrenzt sind, was nicht heißt, dass wir nicht sondern Teil einer mörderischen Strategie. trotzdem alles tun müssen, um Türen für Verhandlungen (Beifall bei der FDP) zu öffnen, dass wir nicht alles tun müssen, um Menschen zu helfen, möglichst vor Ort. In der Tat: Die Bundesre- Meine Damen und Herren, jetzt, in dieser Situation, gierung hat das in den letzten Jahren mit Mitteln in Mil- eine Normalisierung der Beziehungen mit Syrien unter liardenhöhe getan. Ich denke, diese werden in den nächs- dem Kriegsverbrecher Assad anzustreben, wäre genau ten Jahren eher noch aufgestockt werden müssen und das falsche Signal und übrigens auch nicht zu verantwor- werden. Das ist im Übrigen die sogenannte humanitäre ten. Hilfe, die gerade von der antragstellenden Partei ja im Prinzip abgelehnt und infrage gestellt wird. Aber wir (Beifall bei der FDP) müssen den Menschen auch helfen, wenn sie hier sind, Kooperationen mit der syrischen Zivilgesellschaft ja, na- weil es eben Menschen sind, die unsere Unterstützung türlich, aber Wiederaufbau und Normalisierung mit As- brauchen. Und wir brauchen die Nutzung des internatio- sad nein, das darf nicht passieren. nalen Rechts, des Völkerrechts und entsprechend auch des Völkerstrafrechts. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Frank Pasemann [AfD]: Das sehen die Syrer aber an- Bei all dem, was wir international diskutieren, und ders! Das wissen Sie hoffentlich!) dem, was auch bei den Verhandlungen in Genf Grundlage ist, muss man natürlich die Realitäten anerkennen, und – Stellen Sie doch eine Frage, wenn Sie eine haben. Das sie werden auch anerkannt. Es müssen aber die Konflikt- würde mich sehr freuen. Dann bekomme ich auch mehr parteien selber sein, die – auch mit internationaler Hilfe – Redezeit und kann Ihre Frage beantworten. Das würde am Ende zu einer Lösung kommen. ich sehr gerne machen. Was man aber nicht machen darf – und das darf man in (Frank Pasemann [AfD]: Nein, brauche ich keinem Fall machen, nicht in diesem Konflikt und nicht nicht! Ich bekomme sowieso keine Antwort!) in anderen Konflikten –, ist, Diktatoren oder autoritäre Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20791

Frank Schwabe (A) Herrscher zu hofieren. Dann fühlen sie sich nämlich an- (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei (C) geregt, weitere Verbrechen zu begehen. Das machen aber Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE diejenigen, die hier für die AfD im Deutschen Bundestag GRÜNEN – Zurufe von der AfD) sitzen. Das macht der Herr Oehme auf der Krim und andere auch; das wird ja noch zu diskutieren sein. Deswegen finde ich es richtig, was im Grünenantrag steht, nämlich dass wir die Kriegsverbrechen dokumen- (Widerspruch bei Abgeordneten der AfD – tieren und dann entsprechend am Ende auch die Men- Frank Pasemann [AfD]: Das ist doch schein- schen zur Verantwortung ziehen müssen, die dafür ver- heilig! Sagen Sie doch so was auch für Saudi- antwortlich sind. Arabien!) (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Genau! Sie delegitimieren die deutsche Außenpolitik. Sie delegi- Alle!) timieren den Europarat und den Deutschen Bundestag mit seiner Kompetenz, Wahlbeobachtungen vorzuneh- Das können wir dort, wo es möglich ist, über den Inter- men, und Sie organisieren Propagandabesuche in Syrien. nationalen Strafgerichtshof machen, und dort, wo es nicht (Zuruf von der AfD: Nee, nee! Das stimmt möglich ist, über finanzielle Sanktionen für einzelne Per- nicht!) sonen, zum Beispiel über Maßnahmen, wie es sie im Magnitsky Act gibt, oder eben über die Anwendung des Ich muss sagen: Ich habe ein bisschen in das Mach- Weltrechtsprinzips. werk reingeguckt, das Sie da auf den Weg gebracht ha- ben. Ich finde es wirklich abscheulich, wie Sie die Leute Da kann man, glaube ich, aus Deutschland heraus dort hofieren und wie Sie am Ende lustige Fotos mit dem selbstbewusst sagen, dass wir da wirklich gut und vor- Großmufti machen, der dazu aufgerufen hat, Selbstmör- bildlich sind. Wir sind vorbildlich bei der Anwendung der nach Europa zu schicken. Sie haben vielleicht ver- des Weltrechtsprinzips. Wir haben Anklage gegen zwei gessen, dass das der Fall ist. Syrer vor dem Oberlandesgericht in Koblenz erhoben. Einer davon soll für 4 000 Folterungen und 58 Ermordun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen verantwortlich sein. Wir haben gerade heute eine der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE neue Anzeige gegen neun hochrangige Funktionäre des GRÜNEN – Steffen Kotré [AfD]: Stimmt syrischen Regimes und des Luftwaffengeheimdienstes nicht!) wegen sexueller Gewalt – in Klammern: Vergewaltigung, Sie machen das nur, weil Sie das Szenario aufbauen Elektroschocks im Genitalbereich und erzwungene Ab- treibung – erstattet. Ich glaube, darauf können wir wirk- (B) wollen, dass ja alles so super sei in Syrien und deswegen (D) die Geflüchteten, die in Deutschland sind, entsprechend lich stolz sein. Da sind wir jetzt auch weltweit führend zurückkehren können. Ich halte mich da an das Auswär- und müssen das entsprechend weiter ausbauen. tige Amt, das eingeschätzt hat, dass es keine sicheren Bereiche in Syrien gibt, weswegen klar ist, dass wir Men- Es bleibt dabei: Wir sollten alles tun, um die Verbre- schen aus Deutschland auch nicht dorthin zurückführen chen zu ahnden und auch entsprechend abzuschrecken. können – zurzeit jedenfalls nicht. Wir müssen alles tun, um den gepeinigten Menschen zu helfen: in Syrien, rund um Syrien, in der Türkei, aber (Steffen Kotré [AfD]: Das ist ja gar nicht vor eben auch bei uns. Wir müssen Verhandlungslösungen Ort!) möglich machen, dürfen Gesprächsfäden nicht abreißen lassen, müssen Türen öffnen für den Moment, in dem In Syrien herrscht ein schreckliches Folterregime: eben Verhandlungslösungen vielleicht dann doch mög- Hunderttausende Tote, 13 Millionen Menschen auf der lich sind. Aber in gar keinem Fall dürfen wir Diktatoren Flucht, Chemiewaffen, die gegen die eigene Bevölkerung hofieren. eingesetzt werden. Und natürlich sind es auch Islamisten, die schrecklichste Verbrechen dort verüben. Aber die Vielen herzlichen Dank. Hauptverantwortung trägt eine Person, und das ist der Diktator des Landes, Baschar al-Assad. Das muss, glaube (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich, auch klar gesagt werden. Noch mal: Solche Leute der CDU/CSU – Frank Pasemann [AfD]: Das hofiert man nicht. wird den vielen Menschen helfen! – Gegenruf Es gibt andere, die dort entsprechend Verantwortung des Abg. Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE tragen und die sich wirklich die Hände schmutzig ma- GRÜNEN]: Sie wissen doch gar nicht, was das chen: der Iran – der ist genannt worden –, die Türkei ist! – Gegenruf des Abg. Frank Pasemann und Russland. Alle drei Staaten verüben schwerste Men- [AfD]: Halten Sie sich doch zurück! – Gegen- schenrechtsverletzungen und Menschenrechtsverbre- ruf des Abg. Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/ chen. Und es gibt Luftangriffe. Da wundere ich mich DIE GRÜNEN]: Selber!) allerdings über beide Seiten des Hauses, dass Luftangrif- fe auf Krankenhäuser immer mal wieder benannt werden, Vizepräsidentin Petra Pau: aber dass das immer so ein bisschen relativierend ge- Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel für die Frak- schieht. Russland begeht Kriegsverbrechen in Syrien, tion Die Linke. und Russland muss dafür auch zur Verantwortung gezo- gen werden. (Beifall bei der LINKEN) 20792 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Heike Hänsel (DIE LINKE): sitzes –, dass endlich der Wiederaufbau in Syrien (C) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kollegin- unterstützt wird. nen! Die Coronapandemie trifft schon uns alle hier in den reichen Industriestaaten hart. Wie viel härter natürlich (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. sind die Auswirkungen dann erst in den Krisen- und Waldemar Herdt [AfD]) Kriegsregionen dieser Welt? Genau deshalb unterstützen Während die syrische Bevölkerung von der EU also wir den eindringlichen Appell von UN-Generalsekretär quasi ausgehungert wird, wird aber die Besatzungsmacht António Guterres für eine globale Waffenruhe und den Türkei in Syrien weiterhin großzügig mit Geld unter- Stopp der einseitigen und – das muss man dazusagen, stützt. Frau Groden-Kranich – völkerrechtswidrigen Wirt- schaftssanktionen gegen zahlreiche Länder dieser Welt. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Und Waffen!) Diese müssen endlich gestoppt werden, damit die Men- Die EU-Kommission stellt jetzt Erdogan sogar einen schen auch in diesen Regionen gegen die Pandemie Scheck über eine halbe Milliarde Euro aus und fördert kämpfen können. damit seine Politik in Syrien. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Frank (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: So ist das Pasemann [AfD]) mit dem Despoten-Hofieren!) Das gilt natürlich auch für Syrien. Die Menschen lei- Und so kann die Türkei jetzt übrigens ja auch den Nord- den nämlich zusätzlich zu dem Krieg unter den schweren irak bombardieren. Die deutschen Waffenlieferungen Sanktionen der USA und der EU. Erst gestern sind neue laufen ja trotzdem weiter. Herr Schwabe, dazu hätten extraterritoriale US-Sanktionen verhängt worden, die auf Sie auch mal einen Ton sagen können. eine totale Zerstörung der syrischen Wirtschaft setzen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Die humanitäre Lage und der Wiederaufbau dieses ge- neten der AfD) schundenen Landes werden damit noch schwieriger. Schon heute leben laut Schätzungen mehr als 80 Prozent Waffenlieferungen an diesen Autokraten lehnen wir der im Land verbliebenen Syrer und Syrerinnen unterhalb auch ab. Im syrischen Idlib, das von al-Qaida und der der Armutsgrenze. 11 Millionen von ihnen sind auf hu- Türkei kontrolliert wird, wird jetzt die türkische Lira manitäre Hilfe angewiesen. sogar als Währung eingeführt – in Syrien. Die Türkei betreibt hier eine klare Annexionspolitik – genauso in Die Auswirkungen der Sanktionen sind seit Jahren be- den kurdischen Regionen im Norden Syriens, ohne dass kannt. Das Medizinjournal „The Lancet“ urteilte schon das Auswärtige Amt auch nur einen Hauch von Kritik (B) 2015 – ich zitiere –: formuliert. Auch das ist eine moralische Bankrotterklä- (D) rung. Sanktionen zählen zu den Hauptursachen für das Leid der Bevölkerung in Syrien und sind eine be- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) deutende Ursache für die Verstetigung des Kon- flikts … sie hätten ‚die Brutalität dieses Konflikts Vizepräsidentin Petra Pau: vielfach verschärft’. Kollegin Hänsel. Auch der European Council on Foreign Relations stuf- te die Sanktionen 2019 als – Zitat – „Politik der verbrann- Heike Hänsel (DIE LINKE): ten Erde“ ein, „die unterschiedslos und willkürlich ge- Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. wöhnliche Syrer bestraft ...“. Laut Oxfam ist Es darf keine Rüstungsexporte und Finanzhilfen mehr insbesondere auch die medizinische Versorgung der Be- für die Türkei geben. Das wäre ein Beitrag zu Frieden in völkerung betroffen. Lebenswichtige Medikamente, zum Syrien – eine Verelendung der syrischen Bevölkerung, so Beispiel zur Krebstherapie, fehlen. wie sie die deutsche Außenpolitik betreibt, ganz be- Ich bin auch der Meinung, dass alle Kriegsverbrechen stimmt nicht. in Syrien, egal von welcher Seite, untersucht und geahn- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- det werden müssen; das fordern wir auch. ten der AfD – Britta Haßelmann [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN], an DIE LINKE ge- (Beifall bei der LINKEN) wandt: Der Beifall der AfD war Ihnen Aber die Sanktionen für den Regime Change sind auch sicher! – Gegenruf des Abg. Alexander Ulrich ein Verbrechen an der Bevölkerung in Syrien, und des- [DIE LINKE]: Ja, wenn man was Richtiges wegen müssen sie gestoppt werden. sagt, kann man sich nicht dagegen wehren!)

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vizepräsidentin Petra Pau: neten der AfD) Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour. Für eine Friedenslösung müssen alle Kämpfe, alle Bom- bardierungen und Waffenlieferungen von allen Seiten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eingestellt werden, und eben auch diese tödlichen Sank- Während Sie auf dem Weg nach vorn sind – man kann tionen. Viel wichtiger wäre es – da könnte die Bundesre- sich nicht aussuchen, zu welchen Themen debattiert wird, gierung die Initiative ergreifen im Rahmen ihres UN-Vor- wenn die Fraktion einen ans Redepult schickt –, gratulie- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20793

Vizepräsidentin Petra Pau (A) re ich Ihnen sicherlich im Namen des ganzen Hauses zu verhaftet worden sind. Das ist der Grund, warum die (C) Ihrem heutigen Geburtstag. Leute nicht zurückgehen. (Beifall) (Zuruf von der AfD) Das Entscheidende ist die politische Verfolgung in dem Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Land, in einem Land, in dem es über 100 000 Häftlinge Herzlichen Dank, liebe Frau Präsidentin. – Liebe Kol- gibt, die politisch motiviert in Folterknästen sitzen. leginnen und Kollegen! In den letzten Tagen und Wochen ist in Syrien etwas sehr Bewegendes passiert: Überall (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dort, wo der Druck der Repression abgenommen hat, Zuruf von der AfD) gab es quasi sofort friedliche Demonstrationen gegen Das ist entscheidend. Wie kann man da von Rückkehr Assad. Die Leute sind teilweise mit denselben Parolen sprechen und sich über die Ursachen ausschweigen, wa- wie 2011 in großen Zahlen auf die Straße gegangen – in rum sie nicht zurückkehren können? Versteht ihr nicht, Daraa, einer Stadt im Süden, die in den letzten neun dass ihr denen in die Hände spielt, indem ihr einfach Jahren massiv vor allem von Fassbomben getroffen wor- verschweigt, was Assad dort veranstaltet? Genau so spielt den ist, in Suwaida, einer Stadt, die zum großen Teil ihr denen in die Hände, während wir darum kämpfen, drusisch geprägt ist. Den Leuten, die meinen, Assad sei Syrien zu befrieden, damit die Menschen zurückkehren derjenige, der die Christinnen und Christen in Syrien können. Das können sie nicht, weil Assad so agiert, wie er schützt, sage ich: Auch diese Leute gehen friedlich gegen dort agiert. Assad auf die Straße. Was sagt uns das? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erstens. Diese Leute sind unglaublich mutig. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Zweitens. Das syrische Volk hat die letzten Jahre so SPD und der FDP) gelitten – unter Dschihadisten, unter der türkischen völ- Der letzte Punkt. Wir sollten auch darüber reden, wo kerrechtswidrigen Invasion im Norden, unter iranischen die Leute nicht demonstrieren, weil es nicht geht. Am Milizen, unter russischen Kriegsverbrechen –; aber das allerschlimmsten ist es in Idlib. Da leiden die Leute unter Hauptleid hat das Regime von Assad verursacht. Wenn Dschihadisten, aber auch unter den Bombardements und die AfD in ihren Anträgen in diesem Zusammenhang von darunter, dass es kaum mehr Krankenhäuser gibt, weil sie Friedenspolitik spricht, dann deutet das darauf hin, dass von den Russen und mit den Fassbomben der Assad- sie gar nicht weiß, was Frieden eigentlich bedeutet. Armee weggebombt wurden. Deshalb haben wir zu die- sem Thema einen Antrag eingebracht: weil die Situation (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, in Idlib so dramatisch ist, weil die Leute dort eingekesselt (D) bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) sind – von der türkischen Armee im Norden, von den Drittens. Wir haben uns als Deutsche, als Europäerin- Dschihadisten im Inneren und von Assad und den Affi- nen und Europäer in den letzten neun Jahren mehr oder liierten. minder freiwillig in die dritte Reihe begeben, haben uns Den mutigen Menschen in Not, die ich beschrieben da, wo wir vielleicht etwas hätten tun können, komplett habe, Respekt zu zollen, bedeutet, dass wir in erster Li- rausgehalten. Wir können uns aber nicht leisten, bei die- nie – nicht nur, aber in erster Linie – über die Kriegsver- sen Demonstrationen einfach nur zuzusehen. Diesen Leu- brechen von Assad sprechen müssen. ten schulden wir, dass wir wenigstens einen Entwurf ha- ben, uns Gedanken machen, wie man das Land befrieden (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Über alle kann, was man dort tun muss und wie denn eigentlich Verbrechen!) eine Ordnung in Syrien nach dem möglichen Frieden aussehen kann. Aber wir sind auch verpflichtet, diese Das ist, finde ich, unsere Verantwortung, wenn wir Frie- Menschen, die syrische Gesellschaft, als unsere Partner den in Syrien wollen. zu verstehen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der AfD: Jetzt kommt’s!) Vizepräsidentin Petra Pau: mit ihnen zu sprechen. Das ist eine Partnerschaft, die wir wagen müssen. Das ist eine Investition in Frieden und in Das Wort hat der Kollege Thomas Erndl für die CDU/ Gerechtigkeit. CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der CDU/CSU) Zuruf des Abg. Frank Pasemann [AfD]) Thomas Erndl (CDU/CSU): Viertens. Genauso, wie Sie den Begriff Frieden an- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und scheinend nicht verstehen, wissen Sie auch nicht, was Kollegen! Eines muss man bei dieser Debatte der AfD dort passiert, wo angeblich Frieden eingezogen ist. Das lassen: Ihre Anträge sorgen für Klarheit. Denn damit wird ist etwas, was mich, ehrlich gesagt, entsetzt; das bleibt wirklich klar, dass Sie von Russland geblendet sind, auch in anderen Anträgen der Linken immer wieder ein- fach aus. Da, wo die Leute zurückgekehrt sind, gibt es so (Frank Pasemann [AfD]: Wir haben uns mit viele Berichte von Leuten, die einfach verschwunden dem Kreml abgestimmt, oder was? Warum er- sind, von Folter, von Leuten, die einfach auf der Straße zählen Sie so einen Blödsinn?) 20794 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Thomas Erndl (A) von der Situation in der Region wenig Ahnung haben und Eine Zukunft in Syrien mit Assad kann es nicht geben. (C) sich an der Seite von Diktatoren und Kriegsverbrechern Einen Wiederaufbau ohne glaubhaften politischen Pro- wie Assad am wohlsten fühlen. Dass Sie hier all das zu zess kann es auch nicht geben. Wir brauchen in dieser Papier gebracht haben, was auf Assads Wunschliste steht, Frage Fortschritte, die jedoch nicht sichtbar sind. Wir verdeutlicht einmal mehr: Der AfD kann man in der können aber da, wo es möglich ist, also in den nicht Außenpolitik nicht trauen. vom Regime kontrollierten Gebieten, die Zivilgesell- schaft stärken, (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will es zum Ende dieser Debatte noch mal an drei (Karsten Hilse [AfD]: Die Terroristen!) Beispielen aufzeigen – Frau Hänsel, Sie können da auch Resilienz aufbauen, Zukunftsstrukturen schaffen, in Zu- genau hinhören –: kunftsstrukturen investieren, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja!) (Zuruf von der AfD: Was ist denn das genau?) Erstens. In den AfD-Anträgen wird behauptet, dass die beispielsweise in den kurdischen Gebieten oder mögli- westliche Politik für die Notlage und wirtschaftliche De- cherweise im Nordwesten. stabilisierung in Syrien größtenteils mitverantwortlich Die Lösung kann aber sicherlich nicht sein, Kriegsver- ist. Das ist grob falsch, meine Damen und Herren. Sie brechern Legitimität zu geben, so wie Sie das mit Ihren verschweigen, dass das Assad-Regime mit russischer Anträgen versuchen. Deswegen ist das alles komplett und iranischer Unterstützung das Land komplett zerstört abzulehnen. hat und die Wirtschaft am Boden liegt. Heute sind rund 40 Prozent der Syrer arbeitslos, und 80 Prozent leben in Herzlichen Dank. Armut. Das ist zweifelsohne das Ergebnis von Assads Vernichtungskrieg gegen das eigene Volk und nicht die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Folge unserer Politik. ordneten der SPD)

Zweitens. Sie fordern in der jetzigen Lage, die finanz- Vizepräsidentin Petra Pau: iellen Sanktionen gegen das Regime und seine korrupten Die Rede des Kollegen Jürgen Hardt nehmen wir zu Eliten zu lockern. Richtig ist: Wir müssen natürlich alles 1) tun, um die notleidende Bevölkerung zu unterstützen, Protokoll. (Frank Pasemann [AfD]: Tolle Idee!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stephan Pilsinger [CDU/CSU]) um humanitäre Hilfe zu leisten. Das gilt besonders für die Ich schließe die Aussprache. (B) knapp 1 Million Binnenvertriebenen in der Region Idlib. (D) Aber grob falsch wäre, die Sanktionen gegen das Kriegs- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf verbrecherregime aufzuheben und damit Assad für die den Drucksachen 19/20070 und 19/20040 an die in der grausame Kriegsführung zu belohnen. Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht (Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD]) der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. Im Gegenteil: Der Druck auf Assad und seinen engsten Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti- Unterstützerzirkel in Politik, Wirtschaft und Militär muss gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit hoch gehalten werden. dem Titel „Für eine neue Syrienpolitik – Frieden sichern, (Zuruf von der AfD: Genau!) Wiederaufbau fördern“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/16023, den Schließlich der dritte Punkt. Sie regen jetzt eine Unter- Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/15066 stützung Deutschlands beim Wiederaufbau Syriens an. abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Das ist zum jetzigen Zeitpunkt wiederum grober Unsinn; lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die denn das würde jetzt dazu führen, dass die aktuellen Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- Machtverhältnisse zementiert werden, tionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Lin- (Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD]) ke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen. die sich Assad mitunter mit Giftgas und Fassbomben erkämpft hat. Von einem Wiederaufbau unter Assad wür- Tagesordnungspunkt 23 c. Beschlussempfehlung des den nur die gesellschaftlichen Schichten profitieren, die Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion seinen Krieg mitgetragen haben, und das Elend würde der AfD mit dem Titel „Sanktionen gegen die Arabische bleiben. Denn anders, als Sie behaupten, kann es unter Republik Syrien aufheben – Wiederaufbau ermöglichen“. Assad keinen gesellschaftlichen Aussöhnungsprozess ge- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung ben. Er mag vielleicht den Krieg gewonnen haben, aber auf Drucksache 19/16022, den Antrag der Fraktion der den Frieden hat er nicht erreicht. AfD auf Drucksache 19/15065 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist AfD) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP- – Dann wird es umso richtiger sein. Am besten hören Sie es noch mehrmals. 1) Anlage 14 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20795

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- übernommen habe. Mich hat von Anfang an beeindruckt, (C) nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD-Fraktion wie die Betroffenen trotz teils schwerster Behinderungen angenommen. ihr Leben selbstbewusst gemeistert haben und auch wei- terhin meistern. Dafür verdienen sie unseren Respekt und Tagesordnungspunkt 23 d. Beschlussempfehlung des unsere Anerkennung. Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Diplomatische Beziehungen zur (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Arabischen Republik Syrien normalisieren – Nachhalti- gen Befriedungsprozess initialisieren“. Der Ausschuss Anerkennung und Wertschätzung sind das eine. Aus empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Sicht vieler Betroffenen fehlt noch eine ehrliche Ent- 19/16024, den Antrag der Fraktion der AfD auf Druck- schuldigung der Firma Grünenthal. Das Unternehmen sache 19/15067 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- hat zwar sein Bedauern über die eigene Kommunikation schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- und sein Mitgefühl zum Ausdruck gebracht; das reicht hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den vielen Betroffenen aber nicht aus. Ich würde mich riesig Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, freuen, wenn die jetzigen Eigentümer des Unternehmens der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Frak- die Größe aufbrächten und sich formell für all das Leid, tion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD- das das Arzneimittel Contergan verursacht hat, entschul- Fraktion angenommen. digen würden. Vielleicht wäre so endlich ein Schluss- strich in der Auseinandersetzung möglich. Zusatzpunkt 21. Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der mit dem Titel „Friedensprozesse in Syrien fördern, Völ- FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) kerrecht wiederherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20107, Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann die Ent- den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache scheidung über den uns jetzt vorliegenden Entwurf eines 19/8357 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Fünften Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungs- empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält gesetzes besser verstehen, wenn man einen kurzen Blick sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen in die Vergangenheit wirft. 1957 kam das Schlaf- und der Koalitionsfraktionen, der AfD-Fraktion, der FDP- Beruhigungsmittel Contergan mit dem Wirkstoff Thali- Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen domid auf den Markt. Es konnte rezeptfrei erworben wer- die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. den und wurde millionenfach verkauft. Oft hat eine ein- zige Tablette während der Schwangerschaft ausgereicht, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: um das Kind im Mutterleib zu schädigen. Viele Kinder (B) starben unmittelbar nach der Geburt; den anderen räumte (D) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- man keine hohe Überlebenschance ein. Durch die Auf- nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- merksamkeit unter anderem des Kinderarztes Dr. Lenz wurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung wurden die gehäuft auftretenden Fehlbildungen bei Säug- des Conterganstiftungsgesetzes lingen mit dem Arzneimittel Contergan in Verbindung Drucksache 19/19498 gebracht. Schlussendlich wurde das Medikament dann im November 1961 vom Markt genommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1968 wurden neun führende Mitglieder der Firma Grü- (13. Ausschuss) nenthal vor Gericht gestellt. Der Prozess endete mit ei- nem Vergleich. Grünenthal zahlte 100 Millionen D-Mark Drucksache 19/20142 an die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“, die Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- heutige Conterganstiftung. 2009 erfolgte eine weitere schlossen. – Ich bitte, zügig die Plätze zu wechseln. Zahlung über 50 Millionen Euro. Das Unternehmen ist, wie ich finde, finanziell glimpflich davongekommen; Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin denn mit dem Vergleich ging ein Klageverzicht einher. Ursula Schulte für die SPD-Fraktion. Damit bestehen keine weiteren Ansprüche gegenüber (Beifall bei der SPD) dem Unternehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis heute unterstützt Ursula Schulte (SPD): die Conterganstiftung des Bundes Betroffene in vielen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Teilen der Welt. Die Renten, die jährlichen Sonderzah- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur lungen und die bei Rentenkapitalisierung zu zahlenden vier Jahre war das Schlafmittel Contergan auf dem Markt Abfindungsbeiträge sowie die Mittel für die spezifischen und hat doch in dieser kurzen Zeit weltweit das Leben Bedarfe werden aus dem Bundeshaushalt finanziert. von mehr als 10 000 Kindern und ihren Familien drama- tisch verändert. Und glauben Sie mir: Es macht einen Der Staat trägt eine Mitverantwortung für den Skandal; gewaltigen Unterschied, ob man über diese Veränderun- denn ein Arzneimittelrecht im heutigen Sinne existierte gen etwas in Studien oder in der Presse liest oder ob man zur damaligen Zeit nicht. Die Unbedenklichkeit von Me- persönlich Menschen kennenlernt, die durch Contergan dikamenten wurde durch die Herstellerfirma eigenverant- geschädigt worden sind. Das musste ich jedenfalls fest- wortlich geprüft. Infolge des Skandals hat sich Gott sei stellen, als ich 2013 die Berichterstattung für Contergan Dank die Arzneimittelsicherheit stark verbessert. 20796 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Ursula Schulte (A) Die monatliche Rente ist für viele Betroffene und ihre Auffassung, dass eine Aberkennung von Leistungen nach (C) Familien das Haupteinkommen. Dementsprechend groß Jahrzehnten nicht zumutbar ist. Wir waren uns auch darü- ist die Bestürzung und Sorge seitens brasilianischer Tha- ber einig, dass der Vertrauensschutz der Betroffenen ei- lomid-Geschädigter gewesen, als ihnen die Stiftung nen hohen Stellenwert hat. Darum haben wir einen Weg schriftlich ein neues Anhörungsverfahren ankündigte. gesucht, wie man ein Klageverfahren und eine längere Damit wurde die Rechtmäßigkeit der Zahlung von Leis- Situation der Unsicherheit vermeiden kann. Wir wollten tungen infrage gestellt. Begründet wurde das Schreiben auch einen Jahre dauernden Prozess vermeiden, weil das mit neuen Erkenntnissen zu Sedalis; so heißt das Medika- Risiko am Ende bei den Betroffenen gelandet wäre, zu- ment, das die Mütter der brasilianischen Geschädigten mal sich nach so langer Zeit nicht zweifelsfrei feststellen eingenommen hatten. Dieses sei nun doch ein Lizenz- lässt, ob es sich bei Sedalis um ein Lizenzprodukt handelt produkt und somit kein Medikament, das Grünenthal her- oder nicht. gestellt und vertrieben habe, verlautbarte die Stiftung. Auch wenn die Vorgehensweise der Stiftung verwal- (Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜND- tungstechnisch in Ordnung gewesen sein mag, ich hätte NIS 90/DIE GRÜNEN]) mir einen sensibleren Umgang mit den Betroffenen ge- Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf, liebe Kol- wünscht. „Sensibler Umgang“ heißt: Man verschickt leginnen und Kollegen, geben wir nicht nur den brasilia- Schreiben in der jeweiligen Landessprache, nischen Geschädigten ihre finanzielle Sicherheit zurück, sondern stellen auch grundsätzlich klar, dass alle Betrof- (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fenen ihren Leistungsanspruch bis zum Ende ihres Le- NEN]: Man schickt die einfach gar nicht!) bens behalten. Das ist eine gute Entscheidung, ganz im und man sichert sich besser ab, bevor man ankündigt, Sinne der Betroffenen. dass man Menschen mit Behinderungen nach fast 50 Jah- ren ihre Rente und damit ihre Existenzgrundlage entzie- (Beifall bei der SPD) hen will. Jetzt muss ich mich sputen, obwohl ich so viel Rede- zeit hatte. Ich wollte noch kurz auf die Finanzierung der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Kompetenzzentren eingehen. Diese haben wir schon mit FDP – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE dem Vierten Gesetz zur Änderung des Conterganstif- GRÜNEN]: Es gab überhaupt keinen Anlass, tungsgsgesetzes angelegt; aber es fehlt noch die Ermäch- diese Schreiben zu verschicken!) tigung, dass die Kompetenzzentren aus den Mitteln, die An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Wortmeldung wir für die spezifischen Bedarfe jährlich zur Verfügung von Ihnen, Frau Rüffer, in der gestrigen Ausschusssit- stellen, finanziert werden können. 30 Millionen Euro (B) zung eingehen. Da, wo Menschen arbeiten, passieren stellen wir dafür zur Verfügung, 3 Millionen davon sollen (D) Fehler. Die Schärfe Ihrer Kritik, die Sie gegenüber dem für die Kompetenzzentren verwandt werden. Ich gehe ehrenamtlichen Vorstand der Stiftung angebracht haben, davon aus, dass es bei dieser Aufteilung der Summe halte ich für nicht angemessen. bleibt. Damit bringen wir die Kompetenzzentren auch finanziell auf den Weg. Das ist gut für die Betroffenen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zu den ursprünglichen Schädigungen kommen im Laufe Es ist auch nicht so, dass die Berichterstatter der Koali- der Zeit neue Schädigungen hinzu, insbesondere was die tion diese Fehler nicht sehen oder nicht diskutieren. Aber Nerven und die Gefäße angeht. wir verharren nicht in der Fehleranalyse. Stattdessen ha- ben wir sofort die Betroffenen in den Blick genommen Insgesamt ist das eine gute Gesetzesvorlage, und ich und die beste Lösung für sie gesucht. Dies ist uns mit dem bitte Sie ganz herzlich um Ihre Zustimmung. Ich würde vorliegenden Gesetzentwurf gelungen. Das nenne ich gu- mich freuen, wenn wir das heute einstimmig über die te pragmatische Politik im Interesse der Menschen. Bühne bringen könnten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will noch etwas sehr deutlich sagen: Nicht die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Conterganstiftung ist der grundsätzliche Verursacher, der CDU/CSU und der FDP – Corinna Rüffer sondern das Unternehmen, das Contergan auf den Markt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war sehr gebracht hat. Und auch im Fall der brasilianischen Ge- enttäuschend!) schädigten hat Grünenthal dazu beigetragen, dass die Stiftung zu der Auffassung kommen konnte, bei Sedalis Vizepräsidentin Petra Pau: handle es sich um ein Lizenzprodukt. Schauen Sie sich Das Wort hat die Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel bitte den Schriftwechsel dazu an. Grünenthal betont mit für die AfD-Fraktion. Blick auf Sedalis, man habe sich womöglich missver- ständlich ausgedrückt. (Beifall bei der AfD)

(Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜND- Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD): NIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Wir haben als Berichterstatter, nachdem wir von dem und Herren! Der Conterganskandal war einer der größten Vorgang erfahren haben, sofort Gespräche mit den han- Arzneimittelskandale in der Geschichte der Bundesrepu- delnden Personen und den anderen Fraktionen des Bun- blik. Contergan wurde millionenfach an schwangere destages geführt. Wir Berichterstatter waren sofort der Frauen verkauft. Es führte bei Neugeborenen zu einer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20797

Mariana Iris Harder-Kühnel (A) Häufung schwerer Fehlbildungen von Gliedmaßen und (Zurufe von der CDU/CSU: Thema!) (C) Organen. Unzählige Totgeburten gingen auf Contergan 100 000 abgetriebene Kinder pro Jahr sind ein Indikator zurück. Hier wurde ein Verbrechen an Menschen began- dafür, wie weit der schleichende Sozialismus hierzulande gen. bereits fortgeschritten ist. Aktuell leben in Deutschland noch etwa 2 600 Conter- (Beifall bei der AfD – Dr. Franziska Brantner gangeschädigte. Es handelt sich um Menschen, die unse- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Tagesord- ren besonderen Respekt und unsere besondere Fürsorge nung! Zum Thema, bitte! – Weiterer Zuruf: verdienen. Wir freuen uns bei jedem Einzelnen von ihnen Schauen Sie sich die Vorlage doch mal an!) darüber, dass es ihn gibt. Trotz der Hürden, denen Con- tergangeschädigte im Alltag begegnen, sind sie häufig Man will eine neue Welt schaffen, indem man die alte glückliche Menschen, Menschen, die andere Menschen Welt beseitigt. Die Kultur eines Volkes erkennt man da- glücklich machen, und jeder Einzelne von ihnen ist ein ran, wie es mit seinen Toten umgeht, man erkennt sie Argument für das Leben und ein Argument gegen Mas- daran, wie es mit seinen ungeborenen Kindern umgeht, sentötungen, wie sie von aggressiven Abtreibungsapolo- und man erkennt sie daran, wie es mit seinen behinderten geten in immer unverhohlenerer Weise betrieben werden. Menschen umgeht. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Michaela Noll [CDU/CSU]: An Ihrer Rede NEN]: Sie sind in der falschen Debatte!) erkennt man, wie Sie mit Contergankindern umgehen! Das ist mangelnder Respekt!) Manche politischen Gruppierungen wollen Schwan- gerschaftsabbrüche bis in den neunten Monat hinein lega- Es ist unsere Pflicht, mit allem gut umzugehen. lisieren, was nichts anderes ist als Kindsmord. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Alexander Ulrich [DIE Aus nachvollziehbaren Gründen ist es selten, dass wir LINKE]: Thema verfehlt!) die Arbeit der Bundesregierung loben. Den hier einge- Manche fordern die Aufhebung des Werbeverbotes für brachten Gesetzentwurf befürworten wir aber, weil er in Schwangerschaftsabbrüche, während sie sich gleichzeitig der Sache richtig ist. aus vorgeblichen Gesundheitsgründen über Tabak- und (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Alkoholwerbung echauffieren, NEN]: Ja, und was ist die Sache aus Ihrer (Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Conterganstif- Sicht?) tungsgesetz!) Es ist gut, wenn bereits bewilligte Bundesmittel in medi- (B) (D) so als ob das Rauchen einer Zigarette schlimmer wäre als zinische Kompetenzzentren fließen. Diese Zentren er- ein abgetriebenes Kind. möglichen die bessere Beratung und Behandlung conter- gangeschädigter Menschen. Und es ist richtig, die im Und natürlich möchten diese Milieus auch noch das Gesetzentwurf vorgesehenen berechtigten Leistungsan- Abtreibungsrecht weiter lockern, was vor allem bei be- sprüche dieser Menschen nicht mehr abzuerkennen; denn hinderten Kindern als Argument ins Spiel gebracht wird. sie haben ein Leben voller Hürden. Legen wir ihnen keine weiteren in den Weg. (Sören Pellmann [DIE LINKE]: Es war Ihre Fraktion, die genau das zum Thema gemacht Vielen Dank. hat!) (Beifall bei der AfD – Alexander Ulrich [DIE Damit geben diese Leute unfreiwillig zu, dass Behinderte LINKE]: Thema verfehlt!) für sie nur Menschen zweiter Klasse sind. (Beifall bei der AfD) Stephan Pilsinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorweg Wir lehnen diese Kultur des Todes ab. Sie ist schlichtweg zu meiner Rede: Frau Harder-Kühnel, ich finde, man falsch und verabscheuungswürdig. kann im Deutschen Bundestag über vieles reden; aber dass Sie zum heutigen Zeitpunkt bei einem so wichtigen (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Thema, bei dem es um die Würde der Contergangeschä- NEN]: Sie haben überhaupt keine Ahnung! – digten geht, diese Rede missbrauchen, um Ihrem Popu- Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE lismus freien Lauf zu lassen, das finde ich total daneben. GRÜNEN]: Zum Thema, bitte!) Ich finde, Sie sollten sich was schämen! Vier Dinge sind charakteristisch für jeden sozialisti- schen Menschenversuch: die Zerstörung von Privateigen- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, tum, die Zerstörung von Tradition, die Zerstörung von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Religion und die Zerstörung der Familie. GRÜNEN) Das Thema Contergan war im letzten November wie- (Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]: Gender- der in den Medien. Brasilianische Conterganopfer liefen Mainstreaming!) Gefahr, ihre Rente zu verlieren. Es gab eine intensive Die Zerstörung all dessen endet zwangsläufig in Armut, Debatte über den Anerkennungsstatus von Betroffenen. Orientierungslosigkeit, Werteverlust und letztlich im Viele Menschen sahen plötzlich ihre Lebensgrundlage Tod. bedroht. Für uns als Koalitionsfraktionen aus CDU/ 20798 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Stephan Pilsinger (A) CSU und SPD war sofort klar: Eine Aberkennung der reichte schon die Einnahme einer einzigen Tablette, um (C) Leistungen darf es niemals geben. den Schaden auszulösen. Mit dem heute vorliegenden Entwurf eines Fünften Die Firma Grünenthal GmbH, die das Medikament Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes Contergan entwickelt hatte, zahlte damals im Rahmen machen wir klar: Kein Conterganopfer, das – oft jahr- eines Vergleichs eine Entschädigung in Höhe von zehntelang – Renten von der Conterganstiftung bezogen 100 Millionen D-Mark in die Stiftung „Hilfswerk für hat, wird diese verlieren, wenn es nicht vorsätzlich fal- behinderte Kinder“ ein. Im Gegenzug wurden weitere sche oder vorsätzlich unvollständige Angaben gemacht Ansprüche gegen den Hersteller in gesetzliche Leistungs- hat. ansprüche umgewandelt. Uns ist wichtig, dass die betroffenen Contergangeschä- Contergan hat nicht nur das Schicksal von Einzelnen, digten nicht unnötig lange in der Sorge um ihre wirt- sondern oft das ganzer Familien bestimmt. Die Kinder, schaftliche Existenz leben müssen. Deshalb haben wir die überlebten, sind heute erwachsen und haben oft einen schnell, umfassend und pragmatisch gehandelt, um eine sehr langen Leidensweg hinter sich. Vor diesem Hinter- umfassende Rechtssicherheit sicherzustellen. Die Betrof- grund ist es uns wichtig, die Lebensrealität der Betroffe- fenen können sich dadurch auf die Anerkennung ihres nen im Blick zu behalten, sie zu unterstützen und unsere Status und ihrer Leistung verlassen. Statt zu bangen und Maßnahmen bei Bedarf anzupassen und auszuweiten. zu kämpfen, können sie ihren verbleibenden Lebensweg Dafür haben wir in den letzten Jahren einiges getan. möglichst sorgenfrei planen. Diese pragmatische gesetz- 2013 haben wir mit dem Dritten Gesetz zur Änderung liche Lösung ist wichtig, weil es nach 50, zum Teil über des Conterganstiftungsgesetzes eine angemessene und 60 Jahren schwierig ist, nachzuweisen, welches Medika- zukunftsorientierte Unterstützung der Betroffenen sicher- ment die Mutter in der Schwangerschaft genommen hat gestellt. Konkret haben wir die Conterganrente deutlich und dass die Fehlbildungen Folge eines thalidomidhalti- erhöht und neue Leistungen zur Deckung spezifischer gen Präparates der Firma Grünenthal sind. Bedarfe im Einzelfall für die rund 2 600 Leistungsberech- Außerdem halte ich das Vertrauen der Leistungsbe- tigten eingeführt. Hierfür haben wir zusätzliche Bundes- rechtigten in den Fortbestand ihrer Leistungsansprüche mittel in Höhe von 30 Millionen Euro pro Jahr bereitge- für besonders schutzwürdig. Die Bundesrepublik über- stellt. nimmt seit der Gründung des Hilfswerks für behinderte Durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Conter- Kinder, der heutigen Conterganstiftung für behinderte ganstiftungsgesetzes haben wir zum 1. Januar 2017 an- Menschen, Verantwortung für die Betroffenen. Zu dieser stelle von individuell bedarfsdeckenden Leistungen für (B) Verantwortung stehen wir auch weiterhin uneinge- spezifische Bedarfe eine Gewährung pauschaler Leistun- (D) schränkt. gen zur Deckung spezifischer Bedarfe eingeführt. Aus (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP diesem Betrag in Höhe von 30 Millionen Euro pro Jahr und der LINKEN) haben wir außerdem die Förderung multidisziplinärer medizinischer Kompetenzzentren vorgesehen. Mit diesen Aufwendige Vertrauensschutzprüfungen im Einzelfall Zentren wollen wir die medizinischen Beratungs- und im Zusammenhang mit einer Entscheidung über die Fort- Behandlungsangebote und damit die Lebenssituation für zahlungen der Leistungen werden künftig entfallen. Das betroffene Menschen verbessern. ist richtig und wichtig für die Betroffenen. Allerdings hat der Bundesrechnungshof festgestellt, Ich danke an dieser Stelle herzlich meiner Mitberich- dass die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die För- terstatterin Ursula Schulte von der SPD für die kollegiale derung dieser Kompetenzzentren bisher fehlt. Mit dem und reibungslose Zusammenarbeit. Auch danke ich herz- fünften Änderungsgesetz schaffen wir heute diese Er- lich dem Bundesministerium für Familie, Senioren, mächtigungsgrundlage. Weil die Förderung der Kompe- Frauen und Jugend und Frau Bundesministerin Giffey tenzzentren aus Stiftungsmitteln gesetzlich verankert für die Unterstützung bei der Erstellung dieses wichtigen wird, kann das Förderverfahren noch im Haushaltsjahr Gesetzentwurfs. 2020 beginnen. Die weitere Ausgestaltung der Kompe- tenzzentren und deren Förderung werden auch nach Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie abschiedung dieses Gesetzes ein wichtiges Thema für uns bei Abgeordneten der LINKEN) sein, welches wir im Blick behalten werden. Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion war es Das alles zeigt: Wir als CDU/CSU-Fraktion empfinden schon immer ein wichtiges Anliegen, Betroffene mit das Schicksal der Contergangeschädigten als wichtig. Conterganschäden zu unterstützen, weil wir hier als Staat Wir werden uns auch weiterhin für die Verbesserung eine ganz besondere Verantwortung tragen. Diese Verant- der Lebensumstände einsetzen. wortung wurde Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre begründet, als ein Medikament mit dem Wirkstoff Thali- Vielen Dank. domid und dem Namen Contergan als rezeptfreies (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Schlaf- und Beruhigungsmittel verkauft wurde. Frauen, die dieses Medikament während der Schwangerschaft eingenommen hatten, haben Kinder mit schweren Fehl- Vizepräsidentin Petra Pau: bildungen geboren. Viele dieser Kinder sind unmittelbar Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Jens Beeck nach der Geburt oder wenig später verstorben. Zum Teil das Wort. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20799

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall bei der FDP) tuierungen, liebe Corinna, haben alle Berichterstatter das (C) in diesem Hause sehr konstruktiv deutlich gemacht. Jens Beeck (FDP): (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und NEN]: War das ein Lob?) Kollegen! Vor einigen Monaten besuchte ich eine Ber- linerin, die mich angeschrieben hatte, weil sie in Eigen- Das ist ein gutes Zeichen für die Betroffenen. Ich will regie und auf eigene finanzielle Verantwortung ihren As- mich bei all den Berichterstatterinnen und Berichterstat- sistenzhund ausgebildet hatte. Das Kennenlernen war für tern bedanken. Ausdrücklich bedanken will ich mich mich sehr beeindruckend; denn die Dame gehört zu den auch bei Frau Staatssekretärin Marks, dass es dank ihrer Menschen in Deutschland, die aufgrund der Einnahme Intervention gelungen ist – auch mit dem Haus, Frau des thalidomidhaltigen Medikamentes Contergan eine Kollegin Giffey –, einen sehr konstruktiven Dialog an extreme Verkürzung ihrer beiden Arme aufweist. dieser Stelle zu führen. Sie lebt – auch dank ihres tierischen Helfers – selbst- Zweitens. Die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die von bestimmt, eigenständig in ihrer eigenen Wohnung. Der Conterganschäden betroffen sind, haben nach jahrzehnte- Hausnotruf wird im Notfall vom Hund bedient. Der Hund langem Leistungsbezug einen unverbrüchlichen An- bringt Dinge; er betätigt Lichtschalter. Das eigenständige spruch auf Vertrauensschutz. Deswegen wird es eine Ab- Leben, die Selbstbestimmtheit vor allen Dingen in der erkennung von Leistungen nach diesen vielen Jahren eigenen Wohnung ist für diese gut ausgebildete, im bes- nicht mehr geben. ten Sinne vornehme Dame von zentraler Bedeutung in ihrem Leben. Vieles, was die Voraussetzungen dafür Drittens. Die Betroffenen werden von uns gehört. Des- schafft, dass sie so leben kann, wird durch Leistungen wegen sind auch die Eingaben, die es noch zum Fünften der Stiftung überhaupt erst ermöglicht. Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes ge- geben hat, mit eingeflossen, beispielsweise in der Formu- Die Contergangeneration nähert sich dem Erreichen lierung, dass nur vorsätzlich unvollständige Angaben des Rentenalters. Die altersbedingten Verschleißerschei- überhaupt zu Überprüfungsverfahren führen können. nungen und Krankheitsbilder kommen nun noch on top Ein Wort machte einen großen Unterschied. auf die vielfältigen thalidomidbedingten und sehr indivi- duellen Ausprägungen der lebenslangen Spät- und Folge- Lassen Sie mich zum Ende kommen. Frau Kollegin schäden. Das eigenständige und selbstbestimmte Leben Harder-Kühnel, wenn Sie die ersten Sekunden und die für die Betroffenen weiter zu ermöglichen, wird Anstren- letzten Sekunden Ihrer Rede genutzt hätten, hätte die gungen erfordern. AfD die Chance gehabt, das erste Mal einen sozialpoliti- (B) schen Beitrag von Gewicht in diesem Hause mitzugestal- (D) Der Bedarf an Assistenz, der Bedarf an Umbauten, der ten. Dass Sie diese Chance einmal mehr zulasten der Be- Bedarf an Pflege wird weiter wachsen. Staat und Gesell- troffenen, über die Sie gesprochen haben – ohne jeden schaft müssen sich vor dem Hintergrund der Ereignisse Respekt vor diesen Menschen –, haben vorbeiziehen las- von vor mittlerweile über 60 Jahren dieser Verantwortung sen, ist mehr als schade. Sie sollten sich vielleicht mal stellen. Es bleibt eine besondere Verpflichtung für uns überlegen, ob Sie nicht irgendwann an Respekt vor den alle, und es ist gut, dass wir uns dieser Verpflichtung in Mitmenschen, den Wählerinnen und Wählern, den Bür- diesem Hause heute nahezu einstimmig stellen. gerinnen und Bürger in diesem Land dazugewinnen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Sören Pellmann [DIE LINKE]: Das ist verlo- der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- rene Liebesmüh!) SES 90/DIE GRÜNEN) und dies nutzen, um hier ordnungsgemäß in der Sozial- Zugleich ist nachvollziehbar – und es verdient unsere politik mitzuwirken. Akzeptanz –, dass viele der Betroffenen die Aufarbeitung noch immer als eher mangelhaft und ausbaufähig emp- Vielen Dank, meine Damen und Herren. finden. Die Politik hat die Verpflichtung, die Folgen des (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Contergandesasters, die zu langsame Reaktion der da- SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN mals Verantwortlichen, die viel zu lange Suche nach und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schuldigen heute bestmöglich aufzufangen. Deswegen war es richtig, deswegen ist es richtig, dass der Staat die Conterganstiftung mit ins Leben gerufen hat und sich Vizepräsidentin Petra Pau: dauerhaft und immer noch engagiert an ihrer Finanzie- Das Wort hat der Abgeordnete Sören Pellmann für die rung beteiligt. Fraktion Die Linke. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sören Pellmann (DIE LINKE): Das fünfte Conterganstiftungsgesetz hat im Kern drei Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Botschaften: Zwei Anmerkungen, Frau Harder-Kühnel, habe ich zu Ihrer Rede. Erstens: Thema verfehlt! Und zweitens: Eine Erstens. Die Verantwortung der Gesellschaft und des Fraktion, die in einer ihrer ersten parlamentarischen Ini- Gesetzgebers bleibt hoch. Mit unterschiedlichen Akzen- tiativen Menschen mit Behinderungen das Lebensrecht 20800 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Sören Pellmann (A) abgesprochen hat, sollte zu diesem Thema lieber Vielen Dank. (C) schweigen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Frank Pasemann [AfD]: Das ist doch Unsinn, was Sie da erzäh- Vizepräsidentin Petra Pau: len! Aber Sie haben Ihren Parteiauftrag erfüllt!) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die 10. April 1970 war das Datum, an dem der Prozess mit Kollegin Corinna Rüffer das Wort. einem Vergleich endete. Knapp 50 Jahre danach erhielten 58 Betroffene in Brasilien Post – einige meiner Vorred- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nerinnen und Vorredner sind schon darauf eingegangen –, natürlich in deutscher Sprache formuliert, und sie sollten Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): angehört werden. Darin wurde den noch lebenden Ge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und schädigten der Widerruf der Anerkennungsbescheide Kollegen! „Endlich hat die Frau Rüffer das Wort; sie ist ja durch die Stiftung angekündigt. auch schon mehrfach angesprochen worden.“ – Ich will Ihnen ganz am Anfang sagen: Ich bin erschüttert – ich bin Die Conterganstiftung begründet ihr Vorgehen damit, eigentlich seit vielen Monaten erschüttert – über das, was dass Sedalis kein Präparat der Grünenthal GmbH sei, hier vorgefallen ist. Ich bin erschüttert über die Exegese, sondern ein Medikament – ich zitiere –, „welches durch die dazu geführt hat, dass wir hier heute stehen. einen Lizenznehmer in eigener Verantwortung hergestellt und vertrieben wurde“. Die Conterganstiftung sei nicht Vom Ergebnis her will ich Ihnen sagen: Wir werden für diese Entschädigungen zuständig, heißt es weiter. natürlich zustimmen. Wir werden deshalb zustimmen, Selbst Grünenthal sieht „keine Veranlassung“, an der bis- weil diese Änderung des Conterganstiftungsgesetzes herigen „Bewertung zu zweifeln“. den Menschen endlich Schutz gibt, dass ihnen im Nach- hinein die Leistungen nicht mehr entzogen werden kön- Es ist beschämend, dass die Conterganstiftung diesen nen. Es ist an sich schon ein Skandal ist, dass wir diesen Schritt geht und der Bundestag nun zum Handeln ge- Schutzwall ziehen müssen. zwungen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir stimmen auch deshalb zu, weil wir 2016 schon mal Es ist beschämend, dass Betroffenen ihre Lebensgrund- zugestimmt haben, als es darum ging, die Finanzierung lage entzogen werden soll. Vergegenwärtigen wir uns der medizinischen Kompetenzzentren aus Stiftungsmit- (B) doch mal die Situation von Menschen mit Behinderung (D) teln heraus zu ermöglichen. Uns hat der Bundesrech- in Brasilien, für die wir hier in einer ausdrücklichen Ver- nungshof dazu aufgefordert, dafür jetzt auch die gesetz- antwortung stehen. Kein Geld von der Conterganstif- liche Grundlage zu legen. Also, es gibt überhaupt keinen tung – was bedeutet das für die Betroffenen? Keine Be- Grund, dass wir uns hier beweihräuchern für das, was wir zahlung von Pflegeleistungen möglich, keine Bezahlung heute tun. von Medikamenten möglich, kein barrierefreies Wohnen möglich; aufgrund des brasilianischen Systems weitere Aber der eigentliche Grund – und das ist wichtig –, gesellschaftliche Stigmatisierung und Isolation. Was wol- warum wir hier heute stehen, ist ein Skandal, der im len wir diesen Menschen eigentlich noch antun? letzten Dezember vom „Spiegel“ und anderen aufgedeckt worden ist. Der Skandal besteht darin, liebe Kolleginnen Umso erfreulicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist und Kollegen, dass die Conterganstiftung im Oktober des das Handeln der demokratischen Fraktionen hier im Ho- Jahres 2019 gegenüber 60 Geschädigten, vor allen Din- hen Hause. In offenen Gesprächen zur Lösung dieses gen aus Brasilien, Mexiko, aber auch Finnland, ein Anhö- Vorgangs durch das Ministerium und unter den Fraktio- rungsverfahren eingeleitet hat und ihnen mitgeteilt hat: nen über Regierungsgrenzen hinweg suchen wir nach Wir entziehen Ihnen nach 40 Jahren – nach 40 Jahren! – einer gemeinsamen Lösung. Das wünschte ich mir gerade die Conterganrente. Wir entziehen Ihnen gerade mal die in diesen Themenfeldern öfter und häufiger. Existenz. Jetzt fragen Sie sich: Auf welcher Grundlage ist (Beifall bei der LINKEN) dieses Anhörungsverfahren eingeleitet worden? Man würde sich denken: Die haben das in der Stiftung doch Die Conterganstiftung beweist mit diesem Handeln – bestimmt gut geprüft, bevor sie die Leute, die Portugie- diese Kritik muss ich an dieser Stelle loswerden –, dass sisch sprechen, auf Deutsch angeschrieben haben. die Überarbeitung der Stiftungsstrukturen und die Stär- kung der Rechte der contergangeschädigten Menschen Jetzt muss man sagen: Die Stiftung hat keinen Kontakt sowie ihrer Vertreterinnen und Vertreter in den Stiftungs- zur Firma Grünenthal aufgenommen, und die Stiftung hat organen längst überfällig sind und dass hier noch nach- über lange Zeit den Kontakt zur Firma Grünenthal ver- zuarbeiten sein wird. Die Strukturänderungen wurden weigert, um hier zu einer Klärung zu kommen. Des Wei- seitens der Bundesregierung schon sehr lange verspro- teren hat sich die Stiftung nicht mal den Lizenzvertrag chen, aber bisher leider nicht umgesetzt. Die Frage ist: angeschaut, der öffentlich zugänglich gewesen ist. Die- Warum? Der Prozess lässt bereits sehr lange auf sich sen Lizenzvertrag hat sie sich erst angeschaut, nachdem warten. Lassen Sie ihn uns endlich gemeinsam und kon- wir eine schriftliche Frage zu diesem Thema gestellt ha- struktiv zu Ende bringen; denn dieser Vorgang beweist ben. Das Ganze ist also ohne Prüfung geschehen. Bis genau diese Notwendigkeit. heute ist nicht ersichtlich, ob, in welcher Weise und auf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20801

Corinna Rüffer (A) welcher Grundlage eine Prüfung vorgenommen wurde. Wilfried Oellers (CDU/CSU): (C) Ohne Prüfung sind die Menschen einfach mit dem Entzug Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten ihrer Existenzgrundlage bedroht worden. Das ist der Damen und Herren! „Ruhe und Schlaf zu fördern vermag Skandal, über den wir heute reden. Contergan. Dieses gefahrlose Medikament belastet den Leber-Stoffwechsel nicht, beeinflußt weder den Blut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN druck noch den Kreislauf und wird auch von empfind- und bei der LINKEN) lichen Patienten gut vertragen.“ Dieses Zitat stellt einen Ich bin seit 2013 Berichterstatterin in diesem Parla- Auszug aus dem Werbetext dar, mit dem Ende der 50er- ment für das Thema Contergan. Einen herzlichen Dank Jahre die Chemie Grünenthal GmbH aus Stolberg – in an die Berichterstatterinnen und Berichterstatter der an- meinem Nachbarwahlkreis – für das vermeintliche Wun- deren Fraktionen! Sie sind hier nämlich wahrlich nicht dermittel Contergan warb. das Problem. Aber ich kann Ihnen sagen, dass in dieser Das verhängnisvolle Ergebnis: 4 000 Kinder kamen Stiftung ganz viel im Argen liegt und dass das Bundes- um das Jahr 1960 allein in Deutschland mit Fehlbildun- familienministerium aus unserer Sicht in diesem Fall sei- gen auf die Welt; weltweit waren es an die 10 000. Heute, ne Rechtsaufsicht nicht wahrgenommen hat, seiner Auf- bald 60 Jahre nach Aufdeckung des Skandals, leben in gabe nicht gerecht geworden ist. Deutschland noch etwas mehr als 2 000 von ihnen. Vor Was wir heute tun, ist notwendig. Aber was wir ab Kurzem habe ich mit einem Betroffenen telefoniert, der morgen tun müssen, ist, diesen Skandal aufzudecken. seit vielen Jahren den Finger in die Wunde legt, wenn es Wir müssen endlich an die Stiftungsstruktur herangehen, um die Rechte von Contergangeschädigten geht. Seinen an den Kern des Problems, weil, glaube ich, keiner von besonderen Unmut äußerte er über die schon seit einigen uns Lust hat, in wenigen Monaten, Jahren oder wann auch Monaten laufende Debatte – die Thematik wurde hier ja immer wieder hier zu stehen und irgendwelche Skandale sehr umfangreich angesprochen – über den Anerken- aufzudecken. Wir brauchen eine Stiftung, vor der auch nungsstatus von Betroffenen in Brasilien, hervorgerufen die deutschen Contergangeschädigten keine Angst haben durch die rechtlich strittige Frage, ob das Präparat, das müssen. ihre Mütter während der Schwangerschaft eingenommen hatten, nun der Firma Grünenthal zuzuschreiben sei oder (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nicht. SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ich bin sehr froh, dass die Gespräche und Verhandlun- gen zwischen allen Beteiligten in den Gesetzentwurf ge- Vizepräsidentin Petra Pau: mündet sind, den wir als Regierungskoalition heute vor- (B) Kollegin Rüffer. legen, auch wenn es schade ist, dass es dazu kommen (D) musste. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass eine Aberken- Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nung von Leistungsansprüchen grundsätzlich nicht mehr Wir brauchen eine Stiftung, bei der diese Menschen im erfolgen kann. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn durch Mittelpunkt stehen, eine Stiftung, die transparente, demo- die leistungsberechtigten Personen vorsätzlich unrichtige kratische Strukturen hat, Strukturen, die wir nachvollzie- oder vorsätzlich unvollständige Angaben gemacht wur- hen können. Wir brauchen ein Bundesfamilienministe- den. Das ist eine gute Lösung, die weltweit allen Betrof- rium, das seine Aufgaben ernst nimmt. fenen unbürokratisch und schnell zu mehr Rechtssicher- heit verhelfen und ihnen die Verunsicherung der letzten Monate nehmen wird. Man darf nämlich bei alledem Vizepräsidentin Petra Pau: nicht vergessen, wie schwer das tägliche Leben der con- Kollegin Rüffer, Sie müssen bitte zum Schluss kom- tergangeschädigten Menschen ohnehin schon ist und bei men. der langsam ins Seniorenalter kommenden Generation mit all den Folgeschäden zunehmend wird. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daher freue ich mich auch sehr, dass wir mit dem Jetzt komme ich zum Ende. – Wir haben unter den Gesetzentwurf die finanzielle Förderung von medizin- Berichterstatterinnen und Berichterstattern vereinbart, ischen Kompetenzzentren durch die Zuwendung nun dass wir dementsprechend noch in dieser Legislaturpe- mit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im riode aktiv werden. Und ich werde nicht ruhen, bis etwas Conterganstiftungsgesetz auf eine sichere Basis stellen. geschieht, weil ich keine Lust habe, immer und immer Damit schaffen wir nicht nur kurzfristig eine Handlungs- wieder diese Debatten zu führen. grundlage, um das Förderverfahren für die Kompetenz- zentren noch im Haushaltsjahr 2020 beginnen zu können, Danke. wir schaffen vor allen Dingen mittel- und langfristig auch (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- eine Basis, um medizinisches Expertenwissen zugunsten SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) der Betroffenen weiterzuentwickeln und zu vernetzen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Geschich- Vizepräsidentin Petra Pau: te der Conterganstiftung dokumentiert wie unter einem Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Brennglas auch den Weg, den wir in der Behinderten- Wilfried Oellers das Wort. politik in Deutschland – von der Fürsorge hin zur Teil- habe von Menschen mit Behinderungen – in den letzten (Beifall bei der CDU/CSU) Jahrzehnten, beschleunigt vom hiesigen Inkrafttreten der 20802 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Wilfried Oellers (A) UN-Behindertenrechtskonventionen vor gut zehn Jahren, ZP 22 Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) gegangen sind. 1972 gegründet unter dem Namen „Stif- Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios tung ‚Hilfswerk für behinderte Kinderʼ“, steht die heutige Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- „Conterganstiftung für behinderte Menschen“ mit all ih- tion der FDP ren Leistungen mehr denn je für das Ziel, die Teilhabe und Selbstbestimmung Conterganbetroffener zu fördern. Bunter Wasserstoff für eine nachhaltige Wirt- schaft auf dem Weg in eine klimaneutrale Zu- Als Behindertenbeauftragter stehe ich immer wieder kunft vor der Frage, wie die Teilhabe von Menschen mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen verbessert werden Drucksache 19/20021 kann. Dabei möchte ich nicht ausschließen, dass es viel- Überweisungsvorschlag: leicht die einen oder anderen Menschen mit Behinderun- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) gen gibt, die sich ein ähnlich umfangreiches Leistungs- Federführung strittig system wünschen würden wie das für die Contergangeschädigten. Doch bei allen Vergleichen dür- ZP 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten fen wir nie vergessen, was am Anfang stand: einer der Dr. Ingrid Nestle, Dr. Julia Verlinden, Annalena größten Arzneimittelskandale der Bundesrepublik Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Frak- Deutschland, der uns als Staat ganz besonders in die Ver- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN antwortung nimmt, gute Voraussetzungen für die gesell- Grüne Wasserstoffstrategie – Erneuerbare schaftliche Teilhabe der Contergangeschädigten auch in Energien als Grundstoff der Energiewende Zukunft zu gewährleisten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Drucksache 19/18733 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) der SPD) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- schlossen. – Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen Ich schließe die Aussprache. zügig vorzunehmen. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Michael Theurer für die FDP-Fraktion. (B) wurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes. Der (D) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Beifall bei der FDP) empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20142, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ Michael Theurer (FDP): CSU und SPD auf Drucksache 19/19498 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wasserstoff in großen Mengen und zu wirtschaftlichen Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- Preisen ist der einzige Weg, um Klimaschutz und die ter Beratung einstimmig angenommen. Sicherung des Industriestandortes zu verbinden. Regene- rativ hergestellter Wasserstoff ist die Grundlage für syn- Dritte Beratung thetische Kraftstoffe, für E-Fuels – also klimaneutralen Diesel, klimaneutrales Benzin, klimaneutrales Kerosin –, und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem mit denen wir die ausgereifte Verbrennungstechnologie Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – auch in Zukunft klimaneutral nutzen können. Das sichert Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Millionen von Arbeitsplätzen in der Luftfahrt, in der Au- entwurf ist einstimmig angenommen. tomobil- und in der Zuliefererindustrie. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Beifall bei Abgeordneten der FDP) SPD und der LINKEN) Deshalb ist es dringend erforderlich, dass wir endlich Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 sowie die Zusatz- vorankommen mit einer Wasserstoffstrategie, die diesen punkte 22 und 23 auf: Namen verdient. 31 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Ich habe an dieser Stelle bereits im November des ver- Theurer, Reinhard Houben, Dr. Marcel Klinge, gangenen Jahres eine europäische Wasserstoffstrategie weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP gefordert; denn wir brauchen in großen Mengen klima- Für eine Europäische Wasserstoffunion neutral hergestellten Wasserstoff. Wir verstehen über- haupt nicht, dass es so lange gebraucht hat, bis die Bun- Drucksache 19/20020 desregierung, bis dieses Haus sich dazu durchgerungen Überweisungsvorschlag: hat, Druck zu machen, nicht nur für eine nationale Was- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) serstoffstrategie, sondern eben auch für europäische An- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sätze. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20803

Michael Theurer (A) So wie wir die Europäische Gemeinschaft für Kohle brauchen dringend einen ökologischen Ordnungsrahmen (C) und Stahl nach dem Zweiten Weltkrieg als Nukleus für der sozialen Marktwirtschaft. Die Diskriminierung des die europäische Integration genutzt haben, können wir Wasserstoffs muss beendet werden, meine Damen und jetzt ideale Standorte für die Sonnen- und Windenergie Herren. Und ja, wir plädieren für die Ausweitung des nutzen, um Wasserstoff klimaneutral herzustellen, den europäischen Emissionshandelssystems auf die Sektoren wir dringend brauchen zur Dekarbonisierung der Stahl- Verkehr und Wärme, und wir plädieren dafür, dass dieser industrie, zur Dekarbonisierung unserer Industrieprozes- marktwirtschaftliche Ordnungsrahmen auch ausgedehnt se, vor allen Dingen aber auch für Mobilitätsanwendun- wird, zum Beispiel auf Länder wie Nordafrika oder an- gen. Wenn bei einer Ausschreibung etwa in Portugal für dere Länder der Welt. Denn es ist völlig egal, wo klima- 1,4 Eurocent die Kilowattstunde Photovoltaikstrom ent- neutraler Wasserstoff hergestellt wird, Hauptsache, das steht, dann ist das Ganze auch wirtschaftlich. Vor diesem Klima wird geschützt, und Hauptsache, der Wasserstoff Hintergrund freuen wir uns auch, dass anfängliche Skep- wird zu wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Preisen her- sis – etwa bei der Fraktion der Grünen, die sich hier noch gestellt. im November skeptisch geäußert hat – (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Thomas Oppermann: NEN]: Was? Was?) Das war jetzt ein gutes Schlusswort, Herr Kollege. heute ausgeräumt zu sein scheint. Sie sind da in unsere Michael Theurer (FDP): Richtung gegangen. Das freut uns. Wir werten das auch als Erfolg unserer Überzeugungsarbeit, meine Damen Dann können Klimaschutz und Arbeitsplätze verbun- und Herren. den werden. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) Wenn die Europäische Kommission in der nächsten (Beifall bei der FDP) Woche Eckpunkte für eine europäische Wasserstoffstra- tegie vorlegt, dann werten wir auch das als einen Erfolg Vizepräsident Thomas Oppermann: der Bemühungen, die die Liberalen auch im Europä- Ich mache darauf aufmerksam, dass ich jetzt ange- ischen Parlament vorgenommen haben. Wir glauben, sichts der fortgeschrittenen Zeit auf die strikte Einhaltung dass die Wasserstoffstrategie dringend erforderlich ist, der Redezeit achten werde. und wir fordern an dieser Stelle auch eine entsprechende Betonung der Wasserstoffbrennstoffzellentechnik. Wir Nächster Redner ist Mark Helfrich für die Fraktion der CDU/CSU. (B) müssen aufpassen, dass die Technologie der Brennstoff- (D) zelle, die in Deutschland, die in Europa erfunden worden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ist, nicht in andere Länder dieser Welt abwandert. der SPD) (Beifall des Abg. Dr. Martin Neumann [FDP]) Mark Helfrich (CDU/CSU): Wir müssen dafür sorgen, dass eben nicht Länder wie Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- China, wie Japan, wie Südkorea uns Europäern, uns ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wasserstoff wird Deutschen hier den Rang ablaufen, meine Damen und gerade zum Allzweckenergieträger der Zukunft oder, sa- Herren. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass not- lopp gesagt, zur eierlegenden Wollmilchsau der Energie- wendige Schritte für die Umsetzung der Brennstoffzel- wende. lentechnologie in Deutschland, in Europa gemacht wer- den. In der Tat ist Wasserstoff vielseitig verwendbar: Er kann bisherige Brennstoffe wie Öl, Koks oder Erdgas in (Beifall bei der FDP) der Industrie ersetzen und ist zudem ein universeller Dazu gehören für uns die Abschaffung der Diskrimi- Grundstoff für die chemische Industrie. Im Bereich der nierung des Wasserstoffs und der synthetischen Kraft- Mobilität sind Wasserstoff und daraus hergestellte syn- stoffe etwa bei der Flottengrenzwertgesetzgebung der thetische Kraftstoffe der Treibstoff der Zukunft. Egal ob EU. Es ist doch nicht einzusehen, dass beim jetzigen in Flugzeugen, Schiffen, Zügen, Bussen oder Lkws: Strommix Batterie/Elektromobilitäts-Autos mit null Kli- Überall, wo Batterieantriebe nicht praktikabel sind, sind maeffekt angesetzt werden, obwohl das gar nicht stimmt, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe flexibel einsetz- gleichzeitig aber synthetische Kraftstoffe nicht berück- bar. Auch im Wärmesektor, zum Transport von erneuer- sichtigt werden. barer Energie oder als Energiespeicher, ist Wasserstoff geeignet. Wird er zudem mithilfe von Power to Gas aus (Beifall bei der FDP) Sonnen- oder Windenergie erzeugt, ist Wasserstoff auch ein Klimaschützer. Für mich ist die Power-to-Gas-Tech- Diese Diskriminierung der Wasserstofftechnologie muss nologie neben der Photovoltaik und der Windkraft die beendet werden. dritte Säule der globalen Energiewende. Auch die Sektorkopplung muss verbessert und endlich zugelassen werden, die Hemmnisse für die Herstellung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und von Wasserstoff aus Überschussstrom, etwa aus Wind der SPD) und Photovoltaik, müssen dringend beseitigt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, nun zu Ihrer Dass dafür EEG-Umlage anfällt, versteht niemand. Wir Wasserstofffarbenlehre. Nach Weißem, Grünem, Grau- 20804 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Mark Helfrich (A) em, Blauem und Türkisem gibt es jetzt also auch Bunten (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (C) Wasserstoff. Fehlt eigentlich nur noch der Gelbe Wasser- stoff. Bei der Wasserstoffverwendung gilt für mich: Eine Einschränkung auf bestimmte Sektoren würde kurzfristig (Beifall der Abg. Judith Skudelny [FDP]) erschließbare Absatzmärkte und CO2-Senkungspotenzia- Dieser könnte wahlweise für Wasserstoff aus Atomstrom le ausblenden und so den Hochlauf der Elektrolyseleis- stehen oder alternativ auch für Knallgas. tung bremsen. Unser Ziel ist es, Deutschland internatio- nal zu einem Vorreiter bei Grünem Wasserstoff zu (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der machen und die Nummer eins bei Wasserstofftechnolo- CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des gien in der Welt zu werden. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Okay, das war jetzt nicht wirklich nett. Ich nehme das auch mit dem Ausdruck des Bedauerns sofort wieder Eines ist aber auch klar: Die anvisierten 10 Gigawatt zurück. Erzeugungsleistung werden nicht ausreichen. Sie sind mit Blick auf eine vollendete Energiewende nicht mehr (Michael Theurer [FDP]: Das war unseriös!) als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Aber was will ich damit sagen? Wer in Deutschland 2020 die Diskussion über Bunten Wasserstoff anzettelt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und erweist dem Thema Wasserstoff einen Bärendienst. Wer- der SPD) den andere Länder Blauen Wasserstoff vorantreiben? Mit Die Produktion von Wasserstoff benötigt viel erneuerbare Sicherheit. Ist das Thema „unterirdische CO -Speiche- 2 Energie, die wir in Deutschland nicht werden erzeugen rung“ in Deutschland tot? Mit Sicherheit. können, die aber auf diesem Planeten durchaus vorhan- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des den ist. Vor allem die Länder Nordafrikas sind geeignete Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]) Produktionsstandorte für Grünen Wasserstoff, da dort die Sonne nahezu unbegrenzt scheint. Für die dafür notwen- Wäre das bei CO2-freier Methanpyrolyse bzw. Türkisem digen internationalen Energiepartnerschaften sind zusätz- Wasserstoff anders? Mit Sicherheit. Sie, liebe Kollegin- liche 2 Milliarden Euro im Konjunkturprogramm vorge- nen und Kollegen der FDP, sind gerade dabei, das Kind sehen. mit dem Bade auszuschütten. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie fordern (Reinhard Houben [FDP]: Das ist ein rhetori- in Ihrem Antrag eine europäische Wasserstoffunion. Und scher Klassiker! – Michael Theurer [FDP]: Das (B) in der Tat: Das Vorbild der Montanunion für eine Wasser- (D) Kind mit dem Wasserstoff, meinten Sie!) stoffunion hat durchaus Charme. Deshalb hat zu Beginn Meine Damen und Herren, Wasserstoff steht nur mar- dieser Woche Deutschland zusammen mit den Penta- ginal als natürlicher Rohstoff zur Verfügung. Deshalb Staaten die EU-Kommission dazu aufgefordert, eine muss er zuerst hergestellt werden. Die Wasserstoffstrate- Strategie für den Ausbau klimafreundlicher Wasserstoff- gie der Bundesregierung wird deshalb sowohl den techni- energie vorzulegen. Neben Deutschland fordern Öster- schen Ausbau von Elektrolyseuren fördern als auch die reich, Benelux, Frankreich sowie die Schweiz ein ge- Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein Markt für Was- meinsames Vorgehen beim Thema Wasserstoff. Sie serstoff entsteht. sehen also: Die Bundesregierung ist Ihnen schon einen Schritt voraus. So wollen wir bis 2030 in einem ersten Schritt Erzeu- gungsanlagen für Grünen Wasserstoff mit bis zu 5 Giga- (Michael Theurer [FDP]: Sie ist uns gefolgt, watt Gesamtleistung fördern. Spätestens bis 2040 soll Herr Kollege!) sich die Erzeugungsleistung auf 10 Gigawatt verdoppeln. Deshalb stellen wir für den Technologiehochlauf 7 Mil- – Das ist immer eine Frage des Betrachtungswinkels. liarden Euro bereit. Sehr geehrte Damen und Herren, Wasserstoff besitzt (Beifall bei Abgeordneten SPD und des Abg. das Potenzial, die globale Energiewende auf die Erfolgs- Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]) spur zu bringen. Ohne Wasserstoff wird es keinen klima- Damit kann Grüner Wasserstoff so schnell wie möglich in neutralen Kontinent Europa geben. industriellem Maßstab in Deutschland produziert werden. (Michael Theurer [FDP]: Sehr richtig!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sich erneuer- barer Wasserstoff am Markt durchsetzen kann, brauchen Herzlichen Dank. wir ihn zu wettbewerbsfähigen Preisen. Hierbei ist die EEG-Umlage ein wichtiger und im Übrigen auch sym- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) bolischer Hebel für die Produktion in Deutschland. Die angekündigte Prüfung einer Befreiung des für die Was- Vizepräsident Thomas Oppermann: serstofferzeugung benötigten Stroms von der EEG-Um- Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der lage ist ein erster Schritt. Wenn wir es aber ernst meinen Kollege Steffen Kotré für die Fraktion der AfD. mit dem Thema, dann müssen wir die Befreiung noch in diesem Jahr in der großen EEG-Novelle verankern. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20805

(A) Steffen Kotré (AfD): teren Ausbau der erneuerbaren Energien. Das bedeutet (C) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was- gleichzeitig eine weitere Umweltzerstörung und die Sen- serstoff soll nun der neue Heilsbringer sein. Aber ich kung unserer Lebensqualität. glaube, ich muss Sie an dieser Stelle noch mal ganz kurz aus dem Wolkenkuckucksheim herunter auf die Erde zie- (Timon Gremmels [SPD]: Sie senken meine hen. Lebensqualität! Gewaltig!) (Timon Gremmels [SPD]: Lieber Wasserstoff Ein trauriges Beispiel an dieser Stelle ist der Rein- als Heilsbringer als Sie als Unglücksbringer!) hardswald in Hessen, der Märchenwald der Gebrüder Grimm, ein malerischer ursprünglicher Rückzugsort für Die Wasserstofftechnologie ist 180 Jahre alt, und nie- Menschen und Tiere. Jahrhundertealte Bäume sollen nun mand ist bis vor Kurzem auf die Idee gekommen, im abgeholzt werden für Windenergieanlagen. Wasserstoff den Heiligen Gral unserer Energieversor- gung zu sehen. Warum nicht? Weil wir Gas, Kohle, Öl (Timon Gremmels [SPD]: Quatsch! Lüge!) und selbstverständlich Kernenergie haben – und damit Windenergieanlagen werden, wenn das so umgesetzt einen gesunden Energiemix. wird, diesen Urwald leider in eine Industrielandschaft (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder verwandeln. [SPD]: Hallo? Von welchem gestrigen Planeten kommen Sie denn? – Weitere Zurufe von der (Timon Gremmels [SPD]: Falsch! – Klaus SPD: Oh!) Mindrup [SPD]: Falsch! Märchen!) Aber die Energiewendeideologen sehen ihr Experi- Im Hambacher Forst sind die Leute auf die Bäume ge- ment gescheitert. Die sogenannte Energiewende fährt ge- klettert. Das links-grüne Lager hat sich für den Erhalt rade an die Wand – physikalisch, weil wir viele Strom- eines unbedeutenden Stücks Wald eingesetzt. Die glei- ausfälle bekommen, und ökonomisch mit der chen Leute verantworten bzw. sympathisieren jetzt damit, Ausplünderung nicht mehr nur der Stromkunden, son- dass unsere letzten noch verbliebenen Urwälder vernich- dern in Zukunft bald auch der Steuerzahler. tet werden sollen. Das ist eine Zerstörung von Heimat, meine Damen und Herren. (Timon Gremmels [SPD]: Haben Sie auch mal eine andere Platte?) (Beifall bei der AfD) Anstatt an dieser Stelle umzukehren, schlittern wir also Das ist der Beginn von Dystopien und Huxleys schöner weiter in den Sumpf der verschwendeten Subvention hi- neuen Welt. Das ist schlicht ein Verbrechen an Natur, (B) nein. Nach den schädlichen Coronamaßnahmen können Umwelt und den Menschen, meine Damen und Herren. (D) wir uns das gar nicht mehr leisten. Und wenn wir weitergehen ins Reich der Schnapsideen, dann ist klar: Auch der Wasserstoff aus Nordafrika ist (Timon Gremmels [SPD]: Wir können uns Sie eine solche. nicht mehr leisten!) Es ist eigentlich kein Geld mehr da für weitere Experi- (Timon Gremmels [SPD]: Mit Schnapsideen mente. kennt ihr euch aus!) (Beifall bei der AfD – Lorenz Gösta Beutin Wir geben unsere Energieversorgung in ausländische [DIE LINKE]: Aber für deutsche Braunkohle!) Hände. Wir machen uns abhängig von ausländischen Machthabern. Welch ein Irrsinn, meine Damen und Her- Der Knackpunkt ist der Wirkungsgrad. Gegenüber den ren! wettbewerbsfähigen Energien haben wir beim Wasser- stoff, beim industriell hergestellten Wasserstoff, eine Ver- (Andreas Steier [CDU/CSU]: Quatsch!) nichtung des Nutzungsgrads von 75 Prozent. Oder Wasserstoff in der Stahlindustrie: Schon heute ist (Timon Gremmels [SPD]: Ihr Wirkungsgrad ist Deutschland in diesem Sektor kaum wettbewerbsfähig. unterirdisch!) Da kommt nun die Bundesregierung daher und will Stahl- Wir müssen also viermal mehr Energie hineinstecken, als produzenten die Kohle wegnehmen, wir herausbekommen und tatsächlich nutzen können. (René Röspel [SPD]: Eine kleine Reise nach Wasserstofftechnologie kann ein Nischenprodukt sein, Duisburg täte Ihnen gut!) jawohl, aber eben auch nur das. um die Nutzung von Wasserstoff in diesem Bereich zu (Beifall bei der AfD) animieren. Der teure Wasserstoffstahl hat auf dem Welt- Wenn ich hier das Stichwort „europäische Strategie“ markt keine Chance. Die Asiaten würden uns mit ihren höre: Na ja, auf europäischer Ebene haben ja nicht mal Produkten überschwemmen. Das würden wir mit unse- die Coronamaßnahmen geklappt. Der Euro klappt nicht, rem Wohlstand und dem Wegfall unserer Arbeitsplätze und auch die restliche Zusammenarbeit klappt nicht, mei- bezahlen müssen. ne Damen und Herren. Warum soll es an der Stelle dann funktionieren? Nein, lassen wir diesen Wahnsinn der Energiewende! Lassen Sie uns zurückkehren zu einem vernünftigen Die zentralplanerische Fehlinvestition in Wasserstoff Strompreis! Wir könnten den Strompreis halbieren! Ja- bedeutet leider gleichzeitig auch den zerstörerischen wei- wohl, wir könnten ihn halbieren, – 20806 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Steffen Kotré (A) (Timon Gremmels [SPD]: Wir können Sie Damit möchte ich Ihre Beiträge aber auch gar nicht (C) halbieren!) sachlich herabwürdigen, im Gegenteil: Ich sehe zahlrei- che richtige Ansätze. Gut, dass wir diese Diskussion im Vizepräsident Thomas Oppermann: Ausschuss fortführen. Sie müssen zum Schluss kommen. Aber – das muss ich auch sagen – für viele Ihrer Forde- rungen sind in der NWS, der Nationalen Wasserstoffstra- Steffen Kotré (AfD): tegie, und im Konjunkturpaket bereits eindeutige Wei- – wenn wir diese ganzen Experimente jetzt lassen. chenstellungen vorgenommen worden. Schluss mit dem Wahn der Energiewende! Schützen wir (Beifall bei der SPD – Michael Theurer [FDP]: unsere Heimat! Das sind alles nur Ankündigungen!) Vielen Dank. Das gilt zum Beispiel für den Aufbau von Heimatmarkt und Infrastruktur (Beifall bei der AfD) (Michael Theurer [FDP]: Ankündigungen Vizepräsident Thomas Oppermann: bisher!) Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der und für die Perspektive einer europäischen Wasserstoff- SPD der Kollege Andreas Rimkus. union, auch wenn diese in der NWS zugegebenermaßen ganz anders heißt, nämlich „europäische Wasserstoffge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sellschaft“. Das gilt ebenso für den Aufbau internationa- der CDU/CSU) ler Energiepartnerschaften oder etwa für die Frage einer ambitionierten Umsetzung der Renewable Energy Direc- Andreas Rimkus (SPD): tive II. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor- Aber natürlich gibt es im Detail auch Unterschiede, ab: Die vorliegenden Anträge von FDP und Grünen erfül- keine Frage. Die FDP etwa verbittet sich die Diskrimi- len mich, nur durch gelegentliches Stirnrunzeln nierung von Blauem und Türkisem Wasserstoff. Dabei unterbrochen, größtenteils wahrlich mit Frohsinn und spricht doch niemand vom Verbot für diese Farben. Viel- Heiterkeit. mehr wollen wir den Grünen Wasserstoff gezielt fördern, um ihn möglichst schnell konkurrenzfähig zu machen, (Andreas Bleck [AfD]: Das sieht man Ihnen weil er das größte Potenzial für Wertschöpfung und Kli- (B) aber nicht an!) maschutz bietet. (D) Wie Sie wissen, engagiere ich mich seit Langem für (Michael Theurer [FDP]: Sprechen Sie doch Sektorkopplung und Wasserstoffwirtschaft, und ich freue von klimaneutralem Wasserstoff!) mich deshalb, dass wir uns offensichtlich mittlerweile alle – zumindest die Ernstzunehmenden – einig sind, dass Die Grünen hingegen fordern für Produktion und Ein- der Wasserstoff der Missing Link ist, der die Energie- satz von Wasserstoff strengere Bedingungen und erheb- wende zu einem integralen Bestandteil unseres Energie- liche Verbesserungen beim Ausbau der erneuerbaren systems macht. Energien. Das ist eine gute Nachricht: Haben wir doch gerade heute und hier beschlossen. Insofern bin ich froh, Wer mich kennt, weiß, dass ich keine konstruktive dass wir zwischen diesen beiden Positionen stehen, wenn Debatte scheue, sondern in höchstem Maße schätze – auch ein bisschen weiter links. Da fühle ich mich richtig ob im Ausschuss, auf Podien oder im Parlamentskreis gut zu Hause; denn die wahre Farbe des Wasserstoffs ist Sektorkopplung, in dem ja auch zwei der heutigen An- nicht bunt, nicht grün, sondern rot; denn sie schafft Ar- tragsteller vertreten sind, sehr geehrte Frau Dr. Nestle und beitsplätze. lieber Herr Professor Dr. Neumann. Sie beide verzeihen mir trotz allem – oder vielleicht gerade deshalb – hoffent- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas lich den kleinen Seitenhieb: Es tut mir leid, dass die Steier [CDU/CSU]) Bundesregierung Ihren Anträgen mit der Vorlage der Wasserstoffstrategie und des Konjunkturprogramms nun Vizepräsident Thomas Oppermann: doch leider etwas zuvorgekommen ist. Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Die Linke der Kollege Lorenz Gösta Beutin. Abg. Andreas Steier [CDU/CSU]) (Beifall bei der LINKEN – Reinhard Houben Das ist ja nun ein Riesenschritt. Wer hätte gedacht, dass [FDP]: Der ist auch für roten Wasserstoff! – wir das tatsächlich schaffen. Mark Helfrich [CDU/CSU]: Dunkelrot!) (Dr. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): NEN]: Unfassbar schnell waren Sie mit der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt Strategie! Das muss man sagen!) haben wir schon wieder etwas gelernt: Stichwort „roter – Unfassbar, in der Tat! Wasserstoff“. Das Erstaunliche dabei ist: Von einer sehr bunten Wasserstoffwelt träumt ja nun auch die FDP in (Heiterkeit des Abg. Michael Theurer [FDP]) ihrem Antrag. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20807

Lorenz Gösta Beutin (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir gegen Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) braune Hetze eintreten, dann sind wir uns einig: Da brau- Vielen Dank. – Zum letzten Tagesordnungspunkt – chen wir die bunte Vielfalt. Aber uneinig sind wir uns Brennstoffemissionshandelsgesetz und Batteriegesetz – dann doch beim Wasserstoff. Hier hilft die bunte Vielfalt haben schon mehrere Redner ihre Rede zu Protokoll ge- nicht weiter. geben. Die, die es noch nicht getan haben, möchte ich ermuntern, das ebenfalls zu tun. (Timon Gremmels [SPD]: Brauner Wasserstoff ist heiße Luft!) Wir fahren in der Debatte fort. Nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid Nestle für die Fraktion Bündnis 90/Die Das will ich einmal kurz erklären. Grünen. Eine falsche Vorstellung begegnet mir immer wieder, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zum Beispiel bei Facebook oder in Diskussionen im pri- vaten Leben. Menschen denken: Man nimmt das Wasser, Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): packt das Wasser in den Tank, dann fährt das Auto los und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und das ist dann irgendwie alles besser als eine Batterie. – Kollegen! Ich freue mich über die Anträge der FDP. Man muss tatsächlich noch einmal über die eine oder andere Sache nachdenken, beispielsweise darüber, dass (Reinhard Houben [FDP]: Das kann ich gut wir in Deutschland die Situation haben, dass über 90 Pro- verstehen!) zent des Wasserstoffs eben mithilfe von Erdgas herge- Denn da steht viel Richtiges drin. Wir teilen Ihre Ziele. stellt wird. Bei der Verbrennung von Erdgas werden CO2 und Methan freigesetzt. Deshalb: Natürlich brau- (Beifall des Abg. Dr. Martin Neumann [FDP]) chen wir Wasserstoff in der Energiewende. Aber – da Allein, die Umsetzung wird so noch nicht funktionieren. hat die Bundesregierung im letzten halben Jahr dazuge- lernt, auch dank des beständigen Drucks aus dem Bun- (Michael Theurer [FDP]: Aber Sie haben Ihre desumweltministerium – das Zentrale ist der Grüne Was- Position schon verändert!) serstoff, der Wasserstoff, der aus erneuerbaren Energien Das fängt damit an, dass Sie die Methanpyrolyse falsch gewonnen wird. Nur dieser ist in der Energiewende nach- beschreiben. Nein, ein Hauptprodukt ist eben nicht CO2; haltig. das ist doch gerade der Clou daran. Es geht damit weiter, (Beifall bei der LINKEN) dass Sie behaupten, Blauer Wasserstoff sei CO2-neutral. Nein, das ist er eben nicht. Einig sind sich die Bundesregierung und die FDP, dass Aber noch weitaus problematischer ist Ihre Annahme, (B) man auch auf Wasserstoffimporte setzen will. Nun wer- (D) dass Wasserstoff in schier unbegrenzter Menge ganz kos- den wir auf lange Sicht um Wasserstoffimporte sicher tenlos zur Verfügung stehen wird – irgendwoher, aber nicht herumkommen. Aber kurzfristig gilt – das muss keiner weiß, woher. man doch sagen –: Es ist der falsche Weg, wenn man Wasserstoff aus Staaten importieren will, die die Energie- (Michael Theurer [FDP]: Rifkin! Aber Rifkin wende selbst nicht auf die Reihe kriegen, aus Staaten, die beschreibt es doch!) im Netz einen Ökostromanteil von weniger als 10 Prozent haben. Denn dann verlagert man das Problem. Dann reizt Nein, auch das stimmt nicht. Wasserstoff wird wertvoll man diese Staaten dazu an, im eigenen Land weiter ihre bleiben. Eine Wasserstoffstrategie muss sich darauf ein- Kohle und ihre Atomkraft zu nutzen und den guten, den stellen. Grünen Wasserstoff nach Deutschland zu exportieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das wäre der vollkommen falsche Weg. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel aus Ihrem Antrag (Beifall bei der LINKEN) nennen. Sie meinen, durch den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen könnten Verbrennungsmotoren sowie Öl- Ein weiteres Problem in der Wasserstoffstrategie der und Gasheizungen klimaneutral betrieben werden. Da Bundesregierung: Auch der Einsatz im Verkehrsbereich, hätten Sie noch nichts für die Industrie, noch nichts für konkret im Pkw-Bereich, ist der falsche Weg; denn Grü- die Flugzeuge, noch nichts für die Schiffe, noch nichts für nen Wasserstoff in Pkws zu nutzen, bedeutet einen teuren die Versorgungssicherheit beim Strom getan. Alleine da- und einen sehr energieaufwendigen Weg. Wir brauchen für bräuchten Sie dreimal die komplette Stromproduktion Grünen Wasserstoff, aber wir brauchen ihn zuvörderst für Deutschlands und jede Menge CO2, das, aus der Luft die Dekarbonisierung der Industrie. Wir brauchen ihn für abgeschieden, sicherlich nicht zu vertretbaren Kosten lange Strecken, beispielsweise im Güterverkehr. Wir zur Verfügung stehen wird. Das ist doch kein sinnvolles brauchen ihn perspektivisch auch bei Flugzeugen. Aber Konzept. wir sollten ihn bitte nicht im Pkw-Verkehr verschwenden. (Michael Theurer [FDP]: Wieso? Das wäre Wir brauchen Wasserstoff. Wir brauchen erneuerbaren doch eine CO2-Senke!) Wasserstoff. Aber wir müssen ihn effizient und nachhal- Und die Kosten? An manchen Stellen bürden Sie den tig einsetzen; denn zur Verschwendung ist er zu schade. Nutzern drei- bis viermal höhere Kosten auf, nur weil Sie Vielen Dank. so auf dem Vergangenen beharren. Sie schaffen es mit Ihrer Wasserstoffstrategie, absurde Kosten zu produzie- (Beifall bei der LINKEN) ren, keine Versorgungssicherheit zu schaffen; denn dieses 20808 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Dr. Ingrid Nestle (A) blinde Vertrauen „Der Wasserstoff wird irgendwo her- Nachhaltig heißt dabei: Wir dürfen bei der Technologie (C) kommen“ – das wird nicht funktionieren. nicht eingeengt nach nationalen Kriterien suchen, son- dern die Technologien müssen weltweit nutzbar sein. Es (Zuruf von der AfD) braucht Tempo; denn die Einhaltung des 2-Grad-Zieles Das ist auch kein Klimaschutz; denn Klimaschutz bedeu- lässt sich nur dann erreichen, wenn wir die fossilen Roh- tet nicht: Ja, ja, die ganzen alten Strukturen können blei- stoffe möglichst schnell durch nachhaltige ersetzen. ben, und irgendein Wasserstoff wird uns retten. – Das, Schnelligkeit und Nachhaltigkeit lassen sich nur dann verehrte FDP, wird nicht funktionieren. erreichen, wenn wir in der Wahl der Technologie offen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind, wenn wir die Ideen der vielen Köpfe in Deutschland nutzen, wenn wir den Anforderungen vor Ort gerecht Nun zur Wasserstoffstrategie der Bundesregierung. werden und die Stärken der deutschen Wirtschaft nutzen. Was die fachliche Richtigkeit angeht, ist sie zum Glück Nur dann erreichen wir eine optimale und passgenaue um einiges besser. Nur leider beantworten Sie nicht die Lösung für die unterschiedlichen Anforderungen vor Ort. entscheidenden Fragen. Gerade mal 100 Terawattstunden Wasserstoff wollen Sie in 2030 zur Verfügung haben. Der Wasserstofftechnologie mit ihren vielfältigen tech- Damit werden Sie niemals die ganzen Sektoren bedienen nologischen Anwendungen kommt dabei eine zentrale können, die Sie selbst fröhlich aufzählen. Selbst bei den Rolle zu. Aber hierbei gilt es, darauf zu achten, dass 100 Terawattstunden wissen Sie bei über 80 Prozent wir uns bei der Energieversorgung nicht in eine einseitige nicht, woher dieser Wasserstoff kommen soll. Auch das Abhängigkeit von einzelnen Staaten begeben, dass wir im kann doch nicht funktionieren. Wettbewerb um die besten Technologien die Nase immer ein Stückchen vorn haben und dass wir nicht durch hohe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kosten für unsere Energie oder durch Unsicherheiten in Wenn wir an dieser Stelle schon gerne über den Import unserer Energieversorgung unseren Wirtschaftsstandort reden und auch Sie sehr viel darüber reden: Warum sor- Deutschland gefährden. gen Sie nicht endlich dafür, dass statt fossiler LNG-Ter- In diesem Zusammenhang ist es gut, dass Wasserstoff minals in Deutschland Wasserstoffterminals gebaut wer- eines der wichtigsten Themen unserer Bundesregierung den, damit Import überhaupt stattfinden kann? ist. Es ist gut, dass es eine Nationale Wasserstoffstrategie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gibt. Es ist gut, dass wir mit Stefan Kaufmann einen Be- auftragten der Bundesregierung für Wasserstoff haben, Deshalb bitte ich Sie: Unterstützen Sie unseren Grü- der die Sache konkret in die Hand nehmen kann. nenantrag! Er würde dafür sorgen, dass die Stärken von (B) Wasserstoff, seine Speicherbarkeit und seine Flexibilität, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D) in den Mittelpunkt gestellt würden. Durch eine Reform der Abgaben und Umlagen könnte der Wasserstoff genau Es ist gut, dass Wasserstoff ein zentrales Thema für die dort und dann produziert werden, wo tatsächlich die Er- deutsche EU-Ratspräsidentschaft wird. neuerbaren sind. Das Ziel: Wir wollen Deutschland zu einem führenden Wasserstoff wird nicht zur Erfolgsgeschichte, indem Ausrüster für Wasserstofftechnologie in der Welt ma- man das Blaue vom Himmel verspricht. Wasserstoff wird chen. Wir wollen mit technologischem Fortschritt die zur Erfolgsgeschichte, indem man die erneuerbaren Ener- Fragen beantworten, die für Nutzung, für Transport und gien ausbaut und indem man die Stärken des Wasserstoffs für Erzeugung des Wasserstoffs wichtig sind. Wir wollen zur Geltung bringt. Das tut unser Antrag. mit internationalen Partnerschaften in Europa und Afrika dafür sorgen, dass wir diesen Ländern neue Chancen Herzlichen Dank. durch technologische und wirtschaftliche Entwicklung geben und dass wir unseren eigenen Energiebedarf nach- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haltig decken können.

Vizepräsident Thomas Oppermann: Dafür nehmen wir viel Geld in die Hand: 9 Milliarden Euro. Dabei baut unsere Forschungsministerin Anja Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Karliczek auf eine weltweit führende deutsche For- CDU/CSU der Kollege Andreas Steier. schungslandschaft. Durch die Initiative zu Grünem (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wasserstoff, die Gründung einer europäischen Wasser- René Röspel [SPD]) stoffpartnerschaft und die Vereinbarungen zur Zusam- menarbeit Deutschlands mit westafrikanischen Staaten Andreas Steier (CDU/CSU): sollen diese Kräfte für eine nachhaltige Erzeugung ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und bündelt und europäisch und international vernetzt wer- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast alle Red- den. ner hier eint ein Ziel: Wir wollen eine sichere, saubere (Beifall der Abg. Klaus Mindrup [SPD] und und nachhaltige Energieversorgung. Sauber heißt dabei: René Röspel [SPD]) Wir wollen uns und unseren Nachkommen keine Lasten aufbürden, die die Umwelt und das Klima verändern. Dabei ist mir aber besonders wichtig: Wir müssen auf- hören, immer über Wirkungsgrade zu diskutieren. (Beifall der Abg. Klaus Mindrup [SPD] und René Röspel [SPD]) (Michael Theurer [FDP]: Richtig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20809

Andreas Steier (A) Der Wirkungsgrad ist dann wichtig, wenn wir einen be- gie auf den Weg. Wir wollen einen Grünen Wasserstoff – (C) grenzten, teuer gekauften Rohstoff wie Erdöl nutzen wol- da habt ihr mit dem Namen Glück gehabt –, einen Was- len. serstoff, der aus erneuerbaren Quellen hergestellt wird. (René Röspel [SPD]: Sehr richtig!) (Beifall des Abg. Andreas Rimkus [SPD]) Sonne und Wind sind aber erst mal kostenlos da, Aber wir haben auch gesehen: In den letzten Jahren gab es zur Erreichung des Ziels, erneuerbare und umwelt- (René Röspel [SPD]: Jawohl!) freundliche Energie bereitzustellen, immer einen innova- und sie sind auch ausreichend vorhanden. tionsfeindlichen Störfaktor namens FDP. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Michael Theurer [FDP]: Wir waren doch gar neten der SPD und des Abg. Michael Theurer nicht da!) [FDP]) Wesentlich, wenn wir Photovoltaik und Windenergie nut- Die entscheidende Frage ist: Wie viel Aufwand müs- zen wollen, ist, dass auch die Rahmenbedingungen stim- sen wir betreiben, um die kostenlose Ressource an einem men. Was wir seit 2012 erlebt haben, ist, dass Sie mit der bestimmten Ort nutzen zu können? Wie kann zum Bei- Einführung des 52-Gigawatt-Solardeckels, den wir heute spiel Windenergie aus dem Norden bei mir vor Ort in durch Gesetzesänderungen aufgehoben haben, die deut- Trier dann genutzt werden, wenn ich sie gerade brauche? sche hochtechnologische Solarindustrie fast kaputtge- Da bietet natürlich Wasserstoff eine entscheidende Ant- macht haben. Das haben wir heute zurückgenommen. wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Theurer [FDP]: Aber warum haben Sie ihn SPD und der FDP) nicht aufgehoben? Hallo, wir waren doch gar Die Wasserstoffstrategie und die Vorhaben der Bun- nicht im Parlament!) desregierung in der EU-Ratspräsidentschaft geben hier- Zur Windenergie. Ich komme aus NRW. für die richtige Antwort. Die Gewinner sind unser Mittel- stand, unsere Industrie und wir alle. (Michael Theurer [FDP]: Wir waren doch gar nicht im Parlament!) (Michael Theurer [FDP]: Sehr gut!) Da gibt es einen Innovationsminister der FDP, bei dem Als Ingenieur freue ich mich, diesen Prozess weiterhin man heute nicht weiß, was er morgen sagen wird. kritisch im Sinn der Sache auch hier im Parlament zu (B) begleiten. (Michael Theurer [FDP]: Wir waren doch gar (D) Vielen Dank. nicht im Parlament, Herr Kollege! Sie waren doch in der Regierung! Sie regieren doch!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Seine Aussagen sind volatiler als das Photovoltaikspekt- ordneten der SPD und der FDP) rum in einem Jahr.

Vizepräsident Thomas Oppermann: (Michael Theurer [FDP]: Sie regieren doch!) Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Auch das werden wir verändern. Fraktion der SPD der Kollege René Röspel. (Michael Theurer [FDP]: Sie regieren doch seit (Beifall bei der SPD) 2013!)

René Röspel (SPD): Wir brauchen nämlich auch Windenergie. Da, wo Sie Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Verantwortung tragen, blockieren und hemmen Sie das. ren! Das Prinzip ist total einfach: Sie haben Wasser. Sie (Michael Theurer [FDP]: Sie regieren doch!) brauchen Technologie; das können wir in Deutschland. Wir merken jetzt schon nach den Verlautbarungen der Auch das werden wir ändern. Nationalen Wasserstoffstrategie: Ganz viele junge Men- schen sind begeistert, wollen an dieser Technologie mit- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael arbeiten. Sie brauchen Energie und können dann Wasser Theurer [FDP]: Sie regieren doch!) spalten. Heraus kommen Wasserstoff und Sauerstoff. – Ja, wir verändern das, weil wir regieren. Da, wo Sie regieren, handeln Sie anders. (Michael Theurer [FDP]: Sehr gut!) Entscheidend ist für die Frage, ob das klimafreundlich (Michael Theurer [FDP]: Sie beklagen sich und umweltfreundlich ist, welche Form der Energie Sie über Dinge, die Sie selber hätten ändern kön- einsetzen. Das heißt, wir brauchen erneuerbare Energien. nen!) Darin sind sich auch die Grünen mit uns in ihrem Antrag Jetzt kommt Ihr FDP-Antrag zu Blauem Wasserstoff. einig; den finde ich ganz gut. Die meisten Punkte sind allerdings durch die 38 Maßnahmen der Wasserstoffstra- (Michael Theurer [FDP]: Wer hat denn seit tegie schon erledigt. Das will die SPD seit Langem. Mit 2014 regiert? Sie haben doch regiert! Das war der Koalition insgesamt bringen wir jetzt eine gute Strate- eine Bankrotterklärung!) 20810 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

René Röspel (A) Da verändern Sie an einer Stelle eine wichtige Voraus- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: (C) setzung. Sie ersetzen nämlich Wasser durch Erdgas. Erd- gas ist im Wesentlichen nichts anderes als Methan. Das Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- müssen Sie als fossilen Rohstoff erst mal gewinnen. gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än- Schauen Sie sich doch mal den Transport von Erdgas – derung des Strafgesetzbuches – Modernisie- das nennt man Vorkettenemission – an: Ein Drittel unse- rung des Schriftenbegriffs und anderer res Erdgases in Deutschland bekommen wir aus Russ- Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit land. nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafge- setzbuches bei Handlungen im Ausland (Michael Theurer [FDP]: Ich sage nur: Schrö- der! – Gegenruf der Abg. Dr. Franziska Drucksache 19/19859 Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Überweisungsvorschlag: war ein guter Kommentar!) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Wenn Sie nur 1 Prozent Leckage in den Pipelines haben: Wir haben 30 Minuten Redezeit. Es beginnt die Bun- Es entweicht Methan, ein 20- oder 30-fach klimaschäd- desministerin der Justiz, Christine Lambrecht, für die licheres Gas als Kohlendioxid. Das ist kontraproduktiv. Bundesregierung. Sie setzen also den falschen Stoff ein, nämlich Erdgas (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten statt Wasser. Am Ende produzieren Sie mit Ihrer Methode der CDU/CSU) auch noch Kohlendioxid, weil Wasserstoff und Kohlen- dioxid Endprodukte sind. Dann müssen Sie dieses Koh- lendioxid unter Einsatz von Energie sozusagen wieder Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz ausfällen und wollen es unterirdisch verpressen. und für Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Diese Konzeption ist weder klimafreundlich noch in- ren! Wir haben heute schon sehr viel über den Kampf novativ. Deswegen werden wir Ihren Antrag freundlich gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie gespro- ablehnen. Das ist der falsche Weg, und die Nationale chen. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht ersichtlich Wasserstoffstrategie ist der richtige Weg. ist, aber auch das Gesetz, das ich jetzt einbringe, das ich Vielen Dank. jetzt hier vorstelle, dient dazu, dass die Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie noch besser (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas erfolgen kann. Steier [CDU/CSU] – Zuruf von der AfD) (B) Die heute eingebrachte Gesetzesvorlage ist ein Update (D) für unser Strafgesetzbuch. Wir modernisieren das Gesetz Vizepräsident Thomas Oppermann: in mehrfacher Hinsicht. Ich möchte Ihnen gerne zwei Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht Punkte besonders darlegen. vor. Ich schließe die Aussprache. Wir machen das StGB fit für digitale Kommunikation Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf im Internet. Zurzeit nehmen nämlich ganz viele Bestim- den Drucksachen 19/20020 und 19/18733 an die in der mungen noch darauf Bezug, dass ein Täter „Schriften“ Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – verbreitet. Das klingt nach Fotokopierer, nach Drucker- Andere Überweisungsvorschläge sehe ich nicht. Dann ist schwärze und nach Papier. Das ist nicht mehr zeitgemäß, so beschlossen. das geht an der modernen Lebensrealität vorbei; denn die Wir kommen zum Zusatzpunkt 22. Die Vorlage auf Straftaten, um die es geht, werden heute im Internet be- Drucksache 19/20021 soll an die in der Tagesordnung gangen, über Videosharingplattformen, mit Messenger- aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Feder- diensten oder per E-Mail. Ich meine damit Straftaten führung ist aber strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU wie Volksverhetzung oder Kinderpornografie. Hier muss und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für der Rechtsstaat auf der Höhe der technischen Entwick- Wirtschaft und Energie, die Fraktion der FDP wünscht lung sein. Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz Das erreichen wir mit unserem Gesetzentwurf; den und nukleare Sicherheit. veralteten Begriff „Schrift“ motten wir nämlich ein. In Zuerst wird über den Antrag der FDP abgestimmt. Wer Zukunft soll es nur noch um die „Inhalte“ gehen. Für stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Das ist nur einen Inhalt ist es nämlich egal, auf welchen technischen die FDP. Wer stimmt dagegen? – Das sind alle anderen Wegen er verbreitet wird. Ein Inhalt muss nicht gedruckt Fraktionen in diesem Haus. Damit ist der Überweisungs- werden. Ein Inhalt kann auch gestreamt werden oder mit vorschlag abgelehnt. Messengerdiensten wie WhatsApp verbreitet werden. Kurzum: Auf die Verbreitungstechnik kommt es in Zu- Ich lasse jetzt abstimmen über den Überweisungsvor- kunft nicht mehr an. Dann ist auch egal, ob der digitale schlag von CDU/CSU und SPD: Federführung beim Aus- Verbreitungsweg ein Telemediendienst ist oder nicht. Das schuss für Wirtschaft und Energie. Wer stimmt für diesen hat bisher in der Praxis nämlich zu schwierigen Abgren- Überweisungsvorschlag? – Das sind alle Fraktionen mit zungsfragen geführt. Ausnahme der FDP. Wer stimmt dagegen? – Die FDP. – Enthaltungen gibt es nicht. Der Überweisungsvorschlag Mit der Entwicklung von der Schrift zum Inhalt setzen ist angenommen. wir ein weiteres Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20811

Bundesministerin Christine Lambrecht (A) Ein weiterer Punkt ist, dass wir das Strafrecht an einer soll ja nicht nur die Übertragung, sondern bereits die Er- (C) weiteren, an einer ganz anderen Stelle modernisieren. In stellung von derartigen Aufnahmen verhindert werden. der Vorschrift über die Schuldunfähigkeit ist bisher von Bedenklich aber ist, wenn man quasi in einem Ab- „Schwachsinn“ und von „Abartigkeit“ die Rede. Diese wasch dann auch noch die Fälle der Volksverhetzung Wörter passen nicht mehr in unsere Zeit. Sie sind abwer- und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidri- tend, sie sind diskriminierend. Kein Psychiater würde sie ger Organisationen in das Paket einfügt. Der Schutz- heute noch benutzen. zweck der Normen in den §§ 130 und 86a StGB liegt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) darin, den öffentlichen Frieden zu schützen. Der öffent- liche Friede wird allerdings weit weniger beeinträchtigt, Deshalb ersetzen wir diese Wörter durch Begriffe, die wenn jemand Inhalte einmalig in einem Livestream kom- neutral und sachlich sind. In Zukunft soll in den Vor- muniziert, als wenn er diese Inhalte dauerhaft und unbe- schriften von „Intelligenzminderung“ und von „Störung“ grenzt für ein Streaming-on-Demand abrufbar hält. Da die Rede sein. Das ist auch ein Anliegen des Beauftragten bestehen qualitativ deutliche Unterschiede. der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung. Inhaltlich ändert sich durch die neuen Be- (Beifall bei der AfD) griffe nichts. Insoweit bleibt in diesem hochsensiblen Be- Diese Tatbestände werden durch die geplante Geset- reich des Strafrechts alles beim Bewährten. Es geht uns zesänderung mehr und mehr zu reinen Meinungsdelikten darum, die herabsetzende und die diskriminierende Spra- umgebastelt, sodass bereits Liveäußerungen bei Sky- che zu beenden. peOut ohne Speicherung oder Aufzeichnung der Äuße- Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Software rungen eine Strafbarkeit begründen können. Da sind dann des Rechtsstaats braucht von Zeit zu Zeit ein Update. nur noch die Gedanken frei. Heute ist es an der Zeit, das Strafgesetzbuch, das StGB, Die Einschränkung im Tatbestand durch das Merkmal an die Herausforderungen der Gegenwart anzupassen. der Geeignetheit, den öffentlichen Frieden zu stören, Ich bitte um Ihre Unterstützung in den anstehenden Be- dürfte als Korrektiv nicht ausreichen, weil ja bereits die ratungen. bloße Möglichkeit, geäußerte Inhalte weiterzuverbreiten, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ausreicht, um die Geeignetheit zur Störung des öffent- lichen Friedens zu begründen. Das ist eine erhebliche (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausweitung der Strafbarkeit. der CDU/CSU) Zum Schluss zu dem, was vorhin auch von der Frau Justizministerin angesprochen wurde: zu den geplanten (B) Vizepräsident Thomas Oppermann: Änderungen in den §§ 20 StGB und 12 OWiG. Sie zei- (D) Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für gen, dass die Sprachpolizei jetzt auch im Straf- und Ord- die Fraktion der AfD der Kollege Jens Maier. nungswidrigkeitenrecht unterwegs ist. Warum man da (Beifall bei der AfD) Änderungsbedarf sieht, leuchtet nicht wirklich ein. Denn ob man einen Straftäter jetzt nicht mehr als schwachsin- Jens Maier (AfD): nig, sondern als intelligenzvermindert bezeichnet und eine „schwere andere seelische Abartigkeit“ jetzt eine Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- „schwere andere seelische Störung“ nennt, das wird, neh- ren! Richtig ist, dass sich das Strafrecht an die technische me ich an, den allermeisten betreffenden Straftätern völ- Entwicklung anpassen muss und dass der Begriff der lig egal sein. Schrift beziehungsweise der Schriften, wie er im Strafge- setzbuch enthalten ist, in der Welt des Internets nicht (Beifall bei der AfD) mehr zeitgemäß ist. Es erhöht schon gar nicht deren Intelligenz oder macht sie Der Telemedienbegriff in § 184d StGB umfasst nicht störungsfreier. die Übertragung durch Telekommunikationsdienste oder telekommunikationsgestützte Dienste. Das heißt, die rei- Im Ausschuss wird noch einiges zu erörtern sein. ne Übertragung von Signalen über Telekommunikations- Vielen Dank. netze einschließlich Rundfunknetzen oder die Signal- übertragung durch Dienste, die keinen räumlich und (Beifall bei der AfD) zeitlich trennbaren Leistungsfluss auslösen, sondern bei denen die Inhaltsleistung noch während der Telekommu- Vizepräsident Thomas Oppermann: nikationsverbindung erfüllt wird, stellen keine Teleme- Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der dien im Sinne des Strafgesetzbuchs dar. Streaming-on- CDU/CSU der Kollege Ingmar Jung. Demand fällt unter den Begriff Telemedien, ein Live- stream nicht. Es ist daher gut, dass man da versucht, eine (Beifall bei der CDU/CSU – Marianne Lösung zu finden, die Unklarheiten und Strafbarkeitslü- Schieder [SPD]: Mach es wieder schnell! 6 Mi- cken beseitigt. nuten! Oh Gott! Das muss nicht sein!)

Im Bereich der Kinderpornografie ist nicht zu bean- Ingmar Jung (CDU/CSU): standen, dass man nicht mehr das Übertragungsmedium, – Schauen wir mal, wie lange es dauert. sondern allein den Inhalt in den Mittelpunkt der Tatbe- stände stellt. Das ist sachgerecht; denn in diesen Fällen (Heiterkeit bei der CDU/CSU) 20812 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Ingmar Jung (A) Die Uhr läuft überhaupt nicht. Ich habe wahrscheinlich mehr zeitgemäß ausdrückt und auch nicht mehr so, wie (C) sogar noch viel mehr Redezeit. sie irgendjemand wissenschaftlich ausdrücken würde. Da, denke ich, ist es eine vernünftige Lösung, jetzt andere (Marianne Schieder [SPD]: Oh Gott!) Begriffe zu nehmen. Ich bin mir bei „Störung“ nicht so Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir ganz sicher, ob es am Ende ausreichend bestimmt ist. von der CDU/CSU-Fraktion teilen die Anliegen, die die- Aber das werden wir sicherlich noch miteinander bespre- sem Gesetz zugrunde liegen, und teilen in weiten Teilen chen können. auch all das, was jetzt vorgeschlagen ist. Liebe Kollegen von der SPD, in der Tat ist Strafrecht Wir haben eben schon die drei Hauptteile gehört. Tat- AT nach 23 Uhr etwas für Liebhaber. Insofern schenke sächlich ist es so, dass wir im Moment viele Straftatbe- ich uns allen drei Minuten und wünsche uns frohe Be- stände haben, die entweder die Tatbestandlichkeit oder ratungen. die Qualifikation oder Ähnliches daran knüpfen, dass etwas in Schriften verbreitet wird, dass es in Schriften (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- zu finden ist. Beispiele haben wir schon gehört. Im Zu- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sammenhang mit der dritten Lesung des Gesetzentwurfs Marianne Schieder [SPD]: Das ist so nett! – zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hass- Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kriminalität haben wir übrigens auch noch ein ganz neues NEN]: So kennen wir Sie, Herr Jung!) Beispiel geschaffen: in der Qualifikation beim Bedro- hungstatbestand. Vizepräsident Thomas Oppermann: Inzwischen ist die Situation, dass wir zwar einiges den Das nehme ich gerne an und weise darauf hin, dass für Schriften gleichgestellt haben – was zum Beispiel auf den letzten Tagesordnungspunkt alle zu Protokoll gege- Tonträgern, auf Datenträgern ist –, wir aber immer fest- ben haben mit Ausnahme von drei Rednern. Die sollten stellen müssen, dass die technische Entwicklung weiter noch mal in sich gehen und überlegen, ob sie sich an- voranschreitet, sodass gewisse Dingen nicht mehr erfasst schließen wollen. sind, wie zum Beispiel – schon öfter gehört – Live- Wir fahren in dieser Debatte fort. Nächster Redner ist streams. Da ist es, glaube ich, ein guter Vorschlag und der Kollege Dr. Jürgen Martens für die FDP. eine gute Idee, nicht immer wieder einzelne Dinge zu dem Schriftenbegriff hinzuzufügen oder ihm gleichzu- (Beifall bei der FDP) stellen, sondern die Begrifflichkeit umzustellen auf das, was gemeint ist, nämlich die Inhalte, die in Kommunika- Dr. Jürgen Martens (FDP): (B) tionsmitteln übertragen werden. Insofern ist das, glaube Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (D) ich, ein guter Vorschlag. ren! Es wäre schön, wenn wir hier über Fragen des All- Ich sage auch ganz deutlich im Namen der CDU/CSU- gemeinen Teils des Strafrechts sprechen könnten; das ist Fraktion: Im Gegensatz zur AfD sind wir der Meinung, nämlich wirklich etwas für Feinschmecker. Übrigens: dass Volksverhetzung auch dann strafbar sein soll, wenn Keine Strafrechtsordnung auf der Welt leistet sich einen sie im Livestream stattfindet und nicht dauerhaft gespei- so ausdifferenzierten und feinziselierten Allgemeinen chert ist. Da unterscheiden wir uns sehr deutlich von Teil des Strafrechts, während wir bei der Strafzumessung Ihnen. hinterher bloß mit der großen Kelle wieder in denselben Topf hauen; aber das ist ein anderes Problem. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Hier geht es um die „Modernisierung“, um die sprach- liche Aufhübschung des Strafgesetzbuches. In der Tat: Der zweite Teil betrifft die sogenannten Auslandsstraf- Der Begriff der Schrift, selbst wie er in § 11 Absatz 3 taten. Im Moment ist eine Straftat strafbar, die im Inland StGB definiert wurde, ist nicht mehr zeitgemäß und muss begangen wird. Dem gleichgestellt ist, wenn der Erfolg angepasst werden. Eine besondere gesetzgeberische Leis- im Inland eintritt. Dazu hat uns der BGH sehr deutlich ins tung ist darin allerdings nicht zu erblicken – habe ich Stammbuch geschrieben, dass er bei Gefährdungsdelik- gedacht, bis ich eben die Ministerin hörte, die dem er- ten das nicht mehr erfüllt sehen will. Deswegen nehmen staunten Haus klargemacht hat, dass es sich hierbei um wir hier einige Ergänzungen vor. Auch hier sind die einen weiteren planvoll gesetzten Baustein in der Strate- Volksverhetzung oder das Auffordern zu Straftaten er- gie der Verfolgung von Kindesmissbrauch handelt. Man fasst – typischerweise Straftatbestände, die vom Ausland lernt eben immer wieder dazu, meine Damen und Herren. aus mit Wirkung in Deutschland verübt werden können. Da haben wir ein gewisses Abgrenzungsproblem gehabt, (Christine Lambrecht, Bundesministerin: Das möglicherweise eine Strafbarkeitslücke. Das wird klar ist auch gut!) und richtig gestellt. Deswegen ist auch das ein richtiges Gleichwohl gibt es neben diesem technischen Anpas- Anliegen. sungsbedarf weiterhin Anpassungsbedarf im materiellen Letzter Punkt: die schon mehrmals angesprochene Än- Teil. Es gibt Regelungen, die nun wirklich überholt sind. derung beim § 20 StGB. In der Tat ist es so, dass es für die Wir haben einige genannt: Die Verschleppung in die Praxis keine Auswirkung haben wird; denn es kommt DDR nach § 234a StGB ist weiterhin strafbar, auch wenn darauf an, ob der Täter die Reife, die Einsichtsfähigkeit es die DDR schon seit 30 Jahren nicht mehr gibt, die haben konnte. Aber die Gründe, die dem zugrunde liegen, Störung der Bestattungsfeier, der Scheckkartenmiss- sind mit Schwachsinn und mit Abartigkeit wirklich nicht brauch, der gute alte, feiert fröhlich weiterhin Urstände, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20813

Dr. Jürgen Martens (A) obwohl es die Scheckkarten in dieser Form auch nicht chen verfassungswidriger Organisationen und öffentli- (C) mehr gibt. ches Auffordern zu Straftaten über das Internet, die aus dem Ausland durch einen Deutschen begangen werden Wir, die FDP, haben in unserem Antrag zur Vorberei- und sich im Inland verbreiten, strafbar sind, ist überfällig. tung von Strafrechtsreformgesetzen konkrete Beispiele Dass über so lange Zeit rechtsradikale Hetze nur deswe- genannt. Vielleicht finden die Große Koalition und das gen nicht strafrechtlich verfolgt werden konnte, weil die Ministerium noch die Kraft, in der verbleibenden Legis- Täter Server im Ausland nutzten, war sehr schädlich für latur weitere Vorschläge zu machen, unsere Rechts- und Debattenkultur. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) mit denen ein wenig mehr Modernisierung als nur die Ersetzung des Schriftenbegriffes vorgenommen wird. Die Hetzer haben sich nämlich an die Straflosigkeit ge- wöhnt und wurden immer lauter. Aber auch hier hilft die Gleichwohl: Wir werden sehen, ob das Gesetz nach Existenz von Strafbarkeit nicht von selbst, es besteht auf den Beratungen im Rechtsausschuss hier wieder so in Regierungsseite Handlungsbedarf. Sie müssen nämlich die nächste Lesung kommt, wie wir es jetzt dort hinein- im Bereich des Rechtsradikalismus endlich Ihr Vollzugs- geben. defizit ausgleichen und die Bundesländer ebenfalls dazu Vielen Dank. anhalten. Abseits dessen braucht es allerdings auch ein Problembewusstsein für diesen Kriminalitätsbereich. (Beifall bei der FDP) Schaffen Sie dieses in Ihrem Kabinett! Die Änderung von § 20 Strafgesetzbuch, wonach die Vizepräsident Thomas Oppermann: Schuldunfähigkeit – wir haben es gehört – nicht mehr an Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Begriffen wie „Schwachsinn“ und „Abartigkeit“ ge- Die Linke der Kollege Friedrich Straetmanns. knüpft werden soll, ist überfällig. Als Richter erlaube (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ ich mir aber den Hinweis, dass als Alternative zu den CSU: Arminia!) neuen Begriffen auch eine Abkehr von den starren Kate- gorien denkbar gewesen wäre, um mehr auf den indivi- – Arminia Bielefeld ist aufgestiegen; duellen Fall zu schauen. Aber dazu diskutieren wir dann (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Ja! Ich sicherlich im Rechtsausschuss. grüße alle Fans!) Zusammengefasst liegen hier taugliche Änderungen das können wir zwischendurch bekannt geben für dieje- (B) vor, und so werden wir das Gesetz auch in der Folge (D) nigen, die es noch nicht wissen. besprechen. Da das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bereich Strafrecht offenbar (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Und macht auch zu sinnvollen Vorlagen fähig ist, den gleichen Weg wie Paderborn) (Marianne Schieder [SPD]: Immer! Immer! Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Das kann Ihnen doch nicht entgangen sein!) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, natürlich: Arminia Bielefeld ist aufgestiegen. wäre es doch möglich, die unzähligen Strafrechtsver- Ich grüße daher alle Fans, die wie ich mitgefiebert haben. schärfungen der vergangenen Jahre einmal ausgiebig auf ihre Tauglichkeit zu evaluieren, so wie es meine Frak- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tion, Die Linke, schon lange fordert. neten der CDU/CSU) Heute beraten wir aber den Entwurf eines Gesetzes der (Beifall bei der LINKEN) Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuches, Dafür werde ich jedenfalls als Ostwestfale und zur Modernisierung des Schriftenbegriffs. Ich komme Bielefelder weiter streiten – stur, hartnäckig und kämpfe- nicht umhin, festzustellen, dass der Bundesregierung risch. aus meiner Sicht etwas Außergewöhnliches gelungen ist: Sie hat einen Entwurf zum Strafgesetzbuch vorgelegt, Vielen Dank. bei dem ich nicht schon in der ersten Lesung meine Ab- lehnung zum Ausdruck bringen muss. Es handelt sich (Beifall bei der LINKEN – Marianne Schieder nämlich tatsächlich um eine Modernisierung und nicht [SPD]: Und das Fieber bleibt!) um die übliche Law-and-Order-Verschärfungspraxis. Die Änderung des Schriftenbegriffs und die Verschie- Vizepräsident Thomas Oppermann: bung zur Strafbarkeit von Inhalten sind sinnvoll und Bis Arminia Bielefeld wieder abgestiegen ist. überfällig, da die Verbreitung strafbarer Inhalte heute vorrangig digital erfolgt. (Heiterkeit – Zurufe) (Beifall bei der LINKEN) So, wir fahren fort in der Debatte. Als Nächste hat das Wort, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Kolle- Auch die Erweiterung von § 5 Strafgesetzbuch begrü- gin Canan Bayram. ße ich. Dass zukünftig Volksverhetzung, das Verbreiten von Propagandamitteln, das Verwenden von Kennzei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20814 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) Vielen Dank, Herr Präsident; jetzt ist ja wieder Stim- Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) mung hier in der Bude. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf ist eine der sehr seltenen Beispiele für Vizepräsident Thomas Oppermann: systematisches Arbeiten der Bundesregierung am Straf- Vielen Dank. – Der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, gesetzbuch. Auch wenn es dabei überwiegend um forma- SPD, hat seine Rede zu Protokoll1) gegeben. le Änderungen geht: Zentrale Aufgabe des Bundesjustiz- ministeriums ist es, die Einheit der Rechtsordnung, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Einheit des Strafgesetzbuches im Blick zu behalten und der FDP) dabei die Grundsätze des Strafrechts mit der nötigen Fes- Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der tigkeit zu wahren. Dabei weder vor der „Bild“-Zeitung CDU/CSU der Kollege Alexander Hoffmann. noch vor dem Koalitionspartner einzuknicken, gelingt hier allerdings nicht. Was wir derzeit zum § 176 Strafge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) setzbuch erleben, ist jenseits jeder rationalen Kriminal- politik, gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis und Alexander Hoffmann (CDU/CSU): bringt das System des Strafgesetzbuches durcheinander – Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen es rettet übrigens auch kein Kind, meine Damen und und Kollegen! Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, Herren. dass die Protokollgabe der Rede des Kollegen Brunner bei mir die Messlatte hoch hängt. Deswegen in aller Kür- Was an systematischer Arbeit beim Strafgesetzbuch ze: Der Rechtsstaat ist immer so viel wert, wie er auch in zum Beispiel fehlt, ist die seit Jahren ausstehende Ge- der Lage ist, mit der Zeit auf Augenhöhe zu bleiben. Ich samtüberarbeitung seines Dreizehnten Abschnitts, der möchte von dem vorliegenden Gesetzentwurf zwei Bau- Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dafür steine gesondert – in aller Kürze – herausgreifen. liegt ein Expertenbericht dem BMJV vor. Über punktuel- le Änderungen hinaus wird aber nichts getan. Wir etablieren hier eine Modernisierung des Schriften- begriffs in § 11 Absatz 3 StGB. Das ist etwas, was sich Was ebenfalls seit Jahren fehlt, ist die Überarbeitung jeder erklären kann – die Ministerin hat es vorhin schon und Reform der Tötungsdelikte. Da traut sich die Koali- schön dargestellt –: Früher war eine Schrift immer ein tion nicht heran. Inhalt, der auf einem papierenen Trägermedium transpor- tiert worden ist. Heute, im digitalen Zeitalter, geschieht (Beifall bei Abgeordneten der FDP) das im Internet, über moderne Informations- und Kom- 2015 hatte eine Expertengruppe Empfehlungen vorge- munikationstechnik. Dazu muss sichergestellt sein, dass (B) (D) legt, dann gab es, 2016, einen Referentenentwurf des es auch einen Übertragungsvorgang geben kann, ohne Bundesjustizministeriums, und dann ist die SPD vor der dass der Inhalt beim Empfänger gespeichert ist. Das alles Union eingeknickt. Bei dem Gesetzentwurf, den wir heu- wollen wir abbilden mit diesem Gesetzentwurf. te beraten, werden richtigerweise überholte Begriffe wie Ich möchte aber einen kleinen Exkurs einbauen, aus „Schwachsinn“ und „Abartigkeit“ ersetzt. Auch bei den gegebenem Anlass. Wir haben heute viel hier in diesem Tötungsdelikten gibt es Begriffe, die auf die sogenannte Haus diskutiert über die effektive Bekämpfung von Kin- Tätertypenlehre der Nationalsozialisten zurückgehen und derpornografie. Da sollten wir uns schon einmal ganz reformiert werden müssten. kurz die Zeit nehmen, festzustellen, dass die Digitalisie- Selbst kleine Veränderungen, die Gegenstand des heu- rung im Hinblick auf die Bekämpfung von Kinderporno- te zu beratenden Gesetzentwurfs hätten sein können, blei- grafie ganz besondere Herausforderungen erzeugt, und ben unbearbeitet. Was ist etwa mit dem Begriff der zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist es so, dass schädlichen Neigung im Jugendgerichtsgesetz? Der ur- der Umstand, dass es eben keine papierenen Trägerme- sprünglich 1941 eingeführte Begriff ist stigmatisierend dien mehr gibt, dazu führt, dass wir bei allen Skandalen und unterstellt eine Defektpersönlichkeit; er ist zudem im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch und Kinder- viel zu unbestimmt. Die Unionsländer hatten dazu im pornografie wahrnehmen können, dass zigtausendfach Bundesrat schon vor einigen Jahren einen guten Vor- Bilder gefertigt und verbreitet werden. Ich glaube, das schlag gemacht, den könnte man einfach übernehmen. ist eine Herausforderung für den Rechtsstaat. Die zweite Komponente will ich hier auch ansprechen, Und was ist mit dem Begriff der rassischen Gruppe im weil das Täterbild ein anderes ist: Überlegen Sie einmal, Volksverhetzungsparagrafen, § 130 StGB: Kann die Koa- wie pädophile Täter sich in den 80er-Jahren hätten ver- lition oder das Bundesjustizministerium einmal erklären, netzen können! Das wäre kaum möglich gewesen, das wer mit diesem Begriff gemeint sein soll? Mit dem vor- wäre eigentlich nur möglich gewesen, indem man immer liegenden Gesetz wird zwar § 130 Strafgesetzbuch ge- auch die Entdeckung riskiert. Heute, im Schutzkreis des ändert, was im Inland wahrnehmbare Handlungen, die Internets, findet Vernetzung statt, findet Austausch statt, im Ausland stattfinden, angeht – gut so! –, aber eine finden Verabredungen statt, finden auch, unter Umstän- wirkliche Reform bekommt die Bundesregierung auch den, Anstachelung und Anstiftung statt. Ich glaube, dass bei dieser Gelegenheit nicht zustande. wir diesem Phänomen begegnen müssen. Da will ich ein- Insgesamt handelt es sich gleichwohl um einen ordent- fach appellieren, dass wir alle eine breite Front bilden und lichen Gesetzentwurf, den wir wohlwollend beraten wer- den. 1) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20815

Alexander Hoffmann (A) bereit sein müssen, solche Täter dingfest zu machen und ZP 24 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karsten (C) wirklich dort alle Register zu ziehen. Hilse, Marc Bernhard, Andreas Bleck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wirtschaft entlasten – Treibhausgas-Emis- Der zweite Baustein – nur in aller Kürze; der Kollege sionshandel gerade in der COVID-19-Wirt- Jung hat es schon sehr schön dargestellt –: Man muss schaftskrise abschaffen natürlich im digitalen Zeitalter auch die Frage überden- ken: „Wo ist der Ort der Tatbegehung?“, weil jemand im Drucksache 19/20075 Ausland digital etwas in Gang setzen kann, was am Überweisungsvorschlag: Schluss einen „Erfolg“ im Inland zeitigt. Ich glaube, auch Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie das bildet der vorliegende Entwurf sehr gut ab. Deswegen Haushaltsausschuss freue ich mich auf die weiteren Beratungen. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Die folgenden 1 Minute 46 Sekunden schenke ich uns schlossen. Fast alle Redner haben ihre Rede zu Proto- allen natürlich sehr gerne. koll1) gegeben. Aber einer spricht zu uns: Das ist Karsten Hilse für die Fraktion der AfD. (Marianne Schieder [SPD]: Super! Sehr schön!) (Beifall bei der AfD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wer zu Hause keine Freunde hat, der Einen schönen Abend. Danke. muss hier reden! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Feuchte Woh- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nung!)

Vizepräsident Thomas Oppermann: Karsten Hilse (AfD): Vielen Dank, das wird gern akzeptiert. Sie waren der – Freunde werden wir sowieso nicht. letzte Redner; deshalb schließe ich die Aussprache. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- Landsleute! Das Gesetz zur Änderung des Brennstoff- fes auf Drucksache 19/19859 an den Ausschuss für Recht emissionshandelsgesetzes ist laut Gutachten vom 8. Juni und Verbraucherschutz vorgeschlagen. – Andere Vor- 2020 des Juristen Professor Dr. Rainer Wernsmann aus schläge sehe ich nicht. Dann ist das so beschlossen. Passau verfassungswidrig. Das trifft auf die von den Um- weltzerstörern durchgesetzte Erhöhung im Änderungsge- (B) Ich rufe nunmehr den letzten Tagesordnungspunkt – setz ebenfalls zu. (D) die Punkte 35 d, 35 e und 35 g sowie Zusatzpunkt 24 – Die Begründung der Regierung für die Notwendigkeit auf: und Wirkung des Gesetzes in Bezug auf das Weltklima 35 d) Erste Beratung des von der Bundesregierung sind falsch, die fälschlich als Klimaschutzziele beschrie- eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- benen/umschriebenen Versuche zur Senkung des CO2- zes zur Änderung des Brennstoffemis- Ausstoßes sind in ihren Auswirkungen auf ein imaginäres sionshandelsgesetzes Weltklima nicht nachweisbar. Der inzwischen deutlich messbare Rückgang der Emissionen aufgrund des welt- Drucksache 19/19929 weiten Wirtschaftseinbruchs zeigt überdies keinerlei Rückgang oder auch nur eine Dämpfung des Anstiegs Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) der CO2-Konzentration. Die menschengemachten CO2- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Emissionen spielen offensichtlich im natürlichen Koh- lenstoffkreislauf – genauso wie Dieselfahrzeuge für er- e) Erste Beratung des von der Bundesregierung höhte Stickoxidwerte – eine völlig unbedeutende Rolle. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Batteriegesetzes (Zuruf von der SPD: Ha!) Drucksache 19/19930 Damit verfehlt das Gesetz – ebenso wie alle Vorgänger – seinen Zweck, es muss daher aus diesen Gründen ver- Überweisungsvorschlag: worfen werden. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz In der Begründung zum Gesetz wird unter „Alternati- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ven“ behauptet, dass es dazu keine Alternative gebe – wie g) Beratung des Antrags der Abgeordneten auch die allseits beliebte Kanzlerin immer wieder von Ralph Lenkert, Lorenz Gösta Beutin, „alternativlos“ spricht. Hier im Parlament sieht man, dass Hubertus Zdebel, weiterer Abgeordneter es eine Alternative gibt. und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Lachen Pfand für Elektrogeräte und Batterien bei Abgeordneten der SPD – Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Drucksache 19/19642 keine Alternative!)

Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit 1) Anlage 16 20816-20838 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

Karsten Hilse (A) In diesem Fall wäre die Alternative die vollständige Ab- (Timon Gremmels [SPD]: Immer die gleiche (C) schaffung dieses und vergleichbarer Gesetze wegen er- Leier!) wiesener Nutz- und Wirkungslosigkeit bei gleichzeitig Sie haben nicht nur grundgesetzlich garantierte Freiheits- exorbitanten Kosten. rechte der Bürger ausgehebelt und zwingen sie dazu, Die Deutschen wurden vom Staat noch nie so rück- einen Maulkorb zu tragen. sichtslos ausgeplündert wie heute: Im Jahr 2018 kassierte (Marianne Schieder [SPD]: Ich finde, man er etwa 770 Milliarden Euro Steuern. Die Steuereinnah- müsste festlegen, dass die Rede auch einen men des Staates haben sich seit Anfang der 90er-Jahre Sinn haben muss!) nahezu verdoppelt, obwohl die Bevölkerung kaum zuge- nommen hat – abgesehen natürlich von den Millionen Die allermeisten haben deutlich weniger verdient. Millio- durch den deutschen Steuerzahler alimentierten Wirt- nen werden wegen Ihnen ihre Arbeit verlieren. Zehntau- schaftsmigranten. sende Kleinunternehmer verschulden sich oder gehen pleite. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Timon Gremmels [SPD]: Bingo!) (Marianne Schieder [SPD]: Ich finde, man müsste in der Geschäftsordnung festlegen, dass Was aber zugenommen hat, ist der ins Maßlose gestei- Reden auch einen Sinn haben müssen!) gerte Wahn der neosozialistischen Regierung, die Welt retten zu müssen und das Geld der Deutschen mit vollen Laut einer Mitgliederumfrage des Deutschen Indust- Händen an jeden zu verteilen, der nur laut genug schreit. – rie- und Handelskammertages sinkt die Wirtschaftsleis- Sie schreien auch laut; super! – Ein Beleg dafür, dass wir tung um deutlich mehr als 10 Prozent. Wir steuern auf die auf dem Weg in eine sozialistische Diktatur sind, schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zu. Und Sie haben nichts Besseres zu tun, als den Rest der (Lachen bei der SPD) deutschen Wirtschaft auf dem Altar der Weltuntergang- ist das staatstragende Prinzip, gegen die Interessen der spropheten zu opfern. Bürger zu handeln. Nicht nur, dass diese Regierung uns In den Medien gerieren sich einige von Ihnen als die Bürger in nie dagewesenem Maße ausplündert, sie will Retter in der Not. Sie sind nicht die Retter, Sie sind die uns auch das Auto wegnehmen, uns vorschreiben, wie Totengräber der deutschen Wirtschaft und der deutschen wir wohnen und leben sollen, selbst beim Essen werden Nation. Einer Ihrer Sargnägel unter Hunderten anderen wir gegängelt. ist dieses heute vorgestellte Gesetz. Deswegen werden (Timon Gremmels [SPD]: Quatsch! Sie gän- wir es natürlich ablehnen. (B) geln uns heute Nacht!) (Beifall bei der AfD) (D) Die Umweltministerin nennt diesen Gesinnungsterror „sinnvolle Lebenslenkungswirkung“. Sinnvoll wäre es, Vizepräsident Thomas Oppermann: wenn die unfähigste Umweltministerin seit Eiskugel- Das war der letzte Redner. – Ich schließe die Ausspra- Jürgen ihren Ministerposten zur Verfügung stellen würde. che. (Beifall bei der AfD) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Natürlich soll die CO2-Steuer – nichts anderes als eine den Drucksachen 19/19929, 19/19930, 19/19642 und Steuer wird hier eingeführt – als asozialer Umvertei- 19/20075 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- lungsmechanismus genutzt werden. Mit Umverteilung schüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungs- kennen sich Sozis aus. vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be- schlossen. (Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD]) Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. – Ganz genau. Dabei ist völlig offen, wer benachteiligt wird und wer profitieren soll. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- tages auf morgen, Freitag, den 19. Juni 2020, 9.00 Uhr, (Timon Gremmels [SPD]: Nur heiße Luft!) ein. In unserem dazu gestellten Antrag fordern wir auch vor Die Sitzung ist geschlossen. Kommen Sie gut nach dem Hintergrund des durch die Regierung verordneten Hause. fast kompletten Herunterfahrens der Wirtschaft, wir- kungslose bzw. überflüssige Ausgaben einzusparen. (Schluss: 23.31 Uhr) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20839

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Bauer, Nicole FDP Nüßlein, Dr. Georg CDU/CSU Damerow, Astrid CDU/CSU Paschke, Markus SPD Esdar, Dr. Wiebke* SPD Radwan, Alexander CDU/CSU Esken, Saskia SPD Remmers, Ingrid DIE LINKE Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Siebert, Bernd CDU/CSU Grübel, Markus CDU/CSU Solms, Dr. Hermann Otto FDP Herrmann, Lars fraktionslos Strack-Zimmermann, FDP Dr. Marie-Agnes Jung, Dr. Christian FDP Weeser, Sandra FDP Juratovic, Josip SPD Zdebel, Hubertus DIE LINKE Korkmaz-Emre, Elvan* SPD Ziegler, Dagmar SPD Lehmann, Sven BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Zimmermann, Pia DIE LINKE Leikert, Dr. Katja CDU/CSU Maas, Heiko SPD (B) (D) Magnitz, Frank AfD * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes

Anlage 2

Ergebnis der Wahl der Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 11) Abgegebene Stimmkarten: 675 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Prof. Dr. Doris König 500 97 78 –

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich. 20840 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Anlage 3 (C)

Ergebnisse der Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Abgegebene Stimmkarten: 675 Ergebnis der Wahl eines ordentlichen Mitglieds Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Dennis Rohde 557 79 35 4 Peter Boehringer 148 477 46 4

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Abgegebene Stimmkarten: 675 Ergebnis der Wahl eines stellvertretenden Mitglieds Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Dr. Birgit Malsack-Winkemann 133 494 42 6

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Anlage 4

(B) (D) Ergebnis der Wahl von Mitgliedern des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung (Tagesordnungspunkt 12 c und d) Abgegebene Stimmkarten: 675 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Dennis Rohde 567 71 33 4 Marcus Bühl 141 490 36 8

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Anlage 5

Ergebnis der Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes (Tagesordnungspunkt 12 e) Abgegebene Stimmkarten: 675 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Albrecht Glaser 116 515 42 2 Volker Münz 137 490 42 6

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20841

(A) Anlage 6 (C)

Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an den Wahlen zu den Tagesordnungspunkten 11 und 12 a bis e teilgenommen haben

CDU/CSU Ursula Groden-Kranich Dr. Günter Krings Josef Oster Dr. Michael von Abercron Hermann Gröhe Rüdiger Kruse Henning Otte Stephan Albani Klaus-Dieter Gröhler Michael Kuffer Ingrid Pahlmann Norbert Maria Altenkamp Michael Grosse-Brömer Dr. Roy Kühne Sylvia Pantel Peter Altmaier Astrid Grotelüschen Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Martin Patzelt Philipp Amthor Manfred Grund Andreas G. Lämmel Dr. Joachim Pfeiffer Artur Auernhammer Oliver Grundmann Katharina Landgraf Stephan Pilsinger Peter Aumer Monika Grütters Ulrich Lange Dr. Christoph Ploß Dorothee Bär Fritz Güntzler Dr. Silke Launert Eckhard Pols Norbert Barthle Olav Gutting Jens Lehmann Thomas Rachel Maik Beermann Christian Haase Paul Lehrieder Kerstin Radomski Manfred Behrens (Börde) Florian Hahn Dr. Andreas Lenz Alois Rainer Veronika Bellmann Jürgen Hardt Antje Lezius Dr. Sybille Benning Matthias Hauer Andrea Lindholz Eckhardt Rehberg Dr. André Berghegger Mark Hauptmann Dr. Carsten Linnemann Lothar Riebsamen Melanie Bernstein Dr. Matthias Heider Patricia Lips Josef Rief Christoph Bernstiel Mechthild Heil Nikolas Löbel Johannes Röring Thomas Heilmann Bernhard Loos Dr. Norbert Röttgen Marc Biadacz Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Jan-Marco Luczak Stefan Rouenhoff Steffen Bilger Mark Helfrich Daniela Ludwig Erwin Rüddel Peter Bleser Rudolf Henke Dr. Saskia Ludwig Albert Rupprecht Norbert Brackmann Michael Hennrich Karin Maag Stefan Sauer (B) Michael Brand (Fulda) Marc Henrichmann Yvonne Magwas Anita Schäfer (Saalstadt) (D) Dr. Reinhard Brandl Ansgar Heveling Dr. Thomas de Maizière Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Christian Hirte Gisela Manderla Andreas Scheuer Jana Schimke Silvia Breher Dr. Heribert Hirte Dr. Astrid Mannes Tankred Schipanski Heike Brehmer Alexander Hoffmann Matern von Marschall Christian Schmidt (Fürth) Ralph Brinkhaus Karl Holmeier Hans-Georg von der Marwitz Dr. Claudia Schmidtke Dr. Carsten Brodesser Dr. Hendrik Hoppenstedt Andreas Mattfeldt Patrick Schnieder Gitta Connemann Erich Irlstorfer Stephan Mayer (Altötting) Nadine Schön Alexander Dobrindt Hans-Jürgen Irmer Dr. Michael Meister Felix Schreiner Michael Donth Thomas Jarzombek Dr. Angela Merkel Dr. Klaus-Peter Schulze Marie-Luise Dött Andreas Jung Jan Metzler Uwe Schummer Hansjörg Durz Ingmar Jung Thomas Erndl Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Armin Schuster (Weil am Alois Karl Michelbach Rhein) Hermann Färber Anja Karliczek Torsten Schweiger Dr. Mathias Middelberg Torbjörn Kartes Detlef Seif Enak Ferlemann Dietrich Monstadt Volker Kauder Karsten Möring Johannes Selle Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Stefan Kaufmann Land) Elisabeth Motschmann Reinhold Sendker Ronja Kemmer Dr. Maria Flachsbarth Axel Müller Dr. Patrick Sensburg Thorsten Frei Roderich Kiesewetter Dr. Gerd Müller Thomas Silberhorn Dr. Hans-Peter Friedrich Michael Kießling Sepp Müller Björn Simon (Hof) Dr. Georg Kippels Carsten Müller Tino Sorge Michael Frieser Volkmar Klein (Braunschweig) Jens Spahn Hans-Joachim Fuchtel Axel Knoerig Stefan Müller (Erlangen) Katrin Staffler Ingo Gädechens Jens Koeppen Dr. Andreas Nick Frank Steffel Dr. Thomas Gebhart Markus Koob Petra Nicolaisen Dr. Wolfgang Stefinger Alois Gerig Carsten Körber Michaela Noll Albert Stegemann Eberhard Gienger Alexander Krauß Wilfried Oellers Andreas Steier Eckhard Gnodtke Gunther Krichbaum Florian Oßner Peter Stein (Rostock) 20842 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Sebastian Steineke Lothar Binding Caren Marks Andreas Schwarz (C) Johannes Steiniger (Heidelberg) Dorothee Martin Rita Schwarzelühr-Sutter Christian Frhr. von Stetten Dr. Eberhard Brecht Katja Mast Rainer Spiering Dieter Stier Leni Breymaier Christoph Matschie Svenja Stadler Gero Storjohann Dr. Karl-Heinz Brunner Hilde Mattheis Martina Stamm-Fibich Stephan Stracke Katrin Budde Dr. Matthias Miersch Sonja Amalie Steffen Max Straubinger Dr. Lars Castellucci Klaus Mindrup Mathias Stein Karin Strenz Bernhard Daldrup Susanne Mittag Kerstin Tack Dr. Peter Tauber Dr. Daniela De Ridder Falko Mohrs Claudia Tausend Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Karamba Diaby Claudia Moll Michael Thews Hans-Jürgen Thies Esther Dilcher Siemtje Möller Markus Töns Alexander Throm Sabine Dittmar Bettina Müller Carsten Träger Dr. Dietlind Tiemann Yasmin Fahimi Detlef Müller (Chemnitz) Ute Vogt Antje Tillmann Dr. Johannes Fechner Michelle Müntefering Marja-Liisa Völlers Markus Uhl Dr. Fritz Felgentreu Dr. Rolf Mützenich Dirk Vöpel Dr. Volker Ullrich Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Arnold Vaatz Ulli Nissen Dr. Joe Weingarten Dagmar Freitag Kerstin Vieregge Thomas Oppermann Bernd Westphal Michael Gerdes Volkmar Vogel (Kleinsaara) Josephine Ortleb Dirk Wiese Martin Gerster Christoph de Vries Mahmut Özdemir Gülistan Yüksel Angelika Glöckner (Duisburg) Kees de Vries Timon Gremmels Aydan Özoğuz Dr. Johann David Wadephul Dr. Jens Zimmermann Marco Wanderwitz Kerstin Griese Christian Petry Nina Warken Michael Groß AfD Kai Wegner Uli Grötsch Sabine Poschmann Albert H. Weiler Bettina Hagedorn Florian Post Dr. Bernd Baumann Marcus Weinberg Rita Hagl-Kehl Achim Post (Minden) Marc Bernhard (Hamburg) Metin Hakverdi Florian Pronold Andreas Bleck Dr. Anja Weisgerber Sebastian Hartmann Dr. Sascha Raabe Peter Boehringer (B) (D) Peter Weiß (Emmendingen) Dirk Heidenblut Martin Rabanus Stephan Brandner Sabine Weiss (Wesel I) Hubertus Heil (Peine) Mechthild Rawert Jürgen Braun Ingo Wellenreuther Gabriela Heinrich Andreas Rimkus Marcus Bühl Marian Wendt Sönke Rix Matthias Büttner Wolfgang Hellmich Dennis Rohde Annette Widmann-Mauz Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Rosemann Tino Chrupalla Bettina Margarethe Gustav Herzog René Röspel Joana Cotar Wiesmann Gabriele Hiller-Ohm Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Klaus-Peter Willsch Thomas Hitschler Michael Roth (Heringen) Siegbert Droese Elisabeth Winkelmeier- Frank Junge Susann Rüthrich Thomas Ehrhorn Becker Thomas Jurk Bernd Rützel Berengar Elsner von Oliver Wittke Oliver Kaczmarek Sarah Ryglewski Gronow Tobias Zech Elisabeth Kaiser Johann Saathoff Dr. Michael Espendiller Emmi Zeulner Ralf Kapschack Axel Schäfer (Bochum) Peter Felser Paul Ziemiak Gabriele Katzmarek Dr. Nina Scheer Dietmar Friedhoff Dr. Matthias Zimmer Cansel Kiziltepe Marianne Schieder Dr. Anton Friesen Arno Klare Udo Schiefner Markus Frohnmaier SPD Lars Klingbeil Dr. Nils Schmid Dr. Götz Frömming Niels Annen Dr. Bärbel Kofler Uwe Schmidt Dr. Alexander Gauland Ingrid Arndt-Brauer Daniela Kolbe Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Axel Gehrke Bela Bach Dagmar Schmidt (Wetzlar) Albrecht Glaser Heike Baehrens Christine Lambrecht Carsten Schneider (Erfurt) Franziska Gminder Ulrike Bahr Christian Lange (Backnang) Johannes Schraps Wilhelm von Gottberg Nezahat Baradari Dr. Karl Lauterbach Michael Schrodi Kay Gottschalk Doris Barnett Sylvia Lehmann Ursula Schulte Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Matthias Bartke Helge Lindh Swen Schulz (Spandau) Dr. Roland Hartwig Sören Bartol Kirsten Lühmann Frank Schwabe Jochen Haug Bärbel Bas Isabel Mackensen Stefan Schwartze Udo Theodor Hemmelgarn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20843

(A) Waldemar Herdt FDP Dr. Martin Neumann (C) (Lausitz) Martin Hess Grigorios Aggelidis Caren Lay Matthias Nölke Dr. Heiko Heßenkemper Renata Alt Sabine Leidig Hagen Reinhold Karsten Hilse Christine Aschenberg- Ralph Lenkert Bernd Reuther Nicole Höchst Dugnus Stefan Liebich Dr. h. c. Thomas Dr. Gesine Lötzsch Martin Hohmann Jens Beeck Sattelberger Thomas Lutze Dr. Bruno Hollnagel Dr. Jens Brandenburg Christian Sauter (Rhein-Neckar) Amira Mohamed Ali Leif-Erik Holm Frank Schäffler Mario Brandenburg Niema Movassat Johannes Huber Dr. Wieland Schinnenburg (Südpfalz) Norbert Müller (Potsdam) Fabian Jacobi Matthias Seestern-Pauly Sandra Bubendorfer-Licht Zaklin Nastic Dr. Marc Jongen Frank Sitta Dr. Marco Buschmann Dr. Alexander S. Neu Jens Kestner Judith Skudelny Karlheinz Busen Thomas Nord Stefan Keuter Carl-Julius Cronenberg Bettina Stark-Watzinger Benjamin Strasser Petra Pau Norbert Kleinwächter Britta Katharina Dassler Katja Suding Sören Pellmann Enrico Komning Bijan Djir-Sarai Linda Teuteberg Victor Perli Jörn König Christian Dürr Michael Theurer Tobias Pflüger Steffen Kotré Hartmut Ebbing Stephan Thomae Martina Renner Dr. Rainer Kraft Dr. Marcus Faber Manfred Todtenhausen Bernd Riexinger Rüdiger Lucassen Daniel Föst Dr. Florian Toncar Eva-Maria Schreiber Otto Fricke Jens Maier Dr. Andrew Ullmann Dr. Petra Sitte Dr. Lothar Maier Gerald Ullrich Helin Evrim Sommer Dr. Birgit Malsack- Reginald Hanke Johannes Vogel (Olpe) Kersten Steinke Winkemann Peter Heidt Friedrich Straetmanns Corinna Miazga Katrin Helling-Plahr Katharina Willkomm Dr. Kirsten Tackmann Andreas Mrosek Markus Herbrand Jessica Tatti Hansjörg Müller Torsten Herbst DIE LINKE Alexander Ulrich Volker Münz Katja Hessel Kathrin Vogler Doris Achelwilm (B) Sebastian Münzenmaier Dr. Gero Clemens Hocker Dr. Sahra Wagenknecht (D) Gökay Akbulut Christoph Neumann Manuel Höferlin Andreas Wagner Simone Barrientos Jan Ralf Nolte Dr. Christoph Hoffmann Harald Weinberg Dr. Dietmar Bartsch Ulrich Oehme Reinhard Houben Katrin Werner Lorenz Gösta Beutin Ulla Ihnen Sabine Zimmermann Gerold Otten Matthias W. Birkwald Olaf In der Beek (Zwickau) Frank Pasemann Heidrun Bluhm-Förster Gyde Jensen Tobias Matthias Peterka Michel Brandt Paul Viktor Podolay Karsten Klein BÜNDNIS 90/ Christine Buchholz DIE GRÜNEN Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Dr. Birke Bull-Bischoff Stephan Protschka Daniela Kluckert Jörg Cezanne Luise Amtsberg Martin Reichardt Pascal Kober Sevim Dağdelen Lisa Badum Martin Erwin Renner Dr. Lukas Köhler Fabio De Masi Annalena Baerbock Roman Johannes Reusch Dr. Diether Dehm Margarete Bause Dr. Danyal Bayaz Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Anke Domscheit-Berg Konstantin Kuhle Canan Bayram Dr. Robby Schlund Klaus Ernst Alexander Kulitz Dr. Franziska Brantner Jörg Schneider Susanne Ferschl Alexander Graf Lambsdorff Agnieszka Brugger Uwe Schulz Brigitte Freihold Ulrich Lechte Dr. Anna Christmann Thomas Seitz Christian Lindner Dr. Gregor Gysi Ekin Deligöz Martin Sichert Michael Georg Link Dr. André Hahn Katja Dörner Detlev Spangenberg (Heilbronn) Heike Hänsel Katharina Dröge Dr. Dirk Spaniel Oliver Luksic Matthias Höhn Harald Ebner René Springer Till Mansmann Andrej Hunko Matthias Gastel Beatrix von Storch Dr. Jürgen Martens Ulla Jelpke Kai Gehring Dr. Alice Weidel Christoph Meyer Kerstin Kassner Stefan Gelbhaar Dr. Harald Weyel Alexander Müller Dr. Achim Kessler Katrin Göring-Eckardt Wolfgang Wiehle Roman Müller-Böhm Katja Kipping Erhard Grundl Frank Müller-Rosentritt Jan Korte Anja Hajduk 20844 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Britta Haßelmann Renate Künast Filiz Polat Markus Tressel (C) Dr. Bettina Hoffmann Markus Kurth Tabea Rößner Jürgen Trittin Dr. Anton Hofreiter Monika Lazar Claudia Roth (Augsburg) Dr. Julia Verlinden Ottmar von Holtz Steffi Lemke Dr. Manuela Rottmann Daniela Wagner Dieter Janecek Corinna Rüffer Dr. Tobias Lindner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Kirsten Kappert- Dr. Irene Mihalic Manuel Sarrazin Gonther Gerhard Zickenheiner Claudia Müller Ulle Schauws Uwe Kekeritz Beate Müller-Gemmeke Dr. Katja Keul Stefan Schmidt Fraktionslos Sven-Christian Kindler Dr. Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Charlotte Schneidewind- Marco Bülow Maria Klein-Schmeink Hartnagel Verena Hartmann Sylvia Kotting-Uhl Omid Nouripour Kordula Schulz-Asche Uwe Kamann Oliver Krischer Friedrich Ostendorff Dr. Wolfgang Strengmann- Stephan Kühn (Dresden) Cem Özdemir Kuhn Mario Mieruch Christian Kühn (Tübingen) Lisa Paus Margit Stumpp Dr. Frauke Petry

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 7 und viele Menschen zu Gegnern der Energiewende ge- macht. Wir brauchen aber die Akzeptanz der Menschen, Erklärungen nach § 31 GO damit die Energiewende gelingen kann. Mit den jetzt ge- fundenen politischen Lösungen ist keine ausreichende zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- Lösung zur Stärkung der Akzeptanz in den Standortkom- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur munen zu erwarten. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundes- Vereinheitlichung des Energieeinsparrechts für Ge- länder die Regelung jedoch nutzen, um bei fehlender oder bäude beklagter Regionalplanung eine Errichtung von 250 Me- ter hohen Windkraftanlagen unmittelbar an der Wohn- (B) (Tagesordnungspunkt 17 a) (D) bebauung zu verhindern. Die jetzt gefundene Abstands- regelung hilft, für diese Fälle den weiteren dramatischen Jens Koeppen (CDU/CSU): Akzeptanzverlust zu stoppen, aber nicht, um Vertrauen TOP 17 a wieder aufzubauen. Es bleibt auch zu hoffen, dass ver- schiedene Länder ihre Versprechungen in den Koalitions- Zu dem nun vorliegenden Ergebnis der Beratungen verträgen zügig umsetzen, um vor Ort zumindest das enthalte ich mich. jetzige Akzeptanzniveau für die Neuausrichtung der Aus meiner Sicht ist der Hauptgegenstand des Geset- Energiepolitik zu stabilisieren. zes – die Vereinheitlichung des Energiesparrechts für Ge- bäude – gut geregelt. Mit der Aufhebung des 52-GW-PV-Deckels können wir zwar den Zubau von Solarenergie erhöhen, aber für In den parlamentarischen Beratungen zum Gesetzent- die sichere und bezahlbare klimafreundliche Energiever- wurf ist es zudem gelungen, weitere Verbesserungen zum sorgung haben wir quasi damit keinen Beitrag erbracht. ursprünglichen Entwurf zu erreichen. Mir als Berichter- Die teure Lösung bringt die Energiewende nicht voran. statter war es beispielsweise wichtig, dass die Speicher- Der Zubau von weiteren Solarenergieanlagen in Deutsch- technologie eine bessere Anrechenbarkeit bekommt, dass land ohne ausreichende Speichertechnologie verbessert kein „Monopol“ der Verbraucherzentralen für die kosten- Statistiken, aber nicht die Versorgungssituation mit sau- lose Energieberatung festgeschrieben wird oder dass die berer Energie. Mit der Aufhebung des Deckels werden Innovationsklausel möglichst offen ausgestaltet wird. Situationen mit negativen Börsenstrompreisen zunehmen Wichtig war mir auch, dass die Biomasse gegenüber an- und noch mehr Redispatch-Maßnahmen notwendig. Der deren erneuerbaren Energieträgern nicht weiterhin stark Vorschlag für ein Marktanreizprogramm für die Dachs- benachteiligt wird. olaranlagen in Verbindung mit Speichertechnologie zur Eigenstromversorgung wurde bedauerlicherweise unge- Ich enthalte mich dennoch, da die diesem Gesetz an- prüft verworfen. gefügte Windabstandsregelung und die Aufhebung des 52-GW-PV-Deckels für die Energiewende in ihrer Aus- gestaltung nicht zielführend sind. Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): Bei der anstehen- Eine Mindestabstandsregelung von Windkraftanlagen den Abstimmung im Anschluss an die zweite/dritte zur Wohnbebauung schafft Akzeptanz für den Windkraft- Lesung zum Gesetz zur Vereinheitlichung des Energie- ausbau an Land. Der Ausbau von Windkraftanlagen hat einsparrechts für Gebäude steht zusätzlich ein Ände- in den letzten Jahren erheblich an Zustimmung verloren rungsantrag zum Gesetz zur Abstimmung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20845

(A) Dieser enthält die Einigung der Bundestagsfraktionen Der Bundestag wolle beschließen: (C) von Union und SPD zum Streit zwischen dem 52-Giga- watt-PV-Deckel und der Mindestabstandsregelung für 1. § 1 wird um zwei neue Absätze (3) und (4) erweitert: Windräder. (3) Voraussetzung für die Ermächtigung ist, dass das Ver- Dem vorausgegangen war eine langanhaltende Diskus- schuldungsverbot der Europäischen Union eingehalten sion im Zusammenhang mit dem sogenannten Energie- wird. Die Freigabe erfolgt durch weiteren Beschluss des sammelgesetz. Eine Vielzahl ostdeutscher Kolleginnen, Bundestages, nachdem die EU-Kommission dem Deut- Kollegen und ich haben diesem Energiesammelgesetz schen Bundestag gegenüber zweifelsfrei nachgewiesen nur unter der Bedingung zugestimmt, die strittigen Punk- hat, dass die. Finanzierung der Darlehen an Mitgliedstaa- te in einer neuen Arbeitsgruppe Akzeptanz zu diskutie- ten der Europäischen Union keinen Verstoß gegen das im ren. Artikel 311 des Vertrages über die Arbeitsweise der Eu- ropäischen Union (AEUV) implizierte Verschuldungs- In der AG Akzeptanz haben wir die verbindliche Fest- verbot darstellt, demzufolge der Haushaltsplan in Ein- schreibung eines Mindestabstands auf bundesgesetz- nahmen und Ausgaben auszugleichen ist. licher Ebene gefordert. Dieser Forderung fühle ich mich zur Steigerung der Akzeptanz der Windkraft in meinem (4) Die Ermächtigung gilt weiterhin unter der Vorausset- Wahlkreis nach wie vor verpflichtet. zung, dass Artikel 11 Absatz 4 Satz 2 und 3 der Verord- nung (EU) Nr. 2020/672 vom 19. Mai 2020 (,,Kommt ein Die nun vorliegende Länderöffnungsklausel weicht Mitgliedstaat einem Abruf ganz oder teilweise nicht entschieden von unserer ursprünglichen Forderung ab. rechtzeitig nach, so hat die Kommission das Recht, zu- Aus genannten Gründen werde ich mich bei der Ab- sätzliche Garantien anderer Mitgliedstaaten abzurufen, stimmung im Anschluss an die zweite/dritte Lesung zum um den entsprechenden Anteil des betreffenden Mit- Gesetz zur Vereinheitlichung des Energieeinsparrechts gliedstaats abzudecken. Solche Abrufe erfolgen anteilig für Gebäude sowie zum genannten Änderungsantrag der zu dem in Artikel 12 Absatz 1 genannten relativen Anteil Stimme enthalten. jedes der anderen Mitgliedstaaten am Bruttonationalein- kommen der Union und werden ohne Berücksichtigung des relativen Anteils des betreffenden Mitgliedstaats an- gepasst.") ersatzlos gestrichen wird, da es sich um einen Anlage 8 Verstoß gegen Artikel 125 AEUV handelt: 2. Nach § 1 wird ein neuer Paragraph 2 Weitere Voraus- Erklärung nach § 31 GO setzungen eingefügt: (B) (D) der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜND- § 2 Weitere Voraussetzungen NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- Der Bundesregierung wird aufgegeben, im Rat nur inso- schaft und Energie zur Annahme einer Entschlie- weit ihre Zustimmung zu Inanspruchnahmen des Instru- ßung (Drucksache 19/20148) mentes zu geben, als (Tagesordnungspunkt 17 a) 1. der zu begünstigende Mitgliedsstaat die Beistandsleis- Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die tung ausschließlich für durch COVID-19 verursachte Grünen, dass unser Votum Enthaltung lautet. Mehrkosten ihrer nationalen Kurzarbeitsregelungen einsetzt und diese das deutsche Niveau gleichartiger Maßnahmen nicht überschreiten.

Anlage 9 2. der zu begünstigende Mitgliedsstaat selbst nicht in der Lage ist, den Kreditbetrag am Kapitalmarkt aufzuneh- men. Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Frauke Petry, Uwe Kamann 3. der zu begünstigende Mitgliedsstaat Deutschland Re- und Mario Mieruch (alle fraktionslos) zu der zwei- alwert-Sicherheiten für die von Deutschland getrage- ten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen nen Bürgschaften zur Verfügung stellt. der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregierung 4. sichergestellt ist, dass eine erneute Anleihenbegebung (Drucksachen 19/19494, 19/19860, 19/20147) zum nach Maßgabe Art. 9 III der Verordnung (EU) Nr. Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleistungsüber- 2020/672 als Eintrittsfall der Sicherheitsleistung ge- nahme im Rahmen eines Europäischen Instru- mäß hiesiger Nr. 3 für den begünstigten Mitgliedsstaat ments zur vorübergehenden Unterstützung bei gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zu werten der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in Fol- ist. ge des COVID-19-Ausbruchs und zur Änderung des Stabilisierungsfondsgesetzes und des Wirt- 5. der zu begünstigende Mitgliedsstaat im Rahmen vor- schaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetzes so- heriger Begünstigungen seinen vertraglichen Pflich- wie erforderliche Folgeänderungen (SURE- ten vollständig und beanstandungslos nachgekommen Gewährleistungsgesetz – SURE-GewährlG) ist. (Tagesordnungspunkt 20) Berlin, den 18.06.2020 20846 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Begründung Mit dem SURE-Gewährleistungsgesetz wird ein In- (C) strument zur Unterstützung der nationalen Kurzarbeiter- Dem Titel des Projektes ,,SURE" sollte, soweit dies bei regelung mit einem Volumen von bis zu 100 Milliarden Bürgschaften überhaupt denkbar ist, Rechnung getragen Euro geschaffen. Dass aus einem solchen vorübergehen- werden. den Instrument schnell ein dauerhaftes werden kann, hat Die Gabe einer Bürgschaft über den Betrag von die Euro-Schuldenkrise ab 2010 gezeigt. Die erste Grie- 6,383 Mrd. EUR nimmt sich vergleichsweise klein aus, chenland-Hilfe war im Frühjahr 2010 eine bilaterale im Verhältnis zu den sonstigen durch die Bundesrepublik Hilfe der Einzelstaaten der EU. Dann kam im Deutschland übernommenen Pflichten, im Rahmen der Sommer 2010 der vorübergehende „Rettungsschirm" Europäischen Union. Dies sollte aber nicht darüber hin- EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität), der wegtäuschen, dass das· Vorhaben in mehrerlei Hinsicht durch eine eigene Kreditaufnahme der EU im Rahmen einen Bruch mit den EU-Verträgen, Haftungsgrundsätzen des neu geschaffenen EFSM (Europäischer Finanzstabi- und wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen vergan- lisierungsmechanismus) ergänzt wurde. Letzterer beruhte gener Jahrzehnte bedeutet. Zudem bedeutet es den auch auf Artikel 122 Absatz 2 und wurde mit der Notfall- Dammbruch in Richtung auf eine europäische Arbeits- situation Griechenlands begründet. Beide Instrumente, losenversicherung, die für die Bundesrepublik Deutsch- EFSF und EFSM, wurden dann 2012 durch den dauer- land finanziell besonders nachteilig wäre. haften„Rettungsschirm" ESM abgelöst. Genau diese Ge- fahr der permanenten Etablierung besteht aus meiner 1. Bislang gilt ein Verschuldungsverbot für die Europä- Sicht jetzt wieder bei SURE. ische Union. Dieses wird mit dem vor- liegenden Ge- setzestext unterlaufen. Die Kurzarbeiterregelungen in der Europäischen 2. Bislang gilt, dass Mitgliedstaaten nicht für Schulden Union sind völlig unterschiedlich: In Deutschland erhiel- anderer Mitgliedstaaten haften. Durch Kreditaufnah- ten vor der Coronakrise Arbeitnehmer ein Kurzarbeiter- me von Mitgliedstaaten bei der EU und Haftung der geld in Höhe von 60 bis 65 Prozent des Nettogehalts bis anderen Mitgliedstaaten, wird auch dieser Grundsatz zur Beitragsbemessungsgrenze. In den meisten Ländern unterlaufen. Auch die Nachschusspflicht im Falle der wird aber das Bruttogehalt als Basis zugrunde gelegt. In Nichtzahlung durch einzelne Mitgliedstaaten, ist Frankreich erhalten Arbeitnehmer 70 Prozent des Brutto- streng genommen ein solcher Fall. gehalts. Da dies steuerfrei ist, entspricht es rund 84 Pro- zent des Nettogehalts. In Spanien wird das Kurzarbeiter- 3. Die nach SURE vergebenen Kredite; sind unbefristet geld zwei Jahre lang bezahlt, in Portugal nur sechs und können „ewig" prolongiert wer den. Gleiches gilt Monate. Diese Vielfalt zu nivellieren, würde den europä- (B) für die zugehörigen Bürgschaften. Selbst eine fristge- ischen Geist zerstören. (D) mäße Rückzahlung erfüllt nicht das Kriterium einer temporären Unterstützung, da nach Artikel 9 der Ver- ordnung Kreditaufnahmen von 100 Mrd. EUR bereits Nichts spricht gegen generelle und gezielte Unterstüt- eine reguläre Laufzeit von mindestens 10 Jahren nach zung. Humanitäre Hilfe für die Krankenhäuser und Ge- sich ziehen. sundheitseinrichtungen in Italien, Spanien und Frank- reich sind richtig und notwendig. Dafür bedarf es aber 4. Die Kredite sollen weder nach Bedürftigkeit, noch keiner neu geschaffenen Institutionen und Fonds der Eu- unter Auflagen vergeben werden. Die hierzu in der ropäischen Union. Dies kann jedes Land aus eigener Ini- Verordnung formulierten Grundsätze sind unbe- tiative tun, und es sollte durch private Initiativen auch stimmt. möglichst ergänzt werden. Hier hat Deutschland eine lange Tradition mit vielen Hilfsorganisationen, vom Diesen Fehlentwicklungen als Deutscher Bundestag zu- THW über das Rote Kreuz bis hin zu den vielen anderen mindest abmildernd entgegenzutreten, beabsichtigt die- karitativen Organisationen. ser Antrag. Aus den genannten Gründen halte ich das „SURE- Gewährleistungsgesetz – SURE-GewährlG" für falsch. Anlage 10

Erklärung nach § 31 GO Anlage 11 der Abgeordneten Frank Schäffler, Alexander Müller und Christian Sauter (alle FDP) zur Ab- Erklärung nach § 31 GO stimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rah- der Abgeordneten Hans-Jürgen Irmer und Sylvia men eines Europäischen Instruments zur vorüber- Pantel (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über gehenden Unterstützung bei der Minderung von den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage im An- eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Über- schluss an den COVID-19-Ausbruch (SURE- nahme von Gewährleistungen im Rahmen eines Gewährleistungsgesetz – SURE-GewährlG) Europäischen Instruments zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosig- (Tagesordnungspunkt 20) keitsrisiken in einer Notlage im Anschluss an den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20847

(A) COVID-19-Ausbruch (SURE-Gewährleistungs- geben werden. Außerdem verstößt SURE erkennbar ge- (C) gesetz – SURE-GewährlG) gen das Verschuldungsverbot und andere haushälterische Prinzipien der Europäischen Union, die in Artikel 310– (Tagesordnungspunkt 20) 312 AEUV verankert sind. Wir erklären, dass wir diesen Gesetzentwürfen nicht zustimmen werden. Wir lehnen beide Fassungen des SURE-Gewährleis- tungsgesetzes aus den ausgeführten Erwägungen ab. Eine europäische Arbeitslosenversicherung soll nach Aussage der Befürworter speziell die Euro-Zone stabiler machen. Bei wirtschaftlichen Schocks soll eine auseinan- derdriftende Entwicklung in den Mitgliedstaaten der Eu- Anlage 12 ro-Zone vermieden werden. Zudem soll sie konjunktur- elle Schwankungen ausgleichen. Erklärung nach § 31 GO Hauptursachen ökonomischer Ungleichgewichte in der der Abgeordneten Klaus-Peter Willsch und Axel EU sind aber nicht Konjunkturschwankungen, sondern E. Fischer (Karlsruhe-Land) (beide CDU/CSU) strukturelle Probleme. Sie sind das Ergebnis verfehlter zur Abstimmung über den von den Fraktionen nationaler Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Finanz- und Bil- der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf ei- dungspolitik. Inflexible Arbeitsmärkte, hohe Lohnstück- nes Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistun- kosten und kaum wettbewerbsfähige Produkte haben zu gen im Rahmen eines Europäischen Instruments einem strukturellen Anstieg der Arbeitslosigkeit in ein- zur vorübergehenden Unterstützung bei der Min- zelnen Ländern geführt. Der Abbau der Arbeitslosigkeit derung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notla- ist nur mit Reformen zu bewältigen, die auf eine Stärkung ge im Anschluss an den COVID-19-Ausbruch (SU- der Wettbewerbsfähigkeit, auf anpassungsfähige Arbeits- RE-Gewährleistungsgesetz – SURE-GewährlG) märkte und den Aufbau einer leistungsfähigen Arbeits- vermittlung in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgerichtet (Tagesordnungspunkt 20) sind. Untaugliche Transfermaßnahmen wie die europä- Bei dem Europäischen Instrument zur vorübergehen- ische Arbeitslosenversicherung behindern oder gar ver- den Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosig- hindern konsequente Strukturreformen. keitsrisiken in der durch den Covid-19-Ausbruch verur- Mit diesem Vorgehen zur vorübergehenden Unterstüt- sachten Krise (SURE) handelt es sich um den Einstieg in zung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in eine europäische Arbeitslosenversicherung. Diese haben der durch den Covid-19-Ausbruch verursachten Krise wir als Union bislang immer abgelehnt. Noch heute heißt (B) (SURE) handelt es sich um den Einstieg in eine europä- es auf der Homepage der CDU/CSU-Gruppe in der EVP: (D) ische Arbeitslosenversicherung. Zudem orientiert sich „Eine europäische Arbeitslosenversicherung steht für diese vermeintliche Coronahilfe an makroökonomischen mehr Transfers in der Sozialpolitik und damit für die Kennziffern der Jahre 2015 bis 2019. Sie ist also keine Vergemeinschaftung von Haftungsrisiken.“ Weiter heißt Coronahilfe im eigentlichen Sinne; denn nicht die von der es: „Eine europäische Arbeitslosenversicherung soll nach Pandemie betroffenen, sondern die am wenigsten wett- Aussage der Befürworter speziell die Eurozone stabiler bewerbsfähigen Volkswirtschaften mit den größten Re- machen. Bei wirtschaftlichen Schocks soll eine auseinan- formdefiziten sollen diese Hilfe erhalten. derdriftende Entwicklung in den Mitgliedstaaten der Eu- rozone vermieden werden. Zudem soll sie konjunkturelle SURE verstößt darüber hinaus – ähnlich wie der Schwankungen ausgleichen. Die CDU/CSU-Gruppe im 750 Milliarden Euro schwere Europäische Aufbauplan – Europäischen Parlament ist gegen eine solche Versiche- gegen die Grundprinzipien der Europäischen Union. rung. Hauptursachen ökonomischer Ungleichgewichte in Während im Zuge der verschiedenen Hilfspakete für der EU sind nicht Konjunkturschwankungen, sondern Griechenland, Portugal und Irland der Eigenmittelbe- strukturelle Probleme. Sie sind das Ergebnis verfehlter schluss der Europäischen Union noch eingehalten wurde, nationaler Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Finanz- und indem der EU-eigene Teilrettungsschirm EFSM auf ein Bildungspolitik. Inflexible Arbeitsmärkte, hohe Lohn- Volumen von 60 Milliarden Euro begrenzt war, wird nun stückkosten und kaum wettbewerbsfähige Produkte ha- eine weitere rote Linie überschritten: Damit die Europä- ben zu einem strukturellen Anstieg der Arbeitslosigkeit ische Union Darlehen zur Bekämpfung der Arbeitslosig- in einzelnen Ländern geführt. Der Abbau der Arbeitslo- keit bis zu einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden sigkeit ist nur mit Reformen zu bewältigen, die auf eine Euro an einzelne Mitgliedstaaten weiterreichen kann, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, auf anpassungsfähi- müssen die Mitgliedstaaten als Garantiegeber auftreten ge Arbeitsmärkte und den Aufbau einer leistungsfähigen und haften, weil diese Summe nicht vom Eigenmittelbe- Arbeitsvermittlung in den einzelnen Mitgliedstaaten aus- schluss gedeckt ist. Auf die Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind. Untaugliche Transfermaßnahmen wie die entfallen dabei knapp 6,4 Milliarden Euro. Die Entschei- europäische Arbeitslosenversicherung würden konsequ- dung, ob einem Kreditantrag stattgegeben wird oder ente Strukturreformen behindern oder gar verhindern.“ nicht, obliegt dabei nicht dem Deutschen Bundestag oder (Link: https://www.cducsu.eu/europaeische- wenigstens analog zum ESM dem Haushaltsausschuss, arbeitslosenversicherung) sondern wird autonom im Europäischen Rat getroffen. Der Deutsche Bundestag hat sich im Zuge der Euro-Krise SURE verstößt darüber hinaus – ähnlich wie der seit 2010 sorgsam seine Mitwirkungsrechte als Haus- 750 Milliarden Euro schwere Europäische Aufbauplan – haltsgesetzgeber gesichert, die nun leichtfertig preisge- gegen die Grundprinzipien der Europäischen Union. 20848 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Während im Zuge der verschiedenen Hilfspakete für Während im Zuge der verschiedenen Hilfspakete für (C) Griechenland, Portugal und Irland der Eigenmittelbe- Griechenland, Portugal und Irland der Eigenmittelbe- schluss der Europäischen Union noch eingehalten wurde, schluss der Europäischen Union noch eingehalten wurde, indem der EU-eigene Teilrettungsschirm EFSM auf ein indem der EU-eigene Teilrettungsschirm EFSM auf ein Volumen von 60 Milliarden Euro begrenzt war, wird nun Volumen von 60 Milliarden Euro begrenzt war, wird nun eine weitere rote Linie überschritten: Damit die Europä- eine weitere rote Linie überschritten: Damit die Europä- ische Union Darlehen zur Bekämpfung der Arbeitslosig- ische Union Darlehen zur Bekämpfung der Arbeitslosig- keit bis zu einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden keit bis zu einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden Euro an einzelne Mitgliedstaaten weiterreichen kann, Euro an einzelne Mitgliedstaaten weiterreichen kann, müssen die Mitgliedstaaten als Garantiegeber auftreten müssen die Mitgliedstaaten als Garantiegeber auftreten und haften, weil diese Summe nicht vom Eigenmittelbe- und haften, weil diese Summe nicht vom Eigenmittelbe- schluss gedeckt ist. Auf die Bundesrepublik Deutschland schluss gedeckt ist. entfallen dabei knapp 6,4 Milliarden Euro. Die Entschei- dung, ob einem Kreditantrag stattgegeben wird oder Auf die Bundesrepublik Deutschland entfallen dabei nicht, obliegt dabei nicht dem Deutschen Bundestag oder knapp 6,4 Milliarden Euro. Die Entscheidung, ob einem wenigstens analog zum ESM dem Haushaltsausschuss, Kreditantrag stattgegeben wird oder nicht, obliegt dabei sondern wird autonom im Europäischen Rat getroffen. nicht dem Deutschen Bundestag oder wenigstens analog Der Deutsche Bundestag hat sich im Zuge der Eurokrise zum ESM dem Haushaltsausschuss, sondern wird auto- seit 2010 sorgsam seine Mitwirkungsrechte als Haus- nom im Europäischen Rat getroffen. Der Deutsche Bun- haltsgesetzgeber gesichert, die nun leichtfertig preisge- destag hat sich im Zuge der Euro-Krise seit 2010 sorgsam geben werden. Außerdem verstößt SURE erkennbar ge- seine Mitwirkungsrechte als Haushaltsgesetzgeber gesi- gen das Verschuldungsverbot und andere haushalterische chert, die nun leichtfertig preisgegeben werden. Außer- Prinzipien der Europäischen Union, die in Artikel 310- dem verstößt SURE erkennbar gegen das Verschuldungs- 312 AEUV verankert sind. verbot und andere haushalterische Prinzipien der Europäischen Union, die in Artikel 310–312 AEUV ver- Aus diesen Erwägungen lehnen wir das SURE- ankert sind. Gewährleistungsgesetz ab. Es ist mir somit nicht möglich, dem Gesetz zuzustim- men.

Anlage 13 Veronika Bellmann (CDU/CSU): Das SURE- Gewährleistungsgesetz erlaubt der EU, Kredite zur Fi- (B) Erklärungen nach § 31 GO nanzierung von Kurzarbeit in den Mitgliedsländern von (D) bis zu 100 Milliarden Euro auf dem Finanzmarkt aufzu- zur Abstimmung über den von den Fraktionen der nehmen. Diese Mittel werden als Darlehen an die durch CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines die EU ausgewählten Mitgliedsländer verteilt. Zu wel- Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen chen Konditionen diese Darlehen ausgereicht werden, im Rahmen eines Europäischen Instruments zur steht nicht im Gesetz, außer dass für die Kreditaufnahme vorübergehenden Unterstützung bei der Minde- eine Garantieleistung der EU von 25 Milliarden Euro rung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage nötig ist. Ein Viertel der Garantien, 6 383 882 000 Euro, im Anschluss an den COVID-19-Ausbruch (SURE- entfallen auf Deutschland. Gewährleistungsgesetz – SURE-GewährlG) Das vorliegende Gesetz ermächtigt die Bundesregie- (Tagesordnungspunkt 20) rung, die entsprechende Gewährleistung vorzunehmen. Außerdem enthält das Gesetz keinerlei Regelungen für Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): Am 9. April den wahrscheinlichen Fall, dass es bei der Rückzahlung hat sich die Euro-Gruppe auf ein Maßnahmenpaket zur der Darlehen, deren Konditionen ebenfalls keine Erwäh- Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nung finden, zu Zahlungsausfällen kommt. Ein weiteres geeinigt. Die Einigung auf europäischer Ebene umfasst Mal gibt es keine Folgen- bzw. Gefahrenabschätzung, unter anderem die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, insbesondere hinsichtlich der Risiken für den deutschen zur Bekämpfung drohender Arbeitslosigkeit Hilfen bei Steuerzahler; denn sonst hätte man einen Blick auf die der EU-Kommission zu beantragen (sogenannter Tempo- Staatsverschuldungen der Länder geworfen, die in den rary Support to mitigate Unemployment Risks in an Genuss der vom deutschen Steuerzahler besicherten Dar- Emergency). lehen kommen. Bei dem Europäischen Instrument zur vorübergehen- Außerdem wird im Gesetzentwurf behauptet „die Eu- den Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosig- ropäische Union finanziert“. Ganz so, als sei die Europä- keitsrisiken in der durch den Covid-19-Ausbruch verur- ische Union bereits ein Bundesstaat und kein Staaten- sachten Krise (SURE) handelt es sich um den Einstieg in bund mehr. eine europäische Arbeitslosenversicherung. Diese habe ich bisher immer abgelehnt und lehne ich weiterhin ab. Grundsätzlich stellt sich die Frage, weshalb die EU ein übergeordnetes Kurzarbeitergeld finanzieren muss, ob- SURE verstößt meiner Meinung nach – ähnlich wie der wohl beispielsweise Länder wie Italien dieses Instru- 750 Milliarden Euro schwere Europäische Aufbauplan – ment, wenn auch nicht üppig ausgestattet, bereits besit- gegen Grundprinzipien der Europäischen Union. zen. Im Übrigen müssen die Staaten die Darlehen nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20849

(A) einmal für Kurzarbeit ausgeben, sie können sie auch be- Griechenland, Portugal und Irland der Eigenmittelbe- (C) nutzen für „vergleichbare sowie unterstützende Maßnah- schluss der Europäischen Union noch eingehalten wurde, men im Gesundheitsbereich insbesondere zum Gesund- indem der EU-eigene Teilrettungsschirm EFSM auf ein heitsschutz am Arbeitsplatz“. Wenn sich die im Volumen von 60 Milliarden Euro begrenzt war, wird nun Durchschnitt reicheren Italiener einen armen Staat leis- eine weitere rote Linie überschritten: Damit die Europä- ten, so ist das völlig legitim und ihr gutes Recht, nur ische Union Darlehen zur Bekämpfung der Arbeitslosig- haben sie dann auch keinen Anspruch auf Leistungen, keit bis zu einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden die sie nicht finanziert haben. Und die ärmeren Deut- Euro an einzelne Mitgliedstaaten weiterreichen kann, schen, die sich einen reichen Staat leisten, sind nicht ver- müssen die Mitgliedstaaten als Garantiegeber auftreten pflichtet, doppelt zu zahlen. Denn Kurzarbeitergeld steht und haften, weil diese Summe nicht vom Eigenmittelbe- nicht im Zusammenhang mit der Wirtschaftsleistung des schluss gedeckt ist. Auf die Bundesrepublik Deutschland Staates, hat nichts mit der Coronakrise zu tun und ist eine entfallen dabei knapp 6,4 Milliarden Euro. Die Entschei- Versicherungsleistung. dung, ob einem Kreditantrag stattgegeben wird oder nicht, obliegt dabei nicht dem Deutschen Bundestag oder Das deutsche Kurzarbeitergeld wird weder aus dem wenigstens analog zum ESM dem Haushaltsausschuss, EU-Haushalt noch aus EU-Krediten noch aus dem deut- sondern wird autonom im Europäischen Rat getroffen. schen Steueraufkommen bestritten, sondern ist Teil der Der Deutsche Bundestag hat sich im Zuge der Euro-Krise Arbeitslosenversicherung, in die deutsche Arbeitnehmer seit 2010 sorgsam seine Mitwirkungsrechte als Haus- und deutsche Arbeitgeber einzahlen, und gehört zu un- haltsgesetzgeber gesichert, die nun leichtfertig preisge- serem umfangreichen nationalen Sozialabgabensystem. geben werden. Außerdem verstößt SURE erkennbar ge- Durch das SURE-Gewährleistungsgesetz wird ein eu- gen das Verschuldungsverbot und andere haushalterische ropäisches Kurzarbeitergeld nicht versicherungs-, son- Prinzipien der Europäischen Union, die in Artikel 310– dern kredit- und steuerzahlerbasiert eingeführt. Kredite, 312 AEUV verankert sind. Die EU arbeitet weiter am die in der Hauptsache von denen abgesichert werden, die größten Umverteilungsprogramm in ihrer Geschichte. ohnehin schon unter zu hohen Steuern und Sozialabgaben Und sie behält sich vor, die Regeln dafür zu bestimmen. leiden und denen durch die Nullzinspolitik zur Staats- Aus diesen Erwägungen lehne ich das SURE- finanzierung durch die Hintertür die Sparguthaben ent- Gewährleistungsgesetz ab. wertet und die Versicherungsquoten nach oben getrieben werden. Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): Am 9. April hat Die Einführung des europäischen Kurzarbeitergeldes sich die Euro-Gruppe auf ein Maßnahmenpaket zur Be- ist vermutlich unter dem Deckmantel der Solidarität in- kämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie (B) (D) folge der Coronakrise als Brücke zur Einführung einer geeinigt. Die Einigung auf europäischer Ebene umfasst europäischen Arbeitslosenversicherung gedacht. unter anderem die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, zur Bekämpfung drohender Arbeitslosigkeit Hilfen bei Eine europäische Arbeitslosenversicherung haben wir der EU-Kommission zu beantragen (sogenannter Tempo- als Union bislang immer abgelehnt. Noch heute heißt es rary Support to mitigate Unemployment Risks in an auf der Homepage der CDU/CSU-Gruppe in der EVP: Emergency). „Eine europäische Arbeitslosenversicherung steht für mehr Transfers in der Sozialpolitik und damit für die Bei dem Europäischen Instrument zur vorübergehen- Vergemeinschaftung von Haftungsrisiken. Die CDU/ den Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosig- CSU-Gruppe im Europäischen Parlament ist gegen eine keitsrisiken in der durch den Covid-19-Ausbruch verur- solche Versicherung. Hauptursachen ökonomischer Un- sachten Krise (SURE) handelt es sich um den Einstieg in gleichgewichte in der EU sind nicht Konjunkturschwan- eine europäische Arbeitslosenversicherung. Diese haben kungen, sondern strukturelle Probleme. Sie sind das Er- wir als Union bislang immer abgelehnt. gebnis verfehlter nationaler Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Finanz- und Bildungspolitik. Inflexible Arbeitsmärkte, Noch heute heißt es auf der Homepage der CDU/CSU- hohe Lohnstückkosten und kaum wettbewerbsfähige Pro- Gruppe in der EVP: „Eine europäische Arbeitslosenver- dukte haben zu einem strukturellen Anstieg der Arbeits- sicherung steht für mehr Transfers in der Sozialpolitik losigkeit in einzelnen Ländern geführt. Der Abbau der und damit für die Vergemeinschaftung von Haftungsrisi- Arbeitslosigkeit ist nur mit Reformen zu bewältigen, die ken.“ Weiter heißt es: „Eine europäische Arbeitslosenver- auf eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, auf anpas- sicherung soll nach Aussage der Befürworter speziell die sungsfähige Arbeitsmärkte und den Aufbau einer leis- Eurozone stabiler machen. Bei wirtschaftlichen Schocks tungsfähigen Arbeitsvermittlung in den einzelnen Mit- soll eine auseinanderdriftende Entwicklung in den Mit- gliedstaaten ausgerichtet sind. Untaugliche gliedstaaten der Eurozone vermieden werden. Zudem soll Transfermaßnahmen wie die europäische Arbeitslosen- sie konjunkturelle Schwankungen ausgleichen. Die versicherung würden konsequente Strukturreformen be- CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament ist gegen hindern oder gar verhindern.“ (Link: https://www.cducsu. eine solche Versicherung. Hauptursachen ökonomischer eu/europaeische-arbeitslosenversicherung) Ungleichgewichte in der EU sind nicht Konjunktur- schwankungen, sondern strukturelle Probleme. Sie sind SURE verstößt darüber hinaus – ähnlich wie der das Ergebnis verfehlter nationaler Wirtschafts-, Arbeits- 750 Milliarden Euro schwere Europäische Aufbauplan – markt-, Finanz- und Bildungspolitik. Inflexible Arbeits- gegen die Grundprinzipien der Europäischen Union. märkte, hohe Lohnstückkosten und kaum wettbewerbsfä- Während im Zuge der verschiedenen Hilfspakete für hige Produkte haben zu einem strukturellen Anstieg der 20850 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Arbeitslosigkeit in einzelnen Ländern geführt. Der Ab- Hampel, Dr. Roland Hartwig, weiterer Abge- (C) bau der Arbeitslosigkeit ist nur mit Reformen zu bewäl- ordneter und der Fraktion der AfD: Für eine tigen, die auf eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, neue Syrienpolitik – Frieden sichern, Wieder- auf anpassungsfähige Arbeitsmärkte und den Aufbau ei- aufbau fördern ner leistungsfähigen Arbeitsvermittlung in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgerichtet sind. Untaugliche Transfer- c) der Beschlussempfehlung und des Berichts des maßnahmen wie die europäische Arbeitslosenversiche- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der rung würden konsequente Strukturreformen behindern Abgeordneten Frank Pasemann, Waldemar oder gar verhindern.“ (Link: https://www.cducsu.eu/ Herdt, Armin-Paulus Hampel, weiterer Abge- europaeische-arbeitslosenversicherung) ordneter und der Fraktion der AfD: Sanktionen gegen die Arabische Republik Syrien aufheben – SURE verstößt darüber hinaus – ähnlich wie der Wiederaufbau ermöglichen 750 Milliarden Euro schwere Europäische Aufbauplan – d) der Beschlussempfehlung und des Berichts des gegen die Grundprinzipien der Europäischen Union. Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Während im Zuge der verschiedenen Hilfspakete für Abgeordneten Frank Pasemann, Waldemar Griechenland, Portugal und Irland der Eigenmittelbe- Herdt, Armin-Paulus Hampel, weiterer Abge- schluss der Europäischen Union noch eingehalten wurde, ordneter und der Fraktion der AfD: Diploma- indem der EU-eigene Teilrettungsschirm EFSM auf ein tische Beziehungen zur Arabischen Republik Volumen von 60 Milliarden Euro begrenzt war, wird nun Syrien normalisieren – Nachhaltigen Befrie- eine weitere rote Linie überschritten: Damit die Europä- dungsprozess initialisieren ische Union Darlehen zur Bekämpfung der Arbeitslosig- sowie keit bis zu einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden Euro an einzelne Mitgliedstaaten weiterreichen kann, – des Antrags der Abgeordneten Omid müssen die Mitgliedstaaten als Garantiegeber auftreten Nouripour, Margarete Bause, Dr. Franziska und haften, weil diese Summe nicht vom Eigenmittelbe- Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frak- schluss gedeckt ist. tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Humanitäre Katastrophe in Idlib stoppen Auf die Bundesrepublik Deutschland entfallen dabei knapp 6,4 Milliarden Euro. Die Entscheidung, ob einem – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Kreditantrag stattgegeben wird oder nicht, obliegt dabei richts des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- nicht dem Deutschen Bundestag oder wenigstens analog trag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, zum ESM dem Haushaltsausschuss, sondern wird auto- Kathrin Vogler, Heike Hänsel, weiterer Abge- (B) nom im Europäischen Rat getroffen. Der Deutsche Bun- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Frie- (D) destag hat sich im Zuge der Euro-Krise seit 2010 sorgsam densprozesse in Syrien fördern, Völkerrecht seine Mitwirkungsrechte als Haushaltsgesetzgeber gesi- wiederherstellen chert, die nun leichtfertig preisgegeben werden. Außer- (Tagesordnungspunkt 23 a bis d sowie Zusatz- dem verstößt SURE erkennbar gegen das Verschuldungs- punkt 20 und 21) verbot und andere haushalterische Prinzipien der Europäischen Union, die in Artikel 310–312 AEUV ver- ankert sind. Jürgen Hardt (CDU/CSU): Es ist gut, dass wir uns hier im Hohen Haus wieder einmal mit der Situation in Aus genannten Gründen werde ich bei der Abstim- Syrien befassen, trotz – oder sagen wir – gerade wegen mung im Anschluss an die zweite/dritte Lesung des der Coronakrise. Denn die humanitäre Tragödie setzt sich SURE-Gewährleistungsgesetzes mit Nein votieren. tagtäglich fort. Assad drangsaliert seine eigene Bevölkerung und un- terdrückt jedwede andere Meinung. Er setzt unverhohlen Anlage 14 Massenvernichtungswaffen gegen die eigene Bevölke- rung ein. Und Corona hat angesichts des desolaten Ge- Zu Protokoll gegebene Rede sundheitssystems leichtes Spiel und bahnt sich seinen Weg in die notleidende Gesellschaft. zur Beratung Wie Sie dieses Thema auf die Tagesordnung setzen, a) des Antrags der Abgeordneten Frank liebe Kollegen der AfD, ist allerdings einfach nur perfide! Pasemann, Waldemar Herdt, Udo Theodor Sie suggerieren eine Normalität, die es nicht gibt. Sie Hemmelgarn, weiterer Abgeordneter und der machen sich einmal mehr zum Steigbügelhalter Putins Fraktion der AfD: Das syrische Volk in der Be- und seiner kühlen, menschenverachtenden Politik in der wältigung der Bürgerkriegsfolgen und der Region. Sie definieren den Krieg als beendet. Sie spre- Corona-Krise nicht allein lassen – Wiederauf- chen Assad und seinem Regime den Sieg zu, sie wollen bau und Frieden im europäischen Interesse er- ihm mit deutschen Steuermitteln den Wiederaufbau fi- möglichen nanzieren und Normalität vorgaukeln. b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Das machen wir nicht mit, und zwar keine der anstän- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der digen Fraktionen im Deutschen Bundestag. Ihre verant- Abgeordneten Waldemar Herdt, Armin-Paulus wortungslose Politik können Sie gerne in immer neue Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20851

(A) Anträge gießen, auf immer mehr Papier verewigen, aber der das Land in eine bessere Zukunft weist. Wenn solch (C) dort wird sie bleiben. ein Prozess greift, dann können wir über Wiederaufbau und Schritte hin zur Normalisierung reden, aber erst Das Thema Syrien und die tragische Lage ist zu wich- dann. tig, als sich in Heuchelei zu ergießen. Seit Beginn des Bürgerkriegs in 2011 sind über Ich möchte noch einen Aspekt erwähnen, weil er mich 400 000 Menschen dem Krieg zum Opfer gefallen. Mil- sehr beschäftigt: Bei allen bereits bestehenden Konflikt- lionen Menschen sind auf der Flucht. Viele haben bei uns linien in Syrien hat sich in den letzten Monaten auch der Zuflucht gesucht und gefunden. IS wieder neu gruppiert und seine Aktivitäten ausgewei- tet. Dies sollte uns alle alarmieren. Wir dürfen trotz der Der Krieg in Syrien ist längst zu einem Vielfronten- Coronakrise nicht die Augen vor dieser Sicherheitsgefahr krieg geworden. Nur dürfen wir eines nicht vergessen: verschließen, die schnell auch wieder Europa treffen Russland hat seinem Schützling Assad eine zweite Luft kann. eingehaucht und es erst ermöglicht, dass er seinen bruta- len Feldzug gegen die eigene Bevölkerung fortsetzen Ich frage mich kritisch, ob es richtig war, dass wir im konnte. Hätte Assad nicht die tatkräftige Unterstützung Frühjahr sehr vorschnell wichtige Fähigkeiten für den Moskaus erhalten – und aus Teheran, um das auch hier Einsatz gegen den IS wie die Luftaufklärung abgezogen noch einmal zu unterstreichen –, dann wären die Geschi- haben. cke in Syrien viel früher ganz anders gelaufen: sicherlich Mit Blick auf die anstehende Mandatsverlängerung im ohne so viel Blutvergießen, und möglicherweise ohne Herbst sollten wir den Diskurs noch einmal sehr kritisch dass so viele Kinder schutzlos und elend am Gas von führen. Denn ein effektiver Kampf gegen den IS ist Giftbomben erstickt wären. Grundvoraussetzung für eine langfristige Stabilisierung Die Bilder erschüttern einen noch immer – aber das Syriens und der gesamten Region. lässt Sie sicherlich kalt. Andernfalls würden Sie nicht so verachtende Vorschläge in Anträgen unterbreiten. Die Notwendigkeit, den Krieg in Syrien einer nach- Anlage 15 haltigen politischen Lösung zuzuführen, ist größer denn je. Europa hat sich in der Vergangenheit durch eine zu Zu Protokoll gegebene Rede passive Rolle nicht mit Ruhm bekleckert. Das muss sich ändern. zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung (B) Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gute, zielführende des Strafgesetzbuches – Modernisierung des Schrif- (D) Vorschläge, die vieles Blutvergießen verhindert hätten – tenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweite- wie die von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer rung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 vorgeschlagene Schutzzone für Nordsyrien –, hier im und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Hohen Hause zunichte debattiert wurden. Ausland Doch Deutschland setzt sich weiter zur Befriedung und (Tagesordnungspunkt 24) vor allem zur Linderung des menschlichen Leids ein. Deutschland unterstützt maßgeblich die Dialogprozesse Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Im Koalitionsvertrag unter VN-Ägide, so schwer diese auch sein mögen. Und von CDU, CSU und SPD für diese 19. Legislaturperiode Deutschland ist einer der wichtigsten humanitären Ak- haben wir unter der Überschrift „Opferschutz“ Folgendes teure in Syrien. Das haben mir Gesprächspartner bei vereinbart: Wir erweitern den alten Schriftenbegriff in den Vereinten Nationen in New York, die ich noch vor Paragraf 11 Absatz 3 StGB hin zu einem modernen Me- der Coronakrise getroffen habe, sehr anerkennend zum dienbegriff. Auch die Justizministerkonferenz hat sich in Ausdruck gebracht. ihrer Arbeitsgruppe „Digitale Agenda“ in ihrem Ab- Eine der wichtigsten Errungenschaften unserer Mit- schlussbericht für eine Überarbeitung eines erweiterten gliedschaft im VN-Sicherheitsrat war es, dass es uns nach Schriftenbegriffs ausgesprochen. harten Verhandlungen gelungen ist, den humanitären Zu- Um was geht es hierbei? Es geht um drei Bereiche: gang zu ldlib über zwei Grenzübergänge von der Türkei erstens die Verteidigung des Schriftenbegriffs zu einem aus zu sichern. Dies rettet Menschenleben. Es ist der Inhaltsbegriff, zweitens die Erfassung einer Strafverfol- große Verdienst von Botschafter Christoph Heusgen gung im Ausland sowie drittens eine sprachliche Modifi- und seinem Team, dass Resolution 2504 zu Beginn des zierung und Modernisierung. Jahres verabschiedet werden konnte. Dafür gebührt ihm und seinem Team der Dank dieses Hohen Hauses! Die Verwendung des Begriffs „Schriften“ in den ein- schlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuchs wird be- Doch die Arbeit daran muss weitergehen. In nur weni- grifflich der heutigen Lebenswirklichkeit und den Bege- gen Tagen steht die Debatte über den fortgesetzten huma- hungsformen nicht mehr gerecht. Hintergrund dieser nitären Zugang erneut an. Wir können nur hoffen, dass Änderung ist, dass die Verbreitung strafbarer Inhalte Vernunft und Menschlichkeit erneut obsiegen werden. wie zum Beispiel Volksverhetzung oder Kinderpornogra- Aber dies sind nur die kleinen Schritte. Interessierte fie heute nicht mehr über gedruckte Medien erfolgt, son- Dritte, allen voran Russland und der Iran, müssen sich dern digital, insbesondere über das Internet. Wir können endlich auf einen echten politischen Prozess einlassen, uns noch erinnern, dass früher durch Flugzettel auf 20852 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) Marktplätze zu einer Straftat aufgefordert wurde. Heute rade in der COVID-19-Wirtschaftskrise ab- (C) ist die Lebensrealität aber, dass Fake News im Internet, schaffen gesendet über irgendeinen Server im Ausland, strafbare Inhalte wie die Aufforderungen zu Straftaten verbreiten. (Tagesordnungspunkt 35 d, e, g sowie Zusatzpunkt Deshalb war ein neuer Inhaltsbegriff zu finden, der alle 24) Methoden der Übertragung mittels Informations- und Kommunikationstechnik erfasst. Björn Simon (CDU/CSU): Die Geburtstagskarte, die beim Öffnen „Happy Birthday“ spielt, die elektrische Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Strafverfolgung Zahnbürste, der Akkubohrer, das Smartphone oder der im Ausland modernisiert; denn aufgrund der Änderung Stromspeicher der hauseigenen Solaranlage, sie alle ha- der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich ben eines gemeinsam: eine Batterie als Energielieferant. der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswid- Von 2013 bis 2018 ist der Markt nur für Lithiumbatterien riger Organisationen oder der Verwendung von Kennzei- um 69 Prozent gewachsen. Batterien gehören bei uns chen verfassungswidriger Organisationen ist Handlungs- mittlerweile zum Alltag. Wenn sie ihren Nutzen erfüllt bedarf angesagt. Mit dem Gesetzentwurf soll ein haben, müssen sie vernünftig entsorgt, gesammelt und gesonderter Absatz eingefügt werden, der die Strafbar- verwertet werden. keit unter bestimmten Voraussetzungen auf Handlungen aus dem Ausland erweitert. Erfasst werden sollen die Darum geht es in dem vorliegenden Entwurf der Bun- Fälle, in denen die Handlung durch einen Deutschen oder desregierung: die Novellierung des Batteriegesetzes. Was einen Ausländer mit Lebensgrundlage im In- oder Aus- bedeutet das konkret? Wichtig ist: Der Endverbraucher land vorgenommen wird. soll bei der Entsorgung seiner Batterie wenig von dieser Novellierung spüren. Verbrauchte Batterien können wei- Schließlich und endlich sollen in Paragraf 20 hinsicht- terhin in eine Sammelbox geworfen werden, beispiels- lich der Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen weise im Supermarkt oder auf dem Wertstoffhof. Bei alte und eigentlich tendenziell diskriminierende Begriffe näherer Betrachtung sprechen wir jedoch über einen sen- wie „Schwachsinn“ oder „Abartigkeit“ durch zeitgemäße siblen Bereich des Recyclings, der enorme Potenziale für ersetzt werden. Damit wird dem wichtigen Anliegen des eine funktionierende Kreislaufwirtschaft bietet, aber Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von gleichzeitig auch im Umgang mit Gefahrengütern große Menschen mit Behinderungen Rechnung getragen. Ob Sorgfalt verlangt. die im Einzelnen gefundenen Begriffe, anstelle des Wor- tes „Schriften“ von „Verkörperungen“ zu sprechen, ver- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf reagiert die Bun- wendet werden, wird sich zeigen. Ob dies allerdings in desregierung nun auf folgende Problematik: Die Stiftung (B) den allgemeinen Sprachgebrauch eingeht, mag die Zu- Gemeinsames Rücknahmesystem Batterien, kurz GRS, (D) kunft zeigen. Geben wir aber diesem Gesetz eine Chance, stand bisher für ein Solidarsystem zur Sammlung von Straftatbestände zu erfassen und zu modernisieren und Altbatterien. In den vergangenen Jahren entdeckten wei- unser StGB für die Zukunft fit zu machen. tere Marktteilnehmer, welche Potenziale in der Batterie- rücknahme und Verwertung stecken, sodass der Wettbe- werbsdruck zu groß wurde. Die GRS kündigte das Solidarsystem auf und gründete im vergangenen Januar Anlage 16 ihrerseits ein eigenes Rücknahmesystem. Der vorliegen- de Gesetzentwurf greift somit die Problematik des Weg- Zu Protokoll gegebene Reden falls des Nebeneinanders zwischen Solidarsystem und herstellereigenem Rücknahmesystem auf und passt den zur Beratung Rechtsrahmen hin zu einem Wettbewerb unter rein her- stellergetragenen Rücknahmesysteme an. – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung Mich haben eine Reihe von besorgten Anfragen und des Brennstoffemissionshandelsgesetzes Briefen, gerade von Rücknahmestellen von Gerätealtbat- terien, erreicht, in denen durch den Wegfall des Solidar- – des von der Bundesregierung eingebrachten systems das Entstehen von erheblichen Unsicherheiten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung im aktuell gültigen Batteriegesetz befürchtet wird. Durch des Batteriegesetzes die Novelle des Gesetzes haben wir nun die Möglichkeit, diese Unsicherheiten zu beseitigen und wieder Rechts- – des Antrags der Abgeordneten Ralph Lenkert, sicherheit für alle beteiligten Akteure herzustellen. Lorenz Gösta Beutin, Hubertus Zdebel, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Aber auch für die Hersteller bedeutet die Novelle eini- KE: Pfand für Elektrogeräte und Batterien ge Veränderungen. So sieht der Gesetzentwurf einen Wechsel von einer Anzeige- zu einer Registrierungs- sowie pflicht vor. Gleichzeitig sollen neue Mindeststandards bei der Abholung von Gerätealtbatterien eine hochwerti- – des Antrags der Abgeordneten Karsten Hilse, ge und sichere Entsorgung garantieren. An erster Stelle Marc Bernhard, Andreas Bleck, weiterer Abge- muss eine flächendeckende Sammlung und hochwertige ordneter und der Fraktion der AfD: Wirtschaft Verwertung von Altbatterien stehen. Diese muss weiter- entlasten – Treibhausgas-Emissionshandel ge- hin verbraucherfreundlich bleiben und einer starken Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20853

(A) Kreislaufwirtschaft gerecht werden. Dafür steht die Am Anfang hieß es dort: Die Wirtschaft muss weiter- (C) Unionsfraktion! laufen. Das ist schon alles nicht so schlimm. – Dort haben Zehntausende von Menschen ihr Leben verloren und Mil- Dazu gehört aber auch, dass wir einige Punkte in der lionen von Menschen ihren Job! Der Staat hat den Men- parlamentarischen Beratung, vor allem im Ausschuss und schen auch nicht so geholfen wie in Deutschland. gegebenenfalls in einer Anhörung, durchaus noch einmal Deutschland steht in dieser Krise so gut da wie kein kritisch beleuchten werden, denn in einigen Punkten – anderes Land auf dieser Welt. Wenn wir das gemacht wie im Hinblick auf die Bestimmung von Sammelquoten hätten, was die AfD uns hier vorschlägt, dann wäre es oder die Regelung bei der Abholung durch ein Rücknah- bei uns jetzt so schlimm wie in den USA und Groß- mesystem – sehen wir erheblichen Nachbesserungsbe- britannien. Das ist doch die Wahrheit! darf. Das zweite Thema des Antrags ist: Der Mensch hat Kurz möchte ich noch auf den Antrag der Fraktion Die keinen Einfluss auf den Klimawandel. Wissenschaftler Linke eingehen. Eine derart gestaltete Bepfandung von aus aller Welt legen uns praktisch täglich Belege dafür Elektrogeräten und Batterien, wie ich es Ihrem Antrag vor, dass das Weltklima aus der Balance geraten ist und entnehme, halte ich für nicht praktikabel. Wir müssen dass dies auf die Aktivitäten des Menschen zurückzufüh- uns zuerst die Frage stellen, woran es liegt, dass die ren ist. Die AfD ändert dazu ständig ihre Meinung: Zuerst Sammelquoten hier nicht unseren Zielvorstellungen ent- hieß es, dass der Klimawandel zwar da ist, dass der sprechen. Mit der pauschalen Forderung nach einem Mensch aber keinerlei Einfluss darauf hat. Dann sprachen Pfand werden Sie dem Problem nicht gerecht. Hier müs- Sie auf einmal davon, dass der Mensch keinen „nennens- sen wir den Verbraucher viel mehr mitnehmen, informie- werten“ Beitrag dazu leistet. Sie fühlen sich nicht wohl ren und sensibilisieren. Viele Verbraucher kennen näm- mit Ihrer Position. Was denn nun: Leistet er einen Bei- lich gar nicht alle Möglichkeiten der Entsorgung. trag, oder leistet er keinen Beitrag? Sie vertreten diese Bei Batterien stellt sich die Sachlage ganz anders dar: Positionen, obwohl fast die gesamte Wissenschaft sagt, Hier übererfüllen wir die EU-Mindestquoten schon seit dass der Mensch entscheidenden Einfluss auf den Klima- Jahren. Gleichwohl sind wir uns der Problematik be- wandel hat und tragen uns diese Positionen gebetsmüh- wusst, dass es bei unsachgemäßer Entsorgung und Be- lenartig immer wieder vor – im Ausschuss und im Ple- handlung sowie Beschädigung vor allem von Lithium- num. Ionen-Batterien regelmäßig zu gravierenden Bränden Sie machen Ihre Politik damit in dem vollen Bewusst- auf Recyclinghöfen kommt. sein dessen, dass wir – wenn wir nicht handeln – den Zudem erfasst Ihr Bepfandungsvorschlag bei Weitem kommenden Generationen unüberschaubare Risiken (B) nicht alle Batteriearten und erscheint mir doch recht will- und Folgekosten vererben. Das ist für mich völlig unbe- (D) kürlich: So kann ich mir bei Elektrokleinstgeräten eine greiflich – vor allem, wenn ich in die Augen meiner 9- Steuerungsfunktion durch ein Pfand noch vorstellen, jährigen Tochter und meines 7-jährigen Sohnes schaue, doch gerade bei teureren Geräten wie E-Bikes oder E- wenn sie mich beim Frühstück löchern, was wir tun kön- Scootern wird ein Pfand von 50 Euro kaum ins Gewicht nen, um den Klimawandel einzudämmen. fallen. Zudem haben Lithium-Ionen-Akkus gerne mal Zurück zum eigentlichen Thema; denn wir haben eine Lebensdauer von zehn Jahren. Ich frage mich, wel- Wichtiges zu debattieren und zu entscheiden. Das BEHG cher Hersteller oder Händler über diese lange Zeit das ist das Kernstück des Klimapakets, das wir im vergange- Kapital freihalten kann, um jederzeit die Rückzahlung nen Jahr auf den Weg gebracht haben. Damit führen wir des Pfandbetrages gewährleisten zu können. als eines der ersten Länder in der EU und der Welt ein Bei der Novelle des Batteriegesetzes sind wir am An- separates Emissionshandelssystem für die Bereiche Wär- fang der Debatte. Lassen Sie uns im Ausschuss inhaltlich me und Verkehr ein und geben dem Klimagas CO2 auch diskutieren. Was uns sicherlich alle eint, ist, auf der einen in diesen beiden Sektoren einen Preis. Das ist der richtige Seite den veränderten Gegebenheiten im Markt Rech- Weg; denn durch die CO2-Bepreisung setzen wir einen nung zu tragen und auf der anderen Seite ein Batteriege- Anreiz, auf klimafreundliche Technologien umzusteigen. setz zu verabschieden, mit dem alle Betroffenen zufrie- den sind und welches unserer starken Kreislaufwirtschaft Dass dieses Instrument sehr gut funktioniert, sehen wir gerecht wird. am europäischen Emissionshandel für Industrie und Energie. Denn in den letzten Jahren ist in diesen Sektoren der CO2-Ausstoß kontinuierlich gesunken. Durch den Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Lassen wir zu Emissionshandel werden erneuerbare Energien wettbe- dem Antrag der AfD doch erst einmal die Fakten spre- werbsfähiger gegenüber fossilen Energien, und es gehen chen. Die Coronakrise wurde durch eine weltweite Pan- immer mehr fossile Energien aus dem Netz. Wir setzen demie ausgelöst. In den Ländern der Welt, in denen die damit ganz bewusst auf ein marktwirtschaftliches Instru- Politik nicht so konsequent gehandelt hat, sind unzählige ment und nicht auf Ordnungsrecht, wie es andere Parteien Menschen gestorben. Die meisten Coronatoten haben die auf europäischer Ebene gerne fordern. USA zu verzeichnen, und gleichzeitig verloren da über 40 Millionen Menschen ihren Job. Großbritannien hat im Dieses marktwirtschaftliche Instrument hat auch den Ländervergleich, bezogen auf eine Million Menschen, Vorteil, dass in der Krise der Preis sinkt und damit auto- die meisten Coronatoten. Das sind die Länder, wo das matisch die Belastung nachlässt. Vor der Coronakrise, im gemacht wurde, was die AfD fordert: nicht von Anfang Februar dieses Jahres, lag der CO2-Preis im EU-ETS an Kontaktbeschränkungen. noch bei rund 25 Euro. Zwischenzeitlich lag der Preis 20854 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) bei nur knapp 16 Euro, und nun, da wir langsam aus der strengungen unternehmen wollen, damit wir unsere Kli- (C) Krise kommen, ist er wieder auf etwas über 20 Euro an- maziele erreichen. Diese Unterstützung dürfen wir nicht gestiegen, aber eben noch nicht auf den Preis vor der verspielen. Unsere Unternehmen, vor allem auch die klei- Krise. Der Emissionshandel, die Bepreisung von CO2, nen und mittelständischen Unternehmen, brauchen drin- ist ein marktwirtschaftliches Instrument und funktioniert gend Klarheit, was sie beim Emissionshandel erwartet, zuverlässig. Das sehen wir in der aktuellen Krise. worauf sie sich einstellen müssen. Unsere Unternehmen brauchen diese Sicherheit heute mehr denn je. Neben der CO2-Bepreisung enthält das Klimapaket ein Bündel von über 60 Maßnahmen, die ganz erheblich dazu Für uns ist es essenziell, dass wir die Wettbewerbs- beitragen werden, unsere Klimaziele zu erreichen. Das fähigkeit unserer Unternehmen und des Wirtschaftsstand- dritte Element des Klimapakets ist der Kontrollmechanis- orts Deutschland nicht gefährden. Daher hat sich die mus, den wir mit dem Klimaschutzgesetz eingeführt ha- Bundesregierung und haben wir uns als Deutscher Bun- ben und durch den wir in jedem einzelnen Sektor immer destag verpflichtet, Verordnungen auf den Weg zu brin- wieder prüfen, ob wir auf Kurs sind. Drohen wir unsere gen, die unsere Unternehmen vor Doppelbelastungen Ziele zu verfehlen, muss nachgesteuert werden. durch den nationalen und den europäischen Emissions- Neben diesen drei wichtigen Elementen gibt es jetzt handel schützen, im Falle einer Doppelbelastung Kom- aktuell noch weitere Bausteine: Mit dem Konjunkturpa- pensationen bieten und die Bedingungen schaffen, damit ket investieren wir rund 40 Milliarden Euro in Zukunfts- Unternehmen nicht ins europäische Ausland abwandern, investitionen und Klimaschutz. Auch für die Nationale fachlich ausgedrückt, die Carbon Leakage verhindern. Wasserstoffstrategie sind in dem Paket 9 Milliarden Euro Auch diese Verordnungen müssen nun endlich vorge- enthalten. Die Strategie ist ein wichtiger Schritt; denn legt werden. Deshalb möchte ich einen eindringlichen Grüner Wasserstoff ist der Schlüsselrohstoff zur Errei- Appell an das BMU richten: Zögern Sie diese so wichti- chung unserer Klimaziele. gen Verordnungen nicht länger hinaus! Unser Ziel muss Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt es sein, die Novelle des BEHG und die Verordnungen weiter voran: Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, bis hier im Bundestag gemeinsam zu verabschieden. Das zum Jahr 2030 einen Anteil von 65 Prozent erneuerbare sind wir der Wirtschaft und dem Klima schuldig. Im Energien am Stromverbrauch zu erreichen. Mit dem Übrigen lehnen wir den vorliegenden Antrag der AfD- Wegfall des 52-Gigawatt-Fotovoltaikdeckels, den wir Fraktion ab. heute Abend beschlossen haben, schaffen wir eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, dass wir dieses Ziel errei- Klaus Mindrup (SPD): In erster Lesung behandeln chen. Als Klimabeauftragte meiner Fraktion habe ich (B) wir heute die erste Änderung des Brennstoffemissions- (D) mich in den vergangenen Wochen und Monaten ebenfalls handelsgesetzes. Wir setzen damit die Einigung im Ver- sehr dafür starkgemacht, dass der Fotovoltaikdeckel end- mittlungsausschuss zum Klimapaket der Bundesregie- lich wegfällt. Die Häuslebauer bekommen weiterhin eine rung um und erhöhen die Zertifikatspreise für Förderung, wenn sie auf ihr Hausdach eine Fotovoltaik- verbranntes CO2 aus fossilen Quellen in der Anfangs- anlage bauen. Ich bin sehr froh darüber; denn das ist eine phase des nationalen Emissionshandelssystems. klare Entscheidung für mehr Klimaschutz. Zurück zum Emissionshandel. Da war es uns wichtig, Wir machen dies, weil CO2 wesentlich für den Treib- dass es den Menschen und vor allem auch der Wirtschaft hauseffekt verantwortlich ist. Die Menschheit stößt viel trotzdem möglich sein soll, sich zunächst auf die steigen- zu viel CO2 aus. Dies führt zu einer Erderhitzung mit den Preise für fossile Kraft- und Brennstoffe einzustellen. dramatischen Folgen für unseren Planeten und die hier Daher haben wir bewusst einen niedrigen Einstiegspreis lebenden Menschen. beim Emissionshandel gewählt. Ursprünglich waren dies Zwei Beispiele möchte ich nennen. Die steigenden 10 Euro pro Tonne CO2, nach den Verhandlungen im Temperaturen – immer mehr tropische Nächte – sind ge- Vermittlungsausschuss werden es nun 25 Euro sein. fährlich für die Gesundheit vor allem älterer Menschen, Aus meiner Sicht ist dieser Kompromiss mehr als tragbar. auch bei uns. Die Extremwetter nehmen zu – neben den Die Wissenschaft oder auch Fridays for Future haben genannten extremen Hitzeereignissen auch Extremregen. noch weit höhere Preise gefordert. Daher wird heute schon in Berlin die Kanalisation umge- Der Emissionshandel wirkt. Das sehen wir auf der baut, weil sie sonst die extremen Regenmengen nicht europäischen Ebene. Deshalb setze ich mich vehement aufnehmen kann. Wir müssen also die Art und Weise, dafür ein, dass wir auf europäischer Ebene ebenfalls ei- wie wir wirtschaften, ändern und die Abhängigkeit von nen Emissionshandel für Wärme und Verkehr bekom- fossilen Energien sehr schnell reduzieren. men. Nur so können wir die Klimaziele der EU erreichen, Der nationale Brennstoffemissionshandel ist ein Bau- auch das ambitionierte Ziel für 2030 mit einer CO -Re- 2 stein einer umfassenden Strategie zum Umbau unserer duktion von 50 oder sogar 55 Prozent. Liebe Kolleginnen Industriegesellschaft. Das ist nicht nur gut für das Klima. und Kollegen der Grünen und der SPD, vielleicht erklä- Es ist auch gut für unsere Volkswirtschaft, weil wir un- ren Sie mir bei Gelegenheit mal, warum Ihre Kollegen in sere Energieimporte reduzieren werden und die Wert- Brüssel so strikt gegen die Ausweitung des Emissions- schöpfung hier in Deutschland und Europa erhöhen. handels sind – aber das nur am Rande. Aus Sicht der SPD geht es um eine ökologische Industrie- Ich bin froh, dass weite Teile der Wirtschaft nach wie politik. Nur eine klimafreundliche Industrie hat Zukunft vor für Klimaschutz einstehen, ja sogar noch größere An- und bietet damit sichere und gute Arbeitsplätze. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20855

(A) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Unterneh- der Erde übernutzen wir unsere natürlichen Ressourcen (C) men, die vom Strukturwandel besonders betroffenen Re- um den Faktor 1,5. Wir wissen alle, dass diese Entwick- gionen haben einen Anspruch darauf, dass wir sie bei der lung endlich ist und gefährlich für ein Industrieland wie Umgestaltung unterstützen. Wichtig für diese Umgestal- Deutschland. tung ist die vor Kurzem beschlossene Wasserstoffstrate- gie der Bundesregierung. Mein Dank gilt hier vor allem Produkte werden oft nur kurz genutzt, Geräte immer Vizekanzler Olaf Scholz, der sich entschieden dafür ein- seltener repariert und bestenfalls recycelt, wenn dies auf- gesetzt hat. Endlich gehen wir die Energiewende ganz- grund des Designs und der Zusammensetzung überhaupt heitlich an und kümmern uns um die Defossilisierung der möglich ist. Wir müssen stärker als bisher in Kreisläufen Atome und der Elektronen. Die Wasserstoffstrategie und denken, um natürliche Ressourcen nicht zu verschwen- der nationale Brennstoffemissionshandel ergänzen sich den, sondern sie immer wieder zu nutzen. Aus meiner gut. Sicht ist die Kreislaufwirtschaft nicht nur eine Frage des Umgangs mit Abfällen, sondern sie ist vielmehr ein Wir machen klimaschädliche Technologieanwendun- Grundelement einer nachhaltigen Wirtschaft und einer gen teurer und damit haben klimafreundliche Technolo- zukunftsfähigen Gesellschaft. gien bessere Chancen an den Märkten, auch Wasserstoff aus erneuerbaren Energien. Die Einnahmen aus dem Wir debattieren heute über eine Novelle des Batterie- Emissionshandel gehen nicht in den allgemeinen Staats- gesetzes, die notwendig geworden ist, um wieder einen haushalt. Das Geld wird den Bürgerinnen und Bürgern fairen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Sammel- sowie den Unternehmen wieder zurückgegeben, etwa systemen herzustellen. Bis zum letzten Jahr gab es in über die Senkung der EEG-Umlage. Damit wird der kli- Deutschland ein gesetzlich vorgesehenes Gemeinsames mafreundliche Strom kostengünstiger. Rücknahmesystem, das GRS, ein Solidarsystem der Her- steller, und daneben verschiedene in Wettbewerb zuei- Stand heute haben die erneuerbaren Energien im nander stehende herstellereigene Rücknahmesysteme. Stromsektor einen Anteil von 56 Prozent an der Netto- Aufgrund verschiedener Verschiebungen auf dem Markt stromerzeugung. Wir brauchen die Sektorenkopplung der Geräte-Altbatterien-Entsorgung kam das Solidarsys- und den erneuerbaren Strom für die Elektromobilität, tem GRS in Schieflage. Dadurch ist eine Neusortierung aber auch für Großwärmepumpen in Wärmenetzen. Und des Systems notwendig geworden. In der jetzigen Situa- wenn wir viel Strom aus Erneuerbaren haben, produzie- tion gibt es nur noch im Wettbewerb miteinander stehen- ren wir Wasserstoff, anstatt den Strom abzuregeln. de herstellereigene Rücknahmesysteme. Mit dieser ver- Ich bin froh, dass wir heute den 52-Gigawatt-PV-De- änderten Situation befasst sich die vorliegende Novelle. ckel abgeschafft haben. Das Potenzial für Fotovoltaik in Dieser Novelle wird aber schon bald eine weitere, um- (B) (D) Deutschland liegt deutlich höher, Wissenschaftler bezif- weltpolitisch deutlich relevantere folgen müssen. Denn fern es mit 3 400 Gigawatt. Weiterhin finanzieren wir aus diese Novelle beschäftigt sich noch nicht mit den Verän- den Einnahmen des Brennstoffemissionshandels umfas- derungen des Marktes und der Umstände, die durch die sende Förderprogramme für den Klimaschutz – für Pri- deutliche Zunahme von Lithiumakkus entstanden sind. vathaushalte, Unternehmen und Kommunen. Dafür ha- Sie beschäftigt sich nicht mit Fragen der Kennzeich- ben wir den Energie- und Klimafonds eingerichtet. nungspflicht dieser Akkus oder eines möglichen Pfandes Wir werden uns in den nächsten Wochen gemeinsam und ebenso wenig mit einer Anhebung der Mindestsam- mit der Bundesregierung genau ansehen, welche Unter- melquote. nehmen von den jetzt höheren CO2-Kosten in ihrer Wett- Lithiumakkus sind überall in unserem Alltag zu finden, bewerbsfähigkeit bedroht sind und wie wir ihnen entwe- in unseren Smartphones, in der elektrischen Zahnbürste, der bei Investitionen in klimafreundliche Investitionen im Elektroroller, in der Kamera, in der Fernbedienung, im oder durch Befreiungen helfen können. Tablet. Lithiumakkus sind wegen ihrer hohen Energie- Wir werden uns auch genauer mit den Themen Klär- dichte und Laufleistung so beliebt und überall einsetzbar. schlamm und Abfallverbrennung beschäftigen. Hier gilt Gleichzeitig stellen sie aber gerade wegen dieser Energie- es, Lösungen zu finden, die dem Klimaschutz dienen, dichte ein Brandrisiko dar, das sich realisiert, wenn sie aber die Gebührenzahlerinnen und -zahler nicht mehr unsachgemäß behandelt oder transportiert werden. Au- als notwendig belasten. Ich möchte mich hier ausdrück- ßerdem sind in ihnen Ressourcen verbaut, die aufwendig lich beim Bundesumweltministerium für die konstrukti- abgebaut werden müssen und deren Abbau nicht selten ven Gespräche bedanken! Unser Ziel ist es, Arbeit, Inno- fatale Auswirkungen auf die Umwelt haben. vation und Klimaschutz miteinander zu verbinden – im Interesse einer lebenswerten Zukunft für alle! Aus all diesen Gründen ist eine verpflichtende Kenn- zeichnung dieser Akkus notwendig, eine Pfandpflicht für Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wün- die Akkus und die Entnehmbarkeit der Lithiumakkus. Es sche eine gute Beratung in den Ausschüssen. kann nicht sein, dass wir aufwendig elektrische Geräte entsorgen müssen, weil der Akku kaputt ist. Es kann auch Michael Thews (SPD): Das International Ressource nicht sein, dass wir die kaputten Akkus nicht sicher ent- Panel der Vereinten Nationen schätzt, dass ungefähr sorgen können, weil sie sich nicht von dem Gerät trennen 50 Prozent der globalen CO2-Emissionen direkt oder in- lassen. Eine verpflichtende Entnehmbarkeit ist lange direkt auf die Rohstoffförderung und Rohstoffverarbei- überfällig. Auch im Hinblick auf die Reparaturfähigkeit tung zurückgeht. Die Nutzung der natürlichen Ressour- und Langlebigkeit der Geräte und für eine funktionieren- cen steigt weiter an. Bezogen auf die Regenerationsrate de Kreislaufwirtschaft ist das dringend notwendig und 20856 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020

(A) übrigens auch eine der prioritären Maßnahmen, die die Bedenken: über diverse Gutachten und Stellungnahmen, (C) Bundesregierung gestern im Ressourceneffizienpro- aber auch aus der Anhörung zum Gesetz. Aber Sie igno- gramm III beschlossen hat. Außerdem müssen wir uns rieren sie. Diese Bedenken sind nie entkräfte worden. um die Förderung eines energieeffizienten Recyclings Scheitert das BEHG aber vor dem Bundesverfassungsge- der Akkus kümmern! richt, muss die Bundesregierung das Geld zurückzahlen. Dabei gehen die Verbraucher aber leer aus, und dem Staat Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist ein we- entsteht ein riesiges Haushaltsloch. sentlicher Faktor einer nachhaltigen Zukunft, ein wesent-

licher Faktor für die Reduzierung von Treibhausgasen, Damit wäre aber in der Bevölkerung der CO2-Preis ein wesentlicher Faktor für den Schutz von Ressourcen verbrannt. Das können wir uns nicht erlauben. Dabei und nicht zuletzt deshalb auch ein wesentlicher Faktor gäbe es einen schnelleren, sicheren und sauberen Weg. eines gesunden, nachhaltigen Wirtschaftswachstums. Ge- Das wäre die Ausweitung des Emissionshandels auf alle rade jetzt, durch die Auswirkungen der Coronakrise auf Sektoren. die Lieferketten, haben wir wieder einmal gemerkt, wie kritisch die zu große Abhängigkeit unserer Wirtschaft von Primärrohstoffen ist. Gleichzeitig wirkt sich der Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): Wir brauchen weltweite Primärmaterialeinsatz auch stark auf das Klima mehr Klimaschutz, und die Menschen wollen mehr Kli- aus. Es gibt keine Alternative zu einer funktionierenden maschutz. Sie spüren, besonders jetzt in der Coronakrise, Kreislaufwirtschaft! dass unser Leben und seine Grundlagen auf sehr wackli- gen Füßen stehen. Die Natur kann als Virus zuschlagen. Und die Natur schlägt zurück, weil es zu viel klimaschäd- Dr. Lukas Köhler (FDP): Der Emissionshandel muss liches Gas in der Luft gibt, und zwar so viel wie nie zuvor das Rückgrat der Klimapolitik sein. Dafür kämpfen wir in der Menschheitsgeschichte. Freie Demokraten. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutige Kriterien an einen Emissionshandel definiert. Wir erinnern uns: Noch nie sind so viele Menschen auf Diese erfüllt ihr BEHG aber nicht. Entscheidet man sich die Straßen gegangen: Fridays for Future das ganze Jahr, dafür, das Klima durch eine CO2-Bepreisung zu schüt- Jugend und Klimaschützer wollten Antworten. Septem- zen, so ist es nur dann ein Emissionshandel – ich zitiere –, ber 2019: Die Antwort der Politik war ein peinliches „wenn die Zahl der ausgegebenen Berechtigungen hinter Klein-Klein-Klimapaket; Pillepalle, das fast nur auf dem Bedarf zurückbleibt.“ Denn nur dann „kann sich ein Markt statt kluges Ordnungsrecht setzt, das die Verant- Marktpreis bilden, der die Marktteilnehmer zu kosten- wortung an die Verbraucher abwälzt, ein Klimapaket, das effizientem Verhalten veranlasst. Ohne diese staatliche seinen Namen nicht verdient hat, eine Mogelpackung, die Festlegung der Nutzbarkeit der Luft wäre das Emissions- (B) nicht mehr ist als der Bruch des Paris-Abkommens mit (D) handelssystem funktionslos.“ Ansage. Wir von der Linken sagen: So geht das nicht!

Sie legen aber kein CO2-Limit fest. Sie machen die Die Debatte um die Einführung von CO2-Preisen für Zertifikate eben nicht handelbar. Sie sorgen nicht für Heizen und Sprit zeigt, dass vier Fraktionen hier im Haus einen effizienten Klimaschutz. Sie nehmen die Bevölke- eigentlich auf echten Klimaschutz pfeifen, jeder für sich rung auf den Arm und versuchen das auch noch als Sieg auf seine ganz eigene Art: zu verkaufen! Lassen Sie mich das Bundesverfassungs- gericht erneut zitieren: „Durch Bestimmung des Cap, also Erstens. Für die Union heißt Klimaschutz: Wir machen der Gesamtmenge der zulässigen Emissionen, setzt der einen kleinen CO2-Preis – auf Kosten einfacher Leute, Staat den Marktmechanismus überhaupt erst in Gang.“ auf Kosten von Geringverdienerinnen und Geringverdie- Mit diesem Gesetz setzten Sie gar nichts in Gang – außer nern, auf Kosten von Alleinerziehenden, von Rentner- den Weg zum Bundesverfassungsgericht. innen und Rentnern. Die Union ist gegen einen armuts- festen Mindestlohn von 12 Euro. Aber Sie machen Mit Ihrer Zustimmung, Herr Präsident, würde ich ger- Heizen und Autofahren für einfache Leute teuer, während ne Herrn Schäuble zitieren: „Das Grundgesetz ist nicht Sie Bus und Bahn seit Jahren ab- statt ausbauen, die verhandelbar.“ Es kennt kein „ein bisschen verfassungs- Industrie bei Energiekosten seit Jahrzehnten um Milliar- widrig“ oder „nur für die Anfangszeit verfassungswid- den entlasten, während es für Flugverkehr, für Kohlekon- rig“. Das sind ja bisher die einzigen Argumente gewesen, zerne, für Autokonzerne weiter Millionen und Milliarden die Sie bringen. Für uns Abgeordnete muss das Grund- an Steuergeldprivilegien gibt, und alles wieder auf Kos- gesetz dieses nicht verhandelbare Bollwerk sein, das kei- ten der ganz normalen Leute. ne Ausnahmen kennt, das nicht gebrochen werden darf. Als Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind wir Zweitens. Für die SPD heißt Klimaschutz: Wir machen in besonderer Weise verpflichtet, das Grundgesetz als einen kleinen CO2-Preis, aber der ist so gering, dass er Rahmen unseres politischen Handelns zu schützen. Als erst in ein paar Jahren eine echte Klimaschutzwirkung Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen und hat. Aber das ist so weit weg, da macht uns keiner nass. rechtsstaatlichen Parteien müssen wir sicherstellen, dass Wir trauen uns mit der Union keinen echten Klimaschutz: wie Tempo 100 auf Autobahnen, wie Kohleausstieg bis sich die Bürgerinnen und Bürger auch beim CO2-Preis darauf verlassen können, dass dieser verfassungskonform 2030, wie Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor ist. bis 2030. Die SPD bezahlt den Kohlekonzernen lieber Milliarden an Kohleausstieg-Entschädigungen, obwohl Liebe Union, liebe SPD, Sie kennen die Bedenken. Die erneuerbare Energien den dreckigen Kohlestrom eh Bundesregierung kennt die Bedenken, alle kennen die schon zu einem Verlustgeschäft machen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2020 20857-20871

(A) Drittens. Für die FDP heißt Klimaschutz: Wir tun so, Ionen-Batterien. Das heizt den Ressourcenverbrauch im- (C) als ob wir einen weltweiten Ablasshandel mit CO2-Ver- mer weiter an. schmutzungsrechten wollen. Bis es den gibt – mal ehr- lich, glauben Sie wirklich an einen einheitlichen Welt- Der Abbau von Lithium und Kobalt findet häufig unter markt? den gibt es nicht bei Lohnkosten, nicht bei Missachtung der Menschenrechte und mit katastrophalen Stundenlöhnen, nicht bei Menschenrechtsstandards –, Folgen für die Natur statt. Trotzdem heben wir nicht den sind die Aktienkurse und Renditen unserer Klientel si- Rohstoffschatz, der auf unseren Straßen, in unseren cher und alle Gletscher abgeschmolzen! Wir versprechen Schubladen und Abstellkammern liegt: In alten Batterien sind viele wichtige Rohstoffe! noch ein wenig Aufforstung und CCS-CO2-Lagerung un- ter der Erde. Wir warten auf neue Atomkraft, und das ist Über die Hälfte wird in Deutschland falsch entsorgt. dann unsere Klimapolitik. Damit aber nichts anbrennt Auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung ändert da- und alles weiterläuft wie bisher, klagen wir noch gegen ran nichts. Die Bundesregierung versucht ja nicht mal, den CO2-Preis und tun so, als ob wir das mit den Grünen die Sammelmengen zu steigern. Unsere Nachbarn Polen und Linken als Normenkontrollklage einreichen. und Belgien sind mit über 60 Prozent Sammelquote Also, Herr Kollege Dr. Köhler, bisher hat niemand mit schon deutlich weiter – die Bundesregierung will bei mir über Ihren Plan gesprochen, den Sie letzte Woche mit 45 Prozent bleiben. großem Tamtam verkündet haben. Ich kann Ihnen hier Der Gesetzentwurf beseitigt auch die Fehler nicht, die jetzt zusagen: Mithilfe der Linken werden Sie keinen schon das solidarische Rücknahmesystem kaputtgemacht Klimaschutz vor Gericht verhindern, auch wenn er noch haben: Hersteller und Rücknahmesysteme werden gera- so gering ist. dezu eingeladen, möglichst wenig zu sammeln. Das So- Viertens. Nun zur AfD. Für die AfD heißt Klima- lidarsystem muss daher wiederbelebt und gestärkt wer- schutz, dass es gar keinen Klimaschutz braucht. Das den. Das sichert eine lückenlose Sammlung – mit einem klingt verrückt: Kopf in den Sand, wie Trump und flächendeckenden Netz an Sammelboxen, ob im ländli- Bolsonaro bei Klima und Corona. Die Folgen kennen chen Raum oder hier im Bundestag. Sie alle! Sie haben hier und heute mit Ihrem debilen Wahnsinnsantrag einen echten Coup gelandet. Doch, Auch beim Recycling von Batterien und Produktde- sign ist der Gesetzentwurf ein Totalausfall. Er muss nach- CO2 ist klimaschädlich. Doch, es gibt einen wissenschaft- lichen Konsens über den menschengemachten Klima- gebessert werden: Die Sammelquote für Altbatterien wandel. Doch, Klimaschutz hilft der Wirtschaft. muss deutlich erhöht werden. Wir brauchen ein Pfand auf Handys und Tablets, um eine lückenlose, sortenreine Sie haben in Sachen Lügen und der Verleumdung von Sammlung aufzubauen. Die Rücknahme „haushaltsnaher (B) 99 Prozent aller Wissenschaftler dieser Welt den Lügen- Industriebatterien“ muss einfach und verbraucherfreund- (D) weltmeister Trump locker eingeholt. Ich hoffe, ihre Wäh- lich geregelt werden. Man denke nur an die Akkus von lerinnen und Wähler sind nicht so dumm, wie Sie diese E-Bikes und E-Scootern. Für die Verbraucherinnen ist verkaufen wollen. Sie reden von „Klima-Wahn“. Die nicht klar, wohin sie die entsorgen dürfen. Auch für diese Wahnhaftigkeit steht Ihrem Antrag ins Gesicht geschrie- leistungsstarken Batterien brauchen wir ein Pfandsystem. ben. Und Ihr Wahn schadet den Menschen von Sachsen bis nach Schleswig-Holstein, weil Wahn immer in die Recyclingquoten dürfen nicht länger nur nach Gewicht Katastrophe führt. berechnet werden. Nötig sind materialspezifische Quo- ten. Nur so gibt es echte Anreize, wichtige Technologie- Die Linksfraktion hat einen Plan für Klimaschutz und metalle wie Lithium oder die Seltenen Erden zurückzu- Klimagerechtigkeit beschlossen. Der CO2-Handel – das gewinnen. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung findet kann ich Ihnen sagen – wird das Klima nicht retten. sich davon nichts. Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir werden die Ausschussberatungen nutzen, um deut- NEN): Seit Jahren steigt die Zahl der Batterien und Ak- liche Verbesserungen an diesem Gesetz einzufordern und kus, die im Umlauf sind, rasant, allen voran Lithium- einen eigenen Antrag einbringen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333