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Plenarprotokoll 19/130

Deutscher

Stenografischer Bericht

130. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): (Minden) (SPD) ...... 16294 A (FDP) ...... 16295 D a) – Zweite Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines (DIE LINKE) ...... 16297 B Gesetzes über die Feststellung des (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 16298 C Bundeshaushaltsplans für das Haus- haltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020) (CDU/CSU) ...... 16299 A Drucksachen 19/11800, 19/11802, Martin Erwin Renner (AfD) ...... 16300 D 19/14232 Nr. 1.1 ...... 16267 A Johannes Kahrs (SPD) ...... 16302 A – Zweite Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines (FDP) ...... 16303 D Gesetzes zur Ergänzung des Entwurfs Dr. (BÜNDNIS 90/ eines Gesetzes über die Feststellung DIE GRÜNEN) ...... 16304 B des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2020 (CDU/CSU) ...... 16305 A Drucksachen 19/13800, 19/13802, (AfD) ...... 16306 A 19/13801, 19/14939 Nr. 2 ...... 16267 B (SPD) ...... 16306 D b) Beratung der Beschlussempfehlung des Marco Bülow (fraktionslos) ...... 16308 A Haushaltsausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Finanz- Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 16308 D plan des Bundes 2019 bis 2023 Dr. (fraktionslos) ...... 16310 A Drucksachen 19/11801, 19/11802, (SPD) ...... 16310 D 19/14232 Nr. 1.1, 19/13927 ...... 16267 B (CDU/CSU) ...... 16312 B I.9 Einzelplan 04 Dr. Jens Zimmermann (SPD) ...... 16313 C Bundeskanzlerin und Bundeskanzler- Namentliche Abstimmung ...... 16314 C amt Drucksachen 19/13924, 19/13925 ...... 16267 B Ergebnis ...... 16316 C Dr. (AfD) ...... 16267 C Dr. , Bundeskanzlerin ...... 16269 B I.10 Einzelplan 05 (FDP) ...... 16276 D Auswärtiges Amt Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 16280 A Drucksachen 19/13905, 19/13924 ...... 16314 D Dr. (DIE LINKE) ...... 16283 A Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD) ...... 16315 A Dr. (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 16319 A DIE GRÜNEN) ...... 16286 C Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 16321 A (CDU/CSU) ...... 16289 B (CDU/CSU) ...... 16322 B Dr. (AfD) ...... 16291 D (DIE LINKE) ...... 16324 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. , Mittwoch, den 27. November 2019

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 16353 A DIE GRÜNEN) ...... 16325 B Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . . . . 16354 B , Bundesminister AA ...... 16326 C (SPD) ...... 16356 A Dr. (AfD) ...... 16327 D (CDU/CSU) ...... 16357 A Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . . . . 16329 A (FDP) ...... 16330 C I.12 Einzelplan 23 (DIE LINKE) ...... 16331 C Bundesministerium für wirtschaftli- Dr. (BÜNDNIS 90/ che Zusammenarbeit und Entwick- DIE GRÜNEN) ...... 16332 B lung Dr. (CDU/CSU) ...... 16333 A Drucksachen 19/13920, 19/13924 ...... 16358 C (SPD) ...... 16334 C Volker Münz (AfD) ...... 16358 D Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) ...... 16335 C Carsten Körber (CDU/CSU) ...... 16360 A Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU) ...... 16336 D (FDP) ...... 16361 C Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 16362 C I.11 Einzelplan 14 Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 16363 D Bundesministerium der Verteidigung Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 16364 D Drucksachen 19/13913, 19/13924 ...... 16337 D Rüdiger Lucassen (AfD) ...... 16338 A Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ ...... 16366 A Dr. (CDU/CSU) ...... 16339 A (AfD) ...... 16367 B (FDP) ...... 16340 C Dr. (SPD) ...... 16368 A (SPD) ...... 16341 D Michael Georg Link (FDP) ...... 16369 C Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 16343 B Helin (DIE LINKE) ...... 16370 D Dr. (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 16344 B DIE GRÜNEN) ...... 16371 B Annegret Kramp-Karrenbauer, Hermann Gröhe (CDU/CSU) ...... 16372 B Bundesministerin BMVg ...... 16345 C (AfD) ...... 16373 C Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 16346 A (SPD) ...... 16374 B Rüdiger Lucassen (AfD) ...... 16347 C (CDU/CSU) ...... 16375 B Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin BMVg ...... 16347 D (CDU/CSU) ...... 16376 B Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) ...... 16348 A Nächste Sitzung ...... 16377 C (AfD) ...... 16348 C Siemtje Möller (SPD) ...... 16349 C Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 16350 D Anlage Tobias Pflüger (DIE LINKE) ...... 16352 A Entschuldigte Abgeordnete ...... 16379 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16267

(A) (C)

130. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Aussprache 210 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen nehmen Sie Platz. Ich eröffne die Sitzung. Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem punkt I – fort: Fraktionsvorsitzenden der AfD, Dr. Alexander Gauland. a) – Zweite Beratung des von der Bundes- (Beifall bei der AfD) regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- Dr. Alexander Gauland (AfD): deshaushaltsplans für das Haushalts- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- jahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020) desregierung hat sich entschieden, von Deutschland aus (B) das Klima zu retten und dafür die Energieversorgung un- (D) Drucksachen 19/11800, 19/11802, seres Landes aufs Spiel zu setzen. 19/14232 Nr. 1.1 (Christian Lindner [FDP]: Ach Gott!) – Zweite Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Wie beim Atomausstieg oder bei der massenhaften Auf- Gesetzes zur Ergänzung des Entwurfs nahme von Migranten befinden wir uns wieder einmal auf eines Gesetzes über die Feststellung einem deutschen Sonderweg allein. Dabei pfeifen es die des Bundeshaushaltsplans für das Spatzen von allen Dächern: Die deutsche Energiewende Haushaltsjahr 2020 ist gescheitert. Drucksachen 19/13800, 19/13802, (Beifall bei der AfD) 19/13801, 19/14939 Nr. 2 Ein Gutachten von McKinsey kam im September die- b) Beratung der Beschlussempfehlung des ses Jahres zu dem Ergebnis, dass die deutsche Energie- Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu der versorgung unsicheren Zeiten entgegengeht. Fast alle Unterrichtung durch die Bundesregierung Ziele der Energiewende sind verfehlt worden. Die Ver- sorgungssicherheit werde nach dem Atom- und Kohle- Finanzplan des Bundes 2019 bis 2023 ausstieg nicht mehr gewährleistet sein. Zugleich kommt Drucksachen 19/11801, 19/11802, 19/14232 der Windkraftausbau zum Erliegen. Die Zahl der erteilten Nr. 1.1, 19/13927 Genehmigungen sei in den ersten drei Quartalen 2019 regelrecht zusammengebrochen, klagte der Bundesver- Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf: band der Energie- und Wasserwirtschaft am 8. November. Einzelplan 04 Ein Grund für den Rückgang ist das neue Ausschrei- Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt bungsverfahren, das den billigsten Anbieter bevorteilt. Die subventionierte Lizenz zum Gelddrucken ist damit Drucksachen 19/13924, 19/13925 passé. Berichterstatter sind die Abgeordneten Otto Fricke, (Beifall bei der AfD) Patricia Lips, Johannes Kahrs, Marcus Bühl, Dr. Gesine Lötzsch, Anja Hajduk. Außerdem verhindern Bürgerinitiativen immer häufi- ger Windkraftprojekte. Sie kämpfen nicht nur gegen die Zu dem Einzelplan 04 liegt ein Änderungsantrag der Umweltzerstörung, das massenhafte Schreddern von Vö- Fraktion der AfD vor. Über den Einzelplan werden wir geln, sondern auch gegen die Gesundheitsgefährdung später namentlich abstimmen. durch Infraschall. Scheibchenweise wird der Mindestab- 16268 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Alexander Gauland (A) stand reduziert. Bis auf 350 Meter sind die Windmühlen (Beifall bei der AfD) (C) schon an Wohnhäuser herangerückt. Wer retten Am 20. November um 12 Uhr mittags sind nach Anga- will, meine Damen und Herren, kann auf Petitessen wie ben der Strombörse von den 77 Gigawatt Stromverbrauch die Gesundheit der Anwohner natürlich keine Rücksicht in Deutschland 64 Gigawatt durch konventionelle Kraft- nehmen. werke und Atomkraftwerke geliefert worden; 64 von 77, Immobilien verlieren massiv an Wert, wenn Windräder meine Damen und Herren. Ich frage mich, wie Sie unser in der Nähe stehen. Leider stehen sie natürlich nicht im Land mit Strom versorgen wollen, wenn diese 64 Giga- Prenzlauer Berg oder in München-Schwabing. Es sind watt einmal abgeschaltet sind. An drei Tagen im Juni – am immer die anderen, die den Preis zahlen. 6., 12. und 25. – war das deutsche Stromnetz akut unter- versorgt. Solche Unterdeckungen müssen durch Strom (Beifall bei der AfD) aus dem Ausland ausgeglichen werden. Eine Sprecherin Die politische Windkraftlobby versucht inzwischen, der Energiewirtschaft beteuerte zwar, die Gefahr eines Kritiker als Rechte zu denunzieren – na, ist ja üblich. Hier Blackouts habe nicht bestanden. Aber was ist, wenn entsteht eine neue Dolchstoßlegende. 2022 die Atomkraftwerke vom Netz gehen? Was passiert, wenn sogenannte Klimaaktivsten es tatsächlich schaffen, (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und dem ein großes Kohlekraftwerk lahmzulegen? Haben Sie sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) einmal ausgemalt, was ein tagelanger Blackout bedeuten Aber auch dieser Krieg ist an der Front verloren, nämlich würde? Denken Sie doch nur an die Abertausenden Men- an den unerbittlichen Fronten der Physik und der Ökono- schen, die in Fahrstühlen eingeschlossen wären. Solche mie. Lifte haben nur in amerikanischen Actionfilmen eine Klappe, über die man sie verlassen kann. Ich will nicht (Beifall bei der AfD) den Teufel an die Wand malen, Obwohl der Ausbau der Windkraft absehbar endet, hält (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!) die Regierung nicht nur am Atomausstieg bis 2022 fest, sondern rechnet mit einer Steigerung des Stromverbrau- aber ein Blackout ist weit wahrscheinlicher als die von ches bis 2030. Bundesregierung und Automobilindustrie Ihnen beschworene Klimakatastrophe. versprechen bis dahin 1 Million Elektroautoladestatio- (Beifall bei der AfD) nen. Woher aber soll der Strom für die Elektroautos kom- men, wenn grundlastfähige Kraftwerke abgeschaltet wer- Dass es ausgerechnet eine Physikerin ist, die unsere den? Und womit sollen wir in Zukunft heizen? Vielleicht Energieversorgung aufs Spiel setzt, ist zwar komisch, ist die Bundesregierung der Meinung, die Menschen wer- sollte uns aber nicht irritieren. Es war ein Schauspieler, (B) den sich künftig an ihrem guten Gewissen erwärmen, der den Kalten Krieg gewonnen hat. Offensichtlich (D) liebe Freunde. nimmt sich Frau Merkel daran ein Beispiel. (Beifall bei der AfD) ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte!) Meine Damen und Herren, wenn die viertgrößte Wirt- schaftsnation der Erde sich entschließt, das Energiefun- Meine Damen und Herren, wenn die Lage wirklich so dament ihrer Wirtschaft zu beseitigen und durch eine Al- schlimm ist, wenn wir wirklich demnächst auf diesem ternative zu ersetzen, die, vorsichtig formuliert, nicht schönen Planeten gekocht werden, dann müssen zuerst besonders stabil ist, dann erwarte ich darüber erbitterte Sie sich wohl der Einsicht öffnen, dass der ökopopulisti- öffentliche Debatten, dann erwarte ich Redeschlachten sche Atomausstieg ein Irrweg war. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) um das Für und Wider im Parlament, dann erwarte ich, Es wäre geradezu eine Hegel’sche List der Vernunft, dass die These vom menschlichen Anteil am Klimawan- wenn die heilige Greta zu dieser Erkenntnis führte – bei del unter den größtmöglichen Falsifikationsdruck gesetzt Ihnen nicht; das ist mir schon klar. wird; denn wir tun wahrscheinlich etwas Unumkehrbares. Aber wer wirklich etwas für das Klima tun will, muss Aber das Thema ist dermaßen ersatzreligiös aufgeladen, seinen Blick auf die Bevölkerungsexplosion in Afrika dass die Frage „Richtig oder falsch?“ keine Rolle mehr lenken. spielt. Sie ist vollkommen verschüttet unter den Kriterien Gut und Böse. (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD: Ah!) (Beifall bei der AfD) Die Bundesregierung hat vor Kurzem den Soli quasi ab- Wo Begriffe wie „Klimaleugner“ kursieren – auch ges- geschafft. Wir hätten nichts dagegen gehabt, ihn in einen tern wieder in diesem Hause –, hat sich die Vernunft ver- Investitionsfonds für Afrika umzuwandeln. Wir hätten abschiedet. dem zugestimmt, wenn Sie im Gegenzug die Grenzen geschlossen und die klammheimlichen Asylantenflüge (Johannes Kahrs [SPD]: Warum denn?) eingestellt hätten. Ein Wissenschaftler, der sich der Klimahysterie verwei- gert, spielt mit seiner Karriere. Die Merkel-Jahre werden (Beifall bei der AfD) als eine bleierne Zeit in Erinnerung bleiben, in der öffent- Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass uns das liche Debatten im Sein der Hypermoral erstickt wurden. Schicksal Afrikas nicht gleichgültig sein kann. Nur gilt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16269

Dr. Alexander Gauland (A) eben auch hier die Maxime, dass sich Politik an den Re- Ich glaube, wir sind uns fast alle einig, dass in den (C) alitäten orientieren muss und nicht an frommen Wün- ersten 40 Jahren ihrer Existenz die NATO im Kalten schen. Krieg ein Bollwerk für Freiheit und Frieden war und da- für gesorgt hat, dass es zu keinem Krieg in Europa kam. In (Beifall bei der AfD) diesem Zusammenhang sind wir ganz besonders unseren Die Bevölkerung Afrikas wächst derzeit alle zwölf Tage amerikanischen Freunden zum Dank verpflichtet. um 1 Million Menschen. Die knapp 2 Millionen Migran- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ten, die wir seit 2015 aufgenommen haben, sind dort in bei Abgeordneten der FDP) einem halben Monat nachgeboren worden. Dagegen hat ein direkt in Afrika ausgegebener – oder noch besser: Aber seit dem Ende des Kalten Krieges sind bereits investierter – nach den Worten des Entwicklungs- 30 Jahre vergangen. hilfeministers Gerd Müller die 30-fache Wirkung wie ein in Deutschland eingesetzter. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) Die Bevölkerungsexplosion, meine Damen und Her- ren, ist das größte Problem unseres Planeten – übrigens Nach 1990 hat die NATO eine interessante Aufgabenzu- auch für die Umwelt. Es würde einmal Zeit, dass Fridays teilung bekommen, eine interessante Zeit erlebt. Viel- for Future auf die Bedeutung des ungebremsten Bevölke- leicht sollte man darauf angesichts dieser 70 Jahre einmal rungswachstums für die Klimaerwärmung hinweist. Aber kurz Rückblick halten: eher schafft die Bundesregierung den Wirtschaftsstandort Deutschland ab, als dass ihr der Begriff „Geburtenkon- Ende der 90er-Jahre kam die Frage der Erweiterung auf trolle in Afrika“ über die Lippen kommt. Denn das wäre die Tagesordnung. Im Zusammenhang mit der ersten Er- ja wieder Rassismus in Ihren Augen. weiterungsrunde um drei Länder ist damals auch die NATO-Russland-Grundakte abgeschlossen worden. Ich (Beifall bei der AfD) weiß nicht, wer sich noch daran erinnert: Es war eine durchaus kontroverse Diskussion, ob die NATO erweitert 96,5 Prozent des weltweit ausgestoßenen Kohlendi- werden sollte. Sie ist dann 1999, 2004, 2009 und 2017 oxids sind natürlichen Ursprungs. Von den restlichen noch einmal deutlich erweitert worden. Man hat 1997 im 3,5 Prozent stammen 2,2 Prozent aus Deutschland; das Vorfeld dieser Erweiterung die NATO-Russland-Grund- ist wenigstens nicht umstritten. Selbst wenn unser Land akte abgeschlossen, die in unterzeichnet wurde, die morgen zu existieren aufhörte, wären die Auswirkungen die Truppenaufstockungen in den neuen Mitgliedstaaten, auf die Welttemperatur praktisch nicht nachweisbar. Und also in den östlichen Staaten, limitiert hat, die verboten (B) dafür setzen Sie alles aufs Spiel. Dafür machen Sie eine hat, dort Atomwaffen zu stationieren, und die die Aner- (D) Energiewende, und dafür ruinieren Sie unsere Autoin- kennung der damaligen Grenzen, die territoriale Souverä- dustrie nität, akzeptiert hat. Im Grunde war damit die Hoffnung (Johannes Kahrs [SPD]: Was für ein Bullshit!) verbunden, auch ein gedeihlicheres Miteinander mit Russland zu haben, als es dann tatsächlich der Fall war. und die Maschinenbauindustrie. Meine Damen und Her- ren, das ist keine Zukunft, die wir mit Ihnen gehen wol- Ende der 90er-Jahre folgte dann das Eingreifen der len. NATO im Jugoslawien-Konflikt. Dies war aus meiner Sicht ein Beitrag dazu, dass es zu friedlichen Verhandlun- (Beifall bei der AfD) gen kommen konnte und der Ahtisaari-Plan damals ge- Deswegen werden wir dagegen kämpfen und auch gegen nehmigt wurde. Die NATO hat sich bis heute als Ord- diese Regierung, die das versucht. nungsmacht auf dem westlichen Balkan etabliert. Danke. Zu Beginn des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, am 11. September 2001, kam es zum ersten großen ter- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie roristischen Anschlag, dem Angriff auf das World Trade wollten doch marschieren, oder?) Center. Der Begriff „asymmetrische Kriegsführung“ war damit in aller Munde. Damals ist zum ersten und einzigen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Mal der Artikel 5 von den Vereinigten Staaten von Ame- rika innerhalb der NATO erfragt worden, die Beistands- Jetzt hat das Wort die Bundeskanzlerin Dr. Angela verpflichtung. Der Beistand wurde auch gewährt von den Merkel. Mitgliedstaaten der NATO. Wir haben das aus Überzeu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gung getan. Seit dieser Zeit gibt es den Einsatz in Afghanistan, an Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: dem sich Deutschland bis heute beteiligt. Ich weiß, was Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die für schwierige Auseinandersetzungen das damals waren. NATO wird in diesem Jahr 70 Jahre alt. Aus diesem An- Deshalb möchte ich einfach ein großes Dankeschön an lass werden sich in der nächsten Woche, am 3. und 4. De- unsere Soldatinnen und Soldaten sagen, die seit dieser zember, die Staats- und Regierungschefs in London tref- Zeit dort Dienst tun – Peter Struck hat immer gesagt, fen. Ich glaube, das ist ein guter Anlass, einmal Rückblick unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt – und zu halten. die das bis heute leisten. 16270 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Da will ich als Erstes sagen: Gelungen ist die Bündnis- (C) sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ verteidigung für die osteuropäischen Länder. Wir sind DIE GRÜNEN) Führungsnation in Litauen. Wir machen bei der Flugüber- Es kam dann zu keiner NATO-Mission beim zweiten wachung mit, wenn ich das für den deutschen Beitrag Irakkrieg, als Europa gespalten war und wir zu keiner sagen darf. gemeinsamen Haltung kamen. ( [AfD]: Falsche Rede heute!) Das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist im Wir sehen jeden Tag, welche hybride Bedrohung auch Grunde geprägt durch zwei Entwicklungen: einmal den von Russland kommt, der die Soldatinnen und Soldaten Arabischen Frühling und die Reaktionen darauf. Wir er- dort ausgesetzt sind. Meine Damen und Herren, wir ha- innern uns: 2011 – da waren wir nichtständiges Mitglied ben als Pluspunkt auch das Bündnis, das den Artikel 5 im Sicherheitsrat – gab es den NATO-Einsatz zur Flug- realisiert und den Vereinigten Staaten von Amerika geh- raumüberwachung in Libyen. Deutschland hat sich da- olfen hat in Afghanistan. Und wir können sagen, dass wir mals enthalten. Das Mandat wurde überdehnt. Es war den westlichen Balkan stabilisiert haben, was auch für eines der letzten Mandate im Sicherheitsrat, die es gab. unsere eigene Sicherheit von allergrößter Bedeutung ist. Russland hat sich seitdem selten wieder beteiligt, und der Sicherheitsrat ist seitdem ziemlich handlungsunfähig ge- Aber wir müssen genauso feststellen: Politische Lö- worden. Wir haben damals gesehen, dass dieses Mandat sungen in Libyen fehlen, genauso in Syrien. Die Türkei überdehnt wurde, dass Gaddafi sozusagen verjagt wurde hat sich entfremdet als Mitgliedstaat innerhalb der und dass in Libyen Instabilität ausbrach. Auch heute ist NATO. Es gibt vor der Haustür Europas eine Vielzahl noch keine politische Lösung in Sicht. von terroristischen Bedrohungen. Die Vereinigten Staaten gehen nicht mehr automatisch in die Verantwortung, Wir haben dann den Bürgerkrieg in Syrien gesehen. wenn es in unserer Umgebung brennt. Und es ist eine Dort hat die NATO nichts unternommen. Dieser Bürger- völlig andere multipolare Ordnung entstanden, bei der krieg ist langsam, aber sicher zu einem Stellvertreterkrieg eine herausragende Rolle einnimmt und auch die geworden. Wir müssen heute konstatieren, dass es die Konzentration der Vereinigten Staaten von Amerika viel grausamste und die schlimmste humanitäre Situation ist, stärker in Anspruch nimmt. die wir seit dem Völkermord in Ruanda hatten: 500 000 Tote, 12 Millionen Vertriebene, die Hälfte davon Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wichtig, was Binnenvertriebene, die anderen sind Flüchtlinge außer- das für uns und für unsere Haltung zur NATO bedeutet. halb Syriens. Auch hier wartet eine politische Lösung Da sage ich als Erstes: Stärker als im Kalten Krieg ist der auf ihre Realisierung. Erhalt der NATO heute in unserem ureigenen Interesse – (B) mindestens so stark wie im Kalten Krieg. (D) Gleichzeitig hatten wir 2014 dann die Annexion der Krim durch Russland, den Einmarsch in der Ostukraine. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP und des Abg. Cem (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das wissen wir doch alles!) Denn – das hat gestern auch der Außenminister gesagt – – Es ist gut, dass Sie alles wissen. Aber warten Sie es Europa kann sich zurzeit alleine nicht verteidigen. Wir einfach ab. sind auf dieses transatlantische Bündnis angewiesen, und deshalb ist es auch richtig, wenn wir für dieses Bünd- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie haben doch nis arbeiten und mehr Verantwortung übernehmen. keine Lösungen!) Damals hat sich die NATO dazu verpflichtet, sich als (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Marie-Agnes Erstes wieder auf die Bündnisverteidigung zu konzentrie- Strack-Zimmermann [FDP]: Ja, dann mal los!) ren, weil die Angriffe bis an ihre Grenzen kamen. Die Meine Damen und Herren, wir müssen klären, wofür NATO-Versammlung in Wales war ein Wendepunkt in die NATO verantwortlich sein möchte. Ist sie nur für die dieser Frage. Damals haben wir uns verpflichtet, unsere Bündnisverteidigung verantwortlich, oder ist sie auch für Verteidigungsausgaben in Richtung 2 Prozent zu entwi- die Sicherheit in unserer Umgebung verantwortlich? Ich ckeln, was wir seitdem auch tun. Der Haushalt für das glaube, es war richtig, einen europäischen Arm der Ver- nächste Jahr besagt 1,42 Prozent NATO-Quote. In Wales teidigungspolitik, der mit der NATO zusammenarbeitet, waren wir bei 1,18 Prozent. Wir werden das schrittweise zu gründen: die PESCO, die strukturierte Zusammenar- weitermachen: 1,5 Prozent bis 2024. Die Verteidigungs- beit innerhalb Europas mit dem Ziel, gemeinsame Ein- ministerin hat jetzt einen Plan aufgesetzt, wie wir durch sätze unabhängig von der NATO durchführen zu können, Verbesserung unserer Bündnisfähigkeit, durch Aufwuchs aber niemals, um gegen die NATO oder anstelle der unserer Fähigkeiten bis zum Anfang der 30er-Jahre die NATO zu arbeiten, sondern um im Zweifelsfall im Bünd- 2 Prozent erreichen werden. Darauf kann man sich ver- nis einen weiteren europäischen Pfeiler zu etablieren. lassen, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU) der SPD) Wenn man sich das alles anschaut, dann ist, glaube ich, Es geht auch um gemeinsame Rüstungsprojekte. Diese Zeit für die Analyse: Was ist gelungen, und was ist nicht Rüstungsprojekte müssen wir gemeinsam mit Frankreich so gut gelungen? Und was bedeutet das für die NATO und ganz wesentlich voranbringen. Ich bedanke mich bei der die Zukunft? Bundesverteidigungsministerin an dieser Stelle, dass wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16271

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) hier Tempo vorlegen. Ich bitte den Deutschen Bundestag, der Meinung, dass wir den Ländern des westlichen Bal- (C) hier zu helfen, sowohl bei dem gemeinsamen Flugzeug- kans sagen müssen: Ihr habt eine verlässliche europäische projekt als auch bei dem gemeinsamen Panzerprojekt. Perspektive. – Deshalb sage ich mit Blick auf Nordma- zedonien und Albanien, dass wir versprochene Beitritts- (Beifall bei der CDU/CSU) verhandlungen anfangen – ich sage nicht: abschließen – Wir müssen uns also in der Zukunft in verschiedenen müssen. Formaten engagieren: in der NATO, manchmal auch nur (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der von der europäischen Seite, aber möglichst immer mit FDP) UN-Unterstützung. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es nicht so einfach ist, UN-Missionen neu zu etablieren; Sonst verlieren wir diese Länder, und das ist zu unserem denn die Vereinigten Staaten sind sehr zurückhaltend ge- Nachteil. worden gerade in einem Bereich, der für uns von großem Interesse ist: der Sahelzone. Hier gelingt es im Augen- Außerdem ist es richtig, dass Europa – Großbritannien, blick nicht, robuste UN-Mandate für die Einsätze zu be- Frankreich und Deutschland – eine intensive und aktive kommen. Daran muss weiter gearbeitet werden. Rolle beim Iranabkommen, dem JCPoA, spielt, damit es nicht zu einer nuklearen Bewaffnung des Iran kommt. Ich ( [AfD]: Es geht um den will in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Aktivitä- Kanzleretat!) ten von Frankreich loben, aber klar ist: Alle drei Staaten ziehen hier an einem Strang und versuchen, dieses Ab- Für uns ist wichtig – das ist von ganz besonderer Be- kommen als einen Hebel zu nehmen, um weitere Eskala- deutung –, dass wir immer einen gemeinsamen Ansatz tionen zu verhindern. Wir appellieren aber auch an den sehen, der sich nicht aufs Militärische konzentriert, der Iran, zu sehen, dass dieses Abkommen auch für den Iran sagt: Das Militärische ist dabei, aber das Eigentliche sind einen Wert an sich hat. die politischen Lösungen, das Eigentliche ist die Ent- wicklungszusammenarbeit, die wirtschaftliche Kraft, Wir werden in zwei politischen Prozessen eine aktivere die wir Regionen geben. – Deshalb nennen wir das den Rolle einnehmen und unseren Beitrag leisten. Der Außen- vernetzten Ansatz, mit dem wir in Afghanistan begonnen minister tut das im Zusammenhang mit Syrien. Wir haben haben, zu arbeiten. Es ist gut, dass Frankreich erstmals uns sehr dafür eingesetzt, dass bei den Vereinten Nationen seit 2009 wieder komplett in der NATO verankert ist. Das jetzt endlich ein Verfassungskonvent gebildet werden ist unter Präsident Sarkozy passiert. Das ist vorher lange konnte. Das geht nicht ohne Gespräche mit Russland, nicht der Fall gewesen. So kann die NATO heute politi- und das geht nicht ohne Gespräche mit der Türkei. Des- scher arbeiten. Und politische Lösungen gehören dazu; halb gab es auch Treffen von Präsident Erdogan, von (B) militärische Lösungen alleine werden nie reichen. Präsident Macron und mir und von Putin und Erdogan. (D) Es ist wichtig, dass wir den UN-Gesandten Pedersen an (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dieser Stelle unterstützen. Es stellt sich natürlich auch die Frage, wie wir mit dem Und zweitens führen wir – denn wir haben aufgrund schwierigen Partner Türkei umgehen. Wollen wir ihn in der Tatsache, dass wir uns damals im Sicherheitsrat ent- der NATO halten oder nicht? Arbeiten wir darauf hin? halten haben, eine hohe Reputation bei den afrikanischen Das heißt natürlich nicht, dass man sich nicht gegenseitig Ländern – jetzt in Berlin Gespräche auf hoher Beamten- die Meinung sagt, dass man Unterschiede nicht anspricht. ebene von Auswärtigem Amt und Bundeskanzleramt mit Aber ich sage: Die Türkei sollte NATO-Mitglied bleiben. dem UN-Vermittler Salamé und den wichtigsten Akteu- Dafür müssen wir uns einsetzen; denn es ist von geostra- ren, um zu verhindern – und das ist schwer genug –, dass tegischer Bedeutung für das Bündnis, dass die Türkei mit in Libyen ein Stellvertreterkrieg geführt wird in der Di- dabei ist. mension, wie wir es in Syrien gesehen haben, und um zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- verhindern – deshalb ist eine Lösung für Libyen so not- ordneten der SPD) wendig –, dass der gesamte südlich von Libyen liegende Sahelbereich in terroristische Instabilität abgleitet. Das ist Nun ist es sehr leicht, gegenüber den Vereinigten Staa- eines der größten Probleme, denen wir im Augenblick ten von Amerika kritisch zu sein, die vielleicht an vielen begegnen; und dass das etwas mit unserer Sicherheit zu Stellen nicht mehr die Verantwortung übernehmen wol- tun hat, das kann sich jeder leicht vorstellen. len, die sie früher übernommen haben. Aber das zeigt zuerst auf uns zurück, auf Europa. Die erste Aufgabe, Deshalb ist es richtig und wichtig, dass sich Deutsch- damit die NATO funktionieren kann, ist, dass die Europä- land und Frankreich beim G-7-Treffen in Biarritz ent- ische Union sich einig ist; denn die meisten Mitgliedstaa- schieden haben, neben der Unterstützung für die G-5-Sa- ten der Europäischen Union sind auch NATO-Mitglieder. heltruppe eine Initiative für die Sicherheit in der Sahelzone zu starten. Wir werden weiter daran arbeiten – Für Deutschland und seine Außenpolitik heißt das in das möchte ich jedenfalls –, dass wir ein robustes UN- ganz besonderer Weise, dass wir uns für diese Einigkeit Mandat bekommen. einsetzen müssen, und zwar zunächst mit Blick auf die Stabilisierung des westlichen Balkans. Ich bin dafür, dass Das führt uns zu einem weiteren Punkt. Wir werden in wir noch einmal darüber nachdenken, ob wir über neue Zukunft nicht alle Einsätze selbst bestreiten können. Beitrittsverfahren in der Europäischen Union diskutieren; Mehr tun kann auch heißen, anderen bei der Ausbildung, ich sage ganz ehrlich: Das hätten wir vielleicht auch bei der Befähigung und Ertüchtigung zu helfen. Das ma- schon vor einem Jahr machen können. Vor allem bin ich chen wir schon in Mali, aber es muss noch breiter ge- 16272 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) schehen. Wir müssen uns einem Thema stellen, dem wir anderen europäischen Partnern besprechen. So, wie wir (C) auf Dauer nicht werden ausweichen können: Wenn wir in eine Medikamentenzulassungsagentur in Europa haben, anderen Regionen der Welt ausbilden und ertüchtigen, so müssen wir wahrscheinlich auch eine Zulassungsagen- dann stellt sich auch die Frage, wer die Ausrüstung liefert. tur, eine Zertifizierungsagentur haben, die sich mit der Sie konnten neulich beim Treffen der Afrikanischen Zertifizierung von 5G-Teilen beschäftigt und mit nationa- Union mit dem russischen Präsidenten in Sotschi sehen, len Institutionen wie dem BSI zusammenarbeitet. Denn dass das Ganze begleitet war von einer großen Show von wenn in einem digitalen europäischen Binnenmarkt jeder militärischen Gegenständen. Die afrikanischen Länder seins macht und jeder anders handelt, dann werden wir konnten sich aussuchen, was sie brauchen, zum Teil zu nicht weit kommen. Das heißt: Telekommunikationsge- verbilligten Preisen. setz ändern, IT-Sicherheitsgesetz ändern und natürlich im Parlament darüber sprechen, wie wir höchste Sicherheits- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Völlig falsche Rede! standards anlegen. Wir müssen aber auch nach Europa Sie sollen zum Haushalt sprechen!) schauen und möglichst mit Frankreich erst einmal ge- Ich frage uns: Ist es in unserem Interesse, wenn klar ist, meinsame Lösungen finden, aus denen wir dann insge- dass Afrika nur von Russland, China und Saudi-Arabien samt europäische Lösungen entwickeln können. ausgerüstet wird? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Völlig am Thema ordneten der SPD) vorbei!) Natürlich müssen wir kritisieren, wenn wir jetzt die Ich glaube, das kann nicht richtig sein. Wenn wir für die Berichte von den Uiguren hören. Ich stimme dem Bun- Sicherheit und den Frieden in Afrika andere ertüchtigen, desaußenminister vollkommen zu, dass die UN-Men- dann können wir uns bei der Ausrüstung nicht völlig ver- schenrechtsbeauftragte dort Zugang haben muss. Ich weigern. glaube, dass die Europäische Union gestern das Richtige dazu gesagt hat. Ich glaube, dass es ein gutes Zeichen war, (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist eine Bewer- dass die Wahlen in Hongkong so friedlich abgelaufen sind bungsrede für den nächsten Job!) und die Menschen trotzdem ihre Meinung gesagt haben. Das ist jedenfalls meine Überzeugung. Das ist „ein Land, zwei Systeme“. Und das sind zwei Systeme. Und China ist ein anderes gesellschaftliches (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- System, ein völlig anderes. Es gibt einen Systemwettbe- ordneten der FDP) werb. Aber ich weiß nicht, ob die Antwort auf den Sys- Deshalb bin ich ein bisschen unruhig, wenn wir unsere temwettbewerb – so was kennen wir ja auch aus dem (B) Maßnahmen immer weiter einschränken. Wir sind nicht Kalten Krieg – Abschottung heißen kann, vielmehr muss (D) glaubwürdig, wenn wir Menschen, die in terroristische die Antwort auf den Systemwettbewerb sein, dass wir Kämpfe ziehen müssen, ausbilden, um ihnen anschlie- selbstbewusst davon ausgehen, dass wir unsere Maßstäbe ßend zu sagen: Na ja, aber woher ihr eure Ausrüstung setzen können, ohne die totale Abschottung zu prokla- herkriegt, das müsst ihr euch überlegen. mieren. Das ist jedenfalls mein Ansatz, meine Damen und Herren. Meine Damen und Herren, ja, wir müssen auch unsere europäische Haltung zu China klären. Das ist ein großer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Diskussionsgegenstand. Der an Jahren alte, aber im Geist neten der SPD und des Abg. Jürgen Trittin junge Christian Schwarz-Schilling hat auf dem CDU-Par- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) teitag weise Worte gesagt. Er hat gesagt: Wer glaubt, na- All das wird Europa natürlich nur können, wenn es tional allein einen Kurs finden zu können im Umgang mit wirtschaftlich stark ist. Die wirtschaftliche Stärke Euro- China, und nicht versucht, eine gemeinsame europäische pas hängt ganz wesentlich mit der wirtschaftlichen Stärke Haltung zu entwickeln, der wird zerrieben werden und Deutschlands zusammen. der wird scheitern. (Christian Lindner [FDP]: Welche?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Zuruf des Abg. Norbert Damit sind wir bei dem, was in dieser Woche hier im Kleinwächter [AfD]) Wesentlichen debattiert wird. Wenn ich Ihnen das ganz offen sagen darf: Eine der größ- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- ten Gefahren – ich will es so nennen; zumindest Sorgen –, legen, wir haben in den letzten 20 Monaten als Bundes- ist, dass jeder Mitgliedstaat in Europa seine eigene China- regierung vieles auf den Weg gebracht. Wir haben das in politik macht und dass wir zum Schluss ganz unterschied- der Halbzeitbilanz niedergelegt. liche Signale senden. Das wäre nicht für China verhee- rend, aber es wäre für uns in Europa verheerend. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ah, jetzt fängt die Rede an!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ich glaube, wir haben vor allen Dingen wirklich wichtige bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Dinge getan, um gerade in einer Zeit des konjunkturellen GRÜNEN) Abschwungs, verursacht durch weltweite Entwicklun- Es ist unbestritten, dass wir hohe Sicherheitsstandards gen, durch zyklische Entwicklungen, etwas dagegenzu- beim Ausbau von 5G brauchen. Aber das müssen wir, setzen, und zwar mit einem robusten Binnenkonsum. Ich nachdem wir sie für uns definieren, dann auch mit den will das hier nicht alles wiederholen: Kindergeld, Kinder- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16273

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) freibeträge, Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, Ab- Haushalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alles andere (C) bau des Solis, Verbesserungen in der Krankenversiche- ist doch absurd. rung und in der Pflegeversicherung, Mindestlohnerhö- hung, Rentenplus, Mütterrente. Wir haben uns jetzt über (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der die Eckpunkte der Grundrente – etwas ganz Wichtiges – FDP – Dr. [FDP]: Deshalb geeinigt und werden sie gesetzlich umsetzen. Wir haben kürzen Sie bei Frau Karliczek! – Dr. Alice eine Mindestausbildungsvergütung beschlossen. Wir ha- Weidel [AfD]: Die niedrigste Investitionsquote ben dafür gesorgt – das ist, finde ich, eine ganz wichtige im Euro-Raum! Die niedrigste Nettoinvesti- Sache –, dass für die Ausbildung in Berufen, in denen tionsquote!) Menschen, vor allen Dingen Frauen, mit Menschen arbei- Wir haben allerdings – da sind wir in der Koalition ten, endlich kein Schulgeld mehr gezahlt werden muss, vielleicht ein bisschen unterschiedlicher Meinung – zu- sondern es eine Ausbildungsvergütung gibt. mindest mittelfristig die Aufgabe, die Bedingungen für die deutsche Wirtschaft an den internationalen Rahmen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – anzupassen. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war wichtig!) ( [DIE LINKE]: Das klingt bedroh- lich!) Es ist eigentlich ein Anachronismus, dass das in 70 Jahren Bundesrepublik nicht geschafft wurde; das hätte man Das bedeutet zum einen – da kriegen wir ja vielleicht auch schon vor der deutschen Einheit schaffen können. noch was hin –, dass wir für Personengesellschaften Und wir haben auf eine der wesentlichen Fragen der und Körperschaften ähnliche steuerliche Verhältnisse ha- deutschen Wirtschaft eine Antwort gegeben: mit einem ben. Aber wir werden ab dem Jahr 2020 das Land mit den Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Wir werden die Funk- höchsten Unternehmensteuern in Europa sein. tionalität dieses Fachkräfteeinwanderungsgesetzes im (Zuruf des Abg. Dr. Marco Buschmann [FDP]) Dezember auf einem Gipfel im Kanzleramt diskutieren, damit wir hiermit auf eine der großen Herausforderungen Frankreich wird seine Unternehmensteuern – die liegen der deutschen Wirtschaft eine richtige Antwort geben. heute im Schnitt noch über unseren – sukzessive auf Wir haben die innere Sicherheit massiv verbessert. Wir 25 Prozent senken, die Amerikaner haben an dieser Stelle haben die Migration gesteuert und geordnet. Wir haben massiv gesenkt, vieles für die Integration getan. ( [SPD]: Viel wichtiger sind die Meine Damen und Herren, wir stehen relativ robust da. Energiepreise!) (B) Der Haushalt ist auf Rekordniveau. Wir werden im nächs- Portugal liegt diesbezüglich in unserer Nähe, die Nieder- (D) ten Jahr das Maastricht-Kriterium einer Schuldenquote lande werden auch eine Unternehmensteuerreform ma- von 60 Prozent unterschreiten. Ich will an dieser Stelle chen. Das heißt, mittelfristig müssen wir uns das, glaube noch mal sagen, dass es mich wundert, dass in diesem ich, anschauen, wenngleich wir auch andere Themen ha- Hause immer so abfällig über einen ausgeglichenen ben, die für die deutsche Wirtschaft mindestens von eben- Haushalt gesprochen wird. so großer Wichtigkeit sind. (Christian Lindner [FDP]: Wer macht das?) (Lachen bei Abgeordneten der AfD und der FDP – Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist un- – Es gibt Menschen, die sprechen in diesem Hause ab- glaublich! – [Erfurt] fällig davon. [SPD]: Widerspruch der SPD-Fraktion!) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Es wäre schön, Deshalb möchte ich mich heute auf zwei Dinge kon- wenn er wirklich ausgeglichen wäre! Nicht zentrieren, von denen ich glaube, dass sie darüber ent- über Rücklagen! – Christian Lindner [FDP]: scheiden, ob die deutsche Wirtschaft und damit die Ar- Das machen nur die Grünen und die Linken!) beitsplätze und der Wohlstand bei uns erhalten bleiben können, also auf zwei Dinge, die von entscheidender Ich muss wirklich sagen: Wenn man in Zeiten so niedriger Wichtigkeit sind. Zinsen – hat das gestern dargestellt – glaubt, man müsste auch noch Schulden machen, was will man (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie haben doch die dann eigentlich in Zeiten machen, in denen die Zinsen letzte Unternehmensteuerreform zu verantwor- wieder normal sind und steigen? ten! Damals waren Sie auch schon Kanzlerin!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Zum einen geht es um die Frage: Wie begegnen wir ordneten der SPD) dem Klimawandel? Welche Antworten finden wir da- rauf? Und wie schaffen wir die Transformation unserer Wie viel Schulden will man dann machen? Das kann ja Wirtschaft? Hierzu hat die Bundesregierung ein ambi- nun ernsthafterweise nicht sein. Wir haben einen Haus- tioniertes Paket vorgelegt. Es wird darüber diskutiert, halt mit einem Investitionshoch. Wir hatten noch nie so ob die Einstiegspreise zu hoch oder zu niedrig sind, es hohe Investitionen im Haushalt. Wir haben durch das wird darüber diskutiert, ob die Pendlerpauschale über- Klimapaket noch mal viele Investitionen draufgelegt. kompensiert oder nicht, aber im Grunde gibt es in weiten Man kann doch nicht Investitionen erst dann gut finden, Teilen dieses Hauses keinen Zweifel dran, dass der Maß- wenn sie Schulden verursachen. Ein ordentlicher Haus- nahmenrahmen richtig gewählt ist. Darüber werden wir halt heißt doch: Investitionen in einem ausgeglichenen jetzt auch im Bundesrat sprechen. Ich kann uns allen nur 16274 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) raten, dass wir vernünftige Lösungen dafür finden; denn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) drängt. Wir werden ab Anfang der 20er-Jahre ordneten der SPD) klare Budgets an CO2-Emissionen haben, die wir einhal- Wir sehen ja, dass wir Spaltungen haben. Wir haben es ten müssen. Wenn wir die überschreiten, müssen wir mas- gestern ja auch bei der Demonstration der Landwirte ge- sive Strafzahlungen leisten oder wir müssen Geld für sehen. Zertifikate zahlen. Das heißt, wir sind dazu verpflichtet, Jahr für Jahr und nicht irgendwann unsere Ziele einzu- (Jürgen Braun [AfD]: So viel Schwachsinn auf halten. Deshalb müssen wir schnell mit der Transforma- einmal!) tion beginnen. Ich glaube, wir haben richtige Dinge auf den Weg gebracht. Deshalb hoffe ich, dass wir im Bun- Im Augenblick besteht die Gefahr – diese Gefahr besteht desrat bis zum Jahresende die entsprechenden Lösungen nicht nur in Deutschland; das ist überhaupt kein spezi- finden. Wir als Koalition sind jedenfalls dazu bereit. fisch deutsches Problem, sondern überall gibt es die Ge- fahr –, dass die Lebenswelten von Menschen, die in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stadt leben, und von Menschen, die auf dem Lande leben, unterschiedlich sind, dass diese Menschen völlig unter- Wir haben einen weiteren massiven Schritt unternom- schiedliche Probleme haben. men: Wir haben auf Basis der Ergebnisse einer Kommis- sion beschlossen, wann wir spätestens aus der Kohlever- (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Da kennen Sie stromung aussteigen, wann wir die Kohle nicht mehr als sich aus!) Energiequelle haben werden. Das schafft Berechenbar- keit. Wenn wir als Politik nicht denen in der Stadt helfen, die keine bezahlbare Wohnung bekommen, und nicht denen (Lachen bei der AfD) auf dem Lande helfen, die wissen wollen, was sie vom Ausbau der Windenergie haben außer einem 220 Meter Dazu gibt es die entsprechenden Gesetze. Meine Damen großen Windrad neben sich, dann werden wir das nicht und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, den meisten schaffen. Aber wir können das schaffen, wenn wir den in diesem Hause ist, glaube ich, Folgendes klar: Deutsch- Zusammenhalt dieses Landes voranbringen. land stellt 1 Prozent der Weltbevölkerung und verursacht 2 Prozent der CO2-Emissionen, und es verfügt über die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) besten Technologien. Wer, wenn nicht wir, soll denn zei- gen, dass es geht, dass man dem Klimawandel etwas ent- Deshalb werde ich mich nächsten Montag mit Vertre- gegensetzen kann? – Das ist doch die Aufgabe. tern der Verbände der Bauern treffen. Ich werde ihnen natürlich sagen, dass sie auf die Herausforderungen der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie neuen Zeit Antworten finden müssen. Wir haben über (B) bei Abgeordneten der LINKEN und des Jahre die Düngeverordnung nicht eingehalten, da kann (D) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alice ich jetzt nicht sagen: Ach, Leute, es gibt noch drei Jahre Weidel [AfD]: Unverantwortlich!) dazu. – Das wird nicht klappen. Aber was wir den Men- schen, die morgens aufstehen und abends spät ins Bett Natürlich werden uns auf diesem Weg immer wieder gehen, die im Sommer dann noch arbeiten, wenn wir alle Schwierigkeiten begegnen. Wie könnte das anders sein? bei einem kühlen Bier sitzen, sagen können, ist, dass wir Wir werden aus der Kernenergie aussteigen, wir steigen ihre Arbeit achten, aus der Kohleverstromung aus, und wir müssen Gas als Brückentechnologie etablieren. (Beatrix von Storch [AfD]: Die wollen kein Blabla!) (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU]) dass unsere Aussage: „Wir wollen regionale Produkte “, nicht Schall und Rauch ist, sondern ernst gemeint, Deshalb finde ich es eher schwierig, dass die Europäische dass wir heimische Lebensmittel wollen und eine starke Investitionsbank jetzt entschieden hat, Gastechnologien Landwirtschaft. Das können und müssen wir unseren als Brückentechnologie überhaupt nicht mehr zu finan- Bauern sagen. zieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie sprechen! Das merkt man an Genauso müssen wir über den Ausbau der Windener- Ihrer Rede!) gie sprechen. Wir haben den Solardeckel jetzt aufgeho- ben. Wir haben den Ausbau auf See erhöht. Aber wir Das ist, glaube ich, nicht richtig. werden auch Windenergieausbau am Lande brauchen. Wir werden aber natürlich auch weiter Schwierigkeiten bei der Gestaltung des Ausbaus des Bereichs der erneuer- (Beifall der Abg. [SPD]) baren Energien haben. Da wird es um den Zusammenhalt Jetzt findet hierzu eine Diskussion statt, als lägen Welten unseres Landes gehen. zwischen uns. Sie wissen doch, dass in den allermeisten Bundesländern eine Abstandsregel von 1 000 Metern gilt. (Beatrix von Storch [AfD]: Um Grund- Vielleicht bräuchten wir gar keine Bundesregelung, lastfähigkeit geht es!) Es wird nicht reichen, wenn die Menschen in der Stadt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den Menschen auf dem Land erklären, wie das mit dem wenn alle Länder, zum Beispiel , schon so Windkraftausbau laufen kann. schlau gewesen wären, bevor sie eine Koalition mit den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16275

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Grünen gemacht hätten, und nicht erst nachdem in den hatte die Bundesregierung eine Klausurtagung, bei der (C) Koalitionsverhandlungen auch die 1 000 Meter verhan- wir wichtige Entscheidungen getroffen haben. delt wurden. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Oh!) (Zuruf von der AfD: Oh, oh!) Einmal geht es natürlich um den Ausbau der Infrastruktur. Jetzt reden wir nur noch über einen einzigen Bereich, und Wir haben eine Mobilfunkstrategie entwickelt, in der zum das sind die Splitterbereiche, bei denen man fragen kann, Beispiel steht, wie wir den Mobilfunk ausrollen, und zwar ob sie bei 7 Häusern oder bei 30 Häusern beginnen. Das flächendeckend. Denn wir wissen, dass weiße Flecken für ist der Unterschied zwischen der Ansicht der Bundesum- die Menschen nicht akzeptabel sind, gerade in den länd- weltministerin und des Bundeswirtschaftsministers. lichen Räumen. Wir haben eine klare Strategie für den Nachdem wir es geschafft haben, uns bei der Grundrente Ausbau von 5G. zu einigen, sage ich Ihnen voraus: Wir werden auch da (Dr. Alice Weidel [AfD]: Super Strategie!) eine Einigung finden. Die Auflagen bei der Versteigerung der Frequenzen sind (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sehr hart. Ich danke da auch den Kollegen aus dem Bun- Die 1 000 Meter sind in den allermeisten Bundesländern destag, die uns als Regierung da sehr an die Kandare ge- Deutschlands die Norm. nommen haben. Wir haben ein weiteres großes Thema. Das ist die (Dr. Alice Weidel [AfD]: Kandare!) Transformation in der Automobilindustrie. Wir werden natürlich auch den Glasfaserausbau voran- bringen. (Beatrix von Storch [AfD]: Abschaffung! Nicht Transformation! – Weiterer Zuruf von der AfD: (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, ja!) Die wollen nicht transformiert werden!) Aber viel, viel wichtiger ist, dass wir verstehen, dass Diese Transformation – wir haben es gestern gehört: Stel- der neue Rohstoff die Daten sind. Die Bundesregierung lenabbau bei Audi – in der Automobilindustrie ist not- hat jetzt auf der Grundlage der Datenethikkommission wendig; denn die Mobilität wird sich wandeln. Schon Eckpunkte für eine Datenstrategie festgelegt, die wir im Kaiser Wilhelm hat gedacht, dass das Pferd wieder zu- Frühjahr verabschieden werden. Ich habe den Eindruck, rückkommt, als er das erste Auto gesehen hat. Er hat sich dass uns die Bedeutung schon klar ist, den großen Unter- geirrt. Auch Sie werden sich irren. nehmen auch,

(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (D) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Bei uns schon! Bei Ihnen wahrscheinlich GRÜNEN) nicht!) Es wird eine völlig neue Mobilität geben mit autonomem dass aber im deutschen Mittelstand die Bedeutung des- Fahren, alternativen Antrieben und anderen Eigentums- sen, was durch das Wesen der Daten als neuer Rohstoff verhältnissen, als wir es heute kennen. entstanden ist, noch nicht ausreichend gesehen wird. Des- halb unterstütze ich das, was vorgeschla- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Andere Eigentums- gen hat, nämlich als Politik – das ist ja schon etwas selt- verhältnisse! Genau!) sam – mit daran zu arbeiten, dass wir eine Plattform entwickeln, auf der Daten verarbeitet werden können, Es wird Jahre dauern, aber es wird gut sein, wenn die und zwar nicht nur in Deutschland, sondern möglichst Politik hilft. zusammen mit Frankreich und europaweit. Es muss ver- Wir als Bundesregierung führen einen strukturierten standen werden, dass es nicht nur darum geht, dass ich Dialog mit der Automobilindustrie. Wir werden die Lade- meine Daten kenne. infrastruktur ausbauen. Wir werden durch Kaufprämien Deutschland hat Industrie 4.0 mit als erstes Land nach die Einführung der neuen Antriebstechnologien unter- vorne gebracht. Die Digitalisierung der eigenen Produk- stützen. Wir setzen nicht auf nur eine Technologie, aber tion ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist die Ver- nehmen es ernst, wenn uns die Automobilindustrie für netzung aller Menschen und vor allen Dingen auch Ge- den Pkw-Bereich – nicht für den Lkw-Bereich, nicht für genstände auf der Welt. Dies bietet völlig neue den Zugbereich – sagt, dass auf absehbare Zeit Elektro- Möglichkeiten, Erkenntnisse zu gewinnen. Das muss im mobilität jetzt erst einmal die Technologie der Wahl ist. Gesundheitsbereich passieren. Das muss beim Umwelt- Wir werden die Menschen dazu bringen, Autos mit alter- schutz passieren. Das muss aber auch für neue Wirt- nativen Antrieben zu kaufen, wenn die entsprechende schaftsmodelle passieren. Je schneller wir das akzeptie- Ladeinfrastruktur vorhanden ist. Deshalb ist es richtig, ren, umso besser ist es. Das bedeutet aber als Erstes dass Bund, Länder und Kommunen hier zusammenarbei- einmal, dass ich alles digitalisiert vorhanden habe und ten und Vertrauen für die Menschen schaffen. dass ich weiß, was ich habe. Wir sind dafür – ich schaue (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gerade Nadine Schön an –, dass wir das möglichst im Open-Data-Bereich als Open Source machen, damit es Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- durchschaubar ist. Aber damit man daraus neue Produkte legen, die zweite große Aufgabe ist, wie wir die Trans- machen kann, brauchen wir noch einen Kulturwandel in formation im Zuge der Digitalisierung schaffen. Hierzu Deutschland. Man muss verstehen, dass das dringlich ist. 16276 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Ich habe den Eindruck, dass wir da viel, viel zu langsam Es gibt keine Meinungsfreiheit zum Nulltarif. Es stimmen (C) sind. Wir als Abgeordnete sollten sozusagen die nicht immer alle zu. Aber die Meinungsfreiheit kennt Botschafter sein, die sagen: Verschlaft diese Zeit nicht, Grenzen. Sie beginnen da, wo gehetzt wird, wo Hass ver- sonst werden Wertschöpfungsmodelle an uns vorbeige- breitet wird. hen und wir werden zur verlängerten Werkbank. – Das ist meine ganz große Sorge. Aber, ich glaube, als Bundesre- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, gierung sind wir jetzt auf dem richtigen Weg. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sie beginnen da, wo die Würde anderer Menschen ver- ordneten der SPD) letzt wird. Dagegen werden und müssen wir uns in diesem Wir müssen führend in KI sein, in der künstlichen In- Hause stellen. Das werden wir auch hinbekommen. Denn telligenz, in den Algorithmen, die mit diesen Daten arbei- sonst ist diese Gesellschaft nicht mehr das, was sie einmal ten. Wir haben glücklicherweise sechs entsprechende war. Forschungszentren. Sie werden unterstützt. Da müssen Bund und Länder gut zusammenarbeiten. Ich unterstütze (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie sehr die zusätzliche Strategie von Bayern, die mit der bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Bundesstrategie bestens zusammenpasst. Ich weiß, dass des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch in anderen Bundesländern viel passiert. Das ist gut. So sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie haben hoffentlich gemerkt, wir haben viel zu tun. Wir Hiervon und vom Klimawandel wird weit mehr als von haben sehr viel angefangen, anderen Dingen abhängen, ob wir in 10 oder 20 Jahren noch ein führender Industriestandort sind oder nicht. Die (Zuruf von der AfD: Und versaut!) Weichen dafür werden heute gestellt. aber vieles muss noch weitergemacht werden. Deshalb (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: finde ich, wir sollten die Legislaturperiode lang weiter- Heute?) arbeiten. Das ist meine persönliche Meinung. Wirtschaft, soziale Marktwirtschaft, unser Gesellschafts- (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und modell – das in die neue Zeit zu tragen, verstehen wir als dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aufgabe der Bundesregierung. Aber wir sehen, dass die Ich bin dabei. Schön, wenn Sie es auch sind. vielen Veränderungen, die dramatischen Veränderungen auf der Welt auch zu großen Friktionen in unserer Gesell- Herzlichen Dank. schaft führen. So gut wie das Internet ist und so gut wie (B) die digitalen Möglichkeiten sind, so viele Gefahren ber- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) gen sie natürlich auch; das war bei jeder neuen Technolo- gie so. Deshalb ist es gut, dass im Augenblick in Berlin Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: das große internationale Internet Governance Forum der Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden UN tagt, das sich mit solchen Fragen beschäftigt. der FDP, Christian Lindner. Wir müssen konstatieren: Obwohl es uns wirtschaftlich (Beifall bei der FDP) sehr gut geht, Christian Lindner (FDP): (Zuruf von der AfD: Nein!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die obwohl es Lohnsteigerungen für viele Menschen gibt, Frau Bundeskanzlerin hat ihre Rede mit einem optimis- obwohl wir mehr Beschäftigte haben, sozialversiche- tisch-humoristischen Gruß an ihren Koalitionspartner ge- rungspflichtig und Erwerbstätige insgesamt, als wir je- schlossen. mals hatten, gibt es in unserer Gesellschaft Friktionen, die uns unruhig stimmen müssen. Der Mord an Walter (Ulrich Freese [SPD]: Die Einladung habt ihr ja Lübcke, die Vorgänge in , sie alle rütteln uns auf. ausgeschlagen!) Man fragt sich: Was ist in unserer Gesellschaft los? Und Begonnen hat sie mit einem außenpolitischen Schwer- das nach 70 Jahren Grundgesetz. Die Würde des Men- punkt. Es ist auch nachvollziehbar, Frau Bundeskanzle- schen ist unantastbar. rin, dass Sie hier einen außenpolitischen Schwerpunkt setzen; denn einer unserer engsten Verbündeten fordert (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- unser Land heute in einem Zeitungsinterview in der KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Bild“ dazu auf, unsere Führungsrolle wahrzunehmen. sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir hätten aber erwartet, dass Sie dann auch die großen Das bedeutet Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit in un- Linien aufzeigen und nicht im Klein-Klein verbleiben. serem Land ist gegeben. All denjenigen, die dauernd be- haupten, sie dürften nicht mehr ihre Meinung sagen, muss (Beifall bei der FDP) ich sagen: Wer seine Meinung sagt, auch prononciert, der Sie haben zu Recht gesagt, es müsse eine europäische muss damit leben, dass es Widerspruch gibt. Antwort auf die Herausforderung China geben. Ja, aber bitte welche Antwort denn? Es reicht doch nicht, nur (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Fragen aufzuwerfen. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16277

Christian Lindner (A) Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie über Krisenregionen (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (C) sprechen, dann hätten wir erwartet, dass Sie persönlich Stellung dazu beziehen, wo Sie in der Frage Nordsyrien Ich muss Ihnen sagen: Die CDU gefällt mir besser als politisch eigentlich stehen. Stehen Sie an der Seite der diese Bundesregierung. Bundesverteidigungsministerin, die eine strategische Ini- (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer tiative ergriffen hat, oder an der Seite des Bundesaußen- [CDU/CSU]: Das ist ein Anfang!) ministers Maas, der in Ankara die Uneinigkeit der deut- schen Bundesregierung auf internationaler Bühne – Ja, das gilt auch bei anderen Fragen. dokumentiert hat? Diese Bundesregierung geht schlafwandlerisch auf ei- (Beifall bei der FDP) ne drohende Wirtschaftskrise und einen Wirtschaftsab- Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie Ihre Rede hier zum sturz zu. Auf der anderen Seite sehe ich, dass es durchaus Anlass nehmen, „70 Jahre NATO“ zu würdigen, dann auch andere Erkenntnisse gibt. Sie kündigen ein bisschen hätten wir ein ganz klares Bekenntnis zur transatlanti- wachsweich an, mittelfristig müsse man prüfen, bei den schen Partnerschaft erwartet. Der Bundeswirtschaftsmi- Unternehmensteuern was zu tun. Das ist auf einer Linie, nister hat sich in den letzten Tagen die unglaubliche po- die wir kennen. litische Entgleisung geleistet, die Vereinigten Staaten von An Peter Altmaier als kommissarischem Finanzminis- Amerika in einem Satz mit der Volksrepublik China ter, seinem Zahlengerüst und seinem Unwillen ist damals gleichzusetzen. Sie hätten das hier heute aus der Welt ja die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschla- schaffen müssen, Frau Bundeskanzlerin. ges gescheitert, aber auf dem CDU-Bundesparteitag gab (Beifall bei der FDP) es klare Aussagen, zum 1. Januar 2020 den Soli für alle abzuschaffen und ihn nicht zu einer Strafsteuer für Mittel- Bemerkenswert ist nun allerdings, worüber Sie nicht stand und Wirtschaft zu machen. Ich kann Ihnen nur sa- gesprochen haben. Ein großer Schwerpunkt war also die gen: Bringen Sie das als Gesetzentwurf hier ein! Unsere Außenpolitik. Aber worüber haben Sie nicht oder nur sehr Zustimmung ist Ihnen da sicher. kurz gesprochen? Erster Punkt. Sie haben nicht darüber gesprochen, dass (Beifall bei der FDP) die deutsche Wirtschaft so gut wie nicht mehr wächst. Mit Sie haben hier über die Bedeutung der Digitalpolitik einem Wachstum von nur noch 0,1 Prozent sind wir ganz gesprochen, Frau Bundeskanzlerin. In der Tat: Auch da hinten in der Europäischen Union. Es gibt bei uns keiner- müssen wir Tempo aufnehmen, wenn wir auf der Höhe lei Wachstumsdynamik mehr. Sie sind gerade mal knapp der Zeit sein wollen. Das haben wir hier schon öfter be- (B) viereinhalb Minuten auf die wirtschaftliche Lage im en- sprochen. Damit wir Tempo aufnehmen, müssen wir weg (D) geren Sinne eingegangen, Frau Bundeskanzlerin. Vier- von der Praxis der Rohrpost, die es auch im Bundeskanz- einhalb Minuten für eine der wesentlichen Grundfragen leramt noch gibt, und hin zu einem modernen Verwal- in den nächsten Jahren hier in diesem Land! tungshandeln, zu einem Management der Transforma- tion. Digitalisierung aus einer Hand! (Ulli Nissen [SPD]: Man kann in viereinhalb Minuten verdammt viel sagen!) Dazu wäre es empfehlenswert, alle Kompetenzen und Ich kann nur sagen: Wer die Wirtschaft links liegen lässt, Ressourcen auch an einer Stelle in einem Digitalministe- der darf sich über Probleme von rechts irgendwann nicht rium zu bündeln. Bislang ist das an der Union gescheitert. wundern. Jetzt habe ich von dem Bundesparteitag der CDU gehört, eigentlich bräuchte man ein Digitalministerium. Will- (Beifall bei der FDP) kommen im Klub! Sogar der Chef des Bundeskanzler- Sie haben dann allerdings die 9 500 Arbeitsplätze an- amtes sagt: Wir brauchen ein Digitalministerium. – Frau gesprochen, die bei Audi abgebaut werden. Das hat nicht Bundeskanzlerin, lassen Sie der guten Erkenntnis doch nur was mit konjunkturellen Fragen zu tun, sondern dazu einfach Taten folgen! führen auch politische Entscheidungen. Wir konzentrie- ren uns in Deutschland – Sie haben das hier unterstri- (Beifall bei der FDP) chen – ja ganz einseitig nur auf die Elektromobilität, ob- Oder liegt es an der SPD? Will sich die SPD das eklige wohl es Alternativen gibt: Wasserstoff – damit fahre Bonbon ans Revers kleben lassen, dass es an ihnen schei- ich –, synthetische Kraftstoffe tert, dass wir kein zentrales Management der Digitalisie- rung bekommen? Eigentlich sind doch alle außer den (Beatrix von Storch [AfD]: Diesel!) Grünen einer Meinung, dass wir so was brauchen. Sie und vieles mehr, was denkbar ist. Dass wir uns nur auf die haben ein Heimatministerium eingerichtet, weil Horst Elektromobilität konzentrieren, führt natürlich zu einem Seehofer in Bayern keine Heimat mehr hat, massiven Abbau von Arbeitsplätzen in den Unternehmen, die auf Dieseltechnologie gesetzt haben. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP) Sie haben dazu heute mehr oder weniger nichts gesagt, sondern das nur hingenommen. Der Bundesparteitag der was uns aber noch fehlt, ist ein Digitalministerium, damit CDU war da weiter. Dort gab es das klare Bekenntnis: In wir auch die Zukunftsfragen angehen. Also: Lassen Sie Deutschland hat auch der nichtfossil betriebene Verbren- den guten Erkenntnissen Ihres Parteitages im Regierungs- nungsmotor als Spitzentechnologie eine Zukunft. handeln Taten folgen. 16278 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Christian Lindner (A) Zweites Thema, über das Sie nicht gesprochen haben; (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das (C) damit bin ich bei . Die Zahl der Bauge- fällt schwer, aber das war berechtigt!) nehmigungen in Deutschland ist eingebrochen. Die – Eine herzliche Einladung: Wenn Sie das so sehen, dann Wohnraumoffensive dieser Bundesregierung ist bereits gehen Sie mit uns nach Karlsruhe und dann klagen Sie gescheitert, bevor sie begonnen hat. gegen den Mietendeckel von Berlin! (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und der AfD – Michel Das ist eine der wesentlichen sozialen Fragen unserer Brandt [DIE LINKE]: Lobbypartei FDP!) Zeit, und schon nach zwei Jahren sprechen alle Zahlen – Nein, das hat nichts mit „Lobbypartei FDP“ zu tun – dagegen. Das hat Gründe. und wenn, dann sind wir eine Lobby für bezahlbares Ein Grund ist, dass die Baupolitik in dieser Bundesre- Wohnen. gierung nur dilatorisch behandelt wird. Bei den großen (Manuel Höferlin [FDP]: Es geht darum, dass Branchenereignissen tritt der Bundesbauminister ja über- die Menschen keine Wohnungen haben!) haupt nicht in Erscheinung. Es war möglicherweise ein organisatorischer Fehler, ein Riesenressort „Innen und Ausgerechnet die Linkspartei, die 40 Jahre lang hat Bau“ überhaupt ins Leben zu rufen. Aber sei es drum! beweisen können, dass staatlich zentrierte Wohnungspo- Das sind Dinge, die in dieser Bundesregierung zu verant- litik nicht sozial ist, sollte in dieser Frage Zurückhaltung worten sind. üben; Schwerwiegender sind landespolitische Entscheidun- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gen, insbesondere hier in Berlin, die das Vertrauen von der CDU/CSU und der AfD – Dr. Dietmar Menschen, die in Wohnraum investieren wollen, voll- Bartsch [DIE LINKE]: Der Bauminister war kommen zerstören. von den Liberalen!) denn in Deutschland West sind seit 1949 größte Heraus- (Beifall bei der FDP) forderungen nach dem Zweiten Weltkrieg – inklusive der Ich meine den Mietendeckel hier in Berlin, den rot-rot- Integration von Vertriebenen in den Wohnungsmarkt und grünen Mietendeckel in Berlin. in den Arbeitsmarkt – mit einer privaten marktwirtschaft- lichen Wohnungsbaupolitik bewältigt worden. Da brau- (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gute Sa- chen wir uns von Ihnen nicht belehren zu lassen. che!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Eine gute Sache, Dietmar Bartsch? (B) der CDU/CSU) (D) (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Eine gute Drittes Thema, Frau Bundeskanzlerin, über das Sie Sache!) nicht gesprochen haben: In der Vergangenheit haben Sie Es sind hier in Berlin doch sofort Bauanträge zurückge- oft als Ziel ausgegeben, Deutschland müsse eine Bil- zogen worden, und zwar nicht von irgendwelchen Heu- dungsrepublik werden. Dieses Ziel ist vollkommen rich- schrecken; ausgerechnet genossenschaftliche Wohnungs- tig. Das ist eine der gesellschaftspolitischen Schlüsselauf- bauinitiativen ziehen ihre Bauanträge zurück, weil sie gaben. Es geht darum, den fatalen Zusammenhang sagen, es gibt hier keine Planungssicherheit mehr. zwischen der Herkunft, dem Elternhaus, und dem beruf- lichen Weg in Deutschland zu entkoppeln. Das ist das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Aufstiegsversprechen unseres Landes. Egal wo du gebo- der CDU/CSU und der AfD) ren bist, egal in welchem Stadtteil du lebst, egal wer deine Eltern sind und woher sie kommen: Du sollst in Deutsch- Wir sind dabei, einen Eckpfeiler unserer Wirtschaftsord- land alle Chancen haben. Das gehört zu unserer Gesell- nung durch eine rot-rot-grüne Politik einzureißen. Es war schaftsordnung dazu. Deshalb ist Bildung ganz nach vor- gut gemeint, aber wir sehen inzwischen die Verheerun- ne zu setzen. Das wäre im Sinne Ihres Ziels der gen. Bildungsrepublik sinnvoll und richtig. Uns fehlen 1,9 Millionen Wohnungen in Deutschland. Aber wie ist die traurige Realität? Der Nationale Bil- Dabei geht es um ein Investitionsvolumen in Höhe von dungsrat, von Ihnen ins Schaufenster gestellt, ist, bevor er 300 Milliarden Euro. Woher soll das Geld kommen, wenn die Arbeit überhaupt aufnehmen konnte, bereits geschei- nicht von privaten Investoren? Es wird aber niemand in tert, weil Bayern und Baden-Württemberg, CSU und Grü- Wohnraum investieren, wenn er nicht sicher sein kann, ne, sich einer systematischen Zusammenarbeit der ( [DIE LINKE]: Dass er die 16 Länder verweigern. Ich habe Verständnis dafür, dass Miete erhöhen kann!) Bayern und Baden-Württemberg bei den Bildungsstan- dards nicht auf das Niveau von kommen wollen. dass sein Eigentum und die Verfügbarkeit darüber gesi- chert sind. (Beifall des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD]) Für diese Befürchtung habe ich Verständnis. Die Wahr- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten heit ist aber, dass Bayern und Baden-Württemberg nicht der CDU/CSU und der AfD) in einem Wettbewerb mit Bremen stehen, sondern die – Ich sehe vereinzelt Applaus bei den Kolleginnen und Bundesrepublik Deutschland steht in einem Wettbewerb Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. mit den USA und mit Asien. Selbst Bayern hat im Ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16279

Christian Lindner (A) gleich zu den Spitzenreitern auf der Welt noch viel auf- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) zuholen. der AfD) (Beifall bei der FDP) Es ist ein Problem, Frau Bundeskanzlerin, wie da ge- sprochen wird. Die Landwirte brauchen keine Worte. Sie Deshalb brauchen wir mehr Vergleichbarkeit, mehr haben das Gefühl, dass hier im Parlament über sie und Mobilität und im Übrigen auch die gesamtstaatlichen Fi- über ihre berufliche Existenz aus irgendeiner – wie soll nanzierungsmöglichkeiten in der Bildung. Das ist keine ich sagen? – moralischen Motivation heraus entschieden Aufgabe mehr, die die schwächsten Glieder unseres Ge- wird, ohne die tatsächliche berufliche Praxis und die wis- meinwesens, nämlich Kommunen und Länder, allein senschaftliche Evidenz zu kennen. Das macht die Leute stemmen können. Da wäre das Engagement des Bundes wütend. Sie haben das Gefühl, dass hier Stimmungen gefordert. Ausweislich der Haushaltszahlen gibt es aber entscheiden und nicht Fakten. Viele Menschen haben nicht mehr Engagement des Bundes in der Bildung, son- das Gefühl – vom Dieselfahrer bis hin zum Landwirt –, dern bei Frau Karliczek wird der Haushaltsansatz sogar dass hier im Deutschen Bundestag den Menschen der um 70 Millionen Euro gekürzt; Respekt vor der Art versagt wird, wie sie leben und wie sie wirtschaften. Das ist ein Grundproblem, Frau Bundes- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein, nein, kanzlerin, der Politik der vergangenen Jahre. nein! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Widerspruch bei der CDU/CSU und 70 Millionen Euro, die fehlen. Hier hätte man einen der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Die FDP Schwerpunkt setzen müssen. Wir bräuchten nicht nur eine als die Partei der Arbeiterklasse!) Exzellenzinitiative für die Hochschulen, sondern auch eine Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung. Das zeigt sich bei jeder Form der Bürokratisierung. Jetzt komme ich zum Schluss, weil Sie sich ja so auf- (Beifall bei der FDP – [SPD]: regen. Für die FDP auch!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Wir müssten über das lebensbegleitende Lernen nicht nur BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jan Korte reden, wir müssten es finanzieren. Das wäre eine zu- [DIE LINKE]: Arbeiterführer!) kunftsweisende Politik im Bildungsbereich. Dabei ist es symptomatisch, dass Sie ihn gar nicht erwähnt haben. Da – Hier ist ja ordentlich Leben in der Bude. Ich komme passiert leider nichts. tatsächlich zum Ende meiner Ausführungen. (B) (D) Worüber Sie gesprochen haben, Frau Bundeskanzlerin, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja! Das ist waren die Bauernproteste vom gestrigen Tag. Damit ha- gut!) ben Sie geschlossen. Sie haben hier freundliche Worte Es gibt – das kann ich Ihnen nicht ersparen – ein Symp- geäußert. Diese hätten Sie gestern einmal den Landwirten tom: Man kümmert sich nicht um die wirklich wichtigen entgegenbringen sollen. Fragen. Die Situation der Wirtschaft spielt keine Rolle, und es gibt ein Klima des Misstrauens und der Bevor- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE mundung, das von der Regierung ausgeht. Wissen Sie, GRÜNEN]: Jetzt kommt die Bauernpartei! – was dafür das Symptom ist? Die wesentliche wirtschafts- Weiterer Zuruf der Abg. politische Maßnahme des Jahres 2020 ist ausgerechnet [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die Einführung einer Bonpflicht, weil man glaubt, dass – Ja, das ist ein ernsthaftes Thema. Weil hier manche so dann, wenn beim Bäcker die Kaffeetasse ausgegeben aufstöhnen, habe ich das Gefühl: Das ist – da müssen wir wird, Steuerhinterziehung betrieben wird. aufpassen – ein bisschen eine „Déformation profession- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Blödsinn! nelle“, um nicht zu sagen: eine Berufskrankheit hier im Setzen!) Deutschen Bundestag. Das ist symptomatisch: Bürokratismus, viele Kosten, (Sören Bartol [SPD]: Die meisten von uns Misstrauen ohne einen wirklichen Nutzen für unser Land. waren da! – Weitere Zurufe von der SPD) (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hier sprechen nämlich ganz viele über die Lebenswirk- DIE GRÜNEN) lichkeit von Menschen, die sie in Wahrheit gar nicht ken- nen. Das ist ein ganz großes Problem. Das ist leider symptomatisch für die Art, wie hier regiert wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/ der AfD) DIE GRÜNEN]: Aber Sie! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden – Ja, ganz viele tun das. Ich finde es bemerkenswert: Ich der SPD, Dr. Rolf Mützenich. meinte die Grünen, aber ein Kollege der Union fühlt sich angesprochen. (Beifall bei der SPD) 16280 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

(A) Dr. Rolf Mützenich (SPD): vieler Lebensbereiche und ausdrücklich auch die Klima- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und veränderungen, ohne die sich in der internationalen Poli- Kollegen! Jede Zeit will ihre eigenen Antworten. Ein tik manche internationale Entwicklung, die auch zu die- Haushalt ist deshalb nicht allein eine Aneinanderreihung sen Krisen führt, gar nicht erklären lässt: All das sind die von Zahlen, sondern die Klärung wichtiger Zukunftsfra- Herausforderungen, die wir angehen müssen. Deswegen gen. Zugleich müssen sich die Entscheidungen an den sorgen sich die Menschen zu Recht. eigenen Überzeugungen messen lassen. Unsere Antwort ist: Wir brauchen diesen sozialen, die- Meine Fraktion ist in diese Beratungen mit einem kla- sen gerechten, aber letztlich auch diesen starken Staat, ren Kompass gegangen: Wir wollen, dass es gerecht zu- damit er die Menschen bei den Veränderungen begleitet. geht. Wir begegnen den Menschen mit Respekt und neh- Das ist etwas, wofür auch meine Fraktion in den Haus- men ihre Sorgen ernst. Wir wollen ein Ringen um die haltsberatungen angetreten ist. besten politischen Lösungen. Und wir streiten für den Erhalt und die Stärkung unserer Demokratie und wenden (Beifall bei der SPD) uns gegen Ausgrenzung, Hass und Gewalttaten, gerade in Der Umbau der Arbeitsgesellschaft ist zu bewältigen. diesen Zeiten, in denen die Gesellschaft immer mehr ver- Kollege Gauland, es ist nicht sozusagen irgendeine Er- roht, meine Damen und Herren. findung, die hier gemacht worden ist, sondern es ist die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Reaktion der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Unternehmenschefs, die sagen: Unsere Industrie überlebt NISSES 90/DIE GRÜNEN) diesen Wandel nicht, wenn wir uns dem nicht stellen, wenn wir nicht zu klimaneutralen Produktionsabläufen Alles das – das ist die Überzeugung von Sozialdemo- kommen und wenn wir die Digitalisierung der Arbeit kratinnen und Sozialdemokraten – können wir nur mit nicht in Angriff nehmen. – Das ist eine Situation, die sich einem starken, sozialen und demokratischen Staat bewir- in vielen Betriebsvereinbarungen widerspiegelt. ken. Ich finde, aus dieser Mitte des Bundestages sollte das Signal kommen: Dieser Stolz, der sich auf die deutsche Die Autoindustrie ist in aller Munde, aber auch die Geschichte bezieht, ist doch ein Ausrufezeichen gegen Chemieindustrie. Hier haben gestern die Bauern de- die Tendenzen in der internationalen Politik, wo der Staat monstriert. Natürlich spielt in diesem Zusammenhang immer mehr als ungerecht, als einschüchternd wahrge- auch die Landwirtschaft eine große Rolle, die die Digita- nommen wird. Wir können stolz darauf sein, wenn sich lisierung ja auch mit betreibt. Ich finde, die Landwirte woanders Menschen das als Vorbild nehmen, welches ge- müssen sich auf einen Staat verlassen können, der auch rade in Europa, in den westlichen Demokratien in der investiert, der auch die Rahmenbedingungen dafür (B) Geschichte verinnerlicht wurde, nämlich dass die Men- schafft. Genau das haben wir mit einer großen, aber auch (D) schen mit Stolz und letztlich eben auch mit Überzeugung realistischen Summe in dem Haushalt 2020 verankert: im einem Staat, wie zum Beispiel in Hongkong, die Stirn Bildungsbereich, in der Forschung, für die Infrastruktur, bieten und wählen gehen und im Grunde genommen für für den Breitbandausbau, für die klimaneutrale Mobilität eine friedliche Veränderung ihrer Gesellschaft eintreten. im Schienenverkehr und im öffentlichen Personennahver- Das ist etwas, über das wir hier aus Deutschland, aus kehr. Ich glaube, das ist richtig. Dafür brauchen wir den Europa heraus sagen müssen: Ja, dieser Weg ist richtig, sozialen, den starken und den demokratischen Staat. und wir wollen ihn auch unterstützen, meine Damen und (Beifall bei der SPD) Herren. Aber ich finde, wir müssen genauso deutlich machen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass auch die Risiken, die sich daraus ergeben, wenn wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) über das Ziel hinausschießen, genauso bedacht werden Natürlich behauptet jede Generation von sich, in einem müssen. Wir setzen auf klimaneutrale Produktion. Wir besonderen Moment Verantwortung übernommen zu ha- setzen auf klimaneutrale Mobilität. Aber dann darf diese ben. Aber ich finde, wir sollten etwas bescheidener sein. Mobilität nicht an den ländlichen Regionen vorbeifahren, Diese Behauptung verliert an Urteilskraft, wenn wir uns sondern auch dort muss der Zug halten, wenn wir die allein die Geschichte unseres Hauses, in dem wir streiten, Menschen mitnehmen wollen. in dem wir Politik machen, in dem wir Entscheidungen treffen, ansehen. Es geht darum, uns vor diesem Hinter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten grund vielleicht mal etwas zurückzunehmen. Da sind die der CDU/CSU und des Abg. Inschriften der sowjetischen Soldaten, die Mauer, die [DIE LINKE]) auch dieses Haus teilte, die Flucht- und Gewaltorte rings- Genau das ist es, was Sozialdemokratinnen und Sozial- herum. Meine Fraktion betritt jedes Mal, wenn sie sich demokraten wollen. zur Fraktionssitzung zusammenfindet, den Fraktionssaal im Namen der Mitglieder der sozialdemokratischen Ein weiterer Aspekt: Wir brauchen nicht nur einen Reichstagsfraktion, die an diesem Ort gegen das Ermäch- Staat und ein Parlament, die investieren, sondern auch – tigungsgesetz gestimmt haben. dazu wollen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- kraten unseren Beitrag leisten – neue Schutzrechte vor Meine Damen und Herren, wir spüren alle, dass die dem Hintergrund dieser neuen wirtschaftlichen und so- Veränderungen groß sind. Die internationale Lage, Frau zialen Situation. Bundeskanzlerin, auf die Sie hingewiesen haben, die Er- schütterungen fest geglaubter Werte, die Beschleunigung (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16281

Dr. Rolf Mützenich (A) Wir machen uns Sorgen um die Gesundheit der Kolle- Genauso betrifft das den sozialen Wohnungsbau, der (C) ginnen und Kollegen. Deswegen glaube ich, dass wir ohne die Begrenzung der Mieten, die Mietpreisbremse, auch hier eine Diskussion darüber brauchen: Was ist überhaupt nicht denkbar ist. Wir reden doch nicht nur den Menschen zumutbar in diesen strukturierten Prozes- über Ordnungsrecht, über Gesetze, die wir dort erlassen, sen des Umbaus, der Digitalisierung und bei neuen Pro- sondern wir wollen auch Angebote schaffen über die Be- duktionsabläufen? Genauso ist über die Arbeitszeit nach- reitstellung von Liegenschaften für den sozialen Woh- zudenken. Aber ich finde auch, wir müssen uns Gedanken nungsbau. Ich finde, es ist gut, dass der Bund 5 Milliarden darüber machen und Entscheidungen treffen, wie wir eine Euro in die Hand genommen hat und dass er insbesondere Vertretung der Beschäftigten schaffen, sodass die Verein- Liegenschaften, die dem Bund gehören, den Kommunen zelung, die durch die neuen Arbeitsabläufe mehr und preiswert abtritt. Das muss zusammengedacht werden, mehr entsteht, unterbleibt und trotzdem eine kollektive und das ist die richtige Richtung. Vertretung in den Gewerkschaften stattfindet. Das ist wichtig für den sozialen Staat Bundesrepublik Deutsch- (Beifall bei der SPD) land. So können auch diese Herausforderungen für die Men- schen bewältigt werden. Dazu kommen 1 Milliarde Euro, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Susanne die in die Ganztagsbetreuung fließen. Dadurch wird die Ferschl [DIE LINKE]) Möglichkeit geschaffen, die Ganztagsbetreuung bis 2025 auf eine sichere Grundlage zu stellen. Wenn ich sage: „Wir brauchen diesen starken, diesen investierenden Staat“, so bin ich froh, dass wir über ein Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie haben durchaus res- Strukturstärkungsgesetz für die Kohleregionen sprechen pektabel von vielen Ergebnissen, die diese Koalition und die 40 Milliarden Euro auf dem Weg zu dieser Um- bisher erreicht hat, gesprochen. Mit großem Engagement, stellung für die nächsten Jahre mit in die Hand nehmen; mit großem Impetus haben Sie von der Mindestausbil- denn es ist doch das, was Politik in westlichen Demo- dungsvergütung gesprochen. Ich kann mich noch daran kratien so attraktiv machen kann: dass wir auch aus den erinnern, wie umstritten das zwischen unseren Parteien in Fehlern lernen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren in den Koalitionsverhandlungen gewesen ist den Regionen gemacht worden sind, die Strukturumbrü- che durchgemacht haben. Jetzt nutzt dieser Staat die ( [SPD]: Allerdings!) Möglichkeiten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- und dass wir Ihre Bildungsministerin zurückrufen muss- mer bei Strukturumbrüchen zu begleiten. Deswegen ist – ten. Aber ich gönne Ihnen das. Sie haben in Dortmund das sage ich auch dem Wirtschaftsminister – das Kohle- gesagt: Der Mindestlohn ist sozusagen meine Erfindung. ausstiegsgesetz nur zusammen mit dem Strukturstär- Jetzt behaupten Sie dasselbe von der Mindestausbil- (B) kungsgesetz zu denken und letztlich auch zu verabschie- dungsvergütung. Aber die Menschen draußen wissen, (D) den. Darauf werden wir Sozialdemokratinnen und wer es auf den Weg gebracht hat, und das sind die Sozial- Sozialdemokraten bestehen. demokratinnen und Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Das sehen die offenbar nicht!) Wenn wir über den Haushalt 2020 sprechen, dann zeigt sich, dass wir hier in ein ambitioniertes Klimaschutzpro- Darüber hinaus sage ich sehr selbstbewusst: Ich danke gramm einsteigen. Allein bis 2030 sollen 7 Milliarden den Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion. Das Euro in die energetische Gebäudesanierung, in den Hei- war kein Leichtes, was wir auf den Weg gebracht haben, zungsaustausch, in den Ausbau der Ladesäuleninfrastruk- nämlich die Grundrente. Wir sind von unterschiedlichen tur und in die Batterie- und Wasserstoffforschung fließen. Wegen aus gekommen, und wir haben auch weiterhin Alles das sind nur einzelne Bereiche, die ich hier nennen prinzipielle Unterschiede. Ich habe es persönlich in den kann und die wichtig sind. Verhandlungen gemerkt. Sie haben das sehr stark auf die Bedürftigkeit, im Grunde genommen auf Sozialleistun- Aber meine Fraktion wird nie die Menschen vergessen, gen ausgerichtet. Aber wir, wir Sozialdemokratinnen die auf der Strecke bleiben, die, obwohl es so viel Arbeit, und Sozialdemokraten, haben einen Rechtsanspruch für so viele unbesetzte Stellen gibt, eben doch nicht die Chan- die Menschen schaffen wollen – und wir haben uns ce haben, in Arbeit zu kommen. Wir kümmern uns um die durchgesetzt –, Wohnungssuchenden. Wir wollen, dass die Menschen, (Beifall des Abg. [SPD]) die sich alleingelassen fühlen, die von ihrer Rente nicht leben können, mitgenommen werden. Auch das ist in die 35 Jahre lang in die Sozialversicherung eingezahlt diesem Haushaltsjahr berücksichtigt worden. Ich bin haben. Das ist auch der prinzipielle Unterschied, den stolz, dass wir 10 Milliarden Euro für langzeitarbeitslose wir aufrechterhalten. Wir wollen, dass sich die Menschen Menschen in die Hand nehmen, die einen sozialen Ar- auf Rechtsansprüche verlassen können. Das schafft die beitsmarkt brauchen. Wie umstritten war das immer hier Grundrente, und darauf sind wir stolz. im Haus gewesen. Dennoch ist es wichtig, und wir Sozial- (Beifall bei der SPD) demokratinnen und Sozialdemokraten haben uns dessen angenommen und das in dieser Koalition auch durchge- Ich weiß, Herr Kollege Brinkhaus – ich habe es aus der setzt. „Bild“-Zeitung erfahren –, Sie haben einen Brief des Hauptgeschäftsführers des Arbeitgeberverbandes BDA (Beifall bei der SPD) bekommen. Überraschenderweise haben wir keinen Brief 16282 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Rolf Mützenich (A) bekommen. Ich kenne auch nicht Ihre Antwort. Aber GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Grosse- (C) wenn ich einen Brief bekommen hätte, dann hätte ich Brömer [CDU/CSU]) ihm geantwortet: Kümmern Sie sich nicht um die Grund- rente; kümmern Sie sich um gute Löhne für gute Arbeit! – Ich glaube, dass das besser ist. Das wäre die beste Antwort darauf gewesen. Deswegen, Frau Bundeskanzlerin: Ich schätze die Dis- kussion bei der NATO, gerade auch die politische Diskus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sion, die Sie führen wollen. Der NATO-Generalsekretär der LINKEN) hat über den Weltraum gesprochen. Ich kann Ihnen keine Ich glaube, in diese Richtung sollten wir gehen. Tagesordnung mitgeben, aber es lohnt sich, glaube ich, in einem Parlament, das immer für das Völkerrecht gestan- Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin hat die den hat, nicht über die Militarisierung des Weltraums, Außenpolitik zu Recht in den Mittelpunkt ihrer Rede ge- sondern über das Weltraumrecht zu sprechen, das nämlich stellt. Auch dieser Haushalt gibt eine verlässliche Ant- auch von Deutschland in den 60er- und 70er-Jahren mit wort. Ich habe in diesem Bundestag meine Arbeit begon- vorangetrieben worden ist, um die Militarisierung zu- nen, als wir nie sicher waren, ob die humanitäre Hilfe für rückzudrängen. die Krisen, die es in der Welt gibt, überhaupt ausreicht. Wir haben immer wieder über Nachtragshaushalte Kor- Das sind die Unterschiede: Wir wollen Diplomatie, wir rekturen vornehmen müssen. Heute nehmen wir 1,6 Mil- wollen Abrüstung, wir wollen Völkerrecht, und wir wol- liarden Euro in die Hand und sagen damit den Vereinten len Verlässlichkeit in den internationalen Beziehungen Nationen und den Nichtregierungsorganisationen: Wir und keine neuen Debatten über Rüstungswettläufe beför- lassen euch nicht alleine bei den humanitären Herausfor- dern. derungen. Ich finde, das ist ein gutes Ergebnis dieser Haushaltsberatungen. Das betrifft genauso die Entwick- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lungszusammenarbeit und die Krisenprävention. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ Ja, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten CSU]: Es geht nicht um Aufrüstung, es geht scheuen überhaupt nicht die Diskussion über Verantwor- um Ausrüstung!) tung. Das tun weder der Außenminister noch der Minister Deswegen will ich zum Schluss sagen: Es ist ein Unter- für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, schied, Frau Bundeskanzlerin, ob man über Ausrüstungs- auch dann nicht, wenn wir über Menschenrechte beraten. und Ausbildungshilfe für Länder spricht, damit sie ihre Aber, Frau Bundeskanzlerin – das ist auch an den Koali- Sicherheit selbst in die Hand nehmen können, oder ob tionspartner gerichtet –, Ihr Verantwortungsprinzip – das man über Rüstungsexporte spricht; (B) habe ich in den letzten Wochen lernen müssen – erschöpft (D) sich viel zu stark im Militärischen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ denn das ist etwas, was im Grunde genommen der europä- CSU]: Unsinn!) ischen Rüstungsindustrie Profitmöglichkeiten bietet. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn es eine UN-gestüt- Ich finde, die Verteidigungsministerin ist noch einen zte Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe in einzelnen Staa- Schritt weitergegangen, was sich aus meiner Sicht aus ten, zum Beispiel in Afrika, gibt. In diese Richtung müs- einer verlässlichen deutschen Außen- und Sicherheitspo- sen wir gehen. litik nie so ableiten lässt, auch nicht aus dem Grund- gesetz, aus unserer Verfassung. Sie, Frau Kramp-Karren- Meine Damen und Herren, Sozialdemokraten haben bauer, haben sich in München an der Universität der den Haushalt für 2020 geprägt, und meine Fraktion will für eine raumgreifende Politik ausgespro- auch an seiner Umsetzung mitwirken. chen. Sie wollen, dass die Bundeswehr im Indopazifik an der Seite Australiens, Neuseelands, Japans die Volks- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Verein- republik China militärisch eindämmt. Welche Hybris ist zelt waren auch Christdemokraten beteiligt!) das? Ich glaube auch, das ist der falsche Weg. Wir nehmen diese Aufgabe mit Stolz und Überzeugung (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) an, weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht. Wir haben doch gemerkt, was der Kalte Krieg bedeutet Vielen Dank. hat. Die Eindämmungspolitik hat dazu geführt, dass die (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Kosten in die Höhe gegangen und die Verluste für die Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Gros- Menschen auf diesem Weg riesengroß gewesen sind. se-Brömer [CDU/CSU]: Immer diese Partei- Wir wollen als sozialdemokratische Bundestagsfraktion tagsreden!) nicht dieses Streben nach militärischer Dominanz mitge- hen, sondern wir wollen eine Dominanz in der Diploma- tie, in der zivilen Auseinandersetzung mit den humanitä- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ren Krisen. Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der Linken, Dr. Dietmar Bartsch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16283

(A) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Oder ich nehme Ihren Verkehrsminister, Herrn (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein gewis- Scheuer. Der kennt kein Vergaberecht, der kennt kein ser BlackRock-Aufsichtsrat aus dem Sauerland hat das Haushaltsrecht. Herr Scheuer, Sie haben das Parlament Erscheinungsbild der Koalition als grottenschlecht be- und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt und Steuer- zeichnet. Das steht ein bisschen im Widerspruch zu geld in nennenswerten Größenordnungen verbrannt. Sie dem, was die Kanzlerin erzählt hat. Ich finde nicht, dass sind das personifizierte Haushaltsloch. das Erscheinungsbild der Regierung schlecht ist, sondern ich finde, ihre Politik ist leider vielfach grottenschlecht, (Beifall bei der LINKEN) meine Damen und Herren. Der soll sich jetzt mit dem Wandel in der Autoindustrie befassen? Ich glaube, das kann nur schiefgehen. Aber in (Beifall bei der LINKEN – Aber es ist schön, dieser Bundesregierung sind Rechtsbrüche kein Problem; wenn jetzt euer Leitbild ist!) es geht immer weiter. Nur die Angst vor den Wählerinnen Meine Damen und Herren, nur noch 26 Prozent der und Wählern schweißt zusammen. Bürgerinnen und Bürger sehen in der Arbeit der Bundes- Und dann gibt es mal ein vernünftiges Projekt: die ur- regierung eine Stärke des Landes. Angesichts der viel- sprüngliche Grundrentenidee von . Die fachen Selbstbeschäftigung, die Sie betreiben, und Ihrer wurde im Februar vorgelegt und ist grundsätzlich richtig. Halbzeitbilanz ist das sogar noch ein ziemlich hoher Aber was tun Sie? Die Altersarmut nimmt dramatisch zu, Wert. Sie sind als Große Koalition gestartet und als fak- und Sie streiten über neun Monate, wie tief Sie Rentnern tische Minderheitsregierung gelandet. in die Geldbörse schauen, bevor Sie ihnen helfen. Jetzt (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja, ja! – kriegen die, die 35 Jahre eingezahlt haben, einen kleinen Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dafür Aufschlag. Ja, Rolf Mützenich, aber was ist eigentlich mit haben wir eine Menge verabschiedet! ) denen, die 34 Jahre Vollzeit malocht haben? Sie sagen hier selbstbewusst, die erste Hälfte der Le- (Johannes Kahrs [SPD]: Da gibt es eine Gleit- gislatur sei zu Ende; das ist Ihre Meinung, Frau Merkel. zone! Lesen bildet, Denken hilft!) Eigentlich dürfte man die zweite Hälfte Ihrer Spielzeit gar Bei Menschen, die für erbärmliche Löhne jahrzehntelang nicht mehr anpfeifen. Spielabbruch und neue Mannschaf- gearbeitet haben, da sind Sie hammerhart. Gleichzeitig ten wären das Beste, weil Sie sich nicht mehr mit den subventionieren Sie E-Autos mit der Gießkanne: 6 000 Eu- Herausforderungen in Deutschland und in Europa be- ro pro Stück ohne irgendeine Prüfung. Aber bei der schäftigen. Grundrente führen Sie eine Einkommensprüfung ein, die so hart ist, dass rund 2 Millionen Rentnerinnen und (B) (Beifall bei der LINKEN – Ralph Brinkhaus (D) [CDU/CSU]: Ein Spiel geht 90 Minuten, lieber Rentner entgegen den ursprünglichen Plänen des Arbeits- Kollege Bartsch!) ministers ihren Anspruch verlieren. Ich komme zur Halbzeitbilanz. Ich will damit begin- (Johannes Kahrs [SPD]: 2 Millionen mehr, als nen, dass sich Ihr Außenminister und Ihre Verteidigungs- wenn Die Linke regieren würde!) ministerin auf der Weltbühne über einen irrwitzigen Sy- Das ist die Realität. Das ist kein Grund zum Feiern. Sie rien-Einsatz streiten. Ich weiß wirklich nicht, was kleben auf eine klaffende Wunde ein Pflaster, das viel zu beschämender ist: eine Verteidigungsministerin, die sich klein ist, meine Damen und Herren. mit einem verfassungswidrigen Syrien-Vorschlag (Beifall bei der LINKEN) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der vom Europäischen Parlament bestätigt wird!) Zum Haushalt für das kommende Jahr. Er hat drei Ei- genschaften: Er ist kraftlos, er ist tatenlos, und er ist ver- auf Kosten der Soldatinnen und Soldaten innerparteilich antwortungslos. Er ist vor allen Dingen kraftlos bei In- zu profilieren sucht, oder ein Außenminister, der neben vestitionen. Es ist doch bemerkenswert, dass Arbeitgeber dem türkischen Außenminister steht und dort, in der Tür- und Gewerkschaften Sie geschlossen zum Handeln, zum kei, die Ministerin kritisiert, Investieren in die Zukunft auffordern. Aber nicht mal das treibt Sie an. Sie erzählen hier, wie Sie steigern und stei- (Johannes Kahrs [SPD]: Gut, dass keiner von gern, und dann kommen Dinge wie: Gut 1 Milliarde Euro den Linken dabei war!) fließen jetzt in den Ausbau des Mobilfunks. – Das ist obwohl die Türkei einen Angriffskrieg führt und gegen doch lächerlich, meine Damen und Herren! Schon 2013 die Menschenrechte verstößt. Dass eine Regierung nicht wollte Herr Dobrindt Deutschland zum Internetweltmeis- einmal im Ausland geschlossen auftritt, das hat es in der ter machen. Die CSU stellt seit Jahren das Digitalministe- Geschichte bisher nicht gegeben. Streiten Sie sich doch rium und verantwortet eine unfassbar miese Digitalbi- im Kabinett, wegen meiner auch hier in Deutschland, lanz. aber doch nicht auf diese Art und Weise, meine Damen und Herren! (Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Deutschland ist nicht Weltmeister, sondern steht dank der (Beifall bei der LINKEN – Ralph Brinkhaus CSU abgeschlagen auf einem Abstiegsplatz. Das ist die [CDU/CSU]: Wir können ja mal über die Lin- Realität, meine Damen und Herren! ken und Venezuela reden, lieber Kollege Bartsch, und was da peinlich ist!) (Beifall bei der LINKEN) 16284 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Dietmar Bartsch (A) Aber nicht nur bei der Digitalisierung, sondern insge- seit 1962 um 2 300 Prozent, in München seit 1950 im (C) samt haben wir in den nächsten zehn Jahren einen Inves- Übrigen um 39 400 Prozent. Wir brauchen dringend eine titionsbedarf in Höhe von 450 Milliarden Euro. Ihr Haus- neue Bodenpolitik. Politik kann und muss diese Entwick- halt wird dieser Herausforderung nicht ansatzweise lung stoppen, meine Damen und Herren. gerecht. Ich darf einmal Fakten benennen mit den Zahlen, die vorliegen: 2017 lagen die öffentlichen Investitionen, (Beifall bei der LINKEN) gemessen am BIP, im EU-Schnitt bei 2,8 Prozent, in Ich will mal zitieren: Frankreich bei 3,4 Prozent, in Deutschland aber nur bei 2,1 Prozent, und sie werden auch im nächsten Jahr noch … Recht auf eine menschenwürdige Wohnung. … unterdurchschnittlich sein. Wir gehören damit zum hint- Die Bodenpreisspekulation ist zu unterbinden, unge- eren Drittel der OECD-Staaten. Seien Sie doch endlich rechtfertigte Gewinne aus Bodenverkäufen sind ab- mal mutig! Im Übrigen heißt das überhaupt nicht, dass zuschöpfen. sich irgendwer in den Verschuldungsstaat begeben will. Das waren alles Zitate aus dem Godesberger Programm Machen Sie eine große Steuerreform! Wir haben immer der SPD. Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen noch das Steuersystem des vergangenen Jahrhunderts. kurz danach festgestellt: (Beifall bei der LINKEN) Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehr- Wir müssen nicht zuallererst in die Verschuldung gehen. bar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nut- zung dem … Spiel der freien Kräfte … zu überlas- Aber wenn Sie die Lücke sehen: So sieht das Land ja sen. auch aus. Bei der Bahn stehen die Kunden häufig in über- füllten Zügen oder an Bahnhöfen, an denen überhaupt (Beifall bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch kein Zug mehr kommt. Ich will daran erinnern: Seit [DIE LINKE]: Genau!) 1990 sind 6 400 Kilometer Bahnstrecke eingestellt wor- Linke, Bundesverfassungsgericht und Godesberger Pro- den, meine Damen und Herren. Das trifft natürlich zual- gramm sind sich da völlig einig. lererst den ländlichen Raum. Das sind grandiose Fehlent- scheidungen gewesen. Dazu kommt, dass die Tickets in Jetzt zu Berlin. Berlin macht bei den Mieten im Inte- den letzten 20 Jahren um 50 Prozent teurer geworden resse der Mieterinnen und Mieter jetzt den Deckel drauf. sind. Das sind Fehlentwicklungen. Wenn Sie die jetzt Da wird wenigstens gehandelt, meine Damen und Herren. korrigieren wollen, nur zu! Am Ende muss die Bahn un- schlagbar werden. Das ist eine Maßnahme sowohl für das (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Klima als auch für den ländlichen Raum. Das wäre der Und was macht der zuständige Minister, Herr Seehofer? (B) richtige Weg. Er sagt: Das ist verfassungswidrig. – Na gut, das entschei- (D) den Gott sei Dank bei uns noch nicht Minister. (Beifall bei der LINKEN) Frau Merkel, was interessant ist: Sie haben hier heute (Zuruf des Abg. [CDU/CSU]) kein Wort zum Thema „Wohnen und Mieten“ gesagt, an- Aber ich will auf das Bauthema zu sprechen kommen. ders als Christian Lindner; dazu komme ich nachher In Berlin ist im vergangenen Jahr so viel gebaut worden noch. In Ihrem Haushalt fehlen die notwendigen Investi- wie all die Jahre davor nicht. Im Moment stehen auch dort tionen in bezahlbare Wohnungen, und zwar in nennens- weiterhin die Investoren Schlange. werten Größenordnungen. In Wien oder in Basel sind die Mieten sozial bemessen. Und warum? Weil Kommunen (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Lesen Sie die Grundstücke kaufen und darauf günstige Wohnungen Zeitung! Baubescheide!) bauen. Es ist doch eine glatte Lüge, dass Sie sagen: Da wird nicht (Beifall bei der LINKEN) mehr gebaut. – Die Leute wollen bauen in Berlin, trotz Mietendeckel. Die Kommunen! Das ist das Richtige. Ein Viertel der Wiener Wohnungen gehören der Stadt. Ein Viertel! Und (Beatrix von Storch [AfD]: Frei erfunden! Fake knapp 15 Prozent gehören gemeinnützigen Bauvereini- News!) gungen. Es ist richtig, dass endlich mal die Interessen der Mieter- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wie sind die innen und Mieter wahrgenommen werden, meine Damen Fehlbelegungen in Wien? Da wohnen lauter und Herren. Parlamentsabgeordnete in Wien!) (Beifall bei der LINKEN) Und bei uns? Bei uns zahlt die Hälfte der Haushalte Jetzt zum Klimapaket, oder besser: Klimapäckchen. mehr als 30 Prozent für die Miete. Sie tun viel zu wenig Da will ich wieder einen großen CDU-Politiker zitieren, dafür, dass eine Handwerkerin, ein Verkäufer oder eine den Ministerpräsidenten von Sachsen, Michael Kretsch- Krankenpflegerin noch eine Wohnung bezahlen kann. mer: Über 1 Million Menschen haben nach Abzug der Miete weniger Geld zum Leben als mit Hartz IV. Das ist die (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Realität. … was uns am Klimaschutzpaket stört. Da stimmt Wohnen ist im Übrigen auch deshalb unbezahlbar ge- die Balance zwischen Ökologie, Ökonomie und der worden, weil die Bodenpreise explodieren, bundesweit sozialen Frage nicht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16285

Dr. Dietmar Bartsch (A) (Christian Lindner [FDP]: Richtig!) 2005 war es schon das 42-Fache und im Jahre 2018 das (C) Der Mann hat recht. Ihr Klimapaket ist ökologisch nahezu 71-Fache. Finden Sie das anständig? Ich finde, ehrlich wirkungslos, gesagt, diese Entwicklung obszön. (Christian Lindner [FDP]: Ja!) (Beifall bei der LINKEN) es ist ökonomisch fragwürdig, Kein Boss leistet das 71-Fache. Da muss ein gesetzlicher Riegel her. (Christian Lindner [FDP]: Ja!) Auf der anderen Seite haben wir 4,4 Millionen Kinder und es ist vor allen Dingen sozial ungerecht, meine Da- in Armut in dem reichen Deutschland, und die Armuts- men und Herren. quote ist seit Ihrem Amtsantritt, Frau Merkel, in Deutsch- land nicht zurückgegangen. Deshalb begrüße ich im Üb- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- rigen ausdrücklich, dass die SPD jetzt dieses Thema ten der FDP und des Abg. Dr. Anton Hofreiter aufgreift. Das ist richtig. Wir als Linke werden uns nie- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Marco mals damit abfinden, dass Kindern Chancengleichheit ge- Buschmann [FDP]: Stimmt!) nommen wird. Eine Kindergrundsicherung könnte ein Die soziale Bilanz stimmt nicht. Statt diejenigen zu be- zentrales Projekt einer Mitte-links-Regierung nach der lasten, die zentral für den Ausstoß der Emissionen ver- nächsten Bundestagswahl werden, meine Damen und antwortlich sind, geht Ihre Politik zulasten der Geringver- Herren. diener und der Pendlerinnen und Pendler. Das ist doch das Problem. Es ist ja gut, dass endlich die Ministerien mal (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sonja klare Ziele bekommen haben. Aber diese Ziele werden Amalie Steffen [SPD] und Dr. Jens Sie mit dem Inhalt Ihres Klimapäckchens eben nicht er- Zimmermann [SPD]) reichen. Eines der größten Probleme in unserem Land ist die zunehmende Kluft zwischen den Metropolen und den Und ja, Deutschland wird das Pariser Abkommen bre- ländlichen Räumen. Das haben die Bauernproteste ges- chen, Frau Merkel. Wenn Sie sagen: „Wer, wenn nicht tern sehr eindeutig gezeigt. Ihre Politik befördert es, dass wir, kann zeigen, dass man den Klimawandel bewältigen dieses Land zunehmend zerfällt und dass sich Stadt und kann“, dann stimme ich Ihnen durchaus zu. Aber beim Land immer weniger verstehen. Das waren doch mal Ihre Klimawandel ist es wie bei der Grundrente: Sie erkennen Wählerinnen und Wähler, die Bauern. Nehmen Sie das das Problem, sind aber nicht in der Lage, es zu lösen. Sie doch ernst, wenn die zu Tausenden hierherkommen und können eben nur das kleine Karo und nicht den großen mit Ihrer Politik nicht einverstanden sind. Da ist zwar der Wurf. Und in beiden Fällen wäre der große Wurf notwen- (B) Erntehelfer Christian Lindner der falsche Ratgeber, (D) dig, meine Damen und Herren. (Heiterkeit bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) aber die Sorgen dieser Menschen sollten Sie wirklich Sie sind vielfach tatenlos, was den sozialen Bereich ernst nehmen. betrifft. Ich will nur den Mindestlohn erwähnen. Den größten Niedriglohnsektor in Europa gibt es in unserem (Beifall bei der LINKEN) Land. Der Mindestlohn ist seit seiner Einführung gerade mal um 69 Cent gestiegen. Warum erhöhen Sie den nicht Ich will zu dem verantwortungslosen Teil Ihres Haus- auf 12 Euro? Wir könnten nämlich die Mittel der soge- halts kommen, und das ist der Verteidigungshaushalt. nannten Aufstockerleistungen – 10 Milliarden Euro – Aber dieser Begriff ist ja schon falsch. Was uns vorliegt, ist kein „Verteidigungshaushalt“, es ist ein Aufrüstungs- (Nadine Schön [CDU/CSU]: Weil wir keinen haushalt. Da bin ich einer fundamental anderen Meinung Mindestlohn erhöhen als Politik!) als Sie, Frau Bundeskanzlerin. Seit 2018 ist dieser Etat um 17 Prozent gestiegen. Ich will das mal vergleichen mit endlich für gute Arbeit und soziale Sicherheit einsetzen. dem Bildungsetat – 3 Prozent Steigerung – und dem Ge- Das wäre richtig. sundheitsetat – Steigerung um 1 Prozent. Das ist die Rea- (Beifall bei der LINKEN) lität. Ihre Verweigerungshaltung ist respektlos gegenüber Ich will nur ein Beispiel aus dieser Woche nennen, was den Geringverdienern und den Steuerzahlerinnen und das veranschaulicht. Es fehlen 10 000 Frauenhausplätze. Steuerzahlern. Mit Lohndumping organisieren Sie im Üb- An jedem dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner rigen zugleich Altersarmut; denn die Aufstocker von heu- oder Ex-Partner getötet. Und jetzt will die Bundesregie- te sind morgen die Empfänger von Grundsicherung im rung in vier Jahren sage und schreibe 120 Millionen Euro Alter. Dieses Geld sollte wirklich anders eingesetzt wer- für Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen ausgeben. den. Was für ein Offenbarungseid! Milliarden für die Rüstung. Und hier kleckern Sie? Das ist doch völlig inakzeptabel, (Beifall bei der LINKEN) meine Damen und Herren. Die soziale Schere geht so immer weiter auseinander. Ich will nur einige Zahlen zu der anderen Seite der Schere (Beifall bei der LINKEN) nennen. Nach der Wiedervereinigung bekamen die Vor- Oder ein anderes Beispiel. Viele Kinderkliniken agie- stände der DAX-Unternehmen das 14-Fache des Durch- ren jenseits ihrer Kapazitätsgrenzen. Da fehlt das Pflege- schnittsgehalts ihrer Mitarbeiter. Das 14-Fache! Im Jahre personal. Selbst bei schwerkranken Kindern dauert es 16286 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Dietmar Bartsch (A) teilweise Stunden, um eine Klinik zu finden. Das ist ein Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) unhaltbarer Zustand. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich gebe Ich will wiederholen: 17 Prozent mehr für Panzer und Ihnen ja absolut recht, dass die Rolle der Bundesrepublik Kampfschiffe und nur 1 Prozent mehr für Gesundheit und Deutschland, eines Hochtechnologielandes, zur Bekämp- Pflege, beim Wohnungsbau sogar weniger. Das hat mit fung der Klimakrise sein sollte, genau zu zeigen, wie es verantwortungsvoller Prioritätensetzung nichts, aber geht. Es stellt sich bloß die Frage: Warum machen Sie das auch gar nichts zu tun. So, wie Sie das Geld ausgeben, denn nicht? schadet es dem Land, meine Damen und Herren. Deutschland braucht Wohnungen statt Waffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir nicht auf die Ankündigungen hier, 17 Prozent mehr für die Rüstung ist die größte Fehl- schauen wir nicht auf die Reden, sondern schauen wir investition der Bundesregierung. Ich will Ihnen auch sa- auf das, was real draußen im Land passiert. Der Ausbau gen, warum Sie so viel Geld benötigen: Die Rüstungs- der Windkraft an Land ist im Vergleich zu vor zwei Jahren projekte sind um 13,5 Milliarden Euro teurer als geplant. ungefähr auf ein Zehntel eingebrochen. Auf ein Zehntel Was für eine Misswirtschaft! Eurofighter: 6,7 Milliarden, eingebrochen! Puma-Panzer: 1,6 Milliarden usw. usf. Das alles sind hö- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- here Mehrkosten als beim Berliner Flughafen, Stuttgart 21 SES 90/DIE GRÜNEN und der AfD) und Elbphilharmonie zusammen. Die meisten Rüstungs- projekte der Bundeswehr sind Milliardengräber zulasten Das passiert doch wegen falscher politischer Entschei- der Steuerzahler und zur Freude der Rüstungsindustrie, dungen, die Ihre Bundesregierung getroffen hat. meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jetzt will Frau Kramp-Karrenbauer bis 2031 das 2-Pro- Johannes Kahrs [SPD]: In Baden-Württemberg zent-Ziel der Nato erfüllen. Wenn die Wirtschaft bis dahin ist das zum Erliegen gekommen! – Ulrich weiter so wächst, heißt das, dass wir dann einen Etat von Freese [SPD]: Brandenburg hat 2 000 Meter ge- 86 Milliarden Euro haben. fordert!) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wie ab- Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben davon surd! Total absurd! – [CDU/ gesprochen, dass die wirtschaftliche Stärke entscheidend CSU]: Sehr angemessen!) ist, dass man Infrastrukturen ausbauen muss, dass wir Probleme beim Internet und beim Mobilfunknetz haben. (B) Das hat mit den Interessen des Landes überhaupt nichts Ja, das teile ich. Wir brauchen einen deutlich schnelleren (D) zu tun. Das ist der blanke Wahnsinn. Liebe Zuschauerin- Ausbau von Breitband; wir brauchen ein deutlich lücken- nen und Zuschauer, wenn Ihnen irgendwann jemand sagt: loseres Mobilfunknetz. „Dafür ist kein Geld da“, dann denken Sie an diese Geld- verbrennung, die hier geschieht. Das ist verantwortungs- (Johannes Kahrs [SPD]: Und überall, wo Sie lose Steuerverschwendung, und das muss verhindert wer- regieren, findet das nicht statt!) den. Ich frage mich bloß: Wer hat eigentlich die letzten 14 Jah- (Beifall bei der LINKEN) re dieses Land regiert? Es würde zig Milliarden freimachen für die Menschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – und die Zukunft des Landes, wenn dieses Geld anders Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wer hat die eingesetzt werden würde. Ihre Aufrüstungspolitik ist da- letzten 14 Jahre dagegen demonstriert?) gegen gefährlich, sie ist teuer, und sie ist letztlich ein Kniefall vor , meine Damen und Herren. Ist Ihnen die Erkenntnis erst heute gekommen? (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau! Das Ich nehme ein weiteres Beispiel. Sie haben von der ist die Wahrheit!) Spaltung zwischen Stadt und Land gesprochen. Ja wer hat denn zugelassen, dass die Bahn in dem Zustand ist, Meine Hoffnung ist – ganz anders als Ihre, Frau Bun- in dem sie sich jetzt befindet? Wer hat zugelassen, dass deskanzlerin –, dass das der letzte Haushalt dieser Bun- Tausende Kilometer Schienennetz stillgelegt worden desregierung ist. Ihrer Politik – der fehlt es an Kraft für sind, insbesondere in den ländlichen Regionen? Das ist die Zukunft, der fehlt es an Respekt vor den Menschen doch nicht von selber passiert. Ist Ihnen diese Erkenntnis und an Verantwortung beim Geldausgeben. auch erst heute gekommen? Dagegen hätte man in den Herzlichen Dank. vergangenen 14 Jahren doch auch etwas unternehmen können. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Deshalb: Es hilft doch nichts, wenn hier nur schöne Re- Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende von den gehalten werden und dann am Ende, liebe Kollegin- Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter. nen und Kollegen, eine Politik gemacht wird, die auch von der Substanz dieses Landes zehrt. Das hilft doch am (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ende nichts. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16287

Dr. Anton Hofreiter (A) In den nächsten zehn Jahren werden sich grund- schnellen Schienenausbau, für einen Netzausbau, für ei- (C) sätzliche Dinge entscheiden. Es wird sich sowohl in nen schnellen Windkraftausbau. Deutschland, Europa als auch weltweit entscheiden, ob wir die Klimakrise noch in den Griff kriegen, ob wir an- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Für schnelle gesichts der technologischen Umbrüche Wohlstand und Straßen und für schnelle Wasserwege!) Arbeitsplätze erhalten können, ob wir in einer unsicherer Das ist unser Angebot. Kommen Sie auf uns zu. Sprechen werdenden Welt unsere europäischen Werte verteidigen Sie mit uns. können und ob es gelingt, den sozialen Zusammenhalt in Deutschland zu verteidigen und Demokratie gegen Pola- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – risierung und Spaltung aufrechtzuerhalten. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Auch für schnelle Straßen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen Ich glaube, wenn wir das schaffen wollen – ich glaube, auch mehr Geld. Ein einmaliges Strohfeuer wird nicht es lohnt sich, sich sehr zu bemühen, das zu schaffen –, ausreichen. Wir brauchen eine langfristige, lang angele- dann brauchen wir eine andere Politik. Dann brauchen gte Investitions- und Innovationsstrategie. Der DGB und wir eine Politik, die den Raum des Möglichen erweitert der BDI haben das – das ist interessant – in wirklich und nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner als den seltener Eintracht gefordert. Deshalb wäre das doch eine Raum des Möglichen definiert. Wir brauchen eine Politik, schöne Gelegenheit – BDI, CDU/CSU, DGB, SPD –, das die den größten gemeinsamen Nenner unserer Gesell- aufzugreifen und umzusetzen. schaft sucht, erkennt und dann in der Realität auch um- setzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Für neue (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Straßen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Herzstück einer Um diese Investitionsstrategie umzusetzen, müssen solchen Politik muss eine Investitionsoffensive sein; denn wir die Haushaltspolitik neu denken. Frau Merkel, wir wir brauchen mehr Investitionen, wenn wir unseren zollen Ihnen ausdrücklich Respekt dafür, dass es nach Wohlstand, unsere ökonomische Leistungskraft und, ja, der Banken- und Finanzkrise gelungen ist, den Schulden- unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt vertei- stand so stark zu reduzieren. Ja, die Einführung einer digen wollen. Schuldenbremse war richtig. Aber, Frau Merkel, es muss (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! nicht so sein, dass eine Antwort, die in der Vergangenheit Hört!) richtig war, bei neuen Herausforderungen immer richtig (B) bleibt. (D) In den nächsten zehn Jahren müssen die Infrastrukturen der Zukunft geschaffen werden. In den nächsten zehn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jahren brauchen wir eine moderne, leistungsfähige Bahn, Denn heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die größ- ein Stromnetz, das auch mit erneuerbaren Energien funk- te Bedrohung für Deutschland nicht mehr der Schulden- tioniert, Energiespeicher, eine funktionierende Wasser- stand, sondern das Ausbleiben dringend notwendiger In- stoffinfrastruktur, damit auch die Stahlindustrie bei uns vestitionen. Das ist heute die größte Bedrohung für den wettbewerbsfähig ist und sich halten kann, ein lückenlo- gesellschaftlichen Zusammenhalt und für unsere ökono- ses, schnelles Internet und starke Schulen und Hochschu- mische Leistungsfähigkeit. len. Das müssen wir in der nächsten Dekade anpacken, nachdem es in der letzten Dekade nicht passiert, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nur behauptet wurde. Wir wollen die Schuldenbremse nicht abschaffen, son- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dern wir wollen sie im Rahmen der europäischen Mög- lichkeiten erweitern, damit wir investieren können. Ich Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen, dass kann Sie nur dazu auffordern, konstruktiv daran mitzu- viele Investitionsmittel, die bereitgestellt werden, nicht arbeiten; denn unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft abfließen. Die Planungen müssen dringend beschleunigt brauchen es. werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig! Machen wir!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir ferner drin- gend brauchen, ist ein neuer Aufbruch im Bereich Klima- Aber: Ich würde Sie bitten, dass wir die Planungsbe- schutz und bei der ökologischen Modernisierung; denn, schleunigung nicht in den üblichen Gräben und mit den wie bereits erwähnt, in der nächsten Dekade entscheidet üblichen Schuldzuweisungen diskutieren. sich, ob wir den Kampf gegen die Klimakrise noch ge- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das Angebot winnen können. Wir haben leider nicht mehr Zeit. Selbst- nehmen wir an!) verständlich darf der Kampf gegen die Klimakrise den sozialen Zusammenhalt nicht schwächen und muss kom- Wir sind gerne bereit – und ich möchte es Ihnen nach- biniert werden mit guter Arbeit und wirtschaftlichem drücklich anbieten –, dass, wenn wir ernsthaft nach ge- Wohlstand. meinsamen Wegen suchen, um Planungskapazitäten und Planungsbeschleunigungen auf den Weg zu bringen, wir Gerade deshalb erfordert es ein neues Denken, einen sehr gerne zusammenarbeiten können: für einen neuen Politikansatz, der eben nicht die vermeintlichen 16288 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Anton Hofreiter (A) Gegensätze sucht, der nicht den kleinsten gemeinsamen Fragen miteinander verknüpfen. Trauen wir uns, trauen (C) Nenner findet. Der kleinste gemeinsame Nenner wird uns wir diesem Kontinent doch endlich mehr zu! bei der Bekämpfung der Klimakrise nämlich in die größ- tmögliche Katastrophe führen. Deshalb ist der Politikan- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Uiuiui!) satz, den Sie bisher bei der Menschheitsaufgabe Klima- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Selbstbehaup- schutz vertreten haben, gescheitert. Das muss sich tung Europas wird sich insbesondere ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Den Euro zur Leit- währung machen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Neuanfang muss ökologisch mehr ermöglichen, indem wir eine wir- im Umgang mit China erweisen. China wird im 21. Jahr- kungsvolle CO2-Bepreisung einsetzen: einen schnellen hundert Partner, Ausbau der erneuerbaren Energien, eine echte Verkehrs- wende. Dieser Neuanfang muss sozial sein. Wir brauchen (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist doch die Hö- ein Energiegeld, eine Erhöhung des Mindestlohns, ein he!) Qualifizierungs-Kurzarbeitergeld. Die Menschen ma- Konkurrent und Gegner zugleich sein. Deshalb verbieten chen sich zu Recht Sorgen um ihre Arbeitsplätze, weil sich platte Antworten. Aber zwei Dinge sollten doch klar sich viele Dinge schnell ändern, nicht nur durch die Kli- sein: Erstens. Unsere Analyse muss klar sein: China ent- makrise, sondern auch durch die Digitalisierung. wickelt sich immer mehr zu einer autoritären Diktatur, die Ökonomisch muss der Ansatz mehr ermöglichen, in- die Menschenrechte im Inneren massiv verletzt und bei- dem wir neue Technologien fördern und fordern, bessere spielsweise mehr als 1 Million Uiguren in Internierungs- Abschreibungsmöglichkeiten schaffen und unsere Indust- lagern festhält. Diese Realität müssen wir, muss Europa, rie mit klugen Klimazöllen vor Dumping aus schwierigen muss Deutschland mit aller Deutlichkeit beim Namen staatskapitalistischen Ländern wie zum Beispiel China nennen. schützen. Die Stahlindustrie kann ein Lied davon singen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hat wie des Abg. Detlef Müller [] [SPD]) die Kanzlerin sogar gesagt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Aufbruch ins Das Zweite ist: Wir dürfen uns nicht selber kleinma- nächste Jahrzehnt muss ein europäischer werden. Wir chen. Natürlich stimmt es, dass Europa und Deutschland werden die europäischen Werte nur gemeinsam gegen eng mit China verflochten sind und dass wir vieles dort- (B) (D) einen autoritären Staatskapitalismus aus China und einen hin exportieren. Es stimmt aber eben auch umgekehrt: nationalen Marktradikalismus à la Trump verteidigen China exportiert auch vieles zu uns. Deshalb haben wir können. Einfluss auf China, und diesen Einfluss muss man nutzen Wir müssen mehr in Europa investieren, damit wir am bei der Frage von Hongkong, bei Fragen von Menschen- Ende nicht nur Zaungäste sind, wenn andere die interna- rechten und bei Fragen von Demokratie. Deshalb: Die tionalen Regeln festlegen. Wir wären dann nämlich nur Leisetreterei verbietet sich hier; man muss klare, deut- noch Empfänger dieser Regeln. Da muss Europa mehr liche Worte finden. Verantwortung übernehmen, und da müssen wir mehr Verantwortung für Europa übernehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, ja! Das ist schon (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ökonomischer Sachverstand!) sowie des Abg. Martin Schulz [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nächsten zehn Deutschland muss dazu beitragen, dass sich Europa Jahre müssen eine Dekade des politischen Neubeginns selbstbewusste Ziele setzen kann, die sich nicht im Mili- und der Modernisierung werden. Allerdings ist eine tärischen erschöpfen. Dazu müssen wir den Euro zu einer Grundbedingung dafür, dass es uns gelingt, das friedliche globalen Leitwährung machen, die uns unabhängiger Zusammenleben leidenschaftlich zu verteidigen. Eine gu- vom Dollar macht. Das ist nötig, wie man ja schmerzhaft te Zukunft wird Deutschland nur als europäisches, libe- bei der Auseinandersetzung um das Atomabkommen mit rales, als weltoffenes und vielfältiges Land haben. dem Iran erkannt hat. An dieser so entscheidenden Frage – und da bin ich (Dr. Alice Weidel [AfD]: Der Euro eine Leit- stolz auf dieses Parlament – arbeiten wir unter uns Demo- währung!) kraten eben nicht auf der Ebene des kleinsten gemein- Dazu brauchen wir eine entsprechende Handelspolitik, samen Nenners zusammen, sondern wir haben eine ganz eine der zentralen Stärken Europas, die wir mit Men- große Gemeinsamkeit – von den Linken, über die SPD, schenrechtsstandards, mit Klimastandards und sozialen die Grünen, die Union und die FDP. Ich glaube, diese Standards verknüpfen. Gemeinsamkeit ist unglaublich viel wert; denn wir treten geschlossen und gemeinsam jenen entgegen, die den po- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – litischen Diskurs zerstören wollen. Wir sagen entschlos- Dr. Alice Weidel [AfD]: Leitwährung!) sen und gemeinsam, dass es eine Zusammenarbeit mit Dazu müssen wir Europa zu einem Vorreiter der Digita- einer Partei, die Faschisten und Rechtsextreme in ihren lisierung machen, indem wir ethische und ökonomische Reihen bis in die Führungsspitze duldet, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16289

Dr. Anton Hofreiter (A) (Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland (Beifall bei der CDU/CSU) (C) [AfD]) Eines, lieber Rolf Mützenich, ist auch richtig: Deutsch- nicht geben kann. Ich bin Ihnen da ganz persönlich dank- land und Europa haben Interessen, und diese Interessen bar, Frau Merkel, für Ihre klaren Worte, die Sie in dieser müssen formuliert werden. Deutschland und Europa ha- Debatte gefunden haben. ben Werte, und wir wollen, dass diese Werte auch durch- gesetzt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der CDU/CSU) Und wenn es so ist, dass es Interessen und Werte gibt, Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon über- dann gilt in der Außenpolitik natürlich immer das Prä der zeugt, dass dieses Land wieder zu einem Land des Auf- Diplomatie. Darin waren wir ja auch gut in den letzten bruchs, des politischen Neubeginns, der Modernisierung Jahrzehnten. Natürlich ist es wichtig, dass wir eine gute werden kann. Wir haben alle Voraussetzungen dafür, die- Entwicklungspolitik machen; denn auch das ist eine Säule se Aufgaben zu bewältigen. Sehr, sehr viele Menschen der Außenpolitik. Natürlich ist es wichtig, dass wir eine sind bereit, sich auf den Weg zu machen. Wir wollen auf gute Europapolitik machen; denn auch das ist eine Säule alle zugehen, die bereit sind für diese Veränderungen der Außenpolitik. nach vorne; denn ohne Veränderung wird nichts so blei- ben, wie es ist. Aber es ist doch nachgerade naiv, zu behaupten, dass eine gute Außenpolitik ohne Bundeswehr existieren Vielen Dank. kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das war eine Es ist doch nachgerade naiv, zu sagen: Wir sind der in- Feststellung: Ohne Veränderung wird nichts ternationale Zivildienstleistende. – Wir brauchen eine so bleiben, wie es ist! So ein Käse!) Bundeswehr, damit wir sie nicht einsetzen, und diese Bundeswehr muss stark sein, und diese Bundeswehr muss Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die entsprechenden Mittel haben. Darum werden wir in Jetzt erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der CDU/ dieser Koalition und in diesem Land ringen, meine Da- CSU-Fraktion, Ralph Brinkhaus. men und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Trotzdem gibt es zwei große innenpolitische Themen. (D) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Das erste große innenpolitische Thema ist Nachhaltig- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- keit. Ich sage ganz bewusst „Nachhaltigkeit“ und nicht gen! Zwei Vorbemerkungen: Erste Vorbemerkung. Es „Umweltpolitik“, und ich werde auch gleich sagen, wa- wundert mich, wer jetzt auf einmal Freund der deutschen rum Umweltpolitik nicht Klimapolitik ist. Landwirtschaft ist. Das sind Leute, die die deutsche Landwirtschaft 10, 15 Jahre nicht beachtet haben, sich Nachhaltigkeit bedeutet nämlich auch finanzielle aber heute hinstellen und sagen, sie setzten sich für die Nachhaltigkeit. Dafür, lieber Olaf Scholz, steht dieser Landwirtschaft ein. Das ist schon sehr, sehr seltsam, mei- Haushalt, dass wir nämlich auch finanziell nachhaltig ne Damen und Herren. sind. Nachhaltigkeit bedeutet auch, dass wir der nächsten Generation eine gute Infrastruktur hinterlassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Wir werden 43 Milliarden Euro in die Infrastruktur GRÜNEN – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das investieren. Wir werden investieren: in Straßen – ja, auch muss ja sehr wehgetan haben!) in Straßen, liebe Grüne –, in Schienen, in Wasserwege. Wir werden in Digitales investieren. Das, was wir mit Und der zweite Punkt ist: Es ist gut, dass wir heute – dem Bundesverkehrswegeplan und mit den Eisenbahn- und damit habe ich nicht gerechnet – so viel über Außen- paketen im Bereich des Klimapaketes auf den Weg politik reden. Das war überfällig. Das Postulat hier im gebracht haben, ist das größte und ambitionierteste Inves- Deutschen Bundestag war doch immer: Außenpolitik ist titionsprogramm, das die jüngere Geschichte der Bundes- irgendwo so nebenher mitgelaufen. republik Deutschland gesehen hat. (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Nein! Nein! – Jetzt müssen wir zusehen, dass wir diese Investitionen Christian Lindner [FDP]: Das stimmt gar nicht, auch umsetzen. Vielen Dank, lieber Toni Hofreiter, dass im Gegenteil! Das ist hier eine totale Flucht in die Grünen jetzt auch bereit sind, über Planungsbeschleu- die Außenpolitik! Hier wird nur noch über Au- nigung zu reden. Wir nehmen das Angebot an. Wir wer- ßenpolitik gesprochen!) den mit Ihnen über Planungsbeschleunigung reden. Das Postulat der deutschen Außenpolitik war, zu sagen: Wir warnen, wir warnen, und wir sind besorgt. – Ich bin (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Bundesregierung, ich bin der Bundesverteidigungs- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ministerin nachgerade dankbar, dass sie jetzt auch mal Zur Nachhaltigkeit gehört natürlich auch das Thema konkrete Vorschläge gemacht hat, meine Damen und Her- Bildung. Lieber Christian Lindner, der Bund investiert ren. in Bildung, und zwar im Bereich Digitalisierung. Wir 16290 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Ralph Brinkhaus (A) haben ein Berufsbildungsgesetz gemacht; aber – und das paket verabschiedet, mit dem wir in den nächsten Jahren (C) gehört auch zur Wahrheit – Bildung ist nun mal Länder- mehr als 50 Milliarden Euro genau für diesen Kampf zur sache, und ich fordere die Bundesländer auf, mehr in den Verfügung stellen. Aber wahr ist auch: Das gefällt einigen Bereich Bildung zu investieren. Wir haben die finanziel- nicht. Das gefällt einigen deswegen nicht, weil wir eben len Spielräume dafür geschaffen, indem wir die nicht auf Verbote und nur da, wo es nötig ist, auf Ord- Bundesländer und die Kommunen entlastet haben, meine nungsrecht setzen, sondern auf Anreize, auf Markt und Damen und Herren. insbesondere auf Technologie und Innovation. Das ist die Philosophie unseres Klimapaketes, und das ist der bessere (Beifall bei der CDU/CSU) Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn wir über Nachhaltigkeit reden, ja, dann müssen wir über Umweltpolitik reden; aber Umweltpolitik ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mehr als Klimapolitik. Mich würde es sehr, sehr freuen, ordneten der SPD) wenn wir auch mal über Kreislaufwirtschaft reden wür- Ich habe ganz bewusst gesagt „Nachhaltigkeit und den, Wirtschaft“, weil das zusammengehört. Viele betrachten das, was wir jetzt im Bereich Klima machen, als Belas- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE tung. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine GRÜNEN]: Gerne! – Britta Haßelmann große Chance. Das ist eine große Chance für unsere Wirt- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verpackungs- schaft, wenn wir es richtig machen, wenn wir auf Tech- verordnung!) nologie und Innovation setzen. wenn wir über Biodiversität reden würden, wenn wir über Artenschutz reden würden, wenn wir mehr über gute Luft, (Christian Lindner [FDP]: Machen Sie es gutes Wasser und viele andere Dinge reden würden. doch!) Wir stehen vor einer Situation, da sagen einige: Wir ste- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- hen vor konjunkturellen Dellen. – Das ist nicht richtig. SES 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann Wir stehen vor strukturellen Veränderungen, in der Auto- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zu! Nur mobilindustrie, bei Banken und Versicherungen und im zu!) Bereich Landwirtschaft. Die Menschen erwarten Antwor- Da haben wir noch ein gewisses Potenzial. Ich sehe, dass ten von uns. die Grünen uns dabei unterstützen. Vielen Dank dafür. Auch darüber werden wir mit Ihnen reden. Es waren übrigens gestern die Jungbauern, die auf der Straße waren, diejenigen, die sich überlegen, ob sie die Höfe übernehmen wollen, die sich überlegen, wo die Per- (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN spektive ist. Es werden die Automobilarbeiter sein, in und des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Neckarsulm, in Stuttgart und in München, die uns fragen: Wie geht es weiter? Darauf müssen wir Antworten geben. Wenn wir über Klimapolitik reden, liebe Kolleginnen Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir mehr im und Kollegen, dann reicht es nicht, allein über CO -Min- 2 Bereich Wirtschaftspolitik machen. Wir brauchen eine derung zu reden, sondern wir müssen ganz ernsthaft an- Renaissance der Wirtschaftspolitik in diesem Land, und erkennen, dass das, was gestern veröf- wir müssen dort viel mehr machen als in der Vergangen- fentlicht hat, einfach Realität ist. heit; das ist wahr. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall der Abg. [CDU/ NEN]: Ich weiß sehr genau, warum daraus CSU]) nichts geworden ist letzte Legislatur! Verpa- ckungsverordnung!) Aber wir haben in diesem Bundeshaushalt gute Anla- gen dafür. Die müssen wir jetzt nur spielen. Über den Der Klimawandel ist da, und er wird sich auch nicht um- Bereich Infrastruktur habe ich geredet. Aber auch der kehren lassen. Dementsprechend müssen wir resilient Bereich Unternehmensteuerreform ist wichtig, nicht um werden. Wir müssen uns überlegen, wie wir mit Dürre- irgendwelche Unternehmerinnen und Unternehmer rei- sommern und erhöhten Temperaturen umgehen. Da gibt cher zu machen, sondern um wettbewerbsfähig zu sein es viele Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg bringen im internationalen Wettbewerb. Lieber Olaf Scholz, der müssen. 6. Dezember ist irgendwann vorbei, und dann erwarte ich, (Beatrix von Storch [AfD]: Das ist ja eine ganz dass wir zusammen in dieser Koalition über die Unter- neue Erkenntnis!) nehmensteuerreform reden, über die Gleichbehandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Wir möchten Das fängt bei Stadtbegrünung an, das geht weiter mit dem reden über vernünftige Unternehmensteuersätze, aber Wald – liebe Julia Klöckner, herzlichen Dank dafür, dass auch über den Bürokratieabbau. du da so aktiv bist –, das hat aber auch etwas mit Wasser- wirtschaft, mit Hochwasserschutz und vielen anderen (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs Dingen zu tun. Ich glaube, darüber müssen wir noch [SPD]: Nikolaus gibt es aber nur einmal im mal reden, liebe Bundesregierung. Da gibt es noch viele Jahr!) Dinge, die wir auf den Weg bringen müssen. – Ja, Nikolaus gibt es nur einmal im Jahr; das ist richtig. Natürlich gehört auch die CO2-Minderung dazu. Aber, Aber das ist unser Schuh, den wir Ihnen vor die Tür stel- liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein Klima- len, lieber Olaf Scholz. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16291

Ralph Brinkhaus (A) Es ist aber auch so, dass wir über den Bereich Energie reich Wirtschaftspolitik schließen. Wir haben ja den An- (C) reden müssen, und zwar mehr als in der Vergangenheit. spruch – das sage ich ohne Arroganz und Überheblich- Der Punkt ist ganz einfach, lieber Peter Altmaier: Wir keit –, dass wir mit zu den Besten in der Welt gehören und brauchen jetzt eine verlässliche Prognose, eine verläss- dass das auch so bleiben soll. Aber wenn das so ist, dann liche Vorhersage, wie sich die Energiepreise entwickeln brauchen wir auch die besten Köpfe der Welt, und wenn werden und ob die Versorgungssicherheit gegeben ist. wir die besten Köpfe der Welt hier in Deutschland haben wollen, dann brauchen wir auch ein Klima der Weltoffen- (Beifall bei der CDU/CSU) heit. Wir brauchen eine plurale Gesellschaft, und wir Die muss jetzt aufgestellt werden; denn die mangelnde brauchen eine offene Gesellschaft. Verlässlichkeit, wie sich Energiepreise und Versorgungs- sicherheit entwickeln, ist ein Investitionshemmnis für (Johannes Kahrs [SPD]: Und keine AfD!) diesen Standort. Und wenn wir das nicht sind, dann werden auch die Men- schen, die uns helfen sollen, weiter wirtschaftlich erfolg- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Zu spät!) reich tätig zu sein, nicht zu uns kommen. Auch das ist eine Das war in der Vergangenheit nicht möglich. Es ist viel Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen soll. verändert worden: Kohleausstieg, Ausstieg aus der Kern- energie. Es ist das Problem gewesen, dass wir den Weg (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- definieren mussten, wie es mit den erneuerbaren Energien ordneten der SPD) weitergeht. Aber ich erwarte von dieser Bundesregierung, Strich drunter. Jetzt können Sie sagen: Herr Brinkhaus, dass wir da im nächsten Jahr Klarheit bekommen. Das ist Sie haben über Nachhaltigkeit, über Außenpolitik, über auch angewandte Wirtschaftspolitik, liebe Kolleginnen Wirtschaft geredet, aber nicht über das Thema Soziales. – und Kollegen. Das ist richtig. Wir haben nämlich in der Vergangenheit Es gibt auch noch einen weiteren Bereich. Wir müssen sehr viel für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft unsere Wirtschaft entfesseln; denn sie ist gefesselt durch getan, und das war auch gut investiertes Geld. Aber Fakt das Planungsrecht, sie ist gefesselt durch das Vergabe- ist auch eines: Ein Sozialstaat lebt von Voraussetzungen, recht, sie ist gefesselt auch durch mangelnde Digitalisie- die er selber nicht schafft. Diese Voraussetzungen sind, rung der Verwaltung, und zwar von der Kommune bis dass wir eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung zum Bund. haben, dass wir in einer sicheren Welt leben und dass wir in einer nachhaltigen Welt leben. (Christian Lindner [FDP]: Durch Arbeits- marktpolitik auch!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) (B) Wenn wir über Digitalisierung reden, muss man sagen: (D) Da haben wir viele Voraussetzungen geschaffen. Wir ha- Deswegen empfehle ich uns allen, dass wir die Dinge jetzt ben Gesetze geschaffen, wir haben Budgets bereitgestellt. so priorisieren, wie es notwendig ist. Wir müssen jetzt die Aber das muss jetzt auch umgesetzt werden. Dazu gehört Basis schaffen dafür, dass wir auch in Zukunft in dieser nicht nur, Breitband in die Erde zu legen, nicht nur Mo- Gesellschaft zusammenleben können. Dafür ist Außen- bilfunkausbau, sondern insbesondere auch die Digitali- und Sicherheitspolitik notwendig, dafür ist übrigens auch sierung der Verwaltung. Ich bin nachhaltig der Meinung: ein starker Rechtsstaat notwendig, dafür ist eine vernünf- Das beste Mittel zum Bürokratieabbau ist die Digitalisie- tige Wirtschaftspolitik notwendig, dafür ist eine vernünf- rung der Verwaltung. tige Nachhaltigkeitspolitik notwendig. Ich weiß, diese Reihenfolge wird hier nicht von allen geteilt. Manchmal Liebe Frau Bundeskanzlerin, das, was wir von den wird sie auch in der Koalition nicht geteilt. Wir werden mittelständischen Unternehmen zu Recht erwarten, das aber dafür kämpfen, dass wir genau diese Reihenfolge müssen wir auch vorleben, das müssen wir schneller einhalten, weil wir glauben, dass das richtig ist. Das ist und besser vorleben als in der Vergangenheit. das Profil der Union. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vielen Dank, meine Damen und Herren. ordneten der FDP) Meine Damen und Herren, es gibt noch viele weitere (Beifall bei der CDU/CSU) Bereiche. Wir könnten jetzt über das Arbeitsrecht reden. Das Arbeitsrecht, lieber Hubertus Heil, ist zugeschnitten Vizepräsidentin Claudia Roth: auf Arbeitsverhältnisse im 19. und 20. Jahrhundert, aber Vielen Dank, Ralph Brinkhaus. – Einen schönen Vor- nicht auf Arbeitsverhältnisse im 21. Jahrhundert. Ich habe mitttag von mir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen! vernommen, wie du mit großem Einsatz für die Grund- Nächste Rednerin in der Debatte: für die AfD-Fraktion rente gekämpft hast. Wir von der Union wünschen uns, Dr. Alice Weidel. dass du mit dem gleichen großen Einsatz dafür kämpfst, dass wir ein modernes Arbeitsrecht in diesem Land be- (Beifall bei der AfD) kommen. Dr. Alice Weidel (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Wir müssen über Wirtschaft im ländlichen Raum re- und Herren! Lieber Herr Brinkhaus, ich habe selten so den – auch ein wichtiges Thema – und über viele andere eine unkonkrete Rede von Ihnen gehört. Das waren nur Themen. Aber ich möchte mit einer Bemerkung zum Be- hohle Phrasen. Sie sind nicht einmal konkret geworden. 16292 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Alice Weidel (A) Ich weiß, Sie können es besser. Ich weiß auch nicht, ob durch eine deutliche Senkung und Vereinfachung der (C) das mit Ihrem Job als Fraktionsvorsitzender zusammen- Umsatzsteuer, die Konsumenten mit kleinen und mittle- hängt. ren Einkommen am stärksten belastet, und durch den Ausbau des Ehegattensplittings zum Familiensplitting, (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer um der steuerlichen Benachteiligung von Eltern entge- [CDU/CSU]: Bei Ihnen wissen wir das auch genzuwirken. noch nicht!) Liebe Frau Merkel, ein gleichzeitiger Ausstieg aus (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Atom- und Kohlekraft ist nicht nur unverantwortlich, Die Spielräume dafür sind da. Das Gesamtsteuerauf- sondern blanker Irrsinn. Da nützt auch kein „Wir schaffen kommen der öffentlichen Hand hat sich unter Ihrer Re- das“. gierung seit 2005 ja auf gegenwärtig rund 900 Milliarden Euro verdoppelt. Das wird ja immer vergessen: Verdop- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer pelt! Aber dieses Geld wird falsch ausgegeben. Sie haben [CDU/CSU]: Das war ja überhaupt keine Phra- diese Milliarden zum größten Teil verkonsumiert und die se!) Infrastruktur verfallen lassen, statt dort zu investieren, wo Wen Sie komplett aus den Augen verloren haben – im es notwendig ist. Unkonkreten; das sind wir mittlerweile von Ihnen ge- wohnt –, ist der steuerzahlende Bürger. Für die ganz nor- Sie haben unser Land mit den drei großen Fehlent- malen Bürger, die jeden Morgen aufstehen, ihre Kinder scheidungen, die als die drei großen Rechtsbrüche in versorgen, die Geschichte eingehen werden, in die Sackgasse ma- növriert: der unbedingten Euro-Rettung, der unkontroll- (Johannes Kahrs [SPD]: In der Schweiz? Oder ierten Einwanderung und der grün-populistischen Ener- wo?) giewende; das kann man nicht anders sagen. zur Arbeit fahren, Steuern zahlen und dieses Gemeinwe- (Beifall bei der AfD) sen am Laufen halten, gibt es an diesem Haushalt nicht viel zu feiern. Sie übergehen auch diesmal, dass dieser Statt diese Fehlentscheidungen zu korrigieren, ver- Haushalt mit diesem Rekordvolumen nur dadurch mög- suchen Sie verzweifelt, die Folgen zu überdecken. Die lich ist, dass Sie den Bürgern viel zu tief in die Tasche vielgepriesene schwarze Null ist letztlich nur der Massen- greifen. enteignung von Bürgern und Sparern durch die Nullzins- politik der EZB zu verdanken. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (B) Das Flickwerk der Teilabschaffung des Solidaritätszu- (D) schlages ist symptomatisch dafür. Sie können sich Ihren Haushalt schönrechnen, weil der Bund keine Zinsen mehr auf seine Schulden zahlt – den (Johannes Kahrs [SPD]: Die AfD kämpft wie- Preis zahlen stattdessen die Bürger: durch fortgesetzte der für die Reichen, wie immer!) massive Wohlstandsverluste. 90 Prozent der Steuerzahler werden entlastet, sagen Sie. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Aber die Hälfte des ungerechtfertigt eingetriebenen Ge- ldes, also gute 10 Milliarden Euro, wollen Sie weiter be- Nachdem Sparbücher und Lebensversicherungen als An- halten und verstoßen damit gegen die Verfassung, um es lageformen bereits ruiniert sind, wollen Sie als Nächstes ganz klar zu sagen. die Käufer von Aktienfonds über eine Finanztransaktion- steuer schröpfen, die nur die Kleinsparer und -anleger (Beifall bei der AfD) trifft. So sieht die Politik der GroKo für die arbeitende Dabei ist Steuergerechtigkeit ganz einfach. Schaffen Bevölkerung aus. Sie den Solo, den Soli ab – für alle. (Beifall bei der AfD) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sie machen private Vorsorge unmöglich. der SPD) – Dieses Feixen wird Ihnen auch noch vergehen. – Schaf- Gleichzeitig ist die Steuerlast für Neurentner in der fen Sie den Soli ab, für alle, jetzt und sofort, und nicht erst gesetzlichen Rentenversicherung seit 2010 bis auf das im übernächsten Jahr vor den Wahlen! Das ist unsere Fünffache angestiegen. Die Euro-Rettung und der uner- Forderung, und dabei bleiben wir. sättliche Steuerstaat schaffen die Altersarmut, die Sie an- schließend beklagen. Die nachgelagerte Besteuerung von (Beifall bei der AfD) Renten ist widersinnig und unsozial; sie muss umgehend abgeschafft werden. Was der Staat zu viel einnimmt, muss den Bürgern zurückgegeben werden. Gerade weil Deutschland in die (Beifall bei der AfD) Rezession schlittert, müssen die Fesseln gelockert wer- den, durch eine Senkung und Vereinfachung des Einkom- Wer von Negativzinsen in riskantere Anlageformen ge- mensteuersatzes ohne Mittelstandsbauch und kalte Pro- trieben wird, der soll künftig seine Verluste nicht mehr gression, steuerlich geltend machen können, sogar rückwirkend nicht – das muss man sich einmal vorstellen! Damit nicht (Johannes Kahrs [SPD]: Wieder die neoliberale genug: Anonyme Goldkäufe sollen drastisch einge- Theorie der AfD!) schränkt werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16293

Dr. Alice Weidel (A) (Johannes Kahrs [SPD]: Von Goldkäufen ha- Es gibt keinen Klimanotstand. Verantwortungsvoller (C) ben Sie ja große Ahnung!) und sparsamer Umgang mit unseren Ressourcen ist drin- gend geboten, ebenso die freie Erforschung neuer Tech- – Dass Sie darüber lachen, ist mir völlig klar; lachen Sie nologien. Aber was Sie als Klimaschutz propagieren, ist nur! – Es stehen Forderungen im Raum, größere Barge- pure Ideologie. schäfte generell meldepflichtig zu machen (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: (Johannes Kahrs [SPD]: Können Sie auch Da sind Sie ja Expertin! Hass und Ideologie!) Sachebene?) Die Frage ist nicht: „Leben oder Tod?“, sondern: „Frei- oder enge Grenzen für Barkäufe zu ziehen. Aber Bargeld heit oder Ökosozialismus?“ ist Freiheit. Sie aber führen Krieg gegen die finanzielle Freiheit, den persönlichen Datenschutz und stellen (Johannes Kahrs [SPD]: Was für eine Phra- Bürger, die ihre Freiheitsrechte wahrnehmen wollen, un- sendreschmaschine! Können Sie auch Inhalte?) ter einen Generalverdacht. So sieht es nämlich aus. Zukunftstechnologien werden im Übrigen nicht am (Beifall bei der AfD) grünen Tisch erfunden, wie Sie sich das vorstellen. Aber- milliarden an Subventionen wurden bereits sinnlos in die Der Meinungsfreiheit haben Sie ebenfalls den Krieg Energiewende gesteckt – Abermilliarden für Elektromo- erklärt. Der Flopp mit dem NetzDG war Ihnen noch nicht bilität sollen folgen. Damit soll eine nicht wettbewerbsfä- genug, Sie wollen dieses unselige Gesetz auch noch aus- hige Technologie erst wettbewerbsfähig gemacht werden. weiten: Meldepflichten für Netzwerkbetreiber, eine ganz Die Subventionen verzerren und behindern aber den neue Behörde – das können Sie ja so gut –, die auf der Wettbewerb und die freie Entfaltung innovativer Kräfte. Basis von in Gummiparagrafen verwendeten Begriffen Sie führen zu Fehlallokation von Kapital. Die Folgen wie „Hass“ und „Hetze“ dieser Politik werden wir noch jahrzehntelang ausbaden müssen. (Johannes Kahrs [SPD]: Da sind Sie ja Experte, bei Hass und Hetze!) Die Kaskade von Stellenstreichungen bei Automobil-, Energie- und Chemieunternehmen ist erst der Anfang. Meinungsäußerungen filtern und zur Anklage bringen 20 000 Jobs weg bei Continental, 15 000 bei Bosch, soll, das klingt nach Orwell, und so ist es wohl auch ge- 10 000 bei Daimler, 9 500 bei Audi, 7 000 bei VW, meint. 3 000 bei BASF, und die Liste lässt sich fortsetzen. Und (Johannes Kahrs [SPD]: Hass und Hetze ist ja das ist nur die Spitze des Eisbergs, der Jobabbau setzt sich typisch AfD! nämlich über die gesamte Wertschöpfungskette fort. Es (B) trifft den produktiven Kern der deutschen Wirtschaft, es (D) Abweichende Meinungsäußerungen werden kriminali- trifft die Hersteller von Investitionsgütern, die Anlagen- siert. Das ist Ihr Plan. bauer, kleine und kleinste Zulieferer in der Fläche. Das ist das Fatale: Durch Ihre Subventionspolitik finanzieren die (Johannes Kahrs [SPD]: Sie leben ja von Hass Steuerzahler ihren Arbeitsplatzverlust nämlich selbst. und Hetze!) Das ist das Unverantwortliche an Ihrer Regierungspolitik. So kann man die repräsentative Demokratie natürlich (Beifall bei der AfD) auch abschaffen: Man kann sie heimlich aushebeln. Wie Rot-Rot-Grün in Berlin derzeit den Wohnungs- (Johannes Kahrs [SPD]: So wie Sie Leute aus markt mit Mietobergrenzen, Enteignungsdrohungen und dem Saal schmeißen lassen, nur weil sie einen faktischen Einheitsmieten ruiniert, ist von DDR-Verhält- Hustenanfall hatten!) nissen nicht mehr weit entfernt. Was die SPD auf Bundes- Nicht umsonst interessieren sich repressive Regimes wie ebene plant, ist nicht besser: massive Eingriffe in das Weißrussland für das NetzDG und für Ihre Internet- Privateigentum durch Mietendeckel und Einschränkun- schnüffelgesetze. gen bei der Umlegung von Modernisierungskosten. Und die Grundsteuer: Statt diese anachronistische Der Generalangriff auf die wirtschaftliche Freiheit fin- Steuer abzuschaffen, wird sie als Vorstufe der Enteignung det im Übrigen auch unter dem Tarnbegriff „Klima- genutzt: indem Eigentum unrentabel gemacht wird. Der schutz“ statt. Sie bedienen sich dazu einer radikalen Min- Plan der Bundesregierung, Besitzer von Eigentumswoh- derheit – wir hören das Brüllen hier – von nungen auch gegen ihren Willen zu Dämmmaßnahmen Klimaapokalyptikern, wohlstandsverwahrlosten Öko- oder zum Bau von Elektroautoladesäulen zu zwingen, marxisten, schlägt in dieselbe Kerbe. Das muss man sich einmal (Beifall bei der AfD) vorstellen, was Sie hier vorhaben! so nennt sie die „Neue Zürcher Zeitung“ – Thema Schweiz; auch darauf reiten Sie ja immer herum –, um Vizepräsidentin Claudia Roth: ein Klima von Panik und Ausnahmezustand zu schaffen. Denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Das dient als Rechtfertigung für neue Steuern, wie zum Beispiel die CO2-Bepreisung, für neue Verbote, Gänge- Dr. Alice Weidel (AfD): lung und massive Eingriffe in private Freiheits- und Ei- Ein einst prosperierendes Industrieland, das sich derart gentumsrechte. kopflos den Ast des eigenen Wohlstands absägt, 16294 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Alice Weidel (A) (Johannes Kahrs [SPD]: Welch ein Unsinn!) gern in Deutschland sind. Dagegen gibt es gar nichts ein- (C) macht sich zum Gespött der Welt. Bitte kehren Sie um zuwenden, meine Damen und Herren. von Ihrem fatalen Irrweg! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Zuruf von der SPD: Zurück in die 50er!) Wenn Sie sich einmal anschauen, wie diese Große Koali- tion in den letzten 20, 21 Monaten gearbeitet hat, die Vizepräsidentin Claudia Roth: Probleme angegangen ist, dann müssen Sie feststellen: Wir haben uns um die kleinen Dinge gekümmert, aber Vielen Dank, Frau Weidel. – Nächster Redner: für die auch um die großen. In diesem Land wurde 25, 30 Jahre SPD-Fraktion Achim Post. über ein Einwanderungsgesetz geredet. Die Große Koali- (Beifall bei der SPD) tion hat es auf den Weg gebracht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Achim Post (Minden) (SPD): (Beifall bei der SPD – Ulrich Freese [SPD]: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es auf den Weg gebracht, und die Meine Damen und Herren! Ich hatte mir schon Sorgen Schwarzen sind mitgegangen!) gemacht, Herr Gauland, nach Ihrer Rede: Da gab es dies- mal keine Ausflüge in die deutsche Geschichte, keinen Wir haben seit Jahrzehnten über den Ausstieg aus der Untergang des Abendlandes. Kernkraft geredet, und zwar völlig zu Recht. Jetzt macht diese Koalition beides. Wir gehen aus zwei Groß- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ich kann Sie ja technologien heraus – aus Kernkraft und Kohle. Das als nicht immer belehren!) Klein-Klein zu bezeichnen, geht wohl etwas an der Rea- Zum Glück ist auf Frau Weidel Verlass; sie hat sich vor- lität vorbei, liebe Kolleginnen und Kollegen. gearbeitet vom Marktradikalismus zum Rechtsradikalis- (Beifall bei der SPD) mus und ist damit bei ihrem Markenkern angelangt. Wir unterlegen das mit einem Strukturstärkungsgesetz, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das wir hier in diesem Hause noch diskutieren werden, bei der LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: dem es darauf ankommt, daraus einen Markenkern für die So ein Schwachsinn!) Bundesrepublik Deutschland zu machen. Aus Struktur- Denn vor einem haben Sie beide ja gemeinsam Angst: stärkung machen wir gelingenden Strukturwandel, liebe dass demnächst der Höcke vor der Tür steht. Kolleginnen und Kollegen. (B) Diese Große Koalition – darüber wurde heute häufig (D) (Zuruf von der AfD: Herr Post, das ist völlig geredet – hat einen Markenkern – das stimmt, Herr unter Ihrem Niveau!) Lindner –: Das ist sozialer Fortschritt. Wie sollte all das Kommen wir einmal zum Haushalt. funktionieren, wenn es keinen sozialen Fortschritt gäbe (Zuruf von der AfD: Ah!) (Beifall bei der SPD) Ich habe in den letzten beiden Tagen den Reden, den bei der Stabilisierung der Renten, mit der Grundrente und Beiträgen, der Kritik, den Vorwürfen zugehört, die es gibt mit vielen anderen Dingen, die die Koalition auf den Weg gegenüber der Großen Koalition, gegenüber diesem Bun- gebracht hat? deshaushalt, gegenüber den Schwerpunkten des Bundes- haushalts. Wenn ich einmal zusammenfassen darf – ganz (Christian Lindner [FDP]: Können Sie auf subjektiv natürlich –, was eigentlich die Hauptkritikpunk- Dauer weitermachen!) te waren, stellen sich für mich drei Punkte heraus: Ers- – Na ja, über Ihre Jobperspektiven können wir auch noch tens. Da sei doch zu viel Klein-Klein bei dieser Koalition, einmal reden. Sie hätten ja Außenminister, Finanzminis- kein großer Wurf, alles zu wenig, alles zu spät. Zweitens. ter oder Arbeitsminister werden können. Diese Koalition, diese Bundesregierung investiere zu we- nig. Und drittens: Eigentlich habe ja diese Koalition und (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von eigentlich habe ja diese Bundesregierung ihr Pulver schon der FDP: Das ist für uns nicht das Kriterium!) verschossen und für die zweite Halbzeit nichts mehr vor. Ich bin froh, dass Sie nicht da sitzen. Sie haben sich heute um etwas anderes beworben. Das hörte sich eher an, als ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wollten Sie Senator für Bauen und Wohnen in Berlin Da haben Sie aber die Kritik aus der SPD ver- werden. Aber das hat diese Stadt auch nicht verdient, gessen!) liebe Kolleginnen und Kollegen. Gehen wir einmal auf den ersten Vorwurf ein, den Vor- wurf des Klein-Klein. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Überstehen Sie mal die Woche!) (Zuruf von der AfD: Niemand sagt das!) Der zweite Vorwurf lautet, diese Koalition investiere Ich weiß gar nicht, was es dagegen einzuwenden gibt, zu wenig. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, diesen wenn man sich auch mit sogenannten kleinen Dingen Haushalt zu lesen, wenn Sie sich einmal die Mühe ma- befasst, wenn man sich damit befasst, was die Nöte, die chen, zu schauen, was bei der Bereinigungssitzung he- Alltagssorgen von 83 Millionen Bürgerinnen und Bür- rausgekommen ist, dann kann man nur sagen: Diese Koa- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16295

Achim Post (Minden) (A) lition investiert an allen Ecken und Enden: allein im nur mit dieser Bundesregierung, liebe Kolleginnen und (C) nächsten Jahr mehr als 43 Milliarden Euro Investitionen – Kollegen. das ist ein Rekordwert für die Bundesrepublik Deutsch- land, liebe Kolleginnen und Kollegen –, (Beifall bei der SPD) Wenn diese Debatte, wenn dieser Haushalt, wenn das, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten was wir in den letzten zwei Jahren gemacht haben, eine der CDU/CSU) Überschrift haben kann, dann ist das das Zitat von 54 Milliarden Euro für den Klimaschutz, 100 Milliarden Johannes Rau „Versöhnen statt spalten“. Mit diesem Euro bis 2023 für Bildung und Forschung. Das alles ist Haushalt versöhnen wir unterschiedliche Interessenlagen. doch kein Pappenstiel. Es kann sich sehen lassen, was Mit diesem Haushalt investieren wir auch in die Zukunft. diese Bundesregierung, was der Bundesfinanzminister Mit diesem Haushalt investieren wir in Forschung, Tech- auf den Weg gebracht hat. nologie und Klimaschutz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deshalb zusammengefasst, liebe Kolleginnen und Kol- der CDU/CSU) legen, – Der dritte Vorwurf ist die These, die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen hätten ihr Pulver schon ver- Vizepräsidentin Claudia Roth: schossen. Ich will Ihnen eines sagen: Beide Teile dieser Kommen Sie bitte zum Schluss, mit einer kurzen Zu- Koalition – die CDU/CSU-Fraktion und die SPD-Frak- sammenfassung. tion – haben noch viel vor. Es gibt in diesem Land genug zu tun. Ich fange einmal mit einer Sache an, die wir uns Achim Post (Minden) (SPD): für die nächsten Jahre besonders auf die Fahne geschrie- – es ist ein guter Haushalt, den Bundesfinanzminister ben haben. Das ist der Schutz unserer Demokratie, der Olaf Scholz vorgelegt hat. Sie können sicher sein, ich bin Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit, der Kampf für ei- sicher: Auch der nächste Haushalt 2021, den diese Bun- nen demokratischen Rechtsstaat gegen alle, die diese De- desregierung vorlegt, wird ein guter Haushalt sein. mokratie zerstören wollen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es ist egal, ob das arabische Familienclans, Neonazis, der CDU/CSU) deutsche Nazis oder Nationalisten und Islamisten sind, (B) die mit terroristischen Attacken diesen Staat gefährden Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) und zerstören wollen. Es gilt für alle. Sie können sich Vielen Dank, Achim Post. – Nächster Redner: für die alle, liebe Bürgerinnen und Bürger, auf diese Koalition FDP-Fraktion Otto Fricke. verlassen im Kampf gegen rechts und gegen die Feinde der Demokratie. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Otto Fricke (FDP): der CDU/CSU – [AfD]: Lösen Geschätzte Frau Vizepräsident! Meine Damen und Sie auf, dann sind wir ein großes Stück weiter!) Herren! Der Haushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. Der nächste Punkt, über den wir reden müssen und Wenn man sich mit der Frage des Schicksals dieser Na- reden werden, ist Europa. All das, was wir heute bespre- tion befasst – das soll der Sinn einer solchen Debatte chen und gestern besprochen haben, was wir in den heute sein –, dann sollte man als Erstes über die Tatsachen nächsten beiden Jahren machen werden, geht nur mit Eu- und die Fakten sprechen. Ich darf die Mitglieder der ropa. Das Schicksal unseres Landes liegt in Europa. Das Großen Koalition fragen: Können Sie mir eine wirklich Schicksal Europas liegt in diesem Haus und in dieser positive Wirtschaftsnachricht aus diesem Jahr nennen? Bundesregierung. Deutschland kann und wird noch mehr (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Rekordbe- tun, als wir bisher gemacht haben. schäftigungszahl!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Eine positive Nachricht, nicht das, was Vergangenheit ist, der CDU/CSU) Herr Brinkhaus. Sie berufen sich immer auf Zahlen, die in Ich will Ihnen einmal sagen: Vor 30 Jahren war die der Vergangenheit gewesen sind. große Frage, wie Europa, das neue Europa, zusammen- wachsen kann. Jetzt, 30 Jahre später, ist die große Frage, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein, das ist wie wir dieses Europa zusammenhalten können, liebe Gegenwart!) Kolleginnen und Kollegen. Diese Bundesregierung wird Ich sage Ihnen einmal, was das Schicksal dieses ihren Beitrag dazu leisten mit einem Ausbau der europä- Landes im Moment ist: Der ifo-Geschäftsklimaindex geht ischen Industriepolitik, mit einem Ausbau europäischer herunter – 9,6 Punkte –, Bruttoinlandsprodukt – wir sind Sozialpolitik und nicht zuletzt mit der Vollendung der mit Italien die letzten in Europa; wenn das Ihr Niveau ist, Bankenunion und der Reform der Wirtschafts- und Wäh- bitte gerne –, Auftragseingänge im verarbeitenden Ge- rungsunion. Wenn wir das alles machen, dann – und nur werbe gehen herunter. Selbst im Baugewerbe, das Sie dann – können wir zuversichtlich in die nächsten zwei so rühmen, gehen die Auftragseingänge herunter. Die In- Jahre und in die nächsten zehn Jahre gehen. Das geht dustrieproduktion geht herunter. Die Kurzarbeit geht 16296 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Otto Fricke (A) hoch, die Unternehmensinsolvenzen nehmen zu. Darüber weiß doch jetzt schon – Herr Brinkhaus weiß es, Herr (C) reden Sie heute nicht. Sie ignorieren das einfach. Schneider weiß es auch –: Es wird nicht mehr investiert. – Ein großer Teil davon fließt nicht ab. Ihr stellt Geld ins (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Schaufenster, und sagt nachher: Können wir nicht gebrau- Ihr Haushalt basiert darauf, dass Sie sich auf Altem aus- chen, nehmen wir weg, ist eine globale Minderausgabe. – ruhen und das, was uns droht, in keiner Weise erwähnen. Investieren heißt, dass das Geld bei den Bürgern, bei den Das ist keine zukunftsgerichtete Haushaltspolitik, das ist Menschen ankommt, Vergangenheit. (Beifall des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thomas LINKE]) Ehrhorn [AfD]) und nicht, dass man es irgendwo ins Schaufenster stellt, Die FDP setzt dagegen auf einen Dreiklang. Der Drei- wo man es am Ende gar nicht gebrauchen kann. klang lautet: entlasten, tilgen, investieren. Wir haben mit unseren 596 Anträgen gezeigt, dass man den Soli zum (Beifall bei der FDP sowie des Abg. 1. Januar 2020 abschaffen kann. Der Finanzminister hat Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) das gestern in einer Rede wieder geschickt gesagt: Wir Noch etwas – und auch da wieder der sehr elegant-ge- senken den Soli auch. – Herr Finanzminister, natürlich schickte Finanzminister, der bei allem nie so ganz die nur zum 1. Januar 2021, weil Sie gar nicht entlasten wol- Unwahrheit sagt, aber doch ein bisschen versucht, sich len. Es ist okay, dass man sich politisch darüber streitet. vorbeizuschlängeln –: Herr Finanzminister, finden Sie es Sie sagen: Ich will ihn gar nicht ganz abschaffen, sondern eigentlich gut, sich vor die Bevölkerung zu stellen und zu es gibt einige, die ich mit einer Extraabgabe belaste und sagen: „Wir geben so viel wie nie zuvor aus“, zu ver- riskiere, dass man nach Karlsruhe geht. – Aber warum schweigen, dass die Investitionsquoten vor Jahrzehnten machen Sie es dann nicht, wie es versprochen wurde, zum viel höher waren und Sie nur wegen des gestiegenen 1. Januar 2020 wenigstens für die Menschen, die Ihr Pa- Haushaltes solche Zahlen haben? Finden Sie es eigentlich ket ein Jahr später trifft? Sie machen es deswegen nicht, gut, zu sagen: „Ich investiere“, indem Sie das Baukinder- weil Sie keine Notwendigkeit sehen und sagen: Das kann geld als Investition in den Haushalt stellen? Wenn also ein alles später kommen. Ich brauche mich gar nicht zu be- Ehepaar mithilfe des Baukindergeldes ein Haus kauft, das mühen, ich brauche mich gar nicht anzustrengen. – Auch bereits seit 60 Jahren existiert, dann sagen Sie: Ich habe das ist nicht zukunftsgerichtet, Herr Finanzminister. mit der Bundesregierung investiert. – Ist das Ihre Vorstel- lung von Investition? (Beifall bei der FDP) Für die Ganztagsbetreuung – wichtige Sache – stellen Meine Damen und Herren, bei der Frage, wie wir ent- (B) Sie 1 Milliarde Euro bereit und sagen: Wir haben 1 Mil- (D) lasten, zeigen wir es mit Anträgen zu einem flexiblen liarde Euro investiert. – Nichts davon wird investiert, weil Rentensystem. Wir zeigen es aber auch, indem wir Sub- nichts davon wirklich dadurch investiert wird, dass es ventionen abbauen. Zukunftsgerichtet muss man immer ankommt, sondern es wird nur in einen Fonds überwie- wieder sehen: Wer Subventionen zu lange hält, bleibt in sen. Mit der Überweisung in einen Fonds sagt Olaf der Vergangenheit. Diese Regierung – Subventionen ab- Scholz: Ich habe 1 Milliarde Euro investiert. – Das ist bauen? Nein, sie erfindet eher noch neue. Es wird keine die Art, mit der diese Bundesregierung Investitionen be- Subvention abgebaut. Auch da: Man bleibt in der Ver- treibt. Das ist 20. Jahrhundert beim Thema Investitionen. gangenheit haften, nichts für die Zukunft. Wir müssen aber darüber reden, was Investitionen im (Beifall bei der FDP) 21. Jahrhundert sind. Das wäre eigentlich Ihre Aufgabe gewesen. Dann gibt es sogenannte Ausgabereste. Für die, die das nicht wissen: Das ist das, was die Minister und Minister- (Beifall bei der FDP) innen einsparen und sagen: Das gebe ich vielleicht später Dann zur Frage des ausgeglichenen Haushaltes. Das ist aus. – Diese Fettpolster wachsen. Das heißt, da liegt Geld. eine Binse; jeder Haushalt ist ausgeglichen. Die Frage ist: Man hat einmal gesagt: Wir wollen etwas für dieses Land, Wie kriegt man ihn denn ausgeglichen, Herr Finanzmi- für die Bürger dieses Landes tun. – Was machen Sie? Sie nister, und wie kriegen Sie ihn ausgeglichen? Sie kriegen lassen es liegen, weil Ihnen egal ist, was in Zukunft alles ihn mit Ihrer Koalition dadurch ausgeglichen, dass Sie getan wird. Sie sagen: Solange sich die Zahlen schön sagen: Er ist ausgeglichen, aber am Ende des Jahres dürft anhören, machen wir das, aber was wirklich passiert, in- ihr 5 Milliarden Euro nicht ausgeben. – So steht das im teressiert uns nicht wirklich. Haushaltsbuch. Sie nennen es „globale Minderausgabe“; (Beifall bei der FDP) aber es ist genau das. Der Haushalt ist nicht ausgeglichen. Sie kriegen ihn nur dadurch ausgeglichen, dass alle Mi- Dann zum Thema Investieren. Bildung: Ja, der Etat nister um Sie herum sagen müssen: Okay, das machen wir steigt. Toll. 18 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr – nicht. Den Plan, den wir verkauft haben, machen wir 18 Millionen Euro! Das ist Ihr Zukunftsbild für eines der nicht. Die Ausgabe machen wir nicht. – Das kommt nicht Zukunftsthemen. Das ist das, was Sie dann als besonders beim Bürger an. Das ist die Antwort auf die Frage, wie Sie glücklich sehen. Dann sagen Sie, wir würden in absoluten den Haushalt ausgeglichen kriegen. Zahlen so viel investieren. – Es ist wie immer. Auch da ist Herr Scholz ein Ankündigungsminister. Wir werden es Ein weiterer Punkt. Sie haben gestern ehrlicherweise auch dieses Jahr erleben. Er hat beim letzten Mal auch gesagt – aber auch da wieder hamburgisch-geschickt, gesagt: Wir werden so viel wie nie investieren. – Jeder nicht ganz die Unwahrheit, aber doch –: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16297

Otto Fricke (A) Ja, wir nutzen die Rücklagen, Ihnen gilt die Solidarität meiner Fraktion: Danke für eure (C) Arbeit, André Aden, Julian Feldmann und David Janzen. – damit meinen Sie die Asylrücklage – (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- die wir haben. Wir nutzen sie für eine expansive neten der SPD) Haushaltspolitik. Nach diversen Vorfällen auf rechtsextremen Demonst- So wortwörtlich der Minister. Was heißt das? Olaf Scholz rationen, wo Journalistinnen und Journalisten tätlich an- gibt zu, dass die Erlaubnis, sich stärker zu verschulden, gegriffen wurden, ist also die nächste Eskalationsstufe möglich ist. Das ist keine Rücklage. Da liegt nirgendwo erreicht. Nazis ziehen gegen die Unabhängigkeit von ein Cent. Es ist nur die Erlaubnis aus vergangenen Jahren, Presse und Rundfunk mit Marschmusik, üblen Fahnen, 10 Milliarden Euro an zusätzlicher Verschuldung zu ma- teils vermummt durch die Straßen. Danke an alle Demo- chen. So etwas ist kein ausgeglichener Haushalt. So etwas kratinnen und Demokraten, an alle Antifaschisten und ist der Einstieg in die Neuverschuldung der Bundesrepub- Antifaschistinnen, die in Solidarität mit den betroffenen lik nach guten Jahren, die Sie nicht genutzt haben. Kollegen und den Grundrechten auf die Straße gegangen sind. Traurig, dass das inzwischen sein muss. (Beifall bei der FDP) Kommen wir zum Klimapaket. Ich meine, die eigent- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- lichen Gegner Ihres Haushalts sitzen im Moment da auf ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – der linken Seite; es sind jetzt kaum noch welche da. [AfD]: Ihre linksextreme Klientelpolitik ist das Schlimme!) (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Na, na, Es ist Aufgabe gerade dieses Hauses, die Pressefreiheit na!) aktiv zu schützen. Aber wo bleiben die Signale, die dem Aber schauen Sie es sich doch an: Sie haben vier Gesetz- Rechtsruck das Fahrwasser abgraben? Es ist ein sehr entwürfe, die Sie in den Bundesrat schicken, und alle vier schlechtes Zeichen, dass Gerichte jetzt die Pressefreiheit werden im Vermittlungsausschuss landen. Und warum? ausbuchstabieren müssen, die beim G-20-Gipfel 2017 in Weil gesagt wird: Lieber Olaf Scholz, dein Haushalt in- durch Ausladung von Journalisten durch Bun- teressiert uns nicht. Wir wollen mehr Geld. – Ist das im desbehörden außer Kraft gesetzt wurde. Heute wäre eine Haushaltsplan drin? Nein, es ist nicht im Haushaltsplan gute Gelegenheit, sich für diese rechtswidrige Aktion zu drin. – Frau Vizepräsidentin, ich sehe die Zeit. entschuldigen. Was bleibt? CDU/CSU nebst SPD haben viel für die (Beifall bei der LINKEN) (B) Vergangenheit gezahlt, verwalten die Gegenwart, aber die Wir erwarten, dass Medienpolitik, die für Pressefrei- (D) Zukunft bleibt ungestaltet. Eine solche Regierung kann heit einsteht, auch im Haushalt erkennbarer wird, dass sich dieses Land nicht weitere zwei Jahre leisten. Presserechte in Behörden und Polizeien mehr Gewicht Herzlichen Dank. bekommen, dass in Qualität und Transparenz investiert wird. Hierfür braucht und gibt es verschiedene Wege. (Beifall bei der FDP) Haushaltsrelevant wurde jetzt sehr kurzfristig der Vor- stoß der Großen Koalition, der auf indirekte Presseförde- Vizepräsidentin Claudia Roth: rung setzt. Der Haushaltsausschuss hat vor zwei Wochen Vielen Dank, Otto Fricke. – Nächster Rednerin für die beschlossen, 40 Millionen Euro für Vertriebskosten der Fraktion Die Linke: Doris Achelwilm. Zeitungsverlage aufzuwenden, nachdem die Verleger vorstellig wurden, weil der Mindestlohn eben Mehraus- (Beifall bei der LINKEN) gaben bei der Zeitungszustellung bedeutet.

Doris Achelwilm (DIE LINKE): (Otto Fricke [FDP]: Na ja, die Gelder sind ge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sperrt!) Kollegen! Auch medienpolitisch – in diesem Bereich sind – Die Gelder sind gesperrt; das wird dann immer so ge- wir inzwischen angekommen – muss die Bundesregie- macht. rung mehr investieren. Ein Verweis auf die Kompetenz der Länder, der dann ja immer kommt, reicht nicht mehr (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein, das aus. Dafür passiert gerade einfach zu viel. Um es mit wird nicht immer so gemacht! Weil kein Kon- aktuellen Worten von Esther Bejarano zu sagen, die die zept vorliegt!) Ehrenvorsitzende der VVN-BdA ist: „Das Haus brennt“. – Genau. Wo kein Konzept, da können diese Gelder noch nicht ausgegeben werden. – Im Koalitionsvertrag war in (Beifall bei der LINKEN) diesem Sinne ja noch eine Absenkung des Rentenbeitrags Ich war am Wochenende auf der „Bunt statt braun“- für die Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller vor- Demonstration in Hannover. Die NPD hetzte dort gegen gesehen, was wir scharf kritisiert haben. Dass diese Idee die freie Presse und die Öffentlich-Rechtlichen. Auf ih- vom Tisch ist – wir hoffen, dass sie vom Tisch ist –, ist auf rem Fronttransparent zeigten sie das Bild eines ihnen un- jeden Fall schon mal gut. In diesem Sinne ist die Zustel- liebsamen Journalisten und zogen zum NDR, wo er ar- lungsförderung eine Verbesserung. Gleichzeitig muss beitet. Zwei andere Journalisten wurden ebenfalls im man allerdings sagen: Eine Pauschalsubvention pro zu- onlineverbreiteten Demoaufruf zur Zielscheibe erklärt. gestelltem Einzelexemplar, also Modell Gießkanne, sorgt 16298 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Doris Achelwilm (A) nicht annähernd für die Sicherheit und die Vielfalt von Doris Achelwilm (DIE LINKE): (C) Lokaljournalismus, gerade im ländlichen Raum, was oh- – wieder den Status zugesteht, den sie sich verdient ne Zweifel nötig ist. haben. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Wir Linke stellen uns dagegen, dass Arbeitsbedingun- (Beifall bei der LINKEN – Carsten Schneider gen im Medienbereich immer und immer prekärer werden [Erfurt] [SPD]: Es sind doch Urteile!) oder Regionen zu Kreisen mit nur einer Zeitung oder gar keiner Zeitung werden. Um gegenzusteuern, braucht es Vizepräsidentin Claudia Roth: aber keine Förderung für die stärksten der Verleger, son- dern eine Strategie für publizistische Vielfalt, den Ausbau Vielen Dank, Frau Kollegin Achelwilm. – Nächste vernünftiger Arbeitsbedingungen in den Redaktionen, die Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Anja Hajduk. Absicherung fairer Löhne und Sozialleistungen bis hin zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – den Zeitungsausträgerinnen und -austrägern und den Er- Johannes Kahrs [SPD]: So viel Gelb! Gelb und halt von gutem, vor Ort recherchiertem Journalismus. Schwarz passt nicht! – Gegenruf der Abg. Die Qualitätsförderung gegenüber journalistischen Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Projekten steht in keinem Verhältnis zu diesen Ansprü- Das ist kein Gelb!) chen. Gerade einmal 2 Millionen Euro fließen in den Haushaltstitel „Stärkung der Medienkompetenz sowie Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schutz und strukturelle Förderung journalistischer Ar- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und beit“. Das ist klar zu wenig. Herren! Teil des Kanzleramtsetats, den wir hier heute beraten, ist der Kulturbereich. In diesem Haushalt wird (Beifall bei der LINKEN – Martin Reichardt es 84 Millionen Euro mehr gegenüber dem Haushalt 2019 [AfD]: Sie sollten den Karl-Eduard-von- geben. Seit Anfang der letzten Legislaturperiode ist der Schnitzler-Preis für Journalismus ausrufen!) Kulturetat insgesamt um mehr als 50 Prozent gestiegen. Ich erwähne das als Mitglied des Haushaltsausschusses, Worüber wir stärker nachdenken sollten, sind ganz neue weil wir durch die Entscheidungen dort zusätzlich viel für Perspektiven, Ansätze und Modelle der Gemeinnützig- die Kultur tun. Meine Fraktion findet das im Grundsatz keit, um journalistischen Nachwuchs zu fördern. und weitgehend auch richtig. Schwerpunkte unserer Im- Ich komme zum Schluss. pulse sind die Soziokultur und die Erinnerungskultur. Wir freuen uns auch, dass es gelungen ist, zusammen mit den (B) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist doch deutlich Regierungsfraktionen für die „Initiative Musik“ eine Er- (D) über der Zeit! Wie viel mehr machen Sie höhung durchzusetzen. Davon profitieren Festivals und denn? – Weiterer Zuruf von der AfD: Es wird auch die Sanierung von Livemusik-Spielstätten. Da sind auch Zeit!) viele gute Punkte im Kulturbereich gelungen. Apropos Gemeinnützigkeit: Es ist alles andere als fair (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und demokratieförderlich, zivilgesellschaftlichen Verei- nen wie Attac, Campact und jetzt der VVN-BdA die Ge- Ich möchte aber – das muss auch Teil dieser Debatte meinnützigkeit zu entziehen. sein – auf einen sehr prominenten Punkt eingehen, der ziemlich problematisch war und ist: Das ist das Museum (Johannes Kahrs [SPD]: Bundesfinanzge- der Moderne. Prominent ist dieser Punkt, weil wir in richtsurteile sollte man lesen und verstehen!) diesen Haushaltsberatungen erfahren haben, dass dieser Bau in Berlin statt der angesetzten 200 Millionen Euro Als Linke werden wir – nunmehr 364 Millionen Euro kosten soll.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Mindes- tens!) Frau Kollegin! – Mindestens. – Diese Steigerung ist kein Pappenstiel. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Wie viel mehr macht Die öffentliche Berichterstattung hierüber war sie denn?) weitgehend sehr kritisch, um nicht zu sagen: vernichtend. Frau Grütters, Sie haben die enorme Aufgabe, die Akzep- Doris Achelwilm (DIE LINKE): tanz für dieses große Museumsprojekt wieder ins Positive – diese Herabsetzung nicht akzeptieren. Wir fordern, zu lenken. Dazu fordere ich Sie im Namen meiner Frak- tion auf. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Es kommt wohl da- rauf an, wer redet!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) dass das Finanzministerium diesen so wichtigen Verei- nen – Wir Grüne haben im Haushaltsverfahren sehr genau nachgefragt: Wo kommen die Steigerungen her? Im Wett- bewerbsverfahren wurde die Grundrissfläche größer, der Vizepräsidentin Claudia Roth: Baupreis – das ist zuzugestehen – ist in den letzten Jahren Frau Kollegin! gestiegen, und wir haben zur Kenntnis genommen, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16299

Anja Hajduk (A) die Baugrube eine ganze Menge Geld kosten soll. Im Sie haben ganz offensichtlich vergessen, dass auch Elekt- (C) Übrigen: Dass dort die Matthäuskirche und eine Platane roautos Straßen brauchen. als Naturdenkmal stehen, war schon immer bekannt. Kurzum: Wir erwarten, dass in den nunmehr genaueren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Einzelbudgets jeweils Reserven gebildet werden und ein ordneten der FDP) aktives Risikomanagement stattfindet. Deswegen ist der vorliegende Haushalt auch so wich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tig, weil er klarmacht, wie stark wir in den Klimaschutz investieren, wie sehr wir dafür sorgen, dass neue Techno- Wir Grüne sind nicht gegen das Museum der Moderne logien entstehen, um gegen den Klimawandel anzugehen. mit den Werken des 20. Jahrhunderts, aber wir haben als Wir investieren 60 Milliarden Euro in den Klimaschutz. Parlament die Pflicht, den Menschen glaubhaft zu ver- Sie wollen Verbote für 80 Millionen Deutsche. mitteln, dass die öffentliche Hand auch im Kostenrahmen bauen kann. Wir werden Sie an den 364 Millionen Euro (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: messen. Tun Sie das Ihre dafür. Auf unsere Initiative ha- Das ist auch so eine Rede aus dem letzten Jahr- ben wir im Haushaltsausschuss durchgesetzt, dass Sie uns hundert!) regelmäßig über den Stand der Dinge berichten müssen. Das ist der entscheidende Unterschied, und den will ich In diesem Sinne hoffe ich, dass das Projekt jetzt wieder deutlich machen. eine positive Wendung nehmen kann, aber dafür ist viel Arbeit nötig. Lieber Toni Hofreiter, Sie haben beim Thema Schul- Schönen Dank. denbremse heute Entlarvendes von sich gegeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat eine gute Rede gehalten!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Schuldenbremse erweitern – das war Ihre Aussage eben, Vielen Dank, Anja Hajduk. – Nächster Redner: für die Herr Kollege Hofreiter. CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben das erklärt, aber Sie haben es nicht kapiert!) Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Ich kläre Sie mal darüber auf, was das eigentlich bedeutet. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (B) (D) Kollegen! Während der Debatte zum Klimapaket hier im (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschen Bundestag hat es eine Reihe von Kommenta- Das müssen Sie dem Scheuer erklären, nicht ren gegeben, mit denen zum Ausdruck gebracht wurde, es uns!) gebe keine großen Unterschiede mehr zwischen den Par- teien. Man sehe die Unterschiede nicht mehr, weil die Wir haben jetzt zum siebten Mal keine neuen Schulden. Union auch grün sein will und weil die Grünen auch Wir haben keine neuen Altlasten für die nächsten Gene- bürgerlich sein wollen. rationen geschaffen. Wir sind bei der Schuldenquote von 80 Prozent runter auf jetzt 60 Prozent des Bruttoinlands- (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das produkts. Das ist ein gutes Signal, weil das bedeutet, dass stimmt!) wir die Maastricht-Kriterien wieder erfüllen. Aber das scheint für die Grünen eine besonders schlechte Nach- Aber die Debatte und übrigens auch Ihr Parteitag vom richt zu sein; denn Sie haben in einem Antrag auf Ihrem letzten Wochenende haben doch sehr klar gezeigt, dass Parteitag noch einmal deutlich gemacht, dass Sie jedes die Grünen ihren Wurzeln treu bleiben und dass die grüne Jahr 35 Milliarden Euro neue Schulden machen wollen. Trauerweide wieder frische Verbotsblüten hervorbringt. Das ist das, was Sie unter „Schuldenbremse erweitern“ (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE verstehen. Das ist aber nichts anderes, als dass Sie das GRÜNEN]: Das war der CDU-Parteitag letzte Grundgesetz ändern wollen. Sie wollen die Schulden- Woche! Nur zur Info!) bremse im Grundgesetz abschaffen. Das ist Ihr eigentli- ches Ziel. – Herr Hofreiter, Sie haben das doch wieder deutlich ge- macht: Diesel und Benziner verbieten, neue Bundesstra- (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE ßen verbieten, Gasheizungen verbieten. LINKE]: Das wäre ja auch sinnvoll!) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch wenn Sie seit einiger Zeit den baden-württembergi- Der Parteitag ist doch vorbei! Es geht um den schen Ministerpräsidenten stellen: Von der schwäbischen Haushalt!) Hausfrau haben Sie offensichtlich überhaupt nichts ge- lernt. Ihr Kollege Stephan Kühn hat gestern gesagt: Jetzt gleich ein Straßenbaumoratorium erreichen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie immer noch mit Herrn Scheuer (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE diskutieren und nicht mit uns!) GRÜNEN]: Der CDU-Parteitag war letzte Wo- che! Nur zur Info!) Es ist nichts anderes als ein übler Vertuschungsversuch, 16300 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Alexander Dobrindt (A) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der Straße ein emotionales Problem haben, aber dann (C) Auch das müssen Sie mit Herrn Scheuer disku- müssen Sie auch die Bereitschaft haben, dafür zu sorgen, tieren und nicht mit uns!) dass wir nicht bei jedem einzelnen Projekt alle rechtli- von einer Erweiterung der Schuldenbremse oder vom chen Schritte bis zum Exzess durchdeklinieren. Wer Weiterentwickeln der Schuldenbremse zu reden. Ich kann schnell sein will, der muss auch Entscheidungen treffen Ihnen sagen: Wir werden es nicht zulassen, dass Sie die und dafür sorgen, dass die Maßnahmen sofort umgesetzt Schuldenbremse schleifen. Genau wegen Politikern wie werden und nicht erst in ein paar Jahren. Ihnen haben wir die Schuldenbremse ins Grundgesetz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und geschrieben. der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- GRÜNEN]: Dann muss die CDU auch mehr neten der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ klatschen bei so was!) DIE GRÜNEN]: Kümmern Sie sich um den Eine Debatte, die wir in den nächsten Monaten auch Scheuer! – Zuruf von der LINKEN: Sagen intensiv führen müssen, ist die, wie wir mit der Nullzins- Sie das Herrn Scheuer!) politik und den Negativzinsen der Europäischen Zentral- Übrigens ist der vorliegende Haushalt der Gegenbe- bank umgehen. Im Klartext heißt das: Es ist höchste Zeit, weis für die Behauptungen, dass die schwarze Null In- dass die Geldpolitik der EZB wieder vom Kopf auf die vestitionen und Entlastungen verhindere. Wir haben die Füße gestellt wird. Wenn man darüber spricht, kommt Investitionen gesteigert. Es gibt mehr Entlastungen als immer sofort der Hinweis auf die Unabhängigkeit der jemals zuvor. Es gibt Rekordinvestitionen in Höhe von Europäischen Zentralbank. Ja, das ist richtig, und wir 43 Milliarden Euro. respektieren die Unabhängigkeit der Europäischen Zent- ralbank. (Dr. [FDP]: Steuerquote so hoch wie noch nie!) (Beifall des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] Wir entlasten auf Rekordniveau in Höhe von 70 Milliar- [SPD]) den Euro in dieser Wahlperiode: beim Soliabbau, bei der Wir fordern die Unabhängigkeit der Europäischen Zent- Arbeitslosenversicherung und über das Familienentlas- ralbank sogar ein. tungsgesetz. Der vorliegende Haushalt ist ein echtes Zu- kunftspaket für Deutschland – genau das, was unser Land (Johannes Kahrs [SPD]: Sehr gut!) jetzt braucht. Aber Unabhängigkeit heißt doch nicht „Staatsfinanzie- Natürlich darf man darüber reden: Wie geht man mit (B) rung durch die Hintertür“, Unabhängigkeit heißt doch (D) einer neuen wirtschaftlichen Situation um? Wie geht man nicht „Geldpolitik im Sinne der Schuldenländer“, und damit um, dass die Wirtschaftsdynamik und die Industrie- Unabhängigkeit heißt auch nicht, dass Sparer bestraft produktion etwas zurückgehen? Wir nehmen wahr, dass werden, um Haushalte zu sanieren. es Kurzarbeit und auch Stellenstreichungen gibt. Deswe- gen müssen jetzt die richtigen Maßnahmen ergriffen wer- (Beifall bei der CDU/CSU – Fabian Jacobi den. Aber was wird da als Vorschläge in die politische [AfD]: Doch! Genau das!) Diskussion eingeworfen? Aktiver Abbau unseres Export- überschusses, Beschränkungen für die deutsche Automo- Deswegen ist unsere klare Erwartung, dass wir einen bilindustrie, neue Zollschranken und ein Stopp für Frei- Einstieg in den Ausstieg aus der Niedrigzinsphase ein- handelsabkommen. Das klingt wie ein Wahlprogramm leiten. Die neue Präsidentin, Christine Lagarde, muss er- von Donald Trump, das sind aber die Beschlüsse des kennen, dass die Aufgabe der EZB eine stabile Geldpo- grünen Parteitags, meine Damen und Herren. litik ist und nicht eine europäische Ersatzstrukturpolitik. Wir brauchen übrigens auch, um hier ein klares Signal zu (Beifall bei der CDU/CSU) setzen, eine nationale Zinsagenda für private Sparer. Ein Wir wollen, dass Deutschland Exportweltmeister Weiter-so, dass Sparen bestraft wird, kann keine Dauer- bleibt. Wir wollen übrigens auch, dass wir mit Klima- einrichtung sein. Deswegen brauchen wir auch einen technologien Exportweltmeister werden. Wir wollen da- staatlichen Sparbonus statt des EZB-Sparmalus. Meine für sorgen, dass das, was wir uns technologisch ausden- Damen und Herren, da gibt es dringenden Handlungsbe- ken und entwickeln, in die Welt exportiert wird. Wer darf. außer uns soll die Welt mit Klimatechnologie versorgen? Wir sind schließlich Exportweltmeister, lieber Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Hofreiter. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Alexander Dobrindt. – Nächster Redner: Ich habe Ihr Angebot übrigens wahrgenommen. Sie für die AfD-Fraktion . haben angeboten, über Planungsbeschleunigungen zu re- den. Planungsbeschleunigungen sind dringend notwen- (Beifall bei der AfD) dig, wenn wir die Investitionen, die wir bereitstellen, schnell umsetzen wollen. Ich bin sehr dafür, dass wir diese Diskussion miteinander führen. Wir fangen gerne Martin Erwin Renner (AfD): mit der Schiene und der Wasserstraße an, wenn Sie mit Grüß Gott, Frau Präsident! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16301

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Kulturmarxismus pur ist das, pure Ideologie. (C) -in! (Zuruf von der LINKEN: Pfui!) Martin Erwin Renner (AfD): – Pfui, jawohl. Präsident! (Jan Korte [DIE LINKE]: Nazizeug!) (Nadine Schön [CDU/CSU]: Unglaublich! Ihr Nichtverstehen der Kultur führt zum Nichterkennen Kein Anstand! – Jan Korte [DIE LINKE]: „Prä- Ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich des Erhalts und der sident“ ist nicht in Ordnung! Das ist nicht nor- Verteidigung unserer kulturellen Identität, mal!) (Jan Korte [DIE LINKE]: Nazigelaber!) Vizepräsidentin Claudia Roth: die doch die Klammer des Gemeinsinns der deutschen Präsidentin! Mehrheitsgesellschaft ist und damit auch die Grund- voraussetzung für Identifikation mit und Integration in Martin Erwin Renner (AfD): unsere Gesellschaft schafft. Sehr verehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Zu- schauer! Der Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Medien ist ein Bereich, in dem Grundlegendes verkehrt Ich sage das nicht, um das Eigene zu überhöhen, und auch läuft. Die Begriffe „Nation“ und damit auch „Kulturna- nicht, um das Fremde herabzuwürdigen, sondern ganz im tion“ sind Ihnen zuwider. Anstatt beständig über angeb- Sinne Herders: als gleichwertige Koexistenz der Kulturen liche Klimaleugner zu schwadronieren, sollten Sie besser in ihren jeweiligen angestammten Kulturräumen. einmal über Kulturleugnung sinnieren. Sie leugnen die Bedeutung des Nationalstaates. Daraus folgen die Ge- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Packen ringschätzung und die Missachtung der eigenen Kultur, Sie Ihre Rede mal in die Kulturtasche!) die doch so wichtig ist für unsere Identität. Sie maskieren Das ist es, was Sie hier übergreifend eint: Sie schaffen dies mit schönen Worten, etwa „Förderung kultureller Deutschland ab und träumen höschenfeucht Ihr One- Vielfalt“ oder „Diversitätsentwicklung“. World-Fantasma. (Zurufe von der SPD) (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Ich nenne es „Verherrlichung des Fremden und Gering- schätzung des Eigenen“. Ihre Kultur- und Medienpolitik ist die Deutlich- und (B) Sichtbarwerdung eines links-grünen Juste Milieus voller (D) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Reden zeitgeistiger, staatsgeldgieriger Opportunisten. Sie mal über Ihre „Vogelschiss“-Kultur!) (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Michael Ihre überall geförderte und geforderte Vielfalt und Diver- Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was reden Sie sität sind dabei, unsere Kultur zu perforieren, zu zerset- da? – Ulli Nissen [SPD]: Widerlich! – Weiterer zen, zu überlagern. Angebliche Diskriminierung des Zuruf von der SPD: Altmännergequatsche!) Fremden, aber auch von Minderheiten bekämpft man nicht, indem man die Mehrheit marginalisiert und das Sie übersehen dabei bewusst, dass es sich hier eben nicht Eigene verächtlich macht oder zur Gänze negiert. um die sogenannte Zivilgesellschaft, also den Bürger, handelt, sondern um die Führungsetagen, um die Feudal- (Achim Post [Minden] [SPD]: Wer macht das logen des polit-medialen Komplexes der Wirtschaft, der denn?) Kirchen, der Gewerkschaften, der NGOs, der Institutio- Ich erinnere an Ihre unsägliche, Ihre niederträchtige nen und der Vereine. Kampagne „Das ist sooo deutsch“. Diese Kampagne stellt (Zuruf von der SPD: Wie krank muss man eine derart dümmliche Verleumdung unseres Propriums, eigentlich sein!) unseres Eigenen dar, dass Sie sich dafür schämen sollten. Somit sollen die werteschaffenden Bürger nun mit kultur- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: marxistischer Methodik zur scheinbar richtigen grün-lin- Dümmlich ist Ihre Rede!) ken Gesinnung geführt und überwacht werden. Aber das sagt doch auch einiges über die historische, In wurden unersetzliche Kulturschätze aus philosophische und kulturelle Begrenztheit Ihres dem Grünen Gewölbe gestohlen. In Berlin ist es das Deutschlandbildes aus. Ein Johann Gottfried Herder ist links-grüne Politgewölbe selbst, welches uns unsere na- Ihnen offenbar nur noch als Bestandteil mancher tionale Kultur und Identität rauben will, angeführt von Schulnamen bekannt. Verächtlichmachung des Eigenen einer Kanzlerin in schwarz-rot gefärbter Kleidung, aber auf der einen Seite und allgegenwärtiges Moralisieren mit gallegrünem Innenfutter, – und permanentes Aufzwingen einer maßlos überbetonten kulturellen Vielfalt auf der anderen Seite, das ist das (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Handwerk von Ideologen. Genau das zieht sich quer AfD – Zurufe von der CDU/CSU) durch Ihre Politik und liegt wie Krematoriumsasche über diesem Haushaltskapitel. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Kommen Sie zum Ende? 16302 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

(A) Martin Erwin Renner (AfD): Wenn Sie auch noch sagen, dass Deutschland sich selber (C) – und ihren botsmäßigen vielfaltsbunten Helfershel- abschafft, sage ich: Sie sind gerade dabei, den Anstand in fern. Ich sage Ihnen: Kehrt um, tut Buße, damit eure diesem Haus abzuschaffen, und das ist erbärmlich. Sünden getilgt werden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Danke schön. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie sind der Anstand, Herr (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Wi- Kahrs! Oh Gott! Armes Land! – Weitere Zurufe derlich – Martin Schulz [SPD]: So ein Faschist. von der AfD) Das darf nicht wahr sein, was hier alles möglich ist!) Um auf die Sachebene zurückzukommen – lassen wir sie weiterquaken –: Der Kulturetat, den diese Große Koa- lition zu verantworten hat, ist stark ausgeweitet worden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich möchte ganz besonders der CDU/CSU für die gute So, ich möchte nur darauf hinweisen, weil es offen- Zusammenarbeit danken. sichtlich Missverständnisse gibt: Bei mir handelt es sich um eine Präsidentin! (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit Recht!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Patricia Lips, mit dir ist das immer eine große Freude; der DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Etat spiegelt das ja auch wider. Der Kollege Rehberg tut CDU/CSU, der FDP und der LINKEN – Zuruf jetzt so, als wäre er bescheiden, aber er hat seinen Anteil des Abg. Martin Erwin Renner [AfD]) daran; wir alle haben das festgestellt. Wir haben hier ei- Das wollte ich einfach klarstellen, weil das einige Kol- nen Kulturhaushalt vorgelegt, den die Frau Staatsminis- legen der AfD immer noch nicht mitbekommen haben. terin jetzt entsprechend positiv und freundlich begleitet Ich weiß nicht, woran das liegt. An mir wahrscheinlich und exekutiert. Ich glaube, dass das eine gute Sache ist. nicht. Schauen wir uns die Ergebnisse an: Besonders bemer- Nächster Redner: Johannes Kahrs für die SPD-Frak- kenswert ist der Posten des Deutschen Fotoinstituts in tion. Düsseldorf. Herr Gursky hat die Anregung gegeben. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident liefert die (Beifall bei der SPD) Kofinanzierung. Mehr Große Koalition geht doch gar nicht. Johannes Kahrs (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (B) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (D) CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/ Kollegen! Man hat wieder einmal gesehen, was man hier CSU]: Na bitte!) rechts außen sitzen hat. Ehrlicherweise: Herr Gauland, Sie haben ja mal gesagt, dass Herr Höcke in der Mitte Ganz besonders stolz bin ich darauf, dass wir die Stif- der Partei angekommen ist. Das haben wir eben gerade tung Mitteldeutsche Schlösser und Gärten – für Sachsen- gehört. – Ein Grund mehr, diesen Verein zu verbieten. Anhalt und Thüringen – gegründet haben. Wir haben sie ausgestattet mit Mitteln für ein erstes Sanierungspro- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem gramm und Betriebskosten: 30 Millionen Euro vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bund, 30 Millionen Euro von den beiden Ländern. Das Rechtsextremisten wie Sie, die stehen mir bis hier, Frau heißt, man kann die deutsche Kultur erhalten, man kann Weidel. vor Ort etwas tun für das Handwerk, für den Tourismus, für die Wirtschaft. Das ist ein sehr gelungenes Paket. Man (Der Redner macht eine Handbewegung in sieht: Kultur funktioniert und wirkt, auch in dieser Groß- Höhe seines Halses) en Koalition. Nur dass Sie es einmal gehört haben. Eine Anmerkung sei mir gestattet: Ich glaube, dass es wichtig ist, auch wenn die Verhandlungen schon lange (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Was Sie hier geführt werden, dass in diesem Hohen Hause klarge- reden! Zumutung! Frechheit! Sie sind kein De- macht wird, dass es keine Entschädigung für die Hohen- mokrat, Herr Kahrs!) zollern geben wird. Kein Cent für das, was die abgeliefert Was hier eben abgelästert worden ist, ist unerträglich: haben! Die „Krematoriumsasche“ liegt über diesem Haushalt. – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was ist denn das für ein Vokabular? Schämen Sie sich denn überhaupt nicht? Ich glaube, es ist klar, dass das mit den Sozialdemokraten nicht zu machen ist. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abge- (Beifall bei der SPD) ordneten der CDU/CSU und der FDP) Ein weiterer Schwerpunkt in diesem Haushalt liegt auf Rechtsextremisten wie Sie sind eine Schande für dieses der Erinnerungskultur. Wir geben viel Geld aus, um ins- Land. besondere die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- tur, die Gedenkstätte Hadamar, die KZ-Gedenkstätte (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) Neuengamme und die Gedenkstätte Deutscher Wider- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16303

Johannes Kahrs (A) stand zu stärken. Man hat ja gesehen, dass die AfD es 180 Grad wollen wie Herr Höcke, braucht man mehr (C) dringend nötig hat. Vielleicht sollten Sie häufiger dort Investitionen in Erinnerungskultur. vorbeigehen. Vielleicht lernt man dann ja mal was. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Viel- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des leicht sollten Sie einmal über Kurt Schumacher BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lesen!) Solange genau die gleichen Leute das Mahnmal für die – Ja, genau. Als Vorsitzender der Kurt-Schumacher-Ge- ermordeten Juden Europas als Mahnmal der Schande be- sellschaft kann ich Ihnen sagen: Er würde sich schämen zeichnen wie Herr Höcke, braucht man mehr Geld für für Menschen wie Sie, Kultur, für Aufklärung, damit so etwas nicht wieder vor- kommt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der AfD) (Beifall bei der SPD) unanständig ohne Ende. damit diese Menschen keine Zukunft, keine Chance ha- (Martin Reichardt [AfD]: Sie sind unanstän- ben und dem nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr dig! – Weitere Zurufe von der AfD) angehören. Vielen Dank. Vizepräsidentin Claudia Roth: So, jetzt kommen wir bitte wieder runter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Johannes Kahrs (SPD): NISSES 90/DIE GRÜNEN) Genau. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Zurufe von der AfD) Vielen Dank, Johannes Kahrs.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Fabian Jacobi [AfD]: Nein, nein, wirklich nicht vielen Dank!) Jetzt kommen wir runter Nächster Redner: Hartmut Ebbing für die FDP-Frak- (Fabian Jacobi [AfD]: Sagen Sie das mal Herrn tion. Kahrs, bitte schön!) (B) (D) und überlegen, mit welchen Gesten wir uns gegenseitig (Beifall bei der FDP) Signale senden. – Das war jetzt diplomatisch ausge- drückt. Hartmut Ebbing (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Johannes Kahrs (SPD): Kollegen! Natürlich freue ich mich als Kulturpolitiker Ganz wunderbar. Und alles auf meine Redezeit, Frau ganz besonders, dass wir tatsächlich einen Aufwuchs im Präsidentin. Kulturetat haben. Langsam bekommt der Kulturetat die Bedeutung, die er haben soll. Denn wie schon unser Alt- bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte: Vizepräsidentin Claudia Roth: Nein, das schreiben wir gut. ... Kultur ist kein Luxus, den wir uns entweder leis- ten oder nach Belieben auch streichen können, son- Johannes Kahrs (SPD): dern der geistige Boden, der unsere innere Überle- Ich danke. – Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, dass bensfähigkeit sichert. man klare Kante gegen Geschichtsvergessenheit, Rechts- Auch gerade Erinnerungskultur ist, Herr Kahrs, wie wir radikalismus und Extremismus zeigt. sehen, sehr wichtig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Nichtsdestotrotz müssen wir natürlich sorgsam mit den LINKEN – Zurufe von der AfD) Steuergeldern umgehen. Diesem Gebot hat Staatsminis- terin Grütters mit dem Neubau des Museums der Moder- Ich glaube, solange in diesem Hohen Hause Menschen ne einen Bärendienst erwiesen. Anstatt – wie von der sitzen, die eine Zeit, in der über 6 Millionen Juden syste- Stiftung Preußischer Kulturbesitz ursprünglich ge- matisch ermordet wurden, als Vogelschiss in der deut- wünscht – ein bescheidenes und dennoch besonders Mu- schen Geschichte bezeichnen, weiß man, dass Erinne- seum für die Kunst des 20. Jahrhunderts zu errichten, hat rungskultur notwendig ist, Herr Gauland. sich Frau Grütters über alle Expertenmeinungen hinweg- gesetzt. Jetzt wird das Museum nicht nur 60 Prozent größ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten er, sondern auch doppelt so teuer wie ursprünglich ge- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des plant. Die Staatsministerin betreibt hier Politik nach BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gutsherrenart. Das Ziel ist offenbar ganz eindeutig, sich Solange in der AfD Leute das Sagen haben, die in Bezug ein möglichst großes und sichtbares Denkmal zu schaf- auf die Nazizeit eine erinnerungspolitische Wende um fen. 16304 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Hartmut Ebbing (A) Sie müssen sich das mal vorstellen: Bis zwei Tage vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) der entscheidenden Sitzung im Haushaltsausschuss hatte und bei der FDP) die Staatsministerin dem Ausschuss noch nicht einmal eine detaillierte Kostenaufstellung für die von ihr zusätz- Das Scheitern war ja vorprogrammiert. Sie haben zu lich gewünschten 250 Millionen Euro vorgelegt. Aber die Beginn versäumt, klare Strukturen zu schaffen. Stattdes- Haushaltspolitiker der Koalition scheint das offenbar gar sen wurde die besagte Staatsministerin für Digitalisierung nicht gestört zu haben; denn sie haben dieses Projekt ohne eingesetzt, die weder ein Budget noch wirklich Durch- Weiteres durchgewunken. Da bin ich ganz bei Frau setzungskompetenzen hat. Das musste schiefgehen. Jetzt Hajduk; sie sitzt gerade dort hinten. Wir haben wirklich kommen Sie mitten in der Legislaturperiode mit dem Vor- probiert, die Kosten sachlich nachzuvollziehen. Dies war schlag: Ach, vielleicht gründen wir doch noch ein Digi- uns aber nicht möglich. talministerium. – Die FDP freut sich natürlich darüber. Grundsätzlich ist die Erkenntnis, dass sich da was ver- Ähnlich unverständlich ist für mich und vermutlich ändern muss, richtig. auch einen Großteil der Bürgerinnen und Bürger die teils eigenwillige Verteilung der Gelder in der Bereinigungs- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sitzung. So kommt es durchaus zustande, dass die Stadt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hamburg in dieser Sitzung wie durch Geisterhand eine zusätzliche Kulturförderung des Bundes in Höhe von Aber jetzt mitten in der Legislaturperiode ein ganzes Mi- 36 Euro pro Einwohner erhält. Im Vergleich dazu: Ba- nisterium aufbauen zu wollen, kann doch wirklich nicht den-Württemberg erhält nur 4 Euro, Bayern 3 Euro, Bran- Ihr Ernst sein. Ich meine, es würde mindestens zwei Jahre denburg sogar nur 2,50 Euro pro Einwohner, und Rhein- dauern, bis dieses Ministerium handlungsfähig wäre. So land-Pfalz und nach meiner Kenntnis auch das viel Zeit haben wir nicht mehr. Wir brauchen jetzt mehr gehen gänzlich leer aus. Hier werden enorme Summen für Dynamik in der Digitalisierung. teils zweifelhafte Projekte vergeben. So fördert der Bund (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nun mit einer hohen Summe das Reeperbahn Festival und sowie bei Abgeordneten der FDP) gibt Geld aus für die Neugestaltung des Vorplatzes der Michaeliskirche in Hamburg. Sind solche Projekte wirk- Unser Vorschlag dafür ist sehr klar. Wir schlagen ein lich von nationaler Bedeutung, wie es eigentlich sein Digitalbudget in Höhe von 500 Millionen Euro vor. Dies sollte, wenn wir Bundesmittel ausgeben? Oder kann es könnte man sofort angehen. Das wäre zusätzliches Geld. sein, dass hier gezielt Klientelpolitik betrieben wird? Neben den Investitionen in Infrastruktur und in digitale Verwaltung, die alle dringend notwendig sind, brauchen Vielen Dank. wir auch ein Budget, das für innovative Projekte der ein- (B) (Beifall bei der FDP) zelnen Ministerien zur Verfügung steht. Es muss eine (D) Motivation geben, neue Projekte aufzulegen, die schnell starten können. Wir müssen ins Ausprobieren kommen, Vizepräsidentin Claudia Roth: statt Mammutprojekte anzugehen, die am Ende nie fertig Vielen Dank, Hartmut Ebbing. – Nächste Rednerin: für werden. Dafür brauchen wir ein Digitalbudget. Wir soll- Bündnis 90/Die Grünen Dr. Anna Christmann. ten uns nicht weitere zwei Jahre lang mit internen Struk- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) turen beschäftigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Als Grüne wissen wir sehr genau: Neben der ökologi- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und schen Transformation ist die Gestaltung der digitalen Kollegen! Auch wenn ich persönlich ihn als Vorsitzenden Transformation eine der zentralen Herausforderungen des Ausschusses Digitale Agenda leider nur sehr kurz für die Sicherung unserer Zukunft. Es geht um Wohl- kennenlernen durfte, möchte ich zu Beginn auch im Na- stand. Dafür brauchen wir Investitionen in digitale Ver- men meiner Fraktion meine tiefe Bestürztheit ausdrü- waltung, in eine gute Netzabdeckung und digitale Bil- cken. Mit hat uns diese Woche einer der dung. Dabei geht es auch um soziale und nachhaltige Pioniere der Digitalpolitik verlassen. Unser ganzes Mit- Innovationen. Hierfür würden wir die Digitalisierung ger- gefühl gilt seiner Familie und seinen Freunden. Wir wün- ne stärker nutzen. Nutzen wir endlich dieses Potenzial, schen viel Kraft in diesen schweren Stunden. statt weitere zwei Jahre Zuständigkeiten zu sortieren! Denn wer gestalten will, muss das heute tun, im Hier (Beifall im ganzen Hause) und Jetzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute in dieser Debatte auch über den Digitalhaushalt. Das kann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) leicht vergessen werden, weil es diesen Digitalhaushalt nicht so richtig gibt. Nicht mal die zuständige Staatsmi- Vizepräsidentin Claudia Roth: nisterin hat einen Überblick, wie viel wir eigentlich für Vielen Dank, Dr. Anna Christmann. – Nächste Redne- Digitalisierung ausgeben. Ich frage mich wirklich, wie rin: für die CDU/CSU-Fraktion Patricia Lips. man ernsthaft von einer Umsetzungsstrategie Digitalisie- rung sprechen kann, wenn man nicht mal eine Ahnung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- davon hat, wie viel Geld überhaupt zur Verfügung steht. neten der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Bra- Das ist keine Digitalpolitik. Das ist das pure Chaos. vo!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16305

(A) Patricia Lips (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der Mitt- ordneten der SPD und der FDP) wochvormittag einer Haushaltswoche wie dieser ist tradi- Aber natürlich unterstützen wir wie immer auch über- tionell dem Kanzleretat gewidmet – mit mehr oder weni- regionale Musikangebote und Museen – ja, auch das Mu- ger viel Temperament in einer Generaldebatte über seum der Moderne, mit allen vereinbarten Kontrollme- verschiedene aktuelle politische Felder hinweg und chanismen. Wir unterstützen darüber hinaus kleinere durchaus kontrovers; so soll es auch sein. Ebenso tradi- und größere Museen mit ihren jeweils einzigartigen An- tionell folgt an dieser Stelle – wir haben es jetzt schon geboten. Wir unterstützen die Kreativwirtschaft, und wir einige Male gehört – ein weiteres Thema, welches nicht unterstützen natürlich auch die Arbeit des Dachverbandes immer gleich im Fokus steht, welches eigentlich eher der Amateurmusik ebenso wie die des Deutschen Chor- verbindet als trennt und damit unser Leben ebenso prägt, verbandes und anderes mehr. Basis für ihre Arbeit und nämlich die Kultur. ihre Motivation ist die verbriefte Freiheit der Kultur- Rund 120 Millionen Euro haben wir im Haushaltsaus- schaffenden in unserem Land – ein hohes Gut. schuss zusätzlich für 2020 beschlossen. Damit haben wir rund 150 Projekte auf den Weg gebracht und den Etat der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kulturstaatsministerin im Kanzleramt erstmals auf knapp Ich wende mich noch einmal an Sie, Herr Renner und 2 Milliarden Euro steigern können. Kolleginnen und Kollegen der AfD: Diese Menschen zer- setzen nicht unser Land, diese führen es zusammen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kolleginnen und Kollegen von der AfD – insbesondere (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Renner –, es gab noch nie so viel Kultur des Bundes neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE wie heute. Darauf sind wir stolz. Lassen Sie mich bereits GRÜNEN) an dieser Stelle den unzähligen Kulturschaffenden für Einen großen Anteil am Kulturhaushalt nehmen jedoch ihren Einsatz und ihre Kreativität in diesem Land – oft auch diesmal wieder zahlreiche Investitionen in den Er- im Ehrenamt – ausdrücklich danken. halt der Bausubstanz ein, in unser Erbe, von der Grillen- burg in Sachsen über den Wasserturm in Mannheim, von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Burganlage Blankenberg oberhalb der Sieg bis zur neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Klosteranlage Michelfeld in der Oberpfalz. Sie stehen GRÜNEN) für viele mehr. Sie alle sind Leuchtstürme, sie stiften Kultur bietet natürlich auch einen Blick auf unsere Identität und prägen ihre jeweilige Region. Demokratiegeschichte und auf unsere Erinnerungskultur. (B) (D) In diesem Jahr haben wir den Mauerfall gefeiert und (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ „100 Jahre Weimarer Reichsverfassung“ gedacht. Im CSU]) kommenden Jahr erwarten uns die Jubiläen „30 Jahre Das ist unser Erbe, das wir von Bundesseite gerne auch Wiedervereinigung“, jedoch auch „75 Jahre Ende des unterstützen und das es zu bewahren gilt. Zweiten Weltkriegs“ – und damit auch das Ende einer schrecklichen Naziherrschaft. Das ist Grund genug – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Kahrs hat es bereits angesprochen –, diesmal Kolleginnen und Kollegen, alles in allem: Sprache, auch bei der Erinnerungskultur Schwerpunkte im Haus- Kunst, Bildung, Recht, Wissenschaft, Religion und die halt zu setzen. damit verbundenen baulichen Einrichtungen aus der Viel- Als zentrale Orte der Demokratieentwicklung in falt unserer Geschichte prägen unsere Gegenwart. Kultur Deutschland fördern wir die Sanierung der Paulskirche ist damit Brückenbauer und Botschafter zugleich. Auch in ebenso wie das Nationaltheater in Weimar, deshalb ist diese Gemeinschaftsaufgabe so wichtig, und die Stätte der verfassunggebenden Versammlung 1919. ich betone es noch einmal – wir haben es jetzt gerade Einrichtungen wie das Grenzmuseum Schifflersgrund gesehen –: Vielleicht ist sie heute wieder wichtiger denn je. (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) Auch mein Dank gehört Staatsministerin Monika und vor allen Dingen Point Alpha, beides Kooperations- Grütters und ihrem ganzen Team, den Kolleginnen und projekte der Länder Hessen und Thüringen, erinnern an Kollegen im Ausschuss, ganz besonders natürlich auch der ehemaligen Grenze nicht nur an die deutsche Teilung, dem Koalitionspartner – lieber Johannes, wir arbeiten da sondern auch an die ehemaligen Blöcke Ost und West wirklich gut zusammen – und vor allen Dingen allen während des Kalten Krieges. stillen Geistern, die in den vergangenen Wochen zum Ge- Wir wollen im kommenden Jahr mit der Konzeption lingen beigetragen haben. für ein Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewalt (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ und einem Campus für Demokratie auf dem Gelände der CSU] und Johannes Kahrs [SPD]) ehemaligen Stasizentrale beginnen. Besondere Orte der Erinnerungskultur aus dem dunkelsten Kapitel unserer Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Überzeugung: Geschichte stellen die Gedenkstätte in Hadamar, wo un- Wir haben auch diesmal wieder ein gutes Werk auf den zählige Menschen den Euthanasieverbrechen zum Opfer Weg gebracht. Verbessern, ergänzen andere Ideen haben fielen, und die Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg kann man immer. Am Ende sind die Wünsche groß, die dar. Ja, Kolleginnen und Kollegen, das gehört dazu. Mittel nicht immer in diesem Ausmaß. Aber ich glaube, 16306 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Patricia Lips (A) wir sind mit diesem Haushalt einen großen und einen netz ist der chinesische Konzern nicht erwünscht. Wieso (C) guten Schritt vorangegangen. sollten wir ihn an unsere kritische Infrastruktur lassen? Vielen Dank. Sie haben unseren Antrag damals abgelehnt und nun auf Ihrem Parteitag plötzlich den Weg für einen mögli- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- chen Ausschluss von Huawei geebnet. Die von Ihnen be- ordneten der SPD) schlossenen Sicherheitskriterien wird der chinesische Konzern wahrscheinlich nicht erfüllen können. Ich bin Vizepräsidentin Claudia Roth: gespannt, wie sich Frau Merkel dann verhalten wird; denn Vielen Dank, Kollegin Lips. – Nächste Rednerin: für die hat ja bereits im Vorfeld des Parteitages gesagt, dass die AfD-Fraktion Joana Cotar. sie sich nicht an den Parteitagsbeschluss halten möchte, wenn der Huawei von Anfang an ausschließt. Eine wirk- (Beifall bei der AfD) lich bemerkenswerte Aussage! Bei der AfD haben die Mitglieder das Sagen; der Parteitag ist das höchste Ent- Joana Cotar (AfD): scheidungsgremium. Bei der CDU hören alle aufs Kom- mando Merkel, und das ist der Grund für Ihre desaströse Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wir Politik. haben es auch heute wieder in vielen Reden gehört: Die Digitalisierung ist wichtig, die Digitalisierung bestimmt (Beifall bei der AfD) die Tagesordnung, die Regierung möchte die Digitalisie- rung aktiv voranbringen. Willkommen in der Märchen- Und ein letzter Punkt: Der Haushaltsauschuss hat be- stunde der Großen Koalition! schlossen, die Stiftung Datenschutz nicht mehr zu för- dern, die Stiftung, die für Aufklärung und Bildung sorgt. (Beifall bei der AfD) Sie stülpen den Menschen Vorschrift um Vorschrift über, lassen sie bei der Umsetzung alleine, und nun geben Sie Den schönen Worten hier im Plenum folgen allzu selten denen keine Gelder mehr, die Hilfe anbieten. Damit tatsächlich Taten – und wenn, dann meistens auf Druck schwächen Sie die Bürgerrechte, damit schwächen Sie der Opposition. die Freiheit der Bürger, und das ist eine Schande, aber Mit großem Interesse habe ich den Parteitag der CDU es passt ins Muster. letztes Wochenende verfolgt, und wie erstaunt war ich, als Vielen Dank. ich gehört habe, dass Sie plötzlich ein Digitalministerium einrichten wollen. Ich weiß gar nicht, wie oft ich an dieser (Beifall bei der AfD) Stelle genau die Einrichtung eines solchen Ministeriums (B) (D) gefordert habe. Sie haben mir jedes Mal erklärt, das sei Vizepräsidentin Claudia Roth: keine gute Idee, jedes Ministerium sei ein Digitalministe- Vielen Dank, Frau Kollegin Cotar. – Nächste Rednerin: rium und das sei vollkommen ausreichend. Und jetzt für die SPD-Fraktion Svenja Stadler. möchten Sie das Digitalministerium sogar noch in dieser Legislaturperiode einrichten. Was für ein erstaunlicher (Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Sinneswandel, werte Kollegen, den ich aber ausdrücklich Bravo!) begrüße! Svenja Stadler (SPD): (Beifall bei der AfD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Ich hoffe nur, Sie denken bei der Umsetzung auch an die Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen und vor den entsprechenden Durchgriffsrechte und Ressourcen. Sonst Bildschirmen! Wie Sie wissen, war am Montag der Inter- wird das wieder nix. nationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Viele von Ihnen haben in Pressemeldungen, Statements oder auf anderen Doch nicht nur beim Digitalministerium gab es einen Kanälen darauf hingewiesen. Sinneswandel; auch beim Thema DSGVO klingt die CDU plötzlich ganz anders. Die AfD hat von Anfang Gewalt gegen Frauen geht uns alle an. Zu oft sehen wir an darauf hingewiesen, dass mit der Datenschutz-Grund- weg, hören nicht wirklich hin, fragen nicht nach und ver- verordnung zwar auf die Großen namens Google und harmlosen. Jede dritte Frau in Deutschland hat in ihrem Facebook gezielt wurde, es aber die kleinen Betriebe Leben bereits einmal sexualisierte, körperliche, verbale und Privatpersonen getroffen hat, die mit diesem Büro- oder eben auch emotionale Gewalt erfahren. Das betrifft kratiemonster völlig überfordert sind. Sie haben mich für alle Frauen, und zwar aus allen sozialen Schichten. diese Feststellung letztes Jahr hier ausgelacht, liebe Kol- Vor ein paar Wochen kam ein Vater auf mich zu und legen, und nun lese ich, dass die CDU kleinere Organi- erzählte mir, dass seine verheiratete Tochter häusliche sationen nicht unnötig mit bürokratischen Vorschriften Gewalt erfährt – überwiegend verbal, aber mehr und mehr belasten will und eine Überarbeitung der DSGVO fordert. eben auch durch körperliche Übergriffe, wie auch immer Was soll man da noch sagen? AfD wirkt! die aussehen. Er fragte mich: Was kann ich tun? – Ja, was kann er tun? Mir fiel spontan das Hilfetelefon ein: (Beifall bei der AfD) 08000 116 016; eine Nummer, die auch Sie sich merken Ähnlich verhält es sich beim Thema Huawei. Auch hier sollten. Das ist eine Anlaufstelle für betroffene Frauen in hat die AfD bereits den Antrag gestellt, Huawei vom 5G- Notsituationen: 365 Tage im Jahr, 24 Stunden, kostenlos Ausbau auszuschließen. Im hochsensiblen Regierungs- und anonym, in 17 Sprachen. Wissen Sie was: Wir unter- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16307

Svenja Stadler (A) stützen das Hilfetelefon in 2020 mit über 8 Millionen Zu den jährlichen 30 Millionen Euro kommen 2020 (C) Euro. noch einmal 5 Millionen Euro hinzu. Mit diesem Geld besteht die Möglichkeit, neue Konzepte zur Schließung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von Lücken in Hilfesystemen und innovative Praxismo- der CDU/CSU) delle zur Unterstützung von betroffenen Frauen mit ihren Nicht nur deshalb muss es eine dauerhafte, professionelle, Kindern zu erproben. niedrigschwellige Hilfsangebotsform geben, sei es für 2017 hat die Bundesrepublik Deutschland die Istanbul- Betroffene, sei es für das Umfeld. Konvention anerkannt. Artikel 10 formuliert weitreichen- Mit haben wir eine tatkräftige Fami- de Anforderungen an den Aufbau einer Struktur, die lien- und Frauenministerin an unserer Seite, die dem The- staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt ge- ma die Bedeutung gibt, die es leider braucht. Sie hat im gen Frauen koordiniert, monitorisiert und evaluiert. Mit vergangenen Jahr die Initiative mit dem Runden Tisch 800 000 Euro starten wir im nächsten Jahr ebendiesen gegen Gewalt an Frauen ergriffen und alle Beteiligten – Aufbau einer unabhängigen Monitoringstelle. Soll ich Bund, Länder und die kommunalen Spitzenverbände – Ihnen was sagen: Das ist gut, das ist richtig, und es wird zusammengerufen; denn – machen wir uns nichts vor! – Zeit. dieses Problem können wir nur gemeinsam lösen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Was brauchen wir noch? Wir brauchen einfach das Deshalb ist es gut und richtig, dass wir für das Bundes- Wissen: Warum gibt es denn Gewalt an Frauen? Warum programm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ viel gibt es Menschenhandel? Wie passiert das? All das soll Geld in die Hand nehmen. Erstmalig investieren wir als eben in dieser Monitoringstelle erarbeitet werden. Dieses Bund in den kommenden vier Jahren 120 Millionen Euro. Wissen muss erhoben werden und in einen Gesamtkon- Das Geld fließt unter anderem in den barrierefreien Aus- text gestellt werden. Damit können wir dann Lücken im bau, in Umbau und Neubau von Frauenhäusern sowie System identifizieren oder Fehlentwicklungen erkennen Beratungsstellen in ganz Deutschland. Außerdem sollen und dann passgenaue Maßnahmen für Frauen, auch für neue räumliche Kapazitäten und innovative Wohnformen einzelne Frauen, entwickeln, die Gewalt erfahren. Da- für Frauen und ihre betroffenen Kinder geschaffen wer- durch können wir sie unterstützen. den. Ja, auch Kinder brauchen Hilfe und Unterstützung; (Beifall bei der SPD) denn sie müssen diese Bilder verarbeiten. Wir wollen nicht, dass Kinder denken, dass Gewalt an Frauen normal Keine Frau – ich sage Ihnen: keine Frau – hat es verdient, (B) ist, dass man Frauen Gewalt antun kann. dass ihr Gewalt widerfährt: weder verbal noch körperlich (D) noch sexuell. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das sind nur einige Maßnahmen. Sie werden mit Sicher- der CDU/CSU) heit nicht ausreichen; das streitet auch niemand ab. Aber Liebe Männer hier im Saal und an den Bildschirmen, sie sind ein erster Schritt. lehnen Sie jede Gewalt gegen Frauen ab! Jede Gewalt! Behandeln Sie Frauen gleichberechtigt! Lösen Sie doch Vizepräsidentin Claudia Roth: Sorgen und Probleme anders! Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ( [AfD]: Muslimische Mitbür- -bemerkung? ger! – Gegenruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Kann man an dieser Stelle mal Svenja Stadler (SPD): ruhig sein? Einfach mal Klappe halten! – Wei- Nein, danke. – Wir dürfen die Länder und Kommunen terer Gegenruf von der SPD: Unerträglich!) nicht aus der Pflicht entlassen; denn sie müssen sich ge- Aber gucken Sie nicht weg! Schweigen Sie nicht. Wenn nauso engagieren. es uns, das heißt den Männern und den Frauen, gemein- sam gelingt, nicht wegzugucken, nicht zu schweigen, (Martin Reichardt [AfD]: Ich hätte Sie gern dann sind wir zusammen stärker gegen Gewalt. etwas gefragt!) – Ich bin tatsächlich auf dem rechten Ohr total blind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des (Lachen bei der AfD) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich meine, taub. Ich komme zum Schluss. – In dieser Woche verab- schieden wir nun den Haushalt 2020, einen, wie ich finde, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sogenannten Zusammen-Haushalt: zusammen für den Also, ich bin auf dem rechten Ohr taub, aber nicht auf Klimaschutz, zusammen für soziale Gerechtigkeit, zu- dem rechten Auge blind. sammen für gleichwertige Lebensverhältnisse, zusam- men für Demokratie und Vielfalt, zusammen für Europa (Beifall bei der SPD – und gemeinsam gegen Gewalt an Frauen. Was soll ich [AfD]: Mit dem linken Ohr sehe ich besser!) also sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen? 16308 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Auf der anderen Seite stehen in diesem Haushalt trotz (C) Kommen Sie bitte zum Schluss. der Erhöhung gerade mal 3 Milliarden Euro für Umwelt und Klima zur Verfügung. Schauen wir uns den Haushalt noch mal genauer an: Fast die Hälfte dieser 3 Milliarden Svenja Stadler (SPD): Euro werden für Atomsicherheit und für die Endlagerung Ja, ich komme genau jetzt zum Schluss. – Die Koali- ausgegeben, also auch wieder für die Vergangenheit und tion sieht Probleme, packt an und setzt um, und so geht nicht für die Zukunft. Dieser Haushalt passt trotzdem 15- gutes Regieren. mal in den Militärhaushalt rein. Vielen Dank. Das heißt, wir haben im Augenblick doch die Situation, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass wir eher in die Vergangenheit investieren, dass wir der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Sehr eher in Unsicherheit investieren und dass wir nicht in die gute Rede!) Zukunft investieren. Wir bräuchten ein riesengroßes Pro- jekt. Früher hat man immer vom „Landung auf dem Mond“-Projekt gesprochen. Es ist egal, wie man es nennt: Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich fordere, dass wir jedes Jahr 2 Prozent des Bruttoin- Vielen Dank, Svenja Stadler. – Nächster Redner: landsproduktes, also 68 Milliarden Euro, für einen Green Marco Bülow. New Deal, für einen sozialen Green New Deal ausgeben, für ein Zukunftsprojekt, das in Bildung, in Forschung, in Marco Bülow (fraktionslos): erneuerbare Energien, in Klimaschutz und in die soziale Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Sicherheit investiert. rede noch im Rahmen der Generaldebatte zum Gesamt- Das wäre ein Projekt, mit dem wir punkten könnten. haushalt. – Die Bundesregierung hat was geschafft, was Das wäre ein Projekt, mit dem wir die Zukunft sichern selten ist: Sie hat es geschafft, dass Arbeitgeber und Ge- könnten. Ich verlange von dieser Bundesregierung, genau werkschaften gemeinsam eine Erklärung verfasst haben, da endlich umzusteuern. dass Deutschland doch endlich mehr, und zwar deutlich mehr, investieren soll, beispielsweise in neue Technolo- Vielen Dank. gien, in die erneuerbaren Energien. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Chor wird lauter. Ob Arbeitgeber, ob Gewerk- schaften, ob OECD, ob Europa, alle sagen: Die Deut- schen sollen mehr investieren. – Aber nein, die GroKo Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) hält an ihrem neoliberalen Dogma der schwarzen Null Vielen Dank, Marco Bülow. – Nächste Rednerin: für (D) fest. Dabei müssten wir doch gerade jetzt dringend sehr die CDU/CSU-Fraktion Nadine Schön. viel in unsere Zukunft investieren, in unsere Köpfe und in das Leben der Menschen, die jung sind und das Land (Beifall bei der CDU/CSU) irgendwann sozusagen übernehmen werden. Nadine Schön (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Tun wir Kollegen! Das ist keine Haushaltsdebatte wie jede ande- ja auch!) re; denn mit diesem Haushalt starten wir in das nächste Aber es ist auch ohne Schulden eine Menge Geld da; Jahrzehnt: ein Jahrzehnt, das darüber entscheiden wird, darüber wird meistens nicht diskutiert. Beispielsweise ob wir künftig eine relevante Rolle in der Welt spielen; geben wir jedes Jahr 40 bis 60 Milliarden für Subventio- ein Jahrzehnt, das darüber entscheiden wird, ob wir in nen aus, die gesundheits- und umweltschädlich sind. Wir puncto Innovation und Wirtschaft führend sind oder am häufen diese Subventionen an, aber wir bauen sie nie ab. Tropf anderer hängen; ein Jahrzehnt, das uns auch gesell- Ein ziemlich großes Fass, aus dem man Geld rausnehmen schaftspolitisch fordern wird. könnte! Unser Ziel als CDU/CSU-Fraktion ist es, dass wir im Oder nehmen wir mal das Verteidigungsministerium Jahr 2030, wenn wir auf die jetzt vor uns und dann hinter und das Militär! Eine der ersten Amtshandlungen der uns liegenden zehn Jahre zurückschauen, sagen: Ja, 2020 Verteidigungsministerin war es, in die USA zu reisen, gab es eine wirtschaftlich unruhige Zeit und auch gesell- um noch mal deutlich zu machen, dass sie auf jeden Fall schaftliche Spannungen. Aber wir haben es geschafft, 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung neue Dynamik zu bekommen. Wir haben es geschafft, ausgeben will. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass das riesengroße Potenzial, das in unserem Land liegt wir in Zukunft 68 Milliarden Euro für das Militär und und das auf unserem Kontinent liegt, zu entfachen und für Verteidigung ausgeben sollen. Schon jetzt sind es zu nutzen, und wir haben es geschafft, mit einer positiven 45 Milliarden Euro. Mit den beiden letzten Haushalten Zukunftseinstellung als Gesellschaft insgesamt voranzu- sind 6,5 Milliarden Euro dazugekommen – 6,5 Milliarden kommen und dabei zusammenzuwachsen. – Das ist unser Euro für eine Rüstungsspirale, die die Welt unsicherer Ziel für 2030, und das ist unsere Aufgabe für die nächsten und nicht sicherer macht, Mittel, die nicht für unsere Zu- zehn Jahre. kunft bestimmt sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der LINKEN) ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16309

Nadine Schön (A) Was brauchen wir dafür? Wir brauchen dafür vor allem kunfts- und Innovationsthemen. Ralph Brinkhaus hat es (C) mehr Selbstbewusstsein in Deutschland und in Europa – gesagt: Hier liegt unsere Priorität als Unionsfraktion. Alle und eine neue Haltung; denn Fakt ist: Wir kreisen zu sehr anderen Themen sind wichtig; aber die Investitionen in um uns selbst. Die Dynamik der IT-Giganten aus dem die Zukunft entscheiden über die Zukunftsfähigkeit unse- Silicon Valley betrachten wir mit Faszination und die res Landes und entscheiden darüber, ob wir 2030 auf gute Emporkömmlinge aus China mit gebotener Skepsis. zehn Jahre zurückblicken werden.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: „Empor- Es kann nicht sein, liebe Kollegen von den Grünen und kömmlinge“? Was für ein Quatsch! So eine Ab- anderen Parteien, dass die einzige Idee, die Sie für Zu- wertung!) kunftsinvestitionen haben, die ist, dass man einfach neue Wir müssen aber global denken und brauchen einen eige- Schulden macht. Auch das ist Politik auf dem Rücken der nen europäischen Weg zwischen den USA und China, nächsten Generation. Wir müssen es doch schaffen, Zu- einen Weg, der auf unseren Werten basiert, auf dem wir kunftsinvestitionen zu stemmen und trotzdem die schwar- aber trotzdem wettbewerbsfähig sind. Wir brauchen einen ze Null zu halten. Das, was wir geschafft haben – eine Sprung nach vorn. Und dieser Haushalt, den wir heute tolle Errungenschaft –, dass wir keine neuen Schulden verabschieden, setzt hier ganz entscheidende Akzente. machen, können wir doch nicht einfach so über Bord werfen, sobald es mal ein bisschen schwierig wird. Un- Mit Gaia-X hat sich Peter Altmaier auf den Weg ge- sere Aufgabe ist, dass wir beides schaffen: Zukunftsin- macht, eine eigene europäische Dateninfrastruktur und vestitionen und einen ausgeglichenen Haushalt. damit auch ein neues europäisches Selbstbewusstsein in der Digitalpolitik zu entwickeln. Die Ausgaben für Bil- (Beifall bei der CDU/CSU) dung und Forschung klettern auf einen neuen Höchst- stand, erreichen ein neues Rekordniveau. Wir probieren Das zwingt uns vielleicht dazu, mal darüber nachzu- ganz neue Sachen. Die Agentur zur Förderung von denken, ob wir in unserem Land nicht strukturell etwas Sprunginnovationen etwa wird dafür sorgen, dass aus ändern müssen. Es ist ja nicht so, dass wir nicht genug Ideen schneller Geschäftsmodelle werden. Geld hätten. Wir sehen doch nur, dass wir das Geld teil- weise nicht ausgeben können, dass wir offensichtlich Als Unionsfraktion denken wir weiter. Mit der Digital- strukturelle Probleme haben, die dazu führen, dass wir charta, die wir als Partei am letzten Wochenende auf un- zu langsam sind, dass es nicht vorangeht, dass die Men- serem Parteitag verabschiedet haben, schlagen wir einen schen das Gefühl haben: Wir kreisen nur um uns selbst eigenen, einen ganz neuen Ansatz vor und leiten damit und bekommen keine Investitionen mehr verwirklicht. einen Paradigmenwechsel ein: Statt wie die USA auf Da- (B) tensilos und Log-in-Effekte setzen wir auf offene Stan- (Dr. Florian Toncar [FDP]: Man könnte das (D) dards, offene Schnittstellen, auf die Vielfalt unserer Start- Geld den Bürgern zusichern! Man könnte die ups und Unternehmen sowie auf europäische Souveräni- Steuern senken, wenn man das Geld gar nicht tät dort, wo es notwendig ist. Weg von der Datensparsam- ausgeben kann!) keit hin zur Datensouveränität – das ist unser digitalpoli- tischer Ansatz, den wir vorschlagen für Deutschland und Ein bisschen stimmt das ja auch. Deshalb müssen wir weg auch für Europa. Das ist der Vorschlag, von dem wir von der Absicherungsmentalität. Wie viele Gesetze haben glauben, dass er den Unterschied macht zwischen den wir in Deutschland und in Europa in den letzten Jahren Vorgehensweisen in den USA und China und der uns geschaffen, die nur dazu dienen, uns abzusichern? einen europäischen Weg weisen kann. Datenschutz-Grundverordnung: Fühlen Sie sich durch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Datenschutz-Grundverordnung wirklich besser ge- Wir brauchen außerdem Investitionen in die Zukunft. schützt? Die meisten werden das mit Nein beantworten. Deshalb bin ich unserem Fraktionsvorsitzenden dankbar, Wir brauchen ein neues Datenschutzregime, das zwar den dass er bei den Verhandlungen zur Grundrente gesagt hat: Einzelnen schützt, das es aber trotzdem möglich macht, Wir können nicht nur in Rente investieren, sondern wir mit Daten zu arbeiten. Deshalb setzen wir mit der Digi- müssen auch dafür sorgen, dass wir in zehn Jahren hier talcharta auf Datensouveränität, auf Datentreuhändertum noch Jobs haben, dass wir wettbewerbsfähig sind, dass und auf Datenportabilität. Das ist unser neuer Ansatz. Das wir Zukunft haben. – Deshalb hat Ralph Brinkhaus dafür schützt die Menschen, ermöglicht zugleich aber Innova- gesorgt, dass wir als Deutschland 10 Milliarden Euro tionen. Hier brauchen wir einfach mal strukturelle Verän- Wagniskapital, also Investitionskapital, zur Verfügung derungen. Mit Geld allein kann man die Probleme nicht stellen, damit neue Geschäftsmodelle entstehen und lösen. wachsen können. Zu den 10 Milliarden aus Deutschland kommen 5 Milliarden Euro aus Frankreich. Auch das ist Wir brauchen einen ermöglichenden Staat, einen agilen ein deutliches Zeichen für das Einschlagen eines neuen und innovativen Staat, der auch mal Sachen ausprobiert, digitalpolitischen Weges und für ein neues Selbstbe- der Experimentierräume eröffnet und es ermöglicht, dass wusstsein gegenüber den USA und China. Menschen auch mal fernab von festgefahrenen Regulie- rungen neue Geschäftsmodelle, innovative Ideen auspro- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bieren können. Deshalb bin ich dankbar, dass Peter Von diesen Zukunftsinvestitionen braucht es mehr. Da- Altmaier mit den Reallaboren genau diesen Weg geht. für sorgen wir auch: im Breitbandausbau, im Mobilfunk- Davon brauchen wir viel mehr. Wir brauchen mehr ausbau, beim DigitalPakt Schule, bei vielen anderen Zu- Mut, mehr Zukunftsfreude, mehr Zukunftsinvestitionen. 16310 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: des bolivianischen Lithiumdeals ist die Bankrotterklä- (C) Und wir brauchen auch das Ende Ihrer Rede. rung Ihrer planerischen Zukunftsstrategie. Anstatt aus solchen Debakeln zu lernen, hintertreiben Nadine Schön (CDU/CSU): Sie die Entwicklung alternativer Technologien, wie zum Das ist unsere Aufgabe für die kommenden Jahre, da- Beispiel des erneuerbaren Ökodiesel. Die Verwerfungen mit wir 2030 auf zehn erfolgreiche Jahre zurückblicken Ihrer Weltrettungspolitik richten sich dabei gegen die können. Machen Sie alle bei dieser unserer Aufgabe mit! Schwachen, die Armen und die Familien. Ihre Revolution gegen den Individualverkehr trifft zudem alleinerziehen- (Beifall bei der CDU/CSU) de Frauen und Väter. Elektroautos sind der Luxus der Reichen. Mittelständler und Handwerker leiden darunter Vizepräsidentin Claudia Roth: ebenso wie die Bauern, die gestern vor dem Vielen Dank, Nadine Schön. – Nächste Rednerin ist Brandenburger Tor rebellierten. Sie machen eine Politik Dr. Frauke Petry. für die wenigen Zehntausend gegen die Mehrheit im Land und opfern die Vernunft auf dem Altar der Ideologie. Dr. Frauke Petry (fraktionslos): Wie Politik ohne Folgenabschätzung aussieht, haben Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Sie am Freitag gezeigt. Es sei wichtig – so sagten Sie –, Herren! „Die Welt schläft nicht“, haben Sie, Frau Bundes- „nicht die falschen Menschen“ einzuladen. Dabei spalten kanzlerin, auf dem CDU-Parteitag gesagt. Aber wer nicht Sie mit der irrwitzigen Umsiedlung Hunderttausender schläft, ist nicht zwingend wach. Betrachtet man die po- Geringqualifizierter aus dem Mittleren Osten und aus litische Lage abseits der deutschen Medienöffentlichkeit, Afrika unser Land und den Kontinent. Christliche Kon- wird eines klar: Unter dieser Großen Koalition verschlaf- vertiten dagegen werden von Behörden abgeschoben und wandelt Deutschland seine Zukunft, während andere Na- werden als Glaubensabtrünnige in ihrer Heimat verfolgt. tionen hellwach Politik betreiben. Während die Welt- Das ist keine Gerechtigkeit, Frau Merkel, das ist keine mächte in Syrien die Karten neu mischen, klammern Strategie. Das ist das blanke Recht des Stärkeren, dem Sie sich an moralische Appelle, die in Kriegszeiten noch diese Große Koalition den Weg geebnet hat. nie funktioniert haben. Während das Christentum im Na- hen Osten ausgelöscht wird, haben Sie den Verfolgern Trotzdem predigen Sie weiter eine offene Gesellschaft, massenweise Schutz geboten. Während die Welt die ohne zu erklären, dass Ihre vermeintliche Toleranz und Wertlosigkeit des Iran-Deals erkannt hat, haben Sie bis Offenheit ein Freibrief für archaische Lebensweisen, für zum letzten Moment daran festgehalten und unsere israe- Unterdrückung von Frauen und für Zerstörung der euro- päischen Kultur sind. Polizisten, Richter und Staatsan- (B) lischen Verbündeten düpiert. Und in der UNO heult der (D) Außenminister mit antiisraelischen und antiamerikani- wälte kapitulieren längst vor kriminellen und mafiösen schen Wölfen. Clanstrukturen, vor Gewalttätern, Vergewaltigern, vor Schlägern der Antifa, die jüngst in eine wehrlose In der Europäischen Union überlassen wir das Feld Frau dafür verprügelten, dass ihre Firma Wohnungen dem französischen Präsidenten Macron. Nicht Frau von bauen will. In Dresden hatte der Wachschutz des Grünen der Leyen, sondern Frau Lagarde ist die eigentliche Che- Gewölbes noch nicht einmal eine Dienstwaffe. Mit den fin der Europäischen Union. Die Finanz- und Wirtschafts- Mitteln unseres Rechtsstaates kommen wir gegen die of- politik des Kontinents wird in den kommenden Jahren fen zur Schau gestellte Verachtung für unser westliches eine französische und damit keine sparsame sein. Schlaf- Denken und Leben schon längst nicht mehr an. wandelnd überlassen Sie ihr die deutschen Sparschweine. Das nämlich zeichnet den Schlafwandler aus: Er kann Ich appelliere an Sie, Frau Bundeskanzlerin: Hören Sie begrenzte Absichten fassen und handeln. Was ihm fehlt, auf, zu schlafwandeln! Wenn Sie keine positive Vision für ist ein Gefühl für die Folgen. unser Land und für Europa haben, dann überlassen Sie endlich anderen das politische Ruder. So können Sie Ihre Nirgendwo erfüllen Sie diese Diagnose so entschieden Verantwortung für Deutschland am besten wahrnehmen. wie in Ihrer sogenannten Klimapolitik. Sie betrügen die Bürger und nutzen den allgegenwärtigen Klimawandel (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Klatscht ja ganz ohne Not für Steuererhöhungen und die Abschaf- gar keiner!) fung wirtschaftlicher und bürgerlicher Freiheiten. Wenn wider Erwarten in einigen Jahren die Katastrophenszena- Vizepräsidentin Claudia Roth: rien ausgeblieben sind, werden die wirtschaftlichen Vielen Dank, Frauke Petry. – Nächster Redner: Martin Schäden dennoch irreversibel und Deutschland im welt- Rabanus für die SPD-Fraktion. weiten Vergleich weiter abgestiegen sein. Sie wollen das Elektroauto, verzichten auf die Speicher und die erforder- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten liche Grundlast. Sie wollen eine seriöse Energie- und der CDU/CSU) Umweltpolitik betreiben, laufen aber dem Demagogen auf der Straße hinterher. Sie wollen Weltmarktführer Martin Rabanus (SPD): auf dem Gebiet der sauberen Energien sein, besitzen aber Herzlichen Dank, liebe Frau Präsidentin. – Liebe Kol- keine Schlüsselressourcen, ob Lithium, Kobalt oder Sel- leginnen und Kollegen! Auch in diesem Jahr diskutieren tene Erden. Die energiepolitische Unabhängigkeit von wir im Rahmen der Generaldebatte Aspekte von Kultur Kohle und Kernkraft tauschen Sie lieber gegen die Ab- und Medien, den Geschäftsbereich für Kultur und Me- hängigkeit von China und Drittweltländern ein. Das Ende dien, und das finde ich gut so. Man kann gleich am An- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16311

Martin Rabanus (A) fang sagen: Heute ist auch ein guter Tag für die Kultur- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) und Medienschaffenden in diesem Land. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Erneut stehen – auch dank des Einsatzes unserer Haus- Motschmann [CDU/CSU]) haltspolitikerinnen und Haushaltspolitiker – 30 Millionen Denn schon der Kulturetat im Regierungsentwurf war auf Euro für denkmalpflegerische Maßnahmen in der Region Rekordniveau, und der Deutsche Bundestag hat jetzt noch zur Verfügung. einmal knapp 130 Millionen Euro draufgelegt. Damit er- Zu den kulturpolitischen Großbaustellen will ich jetzt reicht er eine Rekordhöhe von fast 2 Milliarden Euro, zu gar nicht so viel sagen, weil das in der Debatte schon denen dann noch fast 900 Millionen Euro investive Mittel hinreichend geschehen ist. Ich hoffe und freue mich da- hinzukommen. Das ist noch einmal eine erhebliche Stei- rauf, dass im nächsten Jahr das Humboldt Forum produk- gerung im Vergleich zum letzten Jahr, und das ist eine tiv gehen kann, für das der Haushaltsausschuss ja noch gute Nachricht für die Kultur- und Medienschaffenden in einmal in die Tasche greifen musste. Aber ich bin da guter Deutschland. Dinge. Ich hoffe auch, dass die Kosten für das Museum (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Moderne, das uns nicht nur ein Strahlen auf die Ge- der CDU/CSU) sichter gebracht, sondern auch einiges an Kopfzerbrechen bereitet hat, in dem jetzt gefundenen Finanzrahmen blei- Der Sockel, auf dem wir jetzt, nach zwei Jahren, ste- ben werden. hen, gibt zugleich Anlass, eine Zwischenbilanz zu zie- hen – ich sage bewusst: Zwischenbilanz –, liebe Kolle- Ich möchte noch einmal auf zwei Punkte in der Erinne- ginnen und Kollegen. Für die SPD war es immer wichtig rungskultur, auf die schon eingegangen worden ist, hin- und bleibt es wichtig, zur Verbesserung der sozialen Lage weisen. Zum einen bin ich wirklich froh, dass es gelungen der Kulturschaffenden in diesem Land beizutragen. Des- ist, das Programm „Jugend erinnert“ noch einmal zu stär- wegen war es auch eine der ersten Maßnahmen, dass wir ken und 5 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. mit dieser Bundesregierung den Zugang für kurzfristig Beschäftigte zur Arbeitslosenversicherung verbessern (Beifall bei Abgeordneten der SPD) konnten, und das ist auch gut so. Zum anderen freue ich mich auch, dass die Gedenkstätte (Beifall bei der SPD) Hadamar als eine der wichtigsten NS-Gedenkstätten mit über 5 Millionen Euro jetzt einer Generalsanierung unter- Es wird auch weitergehen mit der Verbesserung der so- zogen werden kann. zialen Lage der Kulturschaffenden, indem wir jetzt (B) schauen, wie wir die sogenannten unstetigen Beschäftig- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) ten noch besser sozial absichern können, als das im Mo- der CDU/CSU) ment der Fall ist. Aber auch im Bereich der Medien, meine sehr verehr- Ein weiterer wichtiger Punkt auch der Koalition insge- ten Damen und Herren, gibt es Herausforderungen, die samt ist die Stärkung der Kultur im ländlichen Raum. Das wir meistern müssen. Die Anforderungen an Medien- haben wir uns im Koalitionsvertrag als einen Teil einer schaffende wachsen: durch zunehmenden Populismus, neuen Agenda für Kultur und Zukunft vorgenommen. durch Fake News, durch die Digitalisierung. Freier und Und genau darum geht es am Ende auch: Wir wollen unabhängiger Journalismus wird immer schwieriger. die Lebensverhältnisse in Stadt und Land in allen Berei- Deswegen haben wir uns als Koalition auch da eine ganze chen unseres Landes aneinander angleichen bzw. harmo- Reihe von Punkten vorgenommen, die ich nur stichwort- nisieren. Deswegen haben wir da als Koalition eine Men- artig nennen möchte: Da geht es im nächsten Jahr um die ge gemacht. Ich nenne beispielhaft das Programm Umsetzung des Urheberrechts, das für die Verlage, für LandKULTUR, in dem wir in diesem Jahr schon zahl- Journalisten und Kreative wichtig sein wird. Da geht es reiche Kulturprojekte in der Region fördern und 5 Millio- um die Erhaltung des Pressekodex, um neue Modelle zur nen Euro für ein Soforthilfeprogramm Kino bereitstellen Finanzierung regionaler und überregionaler Medien. Da konnten. Die Mittel in Höhe von 10 Millionen Euro wer- geht es auch um die Durchsetzung von qualitativen jour- den in 2020 wieder zur Verfügung stehen. nalistischen Inhalten und die Abgrenzung zu solchen, die Dazu gehört auch die Ausweitung des Programms „In- es nicht sind. Gerade in Zeiten von Fake News müssen vestitionen für nationale Kultureinrichtungen“, vormals wir dem Wirken von Rechtspopulisten durch Qualität, beschränkt auf den Osten Deutschlands, jetzt auf Gesamt- Offenheit und Meinungsfreiheit entgegenwirken. deutschland ausgeweitet und ausgestattet im Jahr 2020 (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hartmut mit 20 Millionen Euro. Ebbing [FDP]) Dazu gehört auch das „Zukunftsprogramm Kino“, das Schließlich freue ich mich auch, dass wir in den letzten wir im Jahr 2020 starten und für das wir insgesamt 17 Mil- Wochen schon ganz konkret Förderungen für Verlage und lionen Euro zur Verfügung stellen können. Auch das Medienschaffende durchsetzen konnten: Wir haben den kommt nicht nur, aber insbesondere den ländlichen Re- reduzierten Mehrwertsteuersatz im Jahressteuergesetz gionen, der Kultur im ländlichen Raum zugute. auch für die digitalen Verlagsprodukte zugänglich ge- Dazu gehört aber auch das Denkmalschutz-Sonderpro- macht, und wir sehen jetzt auch eine Förderung der Zu- gramm der Bundesregierung, das wieder aufgelegt wor- stellerinnen und Zusteller von Zeitungen und Anzeigen- den ist. blättern im Haushalt vor. 16312 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Martin Rabanus (A) Letzter Satz, werte Frau Präsidentin: Neben all dem ist Fatal an diesem Verlust ist die Bedeutung der Ob- (C) es uns auch gelungen, die als starke Stim- jekte für die historische Identität von Sachsen. me für Deutschland in der Welt auf Rekordniveau auszu- Und im Text hieß es: statten. Es ist eine Menge, was wir getan haben. Eine Menge ist noch zu tun. Packen wir es gemeinsam an! Wie in einem Brennglas zeigt sich die Bedeutung der … in Dresden geraubten Juwelen für Sachsens Ge- Herzlichen Dank. schichte und Identität … (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Was mich daran bewegt, ist, dass erst der Verlust von der CDU/CSU) Kunstwerken dazu führt, dass wir uns vor Augen führen, welche Bedeutung Kunst und Kultur in unserem Land Vizepräsidentin Claudia Roth: haben. Es geht dabei ja nicht um den materiellen Wert, Vielen Dank, Martin Rabanus. – Wir haben jetzt noch sondern um den ideellen Wert. eine Kollegin und einen Kollegen, die reden wollen. Ich An diesem traurigen Vorfall wird uns deutlich, wie bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen und wichtig das ist, was wir mit dem Kulturhaushalt tun, näm- diesen Reden ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Das gilt lich Kulturförderung. Das Ziel ist, diese Kultur in unse- zum Beispiel für Herrn Dobrindt, das gilt für Herrn rem Land zu unterstützen und zu fördern – inzwischen Hofreiter, für Herrn Brinkhaus, mit 2 Milliarden Euro, doppelt so viel wie beim Amtsan- (Otto Fricke [FDP]: Immer diese Fraktions- tritt unserer Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Des- vorsitzenden!) halb danke ich ihr und den Haushältern, dass sie diese 2 Milliarden Euro wieder bereitgestellt haben. Aber es für Herrn Grosse-Brömer, für Herrn Kubicki. könnte auch noch ein bisschen mehr sein; denn die Kultur hätte es verdient. (Zuruf von der LINKEN: Weitermachen!) – Nein, ich mache nicht weiter. Jetzt kommt Frau (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Motschmann, und sie hat es verdient, dass man sich hin- der SPD) setzt und ihr zuhört. Was passiert eigentlich mit diesem Geld? Über 400 Theater, über 80 Opernhäuser, über 7 000 Museen – allein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Berlin hat über 175 Museen – und 46 UNESCO-Welter- der SPD) bestätten werden zum Beispiel gefördert. Darüber hinaus Nächste Rednerin: Elisabeth Motschmann für die haben wir eine starke Kreativszene in Stadt und Land. Sie (B) CDU/CSU-Fraktion. generiert einen Umsatz – was viele auch nicht wissen – (D) von 170 Milliarden Euro jährlich. Diesen kreativen Köp- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fen möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken. ordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): der SPD) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen daran: Deutschland ist ein Kulturland. Auch ich rede zum Kulturhaushalt, ein Haushalt, zu Deutschland ist ein reiches Kulturland, und wir können dem Herr Renner von der AfD gesagt hat, über ihm liege darauf stolz sein. die Krematoriumsasche. Herr Renner, Ihre Rede war eine Drei Schwerpunkte aus diesem Haushalt möchte ich Schande. hervorheben: die Erinnerungskultur, die Musik und den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ländlichen Raum. bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Wir erhöhen – das ist auch schon gesagt worden – die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mittel für die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED- Sie haben die Kreativen, die Künstlerinnen und Künstler, Diktatur um 1 Million Euro. Mit 200 000 Euro – das mag beleidigt, und das lassen wir nicht zu. man als kleine Förderung betrachten – finanzieren wir zusätzliche Zeitzeugengespräche an den Schulen. Und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der wir finanzieren eine Machbarkeitsstudie für einen Ge- LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP denkort für die Opfer des Kommunismus. Dieses Signal und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist längst überfällig. Als Kulturpolitiker haben Sie sich abgemeldet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mich bewegt, dass gestern alle deutschen Zeitungen Im Bereich Musik unterstützen wir die „Initiative Mu- mit einem Kulturthema aufgemacht haben, nämlich mit sik“ mit zusätzlich 6,5 Millionen Euro. Davon fließen dem Kunstraub in Dresden. 1 Million Euro in die notwendige Digitalisierung von Musikklubs. Mit 4 Millionen Euro ermöglichen wir den (Stephan Brandner [AfD]: Toll!) Bau eines deutschen Chorzentrums und werden dadurch Interessant ist, wie das kommentiert wurde. Ich will Ihnen die Chortradition in unserem Land noch mal unterstrei- nur mal einige Zitate nennen. Ein Aufmacher lautete: chen. Und wir fördern die große Musikfestivallandschaft „Angriff auf Dresdens Herz“. Die „FAZ“ titelte in der in Deutschland. Dass das Musikfest Bremen dabei ist, Headline: freut natürlich eine Bremerin; aber viele andere sind auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16313

Elisabeth Motschmann (A) dabei. Sie strahlen ja alle in den ländlichen Raum, und Dr. Jens Zimmermann (SPD): (C) dazu möchte ich abschließend auch etwas sagen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Motschmann hat eben Es ist unglaublich beeindruckend, wie reich der länd- von den „alten Mauern“ gesprochen. In dieser General- liche Raum an kulturellem Erbe ist. Es ist absolut ver- debatte markiert das das Spektrum, worüber wir reden. tretbar, dass diese Schätze mit Bundesgeldern unterstützt Wir reden über alte Mauern und den Schutz, den sie brau- und gefördert werden. Kultur ist immer von nationaler chen. Wir reden aber natürlich auch über quasi neue Din- Bedeutung, weil sie den Zusammenhalt fördert, weil sie ge, nämlich über die Digitalisierung. identitätsstiftend ist und weil sie das Geschichtsbewusst- sein in unserem Land fördert. Deshalb ist es gut, dass das Es hat mich sehr gefreut, dass das Thema Digitalisie- Denkmalschutz-Sonderprogramm mit 30 Millionen Euro rung in dieser heutigen Generaldebatte einen so großen fortgesetzt wird. Raum eingenommen hat. Die Kanzlerin hat dazu auch einiges gesagt. Für uns als Sozialdemokratinnen und So- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. zialdemokraten ist klar, dass wir eine Welt brauchen, eine Sonja Amalie Steffen [SPD]) Welt wollen, in der die Interessen der Bürgerinnen und Wieder eine gute Investition in den Erhalt unseres reichen Bürger vor den Interessen von großen Unternehmen ste- kulturellen Bauerbes. Die vielen Kirchen und Klöster, die hen. Das gilt ganz besonders auch für die digitale Welt, saniert werden, sind wichtige Kulturorte auf dem Land. meine Damen und Herren. Diese alten Mauern ermöglichen kulturelles Leben. (Beifall bei der SPD) Kultureinrichtungen in unserem Land unterstützen wir Wir stellen mit diesem Haushalt die Weichen für die darüber hinaus mit Investitionen in Höhe von 55 Millio- Zukunft. Wir investieren deutlich mehr. Und natürlich nen Euro. gehören dazu auch effektive Strukturen, ja, auch in der Bundesregierung. Ich glaube, wir alle machen momentan Vizepräsidentin Claudia Roth: am Wochenende etwas Ähnliches: Wir schauen uns die Parteitage der geschätzten Kolleginnen und Kollegen im Kommen Sie bitte zum Ende. Fernsehen an.

Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): (Johannes Kahrs [SPD]: Nein, nie!) Ungern, Frau Präsidentin. Ich habe mir natürlich auch den Parteitag der Union so ein bisschen am Rande angeschaut. Wir als SPD haben das schon signalisiert: Es gibt jetzt eine Halbzeitbilanz, und (B) (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: diese Halbzeitbilanz sollte man doch auch nutzen, um zu Daran kann ich jetzt aber auch nichts machen. schauen, was man vielleicht in der zweiten Halbzeit besser machen kann. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genom- Ungern, meine Damen und Herren. – Ich will abschlie- men, was Frau Kramp-Karrenbauer in Richtung eines ßen – das muss man aber noch sagen –: Digitalministeriums gesagt hat. Was mich nur wundert, ist: Im gleichen Atemzug hat sie gesagt: keinerlei Verän- Vizepräsidentin Claudia Roth: derungen am Koalitionsvertrag. – Da muss man sich am Nein, bitte kommen Sie zum Ende. Ende schon auch mal entscheiden. Denn wenn man die Strukturen der Bundesregierung an dieser Stelle massiv ändern will, dann ist das für mich eine deutliche Verän- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): derung, meine Damen und Herren. Aber wir als SPD sind Ohne das ehrenamtliche Engagement so vieler könnten bereit, darüber zu reden. wir vieles nicht machen. Deshalb mein herzlicher Dank allen Ehrenamtlichen, die uns im Bereich Kultur unter- Ich will aber auch ganz klar sagen: Ein Digitalministe- stützen und diese Kulturlandschaft tragen. rium alleine wird die Probleme nicht lösen. Wir haben auch heute schon eine engagierte Staatsministerin im Vielen Dank, Frau Präsidentin. Kanzleramt, die einen guten Job macht. Aber dass vor allem unionsgeführte Ministerien und das Kanzleramt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- selbst die genannte Kollegin manchmal am langen Arm ordneten der SPD) verhungern lassen, können Sie durchaus heute schon in- tern ändern, meine Damen und Herren. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Vielen herzlichen Dank, Elisabeth Motschmann. – Lie- Bravo!) be Kollegen und Kolleginnen, ich bitte Sie noch mal um Aufmerksamkeit. Wir haben noch einen, den letzten, Es ist aber natürlich nicht nur mit Investitionen und mit Redner in dieser Debatte. Das ist für die SPD-Fraktion Strukturveränderungen getan. Wir müssen das digitalpo- Dr. Jens Zimmermann. litische Feld ganz klar als ein wichtiges Gestaltungsfeld sehen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir Akzente setzen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass wir uns eben nicht hinstellen und sagen: Gegen diese der CDU/CSU) großen Unternehmen, gegen diese Monopolisten können 16314 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Jens Zimmermann (A) wir nichts tun. – Das Gegenteil ist der Fall. Ich finde, Dieser Tage sind wir Gastgeber für das Internet Gover- (C) diese Koalition und die Bundesregierung haben das an nance Forum der Vereinten Nationen hier in Berlin. Der verschiedenen Stellen in den letzten Monaten deutlich Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guter- gemacht. res, hat uns gestern alle ermahnt, unsere Hausaufgaben zu machen. Wenn ich mir den Haushalt anschaue, dann kann Ich nenne einige Beispiele. Wenn über so eine private ich sagen: Das tun wir. Das ist ein großer Schritt hin zu parallele Digitalwährung wie Libra geredet wird, dann einer besseren digitalen Welt, in der vor allem auch un- begrüße ich es ausdrücklich, dass der Finanzminister an sere europäischen Werte eine Rolle spielen. dieser Stelle gesagt hat: Eine Währung gehört nicht in die Hände eines privaten Kartells, meine Damen und Herren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Grund [CDU/CSU]) bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin : Zu dem aktuellen Ausbau im Mobilfunkbereich sage Ich schließe die Aussprache. ich: Ja, es ist gut, dass wir die weißen Flecken mit zusätz- lichem Geld schließen. Aber wir müssen an dieser Stelle Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04, auch über unsere digitale Souveränität reden. Dabei geht Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der Aus- es nicht allein um die Frage, aus welchem Land ein Her- schussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der steller kommt. Wir alle wissen, dass das 5G-Netz eine Fraktion der AfD auf Drucksache 19/15502 vor. Wer Infrastruktur für die nächsten 10 bis 20 Jahre sein wird. stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Deswegen ist es gut, dass diese Koalition ganz klar sagt: Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist gegen die Die Sicherheitsbedenken, die es an dieser Stelle gibt, Stimmen der AfD-Fraktion von den übrigen Fraktionen müssen ernst genommen werden. Dafür brauchen wir des Hauses abgelehnt. eine klare Regelung, meine Damen und Herren. Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Dazu bitte ich die der CDU/CSU) Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Schriftführerinnen und Auch wenn das vielleicht nur etwas für Feinschme- Schriftführer an den vorgesehenen Plätzen? – Das ist der ckerinnen und Feinschmecker ist, erwähne ich es trotz- Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Einzelplan 04. dem: Der Finanzausschuss des Bundestages und das Ple- (B) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches (D) num haben in der letzten Sitzungswoche im Bereich des seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Finanzmarktes und der Zahlungsdienste ganz klare Kante Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- gezeigt, auch gegen große Unternehmen, die als Mono- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- polisten versuchen, sich in den Zahlungsverkehr hinein- ginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zudrängen und überall mit zu kassieren, und die vor allem wird Ihnen später bekannt gegeben1). versuchen, zu verhindern, dass es dort einen ordentlichen Wettbewerb und Auswahlmöglichkeiten für die Kundin- Nun bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nen und Kunden gibt. Deswegen ist es richtig, dass der nehmen und die entsprechende Ordnung herzustellen. Deutsche Bundestag im Bereich der Zahlungsdienste ein Das gilt im Übrigen nicht nur für die Reihen der Fraktio- ganz klares Stoppschild in Richtung eines großen ameri- nen, sondern auch für die Regierungsbank. kanischen Obsthändlers, möchte ich sagen, gestellt hat. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf: (Beifall bei der SPD) Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Warum ist das alles so wichtig? Wir müssen uns gerade im europäischen Kontext klar werden: Viele unserer eu- Drucksachen 19/13905, 19/13924 ropäischen Freunde schauen sehr genau auf das, was wir Die Berichterstattung haben die Abgeordneten in Deutschland machen. Wir sind an vielen Stellen ein Dr. Birgit Malsack-Winkemann, Alois Karl, Doris Vorbild, zum Beispiel, wenn es um den Infrastrukturaus- Barnett, Michael Georg Link, Michael Leutert und Ekin bau geht. Wir sagen: Es gibt Alternativen. Wir müssen Deligöz inne. uns dem nicht einfach hingeben und hinnehmen, dass zum Beispiel ein chinesisches Unternehmen der große Zu dem Einzelplan 05 liegen ein Entschließungsantrag Platzhirsch wird und europäische Wettbewerber vom der Fraktion der AfD und zwei Entschließungsanträge der Markt verdrängt. – Der Wirtschaftsminister redet gerne Fraktion Die Linke vor. Über die Entschließungsanträge davon, dass wir einen digitalen Airbus brauchen. Das ist werden wir am Freitag nach der Schlussabstimmung ab- ausdrücklich richtig. Aber ich will an dieser Stelle auch stimmen. sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen in Europa, die schon auf diesem Niveau sind, vor unlaute- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die rem Wettbewerb aus anderen Regionen geschützt werden. Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 1) Ergebnis Seite 16316 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16315

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abge- Und ganz nebenbei überging das Auswärtige Amt da- (C) ordnete Dr. Birgit Malsack-Winkemann für die AfD- mit – und das nicht nur in diesem Fall, sondern in der Fraktion. Vergangenheit regelmäßig – das Budgetrecht des Parla- ments sowie baufachliche und haushaltsmäßige Kontrol- (Beifall bei der AfD) len und verstieß damit fortgesetzt gegen geltendes Haus- haltsrecht. Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): Angesichts der langjährigen Rechtswidrigkeit dieses Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Tuns bleibt dem braven Steuerzahler ob dieser unverhoh- Weiter so, wir schaffen das – das ist offensichtlich die lenen Dreistigkeit schlicht die Spucke weg. Steuergeld- Devise des Auswärtigen Amtes. Nein, meine Damen verschwendung, Realitätsverweigerung, Gesetzesbruch – und Herren, Sie schaffen es nicht. Sie können es noch es gibt kaum etwas, was das Auswärtige Amt nicht zu nicht einmal. bieten hätte. Wiederholt haben wir, die AfD, darauf verwiesen, dass (Beifall bei der AfD – Stephan Brandner [AfD]: nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes im Au- Das Programm der Regierung!) gust 2018 das Auswärtige Amt keine Kenntnis über den Bearbeitungsstand seiner Zuwendungsverfahren und Ver- Und last, but not least: Realitätsverweigerung üben Sie wendungsnachweise über rund 2,46 Milliarden Euro im auch in Bezug auf die weltweit steigende Christenverfol- Bereich „humanitäre Hilfe und Krisenprävention“ hatte. gung. Aktuell droht durch die Offensive der Türkei ein Haben Sie daraus etwas gelernt? Nein und nochmals nein. Massenexodus Zehntausender Christen aus ihrer Heimat Im Gegenteil: Beratungsresistenz ist für das, was hier Syrien. Und das ist nur ein Beispiel von 143 Ländern, in fortgesetzt geschieht, noch ein milder Ausdruck, vor al- denen die Religionsfreiheit der Christen eingeschränkt lem wenn man bedenkt, dass sich an der ursprünglichen wird. Situation bislang nichts geändert hat; denn eine die Zu- Die Hilfsorganisation Open Doors schätzt die Anzahl wendungen bearbeitende Behörde mit 700 bis 1 000 der verfolgten Christen auf weltweit 200 Millionen. neuen Mitarbeitern ist im Wesentlichen erst ab 2021 vor- Christen sind die am meisten verfolgte Religionsgemein- gesehen. schaft. Ihnen muss unmittelbar geholfen werden, zumal Wir dagegen, die AfD, haben für 2020 die einzig sinn- unser Land traditionell christlich geprägt ist, was vor we- volle Konsequenz gezogen und aufgrund der Inkompe- nigen Jahren noch unbestritten gesagt werden konnte. tenz des Auswärtigen Amtes beantragt, die Ausgaben für (Beifall bei der AfD) (B) humanitäre Hilfe und Krisenprävention um insgesamt (D) mehr als 1,5 Milliarden Euro auf den Stand von 2012 Jedenfalls wir, die AfD-Bundestagsfraktion, leben das zu kürzen. Christentum, und das zeigt sich nicht nur am Kreuz an der Wand im Fraktionssaal. (Beifall bei der AfD) Beschämend ist, wenn Sie alle, und sogar die CDU/ Und was tun Sie? Als hätte sich an Ihrem Wissenstand CSU, die das C wie „Christlich“ in ihrem Namen trägt, und an Ihrer Kompetenz etwas grundlegend verbessert, unseren Antrag auf Zahlung von 200 000 Euro speziell planen Sie für 2020, für humanitäre Hilfe und Krisen- für verfolgte Christen ablehnt. Aber was ist von einer prävention circa 2 Milliarden Euro in einem einzigen Jahr CDU/CSU zu halten, die die Solidarität mit ihren ver- auszugeben, mithin eine Steigerung von fast 150 Millio- folgten christlichen Brüdern und Schwestern nicht mehr nen Euro im Vergleich zu 2018. Sie nehmen also wiede- lebt? rum in Kauf, circa 2 Milliarden Euro, und damit über ein Drittel des Budgets des Auswärtigen Amtes, weltweit un- (Beifall bei der AfD) geprüft zu verschleudern. Wie eh und je verschaffen Sie Hat eine Partei, die stattdessen lieber eine Organisation sich das gute Gewissen für Ausgaben in Milliardenhöhe wie UNRWA mit 18 Millionen Euro unterstützt, eine Or- nur auf dem Papier. ganisation, die muslimische palästinensische Flüchtlinge Und als wenn das geheuchelte Gutmenschentum nicht aufgrund eines größtenteils nur ererbten Flüchtlingsstatus genug wäre, hat das Auswärtige Amt jahrelang – man gegenüber allen anderen Flüchtlingen finanziell bevor- höre und staune! – außerhalb seiner Zuständigkeit soge- zugt, nicht ihren Bezug zum Christentum verloren? Gibt nannte große Baumaßnahmen durchgeführt. Hierzu teilte die CDU/CSU ihre ursprüngliche Identität etwa auf, und es große Baumaßnahmen in mehrere kleine Baumaßnah- das C in ihrem Namen bekommt in Wahrheit die Bedeu- men auf, um diese nach weniger strengen Regeln durch- tung des Halbmondes? – Ja, des Halbmondes. zuführen – wie die Generalsanierung der Kanzlei der (Beifall bei der AfD) Deutschen Botschaft in London. Ursprünglich 2006 als eine große Baumaßnahme mit einer Kostenobergrenze Wir, die AfD, stehen für den Mut zur Wahrheit, den von 10,9 Millionen Euro vorgesehen, teilte das Auswär- Mut, Wahrheiten auszusprechen, die andere aus lauter tige Amt diese in mindestens zwölf Einzelmaßnahmen sogenannter Political Correctness und parteiinterner Ab- auf, die zum einen bis heute noch nicht abgeschlossen hängigkeiten nicht mehr auszusprechen wagen, den Mut sind und zum anderen voraussichtlich insgesamt rund zur Wahrheit, wie ihn noch die frühen Christen hatten und 26 Millionen Euro kosten, also circa 150 Prozent mehr für den diese, von allen angefeindet und verfolgt, zu als ursprünglich geplant. Wer wohl hieran verdient? Kämpfern und teilweise sogar zu Märtyrern wurden. 16316 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) Wir, die AfD, sind in diesem Sinne heute christlicher als Vizepräsidentin Petra Pau: (C) jede andere Partei in diesem Hohen Haus. Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte (Beifall bei der AfD – Zurufe von der CDU/ Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Einzel- CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: plan 04, Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Oh!) Bundeskanzleramtes, bekannt: abgegebene Stimmkarten Ich wünsche allen eine besinnliche Adventszeit. 656. Mit Ja haben 372 Abgeordnete gestimmt, mit Nein Danke schön. 283. Es gab eine Enthaltung. Der Einzelplan 04 ist ange- nommen. (Beifall bei der AfD)

Endgültiges Ergebnis (Altötting) Abgegebene Stimmen: 656; Dr. davon Axel E. Fischer (Karlsruhe- Alois Karl Dr. Angela Merkel ja: 372 Land) nein: 283 Torbjörn Kartes Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans enthalten: 1 Dr. Michelbach Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Stefan Kaufmann Dr. (Hof) Ja CDU/CSU Karsten Möring Hans-Joachim Fuchtel Michael Kießling Elisabeth Motschmann Dr. Ingo Gädechens Dr. Axel Müller Dr. Dr. Gerd Müller Norbert Maria Altenkamp Sepp Müller Peter Altmaier Carsten Müller (Braunschweig) Carsten Körber Ursula Groden-Kranich Stefan Müller (Erlangen) Alexander Krauß Hermann Gröhe Dr. Dorothee Bär Klaus-Dieter Gröhler Dr. Günter Krings (B) Thomas Bareiß (D) Michael Grosse-Brömer Rüdiger Kruse Astrid Grotelüschen Dr. Georg Nüßlein Markus Grübel Dr. Roy Kühne (Börde) Manfred Grund Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Florian Oßner Andreas G. Lämmel Monika Grütters Henning Otte Dr. André Berghegger Fritz Güntzler Ulrich Lange Dr. Peter Beyer Dr. Jürgen Hardt Dr. Katja Leikert Dr. Dr. Christoph Ploß Dr. Michael Brand (Fulda) Dr. Dr. Reinhard Brandl Patricia Lips (Chemnitz) Alois Rainer Mark Helfrich Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Ralph Brinkhaus Dr. Gitta Connemann Dr. Thomas de Maizière Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Alexander Dobrindt Alexander Hoffmann Dr. Matern von Marschall Erwin Rüddel Hansjörg Durz Dr. Hans-Georg von der Marwitz Stefan Sauer Hermann Färber Hans-Jürgen Irmer Anita Schäfer (Saalstadt) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16317

(A) Dr. Wolfgang Schäuble Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen) (C) Susann Rüthrich Bernd Rützel Annette Widmann-Mauz Christian Schmidt (Fürth) Bettina Margarethe Dr. Wiesmann Johannes Kahrs Axel Schäfer () Nadine Schön Klaus-Peter Willsch Dr. Elisabeth Winkelmeier- Becker Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. (Weil am Rhein) (Wetzlar) Dr. Dr. Bärbel Kofler (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) SPD -Emre Michael Schrodi Dr. Ingrid Arndt-Brauer Martin Schulz Christian Lange (Backnang) (Spandau) Björn Simon Dr. Tino Sorge Doris Barnett Kirsten Lühmann Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Heiko Maas Sören Bartol Isabel Mackensen Svenja Stadler Dr. Bärbel Bas Martina Stamm-Fibich Sonja Amalie Steffen () (Rostock) Dr. Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. (B) (D) Christian Frhr. von Stetten Dr. Markus Töns Carsten Träger Dr. Marja-Liisa Völlers Siemtje Möller Dirk Vöpel Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Dr. Michelle Müntefering Dr. Dr. Rolf Mützenich Dr. Hermann-Josef Tebroke Gülistan Yüksel Hans-Jürgen Thies Dr. Ulli Nissen Dagmar Ziegler Dr. Dr. Dr. Mahmut Özdemir Dr. Jens Zimmermann Ulrich Freese () Aydan Özoğuz Nein Dr. Volker Ullrich AfD Angelika Glöckner Christian Petry Timon Gremmels Dr. (Kleinsaara) Michael Groß Achim Post (Minden) Dr. Johann David Wadephul Rita Hagl-Kehl Stephan Brandner Dr. Sascha Raabe Jürgen Braun Martin Rabanus Marcus Bühl Matthias Büttner Hubertus Heil (Peine) Sönke Rix (Hamburg) Dennis Rohde Tino Chrupalla Dr. Wolfgang Hellmich Dr. Joana Cotar Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Barbara Hendricks René Röspel Dr. Sabine Weiss (Wesel I) Dr. 16318 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

(A) Thomas Ehrhorn Ulrike Schielke-Ziesing Dr. (C) Berengar Elsner von Dr. Gronow Jörg Schneider Dr. Alexander Graf Lambsdorff Dietmar Friedhoff Christian Lindner Dr. Dr. Michael Georg Link Dr. André Hahn Markus Frohnmaier Dr. () Heike Hänsel Dr. Götz Frömming René Springer Matthias Höhn Dr. Alexander Gauland Beatrix von Storch Dr. Alice Weidel Dr. Jürgen Martens Dr. Frank Müller-Rosentritt Dr. Dr. Dr. (Lausitz) Armin-Paulus Hampel Dr. Christian Wirth Jan Korte Reinhold Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Roland Hartwig Dr. FDP Udo Theodor Hemmelgarn Dr. h. c. Ralph Lenkert Christian Sauter Michael Leutert Christine Aschenberg- Frank Schäffler Stefan Liebich Dr. Heiko Heßenkemper Dugnus Dr. Dr. Gesine Lötzsch Matthias Seestern-Pauly Nicole Höchst Martin Hohmann Dr. Dr. (Rhein-Neckar) Dr. Leif-Erik Holm Bettina Stark-Watzinger Norbert Müller () (Südpfalz) Dr. Marie-Agnes Strack- Zaklin Nastic Fabian Jacobi Dr. Marco Buschmann (B) Zimmermann Dr. Alexander S. Neu (D) Dr. Carl-Julius Cronenberg Petra Pau Britta Katharina Dassler Sören Pellmann Norbert Kleinwächter Bijan Djir-Sarai Christian Dürr Jörn König Hartmut Ebbing Tobias Pflüger Dr. Rainer Kraft Dr. Florian Toncar Dr. Rüdiger Lucassen Dr. Daniel Föst Otto Fricke Eva-Maria Schreiber Johannes Vogel (Olpe) Dr. Dr. Helin Evrim Sommer Dr. Birgit Malsack- Winkemann Katrin Helling-Plahr Dr. Hansjörg Müller DIE LINKE Volker Münz Dr. Doris Achelwilm Dr. Sebastian Münzenmaier Manuel Höferlin Gökay Akbulut Andreas Wagner Jan Ralf Nolte Dr. Christoph Hoffmann Dr. Dietmar Bartsch Lorenz Gösta Beutin Olaf In der Beek Matthias W. Birkwald Sabine Zimmermann (Zwickau) Tobias Matthias Peterka Dr. -Förster Paul Viktor Podolay Karsten Klein Jürgen Pohl Dr. BÜNDNIS 90/ Dr. Birke Bull-Bischoff DIE GRÜNEN Martin Reichardt Jörg Cezanne Martin Erwin Renner Dr. Lukas Köhler Sevim Dağdelen Annalena Baerbock Roman Johannes Reusch Fabio De Masi Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16319

(A) Dr. Ottmar von Holtz Beate Müller-Gemmeke (C) Dr. Dr. Franziska Brantner Dr. Kirsten Kappert- Dr. Jürgen Trittin Gonther Dr. Dr. Anna Christmann Ekin Deligöz Katja Keul Cem Özdemir Beate Walter-Rosenheimer Katja Dörner Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Katharina Dröge Sylvia Kotting-Uhl Tabea Rößner Christian Kühn (Tübingen) Claudia Roth (Augsburg) Fraktionslos Stephan Kühn (Dresden) Corinna Rüffer Renate Künast Marco Bülow Dr. Katrin Göring-Eckardt Markus Kurth Dr. Frauke Petry Stefan Schmidt Charlotte Schneidewind- Anja Hajduk Sven Lehmann Hartnagel Enthalten Britta Haßelmann Steffi Lemke Kordula Schulz-Asche Fraktionslos Dr. Bettina Hoffmann Dr. Tobias Lindner Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Anton Hofreiter Claudia Müller Kuhn

Das Wort hat jetzt die Kollegin Doris Barnett für die sen gibt bei denen, die dort Hilfe leisten. Wir haben hier SPD-Fraktion. Konkurrenz: Die USA, Russland, China, die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien, alle greifen ein, alle wollen helfen. (Beifall bei der SPD) Aber ich denke, dass das jetzt auch eine Chance sein kann für Europa. Deutschland ist hier ein verlässlicher Partner. Doris Barnett (SPD): Wir unterstützen die UN, wir unterstützen die humanitäre Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Hilfe und Krisenprävention. Gerade bei der humanitären einer Demokratie darf jeder seine eigene Meinung haben Hilfe haben wir für nächstes Jahr noch mal 60 Millionen und auch sagen. Deswegen dürfen Sie von der AfD hier Euro draufgelegt. Wir wollen dort helfen, wo Menschen (B) sagen, was Sie wollen – auch wenn es nicht stimmt. in Not sind, wo sie flüchten und vertrieben werden. (D) Wir reden jetzt über den Einzelplan 05, über das Aus- Wir unterstützen aber auch die Länder, die an diese wärtige Amt, dessen Budget im nächsten Jahr um krisengeschüttelten Länder angrenzen und die Flüchtlin- 191 Millionen Euro anwachsen und den Umfang von ge aufnehmen. Das sind Jordanien, der Libanon, Ägyp- 5,929 Milliarden Euro haben wird. Und wenn man sich ten, die Türkei, die zusammen fast über 10 Millionen den Haushalt genau ansieht, stellt man fest, dass er eine Flüchtlinge aufgenommen haben. Da helfen wir natürlich Geschichte erzählt. Er erzählt eine Geschichte davon, wie nicht, indem wir einfach nur Zelte liefern oder für Essen wir in einer Welt, die aus den Fugen geraten zu sein sorgen. Wir sorgen dort auch für die medizinische Ver- scheint, die es aber eben nur ein Mal gibt, zusammen- sorgung und für die Bildung, gerade der Kinder. Es geht leben wollen. uns natürlich auch darum, dass wir nicht nur den Flücht- Wir haben die Konfrontation der Blöcke des 20. Jahr- lingen helfen. Oft ist auch die dort lebende Bevölkerung hunderts Gott sei Dank überwunden. Das heißt allerdings nicht gerade die reichste, und auch dort greifen wir ein nicht, dass es keine neuen Konfrontationslinien gibt. und helfen, damit Friede herrscht und damit die Flücht- Nein, diese haben sich leider neu eröffnet – Stichwort linge dort bleiben können. „neue Freiheiten“, sprich: Arabischer Frühling. Es wur- den zwar Diktatoren verjagt, damit kehrte aber noch lange Neben der akuten Hilfe kümmern wir uns auch um die keine Ruhe in den Ländern ein. Im Gegenteil, die Macht- Krisenprävention. Dazu nutzen wir unser eigenes Zent- frage ist dort noch lange nicht entschieden, und die Leidt- rum für Internationale Friedenseinsätze. Aber Deutsch- ragenden sind – wie immer – die Zivilisten, die Zivil- land bietet Europa hier auch etwas: Für unsere Gemein- bevölkerung. Das spüren wir natürlich auch hier, wenn same Sicherheits- und Verteidigungspolitik liefern wir diese vor Hass, Krieg und Gewalt fliehen müssen und zu jetzt den zivilen Baustein, nämlich den Aufbau des Euro- uns kommen. Hier müssen wir eingreifen und helfen. päischen Kompetenzzentrums für Ziviles Krisenmanage- ment, das mit interessierten Mitgliedstaaten Standards für Humanitäre Hilfe und Krisenprävention sind uns des- die Aufgaben und Abläufe einer zivilen Krisenmanage- wegen ein hohes Gut; denn wir wollen vor Ort eingreifen mentmission der Europäer erarbeitet. und vor Ort helfen. Wir konnten die Mittel für die huma- nitäre Hilfe jetzt auf 1,64 Milliarden Euro anheben. (Beifall bei der SPD) Aber wir wollen eingreifen, und zwar auf Augenhöhe Hier sind wir dann insgesamt wieder glaubwürdig; mit den betroffenen Ländern zusammen. Wir wollen nicht denn wir erhöhen die Mittel für Abrüstung, Rüstungskon- die starken Beschützer sein und dann gleich wieder Blö- trolle, Nichtverbreitungszusammenarbeit um ein Drittel cke bilden, wohl wissend, dass es natürlich auch Interes- von 30 auf 40 Millionen Euro. Das ist wichtig; denn wir 16320 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Doris Barnett (A) unterstützen hier insbesondere die Initiativen, die sich mit dortige Zivilgesellschaft. Wir unterstützen das jetzt mit (C) der Verbreitung von Kleinwaffen befassen. 20 Millionen Euro, 4 Millionen mehr als bisher. Wir wissen um die Opfer der Kriege aus eigener leid- Wir halten auch die Mittel für die politischen Stiftun- voller Erfahrung und setzen uns deshalb auch für das gen auf hohem Stand; denn gerade sie sind diejenigen, die Gedenken an die Opfer ein. Sie sollen uns Mahnung den Zivilgesellschaften helfen, sich zu befreien, ein Stück und Auftrag zugleich sein. Aus diesem Grund stocken weit selbstständig zu werden. wir die Mittel für den Volksbund Deutsche Kriegsgräber- fürsorge im Ausland um 1,7 Millionen Euro auf. Insge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) samt gibt es dafür 19,5 Millionen Euro. Das ist auch not- Deshalb engagieren wir uns in vielfältigen Bildungsmaß- wendig; denn die Spendenbereitschaft lässt dramatisch nahmen, zum Beispiel in Museumskooperationen, und nach. Den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zu wir erhöhen die Mittel für Stipendien, die der DAAD unterstützen, ist ein Auftrag, den wir als Land haben. vergibt. Ich bin froh, dass wir jetzt endlich den Versor- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ursula gungszuschlag für unsere Lehrer an den deutschen Aus- Groden-Kranich [CDU/CSU]) landsschulen in Ordnung gebracht haben. Das war auch ganz wichtig. Darin zeigt sich der rote Faden der deutschen Außenpo- litik. Wir sind hier schlüssig. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP]) Die deutsche Außenpolitik ist dabei immer auch Teil der EU-Außenpolitik. Gemeinsam können wir aus der Natürlich liegt uns auch das Goethe-Institut am Her- Erfahrung des 20. Jahrhunderts zu einer Friedensmacht zen. Ich freue mich, dass es meinem Kollegen Alois Karl werden, die allerdings nicht wehrlos sein muss. Wir set- und mir gelungen ist, in Aserbaidschan und Armenien zen auf Gespräche, auf Verständigung, auf Diplomatie, nicht nur ein Goethe-Zentrum einzurichten, sondern die- gerade auch auf parlamentarische Diplomatie, die wir ses Zentrum jetzt auch zu einem echten Goethe-Institut Abgeordnete dort ausüben, wo wir in parlamentarischen auszubauen. Versammlungen sind, ob es jetzt beim Europarat ist oder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bei der OSZE. der CDU/CSU und des Abg. Frank Müller- Lassen Sie mich an dieser Stelle auch dem Kollegen Rosentritt [FDP]) ganz herzlich danken, der mit dafür ge- Diese Anstrengungen, dieses Wissen um Deutschland, sorgt hat, dass Russland wieder Teil des Europarates wird. um die deutsche Kultur sind kein Selbstzweck. Seit Jah- Denn wie sollen wir uns mit Ländern unterhalten, die gar (B) ren ist uns doch allen klar, dass wir Zuwanderung brau- (D) nicht da sind? Wenn wir nur über sie reden statt mit ihnen, chen. Es wird immer davon geredet, dass wir bis zu dann wird das nichts. 400 000 Menschen pro Jahr in unserem Lande brauchen, (Beifall bei der SPD) dass wir Fachkräfte brauchen. Deswegen gibt es ja auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Aber die, die kom- Aber welche Signale geben da deutsche Abgeordnete, men, sollen erst mal Deutsch lernen. Deswegen ist es die sich hier in Deutschland als Freund der Israelis und wichtig, dass unser Goethe-Institut vor Ort sich darum der deutschen Juden ausgeben, dann aber den Syrer Assad kümmert und den Leuten die deutsche Sprache beibringt, besuchen, der justament Raketen auf Israel abfeuert? Sa- bevor sie zu uns kommen. gen Sie von der AfD-Fraktion bloß, Sie wollten ihn mit Ihrem Besuch davon abhalten. Allerdings: Der Zuzug von Fachkräften fordert auch das Auswärtige Amt heraus. Konsulate sind überlastet – (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner das wissen wir ja alle –, die Terminvergabe, die Bearbei- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) tung von Anträgen dauern oft Monate. Aus diesem Grund Oder waren Sie wieder mal in den Restaurants in Damas- ziehen wir Konsequenzen. Das Amt hat da einen sehr kus unterwegs und haben sich angeguckt, wie schön doch vernünftigen Beschluss gefasst. Es richtet jetzt eine neue die Straßen sind, wenn kein Krieg herrscht? oberste Bundesbehörde ein, das Bundesamt für Auswär- tige Angelegenheiten. Hier werden dann die verschiede- (Stefan Keuter [AfD]: Herrscht auch keiner!) nen Verwaltungsarbeiten gebündelt, und hier findet sich Aussöhnung, friedliches Zusammenleben geht anders. dann auch der notwendige Sachverstand wieder, wenn es Aber das lernt die AfD entweder nicht oder vielleicht darum geht, Asylanträge oder Zuzugsanträge vernünftig doch noch; das werden wir sehen. und schnell zu bearbeiten. Wir zeigen mit dem vorliegenden Haushalt, wie das Eine solche oberste Bundesbehörde bietet auch die geht. Wir fördern Gedenkstätten und Jugendaustausch. Chance für Leute aus dem Auswärtigen Amt, dass sie Gerade dort legen wir einen Schwerpunkt. Uns sind Men- mal aus der Rotation eine gewisse Weile aussteigen. Aber schen, nicht Machthaber wichtig. Die Zivilgesellschaft nicht nur dafür braucht es Personal. Wir brauchen insge- steht bei uns im Mittelpunkt unseres Handelns. Offener samt für das Amt eine ordentliche Personalreserve. Die ist Austausch von Ideen in einer freien Welt ist uns wichtig. derzeit viel zu knapp. Das sieht selbst der Bundesrech- In einer Welt im Wandel braucht es oft Mut und nicht nungshof so. Aus dem Grund haben wir auch diesen Maß- Repressionen. Wir brauchen aufgeklärte Menschen. Des- gabebeschluss gefasst, der davon ausgeht, dass sich das halb erhöhen wir die Mittel für die Arbeit in den Ländern Bundesfinanzministerium mit dem Auswärtigen Amt zu- der Östlichen Partnerschaft und unterstützen somit die sammensetzt und eine Strategie für eine angemessene Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16321

Doris Barnett (A) Personalreserve ausarbeitet. Dann können wir auch die unglücklich. Ihre Reaktion darauf in der Türkei aber, Herr (C) von uns selbst und von außen gestellten Anforderungen Maas, war Ihres Amtes unwürdig. an ein modernes und aktives Auswärtiges Amt erfüllen. (Beifall bei der FDP) Ich möchte zum Schluss nochmals dem Minister, sei- Es ist richtig, dass der Auswärtige Ausschuss jetzt prüft, nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch unseren ob Ihre Amtsführung zu missbilligen ist. eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken, die uns geholfen haben in diesen Haushaltsverhandlungen. Besser war der Vorstoß von Annegret Kramp-Karren- bauer für einen Nationalen Sicherheitsrat. Der ist über- Vielen Dank. fällig. Es ist richtig: Deutschland braucht einen Ort, an (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dem wir in international komplexen Zeiten vernetzt den- der CDU/CSU) ken. Nahezu zeitgleich kommt der Vorschlag des Bundes- außenministers für einen europäischen Sicherheitsrat. Wir scheinen wirklich ratlos zu sein in der Außenpolitik: Vizepräsidentin Petra Pau: kein Nationaler Sicherheitsrat, kein Europäischer Sicher- Das Wort hat der Kollege Alexander Graf Lambsdorff heitsrat. Aber die Ratlosigkeit manifestiert sich besonders für die FDP-Fraktion. dann, wenn man fragt, was diese Räte eigentlich tun sol- len. Wie sollen sie arbeiten? Wer soll Mitglied werden? (Beifall bei der FDP) Soll der Nationale Sicherheitsrat auf dem Bundessicher- heitsrat aufsetzen, ja oder nein? – Keine Antwort aus der Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Bundesregierung. Wer soll Mitglied im europäischen Si- Frau Präsidentin! Frau Kollegin Barnett, die Personal- cherheitsrat werden? Wie wird die Arbeitsweise ausse- reserve, die Sie gerade angesprochen haben, steht ja im hen? Je konkreter es wird, je näher man einen Vorschlag Gesetz über den Auswärtigen Dienst. Ich freue mich, dass der Bundesregierung betrachtet, desto kleiner und wir- der Druck der FDP-Bundestagsfraktion geholfen hat, kungsloser wirkt die deutsche Regierung, meine Damen nach 25 Jahren der Umsetzung dieses Gesetzes etwas und Herren. näher zu kommen. Als ich damals als junger Attaché in den diplomatischen Dienst eingetreten bin, haben wir uns (Beifall bei der FDP) davon mehr und schnellere Fortschritte versprochen. Die Impulse in Europa setzen in dieser Zeit andere. Der französische Präsident brennt geradezu vor Ideen und (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tatendrang. Ob es die Reform der Beistandsklausel in NEN]: Jetzt geht es bergab!) der Europäischen Union ist, der Erweiterungsprozess, (B) Kann man das auch von der Außenpolitik der Bundes- die Wiederbelebung des Normandie-Formats, ein neuer (D) regierung sagen – etwas mehr, etwas schneller, etwas Dialog mit Russland, die Frage nach der Strategie der besser? Die Bilanz zur Halbzeit sieht leider anders aus. NATO, Emmanuel Macron forciert die Debatte. Einige Wir stellen fest: In der deutschen Außenpolitik fehlt es an Vorschläge gehen in die richtige Richtung, manche Vor- Konzepten und Ideen. Hans-Dietrich Genscher hat ein- schläge finden wir als Liberale falsch. Aber die Bundes- mal gesagt: „Politische Führung bedeutet gerade in Zeiten regierung ist völlig sprachlos, völlig ohne eigene Posi- des Umbruchs geistige Führung.“ tion. Niemand wird bestreiten, dass wir in Zeiten des Um- In der NATO führt das schwache Auftreten der USA zu bruchs leben. Es gibt tektonische Verschiebungen in der einem Führungsvakuum. Dabei hat sich das Sicherheits- internationalen Ordnung. Deutschland und Europa müs- umfeld der NATO in den letzten Jahren dramatisch ge- sen Wege finden, wie wir den Aufstieg Chinas managen. wandelt: Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim Das Reich der Mitte fordert uns gleichzeitig wirtschaft- durch Russland, der Konflikt in der Ostukraine, der Auf- lich, technologisch, gesellschaftlich und politisch heraus. stieg Chinas, die andauernden Konflikte in Syrien und Libyen, das drohende Ende der Atomwaffenkontrolle Es wäre die Aufgabe des Außenministers, Ideen zu zwischen den USA und Russland, all diese Entwicklun- präsentieren, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie wir mit gen erfordern Diskussionen über die Kernaufgaben und Menschheitsherausforderungen wie Klimawandel, Mig- die strategischen Leitlinien der Allianz. Ja, die Wortwahl ration, Digitalisierung umgehen oder wie wir den wach- des französischen Präsidenten war sicher unglücklich. senden Erwartungen unserer Verbündeten gerecht wer- Aber er hat seinen Finger in die Wunde gelegt: Das Bünd- den. Das Auswärtige Amt könnte dafür Impulsgeber nis muss strategisch neu denken, meine Damen und Her- sein. Doch die Herzkammer der deutschen Außenpolitik ren. fährt personell und finanziell nicht nur auf der Felge – die Fähigkeiten des Amtes und seiner Diplomatinnen und (Beifall bei der FDP) Diplomaten bleiben auch weitgehend ungenutzt. Deutschland hätte vor diesem Hintergrund längst eige- ne Ideen zur Zukunft der Allianz präsentieren können. (Beifall bei der FDP) Auch die Forderung nach einem neuen strategischen Es wundert daher überhaupt nicht, dass die CDU-Vor- Konzept ist überfällig. Das letzte Konzept stammt von sitzende, die Bundesverteidigungsministerin, versucht, 2010, die Realität hat es längst überholt. Nichts ist aus die politische Leerstelle in der deutschen Außen- und dem Auswärtigen Amt zu hören, nichts ist von Ihnen zu Sicherheitspolitik zu füllen. Der Vorschlag für eine hören, Herr Maas. Stattdessen haben Sie den Vorschlag Schutzzone in Nordsyrien war zeitlich und handwerklich gemacht, dass andere einen Vorschlag machen sollen: 16322 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Alexander Graf Lambsdorff (A) irgendwann, nächstes Jahr, vielleicht. Das ist zu wenig, kommen, einem Ergebnis, meine sehr geehrten Damen (C) meine Damen und Herren, das ist mutlos, das ist ratlos. und Herren, das dem Bundesaußenminister jetzt einen Haushalt von fast 6 Milliarden Euro beschert. So viel Genauso ratlos steht die deutsche Außenpolitik vor Geld war noch nie da, lieber Herr Bundesaußenminister; dem Zusammenbruch der globalen Rüstungskontrollsys- am Geld scheitert es also nicht, wenn wir unsere Aufga- teme. Sie haben sich um den Vertrag über Mittelstrecken- ben in den nächsten Monaten erfüllen, und ich bin sehr raketen gekümmert, als es fünf nach zwölf war. Was ist zuversichtlich, dass wir das machen werden. mit New START? 2021 läuft dieser Vertrag aus. Was ist mit Open Skies? Die Amerikaner haben Europa gerade Meine Damen und Herren, es ist mir die Parabel von aufgefordert, zu sagen, was wir von Open Skies erwarten, der wundersamen Brotvermehrung eingefallen, als ich an welche Fragen wir beantwortet sehen wollen, damit die- dieser Rede schrieb. Es ist heute ähnlich gekommen wie ser wirklich wichtige Rüstungskontrollvertrag erhalten seinerzeit: Über Nacht sozusagen, noch in der Bereini- bleibt. Nein, ich sehe bei der Bundesregierung keinen gungssitzung, haben wir 160 Millionen Euro dazubekom- Gestaltungswillen, keine Konzepte, keine Ideen. men, um auf den verschiedenen Feldern unseren Haushalt doch noch glänzender darzustellen, als das sowieso schon Meine Damen und Herren, „Europa muss die Sprache der Fall war. der Macht lernen“, hat gesagt. Deutschland müsste sich eigentlich an diesem Lernpro- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Anders als bei zess beteiligen. der Brotvermehrung kommt das Geld aber vom Steuerzahler!) Vizepräsidentin Petra Pau: – Damals kam das ja vom lieben Gott selber. Verstehen Kollege Lambsdorff, Sie können selbstverständlich Sie, so können wir uns durchaus annähern: Sie sollten weiterreden, tun das dann aber auf Kosten Ihres Kollegen. mehr Beispiele aus der Heiligen Schrift nehmen; dann würden Sie manchmal auch nicht so unqualifiziert Ihre Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Wortbeiträge absenden. Dann mache ich es jetzt ganz kurz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Wir müssen endlich damit anfangen, die Werte, Ziele SPD und der FDP) und Interessen der deutschen Außenpolitik regelmäßig Ein Schwerpunkt unserer Haushaltsführung ist die hu- auszuformulieren. Wir brauchen eine Gesamtstrategie, manitäre Hilfe. Meine Damen und Herren, wir sind stolz die die Bundesregierung ein Jahr nach Beginn der Legis- darauf, dass wir in den weltweit erkennbaren Nöten, im laturperiode vorlegt, um endlich zu dem zu kommen, was Leid, bei den Bürgerkriegs- und Kriegsopfern, die wir (B) die Bundeskanzlerin heute Morgen den vernetzten Ansatz weltweit sehen, in den Hungersnöten unsere Möglichkei- (D) genannt hat. Nur so bekommen wir die Grundlage für eine ten ausschöpfen. Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik aus ei- nem Guss. Liebe Frau Malsack-Winkemann, was Sie heute hier wieder geboten haben, gereicht einer deutschen Parla- Herzlichen Dank. mentarierin wirklich nicht zur Ehre. Es ist eine Schande, (Beifall bei der FDP) muss ich sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Vizepräsidentin Petra Pau: SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Das Wort hat der Kollege Alois Karl für die CDU/ GRÜNEN und der Abg. Helin Evrim Sommer CSU-Fraktion. [DIE LINKE]) Ihr Auftritt war peinlich. Sie haben gesagt, wir sollten die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und humanitäre Hilfe auf den Stand des Jahres 2012 zurück- der SPD) kürzen, Alois Karl (CDU/CSU): (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten GRÜNEN]: Gleichzeitig sagt sie „christlich“! – Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegenruf der Abg. Ursula Groden-Kranich „Heureka!“, hat der griechische Held Odysseus ausgeru- [CDU/CSU]: Die weiß ja gar nicht, was das fen, nachdem er zehn Jahre im Trojanischen Krieg und ist!) dann zehn Jahre auf einer abenteuerlichen Heimfahrt ge- also um 1,5 Milliarden Euro herabsenken. Meine Damen wesen war, bis er zurück zu seiner Heimatinsel Ithaka und Herren, in diesen acht Jahren hat sich die Welt dra- kam. Das heißt so ungefähr: Ich hab’s geschafft, es ist matisch verändert. Millionen und Abermillionen Flücht- vollbracht. linge haben sich auf den Weg gemacht. Es entspricht un- Etwas Ähnliches werden sich auch die Kollegen des serer Humanität, dass wir darauf reagieren, auch mit Haushaltsausschusses gedacht haben, als wir am 14./ unserem Haushaltsansatz der humanitären Hilfe. Es ist 15. November nach 17-stündigen Beratungen – in einer für unsere Bemühungen im Haushaltsausschuss ein Nacht der langen Messer sozusagen – zu einem Ergebnis Glanzpunkt, muss ich sagen, dass wir die Zeichen der gekommen sind. Liebe Doris Barnett, ich bedanke mich Zeit erkannt und seit 2012 die Haushaltsansätze für die auch bei dir, dass du so tapfer und lange ausgehalten hast. humanitäre Hilfe verfünfzehnfacht haben. Wir können Wir glauben, wir sind hier zu einem guten Ergebnis ge- damit das Leid der Welt nicht fundamental ändern. Aber Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16323

Alois Karl (A) wir tun unser Möglichstes, und das ist schon etwas. Herz- Schäuble, Franz Josef Strauß und anderen, die das ganz (C) lichen Dank an alle, die dafürgestimmt haben; das ist gut geschafft haben. etwas Hervorragendes gewesen. In unserem Haushalt wenden wir sehr viel Geld für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Museumskooperationen, für die Programmarbeit, für SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE die internationalen Beziehungen auf. GRÜNEN) Meine sehr geehrten Damen und Herren, manchmal Meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen haben hört man, die Mitglieder des Deutschen Bundestags seien wir uns gefreut, 30 Jahre Mauerfall in Berlin zu feiern. teilweise überqualifiziert und unterbezahlt. Bei manchen, Wir haben auch denjenigen Dank zu sagen, die uns dabei liebe Frau Malsack-Winkelmann, gilt das Sprichwort geholfen haben, den Österreichern sowie den Ungarn, die auch umgekehrt. zum Beispiel in Sopron den Eisernen Vorhang durch- schnitten haben. (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall der Abg. Katharina Landgraf [CDU/ GRÜNEN) CSU]) Sie haben sich schließlich schon zum zweiten Male in – Wir beide waren mit der Bundeskanzlerin dort, liebe dieser Weise geäußert. Kollegin Landgraf. Wir haben uns gefreut, dass man dort Meine Damen und Herren, wir haben große Aufgaben auch initiativ war und den früheren Bürgerinnen und Bür- übernommen in der humanitären Hilfe. Machen wir un- gern der DDR Mut gemacht hat, aktiv zu werden. sere Aufgaben, in der Tat. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Glanz- Nun zu Ihrem zweiten Vergleich aus dem christlichen punkt unserer Haushaltspolitik ist die außenpolitische Glauben. Frau Malsack-Winkemann, Sie haben auch ge- Kultur- und Bildungsarbeit. Lieber Kollege Erndl, wir sagt, christliche Werte gelten da nicht mehr, das Land sei haben miteinander viel Gutes gemacht. Eine Kulturmil- ja früher mal christlich gewesen, aber jetzt nicht mehr. liarde bringen wir wieder auf den Weg. Es gibt weltweit Bei mir steht im „Kürschner“: römisch-katholisch. Bei deutsche Auslandsschulen; sie sind hervorragend aufge- Ihnen steht gar nichts drin. stellt. Viele Kinder aus den Gastländern besuchen diese Schulen, weil sie oft in den Städten die Besten sind. Wir (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der sind die Besten, meine Damen und Herren. Wir sollten CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- unsere Erfolge nicht immer kleinreden. Nein, wir stellen SES 90/DIE GRÜNEN) (B) uns hin und sagen selbstbewusst: Wir erledigen unsere (D) Da müssen Sie selber erst einmal sagen, zu welcher Fas- Aufgaben hervorragend. son Sie gehören und ob Sie überhaupt aufgerufen sind, das christliche Menschenbild hier zu vertreten. Zur Personalreserve, lieber Herr Graf Lambsdorff – mit Ihnen schließe ich; das ist zwar nicht der Höhepunkt, Der heilige Martin, meine Damen und Herren, hat auch aber ich schließe trotzdem mit Ihnen diese Rede –: mildtätig und humanitär geholfen. Er hat seinen Mantel geteilt. Das aber hat vorausgesetzt, dass er überhaupt ei- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Doch, nen Mantel hatte. Wenn er keinen Mantel gehabt hätte, doch, doch!) hätte er keinen teilen können. Sie haben kritisiert, dass die Personalreserve erst jetzt – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und endlich – angehoben wird. Wer war denn in den letzten der FDP) 50 Jahren Außenminister? Daraus ziehen wir den Schluss, dass wir eine wirtschaft- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das GAD lich prosperierende Gegenwart haben müssen, um von gibt es erst seit 25 Jahren!) den Überschüssen, die wir produzieren, um von den Steuereinnahmen, die wir erzielen, auch denjenigen et- Es waren doch FDPler: von Scheel über Genscher über was abzugeben, die bedürftig und wirklich notleidend Kinkel über Westerwelle. Der Beste war seinerzeit der sind. An diesem Zusammenhang arbeiten wir. Wir agie- zweite Mann, Michael Link, der sich hier eingebracht ren mit einem Haushalt, der in den fundamentalen Daten hat. Sie hätten viel Gutes machen können, wenn Sie denn sehr gut ist. Unsere Staatsschuldenquote liegt zum ersten gewollt hätten. Mal wieder unter 60 Prozent des BIP, und es steht die schwarze Null. Wer von Ihnen Fußball spielt, weiß: Wenn man zu Null spielt, kann man nicht verlieren, höchstens Vizepräsidentin Petra Pau: unentschieden spielen. Kollege Karl. So ist das auch bei uns. Als CDU/CSU-Fraktion wissen wir, dass die schwarze Null eine fundamentale Konstante Alois Karl (CDU/CSU): unseres Haushaltsbemühens auch in den nächsten Jahren Ich bin am Ende mit Lambsdorff und meiner Rede. ist und wir darüber nicht diskutieren können. Der Bun- desfinanzminister, Frau Staatssekretärin, soll sich nicht von tatsächlichen oder vermeintlichen Sachverständigen Vizepräsidentin Petra Pau: kirremachen lassen. Er steht in einer guten Tradition von Mit der Zeit. 16324 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

(A) Alois Karl (CDU/CSU): Gemessen an diesen Problemen und gemessen an den (C) Meine Damen und Herren, ich danke herzlich. Ich bitte Ansprüchen, die hier formuliert werden, muss man sagen, um Zustimmung und Akzeptanz dieses Haushaltes. Er ist dass der Haushalt, der hier verabschiedet werden soll, ein hervorragend. Totalausfall ist. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Alois Karl [CDU/ CSU]: Na, na, na!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Halleluja!) Sie haben nicht einmal die Mittel für die notwendigsten Sachen. Die Visaproblematik ist angesprochen worden. Es gibt Menschen, die ein Visum haben wollen und ein Vizepräsidentin Petra Pau: Jahr auf einen Vorstellungstermin warten; dann haben sie Das Wort hat der Abgeordnete Michael Leutert für die immer noch kein Visum. Also nicht einmal die notwen- Fraktion Die Linke. digsten Sachen können wir machen. (Beifall bei der LINKEN) Ich kann hier noch den Investitionsstau bezüglich Si- cherheit und IT bei unseren ausländischen Liegenschaf- Michael Leutert (DIE LINKE): ten nennen. Die Gelder reichen nicht einmal für die not- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wendigsten Mittel. Das Schlimme ist nur: Es wird auch Der französische Präsident hat gesagt: Die NATO ist hirn- nicht besser. Im nächsten Jahr ist geplant, den Haushalt tot. – Unser Außenminister sagt: „Die NATO lebt …“. um 1 Milliarde Euro zu kürzen. Wie Sie diese Delle aus- Wir können das nur beurteilen, wenn wir uns den Pa- balancieren wollen, darauf bin ich sehr gespannt. tienten einmal näher anschauen. Es gibt ein Grund- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ja, das ist satzdokument: den Nordatlantikvertrag. Ich darf hier Ar- wahr! Wo er recht hat, hat er recht!) tikel 1 zitieren: Deshalb hoffe ich, dass die Koalition doch noch ein biss- Die vertragschließenden Staaten verpflichten sich, chen hält; denn auf diese Rede freue ich mich jetzt schon. gemäß den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie So, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden Sie auf beteiligt sein mögen, durch friedliche Mittel in der internationaler Ebene krachend scheitern. So werden Sie Weise zu regeln, daß Frieden, Sicherheit und Ge- keinen Beitrag zur Friedenserhaltung, Konfliktvorbeu- rechtigkeit unter den Völkern nicht gefährdet wer- gung oder Konfliktlösung leisten. den, und sich in ihren internationalen Beziehungen (B) jeglicher Drohung oder Gewaltanwendung zu ent- (Beifall bei der LINKEN) (D) halten, die in irgendeiner Weise mit den Zielen der Schauen wir uns einmal an, für was die zu knappen Vereinten Nationen nicht vereinbar ist. Mittel teilweise verwendet werden. Ich fange einmal mit einer kleinen Sache an. Es gibt das Reeperbahn-Fes- Ich würde sagen: Das ist das Fundament, das Herz der tival. NATO. Wenn man sich jetzt anschaut, was das NATO- Mitglied Türkei derzeit macht, nämlich einen Angriffs- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: „Reeper- krieg in Syrien zu führen, Menschenrechte mit Füßen zu bahn-Festival“?) treten, Oppositionelle, die gegen diesen Krieg sind, ein- zusperren, dann muss man sagen: In dem Geiste ist die Ich weiß nicht genau, was das Reeperbahn-Festival mit NATO tot. auswärtiger Politik zu tun hat. Fakt ist nur, dass dieses Festival aus dem jetzigen Haushalt 3 Millionen Euro be- (Beifall bei der LINKEN) kommen soll, obwohl es in den vergangenen Jahren schon gefördert wurde und noch 2 Millionen Euro übrig sind. Es Auf der anderen Seite lebt sie irgendwie, weil wir mit bekommt sogar einen eigenen Titel. Wenn das Außen- diesem Haushalt wieder viel Geld für die NATO bereit- politik ist, dann bin ich einmal gespannt, wann das Okto- stellen. Was ist sie denn jetzt? Tot oder lebendig? Sie berfestival vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Viel- wandelt als Zombie durch die Welt. leicht wäre das noch ein Ansatz. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Gabriele Katzmarek Wenn es noch einen Rest an Glaubwürdigkeit geben soll, [SPD]: Das ist kein Festival, aber das macht dann setzen Sie sich dafür ein, dass die Mitgliedschaft der nichts!) Türkei suspendiert wird, bis sich ihre Politik ändert. Das Reeperbahn-Festival ist übrigens in Hamburg. Das (Beifall bei der LINKEN) ist die Heimatstadt des Finanzministers. Vielleicht hat es damit etwas zu tun. Aber das nur am Rande. Die Kanzlerin hat heute früh in einer kleinen Ge- schichtsstunde die internationalen Probleme, vor denen (Gabriele Katzmarek [SPD]: So ein Blödsinn!) wir stehen, umrissen. Ich möchte das hier nicht alles wie- derholen. Zurück zur Außenpolitik. Im Iran wird ein Programm finanziert, das heißt: Aufbau eines regionalen Sicher- (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: heitskonzeptes für Westasien und die Arabische Aber dann hätten Sie mal richtig zuhören sol- Halbinsel. Ich frage mich: Arabische Halbinsel, Saudi- len, Herr Kollege!) Arabien, Iran – wie passt das zusammen? Sie führen ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16325

Michael Leutert (A) rade einen Stellvertreterkrieg im Jemen. Mit denen wol- Es ist nicht nachvollziehbar. Ich wüsste auch nicht, was (C) len wir ein Sicherheitskonzept erarbeiten. Ich bin sehr das mit irgendeiner Religion zu tun hat, was Sie hier gespannt, was dabei herauskommt. Schauen wir uns an, erzählen. was derzeit im Iran passiert: Demonstrationen mit über einhundert Toten. – Wir konnten heute und gestern lesen, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ich erkläre dass die iranische Führung den USA und Israel eine Ver- Ihnen das noch mal!) schwörung unterstellt; sie sollen die Demonstrationen an- – Nein, bitte nicht erklären. Das war Erklärung genug. gezettelt haben. Der Kommandeur der iranischen Revo- lutionsgarden hat den USA mit Vergeltung und Israel mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Vernichtung gedroht. Ausgerechnet mit denen wollen wir wie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und ein Sicherheitskonzept aufbauen. Ich frage mich: Wie der LINKEN) kommt eine solche Entscheidung zustande? Wir sind jetzt in der Haushaltsdebatte, und die Haus- haltsdebatte ist ja immer die Debatte der Wahrheit. Im Kommen wir dazu, wie wir uns in den UN-Gremien zu Haushalt sieht man, wofür das Geld verteilt wird, was Israel verhalten. Dort verhalten wir uns komischerweise also die Prioritäten der Politik sind. Ich zitiere: ganz anders. Deutschland stimmt in UN-Gremien regel- mäßig nicht mit Israel, wenn es verurteilt werden soll. Wir Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland ist haben derzeit in der UN-Vollversammlung 26 Resolutio- ganz besonders an der Stabilität der internationalen nen, die sich gegen bestimmte Länder richten. Von diesen Beziehungen interessiert. Spannungen schlagen bei 26 Resolutionen sind allein 20 gegen Israel gerichtet. Die uns schneller und gründlicher zum Nachteil unseres UNESCO hat von 2009 bis 2014 47 Resolutionen gegen Landes aus, als dies in anderen Ländern der Welt der Länder verfasst, allein 46 gegen Israel. Das ist eine Ver- Fall ist. Mißverständnisse und Unberechenbarkeit teufelung Israels. Was macht Deutschland? Wir stimmen unserer Politik wären für uns in unserer geopoliti- nicht mit Israel. Besonders absurd: In diesem Jahr kamen schen Lage besonders gefährlich. Eben deshalb ist im Juli palästinensische Vertreter mit dem Iran und Saudi- die Politik unseres Landes auf Klarheit, auf Festig- Arabien zusammen und brachten eine Resolution gegen keit und auf Verläßlichkeit ausgerichtet. Israel ein – Zitat Ende. – Das könnte von Helmut Schmidt sein, ist aber von , der damals gerade frisch Vizepräsidentin Petra Pau: Bundeskanzler geworden war. Klarheit, Festigkeit und Kollege Leutert, Sie müssen zum Schluss kommen. Verlässlichkeit forderte er im Jahre 1982. Ich glaube, die- se Maßstäbe sind auch bis heute – zumindest gerade jetzt – besonders notwendig. (B) Michael Leutert (DIE LINKE): (D) – wegen der Stellung der palästinensischen Frau. Was (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE macht Deutschland? Wir enthalten uns. Wenn so die So- GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Habt lidarität mit Israel aussieht, dann kann man gerne auf ihr gehört? Er zitiert Kohl, Leute!) diese Solidarität verzichten. Schauen wir uns den Haushalt an. Es gibt eine Debatte, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie die auch aus dem Ausland massiv hier reingetragen wird, des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) über die 2 Prozent, die man für den Verteidigungsbereich ausgeben solle. Hier fehlt mir etwas. Es gibt immer wie- Das ist absurde Politik. Genauso ist Ihr Haushalt: ab- der die Rhetorik von den politischen Lösungen, also da- surd. Deshalb kann ihm nicht zugestimmt werden. von, dass man erst politische Lösungen anstreben muss; das ist ja auch richtig. Aber wo ist denn eigentlich die (Beifall bei der LINKEN) Debatte darüber, wo der Unterbau dafür herkommen soll? Wo ist denn die Debatte darüber, dass das Auswärtige Vizepräsidentin Petra Pau: Amt dafür auch die Mittel haben sollte? Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Kollege Omid Nouripour. Man denkt ja: Da redet ein sozialdemokratischer Fi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nanzminister mit einem sozialdemokratischen Außenmi- nister; da wird schon etwas Gutes bei herauskommen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heraus kommt aber eine Plafondentwicklung: Im Jahr Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Etwas 2023 wird es in diesem Bereich eine Absenkung der Mit- Persönliches: Ich bin Moslem. Wenn ich jetzt nach Hause tel in Höhe von 600 Millionen Euro geben. Gleichzeitig gehe und meiner Frau erzähle, dass das Verständnis der erklärt die Frau Bundeskanzlerin total glücklich, wie viel AfD vom Christentum ist, Gelder für humanitäre Hilfe zu mehr Geld man für den Verteidigungsbereich ausgeben streichen, dann – das kann ich Ihnen versprechen – wird wolle. Das ist ein massives Versagen in genau dem Ein- meine Frau sofort nach einem Rosenkranz greifen, ob- zelplan, über den wir hier reden, weil da die Kapazitäten wohl sie frisch gewählte evangelische Kirchengemeinde- für genau diese politischen Lösungen fehlen. rätin ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des Ich bin sehr froh, dass die Haushälterinnen und Haus- Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP]) hälter – aus unserer Sicht natürlich eindeutig und allen 16326 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Omid Nouripour (A) voran unsere wundervolle Kollegin Frau Deligöz – sich Große Koalition weitermachen soll oder nicht! Reden Sie (C) dafür eingesetzt haben, dass es jetzt einen Maßgabebe- doch mal darüber, wofür Sie weitermachen wollen! schluss darüber gibt, dass über die Personalreserve we- nigstens gesprochen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das fehlt komplett, und nirgendwo ist es so sichtbar und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) so dramatisch wie in der Außenpolitik. Denn es ist nicht nur ein schlichtes Gesetz, das umgesetzt werden muss, aber seit Jahren nicht umgesetzt wird. Es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – auch Teil des Koalitionsvertrages. Wenn Leute in der Alois Karl [CDU/CSU]: Etwas wirr!) Personalreserve fehlen, können die Diplomatinnen und Diplomaten sich nicht gescheit auf ihre nächsten Posten Vizepräsidentin Petra Pau: vorbereiten, beispielsweise weil sie Jobs machen müssen, Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, statt Sprachkurse zu belegen. Auch das wirkt sich auf die Heiko Maas. Qualität der Arbeit aus. (Beifall bei der SPD) Das alles führt dazu, dass es eben Klarheit, Festigkeit und Verlässlichkeit nicht gibt. Dafür gibt es keinen Unter- Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: bau, und dafür gibt es auch nicht den Mut. Wo ist denn die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Klarheit der Bundesregierung, wenn es darum geht, sich Kollegen! Ich komme gerade von der Personalversamm- auf die Seite derjenigen zu stellen, die im Iran auf die lung im Auswärtigen Amt. Vielleicht ist die Personalver- Straße gehen, weil sie schlicht verzweifelt sind, die keine sammlung im Auswärtigen Amt ja ein ganz guter Spiegel Solidarität und Aufmerksamkeit erfahren und denen das für Erfolg oder Misserfolg von Haushaltsberatungen. Internet abgedreht wird? Wo ist die Klarheit der Bundes- Denn letztlich sitzen dort diejenigen, die unsere Außen- regierung, wenn es darum geht, dass dieser Tage die His- politik oft unter schwierigsten Bedingungen im Ausland bollah in Libanon auf die Demonstrierenden losgeht? Wo gestalten, nämlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist denn da eigentlich eine Verurteilung? des Auswärtigen Amtes. Die, kann ich Ihnen sagen, Wo ist denn die klare Position der Bundesregierung, freuen sich über diesen Haushalt. die nicht nur deutlich macht, dass man es falsch findet, Ehrlich gesagt: Wenn man einen Haushalt hat, der im wenn auf friedliche Demonstrierende im Irak geschossen Verfahren noch einmal wesentlich aufgestockt worden ist wird, sondern auch darüber redet, dass dort die Bundes- und der mittlerweile auf einen Rekordwert von nie dage- wehr eigentlich eine Sicherheitssektorreform durchfüh- wesenen fast 6 Milliarden Euro kommt, dann fällt es mir (B) ren soll? Das führt aber nicht zu nichts; es führt nur dazu, schwer, zu verstehen, wie man das noch kleinreden kann. (D) dass die Sicherheitskräfte am Ende auf Demonstrierende Ich frage mich: Was wollen Sie denn noch? Einen Re- schießen. Das ist sicher nicht der Sinn der Bundeswehr- kord-Rekord-Haushalt, einen Hyperrekord-Haushalt? Ich übung dort. Aber wenn wir nicht einmal darauf Einfluss sage Ihnen auch: Jeder, der heute hier in der Opposition haben im Irak, dann sollten wir doch überlegen, ob der ist, würde sich, wenn er in der Regierung wäre und diesen Einsatz dort so überhaupt Sinn macht. Haushalt vorlegen könnte, darüber freuen und das hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ganz anders verkaufen. Das gehört auch zur Wahrheit. Wo ist die Festigkeit, wenn es darum geht, das Thema (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Uiguren – die Berichte von deren verheerender Situation, der CDU/CSU) die man gesehen hat, sind erschreckend – bei den nächs- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, das hat etwas mit ten offiziellen Gesprächen mit der chinesischen Seite an- gestiegenen Anforderungen an die Außenpolitik zu tun. zusprechen? Wo ist die Festigkeit, wenn es darum geht, Ich will Ihnen nur einige Beispiele nennen: den Amerikanern gegenüber klarzumachen – nein, ich will die Chinesen und die Amerikaner nicht vergleichen –, In Genf ist endlich das Verfassungskomitee für Syrien dass wir nicht einfach zugucken werden, wie sie diplo- zusammengekommen. Monatelang ist darüber gestritten matische Erfolge wie zum Beispiel beim Atomabkom- worden. Wir haben das ganz maßgeblich unterstützt – men mit dem Iran einfach mit einem Tweet beiseiteschie- politisch, logistisch, finanziell –, und wir werden das auch ben, und wir nicht imstande sind, etwas dagegenzusetzen, weiterhin tun. Wir werden auch weiterhin darauf drängen, weil der Mut fehlt für ein Instrument namens INSTEX, dass dieses Komitee kein Feigenblatt wird, sondern sich das einfach Geld braucht? alle, und damit auch das Assad-Regime, ernsthaft enga- gieren, um für die politische Lösung, die dieser Konflikt Wo ist die Verlässlichkeit, wenn die Partnerstaaten auf braucht, einen Beitrag leisten zu können. uns schauen und mittlerweile nicht mehr wissen, ob sie auf Mutlos-Maas schauen sollen oder auf eine Verteidi- Gestern war António Guterres in Berlin. Wir haben gungsministerin, die glaubt, sie könne das Wunder von darüber gesprochen, welchen Beitrag Deutschland leisten Bern wiederholen, indem sie immer größere Versprechen kann, damit die unterschiedlichen Formate, die es gibt – gibt, die irreal sind, die aber von der Union bejubelt wer- die Small Group auf der einen und die Astana-Group auf den, weil man sich ja freut, dass man jetzt mal wieder wer der anderen Seite –, näher zusammenkommen, um den sei? Das ist keine verlässliche Politik. Das ist wirr. Weg freizumachen für eine politische Lösung. Ich habe wirklich eine Bitte, gerade in diesen Zeiten: In Libyen gibt es mittlerweile den sogenannten Berlin- Hören Sie auf, die ganze Zeit darüber zu reden, ob diese Prozess. Unter der Führung von Deutschland werden seit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16327

Bundesminister Heiko Maas (A) einigen Wochen Gespräche mit Anrainerstaaten, aber über den Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre (C) auch mit den Libyern selber darüber geführt, wie wir eine und – was uns schon gelungen ist und was in diesem politische Lösung für diesen Krieg finden können, der Haushalt steht; Doris Barnett hat es erwähnt – der Aufbau schon viel zu lange andauert und der sich im Moment von Krisenmanagementfähigkeiten, auch mit Blick auf wirklich in einer Art und Weise in diesem Land breit- die Konflikte in unserer Nachbarschaft. Dazu werden macht, von der wir dachten, dass wir sie schon hinter wir in Berlin im kommenden Jahr ein europäisches Ex- uns gelassen hätten. zellenzzentrum gründen und damit ganz wesentlich auch hier die führende Rolle in Europa übernehmen. Zum Ukraine-Konflikt werden wir am 9. Dezember ein Gipfeltreffen des Normandie-Formates haben. Auch hier Das Gleiche gilt für die NATO. Ja, bei allen Diskus- sind wir zusammen mit unseren französischen Freunden sionen über die NATO: Wir haben uns innerhalb der Bun- führend dabei, das, was wir an positiver Dynamik haben, desregierung sehr geschlossen gegenüber der Öffentlich- seitdem Selenskyj Präsident ist, hinzuleiten in eine Wie- keit festgelegt. Wir wollen, dass die NATO, die wir derbelebung des Minsker Prozesses. brauchen, und auch das transatlantische Verhältnis zu- In Afghanistan haben uns die Vereinigten Staaten zu- kunftsfähig gemacht werden. Ja, wir müssen über die sammen mit Norwegen darum gebeten, nach einer Wie- Vorschläge reden, die es gibt, aber dazu brauchen wir deraufnahme der Verhandlungen mit den Taliban eine vernünftige Prozesse; denn es nützt nichts, ständig neue Friedenskonferenz zu veranstalten, in der die Taliban Vorschläge zu machen, ohne dass es irgendein Ergebnis und die afghanische Regierung einen Friedensvertrag gibt. Eine sogenannte Wiseman-Group – die letzte Vor- schließen sollen. sitzende der Wiseman-Group war übrigens Madeleine Albright – wurde eingerichtet und so die Grundlagen da- Im Jemen gibt es erste positive Signale, dass die Huthis für gelegt, dass man gemeinsam eine strategische Platt- und die Saudis miteinander sprechen, und zwar unmittel- form hat, auf der man innerhalb der NATO arbeitet. So bar. Martin Griffiths, der Beauftragte der Vereinten Na- arbeitet man eben in internationalen Organisationen. tionen, hat angefragt, ob wir die Friedensgespräche, die daraus folgen sollen, dann auch tatsächlich in Deutsch- Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss land stattfinden lassen würden, im Nachgang zu den Ge- will ich erwähnen, dass wir all das nicht alleine tun und sprächen, die es in Stockholm im Dezember letzten Jahres dass wir nicht alleine stehen. Unserer Allianz für den gab. Multilateralismus gehören mittlerweile über 60 Länder an. Wir treiben gemeinsam acht konkrete Initiativen vo- Wer das sieht und wer über die Verantwortung ran, von Abrüstung bis hin zum Menschenrechtsschutz. Deutschlands in der Welt spricht, der muss zur Kenntnis Was wir bewegen können, hat sich gerade in Genf ge- nehmen, dass in all diesen Krisen, mit denen wir es im (B) zeigt, wo sich auf unsere Initiative hin 125 Staaten nach (D) Moment zu tun haben, Deutschland mittlerweile meistens jahrelangen Verhandlungen auf Leitprinzipien für den die führende Rolle bei der Konfliktlösung übernommen Umgang mit Letalen Autonomen Waffensystemen fest- hat. Ich finde, das ist eine gute Art und Weise, Verant- gelegt haben. wortung in der Welt zu übernehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Alles in allem: Die deutsche Außenpolitik ist nicht der CDU/CSU) disruptiv, sie ist das Gegenteil davon. Sie setzt vielmehr der disruptiven Realität etwas entgegen. Unsere Beiträge Das gilt auch für den Sicherheitsrat. Dort geht es nicht zur Lösung internationaler Konflikte sind nichts anderes nur um Krisendiplomatie, sondern auch um Krisenprä- als Beiträge für mehr Frieden auf der Welt. Dafür sind wir vention. Wir setzen die Themen nukleare Abrüstung, Kli- mit diesem Haushalt gut ausgestattet. mawandel und Frauenkonflikte auf die Tagesordnung. Wir haben dazu auch Ergebnisse erzielt, die dort bisher Herzlichen Dank. leider nicht zu erzielen gewesen sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das, was hier diskutiert worden ist, ist der große Auf- der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE wuchs bei der humanitären Hilfe. Wenn man sich bei so GRÜNEN:] Amen!) vielen internationalen Konflikten engagiert, dann wird auch erwartet, dass man materielle Beiträge liefert, um den Menschen vor Ort zu helfen, und dass man einen Plan Vizepräsidentin Petra Pau: hat, wie diese Länder wieder aufgebaut werden. Also: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Roland Hartwig für humanitäre Hilfe, Stabilisierung, Ertüchtigung. Was dazu die AfD-Fraktion. im Haushalt steht, ist eine gute Grundlage. (Beifall bei der AfD) Auch in Europa werden wir gefordert sein, und zwar noch stärker als bisher. Im November beginnt unser Vor- sitz im Ministerkomitee des Europarates, und wir stehen Dr. Roland Hartwig (AfD): auch in den Startlöchern für die EU-Ratspräsidentschaft Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Helmut in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres. Aufgaben gibt Kohl berief sich gerne auf Bismarck, der gesagt hatte: es mehr als genug: die Ausgestaltung möglichst enger Politik ist keine Wissenschaft. Politik ist, dass man Gottes künftiger Beziehungen zu Großbritannien, die Umset- Schritt durch die Weltgeschichte hört, dann zuspringt und zung einer echten europäischen Außenpolitik gegenüber versucht, einen Zipfel seines Mantels zu fassen, dass man Ländern wie Russland oder China, die Verhandlungen mit ihm fortgerissen wird. - 16328 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Roland Hartwig (A) Beide Männer dienten ihrem Land in Umbruchzeiten, und Partei inzwischen überwiegend mit Gender und der Auf- (C) beide erwiesen sich als Staatsmänner, als sie die Gunst lösung des Nationalstaates beschäftigt und kein Ohr mehr der Stunde erkannten und zum Wohle Deutschlands nutz- hat für die Sorgen des kleinen Mannes, ist dem generellen ten. Bismarck gelang die deutsche Einigung, Kohl die Verlust der sozialdemokratischen Werte geschuldet. Am Wiedervereinigung. Verlust der Russland-Perspektive, Herr Maas, haben Sie persönlich entscheidenden Anteil. Heute leben wir wieder in Umbruchzeiten. Herr Minis- ter Maas, Sie ahnen bereits, worauf ich hinaus möchte: Die Idee von Europa beschäftigt die Menschen schon Das Erkennen des historischen Moments, das mutige Zu- seit der Antike. Sie können von dort den Bogen spannen springen und Zupacken, ist Ihre Stärke nicht. über Karl den Großen als erstem europäischen Herrscher (Beifall bei der AfD) zu deutschen Revolutionären von 1848 und ihrer Vision von Deutschland als Teil eines Hauses gleichberechtigter Sie bewegen sich vorzugsweise in Ihrer ideologischen freier Vertragsstaaten; ein Bild, das übrigens 1989 von Komfortzone, und dort, wo Sie sie einmal verlassen müs- Gorbatschow wieder aufgegriffen wurde. Putin sprach sen, wirkt es hastig und konzeptlos. Ihr Lieblingsprojekt 2001 an diesem Rednerpult von der Einheit der europä- ist die sogenannte Allianz der Multilateralisten, die Sie ischen Kultur. Er sagte: Niemand bezweifelt den großen zwar ins Leben gerufen haben, aber nicht mit Leben fül- Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staa- len können, wie es ein deutscher Diplomat formulierte. ten. Aber er sei der Meinung, dass Europa seinen Ruf als Als Sie zu dem Thema vor der UN-Generalversammlung mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpoli- gesprochen haben, war der Saal fast leer. Ein weiteres tik langfristig nur festigen werde, wenn es seine eigenen Ihrer Projekte ist der Donnerstag der Demokratie in An- Möglichkeiten mit den russischen Ressourcen und Po- lehnung an Fridays for Future. Herr Maas, sind das wirk- tenzialen vereinigen würde. lich Ihre Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit? Statt sich der historischen Frage zu stellen, wie ein (Norbert Kleinwächter [AfD]: Montags gegen europäischer Kulturraum von Nationalstaaten unter Ein- Maas!) beziehung Russlands gestaltet werden kann, verstecken Ein weiteres Beispiel: Seit 2001 sind deutsche Soldaten Sie sich hinter der Ukraine-Krise. Niemand in Europa in Afghanistan. Viele haben dort ihr Leben gelassen. Die kann Interesse an einem neuen Kalten Krieg haben oder Zahl der getöteten Zivilisten ist so hoch wie noch nie seit daran, Russland in die Arme Chinas zu treiben. 2001. Im Interesse der afghanischen Bevölkerung, aber auch unserer eigenen, wäre es dringend geboten, hier end- (Beifall bei der AfD – Alexander Graf lich zu einer Friedenslösung zu kommen. In Ihrer Amts- Lambsdorff [FDP]: Das wird immer abstruser!) (B) zeit als Außenminister haben die USA, Russland und (D) China jeweils unabhängig voneinander Gespräche mit Um den Aufgaben der Zeit gewachsen zu sein, braucht den Akteuren in Afghanistan geführt. Es waren keine man die richtigen Personen an der Spitze, ebenso wie auf nennenswerten Bemühungen von Ihrer Seite erkennbar, allen anderen Ebenen des Auswärtigen Amtes. Der Un- gemeinsam mit diesen Staaten an einer Beilegung des mut in Ihrem Hause ist groß darüber, dass gewichtige Konfliktes zu arbeiten. Stattdessen haben Sie auf eine Stellen immer häufiger nicht mit erfahrenen Diplomaten Kooperation mit Norwegen gesetzt. besetzt werden, sondern mit Genossen aus dem sozial- demokratischen Umfeld, denen man diese Stellen zu- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) schiebt.

Die Ausgaben Ihres Ministeriums sind auch deshalb so (Norbert Kleinwächter [AfD]: Nur das Partei- massiv angestiegen, weil es nicht gelingt, politische Lö- buch zählt! -Armin-Paulus Hampel [AfD]: So sungen für die Krisen unserer Welt zu finden. Sie ver- ist es! – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Was mei- suchen, das mit immer mehr Geld für humanitäre Maß- nen Sie denn? – Christoph Matschie [SPD]: nahmen zu kompensieren, und haben dabei nicht einmal Beispiele!) annähernd einen zuverlässigen Überblick über die Ver- wendung der Mittel. Hinzu kommt, dass Sie viele Projek- Auch in einem anderen Bereich haben Sie sich den Staat te finanzieren, die sich nicht der neutralen humanitären zur Beute gemacht. Sie genehmigen sich inzwischen fast Nothilfe verschreiben, sondern eine Ideologie in andere doppelt so viele Steuergelder wie noch 2005, um Ihre Länder transportieren sollen, die sich destabilisierend auf parteinahen Stiftungen zu finanzieren. Weit über eine hal- die dortigen Gesellschaften auswirkt. be Milliarde Euro pro Jahr müssen die Bürger unseres Landes inzwischen dafür bezahlen. So gelingt es vor al- (Beifall bei der AfD) lem Ihrer Partei, Herr Maas, die eigenen Leute trotz Das ist vor dem Hintergrund eines ohnehin schon instabi- schwindenden Rückhalts in der Bevölkerung gut zu ver- len internationalen Systems einfach nur unverantwort- sorgen. lich. (Beifall bei der AfD) Unabhängig von der eigenen politischen Einstellung hat man den Sozialdemokraten, als sie noch eine Volks- Statt Versorgungsmentalität und ideologischem Klein- partei waren, für zwei Dinge Respekt zollen müssen: für Klein brauchen wir wieder staatsmännische Verantwor- ihren Einsatz für die Interessen der deutschen Arbeiter- tung für die großen Herausforderungen unserer Zeit. schaft und ihr Wissen um die Bedeutung Russlands für die Zukunft des europäischen Projektes. Dass sich die (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16329

Dr. Roland Hartwig (A) Wir brauchen Politiker, die dazu auch willens und in der Klage über eine mangelnde Information und Abstim- (C) Lage sind. Ich fürchte, Herr Maas, Sie gehören nicht da- mung bei einer sicherheitspolitischen Initiative, auch zu. noch geäußert im Ausland. Frankreich ist mit einer eben- so schnellen wie hoffnungslosen Hirntoddiagnose betref- Vielen Dank. fend keinen geringeren als unser einziges, unverzichtba- (Beifall bei der AfD) res Verteidigungsbündnis gehört worden. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Mindeste, was wir uns an dieser Stelle eingestehen müssen, ist: Das ist zu Vizepräsidentin Petra Pau: wenig. Wir müssen mehr leisten, wenn wir verantwor- Das Wort hat der Abgeordnete Dr. tungsvolle Außenpolitik für Europa und für Deutschland für die CDU/CSU-Fraktion. formulieren wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): Was also müsste deutsche Außenpolitik anpacken, pri- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und orisieren, jedenfalls versuchen? Herren! Vor zwei Jahren hat Außenminister Steinmeier vor der UN-Vollversammlung gesagt, die Welt sei aus den Erstens muss aus meiner Sicht endlich die Achse Pa- Fugen. Seitdem mussten wir erleben, dass die Kriege in ris–Berlin wieder wirksam auf die Spur gebracht werden. Syrien, in Libyen und im Jemen fortdauern, der Iran in der (Beifall des Abg. Dr. Andreas Nick [CDU/ Straße von Hormus europäische Schiffe gekapert hat, die CSU]) Türkei völkerrechtswidrig in Nordsyrien einmarschiert ist und nun eine gemeinsame militärische Kontrolle mit Das Auswärtige Amt ist hier an vorderster Stelle gefor- Russland organisiert, nachdem der US-Präsident ohne dert. Es gibt, Herr Außenminister, ein Strategiepapier, das Abstimmung oder auch nur Information an die Verbünde- im Auswärtigen Ausschuss im Frühjahr vorgestellt wor- ten eigene Truppen zurückzog, dass die USA einseitig den ist. Da steht eine Roadmap drin, da stehen Abläufe von Israel besetzte Gebiete anerkannten, dass China in drin, da stehen konkrete Vorhaben drin. In diesem No- der Welt und auch vermehrt in Europa nicht nur wirt- vember, der ja in den nächsten Tagen beendet sein wird, schaftlich, sondern auch immer mehr politisch Einfluss sollte ein konkreter deutsch-französischer Vorschlag für nimmt und inzwischen in mindestens drei europäischen einen EU-Sicherheitsrat auf den Tisch gelegt werden. Wir Staaten, nämlich Griechenland, Ungarn und Montenegro, warten darauf. Deutschland und Frankreich müssen ge- politische Abhängigkeiten geschaffen hat, dass Russland meinsam handeln. Wir erwarten von unserer Bundesre- (B) den INF-Vertrag nachweislich gebrochen hat und dass der gierung, dass sie das entsprechend priorisiert. (D) Versöhnungsprozess in Afghanistan durch den plötz- lichen Verhandlungsabbruch durch die amerikanische (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Regierung ins Stocken geraten ist. Michael Georg Link [FDP]) Die bittere Erkenntnis also ist: Die Erosion einer regel- Zweitens. Das Bündnis der Multilateralisten ist richtig; basierten Weltordnung geht leider weiter; die Vereinten aber nur Gespräche und Konferenzen am Rande der Ver- Nationen sind de facto gelähmt; der Sicherheitsrat – die einten Nationen sind nicht ausreichend. Wir müssen end- Kanzlerin hat es angesprochen – ist blockiert. Damit steht lich gemeinsam mit diesen Staaten Politik formulieren. nichts weniger als die Grundlage unserer Freiheit, unserer (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wie wahr, wie Sicherheit und unseres Wohlstands auf dem Spiel. wahr!) Deswegen stellt sich die Frage: Was tun wir? Was tut Wie wäre es denn, wenn wir gemeinsam mit Kanada, Europa? wenn wir gemeinsam mit Japan, mit Australien und natür- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schöne Frage!) lich den Staaten der Europäischen Union eine Antwort auf die Sicherheitsanforderungen im 5G-Netz geben? Einer der wichtigsten europäischen Staaten, die UN-Ve- Diese Staaten sind dazu bereit. Wenn wir mit diesen Staa- to- und Atommacht Großbritannien macht sich nach den ten gemeinsam eine Antwort geben, wird es in Peking Worten ihres Premiers raus aus der EU, um endlich ihr darauf eine andere Reaktion, wird es eine andere Akzep- eigenes Potenzial zu entfesseln. tanz geben, als wenn wir das alleine machen. Das heißt, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Klug, die Bri- wir müssen da gemeinsam handeln. ten!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun gut, wir sehen das anders und glauben, überwiegend jedenfalls, dass wir unser Potenzial nur in und mit der EU Drittens. Ich glaube, Deutschland muss bereit sein, entfalten können; ich glaube, dazu besteht hier im Hause seine Interessen schnörkelloser zu formulieren und dann eine breite Übereinstimmung. auch zu wahren; es muss auch bereit sein, darüber zu sprechen. Dazu gehört an allererster Stelle natürlich un- Schauen wir uns doch mal an, wie sich die beiden sere NATO, die aus meiner Sicht nicht hirntot ist, aber in wichtigsten europäischen Staaten, nämlich Deutschland den Extremitäten Schwächen hat. Deswegen sage ich: Ein und Frankreich, in den letzten Tagen und Wochen außen- weiterer Arbeitskreis, und seien es noch so weise Men- und sicherheitspolitisch wahrnehmbar dazu geäußert ha- schen, hilft der NATO, glaube ich, nicht weiter. Man muss ben: Deutschland ist wahrgenommen worden mit einer die NATO einfach machen, um es einfach zu formulieren. 16330 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Johann David Wadephul (A) Das heißt, Deutschland muss seine Beiträge zur Existenz (Beifall bei der FDP) (C) der NATO, das heißt, seine finanziellen Beiträge, leisten. Michael Georg Link (FDP): (Beifall der Abg. Alois Karl [CDU/CSU] und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Armin-Paulus Hampel [AfD] – Armin-Paulus bin der Kollegin Barnett und dem Kollegen Karl sehr Hampel [AfD]: Eine gute Oppositionsrede!) dankbar, dass wir es tatsächlich geschafft haben, das The- Dann werden wir gemeinsam handlungsfähig sein. ma Personalreserve voranzubringen. Mit Ausnahme der AfD-Fraktion haben alle an dieser Stelle zugestimmt. Ich Ich halte viel davon, dass wir Interessen, auch in ande- glaube, das ist wichtig. Aber für Sie, Herr Minister, gibt ren Regionen der Welt, miteinander formulieren. Die Ini- es gerade mit Blick auf die Entscheidung des Ausschus- tiative der Bundesverteidigungsministerin, zu sagen, dass ses zur Personalreserve überhaupt keinen Grund, selbst- wir ein Interesse an der Freiheit des Seeverkehrs, an der zufrieden zu sein; denn der Ausschuss musste die Auf- Freiheit der Navigation im Süd- und Ostchinesischen gabe erledigen, die schon längst von der Regierung hätte Meer haben – übrigens genauso wie an der Straße von erledigt werden müssen. Hormus, übrigens genauso wie im Schwarzen Meer –, ist für eine Seehandelsnation wie Deutschland existenziell. Wir versuchen mit der Personalreserve, die Schräglage Ich halte nichts davon, diese Initiative dadurch zu dis- in diesem Haushalt zu beseitigen, doch sie besteht nach kreditieren, zu behaupten, dass wir sozusagen wieder wie vor. Es ist wichtig, das in der Öffentlichkeit immer den „Platz an der Sonne“ suchten. Nein, wir verteidigen – wieder zu sagen: Die Aufgaben sind natürlich gewachsen, wiederum im Bündnis der Multilateralisten – unsere libe- und es fließt sehr viel mehr in humanitäre Hilfe; aber die rale Weltordnung, unsere regelbasierte Weltordnung. Und großen Zahlen dieses Haushalts verdecken, dass die das heißt auch, es muss freien Seeverkehr geben. Das ist Strukturen des Hauses nicht mitgewachsen sind. Das ist die Voraussetzung nicht nur für Frieden und Freiheit, son- ein Problem. Das Haus muss – wir haben es oft gehört – dern auch für Welthandel, und da ist Deutschland richtig leistungsfähiger werden, unter anderem durch mehr Per- aufgehoben. sonal, ja. Die Stellen müssen aber auch besetzt werden. Es müssen aber auch die Fähigkeiten geschaffen werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Armin-Paulus Die Ausstattungskrise und die bestehenden Management- Hampel [AfD]: Dann fangt mal an!) probleme im Auswärtigen Amt darf keiner ignorieren. Daran müssen wir weiter arbeiten. Ich glaube, Deutschland muss auch sicherheitspolitisch neu handlungsfähig werden und darüber nachdenken, ob (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Alois Karl man nicht in der Tat einen Nationalen Sicherheitsrat [CDU/CSU]) gründet. Dieser Vorschlag ist erneut in die Diskussion (B) Tatsache ist, dass der Gesamtetat leicht gestiegen ist; (D) eingebracht worden. Ich darf darauf verweisen, dass es aber die Mittel für den so wichtigen multilateralen Be- ihn in vielen anderen Staaten gibt, die ähnlich organisiert reich sinken leicht. Deshalb sagen wir der Bundesregie- sind wie Deutschland, auch parlamentarische Demokra- rung ganz klar: Multilateralismus muss man leben, nicht tien, auch Demokratien, die voraussetzen, dass das Parla- nur loben. Wir als FDP haben mit unseren Anträgen ge- ment entsprechenden Einsätzen der Bundeswehr, was ja zeigt, wie man den Multilateralismus wirklich stärkt, wie nur der Extremfall ist, zustimmt. Zuletzt hat das Japan, man den UNHCR, also das Flüchtlingshilfswerk, oder das das eine ähnlich restriktive Handhabung bei militärischen Rote Kreuz oder das Welternährungsprogramm arbeits- Mitteln hat wie die Bundesrepublik Deutschland, richtig- fähiger macht. erweise beschlossen. Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist die (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nicht mehr! übertriebene Mittelbindung, wo die Regierung fast schon Das war gestern!) selbstverliebt ist. Die Regierung fasst die Mittelbindung, Wir müssen dazu bereit sein, sicherheitspolitische Inte- zum Beispiel für Mittel, die sie an den UNHCR gibt, viel ressen zu formulieren. Diese sind nicht nur mit militär- zu eng. Das würgt die Arbeitsfähigkeit des UNHCR in ische Macht zu umschreiben, sie umfassen den Cyber- vielen Bereichen ab. Wir brauchen hier mehr freie Mittel. raum, sie umfassen bedauerlicherweise mittlerweile Die Bundesregierung hat das 2016 auf dem Humanitären auch den Weltraum, sie umfassen auch wirtschaftliche Weltgipfel verstanden und sich verpflichtet, bis 2020, Aktivitäten – Stichwort „5G“ – in einem Umfang, wie also bis zu diesem Haushalt, 30 Prozent aller Mittel in wir das nicht haben erwarten können. Deshalb sage ich: diesem Bereich ohne Mittelbindung zur Verfügung zu Deutschland muss sicherheitspolitisch erwachsen werden stellen. Fehlanzeige! Das ist nicht erreicht. Das Ziel ist und muss auch über einen Nationalen Sicherheitsrat dis- weit verfehlt. Insofern hat die Bundesregierung ihre auf kutieren. dem Humanitären Weltgipfel gegebene Zusage gebro- chen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP – Alexander Graf (Beifall bei der CDU/CSU – Armin-Paulus Lambsdorff [FDP]: So ist es!) Hampel [AfD]: Eine gute Oppositionsrede!) Kolleginnen und Kollegen, weltweit wächst der Druck auf die Menschenrechtsverteidiger. Deshalb wollen wir Vizepräsidentin Petra Pau: als FDP mehr in den internationalen Menschenrechts- Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael schutz investieren. Viele Organisationen leisten hier eine Link das Wort. fantastische Arbeit, die wir stärker unterstützen wollen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16331

Michael Georg Link (A) Der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Stefan Liebich (DIE LINKE): (C) Nationen, der Europarat, die autonomen Institutionen der Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! OSZE, sie alle wollen wir stärken. Auch im Auswärtigen Über 1 000 Menschen sind in diesem Jahr im Mittelmeer Amt selbst wäre es angebracht, den Stab und die Projekt- auf ihrer Flucht ertrunken. Es ist das sechste Jahr in Folge, arbeit der Menschenrechtsbeauftragten, Kollegin Kofler, dass über 1 000 Menschen sterben mussten. Wir finden, zu stärken. Gerade Journalisten und Menschenrechtsver- dass dieses Sterben im Mittelmeer endlich beendet wer- teidiger werden zunehmend Opfer von Überwachung, den muss. Einschüchterung und Gewalt. Diesen mutigen Verteidi- gern der Freiheit wollen wir mit einem gezielten Förder- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- programm zur Seite stehen. Da macht die Bundesregie- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE rung zu wenig. GRÜNEN) Das unwürdige Geschacher der Mitgliedsstaaten der (Beifall bei der FDP) Europäischen Union, wer jetzt wie viele dieser Handvoll Menschen in seinem Land aufnimmt, die vor Not, Terror Die Digitalisierung und die technologischen Vereinfa- und Krieg fliehen, darf so nicht weitergehen. Dass sie chungen sind gerade angesprochen worden. Das wäre ein überhaupt gerettet werden, haben wir NGOs zu verdan- Gebot der Stunde. Kollege Leutert hat dazu Stellung ge- ken und mutigen Menschen wie den Kapitäninnen und nommen. Die digitale Infrastruktur an unseren Botschaf- Kapitänen Carola Rackete, Klaus Peter Reisch, Pia ten und genauso in der Zentrale ist immer noch verhee- Klemm, Stefan Schmidt und ihren Crews. Sie sind die rend. Ja, es ist angegangen worden, aber es dauert zu wahren Heldinnen und Helden unserer Zeit. lange. Wir bräuchten Tempo bei der Visumsvergabe. Wir können nicht weitere zwei, drei Jahre warten, bis (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- wir die zwei Jahre Wartezeit abgebaut haben. Hier ma- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE chen uns andere EU-Staaten vor, wie es geht. Hier brau- GRÜNEN) chen wir Tempo. Deshalb besteht auch da kein Grund zu Aber ist es nicht eigentlich die Aufgabe von Staaten, Selbstzufriedenheit. Seenotrettung zu organisieren?

Als Freie Demokraten setzen wir uns dafür ein, 3 Pro- (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) zent unserer Wirtschaftskraft – es geht um die berühmten Wir beantragen heute erneut in diesem Haushalt die Ein- drei D, also Diplomacy, Defense, Development; Diplo- richtung einer staatlichen zivilen Seenotrettung. Deutsch- matie, Verteidigung, Entwicklung – für vernetzte interna- land muss hier nicht auf eine Einigung in Brüssel warten, (B) tionale Sicherheit einzusetzen. Deshalb brauchen wir Herr Maas. Wir können einfach vorangehen. (D) mehr Abstimmung innerhalb der Bundesregierung in die- sen Bereichen. Einfach nur mehr Geld und zusätzliche (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Stellen reichen nicht. Wir müssen stattdessen eines in neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den Griff bekommen, nämlich dass das Auswärtige Amt Ich möchte ein zweites Thema ansprechen, über das ich einerseits zu wenig und andererseits zu viel Geld hat: zu mich bei Ihnen immer sehr ärgere. Ich kann bei Ihnen sehr wenig Geld gemessen an den Aufgaben, aber zu viel häufig keine konsistente klare Linie erkennen, was Ihren Geld, weil es gar nicht alles „verbauen“ kann, weil zum Standpunkt betrifft, sondern erlebe immer wieder doppel- Beispiel Personal fehlt und in vielen Bereichen die Ka- te Standards. Dazu ein Beispiel: Zwei Länder brechen das pazitäten fehlen. Dieses Paradox müssen wir in den Griff Völkerrecht, missachten gegenüber ihren Nachbarn das bekommen. Denn die internationalen Aufgaben werden in der UN-Charta festgelegte Verbot der Androhung und deutlich mehr. Dies wird mit diesem Haushalt nur sehr, Anwendung von Gewalt. In einem Fall verhängt Deutsch- sehr zaghaft angegangen. land Sanktionen, Dialogformate werden beendet, Waffen werden sowieso nicht geliefert. Im anderen Fall haben Die Auslagerung zum Beispiel von einigen Aufgaben Sie, Herr Maas, freundlich darum gebeten, dass die Sta- an ein Bundesamt ist okay und gut. Das unterstützen wir. tionierung der Truppen doch bitte nicht so lange dauern Das macht das Haus stärker; denn es braucht mehr poli- möge, aber man solle im Militärbündnis bleiben. Die lau- tisch-strategische Steuerung. Für diese Strukturen müsste fenden Waffenlieferungen gehen erst einmal weiter; bei mehr da sein. Es fehlt leider an politisch-strategischer den kommenden schaut man dann. Das eine Land ist die Steuerung, gerade auch an der Spitze dieses Hauses. Des- Türkei, das andere Land ist Russland. Diese doppelten halb lehnen wir diesen Etat ab. Standards sind absurd. (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Hardt [CDU/ Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. CSU]: Die Fälle sind völlig unvergleichbar!) (Beifall bei der FDP) Übrigens, was soll eigentlich „nicht so lange“ heißen? Die Türkei ist vor 23 Monaten in Afrin einmarschiert. Das heißt, seit 23 Monaten befinden sich türkische Soldatin- Vizepräsidentin Petra Pau: nen und Soldaten auf dem Boden eines fremden Landes. Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Frak- Was heißt hier „nicht so lange“? Wie lange soll man da tion Die Linke. noch warten? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) 16332 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Stefan Liebich (A) Ich bringe ein weiteres Beispiel, das mir am Herzen etat zum Beispiel gilt das Ziel von 2 Prozent für Verteidi- (C) liegt. Sie haben sich ja mit Joshua Wong getroffen. Sie gungsausgaben als gesetzt. haben gesagt, Sie wünschten sich einen gesamtgesell- schaftlichen Dialog zwischen Hongkong und der chinesi- (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: schen Zentralregierung. Das alles ist nicht falsch. Aber in Ziel!) einem anderen Fall hier bei uns in Europa höre ich vom Im Vergleich dazu: 0,4 Prozent für alles, was wir bei der Auswärtigen Amt nur dröhnendes Schweigen. Nun Europäischen Union leisten. möchte ich die Volksrepublik China und Spanien nicht gleichsetzen. Aber Spanien ist ein demokratisches Land. Jetzt gerade finden die Verhandlungen für den neuen Spanien steht für Demokratie, für Pressefreiheit, für Mei- mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 statt. Wir ha- nungsfreiheit ein. Es kann doch nicht sein, dass, wie es ben sehr große Herausforderungen vor uns. Wir wollen, heute geschehen ist, die Wahl der Präsidentin der Europä- dass 2027 die Schulen freitags wieder voll sind, weil wir ischen Kommission stattfindet, ohne dass drei demokra- die Klimakrise erfolgreich angehen. Wir wollen 5G-Net- tisch gewählte spanische Abgeordnete dabei sein können. ze, die nicht chinesisch kontrolliert sind. Wir wollen auf Das ist nicht akzeptabel. keinen Fall Spielball zwischen den Großmächten Russ- land, China und den USA sein oder werden. Da hat Herr (Beifall bei der LINKEN) Macron sicherlich nicht die richtige Vokabel benutzt. Wir sind keine Separatisten. Wir sind keine Freunde Aber, Herr Maas, einfach eine Arbeitsgruppe zu gründen, dieser Bewegung. Aber wir möchten, dass Menschen täuscht doch nicht darüber hinweg, dass die NATO in friedlich für ihre Position eintreten können – in Hong- einer existenziellen Krise ist. Das ist der aktuelle Zustand kong und auch in Katalonien. Eine glaubwürdige konsis- der NATO. tente Außenpolitik würde bedeuten, dass man die Einhal- tung des Völkerrechts gegenüber allen gleichermaßen Wir sollten hier ernsthaft darüber debattieren, was es einfordert. Sie würde bedeuten, dass man vernünftige für Europa und was es für den europäischen Haushalt diplomatische Beziehungen und Dialog mit allen Län- bedeutet, wenn wir diese Herausforderung ernst nehmen. dern, auch mit schwierigen, unterhält, dass man nirgends 0,4 Prozent sind nämlich nicht ausreichend, wenn wir Wirtschaftssanktionen, die die einfache Bevölkerung be- europäische Souveränität wirklich gestalten wollen im treffen, verhängt. Eines sollte eigentlich ganz selbstver- Rahmen der NATO, wie wir es bisher getan haben. ständlich sein, ist es aber nicht: dass man die Ausbildung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Ausrüstung von Armeen und Sicherheitskräften und die Lieferung von Waffen an Diktaturen und Autokratien Dieses Ziel, diese neuen Aufgaben zu bewältigen, kann (B) nicht durchführt. man auf unterschiedlichen Wegen erreichen. Man kann (D) bei den aktuellen Ausgaben kürzen; das wäre der erste (Beifall bei der LINKEN) Weg. Man kann zweitens neue Eigenmittel einführen. Das tun Sie leider. Sie setzen diese Politik auch mit die- Man kann drittens die nationalen Beiträge erhöhen. Zu sem Haushalt fort. Deshalb werden wir zu diesem Haus- allen drei Wegen sagen Sie Nein. halt Nein sagen. Zu den Kürzungen: Ich habe gestern niemanden von (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU-Fraktion bei den Treckern gesehen, der gesagt hat, dass wir jetzt die europäischen Agrargelder Vizepräsidentin Petra Pau: kürzen. Dies hat übrigens niemand aus diesem Haus ge- Das Wort hat Dr. Franziska Brantner für die Fraktion sagt. Das heißt, die Kürzungen werden nicht kommen. Bündnis 90/Die Grünen. Wir würden die Gelder gerne umschichten, damit die Landwirte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Land- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirtschaft begleitet werden.

Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der zweite Weg: neue Eigenmittel. Eine Plastiksteuer NEN): wurde von der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Digitalsteuer, Finanztransaktionsteuer – diese Bundesre- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen gierung sagt generell: Nein, keine Eigenmittel. – Auch und Herren! Wenn wir über den deutschen Haushalt re- dieser Weg ist verschlossen. den, reden wir auch über den deutschen Beitrag zum eu- ropäischen Haushalt. Vielleicht zur Einordnung: Der ge- Bei dem dritten Weg – wie erhöhen wir den europä- samte europäische Haushalt ist 2020 doppelt so groß wie ischen Haushalt an sich? – sagt diese Bundesregierung: der Haushalt von Nordrhein-Westfalen. Zur Einordnung 1 Prozent vom europäischen Bruttonationaleinkommen. des deutschen Beitrags: Wenn man alles abrechnet, was Das bedeutet eine De-facto-Kürzung des europäischen an Deutschland zurückfließt, also zum Beispiel Landwirt- Haushaltes, wenn der kommt. Alle Experten haben schaftsgelder und Strukturfondsgelder, stellt man fest: gesagt: Wenn wir den Haushalt nach dem Brexit halten Der deutsche Beitrag liegt gemessen am Bruttoinlands- wollen, brauchen wir 1,16 Prozent. Das heißt, diese Bun- produkt bei 0,4 Prozent. Das ist schon aufgerundet. Von desregierung geht mit einer Kürzung in die nächsten sie- diesen 0,4 Prozent wird alles finanziert: Erasmus, For- ben, zehn Jahre, in denen so viel von uns abhängt. Das schung, Agrargelder, Strukturfonds. Es ist interessant, nenne ich Zukunftsverweigerung, Herr Maas. dies hinsichtlich der Debatten, die wir später führen wer- den, einmal ins Verhältnis zu setzen. Beim Verteidigungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16333

Dr. Franziska Brantner (A) Ich möchte wirklich an Sie appellieren: Gehen Sie von Wir brauchen keinen Rückzug in den Nationalstaat, wir (C) der Bremse! Nehmen Sie diese Herausforderungen an, brauchen eine ganz ehrliche Analyse: Was kann die Eu- vor denen Deutschland und Europa stehen! Das ist doch ropäische Union gut, und wo muss sie eben besser wer- die Zukunftsaufgabe. Das wird vom gesamten Haus un- den? Die Europäische Union wird ganz klar daran gemes- terstützt. Ich weiß nicht, woran es Ihnen mangelt: Mut, sen werden, wie sie mit den großen Fragen umgeht: von Weitsicht, was auch immer. Gehen Sie von der Bremse. Klimaschutz, Digitalisierung, aber ganz besonders auch Tun Sie diesem Land einen Gefallen. in dem Bereich Außen- und Sicherheitspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist ja überhaupt kein Geheimnis, und wir müssen nicht drum herumreden: Wenn es ernst wird, dann ducken Ich möchte ganz zum Schluss einen Dank an dieses wir uns gerne mal weg, dann verlassen wir uns gerne auf Haus aussprechen: Fraktionsübergreifend haben Sie bei andere. Oder, wie der Politikwissenschaftler Robert Ka- einem wichtigen Thema die falschen Entscheidungen der gan einmal gesagt hat: Die USA machen das Essen – Minister wieder rückgängig gemacht. Sie haben zum Bei- Europa macht den Abwasch. Selbst diese Arbeitsteilung spiel die Mittel für das Deutsch-Französische Jugend- scheint mittlerweile ein Stück weit obsolet geworden zu werk wieder erhöht. Es war absolut notwendig, diese sein. nicht zu kürzen, wenn Merkel und Macron sagen: Wir wollen das stärken. – Außerdem ging es um die Brücken Wir in der CDU/CSU-Fraktion sind überzeugte Trans- zwischen Deutschland und Frankreich im Eisenbahnver- atlantiker, und wir sind überzeugte Europäer. Gerade des- kehr und darum, Mobilitätsstudien zu ermöglichen. Das halb sagen wir: Es ist richtig, dass wir mehr tun müssen, kam alles aus diesem Haus. Danke, dass Sie das ermög- und es ist höchste Zeit, dass wir uns von der Position des licht haben. Zaungastes verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Graf Lambsdorff, ich schätze Sie sehr, aber was das Thema Ideenlosigkeit angeht, möchte ich Sie gerne vom Vizepräsidentin Petra Pau: Gegenteil überzeugen. Gerade Ursula von der Leyen, un- Das Wort hat Dr. Katja Leikert für die CDU/CSU-Frak- sere neue Kommissionspräsidentin, ist hier vorangegan- tion. gen und hat eine ambitionierte Agenda vorgelegt, gerade (Beifall bei der CDU/CSU) für den Bereich Außen- und Sicherheitspolitik. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ja, wir ha- Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): ben sie ja auch mitgewählt heute Morgen in (B) Straßburg!) (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir wollen, ist Sicherheit, und was wir – Ja, sehr gut. ganz sicher nicht brauchen, ist die Angst, die Sie hier Es ist richtig, dass die Entscheidungsprozesse der Eu- rechts gerne verbreiten und die sich heute schon wieder ropäischen Union modernisiert werden. Diese Entschei- den ganzen Tag wie eine rote Linie durch die Debatten dungsprozesse stammen noch aus einer Zeit, als die Eu- zieht. ropäische Gemeinschaft sechs westeuropäische Staaten (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Braune umfasst hat. Mittlerweile sind es 28 Staaten. Was wir Linie!) brauchen, sind mehr qualifizierte Mehrheitsentscheidun- gen, um die Europäische Union handlungsfähiger werden Wenn wir uns die Welt anschauen, dann sehen wir, dass zu lassen. wir Europäerinnen und Europäer, wir Deutschen sicher- Was wir ganz sicherlich auch brauchen, ist eine stärke- lich in einer der sichersten und freiesten Zeiten leben. Die re europäische Verteidigungsfähigkeit. Wir wollen eine Europäerinnen und Europäer haben sich eben sehr klug Armee der Europäer aufbauen. Das wird natürlich nicht entschieden bei der letzten Wahl zum Europäischen Par- heute passieren, das wird nicht morgen passieren. Dafür lament. 201 Millionen Europäerinnen und Europäer ha- braucht es Zwischenschritte, wie zum Beispiel einen Ver- ben sich für eine stabile Europäische Union ausgespro- bund europäischer Streitkräfte, wo gemeinsam Fähigkei- chen. Sie haben die Mitte gestärkt und sich für Freiheit, ten geplant, beschafft und betrieben werden. Wohlstand und Sicherheit entschieden. Was wir auch brauchen, ist natürlich mehr Effizienz bei Die Menschen wissen eben ganz genau, worauf es an- gemeinsamen Rüstungskooperationsprojekten. Ich bin kommt. Sie wollen echte Lösungen für die großen He- der festen Überzeugung: Wenn wir den Mut haben, hier rausforderungen, und sie wollen, dass Europa zusammen- Souveränität auch ein Stück weit abzugeben, dann wer- hält, weil sie ganz genau spüren, dass auf die großen den wir mehr Sicherheit gewinnen. Fragen eben nur eine starke Gemeinschaft antworten kann. Was sie nicht wollen, ist dieser dumpfsinnige Na- Und Sicherheit ist natürlich – das wurde mehrfach an- tionalismus, der immer wieder von Ihrer Seite, hier am gesprochen; wir müssen das jetzt endlich umsetzen – rechten Rand, kommt. mehr als nur gute Ausrüstung. Sicherheit ist auch, dass wir die Bereiche Diplomatie, Entwicklungszusammenar- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und beit und Verteidigung stärker miteinander verzahnen. der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Völl- „Vernetzte Sicherheitspolitik“ ist hier das Stichwort. iger Blödsinn!) Wir brauchen eine kluge EU-Afrika-Politik, wir brauchen 16334 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Katja Leikert (A) aber auch kluge Abrüstungsinitiativen und verstärkt Christian Petry (SPD): (C) Nichtverbreitungsmaßnahmen. Die EU hat beim Beispiel Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Iran gezeigt, dass wir das leisten können, aber wir müssen Herren! Wir haben wieder eine Europäische Kommis- hier einfach mehr tun. sion, die gewählt ist und arbeiten kann. Das ist zunächst mal ein guter Tag für Europa. Wir haben auch etwas über Liebe Franziska, du hast eben den mehrjährigen Fi- das Arbeitsprogramm gehört. Da ist vieles drin, was nanzrahmen angesprochen. Auch hier brauchen wir mehr schon in den Bewerbungsreden und in der Präsentation Reformbereitschaft. Es ist eben nicht so, dass wir nomi- der Kandidaten genannt wurde, und auch das lässt hoffen nell weniger Geld zur Verfügung hätten – auch in dem für Europa und für die neuen Weichenstellungen. Wir nächsten mehrjährigen Finanzrahmen nicht, selbst wenn sind gespannt, ob denn auch alles eingehalten wird. die Briten jetzt die Europäische Union verlassen. Wir haben uns zusammen mit unserem Koalitionspartner im Der Start war natürlich ein bisschen schwierig. Wir Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, weiterhin 1 Prozent haben bei der Europawahl motivierte Bürgerinnen und unseres Bruttonationaleinkommens an die Europäische Bürger und eine hohe Wahlbeteiligung gehabt. Es gab Union zu zahlen. Das bedeutet nominell 10 Milliarden das Spitzenkandidatenprinzip, das mit einer sehr fragwür- Euro mehr pro Jahr, als wir jetzt schon zahlen. Das ist digen Zeitschiene direkt über Bord geworfen wurde. Es eine ganz klare Zusage. wurde ein Zeitdruck aufgebaut, der nicht da war, und letztlich kam es dazu, dass die Vorschläge so sind, wie Selbstverständlich gilt für den europäischen Haushalt sie sind. Gleichwohl: Nun ist die Kommission da, und wir das, was auch für den nationalen Haushalt gilt: Wir müs- wollen selbstverständlich die Politik der Europäischen sen auch streng sein mit dem europäischen Haushalt, und Union auch über den Haushalt des Auswärtigen Amtes der europäische Haushalt muss ganz klar einen Mehrwert begleiten. bringen. Die Mehrheitsfindung und die Bewältigung des Brexit (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Aha!) sind wichtige Themen. Außerdem geht es um die Frage: Wie erweitern wir uns? In Bezug auf den Balkan ist das Wir haben die großen Herausforderungen skizziert, vor immer noch offen. Das ist eine schwierige Situation. Ich denen Europa steht; ich brauche das hier nicht zu wieder- glaube, wir haben hier im Deutschen Bundestag einen holen: Migrationskrise, Neuausrichtung der US-Politik, sehr weisen und sinnvollen Beschluss gefasst. Unsere Klimaschutz usw. französischen Partner, Dänemark und die Niederlande (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So, so, „Mi- haben dies noch nicht mitgemacht. grationskrise“!) Wir haben auch die Zusage, dass das soziale Europa (B) (D) All das muss sich auch in dem neuen Haushalt widerspie- weiter in die Herzen der Menschen gebracht wird, zum geln, und die Prioritäten für mehr gemeinsame For- Beispiel durch die Arbeitslosenrückversicherung und den schung, mehr Innovation, mehr Digitalisierung, mehr europäischen Mindestlohn. Aber auch der Green New Klimaschutz und natürlich auch mehr gemeinsame Au- Deal – es geht um die neuen Aufgaben – ist ein Schwer- ßen- und Sicherheitspolitik müssen klar justiert werden. punkt. Wir sprechen hier von einem roten Fingerabdruck. Es ist auch klar – und auch diese Debatte müssen wir Bei den Stellungnahmen im Europäischen Parlament ehrlich führen –, dass die traditionellen Ausgabenberei- wurde heute gesagt – das hat mir gut gefallen –, der Green che, wie „Agrar und Kohäsion“, nicht in demselben Maße New Deal sei so was wie eine Wassermelone; sie ist au- aufwachsen können. ßen grün, aber innen muss sie ganz viel Rot haben, damit dies auch sozial akzeptiert und umgesetzt werden kann. Sehr geehrte Damen und Herren, es ist ganz klar: Das Projekt Europa wird sich daran messen lassen müssen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – wie gut es sich in den großen Fragen bewährt. Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ja, jetzt ge- ben Sie es auch noch zu! Früher haben Sie das (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wer war hier bestritten!) eigentlich 14 Jahre an der Regierung?) – Herr Lambsdorff, ein bisschen mehr Eigenkritik wäre Wir von der CDU/CSU wollen eine starke, handlungs- an dieser Stelle gut gewesen, wenn Sie andere kritisieren. fähige Europäische Union. Ich kann Sie nur einladen, mit Weil Sie es mit Herrn Macron ein bisschen besser können, uns diesen Weg gemeinsam zu gehen. haben Sie seine „Hirntod“-Kritik irgendwie so ein biss- chen als unangemessen abgetan. Alles andere haben Sie Herzlichen Dank. scharf kritisiert. Sie sollten mal nicht so selbstgefällig sein, sondern eher das große Ganze sehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nach 14 Jahren Regierungsver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) antwortung!) Ich glaube, dass wir noch sehr viel vorhaben, und ich erwarte von der Europäischen Union und unserer Flan- Vizepräsidentin Petra Pau: kierung, dass wir auch in der Handelspolitik die Nach- Das Wort hat der Kollege Christian Petry für die SPD- haltigkeitskriterien beachten und eine europäische Fraktion. Industriepolitik betreiben, die unseren industriellen Be- stand sichert und stärkt. Auch das ist wichtig, und Sozial- (Beifall bei der SPD) demokraten werden dies dort entsprechend einbringen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16335

Christian Petry (A) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sagen Sie doch (Beifall bei der CDU/CSU) (C) mal was zur deutschen Außenpolitik! Immer nur Europa!) Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Wir haben in diesem Haushalt die Vorbereitung für den Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mehrjährigen Finanzrahmen getroffen. Frau Leikert, es Wir leben in einer Zeit von Umbruch, von Umbrüchen, ist nicht 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens, son- von Auflösung von Ordnung und der Entstehung von dern es ist mehr vereinbart. Die Basis der Verhandlungen neuen Machtpolen und neuen Machtzentren. Die Bürger ist 1 Prozent. Das steht jetzt drin. Wo wir am Ende lan- erwarten, brauchen Orientierung, damit sie Vertrauen da- den – Franziska Brantner hat es gesagt, obwohl da netto rin haben können, dass wir das schaffen. und brutto ein bisschen verwechselt wurde –, ist auch klar: Orientierung geben wir nicht und können wir nicht geben, wenn wir reagieren, wenn wir hinterherlaufen, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE sondern wir brauchen eine strategische Sicht. Wir brau- GRÜNEN]: Nein, nein, nein! Das ist netto!) chen Gestaltungs- und Handlungswillen. Darin stimmen Natürlich sind es beim mehrjährigen Finanzrahmen schon wir, glaube ich, überein; das ist mehrfach gesagt worden. mehr. 0,4 Prozent waren es netto, 1 Prozent und 1,06 bzw. Ich möchte mich auf ein Thema konzentrieren und dazu 1,08 Prozent sind es brutto. einige Anmerkungen machen. Das Thema lautet China. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Dieses Thema ist heute mehrfach angesprochen und GRÜNEN]: Ja, habe ich genau so gesagt!) auch von der Bundeskanzlerin völlig zu Recht mit ins Zentrum ihrer Rede gestellt worden. Gerade seitdem Xi Hier werden wir den Außenminister darin bestärken, dass Jinping die Macht in China übernommen hat, erleben wir er hier gut verhandelt und wir die Ausfinanzierung der eine dramatische Veränderung in diesem Land. Wir haben Europäischen Union entsprechend vornehmen. einen völlig neuen geopolitischen Machtanspruch Chi- Ich möchte an dieser Stelle Heiko Maas dafür danken, nas. Wir haben eine neue technologisch-wirtschaftliche dass er diese Aufgaben für uns bewältigt. Michael Roth Wettbewerbsfähigkeit und zum Teil Überlegenheit ge- möchte ich selbstverständlich für die vielen Kontakte genüber europäischen Firmen und Ländern. Wir haben danken, die wir untereinander im Jahr haben, sodass wir eine konsequente Überwachung, teilweise Unterdrü- dies alles so gestalten können. ckung eigener Bürger, ethnischer und religiöser Minder- heiten mit modernsten digitalen Methoden. Und wir ha- ben eine inzwischen nicht mehr begrenzte, weder zeitlich Vizepräsidentin Petra Pau: (B) noch durch die Prinzipien der kollektiven Führung, mo- (D) Herr Kollege Petry. nolithische Führung der Partei und des Staates.

Christian Petry (SPD): Meine Damen und Herren, das sind so dramatische Wir werden ein starkes Europa brauchen: Denn wir Veränderungen und Herausforderungen, die nur eine sind in Europa eingebettet. Wir brauchen dafür klare Zu- Schlussfolgerung gebieten, nämlich: Wir brauchen eine ständigkeiten. Ich wünsche mir für die nächsten Jahre China-Strategie, deutlich mehr Engagement aus dem Kanzleramt in dieser (Beifall bei der CDU/CSU) Frage. die wir nicht haben, glaube ich. Am besten wäre eine Vizepräsidentin Petra Pau: westliche China-Strategie. Diese ist im Moment noch Kommen Sie bitte zum Schluss. nicht erkennbar. Aber sicher wäre es gut, eine europä- ische China-Strategie zu haben. Aber damit die entsteht, brauchen wir eine strategische Meinungsbildung in Christian Petry (SPD): Deutschland; Dann passt auch das Vorgehen des Auswärtigen Amtes. In diesem Sinne freue ich mich auf die kommende Zeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben Visionen für Europa. denn in Europa schaut man auf uns und auf die Weichen- Glück auf! stellungen, die wir vornehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der CDU/CSU) des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP]) Und das gibt es zum Teil ja auch. Es wird immer ge- Vizepräsidentin Petra Pau: sagt: Wir brauchen das. Bei dem Thema 5G zum Beispiel Ich bitte, bei den weiteren Verhandlungen alle Dank- gibt es eine Risikobewertung der Europäischen Kommis- sagungen schon in die Redezeit einzurechnen und sie sion. Sie spricht ganz eindeutig von den Gefahren und nicht hintendran zu hängen. Verwundbarkeiten für das 5G-Netz, die entstehen, wenn (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) Unternehmen, die unter staatlichem Einfluss stehen, die- ses Netz ausbauen. Das Wort hat der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sehr richtig!) 16336 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Norbert Röttgen (A) Dieser Bewertung hat Deutschland zugestimmt. Es ist haben wir die Möglichkeit, auf China Einfluss auszuüben, (C) eine richtige Position, meine Damen und Herren, dass weil Deutschland China braucht, aber China auch das so verabschiedet worden ist. Deutschland braucht –, in einer solchen Situation, in der wir technologische Abhängigkeiten reduzieren müssen, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE in der wir unsere Kompetenzen steigern müssen, wäre GRÜNEN]: Halten Sie sich mal dran!) es fatal falsch, wenn wir den Ausbau des 5G-Netzes an Ich würde Sie bitten, Herr Kollege Maas: Wenn Sie China outsourcen würden, statt eine europäische indust- sich – Deutschland hat ja auf der europäischen Ebene rielle Kompetenz zu entwickeln, meine Damen und Her- dafürgestimmt – für die Verbreitung der Information un- ren. seres Abstimmungsverhaltens im Bereich der Bundesre- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gierung verwenden könnten und wenn auch die Bundes- Christoph Matschie [SPD]) netzagentur einen Hinweis darauf bekommt, wie sich Deutschland auf europäischer Ebene richtig verhält, dann Mein letzter Punkt: China als Widersacher. Nur zwei wäre das, glaube ich, gut. Anmerkungen. Erstens. China hat fundamental andere Werte. China steht zu seinen Werten. Auch wir Europäer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie sollten zu unseren Werten stehen, meine Damen und Her- der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜND- ren. Wir werden nicht stärker, wenn wir unsere Werte NIS 90/DIE GRÜNEN]) kompromittieren. Die Herausforderungen aus China für uns bestehen darin, dass China gleichzeitig alles ist: Partner, Wettbe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- werber und Widersacher. Die Europäische Kommission ordneten der FDP) hat China einen „systemischen Rivalen“ genannt. Zweitens – ich kann hier nur eine Anmerkung machen, weil mir die Zeit davonläuft –: Multilateralismus. China Ich fange mit dem ersten Punkt an: Ja, wir wollen hat ein relativ selektives Verhältnis zum internationalen China als Partner haben. China ist eine Realität, an der Recht. keiner vorbeikommt. Darum wollen wir diese Partner- schaft haben und pflegen. Zum Beispiel im Bereich des (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Allerdings!) Klimaschutzes ist sie unverzichtbar. China hat einen stei- genden CO -Ausstoß. Sein Anteil ist inzwischen bei Im Südchinesischen Meer passt das internationale Recht 2 dem chinesischen Machtanspruch nicht. Wir sind aber 27 Prozent der globalen CO2-Emissionen angekommen. Wenn wir den Klimawandel bekämpfen wollen, geht das doch alle Multilateralisten. Wir sind doch für die regel- nicht ohne China, schon gar nicht gegen China. Vielmehr basierte Ordnung. Also müssen wir wenigstens mal in die (B) brauchen wir China als Partner an dieser Stelle. Lage kommen, rational darüber zu diskutieren: Was heißt (D) es, wenn ein so großes marktmächtiges Land sich so ver- Zweitens: China als Wettbewerber. Noch ist das Ver- hält und das internationale Recht verletzt? Dann ist das hältnis von Import und Export ausgeglichen. Noch haben nicht der „Platz an der Sonne“; dann ist das nicht irgend- wir eine Win-win-Situation. Aber die Entwicklungsrich- ein imperialistisches Denken, sondern es geht um unseren tung im Verhältnis zu China ist eine andere. China drängt glaubwürdigen, effektiven Einsatz für einen regelbasier- technologisch bzw. in seiner Wettbewerbsfähigkeit im- ten Multilateralismus – auch gegenüber China, meine mer weiter vor, auch in klassische deutsche Kompetenz- Damen und Herren. gebiete im Bereich der Industrie. Im Bereich der künst- lichen Intelligenz ist China weit voraus. Da ist die Frage: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sind wir schon abgehängt oder noch anschlussfähig? Das ordneten der FDP) heißt, hier verändert sich die Entwicklungsrichtung in der Weise, dass China dominant wird und wir an Wettbe- Vizepräsidentin Petra Pau: werbsfähigkeit einbüßen. Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die CDU/ Darum, glaube ich, ist die Herstellung, die Beibehal- CSU-Fraktion. tung von wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit auf der (Beifall bei der CDU/CSU) Basis von Innovation das Herzstück einer deutschen und europäischen China-Strategie. Wenn uns das nicht ge- Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): lingt, können wir allen Einsatz für Menschenrechte, Geo- politik und Multilateralismus vergessen, meine Damen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und Herren. Es geht um dieses Herzstück, das wir erhal- Selten haben Menschenrechte und humanitäre Hilfe glo- bal eine solche Herausforderung dargestellt wie heute. ten müssen. Millionen Menschen haben oder wollen ihre Heimat ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lassen, um Ausweglosigkeit und Gewalt zu entrinnen. neten der SPD und der FDP und der Abg. Für viele ist das freie Europa die Hoffnung. Umso Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE wichtiger bleibt, dass wir die Menschen darin bestärken GRÜNEN]) und aktiv unterstützen, ihren Weg nicht nach Europa, Darum ist es, glaube ich, geboten, dass wir Abhängig- sondern in ihrem eigenen Land zu machen. Das ist ein keiten gegenüber China vermeiden und reduzieren, dass Gebot der Humanität und auch ein Gebot der Klugheit. wir unsere Absatzmärkte diversifizieren. In einer solchen Wir setzen der Migration dort was entgegen, wo wir die Phase, in der sich das Zeitfenster langsam schließt – noch Ursachen bekämpfen. Das ist kluge Strategie. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16337

Michael Brand (Fulda) (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. 2019. In Hongkong haben die Chinesen gerade bei der (C) Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]) freien Wahl den Kommunisten eine klare Absage erteilt. Deutschland und die internationale Gemeinschaft tun gut Deutschland packt bei der humanitären Hilfe immer daran, die Freiheit Hongkongs zu verteidigen, wie auch ganz vorne mit an. Fast 1,6 Milliarden Euro im aktuellen die Unterdrückung der Uiguren und anderer Hunderter Haushalt: Da ist seit 2012 eine Vervielfachung festzustel- Millionen ethnischer und religiöser Minderheiten wie len. Das betrifft im Übrigen nicht nur die staatliche Hilfe. der Tibeter – ein kultureller Genozid – oder der über Das betrifft auch tausendfach privaten Einsatz. So möchte 80 Millionen Christen, die in China verfolgt werden, ich hier, sicherlich auch im Namen des ganzen Hauses, nicht länger still zu dulden. den vielen großen und kleinen Initiativen von Herzen danken, die eine der besten deutschen Traditionen am Wir als Deutscher Bundestag stehen dabei ganz ein- Leben erhalten, nämlich Menschen in Not zu helfen. deutig nicht auf der Seite einer, so muss man fast sagen, turbokapitalistischen kommunistischen Partei. Wir er- (Beifall bei der CDU/CSU) greifen Partei für die Menschenrechte, gegen Unterdrü- Dabei gilt auch: Wir wollen, dass humanitäre Hilfe Stück ckung und gegen Totalitarismus. für Stück weniger erforderlich wird. Denn es ist ja wahr: Gerade in diesem Jahr, in dem sich der Fall der Mauer Humanitäre Hilfe, so wichtig sie ist, bedeutet oft auch zum 30. Mal jährt, im Übrigen auch zum 70. Mal die Versagen, nämlich Versagen, rechtzeitig gehandelt zu ha- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, wird es noch ben. Sie ist sozusagen das Pflaster auf die Wunde. einmal deutlich: Die Menschenrechte zählen zur Staats- Es ist aber nicht die beste Lösung, vor allem Pflaster räson der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb werden auf Wunden zu kleben. Erfolg ist, aktiv und früh genug zu wir die Menschen und ihre Rechte immer verteidigen, im verhindern, dass Wunden überhaupt erst entstehen, und Kleinen wie im Großen. Menschenrechte sind – das wis- genau das verfolgen wir mit unseren Ansätzen von Kri- sen wir aus der eigenen jüngeren Geschichte – unteilbar. senprävention, von Klimaschutz, von Kooperation bis hin Sie haben die Teilung unseres Landes und unseres Kon- zur Stärkung von Zivilgesellschaft. Das ist der Kern un- tinentes überwunden. Weil die Menschen in Leipzig und serer Menschenrechtspolitik. Wir leisten durch Eintreten anderswo ihre Rechte eingefordert haben, wurde die für die Rechte der Menschen auf der ganzen Welt einen Friedliche Revolution ein historischer Erfolg. Das dient zentralen Beitrag dazu, dass Krieg, Flucht und Migration immer dem Frieden, im Inneren, zwischen den Nationen, nicht zum Kennzeichen dieses Jahrhunderts werden. Das unter den Völkern. Dafür setzen wir uns auch weiterhin ist angesichts von erstmals über 70 Millionen Menschen ein: für ein friedliches und menschenwürdiges Leben, weltweit, die in diesem Jahr auf der Flucht sind, und von und das überall. (B) 135 Millionen Menschen, die auf Hilfe zum Überleben (D) angewiesen sind – also zwei Negativrekorde, die wieder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gebrochen worden sind –, eine komplexe Herausforde- neten der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: rung, der wir uns noch Jahrzehnte stellen müssen. Das Amen!) ist die Wahrheit, und das müssen wir, das können wir und, liebe Kolleginnen und Kollegen, das werden wir Vizepräsidentin Petra Pau: auch tun. Ich schließe die Aussprache. Bei einer Debatte über Menschenrechte kommt man in Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 – diesen Tagen ganz sicher nicht an der massiven Unter- Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung. Wer stimmt drückung der Menschenrechte in China vorbei. Es ist dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Nie- hohe Zeit, dass wir global die kommunistische Führung mand. Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der CDU/ Chinas unter ihrem Diktator auf Lebenszeit als das Risiko CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen begreifen, das der neue chinesische Totalitarismus global der AfD-Fraktion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die bedeutet. Es ist eine sehr gefährliche Kombination aus Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- totaler digitaler Überwachung und mittelalterlicher Re- nommen. pression. Das Modell China ist das Modell Totalitaris- mus 2.0. Wenn wir dem nicht entgegentreten, wird sich Ich rufe Tagesordnungspunkt I.11 auf: dieses Krebsgeschwür global weiter ausbreiten. Das zeigt Einzelplan 14 ja auch das Interesse von Staaten wie Russland, wie Sau- Bundesministerium der Verteidigung di-Arabien an diesen Überwachungsapparaten und -tech- niken, die gegen die Uiguren gerade eingesetzt werden. Drucksachen 19/13913, 19/13924 Auch deswegen ist es wichtig, dass wir nicht naiv sind bei der Frage der nationalen Sicherheit, bei der Frage von Berichterstatter sind die Abgeordneten Dr. Reinhard Huawei und dass wir es eben nicht zu einem Einfallstor Brandl, Dennis Rohde, Martin Hohmann, Karsten Klein, für Spionage und Sabotage werden lassen. Michael Leutert, Dr. Tobias Lindner. Zu dem Einzelplan 14 liegen zwei Entschließungsan- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und träge der Fraktion der AfD, zwei Entschließungsanträge der Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] und der Fraktion der FDP sowie ein Entschließungsantrag der Bijan Djir-Sarai [FDP]) Fraktion Die Linke vor. Über die Entschließungsanträge Wie sehr die Chinesen selbst die Freiheit lieben, zeigen werden wir am Freitag nach der Schlussabstimmung ab- nicht nur die Ereignisse von 1989, sondern auch die von stimmen. 16338 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die hat, ist seriöse Finanzplanung möglich. Deutschland ist (C) Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen im Falle eines Angriffs auf das Bündnisgebiet heute rück- Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Ich bitte, jetzt wärtiger Raum. Geschossen wird woanders. Doch auch notwendige Gespräche aus dem Plenum herauszuverla- der rückwärtige Raum braucht eine solide finanzpoliti- gern. sche Planung. Wie viele Eisenbahnstrecken braucht Deutschland in einem solchen Falle, wie viele Munitions- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- depots? Wo werden die verbündeten Truppen unterge- ordnete Rüdiger Lucassen für die AfD-Fraktion. bracht? Welche Kräfte braucht die Bundeswehr, um Inf- (Beifall bei der AfD) rastruktur und die Truppenbewegungen zur Front zu schützen? Alles nicht bekannt. Woher also weiß dann Rüdiger Lucassen (AfD): die Bundesregierung, dass die 45 Milliarden Euro sinn- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Eine se- voll ausgegeben werden? riöse Planung des Verteidigungshaushaltes ist nur mög- Aus diesem Grund sitzt der Bundesregierung auch ihre lich, wenn man weiß, was die Bundeswehr können muss. gemachte Zusage von 2 Prozent gegenüber der NATO im Der Auftrag der Bundeswehr ist die Landes- und Bünd- Nacken. Es stimmt schon: Die nationalen Verteidigungs- nisverteidigung. Aber wie sieht die Verteidigung unseres ausgaben an der Höhe eines schwankenden Bruttoin- Vaterlandes heute aus? Die Bundesregierung weiß das landsprodukts festzumachen, ist nicht klug. Trotzdem nicht. Im Kalten Krieg war die Sache klar: 1 400 Kilometer hat die Regierung Merkel das unterschrieben. innerdeutsche Grenze mussten verteidigt werden. Wenn man weiß, was auf der Feindseite steht, und weiß, was die Besser ist, Verantwortung für das eigene Land zu über- eigenen Truppen können, lässt sich der Bedarf an Perso- nehmen. nal und Material verlässlich kalkulieren. Daraus ergibt sich dann ein seriöser Verteidigungshaushalt. (Beifall bei der AfD) Heute ist die militärpolitische Planung komplizierter. Verantwortung heißt, die Kosten für die äußere Sicherheit Deutschland ist kein potenzieller Frontstaat mehr. Ort, Deutschlands nicht auf andere abzuwälzen. Das hat unser Dauer und Art einer notwendigen Verteidigung sind we- Land in eine zu große Abhängigkeit gebracht. Verantwor- sentlich schwerer zu berechnen. Das entbindet die Bun- tung heißt, die Bundeswehr so auszurüsten, dass sie zur desregierung aber nicht von der Pflicht, eine solche Pla- Landes- und Bündnisverteidigung befähigt ist. Verant- nung trotzdem vorzunehmen. Nur dann kann der wortung heißt, die NATO im Sinne deutscher Sicherheit Bundestag tatsächlich beurteilen, was die Bundeswehr zu gestalten. mit 45 Milliarden Euro macht. (B) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da sind wir (D) (Beifall bei der AfD) doch dabei!) Tatsache ist: Die Bundesregierung hat solche Planun- Die Bundesregierung muss ihre Spinnerei mit einer EU- gen nicht. In den schwammig formulierten drei Heften Armee aufgeben und sich angemessen im Bündnis ein- aus dem BMVg – Weißbuch, KdB, „Fähigkeitsprofil“ – bringen. sind diese existenziell wichtigen Ausplanungen für die Verteidigung Deutschlands nicht enthalten. So bleibt die (Beifall bei der AfD – Ingo Gädechens [CDU/ Feststellung: Der Verteidigungshaushalt der Bundesre- CSU]: Kommt in Ihrer Rede noch was Substan- gierung basiert zu einem erheblichen Teil auf Gefühlen: zielles, oder geht das so weiter?) auf dem Gefühl, die Bundeswehr brauche von allem Dann kann die NATO zu einem Verteidigungsbündnis mehr, und dem Gefühl, von der eigenen 2-Prozent-Zu- werden, in dem die Europäer – die Europäer! – für ihren sage an die NATO getrieben zu werden. Gefühle aber sind Kontinent selbst die Verantwortung übernehmen, mit die denkbar schlechteste Planungsgrundlage für Streit- starker deutscher Führung. kräfte. Verantwortung heißt nicht: mehr Auslandseinsätze (Beifall bei der AfD) rund um den Globus mit unklarem Ziel und ungewissem Was muss die Bundeswehr also tun? Als wichtigste Ausgang. Aufgabe muss sie einen Plan zur Verteidigung Deutsch- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE lands und zum deutschen Beitrag zur Bündnisverteidi- GRÜNEN]: Selbst wenn man versucht, Sie zu gung erarbeiten: Wo müssen wir verteidigen? Wie lange verstehen, ist es unmöglich! Es macht gar kei- müssen wir durchhalten? Welche Kräfte braucht die Bun- nen Sinn!) deswehr dazu? Klar ist, Verteidigung ist heute nicht mehr „all in“, also überall, mit allem, was wir haben, auf unbe- Meine Damen und Herren, an der Sicherheitspolitik grenzte Zeit; das ist nicht möglich und auch nicht nötig. der Bundesregierung hat sich nichts verbessert: substanz- lose Syrien-Vorschläge, strategielose Auslandseinsätze, Das heißt aber: Verteidigung heute findet in Schwer- Beschaffungsmisere und das Abschieben echter politi- punkten statt. Diese Schwerpunkte liegen dann auch nicht scher Führung auf immer neue Arbeitsgruppen. Depri- an der deutschen Grenze, sondern möglicherweise mierende Routine seit über 14 Jahren, und das für fast 500 Kilometer weiter ostwärts. Was braucht die Bundes- 45 Milliarden Euro! wehr also, um einer solchen Aufgabe gewachsen zu sein? Schwere Transporthubschrauber? Hochmobile Einsatz- Danke fürs Zuhören, nicht für Ihre strategielose Sicher- kräfte? Erst wenn man einen solchen Bedarf ermittelt heitspolitik. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16339

Rüdiger Lucassen (A) (Beifall bei der AfD – Ingo Gädechens [CDU/ Frau Ministerin, vielen Dank. Ich glaube, mit diesem (C) CSU]: Ja, danke für die inhaltslose Rede! – Haushalt können Sie ruhigen Gewissens zum NATO-Gip- Peter Beyer [CDU/CSU]: Danke für nichts! – fel nach London fahren. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Also, so weit un- ter Ihrem Niveau!) (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Da fährt sie aber gar nicht hin! Da fährt nur die Kanzlerin hin!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Er ist ein Zeichen dafür, dass Deutschland seine Ver- Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion. pflichtungen gegenüber seinen Partnerländern erfüllt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Geld haben ist das Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): eine, Geld sinnvoll investieren ist das andere. Ich bin der Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ministerin dankbar, dass sie als eine der ersten Maßnah- Die wichtigste Botschaft dieser Debatte möchte ich gleich men die Neuorganisation der Beschaffung in die Hand am Anfang loswerden: Der Verteidigungshaushalt wächst genommen und schon nach wenigen Wochen die ersten zum sechsten Mal in Folge. Entscheidungen dazu getroffen hat; denn wir laufen hier in ein echtes Problem. Auf der einen Seite haben wir eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – hohe Qualität bei der Beschaffung erreicht. Wir haben Niema Movassat [DIE LINKE]: Genau das ist umfangreiche Vorschriften, wir beteiligen den Bundes- das Problem!) rechnungshof, wir gewinnen regelmäßig vor Gerichten, Wir durchbrechen die Schallmauer von 45 Milliarden Eu- wenn Rügen ausgesprochen werden, es werden Wirt- ro. Wir werden im nächsten Jahr eine NATO-Quote von schaftlichkeitsbetrachtungen durchgeführt. Die Beschaf- 1,42 Prozent erreichen. fung in Deutschland läuft gut und richtig ab. Auf der anderen Seite wächst die Bundeswehr und wächst der (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Bedarf der Bundeswehr deutlich schneller als die Be- Meine Damen und Herren, da es hier in Deutschland schaffungsorganisation. Das führt dazu, dass der Stapel und im Hohen Haus Fragen und Diskussionen zur Ver- der unerledigten Vorgänge bei den Bearbeitern immer lässlichkeit der deutschen Regierung in Bezug auf die größer wird. Einhaltung der Zusagen gibt, bitte ich, folgende Zahlen Jetzt wollen wir nicht an die Qualität der Beschaffung, zu beachten: Wir waren 2015, als wir die Zusagen gegen- an die Qualität der Entscheidungen, aber wir müssen da- (B) über der NATO gemacht haben, bei 1,18 Prozent. 2018 rangehen, den Vergabeprozess effizienter zu machen. Da (D) haben wir die Ausgaben auf 1,2 Prozent gesteigert. Wir gibt es noch Potenzial, und es lohnt sich, auch einmal sind jetzt bei 1,42 Prozent, und wir werden unsere Zu- einen Blick über den Tellerrand in die anderen europä- sage, 2024 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für ischen Länder zu werfen. Ich saß gemeinsam mit Profes- Verteidigung auszugeben, locker einhalten. sor Eßig von der Universität der Bundeswehr München (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: im Expertenrat zur Neuorganisation der Beschaffung. Er Ja, wenn das BIP einbricht!) hat jetzt eine interessante Studie veröffentlicht, in der er sich die Rüstungsbeschaffungen in Europa einmal ange- Das ist die Botschaft, die heute auch an unsere interna- sehen hat. Es gibt eine Datenbank, in der alle öffentlichen tionalen Partner gerichtet ist. Unsere internationalen Part- europaweiten Ausschreibungen abgebildet sind. Wenn ner sind natürlich ob der Diskussionen in Deutschland man den Bereich Sicherheit und Verteidigung nimmt, immer wieder nervös. Ich sage immer: Keep calm and stellt man fest, dass fast 25 Prozent der Vergaben aus trust ! Deutschland kommen. Nummer zwei ist Polen – die ha- (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE ben schon halb so viel wie wir –, und Großbritannien und GRÜNEN]: Können Sie das übersetzen?) Frankreich sind bei der Anzahl weit abgeschlagen. Wenn man sich dann aber anschaut, wie hoch die Vergabesum- Der Bundestag hat in den vergangenen Jahren immer me im Durchschnitt ist, stellt man fest, dass es in Deutsch- noch etwas draufgelegt für die Bundeswehr und für un- land etwa 2,8 Millionen Euro, in Großbritannien gut sere Soldatinnen und Soldaten. So werden wir es auch 18 Millionen Euro und in Frankreich 75,8 Millionen Euro dieses Jahr machen. pro Vergabe sind. Das heißt, um die gleiche Summe zu erreichen, die Frankreich in einem Rutsch vergibt, brau- (Beifall bei der CDU/CSU) chen wir in Deutschland 27 Einzelvergaben. Frau Bundesministerin, es ist Ihr erster Haushalt, und Sie haben es in wenigen Monaten geschafft, in diesem Meine Damen und Herren, jetzt kann man das positiv bereits guten Haushalt einen eigenen Akzent zu setzen. sehen, weil wir damit den europaweiten Wettbewerb för- Durch Ihren großen persönlichen Einsatz in den letzten dern. Aber wenn man sich anschaut, dass wir im Schnitt Wochen ist es gelungen, dass wir noch einmal 134 Millio- pro Ausschreibung weniger als zwei Angebote bekom- nen Euro obendrauf haben legen können, und zwar für men, bedeutet das, dass es hier großes Potenzial gibt, Munition und Übungen. Beschaffungen zu bündeln und auch den Prozess weiter zu verschlanken und größere Lose auszuschreiben. Die (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ministerin hat viele Maßnahmen angekündigt und bereits Genau!) ihre Umsetzung angewiesen, und ich hoffe, dass das dazu 16340 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dr. Reinhard Brandl (A) führen wird, dass wir insgesamt einen besseren und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) schlankeren Beschaffungsprozess haben werden; denn Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist für sonst werden wir die Bedarfe der Bundeswehr in Zukunft die FDP-Fraktion der Kollege Karsten Klein. nicht decken können. (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Haushalt sagen. Karsten Klein (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das war Kollegen! Ich will zum Beginn erst einmal Ihnen, Frau eigentlich das Thema!) Ministerin, und natürlich auch dem gesamten Ministe- Wir haben nämlich nicht nur das Thema „Beschaffung rium für die gute Zusammenarbeit während der Haus- und Material“ in den Mittelpunkt gestellt, sondern auch haltsberatungen und der Beantwortung der vielen Fragen die Soldatinnen und Soldaten. Unser Ziel mit diesem danken. Lieber Reinhard Brandl, auch dir als Hauptbe- Haushalt war, ganz gezielt die Soldatinnen und Soldaten richterstatter natürlich recht herzlichen Dank und auch an zu stärken. Ich will ganz kurz vier Bereiche anschneiden, alle Mitberichterstatter einen herzlichen Dank für die gute damit Sie sehen, in welche Richtung wir gedacht haben Zusammenarbeit. und was wir umgesetzt haben. Ich will aber die Gelegenheit auch nutzen, liebe Kolle- ginnen und Kollegen, um mich bei den Soldatinnen und Da sind zum Ersten die Stellenverbesserungen. Wir Soldaten für ihren Dienst, den sie für dieses Land jeden haben im Haushalt zahlreiche Stellenverbesserungen vor- Tag erbringen, zu bedanken. Sie schützen unseren Frie- genommen, indem insgesamt über 4 000 neue Beförde- den und unsere Freiheit. Das ist allen Lobes wert. rungsstellen geschaffen werden. Das heißt, im kommen- den Jahr müssen 4 000 Soldaten weniger lange warten (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und können schneller befördert werden, wenn sie die Eig- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nung und Leistung bereits erreicht haben. Es sind genü- Zu dieser Wertschätzung gehört aber auch, dass wir es gend Stellen dafür vorhanden. der Bundeswehr ermöglichen, an Jobbörsen zum Beispiel Das Zweite ist: Wir stärken die Verantwortung vor Ort, an Hochschulen teilzunehmen. Deshalb möchte ich an indem wir den Kommandeuren ein Handgeld in Höhe von dieser Stelle an betroffene Mitglieder und nachgeordnete 25 000 Euro in die Hand geben. Dadurch wird Verant- Parteiorgane von hier vertretenen Fraktionen appellieren, wortung nach unten verlagert. Sie haben schneller die da vielleicht einmal das Gespräch mit Jugendorganisatio- nen zu führen; denn es ist wichtig, dass unsere Truppe (B) Möglichkeit, auch unbürokratisch etwas zu beschaffen. (D) Sie müssen sich im Nachhinein dafür rechtfertigen, es hochqualifiziertes Personal anwerben kann. Und dann ist aber nicht im Vorhinein beantragen. es schlecht, wenn bestimmte Hochschulgruppierungen das permanent verhindern. Das dritte Beispiel. Wir investieren massiv in die per- (Beifall bei der FDP – Dr. Götz Frömming sönliche Ausrüstung. Alleine den Titel für Bekleidung [AfD]: Schüler auch!) heben wir um 155 Millionen Euro an. Das wird bei jedem Soldaten im nächsten Jahr spürbar ankommen. Die Ausrüstungssituation der Truppe, liebe Kollegin- nen und Kollegen, und die Herausforderungen der inter- Das vierte Beispiel. Wir setzen das kostenlose Bahn- nationalen Sicherheit – ich will das am Anfang hier noch fahren für Soldaten in Uniform um. einmal klipp und klar benennen – machen für uns Freie Demokraten einen kontinuierlichen Mittelaufwuchs bei der Bundeswehr absolut nötig. Das stellen wir hier in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: keiner Weise infrage. Aber, Frau Ministerin, wie ist die Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. aktuelle Situation? Der Kollege Brandl ist darauf kurz eingegangen. Natürlich könnte man bei einem ersten Blick auf die Vergangenheit und die Aufwüchse im Ver- Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): teidigungsetat zu dem Schluss kommen, dass das schon Vor weniger als einem Jahr haben wir als CSU-Landes- hervorragende zusätzliche Mittel sind. Aber bei genaue- gruppe das auf unserer Klausurtagung in Kloster Seeon rem Hinschauen stellt man fest, dass diese Steigerungen beschlossen. Ich bin der Ministerin unendlich dankbar, leider immer erst auf den letzten Metern erzielt worden dass sie dieses wichtige Thema aufgegriffen und umge- sind. setzt hat. Das ist ein deutliches Zeichen der Wertschät- zung für unsere Soldatinnen und Soldaten. Sie werden in (Dennis Rohde [SPD]: Na und?) der Öffentlichkeit sichtbarer; da gehören sie auch hin. Ein kontinuierlicher Aufwuchs und damit eine Planung Meine Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zu von großen Rüstungsprojekten wird durch Ihr Verhalten, dem Haushalt. Es ist ein guter Haushalt. liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, verhin- dert. Das gilt es, Frau Ministerin, endlich abzustellen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich bin da bei Weitem nicht so optimistisch wie der ordneten der SPD) Kollege Dr. Brandl; denn der Blick in die Zukunft, in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16341

Karsten Klein (A) Ihren mittelfristigen Finanzplan, zeigt doch, dass es ge- ken, dass aufgrund dieser Diskussion – auch über schon (C) nau so weitergeht. Die Mittel stagnieren nicht nur, son- bestehende Systeme und deren Fortführung – der Blick dern sie gehen sogar absolut zurück. Das trifft übrigens verstellt wird für die entscheidenden Fragen für die Zu- noch viel extremer auf die NATO-Quote zu. kunft, nämlich bei der Digitalisierung der Truppe und bei den möglichen Cyberangriffen auf unser Land. Wir sind (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist ein in diesem Bereich noch viel zu wenig nach vorne gegan- Skandal!) gen. Wir brauchen da noch viel mehr Investitionen, viel Damit verhindern Sie, dass große, wichtige Investitions- mehr Engagement der Bundesregierung. Wir drohen hier projekte wie zum Beispiel der schwere Transporthub- wirklich den Anschluss zu verlieren, um mit den Partner- schrauber endlich eingeführt werden können und damit innen und Partnern auf Augenhöhe kommunizieren zu die Truppe versorgt wird. können. Deshalb möchte ich Sie nachdrücklich bitten, da endlich Gas zu geben. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Genau!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Noch extremer wird es natürlich in so einem Etat wie Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. bei Ihnen, Frau Ministerin, wo wir über eine Personal- quote von 43 Prozent sprechen; denn das zeigt, dass auch Karsten Klein (FDP): bei stagnierenden Mitteln immer weniger für Beschaf- fung zur Verfügung steht als in den aktuellen Jahren. Des- Nicht der schönste Panzer entscheidet in Zukunft die halb muss endlich die Trendwende bei der langfristigen Gefechte, sondern die richtigen Kommunikationssyste- Mittelausstattung Ihres Etats erreicht werden. me. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP) Ich will auch an dieser Stelle noch darauf hinweisen: (Beifall bei der FDP) Ich glaube nicht, dass Sie, wenn Sie jetzt zum NATO- Gipfel fahren, so viel Schulterklopfen bekommen, wie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: das hier angekündigt worden ist; denn die Partnerinnen Vielen Dank, Herr Kollege Klein. – Als Nächster hat und Partner sehen, dass wir auf das 1,5-Prozent-Ziel, das das Wort der Kollege Dennis Rohde, SPD-Fraktion. Sie für 2024 angekündigt haben, in keiner Weise zuarbei- ten. Viele Investitionen und Gelder in diesem Haushalt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten viele Projekte sind nicht mit Mitteln in der mittelfristigen der CDU/CSU) (B) Finanzplanung hinterlegt, sind also Nullbuchungen in (D) diesem Haushalt. Das muss man auch den Soldatinnen Dennis Rohde (SPD): und Soldaten klar sagen. Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist das sechste Mal, dass wir in dieser Uns ist aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Legislaturperiode über den Einzelplan 14 hier im Plenum Mittel alleine kein Selbstzweck sind. Es bringt ja nichts, diskutieren. Das eine oder andere, was hier an Argumen- den Trichter immer größer zu machen, aber den Trichter- ten ausgetauscht wird, ist und war ja vorhersehbar. Die durchfluss genauso klein zu lassen. Deshalb besteht die einen sprechen davon, dass wir die Bundeswehr vernünf- Frage der Effizienz des Beschaffungssystems. Auch die tig ausrüsten. Die anderen verkehren das und sprechen Effektivität, nämlich das, was am Ende bei der Truppe darüber, wir würden aufrüsten. Dann gibt es die anderen, ankommt und wie viel die Truppe zur Verfügung hat, ist die sagen, wir müssten mehr Geld ausgeben, wir müssten nach wie vor verbesserungswürdig. Quoten erfüllen, und wieder andere sagen: Eigentlich (Beifall bei der FDP) muss das Geld in ganz anderen Bereichen verausgabt werden. Da lohnt auch ein Blick in den aktuellen Bericht zur Einsatzbereitschaft der Waffensysteme. Das ist eigentlich Ich finde aber, es muss uns in dieser Debatte im Kern als Geheim eingestuft; aber wir konnten das ja diese Wo- immer um etwas anderes gehen: Es geht zentral um un- che alle in der Presse nachlesen. Wenn man sich die Zah- sere Verantwortung als Parlament gegenüber unserer Par- len anschaut, die jetzt veröffentlicht worden sind, dann lamentsarmee. Wir entscheiden über die Einsätze der Sol- stellt man fest, dass sich an dieser Einsatzbereitschaft datinnen und Soldaten, und wir haben als Umkehrschluss überhaupt nichts getan hat in den letzten Jahren. Das ist sicherzustellen, dass sie die von uns übertragenen Auf- genau das, glaube ich, was die Soldatinnen und die Sol- gaben auch in Gänze wahrnehmen können. Das ist unsere daten umtreibt: dass wir hier zwar über große Summen Verantwortung, das kommt für uns auch in diesem Ein- reden, die immer wieder in den Haushalt eingestellt wer- zelplan zum Ausdruck. den, aber am Ende bei den Soldatinnen und Soldaten viel zu wenig ankommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP – Alexander Graf Wenn ich über die Verantwortung eines Parlaments ge- Lambsdorff [FDP]: Genau! Das ist das Prob- genüber seiner Parlamentsarmee spreche, dann, finde ich, lem!) gehört auch noch etwas anderes dazu, nämlich dass wir es Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eines hinwei- gemeinsam als Parlament nicht zulassen, dass Debatten sen, Frau Ministerin: Meine Fraktion hat große Beden- über Einsätze der Bundeswehr innenpolitisch motiviert, 16342 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dennis Rohde (A) initiiert oder geführt werden. Dieser Schutz unserer Sol- le-Leipzig ausgebremst hat. Ich möchte daher etwas in- (C) datinnen und Soldaten muss auch von diesem Parlament tensiver auf diesen Punkt eingehen; denn ich finde, am ausgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Beispiel dieser Agentur kann man etwas Grundsätzliches deutlich machen. Es geht dabei auch um das Selbstver- (Beifall bei der SPD und der FDP) ständnis dieses Parlaments. Ich sage Ihnen, liebe Kolle- Einsätze der Bundeswehr müssen immer außen- und si- ginnen und Kollegen: Dass wir uns Zeit genommen ha- cherheitspolitisch begründet werden, sie müssen immer ben, war notwendig und richtig. Eine Frage kommt doch die Werte und die Festschreibung unseres Grundgesetzes auch immer wieder auf uns als Parlamentarier zu, näm- berücksichtigen, und sie dürfen niemals zur Selbstver- lich: Was habt ihr eigentlich aus dem Untersuchungsaus- ständlichkeit verkommen. schuss gelernt, und was verändert ihr eigentlich in eurer Politik? Wir als Sozialdemokraten haben bereits in der letzten Debatte hier deutlich gemacht, dass für uns die sicher- (Henning Otte [CDU/CSU]: Das kommt ja erst heits- und einsatzrelevante Infrastruktur der Bundeswehr noch!) in staatliche Hand gehört. Ich finde, man muss umso mehr zu dem Ergebnis kommen, wenn man sich die veränderte Zur Wahrheit gehört: Im Bundesministerium der Ver- globale Lage ansieht. Man muss umso mehr zu dem Er- teidigung wurden Strukturen verändert, es wurden Ar- gebnis kommen, wenn man sich das Weißbuch der Bun- beitsabläufe verändert. Frau Ministerin, auch wenn wir desregierung ansieht. Man muss umso mehr auch zu die- das Ausmaß der Auswirkungen noch nicht kennen, be- sem Ergebnis kommen, wenn man sich die Erkenntnisse grüßen wir das sehr. Aber zur Wahrheit gehört eben auch: des Untersuchungsausschusses ansieht. Deshalb begrü- Der Bundestag hat ja nicht nur ein Auskunftsrecht gegen- ßen wir als Sozialdemokraten ganz ausdrücklich die ge- über der Regierung. Wir als Deutscher Bundestag haben meinsame Entscheidung in der Koalition, die gemeinsa- zuvorderst einen verfassungsrechtlichen Auftrag, näm- me Entscheidung mit CDU/CSU und mit dem lich die Kontrolle der Regierung, die Kontrolle der Mi- Verteidigungsministerium, die Heeresinstandsetzungs- nisterien und auch die Kontrolle der ihnen nachgeordne- werke nicht zu verkaufen. Das ist die richtige Entschei- ten Bereiche, wie zum Beispiel der GmbHs. dung. Sie ist konsequent, und, ich glaube, sie ist auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nachhaltig. der FDP) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir als Deutscher Bundestag müssen uns eine Frage DIE GRÜNEN) stellen: Konnten wir diesem Auftrag in der Vergangenheit Dieser grundsätzliche Gedanke – dass die sicherheits- eigentlich gerecht werden? Ich finde, man kann nur zu (B) relevante Infrastruktur in staatliche Hand gehört – gilt einer Antwort kommen: Wir sind diesem Auftrag nicht (D) perspektivisch auch beim Gefechtsübungszentrum. Der gerecht geworden. Ich will ein Beispiel nennen. Wenn es Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat be- in verschiedenen GmbHs im Geschäftsbereich des Ver- schlossen, den Auftrag letztmalig extern zu vergeben, und teidigungsministeriums erhebliche Verwerfungen zwi- das Verteidigungsministerium aufgefordert, die Voraus- schen Aufsichtsrat und Geschäftsführung gibt, wenn es setzungen zu schaffen, es zukünftig im Eigenbetrieb zu Streit um wesentliche Zielrichtungen der Firmen und da- machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Staat vor pri- mit auch Streit um einen Teil der Ausrichtung der Regie- vat statt privat vor Staat. rung gibt und der Deutsche Bundestag das Ganze erst mitbekommt, wenn am Ende die Scherben zusammenge- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: fegt werden, dann funktioniert das System nicht. Das stimmt nicht immer! Das kann stimmen! Das muss nicht stimmen! Hauptsache, es funk- (Beifall der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/ tioniert!) DIE GRÜNEN]) Das muss das Credo einer verantwortungsbewussten Si- Wenn das bestehende System nicht funktioniert, dann ist cherheitspolitik im 21. Jahrhundert sein. es unsere Verantwortung, Konsequenzen zu ziehen und Liebe Kollegen, es gibt sicherlich Bereiche, wo dieser das nicht funktionierende System zu verändern. Grundsatz aufgrund externer Einflüsse nicht allzu leicht (Beifall der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack- darstellbar ist. Dazu gehört sicherlich der hartumkämpfte Zimmermann [FDP]) Arbeitsmarkt im IT-Bereich. Genau das tun wir mit der Cyberagentur. Wir schlagen Ich möchte für die Sozialdemokraten hier noch einmal ein neues Kapitel parlamentarischer Kontrolle mit dieser deutlich machen: Uns ist bewusst, die Digitalisierung GmbH auf. Ab sofort sitzen Parlamentarier im Aufsichts- macht auch vor der Bundeswehr nicht halt. Cybersicher- rat; wir bekommen also mit, wenn es Streit gibt, und wir heit wird zunehmend wichtiger; das erleben wir tagtäg- bekommen auch mit, wenn es Verwerfungen gibt. Nun lich, auch in unseren Debatten, zum Beispiel heute Mor- bin ich kein Freund davon, parlamentarische Kontrolle gen, als es um das 5G-Netz ging. Deshalb gibt es gute nach außen zu verlagern. Ich finde, parlamentarische Gründe, eine Cyberagentur einzurichten, eine Agentur, Kontrolle gehört ins Parlament, und am Ende des Tages die Schlüsseltechnologien in der Cybersicherheit für die werden auch nicht alle Fraktionen im Aufsichtsrat ver- Bundesrepublik nutzbar machen wird. treten sein können. Daher ist es umso wichtiger, dass wir In den letzten Wochen wurde oft kritisiert, dass die mit der Cyberagentur ein engmaschiges Berichtswesen SPD die Gründung dieser Cyberagentur im Raum Hal- für das Parlament festschreiben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16343

Dennis Rohde (A) (Beifall bei der SPD) die genauso absurd ist, mit dem gleichen (C) Daher ist es umso wichtiger, dass wir vollständige Trans- Konstruktionsfehler, indem Sie sagen, wir bräuchten parenz bei Anfragen aus dem parlamentarischen Raum mehr Auslandseinsätze. Die brauchen wir nicht, liebe vertraglich festgehalten haben. Ministerin. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Ich dachte immer, wir freuen uns hier, wenn Auslands- Daher ist es umso wichtiger, dass sich der Deutsche Bun- einsätze beendet werden. destag die Zustimmungspflicht bei wesentlichen Verän- derungen dieser GmbH gesichert hat. Es darf keine Aus- (Beifall bei der LINKEN) gründung, es darf keine Erweiterung ohne unsere Zustimmung geben. Ich dachte immer, wir freuen uns, wenn Konflikte nicht mit Waffen gelöst werden, wenn wir friedliche Lösungen (Beifall bei der SPD) finden. Aber offensichtlich habe ich mich geirrt. Ich sage Ihnen: Solche Debatten sind verantwortungslos, mindes- Es ist auch wichtig, festzuhalten, dass diese im hoch- tens den Soldatinnen und Soldaten gegenüber. sicherheitsrelevanten Bereich des Innenministeriums und Verteidigungsministeriums veranlagte GmbH nicht für (Beifall bei der LINKEN) Dritte, nicht für die Privatwirtschaft tätig werden kann. Wegen dieser Auslandseinsätze – der Kollege Brandl Damit senken wir die Gefahr, dass es einen Wissenstrans- hat es angesprochen – wird in letzter Zeit wieder verstärkt fer weg vom Staat gibt. darüber gesprochen, dass man den Soldatinnen und Sol- All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat das par- daten mehr Dank und Anerkennung entgegenbringen lamentarische Verfahren gebracht. Ich finde, das ist wirk- sollte. lich ein neues Kapitel parlamentarischer Kontrolle, das wir hier festschreiben. (Henning Otte [CDU/CSU]: Sehr gut!) Sie nehmen daher für ein Mittel Geld in die Hand, näm- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Marie- lich dass die Soldatinnen und Soldaten ab nächstem Jahr Agnes Strack-Zimmermann [FDP]) kostenlos Bahn fahren können,

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Henning Otte [CDU/CSU]: Auch sehr gut!) Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. allerdings nur in Uniform.

(B) (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (D) Dennis Rohde (SPD): Was denn sonst? In Badehose!) Abschließend: Wir haben, liebe Kolleginnen und Kol- legen, als ein selbstbewusstes Parlament eine Verantwor- Ich frage mich, wieso das? tung gegenüber der Exekutive. An uns gehen die Miss- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir wollen die stände nicht vorbei. Wir verändern Strukturen dort, wo es Soldaten in der Gesellschaft sichtbarer ma- notwendig ist. Ich finde, wir können sagen: Wir als Parla- chen!) ment haben auch aus den Erkenntnissen des Untersu- chungsausschusses gelernt. Hat ein Soldat, der in Zivil fährt, den Dank und die An- erkennung nicht mehr verdient? Vielen Dank. Die Auflösung ist eigentlich ganz einfach – Kollege (Beifall bei der SPD) Brandl hat es auch kurz anklingen lassen –: Im Kern geht es bei dieser Maßnahme überhaupt nicht um Dank und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Anerkennung. Vielen Dank, Herr Kollege Rohde. – Nächster Redner (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Michael Doch, genau darum geht es!) Leutert. Im Kern geht es darum, die Bundeswehr stärker in der (Beifall bei der LINKEN) Öffentlichkeit zu verankern.

Michael Leutert (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ja, auch! Das ist Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau richtig! Das wird auch Zeit!) Ministerin, seit mehreren Jahren führen wir eine ziemlich absurde Debatte bei uns im Land, nämlich die Debatte um Ich sage Ihnen: Damit instrumentalisieren Sie die Solda- das 2-Prozent-Ziel, also 2 Prozent gemessen am Brutto- tinnen und Soldaten für einen politischen Zweck, den sie inlandsprodukt für Verteidigung auszugeben. Die Debatte vielleicht überhaupt nicht mittragen wollen. Das ist das ist deshalb absurd, weil wir nicht fragen: Wie ist die Problem. Problemlage? Welche Aufgaben leiten sich daraus ab, und wie viele Mittel bräuchten wir dafür? Vielmehr wird (Beifall bei der LINKEN] – Stefan Keuter zuerst festgestellt: So viel soll ausgegeben werden, und [AfD]: Dafür sind sie Soldaten!) dann überlegen wir uns, was wir damit machen wollen. – Wenn es Ihnen um das Erscheinungsbild der Bundes- Diese Debatte dauert an. Sie beginnen eine neue Debatte, wehr in der Öffentlichkeit ernst ist, dann kümmern Sie 16344 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Michael Leutert (A) sich einmal um die folgenden zwei Dinge. Es wird jedes Lage sind, hier an diesem Pult Ausgabenhöhen und Pro- (C) Jahr viel Geld für eine Werbungagentur zur Anwerbung zentzahlen vorzutragen und wie glücklich Sie das macht. von Nachwuchs ausgegeben. Diese Agentur ist dieses Wir diskutieren nicht nur das sechste Jahr in Folge über Jahr mit einem Plakat aufgefallen, auf dem stand: Bun- einen steigenden Wehretat, sondern wir reden auch das deswehr „Gas, Wasser, Schießen“. Dieser Spruch in Ver- sechste Jahr in Folge darüber, wo es bei der Bundeswehr, bindung mit deutschem Militär ist so etwas von ge- trotz allem, was sie in den Auslandseinsätzen leistet, vor schichtsvergessen und historisch verantwortungslos, allem wenn wir auf Liegenschaften, Material und die Ein- dass man da eigentlich Konsequenzen ziehen müsste. satzbereitschaft schauen, Baustellen gibt. Meine Fraktion kommt zu dem Ergebnis: Am Geld kann es offensichtlich (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei nicht gelegen haben. Geld ist in Hülle und Fülle vorhan- Abgeordneten der AfD und der FDP) den. Es liegt an den Prozessen; deswegen nützt mehr Geld Die Konsequenzen – ich habe nachgefragt – sind aber an dieser Stelle auch nichts, Herr Kollege. gleich null. Man denkt, es gibt dabei einen gewissen Lerneffekt. Aber der Lerneffekt hat nicht eingesetzt. Heu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) te haben wir die Meldung gelesen, dass auf dem offiziel- len Instagram-Account der Bundeswehr eine Wehr- Frau Ministerin, wenn ich mir das Beschaffungskapitel machtsuniform mit Hakenkreuz gepostet wurde mit Ihres Haushalts anschaue, dann frage ich mich: Ja, ist dem Spruch: denn schon Weihnachten? – Das Ganze erinnert eher an einen Wunschzettel als an eine wirklich durchdachte, Auch Mode ist ein Aspekt. Bis heute halten sich strategische Planung, welche Systeme die Bundeswehr militärische Stilelemente in der Haute Couture. tatsächlich braucht und welche Priorität haben. Sie wol- len allein 3,4 Milliarden Euro für eine Euro-Drohne aus- Was soll damit eigentlich gesagt werden? geben, 8 bis 9 Milliarden Euro für ein Luftverteidigungs- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Marie-Agnes system. Hinzu kommen die Nachfolge des Tornados und Strack-Zimmermann [FDP]: Da war einer nicht andere Dinge wie der schwere Transporthubschrauber. in der Schule!) Das jetzt eingesetzte Modell ist älter als ich. Das wird wieder um ein Jahr geschoben. Was aus dem Mehrzweck- Was ist das für eine Aussage? Mit solchen Fehltritten kampfschiff wird, weiß im Moment kein Mensch. werden alle Soldatinnen und Soldaten in Mithaftung ge- nommen, und dann sollen sie in der Öffentlichkeit auch Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass das noch mit Stolz die Uniform tragen. Das passt nicht zu- alles mittelfristig nicht nur nicht finanziert ist. Die meis- sammen. ten Vorhaben sind vielmehr durch das Bundesministe- (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) rium der Finanzen qualifiziert gesperrt worden. Wenn man nachfragt, warum das so ist, lautet die Antwort: Ja, Kümmern Sie sich um diese Probleme. Es muss Kon- weil diese ganzen Vorhaben noch nicht haushaltsreif sind. sequenzen für die Werbeagentur geben. Sie müssen Kon- sequenzen aus diesem Instagram-Skandal ziehen. Neh- Am Ende des Tages, liebe Kolleginnen und Kollegen, men Sie rechtsextreme Tendenzen und Vorfälle ernst wird es zu Folgendem führen: Beschafft wird für die und gehen Sie dagegen in der Truppe vor. Helfen Sie auch Truppe nicht das werden, was am dringendsten ist, was den Soldatinnen und Soldaten, die davon betroffen sind, am wichtigsten ist und was wir jetzt brauchen; beschafft und setzen Sie sich mit dafür ein, dass es beim Wehr- wird werden, was entweder der Beschaffungsapparat oder beauftragten eine Melde- und Präventionsstelle gegen die Rüstungsindustrie liefern kann. Das ist ein Zufalls- Rechtsextremismus gibt. mechanismus. Das hat nichts mit einer durchdachten mi- litärischen Planung zu tun, und das ist ein Vorgehen, das (Beifall bei der LINKEN) meine Fraktion nicht unterstützen wird. So können Sie das Image der Bundeswehr in der Öffent- lichkeit aufpolieren, aber nicht, indem hier Debatten über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – mehr Auslandseinsätze angezettelt werden. Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Stimmt!) Vielen Dank. Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. Uns hat heute am späten Vormittag ein Schreiben Ihres Staatsse- (Beifall bei der LINKEN) kretärs Dr. Tauber erreicht, in dem er uns informiert, dass die Marine den Anfangsflugbetrieb mit dem neuen Mari- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nehubschrauber – ich betone: mit dem neuen Marinehub- Vielen Dank, Herr Kollege Leutert. – Nächster Redner schrauber – NH90 Sea Lion vorerst nicht aufnehmen für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege wird. Wir haben von der Firma Airbus bisher ein Exemp- Dr. Tobias Lindner. lar mit großem Medientamtam erhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt hat man bei der Überprüfung herausgefunden, dass deutlich mehr als 150 Positionen der interaktiven Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): elektronischen technischen Dokumentation fehlerhaft Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sind. Die Rede ist von „erheblichen Fehlern, die einen Kollegen! Herr Kollege Brandl, ich war ganz beein- sicheren Flugbetrieb des Hubschraubers aktuell nicht ver- druckt, zu sehen, mit welcher Begeisterung Sie in der antworten lassen“. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16345

Dr. Tobias Lindner (A) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer kann da- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) für?) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lindner. – Nächste Red- – Kollege Gädechens, ich mache Ihnen nicht den Vor- nerin ist für die Bundesregierung die Bundesministerin wurf, dass Sie irgendwie an dem Hubschrauber herumge- Annegret Kramp-Karrenbauer. schraubt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der der Verteidigung: FDP) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Darum geht es mir nicht. Ich glaube, da muss man das ren Abgeordnete! Meine sehr verehrten Damen und Her- Kind beim Namen nennen. Das war keine Qualitätsarbeit ren! Verehrte Soldatinnen und Soldaten! Ich freue mich, der Firma Airbus Helicopters – um das ganz deutlich zu dass ich heute den ersten Haushalt, der letztendlich auch sagen. unter meiner Verantwortung die Endabstimmung passie- ren wird, hier noch einmal verteidigen darf. Und das gilt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im wahrsten Sinne des Wortes; denn ich habe die eine sowie bei Abgeordneten der LINKEN) oder andere Äußerung von dem einen oder anderen Kol- Es zeigt aber eben nun mal, dass der Glaube „Wir kaufen legen aus der Opposition gehört und muss mich schon ein paar neue Systeme und stellen sie auf den Hof, dann etwas wundern. wird alles bei der Bundeswehr besser“ doch ein Irrglaube Ich habe unsere Beratungen in den zahlreichen Sitz- ist. ungen des Verteidigungsausschusses und des Haushalt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sausschusses eigentlich so wahrgenommen, dass viele der Fragen, die Sie gestellt haben, offen und sehr selbst- Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt, zur mate- kritisch miteinander besprochen worden sind. Insofern riellen Einsatzbereitschaft. Frau Kramp-Karrenbauer, wir habe ich das Gefühl, dass der eine oder andere hier einem als Mitglieder des Verteidigungsausschusses warten in Ritual folgt und ein gewisses Zerrbild der Bundeswehr diesen Tagen sehr gespannt, wann uns der nächste Bericht zeichnet, das der Realität so nicht entspricht. zur materiellen Einsatzbereitschaft erreichen wird. Bei „Spiegel Online“ konnten wir lesen, dass von 93 Tornados (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nur 20 flugbereit sind, von 53 Tiger-Kampfhubschrau- ordneten der SPD) bern 12 flugfähig sind und von 284 Schützenpanzern Pu- Die Bundeswehr – und das zeigt auch die Präsenz der (B) ma 67 einsatzbereit sind. Das ist aus zweierlei Sicht, ehr- Soldatinnen und Soldaten heute – ist eine Armee aus (D) lich gesagt, skandalös, liebe Kolleginnen und Kollegen. Staatsbürgern in Uniform, die in der Mitte der Gesell- Der erste Punkt ist: Die Trendwende Material, also das schaft steht und aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Vorhaben von Frau von der Leyen, die alles besser ma- Da gehört sie auch hin. chen sollte, wurde im Jahr 2016 verkündet. Seitdem ist der Wehretat um 10 Milliarden Euro gestiegen. Wenn wir Deswegen: Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass zu hier auf die nackten Zahlen gucken und sehen, dass sich dem Post auf Instagram, der eben angesprochen worden nichts signifikant verbessert hat, dann wird doch klar, ist, ganz deutlich sagen: Dieser Post ist nicht akzeptabel. dass mehr Geld an dieser Stelle nicht die Lösung ist. Er ist deswegen auch völlig zu Recht zurückgezogen wor- den. Die entsprechende Stelle hat um Entschuldigung für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesen Post gebeten, und dieser Entschuldigung schließe sowie bei Abgeordneten der LINKEN) auch ich mich ausdrücklich an; denn dieser Post passt Der zweite Punkt, Frau Ministerin, ist: Seit Neuestem nicht zu dem, was in unserem Traditionserlass zugrunde sind diese Zahlen ja alle geheim. Wenn diese nicht bei gelegt ist, dass nämlich die Wehrmacht grundsätzlich als „Spiegel Online“ gestanden hätten, dann könnten wir Institution für die Bundeswehr in keiner Weise sinn- und hier, in diesem Parlament, noch nicht einmal eine ernst- traditionsstiftend ist. Daran gibt es keinen Zweifel. gemeinte Debatte über den Zustand unserer Bundeswehr (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- führen. Ich bin sehr gespannt, ob Ihr nächster Bericht KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch wieder der Geheimhaltung unterliegt oder ob Sie sowie des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP]) eine solche Debatte ermöglichen. Wir haben das entsprechende Gespräch geführt. Es Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur sind dort persönliche Fehler passiert. Aber eine herzliche Chaos bei der Prioritätensetzung. Wir haben nicht nur Bitte habe ich: Wir haben mit den betroffenen Mitarbei- Chaos bei der materiellen Einsatzbereitschaft. Nein, wir tern der Stelle gesprochen. Bisher gibt es keinen Anhalts- haben auch Chaos in dieser Bundesregierung in Bezug punkt für irgendein politisches Motiv. auf den sicherheits- und außenpolitischen Kompass. Wenn SMS-Diplomatie in dieser Bundesregierung an (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist der Tagesordnung ist, dann wird auch ein Nationaler Si- doch peinlich!) cherheitsrat diese Probleme nicht lösen können. Ich möchte herzlich darum bitten, hier nicht mit solchen Herzlichen Dank. Anschuldigungen gegen die Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter aus diesen Bereichen aufzutreten, bevor Sie nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) entsprechende Beweise haben. 16346 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (C) neten der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Das ist wenig glaubwürdig! Wenig glaubwür- bei Abgeordneten der AfD) dig! – Abg. Gesine Lötzsch [DIE LINKE] mel- Das macht aber auch deutlich, dass wir Sicherheitspo- det sich zu einer Zwischenfrage) litik hier diskutieren müssen. Wenn von deutschen Inte- Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundes- ressen gesprochen wird, müssen wir uns vor Augen füh- wehr und die Soldatinnen und Soldaten tragen zu Recht ren: Wir müssen in diesem Haus die Debatte darüber den Wahlspruch: „Wir. Dienen. Deutschland.“ – Und das führen, wo deutsche Interessen, wo unsere Sicherheits- tun sie. Dieser Dienst ist ein gefährlicher Dienst. Es ist ein interessen, etwa im Kampf gegen und beim Schutz vor Dienst, der nicht nur im Innern, nicht nur in Deutschland islamistischem Terrorismus und anderem, auch gewähr- und im Bundesgebiet der NATO stattfindet; es ist auch ein leistet werden. Sie werden im Moment in Afghanistan Dienst, der im Ausland stattfindet. gewährleistet. Sie werden im Moment in der Sahelzone und in anderen Gebieten gewährleistet. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Niemand in diesem Haus – ich als Verteidigungsminis- Frau Bundesministerin, erlauben Sie eine Zwischen- terin am allerwenigsten – will einfach wahllos Soldatin- frage der Kollegin Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke? nen und Soldaten irgendwohin in gefährliche Einsätze schicken. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin wenn wir in der Welt Verantwortung tragen und eines der der Verteidigung: Länder sind, das wie kaum ein anderes auf freie Schiff- Gerne. fahrt angewiesen ist, weil wir mit die meisten Container auf den Weltmeeren transportieren, dann ist es gut, hier in diesem Haus von freier Schifffahrt und der Freiheit der Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Seewege zu reden. Der Glaube, dass immer irgendwelche Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – anderen Nationen ihren Kopf hinhalten und ihre Soldaten Sie, Frau Ministerin, haben gerade gesagt, es gebe kei- schicken, damit diese Freiheit gewährleistet ist, fehlt mir. nerlei Veranlassung, ein politisches Motiv hinter dem Darauf müssen wir uns einstellen. Das ist die Debatte, die Post zu vermuten. Welches Motiv könnte es denn sonst geführt werden muss, sein? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: ordneten der FDP und des Abg. Dr. Fritz Blödheit!) Felgentreu [SPD]) (B) (D) Oder anders gefragt: Sind Ihre Mitarbeiterinnen und Mit- Sie muss in einem Bündnis geführt werden, und dieses arbeiter so ungebildet, so naiv, dass ihnen so etwas unter- Bündnis – das sage ich hier ganz deutlich – ist und bleibt laufen kann? die NATO. Die NATO ist der Eckstein unserer Sicher- heitsarchitektur, und in der NATO ist das insbesondere (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) die Zusammenarbeit und die Freundschaft mit den Ame- rikanern. Ich habe heute mit dem General gesprochen, der Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin bis zum Sommer für ein Jahr die Verantwortung für un- der Verteidigung: sere Truppen in Afghanistan getragen hat. Wenn Sie sich Zuerst einmal, sehr geehrte Frau Abgeordnete, habe ich mit diesem Mann unterhalten, wenn er Ihnen erzählt, wie eben gesagt: Wir haben mit den Betreffenden sofort die oft er es amerikanischen Soldaten zu verdanken hat, dass Gespräche aufgenommen. Und bisher gibt es keinen An- sie unsere Soldaten in gefährlichen Situationen geschützt lass dafür, ein politisches Motiv anzunehmen. Es gibt haben, kann man nur sagen: Gott sei Dank gibt es die keine Hinweise darauf. Wenn es diese Hinweise gibt, transatlantische Freundschaft, und wir müssen alles da- dann nehmen wir das sehr ernst; aber bis es sie gibt, ransetzen, dass sie auch erhalten bleibt. würde ich bitten, davon Abstand zu nehmen, Beschuldi- gungen einfach in den Raum zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD] und Karsten Klein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- [FDP]) ordneten der FDP) Deswegen: Ja, mehr europäische Verteidigungszusam- Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Dienst der menarbeit, aber nicht um die NATO zu ersetzen, auch Soldatinnen und Soldaten ist kein einfacher Dienst. Er ist nicht, um sie in den Strukturen zu doppeln, sondern um gefährlich. Daran erinnern uns in diesen Tagen insbeson- den europäischen Pfeiler in der NATO zu verstärken. dere die 13 französischen Soldatinnen und Soldaten, die Denn auch hier kann es sein, dass wir in Situationen bei dem schweren Hubschrauberunfall in Mali ums Leben kommen, wo jemand sagt: Das ist vor allen Dinge Sache gekommen sind. der Europäerinnen und Europäer. – Wir spüren heute, dass wir, wenn das jeder für sich alleine tut, nicht sehr (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE weit kommen. Deswegen wollen wir das in diesem Sinne GRÜNEN]: Ja, absolut!) auch in der Arbeitsgruppe, die wir in der Bundesregie- Auch an sie möchte ich heute erinnern. Ich glaube, es ist rung insgesamt angeregt haben, mit den Freundinnen und auch ein Zeichen deutsch-französischer Solidarität, dass Freunden in der NATO besprechen, um ein gutes Mit- wir das an dieser Stelle tun. einander von europäischer Verteidigungsinitiative und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16347

Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (A) von NATO-Anstrengungen zu finden. Dazu brauchen wir nicht nur die Ansätze zu erhalten, sondern vor allen Din- (C) aber eine Bundeswehr, die entsprechend ausgestattet ist. gen auch noch etwas beim Thema Munition und beim Thema Übungen draufzulegen. Ich hoffe auf die gleiche Es stimmt nicht, dass es keinen Plan gibt, wie diese positive Begleitung, wenn es im nächsten Jahr darum Ausstattung aussehen soll. Wir haben uns verpflichtet, geht, die mittelfristige Finanzplanung entsprechend auf- bis 2031 10 Prozent aller Fähigkeiten, die in der Bündnis- zustellen und damit deutlich zu machen: Die Soldatinnen und Landesverteidigung gebraucht werden und die in der und Soldaten haben unsere Unterstützung, unseren Dank NATO, im Weißbuch der Bundesregierung, im Fähig- verdient, beim Bahnfahren, bei den Gelöbnissen, aber keitsprofil festgelegt sind, zur Verfügung zu stellen. Wir insbesondere dann, wenn wir hier das Geld organisieren, haben die Planungen, und wir wissen: Wir brauchen bis das wir für deren Schutz und deren Ausstattung brauchen. 2031, bis wir das entsprechend erreicht haben. Das ist die Grundlage, auf der wir arbeiten. Das ist die Grundlage, Vielen Dank. auf der wir mehr Geld brauchen, nicht nur in 2020, son- dern auch in der mittelfristigen Finanzplanung. Dafür (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- treten wir gemeinsam ein. Das sind wir der Sicherheit ordneten der SPD) unserer Soldatinnen und Soldaten schuldig, das sind wir aber auch der Solidarität im Bündnis der NATO und mit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: den europäischen Partnern schuldig. Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Die AfD-Frak- (Beifall bei der CDU/CSU) tion hat für den Kollegen Lucassen eine Kurzintervention beantragt. Herr Lucassen, Sie haben das Wort. Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich müssen dazu die Abläufe besser werden. Wir wissen Rüdiger Lucassen (AfD): doch – es ist kein Geheimnis; es ist transparent, seit vielen Frau Ministerin, zum Thema Wehrmachtsuniform. Jahren –, dass die Prozesse zu langsam sind, dass die Wenn Sie insinuieren, Ihr Haus oder Soldaten Ihres Ver- Einsatzbereitschaft nicht hoch genug ist und dass Geld antwortungsbereiches hätten einen Fehler gemacht, als alleine nichts nützt. Diese Debatte ist doch hier schon sie diese Wehrmachtsuniform veröffentlicht haben, dann tausendmal geführt worden. Deswegen braucht man es sagen Sie bitte auch ganz deutlich, dass die Wehrmacht nicht zu skandalisieren und so zu tun, als ob es etwas keine Naziarmee war Neues wäre. Das, worum wir uns kümmern müssen – das ist die Aufgabe; insbesondere fürs nächste Jahr –, (Widerspruch bei der CDU/CSU) ist, dass wir die Ausstattung verbessern, dass wir die Ein- satzfähigkeit verbessern, dass wir die Prozesse besser und dass viele Soldaten – dazu gehörten auch Graf von (B) steuern. Das ist die Aufgabe, die das Ministerium sich Stauffenberg oder Helmut Schmidt – zu dieser Zeit lieber (D) vorgenommen hat. Auch da freue ich mich auf die kriti- eine andere Kleidung getragen hätten. Millionen von Sol- sche und konstruktive Begleitung, insbesondere der Kol- daten hätten lieber eine andere Kleidung getragen, mein leginnen und Kollegen im zuständigen Ausschuss. Vater auch. Sagen Sie es so deutlich. Ich will mit Blick auf das Beispiel, das der Kollege Lindner genannt hat, nur eines sagen: Wir haben die Hub- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schrauber jetzt ausgeliefert bekommen. Diese Hub- Frau Ministerin, Sie können, müssen aber nicht ant- schrauber sind an sich auch flugfähig; das will ich an worten. dieser Stelle deutlich sagen. Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Verteidigung: NEN – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das Ich antworte gerne darauf. – Wir haben im Traditions- war ein Satz für die „heute-show“!) erlass der Bundeswehr sehr deutlich gemacht, dass die – Sie sind technisch flugfähig. – Aber wenn wir dazu die Wehrmacht als Ganzes, als Institution, nicht die Grund- Handbücher bekommen mit den Prozessen, die in der Art lage ist, um eine gute Tradition für die Bundeswehr zu und Weise, wie sie aufgesetzt sind, nicht gewährleisten, gewährleisten. Wir haben ausdrücklich gesagt: Diejeni- dass man ordentlich warten kann, dann gebieten es die gen, die im Widerstand waren, sind davon entsprechend Fürsorge und der Schutz für die Pilotinnen und Piloten, ausgenommen. – Dieser Traditionserlass ist lange und dass, heftig diskutiert worden, aber er ist ausdiskutiert. Er ist eine gute Grundlage für den heutigen Umgang innerhalb (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Bundeswehr. NEN]: Das habe ich ja auch nicht kritisiert!) solange das nicht geregelt ist, keiner dieser Hubschrauber (Beifall der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack- in die Luft geht. Deswegen ist diese Entscheidung, die wir Zimmermann [FDP]) an dieser Stelle getroffen haben, richtig. Das, was mit diesem Post passiert ist, vor allen Dingen in der Kombination des Bildes mit dem Text, ist nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. akzeptabel, und es dient dazu und ist geeignet dazu, das Dr. Eberhard Brecht [SPD]) Ansehen der Bundeswehr in unserer Gesellschaft und in Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf mich der Öffentlichkeit zu schädigen. Deswegen ist es richtig, ganz herzlich bei Ihnen bedanken, bedanken dafür, dass dass das sehr kritisch mit der entsprechenden Stelle be- es möglich war, in den Beratungen zu diesem Haushalt sprochen wird. 16348 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (A) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP antworten kann. Erstens kennt sie das Bild gar nicht, (C) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zweitens haben Sie eine Behauptung in den Raum ge- des Abg. Michael Leutert [DIE LINKE]) stellt, die sie erst einmal verifizieren müsste. Frau Ministerin, Sie können natürlich darauf antwor- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ten, aber es ist aus meiner Sicht momentan nicht ange- Wir haben eine weitere Kurzintervention. Der Kollege messen, bei der Beratung des Bundeshaushaltes der Ver- Neu, Fraktion Die Linke, hat das Wort. teidigung diese Frage aufzuwerfen. (Henning Otte [CDU/CSU]: Ja, die Extremen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hier links und rechts! – Dr. Marie-Agnes ordneten der SPD, der AfD und der FDP) Strack-Zimmermann [FDP], an den Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE] gewandt: Die Frau Ministerin will darauf, wie ich finde, zu Wollt ihr nicht zusammen in die Cafeteria ge- Recht, nicht antworten. hen?) Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Martin – Frau Kollegin Strack-Zimmermann, es ist das gute Hohmann, AfD-Fraktion. Recht von Parlamentariern, zu fragen oder eine Kurzin- (Beifall bei der AfD) tervention zu beantragen, auch wenn Ihnen das nicht ge- fällt. Da ich das zugelassen habe, können Sie davon aus- Martin Hohmann (AfD): gehen, dass ich sehr sorgfältig darauf achte, dass die Usancen eingehalten werden, freundlicherweise auch Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minis- von Ihnen. terin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verteidi- gungshaushalt für das Jahr 2020 erfährt eine Steigerung (Marianne Schieder [SPD]: Aber sie hat auf rund 45 Milliarden Euro. Das ist sehr zu begrüßen. grundsätzlich recht!) Ebenso positiv ist die Aufnahme des schweren Transport- hubschraubers, wenn auch über Verpflichtungsermächti- Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): gungen. Die Ankündigung der Ministerin, die Heeresins- Frau Ministerin, wir sind es ja gewohnt, dass solche tandsetzung bei den HIL-Werken und diese in Staatshand Vorfälle immer als Einzelfälle betrachtet werden. Dahin- zu belassen, kommt sowohl bei den dortigen Mitarbeitern ter stecken keine Systematik und auch keine ideologische als auch im Urteil der Fachleute gut an. Dass Sie, Frau Orientierung, sondern immer bedauerliche Einzelfälle. Ministerin, mit Ihrem politischen Gewicht das 2-Prozent- Man hat nachgefragt, und das Ganze hat sich als unideo- Versprechen gegenüber der NATO unterstützen, hebt sich (B) logisch herausgestellt, wie auch gerade wieder von Ihnen wohltuend von Äußerungen Ihrer Vorgängerin ab. Diese (D) ausgeführt. Ich habe hier ein Bild von einem Soldaten im hatte bei der Truppe allgemein ein Haltungsproblem aus- Bus in . gemacht, wohingegen Sie gegenüber der Mitarbeiter- schaft des Ministeriums einen Generalverdacht ausge- (Der Redner blickt auf sein Smartphone) schlossen haben. Das große öffentliche Gelöbnis am Da ging es jetzt nicht um Rechtsradikalismus, aber den- 12. November vor dem Reichstag entsprach Ihrer Ab- noch um eine Aussage, die ich sehr bedenklich finde. Auf sicht, Frau Ministerin, die Bundeswehr in der Öffentlich- seinem Bundeswehrrucksack trägt er folgenden Spruch – keit sichtbarer zu machen. Auf ähnlicher Ebene liegt Ihr das wurde von einer Bürgerin fotografiert und mir zuge- entschlossenes Handeln, Soldaten in Uniform ähnlich wie schickt –: „Krieg ist scheiße. Aber der Sound ist geil!“ Polizisten – natürlich in Uniform; diese Frage kam vorhin hier auf – kostenfreies Bahnfahren zu ermöglichen. (Henning Otte [CDU/CSU]: Kann er irgendwas erzählen, Herr Präsident?) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich mich hier über unsere Ministerin in für AfD-Verhältnisse rela- Das ist auch eine Verherrlichung des Militärs oder des tiv lobender Weise äußere, so ändert das doch nichts an Krieges. Wir verhalten Sie sich dazu? Das ist ein offiziel- grundlegenden Unterschieden. ler Bundeswehrrucksack, von einem Soldaten in der Öf- fentlichkeit getragen. Gibt es da keine Maßnahmen? (Zuruf von der FDP: Ah!) Einer davon betrifft Auslandseinsätze. Die meisten Aus- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: landseinsätze unserer Soldaten sind nicht im deutschen Herr Kollege Neu, ich darf darauf hinweisen, dass die Interesse Kurzintervention sich auf den Gegenstand der Beratung (Beifall bei Abgeordneten der AfD) beziehen sollte. und dienen nicht dazu, das Recht und die Freiheit des (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das war deutschen Volkes tapfer zu verteidigen – daher unser kla- Gegenstand der Beratung!) res Nein. Dass Sie ein Bild auf Ihrem Handy haben, von wem auch (Beifall bei der AfD) immer das gekommen sein mag, ist schon deshalb prob- lematisch, weil niemand von uns verifizieren kann, ob es Es gibt noch einen weiteren Unterschied zu Grund- sich dabei vielleicht nicht um Fake News handelt, was ja sätzen der heutigen Bundeswehr. Er liegt in der Frage: gelegentlich vorkommen soll. Deshalb habe ich große Woher kommen soldatische Tugenden? Ich spreche von Probleme damit, dass die Ministerin darauf überhaupt Tugenden aus dreihundert Jahren deutscher Militärge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16349

Martin Hohmann (A) schichte mit markanten Ereignissen wie den Befreiungs- Es muß unsere gemeinsame Aufgabe sein (C) kriegen und markanten Persönlichkeiten wie Scharnhorst – so Adenauer weiter – und Gneisenau. Unlängst wurde bei einem Internetauftritt der Bundeswehr die schon hier zitierte Wehrmachtsuni- – und ich bin sicher, wir werden sie lösen –, die form gezeigt. Es erhob sich ein politisch unterstützter sittlichen Werte des deutschen Soldatentums mit Shitstorm. Ich stelle drei Fragen: Hatten die damals leb- der Demokratie zu verschmelzen. enden Männer denn eine andere Wahl, als Soldat zu wer- den? Übertreiben wir nicht die Fixierung auf die Jahre (Beifall bei der AfD) 1933 bis 1945? Wer wollte den Worten dieses unmittelbaren Zeitzeu- gen, dieses großen deutschen Staatsmannes und christlich (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Hallo?) geprägten Patrioten widersprechen? Wird an den Soldaten, die damals gekämpft haben (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Die ge- (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Was ist das?) samte historische Wissenschaft der Bundesre- publik Deutschland!) – mein mehrfach verwundeter und hochbetagt gestorbe- ner Vater gehörte zu ihnen; ich nenne hier auch die ehe- – Da irren Sie sich. maligen Offiziere Richard von Weizsäcker, Helmut (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Alexander Schmidt, Heinrich Graf von Einsiedel Graf Lambsdorff [FDP]: Die gesamte! – Ge- (Marianne Schieder [SPD]: Die wären alle ge- genruf von der AfD: Nein!) gen diesen Post!) und Dr. –, nicht so etwas wie ein Ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schichtsexorzismus vollzogen? Herr Kollege, herzlichen Dank. (Marianne Schieder [SPD]: Oh je! Oh je!) (Beifall bei der AfD) Diese Diskussion besteht seit Beginn der Bundesrepub- Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin lik. Es war Bundeskanzler Dr. Adenauer, der am 3. De- Siemtje Möller, SPD-Fraktion. zember 1952 vor dem Deutschen Bundestag, damals in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bonn, sagte – wörtliches Zitat aus dem Bundestagsproto- der CDU/CSU) koll –: Siemtje Möller (SPD): (B) Ich möchte heute vor diesem Hohen Hause im Na- (D) men der Bundesregierung erklären, daß wir alle Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Waffenträger unseres Volkes … Mittendrin sollte es sein, inmitten der Republik, also in Berlin, mittendrin im politischen Herzen, also vor dem – Erster und Zweiter Weltkrieg muss damit gemeint sein – Reichstag, und mittendrin auch in der Bevölkerung, um die im Namen der hohen soldatischen Überlieferung wieder mittendrin auch im politischen Diskurs der Ge- ehrenhaft zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft sellschaft zu sein, rundum: Wo steht eigentlich die Bun- gekämpft haben, anerkennen. deswehr, und welche Verortung soll sie haben in der Ge- sellschaft? (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was hat denn das mit dem Verteidi- Ich war genauso wie viele andere – auch im Moment gungsetat zu tun?) anwesende Kolleginnen und Kollegen – dabei vor dem Reichstag, als die Rekrutinnen und Rekruten, umfangen (Beifall bei den Regierungsparteien.) vom Parlamentarismus, ihr feierliches Gelöbnis abgelegt haben. Ich finde, das war eine gute und sinnvolle Idee. – CDU/CSU, FDP – Dass auf diese Weise – im Rücken das Parlament, von Wir sind überzeugt, Angesicht zu Angesicht mit dem Bundestagspräsidenten und auch mit vielen Abgeordneten – dieses Gelöbnis ab- – so Adenauer weiter – gelegt wurde und damit der Begriff „Parlamentsarmee“, daß der gute Ruf und die große Leistung des deut- der ja hier häufig benutzt und häufig verwendet wird, vor schen Soldaten trotz aller Schmähungen während dem Reichstag mit Leben erfüllt wurde, das war eine gute der vergangenen Jahre in unserem Volke noch leben- und sinnvolle Idee. dig sind und auch bleiben werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei den Regierungsparteien …) CDU/CSU) Ich möchte aber auch der Vollständigkeit halber sagen: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das Gelöbnis war nicht vollständig gut umgesetzt. Denn Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle- die Verortung im gesellschaftlichen Diskurs und eine gen Graf Lambsdorff? physische Teilhabe von großen Teilen der Bevölkerung war nicht gegeben. Martin Hohmann (AfD): (Henning Otte [CDU/CSU]: Der Maas war Ich will jetzt abschließen; vielen Dank, Herr Präsident. nicht da!) 16350 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Siemtje Möller (A) Dementsprechend muss man hier sagen: Es war eine gute, Hochwertfähigkeit – muss dringend saniert werden. Es (C) sinnvolle Idee, und sie wurde aus meiner Sicht auch in muss auch gewährleistet werden: Wie bekommen wir einem würdigen Rahmen umgesetzt, in der Umsetzung ist das Geld möglichst schnell dort vor Ort verbaut, und aber noch Luft nach oben. wie ermöglichen wir es der Bundeswehr, ihre Aufgaben dort vor Ort ordentlich zu leisten? So ähnlich verhält es sich mit dem Haushaltsvollzug. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist Si- Ein anderes Beispiel ist die Unterbringung. Es gibt cherheit viel wert, soziale Sicherheit beispielsweise, die Unterkünfte, die gebaut werden müssen, bei denen es wir mit der Grundrente stärken wollen. Uns ist auch die ewig dauert, bis das umgesetzt wird. Es gibt auch Unter- innere Sicherheit viel wert: mehr Stellen für Polizei oder künfte, die müssten instandgesetzt werden, sodass überall auch bei der Integration. Uns ist die äußere Sicherheit eine warme Dusche möglich ist. Das ist nicht überall so. auch viel wert; das zeigen wir dadurch, dass wir bei den Ich finde, das ist eine Sache, die wir auch besprechen Steigerungen des Etats des Bundesverteidigungsministe- müssen: wie wir dieses Geld sachgerecht und zielführend riums mitgehen. Das ist uns viel wert, weil uns die Rolle ausgeben. Deutschlands innerhalb der NATO, innerhalb der EU und innerhalb der Welt bewusst und lieb und teuer ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Uns ist ebenso bewusst, dass wir große Investitions- Wie machen wir es im Bereich Beschaffung? Wir ha- vorhaben gestalten müssen, dass wir sie umsetzen müs- ben aus dem Untersuchungsausschuss gelernt, müssen sen, schultern müssen und dass dieser Investitionsstau sagen: Wir können uns nicht nur teuer beraten lassen, natürlich auch nur mit einem gewissen Finanzrahmen sondern wir müssen insgesamt die Beschaffungsorgani- bewältigt werden kann. sation umstellen. Ich freue mich, dass das auch heute hier so gesagt wurde. Wir müssen auch im Bereich Instand- In diesem Zusammenhang wird immer wieder von den setzung darüber sprechen: Wie können wir zielführender Steigerungen gesprochen, die dazu dienen, die Etatziele und sachgerechter dorthin kommen, dass die Instandset- der NATO zu erreichen. Ich finde, dass, wenn wir alleinig zung schneller wird und die Einsatzbereitschaft verbes- über die Annäherung reden, sich diese Zahl quasi im luft- sert wird? Vor Ort treffe ich häufig frustrierte Soldatinnen leeren Raum befindet. Denn es geht nicht darum, dass wir und Soldaten. Ich weiß, viele Kolleginnen und Kollegen die 2 Prozent erreichen, um die 2 Prozent zu erreichen, hier sprechen mit den Soldatinnen und Soldaten. Ich tref- sondern wir müssen darüber reden, welche strategischen fe auf viel Frust. Beispielsweise fehlt ein Zelt, um einen Ziele wir in dieser sich verändernden Welt als Bundes- Ausbildungsteil umsetzen zu können, realisieren zu kön- republik Deutschland haben und welche Fähigkeiten wir nen, ein Zelt, das seit zehn Jahren angefordert wird. Diese anlegen und wie wir sie erreichen wollen. Soldatinnen und Soldaten sagen vor Ort, sie seien nicht (B) nur frustriert, sondern zum Teil auch resigniert, weil sich (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nichts verändert, weil es so lange dauert, weil sie die Ich finde, die Debatte ist insgesamt recht oberflächlich. Probleme seit vielen Jahren immer wieder bei den zu- Es wurde heute schon gesagt, dass sich diese NATO-Quo- ständigen Stellen anbringen und dementsprechend te auf das Bruttoinlandsprodukt bezieht. Wenn man zy- manchmal die Lust und die Motivation verlieren. Ich nisch wäre, müsste man begrüßen, wenn wir ein negatives möchte diesen Soldatinnen und Soldaten, auch allen Zi- Wirtschaftswachstum bekommen; denn dann hätten wir vilbeschäftigten zurufen: Nur weil man sich so daran ge- die 2 Prozent sofort erreicht. Ich will das nicht. Wir könn- wöhnt hat, ist es nicht normal, und es ist auch nicht egal. ten auch verlangen, dass beispielsweise alle Leistungen Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wer- für Feuerwehren einberechnet werden. Das wird bei uns den das weiterhin nicht hinnehmen. Wir werden im Un- im Moment nicht gemacht, in Frankreich beispielsweise tersuchungsausschuss, in den Verhandlungen und in den aber schon. Dann lägen wir deutlich jenseits der 2 Prozent. Beratungen weiterhin alles daransetzen, dass das, was wir Das ist also eine Debatte, die sich im luftleeren Raum als Parlament zur Verfügung stellen, schneller, sachge- bewegt. Wir dürfen nicht nur, sagen wir, l’art pour l’art rechter und in Eigenregie als Staat auf dem Hof, in den machen, sondern müssen wirklich darüber reden: Welche Häfen, in den Unterkünften und bei Mann und Frau an- Fähigkeiten, was wollen wir wann erreichen? Das ist die kommt. eine Sache. Vielen Dank. Die andere Sache ist: Ich finde, es wird dem Etat und auch dem Vorgehen innerhalb des Verteidigungsaus- (Beifall bei der SPD) schusses und dem Ministerium nicht gerecht, wenn wir nicht darüber sprechen, was wir schon erreicht haben: Wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: haben über zehn Jahre eine deutliche Etatsteigerung er- reicht und können deswegen auch große Vorhaben ange- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin hen. hat das Wort die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann. Ich finde gleichzeitig, dass wir, wenn wir uns auf die 2 Prozent fokussieren, nicht vergessen dürfen, darüber zu (Beifall bei der FDP) sprechen, wie wir das Geld sachgerecht und zielführend ausgeben, beispielsweise im Bereich Infrastruktur: Der Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Flughafen Wittmundhafen des Taktischen Luftwaffenge- Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schwaders 71 „Richthofen“ beispielsweise – NATO- Kollegen! Frau Ministerin, seit Sie im Amt sind, hagelt es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16351

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) Grundsatzreden. Sie fordern, dass Deutschland mehr in- schaffung“ sagen. Das hat Frau Merkel heute Morgen (C) ternationale Verantwortung übernehmen muss. Sie wol- nicht gemacht. Sie ist beim A hängen geblieben; beim len den hehren Worten der letzten Jahre Taten folgen B war die Luft schon raus. lassen, unmissverständlich durch mehr militärisches En- gagement. Damit provozieren Sie eine gesamtgesell- (Beifall bei der FDP) schaftliche Debatte, die nicht nur Freudentränen auslösen Meine Damen und Herren, der Verteidigungshaushalt wird, sondern auch harte Reaktionen. wächst im Kern. Ja, das ist gut. Die schlechte Nachricht Wir Freie Demokraten greifen gern in diese Debatte ist – – ein; denn sie ist nicht nur überfällig, sondern sie wird (Henning Otte [CDU/CSU]: Rhetorische auch zu Recht von unseren europäischen Freunden er- Klimmzüge!) wartet. Der polnische Außenminister hat gestern erklärt, er habe keine Angst vor einer starken Bundeswehr. Er hat – Ja, Sie müssen es ertragen, lieber Kollege. Das ist nicht erklärt, er habe Angst vor einer schwachen Bundeswehr. lustig, was wir hier besprechen. Europa versteht, dass wir Diskussionen über Einsätze in (Henning Otte [CDU/CSU]: Rhetorische Europa führen. Aber Europa hat die Nase voll von einer Klimmzüge!) Politik, bei der wir in diesem Land nur mit Reflexen rea- gieren. Es gibt mehr Geld, aber es kommt nicht bei den Soldatin- nen und Soldaten an. Fahren Sie doch einmal in die Ka- Sie, Frau Ministerin, werden sich nicht nur an Ihren sernen und fragen! Das ist doch kein Witz, der hier ge- kühnen Ankündigungen messen lassen müssen. Das fängt macht wird. schon damit an, dass man Vorschläge aus Frankreich nicht einfach unbeantwortet lässt. Der Vorschlag der (Beifall bei der FDP) Franzosen, sowohl den Einsatz in Mali in einen robuste- Das ist die Realität. Machen Sie mal die Augen auf! Das ren Einsatz zu verändern, als auch in der Straße von Hor- wird auch nicht besser, wenn Sie reinrufen. mus eine europäische Mission auf den Weg zu bringen, zeigt: Es gibt in Paris schon ganz konkrete Vorstellungen. (Henning Otte [CDU/CSU]: Schön, dass Sie Und was sagt die Bundesregierung? Kein Kommentar. sich interessieren für die Bundeswehr!) Frau Ministerin – ich gehe davon aus, dass Sie mir Die schlechte Nachricht ist, dass bei den Soldatinnen zuhören, während Sie auf Ihr Handy gucken –, Sie er- und Soldaten die Dinge, die sie jeden Tag benötigen, nicht innern bei dem 2-Prozent-Ziel immer wieder an den Kon- ankommen. Wie wäre es – ein Vorschlag –, wenn das sens 2014. Aber die Schlussfolgerungen daraus haben Sie Beschaffungsamt auch mal denjenigen zuhören würde, (B) offensichtlich vergessen. Es gibt nämlich nicht nur das die mit dem Material arbeiten müssen, anstatt bei jeder (D) internationale Krisenmanagement. Im Weißbuch steht zu Beschaffung immer den optimalen Alleskönner entwi- Recht, dass wir die Landes- und Bündnisverteidigung ckeln zu lassen? Das kostet irre viel Zeit, die wir nicht wieder im Fokus haben müssen. Und da kommt – nichts. haben, und verursacht ein Vielfaches an Kosten. Meine Damen und Herren, wer sein Haus nicht sichert, (Beifall bei der FDP) braucht nicht über die Inneneinrichtung zu diskutieren. Ich würde mir wünschen, wenn wir über die Sicherheit Meine Damen und Herren, wenn das Ministerium un- von Deutschland und Europa sprechen, dass hier das gan- sere Soldatinnen und Soldaten vermehrt in die von Ihnen ze Kabinett säße; denn das ist elementar für das, was wir angedachten Missionen schicken will, wenn Deutschland auch im sozialen Bereich in Deutschland in Zukunft tun ernsthaft weltweit friedensstiftend in Krisengebieten prä- und tun werden. sent sein soll, dann gibt es nur ein einziges Szenario: Stoppen Sie Ihren immerwährenden Streit in der Koali- (Beifall bei der FDP – Henning Otte [CDU/ tion! Sie gefährden damit nicht nur die nationale Sicher- CSU]: Kein FDP-Minister da!) heit; Sie machen Deutschland verteidigungspolitisch Wenn Sie, Frau Ministerin, über weitere Missionen laut weltweit zu einer Witzfigur. nachdenken, dann erklären Sie uns bitte, wie das prak- (Beifall bei der FDP – Henning Otte [CDU/ tisch aussehen soll. CSU]: Na!) (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Frau Ministerin, sorgen Sie dafür, dass aus der Bun- Was denn nun? Erst sollen wir den Franzosen deswehr eine vollausgestattete moderne Armee wird! folgen, und jetzt sind Sie wieder dagegen! Was wollen Sie denn, Frau Strack-Zimmermann? (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da sind wir auf Das ist völlig widersprüchlich!) dem Weg!) Der Grundbetrieb in der Bundeswehr ist bereits jetzt am Wenn Sie es nicht zum Schutz des Hauses tun wollen, Limit. Wollen Sie ihn wie eine Zitrone auspressen? Sie dann machen Sie es zum Schutze unserer Soldatinnen wissen, solange die Personaldecke nicht wächst und die und Soldaten, denen ich an dieser Stelle auch im Namen Materialfrage nicht gelöst wird, können Sie nicht eine der Freien Demokraten für ihren Einsatz in Deutschland, einzige neue Aufgabe angehen. Die Einsatzbereitschaft in Europa und weltweit herzlich danken möchte. der Bundeswehr zu verbessern, ist aber Ihre Pflicht als Vielen Dank. Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt. Wenn Sie A wie „Aktion“ sagen, dann müssen Sie auch B wie „Be- (Beifall bei der FDP) 16352 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tiert – auszuweiten. Aber wohin genau, das wissen Sie (C) Vielen Dank, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. – nicht. Ich habe kurz durchgezählt und will darauf hinweisen, dass die Präsenz der Bundesregierung in etwa der Präsenz Ich glaube, wir bekommen hier einen Vorschlag nach der Abgeordneten dieses Hauses entspricht. dem nächsten. Ich habe den Eindruck, es geht darum: Es muss mit aller Gewalt militärisch basierte Weltpolitik ge- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: macht werden. – Das halten wir für falsch. Ja, aber die werden besser bezahlt! – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Tobias (Beifall bei der LINKEN) Pflüger [DIE LINKE]: Vonseiten der FDP die- Sie haben in Ihrer Grundsatzrede in München keinen ses Argument!) Zweifel gelassen, wohin es gehen soll – Zitat –: – Frau Kollegin, bei aller Wertschätzung, aber ich glaube nicht, dass die Bezahlung das ausschlaggebende Argu- … die Bereitschaft, gemeinsam mit unseren Verbün- ment ist. deten und Partnern das Spektrum militärischer Mit- tel wenn nötig auszuschöpfen. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Die ist nicht schlecht! – Beifall bei Abgeordne- Und dann brachten Sie es auf den Punkt, direkt im An- ten der LINKEN]) schluss, wie das Spektrum militärischer Mittel ausge- schöpft werden soll – Zitat –: Als nächster Redner hat für die Fraktion Die Linke der Kollege Tobias Pflüger das Wort. So, wie wir es in Afghanistan schon bei der Bekämp- fung des Terrorismus gezeigt haben. (Beifall bei der LINKEN) Na, großartig: 18 Jahre Krieg in Afghanistan und kein Tobias Pflüger (DIE LINKE): Ende in Sicht. Und das soll jetzt das „role model“ für Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeswehreinsätze werden? Ich kann nur sagen: Nein, danke! (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Hoffentlich haben Sie heute die richtige Rede dabei!) (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens Nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses [CDU/CSU]: Mir würde das Ende Ihrer Rede hat der Militärhaushalt eine Höhe von 45,1 Milliarden schon gefallen!) Euro. Wir hatten gestern die Hilfsorganisation medico inter- (B) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das haben wir national im Bundestag zu Gast. Die haben uns sehr deut- (D) schon einmal gehört!) lich gesagt: In Afghanistan ist seit 2014 wieder offener Krieg, weswegen nicht nur der Bundeswehreinsatz dort Nach NATO-Kriterien sind es erstmals über 50 Milliarden falsch ist, sondern sich auch Abschiebungen dorthin von Euro. So hoch war der Militärhaushalt in der Geschichte selbst verbieten. der Bundesrepublik noch nie. Wir halten diese Höhe von 50 Milliarden Euro für grottenfalsch. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ich will hier mal ein Dokument zeigen, von dem ich glaube, dass sich die Bevölkerung mehr damit beschäfti- Das sind 1,69 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. gen soll. Das ist ein Dokument, in dem beschrieben wird, Aber nicht nur das: Es sind 6,04 Milliarden Euro mehr, in welchem Zustand die verschiedenen Rüstungsprojekte als die Bundeswehr im Jahr 2018 überhaupt ausgegeben sind. hat. 6 Milliarden Euro mehr in zwei Jahren! Sie sagen es selbst in ihrer Münchner Rede, Frau Ministerin: (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Es hat keinen Zweck, dass wir nur Geld in den Haus- GRÜNEN]: Vorlesen!) halt einstellen, das wir nicht umsetzen können … Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele. Eurofighter: Ab- Ich will das mal sehr deutlich sagen: Statt hier Milliar- weichung zur ursprünglichen geplanten Auslieferung: den zu verpulvern, sollten Sie endlich abrüsten statt auf- 154 Monate später; Mehrkosten von 6,7 Milliarden Euro. rüsten. A400M: plus 148 Monate und Mehrkosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. NATO-Hubschrauber NH90: (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: 134 Monate Verspätung und Mehrkosten in Höhe von Ausrüsten!) 1,3 Milliarden Euro. – Die Rüstungsprojekte kommen Und warum das alles? Von Ihnen, Frau Ministerin, ha- später als geplant, Sie kosten ein Vielfaches dessen, was ben wir schon einiges an neuen Vorschlägen gehört. Ein zu Beginn vertraglich vereinbart wurde, und sie erfüllen europäischer Flugzeugträger sollte her, eine europäische häufig die Anforderungen nicht, die an sie gestellt wur- Mission in der Straße von Hormus oder eine Schutzzone den. So etwas gäbe es im zivilen Bereich nicht. in Syrien. Das wäre im Übrigen ein Bundeswehreinsatz in (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja einem Kriegsgebiet. Dann wollen Sie einen nationalen Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sicherheitsrat oder Patrouillenfahrten im Südchinesi- schen Meer. Sie haben vorgeschlagen, die Einsätze in Gerade mussten A400M-Transportflugzeuge zurückge- Mali und Niger – im Übrigen immer noch nicht manda- geben werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16353

Tobias Pflüger (A) Ich kann nur sagen: Was angeschafft wird für die Bun- gibt. Was wir aber zuletzt im Untersuchungsausschuss (C) deswehr, soll dann auch später exportiert werden. Das zur Berateraffäre hören mussten, übersteigt alle meine braucht niemand. Klipp und klar: Wir halten diese Be- schlimmsten Befürchtungen. Rechtswidrige freihändige schaffungen und natürlich auch die anschließenden Ex- Vergabeverfahren wurden weder bei der BWI noch bei porte für falsch und gefährlich. der HIL versehentlich, sondern systematisch und vorsätz- lich durchgesetzt. Treue und loyale Beamte und Mitarbei- ter wurden von eigenmächtigen Akteuren unter Druck Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gesetzt, bis hin zur Nötigung, und fanden leider nicht Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. die erhoffte und notwendige Unterstützung aus der Füh- rungsebene. Tobias Pflüger (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Systematische Nötigung? Ein bisschen vorsichtig!) (Henning Otte [CDU/CSU]: Ja, bitte!) Ich bin tief beeindruckt von der Haltung der mutigen Sie sagen, Sie wollen einen Haushalt von 45 bis 50 Mil- Zeuginnen und Zeugen, die trotz des jahrelangen Drucks liarden Euro. Wir sagen: Das ist Aufrüstung. ihre Loyalität zu Recht und Gesetz nicht aufgegeben und (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Oah!) immer wieder versucht haben, Schaden für das öffentli- che, also unser aller Vermögen zu vermeiden. Das wollen wir nicht. Das lehnen wir ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vielen Dank. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (Beifall bei der LINKEN) Wir untersuchen noch!) Ich möchte mich als Volksvertreterin beispielhaft bedan- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ken bei den Zeugen Moseler und Dippel für die Aufklä- Vielen Dank, Herr Kollege Pflüger. – Als nächste Red- rung der Vorgänge um die HIL GmbH, bei den Zeugen nerin hat die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grü- Veit und Kloevekorn im Hinblick auf die BWI und bei nen, das Wort. den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Bundesrech- nungshofs, ohne deren Untersuchungen die Aufklärung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht möglich gewesen wäre. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Der Schaden ist nicht nur finanziell unermesslich, und (D) Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, wie Sie bereits wir kennen letztlich immer nur Ausschnitte aus dem Ge- wissen, sind wir Grüne mit der Erhöhung des Verteidi- samtbild. Frau Ministerin, dieser ungeheuerliche Um- gungsetats nicht einverstanden. gang mit öffentlichen Geldern muss nicht nur aufgeklärt (Henning Otte [CDU/CSU]: Aber nicht alle!) und abgestellt werden. Was wir den Hinweisgebern und der öffentlichen Hand schulden, ist, dass die Verantwort- Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir nicht für eine lichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Protokolle gute und funktionierende Ausrüstung der Bundeswehr der Beweisaufnahme sind ein Fall für die Staatsanwalt- sind. schaft. Am besten schicken Sie als Ministerin die Akten (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: höchstpersönlich dorthin. Aha!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir stehen zu den Streitkräften und wollen, dass diese sowie des Abg. Matthias Höhn [DIE LINKE]) sowohl für die Landesverteidigung als auch im Einzelfall Was die Verantwortlichen dort an öffentlichem Vermögen für die Unterstützung von UN-Missionen gerüstet sind. verschwendet haben, kann die Truppe weder bei Winter- Jeder, der die Vereinten Nationen stärken und ernsthaft kleidung noch bei Stiefeln oder Nachtsichtgeräten wieder für politische Einigungen im Sicherheitsrat eintreten will, einsparen. hat im Übrigen unsere Unterstützung. Nun noch zum Thema Entwicklung. Die größten und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) teuersten Projekte sollen berechtigterweise in Zukunft Einsparen sollten Sie aber Einsätze, die ohne UN-Man- europäisch entwickelt werden. Sowohl die Eurodrohne dat als Koalition der Willigen außerhalb eines Systems als auch das Kampfflugzeug FCAS sollen gemeinsam kollektiver Sicherheit stattfinden und damit den Multila- mit den Franzosen entwickelt werden, und das ist dem teralismus schwächen. Diese Einsätze belasten die Bun- Grunde nach auch richtig. Aber warum sollen diese hoch- deswehr unnötig, weil sie per se nicht geeignet sind, Frie- modernen sicherheitsrelevanten Systeme dann an Dritt- den und Sicherheit in der Welt wiederherzustellen. staaten veräußert werden, die mit uns in keinerlei Bündnis stehen? Mit dem Zusatzabkommen zum Aachener Ver- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na ja!) trag hat die Bundesregierung unseren französischen Part- Doch nun zu Ausrüstung, Beschaffung und Entwick- nern versprochen, dem Verkauf dieser Systeme nicht zu lung. Wir haben da schon immer kritisiert und gesagt, widersprechen, egal an wen verkauft wird. Angeblich sei dass zunächst das Beschaffungswesen reformiert werden der europäische Markt und damit die Stückzahl zu klein, muss, bevor man mehr Geld in ein defizitäres System wenn wir nicht weltweit exportieren. 16354 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Katja Keul (A) (Henning Otte [CDU/CSU]: Ja! – Alexander Wir diskutieren heute über die Finanzen. Die Finanz- (C) Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist ja auch so!) ausstattung der Bundeswehr richtet sich natürlich nach Das wiederum entspricht aber nicht unseren europäischen den Anforderungen, denen sie sich zur Verteidigung un- Sicherheitsinteressen und stärkt auch nicht die europä- seres Landes gegenübersieht, nicht nach irgendwelchen ische Souveränität. abstrakten Zahlen oder Zusagen – so wichtig sie auch sind –, die wir im internationalen Rahmen gemacht ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ben. Da gibt es ganz neue Herausforderungen. Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Wollen Herr Lucassen, in der heutigen Zeit ist natürlich die vielleicht Sie genug Flugzeuge kaufen, damit Frage des Frontstaates nicht mehr wie in den 80er-Jahren sich das lohnt?) zu beantworten. Was den Cyberraum angeht, muss man – Es geht hier nicht um Industriepolitik, Herr Kollege, sich die Frage stellen, wer denn eigentlich Frontstaat und sondern um Sicherheitspolitik. Das müssen wir mit unse- wer rückwärtiger Raum ist. Diese klassischen Fragestel- ren Partnern klären, und zwar bevor die Verträge unter- lungen bilden nur noch einen Teil der sicherheitspoliti- schrieben werden. schen Herausforderung ab. Die Vereinigten Staaten von Amerika richten ein neues Kommando für den Weltraum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ein. Auch da kommen wir mit dem Bild von Frontstaat Frau Ministerin, mit dem bestehenden Etat hätten auch und rückwärtigem Raum nicht mehr weiter. Es gibt ganz schon in den letzten Jahren die dringendsten Bedürfnisse neue Herausforderungen. Die Bundesregierung in ihrer der Truppe befriedigt werden können. Solange das Geld Gesamtheit hat mit dem Weißbuch darauf reagiert und aber vorrangig in mangelhaften Verträgen mit der Indust- natürlich auch auf das feindliche Verhalten Russlands rie versickert und bei überflüssigen Beratern landet, mit der Annexion der Krim und der im Übrigen andauern- den Intervention in der Ostukraine. Daraus ist die Kon- (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Die zeption der Bundeswehr und daraus ist das Fähigkeits- sind doch nicht überflüssig!) profil der Bundeswehr entwickelt worden. statt bei den Soldatinnen und Soldaten, wird es von uns Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erwarte kein grünes Licht für einen höheren Verteidigungsetat von allen Kollegen, auch von denen der Opposition, die geben. hier über Finanzmittel streiten und die behaupten, es sei Vielen Dank. zu viel Geld, oder die erklären, wie die Grünen, sie wür- den den Verteidigungsetat nicht mittragen – das muss ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – hier wirklich kritisieren –: Schauen Sie sich das Fähig- (B) Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Eine Rede keitsprofil der Bundeswehr an! (D) voller Widersprüche!) (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir doch!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Keul. – Als nächster Red- Wenn wir bis 2023 ein Brigadeäquivalent und einen ge- ner hat das Wort der Kollege Dr. Johann Wadephul, CDU/ mischten Einsatzverband „Luft“ – nur um zwei wichtige CSU-Fraktion. Beispiele zu nennen – haben wollen, wenn wir die Digi- talisierung schaffen wollen, dann brauchen wir dringend (Beifall bei der CDU/CSU) diese Verstärkung der Mittel im Verteidigungsetat. Da- rauf ist die Bundeswehr dringend angewiesen. Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Lieber Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kolle- gen! Ich möchte zunächst der Bundesministerin für Ver- Das sind nicht irgendwelche Luftbuchungen, sondern das teidigung sehr herzlich gratulieren. Sie hat ja in sind konkrete Ausplanungen. schwierigen Zeiten das Amt übernommen, und das ist von mancher kritischen Nachfrage begleitet gewesen, Das muss ich auch dazusagen, Herr Kollege Lindner: die sicherlich im damaligen Kontext auch gerechtfertigt Man kann nicht auf der einen Seite sagen, da bleibe ja gewesen ist. Aber wir haben eine Ministerin erlebt, die Geld liegen, das könne nicht richtig ausgegeben werden, sich dieser Aufgabe voll und ganz angenommen hat, die und auf der anderen Seite dann wieder Beschaffungsvor- bei den Soldatinnen und Soldaten ankommt, haben nicht transparent ausgestalten wollen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das habe ich aber auch nicht gesagt!) weil sie merken, dass diese Frau persönlich für die Sol- datinnen und Soldaten und für zivile Beschäftigte enga- oder wie die Kollegin Keul hier sagen, es seien alles über- giert ist und mutig sicherheitspolitische Diskussionen in flüssige Beraterverträge. So platt kann man das Thema Deutschland anführt. Deswegen, Frau Ministerin, herz- nicht erledigen. lichen Glückwunsch! Das war ein guter Auftakt in diesem (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE neuen Amt. Das hat der Bundesregierung und das hat vor GRÜNEN]: Machen wir ja auch nicht!) allen Dingen der Bundeswehr unseres Landes sehr gut- getan. Natürlich müssen wir Beraterverträge hinterfragen, aber es gibt viele wichtige, notwendige Beratungen, die (Beifall bei der CDU/CSU) die Bundeswehr in Anspruch nimmt, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16355

Dr. Johann David Wadephul (A) (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fahren. Das ist eine Anerkennung. Das sollte man nicht (C) NEN]: Möbelberatung, Möblierung von Kaser- bekritteln. nen! Mit Steuerberatern!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. die sie gerade braucht, um auf Augenhöhe mit der Indust- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP] – rie Verträge zu verhandeln und Beschaffungsvorhaben Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Bravo!) durchzuführen. Da gibt es auch viele ganz, ganz notwen- dige Beraterverträge. Was wirklich nicht geht, ist, auf der Ich freue mich auch über das feierliche Gelöbnis. Das einen Seite von uns zu verlangen, dass es ein rechtsstaat- kann man noch offener gestalten. Es fand nicht nur eines liches, kompliziertes Beschaffungsverfahren gibt – und vor dem Reichstag statt, sondern es hat viele in ganz wenn da irgendwas schiefgeht, gibt es gleich einen Unter- Deutschland gegeben. Wenn möglichst viele Abgeordne- suchungsausschuss –, und auf der anderen Seite zu be- te dorthin kämen, wäre das gut. Ich sage ganz offen: Wir klagen, dass Geld liegen bleibt. schauen uns da auch gern mal um. Die Unionsfraktion war sehr breit vertreten, aber alle anderen Fraktionen (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- könnten noch nachlegen. NEN]: Das habe ich auch nicht gemacht! Zu- hören!) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Nee, nee, nee! Wir waren mit ganz vielen Leuten da! – Diese Rechnung geht nicht auf, und das lassen wir Ihnen Stefan Keuter [AfD]: Nee, nee, nee! – Gegenruf nicht durchgehen. des Abg. Henning Otte [CDU/CSU]: Wir wa- Ein weiterer Punkt ist: Wenn hier beklagt wird, dass die ren mehr!) Einsatzbereitschaft nicht hinreichend hoch ist, dann muss Wenn man eine Parlamentsarmee verlangt, dann muss man eben in der Tat dazusagen: Auch dazu braucht die man auch draußen bei den Soldatinnen und Soldaten sein. Bundeswehr mehr Geld. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch da wird abgerech- (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- net. NEN]: Sie haben ja 10 Milliarden mehr bekom- (Beifall bei der CDU/CSU) men, und es hat sich nichts verbessert!) Abschließend ein Wort zu der schwierigen Einsatzde- Die Art und Weise, wie hier über die Probleme mit dem batte. Die Ministerin hat mitnichten gesagt, es müssten Helikopter gesprochen worden ist, gefällt mir, muss ich wahnsinnig viele Einsätze sein. Ich sage: Endlich gibt es sagen, auch nicht ganz. Die Ministerin hat erläutert, aus in der Bundesregierung wieder eine Ministerin, die sich welchen Gründen die Maschinen jetzt unten bleiben müs- zu unserer Verantwortung bekennt. Wir haben eine (B) sen. Das ist schlecht und sicherlich bedauerlich, aber das (D) schlimme Flüchtlingskrise erlebt, die sich aus Syrien zu liegt nicht an den Soldatinnen und Soldaten, für die wir uns, insbesondere nach Deutschland, ergossen hat. Ich hier Verantwortung tragen. glaube, keiner hier möchte eine zweite. Das humanitäre (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Leid vor Ort ist wirklich schlimm. NEN]: Das habe ich auch nicht behauptet! Ich (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: habe doch die Firmen genannt, die verantwort- Wir richten es Frau von der Leyen aus!) lich sind! Keine Pappkameraden!) Man muss der deutschen Industrie sagen, dass wir erwar- Deswegen finde ich es einfach unterdurchschnittlich, ten, dass entsprechende Qualitätsarbeit abgeliefert wird. wenn hier über Abstimmungsfragen diskutiert wird. Sie werden gut bezahlt. Die Verantwortung liegt hier im Wenn die Bundesministerin der Verteidigung einen Vor- Bereich der Industrie, und das muss in diesem Zusam- schlag macht, nach dem es statt einer russisch-türkischen menhang klar angesprochen werden. Die Schuld darf Kontrolle in diesem Gebiet eine von den Vereinten Natio- nicht den Soldaten in die Schuhe geschoben werden. nen organisierte Aufsicht unter Beteiligung unserer deut- schen Soldatinnen und Soldaten gibt, dann bedeutet das (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Tobias Lindner erstens mehr Sicherheit für uns und zweitens für die Men- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie bei schen vor Ort mehr Humanität. Deswegen sollten wir uns meiner Rede nicht zugehört? Was habe ich hinter solche Vorschläge stellen und sie nicht kleinkariert denn gesagt?) kritisieren. Worum geht es also? Es geht nicht um Zahlenkolonnen (Siemtje Möller [SPD]: Das ist doch absurd!) und auch nicht um abstrakte Prozentzahlen. Beim Ver- teidigungsetat geht es vielmehr um den Kern staatlicher Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Existenz, um den Kern staatlichen Handelns, um Vertei- (Beifall bei der CDU/CSU) digung im ganz klassischen Sinne. Das ist notwendig. Dass wir das mehr unterstreichen und dass wir den Men- schen, die sich dafür einsetzen, die entsprechende Aner- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kennung gewähren, das finde ich richtig, das ist notwen- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wadephul. – Erlauben dig, und das tut Deutschland gut. Ich freue mich über jede Sie mir eine Anmerkung: Es wäre nicht klug, wenn wir Soldatin und über jeden Soldaten, die oder den ich zu- jetzt dazu übergehen würden, die Frage zu stellen, welche künftig in Uniform in der Deutschen Bahn sehen werde. Fraktionen des Deutschen Bundestages bei dem Gelöbnis Ich finde, sie haben es verdient, kostenlos mit der Bahn zu wie stark vertreten gewesen sind. 16356 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aber recht hat tion und die Interoperabilität in Abstimmung mit der (C) er!) NATO und der EU verändern wird. Mit den Einrichtun- – Das weiß ich nicht, ob er recht hat. Ich war ja auch gen und Abteilungen im BMVg, im BAAINBw, im Kom- anwesend. Aber unabhängig davon: Das Parlament war mando der Bundeswehr, der BWI, der Cyberagentur – es insgesamt sehr gut vertreten, und das ist das Wesentliche. gibt einige Beispiele mehr – wird eine Struktur gebaut, mit der die ganze Komplexität abgebildet wird. Die ent- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der AfD, sprechenden Mittel sind in verschiedenen Teilen des der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Haushalts verankert. Wenn wir eine voll ausgestattete NEN) Brigade des Heeres, eine voll digitalisierte Brigade des Heeres bis 2023 der VJTF zur Verfügung stellen wollen, Als nächster Redner hat das Wort der Kollege dann müssen wir mit Hochdruck an diesem Projekt arbei- Wolfgang Hellmich, SPD-Fraktion. ten. Das betrifft aber genauso gut die Marine, die Luft- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo waffe und erst recht den Cyberraum. Dies wird viel Geld Gädechens [CDU/CSU]) kosten, und es wird auch die Strukturen im Haushalt in Anspruch nehmen. Dort muss das alles abgebildet wer- Wolfgang Hellmich (SPD): den. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr Es braucht aber auch die Expertise der Menschen bei geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für Ihre Worte, der Bundeswehr, um diese Projekte umzusetzen. Wenn Herr Präsident; denn das erspart es mir, über Wahrneh- wir diese nicht haben, dann werden wir den Aufbau der mungsschwierigkeiten zu sprechen. – Das Gelöbnis war Expertise in der Bundeswehr vornehmen müssen, statt die ein sehr eindrucksvolles. Es hat mich wie auch die De- Aufgaben aus der Bundeswehr zu verlagern. Es ist rich- batte heute an ein Versprechen erinnert, das Helmut tig, beim Personalaufbau im BAAINBw, im BMVg sowie Schmidt bei einem Gelöbnis vor dem Deutschen Reichs- tag gegeben hat: Deutschland wird die Soldatinnen und in den Teilstreitkräften und Organisationsbereichen mit Hochdruck dafür zu sorgen, dass die Lücken in der Über- Soldaten nie wieder missbrauchen. – Ich glaube, das ist gangszeit geschlossen werden. ein Satz, der tatsächlich für die Mehrheit dieses Parla- mentes gilt, nicht nur für uns Sozialdemokraten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Es ist eine ganze Menge über die Wirkung des Unter- bei Abgeordneten der FDP) suchungsausschusses gesagt worden. Mit der öffentlichen Eine zweite Bemerkung. Herr Klein, ich weiß genau, Wirkung bin ich in der Tat konfrontiert. Es wird oft ge- fragt: Was tut ihr denn da? Es geht nicht um das Ob; es (B) wen Sie vorhin gemeint haben. Mich haben in meinem (D) heimischen Sprengel in der letzten Zeit zwei Jusos ange- geht um das Wie und um das Maß der Unterstützung. Es sprochen und die Frage gestellt, wie sie denn wohl zur kann nicht sein, dass der Staat bei einer seiner Kernauf- Bundeswehr kommen könnten. Jetzt frage ich Sie: Wie gaben, nämlich dem Schutz seiner Bürgerinnen und viel junge Liberale haben Sie denn in letzter Zeit gefragt, Bürger – und das ist Auftrag der Bundeswehr –, die wie man zur Bundeswehr kommen kann? steuernden Aufgaben an Private vergibt. Sie gehören in die öffentliche Hand. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Karsten Klein [FDP]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich denke, die Frage war rhetorisch gemeint. Das soll so stehen bleiben. Man sollte sich überlegen, worüber man Ich habe beim Thema Digitalisierung bewusst „wir“ spricht. gesagt; denn die Komplexität und die zeitliche Dimension machen es erforderlich, dass wir Abgeordnete, erst recht Der vorliegende Haushalt, liebe Kolleginnen und Kol- die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker im Verteidi- legen, drückt klar das Bemühen aus, die Soldatinnen und gungsausschuss, frühzeitig, das heißt von Anfang an, Soldaten gemäß dem, was sie brauchen, auszustatten und und sehr umfassend in die komplexen Entwicklungspro- auszurüsten. Mehr als 45 Milliarden Euro stehen im zesse eingebunden werden. Wir sollten nicht erst ganz am Haushalt für das zur Verfügung, was sinnvoll, geplant Ende, wenn es um die 25-Millionen-Vorlagen geht, un- und nach vorne gerichtet ausgegeben werden kann. Mit sere Kontrollfunktion wahrnehmen. Das erfordert – so den Verpflichtungsermächtigungen – wir reden über den habe ich den Kollegen Rohde vorhin verstanden – ein Haushalt – in Höhe von über 40 Milliarden Euro be- Umdenken im BMVg, aber das erspart uns am Ende viel kommt die Bundeswehr die Planungssicherheit, die sie Zeit und auch viel Arbeit. „Vertrauen statt Distanz“ ist bei den großen Projekten, bei der Beschaffung von Muni- hier die Devise. Es geht schließlich um unsere gemein- tion und bei der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen same Bundeswehr. und Soldaten in den nächsten Jahren benötigt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich das anhand des schwierigen, offenen und sehr konstruktiv zu gestaltenden Themas Digitalisie- Im Koalitionsvertrag und auch durch die durchgängig rung festmachen. Hierbei geht es nicht um die Ausstat- nötigen gesetzgeberischen Maßnahmen im Starke-Trup- tung der Bundeswehr mit Handys und Smartphones, son- pe-Gesetz wird deutlich, dass es das Bestreben der diese dern es geht um die Einführung eines sehr komplexen Koalition tragenden Fraktionen ist, sich ganz besonders Systems, das die komplette Führungs- und Kommando- um diejenigen Soldatinnen und Soldaten zu bemühen, die struktur der gesamten Bundeswehr und die Kommunika- bei ihrem Einsatz für unser Land an Körper und Seele zu Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16357

Wolfgang Hellmich (A) Schaden gekommen sind. Deshalb begrüße ich es sehr – heute gemeinsam, als Koalition, verabschieden, meine (C) das war unsere Idee –, dass in die Leistungen der Bun- Damen und Herren. deswehr für Soldatinnen und Soldaten und zivile Mitar- beiter auch die Familien einbezogen werden; denn die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Arbeit an Leib und Seele kann nur gemeinsam funktio- der SPD – Dr. Götz Frömming [AfD]: Wo sind nieren. Nur so kann es eine gute Zukunft geben. Das ent- wir denn hier?) spricht der Aufgabe der Bundeswehr. Das entspricht un- Wir müssen vielmehr die Strukturen stärken, nämlich serer Aufgabe für all diejenigen, die ihren Dienst tun. Das NATO, Vereinte Nationen und auch die EU. Deswegen ist dient der Unterstützung ihrer Familien, ohne die sie ihren es gut, dass wir jetzt 1,42 Prozent nach NATO-Kriterien Dienst nicht tun könnten. in die Sicherheit investieren. Das Ziel von 1,5 Prozent ist von der Verteidigungsministerin klar benannt worden, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. auch heute Morgen von unserer Bundeskanzlerin. Und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 2 Prozent halten wir als Ziel fest bis spätestens 2031; das haben Sie gesagt, Frau Kramp-Karrenbauer, und die Kanzlerin hat das heute deutlich bestätigt. Die sicher- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: heitspolitischen Herausforderungen haben sich ja funda- Vielen Dank, Herr Kollege Hellmich. – Letzter Redner mental geändert. Wir sind gefordert, Bündnis- und zu diesem Einzeletat ist der Kollege Henning Otte, CDU/ Landesverteidigung durchzuführen und gleichzeitig Kri- CSU-Fraktion. senprävention zu betreiben, weil heutzutage alles mit al- (Beifall bei der CDU/CSU) lem zu tun hat. Wir haben ein klares Konzept, aufbauend auf dem Weißbuch, auf der Konzeption der Bundeswehr, das entsprechend dem Fähigkeitsprofil tun zu können, Henning Otte (CDU/CSU): immer mit dem Anspruch, auch auf das Unvorhergesehe- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ne vorbereitet zu sein. ren! Der Einzelplan 14 für das Jahr 2020 umfasst 45,1 Milliarden Euro. Ich danke an erster Stelle den Haus- Ich freue mich, dass sich die FDP auch für die Exeku- hältern, die die Forderungen aus dem Verteidigungsaus- tive interessiert, das heißt für die Bundeswehr, und nicht schuss aufgenommen haben, die sich dafür eingesetzt nur für die Legislative. Bei der Forderung nach 2 Prozent haben, die das entschieden haben und das so umgesetzt wissen wir Sie an unserer Seite. Wer aber gleichzeitig haben, dass wir in dieser Woche darüber beraten können, Einsparungen von 900 Millionen Euro einfordert, Frau nicht nur in unserem Ressort. Und ich danke Ihnen, Frau Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Verteidigungsministerin, dafür, dass Sie stellvertretend (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (B) für das BMVg so deutlich dargestellt haben, worauf es (D) Langer Name, nicht? Der kostet Kraft!) ankommt, was wichtig ist. Auf diese Punkte möchte ich gerne noch einmal eingehen. der muss das im Verteidigungsausschuss eines Tages noch mal erklären. Ich möchte aber auch sagen, dass mich die Kurzinter- ventionen vonseiten der Fraktion Die Linke und vonsei- Wir sagen ganz klar: Die Bundeswehr braucht das, was ten der Fraktion der AfD, also von den beiden Außen- sie benötigt, um den Auftrag zu erfüllen. Das sind in 2020 seiten des Parlaments, doch irritiert haben. Sie haben 45,1 Milliarden Euro. Aber die Tendenz ist klar: Die versucht, diese Debatte über den Haushalt zu missbrau- Bundeswehr braucht mehr, meine Damen und Herren. chen. Dazu gab es ein deutliches Zeichen – wer das ver- folgt hat, weiß, was ich meine –: Auf der Besuchertribüne (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. saß eine ganze Reihe Soldatinnen und Soldaten; die ha- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]) ben das Plenum entnervt verlassen. – Also, wir sollten Wir müssen die Ausrüstung stärken, und zwar bei Mu- schon bei der Politik bleiben, meine Damen und Herren. nition und Ersatzteilen. Wir müssen Modernisierungen durchführen. Neue Systeme müssen eingeführt werden. (Lachen bei der AfD – Zuruf von der AfD: Wir müssen die Digitalisierung sichern, damit wir bei- Besuchszeiten!) spielsweise im internationalen Funkverkehr gut aufge- – Wenn Sie jetzt anfangen, zu lachen, dann will ich Ihnen stellt sind. Wir müssen die Rahmenbedingungen für die auch sagen: Das, was der Kollege Lucassen hier zur na- Truppe weiter verbessern. Wir haben in dieser Legislatur- tionalen Verteidigungspolitik gesagt hat, war in gewissem periode schon das Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz Sinne beschränkt, und das Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz be- schlossen, weil wir als Koalition ein Zeichen setzen wol- (Widerspruch bei der AfD) len. Wir wollen, dass die Rahmenbedingungen für den ja, sogar begrenzt. Beruf, der ein Beruf wie kein anderer ist, gut sind. Wir wollen, dass die Soldatinnen und Soldaten sich anerkannt (Stefan Keuter [AfD]: Sie sind nicht ernst zu fühlen, dass die Versorgung gut ist, dass die Zulagen nehmen, Herr Kollege!) passen. Wir wollen, dass dies ein motivierender Faktor ist; denn sicherheitspolitisch ist die Truppe stark gefor- Wer glaubt, dass man heute Politik in eigenen Grenzen dert. Sicherheitspolitisch ist Deutschland stark gefordert. macht, dass man Politik nur national macht, der gefährdet die Sicherheit unseres Landes. Sicherheit ist integriert in Wir müssen die Sicherheit unseres Landes gewährleis- Institutionen. Deshalb ist es gut, dass wir diesen Haushalt ten, im Bündnis unsere Verpflichtungen erfüllen, und wir 16358 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Henning Otte (A) müssen die europäische Säule als eine Säule innerhalb der Herzlichen Dank. (C) NATO weiter stärken, ob mit PESCO oder mit integrier- ten Bataillonen, wie zum Beispiel dem deutsch-nieder- (Beifall bei der CDU/CSU) ländischen Panzerbataillon. Es geht immer auch um die Erwartungshaltung unserer Nachbarn. Es geht darum, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dass wir als Anlehnungspartner stark sind, dass wir Ver- Vielen Dank, Herr Kollege Otte. – Damit schließe ich antwortung übernehmen, dass wir auch politische Füh- die Aussprache. rung übernehmen. Das ist Ausdruck von Glaubwürdig- keit, von angemessener Sicherheitsvorsorge. Wir folgen Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich den dabei einem vernetzten Ansatz aus Diplomatie, wirt- Kollegen Graf Lambsdorff darauf hinweisen, dass nach schaftlicher Zusammenarbeit und militärischem Wirken. einer Übereinkunft im Ältestenrat wir Handys und Tab- Die Maßgabe ist dabei immer: Abschreckung und Demo- lets im Plenarsaal nicht unterbinden können. Das gilt aber kratie. Das ist Kennzeichen unserer Sicherheitspolitik. nicht für Laptops und Notebooks. Deshalb wäre ich in Deswegen, meine Damen und Herren, sind CDU und meiner Seele sehr berührt, wenn Sie dieser Intention des CSU die Parteien für die Sicherheit in unserem Land Ältestenrates folgen würden und die Arbeit am Laptop und für die Bundeswehr. einstellten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Jawohl!) Heute Morgen ist in der Generaldebatte abgebildet Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Ab- worden, wo die Herausforderungen liegen: Das ist das stimmung über den Einzelplan 14 – Bundesministerium Vorgehen des russischen Präsidenten, beispielsweise die der Verteidigung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt Annexion der Krim; das sind destabilisierende Faktoren dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Kei- innerhalb Nordafrikas, beispielsweise in Mali, wo es da- ner. Dann ist der Einzelplan 14 mit den Stimmen von rum geht, dass wir Stabilität und Sicherheit erzeugen, CDU/CSU und den Stimmen der SPD gegen die Stimmen damit die Menschen eine Perspektive haben; und das ist der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. die Aufgabe, entsprechend dem Völkerrecht die Seewege Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.12 auf: offenzuhalten, weil Völkerrecht geachtet werden muss. All das fordert uns in vielen Belangen. Deswegen müssen Einzelplan 23 wir deutlich machen: Der mittelfristige Finanzplan reicht Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- so noch nicht aus; er muss weiter gestärkt werden. Das ist sammenarbeit und Entwicklung eine klare Forderung an die Bundesregierung. Das müs- Drucksachen 19/13920, 19/13924 (B) sen wir dann auch gemeinsam im Parlament als Haus- (D) haltsgesetzgeber umsetzen. Berichterstatter sind die Abgeordneten Michael Leutert, Carsten Körber, Sonja Amalie Steffen, Volker Ich möchte noch einen Punkt im Zusammenhang mit Münz, Michael Georg Link und Anja Hajduk. dem Thema Bundessicherheitsrat ansprechen. Der jetzige Sicherheitsrat ist ausschließlich dazu da, Rüstungsgeneh- Zu dem Einzelplan 23 liegen ein Entschließungsantrag migungen zu erteilen oder meistens auch nicht zu erteilen. der Fraktion der AfD sowie drei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir am Freitag nach (Rüdiger Lucassen [AfD]: Er ist dazu ver- der Schlussabstimmung abstimmen werden. kommen!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aber die Idee, dass wir einen Sicherheitsrat brauchen, wie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu unsere Verteidigungsministerin es sagte, der eine nach keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. vorne gerichtete, vorsorgliche Sicherheitspolitik betreibt und konzeptionell arbeitet, ist gut. Das ist ein guter Ge- Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolle- danke. Es ist auch ein guter Gedanke, zu sagen: Wir las- ginnen und Kollegen, die Wiedersehensfeierlichkeiten im sen nicht zu, dass die Türkei und Russland auf der Syrien- Plenarsaal nach draußen zu verlegen, damit die Ausspra- Konferenz in Sotschi Teile Syriens aufteilen. Wir müssen che begonnen werden kann. vielmehr sagen: Es ist auch Teil unserer Verantwortung, Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- uns werteorientiert darum zu kümmern. Wir müssen die ner dem Kollegen Volker Münz von der AfD-Fraktion das Sicherheitsarchitektur im Ganzen im Auge haben, meine Wort. Damen und Herren. Das muss unsere Aufgabe sein. (Beifall bei der AfD) Der Haushalt 2020 umfasst 45,1 Milliarden Euro. Das ist angemessen, notwendig, sinnvoll. Wir müssen weiter Volker Münz (AfD): in die Sicherheit investieren. Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Haushalt des Ent- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wicklungsministeriums für das kommende Jahr soll um Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss? rund 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf knapp 11 Mil- liarden Euro angehoben werden. Damit ist das Volumen in fünf Jahren um fast 70 Prozent angestiegen. Henning Otte (CDU/CSU): Dafür stehen wir ein. Deswegen bitten wir am Ende der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Woche um Zustimmung zu diesem Haushalt. der SPD – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sehr Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16359

Volker Münz (A) gut! Darauf sind wir stolz! – Sonja Amalie (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: So ein (C) Steffen [SPD]: Da klatschen wir mal bei der Quatsch!) AfD! – Gegenruf des Abg. Hermann Gröhe Denn wer es nach Deutschland geschafft hat, kann darauf [CDU/CSU]: Ab jetzt wird es schlechter!) hoffen, mit einer finanziellen Ausstattung wieder zurück- Aber die Annahme, dass immer mehr immer besser ist, ist zukehren. falsch. (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Das ist doch gar (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das sieht man bei nicht so verkehrt!) Ihnen!) Teure Alimentierung ist keine Entwicklung, meine Da- Qualität – das heißt Nachhaltigkeit, Wirksamkeit und Ef- men und Herren. fizienz – sollte vor Quantität gehen, meine Damen und (Beifall bei der AfD) Herren. In der Entwicklungspolitik will meine Fraktion einen (Beifall bei der AfD) stärkeren Fokus auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit Nach wie vor werden Mittel an Hunderte von Trägern in Kooperation mit der deutschen Wirtschaft legen. für Tausende Projekte in rund 100 Ländern ausgeschüttet. (Matern von Marschall [CDU/CSU]: Haben (Dagmar Ziegler [SPD]: Genau! Gut so!) wir doch gerade gemacht!) Der Herr Minister sprach schon vor einigen Jahren von Nur die Schaffung von Produktion in den Entwicklungs- einem Paradigmenwechsel; aber noch hat sich nichts We- ländern bewirkt eine nachhaltige Verbesserung der Le- sentliches geändert. Es fällt schwer, eine entwicklungs- bensperspektiven und trägt zur Reduzierung von Migra- politische Strategie zu erkennen. tionsbewegungen bei. Äußerst fraglich ist, inwieweit die neu ins Leben ge- (Falko Mohrs [SPD]: Sie begreifen es nur ein- rufenen Sonderinitiativen mit ihren klingenden Namen fach nicht!) wie „EINEWELT ohne Hunger“ oder „Fluchtursachen Zur Armutsbekämpfung, zur Hilfe zur Selbsthilfe und bekämpfen“ die richtigen Instrumente sind. Sie umfassen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit kommt jetzt auch einen wesentlichen Teil des Entwicklungshaushalts. noch die angebliche globale Klimarettung hinzu. Die Dabei heben sie die haushalterische Trennung zwischen Kanzlerin hat nun gar im Vorbeigehen 1 Milliarde Euro technischer und finanzieller Zusammenarbeit auf. Weiter- an Indien für umweltfreundliche Verkehrsinfrastruktur hin unterliegen die Sonderinitiativen nicht den selbst- (B) zugesagt. 100 Millionen Euro davon sind als Zuschuss formulierten entwicklungspolitischen Leitlinien. Wir (D) gedacht und der Rest als Darlehen. Ein Land, das beim schließen uns in diesem Punkt der Kritik des Bundesrech- Bruttoinlandsprodukt weltweit an siebter Stelle steht, ein nungshofes an und wollen die Sonderinitiativen in ihrer Land, das Atommacht ist und ein eigenes Mondlandepro- jetzigen Form auflösen und in die reguläre Haushaltssys- gramm betreibt, dieses Land kann kein Empfängerland tematik überführen. der deutschen Entwicklungspolitik sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der AfD) Wir kritisieren die Bestrebung, die Kontrolle der ge- (Beifall bei der AfD) förderten Maßnahmen durch den Haushaltsausschuss und Deutschland kann weder im Inland mit der Aufnahme den Bundestag einzuschränken. Im Haushaltsausschuss von Millionen von Flüchtlingen oder mit seiner Klima- wurde gegen die Stimmen der AfD unlängst beschlossen, politik die Welt retten, noch kann unser Land im Ausland das Berichtswesen zu den Fördermaßnahmen deutlich zu durch Entwicklungspolitik die Welt retten. Am deutschen reduzieren. Dies kritisieren wir aufs Schärfste, meine Da- Wesen soll wieder einmal die Welt genesen. Was für eine men und Herren. Hybris, meine Damen und Herren! (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zuruf des Wir fordern auch weiterhin eine vollständige regelmäßige Abg. Falko Mohrs [SPD]) und transparente Offenlegung der geförderten Projekte, Ja, Deutschland soll einen Beitrag zur Entwicklung von nicht nur auf ausdrückliche Nachfrage im Berichterstat- Lebensperspektiven in der Welt leisten. Was wir aber vor tergespräch. Wir wollen neben voller Transparenz auch allem brauchen, ist eine Konzentration auf gezielte Pro- eine bessere Evaluierung der entwicklungspolitischen jekte in Schlüsselländern. Schwerpunkt sollten afrikani- Maßnahmen und eine Stärkung des Deutschen Evaluie- sche Länder sein, insbesondere bei der Bekämpfung von rungsinstituts. Sehr geehrter Herr Minister Müller, wir Fluchtursachen. Hier könnte mit den richtigen Projekten müssen zurückkehren zur Vernunft und zur realistischen viel erreicht werden. Einschätzung unserer Möglichkeiten. Dazu gehört die Sonderinitiative „Fluchtursachen be- (Zuruf des Abg. Falko Mohrs [SPD]) kämpfen“ allerdings nicht. Der schöne Name – wieder Gesinnungsethische Wunschträume helfen nicht weiter, einmal ein schöner Name für ein Vorhaben – verschleiert, meine Damen und Herren! dass das selbstgesteckte Ziel verfehlt wird. Das Pro- gramm „Perspektive Heimat“ etwa verstärkt eher noch (Beifall bei der AfD – Michel Brandt [DIE die Anreize, nach Deutschland zu kommen. LINKE]: Das ist so eine Lachnummer!) 16360 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Volker Münz (A) Deutschland darf sich nicht verzetteln. Der Zweck und Mehr noch – viertens –: Der schwarzen Null gesellt (C) die Wirkung vieler Projekte sind äußerst fragwürdig. sich jetzt mit dem Haushalt 2020 erstmals klar erkennbar die grüne Null hinzu. Mit diesem Haushalt intensivieren (Niema Movassat [DIE LINKE]: Der Zweck wir deutlich unsere Bemühungen, unser Land bis 2050 der AfD ist ja auch fragwürdig! – Zurufe von klimaneutral zu machen. der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Nicht wenige Mittel versickern in den Taschen korrupter der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) Herrscher oder sonstiger Gruppen in den Entwicklungs- ländern. Die Vielzahl der Projekte ist gar nicht kontrol- Der erfolgreiche Verlauf der Bereinigungssitzung ist lierbar, meine Damen und Herren. Wir brauchen endlich ein Beleg dafür, dass diese Koalition funktioniert. Wir einen Paradigmenwechsel. Wir brauchen eine Konzentra- arbeiten hart an unseren Themen und liefern allen Unken- tion. Wir brauchen einen stärkeren Fokus auf wirtschaft- rufen zum Trotz. liche Zusammenarbeit. Was für den Haushalt insgesamt gilt, das gilt im Be- Vielen Dank, meine Damen und Herren, für die Auf- sonderen auch für den Etat des BMZ. Das ist auch ein merksamkeit. wirklich guter Beweis, dass wir als Koalition beim BMZ- Etat gut zusammengearbeitet haben. (Beifall bei der AfD) Zuallererst möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen, meinen Dank für das gute und konstruktive, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: manchmal auch kontroverse Miteinander während der Vielen Dank, Herr Kollege Münz. – Als nächster Red- wirklich intensiven Beratungen in den vergangenen Wo- ner hat das Wort der Kollege Carsten Körber, CDU/CSU- chen. Mein Dank geht zuallererst an Minister Müller und Fraktion. sein Haus und die vielen wirklich fleißigen Mitarbeiter dort. Er geht natürlich auch besonders an meine Kollegin (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Mitberichterstatterin aus der Koalition und ordneten der SPD) an alle weiteren Kolleginnen und Kollegen Mitbericht- erstatter. Carsten Körber (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Welche Schwerpunkte haben wir nun im BMZ-Etat Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst 2020? Die Themen Klimaschutz und Entwicklungszu- in der letzten Sitzungswoche fand die legendäre Bereini- sammenarbeit gehören wirklich zu den maßgeblichen Po- litikfeldern dieser schwarz-roten Koalition, jedes einzeln (B) gungssitzung des Haushaltsausschusses statt. Jetzt bera- (D) ten wir hier im Hohen Hause im Plenum in zweiter und für sich, aber besonders in ihrer Kombination. So steht dritter Lesung den Bundesetat 2020, und am Freitag, nach dem BMZ im kommenden Jahr für den internationalen Lage der Dinge, werden wir ihn endgültig beschließen. Klimaschutz durch den Beschluss des Klimakabinetts ei- Und wie es sich für vernünftige Haushaltsberatungen ge- ne halbe Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung. hört, haben wir wieder hart und kontrovers in der Sache, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- aber immer fair im persönlichen Umgang miteinander ordneten der SPD) gerungen und zum Teil auch mal gestritten. Ich finde, das ist auch richtig so; denn immerhin tragen wir ja eine Das ist ein starkes Signal, nicht zuletzt an unsere inter- immense Verantwortung für einen Etat von insgesamt nationalen Partner; denn man darf eines bei dieser Sache nunmehr über 360 Milliarden Euro. Das Ergebnis dieses nicht vergessen: In den Entwicklungsländern kostet die Streitens und Ringens, das kann sich sehen lassen. Denn Einsparung einer bestimmten Menge CO2 lediglich circa was zeigt es? 10 Prozent dessen, was sie bei uns kostet. Mir persönlich ist es ziemlich gleich, wo auf dieser Welt CO2 eingespart Es zeigt erstens: Die Koalition hat auch für das kom- wird. Wichtig ist, dass wir es einsparen. Mit diesen mende Haushaltsjahr ihr Verantwortungsbewusstsein un- 500 Millionen Euro können wir in Entwicklungsländern ter Beweis gestellt. CO2 in solch einer Menge einsparen, für die wir in Zweitens. Zum siebten Mal in Folge seit 2014 halten Deutschland 5 Milliarden Euro bezahlen müssten. wir die schwarze Null ein und machen keine neuen Insgesamt erhält Minister Müller für seine Arbeit im Schulden. nächsten Jahr den Rekordetat von nunmehr gut 10,8 Mil- liarden Euro. Damit ist Deutschland auch im Jahre 2020 Drittens. Schon in diesem Jahr halten wir erstmals wie- einer der größten Geber in der Entwicklungszusammen- der seit 2002 die Maastricht-Defizitgrenze ein. Das heißt, arbeit. Ich meine, das ist ein starkes Signal. dass unsere Schulden unter der Grenze von 60 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts liegen. Das ist gut und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und richtig. der SPD – Markus Frohnmaier [AfD]: Finde ich gar nicht!) (Beifall des Abg. Hermann Gröhe [CDU/ CSU]) – Doch. – Dieses Signal, meine Damen und Herren, kann sich sehen lassen. Aber so ein Ergebnis fällt nicht vom Himmel. Dafür braucht es über Jahre einen langen Atem und einen klaren Worauf haben wir uns denn jetzt in den Beratungen Kompass, und diesen hat diese Koalition. genau verständigt? Wir haben unser internationales Enga- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16361

Carsten Körber (A) gement, vor allem in der multilateralen Entwicklungszu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) sammenarbeit, noch weiter gestärkt. International steht ja ordneten der SPD) der Multilateralismus weiter unter starkem Druck. Die Rückbesinnung auf die vermeintlich gute alte Zeit natio- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: naler Alleingänge und der Selbstbezogenheit ist leider Vielen Dank, Herr Kollege Körber. Das war passge- offenbar wieder modern geworden. Dabei ist dieses Ver- nau. – Nächster Redner ist der Kollege Olaf in der Beek, halten nicht nur geschichtsvergessen, egoistisch und eng- FDP-Fraktion. stirnig, nein, es ist noch mehr, nämlich in Teilen regel- recht dumm und – das ist noch schlimmer für uns – auch (Beifall bei der FDP) ziemlich gefährlich. Deshalb haben wir mit diesem BMZ- Haushalt ein ganz bewusstes Zeichen für einen starken Olaf in der Beek (FDP): Multilateralismus gesetzt. Vergessen wir eines nicht: Dem Multilateralismus und der mit ihm verbundenen Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- freiheitlichen Weltordnung verdankt Deutschland, ver- ren! Die Berliner Bubble hat sich in der vergangenen dankt Europa und verdankt die gesamte westliche Welt Woche an der „G20 Compact with Africa“-Konferenz über 70 Jahre Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohl- in Berlin erfreut. Das Ziel – mehr private Investitionen stand. in Afrika – teilen wir ausdrücklich. Real entpuppt sie sich allerdings als zahnloser Tiger und wird leider von kaum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- jemandem in der deutschen Wirtschaft wahrgenommen. ordneten der SPD) Teil der deutschen Unterstützung ist der Entwicklungs- Wir haben die deutschen Beiträge für die Vereinten investitionsfonds. 1 Milliarde Euro wurde bis 2021 für Nationen deutlich gesteigert. Vor allem wachsen auf: diesen Fonds versprochen. Davon wurden bisher nur die Mittel für das UN-Entwicklungsprogramm, UNDP, 125 Millionen Euro im Jahr 2019 und 160 Millionen Euro um 10 Millionen Euro, die Mittel für das UN-Kinderhilfs- im Jahr 2020 hinterlegt. Es sieht also mau aus. Im Ver- werk, UNICEF, um 10 Millionen Euro und die Mittel für gleich ließ China aufhorchen: 60 Milliarden Dollar sollen die Global Polio Eradication Initiative, GPEI – dabei geht im selben Zeitraum in Afrika investiert werden. Eine an- es um den weltweiten Kampf gegen Kinderlähmung –, dere Dimension! Frau Merkel quittierte die Bilanz mit: um 35 Millionen Euro. „Wir steigern uns …“ Fast zynisch, lieber Herr Minister Müller, scheint Ihr an die Wirtschaft gerichteter Appell, Neben unserem multilateralen Engagement setzen wir „mutiger“ bei Investitionen in Afrika zu sein. Ein völlig natürlich und vor allem auch auf die verstärkte Förderung verzerrtes Bild! Es sind nicht etwa ängstliche Unterneh- (B) der deutschen Akteure. So fördern wir verstärkt das Enga- mer, sondern die von Ihnen gesetzten Rahmenbedingun- (D) gement der deutschen Wirtschaft in Afrika und in anderen gen, die einen deutschen Investitionsboom in Afrika ver- Regionen in der Welt mit plus 15 Millionen Euro. Auch hindern. der internationale Austausch von Wissenschaftlern, Stu- (Beifall bei der FDP) denten, Experten ist in einer zunehmend vernetzten Welt unverzichtbar. Deshalb haben wir für den wichtigen Be- Wir brauchen bessere staatliche Risikoabsicherungen für reich der Aus- und Fortbildung 7 Millionen Euro zusätz- Investitionen in Afrika und eine unbürokratische Bereit- lich bereitgestellt. Beide Handlungsfelder sind geeignet, stellung von Krediten für kleine und mittelständische Un- um unsere Partner – vor allem in Afrika – dabei zu unter- ternehmen. stützen, in Zukunft auch selbst ein nachhaltiges Wirt- schaftswachstum und einen eigenen wirtschaftlichen Die „Compact with Africa“-Initiative ist fehlgeleitet, und gesellschaftlichen Mittelstand zu entwickeln. fehlgeleitet auch deshalb, weil man sich fast nur auf so- genannte Reformchampions beschränkt, also auf jene Die Beratungen haben sich nach meiner festen Über- Länder, in denen politische, rechtliche und wirtschaftli- zeugung wirklich gelohnt. Wir haben hier ein Ergebnis che Reformen weit fortgeschritten sind. Dabei geraten die erzielt, welches unserer Verantwortung in der Welt ge- Ärmsten der Armen von insgesamt 47 Least Developed recht wird. Und wir haben geliefert! Unsere Welt ist zu- Countries in Vergessenheit. Hier ist Hilfe dringend not- nehmend vernetzt. Alles hängt mit allem zusammen, und wendig. deshalb ist dieser Haushalt der beste Beweis und Aus- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja druck für unser internationales Engagement. Wir über- Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nehmen Verantwortung in einer Zeit, in der sich viele aus der Verantwortung zurückziehen. Das gilt internatio- Zum Haushalt 2020. Wie bisher setzt der Minister nal, das gilt auch für Teile unserer Gesellschaft, und das großenteils auf bilaterale Zusammenarbeit. Die Erhöhung gilt leider auch für Teile dieses Hauses. allerdings der Mittel, wie vom Kollegen Körber ange- sprochen, im Bereich multilateraler Programme, die wir Deshalb sage ich umso deutlicher: Der Etat ist der beste gemeinsam mit unseren internationalen Partnern und Or- Beweis dafür, dass Deutschland seiner internationalen ganisationen durchführen, ist ein richtiges und wichtiges Verantwortung gerecht wird – und dies in enger Koopera- Signal. tion mit unseren internationalen Partnern. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung zu diesem Einzelplan. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Carsten Körber [CDU/ Vielen Dank. CSU]) 16362 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Olaf in der Beek (A) Dieses kommt Organisationen wie zum Beispiel dem Lassen Sie uns alle an einer wertegeleiteten Entwick- (C) UNFPA oder der GPE zugute, die sich der Weltbevölke- lungszusammenarbeit arbeiten. rung oder der globalen Bildung widmen. Das ist gut. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Zum Klimaschutz. Die Koalition erhöht die Mittel für den internationalen Klima- und Umweltschutz allein im (Beifall bei der FDP) Haushalt des BMZ um 500 Millionen Euro. Das ist wich- tig und richtig. Problematisch ist jedoch, dass aufgrund Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Zuständigkeiten der Ministerien trotz steigender Mit- Vielen Dank, Herr Kollege in der Beek. – Als nächste tel keine abgestimmte Strategie erkennbar ist. Wir fordern Rednerin hat die Kollegin Sonja Amalie Steffen das ein Klima- und Umweltschutzkonzept aus einem Guss. Wort – mit der Erlaubnis, ganz kurz ein Plakat hochzu- Wir brauchen eine moderne und innovative Klimapolitik, halten, das ich nicht genau erkennen kann. Darauf ist eine Politik, die weder auf Technikvorgaben noch auf nichts Unanständiges? Verbote setzt, sondern den Wettbewerb emissionsarmer und klimaneutraler Energieträger fördert. Neben interna- tionalen Aufforstungsprogrammen vertrauen wir auf die Sonja Amalie Steffen (SPD): Kraft neuer Technologien und die Kreativität des Mark- Nein, Herr Präsident, natürlich nicht. – Liebe Kollegin- tes. nen und Kollegen von der FDP, keine Sorge, es ist auch nicht die Niebel-Delle auf diesem Plakat zu sehen, die wir (Beifall bei der FDP) nun Gott sei Dank überwunden haben, sondern das Plakat zeigt eine Steintafel aus Ägypten. Sie ist 3 400 Jahre alt. Wie wäre es, „Climate Engineering made in Germany“ zu Sie zeigt – darin sind sich die Forscher ziemlich einig – fördern, um an das beste Gütesiegel der Welt anzuknüp- einen Priester mit einer Krücke. Man geht davon aus, dass fen? das schon die Folge einer Polio-Erkrankung war. Also: Nun zu den Sonderinitiativen, der Portokasse, lieber Wir können davon ausgehen, dass die Krankheit Polio Herr Minister, wobei man bei mittlerweile vier Sonder- schon seit mindestens 3 400 Jahren existiert. initiativen eher vom Regelfall sprechen muss. Mich stört Einige von Ihnen werden sich vielleicht noch daran vor allem die Intransparenz. Es gibt quasi einen unkon- erinnern: In den 50er-Jahren war Polio in Deutschland trollierbaren Freifahrtschein für Gießkannenpolitik. Un- sehr, sehr weit verbreitet. Wir hatten 30 000 Fälle von sere Forderung bleibt eine Abschaffung der Sonderinitia- Erkrankungen in Deutschland. Dann gab es 1961 die tiven und die Überführung eines Großteils der Mittel in Impfmöglichkeit; das kennen bestimmt noch viele von multilaterale Programme. Raus aus den Ankündigungen uns. Der Spruch zu den Impfungen hieß: Schluckimpfung (B) und rein ins Machen! International vor national, mehr (D) ist süß, Kinderlähmung ist grausam. – Man hat sich ein- Wald und Technologien für den Klimaschutz! Und: mal im Jahr ein Zuckerklümpchen mit dem Impfstoff in Fluchtursachen für Menschen unterbinden! Das Haus- der Schule abgeholt. Das führte zu dem Ergebnis, dass haltsvolumen hat allemal das Potenzial dazu. 1990 die Kinderlähmung in Deutschland ausgerottet war. Liberale Entwicklungspolitik ist innovativ, fair und Das ist ein großartiges Ergebnis. nachhaltig. Lassen Sie uns auf Augenhöhe mit Entwick- Aber das ist noch nicht weltweit so. Wir haben immer lungsländern agieren und die Privatwirtschaft mit ins noch Polio-Erkrankungen in der Welt. Im Augenblick Boot holen. Ansonsten sind diese Länder den geopoliti- sind es wahrscheinlich noch 35 Fälle. Das klingt außer- schen Interessen Chinas und seinen Staatskonzernen aus- ordentlich wenig. Aber um diese 35 Fälle auch noch zu geliefert. In Ruanda, einem Vorreiterland, wird Investo- bekämpfen und Polio endgültig auszurotten, brauchen ren der rote Teppich ausgerollt. Der fade Beigeschmack: wir einfach noch richtig viel Geld, weil wir richtig viel Wirtschaftlicher Fortschritt geht dort nicht mit Demokra- impfen müssen. Deshalb freue ich mich besonders – jetzt tisierung einher. Ruanda nimmt sich nämlich China und komme ich auf den Haushalt zu sprechen –, dass wir im nicht die westlichen Demokratien zum Vorbild. Haushalt 2020 nun erstmalig, quasi als eigenen Titel, die Welche Gefahren von der Übermacht Chinas ausgehen, Polio-Bekämpfung – wir haben sie schon immer geför- ist angesichts der Entwicklungen in Hongkong nicht zu dert – mit 35 Millionen Euro unterstützen können. Das ist übersehen. Wir fordern das Ende der Einstufung Chinas ein wunderbares Beispiel für gute multilaterale Entwick- als Entwicklungsland und der subventionierten Kredite. lungszusammenarbeit. (Beifall bei der FDP und der AfD – Markus (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frohnmaier [AfD]: Hört! Hört!) der CDU/CSU und des Abg. Michael Georg Link [FDP]) Diese Einstufung ist weder in puncto Menschenrechte noch in puncto Wirtschaftsstärke zu vertreten. China ist Übrigens zeigt dieses Konzept gegen Kinderlähmung – die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Sie haben es vorhin angesprochen – sehr erfolgreich und eindrucksvoll, wie viel die Weltgemeinschaft gemeinsam Es ist auch nicht zu vertreten, wenn autokratische Staa- zum Beispiel gegen Krankheiten und für viele Dinge tun ten wie Ägypten als Reformchampion auserkoren wer- kann. Also, es wirkt sich aus, wenn wir multilateral hel- den. Ein ägyptischer Diktator könnte nicht stärker im fen, wenn wir gemeinsam vorhandene Strukturen unter- Kontrast zu ihrer Initiative „Grüner Knopf“ und ihrem stützen und wenn wir zum Beispiel auch mit großen Un- Vorhaben eines Lieferkettengesetzes stehen. terstützern arbeiten. Bei Polio sind es die Rotarier, die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16363

Sonja Amalie Steffen (A) hier wirklich unfassbar viel Arbeit leisten. Das macht höht haben. Ich glaube, ich muss in diesem Haus wirklich (C) wirkungsvolle Entwicklungszusammenarbeit aus. niemandem erzählen, dass UNICEF – diese Organisation gibt es seit 73 Jahren – weltweit wirklich schon sehr vie- Wir haben übrigens in diesem Haushalt 2020 noch et- len Kindern das Leben gerettet hat. was getan – ich weiß jetzt gar nicht, Herr in der Beek, ob Ihnen das aufgefallen ist –: Es gab einen Beschluss aus (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dem Jahr 1992, einen Maßgabebeschluss. Dieser Maß- der CDU/CSU und der FDP) gabebeschluss – der Kollegin Hajduk sei Dank; sie hat ihn nämlich ausgegraben – sah vor, dass die Ausgaben für Zum internationalen Klimaschutz habe ich gestern multilaterale Institutionen nicht über 30 Prozent steigen schon vieles erläutert. Ich will nur sagen: Wir von der dürfen. Diesen Beschluss haben wir jetzt aufgehoben, ihn SPD-Fraktion freuen uns sehr, dass wir auch im Klima- gibt es nicht mehr. Aber, Herr Minister Müller, Sie müs- paket die Mittel für den internationalen Klimaschutz noch sen jetzt auch keine Sorge haben: Wir werden jetzt nicht einmal um insgesamt 600 Millionen Euro erhöhen konn- gleich die Sonderinitiativen in multilateralen Institutio- ten. Davon fließen 100 Millionen Euro in das Umwelt- nen der Entwicklungszusammenarbeit unterbringen und ministerium und 500 Millionen Euro in Ihr Ministerium, erst recht nicht die GIZ. An dieser Stelle herzlichen Dank Herr Minister Müller. für die Arbeit der GIZ. Letztendlich danke ich allen, die daran mitgewirkt ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben. Aber ich möchte noch eines sagen: Sascha Raabe aus der CDU/CSU und der FDP) unserer Fraktion – ich glaube, das können alle bestätigen, zumindest alle von der SPD-Fraktion – ist jahrelang dabei Aber wir von der SPD-Fraktion werden uns weiter dafür und versucht immer, uns alle davon zu überzeugen, die- einsetzen, die multilateralen Hilfen zu erhöhen. sen Titel zu erhöhen. Das haben wir an dieser Stelle auch gemacht. Herzlichen Dank, lieber Sascha. (Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Neben der Polio-Bekämpfung unterstützen wir die glo- Zum Schluss möchte ich noch ganz schnell den vielen, bale Impfallianz GAVI in diesem Haushalt für die nächs- vielen Menschen danken, die in der Zivilgesellschaft un- ten fünf Jahre mit 600 Millionen Euro. Das ist richtig viel. terwegs sind. Das fängt bei den Kirchen an und geht bis Aber Sie müssen wissen: GAVI unterstützt beispielsweise hin zu den Stiftungen, deren Etatvolumen wir auch noch auch den Kampf gegen Erkrankungen wie Ebola. Ich erhöhen konnten. Es sind gerade die Stiftungen und die weiß, viele von Ihnen werden sich noch sehr gut daran Kirchen, die immer noch in den Ländern tätig sind, auch erinnern: Wenn Ebola ausbricht, dann bricht auch allge- (B) wenn dort wirklich schlimme Krisen ausbrechen. Die (D) meine Panik in der Welt aus. Wir kennen alle die Stiftungen und die Kirchen bleiben da, auch wenn sich schrecklichen Bilder von den Ärzten und den Pflegerin- viele schon verabschiedet haben. nen und Pflegern in den Schutzanzügen. Wir wissen alle: Ebola breitet sich wahnsinnig schnell aus. Ebola ist eine An dieser Stelle also allen Menschen, die in Deutsch- Krankheit, die fast immer tödlich endet, und zwar sehr, land Entwicklungszusammenarbeit unterstützen, einen sehr schnell. herzlichen Dank, aber vor allem auch denjenigen, die in der Welt unterwegs sind und unter schwierigsten Bedin- Jetzt gibt es hier eine super tolle Nachricht: Es gibt gungen Entwicklungshilfe leisten. Herzlichen Dank auch einen Impfstoff gegen Ebola. Er ist sogar in Deutschland allen hier im Haushaltsausschuss, dem Minister, dem entwickelt worden und wird in Niedersachsen vertrieben. Hauptberichterstatter und den Mitberichterstattern. Das Besondere und das Tolle ist nun, dass wir weltweit gegen Ebola impfen können. Das, denke ich, ist einfach (Beifall bei der SPD) ein unheimlich gutes Zeichen. Deshalb können Sie sicher Ich glaube, wir schlagen einen guten Haushalt vor. Ich sein, Herr Minister: Wenn es dafür noch mehr Unterstüt- bitte um breite Unterstützung. zung erfordert, dann sind wir auf jeden Fall dabei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU)

Ja, zum Thema Bildung wird meine liebe Kollegin Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Dagmar Ziegler noch vieles sagen. Deshalb will ich an dieser Stelle nur eines anmerken: Ich freue mich sehr, Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der Kollege Michael dass wir die Zuwendung für GPE noch einmal erhöhen Leutert hat das Wort für die Fraktion Die Linke. konnten. Die jährlichen Mittel steigen von 9 Millionen (Beifall bei der LINKEN) Euro in 2017 auf 50 Millionen Euro in 2020; das gilt auch für die Zukunft. Das ist wunderbar, weil wir dann in einer Michael Leutert (DIE LINKE): Partnerschaft mit den Entwicklungsländern eben dafür sorgen, dass Bildung in den jeweiligen Ländern gefördert Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- wird. ber Herr Minister, der Kollege Körber hat beim Dank schon so gut vorgelegt. Da will ich als Hauptberichter- Des Weiteren möchte ich noch gerne UNICEF erwäh- statter nicht hintanstehen. Ich bedanke mich recht herz- nen. Wir fördern UNICEF, indem wir den Kernetat um lich bei Ihnen, Herr Müller, und Ihren Mitarbeitern für die weitere 10 Millionen Euro für die kommenden Jahre er- konstruktive Zusammenarbeit. 16364 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Michael Leutert (A) Nun haben wir hier nach den Haushaltsberatungen ein Es wurde Ihnen durch die Koalitionsfraktionen Ihr (C) Ergebnis vorliegen. Meine Einschätzung fällt, was das wichtigstes Instrument, nämlich die Sonderinitiativen, al- Ergebnis betrifft, natürlich anders aus, weil ich das nicht so das Instrument, das Ihnen Flexibilität verleiht, zusam- so positiv beurteile. Im Kern hat sich substanziell nichts mengestutzt. Das ist sozusagen ein Misstrauensantrag ge- verbessert. Die grundlegenden Probleme sind auch nicht gen Sie; so werte das zumindest ich. Es wurde die Anzahl gelöst worden. Sie verfügen im Jahr 2020, Herr Minister, der Sonderinitiativen begrenzt. Die Mittelhöhe der Son- über 10,9 Milliarden Euro. Da muss man klar sagen: Das derinitiativen wurde auf 10 Prozent des gesamten BMZ- selbstgesteckte Ziel der Koalition, das auch im Koali- Etats begrenzt, und bei der Sonderinitiative „EINEWELT tionsvertrag festgeschrieben wurde, 0,7 Prozent des BIP ohne Hunger“ wurden noch 140 Millionen Euro an eine für die Entwicklungshilfe aufzuwenden, ist auch diesmal andere Stelle weggegeben. Damit machen die Koalitions- wieder verfehlt worden. fraktionen nichts anderes, als Sie ruhigzustellen, da Sie gefesselt sind. Erstens ist das deshalb besonders traurig, weil die De- batte sich über so viele Jahre dahinschleppt. Zweitens (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: So ein Blöd- habe ich das Gefühl – wir haben gerade über den Etat sinn!) des Verteidigungsministeriums gesprochen –, dass im Be- reich der Verteidigung, bei dem es um die Erreichung des Wenn man einen Vergleich zum Auswärtigen Amt 2-Prozent-Ziels geht, das Engagement einiger Kollegin- zieht, dann zeigt uns das ein Problem, das sich aus dem nen und Kollegen doch etwas höher ist als beim 0,7-Pro- Gesamtzustand der Koalition ergibt. Man kann Ihnen ja zent-Ziel. viel vorwerfen. Man könnte Ihnen vorwerfen, dass die Ziele falsch sind. Man könnte Ihnen vorwerfen, dass (Beifall bei der LINKEN) Sie die falschen Prioritäten setzen. Man könnte Ihnen Herr Minister, das Verteidigungsministerium hat in den vorwerfen, dass Sie die falschen Instrumente nehmen. Haushaltsberatungen 137 Millionen Euro extra bekom- Aber eines kann man Ihnen definitiv nicht vorwerfen: men. Sie haben 10 Millionen Euro on top bekommen – Untätigkeit. Sie sprühen ja nur so vor Ideen. wegen Wechselkursschwankungen. Im Koalitionsvertrag (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Nur kein Neid!) ist auch festgelegt, dass das Verhältnis zwischen ODA- Mitteln und dem Aufwuchs der Mittel für Verteidigung Sie bringen ja immer wieder was Neues zutage, ob das die eins zu eins sein soll. Auch dieses Ziel ist verfehlt wor- Sonderinitiativen sind, ob das das Textilsiegel „Grüner den. Knopf“ ist, ob das die Reformpartnerschaften sind, ob das der Marshallplan mit Afrika ist. Das Ergebnis der Ein weiterer Punkt sind die dramatisch niedrigen Ver- Haushaltsberatungen ist: Sie bekommen 10 Millionen pflichtungsermächtigungen. Das ist ein ganz klares struk- (B) Euro mehr. (D) turelles Problem, das wir schon mehrmals besprochen haben. Verpflichtungsermächtigungen sind dafür da, für Zum Auswärtigen Amt fällt mir dagegen nichts ein. Es die Zukunft planen und Verträge abschließen zu können. gibt dort keine Ideen, keine Schwerpunkte, keine Initiati- Das ist also das Kerngeschäft, das Sie zu leisten haben. ven. Die Verpflichtungsermächtigungen fallen für das nächste Jahr geringer aus als die Barmittel. Das heißt, Sie können (Jan Korte [DIE LINKE]: Keine Meinung, nicht länger ausreichend planen. Der Grund dafür liegt keine Meinung!) einfach in der sogenannten mittelfristigen Finanzpla- Das Ergebnis ist: Das Auswärtige Amt bekommt 191 Mil- nung: Ihr Etat soll im Jahr 2021 wieder um 1,5 Milliarden lionen Euro mehr. Vielleicht sollten Sie sich daran mal ein Euro gekürzt werden. Das ist das ganze Problem. Das Beispiel nehmen: Tun Sie ein Jahr lang mal nichts; viel- bedeutet, Sie fahren hier nicht bloß auf Sicht, sondern leicht bekommen Sie dann auch mehr. Sie fahren blind durch die Gegend. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie keine Verträge für die Zukunft abschließen Das ist symptomatisch für die Koalition: Stillstand wird können, wird es auch kompliziert, in den Haushaltsbera- hier belohnt. Das finde ich schade. tungen im nächsten Jahr mehr Barmittel zu mobilisieren, (Beifall bei der LINKEN) weil sich natürlich die Frage stellt: Für was denn? Wenn keine Verträge existieren, die eingehalten werden müs- sen, ist es natürlich problematisch, Barmittel obendrauf Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zu legen. Das heißt im Kern: Für die Entwicklungszusam- Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin menarbeit ist hier der Grundstein gelegt worden, dass das Anja Hajduk. Ganze unstrukturiert, planlos und chaotisch sein wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Fairerweise muss man dazusagen: Das liegt nicht an Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihnen. Sie würden sehr gern mehr Verpflichtungsermäch- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- tigungen und sehr gern auch mehr Barmittel nehmen. ren! In der Tat, bei allen guten Zahlen für das Jahr 2020 ist Aber da stellt sich dann natürlich die Frage nach Ihrem dieser BMZ-Haushalt, der Haushalt Ihres Ministeriums, Verhältnis zu den Koalitionsfraktionen. Da ist in den Herr Müller, wie ich finde, kurzsichtig und deswegen Haushaltsverhandlungen Folgendes passiert: auch nicht wirklich ehrgeizig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16365

Anja Hajduk (A) Wir von den Grünen wollen einen ehrgeizigeren Etat, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) der auch aufzeigt, bis wann man das Ziel, 0,7 Prozent des sowie bei Abgeordneten der FDP) Bruttoinlandsprodukts für Entwicklung auszugeben, er- Da muss man in eine andere Richtung gehen. reichen möchte. Vor allen Dingen wollen wir nicht diese Brüche, die beim Übergang vom Jahr 2020 zum Jahr 2021 (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: 30 Prozent von auftreten könnten. Diese Brüche würden bedeuten, dass sehr viel weniger!) der Haushalt des Entwicklungsministers um 14 Prozent - „30 Prozent von sehr viel weniger“, das stimmt. Aber es abfällt. 14 Prozent sind 1,5 Milliarden Euro, und das ist geht ja um die grundsätzlichen Leitlinien. ein Problem. Wenn dann die Sozialdemokraten oder das Finanzministerium uns glauben machen wollen, den Fi- Ich erwähne das, Herr Gröhe, weil Ihre Kanzlerin – nanzplan müsse man doch nicht so ernst nehmen, da man unsere Kanzlerin muss ich ja sagen; wir leben im selben im nächsten Jahr entsprechende Aufstockungen vorne- Land –, Frau Merkel, dazu auffordert, den Multilateralis- hme, mus weiterzuentwickeln, eine Agenda des Vertrauens zu schaffen. Da haben wir Deutsche eine besondere Aufga- (Dr. Sascha Raabe [SPD]: So machen wir es be. Der Außenminister hat gesagt: Aktuell gilt es, eine auch! – Sonja Amalie Steffen [SPD]: So ist es Allianz der Multilateralisten zu schaffen, und deswegen doch auch!) ist auch in der Entwicklungszusammenarbeit eine Kor- dann muss man denen sagen, dass man aber im Jahr 2020 rektur nötig. faktisch das Problem hat, keine mehrjährigen Zusagen mit Blick auf die vielen notwendigen Projekte geben zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN können. sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel, Herr Gröhe und Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Minister Müller. Sie haben in der vergangenen Woche sowie bei Abgeordneten der FDP) hier eine Konferenz zum Compact with Africa veran- Dieses Problem besteht gerade in dem multilateralen Be- staltet. Die Bundesregierung plante im laufenden Haus- reich, über den auch Sie sich so positiv geäußert haben. haltsjahr 2019 eine Beteiligung an einer Erhöhung des Insofern ist es natürlich ein Riesenproblem, als Sie es Kapitals für die Afrikanische Entwicklungsbank um dieses Jahr nicht wie im letzten Jahr geschafft haben, 200 Prozent; wir hatten das also etatisiert. Dann haben mehrere Hundert Millionen Euro für Verpflichtungser- bei den internationalen Verhandlungen andere leider ge- mächtigungen der nächsten Jahre zur Verfügung zu stel- sagt: Wir beteiligen uns nur an einer Erhöhung um len, und das wollen wir doch nicht schönreden, Frau Kol- 125 Prozent. – Im 2019er-Etat haben wir also Mittel üb- (B) legin Steffen. rig. Wenn man für das laufende Jahr eine Erhöhung um (D) 200 Prozent für richtig befunden hat, dann liegt es doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nahe, übriggebliebene Mittel für den Afrikanischen Ent- Ich kann dazu auch ein Beispiel bringen, woran man wicklungsfonds einzusetzen. Es geht darum, diese Mittel sieht, wie widersinnig das ist. Kanzlerin Merkel – Herr zu nehmen und multilateral für Afrika bereitzustellen. Müller strahlt mich schon an, weil er, glaube ich, meine Das zur Verfügung stehende Geld hätten wir einfach im Meinung teilt – war im September bei den Vereinten Na- Entwurf des Haushaltsgesetzes 2020 als Verpflichtungs- tionen und hat die Zusage von zusätzlichen 500 Millionen ermächtigung veranschlagen können. Euro für den internationalen Klimaschutz gegeben. Da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit löst Deutschland ein lang gegebenes Versprechen ein, nämlich 4 Milliarden Euro für den internationalen Klima- Das haben Sie nicht gemacht; wir haben es beantragt. schutz ab 2020 bereitzustellen. Frau Merkel hat gesagt: ab Warum haben Sie es eigentlich nicht gemacht? 2020 und nicht für 2020, was ja bedeuten würde, dass für Diese Mittel im Haushalt 2020 bereitzustellen, hätte die Zeit danach hinter dem Ganzen ein Fragezeichen ste- die Bilanz verbessert, und das wäre nötig; denn sie wür- hen würde. Dementsprechend ist es ein Problem, wenn im den in die sogenannten Least Developed Countries flie- Finanzplan eine Summe nicht dauerhaft veranschlagt ßen, also in die ärmsten Länder, die wir gerade in der wird. Die internationale Gemeinschaft erwartet von uns Zusammenarbeit mit Afrika nicht vergessen sollten. ab 2020 4 Milliarden Euro für den internationalen Klima- schutz, und diese Zusage fehlt. Ich kann Ihnen nur zurufen: Im Etat des Bundesminis- teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wicklung gibt es ein paar gute Entwicklungen; aber ins- Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen. gesamt werden sie den aktuellen Herausforderungen Wir halten es in der Tat für erforderlich, dass die multi- leider nicht gerecht. Wir arbeiten weiter daran und setzen laterale Arbeit gestärkt wird; da kann ich den Kollegen auf das nächste Jahr. aus der FDP nur zustimmen. In diesem Sinne ist es wich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tig, dass da auch bei Ihnen, Herr Müller, der Schalter sowie bei Abgeordneten der FDP) umgelegt wird. Wenn ich die ODA-Mittel von 2016 zu- grunde lege – andere Zahlen stehen mir noch nicht so zur Verfügung – und gucke, wie viele davon multilateral ein- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gesetzt wurden, dann stelle ich fest, dass das nur 20 Pro- Jetzt hat als Nächstes das Wort der Bundesminister für zent waren. Vor Ihrer Amtszeit waren das 30 Prozent , und wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Bitte das ist eine Entwicklung, die ich nicht für richtig halte. schön, Herr Minister. 16366 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Im Übrigen, meine Damen und Herren, die Sie zuhö- (C) ordneten der SPD) ren: Sie alle können sich an dieser 1 000-Schulen-Initia- tive beteiligen. 50 000 Euro für eine Schule in Afrika Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche verschaffen 500 Kindern Zugang zu Bildung. Zusammenarbeit und Entwicklung: Deutschland verstärkt die Maßnahmen für den inter- Danke. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! nationalen Klimaschutz – Sie haben das angesprochen –; Geht es den anderen auf der Welt auf die Dauer schlecht, denn entscheiden wird sich die Klimafrage in den Ent- dann wird es uns auf die Dauer nicht gut gehen, und des- wicklungs- und Schwellenländern. Hier danke ich dem halb lautet der Grundsatz „Der Starke hilft dem Schwa- Bundesfinanzminister, der Bundeskanzlerin, aber auch chen“. Das gilt in der Familie; aber das gilt auch unter den Ihnen allen aus dem Haushaltsausschuss für zusätzlich Völkern. 500 Millionen Euro. Deutschland erfüllt damit seine in- Deutschland wird seiner Verantwortung gerecht. Wir ternationalen Zusagen. tragen zur Bewältigung der globalen Herausforderungen Ich könnte jetzt eine ganze Reihe von Programmen bei. Ich möchte Ihnen, den Haushältern, dem deutschen darstellen. Dazu gehört zum Beispiel der Green Climate Parlament, sagen: Die Politik für wirtschaftliche Zusam- Fund. Wir legen in Afrika ein Markteinführungspro- menarbeit und Entwicklung hat die Antworten auf die gramm für erneuerbare Energien auf. Liebe Freunde globalen Herausforderungen. Und: Entwicklungszusam- von den Liberalen, da bieten sich auch technologische menarbeit wirkt. Das sind wir bei diesem Haushaltsansatz und wirtschaftliche Chancen für deutsche Unternehmen. allen schuldig, auch den Bürgerinnen und Bürgern, den Wir verstärken unsere Maßnahmen zum Regenwald- Steuerzahlern. schutz, zum Meeresschutz und zum Mangrovenschutz. Wir helfen den Ärmsten in Not in den Krisen- und Wir verstärken damit die Markteinführung im Bereich Flüchtlingsregionen der Welt. Heute Nacht wird gestor- Erneuerbare, wie ich gesagt habe. Aber wir könnten noch ben: Tausende Kinder im Jemen und im Krisenbogen um mehr tun. Syrien, die auf Hilfe warten und für die Hilfe Überlebens- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hilfe ist, meine Damen und Herren. Aber es ist gelungen, Ja!) die Fälle extremer Armut und Hunger seit 1990 mehr als zu halbieren. Und wenn wir noch mehr tun würden, wäre Außerdem setzen wir private Mittel ein; das ist ein eine Welt ohne Hunger möglich, und zwar innerhalb der neuer Akzent. Mit öffentlichen Geldern können wir die nächsten zehn Jahre mit Mitteln, die einem Viertel des großen Herausforderungen auf den vielen Feldern nicht weltweiten Verteidigungsaufkommens entsprechen; das alleine schaffen. Aber private Gelder können Investitio- (B) bleibt das Ziel. nen voranbringen. Dazu habe ich die neue Allianz für (D) Entwicklung und Klima auf den Weg gebracht. Innerhalb Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Wir stärken welt- von neun Monaten hat sie 500 Mitglieder und Unterstüt- weit die Gesundheitsversorgung, Frau Steffen. Polio und zer gewonnen, die ihre Unternehmen oder ihre Behörden Masern sind weltweit nahezu besiegt. Das ist großartig. klimaneutral aufstellen. Das BMZ wird das erste Ministe- Den deutschen Beitrag zu GFATM erhöhen wir auf 1 Mil- rium sein, das nicht nur redet und fordert, sondern han- liarde Euro. Wir haben allein in zwei Jahren – da lade ich delt. alle deutschen Kommunen ein – 60 neue Klinikpartner- schaften geschlossen. Herzlichen Dank! (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Markus (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Frohnmaier [AfD] – Markus Frohnmaier Wir fördern Bildung und Ausbildung; das ist ein [AfD]: Was für ein Kompliment!) Schwerpunkt. Unsere Sonderinitiative Ausbildung und Ab 1. Januar 2020 ist es das erste deutsche Ministerium, Beschäftigung bringt unsere berufliche Bildung nach Af- das sich klimaneutral aufstellt. Wo bleibt der Deutsche rika und in die Entwicklungsländer. Und wir planen im Bundestag? kommenden Jahr eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem deutschen Handwerk. Heute haben 90 Prozent der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kinder und Jugendlichen in der Welt – 90 Prozent! – Zu- der SPD) gang zu Bildung. Es fehlen noch 10 Prozent, etwa in Wo bleiben die Landesministerien? Jede öffentliche Be- Afrika und in Indien. Aber vor 50 Jahren waren es nur hörde, jedes Ministerium sollte und muss uns folgen, sich 40 Prozent. Deshalb sage ich: Entwicklungszusammen- klimaneutral aufstellen und sich der Allianz für Entwick- arbeit wirkt. lung und Klima anschließen. Ein ganz besonderer Dank gilt den deutschen Kommu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der nen für die Initiative „1 000 Schulen für unsere Welt“. Ich SPD und der LINKEN) finde das großartig und danke besonders Stefan Rößle, der das zusammen mit dem Deutschen Städtetag und dem Entwicklungszusammenarbeit wirkt bei der Schaffung Deutschen Landkreistag initiiert hat. Sie haben im ersten von Arbeitsplätzen. Wir haben geliefert und umgesetzt. Jahr 100 Schulen auf den Weg gebracht. Herzlichen Der Entwicklungsinvestitionsfonds wirkt. Erste Investi- Dank! tionsverträge sind unterschrieben, meine Damen und Her- ren. Neu ist, dass wir mit dem Senegal, Äthiopien und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Marokko nun die sechste Reformpartnerschaft gestartet bei Abgeordneten der LINKEN) haben. Wir konzentrieren, und wir fordern unsere Partner: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16367

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) Kampf gegen Korruption, Einhaltung von Menschen- Die neuen afrikanischen Eliten investieren lieber in west- (C) rechten, Good Governance. Und was besonders erfreulich liche Luxuslimousinen, aber nicht in das Wohlergehen ist: Alle Reformpartner in Afrika haben nach dem Ease of ihrer Völker. Doing Business Index bei der Bekämpfung der Korrup- tion und der Einhaltung der genannten Standards in den Und lernt die Bundesregierung daraus? Nein. Ihre Po- letzten Jahren wesentliche Erfolge erzielt. litik ist die Politik eines Süchtigen. Sie sind süchtig da- nach, die Schuld der gesamten Welt auf die Schultern der Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Faire Lieferket- Industriestaaten zu laden als Buße für die drei Ks, die drei ten, keine Kinderarbeit, soziale und ökologische Stan- Säulen der weißen Schuld: Kolonialismus, Kapitalismus dards sind ein Muss für alle. Der Grüne Knopf, den Sie und – neuerdings – Klimawandel. Herr Müller und seine hier an meinem Revers sehen, als erstes staatliches Siegel Heerscharen von Helfern sind süchtig danach, die Welt zu für ökologisch und sozial nachhaltig produzierte Textilien vergewohltätigen. ist auf dem Markt. Sie können Ihre Weihnachtseinkäufe nun nachhaltig gestalten: (Ulli Nissen [SPD]: Was reden Sie wieder für einen Quatsch! – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Sehr gut!) Peinlich! Peinlich!) statt Billigklamotten Kleidung mit dem Grünen Knopf, Dabei wird die größte Herausforderung unserer Zeit fair produziert. von Ihnen völlig ausgeblendet. Bis 2050 wird sich die Bevölkerung in Afrika auf 2,5 Milliarden Menschen ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- doppeln. Und was machen Sie? Sie überweisen lieber ordneten der SPD) Steuergeld für Solarzellen auf marokkanischen Mo- Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Wir setzen den scheen. Schon heute gelten zwei Drittel der 1,3 Milliarden Marshallplan mit Afrika um. Stichwort „Digitalisierung“: Afrikaner als ausreisewillig. Wo sind denn Greta Thun- Wir unterstützen Smart Africa mit 200 Digitalprojekten, berg, Hannah Blitz, Nike Mahlhaus und die ganzen ande- zum Beispiel mit dem Aufbau einer Wissensplattform ren weißen privilegierten Fräuleins von Fridays for Fu- Africa Cloud. ture, um auf die Folgen für den Planeten und die Umwelt hinzuweisen? Wo ist Frau Merkel, die sagt: „Wenn ihr Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Ich fordere die weiter ungebremst Kinder produziert, sprengt ihr euren Europäische Union auf, es uns gleichzutun. Richtung Kontinent in die Luft“? Brüssel sage ich: Wir brauchen vergleichbare Anstren- gungen in Brüssel. Wir brauchen eine neue Afrikapolitik (Zuruf von der SPD: Pfui! – Zuruf des Abg. Jan der Europäischen Union, einen stärkeren Marktzugang Korte [DIE LINKE]) (B) für afrikanische Produkte und eine Europäisierung des (D) Marshallplan-Konzeptes. Lieber verspricht die Kanzlerin 1 Milliarde Euro Steuergeld an Indien. Indien, Wirtschaftsgigant; Indien, Meine Damen und Herren, zum Schluss: Danke an die die Atommacht; Indien, mit eigenem Raumfahrtpro- Zivilgesellschaft, an die Hunderttausenden von Expertin- gramm. Die Kollegen von der CDU/CSU haben auch nen und Experten draußen in der Welt, in der GIZ, in der eines, aber das von Indien ist etwas ernstzunehmender. KfW! Mein Dank gilt meinen Staatssekretären Frau Der deutsche Steuerzahler darf jetzt also in Indien solar- Flachsbarth, Herrn Barthle, Herrn Jäger und dem ganzen betriebene Metrostationen und batteriebetriebene Rik- Haus, aber auch der Kanzlerin, allen Fraktionen und den schas finanzieren, Berichterstattern Herrn Körber, Frau Steffen und Frau Hajduk; ich schließe auch viele andere wie Sascha Raabe (Ulli Nissen [SPD]: Tolle Idee!) mit ein. Ohne euch hätte ich die Ergebnisse dieser Arbeit wie uns die Medien in den letzten zwei Wochen über das, nicht erzielen können. Herzlichen Dank! Mit dem Haus- was Merkel dort an deutschem Steuergeld versprochen halt 2020 setzen Sie ein starkes Zeichen. hat, berichtet haben. Danke schön. In meiner Heimatgemeinde – vorhin wurde über (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Schulen gesprochen – hat man kein Geld für die Sanie- rung eines Grundschulgebäudes. Es regnet oben zum Dach rein. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Für die AfD hat (Zuruf von der CDU/CSU: Was?) jetzt das Wort der Kollege Markus Frohnmaier. Sie schicken Geld nach Indien, während in Deutschland (Beifall bei der AfD) auch im Winter dieses Jahres 300 000 Familien der Strom abgedreht wird. Meine Damen und Herren, das ist soziale Markus Frohnmaier (AfD): Perversion. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 3 Billionen (Beifall bei der AfD – Widerspruch der Abg. US-Dollar flossen seit den 60er-Jahren als Entwicklungs- Heike Hänsel [DIE LINKE]) hilfe in die gesamte Welt. 2 Billionen davon gingen allei- ne nach Afrika. Das Resultat: Das Geld ist versickert, die Deshalb wollen wir 4 Milliarden Euro in Ihrem Etat, Herr Schweiz ist die größte Bank Afrikas. Müller, einsparen. Geld, das in Deutschland gebraucht wird. Geld, das hier investiert werden muss. Geld, das (Beifall bei der AfD) bei unserem Bürger hier in Deutschland ankommen muss. 16368 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Markus Frohnmaier (A) (Ulli Nissen [SPD]: Populismus pur!) Etwas anderes ist der Fall: Dort, wo die Kindersterblich- (C) keit sinkt, sinkt gleichzeitig die Geburtenrate; denn die Vielen Dank. Frauen wissen – auch mit Blick auf ihre Altersversor- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Was gung –, dass sie nicht mehr fünf, sechs oder sieben Kinder für ein Glück, dass diese Rede vorbei ist!) auf die Welt bringen müssen, damit zwei oder drei durch- kommen. – Das macht Sinn; aber es müssen auch nicht alle verstehen. Ich bin stolz und froh, dass die Mehrheit Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dieses Hauses das verstanden hat und wir wieder einen so Für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner Dr. Sascha tollen Haushalt hinbekommen haben, meine sehr verehr- Raabe. ten Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- Dr. Sascha Raabe (SPD): NISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die ärmsten Men- Natürlich ist nicht nur die Höhe eines Haushaltes wich- schen auf dieser Erde; denn es ist mit dem Haushalt 2020 tig – wir haben jetzt fast 11 Milliarden Euro für das jetzt zum zweiten Mal gelungen – nach dem Haushalt Entwicklungsministerium bereitgestellt; das ist toll –, 2019 –, dass wir insgesamt jeweils 1 Milliarde Euro mehr sondern es ist auch wichtig, für was wir die Mittel ver- für den Kampf gegen Hunger, Armut und Klimawandel wenden. Da, Sonja, gebe ich gerne das Lob an dich als zur Verfügung stellen können. Wir haben im letzten Jahr unsere Haushälterin zurück. Wir haben im multilateralen als Parlament die Mittel vom Entwurf bis zur Verabschie- Bereich deutliche Umschichtungen vorgenommen, - dung des Haushalts um 700 Millionen Euro steigern kön- de zum Beispiel für UNICEF, was mir besonders am nen, dieses Jahr noch einmal um über 600 Millionen Euro Herzen gelegen hat, und für viele andere UN-Hilfspro- im BMZ und BMU zusammen. gramme. Ich glaube, man muss immer schauen, wer was am besten kann, und da das Geld hingeben. Bilaterale Ich glaube, das ist etwas, was uns Mut macht, worauf Hilfe ist ebenso wichtig wie die multilaterale. Ich glaube, wir stolz sein können und bei dem ich auch sage: Es das passt zurzeit sehr gut zusammen, wie wir es auch im macht mich froh, dass wir so eine gute Wirkung entfal- Haushalt abbilden. ten – auch gegen die Meinung derjenigen von der Rechts- außenseite, die jedes Jahr hier stehen und immer wieder Es ist auch gut, dass wir die Mittel der politischen die Not der ärmsten Menschen, von hungernden Kindern Stiftungen aufgestockt haben; nicht von allen politischen (B) ausspielen gegen Schulen in Deutschland, in die es rein- Stiftungen. Die Stiftungen, die ich kenne – die Friedrich- (D) regnet. Ebert-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung, die Konrad- Adenauer-Stiftung, die Stiftungen von der FDP, von den (Zuruf des Abg. Markus Frohnmaier [AfD]) Grünen und von den Linken –, Man muss beides tun! Man darf doch nicht Hunger gegen soziale Probleme in Deutschland ausspielen. Das ist un- (Lachen bei der AfD) anständig und schäbig. machen alle eine gute Arbeit vor Ort und helfen, die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Demokratisierung voranzubringen, die Zivilgesellschaft der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE zu stärken, Arbeitnehmerrechte zu stärken, Menschen- GRÜNEN) rechte zu stärken. Sie alle setzen sich für gute Regierungs- führung ein. Deren Mittel haben wir ebenso aufgestockt Zum Glück sehen das auch die Menschen in Deutschland wie die Mittel für die zivilgesellschaftlichen Organisatio- so. nen in Deutschland – „Brot für die Welt“, Welthunger- Wir haben ganz viele – der Minister hat es angespro- hilfe, Misereor, wie sie alle heißen. Es ist gut, dass wir so chen – Städtepartnerschaften. Wir haben Fairtrade- viele Partner haben, die sich für Nachhaltigkeit und gegen Towns, Fairtrade-Landkreise. Auch bei mir im Main-Kin- Hunger und Armut einsetzen, meine sehr verehrten Da- zig-Kreis gibt es viele solcher Kommunen. Auch der men und Herren. Kreis macht sich da jetzt auf den Weg. Es gibt ganz viele Menschen, die bereit sind, privat zu spenden, weil sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wissen: Angesichts der Herausforderung, dass auf dem der CDU/CSU) Nachbarkontinent Afrika die Bevölkerung so stark an- Wir müssen aber auch einen Blick auf die Länder wer- wächst, kann doch die einzige Antwort nur sein, zu hel- fen, mit denen wir zusammenarbeiten, Herr Minister – fen, dass die Menschen dort würdige Lebensperspekti- Sie haben die Reformpartnerländer schon genannt, auch ven, Zukunftsperspektiven haben. im anderen Portfolio –, wenn wir uns gemäß der Verein- Es geht übrigens die Geburtenrate in den Ländern zu- barung der Geber auf eine kleinere Anzahl konzentrieren rück, in denen wirtschaftliche Perspektiven bestehen. Oft wollen. Es ergibt ja auch Sinn, die Anzahl der Partner- wir behauptet: Wenn wir impfen und Gesundheitspro- länder zu verkleinern, weil in vielen Entwicklungslän- gramme machen, dann werden doch noch mehr Kinder dern zu viele Geberländer unterwegs sind und die Minis- überleben. – Eine etwas zynische Betrachtungsweise. terien zum Teil mit 20, 30 gut meinenden ausländischen Regierungsvertretern über die Entwicklungsprogramme (Beifall bei Abgeordneten der SPD) reden sollen. Wenn wir aus einem Land rausgehen, geht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16369

Dr. Sascha Raabe (A) ein anderes Land rein, das das dann vielleicht effizienter (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- (C) machen kann. KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Aber es ist wirklich wichtig, dass wir beim Kriterium „gute Regierungsführung“ darauf achten, dass die Regie- In dem Sinne bietet unser Haushalt gute Voraussetzun- rungen dort die Menschenrechte einhalten, dass dort Ar- gen, Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung zu beitnehmerrechte eingehalten werden, keine ausbeuteri- unterstützen. Ich bin zuversichtlich, dass wir den nach- sche Kinderarbeit erfolgt und Korruption stark bekämpft haltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen heu- wird. te damit ein großes Stück näherkommen. Im nächsten Jahr, liebe Kollegin Hajduk, werden wir bestimmt auch (Zuruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE wieder das, was im Finanzplan jetzt zu niedrig angesetzt LINKE]) wird, deutlich erhöhen, Ich war neulich mit der Deutsch-Mittelamerikanischen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Parlamentariergruppe – da waren auch hier einige mit der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) dabei – in Honduras. Dort werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Ich sprach soeben mit Frau Miriam Mi- sodass wir dann vielleicht sagen können: Wir machen randa vom Volk der Garifuna, einer indigenen Gruppe. einen Hattrick – dreimal 1 Milliarden Euro mehr für Dort sind Morde von der Drogenmafia, aber auch von ODA. – Das wär doch was fürs nächste Jahr. Dafür wer- regierungsnahen Gruppen an der Tagesordnung, weil sich den wir kämpfen. die Menschen dagegen wehren, dass ihnen das Land weg- Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. genommen wird. In dem Land besteht 97 Prozent Straf- losigkeit. Das Parlament hat jetzt ein Gesetz verabschie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten det, wonach Abgeordnete nicht strafverfolgt werden der CDU/CSU) können, wenn sie Geld veruntreuen und die öffentlichen Kassen plündern. In dem Fall sage ich: Da müssen wir ein Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Stopp setzen und dem Land sagen: Nur dann, wenn ihr Für die FDP-Fraktion hat als Nächstes das Wort der dieses Gesetz zurücknehmt, wenn ihr wieder auf den Pfad Kollege Michael Georg Link. der Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung der Men- schenrechte kommt, machen wir mit den staatlichen Stel- (Beifall bei der FDP) len dort weiter Entwicklungszusammenarbeit; so lange nicht. Dann machen wir das lieber nur über die zivilge- Michael Georg Link (FDP): sellschaftlichen Gruppen, meine sehr verehrten Damen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (B) und Herren. Auch ich danke ganz herzlich den Kolleginnen und Kol- (D) legen Berichterstattern für die gute Zusammenarbeit und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dem Team von Minister Müller für die vertrauensvolle neten der SPD) Beantwortung der Fragen, die wir hatten; wir hatten ja Wir müssen genau darauf gucken, dass die Länder wahrlich viele Fragen. Es hat sich gezeigt, dass wir bei ihren Verpflichtungen nachkommen. Wir müssen auch der Frage der Ziele der deutschen Entwicklungszusam- in unseren Handelsabkommen darauf achten, dass die menarbeit, mit Ausnahme des äußerst rechten Randes des Nachhaltigkeitskapitel geschärft und auch mit Sanktions- politischen Spektrums, oft gar nicht weit auseinanderlie- möglichkeiten ausgestattet werden, wenn Länder gegen gen. Aber wir streiten sehr wohl um die Wege, und wir Arbeitnehmerrechte verstoßen, mit Kinderarbeit Lohn- streiten sehr wohl um die Art und Weise. Lassen Sie mich dumping betreiben, nur Hungerlöhne zahlen. Denn zoll- deshalb zunächst in den Dank auch noch die vielen Tau- frei in die EU sollte nur das rein, was unter menschen- senden Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in der Ent- würdigen, fairen Bedingungen hergestellt worden ist. wicklungszusammenarbeit einschließen. Auch unsere Fraktion möchte Ihnen dafür danken, dass sie sich dafür Das wollen auch viele Unternehmer; die wollen faire einsetzen, dass Menschen überall auf der Welt in Würde Wettbewerbsbedingungen. Die anständigen Unternehmer leben können. schützen wir vor den Ausbeutern. Denen und damit auch den Eliten in den Entwicklungsländern, die mit den Aus- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der beutern zusammenarbeiten, werden wir das Handwerk SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- legen. SES 90/DIE GRÜNEN) Für uns Freie Demokraten ist klar, dass diese deutschen Aber ich sage auch: Zur Korruption gehören immer Alleingänge – da müssen wir schon ein bisschen Wasser zwei. Es gehören diejenigen in den Ländern dazu, die in den Wein schütten –, die es gerade im Bereich der Geld annehmen. Es gibt aber auch viele Unternehmen, Entwicklungszusammenarbeit sehr häufig gibt und die die Schmiergeld zahlen und sich verantwortungslos ver- oft sehr wenig mit den EU-Nachbarn und mit der EU halten. Deswegen ist es richtig, dass Hubertus Heil ge- selbst abgestimmt sind, nichts helfen. Sie sind Aktionis- meinsam mit Minister Müller Initiativen ergreift, damit mus. wir verbindliche gesetzliche Regelungen für ein Liefer- kettengesetz bekommen, damit wir einen Nationalen Ak- Trotz all dem, was punktuell gemacht wurde – die tionsplan für Menschenrechte verbindlich machen, damit Kollegin Hajduk hat zu Recht darauf hingewiesen –, Unternehmen bestraft werden können, wenn sie gegen bräuchten wir deutlich mehr Geld vor allem für die Ver- Menschenrechte verstoßen. einten Nationen und multilaterale Ansätze. Wir haben 16370 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Michael Georg Link (A) deshalb Anträge eingebracht, die mehr Geld für UNICEF, ven geht. Es muss endlich Schluss sein mit diesen (C) mehr Geld für den Bildungsfonds und das Entwicklungs- Schattenhaushalten im BMZ. Sage und schreibe 10 Pro- programm der Vereinten Nationen fordern. Wir fordern zent seines Etats werden mit der Gießkanne verteilt. Der auch mehr Geld für Initiativen zur Familienplanung, Bundesrechnungshof und meine Fraktion haben diesen mehr Geld für die Entwicklungsprogramme der Weltbank PR-Etat – und es ist ein PR-Etat – immer wieder kritisiert. und mehr Geld für das Welternährungsprogramm. Wir Aber anstatt dem Minister Korsettstangen einzuziehen, haben das durch Umschichtungen aus den Sonderinitiati- sagt die Mehrheit im Haushaltsausschuss: Lieber Minis- ven finanziert; ich komme gleich darauf zu sprechen. ter, bitte mach nach der nächsten, nach der fünften Son- derinitiative Schluss. – Selbstbewusstes Parlament geht Aber was macht die Bundesregierung? Auf Druck des anders. Ausschusses erhöht sie die Mittel punktuell. Sie sitzt im Sicherheitsrat, bleibt aber bei der Förderung der UN-Or- (Beifall bei der FDP – Heiterkeit der Abg. Anja ganisationen letzten Endes ein Scheinriese. Sie bleibt Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) deutlich hinter den Erwartungen zurück. Sie behindert sogar sehr stark viele UN-Organisationen mit sehr eng Damit nicht genug: Statt Wege zu finden, wie wir deut- gefassten Mittelbindungen. Diese engen Mittelbindungen sche Steuergelder effizienter einsetzen könnten – wir führen dazu, dass zum Beispiel dem Welternährungspro- wollen ja mehr machen, aber eben effizienter –, entledi- gramm vorgeschrieben wird, in welchen Bereichen es gen sich die Koalitionsfraktionen auch noch einer ihrer arbeiten darf. Ich frage Sie, Herr Minister: Haben Sie wichtigsten parlamentarischen Kontrollfunktion, indem etwa eine Glaskugel, die Ihnen zeigt, wo 2020 die größten sie die Zustimmungsgrenze für neue Projekte – jetzt hö- Ernteausfälle sein werden oder wo Ebola ausbricht? Nein, ren Sie genau zu – von 25 Millionen auf 50 Millionen diese Mittelbeschränkungen – der englische Fachbegriff Euro erhöhen. Das BMZ hat mit diesem Entschluss für lautet Earmarks – beschädigen das System der Vereinten die große Masse seiner Projekte – denn sie liegen Nationen und machen diese wichtigen Organisationen zwischen 25 und 50 Millionen – einen Blankoscheck be- weniger handlungsfähig. Also, Multilateralismus muss kommen. Kolleginnen und Kollegen der Koalition, so man auch in der Praxis leben und nicht nur in Sonntags- verzwergen Sie den Haushaltsausschuss und das Budget- reden loben. recht dieses Hauses. Der BMZ-Haushalt 2020 ist daher insgesamt eine her- (Beifall bei der FDP) be Enttäuschung. In der Entwicklungszusammenarbeit Wir streiten, liebe Kolleginnen und Kollegen, um den bleibt Deutschland weit hinter seinem Potenzial zurück. besten Weg, wie man die Koordinierung innerhalb der Deshalb lehnen wir diesen Etat ab. Bundesregierung vorantreiben könnte. Sage und schreibe (B) 15 Ressorts engagieren sich in der Entwicklungszusam- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (D) menarbeit. Ja, man kann fast sagen: Neben Herrn Müller (Beifall bei der FDP) gibt es noch 14 Co-Minister, und jeder von ihnen will glänzen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist doch gut!) Vielen Dank, Kollege Link. – Die Kollegin Helin Wir fordern daher die Einrichtung eines ständigen Evrim Sommer ist die nächste Rednerin für die Fraktion Staatssekretärsausschusses, in dem diese Ministerien Die Linke. endlich eine gemeinsame Strategie entwickeln müssen, (Beifall bei der LINKEN) um auf EU-Ebene und in den Partnerländern vor Ort mit einer Stimme zu sprechen. Wir brauchen auch eine Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): ressortübergreifende Evaluierung unserer Entwicklungs- zusammenarbeit; die Wirkungsorientierung muss besser Es geht bei der Entwicklungszusammenarbeit nicht um geprüft werden. Doch da geht es bei der Bundesregie- Almosen. Es geht um soziale Gerechtigkeit, und es geht rung – man schaue in die Berichte des Rechnungshofes – um ein Leben in Würde. nur im Schneckentempo voran. Solange da nicht genug (Beifall bei der LINKEN) geschieht, können wir nicht einfach Ja zu Erhöhungen sagen. Weltweit hungern 821 Millionen Menschen, und das nicht nur in den 47 ärmsten Ländern wie Senegal, Mali (Beifall bei der FDP) und Burkina Faso. Auch in Indien leiden die Menschen Wir sind bereit, mehr Geld in die Hand zu nehmen, unter Armut und Unterernährung. wenn die Effizienz steigt. Wir fordern schon lange, dass Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nicht isoliert hier 0,7 Prozent für Entwicklung und da eigentlich erzähle ich hier nichts Neues. Und doch ent- 2 Prozent für Verteidigung veranschlagen. Wir fordern, wickelt sich die deutsche Entwicklungspolitik in eine an- dass wir insgesamt 3 Prozent in international vernetzte dere Richtung. Die Bundesregierung will weg von der Sicherheit investieren. Aber es muss bitte koordiniert und Unterstützung von Staaten, die sie am nötigsten brauchen, aufeinander abgestimmt sein. hin zu mehr Belohnung für gute Führung, Kopfnoten zum Beispiel für die Bekämpfung von Korruption. Aber tat- (Beifall bei der FDP) sächlich geht es Ihnen, lieber Herr Entwicklungsminister Der Entwicklungsminister ist übrigens auch auf dem Müller, allein um Gewinnmaximierung bei Privatinvesti- Holzweg, wenn es um seine sogenannten Sonderinitiati- tionen. Das Problem der Korruption spielt für Sie da gar Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16371

Helin Evrim Sommer (A) keine Rolle. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Projekte zu, die wir in fragilen Kontexten umsetzen. Ganz (C) Selbstverständlich müssen wir Korruption bekämpfen, besonders trifft das die Projekte der zivilen Krisenpräven- bei uns und auch in den Ländern des Südens. Doch bei tion. Gerade sie sind existenziell davon abhängig, eine der unmittelbaren Versorgung von Menschen in Not hat Langfristperspektive zu haben. das überhaupt nichts zu suchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Die werden sich bedanken!) Wir haben heute bei den außenpolitischen Themen viel über die neue Weltordnung und über die USA gehört, und Tatsächlich bedeutet nachhaltige Entwicklungszusam- wir haben Appelle an die Verantwortung Deutschlands menarbeit, die Grundversorgung bei Gesundheit und Bil- und der EU gegenüber China gehört. Von all diesen Um- dung zu unterstützen, also Schulen auch auf dem Land wälzungen bleibt auch die Entwicklungszusammenarbeit und in Flüchtlingslagern und ein kostenloses Gesund- nicht verschont. heitssystem für alle. Auch bei uns in Deutschland fragt der Arzt vor der OP nicht danach, ob unser Führungs- Die USA ziehen sich aus vielen Bereichen zurück. zeugnis in Ordnung ist. Menschenwürde ist bedingungs- China übernimmt die Rolle des Westens aus früheren los, liebe Bundesregierung. Zeiten, als wir die Entwicklungsländer in die Schulden- falle getrieben haben. Private Geldgeber drängen auf den (Beifall bei der LINKEN) Markt. Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung bietet allein Wie können wir dies erreichen? Die UN gibt uns einen im Gesundheitsbereich mehr Geld, als wir im gesamten Hinweis. Die reichen Länder sollen 0,2 Prozent ihres Haushalt des BMZ haben. Wir müssen aufpassen, Herr Bruttonationaleinkommens für die ärmsten Länder auf- Dr. Müller, dass sich die Politik nicht zu sehr auf dieses wenden. Um dies zu erreichen, sollten wir erstens den private Geld verlässt. Wer bestimmt dann am Ende die Anteil der öffentlichen Entwicklungsgelder endlich auf Agenda der globalen Gesundheit? Was machen wir, wenn 0,7 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens anheben. dieses Geld plötzlich wegfällt? Ich finde, es kann nicht Das ist die Vorgabe der Vereinten Nationen. Das haben sein, dass wir eine so wichtige Arbeit wie die der Welt- wir in 50 Jahren nicht erreicht. gesundheitsorganisation den Stiftungen überlassen. (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir nach Europa. Im Wahn, Migration unter- binden zu müssen, steuert man in Brüssel um und macht Zweitens. Von diesen 0,7 Prozent sollten 0,2 Prozent- statt Fluchtursachenbekämpfung immer mehr Fluchtbe- punkte vor allem in die Bereiche Gesundheit, Bildung kämpfung. So, wie das Nachbarschaftsinstrument NDICI und in Programme für Ernährungssouveränität fließen. geplant ist, schluckt es den Entwicklungsfonds und gute (B) Nur wer sich selbst ernähren kann, gesund und gut aus- bisherige Instrumente wie das für Frieden und Stabilität, (D) gebildet ist, hat eine Chance, die eigene Zukunft zu ge- das IcSP. Angesichts einer Politik, die sich auf Verhinde- stalten, übrigens genauso, wie wir das für uns ganz selbst- rung von Migration konzentriert, müssen wir befürchten, verständlich in Anspruch nehmen. dass das Geld dieser sehr nützlichen Instrumente zweck- Drittens. Entwicklungszusammenarbeit bedeutet auch, entfremdet wird. in die Familienplanung und in die Stärkung von Frauen- Herr Dr. Müller – ich spreche auch die Vertreterinnen rechten zu investieren. Die freie Entscheidung der Men- der Bundeskanzlerin und des Ministers Scholz an –, ma- schen, vor allen Dingen der Frauen, muss im Mittelpunkt chen Sie da nicht mit! Setzen Sie sich im Rat dafür ein, stehen. Das wäre eine nachhaltige Politik für ein Leben in dass das Nachbarschaftsinstrument so, wie es bisher auf Würde und mit der Chance auf Entwicklung. Das würden den Tisch liegt, nicht kommt! wir als Linke selbstverständlich gerne unterstützen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Minister, erneut wollten Sie die Sonderinitiativen (Beifall bei der LINKEN) ausbauen. Sie haben die Reformpartnerschaften ange- sprochen. Das ist vom Ansatz her eine gute Sache. Sie Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: haben aber in Ihrem Haus unwahrscheinlich viele Labels, Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege und Sie haben auch den Marshallplan, soweit ich weiß, Ottmar von Holtz. mit zwei Ländern initiiert. Unter einem Marshallplan stel- le ich mir eigentlich etwas ganz anderes vor – Stichwort (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „Compact with Africa“. Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das gilt auch für die Sonderinitiativen. Ich bitte Sie: Herr Präsident! Über Zahlen und Daten im Haushalt Lassen Sie diese unglücklichen Sonderinitiativen, die ei- des BMZ ist bereits eine Menge gesagt worden; das ner systematischen kohärenten EZ-Politik im Wege ste- möchte ich nicht alles wiederholen. Aber, Herr Minister hen. Vernachlässigen Sie nicht die multilaterale Entwick- Dr. Müller, eines möchte ich doch noch einmal betonen: lungszusammenarbeit! Nehmen Sie die wirklichen Es ist zwar schön, dass der Haushalt des BMZ erneut Herausforderungen an, die wir in der Entwicklungszu- anwächst, aber die Perspektive macht mir Sorge. Wir alle sammenarbeit haben, beispielsweise in Bezug auf die wissen um die Arbeitsbedingungen vor Ort im Bereich Rechte von Frauen und Mädchen auf Bildung und Ge- der Entwicklungszusammenarbeit. Wir sind extrem auf sundheit und vor allem darauf, selbst bestimmen zu kön- Planungssicherheit angewiesen. Das trifft vor allem auf nen, wann, von wem und wie viele Kinder sie haben 16372 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Ottmar von Holtz (A) wollen; denn das ist essenziell bei der Frage des starken (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) Bevölkerungswachstums. der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) Rücken Sie das Motto „Leaving no one behind“ der Mit dieser Bereitschaft zur Übernahme von Verantwor- Agenda 2030 in den Fokus! Wir warten ungeduldig auf tung werden wir der Werteorientierung unserer Politik Ihre Inklusionsstrategie. Lassen Sie die am wenigsten auch im internationalen Bereich gerecht. Wenn über entwickelten Länder nicht im Stich! 800 Millionen Menschen bitteren Hunger erleiden, 1,4 Milliarden Menschen in bitterster Armut leben, Hun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) derten Millionen von Menschen der Zugang zu Bildung, Die Bundesregierung hat sich in internationalen Ab- zu Ernährung, zu sauberem Wasser und zur Gesundheits- kommen nicht nur dem Kampf gegen Armut und Un- vorsorge verwehrt ist, dann darf uns dies als reiches Land gleichheit und gegen den Klimawandel verpflichtet. nicht ruhen lassen. Weil wir wirksam helfen können, müs- Deutschland muss die Agenda 2030 und ihre Nachhaltig- sen wir auch helfen, meine Damen, meine Herren. keitsziele endlich als Chance zur sozialökologischen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Transformation nutzen. Da ist Ihr ODA-Beitrag zum glo- balen Klimaschutz noch lange nicht ausreichend. Zugleich gilt: Der Kampf gegen bittere Armut, gegen Ausbeutung und Unterdrückung ist auch in unserem eige- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nen Interesse. Frieden, Wohlstand und soziale Gerechtig- Karsten Hilse [AfD]: Ihr wollt Sozialismus!) keit werden wir auch für uns auf Dauer nur erhalten kön- Zum Schluss noch ein paar Worte zur zivilen Krisen- nen, wenn wir weltweit mehr Gerechtigkeit und prävention; denn sie ist mitnichten nur ein Thema des Wohlergehen für alle Menschen erreichen. Auswärtigen Amtes. Ressortgemeinsames Handeln ist Wenn Nationalisten weltweit und hier im Hause ange- das Gebot der Stunde. Immerhin kommt das meiste Geld sichts des millionenfachen Elends in der Welt der Ab- im Bereich der zivilen Krisenprävention aus dem BMZ- schottung das Wort reden oder – wie wir es heute erlebt Etat. Deswegen ist es für mich vollkommen unverständ- haben – in billiger Weise Vorurteile gegen Entwicklungs- lich, Herr Müller, warum die Finanzierung des ZFD seit zusammenarbeit schüren, missachten sie die bittere Not Jahren stagniert. von Millionen Menschen in aller Welt und leisten zu- Herr Minister, vieles von dem, was Sie gesagt haben, gleich unserem eigenen Land einen Bärendienst. ist richtig. Was wir uns wünschen, ist, dass die Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli regierung nach diesen vielen Jahren der Worte endlich Nissen [SPD]) auch Taten folgen lässt. (B) Niemand kann und will die Welt alleine retten, wie Sie es (D) Danke schön. uns unterstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Markus Frohnmaier [AfD]: Doch, doch!) Aber wir werden Ihnen und Ihresgleichen nie mehr er- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: lauben, die Welt an den Rand des Abgrunds zu führen; Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege auch das gilt. Hermann Gröhe. (Beifall bei der CDU/CSU – Markus (Beifall bei der CDU/CSU) Frohnmaier [AfD]: Und wir werden Ihnen nicht erlauben, Deutschland an den Rand des Ab- Hermann Gröhe (CDU/CSU): grunds zu führen!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! – Die Antwort auf solch schäbige Töne ist der Rekord- Rekordinvestitionen, keine neuen Schulden, Entlastung haushalt. der Bürgerinnen und Bürger – dies alles prägt diesen Haushalt und zeigt die wirtschaftliche Stärke dieses Aber eine viel wichtigere Antwort ist der Einsatz Tau- Landes und unseren Willen, diese Stärke zu erhalten. Zu- sender Menschen aus unserem Land, die in staatlichen gleich unterstreichen wir mit dem Einzelplan 23, den wir und nichtstaatlichen Organisationen, in den Kirchen in hier beraten, unser Bekenntnis zur gewachsenen interna- vielen Teilen der Welt partnerschaftlich an der Seite von tionalen Verantwortung Deutschlands mit einem Haus- Menschen arbeiten, die sich in Armutsgegenden für bes- halt von nahezu 10,9 Milliarden Euro. Das ist ein neuer sere Lebensbedingungen einsetzen. Diese Menschen neh- Rekordwert; darauf sind wir stolz, meine Damen, meine men häufig ein hohes eigenes Risiko auf sich. Ich denke Herren. etwa an diejenigen, die im Südsudan oder in Afghanistan helfen. Herzlichen Dank für diesen großartigen Einsatz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Mir sei schon die Bemerkung erlaubt: Nach sieben ma- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE geren rot-grünen Jahren, in denen der Haushalt bei 4 Mil- GRÜNEN) liarden Euro stagnierte, gab es 14 gute Jahre. Und ich Meine Damen, meine Herren, es ist noch einmal unter- habe Sie, Frau Hajduk, so verstanden: Das soll so weiter- strichen worden, dass die zusätzlichen 500 Millionen Eu- gehen. – Recht haben Sie! Vielen Dank für diese Bestä- ro für den internationalen Klimaschutz diesen Rekord- tigung. haushalt möglich gemacht haben. In der Tat gilt: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16373

Hermann Gröhe (A) Maßnahmen für den Schutz des einen Klimas in der einen das großartige Ziel jetzt in den Blick nehmen und errei- (C) Welt werden eben nur dann erfolgreich sein, wenn wir chen wollen, ist eine gute Nachricht. Danke an den Haus- entschlossenes Handeln im eigenen Land und internatio- haltsausschuss für diesen Beschluss. nale Anstrengungen zusammenführen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Wir schulden dabei gerade denen Hilfe, die am wenigs- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE tens zum Klimawandel beitragen, aber am härtesten unter GRÜNEN) seinen Folgen leiden, nämlich den Menschen in den ar- men Ländern des Südens, meine Damen und Herren. Ich unterstreiche auch, was Sie zur Impfallianz GAVI gesagt haben und zur Hoffnung, im Haushaltsvollzug (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nachzusehen, ob noch ein Stückchen mehr Förderung der SPD) möglich und notwendig ist. Ihnen zu helfen, mit den Folgen des Klimawandels durch Schließlich sei auch das mir erlaubt zu sagen: Ja, wir Anpassungsmaßnahmen fertigzuwerden, aber gleichzei- sind stolz auf diesen Rekordhaushalt. Wir können an ei- tig auch eigene Maßnahmen des Klimaschutzes zu ergrei- ner Fülle von Maßnahmen aufzeigen, dass er Menschen fen, ist daher ein Gebot internationaler Solidarität. hilft. Gleichzeitig wissen wir: Die Politik muss fortge- setzt werden. Deswegen können wir nicht zufrieden sein Meine Damen, meine Herren, jedes Jahr gehen 13 Mil- mit der Finanzplanung. Deswegen bleibt für die Zukunft lionen Hektar Wald verloren. Ein Drittel der Mangroven viel gemeinsame Überzeugungsarbeit. Darauf freue ich an den Küsten sind bereits zerstört, und zwar mit gewal- mich. tigen Auswirkungen sowohl auf die Entwicklung des Kli- mas als auch auf den Schutz vor Überschwemmungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Deswegen ist es gut, dass die Bundesrepublik Deutsch- ordneten der SPD) land in über 15 Ländern Maßnahmen des Mangroven- schutzes unterstützt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Es ist deutlich geworden, dass die Wasserressourcen in Vielen Dank, Herr Kollege Gröhe. – Der nächste Red- vielen Teilen der Regionen in einer Weise gefährdet sind, ner ist der Kollege Dietmar Friedhoff für die AfD-Frak- dass bereits mit der Reduktion um 40 Prozent der globa- tion. len Getreideproduktion gerechnet werden muss. All dies zeigt: Wassersicherheit und Ernährungssicherheit in vie- (Beifall bei der AfD) len Teilen der Welt, vor allem aber in Afrika, sind ein Gebot, um für die Ärmsten der Armen die Folgen des Dietmar Friedhoff (AfD): (B) (D) Klimawandels abzufedern. Wir stehen zu dieser Verant- Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kolle- wortung. gen! Herr Minister! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Eines der Entwicklungshemmnisse der Weltgemeinschaft sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Kriege, Verfehlungen und Unterdrückungen, die irri- der SPD) ger-, fälschlicher- und katastrophalerweise im Namen Meine Damen, meine Herren, es ist darauf hingewiesen Gottes oder Allahs stattfinden, inklusive der Themen worden, dass auch die globale Gesundheit in besonderer wie Zwangsbeschneidung, Frühverheiratung und Unter- Weise deutlich macht, dass nationale und internationale drückung der Mädchen und Frauen. Diese nervende Politik Hand in Hand gehen müssen. Die Strategie zur Überhöhung des Mannes über die Frau, das archaische Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen Gehabe findet auch oder gerade hier seinen Ursprung. sexuell übertragbaren Krankheiten ist zu Recht eine vom Kommen wir zum Glauben und zur Bevölkerungsent- Gesundheitsministerium und dem Ministerium für wirt- wicklung. Es gibt zu schnell zu viele Menschen, sodass schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gemein- echte Nachhaltigkeit und Teilhabe an einem besseren Le- sam verantwortete Strategie, weil wir uns diesen globalen ben für alle Menschen gar nicht stattfinden kann. Fakt ist: Gesundheitsgefahren nur gemeinsam stellen können. Der Glaube spielt in der Entwicklung eines Volkes eine Deswegen ist eine Milliardenzusage an den Global Fund zentrale Rolle. Wenn aber zum Beispiel die katholische eine gute Nachricht für die Länder, denen geholfen wird. Kirche in Afrika nicht über Verhütung reden will oder der Aber im Sinne des gesamten Kampfes gegen diese Islam Kinderehen duldet und den Mann über die Frau Krankheiten ist es auch eine gute Nachricht für unser erhebt und Bildung für Frauen nicht fördert, dann sollten Land. Gut, dass wir diese Aufstockung vornehmen. wir uns fragen, Herr Minister Müller, wie auf so einer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Basis echte Weiterentwicklung überhaupt funktionieren ordneten der SPD) kann. Kollegin Steffen, Sie haben an „Schluckimpfung ist Kommen wir zur Verantwortung. Eigenverantwortlich- süß, Kinderlähmung ist grausam“ erinnert. Wenn die letz- keit der Menschen, dann der Staat und dann die Gemein- ten Meilen gegangen werden können, diese schreckliche schaft der Völker – dieses System haben wir mittlerweile Krankheit endlich ganz zu verbannen, dann ist es richtig, komplett auf den Kopf gestellt. So werden die Agenda dass der Haushaltsausschuss 35 Millionen Euro zusätz- 2030 und die 17 Nachhaltigkeitsziele nicht die Selbstver- lich in die Hand nimmt. Denn wir wissen, dass die letzten antwortung fördern, sondern vielmehr die Fremdbestim- Meter oft die besonders anstrengenden sind. Wir dürfen mung und die Fremdsteuerung. Dazu kommen Themen, nicht nachlassen und uns nicht vorzeitig freuen. Dass wir die die Welt belasten: Kunststoffmüll, Umweltzerstörung 16374 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Dietmar Friedhoff (A) und Ressourcenwahn. Ihre Antworten? Ihre Konzepte? schusses für unseren Bereich, insbesondere an Sonja (C) Fehlanzeige! Und dabei könnten wir gerade hier mit un- Steffen und Carsten Körber. serem Know-how als Bundesrepublik Deutschland wirk- lich punkten, eine Riesenchance für unsere Wirtschaft. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben es heute schon öfter gehört: Für das BMZ Herr Müller, die Weltbevölkerung wird von Jahr zu bedeutet das gegenüber 2019 ein Plus von 630 Millionen Jahr um über 80 Millionen Menschen steigen. Afrika Euro. Ja, wir haben die ODA-Quote von 0,7 Prozent wie- benötigt von Jahr zu Jahr 20 Millionen neue Arbeits- der nicht erreicht. Wir liegen ungefähr bei 0,51 Prozent. plätze. Wo genau sind hier erkennbar funktionierende Aber man muss deutlich sagen: Wir sind auf einem guten Ansätze Ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit? Bevöl- Weg, und wir werden unseren internationalen Verpflich- kerungswachstumsbegrenzung und deutsche Wirtschafts- tungen mehr und mehr gerecht. interessen in einer nachhaltigen Entwicklung sollten Ihre Themen sein und nicht klimaneutrale Moscheen, Inklu- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sepp sionstoiletten in der Wüste und die Transformation der Müller [CDU/CSU]) Welt. Ein Wort noch zu der Forschung, die wir jetzt betreiben (Beifall bei der AfD – Hermann Gröhe [CDU/ müssen. Sehr geehrter Herr Gröhe, wir müssen nachfor- CSU]: So was Billiges!) schen – auch mit den Kollegen der FDP –, ob es statt der rot-grünen Koalition nicht die Niebel-Delle war, die den Sie reden von grünen Knöpfen, damit die indische Nä- Abschwung im Haushalt verursacht hat. herin – das waren Ihre Worte – ihr selbstgenähtes Kleid im Internetportal selbst verkaufen kann, damit wir es (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli dann im Flugzeug für kleines Geld nach Deutschland Nissen [SPD]: Vermutlich! – Hermann Gröhe fliegen – natürlich CO2-neutral – und so quasi in Ihrem [CDU/CSU]: Das hat sich schlicht ergänzt!) globalen Dorf kaufen können. Die Geschichten von dem Aber das machen wir mal abseits. Herrn Entwicklungsminister erinnern uns doch immer etwas an die Augsburger oder hier besser Berliner Pup- Verantwortung ist die Überschrift und der Inhalt unse- penkiste, diesmal an Dr. Gerd Knopf im ... Sie wissen rer Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben uns, glaube bestimmt. ich, wirklich lange Zeit mit diesem Wort „Entwicklungs- hilfe“ zufriedengegeben. Wir sollten dieses Wort einfach Was fehlt, ist die Realität in Bezug auf das Machbare mal aus unserem Repertoire streichen und sagen: Es ist und die Erkenntnis, dass zurzeit ein künstliches System eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die wir pflegen ein anderes künstliches System nährt. Wir haben neben wollen. (B) einer Migrationsindustrie leider Gottes schon seit Jahren (D) eins: eine sich selbst versorgende Entwicklungsindustrie. (Beifall bei der SPD – Markus Frohnmaier [AfD]: Das ist politisch korrekter Quatsch!) Was wollen wir? Wir wollen, dass Afrika endlich Af- rika ist und nicht Afropa. Afrika ist ein reicher Kontinent, Unser Reichtum ist zu stark auf den Schultern ärmerer und es braucht nach Jahrzehnten fehlgeleiteter Entwick- Länder aufgebaut. Das wissen wir, und dies zu leugnen, lungshilfe einen eigenen afrikanischen Anspruch auf ist, glaube ich, überflüssig. Nur wenn wir daran arbeiten, Selbstverantwortung und eine eigene große Agenda Afri- dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, können wir globa- kas für Afrika. Hier sollten wir Partner jenseits ideologi- le Probleme wie Armut, wie Hunger und – ich sage es scher Glaubenslehren sein. Vielen lieben Dank. Der noch mal – wie Klimawandel bekämpfen. Grundpfeiler Haushalt ist abzulehnen. für uns Sozialdemokraten sind dabei Bildung und globale Gesundheit, gerade auch für Frauen und Mädchen. In Danke schön. diesen Feldern liegt das Fundament einer erfolgreichen Zukunft. Sie sind der Inbegriff von Hilfe zur Selbsthilfe; (Beifall bei der AfD) denn unser Credo „Aufstieg durch Bildung“ gilt eben weltweit. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dagmar Ziegler. Deshalb ist die Förderung der Globalen Bildungspart- nerschaft so wichtig. Denn wir wissen: Bildung ist der (Beifall bei der SPD) beste Motor für eine soziale, für eine gleichberechtigte wie auch ökonomisch starke Gesellschaft. Diese Förde- Dagmar Ziegler (SPD): rung stellt einen Schwerpunkt unserer Entwicklungszu- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und sammenarbeit dar. Diese Mittel – wir haben es heute Kollegen! Bei der Einbringungsrede sagte ich: schon mehrfach gehört – sind auf 50 Millionen Euro ge- stiegen. Deshalb auch Dank an unseren Kollegen Der Haushalt des Deutschen Bundestages ist eben Christoph Matschie, der sich seit Jahren für diesen Be- kein Selbstzweck. Das Parlament setzt die Prioritä- reich auch ehrenamtlich engagiert. ten, gibt den Ministerien die Richtung vor und unter- setzt dies mit finanziellen Mitteln. (Beifall bei der SPD) Genau das haben wir gemacht. Deshalb ein ganz Liebe Kolleginnen und Kollegen, erfolgreiche Bildung besonderer Dank an die Mitglieder des Haushaltsaus- und ein selbstbestimmtes Leben setzen eine gute Gesund- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16375

Dagmar Ziegler (A) heitsversorgung voraus. Aus diesem Grunde haben wir riums ist typischerweise auch zu bezeichnen als der Haus- (C) dafür gesorgt, dass die Förderung der Globalen Initiative halt der Nachhaltigkeit, der Haushalt für den Weltzu- zur Ausrottung der Polio – da sind wir alle, glaube ich, kunftsvertrag, für die globalen Nachhaltigkeitsziele. über Fraktionsgrenzen hinweg begeistert dabei – im BMZ Damit ein solcher Haushalt ausgestattet werden kann, endlich auch einen festen Titel erhalten hat, auf 35 Millio- muss aber auch das Land selbst, muss Deutschland nach- nen Euro erhöht und verstetigt wird. Dadurch geben wir haltig sein. Das bedeutet, auch seine eigenen Finanzen Planungssicherheit und stellen Mittel zur Verfügung, nachhaltig auszugestalten, und zwar im Interesse nach- durch die die hochansteckende Infektionskrankheit end- folgender Generationen. Deswegen ist es großartig, dass lich ausgerottet werden kann. Meine liebe Kollegin wir hier erneut ohne neue Schulden auskommen. Dafür Steffen hat das ja auch sehr anschaulich dargestellt. Welt- auch herzlichen Dank an den Bundesfinanzminister! weit gibt es zwar nur wenige Fälle, es erfordert jedoch ein ständig vorhandenes und auch hochprofessionalisiertes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Radarsystem, um weitere Ausbrüche der Krankheit zu ordneten der SPD) verhindern. Das kostet eben auch viel Geld. Das sehen nicht alle Fraktionen so. Ich glaube, die Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns vor Grünen haben jetzt im Zusammenhang mit ihren eigenen dem Hintergrund der UN-Weltbevölkerungskonferenz, Vorstellungen zum Klimaschutz vor, neue Schulden auf- die Mitte November in Nairobi stattfand, auf die Fahnen zunehmen in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro. geschrieben, die sexuelle und reproduktive Gesundheit zu Das ist nicht unser Weg, weil das nämlich auch bedeuten verbessern und die Rechte von Mädchen und Frauen würde, dass wir eben nicht mehr die Mittel zur Verfügung weltweit zu stärken. Das ist unbedingt notwendig; denn hätten, um denjenigen zu helfen, bei denen es am drin- bis 2050 dürfte sich die Bevölkerung in Afrika auf gendsten notwendig ist. Und diese werden von Bundes- 2,5 Milliarden Menschen mehr als verdoppeln. In Afrika minister Müller unterstützt. gibt es jedes Jahr circa 21 Millionen ungewollte Schwangerschaften von 15- bis 19-jährigen Mädchen. Sein Thema – und das ist das Thema, das uns seit Der mangelnde Zugang zu Aufklärung und zu Verhü- Jahren umtreibt, und ich meine, wegen dessen Ursäch- tungsmitteln, aber auch ein Mangel an Gleichberechti- lichkeit hätte diese Debatte auch an den Anfang des heu- gung und zu frühe Verheiratung statt längerer Schulbil- tigen Tages gehört – ist die gerechte Gestaltung der Glo- dung sind die Gründe. Hohe Geburtenraten beeinflussen balisierung. Sein Thema ist, dass wir gemeinsam und in aber die Entwicklungschancen eines Landes; das wissen wechselseitiger Verantwortung zur guten Entwicklung wir sehr gut. Auch hat hochgerechnet die Anzahl der auf diesem Planeten beitragen. Wenn wir das geschafft Menschen auf der Welt natürlich Folgen, bis hin zum haben, dann haben wir ja die Voraussetzungen geschaf- (B) Klimawandel. Deshalb sorgen wir mit einem Aufwuchs fen, dass sich Krisen gar nicht erst entwickeln. Dann ha- (D) von 7 auf 8 Millionen Euro bei UN Woman und beim ben wir die Voraussetzungen geschaffen, dass das Aus- Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen von 33 auf wärtige Amt vielleicht weniger an unmittelbarer 40 Millionen Euro dafür, die Rechte von Mädchen und humanitärer Hilfe leisten muss, dann haben wir die Vo- Frauen zu stärken. raussetzungen geschaffen, dass vielleicht Kriege sich nicht entwickeln. Von der logischen Folge her hätte die (Beifall bei der SPD) Debatte über diesen Haushalt also an den Anfang des heutigen Tages gehört. In der letzten Ausschusssitzung hatte Die Linke inter- veniert, wir sollten für UNICEF mehr Geld zur Verfügung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stellen. Wir sind – es wurde schon oft erwähnt – stolz, Lieber Bundesminister, lieber Gerd, du hast mit unge- sagen zu können: Das haben wir geschafft. heurem Engagement, mit ungeheurer Hartnäckigkeit – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) manche würden vielleicht auch sagen: Sturheit – dazu beigetragen, dass dein Etat, dass der Etat des Entwick- Wir haben es versprochen und haben es gehalten und sind lungsministeriums diese beachtliche Höhe erreicht hat. gemeinsam, glaube ich, recht glücklich darüber. Deshalb, Und warum hast du das geschafft? Weil es dir einfach finde ich, können wir den Haushalt auch gemeinsam be- am Herzen liegt, weil es aus deinem Herzen kommt. schließen. Und das, glaube ich, ist niemandem verborgen in diesem Vielen Dank. Land, und ich glaube, das, was du in deinem Herzen hast, das trägst du auch hinaus, trägst du auch in unser Land (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) hinaus und begeisterst viele Menschen, die sich da ehren- amtlich oder hauptamtlich engagieren. Ich glaube, das ist Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: eine ganz wichtige, beachtliche Unterstützung und Ermu- Vielen Dank, Frau Kollegin Ziegler. – Der nächste tigung all derjenigen, die hier etwas leisten. Redner: der Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Fraktion. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte auf ein Thema, mit dem ich mich in der Berichterstattung persönlich befasst habe, noch kurz ein- Matern von Marschall (CDU/CSU): gehen. Wir leisten aus dem Entwicklungshaushalt etwa Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen 1 Milliarde Euro in den Europäischen Entwicklungs- und Kollegen! Der Haushalt des Entwicklungsministe- fonds. Der Europäische Entwicklungsfonds wird im Mo- 16376 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019

Matern von Marschall (A) ment gespeist aus Beiträgen der Mitgliedstaaten, die in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) ihn einzahlen – die Osteuropäer proportional etwas weni- neten der SPD – Markus Frohnmaier [AfD]: Sie ger als andere Länder. Der Europäische Entwicklungs- haben es nicht verstanden!) fonds soll jetzt vielleicht in den Haushalt der Europä- Entwicklungshilfe ist aus meiner Sicht gut investiertes ischen Union überführt werden. Dagegen ist prinzipiell Geld und gemessen an den Herausforderungen tatsäch- vielleicht nichts zu sagen, aber Kollege von Holtz hat es lich noch zu wenig. In der Generalaussprache zur Regie- schon angesprochen: Ich sehe das dann kritisch, wenn in rungspolitik heute Morgen hat der ein oder andere sogar diesem neuen, größeren außen- und entwicklungspoliti- gesagt: Was wir hier diskutieren, ist die dritte Säule der schen Instrument der EU dann vielleicht die Entwick- Außenpolitik. So wird es in Zukunft sicherlich auch haus- lungspolitik unter Druck gerät und nicht mehr dieselbe haltstechnisch verankert werden. Deshalb habe ich ange- Aufmerksamkeit bekommt, wie sie sie gegenwärtig ge- sichts dessen, was ich heute von den Berichterstattern nießt. Es ist mir also sehr wichtig, dass wir in den Ver- gehört habe, keine Sorge, dass der strukturelle Wandel handlungen – übrigens auch zum mehrjährigen Finanz- dann auch im Haushalt greifen wird und deshalb die Fol- rahmen – auch darauf ganz genau achten werden. Wenn gefinanzierung wirkungsvoll eingesetzt werden kann. der mehrjährige Finanzrahmen letzten Endes den Ge- samthaushalt unter Druck bringt und der in das neue Fi- In Richtung FDP: Ja, Herr Link, Ziel und Weg, darüber nanzierungsinstrument integrierte EEF dann auch unter kann man sich streiten. Ich glaube, die Anzahl der Ände- Druck kommt, dann hätten wir genau das Falsche, dann rungsanträge hat gezeigt, dass wir es auch tun. Es tut mir würde nämlich weniger Entwicklungsleistung aus der Eu- gut, zu wissen, dass zumindest das Haus bis zu Ihrer ropäischen Union erfolgen, und das darf nicht sein. Dann Kante Ja zur Entwicklungshilfe sagt – über den Weg strei- würde ich das Geld lieber in der Verantwortung des na- ten wir –, und es gibt leider noch eine bedauerliche Rest- tionalen Haushalts belassen. größe hier im Haus, die das anders sieht. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Sonja Amalie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Steffen [SPD]: Das sind nur noch ein paar! Da sitzt ja nur noch eine Handvoll!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Länder, Regionen und ganze Kontinente sollten die Vielen Dank. – Der letzte Redner zu diesem Einzel- Möglichkeit haben, sich wirtschaftlich zu entwickeln, plan: der Kollege Stefan Sauer, CDU/CSU-Fraktion. und zwar ohne die Fehler der Vergangenheit. Wir haben auf dem Weg zur Industrialisierung gelernt, wir haben (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Know-how aufgebaut, wir haben Technik, um es zu er- (D) möglichen, dass wir umweltschonend zur Entwicklung Stefan Sauer (CDU/CSU): beitragen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Die Debatte zur Klimapolitik in unserem eigenen Land Kollegen! Verehrte Gäste auf der Tribüne! Ja, wenn wir hat gezeigt, dass der Bürger heute an einem Punkt ist, wo über den Einzelplan 23 diskutieren, ist die Grund- er sagt: Da muss deutlich mehr passieren! Wenn der An- satzfrage: Wie viel Geld ist es uns wert, Entwicklungs- teil unseres Landes am weltweiten CO2-Ausstoß lediglich hilfe zu leisten, und wo investieren wir das Geld, damit 2,2 Prozent ausmacht, dann muss die Schlussfolgerung Menschen in Entwicklungsländern und Schwellenlän- sein, etwas globaler zu denken und dass wir diese globale dern zu einem besseren Leben kommen? Anstrengung zu unterstützen haben. Denn – der Minister hat es noch einmal ausgeführt – die Klimafrage entschei- Ihre Ausführungen, Herr Frohnmaier, führen mich als det sich in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Schlussredner dazu, die zentralen Aufgabenfelder noch mal klarzumachen: Ich glaube, es geht nicht nur um die Der globale Süden und das eigene Interesse stehen des- humanitäre Hilfe, die wir dort leisten – wo Sie ganz gerne halb für mich im Vordergrund, wenn ich sage: Wir haben um Sympathie werben, indem Sie sagen, das ist ja so weit zu helfen! Der Satz „Hilfe zur Selbsthilfe“, den wir gern weg –, sondern die Frage ist – das muss man auch sehen –: nutzen, greift allmählich für uns selbst: Wir helfen, um Was bringt es uns in Deutschland, und welchen Wert hat uns selbst zu helfen. Es ist noch einmal schön ausgeführt es für uns global? Und das sind nicht nur die drei Ks, die worden: Wir haben hier Akzente zu setzen. Sie genannt haben, sondern für mich sind das Klima- Lieber Minister Gerd Müller, Entwicklungsarbeit schutz, Migration und Sicherung des Friedens, die wir wirkt; das haben Sie mehrfach gesagt. Ich darf sagen, damit verfolgen das stimmt. Wenn man sich die Ausgaben für die Pro- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gramme anschaut, dann sieht man einen großen Blumen- der SPD) strauß dessen, wie man sich weltweit engagieren kann. Das wird eindrucksvoll demonstriert. Nicht nur die Art und wo wir achtgeben müssen, dass uns da die Welt nicht der Hilfe ist vielseitig, sondern auch, wo man hilft – also aus den Fugen gerät. Die drei zentralen Aufgabenfelder lokal, wo es gebraucht wird. Ich darf sagen: Ich bin sehr sind aktiv zu behandeln, und da läuft uns die Zeit weg. zufrieden mit den Akzenten, die gesetzt werden. Ich bin Der einfache Dreisatz, den Sie hier immer gern bringen – auch dankbar, dass neben Klima- und Umweltschutz, die „Alles Geld für Deutschland!“ –, springt da zu kurz und heute Abend maßgeblich Thema waren, auch noch andere wird der komplexen Welt leider nicht gerecht. Themen in Form von Programmen im Etat enthalten sind. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16377

Stefan Sauer (A) Wir wissen: Übermäßig hohe Geburtenraten ist eines un- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) serer Hauptprobleme. Ja, aber da haben wir auch schon Vielen Dank, Herr Kollege Sauer. – Ich schließe die Erfolge gehabt: in Ländern, in denen zunehmende Bil- Aussprache zu diesem Einzelplan. dung bei den Frauen dann auch ihre Wirkung zeigt. Man kann also entsprechend gegensteuern. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) plan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfassung. Es ist heute Abend viel Richtiges gesagt worden. Ich Wer stimmt dafür? – Das sind CDU/CSU und SPD. Wer sehe uns da auf einem guten Weg. Ich kann unterstrei- stimmt dagegen? – Das sind alle übrigen Fraktionen des chen, was Matern von Marschall gesagt hat: Einen derart Hauses. Der Einzelplan 23 ist damit angenommen. authentischen Minister wie Sie, den müssen wir erst noch einmal auf die Welt bringen. Insofern: Vielen Dank für Ihr Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Engagement! Es ist motivierend für das komplette Minis- terium. Die AfD kann sich daran ein Beispiel nehmen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Der Rest des Hauses ist auf einem guten Weg. Ich danke tages auf morgen, Donnerstag, den 28. November 2019, auch für die gute Zusammenarbeit im Ausschuss und 9 Uhr, ein. wünsche uns weiterhin gute Beratungen. Ich stimme dem Einzelplan zu. Die Sitzung ist geschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Schluss: 18.20 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. November 2019 16379

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Breymaier, Leni SPD Mihalic, Dr. Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Burkert, Martin SPD Müller, Bettina SPD De Ridder, Dr. Daniela SPD Müller-Böhm, Roman FDP Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Neumann, Christoph AfD Gerdes, Michael SPD Petry, Dr. Frauke fraktionslos Hampel, Armin-Paulus AfD Remmers, Ingrid DIE LINKE Hartmann, Verena AfD Rottmann, Dr. Manuela BÜNDNIS 90/ Hebner, Martin AfD DIE GRÜNEN Held, Marcus SPD Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Herrmann, Lars AfD Schauws, Ulle BÜNDNIS 90/ Heßenkemper, Dr. Heiko AfD DIE GRÜNEN Hirte, Dr. Heribert CDU/CSU Schnieder, Patrick CDU/CSU Hitschler, Thomas SPD Schüle, Dr. Manja SPD (B) Högl, Dr. Eva SPD Steinke, Kersten DIE LINKE (D) Jarzombek, Thomas CDU/CSU Stübgen, Michael CDU/CSU Jensen, Gyde FDP Vogler, Kathrin DIE LINKE Knoerig, Axel CDU/CSU Vogt, Ute SPD Komning, Enrico AfD Vries, Kees de CDU/CSU Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ Weber, Gabi SPD DIE GRÜNEN Weiler, Albert H. CDU/CSU Löbel, Nikolas CDU/CSU Zimmermann, Pia DIE LINKE Mieruch, Mario fraktionslos Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333