Nordbayerischer Kurier o Samstag/Sonntag, 11./12. Mai 1991 Eine kritische Zeitzeugin Par excellence - -Enkelin Friedelind ist am Mittwoch gestorben In ihr manifestierten sich die Widersprüche des Jahrhunderts

Von Dieter Hartung ebnete. Friedelinds Meisterklassen verdankt die Musikwelt von Sydney Am Mittwoch um 18 Uhr ist in einer bis Toronto und Stockholm hervorra­ Klinik in Herdecke, Westfalen, gende Sänger, Dirigenten und Instru­ Wagner-Enkelin Friedelind 72jäh• mentalisten. Nur zu bald verschärfte rig verstorben. Sie hat ein schweres Wielands Tod die Probleme; und Bay­ reuth wurde für Friedelind eine neue FRIEDELIND WAGNER Leiden .mit jenem Mut ertragen, Enttäuschung. Der Oberbürgermei• ' der für das ganze Leben dieser be­ * 29. 3. 1918 rs. 5. 1991 ster nahm ihr bittere Kommentare merkenswerten Frau bestimmend über NPD-Wahlerfolge übel. Wieder gewesen ist. In Friedelind Wagners suchte sie einen neuen Anfang in Eng­ Schicksal manifestierten sich die Wi­ land. Den Teilnehmern und Dozenten dersprüchlichkeiten unseres Jahr­ der Friedelind Wagner Master Classes hundert, lebten sich politische, kul­ in Eaglescliff, Stockton on Tees, er­ turelle und familiäre Gegensätze aus setzte sie meist auch die Mutter; groß• - nur zu oft z.u ihrem Leidwesen. zügig, hilfsbereit, freigiebig. Der That- 25 JAHRE NACH UNSEREM BRUDER » sah mit prophe­ cherismus trocknete alle guten Vor­ WIELAND FOLGTE SIE IHM sätze, den industriellen Nordosten IN DAS WUNDERREICH DER NACHf. tischer Klarheit die Tragödie unserer Zeit voraus. Hätte Hitler den 'Ring des Englands mit einer Kulturlandschaft Nibelungen' mit Verstand gelesen, er zu beglücken, finanziell schnell aus würde sein eigenes Schicksal vorher­ und ließ Friedelinds Blütenträume gesehen haben. << Im amerikanischen welken. Exil schrieb sie während des Krieges Mit Schlallplattenaufnahmen in IN TRAUER UND LIEBE das Buch >> Heritage of Fire«. »Ich war alt genug, um Vaters Träume zu ver­ London und Dänemark förderte sie VERENA LAFFERENIZ-WAGNER stehen und zu teilen. .. Diese künstleri• junge Künstler auch weiterhin. In Bie­ sche Atmosphäre war der Hinter­ lefeld inszenierte sie »Lohengrin<< grund, von dem aus ich später ·beob­ Versöhnung in den siebziger Jahren: Frie"delind Wagner mit ihrer Mutter. ohne die erwartete nachhaltige Wir­ achtete, wie Hitler und seine National­ nk-Foto kung. Sie war Patronin des Internatio­ sozialisten und ganz nalen Lisztzentrums für Musik des 19. Deutschland verpesteten,« brand­ Jahrhunderts. Sie wollte ihres. Vaters kompositorisches TRAUERFEIER. FREITAG, 17. MAII991, II UHR markte sie den naiven NS-Wagneris­ mus in der 1945 in New York formulier­ ges Herz auf der Zunge. Ihre fast fana- Zukunft leiten werden. Friedelind Werk der drohenden Vergessenheit HAUS ten Einleitung für die deutsche Fas­ tische Wahrheitsliebe konnte ebenso kehrte in ihre Vaterstadt erst 1953, entreissen. DAS BEISE'IZEN DER URNE ERFOLGT IN ALLER STILLE. sung von »Nacht über Bayreuth<< . erfrischend sein wie entwaffnend. Un- zwei Jahre nach dem Wiederbeginn ehrlichkeit, Komplizenschaft, kor- am Grünen Hügel, zurück. In ihren In Interviews blieb sie sich beson­ rumpierter Opportunismus waren bei Augen hat ihr die Stadt nie Gerechtig­ ders treu, provozierte sie und drückte dieser klarsichtigen Frau ohne Chan- keit widerfahren lassen. sie sich nie um eine Wahrheit herum. Buch machte Furore ce. Die Folgen waren in Festspielstadt Am 7. Mai 1937, dieses Datum ist von nicht gern gelesene Schlagzeilen wie Furore in den USA und in England ihr festgelegt, hatte sie Deutschland »Bayreuth heute ist ein Skandal<< (AZ; , machte ihr Buch wegen der von Hei­ Das zwiespältige Bild Friedelinds 4. Mai 1984). Nach dem Tod der Mutter geht zurück aufdie Jahre der Spruch­ verlassen. 1938, noch war sie nicht voll­ ratsgerüchten umgebenen Freund­ jährig, fuhr sie ein vorläufig letztes mal wandte sie sich entgültig ab von Bay­ schaft zwischen der »Herrin von Bay­ kammerverhandlungen gegen ihre reuth. Sie verlegte ihren Wohnsitz Mutter und der Frage nach der neuen zu den Festspielen. · Die Erinnerung, reuth« und Hitler und wegen Friede­ die sie von der Mutter mitnahm: anmu­ nach Luzern, wo sie glücklicher gewe­ liuds Intimkenntnis der Nazigrößen, Festspielleitung. Aus den USA kamen sen ist als je zuvor. Vorangegangen mißverständliche Signale. 1946 mel­ tig, zorngerötet, unversöhnlich. Erst in die sie in Wahnfried und als Gast in der den siebziger Jahren verzeihen sich war wie immer ein Eklat, im August · Reichskanzlei aus nächster Nähe mit­ dete die »Fränkische Presse<< im April, 1983 anläßlich einer Dokumentation Friedelind Wagner sei von der Stadt Mutter und Tochter. Von nun an blei­ erlebt hatte. In Bayreuth ~ar >> das ben sie miteinander versöhnt. Arturo zum Thema »Wagner-Interpreten im Bayreuth aufgefordert worden, aus Exil«. Seitdem mied sie sogar die Fest­ Buch<< · ein Tabu. Friedelinds Absicht Amerika zurückzukehren und das Toscanini erwirkte Friedelinds Frei­ einer überarbeiteten Neuausgabe gab lassung, als die Briten sie Mitte 1940 spiele. künstlerische Erbe ihres Großvaters Erst 1990 im April betrat sie- ihrem sie schließlich zugunsten einer - bis fortzuführen. Stattdessen gründete sie von der Schweiz kommend als feind­ heute leider nicht erschienen - Biogra­ liche Ausländerin auf der Isle of Man von schwerer Krankheit schon ge­ 1947 die »Friedelind Wagner zeichneten Freund Leonard Bernstein phie aus, zu der sie den kanadischen Company« in New York. Sogar mit ihr internierten. Der Maestro regelte die Musikwissenschaftler Philip Wults au­ wollte sie gegen den Strom schwim­ Überfahrt nach Argentinien, wo er in zuliebe - das Festspielhaus ein aller­ torisierte. Zu einfach wäre es, Friede­ men. Stars, >> ganz gleich wie sie Buenos Aires im Juni 1941 ein Konzert letztes mal. Als sie Bernstein weiter lind Wagner als das »Gewissen Bay­ schreien<< , biete jede andere Opernge­ gab. Sechs Wochen später flog sie mit zur Synagoge und zu Haus Wahnfried reuths in dunkler Zeit•< abzustempeln. sellschaft: »Ich habe Sänger, die sin­ Toscanini und seiner Frau nach New führte, war es bereits ein Abschiedneh­ Klischees vom »Rebell<< oder dem gen! << Der Mißerfolg war vorherzuse­ York. Auch als »eine Wagner« hatte die men. Ihre Freunde werden Friedelinds »Schwarzen Schaf der Familie<< wer­ hen. Emigrantin keine leichte Zeit. Unternehmungslust, ihre Freimütig• den dieser ungewöhnlichen, geradlini­ keit, ihre unerschöpflichen Erinnerun­ gen Persönlichkeit noch weniger ge­ Neubeginn in Bayreuth gen an Begegnungen und Begebenhei­ recht. Sie war streitbar, nicht streit­ Für Bayreuth und München stand ten ihres oewegten Lebens vermissen, süchtig. Sie war häufig, ja meistens an­ spätestens 1948 fest, daß die Brüder Später war es Wieland, der ihr in an dessen Ende sie selbst am wenig­ derer Meinung. Sie trug ihr großzügi- Wieland und Wolfgang die Festpielein Bayreuth für den Neubeginn den Weg sten hatte glauben wollen.